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Die
Univerſität Erfurt
in ihrem Verhältniſſe zu dem
Humanismus und der Reformation.
Aus den Duellen dargeſtellt
von
Dr. F. W. Kampſchulte,
Privatdatent der GOeschithte au der Aniuersität Bonn,
-040%-
Erfier heil :
Der Humanismus.
Trier, 1858.
Verlag der Fr. Lintz'ſchen Buchhandlung.
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“ . —
Schnellpreſſendruck der Sr. Lintz'ſchen Buchdruderei in Trier.
Dem
Sarm Sanitätsrath
D: med. Otto Fifcher
gewidmet.
Inhalt.
— —
Vorrede.
Einleitung. Die Univerfität Erfurt im fünfzehnten Jahr:
bundet © 2 2 00 ne.
1) Borbemerfungen. 2) Beift ver Univerfitäten im Mittel-
alter. Abweichende Richtung der Uiniverfität Erfurt. 3) Grün⸗
bung berfelben. 4) Betbeiligung an den cuneiliaren Kämpfen.
Sehtbalten an den reformatoriichen Tendenzen der bafeler Sy⸗
node. 5) Züterbod, Weſel, Job. von Dorften. 6) Abweichun⸗
gen von der berrichenden Lehrweiſe. 7) Ungewöbnliches Anſehen
der erfurter Schule. Schlußbetrachtung.
Erfies Buch. Auflommen und Entwidelung der humanifti-
ſchen Richtung in Erfurt.
Erſtes Eapitel. Die erfien Humaniften. Bermittelungsverfuche
zwifchen Humanismus und Scholafif . . . . . .»
1) Der Humanismus. 2) Die erfien Verkünder der neuen
Richtung in Erfurt, Lurer, Bublicius, Langen, Dalberg.
3) Erfolge. Knaͤß, Soemmering, Geltes. 4) Vermittelungs-
verfuche, Goede. 5) Trutvetter. Ufingen. 6) Rüdblid.
weites Capitel. Die Boden - - 2 >
4) Sntichievenes Einlenken in vie nenen Bahnen durch
Maternus und Marfchall. 2) Ihre Einwirkung auf die Ju⸗
gend. 3) Die Poetenſchule des Maternus. Erotus, Vetrejus,
Eoban. Freundliches Verhältniß ver Voeten zu den Scholas
ſtikern. Begeifterung für bie Alten. 4) Ankunft auswärtiger
Sumaniften. Gınfer, Bigilantius, Hermann van dem Bufche.
Störung ver Wirkiamkeit nes Maternus. Aufnahme Hutten’s.
Maternus zieht fich zurüd. 5) Charakter feiner Schule.
Drittes Gapitel. Conrad Mutian und die Univerfität . . .
1) Mutian bis zu feiner Ankunft in Gotha. 2) Streitigs
keiten mit ven gothaiſchen Canonikern. Humaniſtiſches Tri⸗
umvirat. Urban und Spalatin. 3) Mutiau's religiöſe An⸗
fihten. 4) Freundſchaftliches Verhältniß zu den älteren Lehrern
der Univerfität. Annäherung der poetiſch gefinnten Jugend
an Mutian. Er wird ihr Führer. 5—6) Mutian’s Lehrtbä-
tigkeit in Kreife feiner neuen Sünger. Reges wiflenfchaftliches
"eben. PBortichritte. Mutian's Freuden und Leiden. Weit:
verbreiteter Ruhm der mutianifchen Schule. 7) Auflommen
einer bittern Stimmung gegen die Vertreter des alten Syſtems.
@eite
1-36
2748
49-74
74—119
vi
Umwandlung der Schule in einen Bund zum Kampfe gegen Seite
die „Sopbiften‘. 8) Auflöfung des freundlichen Verhältnifſes
zwifchen den Humaniften und ben ältern Lebrern. Bildung
einer neuen und einer alten Bartei an der Univerfität.
Bierted Eapitel. Die ftäbtifche Revolution 1509, 10 . . . 120—148
1) Frühere Sefchichte der Stadt. Kämpfe ver Gemeine
gegen den Kath. 2) Dice Revolution des „tollen Jahres”. Sieg
der Gemeine. Sachen und Mainz. 3) Beilegung der Irrun⸗
gen. 4) Entgegengefegtes Berbältniß der Gumaniften und
Scholaſtiker zu den ſtädtiſchen Parteien. 5) Der „Stubenten-
lärm*. Zerftörung der Burfen. 6) Zerftreuung der Mitglies
der des mutianifhen Bundes. Folgen. Schlußbetrachtung.
Bweites Buch. Teilnahme an dem Kampfe zwifchen ber
neuen und alten Richtung.
Erſtes Eapitel. Der Reuclinifhe Street . - -» 2 2... 19-191
1) Bedeutung dieſes Streites. 2) Erſte Theilnahme ver
Univerfität. Rückkehr ver Mutianer. Ihr Unwille über vie
Kölner. Aufmunterungsfchreiben an Reuchlin. 3) Reaction
der alten Partei. Euriciue Cordus. Verdammung des „Au=
geniviegels". 4) Aufbraufen Mutian’s und feiner Anhänger.
Berubigung Reuchlin’d. Sturm gegen bie alte Partei. Ge⸗
mäßigte Haltung derfelben. Sieg der Neuerer. 5) Wachſen⸗
des Anieben bed mutianifchen Bundes. Weitverzweigte Ver:
bindungen besielben. Mutian’s Siegespropbezeiungen. 6) Ge⸗
heime fatirifche Thätigkeit innerhalb de8 Bundes. Crotus.
Der Triumphus Gapnionis. 7) Rückkehr Goban’s. Geſtei⸗
gerter Haß gegen die Kölner, Reuchlin wird die Hülfe des
Bundes angeboten.
Zweited Eapitel. Die Briefe der Dunfelmänner . . . . 192-226
1) Bisherige Anfichten über die Berfafler ver Satire. 2) Sie
ift aus Mutian’8 Bunde hervorgegangen. :Berfafler: 3) Cro⸗
tus, 4) Hutten, 5) Perrejus, 6) Goban. 7) DBerbältniß ver
übrigen Mitglieder zur Abfafjung ver Epistolae. Näheres
über ihre Entflehung. 8) Innere Gründe, welche vie aufge-
ftellte Anficht beftätigen. 9) Schlußbetrachtung.
Dritte Capitel. Einfluß des Erasmus. Der Eoban’fche Dich-
terbunnnnn.. 226-259
1) Stellung des Erasmus. 2) Goban, Oberhaupt eines
neuen Humaniſtenbundes. 3) Begeiſterung desſelben für Eras⸗
mus. Gelehrte Wallfahrten in die Riederlande. H Neues wiſſen⸗
ſchaftliches Leben. Camerarius. Friedliche Haltung der Gobaner.
Hutten's Unwille darüber. 5) Geſellige Verbältniſſe. Soda-
litium Eobani. Mitglieder vesfelben. 6) Mutian. 7) Voll⸗
ſtändiger Sieg der neuen Richtung an der Univerfität. Höchfte
Blüthe der Univerfität. 8) Bekämpfung des Lee. Rückkehr
des Crotus. Der Freundekranz.
— — — — — —
Yorrede.
BE
Dr Frage nach dem Berhältniß zmwifchen Humanismus
und Reformation iſt eine ebenfo wichtige, ald häufig angeregte.
Das Werk, deſſen erfte Abtheilung ich hiemit der Deffentlich-
feit übergebe, fchildert die Humaniftifch-reformatorifche Wirkſam⸗
feit jener deutſchen Hochfchule, die an den beiden großen geiftigen
Kämpfen unter allen den beveutendften und Iebhafteften Antheil
genommen hat. ine getreue, unbefangene Darftelung der
Thätigfeit, welche fie bei dem einen wie bei dem andern ent
faltet, und der Einwirkung, welche fie durch jeden von beiden
erfahren hat, dürfte am beften geeignet fein, dad Verhältniß
beider zu einander in dem richtigen Lichte erjcheinen zu laſſen.
Ueber die Quellen, die mir bei dem erften Theile zu Ge⸗
bote ftanden, mögen wenige Worte genügen.
Nächſt der hiefigen Univerfitätsbibliothef gewährte mir für
den Anfang die in Bezug auf die humaniftifche Literatur höchft
reichhaltige Privatfammlung des Herrn Prof. Böding bierfelbft
die ergiebigfte Ausbeute. Indeß fehr bald wurde ich inne, daß ich,
um die gewünfchte VBolftändigfeit zu erreichen, meinen Rachfor-
ſchungen eine weitere Ausdehnung geben mußte. Ich wandte mich
alfo an auswärtige Bibliotheken und das Glück wollte mir dabei
VIII
ſo wohl, daß ich durch freundliche Vermittelungen nach und
nah aus den Bibliotheken in Berlin, Breslau, Münfter, Jena,
Rudolftadt, Würzburg und München die gefuchten, den Gegen-
ftand meiner Forſchung betreffenden Altern Schriften, Brief-
fammlungen, Gedichte ꝛc. in kaum gehoffter Vollſtändigkeit
erhielt. Ä
Doch au damit glaubte ich mich noch nicht begnügen zu
dürfen. Im Herbfte des. vorigen Jahres machte ich eine Reife
nach Erfurt, um dort an Ort und Stelle meinen Studien eine
fihere Orundlage zu geben. Blieb auch der Erfolg hier und da
hinter meinen Wünfchen zurüd, fo gaben mir doch die Matrifeln
und fonftigen Aufzeichnungen der Univerfität, mehrere fehr feltene
Schriften von erfurtifhen Gelehrten, der Gerſtenberg'ſche hand⸗
Schriftliche Nachlaß, die zahlreichen ftädtifchen Chroniken ıc. noch
wichtiges und interefiantes Material. Zugleich erhielt ich durch
die Freundlichkeit ded Herrn Stadtraths Herrmann einige recht
danfenswerthe Beiträge für die Gefchichte der ftädtifchen
Srrungen im Beginn des 16. Jahrhunderts. — Bon Erfurt
begab ich mich nad Gotha, wo ich einige für meinen Zwed
höchft wichtige, ungedrudte Briefe des Crotus Rubianus fand,
die wahrfcheinlich unter den Beilagen zum zweiten Theile dieſes
Werkes eine Stelle finden werden. Eine ebenfall8 noch unge-
drudte Sammlung von Briefen des Spalatin wurde mir von
dem Befiter derfelben, Herrn Dr. Neudeder in Gotha, mit
freundlicher Bereitwilligfeit auf einige Zeit zur Benugung über-
laſſen. — Blieb eine nah Fulda und Mainz unternommene
Reife ohne wefentlihen Erfolg, fo eröffnete mir dagegen die
Frankfurter Stadtbibliothef eine um fo wichtigere Quelle in der |
handfchriftlihen Sammlung der Briefe des Mutianus. Der
von Tentzel im Anfange des vorigen Sahrhunderts veröffent-
lichte Auszug aus jener Sammlung ließ mich von vornherein
IX
bier reiches Material hoffen, und der Erfolg hat meinen Er
wartungen vollſtaͤndig entfprochen.
Damit habe ich meine Nachforfhungen gefchlofien: ich
fühlte feine wefentliche Lüde mehr.
Schließlich fpreche ich den genannten Herrn und Allen,
die mich bei meiner Arbeit unterftügt haben, hiemit öffentlich
meinen Dank aus. Ganz befonders fühle ich mich dem Herrn
Profefjor Cornelius in München für die freundliche Theilnahme
und ergiebige Unterflübung, die mir derfelbe wiederholt zuge
wandt hat, verpflichtet. Möchte das Werk felbft das mir bewies
fene Wohl wollen rechtfertigen !
Bonn, im Oktober 1857.
Seite 8 Rinie 7
„ 34
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. 63
163
Drudfehler.
von unten lies Freydank ftatt Freydenk.
von oben lies den finnigen flatt der finnige.
von oben lies Meiften ftatt Meifter.
von unten ergänze nach mit: ihm.
von oben lied Hefius ſtatt Hefftus.
von oben lies undhriftliher flatt irreligiöfer.
von unten lie opposuerint ftatt opposuerit.
von oben lies welchen flatt welche.
von unten lie primo flatt prima.
von unten ließ das ftatt ber.
von oben lies Ungeſtüm ftatt Ungeftümen.
Einleitung.
Die Univerfität Erfurt im fänfzehnten Jahrhundert.
„Quam late, quam longe patet Germania, nusquam
Fama obscura scholae nominis hujus erat.‘“
J.
Noch iſt die Zeit nicht fern, als die Univerfität Erfurt und
in ihr eine der ehrwürdigften Bildungsanftalten unjeres Bater-
landes zu Grabe getragen ward. Damals zwar wurde ihr Ber:
luft faum gefühlt; befcheiden und glanzlos war die GSteflung,
die fie in ihren letzten Zeiten unter Deutſchlands Hochſchulen
eingenommen, und wohl nur felten war die Kunde von ihrem
geräufchlojen Wirken über Thüringens Grenzen hinausgedrungen.
Aber es erhielt diefe, wenn auch ftille und unfcheinbare Thätig⸗
feit die Erinnerung an eine glanzvolle, folgenreiche Wirkjamfeit,
die ehedem hier entfaltet worden war. In den Mittelpunkt des
geiftigen Lebens geftellt, hatte einft die Univerfität Erfurt einen
bedeutfamen, entſcheidenden Einfluß auf den Bang der geiftigen
Entwidelung in Deutfchland ausgeübt. In den Tagen jener
ſtets denfwürdigen Erhebung der Geifter am Ausgange der
mittleren Jahrhunderte, als in raſcher Yolge zwei Bewegungen
die wichtigften Ummwälzungen auf deu wifjenfchaftlihen und
religiofen Gebiete hervorriefen, ging fie Allen mit dem Beifpiel
eines entfchiedenen Einlenfens in die neu geöffneten Bahnen vor.
Kampfhulte, Univerfirät Erfurt.
{9}
—— da —
In „Ger⸗Athen“ fand der Beift des Alterthums am früheften
in Deutichland eine Heimath, und hier feine Fahne aufpflanzend
ſammelte er allmählig um fie eine Schaar der rüftigften und
talentvollfften Humaniſten. Es war diefelbe Schaar, aus deren
vereintem Wirken bald die beiden großen Vorfämpfer der neuen
Richtung Muth ſchöpften zu Fühnem Vorbringen auf den noch
ungebahnten Pfaden; im Vertrauen auf fie durfte Reuchlin
den Kampf mit der Scholaftif aufnehmen, Erasmus fah in ihr
die ficherfte Bürgfchaft des Sieged, den die neuen Ideen über
die alten erringen würden. Borbereitet durch diefes entfchiedene
Eingreifen in die humaniftifchen Bewegungen war die Theil:
nahme, welche die Thüringifche Schule bei der bald folgenden
religiöfen Umwälzung zeigte, erhöht wurde fie noch dadurch,
daß der Mann, welcher diefer zweiten großen Bewegung Daſein
und Namen gegeben, in Erfurt ven Grund zu feiner Bildung
gelegt hatte. Luther hat in den erften Jahren feines Auftretens,
fo lange feine reformatorifchen Tendenzen noch mit dem Gedanken
der kirchlichen Einheit vereinbar fchienen, nirgendwo fo aufrich-
tigen, ungetheilten Beifall gefunden, als an jener Schule, deren
Zögling er felbft gewejen. Ihr ward unter den deutfchen Uni-
verfitäten das ehrenvolle Amt zu Theil, durch fehiedsrichterlichen
Ausfpruch über die leipziger Disputation den Streit zu vermitteln.
Daß ihr dies nicht gelang, enthielt ven Keim zu ihrem Verderben
und führte in Kurzem die Auflöfung ihres Fühn aufftrebenven
Gelehrtenbundes herbei, deſſen Mitglieder von da ab verftreut
über ganz Deutfchland, unzufrieden über den Gang der neuen -
Entwidelung, vergeblich den Verfall jenes Strebens aufzuhalten
ſuchten, daß fie einft fo ſchön in Thüringens Hauptftadt ver-
einigt hatte. ,
Beſchränkt zwar der Zeit nach ift die Blüthe gewefen, welche
Erfurt damals entfaltet hat, aber um fo anziehender die Fülle
des geiftigen Leben, die wir hier in einem Zeitraum von wenigen
Sahren zufammengedrängt fehen, um fo überrafchender das Bil,
welches und eine fpäter fo unfcheinbare Anftalt im Mittelpunfte
— 3 —
der hervorragenden Beſtrebungen des Zeitalters zeigt und eben
dadurch auch über dieſes ſelbſt weſentliches Licht verbreitet 1).
Meine Abſicht iſt, die Geſchichte dieſes denkwuͤrdigen Auf⸗
ſchwunges der Univerfität Erfurt in feinen Beziehungen zu den
geiftigen Kämpfen jener Tage zu erzählen. Ich verfuche es
zunächſt, mir durch einen Rüdblid auf die unmittelbar vorhers
gehende Zeit ven Weg zu bahnen. Schon das fünfzehnte Jahr⸗
hundert zeigt Erfurt in einem merkwürdigen Berhältniffe zu
den übrigen deutfchen Univerfitäten, in einer hoͤchſt eigenthüms
lihen Entwidelung begriffen und eine Thaͤtigkeit entfaltend,
die faft ſtufenweis jene glanzvolle geiftige Erhebung anbahnte
und vorbereitete.
IL
Wie alle Hervorbringungen und Bildungen des Mittel
alterd trugen die Univerfitäten ein entfchieden firchliches Gepräge.
Urfprung, Form und Außere Haltung zeigen fie auf gleiche Weife
im innigen Berbande mit den Factoren des Firchlichen Lebens,
ja ald eine der wichtigften Stützen des hierardhifchen Pracht
bau's, den jene Zeit aufgeführt. Durch den Machtſpruch des
firchlichen Oberhauptes ind Dafein gerufen, trugen fie ihr Leben
von der Kirche zum Lehen und hatten fie vor Allem die Pflicht
der Bertheidigung der Firchlichen Interefien ?). Die Theologie
2) Das Andenken an biefe glänzende Zeit bildete gleichfam den Troſt
der Hochſchule in den Tagen ihrer fpäteren Bebeutungslofigkeit. Es wurde
nachher eine Lieblingsbefchäftigung der Mniverfitätsprofefioren, in Abhand-
Iungen, Brogrammen u. dgl. auf die frühere Blütheperiode hinzumeifen.
Daher die forgfältigen Rectoren » Berzeichnifie von Rebefeld, Vollbracht,
Lönenfen, Die, mehr oder minder verdienſtlichen Arbeiten von Hartenfelß,
Biantes, Hundorp, Dominicus, Motfchmann, Dfann, Sinnhold u. a. Manche
ſchätzenswerthe Nachricht verdanken wir ihren panegyrifchen Darftellungen.
2) „Ad laudem divini nominis et fidei Catholicae propagationem
exaltationemque Romanae ecelesiae‘“ heißt es in der Fundationsurkunde
Nrban’s VI für Erfurt. Bol. Motſchmann Erfordia Litterata, erſte Samm-
4*
=
— 4 —
in Form der Scholaſtik bildete deshalb vorzüglich den Gegen⸗
ftand der Lehrthätigfeit. Nach dem Mufter der Hochſchule von
Paris war die theologiſche Facultät faft überall die bevorzugte
und übte. „ald das glänzende Geftirn, von dem Alles Licht und
Leben empfing”, auch auf die übrigen wichtigen Einfluß aus.
Faſt überall finden wir die Banzlerwürde im Beſitz von Geift-
lichen, hier und da war aud) die Befähigung zum Rectorat
von dem geiftlichen Character abhängig !). Zahlreiche Statute
befeftigten die Herrfchaft des kirchlichen Geiftes.
Hiedurch war die Stellung bedingt, welche die Univerfitäten
der Zeit und ihren Beftrebungen gegenüber einnahmen. ALS
fertige, abgefchloffene Bildungen und ihrer Beitimmung nad)
mehr den Erfcheinungen auf dem Gebiete des Eirchlichen Lebens
zugewandt, fommen fie fehr felten der fortichreitenden geiftigen
Entmwidelung mit derjenigen Empfänglichfeit entgegen, die ein
erfolgreiches, neugeftaltendes Eingreifen in diefelbe möglich macht.
Oft genug zeigt ihr Benehmen gerade das Gegentheil: ein Abs
lehnen, Abwehren des Neuen, was der Zeitgeift gejchaffen, und
faft immer |pricht fich in ihrem Hervortreten ein ftabiler, von
den herrfchenden Richtungen der Zeit wenig berührter Geift aus,
Damals freilich, als im Mittelpunft der Kirche ſelbſt bevenfliche
Bewegungen fich Fundgaben ?), und man irre wurde an der Ge⸗
walt, welche ihnen dad Daſein verliehen, wurden auch fie nothwen-
dig von der allgemeinen Strömung mit fortgeriffen. Eine unge
wöhnliche geiftige Rührigfeit unterbrach auf mehrere Jahrzehnte
die Regelhaftigfeit und Schwerfälligfeit des corporativen Wirkens.
Als aber der gewaltige Sturm beigelegt fchien, Eehrten auch fie
zu der frühern Ruhe zurüd und nahmen den ftabilen &haracter
wieder an, defien fie fih nur für jene Zeit entäußert hatten,
lung p. 26. Aehnlich lauten die Formeln für Köln (Bianco, die alte Uni-
verfität Köln, 1856. Anlagen p. 2.) Ingolſtadt (Aun.acad. Ingolst. IV, 17,
two aber der letzte Zufag fehlt) u. a.
1) 3.83. in Prag. Tomef Gefch. der Prager Univerf. p. 9.
2) Zur Zeit des großen Schismae.
— 5 —
Das natürliche freundſchaftliche Verhaͤltniß zu den kirchlichen
Autoritäten, das durch jene Wirren geftört worden, ftellte ſich
unvermerft wieder her !). Und fo erfcheinen fie zur Zeit der
großen geiftigen Kämpfe am Wendepunfte der mittlern und
neuern Jahrhunderte. Mißtrauiſch beobachten fie die Beftre-
bungen der Humaniften; zahllos find die Klagen, in denen ſich
die „Poeten“ über ihr abftoßendeg, feinpfeliges Verhalten ergehen.
Auch das Beginnen des Wittenberger Reformatord hätte nicht
jene welthiftorifhe Bedeutung erlangt, wäre freie, unerzwungene
Beiftimmung der Univerfttäten Bedingung feiner Durchführung
geweien 2). Gewiß ift es deshalb eine höchft merfwürdige Er⸗
fheinung, daß unter den deutfchen Univerfitäten eine hervortritt,
die, abweichend von den übrigen, fih auf ganz andern Bahnen
bewegt. Weder die devote Anhänglichfeit an das herrjchende
Kirchenthum, noch die Verſchloſſenheit und fremdartige Stellung
gegen die Richtungen des Zeitalters theilte die Univerfität Erfurt
mit ihren deutſchen Schwefteranftalten. Die Regungen einer
ernfthaften Oppofttion gegen die beftehenden firdhlichen Verhält⸗
niffe, die anderwärtd nur vereinzelt 'auftauchten und wirfungslos
verfhwanden, fanden hier eine allgemeinere Verbreitung und
verwebten fib in das Leben der Anftalt felbfl. Statt jener
— {01.1 —
ı) Man vergl. die Eidesformel, die Pius II in der Yundationsurfunde
für Ingolftadt für die Bromotion vorschrieb; fie fängt an mit den Worten:
„Ego scolaris studii Ingolst. Eystetens. dioec. ab hac hora in antea
fidelis et obediens ero beato Petro sancteque Romane ecclesie et
Domino meo Domino Pio Pontifici Pape secundo.‘“ Ann. Ing. Ac. IV, 18.
2) Diefe Anficht tritt freilich der gewöhnlichen Auffaffung entgegen,
nach der die Deutfchen Univerfitäten in einem ungleich wichtinern und innigern
Berhältniffe zu der geiftigen Entwidelung der Nation und namentlich zur
Reformation erfcheinen (vergl. Krabbe: Die Univerfität Roſtock p. 2), aber
fie findet in der Geſchichte der einzelnen Univerfitäten ihre Beftätigung.
Die Haltung von Köln und Leipzig ift jedermann befannt, über Roſtock
vergl. Krabbe 1. c. 392; über Tübingen Eiſenbach: Befchreibung und Ge-
ſchichte der Univerfität und Stabt Tübingen p 37, u. f. w. Belehrend ift
die Schilderung von Däkinger: Die Reformation, ihre innere Entwidlung
und ihre Wirkungen. BP. I. p. 610 ff. (zweite Aufl.)
=
— 4 —
in Form der Scholaſtik bildete deshalb vorzüglich den Gegen-
ftand der Lehrthätigfeit. Nach dem Mufter der Hochſchule von
Paris war die theologische Facultät faft überall die bevorzugte
und übte „als das glänzende Geftirn, von dem Alles Licht und
Leben empfing”, auch auf die übrigen wichtigen Einfluß aus.
Faft überall finden wir die Banzlerwürde im Beſitz von Geift-
lichen, bier und da war auch Die Befähigung zum Rectorat
von dem geiftlichen Character abhängig !). Zahlreiche Statute
befeftigten die Herrfchaft des Firchlichen Geiftes.
Hiedurch war die Stellung bedingt, welche die Univerfitäten
der Zeit und ihren Beftrebungen gegenüber einnahmen, Als
fertige, abgefchlofiene Bildungen und ihrer Beftimmung nad
mehr den Erfeheinungen auf dem Gebiete des Eirchlichen Lebens
zugewandt, fommen fie fehr felten der fortfchreitenden geiftigen
Entwidelung mit derjenigen Empfänglichfeit entgegen, die ein
erfolgreiches, neugeftaltendes Eingreifen in diefelbe möglich macht.
Oft genug zeigt ihr Benehmen gerade das Gegentheil: ein Abs
lehnen, Abwehren des Neuen, was der Zeitgeift geichaffen, und
faft immer fpricht fich in ihrem Hervortreten ein ftabiler, von
den herrfchenden Richtungen der Zeit wenig berührter Geift aus.
Damals freilich, als im Mittelpunkt der Kirche jelbft bevenfliche
Bewegungen fich Fundgaben ?), und man irre wurde an der Ge⸗
walt, welche ihnen das Dajein verliehen, wurden auch fie nothwen⸗
dig von der allgemeinen Strömung mit fortgeriffen. Eine unge:
wöhnliche geiftige Rührigfeit unterbrach auf mehrere Jahrzehnte
die Regelhaftigfeit und Schwerfälligkeit des corporativen Wirkens.
Als aber der gewaltige Sturm beigelegt fchien, kehrten auch fte
zu der frühern Ruhe zurüd und nahmen den ftabilen Character
wieder an, deſſen fie fih nur für jene Zeit entäußert hatten,
lung p. 26. Aehnlich lauten die Formeln für Köln (Bianco, die alte Uni⸗
verfität Köln, 1856. Anlagen p. 2.) Ingolftadt (Aun. acad. Ingoist. IV, 17,
wo aber der lebte Zufag fehlt) u. a.
1) 3.2. in Prag. Tomef Geſch. der Prager Univerf. p. 9.
2) Zur Zeit des großen Schismae.
— 5 —
Das natürliche freundſchaftliche Verhälmiß zu den kirchlichen
Autoritäten, das durch jene Wirren geflört worden, ftellte fich
unvermerft wieder her !). Und fo erfcheinen fie zur Zeit der
großen geiftigen Kämpfe am Wendepunkte der mittlern und
neuern Jahrhunderte. Mißtrauifch beobadhten fie die Beftre-
bungen der Humaniften; zahllos find die Klagen, in denen ſich
die „Poeten“ über ihr abftoßendes, feindfeliges Verhalten ergehen.
Auch das Beginnen des Wittenberger Reformators hätte nicht
jene weltbiftorifche Bedeutung erlangt, wäre freie, unergwungene
Beiftimmung der Univerfitäten Bedingung feiner Durchführung
gewefen 2). Gewiß ift es deshalb eine höchft merfwürbige Er⸗
fheinung, daß unter den deutfchen Univerfitäten eine hervortritt,
die, abweichend von den übrigen, fih auf ganz andern Bahnen
bewegt. Weder die devote Anhänglichkeit an das herrfchende
Kirchenthum, noch die Verichloffenheit und fremdartige Stellung
gegen die Richtungen des Zeitalters theilte die Univerfität Erfurt
mit ihren deutichen Schwefteranftalten. Die Regungen einer
ernfthaften Oppofttion gegen die beftehenven Firchlichen Verhält⸗
niffe, Die anderwärtd nur vereinzelt 'auftauchten und wirkungslos
verfchwanden, fanden bier eine allgemeinere Berbreitung und
verwebten fih in das Leben der Anftalt felbfi. Statt jener
:) Man vergl. die Eidesformel, die Pius II in der Yundationsurfunde
für Ingolftadt für die Promotion vorichrieb; fie fängt an mit den Worten:
„Ego scolaris studii Ingolst. Eystetens. dioec. ab hac hora in antea
fidelis et obediens ero beato Petro sancteque Romane ecclesie et
Domino meo Domino Pio Pontifici Pape secundo ““ Ann. Ing. Ac. IV, 18.
2) Diefe Anficht tritt freilich der gewöhnlichen Auffaflung entgegen,
nad) der die deutfchen Univerfitäten in einem ungleich wichtigern und innigern
Berhältniffe zu der geiftigen Entwidelung der Nation und namentlich zur
Reformation erfheinen (vergl. Krabbe: Die Univerfität Roſtock p. 2), aber
fie findet in der Geſchichte der einzelnen Univerfitäten ihre Beſtätigung.
Die Haltuna von Köln und Leipzig ift jedermann befannt, über Roftod
vergl. Krabbe 1. c. 39%; über Tübingen Eiſenbach: Beichreibung und Ge⸗
ſchichte der Univerfität und Stadt Tübingen p 37, u. f. w. Belehrend ift
die Schilderung von Dökinger: Die Reformation, ihre innere Entwicklung
und ihre Wirkungen. Bd. I. p. 610 ff. (zweite Aufl.)
— 6 —
Stabilität, welche die andern deutſchen Gelehrteninnungen ganz
dem Leben der Nation zu entfremden drohte, zeigt die thüringifche
eine auffallende Beweglichkeit, die fie überall auf die Zinnen
der Zeit führt und für jede neue Erjcheinung empfänglich macht.
Schon früh erfcheint Erfurt in diefem eigenthümlichen Lichte,
Für die Richtung des einzelnen Menſchen find oft die erften
Zugendeindrüde von Entfcheivung, auf die Richtung geiftiger
Bildungsinftitute üben in der Regel die Zeitumftände, unter
denen fie in’d Leben traten, einen erfolgreihen Einfluß aus.
Die Univerfität Erfurt war gegründet eben beim Beginn des
großen Schisma's, welches das Anfehen der höchften geiftlichen
Autorität auf das tieffte erfchütterte, und — fie war die Schöpfung
einer freien Bürgerjchaft.
II.
Es war im September des Jahres 1379, ald Clemens VII
von Avignon auf Anfuchen der Bürgerfchaft von Erfurt die
Bulle erließ, welche die Errichtung einer Univerfität in der
thüringifchen Hauptftadt verordnete und in überreichem Maaße
Privilegien auf die zu gründende Anftalt übertrug 1). Außer
den gewöhnlichen Dieciplinen wurde auch das bürgerliche Recht
und überhaupt alle „erlaubten” Wiffenfchaften zu lehren geftattet.
Denn „beiondere Gründe” beftimmten diefen Papft, der Stadt
fein Wohlmollen zu bezeigen; ſchon früher hatte er in einem
Schreiben an die Erfurter diefelbe Gefinnung audgefprochen,
zugleich aber die Bitte hinzugefügt, daß fie auch ferner in Treue
gegen ihn verharren und die Briefe eines gewiffen Bartholo-
maäus von Periguano zurüdweifen möchten 2). Fruchtlos muß
diefe Bitte wohl geweſen fein, denn zehn Jahre fpäter ertheift
eben jener „geweſene Exrzbifchof von Bari” Bartholomäus von
ı) Die Bulle findet fich bei Motfchmann 1. c. I. 18—38. Der primus
annus pontificatus erſtreckt fi vom 20. Sept. 1878 bis dahin 1379.
2) Das Schreiben f. bei Motfchmann 1. oc. I. 13.
_ 1 —
Beriguano — ed war Urban VI — von der Stadt erfucht, audh
jeinerfeitö die Einwilligung zur Gründung der Univerfität *).
Abermals vergingen drei Jahre und neue Privilegien fügte der
Nachfolger Urbans zu den bereits verliehenen, bis im Jahre 1392
die neue Univerfität — die fünfte in Deutfchland — förmlich
eröffnet ward 2). Seltfam war das Geſchick und bedeutungs-
voll für die künffige Richtung der jungen Anftalt, welches ihre
Sründung in nahe Beziehung zu einem für das Anfehen des
Papſtthums fo nachtheiligen Ereignifie brachte. Der Geiſt einer
ehrfurchts vollen, kindlichen Hingebung an den päpftlicden Stuhl,
wie fie eigentlih in der Aufgabe der Univerfitäten zu Tiegen
ſchien, konnte fich nicht leicht in einem Inflitute geltend machen,
das fchon durch feine Gründung und doppelte Beftätigung an
den Verfall deffelben erinnert ward. — Es fam aber hinzu,
daß auch die unmittelbare Umgebung, die Berhältniffe der Stadt,
der Geift der Bürgerfchaft, von der der Gedanke der Gründung
ausgegangen, einen ähnlichen Einfluß ausüben mußten. Schon
die phyſiſche Lage der Stadt im Mittelpunfte Deutfchlands Fam
bier in Betracht, infofern diefe eben dadurch vorzugsweife zum
Sig einer patristifch-nationalen Entwidlung geeignet ſchien ®).
41) Die Bulle f. bei Motfchmann 1. c. I. 24.
2) Der erſte Rector Ludwig Mülner aus Arnfladt trug 383 Namen in
die Matrikel ein. — Die Anficht, welche in den Univerfltäten überhaupt und
namentlich in der erfurtifchen nur die corporative Vollendung einer bereits
vorhandenen Schule flieht, bedarf wohl der Beſchränkung. Nach manden
Andeutungen der Chroniken war in Erfurt bereits früh eine blühende Schule,
aber feine Spur von einer Wirkfamkeit derfelben bei der Gründung ber Uni-
verſitaͤt laͤßt fich nachweifen; vielmehr waren die erſten Profefloren fait alle
aus Prag herübergelommen. — Die fomifche Sage, welche die Errichtung
der Univerfltät mit dem fränkifchen Könige Dagobert in Berbindung bringt,
bat in einer Berwechfelung der Univerfität mit den frühern Kloſterſchulen
ihren Grund.
2) Die berühmten Zönlinge der Univerfität Erfurt: Luther, Eoban,
Crotus, Cordus, Hutten, Micyll, Witzel u. a. find unerfchöpflidh in dem
Lobe Erfurts und der Bortheile, Die es befonders zu einem Mufenfige geeig⸗
net mache; fie denken an bie fruchtbare Umgebung, den Wohlthätigkeitsfinn
der Bürger und ihre Empfänglichleit für höhere Beſtrebungen u. dgl.
— 6 —
Stabilität, welche die andern deutſchen Gelehrteninnungen ganz
dem Leben der Nation zu entfremden drohte, zeigt die thüringifche
eine auffallende Beweglichkeit, die fie überall auf die Zinnen
der Zeit führt und für jede neue Erfcheinung empfänglich macht,
Schon früh erfcheint Erfurt in diefem eigenthümlichen Lichte,
Für die Richtung des einzelnen Menfchen find oft die erften
Fugendeindrüde von Entfcheidung, auf die Richtung geiftiger
Bildungsinftitute üben in der Regel die Zeitumftände, unter
denen fie in’d Leben traten, einen erfolgreichen Einfluß aus,
Die Univerfität Erfurt war gegründet eben beim Beginn des
großen Schisma’s, welches das Anſehen der höchften geiftlichen
Autorität auf das tieffte erfchütterte, und — ſte war die Schöpfung
einer freien Bürgerjchaft.
II.
Es war im September des Jahres 1379, ald Clemens VII
von Avignon auf Anfuchen der Bürgerichaft von Erfurt Die
Bulle erließ, welche die Errichtung einer Univerfität in der
thüringifchen Hauptftadt verordnete und in überreihem Maaße
Privilegien auf die zu gründende Anftalt übertrug 1). Außer
den gewöhnlichen Diesciplinen wurde auch das bürgerliche Recht
und überhaupt alle „erlaubten” Wiffenfchaften zu lehren geftattet.
Denn „beiondere Gründe” beftimmten dieſen Papft, der Stadt
jein Wohlwollen zu bezeigen; fchon früher hatte er in einem
Schreiben an die Erfurter dieſelbe Gefinnung ausgefprochen,
äugleich aber die Bitte hinzugefügt, daß fie auch ferner in Treue
gegen ihn verharren und die Briefe eines gewiffen Bartholo-
mäusd von Periguano zurüdweifen möchten 2). Fruchtlos muß
diefe Bitte wohl geweſen fein, denn zehn Jahre fpäter ertheilt
eben jener „gewefene Erzbiſchof von Bari” Bartholomäus von
1) Die Bulle findet fich bei Motfchmann 1. c. I. 18—38. Der primus
annus pontificatus erſtreckt fi vom 20. Sept. 1878 bis dahin 1379.
2) Das Schreiben f. bei Motfchmann 1. c. I. 13.
_ 7 —
Periguano — es war Urban VI — von der Stadt erſucht, auch
ſeinerſeits die Einwilligung zur Gründung der Univerfität !).
Abermals vergingen drei Jahre und neue Privilegien fügte der
Nachfolger Urbans zu den bereits verliehenen, bis im Jahre 1392
die neue Univerfität — die fünfte in Deutfchland — förmlich
eröffnet ward 2). Seltfam war das Geſchick und bedeutungs⸗
vol für die künflige Richtung der jungen Anftalt, welches ihre
Gründung in nahe Beziehung zu einem für das Anfehen des
Papſtthums fo nachtheiligen Ereigniffe brachte. Der Geiſt einer
ehrfucchtsvollen, kindlichen Hingebung an den paͤpſtlichen Stuhl,
wie fle eigentlich in der Aufgabe der Univerfitäten zu liegen
ſchien, konnte ſich nicht leicht in einem Inftitute geltend machen,
das fchon durch feine Gründung und doppelte Betätigung an
den Verfall defielben erinnert ward. — Es Tam aber hinzu,
daß auch die unmittelbare Umgebung, die Berhältnifie der Stapt,
der Geift der Bürgerfchaft, von der der Gedanke der Gründung
ausgegangen, einen ähnlichen Einfluß ausüben mußten. Schon
die phuftiche Lage der Stadt im Mittelpunfte Deutfchlands kam
bier in Betracht, infofern diefe eben dadurch vorzugsweiſe zum
Sig einer patriotifchnationalen Entwidlung geeignet fehien 2).
1) Die Bulle f. bei Motfchmann 1. c. I. 24.
2) Der erſte Rector Ludwig Mülner aus Arnfladt trug 533 Namen in
die Matrikel ein. — Die Anficht, welche in den Univerfltäten überhaupt und
namentlich in der erfurtifchen nur Die corporative Vollendung einer bereits
vorhandenen Schule ficht, bedarf wohl der Beichränfung. Nach manchen
Andeutungen der Chroniken war in Erfurt bereits früh eine blühende Schule,
aber feine Spur von einer Wirkſamkeit derfelben bei der Gründung der Uni-
verfität laͤßt fich nachweifen; vielmehr waren die erften Profefioren fait alle
aus Prag herkbergelommen. — Die Fomifche Sage, welche die Errichtung
der Univerfltät mit dem fräntifchen Könige Dagobert in Berbindung bringt,
bat in einer Berwechfelung der Univerfität mit den frähern Klofterfhulen
ihren Grund.
2) Die berühmten Zöglinge ber Univerfität Erfurt: Luther, Eoban,
Crotus, Cordus, Hutten, Micyll, Wisel u. a. find unerfchöpflidh in dem
Lobe Erfurts und der Bortheile, die es befonders zu einem Mufenfipe geeig⸗
net mache; fie denken an bie fruchtbare Umgebung, den Wohlthätigkeitsfinn
ber Bürger und ihre Empfänglichkeit für höhere Behtrebungen u. dgl.
— 8 —
Es war kein Zufall, daß die verderbliche Eintheilung in Natio⸗
nen, welche eben damals den Zuſtänden der Univerſttät Prag
ein ſo duͤſteres Ausſehen gab, hier vermieden wurde. Wichtiger
indeß war die politiſche Stellung und kirchliche Denkungsart
Erfurts. Gerade am Ausgange des vierzehnten Jahrhunderts
ſtand die Stadt im Zenith ihrer Macht. Rechtlich zwar in
kirchlicher wie in politiſcher Hinſicht dem Erzbiſchofe von Mainz
untergeben, anerkannte ſie deſſen Herrſchaft doch kaum dem Na⸗
men nach. Ein ſtolzer Unabhängigfeitsfinn kündigte ſich überall
in ihrem öffentlichen Auftreten an und brachte ſie nicht ſelten
mit geiſtlichen und weltlichen Gewalten in ernſthaften Conflict.
So eben noch hatte fie dafür Die. ganze Schärfe der papftlichen
Cenſuren empfunden 2). Diefe vermochten denn freilih am
wenigften die antihierardhifche Stimmung zu befeitigen, die ſich
fhon frühzeitig im Leben der Stadt kundgab und durch fort«
währende Reibungen mit dem Clerus immer neue Nahrung
erhielt. Da drüben auf dem Rathhausſaale konnte jedermann
offen lefen, wie gefpannt das Verhältniß zwifchen der Bürgers
Ihaft und den kirchlichen Autoritäten war ?).
Aus einer folchen Atmofphäre ihren Lebensathem fchöpfend,
mußte die Univerfität fchon von vornherein in eine eigenthüm-
lihe Bahn gelenft werden. Inmitten einer freien, leicht erreg-
2) Zur Zeit des Kampfes zwifchen Dither von Ifenburg und Adolph
von Naflau.
2) Ueber die fogenannten Rathhausfchilder, die den Untergang des alten
Rathhauſes überlebt haben, vgl. 2. von Ledebur Allg. Archiv für Geſchichts⸗
funde des preußifchen Staates. Bd. 14, Heft 2, p. 166. Hoffentlich wird es
Herren Prof. Caſſel gelingen, mehr Licht über biefelben zu verbreiten; Die
Sinnfprüche, welche fih als Umfchriften auf den Schildern befinden, find
meiftens dem Freydenk entnommen, oft find fie nichts anders als der Aus-
druc einer gefunden, derben Volksmoral, manche aber eröffnen uns einen
tiefen Bli in die oppofitionelle Richtung des ftädtifchen Lebens, 3. B.
„Gotis licham bicht unde touf
fint erloubet ane fouf.
oder: Romis hof in gert nicht me
wan das di werlt mit werrin ſte.“
— 9 —
baren Bürgerſchaft und eine Schöpfung dieſer, konnte fie ſich
auch der Beweglichkeit und Rührigkeit nicht ganz erwehren, die
das ftädtifehe Leben characterifirte. Entrüdt dem unmittelbaren
Einfluffe geiftlicher und weltlicher Obrigkeit ermöglichte fie nach
allen Seiten ein freies, Fühnes Auftreten und verfprach dem
Geifte eine ungehemmte, ſelbſtſtändige Entwidkung.
Und: fo ſchien denn Erfurt einen Freibafen zu eröffnen
für alle jene, die unruhig und zerfallen mit der Zeit ihr Schiffr
lein auf den gefährlichen Wogen der Oppofttion Ienkten. Schon
ift man geneigt, ſelbſt in der Verfaſſung der Univerfltät Spuren
der Wirkſamkeit jenes freien Geifted wahrzunehmen. Denn
merkwürdig ift ed, daß nur in Erfurt den Studirenden eine
Theilnahme an der Rertorwahl geftattet war 7), und faft erfcheint
es als eine Nachahmung des vielküpfigen ftädtifchen Regiments,
dag dem Rector ein Conſilium zur Seite ftand, an deffen Zus
flimmung er überall gebunden war ?). Aber vereinzelt ſtehen
diefe Beflimmungen da. Eben in der Berfafjung, in den Stas
tuten lag das flärffte Hemmniß jener freiern, felbftftändigern
Entwidlung, für die fi) alles Webrige zu vereinigen fchien.
Zu tief hatte damals der Tirchliche Gedanfe in den Herzen
Wurzel gefchlagen, zu jehr war er in alle Bildungen der Zeit
verzweigt, ald daß man es hätte wagen bürfen, ſich bei der
Geftaltung eined jo wichtigen Inftituts von ihm zu entfernen.
Wenig Eigenthümliches bietet deshalb die Verfaffung der Unis
verfität. Diejelben Einrichtungen und Vorfehrungen, wodurch
anderwärts das afademijche Leben in den hierarchifchen Bahnen
erhalten wurde, fehren auch hier wieder: Gollegien und Burfen 3),
1) Bergl. Statut. Univers. Rubric. II. n. 8. bei Motfhmann 1. c.
v. 6232.
2) Bergi: Statut. Univ. Rubr. VII. n. 1. Motſchmann l. c. v. 645.
Meiner's Geſchichte der hohen Schalen I, 99.
2) Außerdem zugleich mit der Univerfität gegruͤndeten Collegium majus
wurde 1418 das Oollegiem amplosianum gegründet, fo genannt nad
feinem Stifter Amplonius. Rating de Fago aus Rheinbergen im Nieberftift
— 10 —
das erfte Erforderniß einer jeden Lniverfität,. beherrfcht von
dem Geifte einer firengen Gefebgebung ?). Dieſelbe Rangord-
nung der Facultäten, ald deren legte die unter den Schub von
St. Georg geftellte artiftifche oder philofophifche erfcheint, dazu
die allgemein herrſchende ſcholaſtiſche Lehrweiſe mit Zugrunde⸗
legung der herkoͤmmlichen Autoritäten, des Ariſtoteles und
St. Thomas von Aquin. Das Lectionsverzeichniß der philo⸗
ſophiſchen Facultaͤt weiſet 33, mit wenigen Ausnahmen dem
Begriffskreiſe der Scholaſtik angehörende Vorleſungen auf 2).
Die fünf „Cirkel“, durch welche der Weg zu den philoſophi⸗
fen Ehren führte, waren angefüllt mit fubtilen ſcholaſtiſchen
Duäftionen und zogen faft das ganze ariftotelifche Lehrgebaͤude
in ihren Bereich °). Dafür belohnte den Sieger der Acht mit-
telalterlihe Glanz, der die Promotionen umgab: eine feierliche
Prozeffion geleitete unter Olodengeläute den Theologen in Das
Eollegium Coelicum, feftlihe Aufzüge fchloffen fih an bie
Köln; das Gebäude, worin es fein Sig hatte, hieß die Porta coeli; vergl.
Sinnhold Erfordia literata p. 9; 1448 folgte die Schola juris, eine
Stiftung des Heinrich von Gerbftede, vergl. Oſann Erford Sit. p 13; das
Collegium Saxonicum ward erft 1534 gegründet. Neben diefen beftanden
noch fleinere Collegien, die bursa pauperum, die schola Antiqua u. a.
ı) Bergl. Statut. Univers. Rubr. VIII. De officio recterum bur-
sarum, bei Motfchmann 1.c. v. 646 ff. Zuweilen hatte der fromme Eifer
des Stifters die Anforderung noch höher gefpannt; fo war es bei ben Sta-
tuten des Coll. Ampl. der Fall. Sie find (freilich fehlerhaft) abgedrudt
bei Sinnhold 1. c. p. 51 ff. und fangen fo an: „‚Primo, ut vita ecclesi-
astica semper currat cunı scholastica licet sit principaliter scholastica
hic intenta, statuo et ordino ut quilibet hic collegiatus in sacris con-
stitutus vel beneficiatus degat omni die horas canonicas et simul
Miserere pro defunctis et Mis. cum oratione de B. Virgine supra
notata et attenta utrumque genuflectendo.““ 1. c.
2) Bergl. das Statut. circa quantitatem temporis et pastus lecti-
onum bei Motfchmann. Vierte Fortſetzung p. 436. Ich finde, daß feine
Univerfität fo fehr den Kreis der philof. Disciplinen erſchöpft hatte, Prag
zählte nur 36, Köln 35, Ingolftabt 23, Wien 81 philof. Lectionen.
2) Bergl. Motfchmann. Bierte Zortf. p. 446.
— 1 —
juriftifche Promotion; und fo Hatte jede Yacultät ihre ange
mefiene Auszeichnung !).
Man fieht: reichlich war der Zeit ihr Tribut entrichtet,
und es Fonnte fcheinen, ald würden die gegnerischen Einflüffe
der Menge diefer fcholaftifchen Satzungen erliegen müffen. Aber
die Ereigniffe der folgenden Zeit verhinderten, daß dieſes geſchah.
IV.
Der Anfang des 15. Jahrhunderts zeigte die Kirche in
einer höchft bevenflichen Lage. Im Mittelpunfte derfelben war
der Stuhl Petri in der unmwürdigften Weife Gegenftand des
Streites und Haderd. Auf allen Seiten ließen ſich laut und
ernftlid Stimmen vernehmen, welche dringend eine allgemeine
Reformation des Firchlichen Lebens forderten. Da erfchien
endlih auch draußen ein gefährlicher Feind: den gänzlichen
Umfturz aller beftehenden religiöfen und politifchen Berhältnifie
ftellten die huſſitiſchen Bewegungen in die drohendſte Nähe,
Eine ungewöhnliche Aufregung bemächtigte fih der Gemüther.
Diefer allgemeinen geiftigen Erregtheit konnte fich die neue
Univerfität um fo weniger entziehen, als fie zu allen berührten
Erfcheinungen jener Zeit in eigenthümlich nahen Beziehungen
fand. Wie ihre Gründung, die ſich an die Namen zweier ſich
einander befämpfender Päpfte Fnüpfte, ihre Aufmerkſamkeit
fofort auf das große Schisma lenken mußte, fo machte fie der
antihierarchifche Character der Stadt empfänglich für jene refor-
27 Luther gebenft noch in fpätern Jahren mit Borliebe der glanzvollen
erfuriifchen Promotionen. „Wie war es eine fo große Majettät und Herr-
lipkeit*, fagt er, „wenn man Magifters promovirte und ihnen Fackeln vor:
trug und fie verehrte. Ich halte, daß Feine zeitliche, weltliche Freude der:
gleichen gewefen fei. Alſo hielt man auch ein fehr groß Bepräng und
Weſen, wenn man Dertores machte, da ritt man in der Stadt umher, dazu
man fich fonderlich kleidete und fchminkte, welches alles dahin ift und gefallen.
Aber ich wollte, daß man’s noch hielte.“ Luth. Tifchreden. Frankf. 1368.
f. 415 a.
— 9 —
matorifchen Tendenzen, die fehon in einem ihrer erften Lehrer,
dem Weſtfalen Gobelinus Perſona von Winterberg, den ents
fohiedenften Vertreter fanden ?). Noch näher lag es ihr, auf
die huffitifche Angelegenheit einzugehen, denn eben dieſe trug
zum fchnellen Wachsthum Erfurts wefentlich bei. Faſt gleichs
zeitig mit der Stiftung der thüringifchen Hochſchule begannen
die Unruhen in Brag und die Auswanderungen der Deutjchen 2).
Von den zwanzig Lehrern, welche bei der Eröffnung der
erftern anmefend waren, waren die meiften von Prag herüber-
gefommen. Die erften Rectoren der Univerfität Erfurt vers
dankten fämmtlih Prag ihre Bildung und die afademifchen
Ehren 2). Bon den Studirenden wandte fich, wie es fcheint,
vornehmlich die baier'ſche Nation nach Erfurt, und fo groß war
im Sahre 1409 vie Zahl der Neuanfommenden, daß fie die
Beforgniß des dortigen Rathes erregten und diefer ſich von
ihnen die feierliche Zufage geben ließ, Fein Statut wider die
Privilegien der Stadt zu errichten *). Das nahe PVerhältniß,
in welches die Hochfchule von Erfurt hierdurch zu Prag trat,
der friſche Eindrud, den die Neuangefommenen von den böh—
mifchen Creigniffen mitbrachten, konnten nicht verfehlen, auch
für die Hujfitiichen Bewegungen eine lebhafte Theilnahme zu
erregen. —
So von allen Seiten in die Strömungen ded Zeitalters
eingeführt, ja in mehr als gewöhnlichem Gerade durch die
großen Fragen der Zeit berührt, entfaltete die Faum in's Dafein
ı) Bergl. Adami vitae theol. germ. Heidelb. 1780. p. 2.
2) Bergl. Tomek Gefch. der Univ. Prag. p. 38.
3) Man vergl. die Erfurter Univerfitäts-Matritel namentlich mit dem
Liber Decanorum Facultatis Philosophicae Pragensis, Tom. I. Prag.
1830.
4) Bergl. 3. H. von Faldenftein: Civitatis Erffurtensis Historia
critica (?) et diplomatica oder vollfländige Alt:, Mittel: und Neue Hiftorie
von Erffurth. Erf. 1734 1, 290.291. Die Zahl der von Brag Abziehen⸗
den wird von ihm in der gewöhnlichen Weife übertrieben.
— 13 —
getretene Anftalt alsbald eine rege, ganz den fchwebenten An-
gelegenheiten zugewandte Thätigkeit. Offenbar und weltfundig
wurde Diefed zum erſten Mal auf der großen Kirchenverfamms
lung von Conſtanz. Nah den außgezeichneten Abgeordneten
der Sorbonne waren feine Ramen fo gefeiert, als die der beiden
Bertreter der Schule von Erfurt, des Johannes Zachariä und
bes Angelus Dobelin. Jener glänzte als fiegreicher Befämpfer
ded gewaltigen Böhmen und die fehr feltene Auszeichnung durch
bie geweihte goldne Roſe ehrte fein Berdienft '). Bon diefem
wird erzählt, daß fein Rednertalent felbft die Bewunderung
und Anerfennung Martins V fand ?). — Es war in Eon»
ftanz nicht ohne Einfluß auf die Haltung der erfurter Abge⸗
fandten und namentlih wichtig für ihre Verhältnig zu dem neu
gewählten Papfte, daß dort noch die verjchiedenen Richtungen,
welche hervortraten, befreundet neben einander gingen, zuſam⸗
mengehalten durch den Einen Gedanken der Reformation der
firchlihen Zuftände Verändert wurde ihre Haltung, ald die
reformatorifchen Beftrebungen in dem Papſtthume nicht mehr
die nöthige Unterſtützung fanden, als jene verfchiedenen Richt-
ungen fich zu durchfreuzen anfingen und die Synode von Bajel
den Widerftreit zwifchen Haupt und Gliedern der Kirche zur
allgemeinen Funde brachte. Mathäus Doering, der bedeutendfte
2) Bergl. über ihn Trithemius de scriptoribus eccles. ed. Fabricius
p. 170. c.733; feit 1400 immatrifulirt hatte er als Univerfitätslshrer einen
bedeutenden Ruf. Seiner Disputation mit Huß und jener ehrenvollen Aus⸗
zeichnung gedenken Motſchmann Erſte Bortf. p. 60 und Baldenflein 1. c.
1. 295. Diefer meldet nach einem alten Chronicon über Zachariä „er habe
gegen Johann Hufen am flärfiten disputirt und die Bictoria erhalten,
dahero brachte er von 360 Erg: und Bilchöffen, 564 Doctoribus promotis,
1600 Fürſten und Edlen und 37 Univerfitäten und andern Gelehrten, bie
aufm Concilio waren, wegen ſolcher wider Johann Huflen erhaltenen Bics
torin einen ſolchen Preiß davon, daß da die Päpfte fonft nur hohen Häup-
tern geweihere güldene Rofen zu Ehren fchenfen, ihme doch ultra sortem
hominum privatorum eine folche Rofe zum groflen Braefent feines treff:
lien Dienftes und hohen Qualitäten von dem Goncilio gegeben wurde ”
2) Erhard, Geſch. des Wieberaufblühens der Wiſſenſch. I, 171.
— 14 —
unter den Gelehrten, welche von Erfurt nad) Bafel gefandt
wurden, ftand entfchieden auf der Seite des Concils. Beftimm-
tere Spuren feiner Thätigkeit dafelbft find zwar nicht fichtbar,
aber für eine innige und wirkfame Verbindung unferer Schule
mit jener Synode fpriht mehr als Ein Umftand. Noch im
J. 1442 empfängt fle wichtige Privilegien von ihr und unter
den Letzten, welche das Anfehen der Bafeler Synode verthei-
Digten, wird die Univerfität Erfurt genannt !). Freilich theilten
dieſe Stimmung noch mehrere Schulen: auch Wien, Heidelberg
und Köln hielten felbft da noch an der Synode feft, als die
Entfcheidung der Dinge ſchon längft in andere Hände übers
gegangen war. Aber noch Länger erfcheint die Univerfität
Erfurt von ihrem Einfluffe beherrjcht.
Irre ich nicht, fo Hat fie zum großen Theil eben von der
Bafeler Synode ihre Richtung für die folgende Zeit empfangen.
Derjelbe Geift, der jene leitete, fpricht fich eben fo häufig als
entfchieden in ihrer fpäteren Haltung aus. Kein Wunder!
Die conciliaren Ideen, auf welche die erfurtifche Schule von
vornherein mit der größten Entfchievenheit eingegangen, unter
deren Einfluß fie zu Anfehen und Geltung gelangt war, hatten
eine habituelle Bedeutung für Leben und Lebensäußerung der:
felben erhalten; in der Geftalt, die fie in Bafel gewonnen,
wurden fie feftgehalten. Dadurch nun trat Erfurt zugleich in
den entichiedenften Gegenfab zu den übrigen deutfchen Hoch»
ſchulen. Allmählig lenkten dieſe ſämmtlich wieder in die alten
ihnen vorgezeichneten Bahnen zurüd, Köln, das vor allen das
Beifpiel einer aufgeregten, freifinnigen Bekämpfung päpftlicher
Anfprüche gegeben, wirkte bald in der gerade entgegengejeßten
Richtung. Nur die Univerfität Erfurt nimmt an diefem allger
meinen Umſchwunge nicht Theil. Jener Gedanfe einer freien
antihierarchiſchen Entwidelung, der ſchon durch die Momente
—
2) Vergl. M. 3. Schmidt Geſch. der Deutfchen. IV, 216.
- 23 —
ihrer Gründung fo nahe gelegt war, hatte unter den concifiaren
Kaͤmpfen eine beftimmte Geftalt gewonnen. Entſchiedener tritt
er fortan hervor.
V.
Die folgende Zeit führt uns eine Reihe von Männern
vor, durch welche diefe von der allgemeinen abweichende Richt
ung, die in Erfurt herrfchte, offen ausgeiprocdhen und Nah und
Fern zur Kenntniß gebracht wurde.
Da lebte um die Mitte des Jahrhunderts in der Garthaufe
von Erfurt ein jchlichter, befchaulicher Mönch, Sacob von Jüters..
bod genannt; vierzig Jahre war er bereitd Ciſterzienſer geweien,
als er 1445, ſchon ergraut, die firengere Ordensregel des heil.
Bruno vorzog !). Aber unter dem harten Ordensgewande
bewahrte er einen freien Sinn, der fühn genug, felbft den
Kampf mit den höchften geiftlichen Gewalten aufzunehmen ſich
nicht ſcheute. Eine allgemeine Reformation des FKirchlichen \
Lebens war der leitende Gedanke feiner Seele und in den Gons
cilien ſah er das alleinige Mittel zur Verwirklichung deſſelben.
Nie konnte er deshalb jenen verzeihen, die mit den conciliaren
Bewegungen zugleich feine Hoffnungen vereitelt hatten. Unums
wunden äußerte er feinen Unwillen gegen fie, „die nicht allein
das heilige Kind, die Reformation zu erwürgen fich beflifien,
fondern auch feine Mutter, der Boncilien Autorität und Bes
rufung getödtet haben“ ?). Bittere Klagen führt er namentlid)
2) Vergl. Motfchmann J. c. Sechſte Samml. p. 913. Daß Iäterbod,
ber außerdem auch ben Namen Jac. de Paradiso führt, auch als öffents
licher Lehrer auftrat, erficht man ſchon aus dem Titel folgender, nach feinem
Tode in Erfurt gebrudter Schrift: Tractatus peroptimus de animabus
exutis a corporibus editus a venerabili patre Jacobo de Paradiso,
sacre theologie professore ordinis carthusiens. Erf. 4. Pauzer Annal.
typogr. Al, 506.
2) Ercerpt aus feiner Schrift de statibus humanie bei Hogel, Erfur⸗
tiſche Chronik (DM. ©. der Minifterialbibliothef in Erfurt) ad a. 1449.
—
— 14 —
unter den Gelehrten, welche von Erfurt nach Bafel gefandt
wurden, ftand entfchieden auf der Seite des Concils. Beſtimm⸗
tere Spuren feiner Thätigfeit daſelbſt find zwar nicht fichtbar,
aber für eine innige und wirkſame Verbindung unferer Schule
mit jener Synode fpriht mehr als Ein Umſtand. Noch im
J. 1442 empfängt fie wichtige Privilegien von ihr und unter
den Ketten, welche das Anfehen der Bafeler Synode verthei-
digten, wird die Univerfität Erfurt genannt !). Freilich theilten
diefe Stimmung noch mehrere Schulen: auch Wien, Heibelberg
und Köln hielten ſelbſt da noch an der Synode feft, als die
Entfcheidung der Dinge ſchon längft in andere Hände übers
gegangen war. Aber noch laänger erfcheint die Univerfität
Erfurt von ihrem Einfluffe beherricht.
Irre ich nicht, fo hat fie zum großen Theil eben von der
Bafeler Synode ihre Richtung für die folgende Zeit empfangen.
Derfelbe Geift, der jene leitete, fpricht fich eben fo häufig als
- entfchieden in ihrer fpäteren Haltung aus. Kein Wunder!
Die conciliaren Ideen, auf welche die erfurtifche Schule von
vornherein mit der größten Entfchiedenheit eingegangen, unter
deren Einfluß fie zu Anfehen und Geltung gelangt war, hatten
eine habituelle Bedeutung für Leben und Lebensäußerung der-
ſelben erhalten; in der Geftalt, die fie in Bafel gewonnen,
wurden fie feftgehalten. Dadurch nun trat Erfurt zugleich in
den entjchiedenften Gegenfab zu den übrigen deutfchen Hochs
ſchulen. Allmählig Ienkten dieſe ſämmtlich wieder in die alten
ihnen vorgezeichneten Bahnen zurüd. Köln, das vor allen dag
Beifpiel einer aufgeregten, freifinnigen Bekämpfung päpftlicher
Anfprüche gegeben, wirkte bald in der gerade entgegengefehten
Richtung. Nur die Univerfität Erfurt nimmt an diefem allge
meinen Umſchwunge nicht Theil. Jener Gedanke einer freien
antihierarchiſchen Entwidelung, der ſchon durch die Momente
1) Vergl. M. 3. Schmidt Geſch. der Deutfchen. IV, 216.
- 23 —
ihrer Gründung fo nahe gelegt war, hatte unter den conciliaren
Kämpfen eine beftimmte ®eftalt gewonnen. Entfchievener tritt
er fortan hervor.
V.
Die folgende Zeit führt und eine Reihe von Männern
vor, durch welche dieſe von der allgemeinen abweichende Richt»
ung, die in Erfurt herrſchte, offen ausgeiprocdden und Nah und
Fern zur Kenntniß gebracht wurde.
Da lebte um die Mitte des Jahrhunderts in der Carthauſe
von Erfurt ein jchlichter, befchaulicher Mond, Sacob von Jüter⸗
bod genannt; vierzig Jahre war er bereits Eifterzienfer geweſen,
als er 1445, ſchon ergraut, die firengere Ordensregel des heil.
Bruno vorzog !). Aber unter dem harten Ordendgewande
bewahrte er einen freien Sinn, der fühn genug, felbft den
Kampf mit den höchften geiftlihen Gewalten aufzunehmen ſich
nicht ſcheute. Eine allgemeine Reformation des Kirchlichen \
Lebens war der leitende Gedanke feiner Seele und in den Con⸗
cilien fah er das alleinige Mittel zur Berwirklichung vefielben.
Kie konnte er deshalb jenen verzeihen, die mit den conciliaren
Bewegungen zugleich feine Hoffnungen vereitelt hatten. lUnums
wunden äußerte er feinen Unwillen gegen fte, „die nicht allein
das heilige Kind, die Reformation zu erwürgen fich beflifien,
fondern auch feine Mutter, der Boncilien Autorität und Bes
rufung getödtet haben“ 2). Bittere Klagen führt er namentlich
—
2) Vergl. Motfchmann I.c. Sechſte Samml. p.913. Das Jüterbod,
ber außerdem auch ben Namen Jac. de Paradiso führt, auch als öffents
licher Lehrer auftrat, erficht man ſchon aus dem Titel folgender, nach feinem
Tode in Erfurt gedruckter Schrift: Tractatus peroptimus de animabus
exutis a corporibus editus a venerabili patre Jacobo de Paradiso,
sacre theologie professore ordinis carthusiens. Erf. 4. Pauzer Annal.
typogr. U, 306. ;
2) Excerpt aus feiner Schrift de statibus humanis bei Hogel, Erfur⸗
tiſche Chronik (DM. S. der Minifterialbibliothef in Erfurt) ad a. 1449.
— 16 —
gegen den römiſchen Stuhl und die Cardinäle „Handgreiflich
fehe man, daß gerade die päpftlihe Curie am meiften der Ne
formation bedürfe, wie dies die legten Generalconcilien allge:
mein fundgethan” 2). Die reformatorischen Tendenzen jener
Firchenverfammlungen beherrfchten auch ihn; an eine Entfern-
ung von der Bafis des Firchlichen Lehrſyſtems hat er nicht
"gedacht, wie ſchon feine Schrift über die Würde des Priefter-
thums und ‚feine Apologie der Religiofen zeigt ?). Ex ift der
erfte Repräfentant der eigenthümlichen erfurtifchen Geiftesricht-
ung Nach ihm finden wir namentlich den Minoriten Johannes
Rannemann und einen Eggeling Beder auf ähnlichen Bahnen
ſich bewegen °). Beide aber wurden bafd in den Hintergrund
gedrängt durch einen Mann, bei welchem diefelben Beitrebungen
eine für das Firchliche Lehrgebäude bevenfliche Geftalt annahmen.
Sohannes Rucherath ans Oberweſel, befannter unter dem Namen
Johann von Wefel lernte und lehrte in Erfurt ungefähr zwanzig
Sahre 2). Als „berufener Profeffor der heiligen Schrift” ver
faßte ex bier bei Gelegenheit des päpftlichen Jubiläums feinen
berühmten Tractat wider die Indulgenzen 5), worin er Anfichten
yorträgt, die an Kühnheit hier und da felbft die Theſen des
Wittenberger Auguftinermöndys überbieten. Er war einer der
gefeierfften Xehrer, befleivete 1456 das Nectorat und mußte
noch einmal 4458 das Amt eined Wicerectord Übernehmen.
Kurze Zeit Darauf wurde er nah Mainz, fpäter von da nad)
Worms berufen. Hier machte er aber Bald die Erfahrung, daß
die oppofitionele Stimmung, die ihn in Erfurt getragen, mit
ı) Bal. Catalogi testium veritatis anctarium. Cattopoli 1667. p. 59.
2) Tritheim 1.c. p. 191 c. 814 nennt ihn „vita quoque et conver-
satione devotus.‘° Unter den 31 Schriften, welche er von ihm anführt,
verfolgen mehrere entſchieden reformatoriſche Tendenzen.
2) Bol. Tritheim 1.c. p. 190 c. 813. Motſchmann 8. Fortſ. p. 216.
4) Ungefähr 1440 — 60. Seine Studien fcheint er namentlich unter
Leitung bes gefeierten Gotſchalk Greſemund von Mefchede gemacht zu haben;
1446 wurde er Magifter, 1456 Dr. theol.
°, Dal. Ullmann: Die Reformatoren vor der Ref. I, 282.
— 17 —
nichten die allgemeine in Deutfchland fei. In Mainz vor das
Inquifitiondgericht geftellt, mußte er ſich zu einem harten Wider⸗
ruf bequemen. Es waren Doctoren von Köln und Heidelberg,
welche diefes 2008 über ihren erfurtifhen Amtsgenoſſen ver-
hängten!'). — J
In Johann von Wefel hatte ſich der Geiſt der Oppofltion,
nicht ganz im Einklang mit feiner urfprünglichen Richtung,
auch der dogmatifchen Seite zugewandt. Aber um fo entjchie
dener macht er fih von nun an auf feinem eigentlichen Ges
biete, in den Forderungen einer durchgreifenden Umgeftaltung
des Firchlichen Lebens geltend. Da eiferte Sohann von Dorften,
lange Zeit der angefehenfte Xehrer der Univerfität, gegen das
häufige Walfahrten nah Wilznach „ſolch Laufen bedeute nichts
Butes, wäre ein Zeichen, daß das Volk an einer anſteckenden
geiftlichen böfen Seuche Frank liege” 2). Den Ablaß ließ er
unangetaftet, ja er nahm ihn fogar einmal. in Schub, aber fehr
freimuͤthig Außerte er fih über die Verehrung der Reliquien,
die man erft prüfend und forfchend aufnehmen müfle. — Iohann
von Lutria trat mit einer Behauptung hervor, welche die faft
allgemein übliche Weife der Präbenvenverleihung als ſimoniſtiſch
bezeichnete °). Den derben fatirifch volfsmäßigen Ton der Op-
1) Tritheim Hat ihn nicht unter feine Scriptores ecclesiastici aufge-
nommen, um fo überfchwenglicher ift ber Fortſetzer Tritheims, der Mönch
Joh: Butzbach aus Heifterbach, in feinem Lobe; er nennt ihn „‚Sacrae theo-
logiae professor insignis et in declamandis ad populum sermonibus
(pastor enim fuit) promptus et famosus sermocinator, ingeniv acutus,
eloquio disertus nec nunquam vita et moribus atque doctrina excellens.“
Auctar. in libr. J. Trithemili de script. eccles. fol. 79 b. M. ©. ber
Bonner Univerfitätsbibl. Wichtiger iſt das Lob, welches Wigand Tre:
beilius, der felbft der erfurter Schule angehörte, ihm fpendet: Concordia
curatorum et fratrum mendicantium. b. & a.
2) Hogel’fche Chronik ad a. 1475.
2) Er erflärte auf der Synode von Mainz 1471 das Statut: Neno
recipiatur ad praebendam, canoniam vel beneficium, nisi tantum con-
tribaat ad fabricam aut aedificium für eine species Simoniae. Motfchm.
Erfte Samml. p. 37. Aehnlich Hatte fih das Koncil von Vaſe erklärt.
Kampichulte, Univerfität Erfurt.
— 18 —
pofition flimmte Sebaftion Weinmann an, Prediger am Marien
ftift, zugleich Lehrer und 1493 Rector der Univerfität. „Wollt
ihr Herrn Geiftliche fein und heißen”, redet er die ihn umge
benden Canoniker an, „dann führet auch ein geiftliches Leben.“
Ueber einen päpftlidhen Ablaßprediger äußert er fih auf ber
Banzel mit unerhörter Derbbeit !). Bei dem Bolfe, wie bei
den Studirenden ftand er in hohen Ehren, er bat fih au in
Luther's Andenken erhalten 2). Ein Johannes Hilten machte
feinem Unwillen über die beftehenden kirchlichen Verhältniſſe
in den bitterfien Invectiven gegen Rom Luft. Eben auf das
Jahr 1516, fagt man, habe er eine große Reformation vorhers
verfündet 3). Da flieg denn auch wohl in Einzelnen der Ge⸗
danke auf, daß ehemals Huſſen's Beginnen nicht fo ganz ver-
dammungswürdig gewefen fe. Bon einem Doctor Pfennig
wird erzählt, daß er bereitd auf dem Wege zu den Böhmen
war, „Willens, dieje in ihrem Irrthum zu ftärken” %) Mehr:
mals hörte Luther feinen Lehrer Johann Grebinftein die Bes
hauptung vortragen, daß Huß ohne Beweis und redhilos vers
dammt worden fei ®).
Kein Wunder, wenn die übrigen deutfchen Univerfitäten
mit banger Beforgniß auf ihre thüringifche Schwefer, die
Mutter fo gewagter Doctrinen, binblidten. Man dachte unwills
©) Hogel'ſche Ehronif ad a. 1508; vergl. Flacii Illyrici catalogue
testium veritatis. Frcf. 1666 p. 827.
2) Ruther’s Briefe herausgegeben von De Wette III, 168. In der
Univerfitätsmatrifel wird er als eloquentissimus theologorum aufgeführt.
Mebrigens verfaßte Weinmann auch: Orationes in usum horarum camosi-
carum und ein Rosarium beatae Mariae virginis. — Neben ihm war
auch der gelehrte Johann Reg, ebenfalls Prediger und Lehrer, in ähnlicher
Weiſe thätig.
2) Adamus vitae theologorum p. f.
4) Der Monachus Pirnensis bei Menken. Script. rer. Germ..Il, 1487.
8) Bol. Fratzscher De academia Erfordiensi de Luthero optime
merita et evangelioae, quam is adseruit veritatis teste et vindice
abgedrudt im Musaeum Casimirianum ed. Frommann. Cob. 1771. P. I,
P. 267.
— 19 —
führlich an die fehweren Zeiten der böhmischen Unruhen zurüd,
in welchen diejelbe in's Leben getreten war und in den merk
würdigen Worten Erfordia Praga fand die Meinung Bieler
ihren Ausdrud, die im Geifte ſchon von neuen die unheilvollen
prager Scenen in Erfurt wiederfehren fahen !).
VL
Indeß jene Kundgebungen böhmifcher Sympathien haben
wohl nie mehr als eine momentane Bedeutung erlangt; zu
vereinzelt tauchen fie auf, al8 daß wir in ihnen den Ausprud
der in Erfurt herrfchenden Richtung finden könnten. Ein Aufs
lehnen gegen die Eirchlichen Doctrinen iſt e8 wohl nicht, was
den Character derfelben ausmacht. Aber als eine freifinnige,
entfchieden veformatorifche, mit den hierardhifchen Gewalten
nicht fonderlich befreundete werden wir fie Doch immer bezeichnen
müflen; als folche ftellte fie fih uns bei al den genannten
Männern dar.
Es ift wahr, nicht immer liegt in den einzelnen äußern
Erfcheinungen der Schlüffel zum richtigen Verſtändniß des
innern geiftigen Lebens, aber da, wo jene, in dauernder Aufs
einanderfolge auftxetend, dieſelbe geiftige Signatur zur Schau
tragen, wie dies bei dem Auftreten der genannten Männer der
Fall if, müflen fie als die Manifeftation einer beſtimmt aus⸗
geprägten geiftigen Richtung betrachtet werden. — Oft genug
zeigte die Oppofition des Einzelnen unmittelbar im Hintergrunde
die gleiche Gefinnung der ganzen Corporation. Wir fahen
bereit8, wie jene Vertreter der offenen Oppofition faft ohne
Ausnahme bei der Univerfität in hohem Anfehen fanden. Als
Johann von Lutria auf der Synode von Mainz die erwähnte
fühne Bropofition aufftellte, trat die theologifche Facultaͤt, die
1) Val. Falckenſtein 1.c. I, 377. Auch Luther gedenkt dieſes feltfamen
Sprühwortes in einem Briefe an Spalatin. De Wette II, 5.
2°
Ä
— dd —
um ihr Gutachten erfucht wurde, förmlich und entfchieden feiner
Anficht bei !).
Indem fih die Stimmung in jo wichtigen Dingen von
dem Geifte der Schuleg entfernte, war eine andere Abweichung
fehr nahe gelegt. Hemmend mußte das ftraff angegogene Ge⸗
wand feholaftifcher Satzungen jenen freiern Regungen entges
genwirfen und namentlich fonnte der Geift der Oppofition in
den herfömmlichen Syftemen der Schule feine gewünfchte Nahr⸗
ung nicht finden. Es veranfchauliht und einigermaßen Die
Sreifinnigfeit, die ſich auch in diefer Beziehung geltend gemacht
hatte, wenn wir fehen, daß die Schriften eben jenes Johann
von Weſel, der von der Inguifition zu Mainz verurtheilt wor⸗
den, an der Univerfitäat Erfurt in ein „fonderbares Anſehen“
famen 2). „Johann Wefalia“, jagt Luther, „hat zu Erfurt mit
⸗ ſeinen Buͤchern die hohe Schule regiert, aus welchen ich daſelbſt
auch bin Magifter worden” 3). — Höchſt charakteriſtiſch iſt das
Licht, welches die Schriften des Johann von Hagen, eines Zeit⸗
genoſſen von Weſel, über die erfurtiſchen Zuſtände verbreiten.
Jenes Allen daſelbſt gemeinſame Streben nach einer Reforma⸗
tion des kirchlichen Lebens hatte dieſer eifrige Carthäuſermoͤnch
„it der herkoͤmmlichen Achtung gegen die geiftlichen Autoritäten
und die Syfteme der Schule vollftändig in Einflang zu bringen
gewußt *), und er ſah deshalb mit um fo größerem Bedauern,
daß diefelben Bemühungen in feiner Umgebung zu einer Ab⸗
neigung gegen beide führten. Unermüdlich thätig, fuchte er in
| zahlreichen Schriften — man zählt über 300 — diefer Richt-
1) Motfhmann 1. c. Erfte Sammlung p: 37.
2) Saldenftein 1. c. 1.315. Es waren freilih nicht jene Schriften,
durch Die Wesel die Inquifition zum Einfchreiten veranlaßt, aber es ift ſchon
bezeichnend genug, daß feine Schriften überhaupt Anfehen gewinnen fonnten.
2) Wald XVi. p. 2743.
*) Für feine reformat. Bemühungen zeugen feine Schriften: De casu
religionis, De negligentiis oceurrentibys circa sacramentum altaris u. a.
— 1 —
ung entgegenzuarbeiten 1). Eine unter dieſen iſt der Herſtellung
der Autorität des großen Meiſters der Scholaſtik St. Thomas
von Aquin gewidmet 2). Aber es ſcheint nicht, daß dieſe großen
Erfolg gehabt. War es einmal ein fcholaftifches Syftem, für
das man fich entfcheiden mußte, fo erhielt der Rominalismus
des freifinnigen Wilhelm von Occam den Borzug. Weberhaupt
aber brachte e8 die Scholaftif hier nicht zu der ausfchließlichen
Herrſchaft über die Gemüther, die fie an den übrigen Univer-
fitäten inne hatte. Ich finde nicht, daß die großen Turnier
übungen der Scholaftif, die fcholaftifchen Disputationen, in
denen der Geift für fie erftarfte, fih in Erfurt zu einigem
Glanze entwidelt hätten. Freilich gedenfen ihrer wohl die
Statute, aber gar manches enthielten diefe, worüber man fidh
allmählig hinwegzuſetzen gewöhnte. Das Eramen, welches ber
Ertheilung der philofophifchen Magifterwürde vorausging, ſetzte
ftatutarisch eine erfchöpfende Kenntniß des ganzen ariftotelifchen
Lehriyftems voraus, gleichwohl finden wir bald Männer im Beftg
diefer Würde, denen wir eine vertrautere Befanntfchaft mit
jenem Syfteme in feiner Weife zumuthen dürfen’). — Mehr
als in fcholaftifhen Diftinctionen ſcheint der Geift in einer
— — nn — —
!) Tritheim 1.c. p. 195. c. 833 macht viele feiner Schriften namhaft,
Darunter: De autoritate papae in concilio, De potestate ecclesiasticae.
— Bon feinem eifernen Fleiße erzählen die Annalen feines Klofters fols
gendes Beifpiel: In paupercula quadam delitescens candelarum usu
aliisque adminiculis ad lucubrandum necessariis omnino. destitutus
fuit. Hinc eum, ut a patribus nostris accepimus, oum scilicet sufli-
cienti lumine non posset potiri interdum ex offis pinguioribusgue es-
culentis Jumini fomitem sibi ipsi concinuisse.‘‘ Vergl. Motfchm. Fünfte
Samml. p. 686.
2) Ich fand wenigftens in den Gollertaneen von Wotfihmann und
Sinnhold diefe Schrift erwähnt: ‚‚Defenserium pro S. Thoma contra
eos, qui illius scripta minus vera reputant.‘ — eb
2) Es if in der That auffallend, daß ganz humaniftifch gebildete
Sünglinge unter den Bewerbern um den philof. Brad fehr häufig bie erſten
Plaͤtze einnehmen.
— 9 —
lebhaften Beſchaͤftigung mit der Bibel ſeine Befriedigung geſucht
zu haben. Schwerlich hat irgendwo Nicolaus von Lyra's Bei⸗
fpiel anregender gewirkt, als in Erfurt'). Die Namen eines
Zachariä, Stendel, Mylbach, Bertram und Anderer werden in
Verbindung mit umfaſſenden Arbeiten im Fache der bibliſchen
Exegeſe genannt. Selbſt Spuren einer bibliſchen Kritik laſſen
ſich ſchon wahrnehmen. Nur die canoniſchen Bücher gläubig
aufzunehmen, alle übrigen der Pruͤfung zu unterwerfen, war
die Lehre, die Luther von einem der berühmteften erfurtiſchen
Doctoren empfing ?).
Noch jebt haben wir ein redendes Denkmal des damaligen
geiſtigen Lebens unſerer Schule und der Richtung, in welcher
es ſich bewegte, in der Menge der handſchriftlichen Werke aus
jener Zeit, die die Bibliotheken der Stadt Erfurt heute noch
aufbewahren 2).
Da fehlt es freilich nicht an einem Ariſtoteles fuͤr den
Philoſophen, wie für den Juriſten durch den Bartolus geſorgt
iſt, ſo findet der Theologe den Meiſter der Sentenzen und den
St. Thomas von Aquin. Aber auffallend groß iſt neben ihnen
die Menge der bibliſchen Commentare, die auf ein ſehr reges
Studium der heiligen Schrift ſchließen laſſen ). Auch über⸗
— — — — —
1) Schon in den Statuten des Amplonianum’s heißt es: Item atatuo
et ordino quod Applicatus Theologiae primo Bibliam cum suis pro-
logis studeat et dircat literaliter cum morali sensu intelligere ex
interpretibus ei postillis Nicolai de Lyra et ante omnia haec sunt
necessaria; Sinuhold 1. c. p. 58.
2) Vergl. den Brief Luthers an Trutfetter bei de Wette I. 109 „ex
te primo omnium didici solis canonicis libris deberi Adem, ceteris
omnibus judicium.‘‘
2) Viele von diefen find freilich vernichtet in dem fogenannten toflen
Sabre; auch die fpätern Geſchicke, welche Stadt und Univerfität trafen,
waren der Erhaltung nicht günftig.
2) Nach einer Bergleihung, welche Herr Dompfarrer Kleinfchmibt
anzuftellen die Güte hatte, bilden unter den handfchriftlichen theologifchen
Werken der amplonianifchen Bibliothek die exegetifchen ungefähr die Hälfte
— 33 —
rafcht die große Anzahl von Abſchriften der Altern Kirchenväter
eines Anguftinus, Hieronymus, Lactantius u. a.?), von mebs
teren griechifchen, 3. B. Chrufoftomus, Euſebius find lateiniſche
Ueberfegungen vorhanden. Unter den Reuern fieht man nament
lich St. Bernard, Tauler, Gerfon hervortreten. Und nicht blos
in den Denfmälern der theologijchen Literatur wird das Walten
eines freiern, von der Schule nicht unbedingt beherrfchten Gei⸗
ſtes fichtbar. Es gibt auch jehr deutliche Spuren einer viel
fachen Annäherung an das claffifche Alterthum. Noch heute
erftaunt man über den ungewöhnlichen Reichthum an Abſchriften
lateiniſcher Elaffifer, welchen die amplonianifche Bibliothek befigt.
Damals, in den Zeiten des fünfzehnten Jahrkunderts, if er
gejammelt worden?). —
Mit Freuden Hat eine folgende Generation dieſe willkom⸗
mente Erbichaft angetreten.
vu,
Entſprechend diefem regen geifligen Leben finden wir die
äußere Blüthe, welche die Univerfität Erfurt gleichzeitig entfaltet,
Schon früh nahm Erfurt unter den Bildungsftätten dee
deutfchen Geiftes einen anfehnlichen Rang ein. Des glänzen
den Auftretens der Erfurter Gefandten in Conſtanz und Bafel
ift bereitd gewacht worden. Als 1409 die Univerſität Leipzig
gegründet wurde, erhielt fie einen der ausgezeichnetften Xehrer,
(otwa hundert an ber Zahl), Bei den Handfhriften ber alten, nur in
geringen Ueberreſten noch erhaltenen Univerfitätsbibl. iſt das Verhaältniß
nicht fo günftig. Die exegetifchen Schriften bilden bier etwa ben vierten
Teil der geſammten theol. Literatur.
1) Sn der amplonianifch. Bibl. 88, in der Univerf. Bibl. 17.
2) Brofeffor Kris hat das Berbienft, biefe reiche Sanımlung der Be⸗
nutzung zugänglicher gemacht zu haben durch feine Abhandlung: De codi-
cibus Bibliothecae Amplonianae potioribus. Erf. 1850. Ein großer
Theil der Handfchriften rührt fchon von Amplonius felbit her.
— 24 —
den Conrad Thuß aus Erfurt. Formlich eine Colonie von
Erfurt war die, zehn Jahre fpäter geftiftete Hochfchule von
Noftod; der erfte Rector und. die meiften Profefforen waren
von Erfurt herübergefommen 1); an Erfurt erinnerten das Unis
verfitätsftegel wie die Benennung der Burfen?). Einen eigen-
thümlichen Glanz verbreiteten um die Univerfität Erfurt die
zahlreichen hohen Adeligen, die an ihr ftudirten und nicht felten
die höchften academifchen Aemter befleiveten 3). Weniger wohl
hat diefe Erfcheinung in dem geiftigen Leben der Anftalt ihren
Grund, ald in der äußern Unabhängigkeit, welche die Stadt
verjprach, obgleich bei Einzelnen vom Adel auch das erftere
wichtigen Einfluß ausgeübt zu haben fcheint. Ein Diether
von Iſenburg und jener merfwürdige Berthold von Henneberg
legten in Erfurt den Grund zu ihrer Bildung *).
Die Zeit der größten Außern Blüthe begann um die Mitte
des Jahrhunderts, eben damals, als in der innern Entwidelung
der Schule der Beift der Oppofttion mit größerer Energie und
Entſchiedenheit fich geltend machte, und die Jüterbod und Weſel
den Reigen entfchloffener Befämpfer der Ficchlichen Zuftände
eröffneten. Erft da nahm Erfurt jenen großartigen Aufſchwung,
durch den alle deutfchen Univerfitäten auf eine Zeit in den
ı) „Da wurden alsbald aus der Erfurtifchen Academia Magistri und
Professores verfchrieben und verordnet”, vgl. Weitphalen Monumenta IV,
343. Der erſte Rector war Petrus Stenbede aus Erfurt.
2) Val. das Leichenprogramm des Andreas Wesling auf Arnold Bu⸗
renius 1566) „Ac Erfordiensem praecipue scholam nostrae metro-
polin esse character sigilli publici idem et Portae coeli aliarumque
academiae domuum nomina endem adhuc indicant. Bei Kay: Die
Roſtock'ſchen Humaniften p. 49.
2) Mährend des 15. Jahrh. finden wir zwanzig Rectoren vom hohen
Adel.
4) Die (58) thüringifchen und fächfijchen Fürſten und Grafen, die im
15. Jahrh. in Erfurt fudirten, find nach der Matrifel zufammengeftellt in
den neuen Mittheilungen hiſtor. antiquar. Forſch. von dem thür. ſächſ.
Bereine Bd. VII. p. 185.
— 25 —
Hintergrund gedrängt wurden, fo daß fie nach Luther's Worten
nur wie „Leine Schuͤtzenſchulen“ gegen die thüringifche erfchies
nen‘), Die Univerfitätömatrifel gewährt von dem Jahre 1451
an das Bild eines feltenen Zufammenftrömens Ternbegieriger
Juͤnglinge aus allen Theilen unſeres Baterlandes, von Ober-
und Riederrhein, von Donau, von Oper und Elbe?) Da
waren unter den oberen Landen namentlih Schwaben und
Elfaß ſtark vertreten; mafjenweis entjfandten Ulm und Straß-
burg von Zeit zu Zeit ihre wiſſensdurſtigen Söhne nad der
thüringifhen Hauptfladt. Die alte Tradition, welche Weftfalen
und Niederrhein an diefe wies 3), gewann bejonderd damals
an Stärke und Lebendigkeit. Im Rorden wirkte die Anzieh
ungsfraft der Schule fogar noch über Deutſchlands Grenzen
hinaus. Es war feine Seltenheit, daß wetteifernd neben ein-
ander Schwaben und Lienländer, Weltfalen und Dänen in
Erfurt fidh um die academifchen "Ehren: bewarben. Denn weit
und breit war der academifche Grad, den die thüringifchen
Dorctoren verliehen, hochgeachtet. „Wer recht ſtudiren will”,
fagte das Sprüchwort, „der ziehe nach Erfurt” *),
Es war gewiß ein merkwuͤrdiges Zeichen der Zeit, daß
1) Luther's Tifchreden f. 415 a.
3) Gerade das Jahr 1451, in dem Wefel auftrat, bildet den Wende⸗
punkt. Grreichte vorher die Anzahl der Immatrifulirten felten 300, fo
überfteigt fie von nun an mehrere Decennien hindurch 400. 1450 wurden
124 immatrifulirt, 1431: 357; 143%: 43%; 1435 fogar 53%. Nach einer
ungefähren Berechnung muß die Geſammtſumme der anweſenden Studiren-
ben in Ddiefer Zeit 1800 — 2000 betragen haben, obgleich die ruhmredigen
Ehronifen der Stadt die Anzahl viel höher angeben. Oft bewirften peft-
artige Seuchen ober ftädtifche Unruhen eine Unterbrechung, fo 1463 unter
dem Rectorate des Greſemund. Damals wurden allein 20 Lehrer von ber
Seuche hingerafft. E. U. M. ad a. 1463.
2) Nach dem Willen des Stifters mußten bei ber Aufnahme in das
Colleg. Amplon. zuerft feine Landsleute berüdfichtiat werden.
*) Hogel’fche Chronik ad a. 1519, wo dieſes Sprüchwort als ein in
früherer Zeit allgemein übliches erwähnt wirb.
— % —
fi) die allgemeine Stimmung fo unverholen gerade für wie
unter Deutſchlauds Hochſchulen ausſprach, die in den wichtig:
fien Punkten von der Bafls des Herfümmlichen fich entfernte,
die nicht undeutlich ihre Abneigung gegen die herrfchenden
Spfteme der Schulen, fehr deutlich ihre Unzufriedenheit über
die beftehenden Firchlichen Zuftände an den Tag legte. Mußte
da nicht dem Einſichtsvollen ein Licht darüber aufgehen, daß
die Ideen, welche bisher für wiffenfchaftliches und religiöfes
Leben leitend geweien, ihre Macht über die Gemüther verloren
hatten? Die Zeiten waren vorüber, wo Alles eine geiftige
Einheit offenbarte, wo jeder Fortfhritt auf dem wiſſenſchaft⸗
lichen, jede Entfaltung auf dem religiöfen Gebiete gehorfam
fih der großen Einheit einfügte. Wohl mochten Einzelne ahnen,
daß der Tag einer allgemeinen Erhebung nicht mehr fern fei.
Schon bereiteten ſich auch anderwärts, hier und da, Erfchein-
ungen vor, in denen fich die Herrfchaft eines neuen Geiftes
anfündigte. In Erfurt war ihm der Weg gebahnt: wenn
irgendwo, durfte er fich hier Aufnahme und Erfolg verjprechen.
Erſtes Bud.
Auftonmen umd Entwidelung der humaniſtiſchen Richtung
in Erfurt.
Erfies Kapitel. Die erfien Humaniſten. Vermittelungsverſuche
zwiſchen Scholaflik und Humanismus.
| „Neque bonae literae in hoc revocatae
sunt in scholas, ut pristinas disciplinas
ejiciant, sed ut illae purius et commo-
dius tradaatur.“
Erasmus.
J.
Es gewährt ein eigenthuͤmliches Intereſſe, das Leben einer
Nation in jenem Momente zu betrachten, wo dieſelbe von den
Ideen, die Jahrhunderte lang ihr Denken und Handeln beherrſch⸗
ten, abfällt, wo Mißtrauen und Abneigung gegen das an den
Tag gelegt wird, worin vordem das Herz feine Befriedigung,
die geiftigen Kräfte ihre Beichäftigung fanden. Wie ein durch⸗
furchtes Aderfeld harrt da ihr Geiſt einer neuen Saat: zerfallen
mit dem Alten und Hergebrachten iR ex um fo empfänglicher
für alles Reue und Ungewohnte und mit lautem Jubel wird
jede neue Erſcheinung begrüßt und gefördert, welche der vor⸗
bandenen Oppofition gegen das Veberlieferte nur einigermaßen
entgegenlommt. Dies zeigt vor allem die humaniftifche Bewegung
in Deutfchland. Wir erftaunen darüber, wie ein gelehrter Kampf
gegen die eben nicht gefährliche fprachliche Barbarei der Scholaftif
— 28 —
den Gemüthern eine fo allgemeine Erregung mittheilen, ja einige
Zeit den Inhalt des gefammten geiftigen Lebens bilden Fonnte.
Der Humanismus war nicht von dem Zauber umgeben, durch
den ein neu auftauchendes religiöfes Prinzip wirkt, noch erfreute
er fih jener Volfsthümlichkeit, die nationalen Bewegungen Be-
deutung und Erfolg verleiht, aber was ihm durch fein innerftes
Weſen verfagt war, erfegte ihm der Geift jener Zeit, die eben
mit dem Alten zerfallen, freudig und zuvorfommend jeder Neue
rung fih zumwandte. Daß die in Rede ftehende überdied gegen
- einen unverfennbaren Uebelſtand gerichtet war, fleigerte die von
vornherein vorhandene Theilnahme für viefelbe.
Indem fich fo der Humanismus, wenn auch nur auf Einem
Gebiete als Emancipationsverfuh von den beftehenden Autoris
täten darftellte, wurde er die Lofung der Unzufriedenen und
Misvergnügten überhaupt. Wiffenfchaftliche, Firchliche, fogar
politifhe Neuerungsbeftrebungen wurden unter die Aegide der
Pallas geftelt: die oppofitionellen Richtungen der Zeit fanden
einftweilen in dem Humanismus ihren Mittel- und Sammelpunft,
So fonnte es gefchehen, daß der Geiſt des Alterthums, als
er nach mehr als taufendjährigem Schlummer wieder erftand,
ſich mit überrafchender Schnelligkeit eine nene ausgedehnte Herr:
[haft gründete Wie immer war ed auch damald die jüngere
Generation, welche ſich aunächft und vorzugsmweife von der Neues
rung fortreißen ließ. Sich abwendend von den ftarren Formen
der herfömmlichen Schulgelehrjamkeit eilte von allen Seiten die
rührige Jugend zu den Fahnen der neuen Alten, um „im Dienfte
der Pallas” an der Ausbreitung des neuen Reiches Theil zu
nehmen. Webermüthig ſetzen Viele ihren Stolz in die Nieder:
tretung der hergebrachten Formen und führen im Gegenfag zu
der Gemeſſenheit und Regelhaftigfeit des Univerfitätslebens ein
unruhiges Wanderleben. Wie die fahrenden Helden der griedhi-
fhen Sage durchziehen wandernde „Poeten“ nahe und ferne
Gegenden, erfcheinen an den Univerfitäten, um dort den Kampf
mit- ihren Widerfachern, den „Sophiften” aufzunehmen. Die
— 9 —
DOpferwilligfeit, welche zu einem ſolchen Leben erforderlich war,
verlieh ihnen ihre Begeifterung für die verfochtene Sache. Das
niedere Volk, ſo wenig Sinn und Empfänglichkeit es auch für
ven Gegenſtand ihrer Verehrung hatte, fo fonderbar ihm auch
ihre latinifirten und graecifirten Namen vorfommen mochten, ſah
gleichwohl in ihnen, als Bertretern der Oppofition, feine Ber
bündeten und vergaß darüber die Abweichungen von der Baſis
des nationalen und volfsthümtlichen Lebens, die fie fich erlaubten.
Und höchft bedenklich waren mitunter jene Abweichungen. Mag
es auch übertrieben jein, was von der heidnifchen Welt» und
Lebensanfchauung mancher Humaniften berichtet wird: nicht zu
laͤugnen ift, daß wenigftens bei Einzelnen der Enthuſiasmus
für die Alten ?) einen trübenden Einfluß auf das chriftliche
Bewußtfein ausgeübt habe. Indeß ift es mehr der italienifche
Humanismus, der und in einem folchen Fichte erfcheint: dieſſeit
der Alpen Fam es feltener zu derartigen Berirrungen. Hier
ſahen vielmehr Manche in den fchönen Formen des claffiichen
Altertbums eben nur das fchmudreiche Gewand, in welches
eingekleidet die chriftlichen Ideen wieder zu neuer, bedeutender
Wirkſamkeit gelangen würden 2). Bon einem eifrigen Jünger
der neuen Richtung wird die Wiederaufnahme der fprachlichen
Studien fogar mit dem Ereigniß der wunderbaren Spradhengabe
am erften Pfingftfefte verglichen und die Anficht ausgeiprocdhen,
daß die Religion, deren erſte Ausbreitung fih an ein ſprach⸗
liches Wunder Inüpfe, duch die gegenwärtigen Studien einer
neuen Blüthe entgegengeführt werden müfle ?). Freilich dachten
2) Wie z. B. Bicinus in feiner Verehrung für Plato fo weit ging,
daß er vor dem Bilde defielben eine ewige Lampe unterhielt.
2) So faßt Eräsmus die Bedeutung der neuen Wiſſenſch. auf, wenn
er an Hochſtraten ſchreibt: „Aaec studia non obscurant theologicam
dignitatem, sed illustrant, non oppugnant, sed famulantur.‘“ Bon der
Hardt Histor. literaria reformationis II, 13.
») G. Wicel: Ein Tröſtlich Schöne predigt S. Eypriani Martyris vom
erben. s. 1. 1536. Eint. A x.
- 0 —
nicht Alle ſo. Indeß der Mangel an eigener Webereinftimmung,
der hier, wie auch noch jonft in den Anfichten der Neuerer
hervorteitt, binderte fie nicht, fih als Streit- und Bundes-
genoffen anzufehen; fie alle wurden vereinigt Durch das Band der
gemeinfchaftlichen Oppofttion gegen die Herrfchaft der Scholaftif ;
fdonungslos, mit fieberhafter Aufregung wurde der Kampf
gegen diefe geführt. — .
Bon Stalien, wo die Erinnerung an die Zeiten des claffi⸗
[hen Alterthums nie aus dem Gedächtniß hatte verwifcht werden:
fönnen, war diefe merkwürdige Geifterbewegung ausgegangen.
Bon bier theilte fie fih den übrigen europäifchen Ländern mit.
Deutſchland Fonnte ſich nicht lange der Einwirkung derfelben
entziehen, und hier ließ fich ein hartnädiger Kampf vorausfehen.
Denn war aud die Stimmung der Nation der Neuerung noch
fo günftig, fo umſchloſſen doch hier, mehr als irgendwo, die
academifchen Mauern die entfchiedenften Vertheidiger der alten
Richtung; in den Univerfitäten befaß die Scholaftif zahlreiche
und fefle Bollwerk. Da fchien ed nun aber von Wichtigkeit
werden zu müflen, daß e8 doch eine unter ihnen gab, an ber
die Scholaftif nie fo ausfchließlich Hatte zur Herrichaft gelangen
fonnen. Kein Wunder, wenn an ihr am früheften der Berfuch
gemadht wurde, die neuen Ideen zur Geltung zu bringen.
Die Univerfität Erfurt war die erfte in Deutfchland, an
der die neue Doctrin vorgetragen und entfchieden auf die Roth
wendigfeit bingewiejen wurde, fi von dem bieherigen Lehr⸗
ſyſtem loszuſagen.
I.
Kur dunkele und dürftige Nachrichten haben wir über bie
erften Berfünder der neuen Richtung in Erfurt.
Es war in den fechöziger Jahren des Sahrhunderts, eben’
um jene Zeit, wo der eigenthümliche Ruhm der Univerfität
Lehrer und Lernende aus allen Gegenden in Erfurt verfammelte,
«
— 31 —
als unter den Reuanfommenden auch zwei Wänner bemerft
wurden, die fofort in mehr ald gewöhnlichem Grade die Auf
merkſamkeit auf fich lenkten: Betrus Ruder und Jacob Bublicius
Rufus aus Florenz, beide ihrer Bildung nach Stalien anges
hörig, obgleich der Rame des erftern den geboren Dentjchen
verräth. Luder erfchien bereits im Sabre 1460, die Ankunft
ded Bublicius fallt um mehrere Jahre fpäter. Schon der Name,
den fie fich beilegten, gab deutlich fund, daß fie mit ihren
Abdfichten und Plänen nicht mehr innerhalb des herkoͤmmlichen
academifchen Begriffötreifes fanden; denn als „Poeten“ ber
fannten fie fi, und die Poeſie zu Ichren, war der Wunſch,
der fie hergeführt. Hätte in Erfurt der excluftve, gegen alles
Reue mißtrauiſche Geiſt geberrfcht, den die übrigen Univerfitäten
früher und fpäter bei ähnlichen Gelegenheiten zur Schau trugen,
fo wäre es gewiß verfucht worden, diefe beiden feltfamen Ges
lehrten fernzuhalten, da man ihnen nur zu bald anfehen mußte,
daß fie ein neues, fremdartiges Bildungselement einzuführen
trachteten. Daß aber jener Geift nicht vorwaltete, daven legte
die Achtung und Zuvorkommenheit, mit der man ihnen begeg-
nete, ein neues Zeugniß ab: man zog fie allen Reuangelommenen
vor, fogar die üblichen Gebühren wurden ihnen „aus perjöns
lider Hochachtung“ gegen die Gewohnheit erlaffen ').
Die Aufnahme war ehrenvoll und verfprad, ihnen günft®
gen Erfolg, Schon war ihnen in manden Stüden vorgear⸗
beitet worden. Der Donatug, defien Einführung anderwärts
den Humaniften jo viele Mühe koſtete, gehörte hier bereits zu
———— nn
) Betrus Luder wurde unter dem Rectorat bes Sutwolk immatriculirt,
als: Dms Petrus Luder, professus poosim gratis ob rererentiam sui;
er flieht an erfter Stelle. Mit benfelben Worten gedenkt Sartoris 1466 ber
Immatrieulation des Publicins. Das Reciorat des Sartoris if eins ber
glängendften: 268 wurden immatrienlirt, 99 zu Barccal., 13 zu Magiſt.
graduirt. Fünf Jahre ſpäter erfcheint abermals sin graduirter Italiener
unter den Immatriculirten, nämlich: Dians franciscus de mediolano artis
medicae doctor. Bgl. Erf. Univ. Matr. ad a. 1460. 1466. 1471.
— 32 —
den längft üblichen Schulbüchern '). Nichts defto weniger war
die Anweienheit des Luder in Erfurt nur von kurzer Dauer.
Es fcheint, daß er bereitd von der unruhigen Wanpderluft
getrieben wurde, die bald das charafteriftifche Merkmal aller
poetiſch Geſinnten wurde. Im Jahre 1464 finden wir ihn in
Bafel. Das Dunkel, welches überhaupt über die Schidfale und
Thätigfeit diefes Mannes verbreitet ift, wird auch während der
Zeit feines Aufenthalts in Erfurt nicht aufgehellt 2), Dauernder
und jedenfall8 bedeutender war die Wirkſamkeit, die PBublicius
in Erfurt entfaltet. Die Aufzeichnungen eines feiner Schüler,
des Joannes Knäß aus Rheinbergen, feßen und einigermaßen
in den Stand, und ein Bild von dem Charakter und der Thä-
tigkeit desfelben zu entwerfen). Bol Begeifterung für die
Schöpfungen des claffifchen Alterthums, leidenfchaftlich einge-
nommen gegen die erflarrten Formen der hergebrachten Schul⸗
gelehrfamfeit, erfcheint er ald das wahre Vorbild aller fpätern
deutſchen Humaniften. Mit Berwunderung ‚und Abfcheu, jagt
er im Eingang feiner Abhandlung de arte distiguendi, habe
ex oft der Vorfahren Fahrläffigfeit und Trägheit betrachtet,
durch die es gefchehen, daß nun die vorzüglichften Mittel zur
wiffenfchaftlihen Ausbildung (d. i. die Werke der Alten) in
tieffter Finfterniß vergraben lägen, und. Alles des Lichtes. der
Wiffenfchaften entbehre*). Doch fei es beſſer, fpät zu lernen,
1) Bol. das Lectionsverzeichniß der philoſ. Facultät bei Motfchmann,
4. Fortſetz. p. 437. Mit der Einführung des Donatus glaubten häufig die
Bertreter der neuen Richtung den Sieg ihrer Bartei entfchieben.
2) Ohne Zweifel ift der Petrus Ludner, von dem in Gust. Haenelii
Catal. libr. Manuscr. qui in bibl. Gall. Helvet etc asservantur (Lips.
1830) bei Bafel eine ars punctandi ex Franc. Petrarcha und eine oratio
habita Basileae a. 1464 angeführt wird, mit dem unferigen identifch.
2) Die Aufzeichnungen des Knäß finden fih unter den M. ©. ber
amplonianifchen Bibl. u. bilden einen Duartband; außer Abfchriften von
Werfen des Cicero, Seneca, Salluft enthielt derielbe auch Vorleſungen des
Publicius, de arte distiguendi. Institutiones oratoriae, ars episto-
landi u. a.
4) Sacpenumero mecum majorum nostrorum incuriam, ne socordiam
— 33 —
als immer in der Finſterniß der Unwiſſenheit zu bleiben, und
zur Aufhellung der letztern wolle er das Seinige beitragen.
Und fo beginnt er denn mit elementaren, grammatifchen und
meirifchen Unterweifungen, er gibt Anleitungen zu der Kunft,
Briefe zu schreiben, fchreitet dann zu förmlichen Borlefungen
über die Beredtfamfeit ’), natürlich immer in den Yußftapfen
der Alten, auf die er fich fort und fort beruft. Denn das
Beifpiel der Alten ift allein maßgebend für ihn, die Rückkehr
zu ihrem Mufter die unerläßliche Pflicht eines jeden, der auf
den Namen eined Gelehrten Anſpruch machen will. — Mag
auch zugeflanden werden, daß weder Publicius noch Xuder eine
hervorragende Stellung unter den Bertretern der neuen Richr
tung einnehmen, — wie denn beider Namen lange Zeit ver
fhollen waren — immer bleibt doch die Thatjache höchft merk:
würdig, daß zu einer Zeit, wo das alte Syftem an allen beuts
hen Univerfitäten noch unangefochten die Herrfchaft behauptete
und kaum Kunde vorhanden war von der eigenthümlichen Bes
wegung, welche jenfeitö der Alpen die Gemüther ergriffen, in
Erfurt bereitd von Männern, die entichieden den neuen Ideen
buldigten — denn menigftend als folche erfcheinen ung Luder
aut ignaviam dixerim admirari ct detestari solitus eram, cum tau-
tam tamque lautam supellectilem ad studium (?) usque eo devolutam
animadverto ut omni literarum lumine orbati obscuris tenebris et
alta caligine mersi ea tantum quae aqualiculun extendunt, non quae
ingenio lucem afferunt in pretio ponamus. In pretio enim solum est:
dat tempus honores etc. In der angeführten Handfchrift: Tractatus
mgri Jacobi publicii florentini oratoris egregii de arte distinguendi.
Es ift vielleicht der Orundriß einer Borlefung, jedenfalls in Erfurt verfaßt.
1) Diefe hielt er im zweiten Jahre feiner Anwefenheit 1467. Am
Schlufie derfelben findet fih nämlich in der angeführten Handichrift die
Anmerfung: Jacobi publicii Bufi forentini ytali oratoris dissertissimi
iustitutilones oratoriae finiunt feliciter anno Domini 1467. Man flieht,
in wie großem Anfehen er fand. Much fcheint er in Borlefungen einzelne
Claſſiker erflärt zu haben, wenigftens liegt es fehr nahe, die einer a. a. D.
befindlichen Abfchrift des Salluft hinzugefügten Anmerkungen aus Borträ-
gen des P. abzuleiten.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 3.
— 4 —
und Publicius — mit aller Schärfe die Grundfäße des Hu-
manismus vorgetragen wurden, ja daß dies von Männern
gefhah, die fürmlih und feierlih in die Genoſſenſchaft ver
Lehrer der Univerfität aufgenommen waren. Auch der Erfolg
fcheint fein gewöhnlicher gewefen zu fein. Es ift mehr als
wahrfcheinlich, daß die ungewöhnlich ftarfe Frequenz der Unis
verfität in den fechsziger Jahren mit der Lehrthätigfeit des
Publicius und Luder in Zufammmenhang ftehe. Ja wir find
fogar in den Stand gefegt, Spuren einer höchft bedeutungs⸗
vollen über Erfurt hinausgehenden Wirffamfeit bei ihnen nach⸗
zuweifen. Irre ich nicht, fo knüpft fich eben an das Auftreten
unferer beiden Gelehrten in Erfurt die erſte Verbreitung der
humaniftifchen Richtung in den weitern Kreiſen unferes Vaters
landes. Denn um jene Zeit war es, daß zwei Männer in
Erfurt die Keime ihrer Bildung empfingen, die fich als die
erften Befchüger der claffiichen Literatur das größte Verdienſt
um das Auffommen derfelben in Deutfchland erworben haben.
Rudolph von Langen, der finnige Beförderer antiker Studien,
durch den das erfte Licht der neuen Bildung über die weſtfä⸗
Iifchen Kreife verbreitet wurde, finden wir gleichzeitig mit Luder
in Erfurt). Aus des Publicius Umgebung ging Johannes
von Dalberg hervor, der, nachmals auf dem Bifchofsftuhle zu
Worms, von allen Berehrern der neuerwachten Stupdien als
ihr erfter Maecenad verehrt und gepriefen wurde ?).
Nach mehrjähriger Wirkfamfeit verließ Bublicius Erfurt, um,
wie es fcheint, in fein Vaterland zurüdzufehren. . Auch Langen
und Dalberg nahmen den Weg nach Italien, um dort aus Der
Duelle des neuen Lebens felbft zu trinfen. Wird der ausge
ftreute Samen in Erfurt auch ohne fie auffommen und gedeihen?
ı) Er wurde 1460 Magifter der freien Künſte. Dean vergl. über ihn
die treffliche Darftellung bei Cornelius: Die Münfterifhen Humaniften p. 1.
2) Er wurde gleichzeitig mit Publicius immatriculirt al$ Johannes
Kemmerer de Dalburg. Ausführlichere Notizen über ihn gibt Erhard
1. c. I, 356.
— 35 —
II.
Sinnige und friedliche Männer waren es, die nunmehr
die weitere Pflege de8 Samens, den der feurige Ylorentiner
geftreut, übernahmen. Schon ift jenes Joannes Knäß gedacht
worden. Mit warmer Berehrung für feinen Meifter erfüllt,
lebt er auch noch nach dem Abgange vesjelben in den von ihm
angeregten Studien und fucht namentlicdy durch Abjchriften der
claſſiſchen Autoren fie in weitern Kreifen zu verbreiten. Mit
größerm Erfolg konnte er im Intereſſe der neuen Richtung
thätig fein, als er 1480 als Rector die Leitung des wichtigen
amplonianifchen Eolleg’8 übernahm !). Reben ihm nahm fich
bald der angefehene Sohannes Sömmering mit gleicher Liebe
der neuen Literatur an, eifrig bemüht, durch feine Vorlefungen
z. B. über Terenz auch in Andern Sinn und Liebe für diefelbe
au erweden. Roc in fpätern Zeiten rühmt der gothaifche
Canonicus Muth an ihm ven Eifer, ven er um diefe Zeit für
die neue Richtung bethätigte2). Auch Georg Eberbach, damals
berühmt Durch feine umfaffenden Kenntniſſe auf dem Gebiete
der Heilkunde, erfcheint als wohlmollender Förderer der neuen
ſprachlichen Studien. Wir finden ihn fpäter mit den entfchie-
12) Sinnhold Erf. Lit. ]. c.
2) Die merfwürdige Aeußerung findet fi in einem Briefe an Urban
in der handfchriftlichen Sammlung der Briefe des Mutian auf der Stadt:
bibliothek in Frankfurt. f.143 b. Mutian fagt dort über Sömmering: „Tui
imo nostri amantissimum esse Soemmeringum non heri et nudius ter-
tius sed olim cognovi. favet latinis studiis ut qui maxime: odit bar-
baros ut qui valde; nustris commodis ut qui libenter fert opem.
Nam adhuc tenui fortuna et tantum philologiae baculo insignis, Te-
rentium in schola philosophorum enarrebat. Auditor eram Eunuchum
tractavit per ferias caniculares. Satis facundiae, multum diligentiae
Präestitit. De elegantia taceo, quae sub idem tempus nondum emer-
serat.‘“ (Das Folgende bezieht ſich auf die fpätere Zeit). Jene Vorleſung
über Terenz muß vor das Jahr 1488 fallen, da ©. in diefem Magifter ber
freien Künfte wurde. Ein anderer Gelehrter desfelben Namens ift um einige
Jahre jünger.
3%
— 36 —
denſten Vertretern der humaniſtiſchen Richtung in freundfchaft-
licher Verbindung. In ähnlicher Weife ließen fich ein Tetel⸗
bach, Petz, Biermoft, Männer, die eine bedeutende Stellung an
der Univerfität einnahmen, die Pflege der neuen Wiffenichaft
angelegen fein). Faſt auf Alle übte das neu erjchloffene Alter:
thum mit feinen fchönen Formen einen ungewöhnlichen Reiz
aus und ſchon erwachte bei Einzelnen die Sehnſucht nach dem
Lande, das man als die Heimath der claffifchen Bildung anfah,
nad Italien. Den fchon genannten Georg Eberbach, den jungen
Conrad Muth, den Otterer u. U, finden wir in den beiden
legten Jahrzehnten des Jahrhunderts auf einer folchen claffifchen
Wanderung über die Alpen begriffen 2). Bon befonders anre-
gender, wenn auch nur vorübergehender Bedeutung für das
neue wifienfchaftliche Leben in Erfurt war der Furze Aufenthalt
des ganz dem Studium der Alten hingegebenen Conrad Eeltes 2).
Er, der für die übrigen deutfchen Univerfitäten — er durfte
ı) Eoban rähmt an legterem Schon den eleganten lateinifchen Stil:
Te quoque florentis commendat gratia linguae
Quam Cicero probet et vulgi latialis ad aurem
Deferat invitus.
Bol. De laudibus et praeconiis incliti atque tocius Germaniae
celebratiss. Gymnasii litteratorii apud Erphordiam Eobani Hessi Fran-
cobergii ejusdem litterariae cominanipulationis alumnuli Juvenis Ephebi
Carmen successivis horis deductum (Erphordie 1507.) 4. C.1.a.
2) Georg Eberbach erwarb fich in Ferrara den Doctorgrad; feine Reife
fand flatt nach dem Jahre 1483, in welchem er in Erfurt die philof. Magifter:
würde erhielt. Er unterhielt fpäter ein freundfchaftliches Verhältniß mit
Tritheim und Mutian.
3) So gewiß es ift, bag Celtes einige Zeit in Erfurt lehrte, fo ift fein
Name doch in ber Matrifel nicht aufzufinden. Die Conjectur Erharb’s,
ber unfern Eeltes in dem mehrmals in den Matrifeln vorfommenden Con-
rad Schefer de Sweynfort ſteht (Erhard 1. c. II, 12. 19 20.) entbehrt
zu fehr jedes pofltiven Orundes, als daß man fle annehmen könnte Neben
dem Conrad Schefer erfcheint gleichzeitig auch noch ein Nicolaus Schefer
aus Schweinfurt in der Matrifel. Für eine zweimalige Anwefenheit des
Geltes in Erfurt, die E. in Folge feiner Conjectur anzunehmen genöthigt
wird, fehlt e8 ebenfalls an anderweitigen Anhaltspunften.
— 1 —
fih rühmen, fie ſammtlich befucht zu haben — der erfte Herold
der neuen Richtung war, fand hier in Erfurt fchon zahlreiche
Gefinnungsgenoffen, neben die er dann jelbft als Lehrer trat.
Indeß zu einer dauernden Wirkffamfeit ließ ihn auch bier der
unruhige poetifche Wandergeift, der ihn trieb, nicht gelangen,
und weder die freundliche Aufnahme, noch die treuen Yreunde,
die er in Erfurt gefunden, vermochten ihn zurüdzuhalten ’), Es
ift aber auch möglich, daß der friedliche Charakter, den die Ent-
widelung der neuen Richtung in Erfurt annahm, nicht wenig
zu der baldigen Abreife des Celtes beitrug, der vol Begeifter:
ung für die Alten, wie er war, überall ein rafches Vorjchreiten
auf den von ihnen vorgezeichneten Bahnen forderte. Schon bei
Knäß fallt es auf, daß er troß feines lebhaften Eifers für die
neuen Studien dennoch keineswegs den Kumaniftifchen Unges
füm theilte, der feinen Meifter charakterifirte, fondern dieſem
gegenüber. eine gewifle Mäßigung zeigte. Diefe gemäßigte
Haltung bemerken wir bei allen, die neben und nad) ihm für
die neue Richtung thätig waren?). Bei Keinem schlägt die
Verehrung für den Humanismus in Verachtung des bisher
befolgten Syftems um. Bon lebterem ſich vollſtändig loszuſa⸗
gen, wie e8 Celtes wollte, mit der vorhergegangenen Entwidels
ung rückſichtslos zu brechen, lag nicht in der Abficht der erfurs
tiſchen Humaniften. Der Gegenfag zwifchen der alten und
neuen Richtung ſchien für fie nicht vorhanden zu fein. Pietät
1) Noch im Jahre 1494 ladet ihn Peg zu fih nach Erfurt ein und
gedenft der erfurtiichen Freunde des Geltes, unter benen ein Lohrer, Ußfelb
u. 9. genannt werden. Vgl. Klüpfel De vita et scriptis Conradi Celtis
lib. 1. c. 9. p. 62
2) Außer den genannten Männern begegnen uns noch ein Reinbote,
Werlich, Leo, Laasphe, Martin von der Marthen als Befchüger der neuen
Richtung. Hier und da zerftreute Notizen in den Briefen des Mutian und
in den Iugendgedichten Eobans unterrichten uns über ihre humaniftifchen
Beſtrebungen. Am weiteften ging wohl in der Begünftigung ber neuen
Richtung Laasphe, der bald, als Weihbifchof in Erfurt, von den jungen
Borten als ihr größter Gönner gepriefen wurde.
— 38 —
gegen die überkommenen Lehrformen ihrer Väter und Verehr⸗
ung der neu aufgebrachten wiffenfchaftlihen Ideen erfcheinen
bei ihnen in wunderbarer Mifchung.
Man wird den Beftrebungen viefer Männer die Aner-
fennung nicht verfagen können, namentlihd wenn man weiß,
wie wenig um jene Zeit die übrigen Univerfitäten von den
neuen Ideen berührt waren, und mit welcher Schroffheit man
fich hier denfelben fpäter, als fte fich geltend zu machen fuchten,
entgegenftellte. Aber eben fo wenig läßt fich verfennen, daß
durch jene Beftrebungen keineswegs den Anforderungen des
Publicius vollfommen Genüge gefhah, daß der Erfolg feines
Auftretend den Hoffnungen nicht gleichfam, zu denen man
wegen der Empfänglichkeit, welche die Univerfität früher für
jede neue Erfcheinung bewiefen, gewiffermaßen berechtigt war.
Ein fefter Waffenplab für den mit Anſpruch auf Herrichaft
auftretenden neuen Geift, wozu Erfurt beftimmt fchien, follte
e8 einftweilen noch nicht werden.
Die bereits gefchwächte Anhänglichfeit an das Alte erwacht
zuweilen gerade in dem Augenblide wieder mit aller Stärfe,
wenn jenem plößlih in feiner ganzen Schroffheit das Reue
gegenüber geftellt wird; da zeigt fich nicht felten das Beftreben,
das Hergebrachte, deſſen Befeitigung jo eben noch der gemein-
fame Wunfch Aller fchien, zu erhalten. Nicht als ob man ſich
mit den Mängeln deſſelben ausgeföhnt hätte und das Beflere,
welches das Neue bietet, verachte: es ift vielmehr der plöglich
in feiner ganzen Schärfe der Seele vorgeführte Uebergang von
dem Einen zum Andern, welcher diefe zurückbeben macht. Der
Gedanke einer allmähligen Vermittelung zwifchen beiden, wodurch
das Kühne und Gewagte vermieden wird, liegt unter dieſen
Umftänden fehr nahe, und ihn zu verwirklichen, halten in der
Kegel die EinfichtSvolleren und Gereifteren für ihre Aufgabe.
Aehnliches zeigte die erfte Aufnahme des Humanismus in
Erfurt. So unverholen bier auch früher die Unzufriedenheit
mit den überfommenen 2ehrfgftemen zu Tage getreten war, fo
— 9 —
ſchien doch die Rede des feurigen Florentiners von einer rüds
fihtslofen Aufopferung desfelben den Meiften zu hart. Mit
dem Gedanken einer unbedingten Losfagung von dem, woran
die Sahrhunderte ihre heiligende Kraft ausgeübt, Eonnten fie
fih nicht jo bald befreunden. So verfuchten fie, das Alte und
Reue zu vereinigen, dieſes durch jenes zu mildern, jened durch
dieſes zeitgemäß umzugeftalten und dadurch beiden Richtungen
gerecht zu werden. Diefe vermittelnden Beftrebungen, welche
alle die genannten Gelehrten bewußt oder unbewußt verfolgten,
treten namentlidy bei den drei angeiehenften Lehrern und vor⸗
züglichften Vertretern unferer Schule hervor.
IV.
Der Ruhm der erfurter Schule am Ausgange des fünf
zehnten Jahrhunderts Fnüpft ſich vornehmlich an die Wirkfams
feit des Henning Goede, Jodocus Trutvetter und Bartholos
mäus Arnoldi ?).
Noch fehr jung an Jahren eröffnete Henning Goede aus
Werben 1464 in Erfurt feine wiffenfchaftliche Laufbahn. Bon
der genannten Zeit an finden wir ihn 25 Jahre hindurch un:
ermüdlich thätig, fich in faft allen Disciplinen, in Philofophie,
Theologie und Jurisprudenz ein umfangreiches Wiffen anzu-
eignen. Afademifche Auszeichnungen in großer Anzahl belohn⸗
ten fein Streben: zunächft das philofophliche Baccalaureat und
die Magifterwürde; dann wurde er Baccalaureud, Licentiat und
endlich 1489 Doctor in den Rechtswifienichaften, die er ale
jein eigentliches Fachſtudium anfah. Als Geiftlicher hatte er
ſchon frühzeitig zur Anerfennung feiner Tüchtigfeit ein Cano-
nicat am Marienftift erhalten. Reunmal hat er das Dekanat
ı) Wegen der Wichtigkeit ihrer Stellung, die fie zu der fpätern Ents
widelung ber neuen Richtung in Erfurt einnahmen, war es nöthig, aus⸗
führlicher anf fie einzugehen.
— 40 —
in der philofophifchen oder juriftifchen Facultät befleidet, zwei⸗
mal das Rectorat 1), In der Stadt war fein Anfehen fo groß,
daß Nichts ohne feinen Rath unternommen wurde. Als 1478
das Ronnenklofter auf dem nahen Eyriarberge in ein Feſtungs⸗
werk umgewandelt werden follte, wurde ihm die Gefandtfdhaft
nad) Rom aufgetragen, um dort die erforderliche Erlaubniß zu
erwirfen. Den Danf der ganzen Stadt verdiente er fih in ſpä⸗
terer Zeit, als e8 ihm gelang, die endlofen ſtädtiſchen Wirren
durch einen günftigen Vertrag mit dem Haufe Sachſen beizu-
legen. Denn auch bei den ſächſiſchen Fürften fand er in großem
Anjehen; er hat fie wohl auf den Reichstag begleitet und wurde
in allen wichtigen Staats- und Rechtsangelegenheiten von ihnen
zu Rathe gezogen. Man empfing ihn mit der größten Aus-
zeichnung, als er 1509 eben in Folge jener ftädtifchen Unruhen
Erfurt verließ und fih nach Wittenberg wandte. Der Ehurfürft
übertrug ihm die Propftei an der Allerheiligen-Stiftsficche und
die damit verbundene Profefiur des cononifchen Rechts an ver
Univerfität, auf deren noch nicht vollendete Einrichtung er dann
einen bedeutenden Einfluß gewann. Friedrich der Weife fah in
ihm eine der vorzüglichften Zierden feiner Schule; feine Zeit:
genofjen gaben ihm wegen feiner allgemein bewunderten Rechts⸗
fenntnifje den ehrenvollen Beinamen eined monarcha juris.
Sft Goede auch nie als Schrififteller thätig gewefen und
müffen wir alfo auf den Vortheil verzichten, ung aus feinen
Schriften ein Bild von ihm zu entwerfen 2), fo find wir doch
bei feiner bedeutenden Wirkſamkeit in Erfurt und bei der wich-
1) Lebteres 1486 und 1489.
2) Zwanzig Jahre nach feinem Tode erfchienen auf Veranlaſſung des
Churfürften Johann Friedrich feine Consilia latino Germanica in Witten
berg in Drud; fie erlebten 8 Auflagen; der Processus judiciarius et de
fermandis libellis erfchien 1538 zu Wittenberg und erlebte 5 Aufl. Beibe
Werke find nur Sammlungen von Outachten, rechtlichen Erörterungen u. dgl.,
deren Beröffentlihung Goede wohl nicht beabfichtigte, und nur für die Ges
fhichte der Rechtswifienfchaft von Bedeutung.
J
— 414 —
tigen Stellung, die er unter den Gelehrten jener Zeit einnahm,
über feine Richtung und Denfungsart und namentlich über jein
Berhältniß zu der neuen wiflenfchaftlichen Bewegung genugjam
unterrichtet. Soviel erhellt fofort, daß er in feinen Grund⸗
anfchauungen wefentlich überall an dem lleberlieferten fefthielt;
ja es feblt fogar nicht an Beifpielen, wo er fi) geradezu in
einem feindfeligen Tone gegen die Beitrebungen der poetifchen
Neuerer vernehmen ließ. Namentlich ſcheint er an ihrem übers
mäßigen und einfeitigen Xobe der Haffifhen Spracden, das
nicht felten in eine Verachtung der vaterländifchen, ald einer
barbarifchen, überging, Anftoß genommen zu haben '). Er war
vor allem eine Acht deutiche Natur, wie er denn ja der erfte
gervefen ift, der über einen Gegenftand des deutfchen Staats,
rechts Vorlefungen hielt 2). Schon dies zeigt, daß er nicht eins
feitig an den hergebrachten Methoden fefthielt und ſich engherzig
gegen die Anforderungen einer neuen Zeit verſchloß. Wir ers
fahren, daß er, angeregt durch das neue wifjenfchaftliche Leben,
die Studirenden zum Studium einer reinern Philofophie ermahnte,
Und wie er in diefem Falle die neu auflommende Literatur zur
zeitgemäßen Umgeftaltung und Läuterung der alten Lehrweife
zu benutzen fucht, fo zeigt feine ganze Thätigfeit dieſes auf fried-
lihe Bermittelung der beiden ſich befämpfenden Gegenſätze ge:
richtete Beftreben, Weit entfernt, dem Humanismus in den
Weg treten zu wollen, erfcheint er fogar, fobald verfelbe in
einem friedlichen Gewande auftritt und nicht jene fehonungslofe
Bitterfeit gegen die Scholaftif zeigt, als fein wohlmollendfter
Beförderer. Er erbietet fih zur Hülfe, als Maternus Gefahr
2) Vorzüglich deshalb, weil er noch fo viel auf deutfche Sprache und
Literatur hielt, war Mutian fo fehr gegen ihn eingenommen, wie fi) aus
manchen Aeußerungen in den Briefen des legtern ergiebt.
2) Als er von feiner Reife, auf der er den Churfürften Friedrich den
Weiſen zur Wahl und Krönung Karl’s V begleitet hatte, nach Wittenberg
zjurückkehrte, hielt er eine Borlefung über die Art und Weife der Wahl des
zömifchen Königs (Practicam et modum eligendi Romanorum Regem).
— 42 —
für die junge, von ihm geleitete Poetenſchaar beforgte !), Er
findet Gefallen an den vdichterifchen Berfuchen der poetifch ge-
finnten Jugend und überfendet folche wohl dem Mutian zur
Beurtheilung 2). Jünglinge, die ganz entſchieden Der neuen
Richtung huldigten, 3. B. ein Euricius Cordus werden von ihm
in Schuß genommen und zu anfehnlichen Stellungen befördert.
Vol des Lobes find diefe deshalb für ihn. Cordus, deffen ſcharfe
Feder feinen Gegner der neuen Richtung verfchonte, preifet ihn
in zahlreichen Epigrammen, ex vergleicht feine Ruͤckkehr nad Er⸗
furt nach Beendigung der ftädtifchen Wirren mit dem feierlichen
Einzuge des Eicero 3), Eoban, der eiftigfte aus der jungen
Dichterſchaar, die ſich bald in Erfurt fammelte, feiert ihn in
den Ausprüden der größten Ehrfurdt *). Und fürwahr, der
Mann hatte gegründeten Anfpruch auf Anerkennung von diefer
Seite, der durch feinen letzten Willen einen großen Theil feines
Vermögens einer Genoſſenſchaft zumandte, die man als bie
vorzüglichite Befchüßerin der neuen Richtung anfehen durfte).
ı) Dal. den Brief des Mutian an Urban. F. M. B. f. 204. b.
2) Bol. W.E. Tentzelii Supplementum historiae Gothanae primum
(Jenae 1701) p. 56.
2) „Sic aberat moestae proscriptus Tullius urbi
Sic rediit, plus est, quam fuit ante, decus.
Bol. Euricii Cordi Simesusii Germani, Poetae lepidissimi opera poe-
tica omnia. 8° s. 1. et a. — p. 100. Mit Preis gedenft er feiner auch
p. 102. 125. @uricius wurde durch die DBermittelung des Goede Lehrer
an der Domfchule.
4) Primus ad Henningum (bifida ut quem jura Monarcham
Observent) referendus honor, qui (sicut habundans
Fons scatet et rivos producit) fonte perhenni
Spargit in aeternos Causarum saemina rivos
Cujus ad Istricolas nuper facundia Dacos
Venit et externas virtus legalior urbes.‘“
De laudibus Gymnasii lit. Erph. C. 1. a.
8) Goede vermachte bei feinem Tode (1581) der philofophifchen Facultät
in Erfurt, die Damals ganz von der humaniftifchen Richtung beherrfcht war,
ein Geſchenk von 1000 Gulden. — Kirchliche und politifche Barteifucht haben
— 3 —
V.
Reben Goede glänzte eine Reihe von Jahren als Lehrer
in der philojophifhen und theologischen Facultät Jodocus Truts
vetter aus Eifenach !). Er führte zur Auszeichnung vorzugs-
weile den Ramen Doctor Erfordiensis. Schon daraus erhellt,
wie bedeutend die Stellung war, die er an der Univerfität ein⸗
nahm, Der Ruhm feiner Gelehrfamfeit war fo groß, daß jeder
Wivderfpruch vor ihre jchwinden zu müflen fchien 2). Auch in
der Ferne war fein Name berühmt und angefehen; wir finden,
daß fich Albrecht Dürer um feine Freundfchaft bewirbt °). Er
war auch unter denen, die Friedrich der Weife zu Zierden fei-
ner neuen Univerfität auserſah — ein Beweis, daß er auch zu
den Aufgeflärtern feiner Zeit gerechnet wurde, 1507 bekleidete
er in Wittenberg das Rectorat und lehrte dann daſelbſt noch
mehrere Jahre mit vielem Beifall, bis er etwa um das Jahr 1513
nach Erfurt zurüdfehrte *).
in gleicher Weife das Bild diefes Mannes entftellt.e Während einerfeits
Melanchthon wegen des Mißfallens, das Goede über die Intherifche Bewe⸗
gung an den Tag legte, fi zu einem unbilligen Urtheile über ihn verleiten
läßt (vgl. Corp. reform. I. 393), kann ihm andrerfeits der eifria katho⸗
lifche Guden die feindliche Haltung, die er bei jenen ſtädtiſchen Irrungen
gegen Mainz bewies, nicht verzeihen und ftellt feine Thätigfeit im fchwärze-
ſten Lichte dar; vgl. Guden Hist. Erf. p. 185. 194. 213.
’) 1476 immatriculirt wurde er 1484 Magifter der freien Künfte, 1505
Doctor der Theologie; unter feinem Rectorat 1501 wurde Luther immatriculirt.
2) Bartholomäus Tertoris widmet ihm Die zweite Ausgabe feines Con⸗
felfionales und gibt ald Grund an: ‚‚Deterrebit nasutos, scio veluti
eneum tormentum in ipso statim limine positum minaciter, nomen
tuum tam celebre.‘“
2) Bol. den Brief Chriſtoph Scheurl’s an Trutvetter d. d. 1. April 1517
bei $. von Soden: Chriſtoph Scheurl der Zweite. Nürnberg 1837, p. 26.
Eben jener Scheurl war einer der verirauteften Freunde Trutvetter's, wie
denn bei beiden fich auch die nämliche Geſiunung in Bezug auf die huma-
niſtiſche Richtung Tundgibt.
4) Der anonyme gleichzeitige Berfafler feiner vita in der Centuria
scriptorum insign. in Acad. Lips. Wittenb. et F'rcf. a Madero edita
— 44 —
Trutvetter war als Schriftfteller fehr fruchtbar: über Dia-
lectit, Logik und Phyſik hat er umfangreiche Werke gefchrieben 1).
Ueberficht man diefe, fo überzeugt man fich fehr bald, daß der
Verfaſſer, wenn auch der Secte der „Modernen“ zugethan,
im Wefentlichen bei der hergebrachten Lehrweiſe verharrt. Da
fehren die alten Begriffsbeftimmungen und Eintheilungen, die
oft gehörten Einwürfe und Widerlegungen, felbft die herkömm⸗
lichen Beifpiele wieder. Demungeachtet bewegt Trutvetter fich
nicht gedanfenlos und ohne freiern Gefichtspunft auf den her⸗
fümmlichen Pfaden, wie die Meifter feiner Zeit. Vorfichtig zwar,
aber doch freimüthig genug, tritt er nicht felten, namentlich in
feinen Schriften über Phyſik den herrichenden Vorurtheilen ents
gegen, fucht irrige Anfichten zu widerlegen, ven überhand neh
menden Wunderglauben zu befeitigen und eine freiere wiſſen⸗
Schaftlihe Richtung anzubahnen. Er ift derfelbe Lehrer, von
dem Luther die Vorfchrift erhielt, nur die canonifchen Bücher
der heiligen Schrift gläubig aufzunehmen. Luther hielt ſelbſt
um jene Zeit noch viel auf Trutvetter's Urtheil, als er ſich
bereit8 daran gewöhnt hatte, den Ariftoteled al8 einen „Ihoren“
zu bezeichnen ?). Denn mit nichten hatte der Doctor Erfordiensis
feine Studien auf Ariftotele8 und die üblichen fcholaftifchen Auto⸗
ritäten eingefchränft. Seine Schriften zeugen vielmehr von einer
nahen Befanntfchaft mit den Blaffifern und andern außer dem
(16690) nedenft der Berufung mit folgenden Worten: „Hic denique ob vitae
et doctrinae suae famam ab Saxoniae ducibus accersitus ab iisdem
Wittenbergam ob novae ibidem nuper fundatae Universitatis corro-
borationem et collustrationem mittitur. Zur Zeit, ale der Verfaſſer dieſes
fihrieb (1514), war Trutvetter bereits wieder nach Erfurt zurüdgefehrt.
ı) Seine Epitome seu breviarium logice (Erf. 1507), die Epitome
seu breviarium Dialectice (zweite Aufl. Erf. 1518) und die zweite Auflage
feiner Summa totius philosophiae naturalis (Erf. 1318) befinden fich auf
der Stadtbibliothek in Erfurt. Die lebtere Schrift ift bei weitem die wich-
tigſte; Melanchthon gedenft in fpätern Jahren feines Breviarium dialec-
ticum in Ehren.
2) Luther an Lange. De Wette 1. c. I, 16.
— 5 —
Bereich der Scholaftif ſtehenden Schriftftellern, mit Plutarch,
Herodot, Seneca und Plinius, mit Petrarca, Gerfon, Mirandola
u. A. Eben in diefen fah er — offenbar dem Einfluffe der
neuen Richtung nachgebend — das geeignetfte Mittel, den ftarren
Kormen der Schule neues Leben mitzutheilen. Empfänglich für
die Schönheit der claffifhen Formen liebt er es, feine Werke
mit kleineren Gedichten der neuen Poeten zu zieren, und nicht
verfagen ihm die Sibutus, Marfchalf, Eoban ihre empfehlenden
Epigramme 1). Und fo wenig er fich hier, troß feiner Anhäng-
fichfeit an das Alte, ald Verächter der neuen Studien zeigt,
fo wenig erfcheint er auch im Leben ihren Befennern abhold.
Jünglinge, die mit den neuern Ideen vertraut find, fuchen fich
dem gefeierten Lehrer zu nähern und beeifern fich feinen Ruhm
zur Anerkennung zu bringen. Eoban umgibt ihn fogar mit dem
ganzen Zauber der claffifchen Formen, indem er ihn preifet ale
„ven großen Herold der göttlichen Eigenfchaften, glänzend unter
den Repnern wie Phoebus unter den Geftirnen ?),*
Aehnlich war die Stellung und Wirkffamfeit des Bartholor
maus Arnoldi von Ufingen. Es verdient Beachtung, daß gerade
die in Rede ſtehenden Männer in nahem und einflußreichen
Berhältniffe zu der Entwidelung und Bildung des wichtigften
Mannes der Folgezeit erfcheinen. Vorzugsweiſe unter Goede's
Zeitung lag Luther in Erfurt den juriftifchen Studien ob, wäh.
rend er in Tirutvetter einen wohlmollenden Führer für feine
pbilofophifchen Studien fand 3). Inniger noch war das Ber-
hältniß, in dem er zu Ufingen ftand, mit dem ihn außer den
gemeinfamen Studien auch noch der Aufenthalt in demfelben
Klofter verband. Ufingen gehörte dem Orden der Auguftiner an
und befleidete zugleich das Amt eines Lehrers in der philofophis
1) Seine Logik wird bevorwortet duch ein empfehlendes Epigramm
des Marfchalf, feine Dialectik durch Sibutus, feine Phyſik dur Eoban.
2) Bgl. Eoban De laudibus Gymn. lit. Erph. A. 4. b.
2) Bol. K. Zürgens: Luther von feiner Geburt bis zum Ablaßſtreite I, 443.
— 46 —
fhen Facultät, in der er nächft Trutvetter das meifte Anjehen
genoß. Als Schriftfteller entwidelte er eine noch regere Thätige
feit, als jener; er verfaßte dialectifche, Togijche, phyſiſche und
grammatifche Schriften, zu denen in fpäterer Zeit auch noch
zahlreiche theologifche Famen ?). Jedermann bewunderte feine
außerordentlichen Kenntnifje 2), und namentlich war die Jugend
ihm mit großer Liebe zugethan. Auf Luther hatte ex einen fo
wohlthuenden Eindrud gemacht, daß diefer ihm noch von Witten-
berg aus das größte Lob fpendet, und ebenjo finden wir, daß
auch der junge Eoban nach feiner Entfernung von Erfurt mit
unveränderter Anhänglichkeit feiner gedenft ). Daß ein Mann,
zu dem fich befonders die ftrebjame Jugend in dieſer Weife hin-
gezogen fühlte, für den der eifrig poetifch gefinnte Eoban fo große
Perehrung an den Tag legt, auch den neuen wifienfchaftlichen
Deftrebungen nicht abhold geweſen fei, fcheint von felbft einzu-
leuchten. Aber auch bei ihm war der Einfluß derfelben fo groß
nicht, daß er ed gewagt hätte, fich von den alten Yormen des
Wiſſens zu emancipiren. Ein Blid auf feine zahlreichen Schriften
ı) Ein ziemlich vollftändiges Berzeichniß feiner Schriften nebſt einer
panegyrifchen Darftellung feines Lebens findet fi in Höhn's Chronologia
Provinciae Rheno-Suevicae Ordinis F.F. Eremitarum S.P. Augustini.
p. 166 ff. Zu vergleichen ift auch Motfchmann 5. Fortſ. p. 397.
3) Soban fagt von ihm in dem Preisgedichte auf die Univerfttät:
Et decus et nostrae specimen, laus, fama pälestrae
Vivida cui multum debet Dialectica. Cujus
Ingenio Chrysippe tui laus caedit acervi
Per te floret honor studii, per te utraque multis
Quae latuit natura patet: Te grata juventus
Grata senectus colit, stupet, admiratur amatque.
l.c A. 4b.
2) Luther fpricht fich in einem Briefe an Leiffer 1516 fehr vortheilhaft
über Ufingen aus. De Wette I. 18. — Coban ſchreibt 1510 aus Rieſen⸗
burg an feinen Freund Plab unter Anderm: Saluta praestantissimum et
doctissimum Bartholomaeum Usingen meo nomine terque quaterque.
Pol. die 1543 von Donconites herausgegebene Sammlung der Briefe Eobans:
Helii Eobani Hessi poetae excellentiss. et amicorum ipsius epistola-
rum familiarium libri XI. — p. 12.
— 41 —
genügt, um zu der Veberzeugung zu gelangen, daß er ebenjo
wie Trutvetter, ja in noch höherem Grade, als diejer, im Wefent-
lichen auf dem alten Stanppunfte verhartte. Sehr begeichnend
ift die Art und Weife, wie er dennoch der neuen Richtung genug
zu thun ſuchte. Da feßt er wohl jeiner Logik eine horazifche
Sentenz ald Motto vor, um wenigſtens fo feine Achtung vor
den Alten fund zu geben. In feiner „zum Lobe Gottes und
zum Frommen der gelehrten Republif* verfaßten Erklärung des
Donatus !) fpricht er viel von den Vorzügen der claſſiſchen
Literatur, er ift mit der Behauptung einverftanden, daß alle
Sprachen außer der lateinifchen und griechifchen barbarifch feien.
In Diefem Sinne führt er auch bei jeder, oft auch ohne jede
Gelegenheit griechifche und xömifche Autoren an, die er viel
und fleißig gelefen hat, den Plinius, Cicero, Birgil, Ovid,
Plautus u. A. 2) Aber bei diefer Außerlichen Anerkennung der
Alten bleibt ex ſtehen, einen tiefer greifenden Einfluß gewinnt
ihr Studium bei ihm nicht. Eben jene Abhandlung über den
Donatus, die die größte Belefenheit in der alten Literatur vers
räth und gerade zur Beförderung der claſſiſchen Ausdrucksweiſe
dienen fol, ift in einer barbarifchen Sprache gejchrieben.
VI.
Und in dieſer Weiſe glaubten die genannten drei Gelehrten
und mit ihnen mehr oder weniger alle, welche damals zu einiger,
uns wahrnehmbarer Bedeutung an der Univerſität gelangten,
dem neuen wiſſenſchaftlichen Princip genugzuthun. Gering
1) Interpretatio donati minoris scholastice exponens diffinitiones
octo partium orationis cum accentibus earumdum in studio Erphur-
diensi per magistrum Bartholomaeum de Usingen collecta et revisa
ad Dei laudem et reipublicae litterariae profectum.“ 4°. (Am Ende
Erf. 1513); natürlich ift diefe Schrift für unfern Zweck die wichtigfte.
2) Bezeichnend iſt es auch, daß unter den Neuern befonders Laurentius
und Georgius Valla feine Aufmerffamkeit verdienen.
— 48 —
genug waren doch die Conceſſionen, die man ihm machte und
bei Einigen kaum mehr, als die äußerlichſte Anerkennung, bei
der das alte Syſtem vollkommen ſeine Rechnung fand. Man
las wohl Livius, Virgil, Terenz, lag aber daneben unbeirrt
durch ſie den hergebrachten ſcholaſtiſchen Studien ob und bediente
ſich — wenigſtens bei den Meiſten war dies der Fall — nach
wie vor in den Schriften der hergebrachten barbariſchen Aus⸗
drucksweiſe, ſchon zufrieden, wenn man hier und da einen antiken
oder doch antififirenden Vers zur poetiſchen Decoration beige-
fügt hatte. Aber fchon viel war ed, daß man überhaupt auf
das Neue nur eingegangen war und bedeutfam mußte Dies
für die Zufunft werden. Denn mochte ſich auch der neue Geift,
nicht zufrieden geftelt durch jene ſchwachen Zuftänpnifle, zu
entjchiedenem Angriffe erheben, fo ließ fih doch voraugjehen,
daß jene fchroffe PBarteiftelung, die der Kampf zwifchen Hu⸗
manismus und Scholaftif überall hervorgerufen, da nicht auf
fommen werde, wo Alle und felbft die, welche durch ihre Stell
‚ung zu Berfechtern des Herföümmlichen beftimmt waren, eine
gewiſſe Berechtigung der neuen Ideen anerkannten, voraudges
fett auch, — und die Folgezeit lehrt dies — daß fie auf dem
einmal eingenommenen Standpunfte verharrten. Ob das neue
PBrineip, das nur zu beftimmt mit dem Anſpruche auf unbe-
dingte Herrfchaft auftrat, fich durdy jenen Tribut, den man ihm
in Erfurt zollte, durch das ängftliche Antikifiren befriedigen
laſſe, war eine Frage, die nicht lange zweifelhaft bleiben fonnte.
Durfte man hoffen, daß die für alles Reue fo empfäng-
fiche jüngere Generation, nicht mehr als die ältere, der die
genannten Männer ſämmtlich angehörten, durch die Schönheit
der antiken Formen angezogen, ebenfo mit jenen jchwachen
Anfängen fich begnügen würde?
Der Erfolg zeigte, daß dies nicht der Fall war.
— 9 —
Bweites Kapitel. Die Pocten.
„Hic soror intonsi nata est pulcherrima Phoebi
Geraque mutato vocater nomine Triton.“
Eobamus.
L
Bon der größten Wichtigkeit war es für den Fortgang
der neuen Entwidelung, daß felbft aus der Altern Generation,
unter den Lehrern, zwei Männer hervortraten, die, unbefriedigt
durch das Verfahren ihrer Genoſſen, zu einer entfchiedenen
Huldigung der neuen Ideen übergingen: Maternus Piftoris
und Nicolaus Marichalf.
Es gibt unter den Vertretern der Neuerung Feine anzie⸗
hendere Berfönlichkeit al8 die des Maternus Piftoris aus Ing-
weiler 2). Seit dem Jahre 1488 Hatte er in Erfurt ald Mit
glied des großen Eollegiums den Wiffenfchaften obgelegen,
vorzugsweife unter Anleitung des Trutvetter, defien Ruhm fich
eben damals zu verbreiten begann, bis er im Jahre 1494 nad
erlangter Magifterwürde neben venfelben als Lehrer in der
philofophifchen Facultät trat, Die Schönheiten ver claffifchen
Literatur, in die ihm bei ver antififirenden Methode feiner
Lehrer Hier und da, wenn auch nur aus der Ferne, ein Blid
geftattet wurde, übten einen zu unwibderftehlichen Reiz auf ihn
aus, als daß er ihren Spuren nicht hätte weiter nachgehen
folen. Da mußte er aber fehr bald die Erfahrung machen,
mit wie großen Schwierigkeiten dies verfnüpft fei. Bei feinen
Lehrern, die einen ſolchen Erfolg nicht beabfichtigt Haben mochten,
fand er wenig Unterſtützung. Selbſt das Unentbehrlichſte, die
Werfe der Alten felbft, fanden ihm nicht in gemwünfchter Weife
zu Gebote, Diefe fih zu erwerben, ließ er ſich Feine Mühe
1) Auch Piſtorius, Piſtorienſis gefchrieben. Sein Geburtsort liegt im
Bisſthum Straßburg, das Geburtsjahr iſt unbekannt.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 4
— DD —
noch often verdrießen. So fam er allmählig in den Befitz
der gefchäßteften Werke der Alten?). Im ihnen nun fand er
was er in den herfümmlichen logifchen und dialectifchen Schul-
büchern vergebens geſucht, und je länger er ſich mit ihnen
befchäftigie, defto empfänglicher wurde er für ihre Borzüge,
defto mehr leuchtete ihm die Nothwendigkeit ein, zu dem Vor⸗
bilde der Alten zurüdzufehren. Er felbft fing an, die zierliche
Darftelung, die Eleganz ver fprachlicden Formen im Gegenfat
zu der jchofaftifchen Ausprudsweije fi anzueignen. Was er
aber felbft gelernt, das ſuchte er auch Andern mitzutheilen.
Dazu mußten ihm feine Vorlejungen dienen, welche fich bald
auffallend genug von den übrigen an der Univerfirät gehaltenen
unterſchieden. Begnügten fich feine Amtsgenoſſen mit einer
blo8 äußerlihen Anerfennung der Alten, mit rühmlichen Er-
wähnungen verfelben und Eitationen von Ausfprüchen einzelner
ihrer Dichter, jo machte Maternus ihre Werfe ausichließlich
zum Gegenftand feiner Borträge; er erflärte fie für Das geeig-
netfte und vorzüglichfte Bildungsmittel. Indeß mild, wohl-
wollend, befcheiden wie überhaupt, erjcheint er auch in feinem
Streben zur Beförderung der antifen Studien. Durch feine
Leidenichaft wurde dasſelbe getrübt 2). Jene maßlofe Bitterfeit
gegen vie herfümmlihe Schulgelehrfamfeit, die uns nur zu
häufig bei ten Befennern der neuen Richtung mißfällt, blieb
ihm fremd. Gewiß haben die anerfennungswerthen, wenn auch
ungenügenden Bemühungen, den neu auffommenden Studien
genugzuthun, welche er in feiner Umgebung bei den Vertretern
der alten Richtung wahrnahm und durch die er felbft die erfte
— — — — — —
1) Sogar Mutian, ſelbſt Befiger einer vorzüglichen Bibliothek, beneidet
Maternus um feine reiche Sammlung von claſſiſchen Werken.
2) Auch war fein Streben nicht, als Schriftfieller im Sinne ber neuen
Richtung zu glänzen. Wir haben nur eine Schrift von ihm, die er aber
nicht verfaßt, fondern nur herausgegeben und mit einer Einleitung verfehen
hat: Declamatio lepidissima ebriosi, scortatoris, aleatoris de vitiosi-
tate disceptantium, condita a Philippo Beroaldo. Erph. 1501.
— 51 —
Anregung empfangen, nicht wenig dazu beigetragen, ihn in
feiner friedfertigen, gemäßigten Haltung zu beſtärken. Diefe
hat er fein ganzes Leben hindurch bewahrt, und fie gewann
ihm die Achtung und Liebe aller Barteien. Wie Tettelbach,
Ufingen’8 Freund und Gefinnungsgenofie, ihm bereitwillig das
größte Lob fpenidet ?), fo preijet ihn andrerfeitd Eoban, der eifrige
Mufenverehrer, als die vornehmfte Zierde der Univerfität?),
Mutian, der größte Eiferer für den Humanismus, weiß fein
Verdienſt zu fchägen und unterhält mit ihm das freundlichfte
Verhaͤltniß ®), und noch in fpäteren Jahren gedenkt Camerarius
feiner in der anerfennenpften Weife +). Wohl tadellos muß
der Character, verdienftlich die Wirkſamkeit des Mannes geweſen
fein, dem es gelungen if, was wenigen in jenem leivenfchaft-
lich bewegten Zeitalter, ruhig und unangefocdhten durch das
Leben zu gehen).
Einen Gefinnungsgenofien und treuen Mithelfer fand
Maternus in dem etwas jüngeren Nicolaus Marſchalk aus
Roßla in Thüringen‘). Ungefähr gleichzeitig mit erflerem
— — —— — — — —
+) In der Vorrede zu feinen Rectoratsverzeichnifien gedenkt er des
Maternus mit folgenden Worten: Maternus pistoriensis artium et philo-
sophiae interpres excellentis doctrinae et bonitatis tunc facultatis
artium decanus commendatissimus. ©. U. M. ad a. 1504. Noch zwei:
mal befleidete M. außerdem das Decanat, nämlich 1511 und 1518, zweimal
war er Rector 1516 und 1587.
2) « Mereris
Ferre prior palmas parte hac Materne priores
Orator vatesque simul Pistorie.
Bol. Eoban De laudib. Gymnas. lit. Erph. A 4 b.
2) Bol. Tentzel 1.c. p. 35, 41, 97. M. B. F. f. 6a.
*) Narratio de Hel. Eobano Hesso comprehendens mentionem de
oempluribus illius aetatis doctis et eruditis viris composita 2 Jonch.
Camerario Pabeberg. Norimb. 1553. co 3b.
5) Höchftens fönnte man in der Stelle des Nichts verfchonenden Cor⸗
bus Opp. p. 170 eine übele Anfpielung auf den Maternus finden.
6°) Geb. 1470 aus einer alten adeligen Familie. Den Beinamen Thu-
rius führte er von feinem Baterlande, nicht aber von Herodot. Er wurde
48
— 59 —
hatte diefer feine Studien in Erfurt begonnen, die außer den
üblichen philofophifchen Disciplinen auch die Rechtswiſſenſchaft
umfaßten. Die Fortfchritte, welche er in der letztern machte,
waren fo groß, daß ihm fchon nach einigen Jahren ein anfehn-
liches fRädtifches Amt übertragen wurde. Diefes hielt ihn jedoch
nicht ab, auch noch ale Lehrer an der Univerfität thätig zu
fein und das Unternehmen des Maternus zu unterftügen. Auch
für ihn war in ähnlicher Weife die antikifirende Richtung feiner
Lehrer Anlaß geworden zu einer ernfleren Befchäftigung mit
den Alten, und noch entfchiedener, als bei feinem finnigen
Freunde, trat der Einfluß verfelben bei ihm hervor. Seine
zierlichen Iateinifchen Verſe verjchafften. ihm bald in weitern
Kreiſen Ruf und den Namen des thüringifchen Poeten ’). Ber
dienter noch war der Ruhm, den er wegen feiner mit vieler
Mühe erworbenen Kenntniß der griehiichen Sprache genoß, die
ihn vor den Meiften feiner Zeitgenofien augzeichnete. Ihm ver-
dankt Erfurt ven Ruhm, jchon 1501 ein griechifches Buch zum
Druck befördert zu Haben, „was niemald vordem in Deutfch-
land gejchehen“ 2). Indeß befchränfte fich bei Marſchalk das
in Erfurt Baccalaureus der Rechte und Magifter; legteres 1496. Kurz nad
diefer Zeit fcheint er das Amt eines Secretarius senatus erhalten zu haben.
1) Thurius poeta nennt ihn gewöhnlich der mit fehr befreundete Mu:
tian. Noch größeres Lob fpendet ihm Sibutus. der ihm anrebdet:
‚„Thuria victrices vidit pinguissima lauros
Testis appollinea sit tua musa cheli.
Nam vel succinctos tornato pollice versus
Aut calami nectent verba soluta tui
Urbanus cultus. suavis, tersus cumulatus
Et varia dives arte poeta nites.‘“
Bel. De divi Maximiliani Caesaris adventu in Coloniam. Georgii
Sibuti Daripini Poetae Laur. Panegyricus s. l.eta. E.1a Bir
fennen noch einzelne dichter. Berfuche Bes Marfchalf, namentlich fein Car-
men de diva Anna und De moribus Archigrammateorum in einer 1501
zu Erfurt erfchienenen Sammlung von alten und neuen lateinifchen Gedichten.
3) Nämlich: Prisciani Caesariensis Grammaticorum facile principis
negı oovrokens. 4%. Mit nicht ungegründeter Ruhmredigfeit wird am
— 53 —
Studium der Alten nicht auf die ſprachliche Seite. Ein Mann
von vielſeitiger Bildung, der durch anhaltenden Fleiß in den
Befitz von umfangreichen Kenntniſſen in den verſchiedenſten
Zweigen des Wiſſens gelangt war, fühlte er überall das Be⸗
dürfniß einer Reform nach dem Muſter der Alten. Davon
legen alle ſeine Schriften, die zahlreich genug ſind und den
verſchiedenſten Kächern angehören, Zeugniß ab. Ueberall ſchwebt
ihm das Vorbild der Alten vor Augen!). Unterſcheidet ihn
nun dies ſchon von Maternus, bei dem die ſprachliche Richtung
vorherrſchend war, ſo bildet auch ſein vielbewegtes Leben einen
Gegenſatz zu der ruhigen, gereuſchloſen Thätigkeit feines Freun⸗
des, den feine Neigung für immer an Erfurt feſſelte. Marſchalk
verließ ſchon 1502 die Stadt und wandte ſich nach der neuen
Univerfität Wittenberg ?), wo fein, damals fchon weit verbreis
teter Ruhm jelbft das fürftliche Brüderpaar in feine Vorlefuns
gen 309. Dann finden wir ihn am Hofe des Ehurfürften von
Brandenburg, der fich vergeblich bemühte, ihn durch glänzende
Verfprechungen für die eben gegründete Univerfität Frankfurt
zu gewinnen. Endlich fchlug er in Roftod feinen bleibenden
Wohnfig auf und gab Hier durch fein Auftreten an der Unis
verfität Den Ausfchlag für den Sieg der humaniftiichen Richt
ung. Allein troß der großen Berjchiedenheit, welche zwijchen
— — — —— —
Schluſſe beigefügt: „„Habes en candide lector Prisciani duo de Con-
structione volumina: Graecis literis: id quod ia Germania nunquam
antea contigit.‘“ Nach Banzer Annal. typograph. VI, 493 ift dies wirk⸗
li der ältefte griechifche Drud in Deutfchland.
I) Seine Schriften findet man aufgeführt bei Erhard 1. c. II, 414,
womit zu vergl. Schelhorn Amoenit. Franff. und Leipzig 1725. IE, 434.
Eine gediegene Würdigung ber fchriftitellerifchen Leiftungen des Marfchalt
bei Krabbe 1. c. p. 281. Am wichtigfien find feine Annales Herulorum
ac Vaudalorum (Rostoch. 1581. fol.), wodurch er auch unter den durch
das neue wifienfchaftliche Leben angeregten Hiftorifern einen anjehnlichen
Rang einnimmt. | |
2) Er ift unter den erfien in Wittenberg Immateifulirten. Foerflemann
Album academiae Vitebergensis p. 1.
— 4 —
Maternus und Marſchalk ſtattfindet, beobachteten beide doch
in Einer Hinſicht eine Übereinftimmende Haltung. Jene Mäßig-
ung, die den Maternus fo vortheilhaft auszeichnete, war aud
dem Marfchalf eigen. Auch dieſer verftand es, jeine Verehrung
für die neuen Alten mit einer gewiffen Pietät gegen die über:
fommene Lehrweife der Väter in Einklang zu bringen und
feineswegs war mit dem Namen eined Poeten, den man ihm
beilegte, auch der poetifhe Dünfel auf ihn übergegangen. Ein
eifriger und thätiger, aber dabei doch ruhiger und friedlicyer
Verehrer der antifen Studien ftellte er fih dem Maternus als
würdiger Genoffe zur Seite: das innigfte Freundfchaftsver-
hältniß verfnüpfte beide 1). —
Der Gegenſatz, den vieje beiden Männer zu ihrer Umge:
bung bildeten, mußte bald gefühlt werden. Ging auch bei Feinent
die Begeifterung für die neue Richtung in Verachtung des
Herfommens über, es war Doch offenbar, daß fie nicht mehr
innerhalb des Kreifes der Anfichten ftanden, welche die Schule
beherrfchten. Sie hatten den Schritt, zu dem einft Publicius
aufgefordert, Fühnlicy gewagt, während die Uebrigen ihn ängft-
Tih zu vermeiden fuchten: Roh war Ruhm, Anfehen und
Bedeutung auf Seite der lebteren. Indeß alled died gewannen
unfere beiden Freunde in Furzer Zeit als Führer und Leiter
einer zahlreichen, ftrebfamen Juͤnglingsſchaar.
I.
Der Reiz, von dem überhaupt neue Entwickelungen begleitet
ſind, hat von jeher vorzugsweiſe und zunächſt auf die Jugend
gewirkt. Leicht läßt ſich dieſe dem Alten entfremden, dunkele
Ahnungen, unbeſtimmte Nachrichten von einem Neuen, das
1) Ein anmuthiges Bild von dem Charakter und der Thätigkeit des
Marſchalk gibt auch Hutten in der neunten Elegie des zweiten Buches feiner
Klagen. Münd. Opp. Hutt. I, 41.
— 55 —
irgendwo aufgetaucht, waren oft genug dazu hinreichend, ja
nicht ſelten waren gerade fie am wirkſamſten. Der Humanid-
mus durfte um fo mehr auf eine günftige Aufnahme bei ver
jüngern Generation rechnen, da er nicht nur ihren Blick in
ferne, eigentkümlich ſchöne Zeiten lenkte und dadurch ihrer
Phantafie einen geeigneten Spielraum bot, ſondern auch duch
die Ausficht auf Emancipation von den Sabungen der Schule,
welche er eröffnete, ihrem Unabhängigfeitsfinn fchmeichelte.
Spuren einer Einwirfung der humaniſtiſchen Ideen auf
die Haltung der Studirenden laſſen fi in Erfurt fchon früß-
zeitig wahrnehmen. Und wie hätte die Jugend nicht von ihnen
berührt werben follen, da felbft die Aelteren ſich nicht gegen
fie zu verfchließen vermochten und durch ihre antikifirende Lehr⸗
weiſe nothwendig bei ihren Schülern eine Sehnſucht nad) den
von ihnen mit einer gewiflen Zurüdhaltung gezeigten Alten
erweden mußten. Bedeutend wurde indeß der Einfluß der
neuen Literatur erſt feit der Zeit, wo fie unter den Lehrern
felbR in Maternus und Marfchalf zwei entjchievene Bertreter
erhielt.
In ihnen fanden nicht nur die vereinzelt auftauchenden
Bumaniftifhen Regnngen ihren Sammels und Mittelpunkt,
fondern beide zeigten fich auch fofort entjchloffen, ihren ganzen
Einfluß zur Verbreitung der neuen Studien zu verwenden. “Da
fam nun dem Maternus vor allem feine liebenswürdige Per:
fönlichfeit zu Statten. Sein anfpruchslofed Benehmen, in dem
ſich überall das größte Wohlwollen ausfprach, flößte der Jugend
Bertrauen ein. Unwillkuͤhrlich fühlte ſich diefe zu einem Lehrer
Bingezogen; von dem fie glaubte, daß er ihr ein Herz entgegen:
trage, das empfänglich für ihre Wünfche und Bepürfniffe fei.
In der gefchicteften Weife mußte Maternus diefes Verhältniß
zu benuben, um den Samen bed Schönen: in die jugendlichen
Gemüther auszuftreuen. Im. freundlichen Gefprächen wies er
bin auf die Schönen Mufter der Alten, gab den fih ihm N
hernden wohl das Werf eines alten Dichters in die Hand und
— 56 —
ſuchte unter ihnen Sinn für die Vorzüge desſelben zu erwecken.
Seine Worte fielen auf keinen unfruchtbaren Boden. Einer
der erſten, die ſich durch ihn für die neue Richtung gewinnen
ließen, war der junge Johannes Jäger aus Dornheim, der ſich
bereit8 einige Zeit auf den herfümmlichen Pfaden der Scho⸗
faftif bewegt hatte. Bei Manchen braudte er blos an die
bereitö vorhandene Neigung anzufnüpfen, wie bei Heinrich und
Peter Eberbach, den Söhnen jened Georg Eberbach, die [don
durch ihren Bater in die humaniftifche Strömung des Zeit-
alters eingeführt waren. Seine amtliche Stellung verlieh feiner
Thätigkeit größere Bedeutung. Daß ein Mann, der zu den
angefebenften Lehrern der Univerfität gehörte, fich fo entfchieden
der neuen Richtung annahm, und fie in feinen Borlefungen
laut und unummunden verfündete, erwarb diefer auch unter
den Berächtigeren Anhänger. Maternus fah allmählig einen
anjehnlichen Schülerfreis um fich verfammelt. Dem genannten
Jäger und den beiden Eberbah fchloß fich bald ein anderes
Brüderpaar an, Jacob und Andreas Fuchs, von angefehenem
fränfifchen Adel, die jeit 1496 in Erfurt den Studien oblagen ');
zu ihnen gejellte fih dann ein finniger Süngling, Georg Burk⸗
hard geheißen und aus Spelt gebürtig, der fchon auf der Schule
in Nürnberg die erfte Kunde von dem neuen wiffenfchaftlichen
Leben empfangen hatte. Gleiches Streben vereinigte den Lud⸗
wig Platz aus Melfungen mit ihnen. Johannes Lange und
Herebord von der Marthen aus Erfurt, Hermann Surmwint
aus Eiſenach, Jacob Theodorici aus Horn, den feine Lernbe-
gierde aus den fernen Niederlanden nach Erfurt geführt hatte,
der fonderbare Tilemann Conradi aus Göttingen, Ludwig
— — — — — —
ı) Das innige Freundſchaftsverhältiniß, das namentlich fpäter zwiſchen
Crotus und den beiden Fuchs hervortritt und das nach den Andeutungen
von Hutten (Münd. 1.c. II, 39) und Camerarius (Tertius libellus Epis-
tolarum H. Eobani Hessi, Lips. 1561. S. 8b) bis in die früheften Zeiten
zurüdgeNt, if ohne Zweifel damals begründet worden.
— 57 —
Chriftiani aus Frankenberg u. A. traten hierauf in rafcher
Folge in jenen Kreis ein!). Sie alle verehrten in gleicher
Weile Maternus als ihr geiftiges Oberhaupt. Reben diefem
aber entwidelte Marfchalf eine für das neue Leben nicht mins
der wichtige Thätigfeit. Beruhte das Verdienſt des Maternus
ganz in der perfönlichen Anregung, die er der Jugend gab, fo
ftellte fich ihm fein Freund, als Schriftfteller im Interefle der
neuen Richtung Hülfe leiftend, zur Seite. Durch grammatika⸗
lifche Lehrbücher, welche ex verfaßte, fuchte er den fprachlichen
Studien zu Hülfe zu fommen?), um poetifche Neigungen zu
befriedigen oder zu weden, veranftaltete er Sammlungen aus⸗
gewählter lateinifcher Gedichte, denen er feine eigenen dichterir
chen Verſuche anreihte*). Dabei ftand auch er zu der auf-
firebenden Juͤnglingsſchaar in einem ſehr nahen perjönlichen
Berhältnif, er widmete wohl einem aus ihr eine Sammlung
von Gedichten *); feine Mühe war ihm zu groß, um fie auf ihrem
Wege zu fördern. Um ihr die Werfe der Alten zugänglicher
— — — — —
1) Ludwig Platz und die beiden Eberbach wurden 1497 unter dem
Rectorat des Georg Eberbach immatrifulirt. 1498 folgten Jäger und Burk⸗
hard, von denen fich der eine fpäter Grotus, der andere Spalatin genannt
bat. 1500 wurde immatrifulirt Jacob Theodorici (Geratinus), Hermann
Surwint (Trebelius) und Joh. Lange, 1501 Ludwig Chriſtiani, gleichzeitig
mit ihm Martin. Ludber aus Mangfeld, der fich einzelnen Gliedern unferes
Kreifes näherte, aber demfelben doch nicht eigentlich angehörte.
2) Seine 1501 erfchienene Orthographia führt nicht nur in die elemen-
taren Kenntnifle der lateinifchen, fondern auch der griechifchen Sprache ein;
fie handelt unter anderm: De literis lativis. De literis graecis. De di-
visione literarum latinarum. De divisione literarum graecarum. De
accentibus graecis.
3) 1501 erfchien Die Laus Musarum ex Hesiodi Ascraei Theogonis
nebft Gedichten von Lartantius, Dvid, Aufonius, Baptifta Mantuanus, Po⸗
litian, zu denen er am Ende auch feine eigenen fügt. Die Herausgabe
diefes Werkes hatte Marfchalt dem Spalatin überlafien. 1503 erfchien
Euchiridion Poetarum clarissimorum Nicolai Marscalci Thurii; außer:
dem gab er Epitaphia quaedam mirae vetustatis u. a. heraus.
*) Das Euchiridion Poetarum clariss. it dem Heinrich Eberbach
gewidmet.
— 58 —
zu machen, legte er in ſeiner Wohnung eine eigene Preſſe an,
die vorzugsweiſe dem Dienſte der clafſiſchen Autoren gewidmet
war. Als eine Hauptaufgabe aber ſah er ed an, für die Ver⸗
breitung der Kenntniß der griechifchen Sprache zu wirken. Es
bildete fi) um ihn ein engerer Kreis von Schülern, die er zu
einem ernften Studium jener Sprache anleitete. Unter dieſen
ftand ihm Georg Burkhard am nächften, den er fogar zu fick
in feine Wohnung nahm und auf.deffen Bildung er den wich
tigften Einfluß ausgeübt hat. Außer dieſem genofjen auch. die
beiden Eberbach, Lange und Theodorici jeined nähern Umgan-
ge8 ?) und gelangten dadurch zu jener Bekanntſchaft mit ber
griehifchen Literatur, die ſie vor den Webrigen auszeichnet).
Maternus aber war weit entfernt, auf diefe Beftredungen feines
Freundes und den Einfluß, den derfelbe auf einzelne Jünglinge
feiner Umgebung gewann, eiferfüchtig zu werden. Er war viel
mehr der Erfte, der fein Verdienſt zur Anerfennung brachte. In
zierlichen Epigrammen, die er dem Marfchalk zur Empfehlung
feiner Werfe nicht verfagte, preifet er ihn ald den Führer auf
den neu eröffneten wiflenfchaftlihen Bahnen 3). Nirgends
trübte Eiferfucht das gemeinfame Streben der beiden Freunde.
— — — —
%
1) Daß auch Lange und Theodorici jenem engeren Kreife angehörten,
fchließe ich aus ihrer ungewöhnlichen Kenntnig der gariechifchen Sprache,
bie fie fich nicht wohl anders, als im Umgange mit Marfchalf erivorben
haben Eönnen, obgleich es an beftimmten Anhaltspuuften fehlt.
2) Eoban fagt in dem Kucomium de laudibus Gymn. lit. Erph. über
den Eifer für beide Spradhen:
Nlic viva viget Latiae facundia linguae
Graeca prius post facta Latina novissima nostra est,
Hic est cum docto magnus Cicerone Periches
Et plures alii quos laudat Graeca vetustas.
l.c. A. 4b. Es fcheint indeß nicht, daß das Studium des Griechiſchen
fo allgemein in Erfurt verbreitet ivar, fondern es war wohl auf die Um⸗
gebung des Marfchalf beſchränkt, und erkaltete nach dem Abgange desielben.
° So in den Epigrammen, weiche fi vor der Orthographia N. M.
T. (Erph. 1501) finden.
— 59 —
Unter der ſinnigen Pflege ſolcher Männer zeigte das neue
wiffenfchaftliche Leben in Kurzem eine ungewöhnliche Regfam-
feit. Die Zahl der Verehrer der neuen Alten wuchs faft zufes
hends. Es jchien Die Zeit gekommen zu fein, wo diefe für die
lange Bernachläffigung, die fie erfahren hatten, entjchädigt wer-
den follten. Unwiderſtehlich fühlte fi die Jugend durch die
eigenthHümlichen Schönheiten des fic ihnen allmählig erſchließen⸗
den klaſſiſchen Alterthums angezogen.
IH.
Als Marichalf 1502 Erfurt verließ, um fih nah Witten:
berg zu begeben 1), übernahm Maternus wieder ungetheilt die
Leitung der mit den neuen Speen befreundeten Jünglingsſchaar.
Die größere Einheit, welche dadurch in die wiffenfchaftlichen
Beftrebungen vderfelben gebracht wurde, fprach fich auch bald
in ihrem äußeren Auftreten aus. Unter den jungen Befennern
der neuen Richtung begann ſich allmählig ein nahes und inniges
Berhältniß zu bilden, getragen von der Verehrung für ihren
gemeinfamen Lehrer; die Webereinftimmung in Neigungen, Wün⸗
Ihen und Beftrebungen führte bald zu einer warmen Freund»
(haft unter ihnen. Zugleich fuchten fie fih von den Anhängern
des altern Syſtems, deren Anzahl noch die bei weitem größere
war, abzufondern: fie gewöhnten fich daran, fich jelbft als eine
eigene geichloffene Schule anzufehen. Schon längft war der
Rame Poeten“ für die Neuerer aufgebradht worden. Diefen
eigneten auch fie fi mit Vorliebe an, waren es ja doch unter
den Alten vorzugsweije die Dichter, die fie anzogen und zur Nach⸗
ahmung aufmunterten. Mit dem poetifhen Namen eigneten
— — — — ——
1) Daß er aber auch nach dieſer Zeit mit Erfurt in Verbindung blieb,
zeigt der merkwürdige Brief, den er im April 1505 aus Brandenburg an
Spalatin fchrieb, in dem er noch viele Theilnahme für Erfurt zeigt. Der
Brief findet fi} Rerum Meclenburgicarum libri VII a. M. J. Beehr
Lips. 1741 in der Borrede von Kapp p. 45.
— 0 —
fie fich aber auch fehon etwas von der herausfordernden, übers
müthigen Haltung an, die von diefem Namen unzertrennlich
fhien, und bei dem fteten Zuwachs, den fie erhielten, glaubten
fie fih fchon ftarf genug, um es mit ihren fcholaftifchen Geg⸗
nern aufnehmen zu können. Unter den neuen Bundesgenoffen,
welche fie um diefe Zeit fanden, zeichneten fich namentlich ein
Caspar Schalbus, dann die beiden angefehenen Batrizierjöhne
Georg Sturz aus Annaberg und der noch fehr junge Jodocus
Jonas vor andern aus!). Aller Aufmerkſamkeit lenkte aber
fofort auf fih der feurige Süngling mit lebhaftem Auge, der
im Jahre 1504 anfam; Eoban Hefje nannte er fih und das
heififche Dorf Bodendorf war fein Geburtsort ?); fchon daheim,
auf der Moetenfchule zu Frankenberg, die er 3 Jahre befucht,
hatte er mehr ald einmal Proben feines poetifchen Talentes
abgelegt und von feinem Lehrer Horlaus die Verheißung empfan⸗
gen, daß er das „Licht der Welt” werden würde). In Erfurt
ı) Schalbus wurde 1504 immatrifulirt, Sturz 1505, Jonas, der wahr:
fheinlich urfprünglich Koch geheißen, 1506.
2) Als Eoban Hefius findet er fich 1504 unter dem Nectorat des Tet⸗
telbach in die Matrifel eingetragen, wozu eine fpätere Hand jam rex hin—
zugefügt hat. Ob fein urfprünglicher Name Göbbechen oder Koch gelautet
habe, ift fehwerlicdy noch auszumachen; ebenfo dunkel ift fein Geburtsort;
Micyll in dem Epitaph auf Eoban, das fich vor der bereits angeführten
draconitifchen Brieffammlung findet, gibt Frankenberg als folchen an, Lauze
in feinem Bericht „Bon des erleuchten und hoch begabten Poeten Helii Eobani
Heſſi leben und abflerben“, der fih in feiner Chronik findet (abgedrudt in
der Zeitfchrift des Vereins für hHeffifche Geſchichte 2. Suppl. 2. Theil 1.)
läßt ihn in Habelgehaufen geboren werden, Camerarius endlich entfcheidet
fih für Bodendorf und dies ift das Richtige. Uebrigens iſt das von Ea-
merarius angegebene und allgemein angenonmene Geburtsjahr 1488 nicht
das wahre, da Eoban bereits 1487 geboren ift, was fich aus der Angabe
besfelben Camerarius über das Alter feines Freundes und aus des leptern
Aeußerungen in feinem Briefe an Reuchlin (IIIustr. vir. epp. ad Reuchl.
y. 3 b.) unzweifelhaft ergibt. Die Angaben über das Geburtsjahr in den
Gedichten Eobans widerfprechen fi, da es ihm mehr auf richtige Ders:
bildung, als auf richtige Zeitangabe anfam.
2) Lauze’s Chronik 1.c. p. 4239. Coban fpricht fich felbft über feinen
— 61 —
fand er jegt feine wahre Heimath. In der anmuthigften Weife
ſchildert er felbft den regen wiffenfchaftlihen Eifer und die
dDichterifchen Beftrebungen, die er hier vorgefunden, und wie
ihn Maternus, ald er mit jugendliher Schambaftigfeit nicht
gewagt habe, fich ven Mufen zu nähern, ermunternd in das
Heiligthum derfelben eingeführt und ihn über feinen Beruf zum
Dichter aufgeflärt Habe!). — Man darf indeß nicht glauben,
daß mit dieſen poetifchen Beftrebuugen eine vollftändige Los⸗
fagung von dem alten Syftem erfolgt fei. Eine foldhe lag,
wie wir wiflen, nicht in der Abficht des Maternus, dem man
überall Folge leiftete. Die alten für den herfümmlichen Gefichts-
punft berechneten Borlefungen wurden deshalb nach wie vor
befucht. Eoban rühmt felbft den Eifer, mit dem er Logik und
Dialectif gehört babe, aber weder bei ihm, noch bei einem ber
Uebrigen faßten diefe Wiflenfchaften tiefere Wurzel. Es war
eben nur eine außerliche Accommodation, zu der man fich dem
verehrten Lehrer zu Liebe entfchloß, und die fich überdies dadurch
empfahl, daß fie die Erwerbung der academifchen Ehren ficherte,
poetifchen Drang in frühefter Jugend aus, z. B. in feinen Heroiden, wo
unter Anderm:
Obtulit in triviis quendam fortuna magistrum
Qui numeris certum diceret esse modum
Hunc colui supplex illi tantis per adhaesi
Dum didici certis legibus ire pedes. Farr. I. 135 b.
1) Er gibt diefe höchſt anziehende Schilderung in feinem Vreisgedicht
auf die Univerfität. Nachdem er den Mufencult in Erfurt und fein anfäng-
liches Erftaunen befchrieben, fährt er fort:
Sic ego divinac cupidus (licet inscius) artis
Non potui sancti tetigisse palacia regni
Ecce sed eggressus sacras Pistorius aedes
Affuit et cupidum manibus Maternus amicis
Duxit ad ignotae secreta cubilia sylvae
Et quid has dixit trepidas Eobane puellas,
Quem metuis? Tuus hic amor est; tuus ignis in illis
Neu mihi finge metus. Sic sic Laeander adibat
Seston Abydenus. Phrygiam sic Pyudaris urbem etc.
1.c.A.5b.
— 92 —
welche man doch nicht gern entbehren wollte !). Es wird erzähle,
daß Ceratinus, ald er nach mehrjährigem Aufenthalte in Erfurt
und hier ſchon im Rufe großer Gelehrſamkeit ſtehend in fein
Baterland zurückfehrte, dort bei einex der herfömmlichen fchola-
ftifhen Prüfungen, wie fie der Ordination zum Geiftlicden voran⸗
gingen, durch feine Unfunde das Erftaunen und den Unwillen
der Wrüfenden hervorgerufen habe 2). — Für die trodenen fchos
laftifchen Unterfuhungen war fein Sinn mehr vorhanden, die
barbarifchen Compendien über Logif und Dialectif hatten allen
Keiz für die Jugend verloren, feitdem das claffifche Altertum
mit feinen bezaubernden Kormen ihr erfchlofien war. Das Ber
fireben, die Alten nachzuahmen, fh den Zauber ihrer Formen
anzueignen, machte fie unempfänglich für alles Andere. Es erregt
zumeilen unfer Lächeln, wenn wir fehen, mit welcher Aengftlich-
feit man überall den Spuren der Alten nachgeht, wie die Eoban,
Jäger, Herebord, Trebelius ſich in einem fortwährenden Antifi-
firen von Berfonen und Berhältniffen aus ihrer Nähe gefallen.
Ueberall begegnen wir Anfpielungen auf Mythologie und Ge⸗
fhichte der Griechen und Römer. Man glaubt einen verehrten
Lehrer am würbigften zu preifen, wenn man ihm Namen und
Eigenfchaften eines Weifen des Alterthums beilegt. Da wird
ein Ufingen als Ehryfippus, der gothaifche Canonicus Mutian
als Minog, der gelehrte Trutvetter gar ale Phöbus verherrlicht.
Eoban und Jäger begrüßen fich als Oreſtes und Pylades. Erfurt
wird als Wohnſitz der Muſen befungen ?) und die raufchende
1) Schon ein Blid auf das Berzeichniß der Männer, die in diefen
Jahren in Erfurt die Magifterwürde empfingen, genügt, um Erfurt als bie
Bildungsftätte einer Reihe von Gelehrten zu erfennen, die für die fpätern
Entwicelungen auf dem Gebiete der Wiffenfchaften wie der Religion von
ber größten Wichtigkeit geworden find.
2) Bayle Dictionnaire hist. et crit. II, 112.
2) Hic sacra Teutonici celebrant Heliconia vates
Hic faciles gelidis Musae spaciantur in umbris
Cumque suis placide nectunt sed casta poetis
Brachia et albentes praecingunt flore capillos etc.
De laudib. gym. Erph. A. 5. a.
— 8 —
Gera nebenbei zum Triton gemacht, um die Stadt ein anderes
Mal als Geburtsort der Pallas zu preifen ’). Und indem fo
das claſſiſche Alterthum für Alles Mufter und Vorbild war,
fand man auch bald den bisher geführten Namen anftößig und
fuchte den deutſchen durch einen Inteinifchen oder griechifchen
zu erſetzen. Es koſtete oft viel Mühe und Scharffinn, ehe man
zum Ziele fam. Surwint nannte fih Trebelius, Burkhard
Spalatinus nad) feinem Geburtsort Spelt, Heinrich Eberbach
begnügte fi) mit einer lateinifhen Weberiegung jeined Namens
in Aprobachus, während fein Bruder Peter den claffifcheren
Kamen Betrejus vorzog. Theodorici gelangte nicht ohne Mühe
zu dem Namen Geratinus?), noch mühevoller aber war der Weg,
auf dem Johannes Fäger zu feinem Ziele Fam, indem er fidh
längere Zeit mit dem einfachen lateinischen Benator zufrieden
ftellen mußte, bis er fich fpäter den dornenvollen Namen Brotus
Rubianus ausfindig machte?). Eoban gab fi, um der An-
forderung des Celtes zu genügen, daß ein Dichter drei Namen
haben müfje *), ven prunfvollen Namen Helius Eobanus Heffius.
So verkündete Alles die Herrſchaft der Alten. Es ift fehr
bezeichnend für den Geift, welcher die Univerfität beherrfchte,
daß diefe Beftrebungen der rührigen Poeten nirgendwo Anftoß
erregten. Die ältern Lehrer, die fich ſelbſt ähnlicher Regungen
nicht ganz hatten erwehren fönnen, bejorgten feine Gefahr von
) I. c. A. 3 b.
2) Von xcoceo, der Ueberſezung des Namens feines Geburtsortes (Horn).
3) Als Jäger wurde er immatrifulirt, als Benator Magiſter, als Gro⸗
tus Rubianus Rector. — Bubianus fügte er bei zur Bezeichnung feines
Geburisortes Dornheim, indem er unter Bubus irrig einen Dornſtrauch
verftand. Das Crotus leitete er mahrfcheinlih von xeorem ab. Sein
Wappen, ein Horn (xeges) kann nicht wohl Anlaß zu demfelben gegeben
haben, da es jünger ift, als der Name.
*) Poetas esse trinemines. Ueber den Urfprung des Helius erklärt
ich Coban felbft im eriten Buche feiner sylvae. vgl. Farr. L 20% b. —
Die urfprünglichen Namen eines Cordus, Urbanus find uns völlig unbefannt.
- 4 —
ber neuen Berberrlichung des HeidenthHums !) und ſchienen viel-
mehr Gefallen zu finden an der poetifchen Gefchäftigfeit ver
Jugend, die fich ja gern bereit finden ließ, fie den Weifen der
Griechen und Römer an die Seite zu ftellen. Es iſt bereits
berührt worden, in wie nahem und freundlichen Verhältniffe
Trutvetter, Goede und Ufingen zu der poetifch gefinnten Jüng-
lingsſchaar ftanden. Als deren großmüthigfter Gönner erfcheint
aber der damalige Weihdifchof von Erfurt Johann von Laasphe,
der fogar dem Eoban das Rectorat an der Schule des Severi-
ftifts übertrug?) und fi namentlih die Vergrößerung der
Univerfttätsbibliothef angelegen fein ließ). Bald waren zahl
reihe Buchdrudereien, deren Beſitzer ſchon durch den claffifchen
Namen an den Tag legten, daß fie im Dienfte der neuen Rich⸗
tung ftanden, mit der Vervielfältigung der Werke der Claſſiker
befchäftigt *). So vereinte fich Alles, um das Emporfommten
ı) Wie wenig Die poetifchen Neuerer mit Mißtrauen behandelt wurben,
ergibt fih auch daraus, daß einer aus ihnen, Jacob Fuchs, bereits 1501 an
der Rectorwahl Theil nimmt. — E. U. M.
2) Ihm widmete deshalb Erban das oft angeführte Preisgedicht auf
die Univerfität. In der Widmung fagt er unter Anderm von ibm: „Bo-
narum Jitterarum studia amas ut qui maxime. Rectissimarum artium
studiosos quosque mira humanitate persequeris. Taceo quantis meritis
me politioris literaturae Tyrunculum nondum quadrilustrem jamdudum
accumulaveris, atque ita tibi (quamvis nullis meis meritis) devinxeris
ut si quid ingenii in me, si quid concinnitatis unquam posteritati etiam
commendabile esse videatur id tibi totum me debere agnoscam.‘‘ —
3) Eoban ift unerfhöpflich in dem Lobe der Bibliothek, die er ſogar
über die ptolemäifche feßt. 1. c. A. 4 a.
4) Der buchhändlerifche Verkehr Erfurts um dieſe Zeit ift fehr bedeu⸗
tend. Bine Reihe von Buchdrudern: Echenf, Sartorius, Maler, Stribilita,
Knapp. Buchführer, Golthammer, Sachs, Wolfgang und Gervaflus Stürmer
finden wir im Anfang des 16. Jahrh. in Erfurt thätig. Sie führten faft
alle antife Namen; Wolfgang Schenk, dem wir ſchon am Ausgang bes
15. Jahrhunderts begegnen, nannte fich Lupambulus Ganymedes oder Bo:
eilator, mehr Geſchick in der claffifchen Namenbildung befundet Hans
Knapp, ber ſich Cn. Appius nannte. Wie bei ben Poeten, fo ift es auch
bier bei manchen ſchwer (3. B. bei Stribilita) den urfprünglichen Namen
zu errathen.
— 65 —
der Poeten zu begünftigen. Begeiftert fordert deshalb Eoban
die deutfche Jugend auf, nach Erfurt zu eilen, das durch die
wohlmwollende Aufnahme, die es vor allen übrigen deutſchen
Univerfitäten den Mufen gewähre, den gegründeiften Anfpruch
auf den Danf aller poetifch Gefinnten habe !).
In der That gebührte Erfurt diefer Vorzug. Wie vereins
zelt und wirkungslos blieben nicht ähnliche Verfuche, die neuen
Studien einzuführen, welde um diefe Zeit an den übrigen:
Univerfitäten gemacht wurden? Welch’ ein Gegenfaß zeigt fich
da zwifchen der Behandlung, welche die Boeten in Köln und
Leipzig erfuhren, und dem Anfehen, welches Maternus und
feine Schüler ſchon vorher in Erfurt genofien! Wohl war nicht
ohne Einfluß darauf, daß die Verfünder der neuen Lehre anders
wärtd nicht Die friebfertige und gemäßigte Gefinnung des
Maternus an den Tag legten. Aber auch Erfurt follte bald
Männer fennen lernen, deren Sinnesart mit jener friedlichen
Entwidelung, die wir bisher wahrnahmen, nicht wohl verträg-
lich ſchien.
IV.
Die günftige Aufnahme, welche die neuen Ideen in Erfurt
gefunden und das rege wiffenjchaftliche Xeben, welches fich hier
in Folge derfelben entwidelte, erregte in Kurzem auch in weitern
Freifen Aufmerkſamkeit?). Männer, die der neuen Richtung
befreundet waren, glaubten bier ein geeignetes Feld für ihre
ı) Huc age digne puer primis se confer ab annis
Hic vir eris patrios repetis cum laude penates etc.
De laudibus gymn. Erph. C. 3 a. vgl. A. 3 a-b; A.5 a; B. 4 a und
C. 3 b.
2) Welche Anerkennung das verdienſtliche Streben des Maternus auch
in der Ferne fand, erficht man z. B. aus dem Briefe bes Ulrich Zaſtus an
Thomas Wolf (1506), wo des Maternus in der ehrenvollften Weife gedacht
wird. Er heißt dort: „homo ex asse formatus“; — vgl. Udalrici Zasii
Epistolae ad viros aetatis suae doctissimos. ed. Rieggerus p. 391.
Zampichulte, Univerfität Erfurt. 5
— 6 —
Shätigkeit zu finden. Schon im Jahre 1504 erjchien der den
humaniſtiſchen Studien eifrig ergebene Hieronymus Emfer in
Erfurt). Dur ihn wurde zuerft Reuchlin's Name bier
bekannt, der nachmals für die erfurtifche Schule von fo großer
Bedeutung wurde. Weber den Sergius, eine von Reuchlin ver-
faßte Eomödie, hielt er Borlefungen unter großem Zudrang
der Studirenden. Er felbft rühmt fich fpäter, hier auch Luther
unter feinen Zuhörern gehabt zu haben, Ein Jahr fpäter erjchien
der berühmtere Publius Vigilantius, der ſich fchon durch Die
Glafficität und BVielheit feiner Namen als den eifrigften Huma-
niften anfündigte 2). Bei der ehrenvollen Aufnahme, die ihm
zu Theil ward, und bei dem innigen Berhältniß, in dem er
noch fpäter zu Erfurt fteht 3), ift es hoöͤchſt wahrfcheinlich, daß
ee längere Zeit hier als Lehrer thätig war. Um viefelbe Zeit
war es, daß auch der unruhige Hermann van dem Bufche,
einer der erften, die fich auf den Bahnen der neuen Literatur
verſucht hatten, in Erfurt anfam. Es Heißt, daß er glänzende
Anerbietungen, welche ihm von verfchiedenen Seiten gemacht
wurden, ausgefchlagen habe, um ver Einladung einiger in Erfurt
ftudirender Jünglinge Folge zu feiften %), Die mit großer Bes
2) Er wurde immatriculirt unter dem Rectorat des Schollus ale:
Hieronymus emser magister arcium Basiliensis. Seine: fpätere Firchliche
Stellung entfpricht freilich feinem früheren Benehmen nicht ganz. In feinem
Berhältnig zu Bufch, Hutten und Spalatin erfcheint er als eifriger Humanift,
dem Männer wie Pirfheimer, Grasmus u. a. ihre Anerkennung nicht verfagen.
2) Er führte die Namen Publius Vigilantius Bacillarius Axungia
‘ Arbilla. Aus feiner Erwähnung in der Erf. Matrifel ergibt fich, daß er
auch den Namen Trabotus führte. Seiner Immatriculation wird nämlich
mit folgenden Worten gedacht: „Trabotus poeta et orator gratis. Posten
dictus Vigilantius francophordien. Oderanus adeo nobilis. A praedo-
nibus Italiam petiturns est (?) sagittis necatus miserabiliter.‘‘
°, Die Holgel’fche Chronik ad 1518 berichtet, daß er noch kurz vor
feiner Abreife nah Italien in Erfurt anwefend war und Petrejus, Here-
bord u. U. befuchte.
*) Bol. Echarb Ueberlieferungen zur vaterländ. Geh. L 8. Hamel-
mann Opera geneal. hist. p. 294. Hamelmann nennt Euricius Cordus,
— 67 —
geifterumg gehaltenen Borlefungen diefes rüdfichtslofen Bekenners
der neuen Richtung brachten unter der Jugend eine ungewoͤhn⸗
lie Wirkung hervor. Er wußte e8 durchzuſetzen, daß jetzt die
alten Schulbücher öffentlich und feierlich abgetban wurden 1).
Es unterliegt Feinem Zweifel, daß Maternus dergleichen Bors
Hänge und überhaupt das Auftreten feiner neuen Bundesgenofien
nit gebilligt Hat. Das harmloſe, friedliche Leben, wie er es
unter feinen Schülern befördert hatte, wurde durch fie geftört,
fein Einfluß, der vorher Alles beherrichte, geſchwaͤcht. Wohl
mochte er da die Schwierigkeit fühlen, noch ferner einer Schaar
firebfamer Jünglinge vorzuftehen, die das Beifpiel des ſtuͤrmi⸗
hen Bufch vor Augen gehabt hatte. Diefe Schwierigkeit wurde
no größer, als auch Ereigniffe anderer Ratur ftörend in jene
poetifche Stillleben eingriffen.
Zwiftigfeiten zwifchen einem Theil der Bürger und den
Studirenden, welche im Sahre 1505 ausbrachen, führten zu
tumuliuarifchen Auftritten und brachten auch unter den Schü⸗
fern des Maternus eine ungewohnte Aufregung hervor ?2). Kaum
Ulfen, Sturz, Jacob Montanus und Boban als folche, die Bufch einluben,
während es nur von Eoban und Sturz gewiß ift, daß fie Damals in Erfurt
waren (1505). In der Matrikel ift der Name B's nicht zu finden; ber
Umftand, bag Eoban in feinem Gedichte aus früherer Zeit des Bufch gedenkt
und ihn in dem Breisgebicht auf die Univerfität nicht unter den Lehrern
derfelben aufführt, macht die Angabe von einer längeren Lehrthätigfeit B's
in Erfurt unwahrfcheinlich.
1) Hamelmann allein hat diefe Nachricht 1.c.: „IIIo praesente vel
etiam praesidente omnes inepti et barbari soriptores ut Alani et simi-
lum barbarorum insulsi libri sumt publiee abdicati.“ Sedenfalls if
auch dies übertrieben; bie alten logifchen, dialectifchen u. f w. Handbücher
blieben nach wie vor.
2) Bgl. De pugna Studentum Erphordiensium cum quibusdam con-
juratis nebulonibus Eobani Hessi Francobergii Carmen. Erph. 1506. 4°
Irrig bezieht Loſſius (Helius Coban Heffus und feine Zeitgenofien, Gotha 1799,
P.78) Dies Gedicht auf den Aufitand von 1510. In dem letzteren unterlagen
die Studirenden völlig, während in dem von Goban gefchilderten bie Stu⸗
direnden „durch Hülfe der Ballas und des Magiftrats von Erfurt“ den Sies
davon trugen.
5*
— 8 —
war: Diefe vorüber, als eine jener peftartigen Seuchen, die damals
nicht felten waren, Stadt und Univerfität beunruhigte und eine
vollftändige Auflöfung der legtern zur Folge hatte’). Maternus
flüchtete fih nach Gotha zu feinem dortigen Freunde Mutian.
Schon vor ihm hatten feine meiften Anhänger die Stadt verlaflen.
Eoban durchwanderte in Gefellfchaft des Laurenz Ufingen und
Ludwig Play als fahrender Boet ganz Thüringen und Heffen.
Spalatin zog nad; Georgenthal, Erotus nad Köln, Petrejus
fam auf feiner Irrfahrt fogar bis nach Straßburg). Da fchien
nun -jenes friedliche Zufammenleben für immer geftört. Indeß
zu wenig verlodend waren doch die Ausfichten, welche fich der
zerfireuten Poetenſchaar auswärts eröffneten, ald daß man nicht
die Ruͤckkehr nad) Erfurt hätte vorziehen follen. Unter ven Erſten,
welche heimfehrten, war der muntere Eoban, der bald die
Begebenheiten feiner poetifchen Wanderjchaft zum Gegenftande
eines größern Gedichtes machte. Auch Crotus Fehrte 1506
aus Köln wieder zuräd, wo er an der fiholaftifchen Lehrweife
der Theologen vielfach feine muthwillige Laune geübt hatte 3).
In feiner Begleitung fam auch damals der junge Ulrich von
Hutten in Erfurt an. Schon vordem war fein Name bier
Einzelnen befannt gewefen. Auf PBeranlaffung eben jenes
Erotus hatte er 1504 in einem Alter von ſechszehn Jahren,
unbefümmert um Eltern und Verwandte, die Flucht aus dem
Flofter Fulda unternommen, dem er zur Erziehung anvertraut
3) Bol. De recessu Studentum ex Erphordia tempore pestilentiae.
Kobani Hessi Francobergii Carmen Heroicum Extemporaliter Concin-
natum. Erph. 1506. 4°.
2) Lepteres wiffen wir nur aus einem noch ungedrucdten Briefe Spa⸗
latin’s, der 1512 an Aldus über Petrejus fchreibt: „„Qui sexto abhinc anno
ex Argentina, quo propter pestilentiam tum secesserat, inter multa .
mihi sic scripsit etc. Weim. Arch.
2) Auf diefen Aufenthalt in Köln bezieht fich Die fpätere Aeußerung
Hutten’s in ber an Erotus gerichteten Vorrede zum. zweiten Nemo: Quam-
quam tu solitus sis imitari, qui nos olim docuerunt Colonienses et.
syllogismis fulminare etc. Münch 1. c. II, 308.
— 9 —
war, und fih nah Köln gewandt!) Hier traf ihn Erotus
und wurde ihm nun zum zweiten Mal Beranlafiung, den
Aufenthalt in Köln mit dem viel angenehmeren in Erfurt zu
vertaufchen?). Er fand unter der poetifch gefinnten Jugend
Erfurts eine wohlmollende und freundliche Aufnahme. Reben
Crotus, den er mehr als feinen Lehrer und Zührer betrachtete,
wie jener denn auch mehrere Jahre älter war, zog ihn Feiner
fo an, als der lebhafte und ftrebfame Eoban und fchon damals
wurde das innigfte Yreundfchafts-PVerhältniß zwifchen beiden
1) Camerarius Narratio de vita Melanchthonis ed. Strobel p. 89.
2) In der Univ -Matr. findet er fich nicht verzeichnet; wohl aber wird
1502 unter den Immatriculirten ein Dpolitus de Hutten erwähnt, und viel:
leicht iſt die Anweſenheit diefes Stammesvetters Grund, daß der junge Ulrich,
welcher fich der Kunde der Seinigen zu entziehen fuchte, fich nicht fchon 1504
nad) Erfurt, fondern nah Köln wandte; Erhard 1. c. U, 271 nimmt, ohne
es zu beweifen, an, daß Qutten fich unmittelbar nach feiner Flucht aus Fulda
nach Erfurt begeben habe. Es ſteht aber feit, das Hutten’s Anwefenheit in
Erfurt in die Zeit nach feinem Aufenthalte in Köln und vor feiner Abreiſe
nah Frankfurt fällt, wohin er fih eben von Erfurt aus wandte. Dies
geht hervor aus dem bisher ganz unbeachteten Abfchiedsgedichte bes Coban
an ihn:
Ergo vale longum superis Huttene secundis
Catholicus menti spiret Apollo tune
Pergis abhinc tua te exspectat Francfordia vatem
Dimidium nostri te fugiente fugit
Acmule Nasoni, viridi signande corona
Et titulo multis nobiliore. Vale.
Das Gedicht findet fich Hinter dem fchon oft angeführten De laudibus etc.
und ift auch ein Beweis für das innige Verhältniß, welches zwifchen beiden
Sünglingen beftand. — Fällt auf diefe Weife die Ankunft des Hutten in
Erfurt gleichzeitig mit der Rückkehr des Erotus, fo wird die Annahme uns
abweisbar, daß legterer, der den jüngeren Freund ſchon zu der Flucht aus
Fulda veranlaßt Hatte und in Köln zu ihm in ein näheres Berhältuiß
getreten war (Mündy 1. c. II, 308), ihn auch mit fih nach Erfurt gezogen
babe und der Umftand, daß Hutten in Erfurt zunäcdhft in der Umgebung
und unter dem Ginfluß des Grotns erfcjeint — Crotus is hac (Erph.)
nobis sub primis praefuit annis fagt er felbft im zweiten Buche feiner Klagen
(Müud1. c.1,66) — Tann nur zur Beſtaͤtigung dieſer Annahme dienen.
— 0 —
gegründet T), welches ven ſchönſten Zug in dem Charakter
beider ausmacht. |
Um viefelbe Zeit Fehrte auch Petreius von feiner Wande-
rung wieder nah Erfurt zurüd, und Maternus, der fich feldft
nur auf kurze Zeit entfernt zu haben fcheint, fah die zerftreute
Schaar allmählig wieder um fih verjammelt und fogar noch
mit neuen Mitgliedern vermehrt. Aber durfte er hoffen, daß
die letzten Ereigniffe ohne Einfluß auf fie bleiben würden?
Schon ließen ſich unzmeideutig Anzeichen einer veränderten
Stimmung bei Einzelnen 3. B. bei Crotus wahrnehmen. Gewiß
geſchah es nicht im Geiſte des Maternus, daß der junge frän-
fifche Ritter, in deſſen Furzer Laufbahn fich fchon deutlich jener
unruhige Poetendrang ausſprach, fo günftige und wohlwollende
Aufnahme fand. Ich finde nicht, daß er den neuangefommes
nen Hutten feiner fonftigen Gewohnheit gemäß in feine Nähe
gezogen habe. Das Wohlwollen, welches diefem dennoch von
den Süngeren bewiefen wurde, offenbarte den vorhandenen
Zwiefpalt. Es war Zeit, daß Maternus die Yührerfchaft
einem Andern abtrat.
— — —
») Hutten redet ihn bei feinem Scheiden von ®rfurt an:
„Vive memor nostri qui te delegimus nuum
Sitque comes scriptis semper Apollo tuis‘‘
und noch fpäter in feinen Klagen (Münch I, 62) erinnert er ihn an Die
prisci amores diefer Zeit und redet ihn an:
Hesse cothurnati divine poematis auctor
Hesse tui vates gloria prima chori
Si qua tibi veteris permansit cura sodalis
Et potes Hutteni jam memor esse tui.‘“
1. c. I, 59. Schon hieraus erficht man, daß der Aufenthalt Hutten’e in
Erfurt Fein vorübergehender war, fondern längere Zeit dauerte, was auch
fehon durch fein inniges Berhältniß zu der Stadt überhaupt außer Zweifel
geftelit wird. Vgl. die Meußerung in feinen Klagen:
Oferet excelsos digressae Erphordia vates,
Atque omnes junxit, quos habet, illa mihi.‘
Münd 1. c. I, 66.
— 1 —
V.
Man verweilt nicht ohne Theilnahme bei den Erfolgen
der ſtillen und anſpruchsloſen Thätigkeit des Maternus. Sein
Beiſpiel kann als Beleg dienen, dag man, um ein Beförderer
der humaniſtiſchen Richtung zu fein, nicht in den Ton einer
leidenſchaftlichen Bekämpfung des alten Syſtems einzuftimmen
brauchte. Indeß fehlt e8 auch bei ihm nicht an Einfeitigkeiten
und Schwächen, und von diefen legte auch die Wirkung, die er
bei feinen Schülern hervorbrachte, Zeugniß ab.
Mehrere Jahre war er als Lehrer im Interefje der neuen
Richtung thätig geweſen, und längft war die Bezeichnung „Poeten“
für feine Schüler üblich, ehe diefem Namen auch durch die That
entjprocyen wurde. Der erfte, der mit einem größern Gedichte
hervortrat, war Eoban, in dem fofort alle Uebrigen ihren Meifter
erfannten. In einem heroifchen Gedichte befang er zuerſt den
Kampf und die Gefahren der Mufenjöhne im Sahre 1505; ein
zweites ift gegen die Angriffe eines „Zoilus“ gerichtet; dann
verherrlichte er feine Erlebniffe auf jener poetifhen Irrfahrt
durch Thüringen und Heſſen, bis er endlich durch das wieder
holt erwähnte Preisgedicht auf die Univerfität feinen bisherigen
poetifchen Leiftungen die Krone auffegte. Ihm folgten Trebeliug,
Erotus, Herebord, Tiloninus mit ähnlichen dichterifchen Vers
fuchen !). Auch der junge Hutten trat damals im Kreife feiner
erfurtiichen Freunde zum erften Mal als Dichter auf?).
— — —
1) Trebel war zwar dem Marſchalk nach Wittenberg gefolgt, wo er
auch an der Univerſität immatriculirt wurde, trozdem blieb er mit Erfurt
und den dortigen Poeten in regem Verkehr und erfchien wiederholt unter
ihnen. Sein erfles Gedicht ift dem bes Eoban ähnlich: Hermanni Trebelii
Isenachi Hecatostichon Elegiarum de Peste Isenachensi: Anno Chris-
tianae Salutis Milesimo DVI. Die Berfe können mit den eobanifchen den
Bergleich aushalten. Die Widmung ift an den Damals in Erfurt fiudirenden
Joh. Tylus gerichtet. Möglich, daß auch Trebel Damals wieder in Erfurt war.
2) Sein erftes Gedicht ift eine Elegie an Coban, bei feinem Abfchiede
von Erfurt verfaßt: In Eobanum Hessum vivacissimi Ingenii adoles-
centem Ulrichi Hutteni Elegia. Es findet fih ale Anhang neben ähnlichen
— 72 —
Unſere Dichter ſchlugen den Werth ihrer poetiſchen Erzeug⸗
niſſe hoch genug an. Eoban ſpricht in dem Epilog zu ſeinem
panegyriſchen Gedichte auf die Univerfität von dem unſterb⸗
lihen Ruhme, den dasfelbe der Stadt Erfurt eintragen werde,
wie Troja durch die Ilias und Theben durch die Thebais, fo
werde Erfurt, auch wenn es zerflört werde, durch fein Gedicht
in Zufunft fortleben *). Und nicht weniger waren die Webrigen
für die Producte ihrer Mufe eingenommen. Unfer Urtheil über
biefelben wird indeß etwas befcheidener ausfallen müfjen. Zwar
zeugen fie alle von dem lebhafteften und eifrigften Studium der
Alten; die claffifche Ausdrucksweiſe ift bis in's Einzelnfte nach⸗
geahmt, eine Fülle von claffifchen Bildern und Wendungen fteht
den Dichtern zu Gebote. Wo aber findet fi eine Spur von
Dichterifchen Verſuchen des Herebord und Ghriftiani hinter dem erwähnten
Preisgedicht Eoban's auf die Univerfität. Es firömt über von dem Lobe
Eoban’s, wie ſchon der Anfang zeigt:
„Si qua tenet nunguam morituros gloria vates
Et trepidos fugiunt carmina nostra rogos
Famaque stat putres ubi terra recondidit artus,
(Nam fovet Aonios quid nisi fama viros)
Semper eris vivus postque ultima fata superstes
O juvenis patriae spesque decusque tuae. Ete.
Mündh, der die Laus Marchiae als Hutten's Erftlingsgedicht bezeichnet,
fannte diefes Gedicht nicht.
2) Ad Erphordiam elegi concludentes:
Nunc melior toto vives Erphordia mundo
Venturaeque stupor posteritatis eris.
Tu potes in cineres verti tenuesque favillas
In mea nil fatum carmina juris habet.
Clara prius Danais ceciderunt Pergama flammis
Vivit adhuc celebres Ilias inter avos.
Non minus antiquae periisset gloria Thebes
Ni celebris toto Thebais orbe foret:
Sic tibi perpetuis veniet mansura diebus
Gloria, laus, splendor, fama, perhennis honor. c. 4 a.
Mebrigens ift @oban felbft fpäter anderer Anficht geworden; denn er hat
feins von den Ddiefer Periode angehörigen Gedichten in die Sammlung
feiner Gedichte aufgenommen.
— 3 —
einer tiefern geiftigen Auffaffung der Alten? Man begnügte
fih damit, das Außerliche Gewand derjelben anzulegen. Bor
die neu geöffneten Schäbe des Alterthums hingeftellt greift der
junge Dichter begierig nach den glänzendften und farbenreichften,
ſchmückt fich mit ihnen und duͤnkt fich fchön wie Homer und Virgil.
Um Erfurt zu preifen, wird der ganze mythologifche Apparat der
Griechen angewendet. Götter und Halbgötter müffen ihre Namen
und Eigenſchaften erfurtifchen SBrofefforen leihen, jo oft man dieſe
preifen will, Eignete man fich mit diefem äußeren Gewande des
Alterthums zugleich aber auch deffen innere Schönheit an?
Zwar lag diefe Außerliche Auffaffung der neuen Studien
am nächften, und faft allenthalben ift man zuerft von ihr aus-
gegangen, aber nicht überall blieb man fo lange bei ihr ftehen,
als in Erfurt. Irre ich nicht, fo ift dies vorzugsweife der
Richtung des Mannes zuzufchreiben, der Bier die Beftrebungen
der Jugend leitete !). Auch Maternus war über den Stand»
punft jener Außerlichen Betrachtungsweife nicht hinausgefommen.
Ihn zog allein die fprachliche Seite der antifen Studien an.
Ohne im Uebrigen den herfömmlichen Anfichten entfremdet zu
fein, jah er in den zierlichen claffifchen Formen das Mittel,
jene in ein fchöneres, anfprechendered Gewand einzufleiden.
Zu einer tiefern Auffaffung und zu einer geiftigen Durch»
dringung der Werke der Alten hatte er es nicht gebracht, und
dazu anzuleiten war eine Aufgabe, die zu ihrer Löfung einen
Andern erforderte.
Indem fo von den verfchiedenften Seiten ber jungen Dichter:
[haar das Verlangen nach einem neuen Führer nahe gelegt wurde,
erbot fich zu ihrer Leitung ein Mann, auf den fie ſchon einige
Fahre früher Marfchalf als den mit den Weifeften aller Zeiten
2) Man wird zu biefer Annahme genöthigt, wenn man Gedichte aus
dieſer erſten Periode mit folchen vergleicht, die bald nach Mutian’s Eingreifen
aus unferm Kreife hervorgingen, 3. DB. das Encomium Boban’s mit feinen
bucoliſchen Sedichten, die größtentheile 1508 verfaßt find. Obgleich nur ein
furzer Zeitraum zwifchen beiden liegt, fo ift der Fortſchritt Doch außerordentlich.
— 714 —
Wetteifernden hingewieſen hatte!) und der durch Charakter und
Lebensverhältniffe für einen folchen Wirkungskreis beftimmt fchien,
Es war der gothaifche Kanonicus Conrad Mutianus Rufus.
— — — — — nn
Drittes Capitel. Conrad Mutian und die Aniverfität.
At tu Rufe, meae formator prime juventae
Per te vocalis debita Iyrae fama.
Eobanm.
1.
Es ift nothwendig, daß wir einen Augenblid bei ven
Jugendjahren Mutian’s verweilen 2).
Eonrad Mutianus Rufus, oder, wie fein Name urfprüng-
ı) In dem bereits angeführten, aus Brandenburg (25. April 1505)
an Spalatin gefchriebenen Briefe bei Beehr Rerum Meclenb. libri VIII
Einleitung p. 45. Die Stelle wirb nicht ungern gelefen werden. ‚‚Hic mihi
unus ex omnibus adhuc Alemannis videtur assecutus id, quod de
Secundo suo Apollinaris scriptum reliquit, quod ipse Mucianus eru-
ditissimus humanissimusque et omnis de se ostentationis expers, Asper-
nari non debet, nec dictum per assentationem a me putare sed ex
corde. Nam sentit ut Pythagoras, dividit ut Socrates, explicat ut
Plato, implicat ut Aristoteles, ut Aeschines blanditur, ut Demosthenes
irascitur, vernat ut Hortensius, aestuat ut Cethegus, incitat ut Curio,
moratur ut Fabius, simulat ut Crassus, dissimulat ut Caesar, suadet
ut Cato, dissuadet ut Appius, persuadet ut Tullius, instruit ut Hiero-
nymus, destruit ut Lactantius, adstruit ut Augustinus, attolitur ut
Hilarius, submittitur ut Joannes, ut Basilius corripit, ut Gregorius
consolatur, ut Orosius affluit, ut Ruffinus stringitur, ut Eusebius narrat,
ut Eucherius sollicitat, ut Paulinus provocat, ut Ambrosius perseverat.““
2) Mutian felbft faßt feine bisherigen Schicffale um die Zeit, als er
ſich dem erfurtifchen Kreife näherte, in die Worte zufammen: Mutianus,
qui XX annorum lucubrationes: exilia: peregrinationes: incommoda
multa litterarum amore sustinuit. Tentel p. 33.
— 5 —
lich Tautete, Conrad Muth, war der Sohn wohlhabenver und
angefehener Eltern in dem heſſiſchen Städtchen Homburg, wo
er am 15. October 1471 geboren wurde !). Schon in frühefter
Jugend wurde er der rühmlich bekannten Schule des Alerander
Hegius in Deventer zur Erziehung übergeben und empfing von
diefem gleichzeitig mit Erasmus die erfte Kunde von den neuen
Wiſſenſchaften und damit zugleich die Richtung feines Lebens 2).
Zünfzehn Jahre alt, bezog er nebft feinem Altern Bruder or
hannes die Univerfität Erfurt und febte hier unter Begünftigr
ung der damals herrſchenden antikifirenden Lehrmweife die in
Deventer begonnenen Studien fort ?), Nachdem er im Jahre
1492 die philofophifche Magifterwürde erlangt hatte, trat er,
der allgemeinen üblichen Sitte folgend, al& Lehrer auf. Unger
achtet des großen Beifall, den er fand *), war feine Wirkfams
feit in Erfurt doch nicht von langer Dauer. Wir fahen, wie
um jene Zeit das neu erwachte Studium der Alten bei mehreren
Gelehrten Erfurt's eine Sehnſucht nach den claffifchen Stätten
Italiens erweckte. Dahin zog ed auch Mutian: er verließ
Erfurt und unternahm die gelehrte Pilgerfahrt über die Alpen,
Der Aufenthalt in Italien wurde für ihn von der größten
Wichtigkeit. Er fand Eingang in die beveutenpften Gelehrten.
) Tenpel p. 174. Ueber die Feftflellung des Geburtsjahres vgl. fpäter.
Woher der Name Rufus, erfieht man nicht recht.
2) Tengel 1. c. und M.B. Fr. wo er Erasmus „‚condiscipulus meus“
nennt, fol. 300 b.
8) Er wie fein Bruder erfchien im Gefolge des Grafen Wilhelm von
SHohenftein und beide wurden deshalb gratis immatriculirt. EU.M ad a.
1486. In diefe Zeit fällt auch die Ankunft des Celtes.
*) Auf diefe Zeit bezieht ſich Urban's Weußerung in einem Briefe an
Herebord: „Quom (Mutianum) a puero non aliter dilexi, observavi,
colui atque a bono scholastico diligi, observari, coli par est virum
doctissimum eundemgue integerrimum. Commetus videlicet fama no-
mineque celeberrimi hominis quo me primi anni inter Erphurdienses
Academicos auditore clarehat istie quam qui maxime.“ M. DB. F.
f. 189 a.
— 76 —
freife diefes Landes. In Bologna, wo er am längften ver-
weilte und ſich den Doctorgrad in den Rechtswiſſenſchaften
erwarb, genoß er des nähern Umganges des Älteren Beroaldug,
des Antonius Codrus und anderer berühmter Lehrer der alten
Literatur. Mir finden ihn in nahen Beziehungen zu Baptifta
Mantuanus und Picus von Mirandola. In Rom zählte er
unter den Gardinälen Gönner und Freunde!). Unter den
verfchiedenen, fi auf dem Gebiete der neuen Literatur durchs
freuzgenden Richtungen fcheint vorzugsweife die des Politian
Einfluß auf ihn gewonnen zu haben: fein Stil erinnert wenig
ftens auffallend an jenen Gelehrten 2). — Indeß gab fih Mutian
in Italien nicht fo ausfchließlich den hHumaniftifchen Beftrebun-
gen hin, daß er nicht daneben aud noch andern Angelegen-
heiten feine Aufmerkfamfeit zugewendet hätte. Es macht einen
eigenthümlichen Eindrud, daß er um diefelbe Zeit, wo er fidh
in den glänzenden italienifchen Humaniftenfreifen bewegt, auch
jenen ftillen, befchauliden Männern fich nähert, die in der Zus
rüdgezogenheit wehmüthig den herrichenden Verfall der Kirche
beflagen. Das merfwürdigfte Denkmal jeines italienijchen Auf—
enthaltes ift jener Brief an den Sohannes Burkhard in Rom
1) Wie angefehen und befannt Mutian in den italienifchen Kreifen
war, erhellt auch daraus, daß der Italiener Chryfoftomus, ale er bei feiner
Anwefenheit in Deutfchland (1513) Mutian’s Namen nennen hörte, diefen
als einen ihm wohlbefannten bezeichnete. ‚‚Cognovi extemplo“, ſchreibt
er an Mutian felbft, „istud nomen ex Italicis academiis notum habere.““
Tengel 1. c. p. 175. Chryfoflomus war 20 Jahre älter als Mutian und
es Tann jenes deshalb nicht wohl eine Rüderinnerung an ehemalige gemein:
fame Studien fein.
2) Gamerarius Narr. de Eobano Hesso B. 5 a. fagt von feinem
Stil: „Genus autem erat sententiosum orationis et incisum, quale est
' Politianicum ad quod in Italia erat assuefactus.“ Uebrigens iſt es
bezeichnend, daß Mutian theilweife die nämlichen Borwürfe hat hören
müflen, die dem Politianus gemacht worben find. Bon einem perfönlichen
Zufammentreffen beider Männer findet fich feine Spur; Bolitian ftarb fchon
1494, Mutian’s Ankunft fällt wohl etwas fypäter.
_ 17 —
aus dem Jahre 1502, in dem er fih in den wehmüthigften
Klagen über den traurigen Zuftand der durch Außere Angriffe
und innere Zwiftigfeiten bevrängten Kirche ergeht 1).
An dem genannten Sabre kehrte Mutian nach Deutſch⸗
land zurüd. Die Abficht der Seinigen war, daß er feine Ge
Iehrfamfeit und den Ruhm, den ihm feine italienifche Reife
verfchafft hatte, dazu benutzen folle, um bald zu einer einträgs
lichen und glänzenden Stellung im Leben zu gelangen. Wirks
lich Tieß er fich bewegen, an dem Hofe des Landgrafen von
Heſſen, wo einer feiner Brüder bereitd eine anfehnliche Stell»
ung befleidete, ein Amt anzunehmen. Indeß fehr bald war ihm
dies verleidet. Die Theilnahme an wichtigen Staatsgefchäften,
der Olanz Außerer Würden hatten feinen Reiz für ihn. Er
fehnte fidh weg von dem Hofe, um ungeftört durch weltliche
Händel einzig feinen wiffenfchaftlichen Beftrebungen nachgehen
zu Fünnen.
Ein halbes Jahr Hatte er in jener Stellung zugebradht,
als er fie aufgab. Er vertaufchte fie mit einem nur dürftig
ausgeftatteten Banonicate in Gotha. Hier fam er im Jahre
ı) Der merkwürdige Brief findet fih in der fehr feltenen Echrift:
Concordia curatorum et fratrum mendicantium. Carmen elegiacum
deplanugens discordiam et dissensionem christianorum cujuscunque
status dignitatis aut professionis. 4° s.]. et a. Diefelbe enthielt außer:
dem einen Brief des Wimpheling, die Abhandlung des Wigand Trebel:
lius über den Streit zwifchen dem Ordens- und Weltclerus und einige
Gedichte. Das Schreiben Mutian’s beginnt folgendermaßen: „Dum turpis
ille Thurcarum pseudopropheta tot christianorum terras in suam
ditionem redigit: Dum nostri principes inter se dissident depraedantur,
digladiantur et armis saeviunt: Dum praeclare imperii Romani civi-
tates a Tyrannis misere lacerantur: Dum coenobia manifesfis rapinis
intereunt, Dum clerus a latronibus pessumdatur: demon ipse bella
movet etiam inter ipsos ecclesiasticos, inter sacris iniciatos: latrant
contra se diversorum ordinum fratres in contionibus. Contendunt
inter se diversa collegia: fratres mendicantes contra rectores et ple-
banos seculares atque illi contra mendicantes crebras suscitant rixas
etc.“ Am Schluß: Ex Bononia Kal. Juniis anno christi 1508.
— 78 —
4503 an. Weber der Eingangsthür feiner Wohnung fah man
bald mit goldenen Buchftaben die Infchrift glänzen; Beata
tranquillitas ?).
n.
Aber wie häufig gefchieht es, daß Wünfche gerade da auf
die größten Schwierigkeiten ftoßen, wo man ſich ihrer Erfüllung
ficher waͤhnte! |
Jene „glüdfelige Ruhe”, die fih Mutian von feiner neuen
Stellung in Gotha für fein wiftenfchaftliches Streben verfprach,
follte ihm nicht fo bald zu Theil werden. Seine nächſte Um⸗
gebung bildeten dort die Canoniker, mit denen ihn fchon feine
täglihen Amtsverrichtungen in nähere Berührung bringen
mußten. Nach der Schilderung, die Mutian felbft von ihnen
gibt, erjcheinen fie größtentheild ald Männer von bereits vor-
gerüdtem Alter, die ohne höheen Gefichtspunft überall einfeitig
an dem Herkommen fefthalten, unempfänglich für die neu aufs
tauchenden wifjenfchaftlichen Ideen, aber nicht fo unempfäng-
fich für die zeitlichen Vortheile, die ihnen ihre Stellung bot.
Unter fie trat ver Mann mit feinen idealen Plänen und Ent-
würfen, der den Ruhm der angefehenften Schulen der neuen
Richtung in Deutfchland und Italien auf feinem Haupte ver-
einte und auf Außern Glanz und zeitliche Vortheile verzichtet
hatte, um in ungeftörter Ruhe feinen Wiſſensdurſt zu befrie-
digen. Nicht Iange blieb diefer Gegenfag verborgen. Anfangs
eine räthfelhafte Erfcheinung wurde der neue Canonicus feinen
altern Amtsbrüdern bald ein Gegenftand des Anftoßes Man
bemerkte mit Mißfallen, daß er, obgleich dem geiſtlichen Stande
1) Die Einkünfte jenes Canonicats betrugen nah Coban (Farr. I,
34 b) kaum 60 @ulden. Jener Infchrift gebenfen Lauze 1. c. p. 121.
Eoban 1.c. Hutten in einem Briefe an 3. Fuchs bei Münch 1. c. II, 39.
Es ift nicht mit Gewißheit auszumachen, ob Mutian erſt um diefe Zeit, oder
fon früher in den geiſtlichen Stand getreten fei.
— 9 —
angehörig, ſich ſtets der Darbringung des Meßopfers enthalte,
man fand ſeine außerordentliche Begeiſterung für die heidni⸗
ſchen Sprachen anſtoͤßig. Seinerſeits fühlte auch Mutian ſich
durch ſeine Umgebung zurückgeſtoßen. Wenig erbaut wurde er
durch die handwerksmäßige Verrichtung der religiöſen Pflichten,
wie er fie bei feinen Mitcanonikern wahrnahm, die barbarifche
Sprache, in der fie verkehrten, verlebte feinen feingebilveten
Geſchmack. So wurde fon in Kurzem das Berhältnis ein
gefpanntes; einzelne unangenehme Auftritte fteigerten die Spann»
ung. Mutian ſah ſich in feinen Hoffnungen auf eine unges
förte Ruhe volftändig getäufcht. In feiner Seele gewann
aber jeßt jener bittere Unmuth gegen die Zerftörer feines Gluͤcks
die Oberhand, der fortan die herrfchenne Stimmung feiner
Seele bleibt. Bald erfchöpfte er fih in bittern fatirifchen
Ausfällen gegen feine Umgebung, bald fuchte er in den Auss
drüden der Entrüftung feinem Unwillen Luft zu machen),
Jede Aeußerung legt von feiner gereizten Stimmung Zeugniß
ab. Dann machte er den Verſuch, fih vollſtändig abzufchließen,
„nur mit den Guten und Gelehrten wolle ex verkehren" *). Er
verfagte fich jedes Vergnügen, das ihm Anlaß geben fonnte,
fich feinen Amtsbhrüdern zu nähern. Sein Zwed- wurde auch
fo nicht erreicht. Sich jelbft und feiner Umgebung verbitterte
er das Leben.
Es war ein Glüd für ihn, daß er in bdiefer traurigen
—
2) Man vgl. 3.8. Ausdrüde wie folgende: „Dii pecus scablosum in
tartara detrudant.“ M. B. F. 154 a. ‚‚Ego quoque inter tot belluas
quasi segnis et stupidus asellus torpeo et vocem latinam doctique
probos sermones amisi clamando jugiter cum asinis.‘“ Tengel p. 61.
„Glande vescuntur inventis frugibus“ u. a.
2) „Nemo enim Mutiano amicus unquam fuit, aut est, aut erit
nisi qui rectus et integer et doctus. Nam ut libere loqui, libere
vivere, ingenium apertum habere semper meum fuit: ita nullus un-
quam favit mihi, nisi cui morum illa simplicitas, fides constantia
placuisset: ut verum et ratum sit, bonos esse amicos meos, inimicos
vero non bonos.‘“ ad Urb. Tengel p. 19.
— 90 —
Lage in einem benachbarten Klofter einen wohlwollenden Freund
und Genoffen feiner Gefinnung fand. Heinrich Urbanus, einige
Sahre jünger ald Mutian ?), hatte dieſen ſchon während feiner
Studienjahre in Erfurt fennen und ‚Ichägen gelernt. Schon
damals hatte Gemeinjamfeit der Gefinnung zu einem engeren
Verhältniffe zwifchen beiden geführt, das aber durch Mutian’s
Reife nach Italien unterbrochen wurde. Urban trat inzwifchen
in den Eifterzienferorden und erhielt feinen Aufenthalt in dem
einige Stunden von Gotha entfernten Klofter Georgenthal,
Um die in Erfurt empfangenen Keime zu pflegen, ließ er fid
Bier neben den Pflichten feines Ordens auch das Studium der
Alten angelegen fein. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach eine
fürzere oder längere Anwefenheit in Erfurt, wo fein Kloſter
bebeutende Beſitzungen hatte?), die Stille feines Elöfterlichen
Aufenthaltes. Obgleich er für feine wiſſenſchaftlichen Neigun-
gen in dem Klofter Feine Genoſſen fand, fo durfte er ihnen
boch bei der milden Richtung des Ordens ungehindert nachgehen.
Indem Mutian mit ihm von Gotha aus das alte Ver
hältniß erneuerte, fand er einigermaßen Erfah für die Wider
wärtigfeiten, die ihm feine nächfte Umgebung bereitete. Es war
fhon eine Erleichterung für ihn, daß er den Summer feiner
Seele vor einem theilnehmenden Freunde ausfchütten Tonnte,
An die Klagen über die Verfolgungen und Verpächtigungen,
die er in Gotha erfahre, fnüpfte er zugleich Betrachtungen über
den gefunfenen Zuftand der Scholaftif, über die Nothwendigkeit,
den Zweck und die Bedeutung der neuen Wiffenfchaften ). Er
ı) Das Geburtsjahr habe ich nicht ermitteln können. Mutian zweifelt
einmal, ob er oder Urban ber ältere fei. Urban bezog wahrfcheinlih um
1492 die Univerfität, ald Mutian fchon als Lehrer auftrat; vgl. M. B. 8.
fol. 189 a. -
2) Den fogenannten Georgenthaler Hof, defien Verwaltung Urban über:
tragen ivar.
2) Die Briefe, welche Mutian damals von Gotha aus an Urban fchrieb,
gehören zu den merkwürdigſten jener Zeit. In ihnen bat M. auch feine
eigenthümlichen religiöfen Anfichten niedergelegt, wovon fpäter.
— 831 —
hatte ein Herz gefunden, welches empfängli war für feine
Wuͤnſche und Bedürfniffe. Das Berhältniß, welches fich zwifchen
beiden Männern bildete, war das innigfte und fchloß felbft die
Mitiheilung der geheimften Gedanken nicht aus. Sie theilten
einander ihre Bedenken und Zweifel mit, fie ermahnten fich gegen-
feitig, in dem Eifer für die neuen Wiffenfchaften nicht zu erfalten.
Der Verkehr zwifchen beiden wurde noch lebhafter, ale fich ihnen
noch ein Dritter ald Gefinnungsgenoffe anſchloß. Es war der
junge Georg Spalatin, den wir bereits an der Seite feines
Lehrerd Marſchalk auf dem Gebiete der neuen Literatur thätig
fanden '), ein fanfter, ftiller, anfpruchslofer Juͤngling, nicht fo
reich an geiftigen Erlebniffen, wie Mutian und Urban, eine
von jenen befcheidenen Raturen, denen Hingebung an den
geiftig Lleberlegenen Bedürfniß if. Wohl auf Marichalfs Ver⸗
anlafjung gefchah es, daß er ſich Mutian zu nähern fuchte, _
der ihn alsbald erfreut als den Dritten in feinen Heinen Bund
aufnahm 2) und ihm noch im Jahre 1505 eine Anftelung in
dem Kloſter Georgenthal verfchaffte, wo er auch mit Urban das
innigfte Verhaͤltniß anfnüpfte.
Spalatin’d ausgezeichnete Kenntniffe in der griechifchen:
Literatur theilten den wiffenfchaftlichen Beftrebungen feiner beis
den Altern Freunde neues Leben mit, In der Zurüdgezogen-
ı) Geb. um 1482 zu Spelt im Bistyum Eichftädt, feit 1497 in Erfurt,
wo er dem juugen Humaniſtenkreiſe angehörte; der Abgang feines Lehrers
Marſchalk fcheint auch ihn auf einige Zeit nah Wittenberg gezogen zu
haben, 1505 war er Hauslehrer in einer Batrizierfamilie zu Erfurt, noch
in bemfelbeu Jahre wurbe er Lehrer in dem Klofter Georgenthal. 1507
Pfarrer zu Hohenfirchen.
2) Mutian fchreibt über ihn an Urban: „Qui sic implet triumvira-
tam Amicitiae nostrae ul neque melior neque doctior juvenis facile
offendatur, etiamsi quaeras.““ Zengel p. 19. — Er fordert Urban auf,
ſich des Spalatin anzunehmen: „‚Tu infortunati juvenis miserias sustenta,
ille lautas, luculentas, festivas disciplinas, quas vel summi doctores
ignorant, tecum ut liber est, libere communaicabit. O lepidum con-
vivium! o raram sodalitatem!““ Tentzel p. 31.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 6
— 80 —
Lage in einem benachbarten Klofter einen wohlwollenden Freund
und Genoffen feiner Gefinnung fand. Heinrich Urbanus, einige
Jahre jünger als Mutian !), hatte diefen ſchon während feiner
Studienjahre in Erfurt fennen und ſchätzen gelernt. Schon
damals hatte Gemeinfamkeit der Gefinnung zu einem engeren
Verhältniffe zwifchen beiden geführt, das aber durch Mutian’s
Reife nach Italien unterbrochen wurde. Urban trat inzwifchen
in den Gifterzienferorden und erhielt feinen Aufenthalt in vem
einige Stunden von Gotha entfernten Klofter Georgenthal.
Um die in Erfurt empfangenen Keime zu pflegen, ließ er fich
Bier. neben den Pflichten feines Ordend auch das Studium der
Alten angelegen fein. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach eine
fürzere oder längere Anwefenheit in Erfurt, wo fein Klofter
bedeutende Beſitzungen hatte), die Stille feines Flöfterlichen
Aufenthaltes. Obgleich er für feine wiffenfchaftlichen Neigun-
gen-in dem Klofter Feine Genoſſen fand, fo durfte er ihnen:
Doch bei der milden Richtung des Ordens ungehindert nachgehen.
Indem Mutian mit ihm von Gotha aus das alte Ver:
hältniß erneuerte, fand er einigermaßen Erſatz für die Wider:
wärtigfeiten, die ihm feine nächfte Umgebung bereitete. Es war
fhon eine Erleichterung für ihn, daß er den Kummer feiner
Seele vor einem theilnehmenden Freunde ausfchütten konnte.
An die Klagen über die Verfolgungen und PBerdächtigungen,
die er in Gotha erfahre, knüpfte er zugleich Betrachtungen über
den gefunfenen Zuftand der Scholaftif, über die Nothwendigkeit,
den Zwed und die Bedeutung der neuen Wiffenfchaften). Er
ı) Das Geburtsjahr habe ich nicht ermitteln können. Mutian zweifelt
einmal, ob er oder Urban der ältere fei. Urban bezog wahrfcheinlich um
1492 die Univerfität, als Mutian fchon als Lehrer auftrat; vgl, M. B. F.
fol. 189 a. -
2) Den fogenannten Georgenthaler Hof, defien Berwaltung Urban über:
tragen war.
2) Die Briefe, welche Mutian damals von Gotha aus an Urban fchrieb,
gehören zu ben merfwürdigften jener Zeit. In ihnen bat M. auch feine
eigenthümlichen religiöfen Anfichten niedergelegt, wovon fpäter.
— 831 —
hatte ein Herz gefunden, welches empfängli war für feine
Münfche und Berürfniffe. Das Verhältniß, welches fich zwifchen
beiven Männern bildete, war das innigfte und fchloß ſelbſt die
Mittheilung der geheimfien Gedanken nicht aus. Sie theilten
einander ihre Bedenken und Zweifel mit, fie ermahnten fich gegen-
feitig, in dem Eifer für die neuen Wiffenfchaften nicht zu erfalten.
Der Verkehr zwifchen beiden wurde noch Iebhafter, als fich ihnen
noch ein Dritter als Sefinnungsgenoffe anfchloß. Es war der
junge Georg Spalatin, den wir bereit8 an der Seite feines
Lehrers Marſchalk auf dem Gebiete der neuen Literatur thätig
fanden '), ein fanfter, filler, anfpruchslofer Juͤngling, nicht fo
reich an geiftigen Erlebniffen, wie Mutian und Urban, eine
von jenen befcheidenen Naturen, denen Hingebung an ven
geiftig Lleberlegenen Bedürfniß if. Wohl auf Marfchalfs Ver⸗
anlaflung geihah es, daß er ſich Mutian zu nähern fuchte,
der ihn alsbald erfreut als den Dritten in feinen kleinen Bund
aufnahm ?) und ihm noch im Jahre 1505 eine Anftellung in
dem Kloſter Georgenthal verfchaffte, wo er auch mit Urban das
innigfte Verhältniß anfnüpfte.
Spalatin’8 ausgezeichnete Senntniffe in der griechifchen-
Literatur theilten den wifjenfchaftlichen Beftrebungen feiner beis
den ältern Freunde neues Leben mit, In der Zurüdgezogen-
ı) Geb. um 1482 zu Spelt im Bistyum Eichftäbt, feit 1497 in Erfurt,
wo er dem jungen Humaniftenkreife angehörte; der Abgang feines Lehrers
Marſchalk ſcheint auch ihn auf einige Zeit nach Wittenberg gezogen zu
haben, 1505 war er Hauslehrer in einer Batrizierfamilie zu Erfurt, noch
in bemfelben Jahre wurbe er Lehrer in dem Kofler Georgenthal. 1507
Pfarrer zu Hohenkirchen.
2) Mutian fchreibt über ihn an Urban: „Qui sic implet triumvira-
tum amicitiae nostrae ul neque melior neque doctior juvenis facile
ofendater, etiamsi quaeras.““ Tengel p. 19. — Er fordert Urban auf,
fich des Spalatin anzunehmen: „Tu infortunati juvenis miserias sustenta,
ille lautas, luculentas, festivas disciplinas, quas vel summi doctores
ignorant, tecum ut liber est, libere communicabit. O lepidum con-
vivium! o raram sodalitatem!““ Tentzel p. 31.
Kampichulte, Univerfität Erfurt. 6
— 92 —
heit des Elöfterlichen Aufenthaltes, inmitten einer Umgebung,
die ohne Sinn und Berftändniß für ihre Neigungen war, vers
einten fi nun die drei Männer zu dem Zwed einer gemein
famen Beförderung der neuen Wiffenfchaften. Nichts veran-
ſchaulicht uns mehr den .eigenthümlichen Reiz, den damals die
antifen Studien auf die Gemüther ausübten, als der Eifer,
welchen Mutian und feine beiden Freunde in der ungimftigften
Lage für fie bethätigten. Sie entzogen fich das Nothwendigſte,
um fich mit vieler Mühe die Werke der claffifchen Autoren aus
den italienischen Preſſen über die Alpen Hinüberzufchaffen.
Urban trat im Jahre 1505 felbft mit dem gefeierten Aldus in
Venedig in Verbindung !), durch Hinweifung auf das Gebet,
mit dem man in ihrem ftillen Kreife ſtets feiner eingedenk fei,
fuchte er ihn für ihre Wünſche willfähriger zu ſtimmen 2).
Und wie groß war die Freude, wenn fie nach langem Harren
endlich der erfehnten Schätze theilhaftig wurden! Mutian
weinte einmal vor Freude, als er eine neue Sendung feiner
“lieben Alten empfing. Mit einem wahren Heißhunger gab man
fih ihrem Studium hin. Was man aus ihnen gelernt hatte,
wurde bald Gegenftand ihrer gegenfeitigen Mittheilungen, die
Mutian dazu zu benugen wußte, um anregend und ermunternd
auf feine jüngern Freunde, die ihn gern als ihren Lehrer und
Führer anerkannten, zu wirken. Gewöhnlich gefchah Dies in
ı) Das Datum, welches Tentzel p. 43 für die Briefe Urban’s an Aldus
gibt, iſt falfch: ſtatt 1510 ift nach Angabe des Driginals 150% zu tefen.
„Allegamus ad te‘ jagt Urban in dem erften Briefe d. d. 12 Cal Dec.
„nummos quatuor aAureos, pro quibus Focchariis ad nos dato Etymo-
logicum magnum et Julium pollucem et si non est nimium opuscula
Bessarionis, Xenophontis, Hieroclis et epistolas Merulae“ 1. c. Er
gedenkt in dem Schreiben auch unter vielen Lobfprüchen des Mutian und
der Anwefenheit des Spalatin. — Zehn Tage fpäter legt er bem Aldus ihre
Angelegenheit nochmals an’s Herz und. gibt ihm beforgt nochmals ihre
Adrefie: „Commoramur in regione Thuringiae non procul ab aeraria
focchariorum“ L c.
2) Tengel 1. c. p. 43.
— g3 —
Briefen, die er von Gotha aus an ſie richtete, manchmal jedoch
erſchien er perfönlich unter ihnen in Georgenthal, wo die freund⸗
lihe Aufnahme, die er fand, ihn für die Leiden feines gothais
hen Aufenthaltes entfchädigte. Spalatin hing mit der größten
Liebe an ihm, Nichts hätte er ohne feinen Rath unternommen.
Urban’ Berehrung für ihn war fo groß, daß Mutian felbft
ihn aufforderte fich zu mäßigen, um nicht feinen Ordensgenoffen
Anlaß zur Eiferfucht zu geben. Wie ganz anders erfcheint Bier
Mutian, als in feiner Umgebung zu Gotha!) Doch auch feinem
Verkehr mit Urban und Spalatin theilte jenes unfelige Ver⸗
hältniß einen düftern Hintergrund mit. Faſt in jedem Briefe
fommt er auf die Unwiffenheit feiner Mitcanoniker zurüd, auf
die Anfeindungen, die er der Wiffenfchaft wegen von ihnen
erfahren müfle. Der Gedanke, daß er und feine beiden Freunde
mit ihren Beftrebungen in ihrer Umgebung vereinzelt ftänden,
fehrt überall wieder. „DO Urban”, fchreibt er an Diefen, „unfer
Weg ift gerade, eng, uneben, hügelig, fleil und befchwerlich,
entweder rauh durch Dorngeftrüppe oder durch Zelfen verfperrt,
jo daß wir nur mit großer Mühe und Anftrengung und immer
in Gefahr zu fallen, vorfchreiten können. Gerade ift unfer
Weg, weil wir einmüthig Gott allein fuchen und verehren;
eng, weil Wenige mit uns nach Wiſſenſchaft und fanfteren
Sitten ftreben; fleil, weil er zum Studium der lateinifchen
Sprache führt: zu einem wahren geiftigen Gute gelangen We
nige ohne Anftrengung” 2). Ex vereinigt fich mit feinen Freun-
2) Das anmuthige Verhältniß wird uns namentlich auch veranſchau⸗
licht durch die Titel, die Mutian den beiden Freunden in feinen Briefen
gibt; einen Brief an Urban beginnt er folgendermaßen;
Hanc chartam tribuis viro modesto
Urbano celeri manu viator,
Qui multum celebrat bonos sodales
Et prodesse studet latinitati.
MB. F. fol. 5 a.
2) Tentzel 1. c. p. 20. 21.
6*
— 84 —
den zum Gebete, daß Gott, trotz der Menge ihrer Gegner, ihrer
Sache den Sieg verleihen wolle !), aber er bat nicht den Muth,
feinen Blid hoffnungsvoll in die Zufunft zu richten.
Hätten auch die Bemühungen diefer Männer nicht die
Bedeutung gewonnen, welche fie fpäter gewonnen ‚haben, man
würde doch nicht ohne Theilnahme bei ihnen verweilen.
Das innige Berhältniß, welches Mutian mit den beiden
gelehrten Klofterleuten von Georgenthal unterhielt, war indeß
nicht geeignet, das Mißtrauen, weldhes in feiner Umgebung
gegen ihn aufgefommen war, zu befeitigen. Abneigung und
Argwohn gegen ihn wurden nur noch größer. Bald flüfterte
man fich zu, daß in den geheimen Zufammenfünften jener drei.
Männer eine unfichliche Gefinnung befördert werde 2). Eines
Tages, als im Convente das Leben des h. Gregorius vorge-
lefen wurde, bejchuldigte einer der Anmwefenden Mutian geradezu
irreligiöfer Grundſätze 3). |
OL
Mutian's religiüfe Anfichten haben nicht blos bei feinen
Amtsbrüdern, fondern auch bei Andern in damaliger und fpäs
terer Zeit Anſtoß erregt. Ein neuerer Hiftorifer hat verſchie—
dene feiner Aeußerungen über Religion und Kirche zu einem
Ganzen zufammengeftellt, das fein Berhältniß zu dem Ehriften-
thum mindeftend als ein fehr zweifelhaftes erfcheinen läßt *).
ı) Tengel 1. c. p. 47. „Tu Deum ora, ut negotio, quod molimur,
aspiret. — Pie Deum precor ut fautores linguae latinae tueatur et
servet.‘“ ad Urb.
2) Mutian felbft beklagt fich über folche Verbächtigungen: ‚„‚Urbanus,
Spalatinus, Mutianus poetae sunt, graece loquuntur, de divinis rebus
impie sentiunt. Talia jactantur.‘“ ad Urb. Tengel p. 32.
°) Tentzel p. 38.
4) Bol. C. Hagen Deutfchlands relig. und liter. Berhältniffe im Zeit:
alter der Reformation. 1,323 ff. Die dort gegebene Zufammenttellung fönnte
noch durch einige Stellen aus der Frankf. Sammlung vervollfiändigt wer:
— 85 —
Richt zu läugnen iſt, daß wir in feinen Briefen, namentlich
in jenen, die in die erften Jahre feines gothaifchen Aufenthaltes
fallen, manche Ausfprüche finden, die und den Blick in ein den
chriſtlichen Anfchauungen in bedenklichem Grade entfrembetes
Seelenleben zu eröffnen ſcheinen. Indeß einzelne dergleichen
Aeußerungen an fich erfchließen nie oder höchft felten das Innere
eines Menſchen. Rur dann, wenn fie mit Rüdficht auf die
gefammte geiftige Entwidelung desfelben und die beftimmte Lage,
in welcher fie gefchahen, betrachtet werben, berechtigen fie und
zu einem Urtheil.
Mutian war ein Geift, dem an und für fih die einfeitig
fprachliche Richtung der neuen Studien nicht genugthat. Das
harafteriftifche Merkmal der meiften Humaniften, die Eleganz
der ſprachlichen Darftellung, teitt bei ihm wenig hervor, Er
verwahrte fich dagegen, wenn man ihn mit Cicero verglich *).
Dagegen nannte er fich felbft mit Vorliebe einen Philoſophen
und hörte ed gern, wenn Anvere ihn fo nannten?), Wie dies
im Allgemeinen für feine Richtung bezeichnend ift, fo beftimmt
er dieſe felbft noch näher dadurch, daß er ſich gewöhnlich einen
chriſtlichen Philoſophen nennt. Ein eigenthümlich religiöfer Zug
— — — —
den, obgleich Tentzel bei ſeiner Auswahl dieſer Seite beſonders ſeine Auf⸗
merkſamkeit zugewendet hat.
1) Dal. M. B. F. fol. 114 b. — Camerarius bemerkt mit Recht über
feinen Stil, er habe geſchrieben: „Animo magis intento sententiis cum
gravibus tum jocosis breviter concinnandis, quam cogitatis dilucide
et copiose explicandis. Concessa etiam sibi licentia vel derivando
vel duplicando vel quocunque alio modo non usurpata ab auctoribus
Latinitatis effingendi vocabula.‘“ Vergl. Libellus novus Epistolas et
alia quaedam monumenta doctorum superioris et hujus aetatis conı-
plectens Joach. Camerarii Pabeperg. Lips. 1568. 8° E. 8a.
2) Sehr bezeichnend für ihn iſt der wenn auch feherzhafte Entwurf einer
Gintichtung der Univerfitäten, welcher fich in einem Briefe an Urban findet:
„Weren genug in der aroßen Schule ein Sophift, zwene Mathematici, drey
Theologi, IIII Juriften, V Medici, VI Oratores, VII Hebrei, IIX Graeci
IX Grammatici, X rechifinnige Philosophi tamquam praesides et prin-
cipes totius rei literariae‘“ Tengel 16%.
— 86 —
ift in feinem Charakter vorherrfchenn. Neben den humaniſti⸗
ſchen Studien befchäftigten ihn fortwährend die Lehren des chriſt⸗
lihen Glaubend. Er äußerte ſich mißbilligend über das Benehmen
der Moeten, die fich einfeitig dem Dienfte des neuen Sprachen⸗
ftudiumsd widmeten. „Zwei Heilmittel“, fchreibt er an Mufardug,
der ihn um Rath gefragt hatte, „empfehle ih Dir, das evan-
gelifche und das poetifche ’).” Er jcheint oft geneigt, den neu
erwedten fprachlichen Studien nur infofern Werth beizulegen,
als fie dad Studium der Theologie befördern.
Das aber erficht man fehr bald, daß feine Theologie nicht
die der Schulen ift.
Ueberblidt man den frühern Bildungsgang Mutian’s, fo
findet man, daß fih Vieles vereinte, um ihn auf die Bahnen
der theologifchen Oppoſition zu führen. Als Zögling der Uni-
yerfität Erfurt war er von vornherein in den Geift einer freieren
Theologie eingeführt, er theilte die Sympathien jener Schule für
ihren ehemaligen Lehrer Johann von Wejel?). Dann erfcheint
er in Italien in innigem Verkehr mit jenen kirchlich Mißver-
gnügten, die fih in wehmüthigen Klagen über die traurigen
Zuftände der Kirche ergehen. Noch wichtiger wurde für ihn
fein Verhältniß zu den italienifchen Humaniftenfreifen. Es ift
unverkennbar, daß die dort in Umlauf gefehten neuen philofo-
phifchen Ideen einen tiefern Einfluß auf ihn ausgeübt haben 3).
!) „Duo nunc remedia proponimus alterum evangelicum alterum
poeticum‘ ad Mus. M. 3. %. fol. 156 a. Aehnlich fchreibt er ihm in
einem andern Briefe: „Arbitraris enim, ut neminem ornate loqui posse,
ni qui latine sciat, ita infantem atque insulsum in Theologia futurum,
nisi qui literas, quas seculares vocant praegustaverit. Ego etsi non
refragor huic opinioni tamen illud addendum existimo, copulandum
‚utrumque studiorum genus, ne dum alterum latus protegas, vulnere-
:ris in altero.‘“ Tentzel l. c. p. 134.
2) Tengel 1. c. p. 93.
2) Seine Miitcanoniker bezeichnen ihn wegen feiner religiöfen Anſich⸗
:ten als einen Italiener. M. B. F. fol. 154a. Seine Anfichten find oft
geradezu Picus, Ficinus u. A der italienifchen Schule entlehnt.
_ 897 —
Die Anregung, welche er von ihnen empfing, entfernte ihn
noch weiter von den theologiichen Syftemen der Schule, ohne
jedoch feinen eigenen religiofen Anfichten Klarheit und Sicher:
heit zu verleihen. Aber Mutian befaß Opferfähigfeit genug,
um fih duch Verzichtleiftung auf den Glanz Außerer Ehren
die Ruhe zu erfaufen, deren er bedurfte, um das, was erft
bunfele Ahnung war, auf dem Wege ernften Rachvenfens in
klaren Begriff umzugeftalten ’). Da mußte es ihm begegnen,
daß er gerade dort, wo er feinen Plan zur Ausführung zu
bringen gedachte, in einen Kreis von Männern geführt wurde,
die, ohne höhern Geſichtspunkt der herfömmlichen ſcholaſtiſchen
Borftelungsmweife zugethan und ohne Begriff und Bepürfniß
von dem, was Mutian’8 Seele bewegte, ihn fofort mit Miß⸗
trauen, bald.entfchieden feindfelig behandelten. Indem er aber
fo an der Schwelle in feinen idealen Beftrebungen geftört wurde,
erwachte in ihm die Leidenfchaft gegen feine Widerfacher und das
Syftem, welches fie vertraten. Der Gedanke des Gegenfabes
gegen feine Umgebung wurde der leitende feiner Seele.
In diefer Lage geſchah es, daß er fich zu jenen merfwürs
digen Aeußerungen über Religion und Kirche fortreißen ließ.
Eie find eben als die verwegenften Angriffe zu betrachten, die
er in feinem unausgefebten Kampfe gegen feine Umgebung
unternahm. Sie haben bald die Form von bittern ſatiriſchen
Ausfällen, bald find fie in das Gewand einer ernften philofo-
phiichen Betrachtungsweiſe eingefleidet. Allen fieht man bie
gereizte Stimmung an, in der fie vorgebracht wurden. Manche
knüpfen geradezu an einen Vorfall an, der fo eben wieder feiner
Erbitterung gegen feine Amtsbrüder neue Nahrung gegeben hat.
1) Er felbft fagt kurz nad feiner Ankunft in Gotha von feinen wiflen-
fhaftlichen Beitrebungen: „De deo sauctisque viris et de cognitione
totius antiquitatis nostrum est studium.‘ Tengel p. 18 ad Urb. In
demielben Briefe heißt es: „Mea siquidem vita in pietatis et doctrina-
rum otio conquiesecit.‘
— 88 —
Die Unwürdigkeit des perſoͤnlichen Wandels ſeiner geiſtlichen
Collegen iſt ihm ein Beweis für die Unwahrheit ihrer Religion.
„Wer möchte es glauben“, ſchreibt er an Urban, „daß ſolche
Priefter int Bells der wahren Religion feien.” Ihrer außer-
lichen exchufiven Auffaffung des Chriftenthums gegenüber gibt
er demfelben die univerfellfte Bedeutung ohne alle zeitliche und
örtliche Beichränfung ?). Er liebt es, fih antifer Tugend
beifpiele zu bedienen, zieht Heidnifche Denker chriftlichen Theo⸗
logen vor, er glaubt dem h. Benedictus eine Ehre zu erweifen,
wenn er ihn einen Pythagorus nennt; überhaupt hebt er das
Gute, welches er in andern Religionen vorfindet, mit Vorliebe
hervor und findet namentlih an herrlichen Ausſprüchen des
Koran Gefallen 2). Machten ihm feine Mitcanoniker die Vers
‚nadhläffigung des Meßopfers zum Vorwurf, fo hebt er hervor,
wie wenig auf die blos Außerliche Darbringung desfelben an-
fomme. Er ftellt den geiftigen Genuß über den leiblichen, oder
vielmehr er laßt jenen allein gelten, denn das Reich Gottes
fei nicht Speife und Trank; er redet einem ftarf fpheitualifirten
Chriſtenthum das Wort, der geiftige Ehriftus. fteht ihm höher,
als der leibliche ?). Gegenüber der ängftlichen Beobachtung der
religiöfen Geremonien, welche er in feiner Umgebung wahrnimmt,
betont er den Glauben, außer dem Alles Sünde fei, oder ex
dringt auf Erfüllung des einfachen Sittengefeges, Gott zu lieben
und den Nächften *). Letzteres ſei die Hauptfache, dazu nuͤtzten
1) 3. 3. in einem Briefe an Urban und Spalatin bei Tengel p. 37:
„Non incepit Christi religio cum illius incarnatione sed fuit ante
omnia secula, ut prima Christi nativitas, Quid enim aliud est verus
Christus, verus Dei filius, quam, ut Paulus inquit, sapientia Dei, quae
non solum affuit Judaeis in angusta Syriae regione, sed Graecis et
Italis et Germanis, quamquam vario ritu religionis observarentur. add
2) Bol. Tengel 1. c. p. 60. 85. 114. 850.
3) Tentzel p. 20. 58: „Verus Christus animus est et spiritus, qui
neque comprehendi neque manibus tractari neque videri potest.f“
4) Tengel p. 106. 57.
— 89 —
weder Ceremoniendienſt, noch ſcholaſtiſche Spitzfindigkeiten 1).
Leichtſinnig äͤußert er ſich über einzelne kirchliche Inſtitute, über
das Faſten, durch das man Thiere, nicht Menſchen baͤndige,
über die Beichte und den Charakter der Priefter?). Auch über
einzelne Erzählungen des alten Teſtaments ſpricht er fich in
einer Weife aus, die wenigftens feiner Umgebung fehr anftößig
erfheinen mußte >).
Wie wenig indeß folche meift in den Augenbliden leiden-
ſchaftlicher Erregtheit hingeworfene, fich theilmelfe widerfprechenve
Aeußerungen als Ausdrud feiner inneren Ueberzeugung und der
herrſchenden religiöfen Denkungsart Mutian's zu betrachten find,
zeigt fich fehr bald. Er ſelbſt ſagt, daß er ſich „durch foldye
Scherze nur gegen die Angriffe feiner Gegner ſchuͤtze ).“ Er
fucht ihre Verbreitung in weitern Kreifen zu verhindern, aud)
fordert er wohl feine Freunde auf, Briefe von ihm, in denen
folhe Aeußerungen vorfamen, zu vernichten 5), nur zur Befrie-
digung feiner Laune feien fie gefchrieben *), Er ſelbſt trägt
fein Bedenken, fie als heidniſch und irreligios zu bezeichnen,
ı) „Quid ista disserendi subtilitas ad vitam moresque facit?
Conducit, ajunt, religioni Christianae. Non est ita, obest magis.‘“
Tentzel p. 21.
2) Weber das Faften fpricht er fich am frivolften aus in einem Briefe
an Petrejus 1. c. 238, über den Prieftercharafter in folgender Gtelle:
„Accepimus de pectore Serapidis magicum characterem, eui Jesus
Galilaeus auctoritatem dedit; illa figura fugamus hostes, allicimus
numos, Deum Consecramus, tartara concutimus et facimus mirabilia
sive coelestes sive scelestes, nihil ad rem dummodo simus beati
Jovis epulones. «“ 1. c. 106.
2) Bol. Tenbel p. 18. 63.
4) Tenpel p. 61.
6) 3.38. ad Herebordum: „Tu literas meas conoerpe si me amas.
Nisi ita feceris, nen audebo cavillari, ut soleo.‘‘ Tentzel p. 104.
6) So fagt er einmal über das Faflen: ‚„‚Pertinet enim haec sobrietas
ad morum regulam et ad salutis rationem‘‘ und fährt dann fort: „Ego
ut paulisper inter seria jocer, dico causam jejunandi avaritiam esse.‘‘
Tengel p.46 Stellen wie die oben berührten beginnen oft mit den Worten:
„Ego ut tecum meo more jocer‘ u. dal.
— 90 —
und bittet wegen ihrer ſeine Freunde um Verzeihung. Und
welches Vertrauen er ſelbſt in ſeine philoſophiſchen Argumente
ſetzt, mit denen er mitunter uͤbermüthig um ſich wirft, ſieht
man am beften, wenn er einmal bei einer folchen Gelegenheit
den Weg, den er wandele, ald einen gottlojen darftellt und
fchließlich e6 vorzieht, zur Verrichtung der Andachtsübungen,
die ihm fein Stand auferlegt, überzugehen !). Eben die Haltung,
die er in feinem perfönlicden Wandel beobachtet, thut auf das
entfchiedeufte dar, daß ed mit jenen frivolen Ausfällen nicht
fein völliger Exrnft war. Oft trifft ihn der Bote, wie er mit
dem Beten ded Breviers beichäftigt ift ?). Er läßt es fich ſehr
angelegen fein, daß die Seelenmefien für die Verftorbenen feiner
Familie gehalten werden). Im Jahre 1514 fohreitet er nad
langem Zögern zur Darbringung des Meßopfers, „da er fich,
ohne die Pflicht der Frömmigkeit zu verleben, nicht länger von
Opfer und Altar enthalten fünne *).“ Einige Zeit fpäter finden
wir ihn eifrig mit dem Studium der heiligen Schriften befchäftigt.
Er arbeitet an einer Auslegung ded Pfalmiften und feiert ihn
1) So fat er einmal in einem Briefe an Urban: „Sed ne sanctita-
tem tuam ab academia porticuque Christiana ad impiam viam, quae
nos philosophos fatigat seducam cano receptui, teque rogo ut ames
me amore ill tuo singulari. Ego nunc propter deum ad primarum
supplicia vado tui memor, tuas ad Christum preces reposcendo.‘“
Tengel 58—59. Es ift beachtenswerth, daß diefe Aeußerung eben auf jene
Stelle folgt, wo er von einem Scheinchriftus fpricht. Bgl. Hagen 1. c. I, 386.
2) M. B. F. fol. 1392. Tengel p. 181, 167, 221 u. A.
° Bol, M. B. %. fol. 171a u. 307b. Er verkaufte das von feinem
Bruder ererbte Haus in Erfurt nur unter der Bedingung „ut fratri Joanni
Muth olim in aula Moguntina vita defuncto piorum roquien! inter
sacra precarentur.‘“
*) „Neque enim salva pietate diutius ab aris et victimis abstinere
manus possum; fui spectator potius quam conviva. Visitavi hostiam
tantum non tractavi ut pepa. Nunc deo meo propitio gustabo partes
dominicae coenae et pro vivis et defunctis memoriter, ut ft, orabo.““
M.B.F%.fol. 184b. Einige Zeit fpäter fpricht er mit der größten Achtung
von der Meſſe. M. B. 5. fol. 188b.
— 91 —
in zierlichen Berfen 1). Er lieſet mit großem Eifer die Werke der
Kirchenväter. Die Ordensftifter, die hh. Benedict und Bernard,
verehrt er als die herrlichiten Blüthen des Firchlichen Lebens;
er will einmal an Baptiſta Mantuanus ſchreiben, damit diejer
das Andenken des Erfteren durch ein Gedicht verberrliche ?).
Auch fpricht es fiherlich nicht für Mutian's Untkirchlichkeit, daß
die Männer, weldhe feined vertrauteften Umganges genoffen,
einen wahrhaft kirchlich⸗religiöſen Charakter zur Schau tragen.
Georg Spalatin, der ganz unter Mutian’8 Einfluffe Hand, brachte,
als er 1509 als Erzieher nach Wittenberg berufen wurde, vor
feinem Abgange an 30 Tagen das Mebopfer dar, in der Abficht,
fih den Segen des Himmels zu erfleben ?). Urban, Mutian’s
innigfter Bertrauter, it Berfaffer einer Schrift, die an die
glaubige Myſtik der früheren Jahrhunderte erinnert *), Er vers
faßte fie auf Anregung Mutian’s, der ihn fchon früher aufgefordert
hatte, dad Leben Chrifti oder des h. Bernard zu befchreiben >).
Selbft die Sünglinge, deren fih Mutian und Urban zur Ver
mittelung ihres gegenfeitigen Verkehrs bedienen, erfcheinen in
1,3 8. „‚Custos pii David gregis
Psalmos canebat inclytos
Hebraea gens, quos censuit
Toto colendos pectore.
‘Nec errat hac in semita
Mittunt recepti sub jugum
Christi colouum simplicem
Purgantque conscientiam.‘‘
Vgl. Libellus novus Epp. etc. G 7a.
2) Tengel p. 89. Ueber S. Bernard fagt er: „„Bernardus noster vir
haud dubie primi nominis inter sanctissimos, cujus familia hodie late
patet celestium contemplatrix. M. 8. F. fol. 48a.
2) Tenkel p. 180.
*, Diefes merkwürdige aber fehr teltene Schriftchen führt den Titel:
M. Maruli Carmen de dactrina domini nostri Jesu Christi pendentis
in Cruce per modum dialogismi Christi et Christiani.‘‘ 4°. (Exc. per
Joan Canappum. 1514.)
>) Bgl. Tengel 96, 33, 35.
— 92 —
einem ähnlichen Lichte; auch fie führen einen fehr erbaulichen
Briefwechfel vorwiegend religiöfen Inhalts ?).
Beachtenswerth ift, wie die humaniftifchen Schüler Mu-
tian’8 über ihn geurtheilt Haben. Auf Keinen unter ihnen hat
er den Eindrud der Irreligiöfttät gemacht, fie alle find einftim-
mig in dem Lobe feiner Frömmigkeit und firchlichen Gefinnung
und heben diefe unter feinen Tugenden immer befonders hervor.
Euricius Cordus fordert jeden auf, der einen „gelehrten, tugend-
haften, gefälligen, freundlichen Mann, einen Mann ausgezeichnet
durch Religiöfität” zu fehen wünfche, in die Wohnung des
frommen Gothaer Canonicus einzutreten?). „Sa fürwahr”,
fchreibt diefer felbft an feinen Freund Urban, „ich liebe ven
Glauben der Kirche, angenommen zum Antheil des Herrn“ >),
Gewiß lebte in Mutian nicht der mit den Lehren ded
Chriſtenthums zerfallene Geift, der fih in einzelnen feiner
Aeußerungen zu verrathen ſcheint. Aber daß fein Verhältniß
zu denfelben nicht immer und überall das einer unbedingten
Anerkennung und gläubigen Hingabe war, feheint ebenfo gewiß.
Die innere Ruhe und Befriedigung ded Bewußtfeind, die mit
leßterer verfnüpft ift, fehlte ihm. Eine Disharmonie, ein Schwan-
fen zwifchen zwei verfchiedenen Weltanfchauungen war in ihm
vorhanden, nie hätte ihn fonft der Kampf gegen feine fcholafti-
fhen Wiverfadher in Gotha zu fo ungemefjfenen Behauptungen
fortreißen können. Und wie fein erftes ZJufammentreffen mit
den Anhängern der Scholaftif jeinen innern Zwieſpalt offen
barte, fo hat eben die Feindfchaft gegen fie denfelben vergrößert
und feine Ausfühnung um ein Bedeutende erfchwert, Der
Kampf gegen die Scholaftif Tieß ihn nie zum ruhigen Nach—⸗
denfen über fich felbft gelangen. Der Gedanke des Gegenfabed
1) M. B. F. fol. 24%. Tengel 196. 197. u. a.
2) Euricii Cordi Opp. 80. Das Itinerarium, in dem dieſe Aeuße⸗
rung vorfommt, ift aus dem Jahre 1515. Vergl. auch Eobani Farrago
I, 86 b. u. a.
2) Tentzel p. 199.
— 93 —
gegen die Schultheologen verfolgt ihn überall. An den Aus⸗
drud der Verehrung gegen den h. Benedict knüpft er den bes
bitterfien Haſſes gegen jene !). In diefer Gemüthsftimmung
hat er Fein Bedenken getragen, ein Unternehmen zu unterftüßen,
dad dem verhaßten Feinde den tödtlihen Schlag beibrachte.
Und erft da, ald der Feind vernichtet war, defien Bekämpfung
ihn fortwährend in fieberhafter Aufregung erhalten hatte, wurde
Mutian's Seele ruhiger und milder geftimmt. Da gewann er
Muße, in fein eigenes Inneres. zurüdzufehren und die Aus-
föhnung der hier fich befämpfenden Gegenjäße vorzunehmen.
Und er hat died gethan.
E8 war am Tage vor feinem Tode, als er nach dem legten
Kampfe mit fich felbft die Feder ergriff und die Worte nieder-
ſchrieb: „Diele weiß der Landmann, was der Philofoph nicht
weiß. Ehriftus aber, unfer Leben, ift für und geftorben. Dies
glaube ich auf das feftefte” 2). Erſt fpät, am Abende feines
Lebens, ift Mutian jene „glüdjelige Ruhe” zu Theil geworben.
. W.
Während ſich für den neuen Canonicus in Gotha ſelbſt
die traurigſten Ausſichten eröffneten, geſchah es, daß er in ber
Gerne die Theilnahme und Anerkennung fand, die ihm feine
unmittelbare Umgebung verfagte. Nicht fo einfam und unbes
achtet, wie er in jenem Briefe an Urban klagt, wandelte Mu-
tian mit feinen beiden ftilen Freunden auf dem fteilen Pfade
der neuen Wiffenfchaften.
ı) So fagt er: Legi nuper nudius tertius et heri regulam S. Be-
nedicti. Quis non rabularum magnifica et insidiosa verba contemneret.
M. B. F. fol. 308 a.
2) Bol. den Brief bes Myconius ad Georgium Brunum in Amoeni-
tates literariae IV, p. 439—30, wo jene Nachricht fich findet: Priori die
sedens, et nescio quid secum gerens certaminis, arrepto calamo ita
scripsit: „Multa scit rusticus quae philosophus ignorat: Christus vero
pro nobis mortuus est, qui est vita nostra: quod certissime credo.‘
— 92 —
einem ähnlichen Lichte; auch fie führen einen fehr erbaulichen
Briefmechfel vorwiegend religiöfen Inhalts !),
Beachtenswerth ift, wie die humaniftifhden Schüler Mu-
tian’8 über ihm geurtheilt Haben. Auf Keinen unter ihnen hat
er den Eindrud der Srreligiöfttät gemacht, fie alle find einftim-
mig in dem 2obe feiner Frömmigkeit und Firchlichen Geſinnung
und heben diefe unter feinen Tugenden immer befonders hervor.
Euricius Cordus fordert jeden auf, der einen „gelehrten, tugend»
haften, gefälligen, freundlichen Mann, einen Mann ausgezeichnet
durch Neligiöfttät" zu fehen twünfche, in die Wohnung des
frommen Gothaer Canonicus einzutreten?). „Sa fürwahr“,
fchreibt Ddiefer felbft an feinen Freund Urban, „ich Tiebe ven
Glauben der Kirche, angenommen zum Antheil des Herrn“ 3).
Gewiß lebte in Mutian nicht der mit Den Lehren des
Chriſtenthums zerfallene Geift, der fih in einzelnen feiner
Aeußerungen zu verrathen fcheint. Aber daß fein Berhältniß
zu denfelben nicht immer und überall das einer unberingten
Anerkennung und gläubigen Hingabe war, ſcheint ebenfo gewiß.
Die innere Ruhe und Befriedigung des Bewußtſeins, die mit
leterer verfnüpft ift, fehlte ihm. Eine Disharmonie, ein Schwan-
fen zwifchen zwei verfchiedenen Weltanfchauungen war in ihm
vorhanden, nie hätte ihn fonft der Kampf gegen feine fcholafti-
fhen Wiverfacher in Gotha zu fo ungemefienen Behauptungen
fortreißen fünnen. Und wie fein erftes ZJufammentreffen mit
den Anhängern der Scholaftif jeinen innern Zmiefpalt offen
barte, fo hat eben die Feindfchaft gegen ſie denfelben vergrößert
und feine Ausföhnung um ein Bedeutended erfchwert. Der
Kampf gegen die Scholaftif ließ ihn nie zum ruhigen Nach
denfen über fich felbft gelangen. Der Gedanfe des Gegenſatzes
1) M. B. 5. fol. 24% a. Tengel 196. 197. u. a.
2) Euricii Cordi Opp. 80. Das Itinerarium, in dem dieſe Aeuße⸗
rung vorfommt, ift aus dem Jahre 1515. Bergl. auch Eobani Farrago
1, 36 b. u. a.
2) Tengel p. 199.
— 93 —
gegen die Schultheologen verfolgt ihn überall. An den Aus—
drud der Verehrung gegen den 5. Benedict knüpft er den des
bitterften Haffed gegen jene !). In diejer Gemüthsftimmung
hat er Fein Bedenken getragen, ein Unternehmen zu unterftügen,
dad dem verhaßten Feinde den tödtlichen Schlag beibrachte.
Und erſt da, ald der Feind vernichtet war, deſſen Bekämpfung
ihn fortwährend in fieberhafter Aufregung erhalten hatte, wurde
Mutian’d Seele ruhiger und milder geftimmt. Da gewann er
Muße, in fein eigened Inneres zurüdzufehren und die Aus:
fhnung der hier fich befämpfenden Gegenfäße vorzunehmen,
Und er hat dies gethan.
Es war am Tage vor feinem Tode, als er nach dem legten
Kampfe mit fich felbft die Feder ergriff und die Worte nieder-
ſchrieb: „Vieles weiß der Landmann, was der Philofoph nicht
weiß. Chriſtus aber, unfer Leben, ift für und geftorben. Dies
glaube ich auf das feftefte” 2). Erſt ſpät, am Abende feines
Lebens, iſt Mutian jene „glüdfelige Ruhe” zu Theil geworben.
IV.
Während fih für den neuen Canonicus in Gotha felbft
die traurigften Augfichten eröffneten, geſchah es, daß er in ber
Ferne die Theilnahme und Anerkennung fand, die ihm feine
unmittelbare Umgebung verfagte. Nicht fo einfam und unbes
achtet, wie er in jenem Briefe an Urban klagt, wandelte Mu-
tian mit feinen beiden ftillen Freunden auf dem fteilen Pfade
der neuen Wiffenfchaften.
ı) So fagt er: Legi nuper nudius tertius et heri regulam S. Be-
nedicti. Quis non rabularum magnifica et insidiosa verba contemneret.
M. B. 5. fol. 308 a. '
2) Bol. den Brief des Myconius ad Georgium Brunum in Amoeni-
tates literariae IV, p. 439—30, wo jene Nachricht fich findet: Priori die
sedens, et nescio quid secum gerens certaminis, arrepto calamo ita
scripsit: „Multa soit rusticus quae philosophus igaorat: Christus vero
pro nobis mortuus est, qui est vita nostra: quod certissime credo.‘
— U —
Reh war er nicht lange Zeit in Getha, als er von dem
ſachũ ſchen Ehurfürfien Friedrich dem Weiſen die ausgezeichnetiten
Bewriie der Hulp und Anerfennung empfing und zu demjelben
im jenes innige und nahe Berbälmis trat, welches ihm bald
bei allen wichtigen Schritten des Fürfien einen entjcheidenden
Einfus verlich”). Schon im Jahre 1505 finden wir den
gelchrten Abı Tritheim in jeiner Rähe. Der bumaniftifch gebil-
dete Graf Hartmann von Kirchberg, welcher in dem Kloſter
Fulda lebte, näherte ich ihm um diejelbe Zeit in Briefen, welche
Die größte Brrehrung für Mutian ausiprechen?). Gleichzeitige
Briefe des Aldus Manutius und Ulrich Zaſius verfünden
Mutian's Lob. Letzterer preijet ihn „als den Gelehrteften ver
Deutſchen, einen zweiten Barro” 2),
Aber von feiner Seite wurde dem neuen gothaiihen Ca—
nonicus größere Aufmerfjamfeit bewieien, als von den Gelehrten
der benachbarten Univerſität Erfurt. Schon ift des nahen Ber:
hältnifles gevadıt, in dem die beiden Träger ded Humanismus
dafelbft zu ihm ftanvden, ver ungewöhnlichen Ehrfurcht, welche
fie für ihn an ven Tag legten*). Ihr Beifpiel fand auch bei
ſolchen Nachahmung, die nicht jo entfchieden wie fie der neuen
Richtung huldigten. Als Zögling der Univerfität ftand Mutian
ur
*) Val Lib nov. epp. K 5 b. Mut. ad Urb. „‚Mitto etiam Petri
Ravennatis sermones quos dux inchytus Foedericus mihi transmisit
eum elegantiasima quam suo tempore videbis epistela, quae referta
or summae illius humanitatis et praecipui erga me amoris.“ Der
Brief IM aus 1505, mie bie Erwähnung der clades intestina zeigt. — Reuch⸗
lin nannte foäter Mlutian den Hierophantes des Churfürſten.
3) Schon 1505 überfandte Mutian einen Brief bes Grafen an Urban
mit den Worten: „‚Üernere licebit, quantus sit Amor erga me diser-
tiaxlmi comitis Hartmanni Kirchburgii.‘‘ Tengel p. 41.
*) Ud, Zunil epp, ed. Rieggerus p. 390 ad Thom. Wolphium.
(1006); val, Lib, mov. epp. KIT a
2) Diutiam wußte bas Derbienit bes Marfchalt und Maternus zu würs
Diaen, Bwei Briefe von Ihnen überfandte er (1505) an Urban mit den
Worten; „No mobliissimus Thurius sun te delectabit elegantia, cui
Mntarni Pistorionsin opistolam sodalitatis momine comulayi.t* Tentzel #1.
— 95 —
ohnehin allen nahe; man erinnerte ſich noch, mit welchem Bei⸗
fall er einft in Erfurt gelehrt). Der Zauber, mit dem ihn
feine italienifche Reife umgab, erhöhte die Theilnahme für ihn.
Männer wie Georg Eberbach, Goede, Soemmering, Reinbote
u. A., die uns ſchon als Vertreter jener vermittelnden Richtung
befannt find, fuchten feine Rähe und Frenndſchaft. Es bilvete
fih in Kurzem zwifchen Mutian und größtem Theile der Unis
verfitätsichrer das fchönfte Verhältniß. Wohl fand Mutian
Manches bei feinen neuen Freunden, was er nicht billigen
fonnte, aber fie bildeten doch immer einen erfreulichen Gegen⸗
jab gegen feine nächfte Umgebung in Gotha; theilten fie auch
Mutian's wiffenjchaftlihe Anfchauungen nicht, fo waren fie
doch nicht unempfänglicy für diefelben; fie alle waren einflims
mig in der Anerkennung feiner feltenen Gelchrfamfeit. So
lebhaft wurde jenes Berhältnig, daß Mutian, obwohl er fort
während feinen Wohnſitz in Gotha beibehlelt, Doch wegen des⸗
felben als Mitglied der Univerfität betrachtet werden konnte.
Indeß wichtiger und folgenreidher als dieſe befreundete
Stellung zu den Lehrern der Univerfität wurde das Verhältniß,
in das Mutian bald zu der bisher von Maternus geleiteten
jungen PBoetenfchaar trat. Schon im Yahre 1504 hatte Eoban
auf feiner Reife nach Erfurt den merfwürbigen Gelehrten in
Gotha Fennen gelernt. „Du wirft der Ruhm der Dichtfunft
werden”, verfündete Mutian dem feuerigen Sünglinge Ein
innigered und dauerndes Berhältniß zwifchen beiden war aber
damals noch nicht begründet worden. in foldhed bildete ſich
erſt zwei Sahre fpäter, eben als Maternus fich feinem bisher
verwalteten Amte nicht mehr gewachfen fühlte und die Blide
feiner Schüler nach einem Fräftigeren Führer fuchten?). Eoban,
der ſchon mehrmals den Ton in dem jungen Dichterfreife anges
ı) Bal. De laudibus Gymnas. lit. Erph. B 1 a.
2) Der erfle Brief Mutian’s an Eoban, worin fich jenes innige Ber-
hältnig zu erfennen gibt, ift .d. d. Cal. Octob. 1506. — Lib. nov. epp.
H6b.
— 96 —
geben hatte, wurde auch jetzt durch das Beiſpiel der Annaͤhe⸗
rung an Mutian feinen Freunden Anlaß zu demfelben Schritte.
Die Berfönlichkeit eines Mannes, der nach bewegter, ganı im
Dienfte der: Wiffenfchaften verlebter Jugend, jest einen Elöfter-
lihen Aufenthalt in Gotha dem Glanze einer clericalen oder
politifchen Laufbahn vorzog, nur um. ungeflört feinen wiſſen⸗
Ichaftlihen Neigungen nachgehen zu fönnen, übte auf die jugend-
lichen Gemüther einen eigenthümlichen Reiz aus. Nicht ohne.
eine gewiffe Schüchternheit fingen nun au Eoban's Freunde
an, fih dem wunderbaren Manne zu nähern, am frübeften
Erotus Rubianus, Petrejus und der mit Eoban jehr nahe
befreundete Herebord von der Marthen !).. Ihnen folgten dann
die Uebrigen, Geratinus, Heinrich Eberbach, Trebelius, Jonas
u. |. w., bis ſich nach und nach die ganze erfurtifche Poeten⸗
haar um Mutian zufammenfand. Auch der junge Ulrich von
Hutten trat von Erfurt aus zu diefem in ein näheres Berhälts
niß, welches innig genug war, um auch noch nach erfolgter
Trennung auf feine Entfchließungen einzuwirfen ?). Ihn zwar
trieb fein unruhiger Geift fchon bald wieder aus der Nähe des
Mannes, dem die „glüdjelige Ruhe” über Alles ging, zu neuen
poetifchen Abenteuern fort; um fo näher aber fohaarten fich die
Uebrigen um: denfelben, denn fehr bald wurden fie inne, daß
fie in ihm gefunden, was fie gefucht, einen Führer und Leiter
für ihre wiffenfchaftlichen Beftrebungen.
Jene „Guten”, denen fein Umgang ausfchließlich gewidmet
fein folte, traten Mutian in diefen offenen, Iernbegierigen
) Herebord war der. Sohn des mainzifchen Vigedom - Gerlach von der
Marthen, von gleichem Alter mit Eoban, deſſen vertrauter Freund und groß:
müthiger Gönner er war. Coban hat fein Gefchlecht in mehreren Gedichten
verberrlicht. Lib..nov. epp. F 1 b. sqgq.
2) Ueber fein damaliges Berhältniß zu Mutian fpricht fih Hutten im
zweiten Buche feiner Klagen aus:
;„Consulit hunc Crotus doctoremque eligit Hessus
Non nihil et crebro profuit ille mihi.‘“
Opp. Hutt. I, 67.
— 1 —
Jünglingen entgegen, und die Infchrift: Bonis cuneta pateant,
welche er um dieſe Zeit über der Eingangsthür feines Wohn⸗
zimmers anbringen ließ, that legteren kund, mit welcher Liebe
er fich ihrer anzunehmen gedachte ?).
V.
Fortan war Mutian's ganze Sorge und Thaͤtigkeit feinen
jungen erfurtifchen Freunden zugemendet. Einen Augenblid
dachte er daran, unter ihnen in Erfurt, wo er,ein von feinem
Bruder ererbted Haus befaß, feinen Wohnftg zu nehmen. Sehr
bald aber überzeugte er fich, wie wenig dies nothwendig fei. Gern
unternahmen die eifrigen Sünglinge die Heine Reife von Erfurt
nah Gotha, um einige Zeit in Mutian’d Nähe zu vermeilen,
und je mehr fich ihnen feine wahre Gefinnung erſchloß, deſto
häufiger wurden ihre Beſuche. Allmählig verlor fich bei dieſen
Zufammenfünften die anfängliche Schüchternheit; Mutian's zu:
vorfommendes und freundliches Benehmen flößte Vertrauen ein,
mar fing an, in einem berzlicheren, freieren Tone mit ihm zu
reden. Theilmeife wurde dieſer Uebergang durch Urban und
Spalatin vermittelt, die fich ebenfalls um jene Zeit ihren ehma⸗
figen erfurtifhen Studiengenofien wieder anfchloffen und letz⸗
tere dadurch auch Mutian näher brachten. So hatte fich ſchon
binnen kurzer Zeit dad Verhäliniß ausgebildet, das zwiſchen
Mutian und der jungen Dichterichaar eine Reihe von Jahren
beftehen follte: als Lehrer und Führer einer eifrigen und folg-
famen Schülerfchaft hatte Mutian einen Wirfungsfreis gefun-
den, der feinen Bemühungen den wichtigften und glänzendften
Erfolg verſprach.
Und nie erfeheint ung Mutian’s Bild anmuthiger und
anziehender, als in dem Berhältniß zu feinen neuen Schülern.
ı) Kob. Farr. I, 24 b. Camerar. Narr. de Eob. Lauze's Ghronik
lc. p. 119.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 7
— 98 —
So ganz lebt er mit feinen Sünglingen und.für fie, er geht
auf ihre Vorftelungsweije ein, theilt ihre Wünfche und Ans
Hiegen, ihre Wohlergehen ift feine einzige und größte Freude.
„So fehr bin ich meinen Freunden zugethan”, fchreibt er an
Herebord, „daß ich mich in den Himmel verfegt glaube, fo oft
id) eine günftige Nachricht von Euch erhalte” ?). Er hatte fi
in Kurzem von den Anlagen, Fähigkeiten und Bevürfniſſen
eines jeden überzeugt. Darauf berechnete er feine Anweijungen.
Eoban, in dem er fofort den geborenen Dichter erkennt, macht
er auf die Hoheit feines Berufes aufmerffam. Er warnt ihn
vor Abmwegen, „Gott zieht den einen auf diefe, den andern
anf jene Weiſe“, fchreibt er ihm ſchon im Herbft 1506, „Dich
aber trägt er durch heilige Gedichte in die Höhe, wie die “Bro:
pheten und Sibyllen. Bewahre deshalb das Dir von dem
Herrn anvertraute Talent” 2). Er ermahnt ihn, durch einen
züchtigen und ehrbaren Wandel feinem ‚wichtigen Berufe Ehre
zu machen und dadurch den Gegnern der Dichtkunft allen Grund
zu Klagen zu benehmen?). Die Hauptjache ift aber immer,
daß er ihn auf das. unübertrefflihe Mufter der Alten hinweifet.
Er fordert, daß er ihren Werken ein ernftliheres Studium
widme als bisher, denn es fei nicht genug, fie einmal gelefen
zu haben, und in dem eigenen Gedichte hier und da ihre jier-
lihe Ausdrucksweiſe nachzuahmen, nicht blos die Formen, ſon⸗
dern auch den Inhalt, die Anfchauungsweife der Alten müffe
er fih zu eigen machen, um gegründeten Anfpruch auf den
1) M. DB. F. fol. 106 a.
2) Lib. nov. epp. H 6 a.
3) „Etenim ut muitiscium ita probum atque modestum esse decet
pium Poetam. Alioquin opici Momi habebunt nos ludibrio in audito-
rum examine coetuque doctorum vexahbunt tamquam ridicalos et nota
dignos cenforia. Nam divinum Poetae nomen, nescio quibus Caco-
daemonum aspirationibus, invidiosum esse coepit. Quid fiet si ama-
tores antiquitatis a via virtutum aberraverint? Plus nimirum exemplo,
quam peccato nocebunt.“ Lib. nov. epp. H4b—5a.
— 9 —
Namen eined Dichters zu haben !). — Um den lernbegierigen,
firebfamen Petrejus, von dem er fich jofort viel verſprach, bei
feinem Eifer zu erhalten, hält er Robfprüche für hinreichend;
er nennt ihn „den zweiten Mutian”, „ven Feldherrn der latei-
nischen Abtheilung“ 2). — Mehr Sorge machte ihm Herebord, der
fich, feiner eigenen Neigung und dem Wunfche der Seinigen
folgend, für das Studium der Rechtswiffenfchaft entjchieden hatte.
Hort und fort ermahnt er dieſen, fich bei feinen juriftifchen
Studien nicht auf die herfümmlichen barbarifchen Lehrbücher zu
beſchraͤnken 2); gründliche Rechtskenntniß fei ohne eifriges Stu-
dium der Alten unmöglich, da erſt dieſes zu den eigentlichen
Quellen des Rechts führe, denn wie die chriftliche Kirche aus
dem Judenthume hervorgegangen fei, fo, behauptete er, babe
das gegenwärtige Recht in dem claffifchen Alterthume und
namentlich in der folonifehen Berfaffung feine Wurzel). Da-
neben ermahnt er ihn, ebenfalls im Anfchluß an die Alten fich
einer reinern und edlern Sprache zu befleißigen, nur dadurch
fihere fih der NRechtögelehrte den Erfolg®). Bejonderes Ber-
trauen ſchenkte Mutian dem Erotus Rubianus. Diefem eifrigen
ı) 3.2. Lib, nov. epp. H 4 b. „Quo magis mi adolescens gau-
dere debes meo judicio dareque operam, ut utriusque linguae prae-
stantissimes auctores varia tibi multiplicique lectione vel digitis tuis
notiores efficias: Neque enim concludere versum dixeris esse satis,
ut inquit Horatius. Est operae pretium tractare totam encyclopae-
diam, nosse praecipue veterum probatas historias etc.‘
2) „Latinae elassi«e imperatorem.“ DM. DB. 5. si6 a.
8) Lib. nov. epp. K5a. Mut. ad Hereb. ‚‚Constitui dare prae-
scripta tanquam normam optimi tyrocinii, ut positn barba sumtaque
virili toga non cum imperitis leguleis sacratiss. jus adeas, sed ingenua
et prisca doctrina duee juris tam civilis quam pontificii consultissimus
atque utilis et elarus patriae civis creari et institui possis.‘*
*) Mut. ad Hereb.: „Nam ut ecclesiastica secta, cui nos omnes
addicti sumus, propagatur ex matre synagoga ita civile jus et ur-
banae leges peregrinam habent radicem, Athenis olim Solonis sapi-
entia corroboratam ° M. B. %. 321 b.
5) Mut. ad Hereb. M. B. F. 184 a.
70
— 10 —
Sünglinge, der al8 der ältefte bei feinen Genofien fchon in
einigem Anjehen ftand, übertrug er wohl das Amt, ihn in Erfurt
zu vertreten ?).
Neben Urban und Spalatin waren ed eben die vier Ges
nannten, die Mutian vorzugsweife in feine Nähe 309. Indeß
beichränfte fich feine Wirkfamkeit nicht auf fie Er wurde der
Lebensathem für den ganzen Kreis. UWeberall erfcheint er anre-
gend und ermunternd. Den noch Unerfahrenen führt er ein
in den Geiſt ver claffifhen Studien, den bereits Eingeweihten
fördert er weiter. Recht eigentlich veranfchaulichen und Die Briefe,
welche er an die Einzelnen richtet, feinen Lehreifer. Allents
halben ſchaltet er grammaticalifche, antiquarifche, auch wohl
philofophifhe Bemerkungen ein. Man fieht, das Unterweifen,
Belehren ift ihm Bebürfniß 2). Nie fehlt es ibm an Anlaß,
auf den Gegenftand zu fommen, der fein Herz erfüllt. Er gibt
den Einzelnen Aufgaben zur Ausarbeitung und hilft nad), wo
es nothwendig ift; er ordnet an, in welcher Weife Eoban ein
Gedicht umändern, wen er es widmen fol, Selbft die unbe
deutenvften Kleinigkeiten entgehen feiner Aufmerkſamkeit nicht.
Man findet wohl, daß er geringfügige Verftöße gegen die Or-
thographie, die er in den Briefen feiner Schüler bemerkte, ver:
beffert, oder daß er auf die richtige Accentuation lateinifcher
Worte aufmerffam macht ?).
I) Vgl. 3.2. Lib. nov.epp. J 4a, wo Mutian den Coban auf Erotus
als auf feinen Stellvertreter hinweifet: Vigilat Crotus et hoc tibi satis,
außerdem die Briefe Mutian’s an Grotus felbfi (Lib. nov. H6a u. Kib).
Uebrigend nahm Erotus erft um diefe Zeit, wie es fcheint unter Mutian’e
Einwirkung, diefen Namen an, wie auch fein Eintritt in den geifklichen
Stand in diefe Zeit zu fallen fcheint.
2) Es charakterifirt den Briefwechfel, den er mit feinen ; jungen Freun⸗
den führte, jehr gut, wenn er in einem Briefe an Herebord nach der Mit:
theilung, daß er fo eben eine neue Sendung claffifcher Werke empfangen
und dabei vor Freude geweint habe, einen langen, aus den alten Schrift-
ftellern geführten Beweis folgen läßt, daß man auch vor Freude weinen
könne. Lib. nov. epp. K 4 a
2) Pol. Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum
— 101 —
Irrig würde es indeß fein, aus Letzterem zu fchließen, daß
er bei feiner Lehrthaͤtigkeit vorzugsweiſe ver fprachlichen Seite
der neuen Studien feine Aufmerkſamkeit zugewendet habe. Wir
fahen bereite, wie wenig jene einfeitig formelle Richtung der
meiften Poeten feinen Anfichten entſprach. So ift er auch im
Kreife jeinee Schüler bemüht, diefen begreiflich zu machen, wie
wenig durch eine blos Außerliche, geiftlofe Nachahmung der
alten Schriftfteller erreicht werde, wie thöricht jened Haſchen
nach halbverftandenen claffifchen Yormen und Bildern fe. Er
entwöhnte fie allmählig jener oberflächlichen Betrachtungsweiſe,
indem er fie dazu anleitete, die Werke der Alten unter einem
höheren Gefichtspunfte zu fludiren ’). Und fo mild und nad»
fihtig er fonft war, fo unerbittlich fireng zeigte er fich, wenn
er, trob feiner vielen Ermahnungen, dennoch in feiner Umge⸗
bung Spuren jener plagiarifch-poetifchen Richtung wahrnahm ?).
quorundam virorum auctoritate, virtute, sapientia doctrinaque excel-
lentium. Kditus a. J. Camerariu Pabeperg. Lips. 1561. 8%. D6b.
Lib. nov. epp. I 6 a. Tentelp. 65. M. B. %. fol. 151 a.
ı) So fchreibt er an einen der jungen Dichter: „„Exgo son in offlcio-
sum Aristarchum, pro benevolentia, qua te prosequor (egi) jussique
ut lectionibus magis quam stylo vacares. — Crebro legendum esse
praecipio, non tamen id solum et semper agendum. Stylus interim
lectivni succedat.‘‘“ Tert. lib. epp. D 6 a.
2) Er bezeichnet Boeten wegen ihrer fflavifchen Nachahmung der Alien
wohl geradezu als Blagiatoren, z. B. in einem Briefe an Urban und Spas
latin. „Quid dicam de peetis ineptis! tres ad me veniunt, quis eorum
vaniloquentior sit, verbis exprimere ncqueo. Unus pestilens fur est
et plagiarius Ovidii, sccundus barbarus blaterator, tertius ita hebetis
animi homuneio, ut quid dicat neme praeter se ipsum iutelligat; ponit
in fronte libri quatuor male literatos et ridieulos versus quos equi-
dem luminis egere censeo. Omnes isti cacozeli sunt et quasi hiru-
dines sugentes malum sanguinem, bonum in poelis relinguunt. Le-
gerunt puto et thesaurum invenerunt, prorsus illepidi rudes
doquaces.‘“ Teutzel p. 38. Zur Begrändung feines harten Urteils über
einen folchen dichterifchen Berfuch fagt er ein anderes Mal: „„Neque enim
ingenii est aut literaturae sic aliena compilare, sive illis a quibus
sumseris accepta referas, sive tui juris esse atque inventi velis,
— 9 —
einem ähnlichen Lichte; auch fie führen einen fehr erbaulichen
Briefwechfel vorwiegend religiöfen Inhalts 1).
Beachtenswerth ift, wie die bumaniftiihen Schüler Mu-
tian’s über ihn geurtheilt haben. Auf Keinen unter ihnen hat
er den Eindrud der Irreligiöfttät gemacht, fie alle find einftim-
mig in dem Lobe feiner Frömmigkeit und Firchlichen Gefinnung
und heben diefe unter feinen Tugenden immer befonders hervor.
Euricius Cordus fordert jeden auf, der einen „gelehrten, tugends
haften, gefälligen, freundlichen Mann, einen Mann ausgezeichnet
durch Religioͤſität“ zu fehen wünfche, in die Wohnung des
frommen Gothaer Canonicus einzutreten?). „Sa fürwahr“,
ſchreibt diefer felbft an feinen Freund Urban, „ich liebe ven
Glauben der Kirche, angenommen zum Antheil des Herrn“ 3).
Gewiß lebte in Mutian nicht der mit den Lehren des
Chriſtenthums zerfallene Geift, der ſich in einzelnen feiner
Aeußerungen zu verrathen fcheint. Aber daß fein Berhältnig
zu denfelben nicht immer und überall das einer unbedingten
Anerkennung und gläubigen Hingabe war, feheint ebenfo gewiß.
Die innere Ruhe und Befriedigung des Bemwußtfeins, die mit
legterer verfnüpft ift, fehlte ihm. Eine Disharmonie, ein Schwan-
fen zwifchen zwei verfehiedenen Weltanfhauungen war in ihm
vorhanden, nie hätte ihn fonft der Kampf gegen feine ſcholaſti⸗
fhen Widerfacher in Gotha zu fo ungemefienen Behauptungen
fortreißen können. Und wie fein erſtes ZJufammentreffen mit
den Anhängern der Scholaftif jeinen inneren Zwiefpalt offen-
barte, jo hat eben die Feindfchaft gegen fie denfelben vergrößert
und feine Ausfühnung um ein Bedeutendes erfchwert. Der
Kampf gegen die Scholaftif Tieß ihn nie zum ruhigen Nach
denken über fich jelbft gelangen. Der Gedanke des Gegenſatzes
1) M. B. F. fol. 242 a. Tengel 196. 197. u. a.
2) Euricii Cordi Opp. 80. Das Itinerarium, in dem dieſe Aeuße⸗
rung vorfommt, ift aus dem Jahre 1515. Vergl. auch Eobani Farrago
I, 26 b. u. a.
2) Tentzel p. 199.
— 93 _
gegen die Schultheologen verfolgt ihn überall. An den Aus-
drud der Verehrung gegen den h. Benedict knüpft er den des
bitterfien Hafled gegen jene !). In diejer Gemüthsftimmung
hat er Fein Bedenken getragen, ein Unternehmen zu unterftüßen,
das dem verhaßten Feinde den tödtlihen Schlag beibrachte.
Und erft da, als der Feind vernichtet war, defien Bekämpfung
ihn fortwährend in fieberhafter Aufregung erhalten hatte, wurde
Mutian’d Seele ruhiger und milder geſtimmt. Da gewann er
Muße, in fein eigenes Inneres. zurüdzufehren und die Auss
föhnung der hier fih befämpfenden Gegenfäge vorzunehmen.
Und er hat dies gethan.
Es war am Tage vor feinem Tode, als er nach dem legten
Kampfe mit fich felbft die Feder ergriff und die Worte nieder-
fchrieb: „Vieles weiß der Landmann, was der Philofoph nicht
weiß. Chriftus aber, unfer Leben, ift für uns geftorben. Dies
glaube ich auf das feftefte” 2). Erſt ſpät, am Abende feines
Lebens, ift Mutian jene „glüdfelige Ruhe” zu Theil geworden.
IV.
Während fih für den neuen Ganonicus in Gotha jelbft
die traurigften Ausfichten eröffneten, geſchah ed, daß er in der
Ferne die Theilnahme und Anerkennung fand, die ihm feine
unmittelbare Umgebung verfagte. Nicht fo einfam und unbes
achtet, wie ex in jenem Briefe an Urban Flagt, wandelte Mu-
tian mit feinen beiden ftilen Freunden auf dem fteilen Pfade
der neuen Wiffenfchaften.
1) So fagt er: Legi nuper nudius tertius et heri regulam S. Be-
nedicti. Quis non rabularum magnifica et insidiosa verba contemneret.
M. B. 5. fol. 308 a. |
2) Vgl. den Brief de8 Myconius ad Georgium Brunum in Amoeni-
tates literariae IV, p. 48930, wo jene Nachricht fich findet: Priori die
sedens, et nescio quid secum gerens certaminis, arrepto calamo ita
scripsit: „Multa scit rusticus quae philosophus ignorat: Christus vero
pro nobis mortuus est, qui est vita nostra: quod certissime credo.‘“
— 14 —
Noch war er nicht lange Zeit in Gotha, als ex von Dem
ſaͤchſiſchen Churfürften Friedrich dem Weiſen die ausgezeichnetften
Deweife der Huld und Anerfennung empfing und zu demfelben
in jenes innige und nahe Berhältniß trat, welches ihm bald
bei allen wichtigen Schritten des Fürften einen entſcheidenden
Einfluß verlieh). Schon im Jahre 1505 finden wir Den
gelehrten Abt Tritheim in feiner Nähe. Der humaniftifch gebil-
dete Graf Hartmann von Kirchberg, welcher in dem Klofter
Fulda lebte, näherte fich ihm um diefelbe Zeit in Briefen, welche
die größte Berehrung für Mutian ausfprechen 2). @leichzeitige
Briefe des Aldus Manutius und AUlrich Zaſius verkünden
Mutian’s Lob. Lebterer preifet ihn „als den Gelehrteften der
Deutfchen, einen zweiten Varro“ 3).
Aber von feiner Seite wurde dem neuen gothalfchen Ca⸗
nonicus größere Aufmerkſamkeit bewiefen, als von den Gelehrten
der benachbarten Univerfität Erfurt. Schon ift des nahen Ver⸗
hältniffes gedacht, in dem die beiden Träger des Humanismus
dafelbft zu ihm flanden, der ungewöhnlichen Ehrfurcht, welche
fie für ihn an den Tag legten*). Ihr Beifpiel fand auch bei
folhen Nachahmung, die nicht jo entfchieden wie fie der neuen
Richtung huldigten. Als Zögling der Univerfität ftand Mutian
ı) Bol. Lib nov. epp. K 5 b. Mut. ad Urb. „Mitto etiam Petri
Ravennatis sermones ques dux inclytus Foedericus mihi transmisit
cum elegantissima quam suo tempore videbis epistola, quae referta
est summae illius humanitatis et praecipui erga me amoris.‘“ Der
Brief ift aus 1505, wie die Erwähnung der clades intestina zeigt. — Reuch⸗
lin nannte fpäter Mutian den Hierophantes des Churfürſten.
2) Schon 1505 überfandte Mutian einen Brief des Grafen an Urban
mit den Worten: ‚‚Cernere licebit, quantus sit amor erga me diser-
tissimi comitis Hartmanni Kirchburgii.““ Tengel p. 41.
3) Ud. Zasii epp. ed. Rieggerus p. 390 ad Thom. Wolphium.
(1506); vgl. Lib. nov. epp. K 1a
4) Mutian wußte das Verdienſt des Marfchall und Maternus zu wür⸗
digen. Zwei Briefe von ihnen überfandte er (1505) an Urban mit ben
Worten: „IIle nobilissimus Thurius sua te delectabit elegantia, cui
Materni Pistoriensis epistolam sodalitatis nomine copulavi.““ Tenpel 41.
— 95 —
ohnehin allen nahe; man erinnerte ſich noch, mit welchem Bei⸗
fall er einſt in Erfurt gelehrt’). Der Zauber, mit dem ihn
feine italienifche Reife umgab, erhöhte die Theilnahme für ihn.
Männer wie Georg Eberbach, Goede, Soemmering, Reinbote
u. A., die und ſchon ald Vertreter jener vermittelnden Richtung
befannt find, fuchten feine Nähe und Freundſchaft. Es bildete
fih in Kurzem zwifchen Mutian und größtem Theile der Unis
verfitätslehrer das fchönfte Berhältnit, Wohl fand Mutian
Manches bei feinen neuen Freunden, was er nicht billigen
fonnte, aber fie bildeten Doch immer einen erfreulicden Gegen⸗
fat gegen feine nächfte Iimgebung in Gotha; theilten fie auch
Mutian's wiffenfchaftlihe Anfchauungen nicht, fo waren fie
doch nicht unempfänglicy für diefelben; fie alle waren einftims
mig in der Anerkennung feiner feltenen Gelehrſamkeit. So
lebhaft wurde jenes Berhältniß, daß Mutian, obwohl er forts
während feinen Wohnſitz in Gotha beibehielt, doch wegen des⸗
jelben als Mitglied der Univerfität betrachtet werden Fonnte,
Indeß wichtiger und folgenreiher als dieſe befreundete
Stellung zu den Lehrern der Univerfität wurde das Berhältniß,
in dad Mutian bald zu der bisher von Maternus geleiteten
jungen Boetenfchaar trat. Schon im Jahre 1504 hatte Eoban
auf feiner Reife nach Erfurt den merfwürbigen Gelehrten in
Gotha kennen gelernt. „Du wirft der Ruhm der Dichtkunft
werden”, verfündete Mutian dem feuerigen Sünglinge Ein
innigere8 und dauerndes Verhaͤltniß zwifchen beiden war aber
damals noch nicht begründet worden. Ein folches bildete fich
erft zwei Sahre fpäter, eben als Maternus fich feinem bisher
verwalteten Amte nicht mehr gewachfen fühlte und die Blicke
feinee Schüler nach einem Fräftigeren Führer fuchten 2). Eoban,
der fchon mehrmals den Ton in dem jungen Dichterfreife anges
ı) Bal. De laudibus Gymnas. lit. Erph. B 1 a.
2) Der erſte Brief Mutian’s an Coban, worin fich jenes innige Ver⸗
haͤltniß zu erkennen gibt, iſt d. d. Cal. Octob. 1506. — Lib. nov. epp.
H6b.
— 96 — ‘
geben hatte, wurde auch jebt durch das Beifpiel der Annähe-
rung an Mutian feinen Freunden Anlaß zu demfelben Schritte.
Die Perjönlichkeit eines Mannes, der nad) bewegter, ganz im
Dienſte der: Wiffenfchaften verlebter Jugend, jetzt einen Flöfter-
lichen Aufenthalt in Gotha dem Glanze einer clericalen oder
politifchen, Laufbahn vorzog, nur um. ungeftört feinen wiſſen⸗
Ihaftlihen Neigungen nachgehen zu können, übte auf die jugend-
lichen Gemüther einen eigenthümlichen Reiz aus. Richt ohne
eine gewiffe Schüchternheit fingen nun au Eoban’d Freunde
an, fi dem wunderbaren Manne zu nähern, am früheften
Erotus Rubianus, Petrejus und der mit Eoban fehr nahe
befreundete Herebord von der Marthen !).. Ihnen folgten dann
die Uebrigen, Ceratinus, Heinrich Eberbach, Trebelius, Jonas
u. ſ. w., bis ſich nach und nad die ganze erfurtifche Poeten«
[haar um Mutian zufammenfand. Auch der junge Ulrich von
Hutten trat von Erfurt aus zu diefem in ein näheres Verhält-
niß, welches innig genug war, um auch noch nach erfolgter
Trennung auf feine Entfchließungen einzumirken ?). Ihn zwar
trieb fein unruhiger Geift ſchon bald wieder aus der Nähe des
Mannes, dem die „glüdjelige Ruhe” über Alles ging, zu neuen
poetifchen Abenteuern fort; um fo näher aber ſchaarten fich die
Üebrigen um: denfelben, denn fehr bald wurden fie inne, daß
fie in ihm gefunden,. was fie gefucht, einen Führer und Leiter
für ihre wiffenfchaftlichen Beftrebungen. .
Sene „Guten“, denen fein Umgang ausschließlich gewidmet
fein follte, traten Mutian in diefen offenen, Iernbegierigen
1) Herebord war der. Sohn des mainzifchen Vitzedom - Gerlach von der
Marthen, von gleichem Alter mit Eoban, deſſen vertrauter Freund und groß-
müthiger Gönner er war. Eoban hat fein Gefchlecht in mehreren Gedichten
verberrlicht. Lib..nov. epp. F 1 b. sqg.
2) Meber fein damaliges Berhältnig zu Mutian fpricht fi Hutten im
zweiten Buche feiner Klagen aus:
„Consulit hunc Crotus doctoremque eligit Hessus
Non nihil et crebro profuit ille mihi.“
Opp. Hutt. I, 67.
— 1 —
Sünglingen entgegen, und die Infhrift: Bonis cuneta pateant,
welche ex um dieſe Zeit über der Eingangsthür feined Wohn⸗
zimmers anbringen ließ, that letzteren Eund, mit welcher Liebe
er fich ihrer anzunehmen gedachte ?).
V.
Fortan war Mutian's ganze Sorge und Thaͤtigkeit ſeinen
jungen erfurtiſchen Freunden zugewendet. Einen Augenblick
dachte er daran, unter ihnen in Erfurt, wo er ein von ſeinem
Bruder ererbtes Haus beſaß, ſeinen Wohnſitz zu nehmen. Sehr
bald aber uͤberzeugte er ſich, wie wenig dies nothwendig ſei. Gern
unternahmen die eifrigen Sünglinge die kleine Reife von Erfurt
nah Gotha, um einige Zeit in Mutian's Nähe zu verweilen,
und je mehr fich ihnen feine wahre Gefinnung erſchloß, deſto
häufiger wurden ihre Beſuche. Allmählig verlor ſich bei dieſen
Zufammenfünften die anfänglihe Schüchternheit; Mutian's zus
vorfommendes und freundliches Benehmen flößte Vertrauen ein,
man fing an, in einem berzlicheren, freieren Gone mit ihm zu
reden. Theilweiſe wurde diejer Webergang durch Urban und
Spalatin vermitielt, die fich ebenfalls um jene Zeit ihren ehmas
figen erfurtifden Studiengenofien wieder anſchloſſen und letz⸗
tere dadurch auch Mutian näher brachten. So hatte ſich ſchon
binnen furzer Zeit dad Verhältniß ausgebildet, das zwifchen
Mutian und der jungen Dichterichaar eine Reihe von Jahren
beftehen follte: als Lehrer und Führer einer eifrigen und folg-
famen Schülerfchaft hatte Mutian einen Wirfungsfreis gefun-
den, der feinen Bemühungen den wichtigften und glänzendften
Erfolg verſprach.
Und nie erfcheint uns Mutian’s Bild anmuthiger und
anziehender, als in dem Berhältniß zu feinen neuen Schülern.
) Eob. Farr. I, 34 b. Camerar. Narr. de Eob. Lauze's Chronik
l.c. p. 119.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 7
— 98 —
So ganz Tebt er mit feinen Iünglingen und.für fie, er geht
auf ihre Vorftelungsweije ein, theilt ihre Wünfche und Ans
liegen, ihre Wohlergehen ift feine einzige und größte Freude,
„So fehr bin ich meinen Freunden zugethan”, fchreibt er an
Herebord, „daß ich mich in den Himmel verfegt glaube, fo oft
ich eine günftige Nachricht von Euch erhalte” ?). Er hatte fich
in Kurzem von den Anlagen, Fähigkeiten und Berürfniffen
eines jeden überzeugt. Darauf berechnete er feine Anweiſungen.
Eoban, in dem er fofort den geborenen Dichter erkennt, macht
er auf die Hoheit feines Berufes aufmerkſam. Er warnt ihn
vor Abmegen, „Gott zieht den einen auf Ddiefe, den andern
anf jene MWeife”, fchreibt er ihm ſchon im Herbft 1506, „Dich
aber trägt er durch heilige Gedichte in die Höhe, wie die Pro-
pheten und Sibyllen. Bewahre deshalb das Dir von dem
Herrn anvertraute Talent“ 2). Er ermahnt ihn, durch einen
züchtigen und ehrbaren Wandel feinem ‚wichtigen Berufe Ehre
zu machen und dadurch den Gegnern der Dichtkunft allen Grund
zu Klagen zu benehmen?). Die Hauptfache ift aber immer,
dag er ihn auf das unübertrefflihe Mufter der Alten hinweifet.
Er fordert, daß er ihren Werfen ein ernftlichered Studium
widme als bisher, venn es fei nicht genug, fie einmal gelefen
zu haben, und in dem eigenen Gedichte hier und da ihre zier-
liche Ausdrudsweife nachzuahmen, nicht blos die Formen, jons
dern auch den Inhalt, die Anfchauungsweife der Alten müffe
er fih zu eigen machen, um gegründeten Anfpruch auf den
1) M. B. F. fol. 106 a.
2) Lib. nuv. epp. H 6 a.
3) „„Etenim ut multiscium ita probum atque modestum esse decet
pium Poetam. Alioquin opici Momi habebunt nos ludibrio in audito-
rum examine coetuque doctorum vexahunt tamquam ridicalos et nota
dignos cenforia. Nam divinum Poetae nomen, nescio quibus Caco-
daemonum aspirationibus, invidiosum esse coepit. Quid fiet si ama-
tores antiquitatis a via virtutum aberrnverint? Plus nimirum exemplo,
quam peccato nocebunt.‘“ Lib. nov. epp H4b—5a.
— 99 —
Kamen eines Dichters zu haben ). — Um den lernbegierigen,
ſtrebſamen Petreius, von dem er fi} jofort viel verfprach, bei
feinem Eifer zu erhalten, hält er Lobſprüche für hinreichend:
er nennt ihn „den zweiten Mutian”, „ven Feldherrn der latei-
niſchen Abtheilung“ 2). — Mehr Sorge machte ihm Herebord, der
fich, feiner eigenen Neigung und dem Wunfche der Seinigen
folgend, für das Studium der Rechtswifienfchaft entjchieden hatte.
Sort und fort ermahnt er dieſen, ſich bei feinen juriftifchen
Studien nicht auf die herfommlichen barbarifchen Lehrbücher zu
befchränfen 2); gründliche Rechtskenntniß fei ohne eifriges Stu-
dium der Alten unmöglich, da erſt dieſes zu den eigentlichen
Duellen des Rechts führe, denn wie die chriftliche Kirche aus
den Judenthume hervorgegangen fei, fo, behauptete er, habe
dad gegenwärtige Recht in dem claffifhen Alterthume und
namentlich in der folonifehen Verfaffung feine Wurzel). Da-
neben ermahnt er ihn, ebenfalls im Anfchluß an die Alten fich
einer reinern und edlern Sprache zu befleißigen, nur dadurch
fihere fich der Rechtsgelehrte den Erfolg®). Beſonderes Ber-
trauen ſchenkte Mutian dem Crotus Rubianus. Diefem eifrigen
1) 3.2. Lib. nov. epp. H 4 b. „Quo magis mi adolescens gau-
dere debes meo judicio dareque operam, ut utriusque linguae prae-
stantissimes Auctores varia tibi multiplicigue lectione vel digitis tuis
notiores efficias: Neque enim concludere versum dixeris esse satis,
ut inquit Horatius. Est operae pretium tractare totam eneyclopae-
diam, nosse praecipue veterum probatas historias etc.‘
2) „„Latinae classie imperatorem. M. DB. F. sie a.
2) Lib. nov. epp. RSa. Mut. ad Hereb. ‚‚Constitui dare prae-
scripta tanquam norman optimi tyrocinii, ut positn barba sumtaque
virili toganon cum imperitis leguleis sacratiss. jus adeas, sed ingenua
et prisca doctrina duee juris tam civilis quam pontificii consultissimus
alque utilis et clarus patriae civis creari et institui possis.‘*
*) Mut. ad Hereb.: „Nam ut ecclesiastica secta, cui nos Omnes
addicti sumus, propagatur ex matre synagoga ita civile jus et ur-
banae leges peregrinam habent radicem, Athenis olim Solonis sapi-
entia corroboratam * M. B. F. 221 h.
5) Mut. ad Hereb. M. B. 5. 184 a.
70
— 10 —
Sünglinge, der als der ältefte bei feinen Genoſſen ſchon in
einigem Anfehen ftand, übertrug er wohl das Amt, ihn in Erfurt
zu vertreten !).
Neben Urban und Spalatin waren ed eben die vier Ges
nannten, die Mutian vorzugsweife in feine Nähe zog. Indeß
beſchränkte fich feine Wirkfamkeit nicht auf fi. Er wurde der
Lebensathem für den ganzen Kreis. Ueberall erfcheint er anre-
gend und ermunternd. Den noch Unerfahrenen führt er ein
in den Geift der claffifhen Studien, den bereitd Eingeweihten
fordert er weiter. Recht eigentlich veranfchaulichen uns die Briefe,
welche er an die Einzelnen richtet, feinen Lehreifer. Allent-
halben fchaltet er grammaticalifche, antiquarifche, auch wohl
philofophifche Bemerkungen ein. Man fteht, das Unterweifen,
Belchren ift ihm Bedürfniß?). Nie fehlt es ihm an Anlaß,
auf den Gegenftand zu Fommen, der fein Herz erfüllt. Er gibt
den Einzelnen Aufgaben zur Ausarbeitung und hilft nad), wo
ed nothwendig iftz er ordnet an, in welcher Weile Eoban ein
Gedicht umändern, wen er e8 widmen fol. Selbft die unbe
deutendften Kleinigkeiten entgehen feiner Aufmerkſamkeit nicht.
Man findet wohl, daß er geringfügige Verftöße gegen die Or-
thographie, die er in den Briefen feiner Schüler bemerkte, ver:
beffert, oder daß er auf die richtige Accentuation lateinifcher
Worte aufmerkfam madt >).
I) Bgl. 3.2. Lib. nov.epp. J 4a, wo Mutian deu Coban auf Erotus
als auf feinen Stellvertreter hinweifet: Vigilat Crotus et hoc tibi satis,
außerdem die Briefe Mutian’s an Crotus felbft (Lib. nov. H6a u. Kib).
Uebrigens nahm Erotus erft um dieſe Zeit, wie es fcheint unter Mutian’s
Einwirkung, diefen Namen an, wie auch fein Eintritt in den geiflichen
Stand in diefe Zeit zu fallen fcheint.
2) Es charakterifirt den Briefwechfel, den er mit feinen jungen Freun-
den führte, fehr gut, wenn er in einem Briefe an Herebord nach der Mit:
theilung, daß er fo eben eine neue Sendung claffifcher Werke empfangen
und dabei vor Freude geweint habe, einen langen, aus ben alten Schrift
flellern geführten Beweis folgen läßt, dag man auch vor Freude weinen
fönne. Lib. nov. epp. K 4 a
2) Dal. Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum
— 101 —
Irrig würde es indeß fein, aus Letzterem zu fchließen, daß
er bei feiner Lehrthätigkeit vorzugsweife der fprachlichen Seite
der neuen Studien feine Aufmerkjamfeit zugewendet habe. Wir
fahen bereite, wie wenig jene einfeitig formelle Richtung der
meiften Poeten feinen Anfichten entſprach. So ift er auch im
Kreife jeiner Schüler bemüht, diefen begreiflich zu machen, wie
wenig durch eine blos Außerliche, geiftlofe Nachahmung der
alten Schriftfteller erreicht werde, wie thöricht jenes Hafchen
nach Halbverftandenen claffiichen Formen und Bildern je. Er
entwöhnte fie allmählig ‚jener oberflächlichen Betradhtungsmeife,
indem er fie dazu anleitete, die Werfe der Alten unter einem
höheren Gefichtspunftte zu fludiren '). Und fo mild und nad
fihtig er fonft war, fo unerbittlich ftreng zeigte er fich, wenn
er, troß feiner vielen Ermahnungen, dennoch in feiner Umge⸗
bung Spuren jener plagiarifch-poetifchen Richtung wahrnahm ?).
quorundam virorum auctoritate, virtute, sapientia doctrinaque excel-
lentium. Kditus a. J. Camerariuo Pabeperg. Lips. 1561. 8°. D6b.
Lib. nov. epp. I 6 a. Tentel p. 65. M. DB. F. fol. #51 a.
1) So ſchreibt er an einen der jungen Dichter: „„Exgo non in offlcio-
sum Aristarchum, pro benevolentia, qua te prosequor (egi) jussique
ut lectionibus magis quaın stylo vacares. — Crebro legendum esse
praecipio, non tamen id solum et semper agendum. Stylus interim
lectivni succedat.‘‘ Tert. lib. epp. D 6 a.
2) Er bezeichnet Boeten wegen ihrer fflavifchen Nachahmung der Alien
wohl geradezu als PBlagiatoren, 3.2. in einem Briefe an Urban und Spas
latin. „Quid dicam de peetis ineptis! tres ad me veniunt, quis eorum
vaniloquentior sit, verbis exprimere ncequeo, Unus pestilens fur est
et plagiarius Ovidii, sccundus barbarus blaterator, tertius ita hebetis
animi hommneio, ut quid dicat nemo praeter se ipsum intelligat; ponit
in fronte libri quatuor male literatos et ridiculos versus quos equi-
dem luminis egere censeo. Omnes isti cacozeli sunt et quasi hiru-
dines sugentes malum sanguinem, bonum in poelis relinguunt. Le-
gerunt puto et thesaurum invenerunt, prorsus illepidi rudes
doquaces.‘‘ Teutzel p. 38. Zur Begrändung feines harten Urtheils über
einen ſolchen dichterifchen Berfuch fant er ein anderes Mal: „„Neque enim
ingenii est Aut literaturae sic aliena compilare, sive illis a quibus
sumseris accepta referas, sive tui juris esse atque inventi velis,
— 10 —
Sünglinge, der als der ältefte bei feinen Genoffen ſchon in
einigem Anfehen fland, übertrug er wohl dad Amt, ihn in Erfurt
zu vertreten !).
Neben Urban und Spalatin waren ed eben die vier Ge⸗
nannten, die Mutian vorzugsweife in feine Nähe zog. Indeß
beichräntte fich feine Wirkſamkeit nicht auf fie Er wurde Der
Lebensathem für den ganzen Kreis. Ueberall erjcheint er anre⸗
gend und ermunternd. Den noch Unerfahrenen führt er ein
in den Geiſt der claffifhen Studien, den bereits Eingeweihten
fördert er weiter. Recht eigentlich veranfchaulichen ung die Briefe,
welche er an die Einzelnen richtet, feinen Lehreifer. Afent-
halben fchaltet er grammaticalifche, antiquarifhe, aud wohl
philofophifche Bemerkungen ein. Man fteht, das Unterweifen,
Belehren ift ihm Benürfnig?). Nie fehlt es ihm an Anlaß,
auf den Gegenftand zu fommen, der fein Herz erfüllt. Er gibt
den Einzelnen Aufgaben zur Ausarbeitung und Hilft nad), wo
ed nothwendig iftz er ordnet an, in welcher Weife Eoban ein
Gedicht umändern, wem er es widmen fol. Selbft die unbe:
deutenpften Kleinigkeiten entgehen feiner Aufmerkſamkeit nicht.
Man findet wohl, daß er geringfügige Verftöße gegen die Or-
thographie, die er in den Briefen feiner Schüler bemerkte, vers
beffert, oder daß er auf die richtige Accentuation lateinifcher
Worte aufmerkffam madt ?).
I) Vgl. 3.2. Lib. nov.epp. J 4a, wo Mutian den Goban auf Erotus
als auf feinen Stellvertreter hinweifet: Vigilat Crotus et hoc tibi satis,
außerdem die Briefe Mutian’s an Erotus felbft (Lib. nov. H6a u. Kıb).
Mebrigens nahm Erotus erft um Ddiefe Zeit, wie es fcheint unter Mutian’s
Einwirkung, diefen Namen an, wie auch fein Eintritt in deu geiſtlichen
Stand in diefe Zeit zu fallen fcheint.
2) Es charakterifirt den Briefwechfel, den er mit feinen jungen Freun-
ben führte, fehr gut, wenn er in einem Briefe an Herebord nad der Mit:
theilung, daß er fo eben eine neue Sendung claffifcher Werke empfangen
und babei vor Freude geweint habe, einen langen, aus ben alten Schrift
ftellern geführten Beweis folgen läßt, bag man auch vor Freude weinen
fönne. Lib. nov. epp. K 4 a
2) Bol. Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum
— 101 —
Irrig würde es indeß fein, aus Letzterem zu ſchließen, daß
er bei feiner Lehrthätigkeit vorzugsweife der ſprachlichen Seite
der neuen Studien feine Aufmerkſamkeit zugewendet habe. Wir
fahen bereits, wie wenig jene einfeitig formelle Richtung der
meiften Boeten feinen Anfichten entſprach. So ift er au im
Kreife jeinee Schüler bemüht, diefen begreiflich zu machen, wie
wenig durch eine blos äußerliche, geiftlofe Nachahmung der
alten Schrififteller erreicht werde, wie thöricht jenes Hafchen
nah Halbverftandenen claffifchen Kormen und Bildern ſei. Er
entwöhnte fie allmählig ‚jener oberflächlichen Betrachtungsweiſe,
indem er fie dazu anleitete, die Werke der Alten unter einem
höheren Geſichtspunkte zu ſtudiren ’). Und fo mild und nad»
fihtig er fonft war, fo unerbittlich ftreng zeigte er fich, wenn
ex, troß feiner vielen Ermahnungen, dennoch in feiner Umge⸗
bung Spuren jener plagiarifch-poetifchen Richtung wahrnahm 2),
querundam virorum auctoritate, virtute, sapientia doctrinaque excel-
lentium. Editus a. J. Camerario Pabeperg. Lips. 1561. 8°. D6b.
Lib. nov. epp. J 6 a. Tenkelp. 5. M. DB. F. fol. 351 a.
2) So fchreibt er an einen der jungen Dichter: „Ego non in officio-
sum Aristarchum, pro benevolentia, qua te prosequor (egi) Jussique
ut lectionibus magis quam stylo vacares. — Crebro legendum esse
praecipio, non tamen id solum et semper agendum. Stylus interim
lectivoi succedat.‘‘ Tert. lib. epp. D 6 a.
2) Er bezeichnet Boeten wegen ihrer fflavifchen Nahahmung der Alten
wohl geradezu als PBlagiatoren, z.B. in einem Briefe an Urban und Spas
latin. „Quid dicam de poetis ineptis! tres ad me veniunt, quis eorum
vaniloquentior sit, verbis exprimere nequeo. Unus pestilens fur est
et plagiarius Ovidii, secundus barbarus blaterator, tertius ita hebetis
animi homunecio, ut quid dicat neme praeter se ipsum intelligat; ponit
in fronte libri quatuor male literatos et ridiculos versus quos equi-
dem luminis egere censeo. Omnes isti cacozeli sunt et quasi hiru-
dines sugentes malum sanguinem, bonum in poetis relinguunt. Le-
gerunt puto et thesaurum invenerunt, prorsus illepidi rudes
loquaces.““ Tentzel p. 39. Zur Begrimdung feines harten Urtheils über
einen folchen dichterifchen Berfuch fagt er ein anderes Mal: „Neque enim
ingenii est aut literaturae sic aliena compilare, sive illis a quibus
sumseris accepta referas, sive tui juris esse atque inventi velis,
—
r — — — — — —
— 109 —
Sein Urtheil war dann mitunter abjchredend für den jungen
Dichter. „Wenn ich Dich nicht liebte, würde ich Dich nicht
beftrafen” schreibt er einem aus ihnen, der ihm ein Gedicht
überreicht hatte, weldyes in der eben berührten Weife ganz aus
claffishen Bildern und Wendungen zufanmengefegt war, und
fallt dann das härtefte Uxtheil über das Erzeugniß deflelben,
ohne fih durch die Lobſprüche befänftigen zu laffen, die der
Dichter ihm gefpenvdet hatte’).
Eine andere Anforderung, die Mutian an feine Dichter
ftellte, war die, daß der Inhalt ihrer Producte rein und züchtig
fei. Wie Mutian’d yperfönliher Wandel in dieſer Hinficht
mufterhaft war — er duldete nicht einmal einen unfeufchen
Diener in feiner Nähe?) — fo follten auch die poetifchen Ver⸗
fuche feiner Schüler rein und lauter fein. „Ein guter Dichter
muß keuſch fein“, fchreibt er an Eoban und ftellt diefen ernftlich
darüber zur Rede, daß er ſich in einem Gedichte einige zwei⸗
deutige Anfpielungen erlaubt habe 3). Denn fo groß war feine
Verehrung für die Alten doch nicht, daß er fie auch in dieſem
Punkte ald muftergültig angenommen hätte, ja er ſah es zu
Zeiten fogar nicht ungern, wenn von feinen Schülern auch
rein chriftliche Stoffe in Gerichten behandelt wurden. Es fand
jpäter feinen vollen Beifall, daß Eoban in feinen Heroiden „die
Minerva zu einer Chriftin zu machen“ juchte *). Neben Birgil,
auctoribus praeteritis.‘“ Tert. lib. epp. D5a. Darnach wird die Nach⸗
richt des Camerarius von der übergroßen Milde Mutian’s in der Beurs
theilung der 2eiftungen feiner Schüler (Narr. de Eob. Hesso B 4 b) zu
berichtigen fein. —
ı) „„Ego immodice laudatus nen audeo par pari referre.‘“ Tert.
Mb. epp. D 6 a.
2) Er bittet einmal Urban, ihm einen Diener zu miethen und fügt
hinzu: „Castum volo et simplicem, non tamen melancholicum.“ M.
B. F. fol. 163 a. '
s, Lib. 'nov. epp. J 3 b. „Praeis mibi carmen non sanctissimum,
est enim in eo latens impuritas.“ Schärferen Tadel fpricht er aus 1. c.
J!a.
*) Man vergl. Tengel p. 183. Mut. ad Kob. ‚„‚Eo vero tendit pro-
— 108 —
ver unbeftritten den erften Rang behauptete und deſſen Geburts⸗
tag fogar feftlich begangen wurde, war deshalb auch Baptifta
Mantuanus Gegenfland befonderer Berebrung in unferem
Kreife?).
Mutian fah feine Saat gedeihen. Jedermann erftaunte
über die ungewöhnliche Rührigkeit, welche die junge Humaniften-
haar feit Mutian's Einwirken zeigte Wohl nirgends find
um jene Zeit die Alten mit folhem Eifer ſtudirt worden, als
von der Süngerfchaft des gothaifchen Banonicus. Ihre Werke
ſchaffte man mit großer Mühe oft aus den fernften Gegenden
herbei; Fein Opfer, welches zu diefem Zwecke gebracht wurde,
fhien zu groß. In Georgenthal hatte es Urban bei der Bers
größerung der Klofterbibliothef durchzuſetzen gewußt, daß nament⸗
lich auf die humaniftifche Literatur Rüdficht genommen wurde ?).
In Erfurt hatte der unermüdliche Vetrejus, der dazu vom Meis
fer einen befondern Auftrag empfangen ®), fich mit vieler Mühe
und großem Aufwand in den Beſitz einer reihen Sammlung
claffifcher Werke geſetzt. Mutian felbft erhielt immer größere
Sendungen feiner lieben Alten über die Alpen zugefchidt. Kein
Beſuch war ihm erwünfchter. Er fonnte dann kaum den Tag
der nächften Herüberfunft feiner jungen $reunde abwarten, um
positum tuum: quod laudabile quis non videt? ut Juventus recenti tue
beneficio ad Cultum excitetur Christianae Minervae. Credant se modo
etstudeant tuis hymnis, intermissa sophistarum insulsitate, scholastici.‘“
ı) Tert. lib. epp. D5 b.
2) Mutian machte deshalb ein zierliches Gedicht auf die Bibliothek:
In vallem veniunt Georgianam
Qui de barbarica cohorte nomen
Aeternum peperere cum triumpho etc.
Lib. nov. epp. H 3 a.
2) „„Petrejo literatissimo juventutis et totius autiquitatis amantis-
simo damus eam provinciam ut libros vestiget“ M. B. F. fol. 192 a,
Der reichhaltigen Bibl. des Petrejus gebenft Mutian wiederholt, vgl. 1. c.
316 b u. a.
— 4 —
diefe von dem Glüd, das ihm zu Theil: geworden, in Kenntniß
zu fegen. Lange ließen jene indeß nie auf fi warten. Denn
fo oft fie des Meifters bedurften — und. fie glaubten feiner oft
zu bedürfen — eilten fie in zahlreicher Gefelichaft nach Gotha.
Da hielt ihnen denn Mutian getreulich die gaftliche Aufnahme,
welche jene freundliche Infchrift über der Eingangsthür feines
Wohnzimmers „ven Guten” verfpradh. Denn „Niemand“, lautete
fein Grundfaß, „der zu der Schaar der Seinigen gehöre, dürfe
unbefchenft von ihm gehen” '). Nie war er vergnügter, ale
wenn er fih im reife. feiner Sünger fand. Bei heiterem
Mahle, dad er immer bei ihrer Ankunft anrichten ließ, beſprach
er mit ihnen im Tone gemüthlicher Unterhaltung ihre Fortfchritte
und Ausfichten für die Zufunft, oder er lenkte das Geſpräch
von den befonderen Angelegenheiten ihres Fleinen Kreiſes auf
die gefeierten Heroen der neuen Richtung, auf Celtes, Reuchlin,
MWimpheling u. A, deren Namen in Aller Munde lebten und
die dann wohl in Augenbliden der Begeifterung durch kleinere
Gedichte verherrlicht wurden ?).
Mutian war glüdlih. Jene ‚Zeit war die fehönfte feines
Lebens, nie hat die Erinnerung an diefelbe bei ihm verwifcht
werden fonnen. „Meine wohlgemeinten Ermahnungen”, fehreibt
er fpäter darüber an Urban, „fanden Gehör. Einige verbans
den Beredfamfeit mit dem Studium der Rectswiffenfchaft,
Andere, vom dichterifchen Schwung ergriffen, trugen ihre Ges
dichte vor, Andere, die ihren Stil zu veredeln fuchten, befliffen
fih einer zierlihen Ausdrudsweife in Rede und Schrift. Des:
halb war ich erfreut und. wünfchte den Studirenden Glüd” 2).
1) „De cohorte familiarium sic mecum tacitus ratiocinor: Nemo
ex hoc numero mihi non donatus abibit.“ M. B. F. f. 114 b. —
„Nihil erudito commodius sodalitate literaria‘“ fagt er über jene Sus
fammenfünfte, „ut memoria confabalatorum praesidio fulciatur.“ M.
B. 5. 115 a.
2) Bol. Lib.nov.epp. Hia., wo fich einige Fleinere, bei einer folchen
Gelegenheit improvifirte Gedichte von Cobanus, Trebelius, Hereborbus und
Pyrrhus finden, die den Ruhm des Geltes feiern.
2) Es war im J. 1513, wo jenes anmuthige Zufammenleben bereits
—- 1095 —
VL
Mutian durfte in der That mit feinen Erfolgen zufrieden
fein. Schon darin lag für ihn eine Anerfennung, daß in Kurs
zem einige aus feinen Schülern zu anfehnlihen Stellungen
gelangten. Crotus erhielt das Amt eined Exzieherd bei den
jungen Burggrafen von Kirchberg, welche ſich damals in Erfurt
aufbielten. Spalatin folgte gleichzeitig einem ehrenvollen Rufe
nah Wittenberg, ohne indeß fein früheres Verhältniß zu Mutian
aufzugeben, Segnend entließ ihn diefer. „Reife glüdlich”, ſprach
er zu dem Scheidenvden, „der Hof fteht Dir offen, Du wirft Ehren
empfangen“ 1). Dem talentvollen Trebelius wurde damals auf
Mutian’s Anregung die Auszeichnung durch den Dichterfranz
zu Theil?), und die nämliche Ehre hatte der Lehrer ſchon dem
jungen Eoban gefichert, als dieſer fie ausfchlug?). Diefer
damals zwanzigjährige Süngling wurde von Allen als die größte
geflört war, als er in Diefer Weife an Urban frhrieb. „Sperabam fore
ut indies magis vigerent ingenia et graecae latinaeque literae a situ
et squalore vindicarentur: sublata de medio barbaria, multique prae-
ceptoribus desertis et librorum copia adjuti Aorerent; ob id medo
hunc modo illum ut desertis literatoribus veternosis praeclaram eru-
diionem capesserent hortabar. Inveni qui bene monenti obtempe-
rarent, alii eloquentiam in juris professione ostentabant, alii poetico
ardore accensi dignitatem carminis admirantes jaostabant sua poemata,
alii stilum castigantes, nihil misi cultum aut loqui aut scribere ten-
tabant. Itaque gaudebam et studiosis gratulabar “ M. B. F. fol. 204 a.
I) Ito bonis avibus dextro pede sidere fausto
Felix optatum carpe viater iter.
Aula patet, Spalatine tibi tribuentur honores,
I te praetereant quae nocitura putas.
Lib.nov. epp. G2b. — Spalatin ging 150% nach Wittenberg. Uebrigens
war ihm jenes Amt durch Mutian’s Dermittelung zu Theil geworben. 1. c.
K!a.
2) Bol. Tentzel p. 24. Lib. nor. epp. J. 5 a. Ueber das nahe Ber:
hältniß des Trebel zu Mutian und Eoban vgl. u. a. Lib. nov. epp. H4a.
2) Bgl. Lib. nov. epp. J.6a. und H6a. — Eobani Farr. I 35 a.
— 106 —
Zierde ihres Kreifed angefehen. Erft feitvem er fih Mutian
genahet, kamen die ausgezeichneten dichterifchen Anlagen des⸗
felben zu ihrer Entfaltung Wie fo durchaus verfchieden von
dem frühern ift der Geift, der und aus feinen größtentheild im
Sahre 1508 verfaßten bucoliſchen Gedichten entgegenhaudht! ?)
Man fteht, die fortwährenden Ermahnungen des Meifters, nicht
bei der äußerlichen Nachahmung der Claſſiker ftehen zu bleiben,
den fhönen fpradhliden Formen auch den Geift, die Anfchau-
ungsweife der Alten Hinzufügen und fie dadurch zu beleben,
find nicht erfolglog geblieben. Eoban's bucoliſche Gedichte fchil-
dern in der finnvollften Weife, in den anmuthigften Bildern dad
rege geiftige LXeben in dem Kreife feiner jugendlichen Genoffen,
des Trebelius, Erotus, Herebordus, Spalatin, Petrejus, Jonas
u. U, ihre Begeifterung für die neuen Studien, ihren edlen
MWetteifer, ihre herzliche Freundfchafl Im Mittelpunfte aber
ericheint Mutian, ald der Schubgeift, der Alle überwacht, jedem
zur Seite fteht, ermunternd, mäßigend, entfcheidend. Alles athmet
Verehrung für ihn?). Man glaube indeß nicht, daß diefe von
dem Dichter übertrieben fei. Sie ift in der That das charaf-
1) Bucolicon Eobani Hessi Magistri Erphurd. 1509. 4°. Diefe
erfte Ausgabe jener Gedichte, welche Eoban auch. in bie hallifche Geſammt⸗
ausgabe feiner Werke aufgenommen hat, ift mir nicht zu Geficht gekommen.
Daß er die meiften Gedichte 1508 verfaßt Hat, ergibt ſich aus diefen ſelbſt.
Eoban ſelbſt ſagt:
„Et jam quarta meis accessit Olympia annis
Bucolicis lusit nostra jJuventa modis.‘“
Eob. Farrag. I, 135 h.
2) Bol. namentlich die feyöne vierte Idylle (Farrag. I, 13—15), wo
Mutianus, der den Namen Thrafybulus führt, auftritt, um den zwifchen
Tityrus und Battus (Ionas und Petrejus) geführten Streit zu entfcheiden:
„Sit satis, inclinat dies, requiescere suadet:
Claudite vocales pueri jam claudite cannas.
Vieit uterque, ipsi vestrum vicistis utrumque
Vos faciunt et forma pares et carmen et aetas.
Arcus Batte tibi, tibi fistula Tityre caedat
Ut prius et vestros concordes pascite tauros.‘“
l. c. 16. b.
— 017 —
teritifche Merkmal aller Jünger Mutian’d. In den überfchweng-
lihften Ausbrüden wird fein Lob von ihnen verfündet. Als
„ven Bonful des ganzen Altertbums, ven Vater der glüdjeligen
Ruhe” reden fie ihn in ihren Briefen an!). Mutian felbft
ſieht fih einmal genöthigt, ihnen die ungemefienen LXobeserhe-
bungen in den Auffchriften ihrer Briefeizu unterfagen ?). Selten
hat ein Xehrer feine Schüler in dem Grade zu fefleln vermocht,
als der gothaifche Canonicus. Erotus gab jene Stelle bei den
jungen Grafen von Kirchberg auf, als fie ihn nöthigte, Erfurt
zu verlaffen, um wieder dorthin, in Mutian’d Nähe und feinen
erfurtifchen Juͤngerkreis zurückzukehren?). Eoban Fannte Fein
größeres Glüd, ald Mutian's Beifall +), WMutian’d Anfehen
war überall entfcheidend, „Wenn jener etwas von mir wünjcht”,
fhreibt Petrejus, „fo fcheint er wegen des Anfehens, das er
behauptet, nicht fo ſehr zu bitten, als zu befehlen“ 5). Spalatin
wagt Feine neue Freundſchaft ohne Bewilligung jeined Lehrers
?) So ein Brief in der Sanımlung A. 379 der Herz. Bibl. zu Gotha.
2) Lib. nov. epp. &. 3 b. „Nolo enim supra modum laudes.“
Die Ermahnung betrifft befonders Spalatin. — Eben fo wenig litt er es
jedoh, wenn man fich fcherzhafte Anreden erlaubte; dies fchien ihm mit
feiner Stellung, die er als Lehrer ihnen gegenüber einnahm, nicht verträg-
li. Später geflattete er einzelne Ausnahmen.
2) Bol. den Brief des Grotus an Hutten. „Discessi ab illustribus
discipulis impetrata dimissione, nolente volente patre redii ad Er-
Phurdium in consortiam bomisum similitudine studiorum parium.“
Opp. Hutteni I, 104. Crotus entfernte ſich wahrfcheinlich gegen Ausgang
des 5. :508 von Erfurt, noch in der erften Hälfte des J. 1509 Fehrte er
zu Mutian zurück. —
u) „Hesse puer! gaude Rufo placuisse videris.
Nunc placet en Clario: barbara vera Deo.
Hesse puer! gaude, doctus tua carmina Bufus
Laudat et ingenii parvula dena Tui‘
ſaat Eoban felb® in einem Gedichte an Dlutian; vgl J. F. Hekelius
Manipulus primus epistolarum singularium. p. 111.
*) „Ile enim si quid a me desyderat pro ea, qua pollet aucto-
rFitate, nom tam rogare, quam cogere videtur.‘ Hlustr. virorum epp-
ad J. Reuchlin. Y 4 a.
— 18 —
zu fehließen. Durch ihn wird Herebord, der in Erfurt in fehr
glänzenden Berhältniffen lebte, vermocht, fih in die Stille des
Klofterd Georgenthal zurüdzuziehen, um dort einige Zeit unge
ftört den celaffifhen Studien obzuliegen !). Willig ‚ordnete man
fich einem Manne unter, der fein ganzes Leben dem Wohle ver
Jugend gewidmet hatte, und dadurch gegründeten Anſpruch auf
eine folche Anerkennung zu befißen fchien ?).
Nur an Eine Eigenheit vesfelben konnte man fih lange
Zeit nicht gewöhnen. So groß nämlich auch Mutian’d Eifer
für die neuen Wiffenfchaften war: nie trat er ald Schriftfteller
für diefelben auf. - Oft drangen deshalb feine Schüler, nament⸗
lich der eifrige Eoban, in ihn, auch fchriftftelleriicd für fie
thätig zu fein, da fie nicht Daran zweifelten, daß er e8 könne >).
Mutian wich ihrem Anfinnen gewöhnlich mit einem Scherze
aus, oder er wies fie auch wohl auf Socrates und Chriftus
bin, die ebenfalls Nichts gefchrieben hätten*), Nur einige
Fleinere Gedichte, bald Eomifchen, bald ernften Inhalts, erhielt
man von ihm, die dann bald im ganzen Kreife die Runde
machten und von den Jüngern, weil fle von ihrem Meifter her-
rührten, übermäßig gepriefen wurden). Aber nie ließ er fi
1) M. DB. 5. fol. 93 b. — Darauf bezieht Ach auch Eoban’s fünfte
Söylle. Der „Phileremus” ift Herebord. Vgl. Farr. I, 15 sqg.
2) Er felbft verlangte unbedingte Folgfamfeit. „Perspioio enim‘“ fagt
er, „propter nativum acumen etsi non abditissima longe plura tamen
quam ceteri.‘‘ ad Hereb. M. B. F. fol. 263 b. — Ueberhaupt machte er
die Vorrechte des Lehrers überall für fich geltend.
8) Eoban forderte ihn einmal auf, die Arche Noch zu befingen.
4) M. B. 5. 290. b. Tentzel p. 105.
5) So preiſet ihn Coban wegen derſelben übermäßig:
Grandia verba canis, Juvenes miramur inertes
Thracia nunc nostrae plectra verentur aquae etc.
Hekelius 1. c. Die kleinern Gedichte, Die wir von Muttan haben, recht:
fertigen diefes Lob nicht; fie finden fih in dem Libellus novus & 4 a sqg.
und in der mutianifchen Brieffammiung der Frankf. Stabibibl. und find
nur theilweife durch den Drud veröffentlicht. — Bat. auch Rob. rarra
I, 335 a.
— 10 —
dazu bewegen, die Veröffentlichung eines feiner geiftigen Erzeug-
niffe durch den Drud zu geftatten. „Es geichehe deshalb”, ant-
wortete er fpäter dem Camerarius, der ihn um den Grund dieſes
fonderbaren Benehmens fragte, „weil ihm das Seinige nie hin-
länglich gefalle, deshalb wolle er fich lieber an der Thorheit
Anderer ergögen“ !'). Der Ruhm eines Schriftftellerd hatte
nichts Verführerifches für ihn, und nuglos war es, daß Eoban
fortwährend durch Hinweifung auf denfelben auf ihn einzu
wirken fuchte „Dann“, entgegnete er ihm einmal, „lebe ich in
den Büchern, wenn ich bei Dir und den übrigen beredten Jüng-
fingen bin, die mich einiged Lobes würdig halten“ 2).
Un» er hatte Recht. Der Ruhm, den er ald das Ober
haupt und ber 2eiter einer ftrebfamen, für die neuen Ideen
begeifterten Juͤnglingsſchaar gewann, überftrahlte den des Schrift:
ſtellers. Jene Männer, die ihm fchon früher jo unzweideutige
Beweife ihrer Anerkennung gegeben, vermehrten dieſe, feit fie
ifn eine fo wichtige Stellung einnehmen fahen. Im Jahre
1509 erfcheint Yabricius Phachus, einer der eifrigften Verthei⸗
diger der neuen Richtung in Wittenberg, in feiner Nähe, um
feinen Rath zu vernehmen 2). „Sch kann es nicht ausdrüden“,
fhreibt ihm 1508 der jüngere Thomas Wolf aus Straßburg,
„wie ſehr ich Dich fchäge, verehre und liebe. Du allein verdienft
1) Camerarius Narrat. de Eob. B 5 a. ,‚‚Ac mihi percontanti
Aliquando caussam, quam ob rem tam pertinaciter premeret scripta
sua, cum omnes arbitrarentur et ego quoque putarem, eum scriptio-
zsibus operam dare, ita fiert respondit, quia sua sibi nunquam satis
placerent, ideoque malle se frui aliorum stultitia.‘° — Später war Mu⸗
tan allerdings mehr ſchriftſtelleriſch thätig, er hinterließ mehrere handſchrift⸗
line Werke, über deren Herausgabe Melanchthon noch 1338 und 1543 mit
Crispinus werhandelte. Tert. lib. D 8 b. und E 1 b. Gamerarius meinte
damals: „„Namc non voluntas ipsius sed henor et rei litterariae ipcre-
menta nobis spectanda aumt.““ 1.c. E3a. — Bergl. Corp. Reformat.
II, 368.
2) M. B. %. fol. 303 a.
2) MD. F. fol. 67 a.
— 10 —
e8, daß dich Alle wegen Deines Talents, deiner Rechtichaffen-
heit und Gelehrſamkeit einem göttlihen Weſen gleich nicht
fowohl lieben, al8 verehrten” 1). Und von dem Ruhm des
Lehrers geht er fofort auf das Lob feiner Schüler über, „vie ſich
fo ehr durch Geiſt und Gelehrſamkeit auszeichnen, daß fie nicht
Anfänger, fondern bereits ergrante Krieger in dem literarifchen
Kampfe zu fein fcheinen”2), — Gelbft die deutfchen Höfe,
welche der neuen Richtung günftig waren, der fächfifche, der
heififche und der von Mainz ſchätzten und ehrten den Mann,
deffen Wirkſamkeit eine immer größere Bedeutung für die Sache
des Humanismus gewann 2).
Neben ſo vielem Erfreulichen, welches Mutian aus ſeiner
Stellung erwuchs, fehlte es indeß auch nicht an Unangenehmem.
Mit Verdruß bemerkte er, daß einer der jungen Dichter, Tilo⸗
ninus, ungeachtet der vielen dagegen gerichteten Ermahnungen,
an jener Methode des geiſtloſen Compilirens und rein äußer⸗
lichen Nachahmens feſthielt. Selbſt die derbſten Zurechtweiſun⸗
gen blieben fruchtlos ?). Bon Wittenberg her beſtürmt ihn
ı) „Quanti te faciam, Mutiane et quanta veneratione 66 quanto
amore prosequar, non possum dicendo consequi. Tu unus es, qui ob
ingenii amoenitatem et candorem fidei et omnis rectae disciplinae
noticiam merito ab omnibus instar divini numinis, non tam amari
quam coli mereris. — Concedant precor fata, ut ante fata coram
possimus colloqui et dextram dextrae jungere et veras audire et
reddere voces.‘“ Tengel p. 118.
2) „Vivat Eobanus, vivat Eberbacchus, qui sic ingenio et doctrina
florent, ut non quidem tirunculi sed plane veterasi in litteraria pugna
videantur. Urbanum Coenobitam et Spalatinum ac etiam Eobanum
salvere cupio. Ego totus sum vester. l.c. p. 119.
2) Vol. Tengel p. 158, 114; Lib.nov.epp. K2?a. M. B. %. fol. 95 a.
*) Bol. namentlich Tengel p. 69,144, M. B. F. fol. 139 b. Tiloninus,
urſprünglich Thielmann Gonradi, war 1508 in Erfurt immatriculirt. Durch
bie bittern Epig ramme des Cordus „Contra Tiloninum“ find viele irrige
Anfichten über ihn verbreitet, einer mißverflandenen Stelle des Cordus fol
gend, macht ihn die Friefe'fche Chronik von Erfurt gar zu einem Stadt-
narren „In der Stadt war ein Stadtnarr Thilo von der Lerchen genannt,
der immer tolle fchwenfe machte” ad a. 1505. -
— 11 —
Spalatin, der fi Anfangs in die höfifchen Verhältniffe nicht
zu finden wußte, fort und fort mit Klagen); über Hereborb
vernimmt er, daß diefer anfange, feine jugendlichen Freunde übers
müthig zu behandeln ?). Der bisher jo ftille Urbanus gibt um
diefelbe Zeit durch feine Haltung feinen Ordensbrüdern Anlaß zu
gegründeten Klagen und muß das Klofter Georgenthal, wo er
bis dahin in aller Ruhe Gott und den Mufen gedient hatte,
verlaffen 2). Da mußte denn Mutian bald warnen, bald firafen,
bald tröften oder ermuntern. Keiner machte ihm aber größere
Sorgen, als der junge Eoban, der ihn fortwährend mit Bitten
und Klagen behelligte. Als Trebelius den Dichterfranz erhalten
hatte, Tag auch er unausgefeht den Meifter an, ihm viefelbe
Ehre zu erwirfen, und als diefer fie ihm endlich gefichert hatte,
wollte er fie ‚nicht mehr*). Einmal fam es fogar zwifchen
Eoban und Betrejus zu höchſt bevauerlichen Auftritten. Beide
wandten fi klagend an Mutian. Da fruchteten feine Hins
weifungen auf Beifpiele antiker Kriedfertigfeit wenig, auch
Crotus, dem er die Beilegung des Zwiſtes übertragen, bemühte
fih vergebens. Erft durch Mutian's perfünliche Anweſenheit
in Erfurt wurde das gute Einvernehmen zwifchen den Ent-
weiten wieder hergeftellt ®).
Sole Vorfälle betrübten die Seele des Lehrers und durch
wiederholte und verichärfte Ermahnungen zur Mäßigung fuchte
er ähnlichen Ereigniffen für die Zufunft vorzubeugen. „Bers
wegenheit und Leidenfchaft führen in der Regel die Jugend
1) Urban weifet ihn im Auftrage Mutian’s zurecht, Tenkel 78, Mu⸗
tian felbft 1.c. p. 8% m. f. w.
2) M. B. $. fol. 106 a. 358 b.
2) Im Sabre 1508; vgl. Tengel p. 75. u, M. B. 8. 138 a.
) M. DB. F. fol. 8330 b. Lib. nov. epp. J 52, JG6Ga,H6 a—b.
„Vos adolescentes‘“ fagt hier Mutian, ‚‚respuitis amicam objurgatio-
nem, et non cCogitatis quam simpliciter vobiscam agam.‘ Bol. Farrag-
l, 35 a.
2) Lib. mov. epp. 6 7b. U7 a. M. B. F. fol 113 b.
— 112 —
vom Wege des Guten” !), war die Lehre, welche er den Sei-
nigen einprägte; jened weife Maaßhalten, wovon die Alten
das Mufter gegeben, empfahl er ihnen zur Nachahmung. — Nur
nah Einer Seite fannte und wollte er jene Mäßigung jelbft
nicht, —
Konnte der feindfelige Gegenfaß gegen die Scholaflif, ver
fo tief in feine Seele eingedrungen war, auf die Bildung der
Jugend ohne Einfluß bleiben?
vu
Es konnte einigermaßen befremden, daß Mutian, der feiner
eigenen Angabe zufolge?), in der Abficht nah Gotha gezogen
war, um hier in Ruhe feine Tage zu verleben, fih fo bald an
die Spige der unruhigen erfurtifchen Dichterfchaar ftelte. Daß
die feinpfelige Behandlung, die er von feiner unmittelbaren
Umgebung in Gotha erfuhr, der nächfte Anlaß dazu war, haben
wir gefehen. Indeß nicht blos Erholung von jenen Wider:
wärtigfeiten follte ihm vie Thätigfeit in feinem neuen Wirkungs⸗
freife fein. Gleichſam um fich zu rächen für die Unbilven, die
er von feinen ſcholaſtiſch geſinnten Amtsbrüdern hat erdulden
müſſen, bildet ex zugleich feine Schüler zu den fhroffften und
rüdfichtslofeften Gegnern der Scholafti, Was einzelne Ber:
treter der legteren an ihm gefündigt, mußten alle büßen. —
Unter Maternus’ Leitung hatte ſich die funge Schaar,
angezogen durch die Schönheit der antifen Formen, froh und
heiter auf den neu geöffneten Bahnen bewegt, ohne eigentlich
inne zu werden, wie weit fie fich von den herfümmlichen Vor⸗
ftellungen der Schule entfernte. Mutian war nicht zufrieden
damit, fie auf dem eingefchlagenen Wege weiter zu fördern, er
1) M. B. F. fol. 177. b.
2) „Deserui maturo judicio fastum et popularitatem, ut omni
animi affectione carens sine tumultu vitam agerem.‘‘ Lib.nov. epp.J.1.a.
— 113 —
Ienfte auch ihren Bid auf die verlafienen Bahnen zurüd.
Durch ihn wurde zuerft den Fünglingen der Gegenſatz zwifchen
ihrer frühern und jebigen Richtung in feiner ganzen Schärfe
zum Bewußtfein gebracht. Indem er die Schattenfeiten des
alten Syftem’8 mit den grelften Karben ausmalte, fuchte er fie
in ihrer Anhänglichfeit an das neue zu befefligen. Er fordert
Urbanus auf, vor Allem Gott dafür zu danken, daß er ihn aus
dem Heerlager der Barbaren in die Eenturie der Lateiner
geführt habe). Er yreifet dem Erotus die Vortheile, die ihm
burch feine „Wiedergeburt“ zu dem neuen Leben zu Theil gewor-
ven find, gegenüber dem frühern Elende. „Da Du nun”, redet
er ihn an, „den Klippen und Sirten entronnen, im Hafen bift,
erfennft Du leicht, wie elend jene find, welche fich von der Bar:
barei noch nicht Iosgefagt haben" 2), „Wer möchte fich noch”,
fhreibt er an Herebord, „in das Lager der Barbaren begeben,
da bereitd die Sonne aufgegangen iſt“?22) Ald den Kampf
von Licht und Finfterniß ftellt er ihnen den Gegenſatz beider
Richtungen dar. Alles wurde von ihm darauf berechnet, feinen
Schülern die tieffte Abneigung gegen „die Sophiften, jenes
— — — — —
1) „Omnium primum age Deo gratias: qui te abalienavit a bar-
baris, in nostram, hoc est, Latinorum centuriam impegit. Mox fruere
bono tuo et authoribus proletariis et imi subsellii classicos antepone.‘“
Tentzel p. 31.
2) „„Tunc enim prudens et sanctus tibi videbare, cum adhuc Jeger
et Dornheim esses; Tunc placebant Doctor sanctus, irrefragabilis,
Doctor subtilis Heng von Ohau, Hentz von Frimar, Arnolt von Thungern
et id genus phanatici,. Postquam vero renatus es et pro Jeger Cro-
tus, pro Dornheim Rubianus salutatus, ceciderunt et aurcs praelongae
et cauda pensilis et pilus impexus, quod sibi accidisse dicit Apulejus
cum adhuc asinus esset, et Junae beneficio, quae est regina coeli,
restitueretur sibi hoc est humanitati. Cum autem evaseris scopulos,
e syrtibus enataveris, in portu naviges facile cognoscis quam miseri
sint, qui nondum barbariem exuerunt; nunc felix et beatus, cui bonos
autores evolvere contigit“ Tengel 151 —2.
2) „„Quis igitur ad agmen barbarorum se reciperet orto jam
sole?“ Tentzel p. 163.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 8
— 114 —
Jornige, anmaßende und geizige Gefchlecht” einzuflößen. Gegen
diefe Schonung auszuüben, hielt er nicht für Pflicht. Was
nur immer mit Zucht und Anftand vereinbar war — und
damit fand er in diefem Falle außerordentlich viel vereinbar —
erlaubte er fi und den Seinigen, fobald die Rede auf die
Anhänger des alten Syftems fan’). Jene Gedichte, mit denen
er um diefe Zeit feine Jünger befchenfte, atmen theilweiſe den
bitterften Haß gegen die Scholaftif und was mit ihr zufammen-
hing und find feineswegs ein Mufter der poetifchen Lauterkeit,
die er früher dem Eoban u. A. einſchärfte 2). Vor Allem traf
fein Unwille die academifchen Grade, weil er in ihnen dad
vornehmfte Herrfehaftsmittel der Sophiften fah und von ihnen
die meifte Gefahr für die Seinigen beforgte. „Wo die Ber-
nunft den Vorſitz führt”, Außerte er wohl, „da bedarf es Feiner
Doctoren” 3). Ueber Magifter und Baccalaureen fprach er nur
in Ausdrüden der Beratung und des Spottes, um dadurd)
ſolchen Auszeichnungen den Reiz zu benehmen, den fie noch auf
einzelne Schüler ausüben mochten +). Eoban, der auf feine neu
2) Lauze in feiner Chronik 1.c. p. 120 fagt zwar: „So ein freund
und Holtfeliger man ift er gewefen, niemands zu flolg noch zu hoffärtig, ber
auch ein fonderlich wolgefallens an zuehtigen vnd ehrlichen fchimpfreden
getragen“, aber diefe Züchtigfeit und Ehrlichkeit war mwenigftens in feinen
Angriffen gegen die Scholaftif nicht zu groß.
2) So findet ſich namentlich ein noch -ungebrudtes Gedicht von ihm in
der M. DB. 5. fol. 9% a, das des Obſcoenen genug enthält; zu dem Ge⸗
lindeften gehört, was er über die Priefter fagt:
Quis sacerdotes asinos
Ferat, qui se doctissimos
Et sua censent optima
Quae nil detestabilius —
Nam qui se ipsos nesciunt
Ac eruditis praeferunt
Plus ceteris superbiunt
Et stulti pulsant cymbala.
2) M. B. F. fol. 53 a,
4) Einer Baccalaureenprüfung, welche die Profeſſoren in Erfurt abhiel⸗
— 15 —
erlangte Magiſterwürde einiges Gewicht zu legen fchien, gerieth
dadurch in Gefahr, die Gunft des Lehrers zu verlieren. Als
etwas Unwürdiges ftellte diefer ed dar, wenn Männer von
wahrer Bildung ſich Anftrengungen unterzögen, um zu jenen
leeren, barbarifchen Titeln zu gelangen ; und nur deshalb geftattete
er. den Seinigen die Accommodation an die allgemeine Sitte,
weil dad Anfehen, welches fie durch die academifchen Grade
empfingen, ihnen in dem Kampfe gegen die Sophiften zu Statten
fomme. „Sch will doch”, fchrieb er an Urbanus, „daß Du Dir
den Meagiftertitel erwirbft, damit Du unter diefer Masfe die
Unmündigen in der Dunkelheit in Schreden feßen fannft“ 1).
Derartige Ermahnungen verfehlten ihre Wirkung nicht.
Schon bald gewann Erotus durch feine wißigen und bittern
Ausfälle gegen die Sophiften den Beifall des Lehrers im höchften
Grade. Eine ähnliche Gefinnung befundete Petrejus. Urban,
der nach feiner bereitd erwähnten Entfernung aus dem Klofter
Beorgenthal von feinen Ordensobern nach Leipzig gefchict wurde,
um fich dort die philojophifche Magifterwürde zu erwerben,
beſchwerte fich in einem Briefe an feinen jüngern Freund Eoban
über die vielen Thorheiten, mit denen er fich befchäftigen müſſe,
„denn Poſſen zu treiben werden wir gezwungen”, fchreibt .er,
„wir, Die wir und um academifche Ehren bewerben” 2), In
— —
ten, gedenkt er mit den Worten „examen puerorum congregaverunt, ut
bacularios lignariosque crearent.‘“ Lib. nov. epp. K 3 a.
1) M. B. 5. fol.140 a. „Volo tamen personam tibi megistri im-
ponas ut persenatus terreas infantes in tenebris.“ — Auf die Art und
Weiſe der Erlangung der academifchen Ehren fam ihm wenig an; er gab
dem Spalatin den Rath, ſich das juriftifche Barcalaureat zu erfaufen.
Tentzel p. 81.
2) Dgl..Libellus alter, epistolas complectens Eobani et aliorum
quorundam doctissimorum virorum nec non versus varii generis atque
argumenti Auctore J. Camerario. Lips. 1557. 8°. — J 8a. „Sed
Pythagoricum fecit infinita et inexhausta legendae barbariae occu-
patio. Quid enim mihi Bacillario reliquum esse putas, quam ut ma-
gisterii insignia accipiam? (Quibus impetrandis idoneus nemo esse
8r
— 116 —
einem an Spalatin gerichteten Briefe führte er Klage darüber,
daß die Thorheiten und Abfurditäten der Sophiften die anges
borne Schärfe feines Geiſtes abftumpften !). Diefe bittere,
gereizte Stimmung verbreitete fih almählig über Mutian’d
gefammte. Süngerfchaft und nur der einzige Eoban erhielt fid
damals noch von derfelben frei?). Ihn fcheint vor jener Bits
terfeit vorzugsmweife die Rüdficht auf feine alten, acdhtungswer-
then erfurtiichen Lehrer bewahrt zu haben. Seine Freunde
kannten diefe nicht; am wenigften gab Mutian dergleichen Be:
trachtungen Raum, „denn wir haben Nichts davon zu beforgen“,
äußerte er kalt, „was ftreitfüchtige Sophiften über die Jüng⸗
linge unferer Schaar urtheilen” 3). Der gute Erfolg, von dem
feine Ermahnungen begleitet waren, war ihm vielmehr ein
Sporn, auf dem einmal betretenen Wege weiter zu gehen und
die vorhandenen Gegenfäse noch zu verfchärfen. Wiederholt
ermahnte er die Seinigen zum feften und treuen Zujammen-
halten; er gewöhnte fie daran, fi al8 Glieder eines zum ent-
fhiedenen Kampfe für die neue Richtung gefchloffenen Bundes
zu betrachten und fuchte fie mit dem Gedanken eines baldigen
feindlichen Zufammentreffens vertraut zu machen *), Er liebte
potest sine ineptitudine multiplici. Cogimur enim ineptire quicunque
petimus literarias dignitates, quae rectis studiis vix ullae his tempo-
ribus dantur. Vides enim, quid fiat, quid velint, quid faciant, qui
omnia faciunt, omnia possunt.“ Das Schreiben ift d. d. Lipsiae 1508
die Jov. post Martinianam festivitatem. —
I) „Ego enim in hac schola pythagorica sedulus nugamentorum
auditor praeter quisquilias nihil lego et absurda frivolaque Sophis-
tarum dictata nativam aciem ingenii hebetant.“ M. B. F. fol. 63 b.
2) Es ift charakteriftifch für die Stimmung, welche damals unter
Mutian’s Schülern herrfchte, wenn Mutian felbft in einem Briefe an He:
rebord (1508) fie alle als verfchlagen bezeichnet und den leßteren auffordert,
feinem zu trauen, al& dem Eoban. „Nemini confidas, Eobanum excipio.“
M. DB. F. fol. 112 a.
®) „„Neque enim metuendum est, quid de nostri ordinis adolescen-
tibus sophistae contentiosi judicent.“ Lib. nov. epp. K 3 a.
2) Der Begriff einer feft gefchloffenen humaniftifchen Verbindung, So-
— 117 —
es, ſie als ſeine lateiniſche Cohorte, ſich ſelbſt als ihren Feld⸗
herrn darzuſtellen, der fie in Kurzem zum Siege gegen die Bar
baren führen werde. „Ausdauern müflen wir”, redet er einen
feiner Untergebenen an, „da wir und einmal zu diefem Krieges
dienfte befannt haben und gleichſam durch einen Eoldateneid
vereinigt find“ 1).
VII.
In Folge der gereizten Stimmung, welche ſich in dem
mutianiſchen Kreiſe kundgab, mußte ſich aber auch das Ver⸗
hältniß ändern, in welchem derſelbe bisher zu der Univerſität
geftanden hatte.
Jenes freundliche Einvernehmen zwifchen Mutian und den
älteren Lehrern der Univerfität war auch durch den lebhaften
Verkehr, in den erfterer bald mit der poetifch gefinnten Jugend
trat, nicht geftört worden. Vielmehr fteigerte fich eben dadurch
Mutian’s Anfehen in Erfurt. Wie der von ihm geleitete huma⸗
niftifche Dichterbund immer mehr das Leben der Univerfität in
fih zu concentriren fchien, fo wurde er felbft aewifiermaßen als
das geiftige Oberhaupt der Univerfität verehrt. Goede's und
—
dalitas, Cohors, Legio, Classis, Ordo genannt, trat erft damals beflimmt
hervor.
ı) Lib. nov. epp. K 4 b. ad Hereb. Die ganze Stelle ift wichtig
genug, um fie herzuſetzen: „Me primum pilum inter auxiliarios secun-
dum latinas legiones ducente magnus eris assertater et idoneus vin-
dex contra barbaros, quorum conspirationi singuli sumus impares,
conjuncti vero stabimus in acie viriliter et sublatis signis praeliabi-
mur. Durandum enim est, quia semel huic militiae nomen dedimus
et foederati sumus, quasi militari jurejurando. Ne si inclinata acie
nostra brachia manus et arma submiserimus extrema patienda sint
nobis et res latina, quam prudentissimo saeculo ab interitu, clade,
ruina et internecivo barbarorum odio vindicarunt, nunc tandem iterum
prolapsa penitus extinguatur, professoribus suis sub jugum missis vel
interfectis.“ Diefer Brief it aus der erften Hälfte des 3. 1509, keinen⸗
falls fpäter. —
— 13 —
Trutvetter's Einfluß war nie fo groß gewefen, ald der des
gothaifhen Banonicus. Sein Name wurde gefeiert, feine
Freundichaft und Nähe von jedermann gefucht; die Jüngeren
waren erfreut, wenn ed ihnen gelungen, in die „Kunde“ des
berühmten Mannes zu kommen. Die Vorgefeßten der Univer-
fität ehrten ihn durch die größten Auszeichnungen. Man findet,
dag ihm zu Ehren in den Jahren 1507 und 1508 Sünglinge,
die ihm nahe ftanden, unentgeltlih an ber Univerfität imma:
trienlirt wurden !).
AS aber Mutian nit feiner Schaar jene Bitterfeit, jenen
leidenfchaftlichen Haß gegen das alte Syſtem zu zeigen begann,
da verftummte auch allmählig der Beifall, ven man ihm bie
dahin gezollt. Denn wie fehr auch Alle den neuen wiffen-
ſchaftlichen Beftrebungen geneigt waren, fo unbedingt und fo
rüdfichtslos, wie Mutian vorfchrieb, mochte man ſich ihnen
doch nicht hingeben. Seine gehäffigen Aeußerungen über das
ſcholaſtiſche Lehrſyſtem erregten bei den älteren Lehrern allge
meinen Anftoß. Die Meiften zogen fich gänzlich von ihm zurüd.
Biele ſchenkten jegt der feinpfeligen Haltung, welche die übrigen
Univerfitäten fchon immer den neuen Studien gegenüber gezeigt
hatten, ihren Beifall. Einen angefehenen Mönd aus dem
Benedictinerflofter hörte man öffentlich behaupten, daß die neuen
Dichter die Verderber der Univerfitäten feien 2). |
Mutian ließ fih durch gegnerifche Regungen diefer Art
nicht beirren. Leicht überzeugte er fich, daß die Stimmung der
Aelteren Feineswegs die allgemein herrfchende fei. Gerade im
Sabre 1509 erhielt fein Bund aus den Jüngeren mehrere rüftige
— — — — —
ı) So 1507 unter dem Rectorat des Reimbote ein Benedictus Lutri-
bergius gratis ob honorem dm Doctoris Muciani, 1508 unter dem Rec⸗
torat des Grafen von Henneberg ‚„‚Henricus Apollo de honkirchen gratis
inscriptus ob reverentiam D. Doctoris Muciani et Spalatiai. €. U M.
— Der Eromius (?) Appollo, deſſen Crotus in einem Briefe an Hutten
gedenft (Opp. Hutt. I, 105.) ift wohl identifch mit dem Letztgenannten.
2) Lib. nov. epp. & 2 a.
— 119 —
Mitglieder: einen Hunus, Mufardus, Hacus, Femelius, Draco,
Sünglinge von gleichem Eifer für die neuen Studien bejeelt.
Üeberhaupt neigte fi) die gefammte jüngere Generation auf
feine Seite. „Ich wünfche den jüngeren Lehrern in Erfurt
Süd”, fchreibt er an Herebord, „weil fie fih von der Barbarei
befreien” 1).
Im Bertrauen auf fie wagte er es Tühnlich, den Aelteren
die Spige zu bieten. „Nichts richten die Feinde der Wiffen-
ſchaften aus”, Außert er fich 1509 in einem Schreiben an den
Rector der Univerfität.. „Sie mögen wollen oder nicht, die
Zahl der Gebilveten mehrt fih. Dies wollte ich Dir zu wiffen
thun” 2).
Aber fchon fah fih die Lage der Dinge bevenflicher an.
Der ruhige, ungeflörte Yortgang, den bie neuen Ideen bisher
in Erfurt genommen, war durch die lebten Borfälle unmöglich
geworden. Eine ihnen entfchieden feindjelige Partei hatte ſich
zu bilden begonnen. Ein Kampf zwifchen der neuen und alten
Richtung ſchien in der nächſten Zukunft bevorzuftehen. Da
fliegen unerwartet von ganz anderer Seite fchwarze Gewitters
wolfen auf, welche beide Parteien in gleicher Weife mit dem
Verderben bedrohten.
!) „„Gratulor junioribus magistris Erphordianis, quod se a bar-
baria vindicent.“ Tengel l.c. p. 105.
2) Tert. lib. epp. D 7 a. ‚‚Nihil agunt hostes literarum. Velint,
nolint, multiplicantur politiores. Hoc velui ne nescires.“ —
— 190 —
viertes Capitel. Die flädtifche Revolution 1509, 10,
„Vidimus ibi omnia discordiarum plena,
discedente plebe a patribus quotidieque nova
moliente. Non tatam videbatur versari inter
enses, atque pro calamo ferrum tractare.“
Crotus,
I.
Während der Zwiefpalt an der Univerfität immer deut
licher hervortrat und Alles ein feindliches Zufammentreffen der
beiden Richtungen ald nah bevorftehend anzufündigen jchien,
begann im Innern der Stadt ein Kampf zwifchen zwei Ahnlich
geitellten Gegnern. Der Zwift zwifchen Rath und Gemeine,
das gemeinfame Erbübel aller ſtädtiſchen Gemeinwefen jener
Zeit, machte Erfurt in den Sahren 1509 und 1510 zum Schau
plage der Ausbrüche der wildeften Leidenfchaft und blutiger
Gemaltthaten. Nicht mit Unrecht führt jene Zeit in ber
. erfurter Gejchichte den Namen des „tollen Jahres." Die große
Wichtigkeit, welche die Ereigniffe desfelben für die Univerfität
und namentlich für die Fortentwidelung ver beiden ſich ent-
gegengejegten Richtungen erhielten, macht es nothwendig, daß
wir einen Augenblid unfere Aufmerffamfeit den ftäptifchen
Angelegenheiten zuwenden !).
1) Die erfurter Chroniken befhäftigen ſich mit befonderer Borliebe mit
der Gefchichte des tollen Jahres und find reich an intereffanten Einzelheiten.
Indeß wird ihr Werth durch die durchgängige Parteilichfeit der Verfaſſer,
fei es für Mainz oder für Sachen, fehr beeinträchtigt. Hogel in feiner
Chronik laßt fih durch feinen leidenfchaftlichen Eifer gegen Mainz nicht
felten zu irrigen Angaben verleiten; in eben fo aehäffigem Tone gegen
Mainz ift die Frieſe'ſche Chronik (im Beflg des Herrn Stabtrath Herrmann
zu Erfurt) gefchrieben, während R. B. von Wechmann’s „„Memorial Hi⸗
ftorifcher Befchreibung vom Urſprungk und wachsthum der Löhlichen Friedens⸗
ſtadt Erfurt” für Mainz gegen Sachſen Bartei ergreift. Unter ben gebrud-
ten Schriften, welche den Gegenftand behandeln, vertreten die Werke von
— 1211 —
Obgleich des Vorzuges der Reihdunmittelbarkeit entbehrend,
nahm Erfurt in den mittleren Jahrhunderten unter den deutjchen
Städten doch eine fehr bedeutende Stellung ein. Das Ab»
_ hängigfeitsverhältniß, in dem es politifch wie Firchlich zu Mainz
fand, that feinem Auffommen und feiner Blüthe wenig Ein-
trag. Die dem Handel günftige Lage der Stadt machte dieſe
fhon frühzeitig zum Schauplatze eines lebhaften Verkehrs, zum
Stapelplage für den Handel zwifchen den obern und niedern
Landen. Zahlreiche Faiferliche Privilegien, deren erfted ihr von
Friedrich II. fchon um das Jahr 1234 gegeben war, ſchützten
fie in ihren Rechten. Durch Kauf und Waffengewalt hatte fie
feit dem Jahre 1266 weitläufige auswärtige Beflgungen an
fih gebracht und nur Nürnberg und Ulm fonnten ſich unter
den deutfchen Städten an Größe des Gebietd mit ihr mefjen.
Die Stadt ſchloß Bündniffe mit Fürften und Herrn, ihre
Sreundfchaft ward gefucht, denn die zahlreichen mit glücklichem
Erfolg geführten Kriege legten Zeugniß ab von ihrer Waffen-
tüchtigfeit. Der Eifer, womit fie fi die Aufrechthaltung des
Landfriedens gegen die mächtige thüringifche Ritterfchaft anges
legen fein ließ, hatte ihr den ehrenvollen Namen der „Friedens:
ſtadt“ verſchafft!). Mancher raubluftige Evelmann war durch
Erfurter von feinem Hofe weggeholt worden; nad) der Zer⸗
ſtörung von Raubburgen ftreuten fie wohl Waidjamen, das
Symbol erfurtifcher Induftrie, auf die Trümmer derfelben, um
anzudenten, daß es durch Erfurter gefchehen 2). Daheim war
— — — — —
Gudenus und Falckenſtein ebenſo ſehr das mainziſche Intereſſe, als Weinrich
in feiner 1713 anonym erſchienenen „Kurk gefaßten und gründlichen Nach⸗
riht von den vornehmften Begebenheiten ber uhralten und berühmten Haupt:
Stadt Erffurt“ das fächfliche.
ı) Gudenus Historia Erffurtensis Duderst. 1675. p. 61. Hundorph
in feinem Encomium Erffurtinum 1651. 4%. A 23 a. weiß fogar, daß kai⸗
at Majeftät ſelbſt die Stadt mit diefem Titel „allergnädigk begabet
a.” —
2) Kaldenftein 1.c. I, 160.
— 12 —
die Stadt wohlverwahrt mit Wal und Mauer, deren Urfprung
die ruhmredige Sage bis ‚auf Attila’8 Zeiten zurüdzuführen
wußte. Drinnen zahlreiche Kirchen, — fehon im vierzgehnten Jahr⸗
hundert zählte die Stadt 28 Pfarrfirchen — reiche Klöfter, das
prächtige Rathhaus, die Zierde der Stadt, und, worauf fie vor:
Allem ftolz war, die Univerfität, 2) die man, wie der Ehronift
fagt, zu dem Zwede gegründet hatte, „daß die Mufen den
Mars vertreiben follten.” Wie ftarf die Stadt bevölfert war,
erfehen wir daraus, daß allein im Jahre 1464 an der Peſt
28,000 Menfchen farben. Große Reichthümer lagen bei den
Vornehmen aufgehäuft. Wohlftand herrfchte unter allen Stän-
den und hatte, außer in Handel und Gewerbe, in der Frucht:
barfeit der Umgebung eine nie verfiegende Duelle. Natürlich
ftellten fi im Gefolge eines ſolchen Zuftandes auch bald
Veppigfeit und Luxus ein, und wir finden, daß fehon frühzeitig
ſcharfe Gefege gegen das übermäßige Prunfen mit Gold und
Seide in der Kleidung nöthig wurden. „Gott plaget andere
Leute mit Theuerung, uns ftrafet er mit Fülle,” fagte einmal
einer der angejehenften erfurtifchen Prediger. Staͤdtiſcher Factions⸗
geift fand hier unter einer von Nahrungsforgen nicht gedrüdten,
leicht erregbaren Bürgerfchaft einen fruchtbaren Boden, und
Anlaß zum Hader boten hinlänglich die Webergriffe, welche ſich
die an der Spiße befindlichen Gefchlechter zu Schulden fommen
ließen. Schon in den Zeiten ded Interregnums hören wir
von einem mit großer Erbitterung zwifchen Rath und Gemeine:
zu Erfurt geführten Kampfe. Rudolph von Habsburg Fonnte
1289 bei feiner Anwefenheit nur durch die ftrengften Maaß-
regeln die Ruhe einigermaßen wiederherftellen?). Zwanzig
I) Selbſt bei den Auswärtigen galt die Univerfität ale die vorzüglichfte
BDertreterin des erfurtifhen Ruhmes; fo fagt Aeneas Sylvius in feiner
Historia de Europa: „In Thuringia nobile oppidum et caput gentis
Herfordia, Maguntino subjecta pontifici, studiis liberalium artium
insignis.‘‘“ Aeneae Sylvii Piccol. Opp. editio Basilieus. p. 423 b
2) Bol. Gudenus Hist. Erf. p. 68.
— 193 —
Jahre fpäter, im Jahre 1309, brach dann in Folge neuer Ueber⸗
griffe von Seiten der Machthaber die gewaltige Volksbewegung
aus, welche der Alleinherrfchaft der rathsfähigen Gefchlechter
für immer ein Ende machte und dem Snftitut der aus den
Biereigen und den Handwerkern gewählten „Bierheren” das
Dafein gab, die, mit tribunicifcher Gewalt ausgerüftet, fortan
das Intereſſe der Gemeine wahrnehmen follten ’), Dadurch
war nun zwar die Gemeine gegen die früheren Berrüdungen
fiher geftelt, aber e8 fehlte doch noch viel daran, daB ihren
Wünſchen vollftändig genug gefchehen wäre. Die neuen Bier
herrn vergaßen überdies nur zu leicht Urfprung und Zweck
ihres Amtes, ſchloſſen fi den herrfchenden Gefchlechtern an
und fo fehrte in Kurzem das frühere gefpannte Berhältniß
zwiihen Regierenden und Regierten wieder zurüd. Es war
ein Glüd, daß die Gemüther von diefen inneren Zermürfnifien
durch die glüdlichen Ilnternehmungen abgelenkt wurden, mit
denen die Stadt in der folgenden Zeit nach außen hervortrat.
Draußen, dem Feinde gegenüber, vergaß man den Gegenſatz,
der innerhalb der Mauern Alles entzweite. „Wer im Streit
feinem Compan nicht hilft, fol nicht gen Erfurt fommen und
was er hat, fol Beute werden,” lautete ein Artifel des alten
erfurtifchen Zuchtbriefes.
Die glänzenden Unternehmungen, welche im Laufe des
vierzehnten Jahrhunderts von Erfurt ausgingen, brachten die
Stadt zu ihrer größten Blüthe. Da ließ fih denn auch wohl
die Gemeine manche Bedruͤckung gefallen von einem Regimente,
1) „„Missis hinc inde legatis, demum in hoc conventum est:
Eligeret plebs tribunos quatuor, qui ad januam aulae senatoriae
sederent, acta senatus observarent, intercedendi potestate, non defi-
niendi uterentur, remisit de impetu plebs et nominatis de numero suo
Quatuor viris Senatus proclamatus est.“ Gudenus 1.c. p. 81. — Auf
diefen Sieg der Gemeine beziehen fich vielleicht einige der Umfchriften ber
bereit erwähnten Rathhausfchilder, 3. B. die folgende:
Wer recht tut der ift wol geborn
ani tugint it adil gar velorn.
— 14 —
unter welchem das Anfehen und der Ruhm der Stadt fo glän-
zend nach außen geltend gemacht wurden.
Dies änderte ſich aber, als im fünfzehnten Jahrhundert
die allzufühnen Bläne des Rathes in Einem PBunfte- fcheiterten
und Erfurt in Folge davon genöthigt ward, feine frühere
Machtſtellung aufzugeben.
Schon längft hatte die ſtolze Stadt ihre Unterordnung
unter Mainz nur mit Widerwillen ertragen, und ob ſchon die
Umſchrift des Stadtſiegels fie fortwährend „als treue Tochter
des mainzifchen Stuhles“ ypries!), fo verrieth ihr Auftreten
doch nur zu häufig die Abficht einer Emancipation von der
mütterlichen Beauffichtigung. Unverholen gab fich dieſes Streben
feit den Zeiten des Ehurfürften Conrad II. (1419—34) fund.
Der Rath ließ großartige Bauten unternehmen, Feftungswerfe
mit ungewöhnlichem Koftenaufwand aufführen, un jo den
mainziſchen Anfprüchen mit Nachdruck entgegentreten zu fünnen 2).
In diefem Sinne gefhah e8 auch, daß man zu dem Haufe
Sachſen in freundfchaftliche Beziehungen trat?). Den main-
zifchen Churfürften Dietherich nahm man einige Zeit fpäter nur
unter der Bedingung auf, „daß er die Stadt bleiben ließe bei
aller Herrlichkeit und Freiheiten.” Um ein Bedeutendes fchien
die Stadt ihrem Ziele, der Unabhängigkeit, näher gerüdt, ale
nach dem Tode eben jenes Dietherich zwei Prälaten, Diether
von Iſenburg und Adolph von Naffau, fih um den Beſitz des
mainzer Stiftes ftritten. Den günftigen Zeitpunft wahrneh⸗
mend, machte der Rath von Erfurt die großartigften Anftreng-
ungen, um die Befreiung der Stadt von der mainzifchen Ober:
1) Schon 1192 führte das Stabtfiegel die Umjchrift: Erfordia est
fidelis filia Moguntinae sedis.
2) Bel Mencken. Script. rer. Germ. Il, 1553. Baldenftein. c. I,
303. Auf die Befefligungen wurden 5433 Talente verwandt. '
5) Das Berhältniß zwiſchen Erfurt und Sachfen wurde noch enger,
als 1440 das früher von den thüring. Landgrafen behauptete Geleitsrecht
in Erfurt auf die fächfifchen Fürſten überging.
— 15 —
boheit durchzufegen. Aber Unglücksfälle, von denen die Stadt
bald in furchtbarer Weiſe getroffen wurde, die fchredliche Peft
im Jahre 1464, der große Brand von 1472, der einen großen
Theil der Stadt einäfcherte, machten die Erreichung jenes Zieles
unmöglih. Dazu Fam, daß der EChurfürft Diether am Ende
feiner Tage die Klugheit befaß, den fächfiihen Prinzen Ernſt
zu feinem Coadjutor anzunehmen. Hierdurch ihres bisherigen
Rüdhaltes an dem Haufe Sachſen beraubt, ſah ſich die Stadt
genöthigt, das mit jo großer Beharrlichkeit verfolgte Ziel ganz-
Lich aufzugeben). Die Friedensſchlüſſe von Amorbach und
Weimar (1483) beftätigten nicht nur die Abhängigfeitöverhält-
nifie der Stadt, fondern nahmen ihr auch das Uebergewidht,
welches fie bisher in Thüringen behauptet hatte.
" Damit aber hatten die Mißgeſchicke ver Stadt noch nidht
ihr Ende erreicht. Statt ſich felbft und Andern den geſunkenen
Zuftand Erfurt einzugeftehen, juchten die Herrn, welde am
Regiment faßen, denfelben dadurch zu verdeden, daß fie ganz
in der frühern Weiſe zu regieren fortfuhren und auch jebt noch,
wie in den Zeiten der größten Blüthe, große Summen auf
glänzende Gefandtichaften, ftäptifche Feftlichfeiten u. dgl. ver-
wandten. Sehr bald rächte ſich Died. Die Schuldenmaffe der
Stadt, weldhe ſchon während jener Unabhängigfeitsbeftrebungen
eine bevenkliche Höhe erreicht hatte, wuchs in erichredender
Weife. Die Ausficht, fie jemals abtragen zu können, fing an
zu fchwinden. Neue Auflagen famen nur unvollftändig ein
und fchafften Feine Hülfe Die Gläubiger, zum Theil dem
febveluftigen Adel angehörend, juchten fi durch Angriffe auf
Perſon und Eigenthum erfurtifcher Bürger ſchadlos zu halten.
Da erwachte in der Gemeine von Neuem der alte Widerwille
gegen die Machthaber, denen nunmehr alles Unglüd zugejchrieben
wurde. Vergeblich fuchte der oberite Vierherr Heinrich Kelner
1) „„Actum videbatur‘“ fagt Guben, „de Erfordiae licentia, Patre
in Saxonia, fillo Moguntiae imperante.““ 1.c. p. 160.
— 136 —
der augenblidlihen Roth dadurch abzuhelfen, daß er das wich⸗
tige Gapellendorf wiederfäuflih an Sachen überließ. Der
Verluſt diefer fhönen Beflgung, welche zugleich eine Erinnerung
an die blühendften Zeiten der Stadt war, erhöhte nur noch die
Mipftimmung. Die innern Zuftände der Stadt gewannen ein
düfteres Ausfehen; Alles fchien auf einen neuen Kampf der
Gemeine gegen die herrſchende Klaſſe hinzudeuten. Da gefchah
ed, daß durch einen Mißgriff des NRathes felbft den Unzufrie
denen die Waffen in die Hand gegeben wurben. Bei ber
großen Berlegenheit, in welcher fi) der Rath befand, war
nämlich) von Einigen der Gedanke geäußert worden, man müfle
offenherzig der Gemeine den Grund des ganzen Unglüds, vie
Schuldenverhältniffe der Stadt, vorlegen und fie freundlich um
Rath und Beiftand erfuchen. Unbegreiflich fcheint es, wie
diefer Vorſchlag den Beifall der Mehrzahl finden Fonnte: man
beihloß, ihn unverzüglich zur Ausführung zu bringen. Um-
font war es, daß Einfihtövollere, das Gefährliche jener Maaß⸗
regel ahnend, ſich dagegen feßten.
1.
Der achte Juni des Jahres 1509 war für Erfurt ein fehr
verhängnißvoller Tag. Vor fechszehn aus der Gemeine nad)
den vier Vierteln erwählten Vertretern machte an diefem Tage
der rathlofe Rath feine wichtigen Enthülungen über die Schuls
denverhältniffe der Stadt !). Da erfuhr man zum allgemeinen
Schreden, daß die Schulden die ungeheure Höhe von beinahe
600,000 Gulden erreicht hatten. Die Heren vom Rath hatten
faum das Wort ausgefprocdhen, als fie den gefchehenen Miß⸗
griff einfahen. Die ungewöhnliche Aufregung, welche ſich in
ı) Die 16 GErwählten hatten fich. eingeben der frühern Härte bes
Rathes, zuvor von der Gemeine Gut und Leben ficher ftellen Lafien, „denn
mit Herrn fei böfe Kirfch eſſen.“ Falckenſtein 1.c. I, 455.
— 1171 —
der Gemeine verbreitete, fobald fie von ihren Erwählten das
Rähere erfahren, ließ den Rath das Aeußerfte befürchten. Was
fo eben noch den Gegenſtand feiner größten Eorge ausmachte,
die finanzielle Bedrängniß, fchien unbedeutend gegen die neue
Gefahr, die er felbft bedachtlos heraufbeſchworen. Zunächft
verlangte die Gemeine, daß die Herrn, welche bisher am Regis
ment gejefien, Rechenichaft ablegen follten. Der Rath; juchte
dem Anfinnen auszuweichen, zu befänftigen und bat endlich,
als das Bolf dennoch auf jeinen Forderungen befland, die
ſächſiſchen Fürften um Hülfe. Die nächte Folge davon war,
daß die Gemeine ſich jetzt um fo inniger an den rechtmäßigen
Herrn der Stadt, den Ehurfürften Uriel von Mainz, anjchloß,
fo daß der Kampf zwilchen Rath und Gemeine zugleich ein
Kampf zwiſchen einer ſächſiſchen und mainzifchen Partei wurde.
Trotz der Abmahnung von Seite Sachſens und troß der
Gegenvorftellung des Rathes, welcher jede Annäherung an
Mainz als gefährlich für die Privilegien der Stadt darzuftellen
fuchte 2), wußte ed die Gemeine doch durchzufegen, daß ſchon
nach wenigen Wochen eine Geſandtſchaft nach Mainz gejchidt
wurde, um den Ehurfürften von dem „Unrathe * der Stadt in
Kenntniß zu feben und feine Hülfe anzuflehen. Nach der Abs
reife der Befandten wurde aber die Verwirrung in der Stadt
immer größer. Ein anardifcher Zuftand ftellte ſich ein; der
Rath hatte alle und jede Haltung verloren, das Volk forderte
die Schlüffel zu dem großen Thurm im Brühl und das Stadts
fiegel 2). Und fchon flieg aus den niedrigften Schichten der
Bevölferung die fogenannte „ſchwarze Rotte” empor, welche,
bereits nicht mehr zufrieden mit der gemäßigten Haltung der
Ermwählten, den wilveften Haß gegen Rath und Rathsverwandte
zur Schau trug. Unter den Angefchuldigten traf der allgemeine
Haß Feinen in fo hohem Grade, als den oberften Bierheren des
1) Bol. Faldenftein 1.c. I, 497.
2) Wechmann 1.c. ad a. 1509.
— 1383 —
Jahres 1507, jenen Heinrich Kelner, der zu dem Schimpf, wo:
mit er die Stadt durch Verſetzung des Amtes Bapellenvorf
angetban, noch den Ausdrud der Verachtung gegen die Gemeine
hinzugefügt hatte. „Ich bin die Gemeine”, Batte er übermüthig
den Ermwählten entgegengeworfen, als diefe ihn darüber zur
Rede ftellen wollten, daß er jene Befisung ohne Wiflen und
Outheißen der Gemeine veräußert habe. Dieſes vermeflene
Wort reiste den Unwillen des Volkes gegen ihn auf das höchite.
Er wurde in feinem Haufe in gefänglidem Gewahrfam gehal-
ten und mußte jeden Augenblid auf das Aeußerfte gefaßt fein,
bis es ihm endlich gelang, in die nahe BVitusfirche zu entkom⸗
men, deren Afylrecht ihn vor dem Schlimmften ſchützte. In⸗
zwifchen fam die Nachricht nach Erfurt, daß jene nad) Mainz
abgeordneten Gefandten auf der Rüdreife im Gothaifchen von
ſächſiſchen Mannfchaften aufgehoben und die ihnen beigegebenen
mainzijchen Räthe zur Heimfehr genöthigt feien. Die Freude,
welche die Rathsherrn über diefen Vorfall an den Tag legten,
war nur von furzer Dauer. Einige Tage nach Allerheiligen
famen andere mainzifche Räthe, die ſich den Nachftellungen. der
fächfifchen Ritter zu entziehen gewußt hatten, glüdlich in ber
Stadt an. Der Rath erfchrad, „hätte lieber jo viel Wölfe
fehen fommen, denn die Räthe von Mainz.” Das Volk aber
begrüßte fie als jeine Erreiter. Die Neuangelommenen erhielten
alsbald ungehinderten Zutritt auf das Rathhaus und durften
ſich bier, da ihnen auch alle wichtigen Papiere vorgelegt wur-
den, von den „Heimlichkeiten” des Rathes überzeugen, welche
wahrlich nicht geeignet waren, bei ihnen Sympathien für diefen
zu weden. Die Forderung der Gemeine, daß. der Rath Rechen-
{haft ablegen müffe, fand ihren Beifall und wurde von ihnen
unterftügt. Weberhaupt gewannen die Beitrebungen der Gemeine
einen feften NRüdhalt in den mainzifchen Räthen. Die Leis
tung der Angelegenheiten ging bald thatfächlich von dem „Mainzer
Hofe” aus, wo jene refldirten; fogar eine Abtheilung main-
zifcher Landsfnehhte wurde in die Stadt gelegt, Drohungen
— 19 —
von Seite Sachſens machten ebenfo wenig Eindrud auf die
Mainzer, als die gleichzeitig unternommenen Bermittelungs-
verfuche der mit Erfurt befreundeten Städte Mühlhaufen und
Kordhaufen zu dem gewünfchten Ziele führten. Da die Vers
hältnifje fi immer ungünftiger für den Rath geftalteten, fo
entwichen noch vor Ablauf des Jahres 1509 die meiften Mit
glieder desfelben, fowie viele der vornehmften Bürger aus der
Stadt!) und ſuchten Schu in dem Gebiete der fächfifchen
Zürften, die nun von ihnen unaufhörlich aufgemuntert wurden,
energifcher gegen die aufrührerifche Stadt einzufchreiten. Nichts
fonnte den Führern der Bewegung erwünfchter fein, als bie
Flucht ihrer Gegner. Erft nunmehr durfte man zum vollftän-
digen Sturze des alten Rathes fchreiten. Bezeichnend genug
wurden .in den neuen Rath, welcher alsbald an die Stelle des
alten trat, nicht blos Männer aus den niedrigften Ständen,
jondern ſogar auch Fremde gewählt, deren fih in Folge der
Bewegung viele in der Stadt eingefunden hatten. Die mainzer
Räthe aber nahmen die Gelegenheit wahr, um der alten, für
die Mitglieder des Rathes üblichen Eidesformel eine ven Rechten
ihres Herrn günftigere Fafjung zu geben?). — Dann Fam die
Reihe an die alte Regimentsordnung, die bald nad) dem Sturze
des Rathes befeitigt ward. Die neue „umb gemeiner Nub
willen angefangen” gab in ihrem Eingange ein vollftändiges
Berzeichniß der Sünden des frühern NRathes, wodurch „vie
Bormunde der Viertel, Handwerf und Gemein hoch und groß
geurfacht jeien, anders in Regierung der Stadt zu fehen, andere
und befjere Ordnung und Regiment fürzunehmen.” Zugleich
war der Wunſch ausgedrüdt, daß jened Sündenregifter jährlich
von Wort zu Wort üffentlich verlefen werde „zu einem gedächt-
nus der vergangenen Dinge und dad man fich fürther vor
ı) Neun und dreißig der Edelften werden in den Chroniken namhaft
gemacht. Die Auswanderung begann fchon im Juli.
2) Gudenus 1.c. p. 195,
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. ‘9
— 10 —
ſchaden deſto fürderlicher zu verwahren wiſſen und darnach
richten möge” 1).
Während dies geſchah, faß Heinrich Kelner, das Ober:
haupt der Rathspartei und der entfchloffenfte Gegner der Volks⸗
herrfchaft, in firenger Haft. Unbegreiflicher Weife Hatte er
nach der Ankunft der mainzer Gefandten im November 1509
fein Afyl in der Vituskirche aufgegeben und dadurch der Ge
meine feine fürmliche Einferferung möglich gemacht. Nach dem
gänzlihen Sturze der alten Ordnung nahte auch fein Schickſal
heran. Berlaffen von feinen gleichgefinnten Freunden, die fidh
fammtlih auf das fächfifche Gebiet geflüchtet Hatten, mußte er
jebt feinen frühern Stolz hart büßen. „Wie die Juden mit
Chriſto“ ging die Volfsmenge mit ihm um. In einer Reihe
peinlicher Verhöre wurden ibm die umfafjendften Geftändniffe
über die ÜUnordnungen, die unter dem alten Regimente vorge
fommen, abgenöthigt. Es half ihm nichts, daß er, von der
Holter befreit, fie mwiderrief.e Sein Untergang war beichloffen.
Mit ſchallendem Gelächter wurde das über ihn ausgefprochene
Zodesurtheil von der umftehenden Menge aufgenommen ?).
Am 28. Juni 1540 wurde unter Umftänden, die und einen
tiefen Blick in die zerrütteten Berhältniffe der Stadt eröffnen,
das Todesurtheil an ihm vollzogen ®).
1) Die neue Regimentsordnung findet fi} abgedrudt bei Falckenſtein
I. c. 1, 519 ff. Eine alte Abfchrift derfelben befindet fih in der Rathhauss
bibliothek zu Erfurt. — Uebrigens enthält die neue Ordnung mandje zwed-
mäßige Berbefferungen und fie verdiente Feineswegs das Schidfal, welches
fie fpäter erfahren. Bollendet und; aufgezeichnet wurde fie erft im Suli
1513.
2) Faldenftein J. c. I, 486.
2) Man wagte nicht, den Verurtheilten auf die gewöhnliche, in ziem-
licher Entfernung von der Stadt belegene Richtflätte zu führen, aus Furcht,
daß ihn ftreifende fächfifche Schaaren feinem Schidfal entreigen möchten.
Unter militärifcher Bededdung der Bürger wurde das Todesurtheil an un:
gewohntem Orte und von ungeübter Hand vollzogen.
1
— 131 —
MI.
In der Hinrichtung Kelner's hatte die Bewegung ihren
Höhepunft erreicht. Die alte Ordnung der Dinge war geftürzt,
dem Rachegefühl der Gemeine war ein Opfer gebracht worden.
Eine rubigere Betrachtung begann von nun an fi allmählig
geltend zu machen, und in ihr lag der Keim zu einer Reaction.
Manches begünftigte dieſe. Zunächſt machte man die
Erfahrung jehr bald, daß mit den alten Einrichtungen Feines»
wegs zugleich die alten Webelftände befeitigt waren. Die alten
Gläubiger der Stadt, derer man ſich nicht fo, wie des Rathes
hatte entledigen können, fuhren fort, fich durch Angriffe auf das
Eigenthum erfurtifcher Bürger ſchadlos zu halten. Ein durch
gürfprache Uriel’8 von Mainz erwirktes Faiferliches Moratorium
(d. d. Freitag vor Pfingften 1510), wodurch den Gläubigern
unterfagt wurde, innerhalb der nächften vier Jahre ihre Ans
jprüche geltend zu machen, war nicht im Stande, ihren eigen-
mächtigen Angriffen Einhalt zu thun. Zu ihnen gejellte fich
eine Menge anderer raubluftiger Evelleute, die Selwitz, Wagener,
Botteler, Fadentisfcher u. A., welche die gegenwärtige Bebräng-
niß der Stadt dazu benußten, um fich für die Niederlagen zu
rächen, Die ihre Vorfahren von derfelben erlitten hatten. Die
gefährlichiten Gegner fand jedoch die Stadt in den fächitfchen
Sürften, welche, als die Bejchüger des erilirten erfurter Patris
ciats, unaufhörlich die jebt herrſchende Gemeine bevrängten.
Herzog Georg nahm ihr einmal fogar das wichtige Amt Bars
gula weg, ſächſtſche Schaaren drangen wiederholt bis vor Die
Thore der Stadt, jo daß Fein Bürger die Stadt verlaffen konnte
ohne Gefahr, gefangen zu werden. Die Bemittelten juchten
fihh dagegen durch Schugbriefe, welche fie um fchwere Summen
an dem fächftjchen Hofe erfauften, zu fichern, allein als bie
ärmeren Claffen darüber murrten, wurde auch Died unterfagt,
Gegen jo vielfache Angriffe konnte der Churfürft von Mainz,
9%
— 12 —
unter defien Schu das neue Regiment aufgefommen, die
erforderliche Hülfe nicht leiften. Das Bedeutendſte, was von
ihm gejchab, war, daß er einmal zur Zeit der größten Roth,
im Sommer 1511 eine neue Abtheilung von 150 mainzijchen
Landsknechten in die Stadt ſchickte. Alles Uebrige beftand faft
hur in freundlichen Zufagen und „getreulichen Vertröftungen.”
Um fo unangenehmer mußten deshalb die Bürger durch das
Benehmen der mainzifchen Räthe berührt werden, die bei jeder
Gelegenheit auf die Rechte ihres „Erbherrn“ zurüdfamen, und
überhaupt nur zu wenig verhehlten, daß das mainzifche Interefle
mehr, ald das Wohl der Stadt, für fie leitend fei. Schon Die
Veränderung des Rathseides, welche fie Durchgefegt hatten, hatte
deshalb bei einigen Bürgern Bedenken und Mißfallen erregt:
ed wird einer damals auftretenden Minorität gedacht, welche
die Zuläffigfeit der Eidesveränderung aus zehn Gründen
beftritt *). Der Eifer für Mainz fing an zu erfalten. Bon
dem alten Vierherrn Görg zum Roche vernahm man ſchon 1512
die Aeußerung, daß die Stadt nicht zur Ruhe kommen voerde,
„man fehlüge denn die Mainzifchen alle todt vor tolle Hunde ” 2).
Es bildete fih allmählig neben der mainzifchen und fächfifchen
Partei, welche Ießtere im Geheimen noch immer in der Stadt
viele Anhänger zählte, eine Dritte, die erfurtifche. Zwar wurde
dies zunäcdhft eine Duelle neuer Wirren und ftürmifcher Aufs
tritte, Die in der nächften Zeit fogar noch zu blutigen Scenen
führten 9), aber e8 wurde doch durch jene Partei die Möglich
1) Wechmann 1.c. ad a. 1510.
3) Frieſe'ſche Chronik ad a. 1512.
2) „D lieben Freunde”, ruft ein patriotifch gefinnter Chronift aus,
„auff der Zeit war groß jammer und not in der Stadt Erffurdt, denn bie
Bürger waren in 3 teil geteilet. Als gut Herkogifch, Etliche Erffurdifch,
Etliche Bifchoffifch und vertraute Feiner dem andern vnd verrieth einer den
andern wo er funde oder mochte. Vnd welcher verrathen ward, der ward
übel gemartert vnd fehr viel unfchuldig.” Nach einer alten handſchriftl.
Chronik auf der Königl. Bibl. zu Erfurt. — Noch im Mai 1514 wurde
— 13 —
feit gezeigt, zu den auswärtigen Mächten wieder in ein mit
ver Ehre der Stadt verträglihes Berhältniß zu treten. Und
felbft mit dem Gedanken an eine Wiedereinführung der alten
Berfaffung der Stadt wurde jene Partei befreundet, ſeitdem
der neue Rath zu Ähnlichen Auflagen, wie der frühere jchreiten
mußte, Inter diefen Umſtänden fanden diejenigen Gehör,
welche riethen, durch Wiederherfielung des guten Einvernehr
mend mit den fächftfchen Fürſten den übermächtigen Einfluß
der Mainzer einzufchränfen und dadurch der Stadt die Ruhe
wiederzugeben. Wirklich wurden in diefem Sinne Schritte
gethan. Allein den Bemühungen des Ehurfürften von Mainz
gelang es, einftweilen noch die beabfichtigte Annäherung an
Sachſen zu verhindern. Befonders ließ es fich der neue Chur⸗
fürft Albrecht von Brandenburg, welcher 1514 den mainziichen
Stuhl beftieg, angelegen fein, die Stadt in ihrer bisherigen
Anhänglichfeit an Mainz zu erhalten. Er bewilligte ihr eine
umfafjende Amneftie, ordnete den allgemein beliebten Abt Harts
mann von Fulda als feinen Gefandten an fie ab, der einen
wohlthuenden Eindrud auf die Bürgerfchaft machen mußte, und
bot überhaupt Alles auf, um die Gemüther für ſich zu gewin⸗
nen. Seine Bemühungen waren in der That von fo glüd-
lihem Erfolg, daß, als er im folgenden Jahre feinen Einzug
in die Stadt anfündigte, die Bürgerfchaft zu feinem Empfange
die glänzendften Vorkehrungen traf. Indeß wie der angefüns
digte Einzug felbft in Folge jächfifcher Machinationen unter-
blieb, fo gewann auch bald wieder in der Stadt die Uebers
zeugung die Oberhand, daß nur von einer Annäherung an
Sachſen Heil zu erwarten fei. Jedermann fah ein, daß die
fortwährenden Verationen, denen man in Folge ded gefpannten
Berhältniffes zu Sachſen ausgefebt war, zulegt den vollftän-
der Stadtſyndieus Bobezahn auf eine ziemlich tumultuariſche Weiſe hinge⸗
richtet. —
— 134 —
digen Ruin der Stadt herbeiführen müßten. Da gab man
lieber die neue Verfaffung der Stadt auf, welche ohnehin ſchon
nicht mehr den Wünfchen Aller genugthat. Ohne Vorwiſſen
des Churfürften von Mainz wurden abermals Unterhandlungen
mit Sachfen eröffnet. Bergeblich bemühte fich dieſes Mal Albrecht,
der bald AEn den Unterhandlungen durch einen feiner Anhänger
in Kenntniß gefeßt wurde, die Sache zu Hintertreiben. Die
Borftelungen feines Gejandten Frowin von Hutten blieben
ebenfo fruchtlos als die Faiferlihen Mandate, die er gegen jene
Unterhandlungen aufbrachte!). Alle drängte zu einer Aus-
fühnung mit Sachfen, welche endlich durch den Vertrag von
Kaumburg am 25. October 1516 zu Stande fam. Alle „Reuige
feit” mußte in Folge desfelben abgethan werden, die alte Regis
mentsordnung wurde wieder eingeführt, die Erilirten durften
wieder heinfehren. Gern ging die Stadt jede Bedingung ein,
um nur endlich der lang entbehrten Ruhe theilbaftig zu werden.
IV.
Dei dem innigen Verhältniß, welches zwijchen Stadt und
Univerfität beftand ?), Fonnte eine Rüdwirkung der dargelegten
Ereigniffe auch auf letztere nicht ausbleiben.
Als Schöpfung der Bürgerfchaft war die Univerfität in
guten wie in böjen Tagen auf das Schidfal der Stabt hin-
ı) Bol. Erphurdianus antiquitatum Variloquus bei Mencken. Script.
Germ. II, p. 548 und Faldenftein 1 c I, 567.
2) Der Rath nannte fie gewöhnlich „feine Univerfität.” Eoban redet
ihn deshalb in feinem Preisgedicht auf die Univerfität in folgender Weife
an: Quod cano novistis titulis succedere vestris,
Gymnasium res vestra agitur, notissima cunctis.
l.c. A 3 a. — Daß die Univ. feine Fürftenanftalt war, fondern abhängig
von einem ftädtifchen Magiftrat, hat ihrer Reputation auch wohl gefchabet.
Mofellanus führt fie in feiner Oratio de variarum Linguarum cognitione
paranda (Bafel 1519 4°.) nicht auf, weil er feinen Fürften findet, auf den
ber Ruhm davon zurüdfallen Eonnte.
— 15 —
gewiefen. Es jchien deshalb in ihrer Stellung zu liegen, fofort
nah Beginn des Aufruhrs Alles aufzubieten, die Parteien zu
verföhnen und das drohende Ververben von der Stadt abzu-
wenden. Indeß nicht fo ganz entfprach diefen Erwartungen
die Haltung, welche fie damals annahm. Jene wiſſenſchaft⸗
lihen Gegenfäge, deren wir bereitd gedachten, wurden auch
mitten unter den Stürmen der ftäptifchen Revolution nicht vers
gefien, fie verfchärften fich vielmehr dadurch, daß fie jebt auch
auf das politifche Gebiet übertragen wurden. Der Kampf der
beiden ftäptifchen Parteien ftellte ſich den gelehrten Gegnern
ald ein dem ihrigen verwandter dar, und fo mußte e8 gefchehen,
daß fie zu der Bewegung in ein gerade entgegengefebteds Ders
hältniß traten und dadurch die Rathlofigfeit noch vermehrten.
Es gewährt ein befonderes Intereſſe, zwei Erjcheinungen,
wie den Kampf der Gemeine gegen das fläbtifche Patriciat und
die Erhebung des Humanismus gegen die Scholaftif, in denen
fih zwei hervorſtechende Richtungen des Zeitalter ausfprechen,
hier unmittelbar neben einander, ja auf einander einwirfend
wahrzunehmen 1).
Auf der Seite des Rathes finden wir fämmtliche Altern
Lehrer, foweit wir ihre Haltung im Einzelnen verfolgen fönnen.
Wie ihr Benehmen, welches fie in der lebten Zeit gegen Mutian
und feine Schaar an den Tag gelegt hatten, fie als die Ver⸗
theidiger der confervativen Intereffen auf dem wifjenfchaftlichen
Gebiete zeigte, fo ſchloſſen fie ſich auch jetzt bei den bürgerlichen
Irrungen folgerecht der mit den confervativen Intereſſen ver-
1) Das Interefie wird noch erhöht, wenn man bedenkt, daß Erfurt,
wie es zuerfl den neuen wiffenfchaftlichen Ideen Aufnahme geftattete, fo
auch den übrigen Städten mit dem Beifpiel der Erhebung gegen das herr:
ſchende Batriciat vorging. ' „In dieſem Jahr 1509 if der Gemein zu Erfordt
wider den Rath anfgeflanden nnd hat viel andere Städten in viel Landen
ein böß und ſtarkes Exempel gegeben, hinach zu folgen.” Vgl. ®. Spas
latin's hiſtoriſcher Nachlaß, herausgegeben von Neudeder und Breller. Jena
1851 L 147.
— 16 —
bündeten Bartei an. Keinen Augenblid war den Goede, Reim-
bote, Biermoft, Frankenberger u. A. ihre Stellung zweifelhaft
geweien. Sie vergaßen jogar die ſchuldige Rüdficht auf Die
rechtmäßigen Anfprüche von Mainz, feitvem dieſe Macht mit
den Abfichten der aufgeregten Volksmaſſe befreundet erſchien.
Selbft der geiftlihe Charakter, der wenigſtens Einige unter
ihnen, 3. B. Goede mit Mainz verbünden zu müffen ſchien,
befaß nicht Kraft genug, um ihren Widerwillen gegen die Ten-
denzen der Gemeine zu bejeitigen!), Der Sieg der Volköpartei
trieb auch fie größtentheild aus der Stadt auf das Gebiet des
Ehurfürften von Sachſen 2). Indeß fo wenig brachte dieſes
Schickſal eine Aenderung in ihrer Gefinnung hervor, daß fie
vielmehr in ihrer Berbannung fortwährend den ſächſiſchen
Ehurfürften anlagen, ihnen zum Sturze der Volksherrſchaft
feinen Arm zu leihen. Einer unter ihnen, Doctor Kiezing
geheißen, fehrieb fogar in einem herausfordernden Tone an ben
neuen Rath „den man zu Erffurt jetzt nennet.” Offenbar der
tüchtigfte unter ihnen war Henning Goede. Auf ihn hatte
deshalb der Rath von vornherein das größte Vertrauen gefeßt.
Um fo drohender hatte fich aber auch fofort gegen ihn ver
1) Es ift nicht wahr, was Hogel in feiner Ehronif ad a. 1509 berichtet,
dag nämlich „die Pfaffen und Maintziſch Beamten die Bürger verleitet“
hätten. Die Geiftlichfeit fand faft durchgängig auf Seiten des Rathes. —
2) Unter den von Faldenftein 1.c. I, 488 aufgeführten Erilirten befin-
den fich auch acht Dortoren, darunter Biermoft, Reimbote u. A. Der erfte,
der überhaupt fliehen mußte, war Goede (13. Juli 1509), ihm folgten Reim⸗
bote und Sachfe. „Post quem et alii duo Doctores ex amicatis vide-
licet D. Doctor Johannes de Sachsa et Doctor Joh. Reimbot filius
praedecessoris anni illius, qui ambo lecturis ab Krfurtensibus fuere
provisi fugam latenter inierunt.‘“ Erph. Antig. Varil. 1. c. II, 512. —
Sener Mönch, der fich früher fo gehäfftg über die Poeten geäußert hatte,
befand fich ebenfalls unter den Erilirten und fand in großem Anfehen.
Lib. nov. epp. & 2 a. — Mutian gedenft der DBertreibung ber ältern
Lehrer nicht ohne eine gewiſſe Schadenfreude. „„Veterani partim exulant,
partim aetate fessi in ocio degunt ““ Tengel 1. c. p. 120.
— 157 —
Unwille der Gemeine fund gegeben und ihn ſchon im Juli 1509
vor allen Andern zur Flucht genöthigt ?). Seine Abwefenheit
erleichterte den Mainzern und der populären Bartei den Sieg
um ein Bedeutende82). Aber auch aus der Ferne machte er
fih denen noch fühlbar, die daheim an's Ruder gelangten.
Wiederholt klagt die Gemeine in ihren Bittjchriften an ben
Churfürften von Mainz über die heimlichen Pläne, die er zu
Gunſten der vertriebenen Rathspartei anzettele. Er vornehmlich
war ed, der den fächfifchen Ehurfürften aufforderte, gegen das
neue Regiment in Erfurt feindlich einzufchreiten, und bei dem
großen Anſehen, welches er in Wittenberg genoß, hatten feine
Vorftelungen den meiften Erfolg 2). Um fo freundlicher und
zuvorfommender bewies er fich da gegen feine Baterftadt, ale
diefe die Abficht einer Ruͤckkehr zu der alten Ordnung der
Dinge verriet. Gern erbot er fich dazu, die Ausföhnung der
Stadt mit dem Haufe Sachſen zu vermitteln: jener Vertrag
von Raumburg, der die alte Verfaſſung wiederherftellte und
Erfurt mit Sachen wieder verfühnte, war vor Allem fein Werf *).
Ganz anderd war die Stellung, weldhe die Humaniften
den ftädtifhen Parteien gegenüber einnahmen. Wie Goede
ı) Wechmann's Memorial ıc. ad a. 1509 erwähnt, daß der Rath ihn
im Anfange zu feinem Deputirten an die @emeine gewählt habe, „weil aber
berfelbe vermerkt, das die Gemeine Ihme den Weg vom Rathhaus zum
Tenfter hinaus zu weifen gemeint, Hat er ſich entfchuldigt und ift zu Haufe
blieben.” Ueber feine Flucht vgl. Erph. Aut. Varilog. 1. c. II, 5132.
3) „Eo absente Signifer (d. i. der mainzifche Siegelbewahrer) vir
amicus non vulgariter excellit et auctoritate et potentia.‘“ Mut. ad
Urb. 8. M. 2. fol. 56 a.
2) Etwas übertrieben fchildert Guden 1. c. p. 213 feine Bemühungen
in Sachfen: Ast praevaluerunt exulis Goedenii machinationes, hic
foris Prinoipum suspicionem erga Moguntiam firmaverat: hostiliter
haberent Erfordiam, quamdiu Sedem Moguntinam suspiceret, ut sal-
vam se non nisi Saxonum favore sciret, brevi postmodum adversi-
tatibus pressam obsequia Principum subituram. Hi Goedenil consi-
lium secuti cives infestarunt eto.
4) Falckenſtein 1. c. I, 567.
— 13 —
und feine Freunde das patrizifche und fächftfche Intereffe ver-
traten, "fo zeigten jene eine entſchiedene Hinneigung zu den
plebejifchen mit Mainz verbündeten Beftrebungen, Kein Wunder!
Die jugendliche, leicht erregbare Schaar der Poeten, welche felbft
das Herfommen den neuen wiffenfchaftlichen Ideen zum Opfer
gebracht Hatte, war ſchon dadurch empfänglich für die Wünfche
und Abfichten der Gemeine, die ja eben in ähnlicher Weife ftatt
der hergebrachten eine neue, wie fie glaubte, zwedmäßigere
Ordnung einführen wollte Dazu fam, daß Mutian, überall
ihr Führer, ihr auch bier mit dem entfchiedenften Beifpiele vor:
ging. Er fand in feinen Alles wiffenden und Alles über ihn
vermögenden Alten zahlreiche Gründe für die Billigkeit der
Horderungen des Volkes und gegen die Anfprücdhe der auf ihre
Abfunft pochenden Gefchlechter. Ifocrates habe gejagt, fchreibt
er 1510 an Herebord, daß man befiere Regenten haben würde,
wenn man fie wählte. Cicero und Marius, zwei fo vortreff-
liche Römer, hätten fih aus dem niedrigften Stande empor
gearbeitet. „Es ift unfinnig, ja fürwahr unftnnig, zu glauben,
dag fürftlicde Männer blos geboren worden.” läßt er fich in
demfelben Schreiben vernehmen, „ine vornehme Abkunft
genügt nicht, Tugend macht berühmt“), Die Bemühungen
Goede's erbitterten ihn bis zur Leidenfchaft, er verglich ihn mit
Gatilina und fandte ihm fogar noch in’8 Exil die lieblofeften
MWünfhe nah Kelner’s hartes Schickſal billigte er, fein Be
nehmen gegen die Gemeine habe eine fo firenge Ahndung ver
dient?). Diefe Gefinnung, welche der Lehrer unter feinen
ı) Tengel p. 206 ‚‚Furor est et profecto furor censere, nasci
tantum viros principes. — Non satis est, nasci claro loco, virtus
illustrat, quot sunt, qui ex claris parentibus degenerarunt.“ Dan
vergleiche auch den Brief, den er wenige Tage nach Beginn des Aufruhrs
an Herebord ſchrieb 1. c. p. 108.
2) M. B. F. fol. 231 b. Mut. ad Urb. et Hereb. — „Novit omnis
Erphurdiensium posteritas de Henrico Cellario reo laesae reipublicae,
fure aerarii, de ordine plebejo male merito IV Cal. quintiles Anno
— 19 —
Schülern verbreitete, wurde noch dadurch gefördert, daß der mit
der Bollspartei verbündete mainzifche Hof zugleich die neuen
poetifchen Beftrebungen auf das entfchiedenfte in Schug nahm,
namentlich feit der brandenburgifche Prinz Albrecht „die Zierbe
bed Zeitalter, der Schmud der Frömmigkeit, des Friedens
Schugwehr und der edlen Wifjenfchaften Vertheidiger,” wie ihn
einer von Mutian’d jungen Freunden preifet '), die Regierung
des Stifts übernommen hatte. Demungeachtet blieb ſowohl Mu-
tian, als auch der größte Theil feiner Anhänger dem Gedanken
einer perfünlichen und offenen Theilnahme an dem ftädtifchen
Kampfe fremd. Den einzigen Herebord von der Marthen finden
wir mitten in den Wirren des Kampfes für die Befriedigung
der Anfprüche der Gemeine thätig, weshalb ihm im Herbfte 1514
zur Anerkennung das Stadtfyndicat übertragen wurde ?). Er
war ed, der zwei Jahre fpäter den Churfürften Albrecht von
den geheimen Unterhandlungen des Rathes mit Sachien in
Kenntniß feßte, aber dadurch auch, weil die Stimmung ſchon
allgemein Sachſen günftig war, feinen Sturz berbeiführte 3).
salutis 1510 sumptum fuisse supplicium. Vivit igitur vivetque pecu-
lator insignis in contumeliam et exemplum.‘‘ Er nennt ihn „Homo
indoctus, imperitus, supercilioso fastu tumens, assentatorum adulatio-
nibus omuia praestans.““ 1: c.
1) Hutten preifet ihn fo, vgl. Jac. Burckhard De Ulriei de Hutten
fatis et meritis I, 186. Mutian felbft fpricht von ihm mit der größten
Anerkennung: „Quis autem Alberto melior? Is ruinas civitatis fulciet,
marcentia excitabit, contumacia domabit, ut populi plausus prae se
ferre possit hanc exclamationem: Advenisti Servator patriae. Salvus
populus. Salva patria. Salvus pater patriae.““ Tengel p. 226. In
Mainz bekleidete überdies damals Eitelmolph von Stein, der eifrig huma⸗
niftifch gefinnte Freund Mutian’s und Gönner feiner Schüler, ein fehr
anfehnliches Amt.
2) Bol. RM. B. F. fol. 256 b. Mutian fleht fich fogar mehrmals
genöthigt, ihn wegen feines übergroßen Eifers für die Gemeine zur Mäßi-
gung zu ermahnen.
°) Hogel gedenkt der Sache ad a. 1516. Der Kath fei unwillig gewor⸗
ben über die Veröffentlichung feiner geheimen Unterhanblungen „vnd weil
m — — — — -
— 10 —
Mutian felbft z0g es vor, heimlich in den Briefen an bie
Seinigen, feinen Haß gegen die Anhänger der Rathspartei
auszulaffen, die er wohl, um aller Gefahr vorzubeugen, unter
fremden Namen verftedt, einführte!). Bon einem Fräftigen,
entjchiedenen Eingreifen zu Gunften der Partei, weldye feine
Biligung fand, wollte er nichts wiſſen, geradezu ‚mahnte er
feine Anhänger davon ab, da fie, ald Priefter im Dienfte der
Mufen, fich von den bürgerlichen Wirren fern zu halten hätten).
Wohl aber fand es feinen Beifall, wenn fie, ihrem Berufe an«
gemeſſen, ihre politifchen Sympathien in Gedichten fund gaben,
wie er denn in dieſem Sinne den Eoban auffordert, den Ein»
zug des Churfürften Albrecht durch ein Gedicht zu verherr-
lichen 2). Man flieht: jenes energifche Eingreifen in den Kampf,
wie e8 Goede und feine Gefinnungsgenofien zeigten, blieb ven
Humaniften fremd; auf Sympathien, die, fo aufrichtig fie auch
waren, doch nicht zur That führten, bejchränfte fich ihre Theil⸗
nahme ®),
Freilich that die Bartei, welcher ihre Sympathien galten,
man den Eleinen Doctor von der Marthen, als der in der Zeit fehr main-
zifch geivefen war und die bürger hatte verführen helfen, in Verdacht Hatte,
ließen fie ihn citiren.“ Er befannte fogleich und wurde dann in gefäng-
licher Haft gehalten. Erit als ſich die Univerfität für ihn verbürgte, entließ
man ihn. Gegen fein gegebenes Wort entfloh er bald darauf aus der Stadt.
Als mainzifcher und Faiferlicher Rath gewann er fpäter eine anfehnliche
Stellung. Vgl. auch Erph. Ant. Varil. 1. c. II, 556.
1) Bol. M. B. $. fol. 122 b. 123 a.
2) Pol. M. B. 5. fol. 287. bu. a.
3) Vgl. M. B. F. fol. 320 b. Eoban hat wirklich zu diefem Zwecke
ein Gedicht verfaßt, welches aber nicht auf uns gekommen ifl. Vgl. Eobani
et amic. epp. famil. p. 22.
4) Es ift bemerfenswerth, daß die Sympathie für Mainz, welche ſich
damals unter den erfurtifchen Humaniften bildete, auch fpäter ihr charaf-
teriftifches Merkmat blieb. Noch 1535 ſprach Eoban fein Bedauern dar⸗
über aus, als ihm mitgetheilt wurde, daß die mainzifchen Rechte über Erfurt
anf Sachſen und Heffen übergehen follten. Vgl. Loſſius H. E. Heffus und
feine Zeitgenofien p. 181.
— 141 —
ſehr wenig, um fie zu nähten und zu wirkjamer That zu ent
fammen. Ohne Sinn und Berftändniß für den geiftigen Kampf
an ihrer Schule und deshalb unvermögend, den natürlichen
Berbündeten auf dem geiftigen Gebiete zu erkennen, nahm die
ſtürmiſch erregte Volksmenge gegen Yreund und Feind eine
gleich bevrohliche Haltung an. Die fortwährenden tumultu-
arifchen Auftritte wirkten hoͤchſt nachtheilig auf die Yrequenz
der Univerfität!). Wan fing an zu fürchten, daß die „uralte”
Univerfität das Geſchick des alten Rathed und der alten Regi-
mentsorbnung haben fünne. Ein in feiner Beranlafjung höchft
unerheblicher Vorfall fchien diefe Beforgniß im Sommer 1510
verwirklichen zu follen.
V.
Der ſogenannte „Studentenlärm“ ?) veranſchaulicht recht
eigentlich, wie bei ver fieberhaften Aufregung, welche währen
jener ganzen Zeit in der Stadt herrſchte, auch ein an fid
geringfügiger Vorfall Bedeutung gewinnen konnte.
Bei den Feftlichkeiten, welche fih an die Feier des Kirch⸗
weihfeftes in der Michaelispfarre fchloffen, kam es zwifchen
Stubirenden und Landsknechten zu einem Wortwechfel. Diefer
führte zu einem Handgemenge, welches bald in offenen Straßen-
fampf ausartete. Das Gedränge, in welches die Landsknechte
famen, veranlaßte die Bürger, ihnen zu Hülfe zu eilen. Den
jo überlegenen Gegnern nicht mehr gewachfen, fanden es die
ftreitbaren Mufenföhne gerathen, fih in ihr großes Collegium
zurückzuziehen. Hier angelangt, glaubten fie der drohenden
Menge, welche alebald das Gebäude umzingelt hatte, Trotz
ı) Im Sommer 1509 wurden noch 164 immatriculirt; im Winter .
1309 — 10: 188, im Sommer 1510: 64, im Winter 1510 — 11: 61.
2) Man vergl. über denfelben Guden 1. c. p. 200. Faldenftein 1. c.
1,504. Weinrich 1. c. 276. Erph. Ant. Varil. 1.c. IL, 517 und die Chroniken.
— 12 —
bieten zu können. Webermüthig wagten fie fogar mit Hands
büchjen auf fie zu feuern. Das fteigerte den Grimm der Be
lagerer auf's höchftee Sofort wurden zwei Kanonen aufge
fahren und gegen das Univerfitätsgebäude gerichtet. Da entfanf
den Belagerten der Muth und fie ergriffen abermals die Flucht.
Aber der Zorn der Menge war durch dieſe Demüthigung der
Gegner nicht zufrieden geftellt. In wilder Wuth ftürzte fie fich
nad Sprengung der Thore in das menfchenleere Gebäude, um
zu vernichten, was vernichtet werden fonnte. Die Hörfäle und
Wohnungen der Studirenden wurden demolirt und unbewohn⸗
bar gemacht, Catheder und Bänke zertrümmert, die alten Privi-
legien und Urkunden der Univerfität zerichnitten oder ver
brannt ?), die werthvolle Bibliothek zerftreut, vernichtet, was
Werth für die Menge hatte, wurde ald Beute nah Haufe
getragen ?).
Recht fauer hatten fih’8 die Stürmenden werden laflen,
um eine Anftalt zu ververben, welche ihre Vorfahren mit fo
vielen Opfern gegründet und unterhalten, und zu den vorzüg-
lichften Zierden der Stadt gerechnet hatten. Die wenigen
zurüdgebliebenen Lehrer dachten in der That einen Augenblid
daran, die Univerfität in eine andre Stadt zu verlegen, und
ließen diefe Abficht in den Vorftellungen, welche fie am folgen:
den Tage dem Rathe wegen ded Vorgefallenen machten, nicht
undeutlich durchbliden. Indeß die Entfchuldigung des Rathes,
welcher „das große und unverantmwortliche Verbrechen” aner-
fannte und bedauerte, und die Zuficherung, welche er gab, Altes
ı) Daher kommt es, daß uns die Originale der Stiftungsurfunde und
aller ältern Documente der Univ. fehlen.
3) Die Univerfitätsmatrifel ad a. 1511 gedenft des Vorfalls mit fols
genden Worten „Gymnasium Erphordiense tempore Enceniorum 8.
Michaelis anno priori .... maxima etiam civium seditione suborta et
principum factiosorum quorundam rabularum diabolo suadente beilico
furore expoliatum, direptum et pene depopulatum erigere iterum
et reformare volentes etc.
_ 13 —
aufbieten zu wollen, um die Univerfität wieder in den Beflk
des Verlornen zu feßen, verhinderten die Ausführung jenes
Planes. Ein öffentlicher Ausruf forderte Tages darauf jeden
bei Strafe an Leib und But auf, alle8 der Univerfität oder
ihren Angehörigen Geraubte wiederzuerftatten. Die Strenge,
mit welcher der Rath gegen die Verächter feines Gebotes ver:
fuhr, bewirkte, daß das Meifte von dem, was nicht geradezu
vernichtet war, reftituirt wurde. Ein Handwerker, welcher den
Befehl zu umgehen gefucht hatte, wurde öffentlich geftäupt 1).
| Zwar wurde jo der Stadt die Univerfität erhalten, aber
des alten Glanzes fehien diefe doch für immer beraubt. Nicht
genug, daß fie ihre werthvollſten Kleinodien, die Documente
ihter Gründung und ihrer Freiheiten, den größten Theil der
herrlichen Bibliothef unwiederbringlich verloren, auch die An-
jiehungsfraft, die fie früher ausgeübt, war dahin. Zahlreiche
Schaaren von Studirenden wanderten aus. Zum erften Mal
Ihien ihnen die Stadt des Lobes unmwürdig, das man ihr bie-
ber jo reichlich gejpendet?). Aber die Folgen jenes Borfalles
gingen noch über dieſen Außeren und, wie ſich doch vorausfehen
ließ, nur momentanen Berfal der Univerfität hinaus, — Was
an fi) das bedacht: und planlofe Werk einer vorübergehenden
1) Er hatte, wie die Chroniken berichten, einem Magifter bie filbernen
Knöpfe vom Wanıms gefchnitten und wollte dieſe zurücdbehalten. Loffius
l.c.p. 78 vermuthet, daß Eoban jener Magifter geweſen fei, da doch Coban
ſchon um jene Zeit in Preußen weilte. Irrig bezieht auch Loffius die
bereits erwähnte Schilderung des Goban auf diefen Aufftand.
2) Schr bezeichnend in dieſer Hinficht ift auch der Ton, in dem jenes
Ereigniſſes in der philofophifchen Matrifel gedacht wird. „O impia secula,
o malivolentiam inauditam, o immemor honestatis ira. Melius inter
barbaros hostes fuisses dulce gymnasium, quam inter eos, quos et
rebaris humanos et benevolos merebaris. Kos puto, qui gymnasia
Nostratia cRAcodaemone nescio quo suadente impudenter oppugnare
veriti non sunt, qui etiam facile in causa existunt, quod octo Jam
solum candidatos magistrorum albo inseribimus.“ Bergl. die (auf der
fönigl. Bibl. in Berlin befindl.) philof. Matrikel der Univ. ad a, 1511.
— 14 —
leidvenfchaftlihen Erregtheit der Menge war, gewann auch für
den Fortgang der geiftigen Entwidelung eine nicht. geahnte
Bedeutung.
Jedermann weiß, daß das fcholaftiiche Syſtem überall am
längften in den Eollegien und Burfen die Herrfchaft behaup-
tete. Diefe bildeten gewiffermaßen bie fefteften Bollwerke gegen
die Neuerer. Auch in Erfurt durfte die alte Partei, welche
fih in der legten Zeit gegen Mutian zufammengetban, hoffen,
den Angriffen des letztern mit Erfolg entgegentreten zu fünnen,
da fie fich noch im Beſitz des großen Gollegiums befand. In⸗
dem fich der Angriff des ftürmifchen Pöbels gegen diefes richtete
und e8 der Bernichtung Preis gab*), wurde jener Partei ihre
Kraft, ihr vornehmftes und letztes Widerftandsmittel genonmen.
Ohne es zu ahnen, hatte dad Volf durch die Zertrümmerung
jener Werfftätte des alten Geifted den Humaniften, gleichfam
zum Danf für ihre ftillen Sympathien, den wefentlichften Dienft
geleiftet. Die Sprengung der Burfen, in denen bis dahin ein
großer Theil der Jugend in alter Zucht und Ordnung zufams
mengehalten wurde, machte eine freiere Geftaltung des wiffen-
Ihaftlicheu Lebens unvermeidlich.
Da war ed denn mehr als zweifelhaft, ob die alte Partei
wirflich den Angriffen der Neuerer gewachfen fein würde,
VI.
Waͤhrend ſo den Humaniſten der Sieg über den unmittel⸗
bar neben ſie geſtellten Gegner um ein Bedeutendes erleichtert
wurde, erfuhren fie ſelbſt von jenen ftädtifchen Wirren eine
2) Das Collegium wurde vollfländig unbewohnbar gemacht; erft nad
15 Jahren (1525) wurbe es durch Geratinus, damals Decan ber philof.
Sacultät, wieder eingeweiht. Vgl. Loeneysen Series Magnificorum Rec-
torum ab a, 1398 — 1614. E 3 b. — Auch das amplonianifche Gollegium
wurde theilweife mit in’s Verderben gezogen.
— 15 —
Einwirkung, welche ihre Bedeutung über die Grenzen des
erfurtifchen Kreiſes hinaus erweiterte und fie zur Theilnahme
an dem großen Kampfe des Humanismus gegen die Scholaftif
vorbereitete.
Seit. dem Beginne des Aufruhrs ſah Mutian einen der
Jünger nad dem andern aus feinem Kreife ſcheiden. Unter
den erfien war Eoban, der Stolz und die Zierde des Bundes.
Roh vor Ablauf des Jahres 1509 mußte er fi) von feinem
Meifter trennen, an dem er mit fo großer Zärtlichkeit hing.
Mit ſchwerem Herzen verließ er Erfurt!) und wandte ſich nach
dem fernen Norden, wo er bei dem freundlichen Biichofe Hiob
von Riefenbusg in Preußen eine gaftlihe Aufnahme fand. Um
diefelbe Zeit nahm auch Ceratinus von dem Lehrer Abſchied,
um fi) in feine Heimath zurüdzubegeben. Erotus, der jo eben,
dem Zuge feines Herzens folgend, nad Erfurt zurüdgefehrt
war, ſah fich in feinen Erwartungen bitter getäufcht und folgte
jest. gern einer freundlichen Einladung nad) Fulda, die ihn
„der ſtürmiſchen Charybdis“ entriß2). Im May 1510 finden
wir Heinrich Eberbach auf einer Reife nach Wien begriffen. Nach
den Ereigniffen des Michaelisfeftes verließ auch Juftus Jonas
die Stadt und ließ fi nebft mehreren andern erfurtifchen
Magiftern in Wittenberg immatriculiren 2). Endlich, im October
1511, entriß fi auch Petrejus, Mutian’s Lieblingsfünger, den
1) „„Saepe rellquendam respexit tristis ad urbem
Et dixit, quamvis non mereare, vale.‘“
Farr. I, 239 a. — Bgl. Camerarius Narr. de Eob. A 8 a.
2) „„Vidimus ibi omnia discordiarum plena, discedente plebe a
patribus quotidieque nova moliente. Non tutum videbatur versari
inter enses atque pro calamo ferrum tractare. Proinde semestri
spatio coepi cogitare, quo consilio subriperem me ex turbulentissima
Charibde, praesertim jam. se inclinante collegio hominum literatorum.
Ita mecum cogitanti redduntur literae a Vuldanis. Advolo media
hieme.““ Crot. ad Hutt. vgl. Opp. Hutt. I, 104—5.
2) Album Acad. Viteberg. ed. Foerstemann p. 35.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 10
— 16 —
Armen feines Meiſters. Er nahm feinen Weg nad Wien,
wo er längere Zeit. verweilte und mit einem feiner frühern
Genofien, dem unruhigen ‚Hutten, zufammentraf, den ed um
diefe Zeit aus dem unwirthlichen Norden nach Italiens claffijchen
Stätten zog 1). . Mutian fah ſich vereinfamt. Nur der einzige
Urban, ‚welcher damals von Leipzig nach Georgenthal wieder
heimgefehrt war, fand ihm noch zur Seite. Seine Iünger
fchaft, feine Freude und fein Troft, war dahin. Traurig ließ
fh ECoban's Mufe aus dem fernen Norden vernehmen, fi
wehmüthig nach dem Schickſal Der ihres Lehrers beraubten, ums
herirrenden Schaar erfundigend 2). Die Frucht der langjährigen
Bemühungen des gothaer Canonicus ſchien vereitelt.
‚Aber. gerade das fcheinbar Ungünftigfte mußte dazu dienen,
ihn feinem Ziele näher zu bringen.
Erzogen und gebildet durch Mutian hatten die erfurter
Humaniften bisher ausjchließlih unter dem Einfluffe dieſes
merkwürdigen Mannes geftanden. Da er ihnen in Allem genug
1) Badian in einem Briefe an Georg Eollimitius d. d. prid. Id Ja-
nuar. 1512, gedenft jener Zufammenfunft. „Venit superioribus mensibus
ad me Mariumque et Aperbachum illum eruditum, dum ageremus con-
tubernio Ulrichus Huttenus poeta.‘“ Opp. Hutt. I, 112. Ob jener
Marius identisch ift mit einem in Erfurt lebenden Freunde Mutian's diefes
Namens, ift nicht mit Sicherheit auszumachen.
2) Bal. Eob. Farr. I, 1938 a (ad Mutianum epistola):
Quid facit amisso grex errabunda magistro ?
Quam timeo saevos, monstra cruenta, lupos!
Quid facit is merito cui pagina nostra dicata est?
Hic mihi quam praeceps nostra carina fuit,
Quid mihi mentito Phileremus nomine dictus?
Cessit an in sacra valle moratur adhuc?
Quid Crotus ingenio plus quam florente beatus?
Haerens principibus quid Spalatinus agit?
Nobilis hunc animum Petrei cura relinquet,
Cum fiammae glaciem, cum dabit unda faces.
Vivite delitiae nostrae, dum vester amicus
Longius a vobis quam decuisset abest.‘“
— 1417 —
that, fühlten fie nicht das Beduͤrfniß, ihren Blick in die Kerne
zu richten. Ihr Sinnen und. Trachten. bewegte. fih innerhalb
des eigenen Kreiſes; von den Barteilämpfen außerhalb ded-
jelben erfuhren fie nur fo viel, als. ihnen der Lehrer mitzutheilen
für gut fand. Jene durch die Revolution von 1509 herbeige-
führte Zerſtreuung machte diefem Zufande ein Ende. Dem
engen Kreiſe, auf den fie fich bisher befchränft Hatten, entrüdt,
wurden fie den Ereigniffen der Zeit näher gebracht und kamen
theilweife felbft mit den gefeiertften Vertretern der neuen Rich-
tung in Berührung. Ihr Geſichtskreis erweiterte ſich. Jene
Kämpfe, von denen fie früher nur aus Mutian’s Wunde vers
nommen, lernten jegt die Meiften aus ihnen, ald Zeugen ein-
jelner Kampfesicenen, aus eigener Anfchauung und Erfahrung
fennen. Die Abneigung gegen das alte Syftem, das in Erfurt
bei der würdigen Haltung feiner Bertheidiger noch immer zu
einiger Schonung aufgefordert hatte, konnte erſt jeßt tiefe Wurzel
bei ihnen faflen, feit fie erfannten, wie fchroff und enghegig
ſich deſſen Vertheidiger anderwärt® den neuen Beftrebungen
gegenüber verbielten. Da mußte in der Seele von Sünglingen,
die ein Mutian mit Begeifterung für das neue Leben erfüllt
hatte, ver Gedanke des Kampfes erwachen. Zür die Friegerifchen
Ermahnungen, die fie daheim von ihrem Meifter empfangen,
ging ihnen erft in der Kerne das Verſtändniß auf. —
In naturgemäßer Stufenfolge, wie nicht leicht anderswo,
hat die neue Entwidelung in Erfurt ihren Fortgang genommen.
Durch geringe, wenn auch für die damalige Zeit fehr aner-
fennungswerthe Zugeftänpniffe fuchte man im Anfange den
neuen Anfprüchen genugzuthun: man verfolgte den Gedanken
einer friedlichen Vermittelung der neuen und alten Richtung,
bis Maternus, entfchievener in die Bahnen der erfteren eins
lenkend, die Schönheit der antiken Ausprudsweife, die äußere
Seite der neuen Studien, zur Anerkennung brachte, ohne jedoch
gegen das alte Syſtem eine feindfelige Haltung anzunehmen.
Der äußerlihen Nahahmung der Alten, bei der Maternus
10*
— 148 —
ſtehen blieb, fügte dann fein ihm überlegener Nachfolger das
geiftige Verftändnig hinzu. Er brachte aber auch feinen Schir
een den Gegenfat zum: Bewußtfein, in dem fie fi) gegen die
Scholaftif befanden, und bildete fie zugleich zu entfchloffenen
Kämpfern gegen diefe heran. Ein politifches Ereigniß mußte
es endlich fein, welches die jo ausgebildete Sumaniftenfchaar auf
einige Zeit dem bisherigen befchränkten Kreife entrüdte, in Folge
defien fie auch mit den Abfichten und Zuſtänden ihrer Partei
in der Ferne befannt gemacht und zur Theilnahme an dem
großen allgemeinen Kampfe des Humanismus gegen die Sche
laſtik befähigt wurden.
Eben als Letzteres gefchah, wurde der große Entſcheidungs⸗
kampf zwiſchen beiven Richtungen eröffnet.
Zweites Bud.
Theiluchme an dem Kampfe zwiſchen der neuen und alten
Richtung.
Erſtes Rapitel. Ber Renuchliniſche Streit.
„Teutones, emensi Latialia regna poetae,
Vestrum decus viriliter defendite.
Impia molitur certamina Gapniomastix
Heu quibus ille odiis, heu quanta exaestuat ira.‘‘
Eoban,
I.
Reuchlin’d Streit mit den Kölnern bildet in der Gefchichte
der hHumaniftifchen Bewegung einen Wendepunkt. Bisher hatte
fh der. Kampf zwifchen der neuen und alten Richtung nur in
einzelnen vorübergehenden Streitigkeiten und Fehden bewegt,
die mehr dazu geeignet waren, die vorhandene Spannung zu
Reigern, als die eine oder andere Partei dem Siege näher zu
bringen. Wanders und fehdeluftige „Poeten”, die Rhagius,
Buſchius, Vigilantius durchzogen Deutfchland nach allen Rich
tungen hin, verfündeten ftürmifch die newe Weisheit und fchritten
überall, wo fie auf Widerſtand fließen, eben fo plans als ſcho⸗
nungslos zu den übermüthigften Angriffen gegen das jcholaftifche
Syſtem, ohne daß einer unter ihnen fich in dem Grade hervor-
that, daß fein Auftreten das allgemeine Intereffe der Partei
Hätte erweden können. Ihnen gegenüber huldigten die Vertreter
— 18 —
ſtehen blieb, fügte dann fein ihm überlegener Rachfolger das
geiftige Verftändniß hinzu. Er brachte aber auch feinen Schü⸗
lern den Gegenſatz zum Bewußtfein, in dem fie fi gegen vie
Scholaſtik befanden, und bildete fie zugleich zu entfchloffenen
Kämpfern gegen diefe heran. Ein politifches Ereigniß mußte
e8 endlich fein, welches die fo ausgebildete Humaniftenfchaar auf
einige Zeit dem bisherigen befchränkten Kreife entrüdte, in Folge
defien fte auch mit den Abfichten und Zufländen ihrer Partei
in der Ferne befannt gemacht und zur Theilnahme an dem
großen allgemeinen Kampfe des Humanismus gegen die Sche-
laftif befähigt wurden.
Ehen ald Letzteres gefchah, wurde der große Entfcheivungs-
kampf zwifchen beiden Richtungen eröffnet.
Zweites Bud.
Theilnahme an dem Kampfe zwifchen der uenen und alten
Richtung.
Erfies Aapitel. Ber ,Keuchliniſche Btreit.
„Teutones, emensi Latialia regna poetae,
Vestrum decus viriliter defendite.
Impia molitur certamina Gapniomastix
Heu quibus ille odils, heu quanta exaestuat ira.‘‘
Eobam.
I.
Reuchlin's Streit mit den Kölnern bildet in der Gefchichte
der humaniftifchen Bewegung einen Wendepunft. Bisher hatte
fi der Kampf zwifchen der neuen und alten Richtung nur in
einzelnen vorübergehenden Streitigkeiten und Fehden bewegt,
die mehr dazu geeignet waren, die vorhandene Spannung zu
feigern, als die eine oder andere Partei dem Siege näher zu
bringen. Wander» und fehdeluſtigen, Poeten“, die Rhagius,
Buſchius, Vigilantius durchzogen Deutfchland nach allen Rich
tungen bin, verfündeten ftürmifch die neue Weisheit und fchritten
überall, wo fie auf Widerſtand fließen, eben fo plans als ſcho⸗
nungslog zu den übermüthigften Angriffen gegen das ſcholaſtiſche
Syſtem, ohne daß einer unter ihnen fich in dem Grade hervor:
that, daß fein Auftreten das allgemeine Intereffe der Partei
hätte erwecken fonnen. Ihnen gegenüber huldigten die Vertreter
— 190 —
ber fcholaftifchen Richtung, welche allenthalben noch an Den
Univerfitäten die Lehrftühle inne hatten, einer fchroffen Ab⸗
fohließungstheorie. Alle Mittel, welche ihnen ihre Stellung an
die Hand gab, boten fie dagegen auf, wenn einer der Neuerer
in ihrer Nähe Einfluß zu gewinnen drohte). Zu einem offenen
Angriff gegen die Reuerung vorzufchreiten, Geift mit Geift zu
befämpfen, dazu ſchien ed ihnen an Kraft und Muth zu fehlen.
‚Ungeftümes, planlofes Herausfordern von der einen,
Fleinliches, engherzigesd Sichverfchließen von der andern Seite
harakterifiren bis ungefähr zum Sabre 1510 das Berhältnig
der beiden Parteien zu einander.
Duch den reuchliniichen Streit, deſſen erfte Anfänge
bereit in das Jahr 1509 fallen, wurde diefem Zuſtande ein
Ende gemacht. An die Stelle einzelner, vorübergehender Fehden
trat ein großer, allgemeiner, von beiden Parteien mit gleicher
Anftrengung geführter Kampf. — Was jenem Steeite feine hohe
Bedeutung verlieh, war nicht der Gegenftand, über den man
ftritt, — der Grad der Zuläffigfeit der hebräifchen Literatur —
fondern die Stellung und der Rang derer, zwifchen denen er
ausbrach.
In dem Kampfe Reuchlin's gegen die koͤlniſchen Theologen
ſtießen die beiden Richtungen in ihren vorzuͤglichſten Vertretern
feindlich zuſammen. Mochte auch der Gelehrte von Pforzheim
jene Merkmale, welche für den Humaniſten charakteriſtiſch
fhienen, äußerlich nicht fo entfchieden zur Schau tragen, wie
* mandhe feiner Zeitgenofien, fo Herrfchte doch darüber nur Eine
Stimme, daß Feiner fo allfeitig und mit ſolchem Erfolg auf die
antifen Studien eingegangen war, Mit einem Wörterbuch,
dem erften im Geſchmack der neuen Richtung, Fam er den lateis
nifhen Studien zu Hülfe Die Schwierigkeit der ‚Griechen-
fprache uͤberwand er zuerft und nöthigte einen Argyropulos zu
ı) Man erinnere fih an bie Behandlung, bie Buſch, Rhagius, Caeſa⸗
rius u. A. in Köln und Leipzig erfuhren.
— 11 —
dem Geſtaͤndniß, „daß Griechenland über die Alpen geflogen“ "),
Er war e8, der den Vorhang aufzog, welcher bisher der Her
bräer Weisheit verhülltee Als das trilingue miraculum, als
den Phoenix der Wiffenfchaften prieien ihn deshalb nicht mit
Unrecht feine Zeitgenofien. Selbit die feingebilveten Italiäner,
fonft nur allzufehr gewohnt, das Verdienft ihrer Nebenbuhler
jenfeit8 der Alpen geringfchägig zu beurtheilen, wetteiferten,
biefem Deutfchen mit Beweifen der Anerkennung und Hoch—⸗
achtung entgegenzufommen.
In ähnlicher Weife, wie Reuchlin bei der humaniftifchen,
nahmen die koͤlniſchen Theologen bei der fcholaftifchen Partei
eine hervorragende Stellung ein. Der Ruhm der großen Meifter
der Theologie, welche im 12. und 13. Jahrhundert in Köln
‚gelehrt, Fam auch ihren Nachfolgern zu Statten. Wie Orakel
fprüche wurden ihre Outachten im 15. Jahrhundert aufgenom⸗
men, „höher als des Croeſus Schäße,” heißt es in einem
Schreiben der cracauer Theologen an ihre Fülnifchen Amtss
drüber, würde man ihre Antwort anfchlagen?). Diefes Ans
fehen behauptete die theologiſche Yacultät in Köln auch noch
im Beginn des 16. Jahrhunderts. Das Beifpiel der fchroffen
Abſchließung gegen die neuen Beftrebungen, welches von ihr
gegeben, war deshalb nicht ohne Einfluß auf die Haltung der
übrigen Univerfitäten gewefen, und indem fte fich zum Angriff
gegen das geiftige Oberhaupt der Neuerer erhob, war das
Signal zu einem allgemeinen Kampfe beider Richtungen gegeben,
der die Herrfchaft der einen oder andern entfcheiden zu muͤſſen
ſchien.
Seit dem Ausbruch dieſes Kampfes iſt der Fortgang der
Bewegung durch ihn bedingt, in ihm finden die Beſtrebungen
beider Parteien ihren Anhaltspunkt. Neben den alten Stich⸗
1) Vgl. Majus vita Beuchlini p. 29. „Eheu! Graecia nostro exilio
transvolavit Alpes.“
2) Bianco Die alte Univerfität Köln.. Anlagen p. 236.
— 190 —
der foholaftifchen Richtung, welche allenthalben nod an Den
Univerfitäten die Lehrftühle inne hatten, einer fchroffen Ab⸗
fhließungstheorie. Alle Mittel, welche ihnen ihre Stellung an
die Hand gab, boten fie dagegen auf, wenn einer der Neuerer
in ihrer Rähe Einfluß zu gewinnen drohte). Zu einem offenen
Angriff gegen die Reuerung vorzufchreiten, Geift mit Geift zu
befämpfen, dazu fchien es ihnen an Kraft und Muth zu fehlen.
‚Ungeftümes, planloſes Heraudfordern von der einen,
Fleinliches, engherziges Sichverfchließen von der andern Seite
harakterifiren bis ungefähr zum Jahre 1510 das Berhältniß
der beiden Parteien zu einander.
Durch den reuchlinifchen Streit, deſſen erfte Anfänge
bereits in das Jahr 1509 fallen, wurde diefem Zuftande ein
Ende gemacht. An die Stelle einzelner, vorübergehender Fehden
trat ein großer, allgemeiner, von beiden Parteien mit gleicher
Anftrengung geführter Kampf. — Was jenem Streite feine hohe
Bedeutung verlieh, war nicht der Gegenftand, über den man
fteitt, — der Grad der Zuläfftgfeit der hebräifchen Literatur —
fondern die Stellung und der Rang derer, zwifchen denen er
ausbradh.
In dem Kampfe Reuchlin’d gegen die Fölnifchen Theologen
ftießen die beiden Richtungen in ihren vorzüglichften Vertretern
feindlich zufammen. Mochte auch der Gelehrte von Pforzheim
jene Merkmale, welche für den Humaniften charakteriſtiſch
fhienen, äußerlich nicht fo entfchieden zur Schau tragen, wie
manche feiner Zeitgenoffen, fo herrfchte doch darüber nur Eine
Stimme, daß keiner fo allfeitig und mit ſolchem Erfolg auf die
antiken Studien eingegangen war. Mit einem Wörterbuch,
dem erften im Geſchmack der neuen Richtung, kam er den lateis
nifhen Studien zu Hülfe Die Schwierigfeit der Griechen
fprache überwand er zuerfi und nöthigte einen Argyropulos zu
1) Man erinnere fih an die Behandlung, bie Bufch, Rhagius, Caeſa⸗
rius u. 9. in Köln und Leipzig erfuhren.
— 1311 —
dem Geſtaͤndniß, „daß Griechenland über die Alpen geflogen“ ').
Er war e8, der den Vorhang aufgog, weldyer bisher der Her
bräer Weisheit verhülltee Als das trilingue miraculum, als
den Phoenix der Wiftenfchaften priefen ihn deshalb nicht mit
Unrecht feine Zeitgenoffen. Selbft die feingebildeten Italiäner,
fonft nur allzuſehr gewohnt, das Verdienft ihrer Rebenbuhler
jenfeit8 der Alpen geringfchäßig zu beurtheilen, wetteiferten,
diefem Deutfchen mit Beweifen ver Anerkennung und Hoch⸗
achtung entgegenzufommen.
In ähnlicher Weife, wie Reuchlin bei der humaniftifchen,
nahmen die koͤlniſchen Theologen bei der feholaftifchen Partei
eine hervorragende Stellung ein. Der Ruhm der großen Meifter
der Theologie, welche im 12. und 13. Jahrhundert in Köln
‚gelehrt, kam auch ihren Nachfolgern zu Statten. Wie Orakel
ſprüche wurden ihre Gutachten im 15. Jahrhundert aufgenom⸗
men, „höher als des Eroefus Schätze,“ heißt e8 in einem
Schreiben der cracauer Theologen an ihre Fölnifchen Amtes
brüder, würde man ihre Antwort anfchlagen?). Dieſes Ans
ſehen behauptete die theologische Facultät in Köln auch noch
im Beginn des 16. Iahrhunderts. Das Beifpiel der fchroffen
Abſchließung gegen die neuen Beftrebungen, welches von ihr
gegeben, war deshalb nicht ohne Einfluß auf die Haltung der
übrigen Univerfitäten gewefen, und indem fie fich zum Angriff
gegen das geiftige Oberhaupt der Neuerer erhob, war das
Signal zu einem allgemeinen Kampfe beider Richtungen gegeben,
der die Herrichaft der einen oder andern entjcheiden zu müflen
ſchien.
Seit dem Ausbruch dieſes Kampfes iſt der Fortgang der
Bewegung durch ihn bedingt, in ihm finden die Beſtrebungen
beider Parteien ihren Anhaltspunkt. Neben den alten Stich⸗
1) Bol. Majus vita Reuchlini p. 39. „Eheu! Graecia nostro exilio
transvolavit Alpes.‘
2) Bianco Die alte Univerfität Köln.. Anlagen p. 236.
— 192 —
wörtern der Yehde „Poeten“ und „Sophiften” vernimmt man
fortan die neuen „Reudliniften” und „Kölner“ 1).
I.
Schon frühzeitig wurde bie Univerfität Erfurt zur Theils
nahme veranlaft.
Unter den vier theologifchen Facultäten, die durch das
faiferlihe Mandat im Sommer 1510 neben Reuchlin um
ihr Gutachten über die angeregte Frage erfucht wurden,
befand fih auch Die erfurtifche. She Gutachten Fam bereits
unter Einwirkung des feindlichen Verhältniſſes zu Stande,
welches fich fo eben zwifchen der mutianifchen und alten Partei
gebildet hatte, und fprach nach Vorgang der Kölner von der
hebräifchen Literatur in einem ziemlich unfreundlichen Tone ?).
Indeg wurde in der nächften Zeit weder von der mutianifchen
noch von der alten Partei dem Streite die Theilnahme gefchenkt,
die durch einen folden Vorfall begründet ſchien. Die Unfälle,
welche damals die Univerfität in Folge ver ftädtifchen Wirren
erlitt, die Sorge für die eigene Erhaltung machten einftweilen
die Beichäftigung mit dem Kampfe in der Berne unmöglid.
Erft da wurde diefe möglid, als die gewaltigften Stürme der
Revolution vorübergezogen waren, und bie ruhigeren Zuftände
1) Der folgenden Darftellung liegt vorzüglich der zwifchen Mutian
und dem erfurtiichen Kreife geführte Briefwechjel zum Grunde. So ſchwer
auch die gedructen und ungedrudten Sammlungen, in denen derfelbe nieder-
gelegt ift, zugänglich find, fo ift doch die Schwierigfeit, mit der bie richtige
Benugung derfelben verfnüpft ift, noch größer, indem viele der wichtigften
Briefe ohne Datum find. Ich habe feine Mühe gefpart, die chronologifcke
Ordnung derfelben auszumitteln und es ift mir, hoff’ ich, mit Ausnahme
von nur wenigen, unbedeutenden Fällen gelungen. —
2) Der Kaiſer fei verpflichtet „ut a Judaeis libros falsitate ac
blasphemiis Christiani nominis notatos, quicunque illi sint, prorsus
tollat.‘“ Tentzel p. 99. Der eigentliche Gegenſtand ber Frage, ob übers
haupt die hebräifche Literatur mit alleiniger Ausnahme der Bibel zu vers
nichten fei, fcheint jedoch umgangen zu fein.
— 153 —
der Stadt ihren Gelehrten wieder eine freiere Entfaltung
geflatteten.
Zunäcdhft betheiligten fich die Humaniften an dem Kampfe.
Wir fahen, wie die Ereigniſſe des „tollen Jahres“ gerade
zu ihrem Bortheile dienen mußten. Noch vor Ablauf des Jahres
1512 war der größere Theil von Mutian's Jüngern aus der
Zerſtreuung nach Erfurt zurückgekehrt. Mit neuen Ideen
bereichert, mit auswärtigen Parteigenoffen befreundet, in ihrer
Abneigung gegen das alte Syſtem beftärkt, traten fie wieder
vor ihren Meier bin. Mutian durfte fie jebt in der That
als feine „Krieger bezeichnen, in der Ferne waren fie zu ſolchen
berangewachfen. Ihr Bund, der fofort erneuert wurde, ent
widelte in Kurzem einen ungleich energifcheren Charakter ald
früher. Bor Allem wurde jest ein Iebhafterer Verkehr nach
Außen begründet. Damit hängt es zufammen, daß Hutten, ber
in den letzten Jahren den Erfurtern ziemlich entfremdet ſchien,
jest auf's neue mit ihnen in Verbindung trat. Es wirft ein
beveutfames Licht auf die Wichtigkeit, welche Erfurt für die
Beftrebungen der Reuerer hatte, und dürfte wohl Wenigen
befannt fein, daß mehrere der von Hutten damals verfaßten
Gedichte zuerft durch die erfurter Preſſe in die Deffentlichkeit
gelangt find!) Schon im Sommer 1512 finden wir einen
1) Die Originalausgabe bes erfien Nemo erfchien zu Erfurt bei Stris
bilita gegen Ende 1512 oder im Anfang 1513 (im Frühjahr 1513 erfchien
in Deventer ein Nachdruck). Banzer (Ulrich von Hutten in liter. Hinficht
p. 77) kannte dieſe Ausgabe nicht, ahnte aber ihr Vorhandenſein. Böllig
unbefannt war bisher bie erfie Ausaabe :des Vir bomus, bie im Auguſt
1813 bei Knapp erfhien: Ulrici Hutteni ex equestri ordine adolcs-
centis Carmen emunctissimum mores hominum admodum. jucunde com-
pleetens cui Titulus Vir bonus. Impressum per Jo. Ksappum Erpu.
Anno virginei partus Tredecimo supra sesqui millesimum Idib. Au-
gusti. 4%. — Möglich it es, daß der Drud durch Petrejus. der in Wien
mit Hutten zufammentraf, vermittelt ift. — Welche unter Hutten's Schriften
es geiwefen, die im Aunuft 1512 in Mutian’s Kreife ciweulirte, (M. B.
8. fol. 161 b) ift ſchwer zu beftimmen.
— 14 —
entfchiedenen Anhänger der neuen Richtung, den von Mutian
gebildeten Heinrich Eberbach als Rector an der Spige der
Univerfttät ).
Sp gefräftigt wandte diefe Partei dem reuchliniſchen Streite
ihre Aufmerkſamkeit zu. Von großer Wichtigkeit war es, daß
Mutian ſchon früher zu Reuchlin in einem nahen und befreun⸗
deten Verhaͤltniſſe ſtand. Die erſte Kunde vor feinem Auf-
enthalte in Gotha gibt uns eben der von hier 1503 an Reuchlin
geſchriebene Brief, worin er dieſen um Aufnahme unter ſeine
Freunde bittetz). Sowohl die Freundlichkeit, mit welcher
Reuchlin feinem Wunfche entgegenfam, als auch das große
Verdienſt vesfelben um die neuen Studien hatte zur Folge, daß
Mutian wiederholt im Kreife der Seinigen auf ihn hinwies.
Reuchlin durfte fih hier die entfchiedenfte Theilnahme ver-
ſprechen. Und fofort die erfte Aeußerung, in der Mutian feines
Streites mit den Kölnern gedenkt, Fündigt diefe an. „Pytha⸗
goras lehrte feine Schüler zuerft ſchweigen,“ fchreibt er im
October 1512 an Petrefus, „und fo babe ich mich bisher gleich⸗
jam als Pythagoräer ftumm verhalten. Da aber der größte
Gelehrte angegriffen und ein elender Weberläufer [Pfefferkorn]
in Schub genommen wird, jo will ich mich nach Kräften der
Sache annehmen, nicht als Befchüber der Juden, jo viel maße
ih mir nicht an, fondern als Reuchlin's Xobredner, der aus
Liebe zur Wahrheit ein billiges Gutachten über den Talmud
abgegeben hat, indem er das Schlechte verdanımt, das Gute vers
ı) Die Matrikel fpendet ihm das größte Lob: ‚‚Medicinae doctrina
sine controversia illustris. Ad haec naturae dotibus egregie auctus,
pollet enim ingenio, valet experientia, consilio nemini cedit, diligentia
in obeundis magistratus negotiis mirifice excelluit.‘“ G. U. M. ad a.
1518.
2) Illustr. vir. epp. ad J. Reuchlin. 1 3a. ‚‚ab humanitate tua
peto, ut Mutianum tui nominis atque honoris studiosum in album
amicorum recipias.‘“ Der Brief ift d. d. Gotha Tauring: ad Cal. Octob.
1508.
— 15 —
theidigt 1). — Bon dieſem Augenblicke an befchäftigte ihn
Reuchlin's Angelegenheit faft ausfchlieplich.
Der Streit hatte damals bereit® auf. beiden Seiten einen
äußert Teivenfchaftlichen Charakter angenommen. Dem in hef-
tigem Lone gefchriebenen „Handfpiegel,” den Pfefferlorn gegen
das Gutachten Reuchlin’s gerichtet Hatte (Anfang 1511), war
von diefem der „Augenfpiegel® entgegengefegt worden. Unter
handlungen, welche dann gegen Ende des Jahres 1511 zwifchen
Reuchlin und der theologifchen Farultät in Köln eröffnet worden
waren,‘ blieben ohne Erfolg, Das von Reuchlin im Sommer
1512 herausgegebene „Klare Berftänpnig“ fteigerte die Erbit-
terung der Fölnischen Bartei nur noch mehr und veranlaßte fie,
im Herbfte des genannten Jahres durch Arnold von Tungern
eine Gegenſchrift abfaſſen zu laffen, die in 43 Sägen Reuchlin
einer ſträflichen Hinneigung zu den Juden befchulbigte2).
Eben diefe Schrift war es, welche bei Mutian jene unge⸗
wöhnliche Aufregung hervorbrachte und jofort bei ihm ven
Gedanken einer thätigen Theilnahme an dem Kampfe erwedte.
Denn nicht mit Unrecht fah er in Reuchlin, dem Wortführer
der Partei, fich feld und feine Juͤngerſchaar gefährvet. Richt
war es der Gegenſtand des Streites, der ihn beflimmte; fand
er ja doch an dem reuchlinifchen Gutachten ſelbſt Eingelnes
auszuſetzen 2). Diefed hinderte ihn indeß nicht, fich gegen das
Berfahren der Kölner, als das verabfcheuungswürdigfte Ver
brechen zu erklären. Nur in den Ausprüden des bitterften
Hafles gedachte er ihrer; er drohte Rache zu nehmen an ihnen
!) Lib. nov. epp. J 7 b. Petrejus war im April 1518 wieder nach
Erfurt zurückgekehrt.
2) Bol.: Bon der Hardt Hist. Ht. ref. 11, 6 . Erhard 1. o. II, 398.
2) Tentzel p. 138 ad Urb. ‚‚Hanc questionem doctissimus aetatis
kostrae adeo scienter et graviter expedivit Jo. Reuchlinus, ut etiamsi
isterdum erraverit (est enim homo) tamen laude dignus sit. Sed pro
laude culpam invenit apad sciolos inkumanissimos tam graece quam
latinae linguae, nedum hebraicae rudes.‘“
— 156 — -
für die Ungerechtigkeit, die fie gegen Reuchlin verübt!). „Sch
habe mir nie Mühe. gegeben,” äußert er in jenem Schreiben
an Petrejus, „das Böfe Anderer kennen zu lernen, aber jebt
mahnt die Zeit, daß ich den Frähen die Augen ausſteche“ *).
In ähnlicher Weife wie Mutian wurden auch feine Anhänger
durch jenes Auftreten der Koͤlner erregt. Unter ihnen that fi
frühzeitig Petrejus durch feinen leidenſchaftlichen Eifer für
Reuchlin hervor?). Crotus, der damals noch in Fulda zurüd-
gehalten wurde, aber von hier aus einen lebhaften Verkehr mit
Mutian und feinen Freunden unterhielt, erging fich bald in
bittern fatirifchen Ausfällen gegen die verhaßte Fölnifche Partei.
Nicht minder war Urban über „bie frivole Cenſur“ der Kölner
aufgebracht. Ä |
Und noch konnte man nicht wiffen, wohin fie ihr gemeins
famer Eifer führen würde, als unerwartet die Nachricht von
der Verdammung Reuchlin's durch Faiferlihen Urtheilsſpruch
eintraf und die größte Beſtürzung unter ihnen verbreitete.
MWahrfcheintich hatte das Faiferliche Mandat, welches nach der
Veröffentlichung der reuchlinifchen „Bertheidigung gegen vie
fölnifchen Berläumder” im Frühjahr 1513 beiden Parteien
Stillſchweigen auferlegte, - Anlaß zu jenem irrigen Gerüchte
gegeben. Mutian gerieth außer ih. „Dex Heiligfte und Ges
Ichrtefte unferes Zeitalters,” rief er klagend aus, „der Fürft
der Gelehrten, Joh. Reuchlin, hat auf Anftiften der Theologen,
ı) Er danft dem Urban, der ihm die Schrift der Kölner überfanbt
hatte, mit folgenden Worten: Quantas maximas possum gratias ago atque
habeo Urbane noster quod me nugis et vere abortivis fetibus et agrip-
pis agrippinensium colonorum donaveris. Legam accuratius, el si
licuit theologis alienum opus vellicare licebit et mihi cornicum
ocutos configere‘“ M. B. F fol. 167 a.
2) Lib, nov. epp. J 7 h.
2) Mutian äußert über ihn in einem Schreiben an Urban: Johannem
Reuchlin agrippinenses cehseria virgula notaraent, non vidi, utinam
daretur. Dii perdant istos xalapopayovg. Petrejus noster ait cartas
esse cacatas.““ Tengel p. 135.
— 17 —
fei e8 vom Kaifer oder vom kaiſerlichen Rathe, die unwuͤrdigſte
Berurtheilung feiner Bemuͤhungen erfahren. Er if verurtheilt
und geäcte. Wehe, Wehe! Die Wahrheit ift ihres Ber-
theidigers beraubt. Die Barbarei berrfcht. Ungelehrte herrſchen
über Gelehrte” *). Im Geifte der Alten verglich er ihn mit
Socrates und ſah in Ihm das Beifpiel leidender Unfchule.
Freilich konnte er es fich nicht verbergen, daß Reuchlin in feinen
legten Schriften gegen die feindliche Bartei ich zu ſehr habe
von Leidenſchaft Hinreißen.laflen, daß feine Bertheidigung der
Sebräifchen Literatur hiex und da das Maaß überfdgreite, und
er fand daher in einem Augenblide die Faiferliche Berurtheilung
fo unbilig nid ?). Aber dergleihen Anwandlungen wurden
ſchnell wieder durch feinen umverfühnlichen Haß gegen die
ölnifche ‘Partei befeitigt. „Wehe! fo viel: vermag ein elenber
Üeberläufer von jüdiſchem Blute!“ fchrieb er im Juli an Peu⸗
tinger in Augsburg, „Ich werde ed nicht ertragen, fo viel-an
mir liegt, nein, ich werde es nicht ertragen, obgleich ich weiß,
wie wenig Mittel mir zu Gebote ftehen, daß ein ſo großes
Licht in Deutfchland ohne Verhör ausgelöfcht werde“ 3). Gleich-
zeitig wandte er fich fchriftlich an Reuchlin ſelbſt, verficherte ihn
feines "&ifer und der Bereitwilligfeit, ihm zu Hüffe zu kom⸗
men *). Um aber feinen Zufagen deſto mehr Gewicht zu geben,
veranlaßte er auch Einzelne der Seinigen in ähnlicher Weife
vor den großen Wortführer ihrer Partei hinzutreten. Raum
fönnen dieſe Worte finden, um ihre Begeifterung für den ver-
ehrten Patron auszuprüden. „Welche Worte möchten einer fo
herrlichen That gleichkommen,“ ſchreibt Petrejus mit Hinblid
auf Reuchlin's letztes Auftreten gegen die pfefferkorn'ſche Partei,
1) Tentzel J. c. p. 143. ad Urb.
2) Vgl. den Brief an Urban bei Tenkel p. 139.
°) Illustr. vir. epp. ad J. Reuchl,. Alb.
2) Diefes ergibt fi aus Reuchlin's Antwortsſchreiben bei Tenpel Re-
liquiae epistolar. Mutiani p. 18. -
— 18 —
„ih will Dich nicht ermahnen, daß Du bei dieſem heiligen
Vorhaben verharreft, denn ein Thor tft, wer einen. Eilenden
anfpornt, aber das darf ih Dir. nicht verhehlen, daß Du nir⸗
gendwo auf. der Welt fo viele Anhänger zählft, als hier unter
den Unferigen* °). Denfelben Eifer befundet das gleichzeitige
Schreiben bed Urbanus, welches Reuchlin den fölnifchen „Theo:
logiften” gegenüber. ald den Bertreter der wahren Theologie
verherrlicht und mit einigen bittern Verſen gegen die Genfur
der letzteren ſchließt 2).
Es war das erfte Mal, daß Mutian in diefer Weife öffent
lid) mit feiner Schaar hervortrat, und fofort erfannte Reuchlin
die hohe Wichtigkeit derfelben für feine Sache. „Unter ven
gegenwärtigen Umftänden,” fchrieb er am 22. Auguft 1513 an
Mutian, „wird mir Nichts von größerem Nuten fein, als
Deine Freundſchaft, namentlich. wenn. Euer ganzer Gelchrten-
bund mit gleihem Eifer auf meine Seite tritt, wie dies die
Briefe des Petrejus und Urbanus neben dem ‚Deinigen in
Ausficht ſtellen. Durch den Beiftand fo Vieler ermuthigt, hoffe
— — — —
N
ı) Illustr. vir. epp. ad Reuchl. y 4 a. ‚‚Illud tamen forte tacen-
dum non fuit, tot tibi e nostratibus studere homines, de illis loquor
quos Diogenes et Aesopus paucos esse in balineo responderunt, cum
tamen turba adesset multa, quot alibi terrarum nusquam. Er bezieht
fh auf Mutian, Crotus, Urban, Spalatin.
2) In peperiphronas -superstitionis. vicio et malevolentia aestu-
antes:
: Balba Sophistarum sileat censura, profecto
Irritant doctum Capnionem fatui
Despuit in celebrem bucca crepitante Suevum
Et ciet ambages lippa cathedra rudes,
Quid tibi Barde nocet grati Thymiani vaporis
Aere tabifico tura Sabaea cremas
Quod rapidum conflet Aammam recutibus Agaso.
Florida falsiloqui pectora Aetna calet.““
Zengel Suppl. Hist. Goth. I, p. 117. — Urban lebte um dieſe Zeit gewöhns
lich in Erfurt.
— 19 —
ih alles Widrige glüdlich zu überwinden" ?), An demfelben
Tage fchrieb er auch an Urban in den. anerfennendften Aus⸗
brüden. Zugleich überfandte er ihm jenes kaiſerliche Mandat,
das zu fo beunruhigendem Gerüchte Anlaß gegeben, mit der
Bitte, für die Veröffentlichung desfelben Sorge zu tragen ?).
Daraus erfahen nun Alle, daß ihre Beforgniß ungegründet,
wenigftend übertrieben gemwefen war. Einſtweilen bevurfte
Reuchlin ihrer Hülfe noch nicht. Um fo mehr aber machte die
Haltung, weiche in dieſem Augenblide die gegnerifche Partei
in ihrer unmittelbaren Nähe annahm, ein energifches Einjchrei-
ten nöthig.
M.
Sene bereits feit Jahren vorhandene Spannung zwiſchen
der alten und neuen Partei an der Univerfität brach endlich
im Jahre 1513 in offenen Kampf auß,
So ſchwach fühlte fich die alte Partei doch noch nicht, daß
fie den immer drohender werdenden Fortfchritten der Neuerer
ruhig hätte zuſehen follen. Der in Folge des reuchlinifchen
Streites gefteigerte Ungeſtüm verfelben brachte bei ihr den ſchon
längft gehegten Plan einer Reaction zur Reife. Manches ver-
ſprach ihr Erfolg. Die Berhältniffe der Stadt, in welcher in
dem genannten Jahre die Partei des Rathes wieder ihr Haupt
erhob, jchienen das Unternehmen zu begünftigen. In Jodocus
ı) „„Hoc tempore Tua mihi amicitia non erit etiam utilius quic-
quam, id maxime, quando par studium totius vestrae sodalitatis lite-
ratoriae in rem meam Accesserit, quod et Petrejus Aperbacchus et
Henricus Urbanus cum Tuis literis pollicentur, in quibus unus et idem
communis, Deo gratia, omnium Vestrum conatus ostenditur, diligendi
mei. Unde consolabor, tot patronis adjutus, quod animo nen fracto,
quantavis in senecta, vincam quaelibet adversa.‘ Tenkel Bel. epp.
Mut. p. 18. |
2) Tengel Suppl. hist. Goth. p. 116.
— 10 —
Trutvetter, der nach langjähriger Abwefenheit jo eben von Wit:
tenberg heimkehrte, erhielt die Bartei einen ihrer tüchtigften und
talentvolften Bertreter wieder. Wie er der theologischen Facultät
angehörte, fo fand überhaupt die Reactionspartei in der theo-
logifchen Yacultät ihre vornehmfte Stütze. Es fehien fat, als
feien bei ihr durch die maßlofen Angriffe gegen ihre koͤlniſche
Schweſter die alten Sympathien, welche fie zur Zeit der großen
Goncilien für leßtere bekundet hatte, wiedererweckt worden.
Den erfien Sieg erfocht die Bartei bei den nädjften Wah:
len. Auf jenen Heinrich Eberbach war im Herbſt 1512 der
ebenfalls mit Mutian befreundete Johann Werlich als Rector
gefolgt. Im Frühjahr 1513 wurde nun ein entfchiedener Scho-
laftifer, der Canonicus bei St. Sever, Andreas Schill, als Nach⸗
folger gewählt, und eine geraume Zeit hindurch blieb von da
an die Rectorwürde bei eifrigen Berfechtern der alten Partei ").
Gleichzeitig wurde auch der Verſuch gemacht, die in Verfall
gerathenen Inftitute der Univerfität wieder emporzubringen;
eben unter dem Rectorate jenes Schill wurde eine bedeutende
Summe auf die Wiederherftelung ded großen Collegiums ver-
wandt?). Indeß auch mit geifligen Waffen fuchte man dem
Feinde zu begegnen. Die alten Schulbücher wurden verbeffert
und neu aufgelegt. Trutvetter gab feine Dialectif, Ufingen
feine Zogif neu heraus. Und fo groß war der Eifer, fo ange
ſtrengt die Thätigkeit diefer Partei, daß ihr ſelbſt Mutian,
wie erbittert er auch darüber war, deshalb feine Anerkennung
‚nicht verfagen konnte ?).
1) Die Namen ber nächften Rectoren find: Balentin Ingermann, Con⸗
rad Wideling, Heinrich Drolmeyer, Joh. Hoch. Lebterer beginnt die Ein:
leitung zu feinen Rectoratsverzeichniffen fogar mit einer Xobeserhebung
Köln's. Es ift auch charakteriftifch für fle, daB ihre Nectoratsberichte in
ber Regel Lobfprüche auf die monarchiſche Regierungsform enthalten.
2) Lib, rationum ad a. 1513 s. v. Schill M. ©. der Eönigl. Bibl.
in Erfurt. |
2) M. DB. 5. 204. Mut. ad Urb. Nachdem er fich ausgefprocdhen Hat
über die erfreulichen Fortfchritte, die der Humanismus unter feiner Leitung
— 161 —
Es waren die angefehenften Lehrer, die Vertreter des alten
Ruhmes der Univerfität, von denen die Reaction ausging.
Keineswegs redeten fie einer engherzigen Abjchließungstheorie
den neuen Studien gegenüber das Wort — waren fie ja eben
bie erfien Gönner derjelben gewefen — nur gegen die Eonfe
quenzen des gothaifchen Banonicus erhoben fie Proteſt. Wie
hätte es ihnen an Erfolg fehlen konnen?
In der That traten binnen kurzer Zeit fammtliche Lehrer
der Schule, mit wenigen Ausnahmen !), auf ihre Seite. Sie
entjagten ihrer frühern Verbindung mit Mutian. Die Eorpo-
ration emancipirte fi von dem Einflufle eines Mannes, dem
fie Jahre lang als ihrem Gebieter gehuldigt.
Sp weit ging nun zwar die Jugend nicht: zu tief hatten
die neuen Ideen bei ihr Wurzel gefchlagen; aber e6 blieb doch
das Beifpiel der Lehrer nicht wirkungslos. Bei Bielen fing
der frühere Enthuflasmus für Mutian an zu erfalten. Schon
ſah man fie wieder fittiger Hinter ihren Lehrern daher jchreiten.
Wie aufgebraht war da Mutian! Wie unmillig äußerte
er fi über die „Bosheit“ der alten PBhilofophafter, über die
Unzuverläffigkeit der Jugend! Schon glaubte er die Zeit nicht
mehr fern,. wo ber Humanismus in Erfurt vollftändig unter:
drüdt werden würde 2).
in Erfurt gemacht, fährt er fort: „„Pervertunt hoc bonum magistri cum
ingenti puerorum damno. In quibus ut acre ingenium, studium, labo-
rem, vigilantiam, religionem, castitatem laudo: ita damno pertinaciam,
invidiam, malevolentiam, teterrimas humani animi pestes: quae suis
sordibus carere nolunt: doctrinae meliori non favent, jJuventuti prae-
stantiam optimarum arcium invident et secum universos stultiferam ut
ita dicam triremem conscendere jubent. Apage istas febres, ista
carcinomata. Quis ferat novum hoc scelus?““ Der Brief ift im Juni
oder Juli 1513 gefchrieben.
1) Maternus, H. Eberbach, Hereborbus, welche Damals ebenfalls fchon als
Lehrer aufgetreten waren, blieben Mutian getreu. Doch erregte Maternus zuwei⸗
len Rutian’s Verdacht. — Männer wie Werlich, Soemering, die früher in dem
freundlichften Berhältniffe zu Mutian fanden, wendeten fich jebt von ihm ab.
2) Dhne Zweifel übertreibt Mutian (M. B. %. fol. 204 b, 139 a,
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 11
— 12 —
Dies war nun aber ‚nicht zu befürchten. Beharrlich hielt
Mutian’d unmittelbare Füngerfchaft, die den eigentlichen Kern
der Humaniften bildete, an ihrer Sache feft. Zu entfchiedenem
Widerſtande zeigte fie. füch entjchloffen. Ihre Haltung flößte
auch dem Meifter bald wieder Hoffnung und Bertrauen ein.
Für den Augenblid gab. ihm aber ein Zwift, welcher unter den
Süngern felbft ausgebrochen war, zu den traurigften Betrady
tungen Anlaß. Da mußte e8 Mutian jogar erleben, daß einer
der begabteften. jungen Dichter fein Talent — freilich ohne es
zu wollen — im Intereſſe der alten Partei verwandte.
Es war dies Euricius Cordus aus dem hefiifhen Dorfe
Simtshaufen, Freund. und Studiengenofie des Eoban, der
gleichzeitig mit ihm die MWoetenfchule des Jacob Horlaus in
Frankenberg befucht hatte. Seit dem Beginn des Jahres 1513
finden wir ihn in Erfurt !). Er wandte fih damald in einer
163 a u. a.) die Bemühungen und die Erfolge der Alten, um dadurch Haß
gegen fie zu erregen. Die Jugend war Mutian nie fo entfremdet, als dieſer
felbft angibt. Dal. Tengel p. 109.
1) Meber feiner Jugendgefchichte fchwebt vieles Dunfel. Wir fennen
weder das Jahr feiner Geburt, noch die Zeit feiner Ankunft in Erfurt.
Eben fo wenig ift fein urfprünglicher Name befannt. Die Anficht, welche
Erhard aufgeftellt hat und die auch durch eine fpäter eingefchobene Bemerkung
in der philof. Matrifel beftätigt wird, dag nämlich Cordus identifch fei mit
dem 1515 in Erfurt immatriculirten Henricus Eberweyn aus Sranfenberg,
widerlegt fich Dadurch, daß unfer Euricius bereits feit Anfang 1513 unter
dem Namen Cordus und Ricius (woraus Mutian fpäter Euricius machte)
in Erfurt erfcheint, daß er hier unter legterem Namen 1514 feine bucoli-
ſchen Gedichte herausgab (Panzer Annal. typ. VI, 498), daß ferner jener
Heinrich Eberwein neben Cordus und offenbar als eine von ihm verfchie-
dene Berfon in dem mutianifchen Briefwechfel vorflommt. (Alt. lib. epp.
J7 a). Endlich ift ohne Zweifel der Henricus Everbinus, an den Cordus
felbft einmal ein Epiaramm richtet, (Cord. Opp. 187) mit jenem Heinrich
Eberw. identifch. — Nach Hamelmann 1. c. und der Hogel’fhen Chronik
ad a. 1505 müßte Cordus ſchon 1505 in Erfurt geweſen fein, allein bie
Eritiklofigfeit beider Quellen erlaubt uns, an_diefer Nachricht zu zweifeln.
die fonft durch Nichts beftätigt wird. — Wenigftens fo viel ergibt er aus
Mutian's Briefen, daß er Cordus erit im Anfang 1513 kennen gelernt hat.
— 183 —
Reihe ehr heftiger Epigramme gegen den Tiloninus, einen ver
ungeftümften Gegner der Scholaftif, der es aber gleichwohl bei
feinen humaniftifhen Studien nie über jene Außerliche, geiſtloſe
Nachahmung der Alten hinausgebracht hatte. Eben Lebteres
und daß er dennoch fortwährend mit feinem Dichtertitel pruntte,
hatte die gerechte Entrüftung des claſſiſch gebildeten Cordus
hervorgerufen 2). 0.
Wenn auh Mutian früher jelbft auf das entfchledenfte
gegen das Berfahren des Tiloninus geeifert hatte, fo erregte
doch unter den gegenwärtigen Umftänden der Angriff des Corvus
gegen ihn feinen Unwillen im höchften Grade. Ya er ging in
letzterem fo weit, daß er über das unläugbare poetifche Talent
desfelben das härtefte und unbilligfte Urtheil fällte 2). Bei der
regen Thätigkeit, welche damals die alte Partei nach allen
Seiten entmwidelte, glaubte er, daß Cordus auf ihr Anftiften
zu jenem Angriffe gejchritten fei 3). In der That leiftete dieſer
den „Sophiften” durch die Bekämpfung ihres übermüthigften
Gegners einen wefentlichen Dienft. — So durch Zwiſt in dem
) Die fehr biffigen Epigramme contra Tiloninum (zuerſt gedrudt 1515)
Änden fih in Opp. Cordi 86—99. Einige andere Gedichte des Cordus
gegen Tiloninus find uns nicht erhalten.
2) Bol. u. 9. die Aeußerung in einem Briefe an Petrejus (Anfang
Anguft oder Ende Juli 1513) bei Tentel p. 165. „Hoc temporis punc-
tulo dedit ad me Cordus suum foenum serotinum, imo praecocia
ejectamenta. Responsum accepit, non quale forsan optabat, fucatum
et blandum, sed severum. Castigavi mordacitatem impudentissimam,
hortatusque sum, ut amore Musarum ignosceret Proteo et palino-
diam cantaret, ac dein latino potius homini, quam frivolae sophista-
rum doctrinae adhaereret.‘““ Diefe Aeußerung bezieht ſich auf Die Eflogen
des Cordus, unter denen ebenfalls eine gegen Tilonin gerichtet war.
2) M. DB. 5. fol. 304 b, ad Urb. ‚‚Ecce quia contractis barbaris
oopiis latinas cohortes pellere non possunt insidiantur et olam per
dolum exilio mulctare nituntur. Existimant, nulla re citius superarl
Posse, quam si alium ejusdem sectae ad sustinendum impetum oppo-
suerit. Sic lacessit Tiloninum Cordus, sophorum vafricia subornatus.“
11%
— 14 —
humaniſtiſchen Heerlager begünftigt, felbft einig und unermüd-
lich thätig, fland die alte Partei im Herbſt 1513 wieder mächtig
und einflußreich da.
Unter diefen Umftänden konnte es gefchehen, daß die Uni⸗
verſitaͤt, welche Petrejus ſo eben in ſeinem Schreiben an Reuch⸗
fin als den vorzuͤglichſten Sitz der „Reuchliniſten“ bezeichnet
hatte, ſich ſelbſt, bei gegebener Veranlaſſung, öffentlich in einem
ganz andern Lichte zeigte. Damals nämlich ließen die kölniſchen
Gottesgelehrten durch ihren Abgefandten, ven Dominikaner Bern:
hard von Sochenberg, die theologiſche Yacultät in Erfurt um ihr
Gutachten über den reuchlinifchen „Augenſpiegel“ erſuchen.
Das Gutachten, welches die Kacultät am dritten September
durch ihren Decan Hermann Serges von Dorften ausfertigen
ließ, fiel der Hauptſache nah im Sinne der Bittfteller aus.
In aller Form ſprach es ſich für die Unterdrüdung jener Schrift
aus 1). Die Kölner fahen es als einen Triumph ihrer Sache
an. Freilich fo unbedingt, wie fie es wünſchen mochten, Hul-
digte das Gutachten ihren Grundfäben denn doch nicht. Nicht
genug, daß bei der Verdammung der Schrift Ehre und An-
fehen des Verfaſſers ausprüdlich vorbehalten wurden. Reuchlin
wurde in dem Gutachten fogar mit Auszeichnung behandelt,
feiner Kenntniß in den drei Sprachen, feinen Abfichten, feinem
perfönliden Wandel, feiner kirchlichen Geſinnung das größte
Lob geſpendet 2). Aber wie mild und fchonend auch die Form
12) Es findet fih bei Tentzel J. c. 98 —101. — „Judicamus saepe
fatum libellum, citra tamen authoris sui notam ac ignominiam (ne
regis Idumee ossa in cineres usque consumantur) supprimendum, tol-
lendum, e medio delendum ac communi hominum (simplicium maxime
et eorum quorum posset esse offensivus) usui prorsus interdicendum.“
l. c. p. 100,
2) Das Gutachten nennt ihn ‚‚autorem singularis et praeeminentis
'eruditionis, virum doctissimum, triplicis linguae Hcebraicae, Graeca-
nicae atque Latinae peritissimum, celebri fama de vitae ac morum
integritate nobis multipliciter commendatum et prout commendabilis
sua testatur protestatio, quam consultationi suae praemisit ac sub-
— 15 —
war, die Sache wurde im MWejentlichen dadurch nicht geändert,
über Reuchlin's Unternehmen fchien der Stab gebrochen.
Damit Hatte nun die alte Bartei unabwendbar den Sturm
der Neuerer gegen fich heraufbeſchworen.
IV.
Trotz der erfolgreichen Thätigkeit, welche die „Alten“ in der
legten Zeit entfaltet hatten, fcheinen Mutian und feine „Ge⸗
treuen” doch nicht erwartet zu haben, daß fle dem Zumuthen '
der Kölner nachfommen und die VBerdammung der reuchlinijchen
Schrift auszusprechen wagen würden. Um jo größer war ihre
Entrüftung, als dies dennoch gefhah. Es gewährte nur einen
geringen Troft, daß die übrigen Facultäten, unter denen wer
nigftens die juriftifche um ihre Zuflimmung erjudht worden
war’), dem Beichluffe nicht beigetreten waren. Die Verdam⸗
mung Reuchlin's ſchien ihnen ein unauslöfchlicher Fleden in
den Annalen der Univerfität. Mutian jelbft eilte nach Erfurt,
begleitete den Ausfpruch der Theologen mit den gehäfflgften
Anmerfungen; daß fie die fölnifchen Theologen als ihre „Mit
brüder und zu jeder Zeit verehrungswärdigen Gönner“ bezeich-
net hatten, war ihm das verabfcheuungsmwürbigfte Verbrechen;
die milde Form, in der das Gutachten abgefaßt war, vermochte
ihm nicht milder zu flimmen. „O der erheuchelten Milde,“
rief er au8, „unter dem Anfchein von Mitleiven mwüthen fie
graufam!” 2)
h)
nexuit, bonum et Catholicum Christianuın.‘‘ Tengelp.99. Bine Sprache,
die in der That von der fölnifchen gewaltig abweicht. Die Irrthümer in
dem renchlinifchen. Gutachten werden ſogar entfehulbigt, weil Meuchlin die
Veröffentlichung desfelben nicht habe-vorausfehen lönnen „minus extimuit,
seu praevidit, quempiam ex dictis suis erraudi sumturum occasienem
aut scandalisatum iri.“ 1. c. p. 10.
ty Nur bei diefer Annahme wird die Aufforderung des Mutian an
Herebord „‚Excusa tuum cohortem et quod non subsoripserint Theo-
logistis refer.‘“ (Tengel 97) exklaͤrlich
2) Vgl. den Brief an Urbanus bei Tengel p. 93— 3.
— 16 —
Zunaͤchſt mußte verhütet werden, daß Reuchlin felbft durch
die Nachricht von der Verurtheilung, die feine Sache an einer
ihm als jo ergeben dargeftellten Univerfität erfahren, entmu⸗
thigt werde. Sofort wird Urban, der damals für längere Zeit
feinen Wohnfis in Erfurt genommen hatte, aufgefordert, in
diefem Sinne an Reuchlin zu fchreiben !)., In gleicher Weife
werden Crotus und Herebord ermahnt. Mutian legte dem
Gutachten eine größere Bedeutung bei, als es wirklich Hatte.
„Unfer Freund Janus Reuchlin ift in Gefahr,“ jchrieb er an
Herebord, „nicht wegen feiner Gelehrfamfeit, die ihn hinlänglich
nad allen Seiten jchüßt, fondern wegen des Geſchrei's der
Arnobardiften. Wenn Du den Ruhm Tiebft, wie Du. ihn Tiedfl,
dann fei ein Capnobat (Reuchlinift), Fein Arnobarvift (Kölner).
Schreibe fofort” 2), Ohne Verzug fam Urban der Aufforderung
feines Meifters nad. „Der Friede fei mit Dir, heiligfter
Bater!" redet er Reuchlin an, „Wenn die Theologiften dieſer
Schule einige Würde bejäßen, oder wenn fie ihre eigene Un-
wiffenheit begriffen, würden fie den Arnobardiften nicht beis
flimmen. Wir find Eapnobaten und in Deinem Dienfte, und
zugleih mit und verehrt und liebt Dich die ganze ftudirende
Sugend diefer Univerfität auch wider den Willen des Sergius
und Bacchus“ 3),
Mutian war indeß nicht gefonnen, ed bei ſolchen Auf
munterungsfchreiben bewenden zu laſſen. In höchft merfwür-
diger Weife gedenft er um diefe Zeit in einem Briefe an Urban,
feinen vertrauteften Anhänger, eines großen Unternehmens, das
er für Reuchlin beabſichtige?). Worauf dasjelbe eigentlich
— —
1) M. DB. F. fol. 99 a.. Mut. ad Urb. ‚‚Tu scrihas tuo more, quo
nihil absolutius perfectiusque. Vale et veninm nihil scribenti. Scri-
bat Crotus et Herebordus. Hie sui ordinis assensum et officium re-
promittat. Iste vero Hartmanni domini.“ :
2) Tenkel p. 97.
5, Tentzel p. 109. u
ıM.»B. 5. fol. 99 a. „ad Capnionem ideo uihil in praesentia
⸗
— 167 —
berechnet war, erfahren wir nicht, nur fo viel erſieht man, daß
Mutian ſchon damals im Geheimen mit wichtigen Plänen zu
Bunften Reuhlin’d umging. — —
Dffener, als Hier, verfuhr er in dem Kampfe, der, ſobald
Reuchlin beruhigt worden war, gegen die fcholaftifchen Lehrer
an der Univerfität eröffnet wurde, und da mußte e8 fich zeigen,
ob diefe den jüngft gewonnenen Einfluß würden behaupten
können. Es ift nothwendig, daß wir an diefer Stelle den
Standpunft, welche jene den neuen Beftrebungen gegenüber
einnahmen, etwas näher in's Auge faſſen.
Wenn irgendivo, fo ift in Erfurt von den Vertretern der
alten Richtung eine friedliche Ausföhnung zwifchen den neu
erwachten antifen Studien und der hergebradhten Lehrmeife
verfucht worden. Selbſt das Schrofffte, welches je von ihnen
ausgegangen ift, jenes Gutachten über den reucdhlinifchen „Augen
fpiegel”, verläugnet, wie wir ſahen, viefes Beftreben nicht.
Eben diefe Mäßigung und Billigfeit der neuen Richtung gegen⸗
über, hatte nicht wenig dazu beigetragen, ihnen in der legten
Zeit, als fie ſich einmal Fräftig erhoben, mit fo überrafchenver
Schnelligkeit Anjehen und Einfluß wiederzugeben. Und fo wenig
lag es in ihrer Abficht, die wiedergemonnene Macht zur Unter
drüdung der neuen Richtung anzuwenden, daß die theologifche
Facultät 1514 ven erften Beförderer derjelben, Maternns, unter
ihre Mitglieder aufnahm). Unangefochten lehrten damals der
von Mutian in das Rechtsſtudium eingeführte Herebord und
der ungeftüme Tiloninus in der juriftifihen Yacultät, während
in der mediciniſchen Heinrich Eberbach ſich die Verbreitung ber
neuen ©rundfäge angelegen fein ließ, ohne daß ihm von der
alten Bartei irgend ein Hinderniß entgegengefegt worden wäre 2),
scribam, quod nondum expeditum sit, quod conor et ille desiderat.‘“
Der Brief ift im Anfang Dectober 1513 gefchrieben.
2) Pol. Motfchmann 1. c. Erfte Fortf. p. 85
2) Mutian ſelbſt gefteht dies in einem Briefe, den er 1514 an ihn fchrieb,
— 18 —
Diefe äußere Anerkennung war jedoch das Wenigfte. Es iR
bezeichnend, daß eine Predigt über das Leiden Ehrifti, die in
der Charwoche 1514 von einem Mitglievde der fcholaftifchen
Partei vor den Studirenden gehalten wurde, mit Anführung
eines Beijpield aus der römifchen Gefchichte beginnt '). Das
merfwürdigfte Denkmal diefer antikifirenden Beftrebungen der
erfurtifden Scholaſtik ift Die im Anfang 1515 veröffentlichte,
zum allgemeinen Gebrauch für die Stupirenden beftimmte, An
leitung zum richtigen Empfang des Bußfaframents?). Da
nach dem Grundiage der Stoifer, Außert der Berfaffer in der
Kachreve des Werkes, die Menfchen um der Menjchen willen
gefchaffen feien, fo habe auch er durch gegenwärtige Schrift
den Studirenden nützen und ihren Eifer für das herrliche
„fofratifche Inftitut” — wie die Beichte genannt wird — neu
beleben wollen. Das Beftreben, ‘den neuen wiffenjchaftlichen
Anforderungen genugzuthun, welches man ſofort in dieſer
Aeußerung erkennt, ift für das ganze Werf harafteriftifch. Die
„Bene agitur cum optimarum artium studiosis, te Cornelium Celsum
medicorum latiniss. in Erphurdiensi Gymnasio enarrante. Vellem,
et mihi liceret te audire profitentem.“ M. B. 5. 263 a.
1) Oratio de passione domini Erphurdie habita die mercurii in
ebdomade sancta pro vernis vacationibus: studiorum per Judoeum
tex: winshemium. 1314. 4°.
2) Die erſte Ausgabe erjchten im Anfang 1515 unter bem Titel: Hoc
in libello subscripta continentur. Forma recte penitendi et confi-
tendi ex onmi ferme vitiorum genere: adjecta declaratione quando
peccatum sit mortale et quibus remediis cavendum: cum allegatione
scriptorum ecclesiasticorum et juris Canonici. Cantalitii poetne cla-
rissimi Christiani poenitentis Elogiaca confessio, De Sacramente
Eucharistiae breves quedam et admodum succincte adnotationes. 1515.
4°. Eine zweite Auflage erfchien im Februar 1516 und führt den Titel:
Institutiones succincte in rite faeiendum ex vera poenitentia confes-
sionem sacramentalem et pro mortiferis criminibus perfectam ple-
namque satisfactionem ad communem utilitatem piumque profectum
scholastice juventutis gymnasii Erphurdien. — Erph. 4°. Die zweite
Auflage enthält einiges Neue, wogegen aber auch Manches fehlt, was fi
in der erſten findet. — Beide Ausgaben find äußerſt felten. Ich benuste
zwei Gremplare aus der Würzb. Univ. Bibl.
— 169 —
fholaftifche Anfchauungsweife, vie demjelben natürlih zum
Grunde liegt, wird an manchen Stellen kaum wiedererfannt
unter der Menge ber claffiichen Zuthaten und poetifchen Deco-
rationen, die im Geſchmack der neuen Richtung angebracht find.
Ueberall fucht der Berfaffer feine Bekanntſchaft mit den clafs
fiichen Autoren an den Tag zu legen. Neben Thomas Aquinas
und Petrus Lombardus werden Blinins, Seneca und „unfer
Cicero, der Fürft der Iateinifchen Philoſophen,“ mit wenigftens
eben fo großer Hochachtung genannt und Ausfprüdhe von ihnen
mit Borliebe angeführt; neben ariftotelifchen Definitionen und
Diftinctionen finden fich die zierlichften Tateinifchen Diftichen.
Auch bemerft man, daß unter den neuern theologischen Schrift:
Rellern vorzüglich Männer wie Gerfon, Geiler von Kaifersberg,
„unſer“ Wimpheling und Erasmus erwähnt werden. Schwer:
ich hat in einem andern Werke jener Tage das alte Syſtem
fh fo freundlich dem neuen genähert und diefem die Hand zur
Berföhnung geboten, als in dem vorliegenden. Und dieſe
Schrift war dem Trutvetter gewidmet, dem damaligen Vor⸗
fampfer der alten Richtung in Erfurt). —
Mochte auch die angeftrebte Wermittelung auf jenem Wege
‚nicht erreichbar fein, achtungswerth bleibt das Streben immer
und ehrenvoll für die Erfurter war der Gegenſatz, den fie da»
durch zu ihren PBarteigenofien in Köln und Leipzig und Roftod
bildeten. Daß ein ſolcher Gegenfab ftattfinde, war auch den
Neuerern nicht unbekannt, wie denn Eoban in einem Schreiben
an Reuchlin der erfurtifchen Theologen geradezu in einer aner-
fennenden Weife gedenkt?). Selbft die Briefe der Duntels
1) Der Berfafler Tertoris fordert Teutvetter auf, das Werk gegen die
Angriffe der Gegner in Schug zu nehmen. Vgl. die Vorrede zur zweiten
Ausgabe.
2) „„Ostendi tuas literas quibusdam hic bonis viris, qui non minus
tuae Jaudis sunt studiosi quam adversae factionis inimici. Et etiam
quod adeo mirum tibi non debet videri, ipsorum quidam Theologiam
profitentium sed non adeo penitus contemnendam sicut istorum, qui
— 10 —
männer lafien ed burchbliden, daß die in Erfurt herrſchende
Scolaftif nicht die der Kölner und ‘Barifer war. Ein Joh.
Gerlamb jchidt feinen jungen Anverwandten von Erfurt nad)
Köln, weil er will, daß derfelbe bei feinen Studien auf dem
Wege der Alten wandele!). Ein erfurtiiher Magifter muß
ed fein, der in Bafel die Predigt eines gelehrten Theologen
von Paris zu widerlegen wagt ?).
- Eine folche Partei ſchien denn doch gegründeten Anfprud
auf Schonung und Nachficht der Neuerer zu haben. Allein
für Mutian und feine leidenfchaftlichde Schaar waren Nachſicht
und Schonung in diefem Falle unbekannte Namen. Nicht Zu:
geftändnifje, fondern allgemeine Anerkennung, nicht Duldung,
fondern unbedingte Herrfchaft wollten fie. Das Gutachten über
Reuchlin hatte fie überdies auf das empfindlichfte verlegt. Mit
faft Eranfhafter Leidenfchaftlichfeit erhob fih Mutian bald nad)
der Veröffentlihung desfelben zum Bernichtungsfampfe gegen
die alte Bartei, entfchloffen, nicht eher nachzulaffen, als bis er
ihren vollftändigen Ruin. herbeigeführt. Eben nicht gewiffen:
haft verfuhr er bei der Wahl der Mittel, Jener Tiloninus,
der Dichterling, der durch die geiftloje und lächerliche Nach—
ahmung der Alten fv oft feinen Unwillen erregt, und den er
deshalb Früher abfichtlich von der Theilnahme am Kampfe gegen
die Scholaftif fern gehalten hatte, „damit der poetifhe Name
—
te malo judicio condemnare voluerunt. Sunt enim et hic quoque
boni et mali, ipsi autem illi, quos tu non honos sed inter pejores
minus malos appellas, pvenitere videntur, quod Coloniensibus asinis
et circumforaneis nugivendis ipsi decepti potius quam instructi suffra-
gium addiderunt.‘‘“ Illustr. vir. epp. ad J. Reuchl. y % a.
ı) Praesentium, lator est consanguineus meus et habet bonum
ingenium et intendit studere in artibus, tunc pater suus voluit eum
huc facere ad Universitatem: et ego dissuasi, quia volo, quod studet
in via antiquorum sicut ego studui.“ Der Brief ift aus Erfurt datirt.
— Bol. die Münch’fche Ausgabe (Opp. Hutt. Tom. VI) p. 340.
2) 1. c.p 188.
—- 1 —
is Erfurt nicht in Verruf fäme,” !) war ihm jebt das brauch»
barfte und willfommenfte Werkzeug, weil er es an fchonungs-
lofem Haß gegen die „Sophiften“ allen Uebrigen zuvorthat.
Geradezu forderte er ihn jept zum Kampfe auf und übte gern
Kachficht gegen feine Fehler, die ihm bei weitem nicht fo ver
abfheuungswürtig, als die Lehrweife der „PBhilofophafter*
dienen 2). Lebteren gegenüber hielt er fich nicht zur Ausübung
von Gerechtigkeit verpflichtet. „Richt den Schuß der Geſetze follen
fie genießen, jedes Rechtsanfpruches find fie zu berauben“ war
der Ausdrud, Durch den er den Weg vorzeichnete, auf dem man
gegen fie worfchreiten ſolle?). Daß ein ſolches unbilliges und
ungerechted Verfahren unter Mutian’d Jüngern den allgemeinen
Beifall finden fonnte, ven es fand, wird zum Theil dadurch
erflärlich, daß damals auch die Fölnifche Partei bei ihrem Ver⸗
fahren gegen Reuchlin alles Maaß überfchritt. Rach jener
heftigen Bertheivigung, die Reuchlin im Frühjahr 1513 erfcheis
nen ließ, hatte Hochftraten, den man bald als das Haupt jener
Partei erfannte, im Herbſt des genannten Jahres in feiner
Eigenſchaft ald Kebermeifter, denſelben vor ein in Mainz nieder-
geſetztes Inquifitionsgericht fordern lafien. Das Ungejeplicdhe,
welches in viefem Verfahren lag — Hochftraten war ald Nieder-
länder gar nicht befugt, im mainzer Sprengel zu Gericht
m ſitzen — erhöhte indeß nur den allgemeinen Haß gegen
bie Kölner, ohne Reuchlin zu fchaden. Eine Appellation
1) Noch im Sommer 1513 ſchrieb er an Petrejus: Tiloninus vellem
maneret im schola juris et cum studiosis mon satyrice sed humaniter
ageret. Sic defenderetur ab iajuria Sopkorum et Poetici nominis dig-
nitas Erphurdiae canservaretur.‘“ Tenpel p. 164.
2 „Dii perdant theologistas. - Tiloninus profiteatur more suo.
Quid nocet plagium! Doceat et pergat exitare bonas Hteras vel vo-
mitantibus philosophastris. Melius est suo modo insanire, quam
audire vel physicum vel dialecticum parvulum.‘“ M. B. F. fol. 208 a.
Ih ſetze diefen Brief in das Jahr 1514.
®) „Sint jure exautorandi exleges.““ Tengel p. 118.
— 12 —
des letztern an den Bapft hatte zur Folge, daß von dieſem
der Bifhof Georg von Speyer mit der Unterſuchung der
reuchlinifchen Angelegenheit beauftragt wurde. Indeß, unbe
fümmert um den Gang des fpeier’fchen Prozefies, ließen
Hochſtraten und feine Genofien im Februar 1514 Reuhlin’s
Augenfpiegel öffentlih in Köln verbrennen und fuchten
dann, als im April 15914 die fpeierfche Commiſſton zu Gunften
Reuchlin's entfchieden hatte), durch Veröffentlihung der Gut⸗
achten von vier angejehenen Univerfitäten, unter denen fich
auch das erfurtifche befand, den gefällten Urtheilsſpruch zu
entfräften. Diefe Vorgänge und namentlich der Umftand, Daß
durch die Publication jener Gutachten die Univerfität‘ Erfurt
neben Paris, Köln und Mainz unter den Wortführern der
alten Partei erfihien, fteigerte die Erbitterung der Mutianer
auf den höchften Grad und führte fie zu den rüdfichtslofeften
Angriffen gegen jene, weldde der Univerfität dieſe Schmach
angethan. Nutzlos war es, daß die Urheber der Sentenz über
ihren voreiligen Schritt, den fie „mehr getäufcht, als wohlun⸗
terrichtet” gethan, Reue zeigten und fogar Miene machten,
geradezu den Beſchluß zu widerrufen?). Der Sturm, welchen
—— —
1) Sie erklärte fich folgendermaßen über den „Augenipiegel”: „Deceer-
nimus et declaramus supra memoratum libellum cum ejus declara-
tione annexa, ut praefertur nullam haecresin aut errorem ab ecclesia
publice damnatum manifeste sapere aut continere, perfidis Judaeis
non plus quam deceat aut jura permittant, favorabileın fore, aut
ecclesine dei seu sacris ejusdem doctoribus neque injuriosum neque
irreverentialem esse. Et ab omnibus ipsum Oculare speculum cum
ejus annexa declaratione (quam in singulis conjunctam cum libelle
et repetitam volumas) legi es publicari posse, diffamatione in con-
trarium ab adversariis dedncta non obstante. Bon der Hardt 1. c.
II, 114. J
2) Vgl. Mustr. vir. epp. ad J. Reuchl. y2 b. Huch die Briefe der
Dunfelmänner gedenfen der Sache. M. Cribelinioniatius fehreibt aus Rom:
„Bed jam recordor, quod nuper venit unus huc, qui dixit, quod Uni-
versitas Erfordiensis vult revocare sententiam suam seu determina-
tionem contra Joannem Reuchlin. Et si faecit, tuno volo dicere quod
— 113 —
fie einmal gegen ſich Heraufbefchworen hatten, Ließ ſich dadurch
nicht mehr befhwichtigen. Das Yahr 1514 hindurch war bie
Uniserfität fortwährend durch tumuftuarifche Auftritte der
Neuerer beunruhigt. Immer mehr verloren in Folge derſelben
die älteren Lehrer an Anſehen. Erſt jest fühlten fie recht den
Berluft, den fie vier Jahre früher durch die Zerflörung des
großen Gollegiums erlitten. Es ftand ihnen nicht mehr jene
ergebene, unter ihrem Einfluß in den Burfen gebildeten Schüler:
fhaar zur Seite, wie ehedem. Denn damit war es ihnen bei
jenem fonft fo glüdlichen Reactionsverfuche doch nicht gelungen,
auh die alten Burfenverhältniffe wiederherzuftellen ). So
ihres früheren Einfluffes auf die Iugend beraubt, waren fie
feines energiichen Widerftandes gegen die Angriffe der Neuerer
fähig. Die Berrängniß, in weldye die Scholaftifer bald gerie-
then, war jo groß, daß fle es fogar über fich gewannen, ſich
an Mutian felbft zu wenden und ihn um feine Hülfe anzu-
flehen 2). Damit Sprachen fie aber felbft auf das entfchiedenfte
ihre Demüthigung aus: fie anerfannten das Uebergewicht der
Neuerer. Nur Ufingen und Trutvetter ſuchten noch eine Zeit-
-—)4
omnes theologi, qui sunt ibi, sunt perfidi et mendaces, et volo sem-
per de eis dicere hoc scandalum, quod non manent cum sua Facul-
tate et defendunt zelosissimum virum Dominum Jacobum de Hog-
straten.‘“ Münch VI, 223.
») Es ift fehr bezeichnend, wenn der Berfafier des Confeflionales, um
den Eifer der Scholaren für das Beichtinftitut zu erweden, fie hinweifet
auf den Spruch des weifen Pittacıs Nosoe vempus und fe dann bittet,
einen Augenblick ihre elegifchen und fatirifchen Dichter bei "Seite zu legen.
So freundlich mußten die älteren Kehrer den Wünſchen ber Jugend ent-
gegenfommen, um noch einigen @influß über fe zu behaupten.
2) „„Tumultuatur Schola Erfordiensis, Latini et Barbari rixantur
inter se, Terrult Theologos noster Reuchlin, terret Sophistas Tilo-
ninus; gravatur et in extremo pericule laborat barbaries. Quo se
vertatnescit. Meam fidem implorat, quasi vero sim levis et aınbiguae
dei.“ Mut. ad Urb. Tengel p. 156. — Eine Vollendung biefer Erhe⸗
bung der mutianifchen Partei liegt darin, daß 1515 einer ber eifrigften
Mutianer, Herebord von der Marthen, zum Rector gewählt wurbe.
— 14 —
lang die Bartei aufrecht zu erhalten, bis endlich auch fie zum
Schweigen gebracht wurden.
Fortan. nimmt der mutianifche Bund ausjchließlich unfere
Aufmerkſamleit in Anſpruch.
V.
Es läßt ſich denken, daß Mutian alle Kräfte feines Buns
des hatte aufbieten müffen, um in fo furzer Zeit den Gegner
zu bewältigen. Jene Periode bildet in der That die aufge
regtefte jeined Leben. Wiederholt erjchien er in Erfurt —
wozu er fih früher nur höchſt ungern entſchloß — um die
Seinigen zur Ausdauer zu ermuntern. Häufiger jedoch gefchah
es, daß diefe in der früheren Weife fich zufammen nach Gotha
aufmachten. KHocherfreut empfing fie der Meifter — ihre Ans
zahl war ihm nie zu groß — und führte fie alsbald in ven
gewohnten Verfammlungsfaal. Da jah man ringsumher an
den Seitenwänden die Wappen der gefeiertften Vertreter der
neuen Richtung und der vorzüglichiten Mitgliener des Bundes *),
Gefprochen wurde von den Fortjchritten der PBoeten, von dem
Kampfe gegen die Theologiften und Sophiften in Erfurt.
Bittere Ausfälle gegen lebtere würzten das Mahl, welches bei
jolden Gelegenheiten nie fehlen durfte 2). Bon Mutian lernte
man, wie der Angriff zu unternehmen fei, von ihm empfing
ı) Bgl. Ricii Cordi Nocturnae Periclitatienis expiatorium poema.
(Opp. Cordi 81)
Pictus habet paries multorum insignia vatum
Quos tali junctos semper amore colit etc.
Ohne Zweifel befanden fich die meiften der von. Gamerarius (tert. libell.
epp- C 8 a) angeführten Wappen in jenem Berfammlungsiaale.
2) Nah den Mitiheilungen des Jonas in feinem Sendfchreiben an
Crotus müflen diefe gothaifchen Unterhaltungen mitunter fehr frivol geweſen
fein. Dal. Epistela Anonymi ad Joannem Crotum Bubeanum verum
huncce Inventorem et autorem Epistolarum Obscurorum Virorum
manifestans. ed. Olearius Arnstad. 1720. 8°. p. 14.
— 115 —
der Einzelne feine Verhaltungsmaßregeln. Wie hätte die alte,
ohnehin durch den Verluft der academijchen Inſtitute jo bedeu⸗
tend geſchwächte Partei den Angriffen einer jo feft gefchloflenen,
einheitlich geleiteten Schaar auf die Dauer wiverftehen koͤnnen!
Indeß befchränkte Mutian auch währen dieſer Zeit die
Zhätigfeit feines Bundes keineswegs auf den Kampf gegen
die Sophiften in der Nähe. Wie diefe vorzugsweife durch ihre
Annäherung an die Kölner feinen Unmwillen gegen ſich hervor
gerufen Hatten, jo war überhaupt die Fölnifche Angelegenheit
für ihn die leitende. Mit der größten Theilnahme wurde Reuch-
lin’d Streit auf allen feinen Entwidelungsftufen von ihm ver-
folgt. Ale Schriften und Gegenfchriften, welche den Streit
betrafen, fand man bei ihm. Hochftraten’d Name wurde nir-
gende mehr gehaßt, Reuchlin's Ruhm nirgendwo mehr gefelert,
als in Mutian’d Kreife. Faſt war es gleichbedeutend, Reuch-
lin's Xobredner und Mutian’s Sünger fein. „Keine angeneb-
mere Kachricht Fannft du ihm bringen“, fagt Cordus, der eben
durch das Lob, welches er Reuchlin fpendete, die verlorne Gunft
des Meifterd wiedergewonnen hatte!), „als die, daß Gapnion
feine gottlojen Gegner befiegt habe. Diefen preife als einen
großen Mann, ald den erften Dichter, freundlich wird Dir dann
Mutian begegnen und Di in feinen Bund aufnehmen” 2).
Die Anzahl derer, welche diefe Aufnahme fuchten, war aber
—— — —r —
1) Mutian lieg auch jetzt feinem poetiſchen Talente Gerechtigkeit wider:
fahren, ja er verwandelte, um ihn auszuzeichnen, feinen Ricius in Euricius:
„Legerat ut Rici versus, Euricius esto
Rufus ait, studii est, syliaba prima tui.‘‘
Cordi Opp. 9%. |
2) „Non optata magis dabis illi nuncia quam quae
Impia Capnionem monstra domasse ferunt.
Hunc magnum laudato virum primumque poetam,
Plurima victorem secla valere jube
Sic tibi se facilem Rufus praebebit amicum
Inque sodalicium te leget inde suum.‘
Cordi Opp. 81.
— 16 —
ſehr groß. Denn je mehr das Anfehen ver ſcholaſtiſchen Bartei
abnahm, defto höher flieg Mutian’d Einfluß. Bon Neuem fing
die Sugend der Univerſität an, fih um den gelehtten Cano⸗
nicus von Gotha zu fammeln!). „Täglich frönien bei mir“,
ſchreibt diefer felbft hocherfreut 1514 an Reuchlin, „gute Juͤng⸗
linge zujammen, denen Capnion im Munde und im Herzen
lebt” 2).
Mutian’d Wirkfamfeit hatte damals fchon die Aufmerf:
famfeit ded ganzen humaniſtiſchen Deutfchland erregt. Ja fogar
gelehrte Italiäner wurden auf ihn und feine Süngerfchaft auf-
merffam 3). Gefeierte Vertreter der neuen Richtung, Männer,
die mitten in den Beftrebungen ihrer Bartei fanden, fuchten
feine Bekanntſchaft. Schon im Sommer 1513 finden wir den
eifrigen Rhagius Aefticampianus in feiner Umgebung *). Im
folgenden Jahre verweilten der Fölnifche Humanift Sobius und
der gelehrte Engländer Erocus längere Zeit bei ihm). Solche
Beweiſe von Anerkennung waren für Mutian nicht nur eine
Aufmunterung, fondern er wurde dadurch auch in den Stand
gefeßt, fih eine genaue und umfaflende Kenntniß von den
Beftrebungen jeiner Partei und den Einzelheiten des großen
Kampfes zu erwerben). Wohl Wenigen feiner Zeit ftand dieſe
ı) Zu ben Namhafteften, bie um dieſe Zeit ih an Mutian anfchicfien,
gehören Johannes Algesheim aus Gröningen, Juſtus Menius und Adam
Kraft aus Fulda, Johann Lange aus Erfurt.
2) Mustr. vir. epp. ad Reuchl. Z 3 a.
2) Man vergleiche darüber ben fehr interefianten Brief des Neapoli⸗
taners Chryfoftomus an Mutian bei Tengel p. 1714.
2) Bol. M. B. F. fol. 217 a und Tengel 167. Mutian nahm ihn
fehr ehrenvoll auf und rief feine SJüngerfchaft zufammen, um ihn zu
begrüßen. Rhagins fland übrigens fchon vorher mit Mutian in Brief:
wechjel; vgl. Alt. libell. epp. J 8 b.
8) Bol. Mustr. vir. epp. ad Reuchl. Z 8 a und Tengel p. 118.
6) So überbradhte ihm Sobins Nachrichten von Erasmus, Bufch. Hochs
firaten und Ortwin Gratins; von dem berühmten Buchdrucker Thomas
Anshelmus in Tübingen, dem Berleger der meiften Schriften Reuchlin’s,
welcher ihn ebenfalls befuchte, ließ er fich über Bücherangelegenheiten u.dgl.
unterrichten, (Lih. nov. epp. J 8 a) u. f. w.
— 117 —
in jolhem Umfange zu Gebote, ald ihm. Es ift bezeichnend,
wenn Mojellanus einmal in einem Briefe an Eoban fid) jeder
Mittheilung über den Stand der reuchlinifchen Angelegenheit
enthält, weil jener den Mutian in feiner Nähe habe!),. —
Eine jo ausgedehnte Kenntnig von Allem, was den Streit
der beiden Parteien betraf, wurde Mutian theilweife auch durch
den brieflihen Verkehr vermittelt, welchen ex mit einigen, noch
nicht wieder zurüdgefehrten Mitgliedern jeiner Züngerfchaft unter:
hielt. Noch war Jonas von Wittenberg nicht wieder heim-
gekehrt, Erotud wurde in Fulda zurüdgehalten, Eoban hielt ſich
in Leipzig auf, während Hutten noch in Italien fein Glüd vers
fudte?). Mit Ausnahme des Jonas fanden fie alle mit Mutian
in lebhaftem Briefwechjel. Am wichtigften indeß war ohne
Zweifel der, welcher zwiſchen Mutian und Petreius geführt
wurde. Auf Anrathen des Lehrers hatte fih nämlich letzterer
im Auguft 1513 abermals von Erfurt aufgemacht, um die beiden
Heroen der neuen Wiffenichaften Tritheim und Reuchlin per-
fönlih aufzufuchen und dann eine Reife nach Italien, dem
Lande der hHumaniftifchen Sehnfucht, anzutreten ?). Im Anfang
ı) Hel. Eob. et amicor. epp. fam. p. 26.
2) Unter feinen damals abweienden Freunden erwähnt Mutian einen
Emanuel. Im J. 1513 war er in Rom, wenigftens glaubte dies Mutian,
der deshalb den Urban erfucht, den Petrejus zu ermahnen, daß er ebenfalls
nah Rom reife. ‚‚Emanuel, quem novit Romae est, ubi industriam
exercet, non sordidus ut ceteri nimis jejuni et angusti animi in emen-
dis ac vendendis beneficiis,. Homo est sanctiss. et integer. quae
omnia eo spectant, ut Petreo autor sis maturandi abitus. Nam noster
est Emanuel.‘ Tengel 138. Schon in einem früheren Schreiben an Ero:
tus gedenft Mutian des Emanuel. „‚Epigramma mihi dedit Emanuel
adhibita lege, ut id tibi et Eobano, quos amicissimos vocat et merita
laude celebrat, exhiberem.“ Lib. nov. epp. K 2 a. Offenbar ift Ema-
nuel ein fingirter Name Man fühlt fih unwillführlich verfucht, an Hutten
zu denfen, der ſich 1518 in Stalien aufhielt und mit dem Betrejus wirklich
in Rom zufammentraf. Auch die innige Yreundfchaft des Emanuel mit
Eoban und Erotus paßt trefflich auf Hutten.
2) Mutian verfah ihn mit einem Smpfehlungsichreiben an Tritheim.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 12
— 118 —
des Sahres 1514 Fam er in Italien.an. In Rom, wohin er
fih alsbald begab, traf er zum zweiten Mal mit Hutten zuſam⸗
men. Der römifche Aufenthalt wurde für ihn um fo wichtiger,
da er eben in jene Zeit fiel, wo Reuchlin's Angelegenheit, die
auch durch das Urtheil der ſpeier'ſchen Commiſſion nicht Hatte
erledigt werden koͤnnen, an der päpftlichen Curie verhandelt
wurde. Eben von Rom aus trat Petrejus in einen ebenfo
lebhaften als wichtigen Briefwechiel mit Mutian. Er fchrieb
in jedem Monat zweimal. — Petrejus erhielt Lehrer und Ge
noffen fortwährend in Kenntniß über das, was in dem Haupt-
lager ver ftreitenden Parteien geſchah 1). —
Wie ganz anders fühlte ſich Mutian jebt, als zu jener
Zeit, wo er einjam mit Urban und Spalatin „den engen und
fteilen Weg” der neuen Wiffenichaften wandelte! Mit welchen
Hoffnungen blidte er jebt der Zukunft entgegen! Vollkommen
war er fih der Bedeutung bewußt, die er mit jeinem Bunde
für die Sache der Humaniften habe?). Er jelbft machte wohl
jeine entfernteren Freunde aufmerfjam auf die ftreitbare Manns
ichaft, die er zum Kampfe gegen die Barbaren herangebilbet
und die er jeden Augenblid in das Treffen führen fünne. Schon
im April 1514 that er feinem Freunde Georg Agricola in
Breslau die Abficht Fund, wenn es nöthig fei, feine Fampfluftige
Schaar gegen die „fanatifhen Predigermönche“ vorrüden zu
laffen 3). Zuverfichtlih ſprach er von der Niederlage, melde
engel p. 166. Daſſelbe ift d. d. 5 Id. Sextil, Er felbft Fündigt feine
Abreife in einem Schreiben an Spalatin d. d. Id. Aug. auf den nächften
Dienftag an. (Vgl. Hekelii Manipulus Iepp. singul. p. 111.) Im Anfang
1514 fchrieb er bereits aus Italien an Mutian. Erhard’s Angabe (1. c.
IE, 287), daß er erft 1515 nach Italien abgereifet fei, if irrig. —
ı) Bol. über diefe Correfpondenz M.B.% fol. 2502, 350 b, 263 b u. a.
2) Bol. 3. B. M. B. F. fol. 158 a. ad Musardum: „‚Vidimus ro-
mana pallacia, Rabularum artes spectavimus. Sectam longe solidio-
rem comparavimus “°
2) „„Ego quoque ut inquit ille, minimus apostolorum contraxi
satis validam manum ei possum in cohorte nostra ostentare duces
— 179 —
die Gegenpartei in Kurzem erleiden werde „Se Du nidt
beforgt wegen der Gegner der Mufen.” ſchrieb er im Juni
1514 an Mufardug, „Jene werden es zu ihrer Zeit fühlen,
wen fie gereizt haben” 1).
VL
So jehr auch diefe und ähnliche Aeußerungen ein baldiges
offene und entſchiedenes Auftreten für Reuchlin und feine
Sache anzufündigen jcheinen, dennoch würde es irrig fein, an-
zunehmen, daß Mutian's Pläne je im Ernſt darauf berechnet
gewejen feien. Der Mann, welder fih aus Liebe zur „glüd»
feligen Ruhe‘ ganz von dem Schauplage des öffentlichen Hans
delns in faft Elöfterliche Einfamkeit zurückgezogen hatte, war
nicht dazu geeignet, an der Spige einer ftreitbaren Sünglings-
haar offen auf den Kampfplatz für Reuchlin zu treten. Faffen
wir die Schätigfeit, welche damald im Innern feined® Bundes
entwicelt wurde, etwas näher in's Auge, fo überzeugen wir
und fehr bald, daß e8 in der That nicht die Waffen des offenen
Kampfes waren, die Mutian für Reuchlin zu führen gedachte.
Der mutianifche Bund war während der Jahre 1513 und
1514 der geheime Sit einer Außerft lebhaften fatirifchen Thätig-
keit. Gegenftand der Satire war das Verfahren der Kölner
gegen Reudhlin.
Wir fahen, wie Mutian fich ſchon im Kampfe gegen die
Ganonifer in Gotha der jatirifchen Waffe bediente. Die bittere,
farfaftifche Stimmung, welche er damals verrieth, gewann bei
den unaufhörlich fortgefebten Reibungen mit feiner Umgebung
et principes viros et de sacris Abbas et magnos jovis epulones, ex
ordine literario quasi quosdam Cataphractos et antesignanos, quos
agmine facto educemus, si necessitas postulaverit contra fraterculos
casearios et phanaticos paedicatores, hem praedicatores dicere volui.‘“
Ad Agricolam. M. 3. 3. 185 b.
1) Tentzel p. 1593.
12°
— 10 —
immer mehr über ihn die Herrfchaft. Yrüßzeitig wurde jeine
Süngerfchaft von derſelben angeftedt. Schon im Jahre 1509
verbefjert Mutian einen ihm von Herebord vorgelegten fatirifchen
Verſuch, der in überaus bitterm Tone die Genußfucht und Un
wiffenheit des römifchen Clerus behandelt). Wie reichlichen
Stoff bot bei diefem Hange zur Satire der Fölnifche Streit!
Schon die im Herbft 1512 veröffentlichten Artikel des Arnold
von Tongern erregten bei Mutian den Gedanken, fie durch ein
fatirifches Gegenſtuͤck unſchädlich zu machen 2). Im Juni 1513
überſandte er an Crotus einen ſatiriſchen Dialog, der ſehr
gehäſſige Anſpielungen auf die Bervammungsfucht der Fölnifchen
Theologen enthält?). Ein anderes ähnliches Gefpräch, welches
er ungefähr um die nämliche Zeit an Urban fchidte, hat die
Unmäßigfeit und den Geiz der Theologen zum Gegenftande %).
Es ift als ficher anzunehmen, daß er ähnlicher Schriften Damals
noch mehrere abgefaßt hat. „Denn um die Schmähungen der
Gegner leichter zu ertragen,“ war fein Grundſatz, „ftärke id
mich durch ſolche Poſſen“ 5).
Es entjpricht ganz der Handlungsweife Mutian’d, daß er
bei der Mittheilung folcher fatirifcher Erzeugniffe mit der größten
— nn
1) M. B. F. fol. 238 a4. Es kommen darin fehr obfcoene Stellen vor.
— Bezeichnend ift es auch, daß Bebel's Facetien fo großen Anklang in
Mutian’s Kreife fanden, Mutian felbft dachte einmal daran, mit einem
ähnlichen Werke aufzutreten. Tenkelp. 179. Bebel's Triumphus Veneris
wurde wirklich von Tiloninus, der einen Triumphus Cupidinis jchrieb, nad:
geahmt. M. B. F. fol. 213 a.
2) MWenigftens wüßte ich die Aeußerung in dem Briefe o an Urban: Si
licuit Theologis alienum opus vellicare, licebit et mihi cornicum ocu-
los configere (M. B. F. 167 a) nicht anders zu deuten.
2) Durch Verſehen findet fich derfeibe in der mutian. Brieffammiung
zweimal; fol. 119 b — 120 a und 196 a — b.
*) Tentzel p. 53.
9) Tengel p. 61. AdUrb. „Mittimus nugas aliquas non iNiberales,
Jucundas fore spero.. Nam ut dissidentium calumnias levius feram,
talibus ludicris firmo me ipsum.““
— 1831 —
Borficht verfuhr. Er bildete gewiffermaßen einen engern Aus
fhuß innerhalb feines Bundes, dem er dieſelben anvertraute:
nur feine PVertrauten Crotus, Petreius, Urbanus wurden in
das Geheimniß eingeweiht. Diefen machte ex aber die größte
Berfchwiegenheit zur Pflicht, er ermahnte fie namentlich, ſich
gegen unzuverläffige und noch nicht hinlänglich erprobte Freunde
nur vorfihtig zu äußern, diejenigen unter feinen Briefen, deren
Inhalt verdächtig war, fofort zu verbrennen !). Er tadelt Urban
darüber, daß er jedem, der fih für einen Anhänger der neuen
Richtung ausgebe, fein Bertrauen fchenfe. „Du bift ein guter
Menſch,“ jchreibt er ihm, „aber Du urtheilft nicht ganz richtig
über die Menfchen. Du glaubft, alle feien Dir ähnlich. Ich
benfe nicht jo. Ich kenne die Weißen und auch die Schwarzen” ?).
Das Mißtrauen, welches er in folchen Fällen, wo feine fati»
tifche Thätigkeit in Betracht kam, felbft gegen Männer bewies,
die bereitd längere Zeit feinem Kreife angehört hatten, wie
Schalbus und Mufardus, bildet in der That einen auffallenden
Gegenſatz zu der Freundlichkeit, mit der er fonft jedem „Reuch⸗
liniften” begegnete.
Auf jene aber, die Mutian in die Mitwifjenfchaft feiner
geheimen Thätigfeit 309, wirkte fein Beifpiel im höchften Grade
anregend. Wie bald wurde der Lehrer von den Schülern über:
troffen! Am thätigften erwies ſich Crotus, wie ja eben .er zu
Mutian in dem vertrauteften Verhältniſſe ſtand >).
m — —— — —
ı) Formeln wie „Sed haec mysteria sunto‘‘ „Non omnibus pateat,
tantum electis“ u. a. kehren in den Briefen an feine Vertrauten häufig
wieder. An Urban fihreibt er einmal: „Ais tecum esse Verpum. Hem
quid ais! Forsan est explorator, occule literas et omnia. Odi ego
eircumcisos.“ M. B. F. 1686. Wie er feine Freunde zur Berbrennung
feiner Briefe auffordete, fo vernichtete auch er die Briefe feiner Freunde.
M. 3. 5. 190 a erwähnt er beiläufig, wie er fo eben einige Briefe des
Erotus verbrannt habe. Diefem Umftande ift es zugufchreiben, daß wir
namentlich von feinem wichtigen Briefwechfel mit Grotus, Eberbach und
Hutten nur geringe Ueberrefte mehr haben.
2) M. B. F. 228 a.
®) Mut. ad Crot. „Sed tu is es, mi Crote, cujus benevolentiae
— 1832 —
Seit dem Jahre 1510 lebte Erotus in Fulda, wo er unter
der Gönnerfchaft des freifinnigen Hartmann von Kirchberg einer
Schule vorftand. Seine Stellung, fo angenehm fle auch war,
wurde ihm doch dadurch verleidet, daß man ihn nöthigte, auch
für die jungen Kloftergeiftlichen Borlefungen zu halten!). Un-
zufrieden darüber, daß er fein Leben „zwijchen einfältigen Meß-
prieftern * hinbringen follte, was ihm „unanftändig” fchien,
fuchte er fich feiner Lage zu entziehen?). Bald nahm er fich
vor, nach Erfurt zurüdzufehren, bald fann er auf eine Reife
nah Rom, die ihm jedoch von Hutten abgerathen wurde 3).
Sp traf ihn der reucdhlinifche Streit. Reuchlin’d Sache war
fofort auch die feinige. Das Verlangen, jelbft auf dem Schau⸗
plate ded Kampfes zu fein, führte ihn im Sahre 1513 nach
Mainz, wo er durch perfünliches Zufammentreffen mit Den
Hauptvertretern der Fölnifchen Partei in feinem Hafle gegen
Diefe noch beftärft wurde). Nach feiner Rüdfehr begannen
credam ct credidi semper omnia, etiam nugaliu, Jocos, urbanitatem““
M. B. F. 197 b. Erotus äußert über fein Berhältniß zu Mutian: „„Nul-
lius hominis unquam mihi exstitit carior amicitia aut morum simili-
tudo convenientior.‘“ Ad Camerar. Tert. lib. epp. F 4 b.
’) Opp. Hutt. I, 105.
2) Er äußert Darüber noch fpäter „‚Videtur incivile inter sacrificulos
Idiotas vitam terere, quibus societas nulla, nisi velis bibere, ludere
foenus et venerem sequi. — Vivere absque ullo consorte morum et
studii sors mihi videtur vitae belluarum inferior, quas natura simi-
litudine genuina conciliat.‘“ Crot. ad Mut. M. ©. der Herz. Goth. Bibl.
A, 379.
5) Opp. Hutt. I, 257.
4) Bol. feinen Brief an Reuchlin (1515) in mustr. vir. epp. ad
Reuchl. z 2 a. „Altero abhinc anno multa de te cum eo (Peperi-
corno) locutus sum, ut quod obscoeno corpore lateret loqucntis serme
mihi indicaret. Non recipit epistola, alioqui scriberem. Dedit literas
Arnobardistae, quibus ille tibi lapides e via tollere praecipit. Alte-
ras tuas, quas tu ad eundem Arnoldum dederas, requirendas doeuit
Moguntiae a Chordigeris patribus, cum quorum praefecto ie jurgium
descendi.“ — Grotus hat während jener Jahre mehrmals feinen Anfent-
balt in Fulda verlaffen. In dem oben angeführten noch ungedrudten Briefe
— 13 —
feine alten Leiden wieder. Erhöht wurden diefe jest noch da⸗
duch, daß ihm wiederholt beunruhigende Kachrichten über ven
Fortgang der reucdhlinifchen Angelegenheit zufamen ). Unter
ähnlichen IUmftänden war es, dag Mutian zu den Waffen der
Satire jeine Zuflucht nahm. Erotus fühlte fi um fo mehr
dazu aufgefordert, da er eben für die Satire ein angeborneg
Talent bejaß. Nicht Manchem feiner Zeit war die Gabe des
Wiges in jo hohem Grade eigen, ald ihm. Schon während
feines Aufenthaltes in Erfurt hatte er davon Proben abgelegt:
feine Freunde nannten ihn wegen feines Geſchicks, Allem, was
ihm vorfam, eine Tächerliche Seite abzugewinnen, „ven Alles
Berlachenden.” Mit diefem Talente wandte er fih nun zu-
nachft gegen die ihm widerwärtigen Mönche in feiner Rähe,
dann gegen ihre VBorfämpfer in Köln. Er fuchte und fand
darin jeine Entihädigung. „Mögen fie nur fchreiben, dispu-
tiren, toben, Propofitionen auf Propofitionen häufen”, läßt er
fih einmal über die Kölner vernehmen, „wenn die trägen und
fraftlofen Thiere nur wiffen, daß fie Gelchren Stoff zum Lachen
geben” 2). Die Briefe, welde er von Fulda aus an jeine
Freunde richtete, find voll von wißigen, jarfaftifchen Ausfällen
gegen Mönche und Theologen, nie läßt er eine Gelegenheit vors
übergehen, die Spihfindigfeit der Schulgelehrten zu verjpotten;
durch komiſche Nachahmung ihrer barbarifchen Ausdrucksweiſe
gibt er fie dem Gelächter Breis 2). Vor Allem aber ift ihr
an Mutian gedenkt er feines Zufammentreffens mit Reuchlin und Bufch.
Es if aber unbeſtimmt, in welches Jahr diefes fällt. —
1) Ihm zuerſt war jenes (irrige) Gericht über Reuchlin's Verdammung
zu Ohren gekommen und durch ihn wurde es in Mutian's Kreife verbreitet.
Zengel p 139. Er war darüber zum höchften srhittert. „‚Crotus meus
excandescit vehementer ob iniquissimum judicium, quo vir bonus et
doctus crudeliter et nefarie eircumventus est. Jugulandi potius
essent Theologistae crassi, obliti barbaria.“ 1. c. Mut. ad Urb.
2) Mlustr. vir. epp. ad Reuchl. z 2 a.
2) Wenn er 3. B. einen feitlichen Aufzug des Abtes Hartmann Ichildert,
fagt er, der fet in honorifcabilitudinationibus erfchienen. M. B. F. 179 b.
— 14 —
Verfahren gegen Reuchlin Gegenftand feines Angriffe. Mu:
tian und Hutten, mit denen er überhaupt am meiften verkehrte,
waren entzudt über den Inhalt feiner Briefe. Mutian nament-
ih fonnte die wißigen Einfälle. feined Freundes nicht genug
loben). Er hatte nichts Angelegentlicheres zu thun, als die
Briefe desfelben, die zumeilen geradezu den Charafter von
vollendeten Satiren gegen die Kölner annahmen ?), unter feinen
Bertrauten in Umlauf zu feßen. Erotus war ihm das Mufter
eines eifrigen Reuchliniften, ihn empfahl er den Uebrigen zur
Nachahmung ?).
Neben Erotus verfuchte fih auch Urban auf vem Gebiete
der Satire. Mutian felbft ermahnt ihn einmal, mit feinen
Geiftesproduften zurücdhaltend zu fein: fo viel wenigftend erficht
man daraus, daß diefe nicht immer das Licht vertragen konn⸗
ten *). Jedenfalls bedeutender war aber die Thätigfeit, welche
Petrejus auf demfelben Gebiete entwidelte. Geradezu fcheint
er fi mit Crotus zum Zwed einer gemeinfchaftlichen fatirifchen
Thätigfeit verbunden zu haben. Schon im Sommer 1513 fpricht
Mutian von überaus wigigen fatirifchen Schriften, Die er gemein
ihaftlih von beiden empfangen habe, deren feiner Spott ihn,
den bereitd Alternden wieder aufgeheitert und gleichfam ver:
jüngt habe). Merkwürdig, wit welchem Ernſt er davon redet.
ı) Man vgl. Stellen, wie M. B. 5. fol. 116 a, 198 a, 295 bu. a.
Hutten gedenft (TI, 313) einer epistola facetissima über das Magifterweien.
2) So fpriht Mutian einmal von 3 schedulae, die er von Crotus
empfangen „in tertia deridet adversarios Capnionis et simul me judi-
cem facit.‘“ Tengel p. 214.
2) Pal. Tengel p. 95.
4) „Tu nihil emitte. Omnia pone quamvis invitus in ignes.‘“
Tentzel 143. Als Vermittler des brieflichen DBerfehrs zwifchen Urban und
Diutian erſcheint (M. DB. %. 73 a) ein Jacob Zonarius. Es ift Derfelbe,
der auch zwifchen Crotus und Hutten ald Bote wandert. (Opp. Hutt. I,
104) und fpäter mehrere Satiren gegen die Kölner im Tone der Briefe der
Dunfelmänner jchrieb; vgl. darüber Heumann Documenta literaria p.
361. — —
$) Mut. ad Petre). „Qui urbanitatem non intelligit, hebetis est
— 15 —
„Die Götter mögen es glüdlich fügen!” jegt er Hinzu, „Unfere
Sache fteht gut.” Man fieht, e8 waren nicht leichte vorübers
gehende Scherze, zur eigenen Aufheiterung gefchrieben, fondern
Satiren, von deren Veröffentlichung fi) Mutian für feine Sache
die wichtigften Erfolge verſprach. Wer wird hier nicht an jenen
geheimen Plan erinnert, ven Mutian, wie wir ſahen, eben um
die genannte Zeit für Reuchlin im Schilde führte?
Wir treffen außerdem in dem mutianifchen Kreife mehrere
höchſt merkwürdige Schriften ebenfalls fatiriichen Inhalts an,
deren Urfprung wir nicht auf beftimmte Mitglieder desfelben
zurüdzuführen vermögen. So überfandte Mutian im Anfang
1515 feinem Freunde Hartmann einen fatirifchen Dialog, worin
die Xehrweife der parifer Theologen verfpottet wird, „ein heiteres
und wibiges, aber wahres und nothwendiges Werk“ 12). Daß
der Berfaffer desjelben nicht Erotus fei, erhellt daraus, daß
biefer eben bis um die genannte Zeit fortwährend in Hart⸗
mann’d Nähe lebte. Die merkwürdigſte Erfcheinung in diejer
et obtusi cordis. Tu homo sagacis et perspicacis ingenü et Crotus
vir’romnium horarum et valde lepidus, auditis et scribitis urbanissime,
festivissime, facetissime et vestris cavillis me jam senescentem exci-
tatis et restituitis mihi Juvenilem dicacitatem et Inetum atque sere-
num ingenium. Dii bene vertant. Salva res. Saltat senex si XLIl
annus senem facit.““ Tengel p. 153. Daß ber Brief 1513, alfo vor ber
Abreiſe des Petrejus nach Rom gefchrieben ift, ergibt fich daraus, daß Mutian
in demfelben die Aufnahme des Hallensis Ofücialis in feinen Bund meldet,
(nah dem Original des Briefes M. B. 5. 199 b), welche nach einem
andern Briefe (M. B. F. 170 a) 1513 ſtattfand. — Daraus ergibt ſich
zugleich, Daß das Geburtsjahr Mutian’s nicht 1473 (wie gewöhnlich und
auch von Erhard angegeben wird), fondern 1471 if.
I) „„Praeterea mitto ridiculum opus et facetum, sed verum et
necessarium: quo sub fictis personis Eathymemata Theologorun Par-
rhisiensium eluduntur. Jucunda sane lectio et stilus pragmaticorum.
Habemus ut spero tuae gratiae favorem. Volguinus noster remittab.‘“
Tentzel p. 198. So viel ich weiß, paflen die hier von Mutian gegebenen
Andeutungen auf feine der ung erhaltenen Schmähfchriften gegen die parifer
Theologen. Es ift wohl nur von einer Handfchrift die Rede, die fpäter
verloren gegangen.
\
— 186 —
Hinficht ift der Triumphus Capnionis. Diefe ihrem Urfprunge
nach fo räthfelhafte, durch ihre Anfpielungen auf die Briefe
der Dunfelmänner höchft auffallende Schrift '), deren Abfafjung
allgemein in das Fahr 1515 verlegt wird, finden wir bereits
im Sommer 1514 in Mutian’d Beſitz. Er überfendet fie an
feine vertrauteften Sünger, ald ein Schredimitsel gegen Die So-
phiften, ohne fich indeß irgendwie darüber auszulaffen, wie er
in den Beſitz des Werfes gefommen?).
Geht uns da nit ein anderes Licht über jene Kriegs—
erflärungen und Siegesprophezeiungen Mutian’d auf?
VII.
Es konnte einen Augenblick ſcheinen, als würde die bitter
ſatiriſche Stimmung, welche ſich Mutian's und feiner Jünger
bemächtigt hatte, durch die Rückkehr des heitern und frohfinni-
—
ı) Abgedruckt in Opp. Hutt. II, 349—91. Wenigftens an fünf Stellen
fommen Anfpielungen auf die Epp. Obsc. Vir. vor.
2) Zum erften Mal gedenkt er des reuchlinifchen Triumphes in einem
Briefe an Urban M. B. 8. fol. 195 a. „Valeat ergo compendium vel
potius dispendium Trutfetteri, vel si omnino carmine delectantur dabo
triumphum Capnionis ab Accio Neobio concinnatum in Colonienses
Theologos, quem Sophistae apponant operi suo tam pulchello. Verum
hac lege do, ut in manumancipio sit tuo. Nam si Theobardis exhi-
beres, damni multum faceres et tu es optimus testis, quam iniquis
auribus acciperent.“ Ende Juni 1514 fordert er ihn gurüd dl. c. 243 a).
dod im Auguft befaß ihn Urban noch, denn am 8. Auguft fehreibt Mutian
an Eoban: ‚‚Ostendet tibi solertiss. pater Urbanus, praecipuus obser-
vator elegantiae latinae, Triumphum Neobii id est buschii, cui adhaeret
Hutteni Epigramma extemporale; fac pervidens.‘“ 1. c. 248 b. (Coban
fpiett auf das Werk an, wenn er bald darauf an Reudlin fchreibt: „La-
tinae civitatis senatus jam tibi Triamphum decrevit.‘“ Mil. vir. epp.
ad Reuchl. y 2 b). — Belanntlich wird Hutten gewöhnlich als Berfafler
des Triumphgefanges angefehen. Deffentlih in Drud erfchien er wahr:
fcheinlih erft Ende 1518. Reuchlin felbft kannte den Verfaſſer nicht. „Si
Jusseris Questenberge, tibi per stygem jurabo, me hujus libelli, quem
ad te nunc mitto, authorem ignorare“ fchreibt er am 12%. Februar 1519
an Queftenberg. Bol. Friedländer Beiträge zur Reformationsgeich. p. 86.
— 187 —
gen Eoban einigermaßen gemildert werden. Eoban fehrte näm-
ih im Sommer 1514 nad faft fünfjähriger Abweſenheit nach
Erfurt zurüd. Er hatte feit dem Tage feines Aufbruches von
Erfurt ein vecht bewegtes Leben geführt, doch fein offenes,
heiteres Gemüth, fein dichteriſches Talent, fein ftattliches
Aeußeres I) verfchafften ihm überall Freunde und Gönner. Der
gaftlihe Prälat Hiob von Dobened, an den er fi zunächft
wandte, nahm ſich feiner auf das zuvorflommendfte an und
fuchte ihn durch eine ehrenvolle Behandlung für immer an
feinen Hof zu fefleln. Er ließ ihn an wichtigen Gefandtichaften
nah Königsberg, Eracau, Warfchau Theil nehmen. Demun-
geachtet verließ Eoban feine dichteriiche Neigung nicht und meh:
tere Gedichte, die er von Rieſenburg aus an ferne erfurtifchen
Freunde ſchickte, zeigten dieſen, daß er feinem Berufe noch nicht
untreu geworden war. Ya eben jenes Gedicht, welches vor⸗
jugsweife feinen Ruhm begründet hat, „die Heroiden”, begann
er unter Preußens „unfreundlichem Himmel“ 2), Die Abficht
feines Gönners war, daß er fih den Rechtswiffenfchaften wid-
men und dann auf der vielverfprechenden Laufbahn eines Rechtes
gelehrten in Preußen fein Glück machen folle. Er verichaffte
ihm dazu die Mittel und im Anfang 1513 bezog Eoban die
Univerfität Frankfurt). Nur kurze Zeit verweilte er bier, nicht
mit juriftifchen Studien, fondern mit der Vollendung feiner He
toiden befchäftigt. Dann begab er ſich nach Keipzig, wo er mit
ı) Camerarins (Narr. de Eob.) fagt über fein Aeußeres: „Neque
ego facile existimo fuisse quemquam a primz ortu, cujus habitus
atque constitutio ac species cum Eobanico corpure conferri, nedum
kuic ut illa praeferri possent.‘“
2) Bal. Eob. Farr. I, 135 b.
2) Gamerarius in feiner Narr. de Eob. übergeht diefen Aufenthalt
Goban’s in Frankfurt; er ergibt fich aber ungweideutig aus mehreren Aeuße⸗
tungen Eoban's felbft. Vgl. Farr. 1. c. Im Juli 1513 fchrieb er von Frank⸗
furt aus an Zange. Epp. Eobani et amic. famil. p. 15. Auch Sabinus
(Eleg. XIII, 97) gedenft Eoban's Aufenthaltes in Frankfurt. —
— 18 —
vielem Beifall Vorlefungen über feine frühern Gedichte hielt!)
Den juriftifchen Studien fonnte er feinen Gefhmad abge
winnen. Died und noch mehr die Sehnjucht nach feinen lange
entbehrten erfurtifchen Freunden, brachten ihn im Sommer 1514
dahin, daß er, uneingedenf feines Wohlthäters, das Studium
der Rechtswiſſenſchaft gänzlich aufgab, Leipzig verließ und nad)
Erfurt zurüdfehrte 2). Wer war froher ale Mutian? Er bet
Alles auf, um zu verhindern, daß Eoban der abermaligen, drin
genden Einladung feines nordifchen Gönners folge, und ruhte
nicht eher, bis derfelbe wieder mit der Leitung der ſchon früher
von ihm verwalteten Severifchule betraut wurde ?). —
Wäre Eoban noch unverändert der frühere geweien, viel
leiht würde fich jein Einfluß in der angedeuteten Weije geltend
gemacht haben. Indeß brachte er felbft den veränderten Ber:
hältnifjen eine veränderte Stimmung entgegen. Die Erfah
rungen, welche er während der Zeit feiner Abweſenheit gemacht
hatte, die ſchroffe Haltung, welche die fcholaftifche Partei in
Frankfurt und Leipzig zeigte, perfünlicher Umgang mit mehreren
begeifterten Vertretern der neuen Richtung, wie Phachus und
Rhagius hatten auch Eoban in ein gefpannteres Berhältniß
zu dem alten Syftem gebracht *). Mutian, deſſen feharfer Blid
ı) Bgl. Epp. Eobani et amicor. famil. p. 246, wo fich feine Oratio
in praelectione Sylvarum olim Lypsiae habita findet.
2) Camerarius Narr. de Eob. „Ibi (Lipsiae) ille, quem natura
etiam a Musis aberrare non pateretür, et horror iractationis a studio
juris repelleret, oblitus voluntatis ac mandatorum Praesulis sui, pecu-
niam confecit, et libros grandes istos Legum atque Constitutionum
divendidit et mox Erphordiam ad incunabula doctrinae suae se
retulit.“®
2) Daß ihn der Bifchof freundlich wieder zu ſich einlud, erficht man
aus M. B. F. fol. 263 a. — Meber die Bemühungen des Mutian für
Eoban zu vergl. 1. c. 257 b. Tengel 207 und Relig. epp. Mut. p. 23.
“) Schon von Leipzig aus trat er mit NReuchlin in Briefmechfel, und
überfandte ihm feine Heroiden. wofür diefer ihm den Titel rex gab (mit
Anfpielung auf feinen Namen Hessus, &sonv). Vgl. Eob. Farr. I, 2202.
ml. vir epp. ad Reuchl, y 3 b.
— 19 —
dies al8bald wahrnahm, unterließ Nichts, um ihn in diefer
Richtung weiter zu fördern. Eben jener mit fo maßlofer Bitter
feit gegen die Scholaftifer abgefaßte „Triumph des Capnion“
war die erſte Schrift, die er ihm empfahl. „Lies ihn durch
und preife Bapnion, den größten Gelehrten,” fchrieb er ihm
ihon in den erften Tagen nach feiner Rückkehr. Eoban fland
bald feinen Freunden um Nichts nach. Jene ungemeflene Bes
geifterung für Neuchlin, der bittere Haß gegen die Fölnifche
Partei ging vollftändig auch auf ihn Über. Gerade er war es,
der der bittern, leidenfchaftlichen Stimmung, welche den Bund
beherrfchte, zuerft einen entfprechenden Ausprud verlieh. Dies
gefhieht in jenem denfwürdigen Schreiben, mit dem er im
Sanuar 1515 vor den Wortführer feiner Partei trat. Es offen-
bart mit der überjchwenglichten Verehrung für Reuchlin und
einer fchonungslofen Bitterfeit gegen die Kölner zugleih auf
das entfchiedenfte die Abficht, einen vernichtenden Schlag gegen
legtere auszuführen. „Möge Gott die Böjen ververben,” heißt
es in demjelben, „und ihr Andenken von der Erde der Xebenven
vertilgen.. Denn fie verdienen ed, daß jeder Gute fie haſſe,
nit blos als die Verfolger jeder Wiſſenſchaft, fondern auch
als die Verderber der göttlichen Religion. — Aber ih will fie,
foviel an mir liegt, prächtig in Schug nehmen und ihre Ber
theidigung jo führen, daß ich fie unfterblich mache. — Ich
habe neulich einige heftige Samben gegen die Fölnijchen Dia-
bologen — fo nennft Du fie ja — gemacht und werde deren
nody mehrere anfertigen und fie Dir überjenden, wenn die Zeit
kommt. Muth macht es mir, daß ich nicht allein flehe. Denn
ih hoffe, daß Hutten, Buſch, Erotus, Spalatin, Deine Lands⸗
leute Philomufus und Melanchthon und außerdem nody Viele
mit mir in die Siegestrompete ftoßen werden.” 1)
Gleichſam wie auf gemeinfame Verabredung traten nad
Eoban's Vorgang in der nächſten Zeit mehrere feiner Genoffen
mit ähnlichen Aufmunterungsfchreiben vor Reuchlin.
— — — —
i) Mustr. vir. epp ad J. Reuchl. y 3 a.
— 10 —
Noch in demjelden Monate jchrieb Erotus. Nach ven
heftigften Invectiven gegen „das verworfene Geichlecht ” der
Sophiften fordert er Reuchlin auf, im Kampfe gegen fie den
Muth nicht finkfen zu laflen. Um aber feiner Aufmunterung
um fo mehr Gewicht zu geben, bietet er ihm förmlich die Hülfe
ihres ganzen Bundes an. „Du haſt,“ redet er ihn an, „Mutian,
den großen Gelehrten; Du haft die ganze mutianifche Schaar.
Es gibt darin Philofophen, Redner, Dichter, Theologen, alle
Dir ergeben, alle für Dich zu ftreiten bereit. Eoban iſt im
Befib eined himmlifchen Talents, ein glüdlicher Dichter. —
In meinem Hutten verbindet fich Feuereifer mit Scharffinn.
Mit einem Male wird er den erbärmlichen Ortvin zu Grunde
richten. Es ift nicht nöthig, mehr zu verfprehen. Gib Auf
träge und Befehle, wir ftehen jederzeit zu Deinem Dienfte bereit” ').
Bon gleicher Begeifterung für Reuchlin zeugt das Schreiben,
welches Euricius Cordus um die nämliche Zeit an ihn richtete.
Reuchlin wird angeredet als der Ruhm des deutfchen Landes,
als die Wonne der Mufen, als der Batron der Wiffenfchaften,
als der über die barbarijchen Ungeheuer fiegreiche Hercules 2).
ı) Die Stelle ift wichtig genug, um fle auch im Origina herzuſetzen:
„‚Habes doctissimum virum Mutianum. Habes totum Mutiani ordinem.
Sunt in eo philosophi, poetae, oratores, Theologi, omnes tibi dediti,
omnes pro te certare parati. BEobanum Hessum caeleste ingenium
beat, scribit carmen summa felicitate. Vidisti credo ejus ludicrum
Bucolicon, in quo ostendit ille quid possit, si velit, In Hutteno meo
exultat ardor et subtilitas, uno impetu conficiet aridum Ortuinum.
Nun attinet plura promittere. Manda et jube, quandu voles prae-
sto erimus. Ipse in hoc colleyio non habeo arma Minervae, copi-
arum tamen tribunum me profiteor.“ — Der Brief ift datirt VH
Kalend. Februar. ohne Sahresangabe. Da aber derfelbe, wie ſich ans
zwei Stellen ergibt, aus Fulda gefchrieben if, wo Crotus bis 1515 weilte,
fo kann die Abfaffung nicht fpäter als 1515 fallen. Daß fle aber wirklid
in Diefes Jahr fällt, fchließe ich namentlich aus der Erwähnung des Eoban,
auf den Erotus erſt da hinweifen Fonnte, als derfelbe wieder in den Kreis
feiner Breunde zurücdgefehrt war. Der Brief findet fih Il. vir. epp. ad
J. Reuchl. z1 a—?2 b.
2) Charakteriftifch ift folgende Stelle: Salve, salve igitur, Salve
— 11 —
Auch Petrejus blieb Hinter feinen Freunden nicht zurüd. Noch
von Rom aus überfendet er ganz im Tone feiner Genofjen da-
heim ein Furzes, aber feuerigeds Aufmunterungsjchreiden an
Reuchlin. Er Spricht ihm Muth ein, verfichert ihn feiner Treue
und Anhänglichfeit, „denn wir Alle,” betheuert er, „die wir
und zum Dienfte der Pallas befennen, find Dir nicht weniger
verpflichtet, al8 die Soldaten ihrem Feldherrn, dem fie Treue
geſchworen“ 1).
Wird ſich die Thätigkeit des mutianiſchen Bundes nach
dieſem offenen und entſchiedenen Hervortreten ſeiner bedeutendſten
Mitglieder, nach ſo umfaſſenden und beſtimmten Hülfszuſagen
noch innerhalb der bisherigen engen Grenzen halten können?
inquam omnium optime et doctissime Capnion, integerrimae integri-
tatis homo. Immo adversus tot deterrima monstra ex olida barba-
riae palude emergentia invictissime Hercules. Iterum salve maxime
literatorum Patrone et assertor dulcissimum Musarum delicium.‘“
N. vir. epp. ad Reuchl. A 4 b. Auch diefer Brief (d. d. Herphortiae VII
Kal. Februar.) ift ohne Jahresangabe. Nach einer in demfelben enthal⸗
tenen Angabe ift er fpäter abgefaßt, als das Schreiben Eoban’s. Ich trug
um fo weniger Bedenken. ihn in den Anfang des J. 1515 zu verfeßen, da
Eordns allen Anzeichen nah im Anfang 1516 nicht in @rfurt (von wo
doch der Brief Datirt ift), fondern in Leipzig verweilte.
ı) Illustr. vir. epp. ad J. Reuchl. y 4 b.
— — — — — —
— 112 —
Bweites Capitel. Die Briefe der Bunkelmänner.
„Viginti amplius sumus in infamiam ac
perniciem vestram conjurati. ı Debetur hoc
Capnionis innocentiae, debetur vestro sceleri,
debetur reipublicae literariae.“
Hutten.
I.
Einige Zeit nach jenen feuerigen Aufmunterungsfchreiben,
im Anfang des Jahres 1516, erfchienen die Briefe der Dunfels
männer 1).
Jedermann weiß, von wie außerorbentlichem Erfolge das
Erfcheinen diefer Satire begleitet war. Recht eigentlich wurde
durch fie der reuchlinifche Streit entichieden. Der Ausſpruch
Roms, den man fo eben noch mit der größten Spannung erwartet,
verlor in Folge derſelben feine Bedeutung: ohne fhiedsrichterlichen
Ausfpruch fühlte fich vie Eölnifche Partei vernichtet.
Um jo auffallender ift das geheimnißvolle Dunfel, in wel-
ches der Urfprung diefer Satire gehüllt if. Vergebens fuchte
der Blick der hart getroffenen Kölner unter den Reihen der
Gegner nadı den PVerwegenen, die ed gewagt., diefe giftigen
Pfeile gegen fie zu fchleudern. Was noch feltjamer ift, felbit
der großen Maffe der Humaniften, die den Erfolg der neuen
Waffe anftaunten und bewunvderten, blieb der eigentliche Sad)
verhalt ein Räthje. Muthmaßungen, die man verfudhte, um
den Urhebern der Satire auf die Spur zu fommen, führten zu
den abweichendften Refultaten. Erasmus, Ulrih von Hutten,
1) Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum M. Or-
tuinum Gratium Daventriensem, Coloniae Agrippinae bonas literas
docentem, variis et locis et temporibus missae, ac demum in unum
volumen redactae. In Venetia impressum in impressoria Aldi Mi-
nutii. 4°.
— 193 —
Hermann van dem Bufche, Jacob Fuchs u. A. wurden nad)
und neben einander als Verfaſſer des Werfes genannt, Ein
noch mannigfaltigeres Echo fanden diefe fich vielfach Freuzenden
Stimmen der Zeitgenofien in denen der Nachkommen. Kaum
gibt ed noch einen bedeutenden „Reuchliniften,” deſſen Name
nicht fchon mit der Abfafjung der Briefe in Verbindung gebracht
worden wäre !). Die Wahrnehmung, die faft jeder bei Lefung
derfelben machte, daß fie nicht dad Product der fatirifchen
Thätigkeit eines Einzelnen feien, wurde dafür ausgebeutet, eine
möglihft große Anzahl von Mitarbeitern anzunehmen. Eine
einzelne Aeußerung, die in der Kegel unbeftimmt genug lautet,
genügte Manchem, um den bereits aufgeftellten Autoren einen
neuen hinzuzufügen. Das Verhältniß aber, in dem viefelben
zu einander geftanden, fo einleuchtend auch die Wichtigkeit davon
Iheint, fand wenig oder gar Feine Berüudfichtigung 2). —
Sept aber nicht ſchon der Umftand, daß die Verfaſſer eines
Werkes, das, wie fein anderes jener Zeit, fofort die allgemeine
Aufmerkſamkeit auf ſich lenkte, fich der Kenntniß der Zeitgenofjen
zu entziehen vermochten, ein nahes und inniged Verhältniß
jwifchen ihnen voraus? Und blieben fie fogar auch den Män-
— — — nn
1) Das vollſtaͤndigſte Verzeichniß der aufgeſtellten Autoren gibt Vogler
in „Altes und Menes fir Sefchichte und Dichtkunſt.“ Potsdam 1832. p.
231 ff. |
2) Erhard flellt, um nur diefen einen Fall zu erwähnen, als Berfafler
des erſten Buches der Epp. neben Crotus den Grafen Hermanı von Neuen:
aar und Peter Eberbach auf. Die beiden letzteren waren einander fo wenig
bekannt, daß Peter Eberbach, als er einige Jahre nachher nach Köln reifete,
einer Empfehlung des Eoban an den Grafen bedurfte. (Eob. Farr. I,
235 a.) — Wenn übrigens Erhard (I. c. II, 404) aus den Worten des
Neuenaar: „Contra Honstratum .... paucula ineptivimus‘“ (1. vir.
epp. ad Reuchl. t 3 b), welche ©. überfeßt: „gegen Hochftraten habe ich
einige Poſſen entworfen“ auf eine TIheilnahme bdesfelben bei Abfaflung der
Briefe fchließt, fo fieht jeder leicht, daß jenes ineptire nur ein Ausdrud
der Befcheidenheit if, eben fo wie anser, wie er fich felbft einige Zeilen
weiter bezeichnet. Der Zufammenhang fpricht überdies gegen eine Beziehung
anf die Epp. —
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 13
— 14 —
nern der eigenen Partei verborgen, müffen wir dann nicht auf
die Vermuthung geführt werden, daß das Band, welches fie
vereinte, ein innigered und feftered war, als das der allgemei-
nen humaniftifchen Einigung ?
II.
Die Haltung, welche der mutianifhhe Bund unmittelbar
vor und nad dem Erſcheinen ver Satire beobachtete, macht
einen eigenthümlich befremdenden Eindrud.
Dur jene ungewöhnlichen Anerbietungen und Hülfszu
fagen mußte die Hoffnung erregt werden, daß der Eifer des
Bundes für Reuchlin fih auch bald in einer ungewöhnlichen
Weiſe beihätigen werde. Man erwartet Legteres um fo mehr,
da der Bund gleichzeitig feine bis dahin an verfchiedenen Orten
zerftreuten Kräfte concentrirte: im Laufe des Jahres 1515
fehrten faft ſämmtliche abweſende Mitglieder desjelben nad
Erfurt zurück!). Alles läßt ſich an, wie zu einem wichtigen
Unternehmen, welches Mutian’s Schaar für Reuchlin beab-
fichtigt. Es befremdet, wenn wir gleichwohl Nichts von einer
energiicheren Betheiligung derjelben an dem reuchlinifchen Kampfe
vernehmen. Unfer Befremden fteigert fih, wenn wir das Be
nehmen Mutian’d und feiner Anhänger nady der Veröffent⸗
lihung der Epistolae obscurorum virorum etwas näher in’
Auge fafien. Man erwartet wenigftend, daß die Satire, die jo
ganz der herrjchenden Stimmung ihres Bundes entgegenkam, von
ihnen mit ungetheilten Beifall begrüßt worden fei. Aber wie
fehr finden wir ung in diefer Erwartung getäufcht! Der mutia
nifche Briefwechfel, der fonft jede neue literärifche Erſcheinung
ı) Im Anfange des genannten Jahres kehrte Erotus zurüd, ihm fol-
aen im Laufe des Jahres Lange, Jonas, Ceratinus, Petrejus. Auch Hutten,
der gegen Ende 1514 aus Italien heimfehrte, rüdte dem Kreife wieder
näher, obgleich fich nicht nachweifen läßt, daß er um dieſe Zeit felbft nad
Erfurt gefommen fei. —
— 19 —
jmer Zeit erwähnt, übergeht gerade die widhtigfte und folgens
teichfte, die Briefe der Dunfelmänner. Während das ganze
Heer der Humaniften aufjauchzt und den überraſchenden Erfolg
der neuen Waffe bewundert, wird gerade von jenen, die vorher
am bentlichften ihre. Vorliebe für die fatiriiche Kampfweiſe
befundet, die fih fogar in dem Gebrauche der fatirifchen Waffen
bereitö verfucht hatten, das tieffte Stillfehweigen beobachtet. —
In der That eine räthfelhafte Erfcheinung! Iſt es anzu-
nehmen, daß der Eifer für Reuchlin fo bald erfaltet fei, daß
die fatirifhe Stimmung fo bald nachgelaffen habe? Erfterer
Annahme widerfpridht, daß Reuchlin's Name fortwährend in
Mutian’8 Kreiſe mit unveränderter Ehrfurcht genannt wird.
Letzteres ift fo wenig der Zall, daß eben Furze Zeit nach dem
Erfcheinen der Briefe von Erfurt aus eine Meinere Satire ver:
breitet wurde, die Durch ihre auffallende Achnlichfeit fchon bei
Zeitgenoffen den Verdacht erregte, daß fie mit jenen in derfelben
Werkftätte gefertigt fei?).
Noch ein Ausweg bleibt uns übrig, das Räthfelhafte jenes
Benehmend zu erflären. Iſt vielleicht die Erwähnung ber
Satire eben wegen allzu naher Beziehungen, in denen man zu
ihr fand, von Mutian und den Seinigen gefliffentlich vermie-
den worden? Sind vielleicht die Briefe der Dunfelmänner eben
aus dem mutianifchen Kreife hervorgegangen? Hat vielleicht
Mutian’s Klugheit und Borfiht den Urſprung derſelben in
jenes merfwürdige Dunfel zu hüllen gewußt?
Rur dieſe Auffaffung der Sache fcheint uns zuläffig. —
Sollte Mutian vergeblich die ganzen Jahre daher den Geis
— — — nn
1) Luther, welcher dieſelbe von ſeinem erfurtiſchen Freunde Lange erhielt,
gedenkt ihrer mit folgenden Worten: „Ineptias illas, quas ad me misisti
de supplicationibus ad 8. Pontificem contra theologastros nimis ap-
paret a non modesto ingenio effictas prorsusque eandem olentes
testam, quam Epistolae obscurorum virorum.‘“ Luther an Lange.
5. Octob. 1516. De Wette I, p. 37. — Bol. auch Luthers Brief an Spa⸗
latin 1. c. p 38.
43*
— 194 —
nern der eigenen Partei verborgen, müffen wir dann nicht auf
die Vermuthung geführt werden, daß das Band, welches fie
vereinte, ein innigered und feftered war, als das der allgemei-
nen humaniftifhen Einigung ?
Il.
Die Haltung, welche der mutianifche Bund unmittelbar
vor und nah dem Erſcheinen der Satire beobachtete, macht
einen eigenthümlich befremdenden Eindrud.
Dur jene ungewöhnlichen Anerbietungen und Hülfszus
fagen mußte die Hoffnung erregt werden, daß der Eifer des
Bundes für Reuchlin fih auch bald in einer ungewöhnlichen
Weife bethätigen werde. Man erwartet Legteres um fo mehr,
da der Bund gleichzeitig feine bis dahin an verfchievdenen Orten
zerftreuten Kräfte concentrirte: im Laufe des Jahres 1515
fehrten faft fämmtliche abwejende Mitglieder desjelben nad
Erfurt zurück!). Alles läßt fih an, wie zu einem wichtigen
Unternehmen, welches Mutian’d Schaar für Reuchlin beab-
fichtigt. Es befremdet, wenn wir gleihwohl Nichts von einer
energijcheren Betheiligung derjelben an dem reuchlinifchen Kampfe
vernehmen. Unſer Befremden fteigert fi, wenn wir das Be
nehmen Mutian’s und feiner Anhänger nad der Beröffent-
lihung der Epistolae obscurorum virorum etwas näher in’s
Auge faffen. Man erwartet wenigftend, daß die Satire, die fo
ganz der herrichenden Stimmung ihres Bundes entgegenfam, von
ihnen mit ungetheiltem Beifall begrüßt worden fei. Aber wie
fehr finden wir ung in diefer Erwartung getäufcht! Der mutia-
nifehe Briefiwechfel, der fonft jede neue Fiterärifche Erſcheinung
1) Im Anfange des genannten Jahres kehrte Crotus zurüd, ihm fol-
aen im Laufe des Jahres Lange, Jonas, Beratinus, Petrejus. Auch Hutten,
der aegen Ende 1514 aus Italien heimfehrte, rückte dem Kreife wieder
näher, obgleich fich nicht nachweiſen läßt, daß er um dieſe Zeit ſelbſt nach
Erfurt gekommen ſei. —
— 195 —
jener Zeit erwähnt, übergeht gerade die wichtigfte und folgen«
reichte, die Briefe der Dunkelmaͤnner. Während das ganze
Heer der Humaniften aufjauchzt und den überrafchenden Erfolg
der neuen Waffe bewundert, wird gerade von jenen, die vorher
am deutlichften ihre Borliebe für die fatiriiche Kampfweiſe
befundet, die fich fogar in dem Gebrauche der fatirifchen Waffen
bereit verjucht hatten, das tieffte Stillſchweigen beobachtet. —
In der That eine räthfelhafte Erfcheinung! Iſt es anzu⸗
nehmen, daß der Eifer für Reuchlin fo bald erfaltet fei, daß
bie fatirifche Stimmung fo bald nachgelaffen habe? Erſterer
Annahme widerfpricht, daß Reuchlin's Name fortwährend in
Mutian’d Kreife mit unveränderter Ehrfurcht genannt wird.
Lebtered ift fo wenig der Fall, daß eben Furze Zeit nach dem
Erfcheinen der Briefe von Erfurt aus eine Meinere Satire ver:
breitet wurde, die durch ihre auffallende Aehnlichkeit ſchon bei
Zeitgenoffen den Verdacht erregte, daß fie mit jenen in derfelben
Werfftätte gefertigt fei’).
Roh ein Ausweg bleibt uns übrig, das Räthfelhafte jenes
Benehmens zu erflären. Iſt vielleicht die Erwähnung der
Satire eben wegen allzu naher Beziehungen, in denen man zu
ihr fand, von Mutian und den Seinigen gefliffentlich vermie-
den worden? Sind vielleicht die Briefe der Dunfelmänner eben
aus dem mutianifchen Kreife hervorgegangen? Hat vielleicht
Mutian’s Klugheit und Borfiht den Urfprung verfelben in
jenes merfwürdige Dunkel zu hüllen, gewußt?
Rur dieſe Auffaffung der Sache fcheint uns zuläffig., —
Sollte Mutian vergeblich die ganzen Jahre daher den Sei»
— — — — nn
1) Luther, welcher dieſelbe von feinem erfurtifchen Freunde Lange erhielt,
gedenft ihrer mit folgenden Worten: ‚‚Ineptias illas, quas ad me misisti
de supplicationibus ad 8. Pontificem contra theologastros nimis ap-
paret a non modesto ingenio effictas prorsusque eandem olentes
testam, quam Epistolae obscurorum virorum.“ Luther an Zange.
5. Octob. 1516. De Wette I, p. 37. — Bol. auch Luther's Brief an Spa-
latin 1. c. p 38.
180
— 1% —
nigen Haß und Kampf gegen die Scholaftif geprebigt Haben?
Der Feldzug gegen die „Barbaren“ war fein Lieblingsgedanke:
durch die Briefe der Dunfelmänner ift er in einer dem Geiſte
des Bundes entfprechenden Weife verwirklicht worden. Nicht
zwar, als ob diefe Satire dad gemeinfame Product aller Mit
glieder des Bundes geweſen fei. Eben die Vorſicht Mutian’s,
das Mißtrauen, welches er, wie wir fahen, gerade damals gegen
einzelne bezeigte, bürgt dafür, daß dieſes nicht der Kal war.
Obgleich innerhalb des Bundes entftanden, kann die Satire
deshalb doch nur das Werf einiger weniger Mitglieder des⸗
ſelben geweſen ſein.
Da iſt nun die Frage von Wichtigkeit, von welchen Mitglie⸗
dern des Bundes das folgenreiche Unternehmen ausgeführt ſei).
II.
Mutian felbft ift nie unter den Verfaſſern der Briefe
genannt worden. In der That fpridht Nichts dafür, daß er
bei Abfaſſung derfelben wirklich fchöpferifch betheiligt geweſen
fei. Er zog es immer vor, ſich an der „Thorheit“ Anderer zu
ergößen; die Scheu vor dem jchriftftellerifchen Auftreten hat
ihn nie verlaſſen?). Wie überhaupt, fo war auch in dieſem
Halle feine Bedeutung eine anregende. Er hat die Atmosphäre
geichaffen, in der ein Erzeugniß, wie. jene Satire auffommen
1) Da das Berzeichniß der Humaniften jener Zeit faſt erfchöpft if,
um die Verfafler der Satire ausfindig zu machen, fo muß die in Folgendem
aufgeftellte Anficht infofern auf den Anſpruch der Neuheit verzichten, als
fie die Abfaffung der Briefe nicht bisher noch ungenannten Männern
zufchreibt. Die Verfaſſer, die in Kolgendem anfgeftellt werden, find bereits
alle als folche genannt, aber freilich nicht in dieſer Verbindung, noch weni-
ger mit Beziehung auf den Hintergrund, welchen ber Ordo Mutianus
gewährt.
2) Bol. Camerarius Narr. de Eob. B 5 a. — Seine Eleineren fati:
tifchen Berfuche, deren wir früher gedachten, unterfcheiden fich durch Stil
und Haltung von den Epp. Obsc.
— 197 —
und gedeihen konnte, er hat den Berfaffern den @eift einge
haucht, der fie zu dem Werke befähigte.
Bon vornherein erregt Erotus Rubianus am meiften den
Bervacht, an der Abfaffung der Satire Theil genommen zu
haben. Alles, was fich in den Briefen ausfpricht, die unbe
grenzte Ehrfurcht für Reuchlin, den leidenfchaftlichen Haß gegen
die Fölnifche Partei, dad unvergleichliche fatirifche Talent, trug
fein bisheriged Leben auf das entfchiedenfte zur Schau. Er
höht wird der Berdacht gegen ihn durch fein Benehmen uns
mittelbar vor dem Befanntwerben der Satire. Sein Haß gegen
die Scholaftifer hatte eben damals in Folge der leuten Ereigs
nifje und feines perfönlichen Zuſammentreffens mit den Worte
führern derfelben den höchften Grad erreicht. Unruhige Pläne,
von denen er felbft mit großem Nachdruck fpricht, bewegten
feine Seele’). Was er bisher für Reuchlin gethan, genügte
feinem Eifer nicht mehr, und fchon das feuerige Schreiben,
welches er an jenen richtete, zeigt, daß er fich mit dem Gedanken
an ein bedeutendes Unternehmen gegen die Sophiften in Köln
vertraut gemacht hatte Wohl zu verfelben Zeit, als er von
Fulda jenen merkwürdigen Brief an Reuchlin ſchrieb, geſchah
es, daß er mit feinem Jugendfreunde, dem fo eben aus Italien
wieder heimgekehrten Hutten zuſammentraf?). Gewiß ein
bedveutungsvolles Zufammentreffen! Der Briefwechfel, in den
fie bald darauf gemeinfchaftlih mit Mutian traten, zeigt beide
— — — — —
3) Er ſchreibt in dem ſchon erwähnten aus Fulda an Mutian gerich⸗
teten Briefe: „Molior aliquid, ‚sed secreto, cooperatoribes nonnullis
patribus Bonifacianis. Non licet abesse sacerdotio aliequin non ma-
nerem in isto naufragio, cujus tempestatem pauci considerant.‘ Herz.
Both. Bibl. A 379.
2) Wenigſtens macht die Art und Weife, wie Hutten's in jenem Schreis
ben gedacht wird, Dies wahrfcheinlich. Daß Hutten überhaupt nach feiner
Rüdkehr von der erfien italienifchen in Fulda erſchienen fei, ergibt ſich
unzweifelhaft aus einem Briefe Mutian’s an Sunthaufen(M.B.%. 878 a).
Hutten's Verhältnis zu Fulda war immer ein fehr freundliches, er hatte
dort ſelbſt unter den Klofterleuten geheime Anhänger.
— 1% —
in einer ungewöhnlich aufgeregten Stimmung. Mutian felbft
beflagt fi über den Ungeftüm feiner beiden Freunde ).
Was damald des Crotus Seele bewegt, mit welchen
geheimen ‘Plänen er ſich getragen habe, darüber laffen uns
feine eigenen fowohl, als feiner Freunde Briefe vollftändig im
Dunkeln. Aus einer Andeutung, welche ſich in einem jpätern
Briefe des Eoban an Menius findet, erficht man zwar, Daß
Erotus Ungewöhnliches nicht blos beabfichtigt, fondern auch
geleiftet Habe 2), aber über den eigentlichen Inhalt feiner Thätig-
keit erfahren wir nichts Näheres. Crotus jelbft hat ſich ftets
über feine damaligen Beftrebungen nur mit der größten Zurüd
haltung geäußert ?), fogar da noch, als die Geheimhaltung ders
felben ganz zwecklos fchien.
Ueberhaupt harakterifirt Crotus neben feiner Richtung auf
die Satire eine eigenthümliche Abneigung gegen jedes öffent⸗
lihe Hervortreten mit feiner PBerfönlichkeit. Auch darin war
er. ein würdiges Ebenbild des gothaer Canonicus. So groß
auch fein Eifer für Reuchlin war, nie war er dahin zu bringen,
frei und offen für diefen in die Schranfen zu treten. Er hat
es geliebt, feine Pfeile aus dem Verborgenen gegen den Feind
2) Mutian an Urban: „Coenanti mihi redditae sunt Hutteni et
Croti literae. Dequeruntur et me quasi postulant brevitatis in scri-
bendo.‘“ Tentzel p. 325. Auch daraus erficht man, daß Hutten und Erotus
damals zufammen waren. —
2) Bol. Alter libell. epp. J 3 b. „Nisi te malis oculis esse et
ex consuetudine lippire scirem, extorquerem vel convitiis Gbi tuum
illud specimen, quo ab eo, quod Crotus dederat, non vidi pellucidius.“
Der Brief ift aus. dem Jahre 1524. Grotus war damals öffentlid noch
nicht als Schriftfteller aufgetreten.
2) Verhaͤltnißmäßig am offenften fpricht er fich über feine Theilnahme
an dem reuchlinifchen Streite in dem Briefe aus, den er im December 1530
aus Erfurt an Luther ſchrieb, (Epistela Croti Rubiani doctissimi ac
pientissimi viri ad Doctorem Martinum Lutherum. Wittenb. 1521.
8°.) aus dem auch Burkhard 1. c. III, 61 und II, IL1 einzelne Aeußerun⸗
gen mittheilt. |
— 19 — |
abzufchleudern. Mit diefem Hange verband er das Geſchick,
Mit» und Nachwelt in Unkenntniß über feine geheimen Bes
firebungen zu erhalten, in bewunderungswürdigem Grade. Er
begegnet uns fpäter noch in feinem Verkehr mit Herzog Albrecht
von Preußen als Erfinder einer Geheimjchrift '); neben feinem
öffentlichen Ramen bediente ex fich in wichtigen Briefen auch
eines geheimen?). Gern verzichtete er auf den Ruhm eines
angefebenen Schriftftellers im Sinne der neuen Richtung. Er
ſchrieb anonym, nur ein einziges Mal ift er mit einem Werke
unter feinem Namen hervorgetreten und, merkwürdig genug,
mußte eben dieſes dazu dienen, um den Schleier zu lüften, der
über feiner bisherigen umfangreichen literariſchen Tchätigfeit
geruht hatte. Jene Schrift namlich — es war die 1531 erfchienene
Apologie für den Churfürſten Albrecht von Mainz 2) — vollendete
den fchon längſt durch die Firchlichen Streitigkeiten eingeleiteten
Bruch zwifchen den Angehörigen des mutianifchen Ordens und
hatte dadurch zur Folge, daß auch andern Zeitgenofien ein Blick
in die Geheimniſſe jener Verbindung eröffnet wurde. Aufge⸗
bracht über die veränderte religiöje Oefinnung, die Crotus in
jener Schugfchrift befundet, erließ ein anderes Mitglied des
Bundes, der fchon genannte Juſtus Jonas, ein überaus hefr
2) Bol. Boigt Briefwechfel der berühmtehlen Gelehrten des Zeitaltere
der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen. p. 165.
2) Man erficht die ans einem Briefe des Gamerarius an Fuchs
(Tert. lib epp. S 8 a), wo Grotus auch unter dem Namen Cuſtor (Um⸗
feßung der Buchflaben von Erotus) aufgeführt wird.
°) „„Apologia, qua respondetur temeritati calumniatorum non
verentium confictis crimigibus in populare odium protrahere Reve-
rendissimum in ‚Christo patrem et dominum, do. Albertum Tituli 8.
Petri ad vineula presbyterum Cardinalem legatum natum, Archiepis-
copum Moguntinen. et Magdeburgen. Principem Klectorem, Germa-
niae Primatem, Administratorem ecclesiae Halberstadiensis, Marchi-
onem Brandeburgensem etc. a Joanne Croto Bubeano privatim ad
quendam amicum Conscripta.‘ 4%. Am Ende Lipsiae M. Blum excu-
debat Septemb. 1531.
— 0 —
tiges Sendfchreiben an feinen ehmaligen Freund, in dem er
rüdficht8lo8 die großartigften Enthuͤllungen über defien frühere
geheime Thätigkeit macht ?). Da werden nun die Briefe der
Dunfelmänner einzig und allein auf Crotus zurädgeführt.
Diefer erjcheint nach jenen Mittheilungen nicht etwa blos als
Mitwiffer und Theilnehmer, fondern als Erfinder und alleiniger
Verfaſſer der Satire?). Seine Thätigkeit wird darauf noch
nicht beſchraͤnkt. Im Bunde mit Hutten fol Crotus damals
eine große Menge von Dialogen, Epigrammen, Satiren gegen
Romaniften und Garvinäle gefchrieben Haben ?). Hutten felbf
wurde faft ausichließlich durch ihn angeregt *).
Die Autorfchaft des Erotus, für die von vornherein fo
Manches ſprach, wird dadurch unzweifelhaft gemacht. Sein
feltiames Benehmen in der letzten Zeit feines Aufenthaltes in
Fulda, feine unruhige Stimmung, die dunfeln Pläne, jene merk
würbdige Aeußerung des Eoban, alles dies wirb erflärt durd)
den Brief des Jonas, durch die Nachricht, Daß Crotus Berfaffer
der Epistolae obscurorum virorum ift.
—
ı) Epistola Anonymi ad Joannem Crotum Rubeanum verum huncce
Inventorem et Autorem Epistolarum Obscurorum Virorum manifestans.
Edid. Olearius Arnst. 1720. 8°.
2) Die fortwährende Wiederholung diefes Borwurfes nimmt fich faſt
widerwärtig aus; blos auf S. 11 kommen folgende Ausdrüde vor: Libellus
tuus, libellus iste tuus obscurorum scilicet virorum epistolae, tuum
inventum, Fidicule dicta tua, illa politia tus. —
2) „Quam vos duo heroes tu et Huttenus horribile bellum indl-
xistis universo Papistico nomini, quantis viribus, quam instructis et
ärmis copiis terra marique persequi Papistas induxeratis in animum.
Quot et quantis Dialogis, Epigrammatis, Satyris, scriptis latinis, Ger-
manicis exagitastis BRomanistas, Cardinales, Episcopos, praecipue
autem theologos et monachos. Superi boni! qui sales, quae dicteria,
l.c p. 10. |
%) „„Ad haec tu unus et primus paene author eras Hutteno, qui
Lutheranarum partium constanter mansit usque in finem, ut in Ger-
mania ad vexandos Omni genere scommatum Episcopos, Bomani Pas-
quilli Jibertatem et nagönoıav imitaretur.‘ 1. c. p. 12.
_ 91 —
indes, wie nicht felten nach aufgelöfter Freundſchaft, if
Jonas in feinem Eifer gegen den abtrünnigen Freund zu weit
gegangen. Nur zu bald entvedt man in jenem Sendſchreiben
ven PBarteieifer des Berfafferd und die Abfiht, dem Crotus
nicht blos durch ſchonungsloſe Aufpedung, fondern auch durch
Vebertreibung des Gegenſatzes zwifchen feinem damaligen und
früheren Verhalten zu ſchaden!). Das Mißtrauen, welches
dadurch gegen die volle Glaubwärdigfeit der Enthüllungen des
Jonas hervorgerufen wird, fteigert ſich noch dadurch, daß der
nämliche Autor, von Parteieifer verblendet, gleichzeitig auch in
feinen Mittheilungen über einen zweiten feiner ehmaligen, fpäter
mit ihm zerfallenen Freunde, an mehr als einer Stelle feiner
Leidenfchaft die Wahrheit zum Opfer bringt 2). Webertreibungen
find auch in vorliegendem Falle unverfenndbar. Mag Crotus
au, wie nad Allem nicht geläugnet werden kann, unter den
Berfaffern der Satire eine hervorragende Stellung einnehmen,
mag der erſte Gedanke in feiner Seele entfprungen fein, fichers
ih war er nicht, wie Jonas angibt, der alleinige Verfaſſer
derfelben 2). Unvereinbar ift jene Angabe mit dem Charakter
des Eroius, der immer zögernd und zurüdhaltenn, auch dann
noch, wenn er bereitd einen Plan in fich aufgenommen hatte,
1) Es hängt damit zufammen, daß der Kampf gegen Hochftraten und
feinen Anhang überall geflifientlich als ein Kampf gegen das Papſtthum
dargeftellt wird. Dadurch wird die fpätere Rückkehr des Crotus zur katho⸗
liſchen Kirche in ein viel grelleres Licht geftellt. Uebrigens wiflen wir —
und auch Jonas wußte es — dab Papſt Leo der X bei Mutian und Erotus
in hohem Anſehen fland. —
2) Die Berunglimpfungen, welde Georg Wicel von feinen fpätern
Biographen hat erfahren müflen, And zum größten Theil auf den gehäfflgen,
Iheilweife lügenhaften Bericht, welchen Sonas über fein Leben gibt, zuräd:
zuführen. Schon Strobel (Beiträge zur Literatur befonders des 16, Jahrh.
®. II, 273 ff.) deutet dies an.
2) Burfhard 1. c. III, 58 blieb deshalb mit Recht auch nach der Ber-
Öffentlichung jenes Sendfchreibens bei feiner frühern Anſicht, in Folge
deren er neben Crotus auch Hutten als Derfafler des erften Buches ber
Epp. anfleht.
— mM —
von feinen Freunden zur Ausführung desfelben ermahnt werden
mußte ’). Schwerlich würde er e8 bei jener ihm angebornen Scheu
und Unentjchloffenheit gewagt haben, den vernichtenden Schlag
gegen die feindliche Partei auszuführen, hätten ihm nicht Bundes:
und Gefinnungsgenofjen hülfreich dazu die Hand geboten.
Der wichtigfte unter diefen war Ulrich von Hutten.
IV.
Unter Mutian’d Anhängern war Ulrich von Hutten der
feuerigfte und ungeftümfte. Seit dem Augenblide, wo er dem
Klofter Fulda entwich, bietet fein Xeben das Bild einer fork
währenden Wanderung, einer unausgefepten Fehde gegen die
Sophiften. Als ftürmifcher Herold der neuen Wiflenfchaften
durchzog er den Norden und Süden von Deutichland. Erfurt
und Köln, Franffurt und Greifswalde, Wittenberg und Wien
waren Zeugen feines Eiferd. Sogar nah Italien hatte ihn
jein unruhiger Geift geführt. Aber troß dieſes unftäten Lebens
vergaß er doch nie den Ort, wo er durch den erften vichterifchen
Berfuch gewiffermaßen fein Befenntniß zu der neuen Richtung
abgelegt hatte, und die wohlmollenden Freunde, die er dort
gefunden, den väterli um ihn beforgten Crotus?), den froh—
1) Wichtig find in dieſer Hinficht die fortwährenden Ermahnungen
Wicel's in feinen Briefen an Erotus; vgl. Epistolarum libri IV G. Wi-
celii y 2 a, Ff. 4 bu. a. Das Berhältniß zwifchen Hutten und Crotus
erfcheint ung ganz anders, als Jonas es darftellt; fchon in feinen Querelen
fordert Hutten feinen ältern Freund auf, als Schriftfteller aufzutreten:
Kde aliquid, sed rumpe moras, impelle nocentem
Nunquam animum melius exacuisse potes.
Opp. Hutt. I, 56.
2, So fehildert ihn Hutten ſelbſt in feinen Klagen:
Ecce sedet Musasque inter pulchrosque labores
Et nostri curam Crotus amicus habet.
Opp. Hutt. I, 54. — Grotus nennt den Hutien in feinen Briefen nie
anders, als: „‚Huttenus meus.““ Ueberhaupt ift das innige Berhältniß
zwifchen Crotus und Hutten bisher viel zu wenig beachtet worden.
y
— 0 —
finnigen Eoban, den ihm eifrig zugetbanen Petreius. Im
Mutian ſah auch er das gemeinfchaftliche Oberhaupt, er liebte
und verehrte ihn’), und verfündete ed laut vor aller Welt,
wie viel er ihm verdanke. Yortwährend, felbft zur Zeit feines
Aufenthaltes in Stalien, blieb er mit Mutian in brieflichem
Verkehr, wichtige Nachrichten wurden viefem oft durch ihn ver-
mittelt 2). Auf der andern Seite wurde Hutten von Mutian
und feinen Anhängern trog feiner Abwejenheit als ein vorzüg-
liches Mitglied ihres Bundes angefehen. Crotus macht in dem
mehrerwähnten Schreiben an Reuchlin, wo er von dem mutias
nifhen Orden fpricht, außer Eoban auch Hutten befonders
namhaft. Sein Wappen fohmüdte ven Berfammlungsfaal des
Bundes. Hutten’d Gedichte wurden theilweife durch die erfur-
tifche Prefie in die Deffentlichkeit befördert, in dem erfurtifchen
Kreiſe eifrig gelefen und bewundert. Mutian felbft hat ihn
in mehreren Fleineren Gedichten verherrlicht ?).
Bor feiner Rüdfehr aus Italien hatte fi Hutten noch
nicht direct an dem reuchlinifchen Streite betheiligt. Unſchwer
ließ ſich indeß vorausfehen, daß er fich nicht lange mit der
Rolle eines bloßen Zufchauerd begnügen werde. Yür die Art
feiner nächften Theilnahme wurde jein Berhältniß zu dem
mutianijchen Bunde entjcheidend. Niemals war basfelbe leb⸗
bafter, niemals der briefliche Verkehr zwifchen Mutian und
Hutten reger, ald nach der Rüdkehr des letztern aus Stalien *).
—.
) Sogar noch zu der Zeit, als Mutian bereits den Planen des ſtürmi⸗
hen Ritters völlig entfremdet war, fpricht diefer feine Ehrfurcht für ihn
aus. „Ego certe hominem reverenter semper colui et nunc ut me-
retur studiosissime veneror et amo.‘“ Hutt. ad Eob. et Petrej. (1519)
Epp Eob et amic. ips. famil. p. 288.
2) Bol. M. B. F. fol. 314 a.
2) Am bezeichuendften ift das Cpigramm Mutian’s, welches fich in ber
Originalausgabe des zweiten Nemo findet; vgl. Opp. Hutt. II, 308.
4) Ans einem Briefe des Mutian an Coban erfieht man, daß Hutten
damals Mutian’s Vermittlung in Anfpruch nahm, um zu einem Amte zu
‚ gelangen. Bgl. Tenpel p. 308. (d. d. V Id. Mart. 1515.) — Üebrigens
— MM —
Sollte da die Stimmung des Bundes anf Hutten ohne Ei
fluß geblieben fein? — Noch wichtiger mußte für dieſen fein per
fönliches Zufammentreffen mit Erotus in Fulda werden, welches
gerade um jene Zeit flattfand, als letzterer über feinem geher
men Plane brütete. Wäre ed denkbar, daß Erotus „feinen“
Hutten, dem er jogar in der Ferne die Erzeugniffe jeines Wites
zugefandt, damals über feine Pläne in Unfenntniß gelaflen
hätte? Haben wir nicht vielmehr den feuerigen, alljeit kampf⸗
bereiten Hutten eben als den anzufehen, der den wankenden,
zaghaften Crotus in feinem Plane beftärkte, ihm Muth zur
Ausführung desfelben einflößte? Ich fürchte nicht zu weit zu
gehen, wenn ich annehme, daß jenes begeifterungsvolle Schreiben
des Erotus an Reuchlin eine Folge der von Hutten empfangenen
Anregung geweſen fei. Sollte Hutten fi) aber auf bloßes
Anregen, Aufmuntern beſchränkt haben? In der Art des Rik
ters lag das nicht, Die merfwürdige Aeußerung, in der Erotus
in dem berührten Schreiben an Reuchlin jeiner gedenkt, zeigt,
daß er weiter gegangen ift!). Hutten hat den Freund nicht
blos angefeuert, er hat feinen Plan auch thätig unterftüht.
Die Briefe der Dunfelmänner — natürlich if hier zunächſt
vom erften Buche die Rede — find theilmeife Hutten’s Werl,
Die Zeitgenoffen haben dies fehr bald geahnt. Leber
wiegend bezeichnete die öffentliche Meinung Furze Zeit nad) dem
Erſcheinen der Satire Hutten ald Verfaſſer derfelben. Des
verdient ed Beachtung, daß Feiner von den vielen Briefen, die Hntten an
Mutian richtete, uns erhalten if. — —
I) Es ift die Stelle: „In Hutteno meo exultat ardor et subtilitas;
uno impetu conficiet aridum Ortuinum.“ Il. vir. epp. ad Beuchl.
2 2 a. Marum nennt er gerade ben bisher fo wenig beachteten Ortwin,
wenn nicht die Stelle geradezu auf die Epistolae Obscurorum zu beziehen
iſt? Wie bezeichnend find in letzterem Falle Die Worte: Ardor et subtilitas?
— Erf mit Hinblid auf dieſe gemeinfchaftlich von Hutten und Erotus ent:
wickelte fatirifche Tätigkeit verfieht man die Meußerung. welche ber erkert
in feiner an Crotus gerichteten Vorrede zum zweiten Nemo allen läßt:
3„,AC suaviter interdum ridebimus hominum mores.‘‘ Opp. Hutt. II, 313.
— 9 —
Erotus gedachte man nicht. Diefe Auffaffung der Sache lag
ſehr nahe. Hutten war eins der vornehmften Glieder in den
Reihen der Gegner des alten Syſtems. Schon mehr ald ein-
mal hatte er mit niedergelafienem Bifter ven Kampfplagtz betreten,
Bas war natürlicher, als auch diefe neue Erfcheinung, die den
Sieg feiner Partei entfchied, auf feine Perſon zurüdzuführen ?
Den zurädgesogenen Erotus überfahb man. Bei der Vorſicht,
mit der er verfuhr, gelang es ihm, den öffentlichen Verdacht
zu vermeiden. Hutten kannte jeme Borficht nicht. Seine uns
vorfichtigen Aeußerungen ließen es felbR Männern von Eins
fiht nicht fraglich erfcheinen, daß er mit um den Urfprung der
Satire wifle, daß wenigſtens ein Theil der Briefe ihm die
Entftehung verdanke.
Erasmus redet von drei Berfaflern; daß er Hutten zu
ihnen zählte, erficht man fchon aus feiner Bemerkung, daß ber
allgemeinen Anficht zufolge eben der erfie Brief jenen zum Ber
faffer habe!). Wilibald Pirkheimer räth Hutten in einem
Briefe, ven Titel Obscuri viri in Clari viri umzuwandeln, das
mit auf dieſe Weite Me Mönche noch einmal getäuſcht würden,
ein Vorfchleg, der nur dem wirklichen Verfaſſer der Briefe
gemacht werden bonnte?). Der würzburger Canonicus Raurenz
Behaim, Freund und Gefinnumgsgenoffe Hutten’s, erflärt diefen
anummwunden für den Verfaſſer, „er fcheine es ja felbft nicht
zu läugnen” >),
Und in der That, er bat es felbft nicht werläugnet. Wie
dunkel werben nicht ſchon feine Ausprüäde In dem Briefe an
Reuchlin, wo er von einer Laft fpricht, die von Reuchlin’s
i) Bol. Erasmi Spengia in Opp. Hutt. IV, p. 434, 423.
2) Bel. Opp. Hutt. ZI, 839. „Mutzndus itaque tkulus ost et pre
obscuris clari viri sunt insoribendi, ut rurses nebwlones pecunias
dilapidare cogantur.“‘
’) Bgl. Houmanın documenta liter. p. 357. „YVidetur enim palam
Bon negare, se illas epistolas odidisse et quidem, ut mihi videtur, nom
satis prudenter propter pericalum.‘“
— 0 —
Schultern auf die ſeinigen übergegangen ſei, von einem Feuer,
das er ſchon laͤngſt anſchüre, von einem Verlachen der Gegner,
wenn wir nicht eine Beziehung auf die Briefe der Dunkelmänner
annehmen?) Unverholener fpricht er von der Sache, wenn er
in einem Schreiben an Erasmus, wo er ber päpfllichen Ber-
dammungsbulle gedenkt, auch fich zu den durch fie Getroffenen
rechnet 2). Ganz außer Zweifel wird feine Autorfchaft durch
die merkwürdige Aeußerung geftellt, die ihm in einem Briefe
an Pirfheimer entfällt, wo er ſich nämlich zu denen rechnet,
gegen welche die Lamentationen der Obfeuren gerichtet feien,
d. i. zu den Berfaffern unferer Satire).
Nicht mit Unrecht alfo bezeichnete die öffentliche Meinung
Hutten als Verfaſſer. Ließ fchon fein Verhältniß zu Crotus,
das uns den erften Faden zur Entwirrung der Sache darbietet,
feine Theilnahme an der Abfafjung der Briefe nicht mehr frag
lich erfcheinen, jo wird dieſe durch die Zeugniffe Fundiger Zeit
genoſſen und noch mehr durch feine eigenen Ausſprüche vollends
unzweifelhaft gemacht. Hutten war der Helfer, deſſen der ſchuͤch—⸗
terne Crotus zur Ausführung feines Planes bedurfte, feine
Theilnahme hat die Verwirklichung des Planes entfchieden.
| Die Einwendungen, welche gegen diefe Auffaffung erhoben
worden find, widerlegen fich leicht. Es ift bereitd gefagt, was
von der Glaubwürdigkeit des Zeugniffes des Jonas zu Halten
fei, welches den Erotus als alleinigen Verfaſſer der Satire
darftellt. Merkwürdig genug — das fidherfte Zeichen blinden
Eifers — wird demungeadhtet an einer Stelle fogar ausdrücd⸗
— — — — —
1) Dilustr. vir. epp. ad Reuchl. A 1a.
2) Opp. Hutt. II, 343. „Rumpantur ilia obscuris virlis, qui jam,
qua nos excommunicamur, ingentem circumferunt bullam, bene bul-
lam, quid enim tumidius, quid imbecillius.“ — Die paͤpſtliche Balle
gegen die Epp. wurde am 15. März 1517 erlaflen.
®) Opp. Hutt. III, 72. ‚‚Illam adkuc Capnionis causam mordicus
teneo, qua de in litteris tuis memtionem facis, Theologistas ‚auxisse
nescio quas suas adversum nos lamentationes.‘“
— 2907 —
lich eine Mitthätigkeit Hutten’d angenommen’), Gegrünveter
jheint das Bedenken gegen Hutten’d Theilnahme, welches durch
feine beiden Briefe an den Engländer Erocus in Leipzig her-
vorgerufen worden ift?). In dem erften Schreiben theilt er
Grocus mit, daß ihm das G®erücht von dem Erfcheinen der
Briefe der Duntelmänner zu Ohren. gelommen jei; er drückt
feine Freude darüber aus, „denn Barbaren müſſen barbarifch
verlacht werden,” und bittet den Crocus, ihm ein Exemplar zu
überfenden, da er das Werk noch nicht gefehen habe?). Das
zweite enthält die Rachricht, daß er nunmehr die Briefe wirk⸗
lih erhalten, zugleich aber die Klage, daß die Sophiften ihn,
Hutten, für den Berfaffer ausgäben, wogegen ihn Brocus in
Schutz nehmen fol *2). — Um Hutten feiner Unwahrheit zu
zeihen, hat man das erſte Buch der Briefe, auf das fich jene
Aeußerungen beziehen, dem Zeugnifie des Jonas folgend, für
das alleinige Werk des Crotus erflärt und Hutten’s Theilnahme,
die nach feinen anderweitigen Aeußerungen gar nicht in Abrede
geſtellt werden konnte, auf das zweite, 1517 erjchienene Buch
beſchraͤnkt. Hierdurch gejchieht allerdings einigen der berührten
— nn ne
ı) p. 11 heißt es: „„Quem libellum propter infinita ridicule dicta
tua in Episcopos in monachos, in Theologos etc. Erasmus ille Bo-
terodamus sic dieitur habuisse in deliciis, ut duas epistolas ejus prae-
clari operis, alteram tuam omnium salsissimam et elegantissimam,
alteram Hutteni ad verbum ediscere et in conviviis recitare non
dubitarit.‘“
2) Sie wurden 1801 durch C. &. Müller veröffentlicht: Epistolae
duae Ulrici ab Hutten ad Richardum Crocum. Beide wurden im Jahre
1516 gefchrieben.
®»)l. c.p. 5. „Barbare ridentur barbari .... sed mihi (qui haec
audio) videre non licet. Nondum enim ad oculos meos pervenerunt
isti quiqui sunt obscuri viri.‘“ (Bonon. Idib. Aug. 1516).
4) 1. c. p. 7. „Accepi Obscuros Viros: Dii boni! quam nen illi-
berales jocos! Verum ipsum me autorem non jam suspicantur Su-
phistae, sed ut audio, palam praedicant. Oppone illis te, et aliquam
absentis amici causam age, nec me istis sordibus pollui sine.‘ (Bonon.
XI Sept. 1516).
— 208 —
Beweisſsmomente Genüge, indeß die Mehrzahl derſelben findet
bei diefer Annahme Feine Erflärung Am wenigften. verträgt
fih dieſe Auffaffung mit dem Verhaͤltniß Hutten’s zu dem
erfurtifchen Kreife überhaupt und zu Erotus insbefondere, der
gewiß nicht verfaumt haben würde „einem Hutten“, wenn et
wirflich nicht betheiligt war, fefort ein Exemplar der Satire
zu überjenden, fo daß jeme Bitte an Crocus umöthig wurde.
Auch muß es bei jenen Briefen auffallen, daß Hutten fo außer
ordentlich fchnel von der Veröffentlichung der Satire Funde
erhalten hat, und noch mehr, das er zu einer Zeit, wo er angeb
Lich die Briefe noch, gar nicht gejehen, mit dem Inhalte der
felben nicht ganz unbekannt zu fein ſcheint!). Es bleibt alfe
nur übrig, anzunehmen, daß Hutten in dem vorliegenden Falle
abfihtlih den wahren Sachverhalt entftelt habe. Zwar if
nicht zu läugnen, daß Hutten ſonſt ein offenes und gerades
Auftreten liebte, aber es bilden doch Offenheit und Geradheit
nicht in dem Grade die hervorſtechenden Züge feines Charak
ters, wie Manche der Späteren geglaubt haben. Seine Zeit
genofien und Freunde urtheilen wenigſtens in diefer Hinſicht
nicht fo ängftlich über ihn ?).
}
V.
Es bleibt immer eine merkwuͤrdige Erſcheinung, daß zwei
Männer von fo verſchiedenen Charakteren wie der ungeſtuͤme
1) Wenigftens deuten dies Die Worte: Barbare barbari ridentur ar.
L. c. P. 5.
2) So erzählt Laurenz Behaim in einem Briefe an Pirkheimer von
einer Schrift Yutten’s, in welche bdiefer offenbare Unwahrheiten babe ein:
fließen laffen und zwar mit Borbebacht. ‚‚Corte vafer est, quae mers
sunt mendacia (et ipsee fassus est) inseruit in ii“ Heumann Docum.
Hit. p. 338. — Auch die zahlreichen anonymen Schriften, die unzweifelhaft
Hutten zum Berfaffer Haben, zeigen, daß er jener Berfiellung fähig war.
— Ran hat deshalb nicht nöthig, ihn in Mänch’s Werfe (Einleitung zu
Epp. Obsc. p. 57) mit Gründen der Kaſuiſtik gegen jenen Vorwurf zu
vertheidigen.
— 1 —
Gatten und der bis zur Yurchtfamfeit zaghafte Erotus fich zu
einem und beimjelben Unternehmen die Hand reichten unb es
mit fo vielem Geſchick ausführten. Das Befrempende, weldhes
diefe Thatfache hat, wird indeß fehr vermindert, wenn wir neben
ihnen einen Mann thätig finden, Ber die Gegenfähe ihres
Charakters auffallendet Weife in dem eigenen vereinigte und
fi eben dadurch zum Vermittler zwischen beiden eignet.
Diefe Stellung nimmt Petrejus ein,
Der unruhige Wanderungstrieb, den er fon in früher
Jugend durch mehrere Reifen zu den Humtaniftenfchulen in
Straßburg, Wien und Augsburg verrieth, feine Begeifterung
für Reuchlin, dem ex, einer der erſten, bereits 1513 feine Dienfte
anbot, fein maßlofer, zuweilen In den derbſten Ausprüden 1)
fundgegedener Haß gegen die Schulgelehrten, erinnern anf-
fallend an Hutten’s Auftreten und vermuthlich gefchah es nicht
ohne Einwirkung diefer Eharafterähnlichleit, daß ſich ſchon
friüchzeitig zwiſchen Petrejus und Husten ein inniges Freund-
ſchafts verhaͤliniß bildete. Mit Erotus theilte ex dagegen jenen
fatirifchen Zug, die Neigung und das Geſchick zu fatirifchen
Anfpielungen, zu witzigem Spott und Tadel Mutin und
Hatten wettelfern in ihren Lobpreifungen auf das vortreffliche
Zalent, welches Betreius in der Satire entwidelte?2). Eoban
weiß die witigen Ginfälle feines Freundes nicht genug zu
rühmen 2). Richt zu verwundern iſt es Deshalb, wenn Crotus
1) Bol. namentlich feine Aeußerung über die kölniſchen Artikel bei
Tempel p. 135.
2) Hutten nenn ihn „natura ad irridendum et facete objurgandum
valde accommodatus“ val. Eeb. et amic. epp. fam. p. 288. Mutian
bezeichnet ihn wohl als den ingenjosissimas amtcorum. Tengel 178.
2) Bol. 3. B. Eob. Farrag. I, 260 b.
„Tot versus tibl muneri remittam
Ouot toto tibi suggerunt ih anne,
Et Musae Veneresque Gratiaeque
Risus, scommata, fabulas, jocosque
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 14
— 210 —
vorzugsweife den Petrejus zu feinem Freunde und Genoffen
auserfah. Es gab in Mutian’d Jüngerſchaft Fein vertrauteres
Freundepaar. Was Erotus Keinem mitzutheilen wagte, das
vertraute er dem PBetrejus-an !).
So Hutten’s und Crotus' Cigenfchaften in feinem Cha
rafter vereinigend, mit dem einen und dem andern auf das
innigfte befreundet, hat Petrejus dazu dienen müffen, ‚auch die
Thätigfeit beider Männer zuerft in Verbindung zu bringen, ihr
eine gemeinfame Richtung zu geben. — Mit Erotus zufammen
fanden wir Petrejus bereitd im Sommer des Jahres 1513
heimlich auf dem beiden wohlbefannten Gebiete der Satire
befchäftigt. Die ungewöhnlihen Hoffnungen, ‘. welche ihre
Leiftungen bei Mutian erwedten, machten es unzweifelhaft, daß
ed fih nicht um leichte, vorübergehende Poffen handelte, die —
weil fie in Mutian's Kreiſe an der Tagesordnung waren, —
nie feine Aufmerffamfeit in fo hohem Grade auf fich lenkten,
fondern daß Erotus und Petrejus fchon damals den Plan
gefaßt Hatten, mit den Waffen der Satire einen Hauptfchlag
gegen den Feind zu führen ?).
Sm Auguft desfelben Jahres unternahm Petrejus feine
Reife nach Italien. In Rom traf er mit Hutten zufammen.
Beide traten von bier aus mit Mutian in Briefwechfel ?). Es
ift bemerfenswerth, daß jene. zuverfichtliche Hoffnung, die bei
Mutian duch die fatirifchen Erzeugniffe des Erotus und Pe
Urbanosque sales facetiasque
Petrei delitine facetiarum.“
1. c. 261 b. redet er ihn an: Imclyte dux ungwv.
1) Es ift ganz bezeichnend für diefes Berhältnig, wenn Crotus ſchon
im 3. 1581, alfo zu einer Zeit, wo er äußerlich noch den feurigem Luthe⸗
raner fpielte, geheim vor Vetrejus feinen Unmuth ausjchüttet über den Gang
der neuen Bewegung; vgl. Tert. lib. epp. E 8 b. Eine geheime Corte
pondenz zwifchen Petrejus und Erotus wird auch erwähnt l.c. F 4b.
2) Tentel p. 158.
2) M. B. F. fol. 249 b.
— 211 —
trejus erwedt worden war, durch die Briefe, die Petrejus aus
Kom an ihn richtete, unterhalten und genährt wurde !).. —
In dem Umgange mit Hutten entwidelte Petreius jenes
von erfterem fo jehr bewunderte Talent „au Spott und witzigem
Tadel 2). Wer erwehrt ſich hier des Gedankens, dag Petrejus
den Freund auch von der geheimen fatirifchen Thätigfeit in
Kenntniß gefebt habe, die er daheim, mit Erotus vereint, ent-
faltet hatte? Gewiß! Hutten ift durch ihm zuerft für die geheis
men Pläne, mit denen fi) Crotus trug,. vorbereitet und gewon⸗
nen worden.
Nach Hutten’s Abreife verblieb Petrejus noch laͤngere Zeit
in Rom, in nahem Verkehr mit den angeſehenſten Vertheidigern
Reuchlin's, mit dem gelehrten Minoriten Galatinus, mit Martin
Grvening®), überhaupt ganz der reuchliniſchen Angelegenheit
zugewendet, über deren Verlauf er auch gleichzeitig Mutian
und feinen erfurtifchen Yreunden die nöthige Auskunft gab,
Das letzte Zeichen feiner Anmwefenheit in Rom ift eben jenes
feuerige Aufmunterungsschreiben an Reuchlin (25. Auguft 1515).
Er verließ dann Rom und Stalien, und erfcheint noch in dem-
felben Jahre in dem Kreife feiner erfurtifchen Freunde, wo wir
ihn einige Zeit fpäter mit „ausgelafjenen Epigrammen“ bejchäfs
tigt finden*). Wer möchte behaupten, daß fein abermaliges
— — —
ı) „Nam si tenerer ulciscendi studio, non tuti essent Mori et
Lotius, quod tibi facile intellectu est Petrejana legenti promissa.““
Mut. ad Urb. M. B. F. fol. 100 b. Die Aeußerung bezieht fich auf einen
Brief, den er von Betrejus aus Rom empfangen. — Leider find alle Briefe,
die Petrejus und Hutten von Rom aus an Mutian richteten, verloren —
vermuthlich weil fle in bie Klaffe jener gehörten, die Mutian aus Borficht
zu vernichten pflegte. —
2) Menigfteus knüpft Hutten die Bemerkung über das fatirifche Talent
bes Petrejus eben an die Erwähnung feines Aufenthalte in Rom; vgl.
Eob. et amic. epp. fam. 288.
3) Bol. I. vir. epp. ad Reuchl. y 4 b.
4) „‚Petrejus et ego omnes fere dies consumimus scribundis Epi-
grammatis, sed ut plerumque lascivis, sine teste tamen.‘“ Eob. ad
14°
— 22 —
perfönliche® Zufammentreffen mit Crotus und der Briefwechſel,
den er um jene Zeit mit Hutten führte"), nicht in Beziehung
ftehe zu der Ausführung des Planes, der eben damals jene
beiden Männer auf das Iebhaftefte befchäftigte ?
VI.
Nie hat die Anſicht ganz beſeitigt werden können, daß auch
Eoban Heſſe bei der Abfaſſung der Briefe der Dunkelmänner
betheiligt gemwefen fei. Das innige Berhältniß, in dem derſelbe
zu Männern ftand, die man unzweifelhaft ald Verfaſſer der
Satire anfah, ſchien jene Annahme unabweisbar zu machen.
Was ihr am meihen entgegenſtand, war dad Bedenken, zu dem
fein Charakter Anlaß gab. Mit der Gutmüthigfeit, die nad
der Darfteluug des Camerarius in Eoban’s Charakter einen
fo hervorftechenden Zug bildet, fand die Mehrzahl eine der
artige fatirifche Thätigkeit unvereinbar 2).
Es ift wahr und wir felbft haben es bereitd früher ange
deutet, daß Eoban feine von den bittern, vorzugsweiſe ſatiriſch
Mut. Bgl. Eoban. et amic. epp. fam. p.9. Der Brief ift aus der erfien
Hälfte 1516. wie fih aus einer Vergleichung desfelben mit dem Briefe
Eoban’s an Lange (1. c. p. 16) ergibt.
») Hutten gedenkt diefes Briefwechfels 1. c. p. 288.
2) Bol. z. B. Erharb II, 397. Das Streben, ben verehrten Yreund
zu ibealifiren, bat ſich bei Gamerarius nicht felten auf Koften der Wahr:
heit geltend gemacht. Er felbft verhehlt Dies nicht, wenn er 3. B. fagt
„Reotius nos facturos esse statuentes, si aliquid omitteremus hono-
rifico de Eobano sensu, quam si omnia periculo opinionis alienae
evulgarentur.‘“ Narrat. de Eobano D 6 b. Es ift bezeichnend für die
Art, wie Camerarius ſchrieb, wenn Crato, der ihm einige Notizen über
Coban's Jugendgefchichte zufandte, die Werte beifügt: „Ouae tu pro tus
copia non sines esse paucula, sed amplificabis et illustrabis pro dig-
nitate. Tert. lib. epp. E 7 a. Dan flieht. mit welcher Vorſicht Game:
rarius’ Arbeiten benugt werden müflen. Für den vorliegenden Fall fümmt
Hinzu, daß Camerarius zu der Zeit, ald Epp. Obse. entflanden, dem erfur:
tischen Kreife noch ganz fern ſtand.
— 215 —
angelegten Raturen war, wie wir deren mehrere in Mutian’s
Umgebung anttafen. Er felbft hat wohl in fpätern Zeiten
jeine Gutmüthigfeit gerühmt, „Feinem Menſchen thue er etwas
zu Leide, obgleich er es wohl Fünne.” Indeß jo groß war doch
feine Gutmüthigkeit nicht, daß ke nicht ihre beftimmten Schranken
gehabt hätte; vorgezeichnet waren ihm dieſe durch die Stellung,
welche er zu den beiden großen Parteien feiner Zeit annahm.
Ein Eiferer für die neue Richtung, wie jeder, der aus Mutian’s
Schule hervorgegangen, fannte er Feine Schonung gegen Hoch⸗
fraten und feine Bartei. Für die „Sophiſten“ war ihm fein
Ausdrud zu derb. In einem Heinen, und noch erhaltenen Ger
dichte preijet er Reuchlin als „ven Bändiger der Ungeheuer“ ’).
Sehr bitter fpricht er in dem befannten Schreiben an Reuchlin
von den „Lölnifchen Diabologen,“ die er prädtig In Schuß
nehmen wolle 2), Dergleicyen Aeußerungen find doch geeignet,
einiges Mißtrauen gegen jene gepriefene Outmüthigfeit Eoban’s
zu erweden. Vollends unvereinbar mit diefer fcheint das übers
aus innige Verhältniß, welches er ftetd mit Hutten unterhielt.
Was Hutten ihm zugemuthet Kat, dürfte am beften jener Brief
jeigen, den er noch einige Tage vor feinem Tode an ihn richtete,
worin er ihn bittet, heimlih den Drud einer Schrift „gegen
die Tyrannen“ zu befürdem?). Der Freund, auf den Bier
Hutten fo große Hoffnungen fegt, war gewiß auch einer Theil»
nahme an der Abfafjung der Briefe der Dunfelmänner fähig.
Diefe Befähigung Taffen auch mehrere feiner fpätern Schriften
erfennen. Eoban's Epigramme gegen Leus, den Gegner des
\
1) M. B. F. fol. 359 a.
2) Er nennt fie „Terriculamenta et monstresissima monstra. ““ II.
vir. epp. ad Beuchl. y 3 b.
2) Opp. Hutt. IV, 338. ‚‚Qui has perfert habet a me libelli quid-
dam in tyraanos quod curet typis inprimendum. Ibi quaeso tuam
mihi atque ii accommoda,oporam. Potest silentio transigi negotium
et occulte, neque unquam rectiun, quam in vestra urbe, ubi nemo
actum suspicabitur, praesertim sic longe quum absim ego.‘“
— 2l4 —
Erasmus, und feine Invective gegen Emfer gehören zu dem
Bitterſten und Heftigften, was in jener Zeit gefchrieben ift.
Die drei Dialoge, in denen er einige Jahre nach Luther's Auf
treten das ungeftüme Poltern der Praedicanten gegen die
Wiffenfchaften auf die gelungenfte Weife parodirt, zeigen, daß
ihm auch die Waffen der Satire zu Gebote fanden !).
Damit ift nun die wichtigfte Einwendung, die gegen
Eoban's Autorfchaft gemacht worden ift, befeitigt. Das Ber
hältniß, in dem er eben zur Zeit, als die Satire verfaßt wurde,
zu den Männern ftand, die wir als deren Verfaſſer haben kennen
lernen, nöthigt in der That zu der Annahme, daß auch Eoban
dem Werke nicht fremd geblieben fei. Wir fahen bereits, wie
Erotus, wenn er Reuchlin die Hülfe ihres Bundes antrug,
zuerft auf Eoban hinwies. In Gefellfchaft des Petrejus finden
wir diefen 1516 im Geheimen mit der Abfaffung „ausgelaffener
Epigramme” befchäftigt 2). Noch beveutfamer erfcheint das
Berhältniß, welches um jene Zeit zwifchen Eoban und Hutten
befand. Ihre ſchon früh gefchlofiene Freundfchaft war nie
inniger und Iebhafter, als nach Hutten's Rückkehr von feiner
erften italienifchen Reife. Beide haben fich jpäter gegenfeitig
an den Eifer erinnert, mit dem fie damals ihre Freundichaft
bethätigt ?). Hutten’8 Beifpiel wirkte anregend und begeifternd
ı) Diefe Dialoge erfchienen 1524 in Erfurt. „Lobani Hessi Dialogi
tres Melaenus, Misologus, Fugitivi, Studiorum et veritatis causa
nuper editi.‘“ Gamerarius hat diefelben entweder nicht gekannt oder and
dem angeführten Grunde abfichtlich übergangen. Nachdem er jene beiden
Schriften gegen Leus und Emfer erwähnt bat, ſetzt er hinzu „‚Haec sunt
ac praeterea nihil, quae vel joco vel serio ad alterum exagitandum
dixit aut scripsit.““ Narr. de Eob. C 1a.
2) Eob. et amic. epp. famil. p. 9.
2) Hutten thut Dies Opp. Hutt. II, 220. Noch auffallender if
Eoban's mit Bezug auf ihr damaliges Verhältnig gethane Aeußerung.
„Sed te praecipue spes nostrae Huttene morantur,
Pars quia tu nostri mazima nuper eras.“
Eob. Farrag. II, 185 a. Daß beide 1515 in einem fehr lebhaften brief:
lichen Verkehr flanden, erfieht man aus M. B. 5. 314 b.
— 215 —
auf Eoban. Sogar auf die großen politifchen Ideen des fühnen
Ritter ging diefer damals ein!). Denn es fehien ihm, wie
er an Mutian fehreibt, „groß und ruhmvoll, Hutten gleich zu
werden” 2). |
Man fieht:. e8 ift nicht bloß‘ das Band der Jüngerjchaft
Mutian’s, weldyes Eoban mit den Urhebern der Satire ver-
einigte. Bedenkt man überdies, daß er felbft in jenem feuerigen
Schreiben Reuchlin auf das entfchiedenfte feine Hülfe in Aus-
ficht ftelit, und daß er fpäter durch den Gebrauch, welchen er
von einzelnen in der Satire vorfommenden Wien macht, deut:
ih fein Gefallen an derſelben zu erkennen gegeben hat ?),
dann wird man unmöglich jener Anficht beipflichten können,
die Eoban alle Theilnahme an der Abfafjung der Epistolae
obscurorum: virorum abfpridht.
VII.
Es iſt ſchwierig, auszumitteln, ob außer den genannten
noch mehrere Mitglieder der mutianiſchen Schule an dem Unter⸗
ı) Hutten's Epistola Italiae ad Maximilianum Caesarem wurde von
Eoban ebenbürtig beantwortet und beide Gedichte durch legteren 1516 in
Erfurt zum Druck befördert unter dem Titel: Quae in hoc libello Nova
habentur, Epistola Italilae ad Divum Maximilianam Caesar. Aug.
Ulricho Hutteno Equite Germano Autore. — Responsio Maximiliani
Augusti Helio Eobano Hesso Autore — Addita sunt Hutteni de ea-
dem re Epigrammata aliquot nuper ex urbe Roma missa sumpto ex
his temporum motibus argumento. (Mattheus Maler imprimebat Er-
phurdiae in Doringis 1516). 4°.
2) Alter libell. epp. J 2 b. „Magnum est, Mutiane, et gloriosa
res, Hutteno fieri parem, multo gloriosius excellere. Tu quid sentis:
Nosti Capnionis elogium, nosti quid Huttenus mihi tribuat.‘‘ — He:
gendorphin widmet 1518 Hutten's Stichologia compendiosa dem Eoban,
„quod non ignorabam te Hutteno esse vel deditissimum.‘“
2) So gibt er einem Schreiben an Niger mit Anfpielung auf den
erſten Brief der Satire die Meberfchrift: ‚„„Antonio olim Nigro, nunc ni-
gerrimo, nostro magistrando, vel magistro nostrando.‘“ Eob. et amic.
epp. famil. p. 232.
— 16 —
nehmen Theil gehabt. Died anzunehmen, fühlt man fich fehr
geneigt, wenn man weiß, wie allgemein herrſchend jene bitter
fatirifhe Stimmung in Mutian's Jüngerfchaft war. Sogar
ſolche vermochten fich derfelben nicht zu erwehren, die duch
ihr fpäteres Leben zeigten, daß fie, für Nichtd weniger, als
für Satire gefchaffen waren. Crato, wohl der milnefte unter
Mutian’s Anhängern, hielt damals an der Univerfität Ber
lefungen über „das Lob der Thorheit“ des Erasmus !). Auch
Spalatin, deſſen nachmalige Wirkjamfeit gewiß nicht den Sar
tirifer verräth, blieb zur Zeit, ald er unter Mutian’s Einfluß
ftand, von der herrſchenden fatirifchen Stimmung nicht under
rührt 2). Die Atmosphäre, in der ſich der mutianifche Kreis
bewegte, war, wenn wir fo fagen dürfen, eine fatirifche. Wie
es fcheint, bildeten die häufigen bei Mutian gehaltenen Zw
fammenfünfte das wirkfamfte Beförderungsmittel diefer Rich—⸗
tung. Die bei denjelben geführten Unterhaltungen nahmen
immer mehr einen frivolen Ton an. Dürfen wir den Nad
richten des Jonas trauen, fo war ed namentlich Crotus, dei
ſich bei folchen Gelegenheiten durch feine witzigen Ausfälle,
durch frivole Aeußerungen vor Allen hervorthat 3). Bei einem
ty Nach Strieder Heffiiches Gelehrtenlexicon IH, 378.
2) Man erfieht Dies unter Anderm daraus, daß er fich Abfchriften von
mehreren der bitteren Satiren anfertigte; fo findet fih in feinem hand
fhriftlihen Nachlaſſe Lin Weimar) eine Abfchrift des Pasquills Contra
Curie avaritiam (wahrfcheinlich 1517), der ich auch in Tom. II Pasquil-
lorum — jedoch mit einigen Abweichungen — abgebrurt finbet.
3) Bol. Epist. Anonymi p. 14. „Non recitabo hic confahulationee
illag cum amico ille Gothano, quem nosti. Cujusmodi ibi risus &
cachinnos saepe meveris de Missa Papistarum, quarum ornatum 50%
nicum scaenico similem dicehas, de suffragameis Episcoporum, &
unctionibus ipsorum, et amurca, ut vocahas, Papae, de reliquiis sanc-
torum, quas ossa vocabas etc. etc.“ Man fieht, wie Jonas auch bie
geflifientlich nur dae hervorhebt, was den geweſenen Freund am meiſten
compromittiren fonute. Doch if wohl an dem frivelen Charakter jent
Geſpraͤche nicht gu zweifeln. Da Jonas erft feit Ende 1515 wieder nad
Erfurt zurücgefehrt war und Grotus Anfangs 1517 nad Italien abreifet,
— 217 —
fo lebhaften geiftigen Verkehr, bei fo vielfachen Gedankenaus⸗
taufch wird es mehr als wahrſcheinlich, daß noch andere Mit
glieder des Bundes in das Geheimniß des Crotus und feiner
brei Genoffen eingeweiht worden feien. Ohne. Zweifel it Urban,
ver Bertraute des Mutian und Erotus, der „Plautus” umd
„Ulyſſes im Moͤnchsgewand“ 2) zur Mitwiflenfchaft des Planes
gelangt. Indeß, wie wir bereitd erwähnten, gibt uns die übers
aus große VBorficht Mutian’s, der, wie er bei jenen Zuſammen⸗
fünften den Vorfitz führte, fo auch bei allen Angelegenheiten
des Bundes einen entfcheidenden Einfluß ausübte, die Bürg⸗
haft, daß die Zahl der Mitwifler und Theilnehmer nicht alls
zugroß gewefen ift, daß viele Mitglieder der Schule über das
Geheimniß nicht aufgeklärt worden find.
Namentlich if dies in Abficht auf das erfte 1516 erfchienene
Buch der Satire anzunehmen. Die Umftände, unter denen dass
jelbe zu Stande fam, waren vorzugsweile geeignet, ein geheims
nißvolles8 Dunkel über ven Urfprung desfelben zu verbreiten.
Größtentheild in dem einfamen, entlegenen Fulda von dem
jurüdgezogenen Crotus verfaßt, anfangs unter des Petrejus ?),
jpäter unter Hutten's thätiger Beihülfe, wurde es vermuthlicdh
dem letteren von Erfurt aus, wohin ed Erotuß bei feiner Ueber⸗
fiedelung im Jahre 1515 mitgenommen baben mag, zugefandt
und von Hutten an einem Orte zum Drud befördert, der nicht
im entfernteften auf die Werkftätte, in der es entftanden,
ſchließen ließ >).
fo ergibt fich, daß dieſe Befpräcde in das I. 1318 fallen. Jonas felbft
fagt, daß alles Erzählte vor Luther’s Auftreten vorgefallen 1. c. p. 15.
) Dal. Tentzel p. 17 u. M. B. F. fol 3% a. „‚Plauti urkanitate
praedisus“ „‚„Cucullatus Ulysses.‘“
3) Wie weit die fatirifchen Verſuche des 3 1513 in die Briefe mit
aufgenommen End, wage ich nicht zu enticheiden, daß wir in ihnen den
erſten Reim ber Briefe zu fehen haben, halte ich für unzweifelhaft. Coban,
wenn er überhaupt ſchon an dem erſten Buche Theil genommen, hat ſich
er fpät, wahrfcheinlich erfi nach der Rückkehr des Grotus, betheiliat.
2) Durch den Brief des Wolfgang Angft an Erasmus Münch VI,
— 218 —
Nah allem Vorhergehenden ergibt ſich dieſe Auffaſſung
der Sache von felbft.
Es gefhah wohl in Folge des Beifalld, den das erfle
Buch gefunden, daß man bei der Abfaffung des zweiten Buches
nicht mehr fo heimlich zu Werke ging. Es fteht feft, daß die
Hortfegung der Briefe größtentheild in Erfurt im Verlaufe des
Sahres 1516 zu Stande fam, und es erregt unfer Erftaunen,
wenn wir hören, mit welcher Offenheit hier Erotus verfuht,
wie wenig Hehl er aus feinem Plane machte !), mit dem jeht
wohl der bei weiten größte Theil der mutianifchen Schule
befannt wurde. Bei diefem zweiten Buche hat ohne Zweifel aud
Eoban thätigen Beiftand geleiftet. Petrejus fand hier Gelegen-
heit, von feiner genauen Kenntniß der römifchen Zuftände und
des reuchliniichen Prozeſſes einen feinem Hange zur Satire ent
jprechenden Gebrauh zu machen. Es ift deshalb irrig, die
Bekanntſchaft mit Rom und Stalien, welche fich in den Briefen
fundgibt, al8 einen Beweis der Theilnahme Hutten’s anzufeben;
daß aber Hutten demungeachtet auch ald Mitverfaffer des zweiten
Buches betrachtet werden muß, ergibt ſich unzweifelhaft aus
feinen bereitd angeführten Aeußerungen und herrichte darüber
von jeher faft nur Eine Stimme. Als die eigentliche Seele
des Unternehmens erfcheint aber auch bei dem zweiten Theile
46) wird es unzweilhaft gemacht, dag er die Briefe in Hagenau gedrudt
hat. Mit welcher Stirn durfte er fonft jagen: ‚„‚„Obscuri viri ad myrium
canentes apud me in sterili arena orti, fronte jam perfricata in tuum
conspectum prodire volunt“? Kein Anderer, als der allwaͤrts heimifche
Hutten Tann fie ihm zugeftellt haben.
1) Epist. Anom. p. 12. „Raro eras in templo, raro in scholA,
quin in cera annotares belle et lepide et festive dicta, quaedam
ridicule detorta, quibus crescere posset opus pulcherrimum et pos-
teritati profuturum ““ Auch diefe Aeußerung bezieht fi) aus dem genann⸗
ten Grunde auf das Jahr 1516, als Crotus und Jonas zufammen in Erfurt
weilten. Diefe wichtige Stelle ift bisher noch von Keinem gehörig beachtet
worden. Bei dem erften Buche Hatte Jonas blos Bethenerungen, bei dem
zweiten kann er die Art der Entſtehung nachweifen.
— 219 —
Crotus. In Kiche und Schule befchäftigten ihn die Briefe.
Bon Jonas erfahren wir, daß er fogar mit auswärtigen Freun-
den und Gefinnungsgenoffen in Verbindung trat und fie zur
Mitwirfung aufforderte!). Es jcheint, daß feine Aufmuntes
rungen bei Einigen nicht ohne Erfolg geblieben find *).
—
I) „‚Praetereo multos alios Poetas eruditos passim, quos occultis
sollicitasti epistolis et invitasti ad ridendas Ecclesiae Romanae pup-
pas, semper vehementissime adhortatus, ut ibi sibi liceret intendere
nervos et vires ingenii.‘“ 1. c. p. 13. Daß Jonas Die Epp. Obsc. ale
eine folche irrisio Romanarum pupparum anfah, erhellt aus der unmits
telbar folgenden Aeußerung.
2) Unter der großen Menge der Humaniften. die man fonft noch als
Berfafler der Epp. aufgeflellt hat, feheinen mir Hermann van dem Bufche
und der Canonicus Jacob Fuchs die gegründetiten Anfprüche zu haben.
Grfterer wurde fchon von Zeitgenofien (3. B. in den Lamentationen) als
Berfafier der Epp. angefehen, Eoban rechnete auf feinen Beiftand, als er
Reuchlin feine Hülfe zufagte; er hatte fein Leben in ununterbrocdhenem
Kampfe gegen die Scholaftif zugebracht und war deshalb eines vernichten:
den Schlages gegen fie wohl fähig. Die Gründe, welche für feine Theil:
nahme fprechen, hat zulegt Vogler 1. c. mit vielem Nachdruck hervorge⸗
hoben. Bon Fuchs meldet Hutten ſelbſt, daß er durch ihm einmal aufge:
muntert fei ‚‚in re admodum seria ludos agere‘“ (Opp. Hutt. II, 893).
Laurenz Beheim fchreibt ihm eine Theilnahme an ben Briefen, wenigitens
eine Mitwifjenfchaft zu „Est optimus amicus meus et intimus Ulrici
Hutteni. Credo etiam, ipsum non nullas composuisse epistolas ob-
scurorum virorum vel saltem non abfuisse longe dum nonnullae
illarum compositae sunt.‘“ Ep. ad Pirk. bei Heumann docum. lit. p.
356. — Es dient zur Befefligung unferer Auficht über den Urfprung ber
Epp., daß gerade diefe beiden Männer in einem jehr nahen Berhältniß
zu dem mutianifihen Kreife ſtehen. Bufch war es ja gewefen, welcher einft
durch Die Befeitigung der alten Lehrbücher den jungen erfurtifchen Boeten
gleichfam Die Brüde abgebrochen hatte, die bis dahin noch eine gewifle Ver⸗
bindung mit dem alten Syſteme vermittelte. Als verrrauter Freund des
Nation, Hartmann von Kirchberg, Erotus und Coban war er dem Kreife
nie entfrembet worden. — Noch deutlicher treten dieſe Beziehungen bei
3. Fuchs hervor, der früher felbft mehrere Jahre dem erfurtifchen Kreife
angehört Hatte und außer zu Hutten namentlich zu Crotus (zu dieſem
ſchon feit Frühefter Jugend, vgl. Tert. lib. ep. S. 8 b) und dann auch zu
Petrejus und Eoban (De Wette II, 313, Alt. lib. epp. C 3 a) in einem
ſehr freundlichen Berhältnifle fland. — Bufch und Fuchs gehören alfo wohl
zu den poetae eruditi, an die ſich Erotus wandte.
— 20 —
So fam, jedenfalls noch im Jahre 1516, unter Mehrerer
Mitwirfung das zweite Buch der Briefe zu Stande. Ob aud
diefes von Hutten zum Drud befördert fei, oder ob Crotus
jest felbft dazu den Muth gehabt: ſchwerlich wird ſich das aus⸗
machen lafien.
VL
Es kann noch die Frage aufgeworfen werden, ob die Satire
felbft nicht das Gepräge der Werfftätte an fi trage, in Der
fie gefertigt worden.
Wenn jogar der Drudort verheimlicht wurde, wie viel mehr
gebot dann die Vorſicht den Verfaſſern, ſich in den Briefen ſelbſt
aller Aeußerungen zu enthalten, die zur Löſung des Räthiels
hätten führen können! Wir dürfen deshalb nicht erwarten, daß
die Perfonen der Verfaſſer in den Briefen mehr als die übrigen
Humaniften hervorgehoben worden feien. — Eben fo wenig
jedoch entiprach es der Abficht der Verfafler, fich felbft, ven Ort,
wo fie gearbeitet, wenn Anderes eine Erwähnung desielben
nöthig machte, vollftändig mit Stillfchweigen zu übergehen, wos
durch geradezu Verdacht erregt worden wäre!). Diefe Borauss
fegung beftätigen die Briefe wirklich. Weder der Univerfität
Erfurt noch der mutianifchen Schule wird eine bejondere Auf-
merkjamfeit gefchenft 2). Crotus und Petrejus, Hutten und
ı) Bon Hutten deutet ed Behaim an, daß er ſich felbft in der derbfien
Weite in den Epp. genannt habe, um dadurch allem Verdachte zu ent⸗
geben: „Et ille Huttenus, qui forte auctor est vel majoris partis.
illius libelli, seu epistolarum, ipsemet se, ut scribit (sc. Fuchs) in-
seruit; sibi ipsi obloquens, quasi sit truffator seu bestialis, ut ferte
evitaret suspicionem auctoris.‘“ Heumann 1. c. p. 356.
2) Aus Erfurt ift im erſten Buche (wie auch im zweiten) nur I Brief
Datirt, dagegen aus Leipzig 6, aus Köln 3, aus Mainz 3, aus Wittenberg
8, aus Nürnberg 2 u ſ. w. Nur einmal werden Mitglieder der mutiani-
fhen Schule in größerer Anzahl zufammen genannt, nämlich in dem Briefe
des Padormannus Fornacificis. Epp. Obsc. (Nũnch'ſche Ausg.) p. 142.
— 2211 —
Eoban werden — ohne den Hintergrund des mutianiſchen Bundes
— blos als Mitglieder des allgemeinen großen humaniftifchen
Bundes aufgeführt, ganz wie die Übrigen „Poeten.“
Irre ih mich nicht, fo enthalten demungeachtet die Briefe
einige beftimmte Hinweifungen auf das nahe Berhältniß, in dem
fie zu Erfurt und der mutianifchen Schule fanden. Es macht
in der That einen befremdenven Eindrud, wenn an den wenigen
Stellen, wo Erfurts gedacht wird, ſich zugleich die genauefte
Kenntniß der erfurtifchen Zuftiende und Verhältnifie ausfpricht.
- Der Berfaffer des aus Erfurt datirten Briefes im erften Buche
macht jogar das Haus namhaft, in dem er gefchrieben!). In
demfelben Schreiben wird des theologifchen Syſtems gedacht,
welchem die Schelaflifer an der LUniverfität huldigten. Der
aus Rom fchreibenne Magifter Eribelinioniatius weiß fogar,
daß die theologifche Facultät ihe über Reuchlin’d Augenfpiegel
abgegebenes Gutachten bereut ?). Und eine ähnliche Wahrneh-
mung läßt ſich auch am mehreren Stellen bei der Erwähnung
von Angehörigen des mutianifchen Kreifes machen. Da Mutian
Ah nie dazu verftand, wie Reuchlin und Erasmus öffentlich
als Schrififteller für die neue Richtung aufzutreten, fondern
feine Wirkfamfeit für dieſelbe auf die perfönliche Anregung
innerhalb feiner Schule beſchraͤnkte, fo Eonnte feine hohe Bedeu⸗
tung für die Sache des Humanismus nicht in der Weife von
Männern, die außerhalb feines Kreiſes ftanden, zur Anerkennung
gebracht werden, mie e8 in den Briefen gefchieht. Sicherlich
fonnte nur ein Angehöriger der mutianiſchen Schule Mutian
neben Erasmus und Reuchlin als eine der „Leuchten” Deutfch-
lands aufftelen 2). Nur foldhe, die in die Geheimniffe feiner
1) Ex Dracone 1. e. p. 140. Daß es, und zwar in der Nähe der
Nniverfität, ein Haus Diefes Namens gab, zeigt noch heute der Name einer
dort befindlichen Straße.
?) Epp. Obsc. p. 233.
2) Dies gefchieht in dem Briefe des Ad. Klingefor 1. c. p. 248. Mu:
tian felbft proteftirt aus Befcheidenheit gegen dieſe Zufammenftellung. Tentel
pP. 191 zu vergl. mit der M. B. F. fol. 265.
— 9 —
Schule eingeweiht waren, wußten, daß er unter allen Gegnern
der Kölner „ver Schlimmſte“ war !). Wie dieſes auf das nahe
Verhältniß der Verfaffer zu Mutian fchließen läßt, jo befunden
diefe in anderer Weife auch eine ungewöhnliche Befanntfchaft
innerhalb des, mutianifchen Kreifes. Unverkennbar tritt eine
joldye hervor, wenn fogar untergeordnete Mitglieder desfelben
namhaft gemacht werden, deren Name fchwerlich über Die
Schranken der Schule hinausgedrungen war ?).
| Es ift Schon der Verfuh gemacht worden, aus dem Stile,
aus der verfchiedenartigen Auffafjung und Behandlung des
Stoffes auf die Berfaffer der Satire zurüdzufchließen 3). Freilich
ift ein ſolches Verfahren bei fchriftlichen Denfmälern diejer Art,
deren Eigenthümlichfeit eben in dem Zurüdtreten der eigenen
und der glüdlihen Nachahmung einer fremden Individualität
befteht, nicht ohne Bedenken. Indeß felbft die gelungenfte Nach⸗
‚ ahmung des Fremden kann es nicht hindern, daß nicht auch noch
die eigene Perjönlichkeit des PVerfaffers in mehr oder minder
Iharf ausgeprägten Zügen Hinter der. fremden Maske wieder
erkannt werde. Das zeigt fich auch bei unferer Satire. Nicht
1) Als folchen bezeichnet ihn der Brief des Eocleariligneus, in bem es,
nachdem eine Reihe humaniſtiſcher Eiferer aufgeführt ift. weiter heißt:
„Et quidam Studens Erfordi, qui est mihi notus dixit, quod Conradus
Mutianus est pessimus omnium illorum, qui sunt pro Reuchlin et est
ita inimicus Theologis, quod non potest audire, quod aliquis nominat
Theologos Colonienses et talis Studens dixit, quod vidit bene viginti
Epistolas illius, in quibus ipse rogat quosdam socios, quod velint
esse Reuchlinistae*‘ 1. c. p. 264.
2) Wie der obfeure Ludovicus Miftotheus; p. 142. 1. c. Neben ihm
werden noch genannt: Eoban Hefius, Henricus Urbanus, Ritius Euritins,
Georg Spalatinus und Ulrich von Hutten, wie man flieht, die bedeutendften
Schüler Mutian’s; nur Crotus und Petrejus find übergangen. Der Brief
ift wohl von Crotus zur Zeit der Abwejenheit bes Petrejus verfaßt, wofür
auch der Inhalt fpricht, vermuthlich vor der Mitte des J. 1515. bis wohin
für Euric. Cordus noch der Name Ricius üblich war. Als Drt der Abs
faffung ift Wittenberg angegeben.
3) Bon Meiners: Lebensbefchreibungen berühmter Männer III, 92.
— 23 —
genug, daß in dem Stil, in der Behandlung des Stoffes wirk⸗
fih ein Unterfchied wahrgenommen wird: wir erfennen auch
in ihm deutlich die Spuren der Mitwirkung der einzelnen Ber:
faffer. Wie auffallend erinnern nicht jene Briefe, in denen es
vorzugsweiſe auf die Berfpottung ſcholaſtiſcher Spibfindigfeit
und mönchifcher Befchränktheit abgejehen ift, mit ihren fomifchen
Wortdildungen und Etymologien, mit ihren gelungenen Rad):
bildungen ſcholaſtiſcher Terminologien und Barbarismen an die
eigenthümliche Geiftesrichtung und Yähigfeit des Erotus? !)
Und wer erkennt nit in der rüdfichtslofen Darftelung ver
angeblichen fittlihen Schwächen des Gegners, die das Charak-
teriftifche einer andern Klaffe von Briefen bildet, in der Virtuos
fität bei Ausmalung objevener Scenen, in jenen „Eurtifanen“,
in dem frivolen Uebermuthe, der den Gegenſtand des Haſſes
in den tiefften Koth hinabzieht, ven Charakter des leidenſchaft⸗
lichen, ungeffümen fränfifchen Ritter wieder, der auch an dieſer
Stelle die Eigenfchaften nicht verläugnen fann, die ihn im Leben
fennzeichnen? 2) Schon Meiners, der zuerft auf diefen Unter
hied aufmerffam gemacht hat, legte Das Geſtändniß ab, daß
manche Briefe dad Eigenthümliche der beiden berührten Claſſen
in fih vereinigen, ohne jedoch diefe Exfcheinung genügend erflären
zu können. Erflärlich wird fie durch die Theilnahme des Petrejug,
— —
1) Man vergl. 3. B. die Briefe p. 103 — 4, 119 — 21, 128 — 30, 140
—43 x. Meiners J. co. fcheint geneigt, die Briefe, welche obfeoene Scenen
Ihildern, ſaͤmmtlich auf Hutten zurädzuführen; allein auch Crotus mied
das Obſcoene nicht, wie der zwifchen ihm und Mutian geführte Briefwechfel
zeigt. Daß er als Geiftlicher in dieſer Hinficht immer noch mehr Nüdficht
genommen als Hutten, ift zuzugeflehen. — Uebrigens erfieht man an einzelnen
Stellen, 3. B. aus der genauen Bekanntſchaft mit den Ginzelheiten der
Mefle (vgl. p. 97), daß unter den Berfaflern ein Geiſtlicher war.
2) Das Eigenthümliche der Hutten’fchen Briefe tritt am meiften her⸗
vor in den Briefen des Magister Conradus de Zuiccavia. 1. c. p. 9I3—
95; 100 - 2; 1182 — 14. Der unruhige Hutten wählte fi) vorzugsweife,
feinem Charakter enifprechend, die Darftellung des Wandels der Gegner,
Grotus, der Ruhige, die Lehrmethode.
— MM —
der, wie wir ſahen, die Eigenthuͤmlichkeiten ſeiner beiden Freunde
in der auffallendſten Weiſe in ſeinem Charakter vereinigte.
Doch wollen wir nicht in Abrede ſtellen, daß mit dem
Gefagten das Charakteriſtiſche aller Briefe nicht erfchöpft iſt.
Der Brief des Adolph Klingeſor zeichnet ſich vor allen übrigen
durch feine theilweiſe ſehr ernſte Sprade und Haltung aus),
Mehr zur Beluftigung dienend, als den Feind ſcharf verlegen
ſchildern einige Briefe, gleichweit entfernt von der Leberfchmeng-
Tichkeit ver Hutten’fchen Produete wie von der Feinheit der Satire
des Crotus, in heiterer, gemüthlicher Weife die Freuden des
Weines und des Mahles und fonflige fpaßhafte Auftritte,
Man fühlt fich verfucht, in ihnen die Spuren der Mitthätigfert
Eoban’s zu vermuthen, mit deſſen Eharafter eine foldhe Theil:
nahme im fchönften Eimflange ftehen würde 2).
Es fei fchließlich geftattet, auf einige allgemeinere Momente,
die zur Beftätigung der von uns aufgeftellten Anſicht dienen,
zurüdzufommen. Der Umftand, daß die Berfafler troß der ans
geftrengteften Nachforfehungen felbft den Männern der eigenen
Partei verborgen bleiben Fonnten®), hört auf zu befrempen,
wenn man erfährt, daß jene nicht blos durch das allgemeine
humaniftifhe Band zufammengehalten wurden, fondern einem
1) 1. c. p. 248. Es ift eben der Brief, in welchem Mutian neben
Reuchlin und Erasmus als eine der Leuchten Deutſchland's bezeichnet wird.
Sollte hier vielleicht Urban, der Cifterzienfer, feinen Gefühlen für feinen
Meifter Ausdruck verlichen haben?
2) Es gehören dahin die Briefe p. 85 — 87; 131 — 2; 205 — 6; auch
fann man den Brief des Eribelinioniatius p. 223 dahin rechnen, der eben
die nämlihe Mittheilung über die Gefinnung der erfurtifchen Theologen
enthält, die Eoban früher in dem Schreiben an Reuchlin gemacht hatte, —
Da die angeführten Briefe theilmeife dem erften Buche angehören. fo müßte
hienach alfo auch eine Theilnahme Eoban’s an dem eriten Buche ange:
nommen werben.
2) Biel zu wenig iſt dieſer Umſtand von jenen, die fich bisher mit ber
Frage befchäftigt Haben, berücfichtigt worden. Keine der bisher aufgeftellten
Anfichten über den Urfprung der Satire erklärt die Möglichkeit der Geheim⸗
haltung der Verfaſſer.
m —
Bunde angehörten, in deffen geheime Thaͤtigkeit keinem Unein⸗
geweihten ein Blick geftattet war. “Die ungewöhnlichen Kennt⸗
niffe, welche dem. Oberhaupte des Bundes zu Gebote ftanden,
die Erfahrungen, welche vie Mitgliever desfelben auf ihren
poetifchen Irrfahrten gewonnen, erfläten die ausgedehnte und
genaue Kenntniß von den Einzelheiten des großen Kampfes,
welche die Satire bekundet. Die in dem Bunde berrfchende
Gefinnung findet in den Briefen ihren wahrften Ausdruck.
Undegrenzte Ehrfurcht für Reuchlin, maßlofer Haß gegen die
Kölner, ‚getragen von einer durch und durch ſatiriſchen Stim⸗
mung, bilden die charakteriftifchen Merkmale aller Angehörigen
besfelben und befähigten fie zu dem Unternehmen, welches der
kölniſchen Bartei Die tödtliche Wunde beibrachte,
RX.
Und fo ſchien denn durch die Briefe der Dunkelmänner
doch das alte prophetiiche Sprüchwort Erfordia Praga, welches
die übrigen deutfchen Univerfitäten immer mit Mißtrauen gegen
ihre thüringifche Schwefter erfüllt hatte, in gewiffem Sinne zur
Wahrheit geworden zu fein. Das Unternehmen, wodurch der
alten Herrfchaft der Schulen für immer ein Ende gemacht wurde,
fnüpfte ſich an die Wirkfamfeit der Univerfität Erfurt. Bon
ihren Zöglingen wurde e8 ausgeführt, in ihren Hörfälen wurde
an der Vollendung desjelben gearbeitet, e8 kam zu Stande unter
der Vermittelung eined Mannes, der eine Reihe von Jahren
den Mittelpunft im geiftigen Leben der Univerfität gebilvet hatte.
Merkwürdige Wendung der Dinge! Zu verjelben Zeit
und unter denfelben Umftänden in’d Dafein getreten, hatten
ehedem die Iniverfitäten Köln und Erfurt faft ein halbes Jahr:
hundert ſich als treue Bunvesgenoffen, diefelben Intereffen ver-
fechtend, zur Seite geftanden ). Gerade ein Jahrhundert war
1) Es erfcheint faſt wie eine Reminiscenz an- jene früheren Zeiten und
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 45
— U —
feit jener Synode von Conſtanz verfloffen, die fie in Der größten
Eintracht zeigte, ald von Angehörigen der einen der verderbliche
Schlag gegen die andere ausgeführt wurde. Maßlofigfeiten
auf des einen Seite hatten noch aröbene Maßloſigkeiten auf
der andern hervorgerufen.
—
— — ——— — — — —
Drittes Capitel. Einfluß des Erasmus. Ber Eoban'ſche
Bichterbund,
„Accepture pii venerabile nomen Erasmi
Castior a nequam siste libelle jocis.““
Euricius Cordus.
L
Unter den Stürmen des reuchlinifchen Kampfes ließ es
fi an, als würde die humaniftifche Bewegung nur in der
volftändigen Vernichtung der alten Schulen und aller Inftitute,
die unter dem Einfluß der Scholaftif zu Stande gefommen, ihr
Ziel finden. Auf den Trümmern des Alten fchien der neue
Geift feine Herrfchaft gründen zu wollen. Zugeftändnifje, welche
man den Neuerern hier und da gemacht hatte, blieben fruchtlos
und dienten nur dazu, die Anfprüche derfelben zu fleigern. Die
Duldfamkeit, die man in Erfurt gegen fie bewiefen hatte, war
mit fchnödem Undanf vergolten worden; gerade von da ging
das Unternehmen aus, weldhes der Scholaſtik die empfindlichſte
Wunde beibrachte.
— —
die ehemalige Richtung, wenn die fölner Theologen den Papſt mit einem
Schiema bedrohten, für den Fall, daß er in der reuchlinifchen Angelegenheit
nicht günftig für fie entfcheide; vgl. IM. vir. epp. ad J. Reuchl. x 4 b.
— Jedoch darf nicht vergeflen werden, daß wir jene Nachricht blos Hermann
van dem Buche verdanken.
— Mm —
Aber eben die Maßloſigkeiten, zu denen jener Kampf führte,
hatten zur Folge, daß friedlichere Naturen, in dem Beifall, den
ſie bisher den Beſtrebungen der Poeten gezollt hatten, kühler
wurden. Maͤnner, die noch irgendwelche Achtung vor dem
Herkommen hatten, fingen an, in ruhigere Bahnen einzulenken.
Als der vorzüglichfte Repräfentant dieſer erfcheint Erasmus
von Rotterdam. Man darf gewiß nicht behaupten, daß bie
Wirkſamkeit diefes Gelehrten von Anfang an in einem folchen
Lichte erfcheine. Schon feit frühefter Jugend mit dem Kloſter⸗
und Studienwefen feiner Zeit im Widerfpruch, hatte er dem⸗
felden wiederholt feine Abneigung in fehr verletzender Weile
fühlbar gemacht. Schwerlich hat vor dem Erfcheinen der Briefe
der Dunfelmänner eine Schrift dem Anfehen der Scholaſtiker
mehr gefchadet, als das „Lob der Thorheit” des Erasmus),
Aber von Natur vor allem Weberfchwenglichen zurüdbebend
hatte ex doch nie fo ganz in die leidenfchaftliche Sprache feiner
Parteigenofien eingeftimmt, dad Aeußerfte immer vermieden.
Ueber die Briefe der Dunfelmänner ſprach er nach anfänglichem
kurzen Beifall feine Mißbilligung aus 2). An dem reuchlinifchen
Streite nahm er verhältnißmäßig nur geringen Antheil. So
ſehr er auch Reuchlin's Gegner verabjcheute, fo konnte ex ſich
doch auch nicht mit dem Ungeftümen der „Reuchliniften“ befreuns
den. Ein jo plößlicher und gewaltſamer Bruch mit der bie-
herigen Entwidelung, wie ihn jene beabfichtigten, Tag nicht in
feinem Plane, Nicht plöglich, — dahin ging feine Anfiht —
fondern almählig follten die neuen Wiffenichaften eingeführt
werden, nicht um die alten zu verdrängen, fondern vielmehr um
fe zu fäutern und zu reinigen; nicht zerflören jolle man des⸗
halb die alten Bildungsanftalten, fondern mit Benupung ber
neuen wiffenfchaftlichen Ideen zeitgemäß umgeftalten. Rur fo,
— — ——
i) Bon dem Mogıag Eyanouıov find noch bei Lebzeiten des Verfaſſers
37 Anflagen erfchienen.
2) Spongia Erasmi bei Muͤnch 1. c. IV. 483.
15*
— 228 —
ließ er ſich vernehmen, würden die neuen Wiſſenſchaften mit
Recht den Ramen der „guten” führen. — Erft allmählig hat ſich
diefe Anficht bei Erasmus ausgebildet, fie befeftigte fih unter
Einwirkung der Begebenheiten des reuchlinifchen Kampfes, erft
nach. diefem hat ex fie in feinen Schriften öffentlih und Tlar
auägefprochen ?).
Erinnern wir ung, daß man in Erfurt vor der Einwirfung
Mutian’d ähnliche Tendenzen verfolgte. Auch hier ſchwebte der
Gedanfe einer Durchdringung und Berfchmelzung beider Bil-
dungselemente den Einfichtsvolleren vor, wenn fie auch bei
weitem noch nicht zu fo entfchiedener Anerkennung der neuen
Ideen vorgefchritten waren. Erasmus ſprach eben das aug,
wohin die Entwidelung in Erfurt, wenn fie ungeftört hätte
ihren Fortgang nehmen fönnen, von felbft geführt haben würde.
Entfprechend diefer geiftigen Berwandtfchaft war das Außere
Berhältnig, in welches Erasmus bald zu der Univerfität Erfurt
treten ſollte.
IL
Wie nach dem Gewitter die Luft, fo fohien nach Entfen-
dung jener bligartig wirkenden Satire die geiftige Atmosphäre,
in der ſich der erfurtifche Gelehrtenfreis bewegt, gereinigt, Der
bie ganze Reihe von Jahren angefammelte Zündftoff war ver-
braucht, jene unheimlihe Stimmung verſchwand, freundlichere
Seiten ſollten folgen.
1) Dal. namentlich Die Aeußerung in Epp. Erasmi p. 447, Baſeler
Ausgabe, (Opp. Erasm. ed. Bas. T. III), auf die ich mich immer beziehe,
da fie die Gorrefpondenz des Erasmus mit den Erfurtern fo vollftändig als
die übrigen Ausgaben enthält. — Charakteriſtiſch ift auch folgende, etwas
fpätere Aeußerung: „Tum demum erunt id quod dicuntur, hoc est
bonae literae, si nos reddant meliores, si serviant gloriae Christi.
Neque enim in hoc revocatae sunt in scholas, ut pristiaas disciplinas
ejiciant, sed ut illae purius et commodius (radantur.‘“ Erasmi Spongia
bei Münch 1. e. IV. 487.
— 229 —
Manches vereinte ſich, um dieſe merfwürdige Veraͤnderung
herbeizuführen. Mutian's Groll gegen die Scholaſtik war durch
jenes Unternehmen befriedigt; er entließ feine „Soldaten“; fie
hatten ausgedient, da fie jenen Feldzug unternommen, der ihm
bei allen feinen Ermahnungen daß lebte Ziel geweſen war.
Crotus, der hauptfächlichfte Repräfentant jener bittern fatirifchen
Stimmung, verließ Erfurt im Anfang des 9. 1517, um die
längft beabfichtigte Reife nach Italien anzutreten. Dahin war
ihm, ſchon zum zweiten Mal, der unruhige Hutten voraus
gegangen. Längere Zeit hörte man von diefem in Erfurt Nichte.
Unter den Zurüdgebliebenen nahm unbeftritten Eoban, ver
Dichter „der Heroiden“ ?), den anfehnlichften Rang ein. Schon
weithin war damals fein Ruhm verbreitet. Reuchlin hatte ihn
als den König unter den Dichtern bezeichnet ?). „Diefer ift es,
den ganz Deutjchland hochfchäten muß,” rief Beatus Rhenanus
aus, als er feine Heroiden gelefen hatte?). Als der chriftliche
Ovid, ald der erfte Dichter Deutfchlande wurde er gepriefen.
Eben Eoban trat an die Spige der neuen Entwidelung.
Nicht als wenn er diefe Stellung felbft gefucht hätte Auch
befaß er in feiner Perfönlichkeit eigentlich Nichts, was ihn zum
Bildner und Förderer literarifcher Kräfte vorzugsweife geeignet
hätte. Man orpnete fih ihm freiwillig unter. Die Aelteren
übertrugen, nachdem Mutian ſich zurüdgezogen, einftimmig auf
ihn, als den Talentvoliften, die Hegemonie. Die Jüngeren
fühlten fi unmwillführlich zu dem Dichter hingezogen, den die
erſten Gelehrten feiner Zeit mit jo großer Auszeichnung behan-
delten. Eoban wurde fo das freiwillig gewählte Oberhaupt
eined neuen Humaniftenbundes: Mutian’s Anfehen und Eins
— — — —
!) Heroidum christianarum epistolae; opus Novitium nuper aedi-
tum. Lips. 1314. 4%. Sowohl für das Dichtertalent, als für die Geſinnung
Eoban's legen diefe Gedichte ein fchönes Zeugniß ab.
2) Eob. Farr. I, 326 b.
®) Bob. et amic. epp. fam. V. 389,
fluß ging auf ihn über, Zwar wurde Erfurt nicht wieder der
Sit einer fo bedeutend eingreifenden literärifchen Macht, wie
vordem, dennoh war die Wichtigkeit, welche e8 jebt für den
Fortgang der allgemeinen Entwidelung gewann, nicht viel
geringer, und rußmvoller war fie jedenfalls.
Es war beveutfam für die Haltung diefes neuen Bundes,
daß Eoban feit dem Jahre 1516 das Amt eines öffentlichen
Lehrers an der Univerſität beffeivete!). Schon dadurch mußte
fih das Berhältniß der Neuerer zur Univerfität freundlicher
geftalten, ald ed zu Mutian’s Zeiten gewefen war. Bon nod
wichtigerem Einfluß wurde in diefer Hinficht Eoban’s Perſön⸗
lichkeit jelbft. Wie er fih am längften jener Bitterfeit, vie
Mutian’s Süngerfihaft charakterifirte, erwehrt hatte, und wie
fie feinem Charakter am wenigften entfprach, fo hat auch er
fih zuerft von ihr losgemadt. Sein alter Frohſinn kehrte
wieder, als er dem verhängnißvollen Verkehr mit Crotus und
Hutten entrüdt war. Jenen machte er auch in feiner neuen
Stellung geltend. In Eoban's „Reiche* Fonnte die Bitterfeit
und Leidenfchaftlichkeit, welche Mutian’d Umgebung beherrfcht
hatte, nicht auffommen ?). Eine ruhigere und frieblichere Bes
tradhtung der Dinge gewann unter ihm die Oberhand. Der
ehedem fo ehrenvolle Barteiname „Reuchlinift” wurde nur noch
felten gehört, erinnerte er ja an die Maßlofigkeiten, zu denen
man fih in leidenfchaftlicher Erregtheit hatte fortreißen laffen.
Aus Reudliniften wurden begeifterte „Erasmianer.”
An den Namen des Erasmus Fnüpft ſich die ganze Thaͤ⸗
tigkeit des eobanifchen Bundes 3).
i) Bergl. feine Oratio de instaur studiorum bei Motſchmann. Fünfte
Fortſ. p. 614.
2) Schen die Namen Chorus Eobani, Regnum Eobanicum, Soda-
litas, Sodalitium find dafür bezeichuend.
2) Für diefe Zeit ift Camerarius, der felbit dem Regnum Eobanicum
angehörte, Hauptquelle. Durch die herrliche Darftellung. die er von Eoban's
Leben gibt, Hat er den fchönften Kranz um das Haupt feines Freundes und
— 1 —
I.
Wenn Erasmus jich zuweilen über die allzu häufigen und
wudringlichen Beweife der Anerkennung, die ihm von feinen Zeits
genoſſen gebracht wurden, beklagt, jo fcheint diefe Klage in der
hat in Beziehung auf die Hnldigungen, die er von feinen
Berehrern in Erfurt empfing, nicht ohne Grund.
Schon Wutian hatte die Seinigen auf die Leiftungen des
gelehrten Niederländer aufmerkfam gemacht. Indeß bei den
Abſichten, weldye der gothaiſche Canonicus verfolgte, werden
wir es erklärlich finden, daß Erasmus damals noch nicht zu
dauerndem Einfluß gelangte. Diefen gewann er erft da, als
Mutian die Führerfchaft aufgegeben hatte und der friedlicher
gefinnte Eoban an feine Stelle trat. Um diefelbe Zeit war eg,
daß Erasmus feine bisherige Stellung in England mit der
eines Rathes des jungen Fönigs.Karl von Spanien vertaufchte
und feinen bleibenden Aufentbalt in den Niederlanden nahm,
wodurd ohnehin fein Einfluß auf Deutjchland ein größerer
wurde. In der That ‚waren die fchriftftellexifchen Leiftungen
bed Erasmus viel mehr dazu geeignet, ihrem Berfaffer Ruhm,
Einfluß und Anfehen zu verfchaffen, als Reuchlin's Schriften.
Durch feine Adagien, Barabeln und Apophthegmen machte er
gleihfam die ganze Weisheit der Alten zum geiftigen Gemein⸗
gut feiner Zeit. Wen hätten nicht die glanzvolle Diction, der
tebnerifche Schmud der Alten, den Keiner fo gefchidt anzu
— — — — —
zugleich um das eigene gewunden. Er ſelbſt verweilte noch in fpäteren
Jahren mit Vorliebe bei der Erinnerung an ſeinen Aufenthalt in @Erfugt,
an die treuen Freunde, die er dort gefunden, an das rege wiflenfchaftliche
Leben daſelbſt u. ſ. w. Vgl. namenilich die Einleitung zu Lib. tert. epp.
— Uebrigens ift das früher über feine Glaubwürdigkeit Geſagte nicht außer
Acht zu laſſen. — Manche feiner erwähnten Irrthümer entfpringen daher,
daß er Berhältnifle, Die ex bei feiner Auweſenheit in Erfurt vorfand, auch
auf die frühere Zeit übertrug. °
— 3 —
wenden verftand, als ex, anfprechen follen? Seine Schriften
brauchten nur gefannt zu werden, um ihres Beifalld ficher zu
fein. Das zeigt auch die Aufnahme, die fie in dem erfurtifchen
reife fanden. „Ich war fofort der Deinige,” fehrieb Spalatin
1517 an Erasmus, „fobald ich Deine Schriften gefehen hatte“ 1).
Man konnte die eigene Verblendung nicht begreifen, daß man
fo lange jene „Eoftbare Perle” überjehen hatte. Alles, was fonft
von den Vertretern der neuen Richtung geleiftet worden war, trat
gegen die Werfe des Erasmus in Schatten. Als die Sonne, „die
alles Dunkel mit ihren Strahlen erhellt,“ wurde er gepriefen 2).
Ramentlih war Eoban von dem Lobe des Erasmus voll.
Bei diefer Bewunderung, die man dem großen Gelehrten
aus der Ferne zollte, blieb man nicht lange fliehen. Wan
mußte den Berehrten von Angefiht zu Angeficht kennen lernen.
Eoban ging mit feinem Beifpiele vor. Im Sahre 1518 unter:
nahm er in Begleitung des Berter zu Fuße die lange
mühevolle Reife nach den Niederlanden. In einer zierlichen
poetifchen Epiftel begrüßte er den gefeierten Lehrer. „Schon
längft warft Du mir wie ein göttliche Weſen,“ redete er ihn
an, „fo ſehr feffelten mich Deine Schriften, die Dir den Ruhm
der Unfterblichfeit fichern werden“ 3). Eine nur kurze Unter-
redung mit dem Verehrten war der Lohn der mühevollen Pilger
fahrt %). Aber auch fo hielt Eoban feine Mühen für reichlich
1) Epp. Erasmi p. 391.
2) ,„,Nulla isti scintilla potest dare lumina soli,
Omnia qui radiis lustrat opaca suis.“
Cordi Opp. 133.
s) Ad Desyderium Erasmum BRoterodamum KEpistola Lovasü
scripta in Kob. Parr. I, 233 b.
+) Brasmus erwähnt felbit, daß die Aufnahme des Coban wohl nicht
den Mühen der Reife entiprochen Habe. „Allud incommode, ofendit me
Eobanus et aegrotum et occupatissimum. Alioqui mihil unquam vidi
libentius, &® gQılas uovoaı, qui carminum fluxus? quae vena? quae
felicitas? — Felicem Germaniam sed praecipue Erphurdiam, si mode
novit sua bona.‘‘ ad Mut. — Eob. et amic. epp. fam. p. 336.
— 1 —
belohnt. Das ungewöhnliche Lob, welches er Erasmus nach
feiner Ruͤckkehr jpendete, erwedte bei Allen das Verlangen, ihn
zu fehen '). Im diefer Abſicht unternahmen einige Zeit fpäter
der junge Inſtus Jonas und Schalbus viefelbe Wallfahrt. Nie
iR wohl die Verehrung für Erasmus weiter getrieben worden,
als in jenem Schreiben, wodurch ihn Schalbus von ihrer Ans
kunft in Kenntniß febt. „Durch fo viele Wälder,” beginnt er,
„durch fo viele von anftedenden Krankheiten heimgefuchte Städte,
find wir, Erasmus, zu Dir vorgedrumgen, Jonas und ich, und,
guter Gott, wie find wir zur glüdlichen Stunde angelangt!
So wenig reuete und der lange und befchwerliche Weg, daß
wir uns auf der Reife, ungewiß, wo Du, die einzige Perle
des chriftlichen Erdkreiſes, verborgen feieft, durch einen heiligen
Schwur verpflichteten, Dich aufzufuchen, ſei e8 auch an den
äußerften Grenzen Indiens, oder in dem entlegenen Thule, wie
viel mehr in den Niederlanden oder in Frankreich!“?) Er
erſchoͤpft alle Ausprüde der Verehrung — und wozu? Bloß
um eined kurzen Antwortfchreibens gewürdigt zu werden, das
ihnen als koſtbare Reliquie dienen fol ®).
Noch Mehrere entfchloffen ſich nach ihnen zu jener mühe-
vollen Wanderung, um in ähnlicher Weife dem großen Meifter
ihre Huldigung darzubringen. Andere, wie Cordus und Cera⸗
tinus, thaten dies fchriftlich. Alle wetteiferten in den Aus:
——
1) „Tam autem honorifici tunc fuere sermones Eobani de Erasmo,
tam plena praedicatio tanta amplificatio virtutis illius, ut nullius non
animus cupiditate visendi Erasmi incenderetur.“ Camerarius Narr.
de Eob.
2) Epp. Erasm. p. 245 d. d. Bruxell. 5 Cal. Jun. 1519.
°) „Dispeream enim, si a te etiam si baculo mineris abigere,
avelli possimus, nist habeamus quod te nobis in itinere jam et ınaxime
quum in istam nimis longinquam regionem nostram redierimus prae-
sentem referat. Quid multis verbis hic explicem, quanti hanc pro-
fectionem nostram faciam? Ut me Dous amet, nollem eam mihi decem
Pactolis aut solidis auri moutibus commutatam. Vale magae Erasme
et dignare nobis (ut dia etiam expectandus sis) solwm rescribere.‘1.c.
— 234 —
drücken der Bewunderung und Anerkennung. „Man klatſchte
ihm Beifall, wie einem gelehrten und kuͤnſtleriſchen Schau⸗
ſpieler auf der Bühne der Wiſſenſchaften. Jeder, der nicht
für einen Fremdling im Reiche der Muſen gehalten werden
wollte, bewunderte, verherrlichte, lobte ihn. Man pries das
Zeitalter glüdlih. Wenn Jemand einen Brief von Erasmus
herausloden Eonnte, fo war fein Ruhm ungeheuer und großer
Triumph wurde dann gefeiert. Wenn aber Jemand das Glüd
einer perfünlichen Zufammenfunft und Unterredung mit Eras
muß hatte, dann hielt er ſich für jelig auf Erden“ 1).
IV.
Bon diefer Begeifterung für Erasmus getragen war dad
neue wiflenfchaftliche Leben, welches fich in Erfurt entfaltete,
Erasmus jelbft hatte feinen enthuftaftifchen Verehrern ſchon
frühzeitig angedeutet, daß fie ihm die befte Huldigung durch
das Studium feiner Schriften darbringen würden. „Den bein
Theil von Erasmus Fannft Du täglich in feinen Schriften ſehen,“
antwortete er dem Schalbus auf jened ungeftüme Schreiben ?).
Solcher Hinweifungen bedurfte ed indeß nicht. Es war in
Erfurt eine ausgemachte Sache, daß in den Werfen des Eras⸗
mus alle Weisheit der Alten und Neuen niedergelegt fei, daß
man in ihnen das vorzüglichfte Bildungsmittel habe. Nirgends
find fie eifriger ftudirt worden, als von Eoban und feinen
Genofien. Daß es dabei zu Einfeitigkeiten und Uebertreibungen
fam, wird nicht befremden. Indem man durch Erasmus mit
den verfchiedenften Autoren des Alterthums befannt wurde,
fühlte fich der Eine mehr durch diefen, der Andere mehr durch
I) Camerarius Narr. de Eob. B 6 b.
2) „Optimam Erasmi partem in libris videre licet queties libet-“
Epp. Erasm. p. 346.
— 238 —
jenen angezogen). Dem Einen gefiel Livius, dem Andern
Proper, einem Dritten Ovid. Jeder wählte ſich einen Lieb-
Iingsautor, den er ſich vorzugsweife zum Mufter nahm. Es
kam wohl vor, daß man fich dazu gerade die obfeureften Schrift-
Keller auserfah, ein Fehler, gegen den namentlich ver claffifch
gebildete Petrejus eiferte?). Dadurch wurde bald ein reger
Wetteifer zwiſchen den Einzelnen hervorgerufen, denn Jeder
juchte die Vorzlige feines Autors zur Anerkennung zu bringen.
Aber ed Tag in diefer Eiferfucht, wie Camerarius berichtet,
nichts Gehäfftges, „der Eine wollte num gelehrter ſcheinen ale
der Andere.” Der Thätigfte war natürlich Eoban, „der König.“
Tiefere claffifche Bildung ſchützte ihn vor jenen Einfeitigfeiten.
Seine mit „treuem und höchftem Fleiß” gehaltenen Borlefungen
über Birgil, Quintilian, Livius und Eurtius verdunfelten alles
Üebrige 3). — Ihren Ruhm aber feßten Alle darein, Dichter zu
fein. Schon wagten es Einige, Goban ſelbſt und der früh mit
ihm um den Borrang ftreitende Euricius Cordus, von den
leihtern Herametern und Bentametern zu den fchwierigern
horaziſchen Versmaßen überzugehen. Ihr Beifpiel fand Beifall,
dald Nachahmung. Beſonders anregend wirkten die pramatifchen
Aufführungen claffifcher Schaufpiele, die man veranftaltete *).
Draconites und Noffenus erregten durch das ungewöhnliche
Zalent, welches fie dabei entwidelten, allgemeine Bewunderung.
Der junge Jacob Moltzer aus Straßburg, der feit dem Jahre
1517 Eoban's Genofienfchaft angehörte, empfing fogar wegen
der Geſchicklichkeit, mit der er die Rolle des Micyllus in einem
') Bergl. Darüber namentlich bie Ginleitung zu dem Alt. libell. A 4a.
2) Alt. libell. epp. A 4 b.
») Der Ehronift Lauze, welcher damals in Erfurt ſtudirte und Coban's
Borlefungen beimohnte, rühant nech fpäter feinen Eifer. „An welchem ort
Ih etliche. Bucher Quinetiliani von Ime gehoret, wollte Gott mit fo groſſem
aub, als mit trewen vnd höchſten vleis ex dieſelben offentlich verlefen.“
Lauze's Chronit 1. c. p. 433.
) Bol. darüber Rob. et amice. epp. fam. p. 354; Alterlib. K6b u.a.
— 286 —
lucianiſchen Dialoge ſpielte, von ſeinen Freunden den Namen
feines Helden. Er wurde. fortan nur Micyllus genannt
und ift auch unter diefem Namen berühmt geworben !). Den
Aufwand zu folchen claſſiſchen Vorſtellungen beftritt Georg
Sturz, der Maecenad der eobanifchen Genofjenfchaft, der den
größten Theil feines anſehnlichen Vermögens poetischen Jeden
widmete. Zum Danf dafür erhielt er bald den clafftfcheren
Namen Sturciades. Auch fuchte man jebt das feit Marfchalf?
Zeiten faſt gänzlich vernadhläffigte Studium der griechiſchen
Sprache wieder neu zu beleben. Borzugsweife thätig in dieſen
Sinne waren Petrejus und Lange, die als Schüler Marſchalks
im Befig einer gründlichen Kenntniß der griechifchen. Literatur
waren. Ihnen fchloß ſich Eoban an?). Einen eifrigen Be
förderer ihres Planes erhielten fie in dem jungen Joachim
Gamerarius 3), der im Sommer 1518 von Leipzig, wo er von
Erocus, Mebler und Mofellanus in das Studium der griechi⸗
ſchen Literatur eingeführt worden war, nach Erfurt Fam, um
hier feine wifjenfchaftliche Ausbildung zu vollenden. Camerarius
war mit ganzer Seele den neuen Studien ergeben. Bei einem
in Leipzig entflandenen Aufruhr. hatte er zuerft feinen Herodot
in Sicherheit gebracht: das Webrige machte ihm wenig Sorge *).
Wie willlommen erſchien ein folcher Verehrer der Alten den Er
furtern! Der Ruhm feiner griechifchen Kenntniffe war ihm bereits
vorausgeeilt und verfchaffte ihm die ehrenvollfte Aufnahme).
ı) Camerarius Narrat. de vita Melanchthonis ed. Strobel p. 350.
Haug Jacobus Micyllus Heidelberg 1848. p. 6. Micyllus war 1503 geboren.
2) Bol. Alt. libell. epp. C 5a. Eoban erkundigt fich bei Lange über
das Digamma Xeolicum.
3) Geb. zu Bamberg 1500. Er hieß urſprünglich Rammermeifter.
*) Adami Vitae philosophorum p. 239.
5) „„Hanc famam cum attulissem mecum Erphordiam, qui concursus
ad me adolescentum optimorum complurium factus quaque benevo-
lentia me plerique omnes complexi sint, tu optime nosti, Adame eve.“
in der an Erato gerichteten ini. zu der Narr. de Kob. Seine Ankunft
fiel in die Zeit, als Eoban feine gelehrte Pilgerfahrt in die Niederlande
— 31 — .
Seiner Jugend ungeachtet trat ex ſchon in Kurzem auf die
Bitten feiner neuen Freunde öffentlich ald Lehrer der geiechifchen
Literatur auf, die jeßt einen dauernden Platz unter den öffent-
lichen Unterrichtsgegenfländen an der Univerfität erhielt.
Diefe ehrenvolle Aufnahme des Camerarius ift überhaupt
bezeichnend für den Geift, der damals in Erfurt herrſchte. Man
verehrte und fchägte das Gute, wo man es fand, man gefland
bereitwillig dem Weberlegenen den Vorrang zu, Feine Gelegens
heit zu lernen wurde vernachläffigt. Wo aber zeigt fich noch
eine Spur von dem Ungeflüm der frühern Poeten? Friedliche
Verehrer der Dufen, fern von der Leidenfchaft und dem Dünfel
der „Reuchliniften” hatten fich unter Eoban's mildem Scepter
zuſammengefunden?). Die Summe ihres Ehrgeizes befand
darin, würdige Verehrer des großen Erasmus zu fein. Nach
feinem Ramen benannten fie ihren Bund ?), fein Anfehen war
— — — — — —
machte. — Die Aufnahme, welche Camerarius fand, erweckte noch in ſpaͤ⸗
teren Jahren bei ihm die angenehmſten Erinnerungen. „Repetens recor-
dationem aAdolescentiae et ejus temporis, quo Erphordiam profecti
inciperemus ad uberiorem copiam Ingenii et doctrinae aspirare et utili-
tatem opt. disciplinarum atque artium paulo clarius perspicere, inore-
aibili aficior voluptate et suavissime acquiesco in cogitatione ejus
consuetudinis, quae mihi fuit cum opt. et eruditissimis tam juvenibus
quam viris atque etiam senibus aetatis illius.‘“ Lib. alt. Praef. A2b.
— Beder Wittenberg noch Leipzig hat bei Camerarius fo angenehme Er:
innerungen zurüdgelafien. —
12) Folgende anmuthige Schilderung des Camerarius möge hier eine Stelle
finden: „Fuit enim tum mos profecto optimus et humanissimus et huic
quo nunc vivitur dissimillimus: candor eximius in tribuendo cuique
quod illi deberetur: summa reverentia eorum, qui virtute et doctrina
praestare crederentur: mira facilitas ad reconciliationem gratiae, si
quid forte simultatum incidisset: in consuetudinis et familiaritatis usu
nihil fucatum aut exulceratum; discendi quod ignoraretur inflammati
studio animi et nullus in confitendo pudor, nullum persequendi occa-
siones taedium, neque fastidium audiendi, inprimis autem parata bene
meritis grati animi. memoria.‘‘ Narr. de Eob. A 4 b.
?) Sodalitas Erasmici nominis studiosa.
— 238 —
für Alles entſcheidend, ſogar für das Berufsfach des Einzelnen!).
Eoban kam bei jeder Gelegenheit auf die unübertrefflichen Tu
genden ihres erhabenen Patrons zurüd, Da fand ſich faum
noch Einer, der den frühern maßlofen Angriffen gegen bie
„Sophiften” das Wort redete. Forderte ja Erasmus in allen
feinen Briefen zur Mäßigung auf. „Wenn Du auf meinen
Rath hören willſt“, fehrieb er an Eordus, dann verwende mehr
Fleiß auf die Ausbreitung der fchönen Wiffenichaften, als auf
die Bekämpfung ihrer Widerfacher” 2).
Eden Eordus war e8 auch, der allein einer folchen Ex
mahnung bedurfte. Er ſchien fich jekt von dem Borwurfe einer
fräflicden Hinneigung zu den Sophiften, den ihm Mutian einfl
gemacht, reinigen zu wollen. Seine bittern, zum großen Theil
gegen die Sophiften gerichteten Epigramme aus viefer Zeit
bilden in der That einen unerfreulichen Gegenſatz zu der fried⸗
lihen und harmlofen Haltung feiner Genoffen 3), und nicht zu
verwundern ift e8, wenn die Meiften fi von ihm zurüdzogen *).
Die Zeit des Kampfes, wo ein Hutten und Crotus den Ton
angaben, war vorüber, Ya Erotus felbft ſcheint fich mit dieſer
neuen Wendung befreundet zu haben. Wenigftens unterhielt
er auch von Italien aus einen lebhaften Briefwechſel mit meh
1) Jonas vertaufchte auf Erasmus’ Rath das Studium ber Rechis⸗
wiffenfchaft mit ber Theologie. Kpp. Er. p. 2333.
?) Erasm. epp. p. 236. Lovan. 15. Cal. Maj. 1519.
a) Die beiden erften Bücher feiner Epigramme erfchienen ſchon 1517;
manche derfelben find fehr gelungen, 3. B.:
„Barbara, Celarent didicere docentque Sophistae
Hoc ego non studium judico Vere malum.
Barbara celarent tantum super omnia vellem
Quantum Castaliae sum sitibundus aquae.“
Opp. Cordi 1380. — Auch gegen Mitglieder des eobanifchen Kreifes aigie
er ſeinen epigrammatiſchen Stachel.
*) Er ſelbſt klagt darüber in einer Elegie an Hacus. — Sogar Be
merarius, der ſonſt fo gern zum Lobe feiner erfurtiſchen Freunde bereit iR,
äußert ſich mißbilligend über Cordus. Narr. de Bob. B 4 a.
_ 9 —
reren Gliedern des Boban’schen Bundes, und mit dem größten
Beifall wurden feine Briefe von diefen aufgenommen !). Nicht
jo ſchmiegſam zeigte fih Hatten. Ihm war der Kampf Ber
bürfniß geworden: eher brach er mit feinen alten Freunden,
als dag er jenem entfagt hätte. Entrüftet über den unerwar⸗
teten Wechſel der Dinge in Erfurt wandte er fih 1519 in
mehreren heftigen Schreiben an &oban, dem er die ganze Schuld
davon beimaß und machte ihm bie bitterfien Borwürfe wegen
der Unthätigfeit, der er nach fo viel verfprechenden Anfängen
verfallen. Mit Hinweifung auf ihre frühere gemeinfchaftliche
Thätigkeit forderte er ihn und Petrejus auf, von neuem den
Sampfplap zu betreten und ihr Talent der guten Sache zu
widmen 2).
Aber um diefe Zeit Hatte man in Erfurt für die Pläne
des ungelümen fränfijchen Ritters kein Gehör.
V.
Man darf nun aber nicht glauben, daß die Thaͤtigkeit der
eobaniſchen Genoſſenſchaft ſich ſo ganz auf jene ſtille, fried⸗
liche Pflege der neuen Wiſſenſchaften beſchraͤnkt habe. Denn
dazu war die Perfönlichkeit des Mannes nicht angethan, ver
an der Spige derfelben ftand. Heben dem Umgang mit den
Mufen war Eoban auch für die Freuden des Mahles und des
Weins, für den gefelligen Verkehr mit Freunden und Gefin-
nungsgenoffen nicht unempfängli. Unter feiner Führerſchaft
befam das Leben der Poeten in Erfurt eine freundliche und
1) Man flritt fich fogar um ihren Befig. Alt. lib. I 7 b. — Erotus
war ſchon in Venedig mit Hutten zufammengetroffen (Heumann Doc. lit,
P. 37) die meifte Zeit brachte er in Bologna zu, wo er wahrfcheinlich auch
die Doctorwürde erhalten hat.
2) Bel. Ep. Hutt. ad Eob. et Petrej. (Mog. 3 Non, Aug. 1519)
Inn Ep. Hutt. ad Eob. (Steckelbergk 7 Cal. Nov.) kei Mind IN, 336
und 333,
— 4 —
heitere Außenfeite. Gar oft befchied er durch „Euniglichen Macht⸗
fpruch” feine Untergebenen zu fich, um den Ernſt ihrer Studien
durch ein heiteres poetifches Gelage zu unterbredden !). Oder
er gab — und das that er noch lieber — feinem Sturciades,
dem „Mufenwirth” den Auftrag, ein .verartiged Mahl zu ver-
anftalten. Als König führte Eoban immer den Vorſitz und
fein heiteres frohes Wefen verbreitete fich über Alle. Da ver
ſchwand jede Spur von der conventionellen Steifheit der Schu:
len. „Du fennft das Recht unſerer Freundfchaft noch nicht“,
äußerte Eoban einmal gegen Camerarius, der ſich anfangs
durch den allzufreien Ton, der in Eoban's Umgebung herrfchte,
abgeftoßen fühlte. Man fchloß warme Yreundfchaften, „von
denen die Nachwelt erzählen folle”, ſprach mit Begeifterung
von Erasmus, dem erhabenen Patrone ihres Bundes; die
neueften poetifchen Verſuche wurden vorgelefen und bewundert.
Dabei wurde aber auch des naumburger Bierd und des fram
kiſchen Weins nicht vergeflen. -Eoban bewährte fih auch hier
in feiner Rolle: er hielt das für eine Ehrenſache?). Scery
weife beförderte er mehrere feiner vertrauten. Freunde zu beſon⸗
dern Würden in feinem Reiche, Petrefus wurde zum „Her
joge” ernannt, ex wurde als der Erfte nach dem Könige ange
fehen 2). Camerarius erhielt das Amt eines „Schatzmeiſters“,
welches aber wegen der fortwährenden Geldverlegenheiten des
’) Die.Epp. Eob. et amic. famil. enthalten dergleichen Einladungen
in Menge.
2) „„Putavit enim, se etiam inter poculorum certamina non vinci
ab altero oportere.“ Narr. deEob. Camerarius gibt zugleich ein Bei:
fpiel von Coban's erflaunlicher Birtuofität im Trinken. Dem Tadel der
Freunde begegnete Eoban wohl mit der Aeußerung, man fpreche viel von
feinem Trinken, aber wenig von feinem Durfte; nad) Melandri Jocos. L.
I, p. m. 748 bei Strieder 1. c. III.
®) „„Hunc Ducem ipse solebat vocare: significans prozimum locum
a se quasi in gubernatione regni musici Hli deberi.‘“ Narr. de Eob.
BSb.
— A —
Königs eben nicht zu den angenehmſten gehörte’). Denn nicht
felten fah fich Eoban, um die Koften feines Föniglichen Auf
wandes zu beftreiten, zu drüdenven Auflagen genöthigt. Sonft
aber war er, wie Camerarius treuherzig berichtet, ein milder
und wohlwollender Herr, der keinem feiner Untertanen ein
beleivigendes Wort fagte, gefchweige denn etwas Härteres that ?).
Gamerarius, dem wir überhaupt die meiften Nachrichten
über die Tchätigfeit dieſes frohen Kreifes verdanken, gibt uns
auh ein Berzeichniß der beveutendern Mitglieder desfelben.
Man erficht daraus, daß fih die gefammte Jüngerfchaft des
gothaifchen Banonicus unter Eoban’s milded Regiment begeben
hatte. Abermals tritt und bier Urban, der claffifch gebilbete
Cifterzienfer, entgegen. Er hatte damals feinen bleibenden
Wohnſitz in Erfurt, in dem Georgenthaler Hof. Nicht felten
hielt Eoban feine Bundesverfammlungen bei ihm ab). Eben⸗
— —
ı) Eoban ſcherzt wohl über feine Geldverlegenheit. „Valentinus Ca-
pella putat hoc de pecuniis dictum: Qui habent sint tamquam non
habentes. Nos rectkus multo, qui nihil habentes sumus tamquam
habentes et possidentes omnia.‘‘ Eob. et amic. epp. fam. p. 60. Uebri⸗
gens vergl. man Motſchmann. Fünfte Fortſ. 619.
2) Dabei Fam Eoban und feinen Genofien die Nachficht zu Statten,
welche die Erfurter (apud quos minus suspecta est innocentia nostra,
wie Coban ſich ausdrädt) immer gegen ihre Mufenföhne bewiefen. Auch
Cordus und Micyll heben dies hervor. Cordus rühmt auch namentlich den
wiffenfchaftlichen Sinn der Erfurter:
/-Tam sapiens alibi non puto vulgus erit,
Cui puta tam doctum fit ad omnia lauta palatum.‘“
Cord. Opp. 128. '
Ueberhaupt ift für die erfurter Humaniften ihr inniges Verhältnig zur
Vürgerfchaft harakteriftifch. Während anderwärts die Humaniften die Gunft
und Nähe der Großen fuchten und als Verkünder des Muhmes färftlicher
Naecenate glaͤnzten, waren die Erfurter ſtolz auf ihre Unabhängigkeit von
hoͤfiſchen Berhältnifien (Cord. Opp. 101), ein Ing, ber die meiſten noch
in ihrem fpäteren Leben dharakterifirt.
2) „Is in Eobanico grege non ferebat postremas ac saepe illum
a suis accipiebat, ut res erant ac tempora, satis prolixe.‘‘ Narr.
Eob,
Kampfehulte, Univerfität Erfurt. 16
— 22 —
falls einen anjehnlihen Rang nahm ein zweiter Ordendmann
ein, der Auguftiner Johann Lange, von deſſen Berbienften um
das Studium der griechifchen Sprache bereits die Rebe war.
Kerner erfcheinen unter Eoban's Unterthanen die beiden feueri-
gen Erasmianer Jacob Ceratinus und Juſtus Jonas !), Hein
rich Eberbach, der Bruder des „Herzogs“, der finftere Euricius
Eordus, außerdem der bereitd an Jahren vorgerüdte Caspar
Schalbus, und fchon befannt als frommer Waller zu Erasmus,
Plag Melofingus, Johann Bemelius, der begeifterte Lobredner
ded Erasmus und das traute Freundepaar Drakfonites aus
Karlſtadt und Crato aus Fulda. Sie alle hatten einft neben
Eoban an Mutian’d Tafelrunde gefeffen. An Anzahl und wo
möglich auch noch an Eifer wurden fie von den Jüngeren über
troffen, die fih allmählig um Eoban gefchaart hatten. Den
Reigen eröffnete der heitere und frohfinnige Martin Hunus,
den fi Eoban bald zu feinem Lieblinge auserfehen hatte 2).
Innig befreundet mit diefem war Jacob Micyllus, der eben fo
ſehr durch feine zierlichen elegifchen Gedichte, als durch feine
Gewandtheit bei den üblichen dramatifchen Vorftelungen den
Beifall feiner Genofjen ärntete. Daran ſchloſſen fich der poetifch
firebfame Anton Niger aus Breslau, Chriftoph Hacus, als
melifcher Dichter von feinen Freunden vor Allen gefchäst, ver
junge Daniel Stibarus von edlem Gefchlecht, Freund und fpäterer
Gönner des Camerarius, der joviale Noffenus, Sturciades, der
Maecenas der Gefelfchaft, und wie viele ihrer Camerarius noch
aufführt, die Groeningen, Eccilius Menius, Mufa, Mejobachus,
— — — — —
) „Es nominis Erasmici omnium, quos ego viderim longe stu-
diosissimus‘“ redet Eoban den Jonas an (Eob. et amic. epp. f. p. 14).
Sonas war von Allen der überfchwenglichite Bewunderer bes Erasmus,
vgl. Erasm. ad Jon. in Epp. Er. p. 256. „Nae tu mi doctissime Jona,
non epistolanı, sed meros amores, meras flammas amantissimi pecto-
ris misisti.‘‘ Später freilich hat fich das geändert.
2) Narr. de Eob.B8b.
_ u —
Drtus, Bapella, Forchheim, Francus, Wicel, Kling u. f. w.).
„Sie alle waren entbrannt,” fchließt Camerarius, „von Eifer für
die ſchönen Wiffenfchaften und die Univerfität war voll von ihnen.“
Man kann zugeben, daß manche unter den Aufgezählten
nicht gerade zu den hervorragenden Männern ihrer Zeit gehören,
obgleich Camerarius faft feinem das ehrende Beiwort verfagt,
und es in der That wenige unter ihnen gibt, an deren Namen
fi nicht wichtige Erinnerungen knüpfen ?), das wird fein
Kundiger in Abrede ftellen, daß gleichzeitig fich nirgendwo in
Deutfchland eine fo zahlreiche Schaar von eiftigen und bedeu-
tenden Vertretern der neuen Richtung zufammenfand.
Wohl haben die Zeitgenofien diefe Bedeutung des eobani-
hen Bundes zu würdigen gewußt. Das anerfennende UÜrtheil,
welches Erasmus bei verfchiedenen Gelegenheiten über denjelben
ausgefprochen hatte, wurde von dem gefammten humaniftifch
gefinnten Deutſchland wiederholt, Männer wie Peutinger,
Zaftus, Pirkheimer, Beatus Rhenanus, rechneten es ſich zur
Ehre an, mit Mitgliedern des erfurtifchen Kreiſes in brieflichem
Derfehr zu ftehen. Der junge Melanchthon war faum in
Wittenberg angelangt, als auch fchon der benachbarte Huma⸗
niftenfreis auf ihn feine Anziehungsfraft ausübte. Auf jede
Weiſe fuchte er fih demfelben zu nähern). Er hätte es für
—
ı) Nicht alle die Genannten finden fich bei Camerarius, der etwa 27
namhaft macht. Ein vollfländiges Verzeichniß lag nicht in feiner Abficht
Nebrigens wird auch Spalatin von ihm noch zur Sodalitas Eobani gerechnet.
2) Es ift wenig übertrieben was Dresserus (Rhetorica s. laudatio
urbium p. m. 438) von biefer Zeit fagt. „Fuit haec Erffordiensis Aca-
demia quondam celebris et honorata propter bonarum literarum stu-
dium et doctorum virorum abundantiam, prodiit enim ex ea tamquam
ex equo Trojano innumerabilis eruditorum copia, qui passim per
Germaniam dispersi Rebuspublicis et ecclesiae utilissime inservie-
Tune.“ Motfchmann 4. Samml. p. 474. Man denke nur an die nad:
malige Stellung und Wirkfamfeit eines Coban, Camerarius, Micyllus, Cor:
dus, Wicel. Wir werden fpäter darauf zurücdfommen.
2) Ueber fein Verhältniß zu den Erfurtern vergl. man. feine Briefe an
Lange in Corp. Ref. I, 76, 105, 162, 212.
16*
— MM —
den größten Gewinn gehalten, einige Mitglieder desfelben nad
Mittenberg herüberzuziehen ). Bon Leipzig ber blidte der
gefeierte Humanift Mofellanus fehnfuchtsvoll nah Erfurt und
feinen dortigen Genoflen heruͤber. „Nirgends,“ fchrieb er 1520
an Eoban, „möchte ich Tieber leben, nirgends Tieber fterben, ald
bei folchen Genoflen, die zugleich die gelehrteften und die unde
fcholtenften find“ 2).
VI,
Unwillführlich fucht unjer Blick nad diefer neuen Wer
dung der Dinge jenen Mann, den wir früher ald den Lenker
und Führer der poetifch gefinnten Jugend fortwährend im Mittels
punfte unfered Kreifed fanden. Hat fih Mutian von den
Sünglingen, in deren Herzen er zuerft den Samen des Schönen
ausgeftreut hatte, fo gänzlich zurüdgezogen? — War dies nun
auch nicht der Fall, fo ergab fich doch fehon aus der bisherigen
Darftelung genugfam, daß er feine frühere einflußreiche Stellung
nicht mehr einnahm.
Seit dem Erſcheinen der Briefe der Dunfelmänner waren
merkwürdige Ummwandlungen in Mutian’d Seele vorgegangen,
Bis dahin hatte der Kampf gegen die Scholaftif für all jein
Sinnen und Trachten den leitenden Geſichtspunkt abgegeben.
Durch die vollftändige Demüthigung, welche der Gegner durch
jene Satire erfuhr, war feinem Haffe genug gefchehen. &
durfte fich des Kampfes überhoben glauben: das, was er gewoll,
war erreicht. Erſt jebt warb ihm die Möglichkeit, feinen ur
1) Namentlich gab er fi Mühe, den gelehrten Petrejus für Witten:
berg zu gewinnen, damit derfelbe die Vorlefungen über Plinius übernehmt
denen fich M. ſelbſt nicht gewachfen fühlte. Vgl. Ep. ad Spal. (25. Juni
1520) und Ep. ad Lang. (Juli 1530) im Corp. Ref. I, 208, 207.
2) Eob. et amic. epp. fam. p. 25. Im Herbft 1519 verweilte Re
fellan perfönlich einige Zeit in Erfurt.
— u —
ſpruͤnglichen Plan in's Werk zu richten, in ſich ſelbſt zurüds
zukehren, ſich Rechenſchaft zu geben über feine eigenen refigiöfen
Anfichten, die noch in fo manden Punkten der Klarheit und
Sicherheit ermangelten. Die Theologie wurde fortan fein
Hauptftudium. Mit Eifer ftudirte er die Werke der Kirchens
väter; er verfah fie wohl felbft mit einzelnen Anmerfungen !).
Nie zuvor hatte er jo viel Weisheit in ihnen entvedt, als jetzt.
Almählig wurde es suhiger, freundlicher in feiner Seele, der
düftere Hintergrund, den bisher feine religiöfen Vorſtellungen
zeigten, fing an ſich aufzuflären. Jene „glüdfelige Ruhe,” vie
j0 lange trügerifch über dem Eingange feiner Wohnung geprangt
hatte, ſchien endlich alles Ernſtes bei ihm Einkehr nehmen zu
wollen. Aeußere Auszeichnungen und Ehren lehnte er jebt noch
ängftlicher ab, als früher ?). Wie viele Mühe hat fich nicht Fried-
ich der Weiſe gegeben, ihn für feine Univerfität Wittenberg
zu gewinnen, wo er die angefehenfte Stellung bekleidet haben
würde!3) So menig machten vergleichen Anerbietungen auf
) Lauze's Chronik 1. c. p. 128.
2) Wie groß fein Anfehen damals war, erfieht man am beten, wenn
fogar ein Dann wie Zaſius fich als feinen Diener befennt (totus 8 te
pendeo) und ihn als die Zierde des Zeitalters darftellt: „Faxit deus ut
felicibus fatis fortunatum evum transigas, nostraeque etati (ut jam
diu fuisti in multos annos) et ornamento sis et utilitati.““ Freiburg
1. Dez. 1520. Herz. Goth. Bibl. Manufer. A. 20.
2) Der Churfürft fehrieb mehrmals eigenhändig an Mutian, um ihn
nah Wittenberg herüberzuziehen; vgl. Tengel Rel. epp. Mut. p. 49. u. a,;
namentlich bat Spalatin wiederholt und flehentlich den Lehrer, der fürfts
lichen @inladung zu folgen. „Nam si voluntati optimi et sapientissimi
principis nostri subscripseris, rem longe gratissimam ei feceris, futu-
rus clarissimus non solum Neacademiae, sed etiam principi optimo
perpetuo et inter eos victurus, qui te sunt habituri in summo et ho-
Nore et precio tanquam parentem. Utinam tandem obsequaris prin-
cipi et mihi. Si enim laeta responderis, hoc est te venturum et
migraturum in Saxoniam, gaudebimus omnes.““ 36. Nov. 1580. vol.
Tert. ib. epp. D 3 b, wo überhaupt die zwifchen dem Ghurfürften und
Spalatin und Mutian geführte Correſpondenz ſich Anbet; abgedrudt bei
Tengel Rel. epp. Mut. p. 41 ff.
x
— 246 —
Mutian Eindrud, daß er den Churfürften jogar lange Zeit ohne
alle Antwort auf jein einladendes Schreiben ließ. „Ich ſtimme
in Allem mit Dir überein,” jchrieb einige Zeit fpäter Spalatin
an ihn, der inzwifchen die Vortheile des höfifchen Lebens beffer
fhäßen gelernt hatte, „nur wünfchte ich, daß Du in Deiner
Liebe zur Armuth nicht fo weit gingeft, daß Du’ wenigftens
endlich einmal einem Fürften, der es jo gut mit Dir meint,
und fo ſehr um Dich beforgt ift, Dich willfährig erzeigteft, und
Dich dazu entfchlöffeft, in feinem Lande nicht blos ein ehrbareg,
fondern auch ein glänzendes Leben zu führen“ %).
In Folge diefer innern Umwandlung änderte fi auch
das Verhältniß, in dem Mutian bisher zu den erfurtifchen
Humaniften geftanden. Zwar dauerte feine Liebe zu ihnen
noch ungefhwächt fort, noch gab er ihnen die unzweideutigften
Beweife feines Wohlwollens 2), aber zu dem Amte eines Yüh-
rers derſelben in der bisherigen Weife war er nach jener Rück—
fehr im fich felbft nicht mehr fähig. Er legte fein Amt nieder,
um es mit der Rolle eines ftilen, wohlmollenden Beobachters
und Gönners feiner ehemaligen Zöglinge zu vertaufchen ?).
Man fah ihn feit diefer Zeit nicht mehr in Erfurt, wo er früher
fo manche frohe Stunde im Freife der Seinigen verlebt Hatte.
Wohl aber bewied er diefen aus der Berne die größte Theil
nahme. „Freude verflärte fein Antlis,” erzählt Camerarius,
„wenn ex vernahm, daß die Sünglinge eifrig den ſchönen Wiſſen—
fchaften oblagen und Nichts unterließ er, um ihren Eifer zu
entflammen ” %). Und wie hätte man vollends von Diefen
ı) Tert. lib. epp. D 4 b.
2) Alt. lib. epp. J 5 b.
°, Es iſt ſehr bezeichnend, wenn er, der fich früher als den Feldherru
feiner Friegerifchen Süngerfchaft barzuftellen liebte, um dieſe Zeit von ſich fagt:
Sum piger et senior Pieridumque comes.
Dal. Lauze's Chronik 1. c. p. 182, wo fich zugleich die Auslegung Diefes
Berfes findet.
*) Narr. de Eob. B4 b.
— 247 —
erwarten koͤnnen, daß ſie ſich ſo ganz losſagten von dem Manne,
der ſo manche unter ihnen zuerſt an den Quell des neuen
Lebens geführt hatte! — Jene ſchon ſeit Jahren uͤblichen gothai⸗
ſchen Excurſionen wurden auch noch während Eoban's Herr⸗
ſchaft fortgeſetzt'). Die Aelteren glaubten der Anweiſungen
ihres Meiſters noch immer nicht entbehren zu können, die Juͤnge⸗
ren fehnten fi, einen Mann fennen zu lernen, von dem fie fo
Merfwürdiged gehört. Ernft und würdevoll, aber dennoch mit
der größten Freundlichkeit, empfing fie der Greis, — ſchon war
um diefe Zeit Mutian’d Haar gebleiht — Keinem verfagte er
Belehrung und Auffchluß; den Iüngern legte er wohl einzelne
Tragen zur jchriftlichen Ausarbeitung vor; die ihm eingereichten
Arbeiten fah er felbft nach und zeigte fich in feinem Urtheile
über fie — ganz im Gegenfab zu feinem frühern Verfahren —
aͤußerſt milde und nachfihtig ?). Ungern fchieden die Sünglinge
von ihm. Seine ehrwürdige ©eftalt, dad Wohlmollen, weldyes
fh in feinem ganzen Wefen ausfprach, feine freundlichen
Ermahnungen machten auf fie einen unbefchreiblichen Eindruck.
Sie bewunderten und verehrten den außerorventlihen Mann;
wie ein höheres Wefen fam er ihnen vor >),
ı) Alt. libell. epp. in der Einleitung A 3 b.
2) „Solebat Mutianus, tum quidem canus (nam annis gravis erat
quum ad eum primum veni) adolescentibus studiosis literarum, qui
ad se visendum Accessissent, proponere materiam, quam scribendo
elaborarent et scripta postea emendare et saepe non admodum digna
collaudare ut hoc pacto ad diligentiam et curam studiorum excita-
rentur animi illorum. Camer. Narr. de Eob. B 4 b. Mutian war,
als er fo auf Kamerarius den Eindrud eines hochbetagten Greifes machte,
erſt 47 Jahre alt.
2) Man vgl. 3. B. die Schilderung Mutian’s bei Micyll (Sylvarum
libri quinque p. 209.)
„‚Hic tandem fortuna dedit mihi cernere Rufum,
Rufum, quo non vir dignior alter erat,
Unus qui studio per longos contulit annos,
Quidquid habet Latium, Graecia quidquid habet.
*
Die alten Chroniken der Stadt Erfurt verweilen zu keiner
Zeit mit fo großer Vorliebe bei ihrer Univerfität, als während
der Sahre von 1517 bis 21, Damals erft, heißt es in ber
hogel'ſchen Ehronif, fei das alte Sprüchwort, welches Erfurt
ald den Sammelplag für alle diejenigen bezeichnete, die in
der „rechten” Weife den Studien obliegen wollten, zur Wahr⸗
heit geworden,
In der That bilden jene, Jahre die Periode der Höchften
Blüthe in der Gefchichte der Univerfität. Wie in den glän
zendften Zeiten des fünfzehnten Jahrhunderts firömten jept
abermals wiffensdurftige Jünglinge aus allen Theilen unſeres
Baterlandes fin Erfurt zufammen; Graduirte aus Wittenberg,
Leipzig, Tübingen, Loewen, fuchten hier dad anderwärts Be
gonnene zu vollenden !). Das nahe und befreundete Berhält
Non erat huic lingua quisquam nec voce secundus,
Dictaque seu magnis imbribus acta dabat,
Praecipue quoties Musas laudemque sororum
Et reparaturum dona canebat opum.
Augusto quondam spirabant numine vultus
Ipsaque consueverant ora referre Deum
Ex alto quoties se demisisset Olympo
Latona aut Maja natus uterque Jove
Ire que in humano voluissent corpore divi
Corporibus divos talibus isse puto.““
1) Der bedeutendfte unter den nen aufgenommenen Graduirten iſt Otto
Beckmann aus Warburg. der bis dahin in Wittenberg gelehrt hatte, er
wurde immatrifulirt als „Mer. et licenciatus jure studii Wittenber-
gensis gratis propter honorem suae universitatis.“ &. U. M. ad a.
1517. — Freilich läßt fich nicht verfennen, daß die Anzahl der Immatri⸗
kulirten nicht wieder die Höhe erreichte, die fie in der Mitte des 15. Jahrh.
hatte, aber es wird fich zeigen, daß Erfurt's eigentliche Blüthe in etwas
Anderem, als in der Mafle der Studirenden, beruhte. Auch wirkte um bie
in Rede fiehende Zeit die Rivalität Wittenberg's nachtheilig für Die Fre⸗
quenz; folgende Weberficht möge bier Blag finden:
— 9 —
niß, in welchem die Univerſitaͤt zu Erasmus, dem Abgotte der
Zeit, ſtand, das reichliche Lob, welches dieſer ihr ſpendete !),
wirkten förderlich für ihren Ruhm. Bor Allem aber übte der
Name Eoban’s einen eigenthümlichen Reiz aus. Mancher begei-
fterte Süngling zog nad) Erfurt, blos um „ven chriftlichen Ovid,“
wie Eoban einftimmig von feinen Zeitgenoffen gepriefen wurde,
fennen zu lernen?) Das Würdevolle, welches in feinem
Aeußeren lag, erhöhte ven Ruhm des Dichter ?). In feinen
Borlefungen ſoll Eoban oft fünfzehnhundert Zuhörer gehabt
haben, fo daß der Hörfaal die Menge derfelben nicht faſſen
fonnte +). Wie ehedem vie theologifche, fo war jest, feit Eoban's
Es wurden 1515—16 in Erfurt immatrifulirt 305, in Wittenberg 1855
"u" . 116-7, u. „ 17*, . . 190;
"nr Bo, „ „ 5 „ „ 97;
.. B1-9, „ „ 38 „ . 358;
“IB, „ „ „ „ 553;
„ 1520-1, . . 311, 406.
[ — ——
® In dieſem Jahre verſcheuchte eine epidemiſche Seuche einen Theil ver Studirenden
aus Erfurt.
1) Vgl. feine Briefe an Eordus und Draconites, Epp. Erasmi p. 835, 236.
2) „‚„Alliciebat autem fama nominis Eobanici invitabatque per-
multos, ut in Academiam Erphordianam vel discendi causa migrarent,
vel ad visendum saltem Eobanum excurrerent.‘‘“ Camer. Narr. de
Eob. C 2 b, Unter denen, die blos kamen, um Coban zu fehen, erwähnt
Camerarius 1. c. den berühmten Sebaldus Münfterns.
2) Daniel Greifer, welcher damals bei ihm Duintilian und Gurtins
hörte, gedenkt noch in fpätern Jahren, in feiner 1587 zu Dresden erfchie-
nen Selbfibiographie, des Eindrudes, den Eobau's Berfon auf den Juͤng⸗
Img machte, freilich mit einer übeln Nebenbeziehung: „Wenn Eobanus
nüchtern war, ehe denn er getranf, war in vultu ejus eine herrliche gra-
vitas und modestia, daß, wenn Junge Leute für ihn kahmen, muften fie
ihr angeficht für ihm fubmittiren, niderfchlagen vnd die erde anfehen und
ich fchemen ihn kecklich anzufehen.“
2) „Wann er lafe hatte er einen foldyen Applausum, daß die Menge
der Auditorum in dem obgleich geranmen Auditorio nicht Play fande,
jondern auffen vor der Thüre, auch wohl auf ber Gaſſen fiehen mußten.“
Biantes Lebensbefchreibungen berühmter Erfurter. Erf. 1733. p. 87. Die
oben angeführte Anzahl der Zuhörer, die ſich bei Mehreren findet, fanb
indeß ſchon Motſchmann, und wohl nicht mit Unrecht, etwas übertrieben. —
— u —
vn.
Die alten Chroniken der Stadt Erfurt verweilen zu Feiner
Zeit mit jo großer Vorliebe bei ihrer Univerfität, als während
der Jahre von 1517 bis 21. Damals erft, Heißt e8 in der
hogelfchen EChronif, fei das alte Sprüchwort, welches Erfurt
al8 den Sammelplab für alle diejenigen bezeichnete, Die in
der „rechten” Weife den Studien obliegen wollten, zur Wahr⸗
heit geworden.
In der That bilden jene Jahre die Periove der höchften
Blüthe in der Gefchichte der Univerfttät. Wie in den glän-
zendften Zeiten des fünfzehnten Jahrhunderts ftrömten jeßt
abermals wiffensdurftige Sünglinge aus allen Theilen unferes
Baterlandes fin Erfurt zufammen; Grabuirte aus Wittenberg,
Leipzig, Tübingen, Loewen, fuchten hier das anderwärts Be
gonnene zu vollenden!), Das nahe und befreundete Berhälts
Non erat huic lingua quisquam nec voce secundus,
Dictaque seu magnis imbribus acta dabat,
Praecipue quoties Musas laudemque sororum
Et reparaturum dona canebat opum.
Augusto quondam spirabant numine vultus
Ipsaque consueverant ora referre Deum
Ex alto quoties se demisisset Olympo
Latona aut Maja natus uterque Jove
Ire que in humano voluissent corpore divi
Courporibus divos talibus isse puto.““
ı) Der bedeutendfte unter den neun aufgenommenen Orabuirten ift Otto
Beckmann aus Warburg. der bis dahin in Wittenberg gelehrt hatte, er
wurde immatrifulirt al& „Mer. et licenciatus jure studii Wittenber-
gensis gratis propter honorem suae universitatis.“ E. U. M. ad a,
1517. — Freilich läßt fich nicht verfennen, daß die Anzahl der Immatri-
kulirten nicht wieder die Höhe erreichte, die fie in der Mitte des 15. Jahr.
hatte, aber es wird fich zeigen, daß Erfurt’s eigentliche Blüthe in etwas
Anderem, als in der Maſſe der Studirenden, beruhte. Auch wirkte um bie
in Rede fiehende Zeit die Rivalität Wittenberg’s nadıtheilig für bie Fre⸗
quenz; folgende Ueberſicht möge hier Platz finden:
— 9 —
niß, in welchem die Univerſitaͤt zu Erasmus, dem Abgotte der
Zeit, ſtand, das reichliche Lob, welches dieſer ihr jpendete !),
wirften förderlich für ihren Ruhm. Bor Allem aber übte der
Name Eoban’3 einen eigenthümlichen Reiz aus. Mancher begeis
ſterte Juͤngling zog nah Erfurt, blos um „ven chriftlichen Ovid,“
wie Eoban einftimmig von feinen Zeitgenoffen gepriefen wurde,
fennen zu lernen?) Das Würdevolle, welches in feinem
Aeußeren lag, erhöhte ven Ruhm des Dichters 2). In feinen
Borlefungen fol Eoban oft fünfzehnhundert Zuhörer gehabt
haben, fo daß der Hörfaal die Menge derfelben nicht faſſen
fonnte +). Wie ehedem vie theologifche, fo war jebt, feit Eoban's
Es wurden 1515—16 in Erfurt immatrifulirt 305, in Wittenberg 185;
"u. B16--7, „ mer, . . 190;
, . BI7-8, „ „ 5 „ „ 977;
.. 11-19, . . 38, „ . 358;
„" . 1B-0, » „ „ „ 553;
„ 1520-1, . sh „ 406.
° an diefem Jahre vericheuchte eine evidemiſche Seuche einen Theil ver Studirenden
aus Erfurt.
1) Bat. feine Briefe an Eordus und Draconites. Epp. Erasmi p. 835, 236.
2) „„Alliciebat autem fama nominis Eobanici invitabatque per-
multos, ut in Academiam Erphordianam vel discendi causa migrarent,
vel ad visendum saltem Eobanum excurrerent.‘‘ Camer. Narr. de
Eob. C 2 b, Unter denen, die blos Tamen, um Coban zu fehen, erwähnt
Gamerarius 1. c. den berühmten Sebaldus Münfterns.
8) Daniel Greifer, welcher damals bei ihm Duintilian und Curtius
hörte, gedenkt noch in fpätern Sahren, in feiner 1587 zu Dresden erfchie-
nenen Selbfibiographie, des Eindrudes, den Cobau's Berfon auf den Jüng-
Img machte, freilich mit einer übeln Nebenbeziehung: „Wenn Eobanus
nüchtern war, ehe denn er getrauf, war in vultu ejus eine herrliche gra-
vitas vnd modestia, daß, wenn Junge Leute für ihn fahmen, muften fie
ihr angeficht für ihm fubmittiren, niderfchlagen vnd die erde anfehen vnd
Rh ſchemen ihn kecklich anzufehen.”
*) „Wann er lafe hatte er einen ſolchen Applausum, daß die Menge
der Auditorum in dem obgleich geraumen Auditorio nicht Play fande,
ſondern auffen vor der Thüre, auch wohl auf der Gaſſen fichen muſten.“
Biantes Lebensbefchreibungen berühmter Erfurter. Erf. 1738. p. 87. Die
oben angeführte Anzahl der Zuhörer, Die fich bei Mehreren findet, faub
indeß ſchon Motſchmann, und wohl nicht mit Unrecht, etwas übertrieben. —
— 0 —
Auftreten, die philofophifche Facultät das glänzende Geftirn,
von dem alles Webrige an der Iniverfität Licht und Leben
empfing.
Nichts veranfchaulicht uns beſſer den Gegenfat, welchen
die Haltung des eobanifchen Kreifes zu den Beftrebungen ver
Humaniften während der reuchlinifchen Sturm- und Drangs
periode bildet, als dieſes fchöne Verhältniß, in dem Eoban zu
der Univerfität fand, Sahen wir ja, wie unverholen Mutian
geradezu auf den Ruin derſelben Hinarbeitete. Dahin eben war
eine feiner erften Sorgen gerichtet, feinen Schülern gegen bie
beftehenven Lehranftalten, als Schöpfungen des Scholafticismusg,
einen unverfühnlihen Haß einzuflößen. Kein Wunder, wenn
ſolchen veftructiven Tendenzen gegenüber die alte Partei, ihre
frühere Milde und Nachficht faft bereuend, fich zur Gegenwehr
feste. Eben jo wenig darf es aber auch befremden, wenn jeßt,
da die Neuerung eine fo friedliche Außenfeite gewonnen und
die Humaniftifchen Beftrebungen fich nicht blos dem Beifte der
Univerfttät wieder genähert hatten, fondern fogar zur Erhöhung
ihres Ruhmes beitrugen, auch die Partei der älteren Lehrer
wieder zu ihrer frühern milden Haltung zurückkehrte. Mochte
auch der Eifer der enthufiaftifhen Mufenverehrer noch bier
und da das Maaß überfchreiten ?), jener gefährliche Geift, der
den mutianifchen Humanismus beherrfchte, war aus Eoban's
Reiche gewichen. Wir hören nichts mehr von der bittern
Polemif der frühern Zeit, von tumultuarifchen Auftritten, wie
fie während der reuchlinifchen Streitigfeit in Erfurt vorfielen.
Freundlich kamen die Altern Lehrer den friedfertigen „Eras-
mianern” entgegen. Es wurde gern gefehen, wenn Eoban
bie Feier eines academijchen Actes durch eine claffifche Feſtrede
———
1) So erzählt Eamerarius von Niger, daß er bei der Magiflerpros
motion zurädgemiefen worden fei ‚‚quod bonarum artium et studiorum
humanitatis avidior et in his colendis fuisset lıberior.‘‘ Narr. de
Eob. C 4 a.
— 251 —
erhöhte). Wie in den Zeiten des Maternus, der jetzt von
neuem wieder zu Anfehen gelangte 2), wurde fett abermals der
Zauber der claffifchen Formen zur Verherrlichung der Univers
fität verwendet.
Und fürwahr, die erfurter Humaniften hatten feinen Grund,
diefe ihre Rüdfehr zu jener friedlichen Entwidelung zu bereuen.
Ihnen ift ed dadurch gelungen, jenen Gedanken, welcher dem
Erasmus vorfchwebte, zuerft zu verwirklichen. Auf friedlichen
MWege haben fie die Univerfität im Geifte der neuerwachten
Studien umgeftaltet, fie in ein Organ der neuen Richtung ums
gewandelt. .
Diefed geſchah im Sommer 1519, unter dem Rectorate
des damals jechsundgwanzigjährigen Juſtus Jonas. Während
ſeiner Abweſenheit, eben ald er fih auf feiner gelehrten
Pilgerfabrt in die Niederlande befand, war Jonas daheim von
feinen $reunden Eberbach, Draconited, Yemelius?), denen in
der herfümmlichen Weife das Wahlgejchäft aufgetragen worden
war, zum Rector der Univerfität gewählt worden. Sei ed, daß
er befondere Aufträge von Erasmus empfangen hatte, fei es,
daß die Entwidelung in Erfurt von felbft dahin führte: genug,
ganz im Geifte des Erasmus wurden nach feiner Rüdffehr in
der Einrichtung der Univerfität die wichtigften Veränderungen
getroffen, Acht Xehrer wurden für die Doction der lateinifchen
und griechifchen Sprache und der „wahren“ Bhilojophie ernannt.
Die philofophifche Facultät jollte fortan als die erfte, wenigftens
ı) Bon diefen bei verfchiedenen Gelegenheiten von Eoban gehaltenen
Reden kenne ich nur Die 1580 bei einer Baccalaureenpromotion gehaltene,
welche fich findet in Eob. et amic. epp. fam. p. 248—352.
2) Er war 1518 Decan in der philofophifchen Facultät. Bon feinen
damaligen Bemühungen für die neuen Studien fpricht Samerarius Narr.
de Eob. C 2 b. |
2) Alle drei gehörten Coban's Genoſſenſchaft an, ein Umfland, ber
allein fchon hinreicht, uns den großen Einfluß der legteren erkennen zu
laſſen.
— 22 —
als die wichtigfte angefehen werden ?). Dann wurde auch der
mittelalterliche Pomp, an dem die Univerfität ‚bisher noch feR-
gehalten, in einzelnen Stüden vereinfacht, die üblichen Magifter
mahle wurden befehränft. Die dadurch erzielte Exrfparniß follte
zum Beſten der Lehrer der claffifchen Sprachen verwendet wer
den. Durch eine feierliche Rede beftegelte Eoban den Gieg
feiner Sadhe?). Jonas aber trug triumphirend das Ereigniß
in die Jahrbücher der Univerfität ein und ließ in der ſinw
reichften Weife feinem Berichte das Bild de8 Mannes vor
fegen, defien Ideen eben durch die vorgenommenen Reformen
ihre Verwirklichung gefunden hatten ?).
Und ſo waren denn doch jene Hoffnungen, zu denen bie
Haltung der Univerfität von vornherein Anlaß gegeben, in
1) „Quem quis merito totius Gymnasii proram puppimque dixerit“
fagt Ionas in feinem Bericht.
2) Oratio de studiorum instauratione in inclyta schola Erphur-
diensi omnium Ordinum consensu frequentissimo Auditorio ab Eob.
Hesso habita 1519 mense Sept. Erph. 1520. 4°. Leider ift mir biefe
Rede felbft nicht zu Geflcht gekommen.
®) Praefatio ad rector. J. Jonae. E. U. M. ad a. 1519. Ein
wichtiges Actenflüd für die Gefchichte der Univ. Nachdem zuvor den Wiſ—⸗
fenfch. und den Mufen reichliches Lob gefpendet ift, Fömmt endlich Die Rebe
auf die glüdlichen Reformen, die im I. des Herrn 1519 vorgenommen
feien. Bor dem Berichte ift das Bildniß des Erasmus angebracht. Er
erfcheint in Magiftertracht, in Gegenwart feines Faiferl Gebieters Karls V,
zur Seite nimmt man eine Anzahl eifriger Scholaren wahr, die fich Her:
andrängen, um ben verehrten Meifter zu fehen; in ihren Händen, mit Denen
fie auf Erasmus hinweiſen, halten fte die Infchrift: Hic est ille Erasmus.
Nicht fchöner fonnte das Verhältniß des Erasmus zur Univerfität darge
fellt werden. — Wenn übrigens Franke (Geſch. der Hallifchen Reformation
p. 257) meint, daß Jonas „die befiere Lehrmethode von Wittenberg mitge
bracht habe”, fo ift Dies irrig und beruht auf einer Ueberſchätzung Witten
bergs. Jonas hatte von Wittenberg Nichts mitzubringen. Erhielt ja
doch Wittenberg feine ausgezeichnetften Lehrer, den Marſchalk, Trutvetter,
Luther, Goede, eben aus Erfurt und war ja gerade während der in Rede
Rehenden Zeit Melandıthon fortwährend bemüht, gelehrte Erfurter nah
Wittenberg herüberzuziehen. So vollſtändig wie in Erfurt 1519 bat Rd
in Wittenberg der Humanismus nie Bahn gebrochen.
— 2353 —
Erfüllung gegangen. Noch Feine deutſche Univerfität hatte,
als Corporation, den neuen Ideen einen derartigen Einfluß
geſtattet. Es war das erſte Mal, daß der neue Geift fih in
aller Form eine mittelalterliche Lehranſtalt dienſtbar machte.
Was unter Jonas begonnen, wurde von feinen Nachfol⸗
gern fortgejegt. Ihm folgte in der Rectorwürde der gleich
eifrige Ceratinus, jener Gelehrte, den Erasmus felbft in einem
Briefe an Pirkheimer als fein würdigſtes Ebenbild hinſtellt 1).
In gleichem Sinne thätig war deſſen Nachfolger Ludwig Platz,
ber warme Freund und Verehrer Eoban’s. Erasmus, der durch
humaniftifhe Pilgrime fortwährend von Allem, was in Erfurt
geihah, in Kenntniß erhalten wurde, ſtellt feiner Amtsver⸗
waltung das glänzendfte Zeugniß aus. In einem Schreiben
„an den Rector der gefeierten erfurtifchen Schule” preifet er
in den anerkennendſten Ausdrücken feine Gelehrfamfeit und
feine Bemühungen, auf frievlihem Wege die Herrfchaft det
neuen Wiffenfchaften ficher zu ftellen. Dem Lobe fügt er die
Aufmunterung hinzu, auch fernerhin nach den bisherigen Grund-
fügen zu verfahren, Eifer und Mäßigung zu verbinden. „So
müflen die guten Wiftenfchaften an den hohen Schulen einge-
führt werden,” heißt es in jenem Schreiben, „nicht als Feinde,
die Alles mit Verwüſtung bedrohen, ſondern ald Gaftfreunde,
die fich bald mit den einheimifchen Sitten befreunden“ 2),
1) Heumann Docum. liter. C. J. p. 95. — Sein Rertorat wird durch
mehrere Tleinere Gedichte, die fich in den Matrikeln finden, verherrlicht. —
2) Der Brief findet fi in Erasm. Epp. p. 417. Die dort beigefügte
Jahreszahl 1518 ift unrichtig. Der Brief iſt aus dem I. 1520. Ich will
den Anfang berfeßen: „Rectori inclitae Scholae Erphurdiensis Erasmus
8. D. Vir eximie non possum non amare te quod ut ex Dracone
javene minime vano cognovi, doctissimus ipse, studiis melioribus im-
pense faveaa: atque horum Accessione Erphurdiensem Academiam (cui
tu felieibus praesides auspiciis) exornandam expoliendamque cures.
Ile tuae prudentiae laus est peenliaris, quod hoc absque tumultu
facis, quem alibi videmus excitari quorundam imprudentia. Bonae
literae sic debent irrepere in Academias, non ut hostes omnia depo-
— 22 —
als die wichtigfte angefehen werden). Dann wurde auch der
mittelalterlihe Pomp, an dem die Univerfität ‚bisher noch feſt⸗
gehalten, in einzelnen Stüden vereinfacht, die üblichen Magifter
mahle wurden befchränft. Die dadurch erzielte Erfparniß follte
zum Beften der Lehrer der claffifhen Sprachen verwendet wer
den. Durch eine feierlihe Rede beftegelte Eoban den Sieg
feiner Sache?). Jonas aber trug triumphirend das Ereigniß
in die Jahrbücher der Univerfttät ein und ließ in der finw=
reichften Weiſe feinem Berichte das Bild ded Mannes vor
ſetzen, deffen Ideen eben durch die vorgenommenen Reformen
ihre Verwirklichung gefunden hatten 2).
Und fo waren denn doch jene Hoffnungen, zu denen bie
Haltung der Univerfität von vornherein Anlaß gegeben, in
1) „„Quem quis merito totius Gymnasii proram puppimque dixerit“
fagt Ionas in feinem Bericht.
2) Oratio de studiorum instauratione in inclyta schola Erphur-
diensi omnium Ordinum consensu frequentissimo Auditorio ab Eob.
Hesso habita 1519 mense Sept. Erph. 1520. 4°. Leider ift mir dieſe
Rede felbft nicht zu Geſicht gekommen.
®) Praefatio ad rector. J. Jonae E. U. M. ad a. 1519. Ein
wichtiges Actenftüd für die Gefchichte der Univ. Nachdem zuvor den Bil
ſenſch. und den Mufen reichliches Lob gefpendet ift, kömmt endlich Die Rede
auf die glüdlichen Reformen, die im I. des Herrn 1519 vorgenommen
feien. Bor dem Berichte ift das Bildnig des Erasmus angebracdht. Er
erfcheint in Magiftertracht, in Gegenwart feines Faiferl Gebieters Karls V,
zur Seite nimmt man eine Anzahl eifriger Scholaren wahr, bie ſich her:
andrängen, um den verehrten Meifter zu fehen; in ihren Händen, mit Denen
fie auf Erasmus hinweifen, halten fie die Infchrift: Hic est ille Erasmus.
Nicht fchöner Fonnte das Verhältnig des Erasmus zur Univerfität darge⸗
fellt werden. — Wenn übrigens Franke (Geſch. der Hallifchen Reformation
p. 257) meint, daß Jonas „die befiere Lehrmethode von Wittenberg mitge⸗
bracht habe”, fo ift dies irrig und beruht auf einer Ueberſchätzung Witten
bergs. Jonas Hatte von Wittenberg Nichts mitzubringen. Erhielt ja
boch Wittenberg feine ausgezeichnetften Lehrer, den Marfchalf, Trutvetier,
Luther, Goede, eben aus Erfurt und war ja gerade während der in Rebe
Rehenden Zeit Melanchthon fortwährend bemüht, gelehrte Erfurter nah
Wittenberg herüberzuziehen. So volltändig wie in Erfurt 1519 hat ſich
in Wittenberg der Humanismus nie Bahn gebrochen.
— DB —
Erfüllung gegangen. Noch Feine deutſche Univerfität hatte,
als Eorporation, den neuen Ideen einen derartigen Einfluß
geftattet. Es war das erfte Mal, daß der neue Geiſt ſich in
aller Form eine mittelalterliche Lehranftalt dienftbar machte.
Was unter Jonas begonnen, wurde von feinen Nachfol⸗
gern fortgefett. Ihm folgte in der Nectorwürde der gleich
eifrige Ceratinus, jener Gelehrte, den Erasmus felbft in einem
Briefe an Pirkheimer als fein würdigſtes Ebenbild hinftellt *).
In gleichem Sinne thätig war deffen Nachfolger Ludwig Plab,
ber warme Freund und Verehrer Eoban’d. Erasmus, der durch
humaniftifche Pilgrime fortwährend von Allem, was in Erfurt
geſchah, in Kenntniß erhalten wurde, flellt feiner Amtsver-
waltung das glänzendfle Zeugniß aus In einem Schreiben
‚an den Rector der gefeierten erfurtifchen Schule” preifet ex
in den anerfennendften Ausprüden feine Gelehrſamkeit und
feine Bemühungen, auf friedlihem Wege die Herrfchaft det
neuen Wiffenfchaften ficher zu ftellen. Dem Lobe fügt er die
Aufmunterung Binzu, auch fernerhin nach den bisherigen Grund⸗
fägen zu verfahren, Eifer und Mäßigung zu verbinden. „So
müſſen die guten Wiflenfchaften an den hohen Schulen einge:
führt werden,” heißt es in jenem Schreiben, „nicht ald Feinde,
die Alles mit Verwüftung bedrohen, fondern als Gaftfreunde,
die fich bald mit den einheimifchen Sitten befreunden” 2),
I) Heumann Docum, liter. C. J. p. 95. — Sein Rectorat wird durch
mehrere Tleinere Gedichte, Die fich in den Matrikeln finden, verherrlicht. —
2) Der Brief findet fih in Erasm. Epp. p. 417. Die dort beigefügte
Jahreszahl 1518 ift unrichtig. Der Brief iſt aus dem I. 1520. Ich will
den Anfang herſetzen: „Rectori inclitae Scholae Erphurdiensis Erasınus
8. D. Vir eximie non possum non amare te quod ut ex Dracone
javene minime vano cognovi, doctissimus ipse, studiis melioribus im-
pense faveas: atque horum accessione Erphurdiensem Academiam (cui
tu felicibus praesides auspiciis) exornandam expoliendamque cures.
Ola tuae prudentiae laus est peeuliaris, quod hoc absque tumultu
facis, quem alibi videmus excitari quorundam imprudentia. Bonae
literae sic debent irrepere in Academias, non ut hostes emnia depo-
— 254 —
Platz ließ dieſe Worte des gefeierten Lehrers nach Ablauf
feines Rectorats in die Matrikel der Univerſität eintragen 1).
Sie enthielten den wahrften Ausdruck des Gedankens, unter
defien Herrfchaft damals die Univerfität fand.
VII.
Nur in einer Hinſicht kannten unſere Erfurter jene ihnen
von Erasmus fort und fort anempfohlene Mäßigung nicht:
eben in dem Enthufiasmus für den Verfünder der Mäßigung
felbft. Erasmus war ihnen das unerreichbare Ideal, erhaben
über alle Rebenbuhler 2), das große Vorbild, dem Alle nad):
ftreben follten, Keiner aber gleichfommen könnte. Sich ihm
vergleichen zu wollen, fchien ihnen Vermeffenheit, ein Angriff
gegen ihn das größte aller Verbrechen. Der Engländer Eduard
Lee hatte einen folchen gewagt, indem er mit einer Streitjchrift
gegen die von Erasmus veranftaltete Ausgabe des Neuen
Teſtaments hervortrat, Wen hätte das mehr empören können,
al8 die Crasmianer in Erfurt? Aufgebracht über die Ber
pulaturi videantur, sed hospites potius in civilem consuetudinem coa-
lituri.““
2) Bol. Praef. rect. Lud. Platz. €. U. M. ad a. 1520.
2) „Qui sua immortali gloria virtuteque omnem invidiam supe-
ravit.‘“ Eob. ad Jonam Epp. fam. p. 14. Vgl. audy Micyllus Sylv.
p.53 u.a. Diefe unbegrenzte Verehrung für Erasmus fpricht ſich nament
lich in den Klagen aus, zu denen die mehrmals (1513, 1519,1522) über ben
Tod deffelben irrig in Umlauf gefeßten Nachrichten Anlaß gaben. Zu charaf:
teriftifch ift der Klageruf, in dem ſich Eoban 1522 bei einem folden Ge⸗
rüchte erging, auch für die in Rede fiehende Zeit, als daß ich ihn übergehen
fönnte: „O justas lacrimas! Hic tandem flendum est! Quid patriam
lugemus ademptam? Quid obiisse parentes. Hi pepererunt nos socun-
dum corpus, ille secundum animos. Nec fuit illo verior alias infan-
tiae nostrae magister. Ah periit tamen. Sed heu, non periit. O me
miserum! pugnant in affecto corpore spesque dolorque.‘“ ad Drac.
Eob. et amic. epp. fam. p. 86.
— 255 —
wegenheit des Auslaͤnders, wenn auch über den Gegenſtand
des Streites eigentlich nicht urtheilsfähig, erhoben ſich Eoban,
Petrejus, Cordus, Niger und Crato in einer gemeinſchaftlich
von ihnen verfaßten Invective zur Bekaͤmpfung jenes „öffentlichen
Feindes“ ?). Die erfte Anregung dazu ging von Petreius aus,
welcher e8 für eine Schmach des Zeitalter hielt, vaß ed noch Men»
hen gab, die dem Erasmus ihren Beifall zu verfagen wagten ?),
und deshalb Eoban, das Bundesoberhaupt aufforderte, ſich an
die Spige zu fielen und Alle zum Sampfe gegen den Verwe⸗
genen aufzubieten®). Schwerlih ift jemald Erasmus über:
Ihwenglicher gepriefen, ein Zeind von ihm mit größerer Ber
achtung behandelt worden, als in dieſer Schrift. Lee's Begin⸗
nen wird als eine zweite Heroftratusthat dargeſtellt, nur um
zu einem berühmten Namen zu gelangen, habe er den frevel-
haften Angriff unternommen *), denn fchon habe ex es für den
ı) In Eduardum „„Leum Quorundam e sodalitate Literaria Erphur-
dien, Erasmici nominis studiosorum Epigrammata.‘‘ 4°. (Krph. bei
Cnapp. 1520.) Ich verdanfe die Benutzung biefer Schrift der Freundlich⸗
feit des Hrn. Brof. Boeing in Bonn. Schon das Jahr zuvor (d. d. Mog.
13. Cal. Jun. 1519) hatte Hutten getrennt von feinen erfurtifchen Freunden
auf eigene Hand ein heftiges Sendfchreiben, voll der maßlofeften Schmähungen
gegen Lee erlafien; vgl. Opp. Hutt. III, 197—200.
2) „„Cum publicum totius aetatis dedecus interprer, esse quibus
displiceat Erasmus, esse qui mordere audeant, tot modis pietati juxta
ac optimis studiis utilem, ut si omnium, qui annos abhinc sexaginta
vixerunt, labores conferas, aequilibrium non sint facturi.‘“ Petrej.
ad Eob.l.c. A1b.
2) „Tu itaque Eobane mi Jucundissime fac agas Misenum Aeoli-
dem, quo non praestantior alter, aere ciere viros Martemque accen-
dere cantu, cane nobis classicum, ut undique irruant quanta quanta
est Germania milites Minerviae legionis in publicum istum hostem,
quem configant, proterant, lancinent. Alle Elegis, hic Jambis, alius
Satiris, alius Epigrammatis.“ 1. c.A1b.
4). So heißt es in einem Cpigramm bes Riger:
Qualicunque Leus, nomen ratione paretur,
Non referre putat, nomen habere cupit.
— 256 —
Gipfel des Ruhmes gehalten, Erasmus, dem Hercules der
Wiffenichaften, zu unterliegen ?).
Seit dem Erfcheinen der Briefe der Dunfelmänner war
dies der erfte Hal, daß fich wieder mehrere Mitglieder des
erfurtifchen Kreiſes zu einem gemeinfchaftlichen Titerärifchen
Unternehmen vereinigten. Es liegt eine gewiſſe Eonfequenz
. darin, daß die Schaar, in der vier Jahre zuvor Reuchlin feine
rüftigften Bertheidiger gefunden, auch für den Rachfolger des:
felden im humaniſtiſchen Brincipat einmal in die Schranfen trat.
Während dies gefchah, Fehrte Erotus Rubianus nach mehr
als dreijähriger Abwefenheit aus Italien zurüd, Im April
1520 finden wir ihn bereit in Bamberg in Geſellſchaft der
beiden Edlen von Fuchs und feines lieben Hutten?). Längere
— — — —
Nunc id habet, sed quod mihi non ut Herostratus optem,
Nec tibi qui Macedon fata Philippe tulit. C 3 a.
Aehnlich laßt ſich Cordus vernehmen:
Non alio orbi innotescere pacto,
Quam tibi quod magnus carptus Erasmus erat.
ı) So Betrejus:
Ah monstrum infoelix, quod famam in funere quaeris
Speras perire ab Hercule
Fatoque tam claro mori?
Te palamedaerae volucris prosterneret hostis
Nodum coactus in brevem
Nullo labore protinus:
Quodsi omnino tibi divina occumbere dextra
Volentibus satis datum est,
Manu cades Stercutiüi. B 1 b.
In ähnlichem Beifte find auch die übrigen Epigramme gehalten, nur Crate
flimmt einen etwas milderen Ton an.
2) Crotus fchrieb bald nach feiner Ankunft in Bamberg an Luther
(d. d. Bamb. 4 Cal. Maj. 1520) „Salvus ex Italia reversus, subsetiti
hic apud Inclytos fuchsos, tui nominis inprimis studiosos. Vevdit
eodem paulo post Huthenus meus non inito de hoc ullo inter n08
cousilio, sed ut mihi firmiter persuadeo ita amicos tandem de impro-
viso convocante Christo, qui mwllo sacrificio eque gaudet ac mutus
charitate hominum.“ M. ©, ber Herz. Both. Bibl B.n. 30. Bol. and
— 2597 —
Zeit wurde er hier zurüdgehalten. Im October erfchien er
endlich wieder in Erfurt im Kreife feiner alten Freunde. Es
war eben um die Zeit der Rectorwahl. Keiner erfchien den
Wählern zur Bekleidung des höchften Amtes würdiger, ald der
eben angeflommene Crotus: er wurde an die Spise der Uni⸗
verfität geftellt 1).
In dem Rectorate des Crotus feierte der Humanismus
den vollendetften Sieg. Der eobanifche Bund war durch Ero-
tus gleichfam volzählig geworden und empfing durch ihn neues
Leben. Gern theilte fih Eoban mit feinem gelehrten Freunde
in die Hegemonie?). Die Univerfität wurde unbedingt von
den Humaniften beherrſcht. Bei der großen feierlihen Pros
motion, welche im Anfang 1521 unter dem Vorfib des Erotus
vorgenommen wurde, trat Eoban abermals mit einer glänzen»
den, vom Lobe der Alten Überfirömenden Rede auf. Unter den
achtzehn Sünglingen, welche damals die philofophifchen Ehren
empfingen, bemerfen wir einen Camerarius, Sturz und Groe
ningen. „Erfurt ftrahlte im Ruhme der Wiffenfchaften”, fagt
Eoban fpäter in Bezug auf diefe Zeit, „vor allen Städten
Deutſchlands trug es in dem Weitlampfe die Siegespalme
davon 8).“
Gleichſam als Hätte er die Stürme geahnt, die bald zer-
flörend über den fiegesfrohen Humaniftenfreis hereinbrechen
jollten, hat Crotus auf eine höchft eigenthümliche Weiſe Sorge
den Brief bes Mutian an Menius (die Valeriani 1580) in Alt. lib. epp.
38a
1) E. U. M. ad a. 1320. Praef. rect. Crot. „Biduo ante intra-
verat urbem Crotus salutandi veteres amicos ergo. Reversus nuper
ex Italia, quam ob ingenii cultum continuo triennio perlustraverat.
Erat igitur oneri improvisus ille magistralus, tamen proprio commodo
utilitatem communem praetulit.‘“ Der Borgänger bes Erotus war Pla.
2) Bon dem überaus innigen Berhältniffe zwifchen beiden um bie
damalige Zeit zeugen mehrere Briefe, 3.8. Eob. et amic. epp. fam. p. 333.
®) Kob. Farr. I, 53 a.
Kampfehulte, Univerfität Erfurt. 17
— 258 —
getragen, daß das Andenken an denſelben nicht fo bald ver-
wifcht werde. Dem Rectoratsberichte, welchen er nach her
kömmlicher Sitte in der Matrifel der Univerfität abftattete, ließ
er eine eben fo geihmadvoll als finnreich gefertigte Wappen
tafel zur Seite jeßen. Sie enthält die Wappen der hervor
ragendften Mitglieder des eobanifchen Bundes und jener Män-
ner, die in einem bejonderd nahen und bedeutfamen Berhältniß
zu demfelben fanden. Oben thront der Schwan des Eobanus
mit der Eöniglichen Krone. Rechts und links davon fieht man
die Zeichen des Hutten und Jonas. Weiter bemerkt man die
Wappen des Melanchthon, Lange, Eberbach, Forchheim, Urban,
Draconites, Crato, Camerarius und Menius. In der Mitte
prangt jenes räthjelhafte Horn, das Zeichen des Crotus jelbft.
An den vier Eden der Tafel find aber in etwas vergrößertem
Maapftabe die Wappen der vier großen Lehrer angebracht; von
Reuchlin, Mutian, Erasmus und — Luther ').
—— — — ——
1) Die Anordnung iſt folgende:
Luther. Hutten. Eobanus. Jonas. Erasmus.
Menius. Melanchthon.
Camerarius. Crotus. Lange.
Crato. Eberbach.
Reuchlin. Draco. Urban. Forchheim. Mutian.
Die den Wappen beigefügten Namen find ſpäteren Urſprungs, einer iſt
fogar offenbar irrig: flatt Urban findet fi nämlich in der Matr. der Name
Urb. Reg. Urbanus Regius ftand aber in durchaus Keiner Berührung mit
den Erfurtern. Offenbar hat ein Späterer ihn mit dem, unferem Kreife
angehörigen und mit Erotus innig befreundeten Gifterzienfer Urban ver-
wechfelt. Die Spuren einer Rafur laffen vermuthen, daß urfprünglich wirt
lih der Name des H. Urban an der Stelle geftanden habe. — Draconites
iſt wegen feines Geburtsortes als Caroloftad. aufgeführt. — Diefes Wappen:
bild ift eine der vorzüglichfien Zierden der Matrifel. Ein Abdrud befielben
— jedoch ohne die heraldifhen Farben — findet fi in dem NReformationd
almanach von Keyfer, Jahrg. 1817 S. LXXX. Unter dem Gemälde befindet
fih ein Kleines Gedicht von E. H. (Cob. Hefle):
„UL nunquam potuit sine charis vivere amicis
Hic etiam solus noluit esse Crotus.
Picta vides variis fulgere toreumata signis
His sociis nostrae praefuit ille scholae.
— 259 —
Wie beveutfamen Einfluß die drei erfigenannten Gelehrten
auf Erfurt ausgeübt, haben wir gejehen. Der Einfluß des
welterjchütternden Auguftinersd hatte erſt feit Kurzem begonnen,
Fortan wird ex herrfchend.
“u,
„f
Die
Univerfität Erfurt
in ihrem Verhältniſſe zu dem
Humanismus und der Reformation.
Aus den Quellen dargeſtellt
von
Dr. F. W. Kampſchulte,
a. o. Protessor der Geschichte an der Aniversität Bonn.
-0#90:0-
Bweiter heil:
Die Neformation.
A —
Trier, 1860.
Berlag der Fr. Lintz'ſchen Buchhandlung.
Bie
Univerſität Erfurt
und die
Keformation.
üæ-
Ein Beitrag zur Reformationsgeſchichte
von
Dr. 8. W. Kampſchulte,
a. 0. Dınfessar der Geschichte an der Aniuersität Bonn.
ö— — —Dů- — —— —— —
Trier, 1860.
Verlag der Fr. Lintz'ſchen Buchhaudlung.
SFr. ſintz'ſche Buchdruckerei in Trier.
Carl Adolph Lornelius
gewidmet.
Borrede.
Inhalt.
—
Erfted Eapitel. Luther's Anfänge in Erfurt . . .. .
1) Luther's Studien- und Mlofterjahre in Erfurt. Sein inne-
rer Entwidelungsgang bi® zum Ausbruch des AWblafiftreites.
2) Bedentung des Ablafftreites. Stimmung der Nation. Ber-
lauf des Streites bis zur Disputation von Leipzig. 3) Erſte
Aufnahme der Thefen Luthers in Erfurt. Widerfpruch des
Zrutvetter und Nfingen. Beifall Lange's. Sieg der Intherifch
Gefinnten. Haltung der Univerfität bei der leipziger Disputa-
tion. 4) Theilnahme der Sumaniften. Ihre anfängliche fühle
Haltung dem Möndshandel gegenüber. Gründe des Umfchwungs.
Begeifterung für Luther. Einfluß des Erasmus. Borlefungen
des Eordus, Eoban, Jonas. 5) Die päpftlihe Bulle. Ber:
theilung des päpftlichen Verfahrens. Scenen in Erfurt. Oeffent-
liche Berdammung der Bulle durch die theologifche Facultät.
Intimatio Erphürdiana.
Zweites Capitel. Sturm und Drang . . . .
1) Crotus. Sein Aufenthalt in Italien. Hoffnungen und
Befürchtungen. Parteinahme für Luther. Bemlihungen für den-
felben in Rom. Glühender Haß gegen Rom. Mahnung an
Luther zum rüdfichtslofen Kampf. Rücklehr nach Deutfchland.
2) Hutten. Seine politifchen Ideen. Sein Kanıpf für die
deutſche Yreiheit, gegen Papft und Fürften. Annäherung an
Euther. Anfmunterungen und Anerbietungen. Gefteigerter Haß
genen Rom. 3) Hutten’8 und Erotus’ Zufammentunft in Bam-
berg. Neue Mahnfchreiben an Luther. Hülfszuſagen. 4) Ein-
wirfung auf Luther, Luther's Erhebung im Jahre 1520. Ver-
änderter Charakter der Reformationsbewegung. Patriotifche
Ideen. 5) Fortgang der Bewegung, Luther. Erotus. Hutten.
Bormwaltender Einfluß Hutten’s. Nationaler Charakter der Be⸗
wegung. Das Evangelium und die deutjche Freiheit. Berbren-
nung der päpftlichen Bulle. 6) Aufregung in Erfurt. Begeifte-
rung für Evangelium und Baterland. Das Nectorat des Erotus,
Seine geheime fatirifche Thätigkeit. Fortgeſetzte Anftrengungen
Hutten’s. 7) Luther’s Fahrt nah Worms. Sein Triumph in
Erfurt. Ankunft und Berhör in Worms. Ausgang. 8) Schluf-
betrachtung.
Dritted Capitel. Das Pfaffenflürmen . . . .
1) Kirchliche Zuftände in Erfurt vor der Reformation. Anti-
clerifalifcher Geift der Bürger. Entartung der Geiftlichkeit.
Seite
1—42
43—105
106—140
VIII
Ausnahmen. Wirkung der Predigt Luther's. 2) Erſter Pfaffen⸗ Saite
flurm im April 1521. 3) Yortdauernde Gährung. Ziweidentige
Saltung des Rathes. Cinverftändniß des Rathes mit dem Pöbel.
4) Zweite Plünderung der Geiftlichfeit. Benutung der Bedräng-
niß des Elerus durch den Rath. 5) Zraurige Folgen diefer Bor-
gänge für die Univerfität. 6) Rückblick.
Viertes Tapitel. Die Prädifantn . . . . 141-1
1) Zumultuarifcher Austritt der Mönde aus den öftern.
2) Die frei gewordenen Mönche werfen ſich ald Berfünder des
Evangeliums auf. Ton und Inhalt ihrer Predigt. Auflöfung
der alten Tirchlichen Ordnung. 3) Kampf der Prädifanten gegen
Ufingen und andere Bertheidiger des alten Glaubens. Dispu-
tationen. Theologiſche Streitichriften. Rohheit der Polemit.
Rath und Prädilanten. 4) Die neuen Tirchlichen Zuftände,
Irrungen und Streitigleiten in der neuen Kirche, Bedrängte
2age der Altgläubigen. Loſes Treiben der Evangelifchen. Klagen
darüber. 5) Die Prädilanten gegenüber der Univerfität. Ihr
Glaubensmonismus. Anfeindung der Wiffenfchaft. Angriffe
auf die Univerfität. Verfall derfelben. Klagen. Fruchtloſe
Wiederherftellungsverfuche. Veränderte Bedeutung des Wortes
Sophiften. 6) Blid auf Hutten’8 Tette Lebensjahre, Umſchwung
in der Reformationsbewegung feit 1521. 7) Fortichreitender
Berfall in Erfurt. Verddung der Schule. Eoban’s Noth. Sein
Angriff gegen die Prädilanten. Satirifhe Dialoge. Hoffmungs-
loſe Lage.
Tünftes Eapitel. Gänzlicher Verfall der Univerfitit . . . . 202-260
1) Der Bauernaufftand in Erfurt. Die Bauern und die
ftädtifche Demokratie. Intriguen des Rathes. Plünderung und
Vertreibung der Geiftlichfeit. Herrfchaft der Bauern. Reaction.
Confiscation der Früchte der Revolution durch den Rath. Auf-
hören des Tatholifchen Gottesdienftes und der mainziſchen Herr-
haft. 2) Bedrängte Tage der Univerfität. Weindfelige Haltung
des Rathes gegen diefelbe. Gründe. Abzug Eoban’s. 3) Mu-
tian’8 Ausgang. 4) Yortgang der ftädtifchen Irrungen. Eiu—
lenkungsverſuche des Rathes. Duldungsſyſtem. Theilweiſe Re-
ftitution der Katholiſchen. Die Univerſität. Erbitterung der
Prädikanten. Herftellung des Friedens durch den Vertrag von
Sammelburg. 5) Anfeindung des Vertrages durch Alt- und Neu-
gläubige. Kanıpf zwifchen Rath und Prädifanten. Letzte Ver-
ſuche zur Wiederherftelung der Univerfität. Kampf der beiden
Confeſſionen um diefelbe. Zroftlofer Zuſtaud der Schule um die
Mitte des jechszehnten Jahrhunderts.
Rückblick auf Eoban's Dichterbund. Zerftreuung feiner Mit-
glieder. Kirchliche Stellung derfelben. Katholiten. Lutheraner.
Humaniften. Klagen über den feit dem Beginn des Kircheuftrei=
te8 eingetretenen Verfall ne. 0-20
vorrede.
BG»
Ars das vornehmſte Organ der kirchlichen Oppofition
des "fünfzehnten Jahrhunderts hat die Univerfität Erfurt im
Zeitalter Zuther’3 in mehr ald gewöhnlihem Grabe Anſpruch
auf unfere Aufmerkſamkeit. Ich habe es verjucht, die Thätig-
feit, welche fie in jener verhängnißvollen Epoche unjerer Ge-
ihichte entfaltet, den wichtigen Einfluß, den fie bis 1521 auf
den Gang ber Bewegung ausgeübt, und die Einwirfung, welche
fie dann durch diefelbe erfahren hat, treu und volljtändig, jo
weit die noch vorhandenen, müheſam von mir gefammelten
Quellen e3 geftatteten, darzuftellen, und glaube, dem Leer
einen nicht ganz werthlofen Beitrag zur Geſchichte der deutjchen
Reformation vorzulegen.
Die früher ausgeiprochene Abficht, diefem Bande Beilagen
von ungedruckten Briefen 2c. folgen zu Taffen, habe ich aufge:
geben. Soweit diefelben auf den Gegenftand unjerer Darſtel⸗
lung Bezug hatten, haben jie in Tert und Anmerkungen
hinlänglich Berücfichtigung gefunden. Documente von allge
meinerem Inhalt werden füglicher für größere Publikationen
zurücgelegt, zu denen die reiche Fülle des noch ungedrucdten
reformationdgefchichtlichen Materials auffordert. Eine Samm—
x
lung der zahlreichen noch ungedruckten, theilweiſe jehr wichtigen
Briefe ift ein Bedürfniß, das Seder, der fih eingehender mit
der Neformationsgejchichte bejchäftigt hat, gefühlt haben wirt.
Sehr habe ih im Verlauf diefer Arbeit den Mangel
eine® Werkes empfunden, das für die Fatholifche Literatur
basfelbe Leiftete, wa das Corpus Reformatorum für die
evangelifche zu Leiten bejtimmt ift, — eine Corpus Catholi-
corum, wenn man bdiefe Bezeichnung gelten laffen will. So
lange die Schriften eines Cochläus, Erotus, Kling, Eck x.
noch Raritäten bleiben, die aus den verſchiedenſten Bibliothefen
zufammengetragen werden müſſen, wird der Reformationghiifto:
rifer mit kaum zu bewältigenden Schwierigkeiten zu kämpfen
haben und in manchen Fällen feine Aufgabe nur unvollkom—
men löjen können.
Einige Ueberwindung hat es mir gefoftet, mich über die
ſpäteren Schieffale des erfurter Gelehrtentreifes fo Furz zu
faffen, als es gejchehen ift, zumal da ich hier vielfach berr:
Ihenden Anfichten entgegenzutreten genöthigt war. Allein mit
dem Plane des MWerfed war größere Ausführlichfeit nicht ver:
einbar. Vielleicht wird mir Später Gelegenheit geboten wer:
den, in einem andern Zuſammenhange auf die hier angeregten
Tragen zurücdzufommen und auszuführen, was hier nur ange:
deutet werden konnte.
Noch Liegt e& mir ob, meinen verehrten Freunden und
Gönnern in Bonn, Münden, Erfurt, Gotha, Göttingen,
Königsberg ꝛc. für die freundliche Unterftüßung, die fie mir
bei diefer Arbeit gewährt, meinen herzlichen Dank auszuſprechen.
Bonn, im Mai 1860.
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-
17
SEE
2 3% 23 3
4 u
lies 18. Mai 1518 ſtatt 18. März 1858.
lies 1761 ftatt 1701.
tilge das Komma nach culpa.
"nn " „ seducitur.
lie® hoc ftatt hox.
lie® ingentem ftatt ingentum.
21 don oben lies Pfründenverleihungen ftatt Pfeünderverleihungen.
1un
lies theologifixte ftatt theologofirte,
1 van unten lied Jona ftatt Jonae.
Erfies Kapitel. Luthers Anfänge in Erfurt.
„Exoptate die votis Martine tuorum,
Nostra deäm dextro numine tecta subi.“
Koban,
J.
Es war im Sommer 1501, unter dem Rectorat des gefeierten
Trutvetter, als Martin Luther die Univerſität Erfurt bezog ).
Er ſtand damals in feinem achtzehnten Lebensjahre; das fünf-
undzwanzigſte hatte er beinahe zurückgelegt, als er Erfurt verließ.
Was feine Biographen über dieſe fteben Qahre berichten,
it dürftig und kaum mehr, als Meberlieferung der Sage ?);
doch Luthers eigene Meittheilungen genügen, um uns erfennen
zu laſſen, daß fte zu den wichtigften ſeines Lebens gehören.
Wenig zu jagen tft von der erften Zeit. Soweit wir
Luther Spuren folgen können, finden wir ibn während der
eriten Fahre ganz auf den gewöhnlichen Bahnen. Er ftudirte
Philoſophie und Rechtswiſſenſchaft, um fpäter nach Wunfch der
Eltern als Rechtögelehrter fein Glück zu verfuchen. „Mit
ſonderm Fleiß” widmete er fi dem Studium der Philofophie ;
er hörte Logik, dann Phyſik, Ethik und was ſonſt noch das
1) Als Martinus Judher ex munsfelt ift er 1501 in bie Matrifel ein:
getragen, als Martinus Luder erfcheint er in bem Magifterverzeichniß von
1505. — Erf. Univ. Matr.
2) Melanchthon Historia de vita et actis M. Lutkeri (Wittenb, 1546),
Cochläus Comment. de actis ct scriptis M. Lutheri (Me. 1549),
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. IL. Theit.
- 2 —
ſcholaſtiſche Herfommen vorfchried. ine ganze Reihe von
Lehrern wird aufgeführt, deren Borlefungen er bejucht hat:
Trutvetter, „der Doctor von Erfurt”, der eben damals auf ber
Höhe feines Ruhmes ftand, Wfingen, Ebeling, Greffenjtayn,
Gryphius, Hecker. Aus fpätern Weußerungen Luther geht
hervor, daß diefe Männer einen günftigen Eindrud auf ihn
gemacht haben !). Den meijten Einfluß auf ihn gewann Trut-
vetter, den er vorzugöweife als feinen Lehrer und Führer
betrachtete und für den er auch noch in fpäterer Zeit große
Verehrung befundet?). Das in Erfurt berrichende philofopbifche
Syſtem war, im Einklang mit der ganzen Richtung der Schule,
dag ber „Modernen“, der ſeit Dccam gewöhnlich mit der Firdh-
lichen Oppofition verbündete Nominalismus, und in dieſen
wurde auch Luther eingeführt). Schon im Jahre 1503 empfing
Matheſius Hiftorien Bon des Ehrwirdigen in Gott feligen theuren Mannes
Gottes, Doctorig Martini Luther? anfang, Lere, leben und fterben (Nürnb.
1570), Bavarus, bei Sedenborf Comment. de Lutheranismo I, p. 21
bieten für biefe Zeit — wenn man bie fagenhafte Ausſchmückung entfernt —
nur fpärliche Notizen. Aehnlich verhält es fi) mit den fpätern Arbeiten von
J. 9. Sinnhold De meritis Martini Lutheri in civitatem et ecclesiam
Erfordiensem (Erf. 1746), Fratzſcher Do academia Erfordiensi de Lu-
thero optimo merita et evangelicae, quam is adseruit veritatis teste
et vindice (Abgedr. im Musaeum Casimirianum ed. Frommann Cob.
1771, P. 1, p. 258—%8) und Motfchmann Erfordia Litterata Fünfte
Sammlung p. 696 sqq.
1) So ftellt er der willenfchaftlichen Tüchtigfeit feiner erjurter Lehrer ein
fehr günſtiges Zeugniß aus, wenn er fpäter in ber Streitfchrift gegen Latomus
feine eigene jcholaftiihe Bildung rühmt: „„Arbitror igitur et mihi non esse
penitus crassum in rebus istis (sc, philosophia et scholastica theo-
logia) judicium, qui educatus in eis sim et coaetangrum doctissi-
morum ingenia expertus, optima istius generis scripta contemplatus,
in sacris literis saltem ex parte eruditus.‘“ gl. Rationis Latomianae
pro incendiariis Lovaniensis scholae Sophistis redditae Lutheriana
Confutatio, Wittenb. Q. 2b.
2) Vgl. De Wette Luthers Briefe I, 107 ff. Lutherus egregio et op-
timo viro Domino Jodoco Eisenacensi, Theologo et Philosopho prime,
sibi in Domino Majori semper venerabili d. d. 9. März 1518.
s) Ein Umſtand, dem indeß übertriebene Bedeutung beigelegt worben
- 3 —
er die erite acabemifche Auszeichnung, das philoſophiſche Bac-
calaureat, zwei Jahre fpäter die Magiſterwürde. Es kann al?
ein Beweis für den Erfolg feiner philofophifchen Studien ange-
jehen werden, daß ihın unter fiebenzehn Bewerbern der zweite
Platz zuerkannt wurde.
Für ſeine juriſtiſchen Studien fand er in dem gelehrten
Henning Goede einen eben ſo wohlwollenden, als kenntnißreichen
Führer. Als Beiſpiel ſeines Eifers für dieſe Studien wird
angeführt, daß er trotz ſeiner beſchränkten Vermögensverhältniſſe
ſchon in den erſten Jahren das ganze Corpus juris käuflich ſich
erworben hatte.
Allein auf die Dauer vermochte weder nominaliſtiſche Phi⸗
loſophie, noch Rechtswiſſenſchaft ſeinen Geiſt zu feſſeln. Schon
frühzeitig fing er an, neben den Fachſtudien ſich ernſtlich mit
der h. Schrift zu beſchäftigen; von Trutvetter empfing er die
erſte Anleitung zu einem freiern Studium derſelben ’). Dann
wandte er fich, dem allgemeinen Zuge folgend, eine Zeitlang
dem clajfiichen Alterthum zu, las Cicero, Virgil, Plautus,
nahm 1504 an den humaniftifchen Vorlefungen bes Hieronymus
Ener Theil?). Indeß die Begeifterung, welche Andere aus
den Worten der Alten fchöpften, blieb ihm fremd: er ſelbſt hat
e3 jpäter bedauert, in feiner Sugend nicht mehr „Poeten und
Hiftorien” gelefen zu haben?). Um jene Zeit war es, daß
Maternus die poetiſch gefinnte Jugend um ſich fammelte und
zu einer Schule vereinigte. Luther hat fich ihr nicht ange-
ſchloſſen; aud zu Mutian ift er in fein näheres Verhältniß
iſt: Luthers. Ausgangspunft war nicht ber Nominalismus des Occam, wie
fleißig er dieſen auch eine Zeitlang ſtudirt hat.
ı) De Wette I, 109. — Was Matheſius u. A. über bie Schreierigfeiten
berichten, die ſich Luther babei entgegengeftelt haben follen, ift Ausſchmückung
der Sage und wird jchon durch meine frühern Ausführungen über das Bibel:
ſtudium in Erfurt widerlegt. Vgl. Bd. J, p. 21 sgg.
2) Bol. Unfhuld. Nachrichten. Jahrg. 1720 p. 14.
2) Walch, Luther? Werke. X, 558.
—_ 4 —
getreten. Die heitere und frohe Welt: und Lebensanfchauung
ber jungen Poeten war nicht die ſeinige. Der Einzige aus
dem Humaniftenfreife, mit dem er nähern und freundfchaftlichen
Umgang hatte, war Crotus Rubianug !).
Wie wenig indeß die Freundjchaft zwifchen beiden auf
Geifteöverwandtfchaft beruhte, zeigte der Schritt, den Luther
1505 that. Der plöbliche Tod feines Freundes Alexius, ber
erfchütternde Eindruck, den ein furchtbares Naturereigniß auf
ihn machte ?), brachte bei ihm in dieſem Jahre den wahrjchein-
lich Schon längere Zeit gehegten Plan zur Reife, der Welt zu
entfagen und fich dem Ordensleben zu widmen. Am 17. Suli
1505 erfolgte fein Eintritt in dag Auguftinerkflofter zu Erfurt.
Bergebens hatten Eltern und Freunde ihn von der Ausführung
ſeines Vorhabens abzuhalten gejucht.
Faft um diefelbe Zeit, als Luther ſich in die Einfamkeit
des Kloſters zurüczog, förderte fein Freund Erotuß den “Plan
des jungen Ulrich von Sulten, aus dem Klofter zu Fulda zu
entfliehen. —
2) Crotus gebenkt Tpäter mehrmals diefer Freundſchaft, die fi) wahr:
fcheinlih aus jener Zeit herfchrieb, wo er mit Luther gemeinfchaftlich ber
Scholaftif oblag; fo in dem Schreiben aus Bologna d. d. 17 Cal. Nov. 1519
„Duo Martine Venerande itemque mihi Charissime firmum in te amo-
rem meum custodiunt, quod summa familiaritate Erfordiae banis
artibus simul operam dedimus aetate juvenili, quod tempus inter si-
miles mores arctissima fundamenta collocat,‘“ Mieg Monumenta Pie-
tatis et litter. virorum. Fref, 1701. U, 12 und in bem Schreiben aus
Banıberg d. d. 4 Cal. Maj. 1520. ‚‚Eras in meo quondam contubernio
Musicus et philosophus eruditus.‘“ Herz. Goth. Bibl, Cod. Chart. B. %.
2) Auch Crotus gedenft des Blitzſtrahles, in dem er ſpäter das Zeichen
der göttlichen Miffion Luthers ſah: „Nam ista facis non sine 'numine
divum. Ad haec respexit divina providentia cum te redeuntem &
parentibus coeleste fulmen velut alterum Paulum ante oppidum Er-
fordianum in terram prostravit aAtque intra Augustiniana septa com-
pulit ex nostro consortio tristissimo tuo discessu, post hoc tempus
etsi rara fuerit familiaritas nostra, animus tamen meus semper tuus
mansit.‘“ Crot. ad Luth. d. d. Bonon. 17. Cal. Nov. 1519. Mieg
1. c. II, 16.
— 5 —
Und mit Eifer und Hingebung ging Luther an die Er-
füllung der Pflichten feine® neuen Standed. „Sch war ein
Mönch ohne Klage”, jagt er von fich ſelbſt, „deſſen ich mich in
Wahrheit rühmen kann.“ Ohne Murren unterzog er fich
während feine? Noviziats den niebrigften Verrichtungen, die
ihm auferlegt wurden, bis fich die Univerfität für ihn in's
Mittel legte). In der Befolgung der ascetifchen Vorſchriften
war Niemand gewifjenhafterr. Durch Falten, Beten, Nacht:
wachen, anhaltende Studium der heiligen Schrift härmte er
feinen Körper dergeftalt ab, daß er jogar dag Mitleiven feiner
Klofterbrüber erregte ?). „Wahr iſt's“, äußert er ſpäter einmal
über fein ascetiſches Ringen, „ein frommer Mönch bin ich
geweien und habe fo geftrenge meinen Orden gehalten, daß
ich's Tagen darf: ift je ein Mönd, gen Himmel fommen durd)
Möncherei, fo wollt’ ich auch hineingefommen fein.” So empfing
er im Frühjahr 1507 die priefterliche Ordination. —
Um diefe Zeit gedachte Crotus, ber inzwilchen unter
Mutians Leitung fich begeben, wohl kaum noch des ascetiſchen
Freundes und ahnte am wenigften die Bedeutung, die derfelbe
einst für ihn und Mutians Schaar gewinnen follte. Und doch
wurde fehon in diefen Sahren ver Grund dazu gelegt.
Mir dürfen einen Augenblic® hierbei ftehen bleiben.
Es ift unzweifelhaft — Luthers eigene Aeußerungen befei-
tigen jedes Bedenken ) — daß er bereit? während der erfurter
Klofterjahre den Keim empfangen, aus dem fein ganzes nadh-
berige3 Syitem hervorwuchs.
ı) So nad Mathefiuß 1. c. 46. Auch als Mönch blieb Luther Pre
der Aniverfität.
2) Vgl. Bavarus bei Sedenborf 1. c. I, 21.
3) Pol. 8. Jürgens, Luther von feiner Geburt bi zum Ablaßftreite,
8. I u. II, wo eine forgfältige Zufammenftellung berfelden. Doch wird
man Luthers fpätere Aeußerungen über feine frühern Seelenzuftänbe- mit
etwas mehr Vorſicht aufnehmen müflen, als es bier geihieht. Vgl. auch
Döllinger die Reformation ꝛc. III, 3 494.
— 6 —
Schon aus dem Geſagten ließ ſich erkennen, daß Luthers
ascetiſcher Eifer nicht der gewöhnliche war, daß ihm etwas
Ueberſpanntes, Krankhaftes beiwohnte. Den Grund diefer Er⸗
ſcheinung finden wir in dem höchſt eigenthümlichen Seelen—
zuſtande, der ſich ſchon in früheſter Jugend bei Luther entwickelt
zu haben ſcheint. Jene Sehnſucht der Creatur nach der Voll⸗
kommenheit des Schöpfers, die ihr auch nach Adams Fall ver—
blieben iſt, hat wohl kaum Jemand tiefer gefühlt, als Luther
in ſeiner erſten Lebensperiode. Sein ganzes Weſen ſcheint von
ihr durchdrungen. Innig verknüpft damit iſt ein tiefes Gefühl
von der natürlichen Kraft des Menſchen. Es iſt der Zuſtand
einer vollſtändigen, durch eigene Kraft und Anftrengungen zu
erringenden Sünbenlofigkeit, der ihm als Ziel vorjchwebt, ein
Zuftand, in dem der Menſch mit dem verdienten Anjpruche
‚ auf Anerkennung gleihjam jelbitändig vor jeinen Herm bin-
tritt. Diefen zu verwirklichen, hält er für die Aufgabe aller
Religion, für feine größte und einzige Pflicht. Sehr wahr
bezeichnet er in feiner fpätern Periode den chemaligen Luther
als den „anmaßlichſten Scelbftgerechten” (praesumptuosissimus
Justitiarius). Und fein Opfer, feine Anftrengung hat er gefcheut,
um das Ziel zu erreichen. Er trat in’? Klofter, als er daran
verzweifeln mußte, in der Welt feine Lebenzaufgabe erfüllen
zu können !). Er ergriff ven Ordensſtand und deſſen ascetiſche
Vorſchriften mit der ganzen Energie feines heftigen, der größten
Anstrengungen fähigen Charakter. Durch Häufung kirchlicher
Andachtsübungen, durch Werke rauher Buße, durch Abtödtung
und Selbftverläugnung glaubte er fein Ziel erreichen zu können.
Aber fein Wunder, wenn eine jolche VBerfennung der menjch-
lichen Schwachheit fich rächte, wenn der geiftige Hochmuth, der
vermeſſen durch eigene Kraft, ohne göttliche Gnade den Himmel
ftürmen wollte, eine Niederlage nach der andern erfuhr, und
1) „Ich ging in's Klofter und verließ die Welt, indem ich an mir ver:
zweifelte.* Sürgens 1. c. I, 522,
— 7 —
das Bewußtſein der eigenen Sündhaftigkeit dem krankhaft
Ringenden mitten unter ſeinen ascetiſchen Bemühungen von
Neuem und verſtärkt ſich aufdrängte! Das Ende war Ent-
muthigung, Troſtloſigkeit, düſtere Schwermuth, ein Zuſtand,
in dem er, wie er ſich ſelbſt ausdrückt, Gott haßte, ihm zürnte.
Solche Stimmungen haben nicht ſelten einen Umſchlag in
das gerade Gegentheil zur Folge gehabt. Bei Luther lag dies
um ſo näher, als jenes werkheilige Streben keineswegs in der
Richtung des Ordens lag, dem er angehoͤrte, dieſer vielmehr
ſchon längere Zeit die auguſtiniſche Lehre von der Gnade mit
beſonderer Vorliebe gepflegt hatte!). Der Provinzial des
Ordens, Staupis, war e3, der ihm zuerft die Verfehrtheit feines
bisherigen Streben? vorftellte und ihn auf Gottes Vaterhuld
hinwies. Ein alter Augujtinerbruder, dem er feine Seelenleiden
Magte, erinnerte ihn in väterlihem Zuſpruch an die Lehre von
ver Vergebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöfer.
Diefe Worte fielen wie ein Lichtſtrahl in dunkele Nacht. Rath:
108, von der Nutzlofigkeit feiner bisherigen Anftrengungen üiber-
zeugt, erfaßte er nunmehr jene tröftliche Lehre eben jo einjeitig
und Teivenjchaftlich, al3 er vorher Alles burd eigene Kraft zu
erreichen geſucht hatte; er empfing damit den Keim zu dem,
was er }päter fein „Evangelium“ nannte. Eine neue Welt
begann fich ihm zu erjchließen. .
Es war no im Klofter zu Erfurt, wo Luthers innere
Entwickelung diefe entfcheivende Wendung erfuhr). Was in
Erfurt begonnen, follte in Wittenberg vollendet werden.
Auf Beranlaffung feines Provinzial® wurde Luther im
Sahre 1508 dorthin berufen, um als Lehrer der PBhilofophie
1) Indeß wie jehr auch Luther — und bie hebt mit Recht Döllinger
bervor — durch die myſtiſch-auguſtiniſche Richtung bed Ordens, bie nament-
ih Andreas Proles begünftigt hatte, auf feinem Wege gefördert worben ift,
jo ift doch feine Auffaffung der Rechtfertigung durchaus ihm eigenthümlich,
die Schöpfung feines Geiftes.
2) Jürgens 1. c, II, 69.
— 8 —
. ’
an der neugegründeten Univerfität zu wirken. Indeß von ben
Borlefungen über Dialectit und Phyſik des Ariftoteles, die er
übernehmen mußte, kehrte er bald zur Theologie -gurüd. Er
verjenkte fich in das Studium der Bibel, der Schriften des
h. Auguftin und der Predigten Taulers. Die Stimmung, in
der er an dieſe Werke herantrat, ließ ihn Leicht in benfelben
neue Beweife für die Nichtigkeit feiner neugewonnenen Anficht
finden. Im Sahre 1512 empfing er von der theologiichen
Tacultät in Wittenberg die Doctorwürbe,
Der lebte Vorfall ftörte auf einige Zeit das freundliche
Verhältniß, in dem Luther, troß feiner Weberfiedelung nad
Wittenberg, zur Univerfität Erfurt geblieben war. Seine alten
Lehrer in Erfurt waren unzufrieden darüber, daß der Zögling
ihrer Schule anderswo die höchſte academiſche Auszeichnung
angenommen, und führten Klage über jeine Undankbarkeit.
Luther, der das bisherige Verhältniß ungern geitört jah, Tuchte
in mehreren Briefen den gethbanen Schritt zu entjchuldigen und
durch die Betheuerung feiner tiefiten Ehrfurcht gegen „feine
Mutter, die Univerfttät Erfurt”, die Beleidigten zu verſöhnen ').
Starke Bande feflelten ihn auch noch in Wittenberg an Erfurt.
Seine nächte Umgebung beftand dort zum Theil aus Mit
gliedern der erfurter Schule und mit ihnen hatte er den meiften
Umgang. Trutvetter und Goede, feine beiden verehrtejten
Lehrer, wirkten eben damals neben ihm an der Univerfität.
Spalatin lebte ſeit 1508 am churfürſtlichen Hofe und 1513
- 2) Bol. Luther an den Decan und die Doctoren ber theol. Facultät in
Erfurt d. d. 21. December 1515. ‚‚Fateor et axnosco, Mater mes,
Erfordiensis Universitas, cui non contentionem sed honorem debeo.
Ideircn non quaero violentam juris deſensionem.“ De Wette-Seidemann
VL, 5 — Aehnlich Luther an den Prior Lohr und die Senioren bed ef.
Auguftinerconvent3 d. d. 16, Juni 1514 bei De Wette I, 12. Vgl. aud
1, 9, wo bie Einladung Luthers an feine erfurter Ordensgenofien zur Pro:
motion. -— Die Klage der Erfurter war allerdings nicht ganz grundloß, benn
nad) der gewöhnlichen Auffaffung der damaligen Zeit hätte Luther in Erfurt
den Doctortitel annehmen müffen.
— 9 —
kam auch der Auguſtiner Lange auf mehrere Jahre nach Wit⸗
tenberg. Gerade mit dieſen beiden unterhielt er jenen vertrau⸗
lichen Verkehr, dem wir großentheils unſere Kenntniß von dem
Fo tgange feiner innern Entwidelung verdanken ').
Diefe aber war, freilich nicht ohne Anfechtungen, bereits
gegen Ende 1516 fo weit vorgefchritten, daß Luther, den einmal
erf.igten Gedanken weiter verfolgend, ſchon damals ſich in ben
wichtigften Punkten von ber Lehre der Kirche entfernt hatte,
und feine neugewonnenen Ideen fich zu einem myſtiſchen Sy-
ſteme zu geitalten begannen, das durch die Lehren von der
Sünpdhaftigkeit alles menfchlichen Thuns, der Unfreiheit des
Willens, der Aneignung der göttlichen Gerechtigkeit durch den
Slauben den jchroffiten Gegenjab zu jeinen frühern Beftreb-
ungen bildet. Wir haben noch eine Reihe won Predigten von
ihn aus den Jahren 1515 und 1516, in denen fi jene Säbe
bald mehr, bald weniger beftimmt ausgefprochen finden 2). Er
trug fie vor in feinen VBorlefungen?). In einer 1516 unter
feinem Vorſitz gehaltenen Disputation werben fie ſchon in ihrer
Ichroffiten Geftalt vertheidigt +). In Briefen an Spalatin und
—
1) Bon den 53 und erhaltenen Briefen, bie Luther vor feinem Auftreten
gegen ben Ablaß fchrieb, find 29 an Erfurter gerichtet, Davon 11 an Spalatin,
13 an Lange, letztere find bei weiten die wichtigften. Lange war bis Anfang
1546 in Wittenberg (im Februar 1516 erfcheint er bereit3 als von Luther
eingefeßter Auguftinerprior in Erfurt, |. De Wette I, 15, 22), beichäftigte fich
namentlich mit Tauler (vgl. De Wette I, 34), dur Spalatind Bermittelung
benutzte er die Wittenb. Bibl. (Vgl. Spalatin an Lange 11. März 1514
M. ©. ber herz. Goth. Bibl. No, 399). 2. war ber eigentliche Vertrauens⸗
mann Luthers.
3) Bei Löſcher Reformationd-Acta und Documenta I, 231 ff.
2) Nach Melanchthon 1. c. hätte er ſchon damals in feinen Vorleſungen
feinen Gegenſatz zwifchen Gefeß und Evangelium gelehrt.
“) Quaestio de viribus et voluntate hominis etc. bei Löſcher 1. c. 1,
325--48. Da kommen ſchon Säbe vor, wie folgende: Homo quando facit
quod in se est peccat, cum nec velle aut cogitare ox se ipso possit
(p. 334). Cum justitia fdelium sit in Deo abscondita, peccatum vero
corum manifestum in se ipsis, verum est, nonnisi justos damnari,
— 10 —
Lange beklagt er jich über die theologifche Richtung des Erazmu3,
der die Bebentung der göttlichen Gnade verkenne!). Bereits
juchte er feine Anfichten in weiteren Kreifen zu verbreiten: er
fandte feine Predigten an entferntere Freunde ?), er ermahnte
ſchon im April 1516 den Auguftiner Georg Spenlein in Mem-
mingen, an fich felbft zu verzweifeln und einzig auf Chriſti
Gerechtigkeit zu vertrauen ?).
In Wittenberg fanden feine Lehren Anklang. Sie wurden
an ber Univerſität, wie im Auguftinerflofter nach und nach
herrichenn 4). Luther erfreute fich eines ungewöhnlichen An—
ſehens. Stanpitz machte ihn während einer Reife zum Verweſer
des Ordens. Spalatin, der vertraute Nathgeber de Chur-
fürften, hegte eine fat unbegrenzte Verehrung für ihn °); durch
Zange läßt er ihn um fein Gutachten über die reuchlinifche
atque meretrices et peccatores salvari (p. 335). Omnis justus vel
inter bene agendum peccat (p. 335).
t) „Erasmum nostrum lego et in dies decrescit mihi animus erga
eum: placet quidem, quod tam religiosos quam sacerdotes non minus
_ constanter quam erudite arguit et damnat inveteratae hujus et'veter-
nosae inscitine: sed timeo ne Christum et gratiam Dei non satis pro-
moveat.“ An Lange. Vgl. De Wette I, 52; ähnl. an Spalatin I. c. I, 39.
2) De Wette I, 15. |
2) „‚Igitur, mi dulcis frater, disce Christum et hunc crucifixum,
disoe ei cantare et de te ipso desperans dicere ei: lu, Domine Jesw,
es justitia mea, ego aultem sım peccalum taum: assumsisti meum et
dedisti mihi tuum.,.. Igitur non nisi in illo per fiducialem despera-
tionem tui et operum tuorum pacem invenies.“ 1. c. I, 17.
*) ‚„„Theologia nostra et 8. Augustinus prospere procedunt et
regnant in nostra Universitate Deo operante. ““ Luther anfangel. c. X, 57.
>) Vgl. Spalatin an Lange 11. März 1514. ,‚Doctori Martino me
quaeso commenda. Tanti enim facio virum doctissimum et integer-
rimum et quod rarissimum est etiam judicii acerrimi hominem, ut tam
ejus totus esse cupiam quam et tuus sum jam pridem et eruditorum
atque bonorum omnium, M. ©. der Herz. Goth. Bibl. No. 399 fol. 271n.
— Sn einem ebenfall® noch ungedrudten Schreiben an Lange aus dem J.
1515 äußert er bei &elegenheit eines Streites über den Verfafler be Liber
de statura Christi, daß er unbedingt Luther beipflichte: Ne Jatum quidem
digitam a Doctoribus nostro Martino et Wenceslao discedam.
— 1 —
Angelegenheit bitten: er betrachtet Luthers Anficht ala ent-
Tcheidend !). Selbft ein Mutian wurde in der Terne aufmerk—
fam auf den fühnen Mönch und zog bei Lange Erfunbigungen
über ihn ein?).
Und ſchon wagte es Luther weiter zu geben. In feiner
Vorrede zur Deutjchen Theologie, die er 1516 herausgab, ftellt
er bereit? die Behauptung auf, daß an ben Univerfitäten „das
heilige Wort Gottes nicht allein unter der Bank gelegen, fon:
dern von Staub und Motten nahend verwefet”*). Vor Allem
nahmen feine Ideen eine Richtung gegen bie Scholaftif, die
ihm, feit er in ber Myſtik feine Beruhigung gefunden, wie ein
Gräuel erſchien. Schon im Februar 1516 Tieß er durch Lange
feinem nah Erfurt zurückgekehrten Lehrer Trutvetter ein
Schreiben voll der härtejten Schmähungen gegen Ariſtoteles
zuſtellen *).
1) Vgl. Spalatin an Lange, in ber angeführten Sammlung f. 272.
Das Gutachten Luthers findet fih De Wette I, 7. Das Datum bei De Wette
ift irrig; richtig fette Schon Aurifaber bag Gutachten in das S. 1514.
2) Die fehr intereffante Antwort Lange’? auf Mutians Anfrage findet
fi) bei Hefel Manipulus primus epp. siugularium p. 104 (wiederabgedr.
bei Tentel Rel. epp. Mut. p. 29) und lautet: „De acri illo oratore
rogas, qui hesternoe die in fratrum sanctulorum mores invectus est,
is Doctor Martinus est, quocum Erphurdie perquam familiariter vixi,
nec parum auxilii bonis in literis olim mihi attulit. Rum ipsum ut
Apollinem Spalatinus noster veneratur et consulit. Dictionem ejus
fuco vacantem (quem ex industria fugit) mitto cum nostra. Demos-
thenis autem lucernam in neutra reperics, quippe quod nostrum uter-
que lectionibus Wittenburgi adeo disturbatur, ut vix respirare liceat.“‘
Der Brief und die befprochene Predigt gehören fpäteflens, und wohl wahr:
ſcheinlich, in das J. 1515, da im Anfang 1516 Lange Wittenberg verließ.
2) Vgl. Löſcher I, 300
) In dem Begleitſchreiben an Lange äußert er; „„Niail ita ardet ani-
mus, quam histrionem illum, qui tam vere Graeca larva Ecclesiam
lusit, multis revelare ignominiamque cjus ounctis ostendere si otium
esset. Habeo in manibus commentariolos in primum Physicorum,
quibus fabulam Aristaei denuo agere statni ia meum istum Protea
illusorem vaferrimum ingeniorum ita ut nisi caro fuissel, vere dia-
bolum eum fuisse non puderet asserere!“ De Wette I, 15—16.
Veberhaupt Täßt ſich bemerken, daß Luther es fich vorzüg-
fich angelegen fein Tieß, feine Ideen auch in Erfurt zur Herr
ichaft zu bringen. Er ſendet an Lange feine Predigten zur
MWeiterverbreitung. Wir erfahren, daß die in Wittenberg auf
geitellten Propofitionen über Gnade und Freiheit jchon früh
zeitig auch in Erfurt herumgingen’). Im Sommer 1517
empfing Lange von feinem wittenberger Freunde abermald
99 Theſen über Gnade, Freiheit, Rechtfertigung, über die Ver:
“ werflichfeit des Ariftoteled und der Scholaftil 2). Am 4 Sep
tember erbot fich Luther, nach Erfurt zu kommen und dort jeine
Sätze zu vertheibigen ®).
Ungefähr zwei Monate ſpäter überfandte er an Lange eine
neue Sammlung von Thejen mit einem Begleitichreiben, das
Ihon durch feine merkwürdige Unterjchrift etwas Ungewöhn-
liche? ankündigte *).
Es waren die 95 Theſen gegen den Ablaß.
I.
Waren auch Lutherd Bemühungen, feine Anfichten zu ver:
breiten, nicht fruchtlos geblieben, fo war doch, bei der Gleich—
gültigfeit de Zeitalter? gegen theologifche Fragen 5), wenig
Ausſicht vorhanden, daß fie in die Maſſe der Nation eindringen
ı) De Wette I, 29, 33,
2) Abgedr. bei Wald XVII, p. 6—14.
s) De Wette 1, 60.
*) De Wette I, 71. Er unterzeichnet ſich in diefem Schreiben zum erſten
Mal: Martinus Eleutherius!
5) „„Adeo invaluit““, Tlagt der fromme Wimpfeling, „error et coe-
citas prudentium hujus saeculi, qui sacras literas et earum studiosos
despiciunt ut cum quodam quasi ludibrio atque contemtu theologum
quempiam appellent. Est, inquiunt, theologus, subsannantes, irridea-
tes, pro nihilo ducentes, tamquam homo sit nullius pretii ad nikil
idoneus, nullo statu honesto dignus. Id persaepe audivi.“ Vgl.
Riegger Amoeuitates literar. Friburg. Ulmae 1775. p. 275.
— 13 —
würden. Noch ließ es fich als möglich denken, daß fie — auf
den Kreid weniger geiftlicher und gelehrter Genoſſenſchaften
befhräntt — nad, einigen Generatiohen verfchollen, in das
Geleiſe Firchlicher Rechtgläubigkeit zurückgelenkt fein würben,
wie Aehnliches früher und fpäter in der Kirche geſchehen ift.
Indem aber Ruther feine Ideen gegen den Ablaß kehrte, ficherte
er ihnen ihr Beitehen für die Zukunft: er trat damit an bie
Spitze einer bereit3 beftehenden, nationalen kirchlichen Oppofition
und drücte ihr den Charakter des Schismas auf.
Denn durch eine verhängnißvolle Wendung der Dinge war
es gefchehen, daß die Nation, welche einft in dem innigften
Verhältnig zu Rom geftanden und dur treue Ergebenheit
gegen den päpftlichen Stuhl vor allen fid, ausgezeichnet hatte,
im Anfang des jechzehnten Jahrhunderts gerade in ber ent-
gegengejegten Richtung am weiteften vorgejchritten war. Man
darf behaupten, daß Oppofition gegen Rom und Papft damals
die in Deutfchland herrichende Stimmung war. Wir finden
fie in allen Schichten der Nation, bei Hoch und Niedrig, bei
dem Gebilvdeten wie bei dem Ungebilveten. Der gemeine Mann
in Stadt und Land verkündet fie in feinen Sprüdwörtern und
Anekdoten ’), die Volksbücher offenbaren fie, die volksthümliche
Satire ift voll davon. Unter einem großen Theile der Gebil-
deten galt Haß gegen Ron als ein ehrenhafter Zug im beut-
ſchen Charakter, als ficheres Kennzeichen ächt vwaterländifcher
Sefinnung. Die deutihen Fürften, geistliche und weltliche,
jehen wir nach feiner Seite hin fo eiferfüchtig über ihre Nechte
wachen, al3 der Curie gegenüber. Mit Miftrauen wurde auf-
genommen, wer von Nom fam. Auf den Reichdtagen war von
Nichts fo häufig die Rede, als von den Befchwerben der beut-
hen Nation. gegen den römischen Stuhl, Es war eine der
1) Es mag genügen, an Bebeld Facetien zu erinnern; Auszlige baraus
bei ©. Hagen, Deutfchlands Titer. und relig. Verhältnifſe im Reformations⸗
zeitalter, 1, 393 ff.
— 14 —
eriten Handlungen des 1500 eingerichteten‘ Reichdregiments,
daß es eine Gefandtichaft an den Papft abfertigte, um dieſem
wegen feiner ungejeblichen Eingriffe in deutſche Angelegenheiten
Borftelungen zu mahen!). Die Richtung gegen Nom war
im eigentlichen Sinne zu einer nationalen geworden.
Und eben in dem öffentlichen Urtheil über den Ablaß trat
fie wohl am jchroffften hervor. Selten wurde derfelbe anders,
denn als eine Steuer aufgefaßt, womit römifche Habfucht unter
dem Deckmantel der Religion das Reich belafte?). Man wußte
oder wollte wijjen, daß die eingefommenen Geldſummen nicht
zum Wohle der Chriſtenheit, jondern zu weltlichen Privatzwecken
des Papſtes verwendet würden. Selbft fromme, durchaus Firch-
lich geſinnte Ordensleute äußerten bejcheiven ihre Bebenfen,
trauerten und klagten über die Unerfättlichfeit der römischen
Curie‘). Daß überdied® der Ablaß von marftfchreierifchen
Predigern dem einfältigen Volke oft in der unwürbigiten Weiſe
1) Ranke, Deutſche Gefch. im Zeitalter der Ref. I, 10 (Dritte Ausg.).
2) Ef äußert fpäter einmal: „Mer it den teutfchen auffgangen in XX
jaren auf Luterifch, zwinglifch bücher, dann fie in 200 jaren gen Rhom vmb
Ablaß geben“ (Vgl. Schußred . Kindtlicher vnſchuld PB. 4b). Gewiß waren
die in Rom zufammenfließenden Summen nicht fo ungeheuer — um fo größer
aber muß die Erbitterung der Nation geweſen fein, die fie als unerſchwing⸗
lich darſtellte.
3) So der Benedictiner Nicolaus von Siegen: „O si intencio summi
pontificis esset sincera, recta et perfecta, et pecunia oblata ad debi-
‘tum et pium ecclesiasticum exponeretur usum, sicut debet: meum et
nostrum non est indicare praelatos neque in celum os ponere neque
jJudicare summum pontificem: sed hoc verum est, quod ego audivi et
dictum fuit, an autem in veritate res sic se habuit, ignoro et scire
non teneor: legatus apostolicus veniens ad papam, tunc papa sue
filie nupcias solennes celebravit ac legatus ad sinum sponse obtulit,
si recte retinuli 41 milia florenorum aut ducatorum.‘“ Chronicon Ec-
clesiasticum Nicolai de Siegen zum erften Mal herausgegeben von %. X.
Wegele p. 482. — Der liegborner Benebictiner Wittiuß äußert bei Gelegen-
beit der Ablaßbulle Leo's X. ‚‚Utinam vel Romana curin semel satiata!
sed perpetuam quis saturabit esuriem!‘“ Vgl. Historia Antiquae ecci-
dentalis Saxoniae seu nunc Westphaliae p. 653.
— 1 —
verfünbet ward, mußte den Öffentlichen Unwillen noch erhöhen ?).
Sehr nachdrücklich hatte bereit? im Sahre 1501 die Reiche
regierung ihren Unwilleu gegen dad Ablaßweſen Fundgegeben.
Schon war es vorgefommen, daß deutjche Fürften, wie Friedrich
der Weiſe von Sachen, die gefammelten Ablaßgelder an fich
genommen und zu andern Zwecken verwandt hatten 2).
Indem Luther vom theologischen Standpunkte aus den
Ablaß angriff, fam er der nationalen Oppofition zu Hülfe.
Seine Thefen durchliefen in wenigen Wochen ganz Deutichland.
Die Sache des Myſtikers wurde eine Sache der Nation.
Da kam ed nun vor Allem darauf an, ob Luther felbft
feine Angelegenheit mit der nationalen identificiren, ob er feinen
Standpunft innerhalb der natignalen Ideen nehmen werde.
Bergegenwärtigt man ich feinen geijtigen Zuſtand, ſo
erfennt man leicht, wie jchwierig bie für ihn war. Durd)
und durch ein glaubengeifriger Theolog, fett Jahren mit ben
wichtigften Fragen der Religion bejchäftigt und in ihnen lebend,
in der Einſamkeit des Kloſters weltlichen Händeln entfrembet,
befaß Luther für den Augenblid weder die Fähigkeit, noch den
Willen, die Tendenzen der nationalen Oppofition zu den ſei—
nigen zu machen. Mehr als zwei Jahre find barüber ver-
gangen, ehe er diefen wichtigen Schritt that und thun konnte:
bis zum Jahre 1520 verblieb er wefentlich auf dem Stanb-
punkte der theologischen Oppofition. Die Stimmung der Ration
hatte für ihn einftweilen nur die Bedeutung, daß fie ihn wor
dem Schickſal feiner Vorgänger ſchützte, ihm Muth verlieh,
) Auch das Concil von Trident fpricht von vorgelommenen Unordnungen
fharf genug und verorbnet: „pravos questus omnes pro his consequendis,
unde plarima in Christiano populo abusuum cAusa Auxit, omnino abo-
lendos esse.‘ Sacres. et oecum, Concil. Trid. Canon. et Decreta,
Sessin XXV. Decretum de Induigentüs. Indeß ift Tehel's und feiner
Genoffen ärgerliches Treiben nur von untergeorbneter Bedeutung : unverholen
genug hatte fich ſchon vorher die Öffentliche Meinung zu erfennen gegeben.
2) Ranke 1. c. I, 1%, 242.
— 1 —
feine Glanbensſätze kühner und rücfichtslofer zu entwickeln
und auszufprechen.
So wird ed erflärlich, daß Luthers Angelegenheit eine
Zeitlang den Charakter einer gelehrten theologijchen Fehde
behielt, die nur durch die ungewöhnliche Aufmerkfamfeit und
Theilnahme, welche ſie erregte, fi) von früheren unterjchied.
Sedermann kennt ihren Verlauf während der Jahre 1518 und
15192). Das Erfte war, daß der Dominikaner Teßel, ber
fich zumächft angegriffen fab, mit Gegenthefen auftrat. Dann
erhoben ſich Silvefter Magolini und der Kölner Jakob Hod;-
ftraten zum Kampfe gegen Luther. Indeß die Art ihrer Po—
lemik machte diefem die Antwort leicht, wie die. Perfönlichkeit
jener Männer, die beide jchon durch ihr Auftreten in dem
reuchlinischen Streite fich verhaßt gemacht hatten, die allgemeine
Theilnahme für den Angegriffenen erhöhte?). Ungleich beveu-
tender war ber vierte Gegner, der Verfaſſer der „Obelisken“,
Johann Maier von Ed, deſſen Gelchrfamkit und Scharffinn
Luther jelbft das günftigfte Zeugniß ausgeſtellt hat ?). —
Inzwiſchen erfolgte Luthers Ladung nad) Rom zur Verant-
— —— —
1) Die wichtigſten darauf bezüglichen Actenſtücke |. bei Löſcher Neforma:
tionsacta Bd. II u. III.
2) Mazolini ſagt in der Vorrede zu feiner erſten Streitſchrift gegen Luther
(In presumptuosas M. Lutheri conclusiones de potestate pape dialo-
gus), er wolle fich Luthern als ein Schild für den päpftlichen Stuhl (scu-
tum pro sedis hujus proque veritatis honore) entgegenwerfen: nichts bat
bem päpftlichen Stuhle mehr gefchadet, als daB fich gerade ſolche Männer
feiner annahmen. „Non poterunt magis officere Rumano Pontifici“,
ſchreibt Erasmus an Pirfheimer, ‚„‚neque magis Lutherum commendare
affectibus hominum.‘‘ Bilib. Pirkheimeri Opera ed. Goldast p. 272.
2) Vgl. De Wette I, 63 „„Mitto insuper positiones nostras... quas
poteris Eccio nostro, eruditissimo et ingeniosissimo viro exhibere“
und I, 100 ‚‚Scripsit nuper Adversus meas propositiones obeliscos
aliquot insignis veraeque ingeniosae eruditionis et eruditi ingenii home,
et quod magis urit, antea mihi magna recenterque contracta amicitia
conjunctus Joh. Eccius ille.“ Wie lange wird Ed noch feines Biographen
barren müflen?
- 1 —
wortung. Friedrich der Weile handelte im Sinne der Nation
und ihres Kaiſers, als er feinem Mönche die Erlaubniß erwirkte,
ſich auf deutſchem Boden vertheidigen zu dürfen. In Augsburg
geihah im October 1518 Luthers Vernehmung durch den paͤpſt⸗
lichen Legaten Thomas de Bio. Die Ermahnungen des Legaten
zur Unterwerfung blieben fruchtlod. Noch einmal verjuchte im
folgenden Jahre der wohlwollende aber furzjichtige Miltiz auf
dem Wege der Milde eine friedliche Beilegung des Streites.
Da erfolgte die Disputation von Leipzig. Es war beveutungs-
voll, daß fie in den nämlichen Tagen eröffnet wurbe, als in
Frankfurt ded Reiches Churfürſten in der Wahlcapelle zufam-
mentraten, um den Enfel Maximilians auf den bdeutjchen
Kaijerthron zu berufen. Wichtig war diefe Entfcheidung, wich-
tiger noch die, welche in Leipzig herbeigeführt wurde; die Voll⸗
endung des Bruches zwifchen Luther und ber Kirche.
In diefem Augenblide wurde zum eriten Mal die Uni-
verfität Erfurt für die Bewegung von Wichtigfeit. In unge
wöhnlichem Grade 309 fie die Öffentliche Aufmerkſamkeit auf
ih, denn ihr war von den ftreitenden Parteien das ſchieds⸗
richterliche Urtheil übertragen worden.
IL
Es hatte im Anfang gefchtenen, als jollte dem Eifer, womit
Luther feine Anfichten in Erfurt zu verbreiten geſucht, der
Erfolg nicht entfprechen.
Zuther jelbft Schon hat die Beobachtung gemacht, daß feine
Lehren vorzugsweiſe bei der jüngern Generation, ‚weniger bei
der ältern Anklang fanden. Wie Chriftus, äußert er einmal,
von den Juden verftoßen, fih zu den Heiden-begeben, fo werde
ſich jet da3 Evangelium, von den eigenfinnigen Alten verſchmäht,
an die Jugend wenden !). Es war eben das Verhalten feiner
2) Vgl. Luther an Spalatin 18. März 1858. De Wette h 112.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil.
- 8 —
Lehrer in Erfurt, was ihn zu diefer Aeußerung veranlaßte.
Und in der That ließ ihr erſtes Benehmen ihn wenig hoffen.
Hatten ſchon, wie Lange nach Wittenberg berichtete), Luthers
frühere Thefen in Erfurt Anftoß erregt, fo war died in einem
noch weit höheren Grabe bei den verhängnigvollen 95 der Fall.
Trutvetter, der jo eben. von dem Erzbiſchof Albrecht zum Cenſor
und Inquiſitor ernannt worden war ?), richtete an jeinen che
maligen Schüler ein abmahnendes Schreiben im Tone wäter:
lichen Ernſtes. Er war dad Haupt der theologifchen Facultät,
einer der angefehenften Theologen jener Zeit, dejfen Name ſogar
im Auslande mit Auszeihnung genannt wurde’). Sein An:
jehen war bisher für die Facultät immer entfcheidend geweſen.
Auch Ulingen, der nach Trutvetter unter den Theologen den
erften Rang einnahm, konnte fich mit Luther Thefen nicht
befreunden, wie Manches er auch ſelbſt an ber Theologie der
Schulen auszuſetzen hatte*). Als Luther im Frühjahr 1518
2) Vgl. De Wette I, 34.
2) Bol. Fratzſchet 1. c. p. 265.
2) Chriftoph Scheurl jagt in einer 1507 zu Wittenberg über ihn gehal-
tenen Rede, daß die parifer Theologen ihn für die vorzüglichfte Zierde Deutfch-
lands gehalten ‚„‚cujus ingenii monimenta Parisiensis schola in manibus
tum habuerit, nec probarit solum, sed ista etiam admirata propter
unum Trutfitterum Germaniae plus tribuerit.““ gl. Burckard de lin-
gune Lat, in Germania fatis I, 355.
+) Er felbft fagt in ſpätern Schriften, baß er früher die Schultheologen
wegen der Einmifchung philofophiicher Quäſtionen in die Theologie befämpft habe:
„Nempe quod disputare de esse et essentia, de actu et potentia, de
motu et tempore, de Potenciis anime et Predicamentis et id genus
aliis non Theologorum, sed artisciorum sit, quibus tamen theologo-
rum libros videmus refertos. Qui tantum aquae philosophice theo-
logico vino immiscuerunt, quod verum et nativum saporem perdiderit.
Hinc recessum est nimio a fructibus et per rivos descensum in lacu-
nas. Quod cum olim in disputationibus theologicis liberius dicerem,
nonaullis stomachum movebam et eos caperato supercilio in me res-
picere faciebam etc. ®Bgl. Liber Primus F. B. de Usingen Ordiais
Eremitani S. Augustini, quo recriminationi: respondet Culsamerice.
(Am Ende. Erf. 153) E. 6 a-b,
— 18 —
auf feiner NRückreife von dem heidelberger Auguftinerconvent
einige Tage im Klofter zu Erfurt verweilte, gab er ſich alle
Mühe, die Zweifel und Einwendungen feiner Lehrer zu wiber:
legen. Gern hätte er jeine Säbe in einer öffentlichen Dispu-
tation vertheidigt. Mit Ufingen, der ebenfall3 dem Ordens⸗
convent beigewohnt, hatte er bereit3 auf der Reife ausführlich
über feine Angelegenheit verhandelt, jedoch ohne alle Bedenken
desfelben befeitigen zu können). Noch weniger gelang ihm
died bei Trutvetter, an den er aus dem Auguſtinerkloſter ein
ausführliches Nechtfertigungzfchreiben richtete?). Weber dies,
noch eine bald darauf erfolgte mündliche Unterrebung führte
eine Annäherung zwilchen Lehrer und Schüler herbei. Xrut-
vetter hatte ſelbſt mit ehrenhaftem Freimuth Tirchliche und
wiffenfchaftliche Mebelftände gerügt, fo daß fich Luther auf fein
Beifpiel berufen. konnte, aber er mochte e3 fühlen, daß Luthers
Sätze mit den kirchlichen Mipbräuchen da ganze Tirchliche
Lehrſyſtem, mit der Scholaftik jede Wiffenichaft gefährdeten °).
Alle Bemühungen Luthers, ihn umzuſtimmen, blieben vergeben? *).
Und fo fchien e8 denn, als würbe bei dem Widerſpruche
j
1) Luther an Spalatin 18. Mai 1518 „Cum Doctoro Usingen plu-
ribus, quam cum omnibus aliis egi, ut persuaderem (erat enim socius
vecturae), sed nescio an quid profecerim: cogitabundum et mira-
bundum reliqui.‘“ De Wette ı, 111.
2) Abgebr. bei De Wette 1, 107—110. Trutvetter hatte Anfangs wegen
Kränflichkeit eine mündliche Unterrebung abgelehnt. — Durch dieſen Brief
erhalten wir erft Kunde von bem obenermähnten erften Schreiben Trutvetter?.
2) Luther ſelbſt berichtet über den Ausgang feiner Unterredung mit Trut⸗
vetter: „Sed frustra narratur fabula surdo, suis distinctionibus per-
tinaciter inhaerent: etiamsi confiteantur, non esse aliqua autoritato
confirmatas, nisi dietamine (ut vocant) naturalis rationis, quod apud
nos idem est, quod chaos tenebralum, qui non praedicamus aliam
Iucem, quam Christum Jesum, Iucem veram et sotam.““ De Wette 1,111.
*) Die Interhanblungen zwifchen beiden fcheinen noch im Sommer 1518
fortgefett zu fein; wenigſtens gebenft Luther (an Spalatin) am 29. Juni
noch eines anbern Schreiben?, das er fo eben an Trutvetter gerichtet habe.
De Wette I, 127.
2%
u}
_ DD —
ber angefehenften Lehrer Luthers Sache an der Schule, die er
als feine „Mutter” verehrte"), und die biöher in Firchlichen
Dingen die freimüthigite gewefen, nur geringe Ausſicht haben.
Allein Schon ſehr bald ſollte fih Erfurt in einem andern
Tichte zeigen. Trutvetters und Uſingens Anficht war, wie großes
Anſehen auch beide genofjen, doch keineswegs die allgemeine.
Bor Allem beſaß Luther in feinem Ordensgenofjen Lange, den
er 1516 zum Prior des Auguftinereonvents in Erfurt gemacht ?),
einen eben jo aufrichtigen, als für die Weiterverbreitung ihrer
Lehre eifrig thätigen Anhänger. Um Lange ſammelte fich eine
lutheriſch gefinnte Partei; fie zeigte, als die angreifende, die
größere Thätigfeit und gewann bald wichtigen Einfluß. Sogar
Ufingen, der Trutvetterd Feſtigkeit nicht befaß, und als Augu-
ftiner, ald Verehrer des Proles, nicht ganz ohne Sympathien
für Luther war, ſcheint fich ihr genähert zu haben. Luthers
Erflärung, daß er den Streit begonnen, um die trägen Theo—
logen aus ihrer, von Wfingen felbft oft beklagten, Unthätigfeit
aufzurütteln, mag dazu beigetragen haben, ihn verföhnlicher zu
ftimmen). Durch feine Vermittelung gefchah «3 *), daß Zange
im Anfang 1519 von der theologischen Facultät die Doctor:
würde erhielt und als ihr Mitglied aufgenommen wurde, ein
Ereigniß, das in Wittenberg große Freude erregte?). Die
ı) Cui ego omnia mea ut matri accepta refero. Luther an Lohr
I. c. 1, 13.
2) Vgl. Luther an Mutian 29. Mai 1516. De Wette I, 21.
s) Vgl. Purgatorium, Libellas Fratris Barth. de Usingen August.
— Contra Lutheranos Hussopfcardos. 1527. — L. 1b. „Audieram
olim a Luthero in Erphurdia, quando hanc tragoediam incepit contra
ecclesiam catholicam, se velle pigros excitare theologos, sed video
eum excitasse rusticos.‘“ .
*) Vgl. Sermo de Sancta Cruce praedicatus Erphurdiae in templo
divae virginis Mariae a F. Bartholomee de Usingen Augustiniane,
Erf. 1524, D. 1a. — Daß Ufingen fi) Luther wieber genähert haben muß,
erfiehbt man auch De Wette I, 282.
>) Luther und Melanchthon eilten mit Gratulationgjchreiben. „‚Quic-
quid Dominas“, fchrieb Luther am 3. Februar an Lange, „tuo contulerit
— a1 —
Aufnahme diefes eifrigen Befördererd der Neuerung wurde um
jo wichtiger, al3 bald darauf Trutvetter, der Führer der Alt:
gefinnten, durd, Krankheit genöthigt wurde, ſich von ber öffent⸗
lichen Thätigkeit zurückzuziehen?). Durch: Trutvetterd Rück—
tritt erhielt Lange völlig das Uebergewicht. Alle jene, welche
bisher bloß dur Trutvetterd Anſehen fich hatten beftimmen
laſſen, gaben die alte Sache auf. Lange's Anhang mehrte fich
zujebend und in Kurzem beherrſchte fein Einfluß die ganze
Univerfität. Der Widerfpruch, den noch einige ſtandhafte Gegner
der Neuerung erhoben, blieb wirkungslos.
Bis zu welchen Grabe bereit3 im Sommer 1519 Luthers
Geift in Erfurt die Oberhand gewonnen hatte, davon Tegten
die Vorgänge während und nach der leipziger Disputation
Zeugniß ab.
Bon Luther ſelbſt erfahren wir, daß ihm ald Ort der
Disputation Erfurt erwünjchter geweſen wäre, als Leipzig ?).
Hatte er in diefem Punkte Eck nachgeben müffen, jo gejchah
bei der Wahl der Schiebörichter, zu deren Zulaffung er fich
nach längerm Sträuben verjtand °), feinen Wünfchen und
Sympathien um jo mehr Genüge. Denn neben der Univerfität
Paris, die jo eben in ihrer fehr freimüthigen „Appellation” an
den Papit ſich offen zu den Grundſätzen der Synoden von
Eonftanz und Baſel bekannt hatte*), wurde bie Univerfität
honori, nostro collatum quoque gratulamur, reverende Pater, pro-
spere procede et regna.“ De Wette I, 217. gl. Corp. Reform. I, 76.
1) Luther glaubte ihn fhon am 6. Juni 1519 tobt. De Wette I, 281.
2) Vgl. Luthers und Carlſtadts Bericht an den Churfürften vom 18. Auguft.
„Hätten wohl lieber Erfurt ober eine andere Stadt genommen.” De Wette I,
318. Man fol übrigens nicht fagen, daß Ecks Disputirfucht allein das fol:
genſchwere Geſpräch herbeigeführt habe: Luther felbft war vol Begierde, feine
Anfichten in öffentlichen Disputationen zu vertheidigen.
2) Bol. darüber feinen Bericht an Spalatin. De Wette I, 285. Seden:
borf 1. c. I, 72.
*) Die Appellation (d. d. 27. März 1517) findet fich bei Löſcher 1, 554
fi. Unſch. Nachr. Jahrg. 1714 p. 197 ff. — Bon Flacius ift deswegen bie
— —
Erfurt mit dem ſchiedsrichterlichen Amt betraut‘). Luther
verſprach fich won der einen, wie von der andern ein günftiges
Urtheil 2).
Es ift bekannt, wie jehr ſich Luther hinfichtlich der parifer
Hochſchule getäufcht, und wie derb er darüber feinen Unwillen
fund gegeben hat ?). Das Urtheil, welches fie im Anfang 1521
über Luthers Beginnen füllte, offenbarte ver Welt den Gegen-
ja zwilchen den conciliaren Reformbeitrebungen bes fünfzehnten
Jahrhunderts und der Reformation des wittenberger Nuguftiner:
mönchs. Beſſer wurde Luther Wünjchen von der Univerfität
Erfurt entiprochen, an welcher Lange den Geift des fünfzehnten
Sahrhunderts in diefem Augenblicke bereit? überwunden Hatte.
Mehrere ihrer Mitglieder hatten fich nach Leipzig begeben *)
Univ. Paris unter bie Testes veritatis aufgenommen worben. Bol. Flacli
Catalogus testium veritatis (Ercf. 1666) p. 436 sqq.
1) Vgl. den Bericht des Moſellanus an Pirfheimer (Opp. Pirckheimeri
ed. Goldast p. 325). Löſcher II, 819 meint, außerdem fein auch Köln
und Löwen zu Schiedrichtern ernannt, wahrjcheinlich verleitet durch die
(ungünftigen) Gutachten, welche dieſe beiden Univerfitäten aus freien Stüden
abgaben.
3) Sedendorf I. c. I, 72; Cochlaeus De actis et scriptis etc. 14 a:
„Consensit tandem (sed invitus et iratus) in Judices Parisienses
et Erphordienses facultatis Theologicre. In hos sane quod apud eos
in literis educatus plus notitiae et favoris haberet, quam Eckiys;
apud illos vero, quod offensos nuper in causa Capnionis atque in
privilegiis Cleri Gallicani speraret approbaturos potius impugnatoris,
quam propugnatoris Bom. Ecclesise partes.“ Ausgeſchloſſen waren bie
Dominikaner und Auguftiner, als parteiifh. Da, fo viel ich fee, in Erfurt
die theol. Fakultät feine Dominikaner, wohl aber Auguftiner zu Mitgliedern
hatte, fo ift die Neußerung des Moſellanus (Opp. Pirkh. p. 325 u. Eeden:
dorf I, 91) erklärlich.
2) 1519 nennt er fie in Hinblid auf ihr freimüthiges Auftreten gegen
Leo X. „multis nominibus commendanda Universitas Christianissima
Parisiensis.““ 1524 fpricht er von „Barifer Eſeln.“ — Vgl. Sedenborf I,
87. De Wette II, 2.
*) Darunter auch die beiden Humaniften Crato und Camerarius. Außer
Erfurt war von ben auswärtigen Univerfitäten nur Wittenberg durch Depu⸗
tirte vertreten. Es verdient Beachtung, daß ber Feſtredner, jo oft er bie
und waren dort Zeugen des zwanzigtägigen Kampfes und der
inhaltſchweren Zugejtänbniffe, die Eck feinem Gegner abgenäthigt.
Die Zumuthung, ihm den Sieg zuzufprechen, wagte Luther
nach Beendigung des Geſpräches ſelbſt nicht mehr zu ſtellen:
einen jolchen Ausgang hatte er fich ſelbſt nicht gedacht, und
feine Haltung während der Disputation befriedigte ihn felbft
ſo wenig, al? das Teipziger Publitum, welches feinem Gegner
den Sieg zufchrieb ). Er fühlte, daß es unter diefen Umftän-
den das Vortheilhafteite für ihn fein werde, wenn jeder ſchieds⸗
richterliche Ausspruch unterbleibe, und gab in einem Schreiben
an Range feinen Wunſch nicht undeutlich zu erkennen ?). Was
er wünjchte, geſchah. Schon am 3. December machte Luther
erfreut einem feiner Freunde die Mittheilung, daß die Erfurter
fein Urtheil fällen würden, und daß er fich jet um die Parifer
nicht mehr fümmere?). Es war vergebens, daß Eck perfünlich
nah Erfurt amt) und Herzog Georg von Sachen die Uni-
verfität dringend um ihr Gutachten erfuchtee Lange wußte es
durchzuſetzen, daß die Acten des Gejpräches dem dresdener Hofe
zurücdgefandt wurben*). Trutvetter erlag in bdiefen Tagen
feinen Förperlichen Leiden und dem Kummer über das Umſich—
Anmejenden anredet, den Erfurtern vor den Wittenbergern ben Vorrang gibt.
Vgl. Oratio Joan. Langii Lembergii Encomium theologicae disputa-
tionis Doctorum Joan. Eckii, Andreae Carolostadii ac Mart, Lutheri
complectens. Lipsiae 8°. a3au.b3b.
) Bgl. De Weite I, 287.
3) Luther an Lange 3. Sept. 1519 ‚‚Suspicor eos (Erfurdienses)
‚ prudentius acturos, quam sese misceant alienis et odiosis causis istis““
I. c. 1, 328.
>) Bol. Luther an Spalatin De Wette I, 327.
+) Dal. Urban an Draco Eob. et amic. ep. fam. p. 29, wo der gleich:
zeitigen Anweſenheit des Ed und Moſellanus gedacht wird. Ed hatte auch
den Papſt in einem Schreiben aufgefordert, die beiden Univerſitäten zur Ab⸗
faſſung des Gutachtens zu nöthigen. Vgol. Mieg Monum. piet. et lit.
vir. II, 11.
>) De Wette I, 380,
‚greifen der neuen Meinungen !'). Sein Tod befreite die Tuthe-
rifch Gefinnten von ihrem wichtigften Gegner und ficherte ihre
Herrichaft. Am 29. December 1519 erließ die Univerfität ein
Schreiben an den Herzog Georg, in dem fie die Abfaſſung eines
Gutachtens förmlich ablehnte 2).
Es war dies der erſte Dienſt, den die Univerfität Erfurt
der Sache Luthers leiſtete. Sehr bald follte er durch neue
überboten werben.
Dieje gingen von den Humaniften aus.
IV.
Als Ulrich von Hutten, im Anfang ded Jahres 1518 die
erjte Kunde von den Händeln des Auguftiners in Wittenberg
empfing, war er hocherfreut, daß jet die Mönche unter ſich
jelbjt in Hader gerathen feien. Gleichſam triumphirend meldet
er dem kölniſchen Humaniften Hermann von Neuenaar, wie
nunmehr die Feinde mit ihren Bropofitionen, Corrolarien,
Artikeln jich gegenfeitig zu befämpfen angefangen. „Vernichtet
nur”, hatte er dem Mönche gejagt, der ihm die erjte Nachricht
von dem ausgebrochenen Streite überbrachte, „damit ihr vwer-
nichtet werdet”). Er verſprach fich von biefem theologifchen
2) Luther ſelbſt machte ſich Gewiſſensbiſſe über feinen Tod. Vgl. Luther
an Spalatin 7. December 1519 1. c. I, 373.
2) „Wyr befinden aber, heißt es in bemfelben, Nach Manchfaltigem gehap:
tem vathe, das vns dyeß falß dye gezcendte, So zewuſchen obgemelten Doc⸗
torn ſtehen und Sn der gehapten Disputationn furpracht ſeyn, zeu entſcheiden,
vnd vnſer erkenntniſſze ader Declarationn dor auff zeuthun nicht gepurhen
wyll.“ Das Schreiben iſt unterzeichnet: Rector, Magiſtri vnd Doctores der
Vniverſitedt zeu Erffordt. — Abgedr. bei Seidemann, Die leipziger Disputa⸗
tion im J. 1519. Beilagen p. 152.
2) Vgl. Hutten an Neuenaar (d. d. Mog. 3 Non. April. 1518) „Jam
vero, quod tu ignoras forte, Vittembergae in Saxonibus altera adver-
sus summi pontificis auctoritatem insurrexit factio, altera indulgentias
papales adserit. Magnis utrinque conatibus res agitur, Ipsi duces
strenui, vehementes, concitati, alacres clamant, vociferantur, plorant
— 8 —
Mönchsgezaänk den Untergang der Mönche und Theologen, ven
endlichen Sieg des Humanigmu?.
Gerade das Gegentheil von dem, was der Radicalſte unter
den Humaniften vorausſah, tft erfolgt. Die Sache des Moͤnches
gewann welthiftoriiche Bedeutung, der Humanismus wurde
darüber vergeffen. Und daß dies gejchah, ift nicht zum gering:
ften Theil dag Werk der Humaniften ſelbſt. Eben aus dem
humaniftifhen Heerlager gingen die rüftigften Streiter für
Luthers Sache hervor. Hutten felbft that es bald an Eifer
für den Mönch Allen zuvor.
Es ift nicht eine innere, dem Auge Huttend im Anfange
verborgen gebliebene, Verwandtſchaft zwifchen den Anſchauungen
Luther? und der Humaniften, was jene merkwürdige Wendung
herbeigeführt hat. Wir jahen bereit3, wie weit. bie Gedanken⸗
welt des myſtiſchen Auguftinerbruderd® von dem Liberalismus
der Humaniften entfernt war. Die Bundesgenofjenfchaft zwi:
fchen beiven hatte andere Gründe. Luther, wenn auch Myſtiker
und Mönch, befämpfte doch die römische Curie, mit der bereitö
der am meiften vorgefchrittene Theil der Humaniften fi in
offenem Bruch befand, er befämpfte fie in einer Inſtitution,
die wie jeden Deutjchen, jo auch den Humaniſten mit Unwillen
erfüllte, und er führte den Kampf von Anfang an mit einer
Kühndeit, wie es Keiner vor ihm gethan. Sein Myſticismus
nonnunquam et fortunam incusant. Novissime ad scribendun quoque
adjecerunt animos. Factum librariis negotium, Venduntur proposi-
tiones, corrolaria, conclusiones et illi multis saepe exitiosi articuli.
Sic spero fiet, ut mutui interitus causas sibi invicem praebeant. Ipse
de hoc negotio nuper factus certior a quodam ex fratribus, hoc illi
respondi: consumite, ut consumamini invicem. Opto enim, ut quam
maxime dissideant inimici nostri et pertinacissime se conterant.‘“
Opp. Hutteni ed. Münch II, 428. Noch im Oxtober 1518 äußert er fich
ähnlich in einem Schreiben an Pirfheimer (d. d. Aug. 8 Cal. Nov. 1518)
„Eckius proscidit Carolostadium, civem meum, probum Theologum,
eidem cum Luthero bellum est, Luthero cum multis. En viros Theo-
logos impactis mutuo genuinis se concerpentes.‘“ Hutt. Opp. II, 99.
—
batte ihn überdies auch mit der Scholaſtik in Eonflict gebradtt.
Daß Ariftoteles ein „Thor“ fei, daß Feine ſyllogiſtiſche Form
fih zu göttlichen Dingen reime — wie Luther fchon im Som
mer 1517 behauptet hatte!) — waren Süße, bie bei jedem
Humaniften freudigen Beifall finden mußten. Es kam binzu,
daß die nämlichen Männer, die fo eben als Gegner Reuchlins
fich hervorgethan, auch zuerft gegen Luther in die Schranken
traten. Kein Wunder, wenn da weniger Unterrichtete den Tuthe
riſchen Handel geradezu als eine Fortfegung des reuchlinifchen
auffaßten. Man weiß, wie Neuchlin jelbft fich darüber freute,
daß jeine Gegner jebt den Mann gefunden, ber ihnen zu fchaffen
machen würde Bon der größten Wichtigkeit war es enblid,
daß Luther felbit, der den nationalen Ideen gegenüber, bie er
noch nicht zu würdigen verjtand, eine gewiſſe Zurückhaltung
bewiejen, doch bie Lage ber Dinge jo weit überfah, um bie
Wichtigkeit der Humaniftifhen Bundesgenofjenfchaft zu erkennen,
und fein Bedenken trug, fich um biefelbe zu bewerben. Er
nähert ſich Reuchlin jchon 1518 in einem Schreiben, worin er
ih ihm als einen Bundesgenoffen anfündigt und ihn, in der
Humaniften Weife, feiner Verehrung, Treue und Ergebenheit
verfihert ?). Ganz im Tone des feurigen Humaniften fchreibt
er einige Monate jpäter an Erasmus, obſchon er vorher in
Briefen an feine Bertraute wiederholt fich mißfällig über ihn
ausgeſprochen. Er rebet ihn an als die Zierde und Hoffnung
des Zeitalterd, ald den Mann feines Herzens, mit dem er fid
ı) Bol. De Wette I, 15. Wald XVIII, 10.
2) Vgl. Illustr. vir, epp. ad J. Reuchlin Phorcensem C. 3b — 48.
„Occurro et cgo ipsis lenge quidem minoribus ingenii et eruditionis
viribus quam tu occuristi et prostravisti, sed minore animi fiducia...
Sed ecee nonne impudens, qui tam familiariter sine prooemio honoris
tecum loquor? Verum facit hoc animus in te officiosissimus, qui ei
tibi est familiarisissimus tum memoria tui, tum librorum tuorum me-
ditatione.“ d. d. Vuittemb, alt, die Luciae 1518. Beh De Weite I,
1 — 197.
— 4 —
täglich im Geifte unterhalte. „Denn wo, fragt er, gibt ed noch
einen, deſſen Inneres Erasmus nicht ganz einnehme, den Eras⸗
mug nicht unterweife, den Erasmus nicht regiere?“ *)
So konnte es nicht fehlen, daß die Humaniften in Kurzem
aus jener gleichgältigen, halb ironiſchen Haltung, wie wir fie
bei Hutten wahrnahmen, heraustraten. Es vermählte fich die
humaniſtiſche Oppofition mit der theologischen, oder vielmehr:
jene ging in diefer auf. An Reuchlind Stelle trat Luther.
Daß die Bewegung durch die Theilnahme von Männern, bie
bereit3 jeit Jahren den Boden der Zrabition verlafien hatten,
einen ungleich .bedenklicheren Charakter annahın, war unver:
meidlich und ließ ſich vorausfehen.
Un diefem allgemeinen Umjchwunge nahmen die Huma-
nijten in Erfurt um jo mehr Theil, als derſelbe hier durch
befondere Umftände begünftigt wurde. Schon ein alter Refor-
mationghiftorifer hat von ihnen gejagt, daß fle gleichlam ein
„Boripiel” zu der Reformation gegeben ?). Der erfurter Hu-
manismus war jchon in feinem Urfprunge mit der Firchlichen
Dppofition verbündet, denn ihr verbankte er jein Auflommen und
Gedeihen. Und Mutians Wirkſamkeit war am wenigjten bazu
angethan, dieſes Mifverhältniß auszugleichen. Konnte er ſich
doch nicht einmal dazu entjchließen, das Bildniß des humaniſtiſch
gebildeten Papſtes Leo X. in fein „Sancarium” aufzu-
nehmen’). Bei jeinen humaniftifchen „Sympoſien“ war nicht
1) Luther an Erasmus 28. März 1519. „Toties ego tecum fabulor,
et tu mecum, Erasme, decus nostrum et spes nostra, necdum mutuo
nos cognoscimus: nonne monstri hoc simillimum? imo non monstrum,
sed plane quotidianum opus. Quis enim est, cujus penetralia non
penitus occupet Erasmus, quem non doceat Erasmus, in quo non
regnet Erasmus?.... Sed ego stultus, qui te talem virum, sio illotis
manihus absque reverentiae et honoris praefatione, veluti familiaris-
simum aggredior etc.“ De Wette I, 247, wemit zu vergl. I, 39, 52.
2) Sedenborf 1. c. I, 182. ‚‚Praelugeruut Erfurti quasi doctrinae
evangelicae bonarum littorarum professores celeberrimi etc.‘
3) Vgl Mut. ad Jon. (15. Juli 1517). „Sed demus adumbrate
8 —
fo häufig die Rebe von den Verdienſten Reuchling, al3 von ben
Fehlern der Sophiften und Theologen. Seine bittern Ausfälle
gegen Scholafttk, päpftliche Decretalen, Mönchsorden, unter
denen faft nur die Eifterzienfer Schonung bei ihm fanden!),
feine mitunter frivolen Ausſprüche über Religion und Kirche,
zu benen er ſich im Zuftande eigener Unficherheit fortreißen
ließ, fein unaufhoͤrliches Schelten gegen Firchliche Mißbräuche,
oder was er dafür hielt: alles dies konnte an feiner Jünger
ſchaft nicht ſpurlos vorübergehen. Zwar hatte er, als Luther
fih erhob, bereit? andern Gedanken Raum gegeben, fidh von
ber frühern Wirkſamkeit zurücdgezogen, aber die Folgen berfel
ben Tießen ſich nicht rückgängig machen. Schon hatte die Stim-
mung der Jüngerſchaft in den Hirtengedichten des Cordus?)
einen Ausdruck gefunden, der ben Aeußerungen des Meiſters
wenig nachgab. Nur allzugern kommen die Hirten des Dichter?
auf bie geiftlichen Hirten zu fprechen.. Sie wiffen, wie dieſe
ihr Amt nur als feile Miethlinge verwalten, erzählen von dem
Geiz, der Genußſucht der Geiftlichen, dem clericalen Dedpr
lineamenta respondere vivo pontifici, tanti tamen non est piscatoris
vicarius cum germano, ut recipiatur in sanctarium meum.“ Foͤrſte⸗
mann, Neue Mittheilungen aus dem Gebiete hiſtoriſch-antiquariſcher Forſch⸗
ungen des thür. ſächſ. Vereins. Bd. IH, H. IV, p. 163.
1) Vgl. Mut. ad Urbanum (der dem Ciſterzienſerorden angehörte) bi
Tentzel Supplement. I. histor. Goth. p. 61. Ein Erguß bes bitterften
Haſſes gegen das Mönchsthum ift fein Gebicht über dag Sprüchwort: Quic-
quid agit mundus, monachus vult esse secundus. gl. Libellus novus
epistolas et alin quaedam monumenta complectens J. Cameraril
Lips. 1563. — 6. 2b.
2) Bucolicorum Eclogae X. Lips. 1548. 4°. Schwerlich wird bie
die erfte Ausgabe fein; ſchon 1517 hielt er in Leipzig Vorlefungen über feine
bucolifchen Gedichte. Aus Aeußerungen Mutians (M. B. F. 218n, Tenkel
1. c. p. 165 u. a.) erfieht man, daß Cordus fchon 1513 mit ihnen befchäftigt
war.. Ein Abdrud findet fi} in Euricii Cordi Simesusii Germani, Poela®
lepidissimi opera poetica omnia, -jam primam colleeta ac posteritall
transmissa. 8°. s. 1, et a. f.:2—36.
tismus, der. feinen Widerfpruch ertrage '). Wie hätte bei einer
ſolchen Stimmung Luther Predigt ihren Erfolg verfehlen
können! Endlich wirkten für Luther auch perjönliche Beziehungen.
Er war Schüler der Univerfität Erfurt und in den erfurter
Kreifen durch feine Thefen fchon jeit einigen Jahren als Geg-
ner der Scholaftif bekannt. Mutian hatte er bereit? im ‚Jahre
1516 in einem jehr ſchmeichelhaften Schreiben jeine Huldigung
dargebracht 2). Sein vertrautefter Freund und Anhänger war
der Auguftinerprior Johann Lange, der, wenn auch jebt durch
feine amtliche Stellung im Orden dem frühern Verkehr mit
dem Humaniftenkreife entrückt, doch immer noch in Verbindung
mit ihm blieb und bei allen Mitgliedern desſelben in hohem
Anſehen jtand °).
Dean fieht: bei den erfurter Humaniften fand Luther einen
vorbereiteten Boden, wie nicht leicht anderäwo. Und mit der
2) Bol. 3. B. folgende Stelle:
Esse scias magnum sacris malcdiccre crimen
Quale sacerdotum genus est electa deorum
Turba quidem et tincti divino chrismate patres
Quos omni obnixe debemus honore vereri
Et quibus omnipotens jussit parere voluntas. Opp. 20 b.
Dber: Nostra sacerdotes curare negotia credis?
Annua Di caperent parientis foenera nummi,
Quasque gemens trabibus vix sustinet exedra fruges
Nullus in aede foret cantus nullusque precatus
Et nudae starent sine luce et honoribus arae. 1. c. 21 a.
2) Luther an Mutian 29. März 1516. „Vincit affectus in te meus
et salutat te doctissimum, te delicatissimae eruditionis viram, rusticus
iste Coridon, Martinus inguam barbarus et semper inter anseres stre-
pere solitus: sed scio, sed certus sum, sed vel praesumo, quod Mu-
tianus cor praeferat linguae et calamo, cor mihiideo satis eruditum,
quia satis in te amicum est.“ De Wette I, 24. Auffallend ift die Aehn⸗
lichkeit zwifchen ben brei Briefen an Reuchlin, Erasmus und Mutian.
s) „Erat tum“, fagt Gamerartuıs, „‚Joh. Langus eo loci positus,
quem suspicere ınagis possemus, quam erehro adire.“ Vgl. Libellus
alter epistolas eomplectens Eobani et aliorum. Lips. 1557. Praef. A.
3a. — Eobani Hessi et amicorum ipsius epistolarum familiarium Libri
XIT. (Marp. 1543) p. 14, 16.
9 —
ganzen Hingebung und Leidenfchaftlichkeit, die fie bereits in ben
frübern Fehden bewiejen, ftürzen fie fih auch in den neuen
Kampf. Die kirchliche Frage drängt plößlich alle übrigen in
den Hintergrund. Luther war dad Werkzeug, dad der Herr
ſich auzerfehen, um der im Argen Tiegenden Welt Rettung zu
bringen. „Es ſchien, als jei ein neuer Thesbites aufgeftanden“,
fagt Wicel, der diefe Jahre im erfurter Kreife zubrachte, „ein
neuer Hercules, hieß e3, fei feinem Augias gekommen. Man
ſchwur, daß Paulus wiebergeboren jei!).” Mit jugendlichen
Enthuſiasmus wurde Luther Ruhm von Alleı gefeiert. Ein
Feind war, wer Luther zu widerjprechen wagte. Urban war
entrüftet darüber, daß Eck bei feiner Anweſenheit von einigen
ältern Lehrern wohlwollend aufgenommen wurde ?). In bittern
Epigrammen gegen Luthers Widerfacher, gegen Sopbiften,
Mönche, Prälaten und Päpſte gibt fich des Cordus Religionz-
eifer fund’). Rom ift ihm der Sik der Simonie und in ihr
allein beiteht dag Hirtenamt des Papftes +). Glücklich Deutich-
ı) Vgl. Epistolarum, quae inter aliquot Centurias videbantur
partim profuturae Theologicarum literarum studiesis partim innocentis
famam adversus Cycophantiam defensurae Libri IV Georgii Wicelii.
Lips. 1537. 4%. — D. d, 2b, „Videbatur novus surrexisse Thesbites,
novus Hercules dicebatur venisse Augiae sune. Et (ail mentior)
renatus esse Paulus jurabatur, qui nihil nisi thus pederet‘‘ etc.
2) Vgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 29. Mofellanus dagegen fei —
Magt Urban — zu ſchlecht aufgenommen. Moſellanus jelbit rühmt aber bie
Aufnahme, die er in Erfurt gefunden. Wald XV, 1416.
3) Bol. Euric. Cordi Epigrammatum libri XII in ben Opp. f. 9
bi8 286, namentlich 102a, 104p, 110a, 118a, 1226, 124a x. — Da die An:
ordnung der Epigramme chronologifch ift, fo läßt ſich bie Entſtehungszeit
eines jeden mit ziemlicher Wabrfcheinlichfeit beftimmen. Die brei erften find
bis zum J. 1520. (das britte großentheils in dieſem) gebichtet.
“) Prima Simon Petrus fidei fundamina jecit
- Christicolasque novus dex fuit inter oves,
At superas postquam Petrus migravit in arces
Hoc subiit solus munus ubique Simon,
Hei mihi quam tomuis grex est pastore sub illo
Quam gracili rarum tergore vellus habet. 1. c. 109.
— 1 —
land, daß ihm endlich die Augen geoͤffnet, und es den Ablaß
Hagend von bannen ziehen fieht !). Der Befreier und Netter
ber Frömmigkeit aber ift Luther, der Held, größer als Achilles,
den der Herr bei jeinem gefahrvollen Kampfe Fräftigen möge ?).
Und Eordus ſprach die herrichende Stimmung aus. Wie allge
mein die Begeijterung für Luther war, erfiebt man daraus,
daß felbft ein Kling, der einige Jahre fpäter als der ent-
Ichlofjenite Gegner des Reformators erjcheint, ihr damals nicht
widerjtehen fonnte?). Fürwahr, reichlich wurde da Luther für
den Kummer entichädigt, den ihm Trutvetters und Uſingens
Haltung im Anfang verurjfachht, und nicht zu verwundern war
es, wenn er fchon 15148 beim Anblide ber erfurter Zuftänbe
frohe Hoffnung für die Zukunft jchöpfte *).
Einen außerordentlichen Einfluß hat damals auf die Stim-
mung in Erfurt Erasmus ausgeübt. Jonas gab auf feinen
Rath) das Studium der NRechtswiffenichaft auf, um ſich jetzt
ansjchließlich der neuen Theologie zuzuwenden. Femelius ver:
öffentlichte dad Gutachten, dad Erasmus dem Erzbifchof von
Mainz über die Iutherifche Angelegenheit gegeben, um dadurch
die „unheilige Rotte”, die Luther wiberfprach, zum Schweigen
ı) Indulgentiarum querela:
Heu nos hou miseras sapiens Germania postquam
Perspecta tandem sobria fraude videt. 1. c. 138.
2) Ad Mart. Lutherum:
Chare mihi in Christo Jesu super omnia frater
Imo verende magis relligione pater
O vere fortis super omnem miles Achillem !
Firmet in haec auspex te modo bella Deus! 1. c. 143.
3) Nach ber Frieſe'ſchen Chronit ad a. 1525 (M. ©.). Dadurch wird
wohl der Irrthum Sedendorfd (1. c. I, 182) erflärlich, der Kling zu ben
Prädifanten rechnet.
*) Vgl. De Wette I, 112.
>) Vgl. Epistolae Erasmi (Opp. Erasm. ed. Basil. T. III) p. 23%.
De Wette I, 456.
— 12 —
zu bringen). Daß Erasmus, der verehrte Patron der Huma-
niften, deſſen Ausfprühen man unbebingt Folge zu leiſten
gewohnt war, fich für Luther erklärte, feine Sache in Schuß
nahm und empfahl, wäre allein ſchon hinreichend geweſen,
Eobans Genoſſen in Streiter für Luther umzuwandeln: fein
Zufpruch fteigerte jeßt den bereit3 vorhandenen Enthuftasmuß.
Erasmus’ Briefe und Schriften befeitigten jeden Zweifel und
wurden die Quelle einer neuen Begeilterung für Luther. „Wer
fie gelefen hatte”, jagt Wicel, „Eonnte dem angefangenen Werke
nicht mehr abgeneigt fein“ 2).
Aber fchon blieb man dabei nicht mehr ftehen. Euricius
Cordus, der erit vor Kurzem mit den poetilchen Studien das
der Arzneiwifjenjchaft verbunden, begann im Jahre 1519, zum
großen Verbruß des altgefinnten Lupus, auch theologiſche Vor⸗
lejungen zu halten). Man kann denken, in weldhen Sinne.
ı) Desiderii Erasmi ad Reverendiss. Mogunt. praesulem atque
illustrissimum principem epistola nonnihil D. Martini Lutheri negotium
attingens. M. Jo. Femelius lectori judicii de M. L. deque ejus doc-
trina cupido:
Quid spirat totus Martinus pectore toto
Quid valeant magni dogmata magna viri
Spiritus an doceat Martinum scribere cuncta
Cliamat ut audacter turba prophbana niger
An sit perdendus fiammis ultricibus ipse .
Haeresis ut doctor perfidus atque nocens:
Quid faciant illi, qui damnant omnia plane
Quae vir tam clarus comprobat esse pia
Omnia si breviter libet haec tibi noscere lector,
Unde tenere queas, magnus Erasmus habet,
(Am Enbe. 1520. 4°.)
2) Wicelii epp. Ad Jon. b4b. Die Stelle ift überhaupt lehrreich:
Attraxit me primum in partem vestram plausus ille orbis maximus,
pellexit praeproperus eruditorum assensus, incitavit novitas: ut pleri-
que natura hujus cupidine ducimur: perpulit ecclesiae foeda facies, potiss.
incitavit spes magna, omnia fore purius Christiana. Calcar ad id
ingens erant Erasmi vigiliae, quas qui legerat, is non potuit mon
favere coeptis istis, quantumcumque reclamante una portione orbis.‘“
23) Bol. Hogel’fche Chronik ad a. 1519, womit zu vergl. das Epigramm
— BB —
Da biieb auch Eoban nicht zurüd. Noch in demſelben Jahre
fing er an, in öffentlichen Vorlefungen das eradmifche „Hand:
buch des chriftlichen Streiters“ zu erklären, „um jegt mit der
Gelehrſamkeit die Beförderung chriftlicher Frömmigkeit zu ver-
binden.” Wir befigen noch die Rebe, mit der er fie eröffnet
hat!). In ihr bemerken wir zum erjten Mal den biblifchen
Ton, der bald in der ganzen humaniſtiſchen Literatur herrfchend
wird. Er preifet die Zeit glücklich, daß fie — namentlich durch
das Verdienft des großen Erasmus — zu dem Born der wah-
ren Frömmigkeit, zu der Bibel, zurüdgefehrt jei, und dem
frühern Berderben, dem Aberglauben und der Heuchelei entjage.
„80 bleiben nun jene”, ruft er aus, „bie jo übermüthig und
anmaßend von chriftlicher Demuth predigen — von der fie jelbft
fo weit entfernt find, al® Myfien von den Phrygiern — als
wenn und nicht der leiſeſte Widerfpruch gegen fie, ihnen aber
ein immerwährendes Sündenleben geitattet jei. Dulden wir
es nicht mehr, daß Menfchen durch alberne und nichtömwürbige
Poſſen das chriftliche Volk, die einfältige und ungelehrte Menge
täufchen und leider nur zu oft ven dem engen und jchmalen
Pfade auf den Weg des Verderbens führen — nur darum
bejorgt, daß ihnen die Mittel nicht ausgehen, daheim ihren
Lüſten zu fröhnen” 2). „Seid frei”, mit diefer Ermahnung
des Cordus Ad Sedecianum (Opp. 148 a), dem Hogel wohl jene Nachricht
entnommen bat. — Lupus (‚‚rasae Alpha farinael‘“) hielt feit Jahren
Borlefungen über Gabriel Biel. Er Teiftete am längften Widerſtand, fcheint
fih aber 1520 gefügt — oder zurüdgezogen zu haben.
1) In ber Sammlung: Praefatio in Epistolas Divi Pauli Apostoli
ad Corynthios, Erphurdise ad Christianae philoseophiae studiosorum
ordinem habita ab eximio viro D. Jodoco Jona Northusane jarlum
designato D. Canonico ibidem apud divi Severi. Cum epistola Mosel-
Jani ad eundem. Huic addita est non multum dissimili argumento
Eobani Hessi praefatiuncula in Enchiridion Christiani hominis. (Am
Ende: Erphordiae V Cal. Sept. 1520), 4°. Den Schluß bilden zwei Mei-
nere Preisgedichte auf Luther von Cordus.
2) In Praelcetionem Christiani militis J. c. C. 3 a. „Dum modo
Kampſchulte, Univerfität Srfurt. IL Theil. 3
— 4 —
fchließt der Redner, „unter Chriſti Kührung vernichtet das
feindliche Heer, wifjet, daß Chriſtus unſer Herr und Gott, der
Urheber und der Wiederheriteller der Freiheit ift” *).
Eine noch Teidenfchaftlichere Sprache führt Juſtus Jonas.
Wie er ſo eben durch feinen überfchwenglichen Eifer für den
Humanismus es Allen zuvorgeiban, jo kennt auch jebt jein
Eifer für die Sache der Reformation Feine Grenzen. In der
Einleitung zu feinen Borlefungen über die Ehrintherbriefe, die
er ebenfall® 1519 begann, kann er nicht Worte genug finden,
um das bisherige allgemeine Verderben zu jchildern. Alle
Stände, alle Berhältniffe find, nach feiner Schilderung, davon
ergriffen; mit der Muttermilch, wird e3 eingeſogen?). Weppig-
feit und Habgier herrichen, Wiflenfhaft und Frömmigkeit find
‘verachtet, der Glaube Liegt darnieder. Die, welche den Titel
von Geiftlichen und Seeljorgern führen, dienen der Wohlfuft
und dem Geize, ſcheuen fi, auch nur eine Stunde dem Stu:
dium der h. Schrift zu widmen. Bifchöfe, Erzbifchöfe, Done
capitel wetteifern in Pflichtvergefjenheit. Nur von weltlichen
Dingen tft bei ihren Zujammenfünften die Rede, von Forſten,
Bauten, Einkünften, von Ritterbürtigfeit, vem Ruhme der Bor:
fahren und der langen Reihe der Ahnen; darin ſuchen fie ihren
Ruhm, nicht aber in der Berrichtung der geiftlichen Pflichten *).
Die Mönche jind der Unmäßigkeit, der Böllerei uud den Müßig—
gang verfallen, die Wiſſenſchaften in den Klöftern erftorben,
die alten einfachen Sitten bis auf die Kutte verſchwunden “),
illis domi non desit, undecunque corrasum, quod voluptatibus, tibidinl,
avariciae satisfaciat.‘“
1) „Liberi Christo duce profligetis hestilem exercitum eumque
solum libertatis authorem agnoscatis, ‚qui solus perditam munde liber-
tatem restituit, Josum Christam qominum et deum aostrum.“ 1.c. C. 3b.
2) Praef. in ep. divi Pauli etc, A. 3 a.
s)1l.c. A. 4a—b.
*) Seine Aeußerungen über die Mönde gehören zu ben berbften, doch
verwirft er dad Möndhsinftitut noch nicht, — „‚Quod si continentia et illa
litteris amicissima frugalitas, quam ceremoniis quidem et ipso habite
— 85 —
— Dem müfje ander? werben. Die Zeit ſei gekommen. Jonas
hält einen volljtändigen Bruch mit der Vergangenheit für nöthig
und fordert dazu auf; zwar falle e3 jchwer, fich von den Ge-
wohnheiten der Väter loszuſagen, allein über die Pietät gegen
die Vorfahren gehe der Befehl des himmlischen, Vater ?).
Bon ſolchen Lehren ertönten die Hörjääle in Erfurt in
den Jahren 1519 und 20. Eoban’3 und Jonas' Vorlefungen
fanden begeifterten Beifall bei der Jugend. Die von Witten:
berg audgegangene Bewegung hatte die ganze Univerfität ergriffen.
Der Gedanke der Reformation beberrichte Alles und riß jelbft
die ältern Lehrer mit ſich fort. Die Begeifterung für Xuther
war grenzenlos. „Schwiegen die Menjchen”, ruft Cordus aus,
„die Steine würden anfangen zu reden” ?).
Died war die Stimmung in Erfurt, als die päpftliche
Bulle erfchien.
V.
Es war am 15. Juni 1520, als in Rom die Bulle aus—
gefertigt wurde, die einundvierzig aus Lutherd Schriften aus⸗
gezogene Süße verdammte, die Bücher, in denen fie enthalten,
zu vernichten gebot und über Luther felbft, nach Ablauf einer
Friſt von jechzig Tagen, die ihm zum Widerruf bewilligt wurde,
die ganze Strenge der firdhlichen Genfuren verhängte.
prae se ferunt, foreret in monasterlis, fieri non possct ullo pacto,
quin ibi regnarent literne. Etenim si simplici et modesto viotu hi
essent contenti, si non eg quogue taterrimum vitium crapulae pens-
trasset, quid animis ita relictis in suo regno, ita nullo vino, nullis
epulis gravatis, vel cogitarent, quam quae item animos pascerent?
Nunc plerique coenobitac post preces illas utcunque permurmuratas
ventrem ita piscibus farciunt, ista distendunt, ut credas eos perdendis
cibis conductos aut natos ut jures nulli rei quam somno utiles esse.
1. c.B.2a. — An mandyen Stellen erfennt man ben Einfluß de Erasmus.
ı) 1. c. B. in.
»)1,c.C. 4a.
30
— 36 —
Nach dem, was vorhergegangen, war der Kirche, wollte
ſie ſich nicht ſelbſt aufgeben, Nichts übrig geblieben, als zu
dieſem äußerſten Mittel zu greifen. Nicht nur, daß Luther
ſich mit den wichtigen, wohl von ihm ſelbſt nicht geahnten Er:
gebniffen der Leipziger Disputation in Kurzem befreundete: et
war jeitdem auf der einmal betretenen abſchüſſigen Bahn noch
weiter vorgejchritten. Getragen von der nationalen Oppofition,
unter dem vanfchenden Beifall der Humaniften hatte er in
Predigten, Streitfchriften und Briefen eine firchliche Lehre nad
der andern angegriffen. Seine Sprache. wurde immer ver:
wegener, feine kirchlichen Umfturzgedanfen immer vabicaler:
Ihon im Februar 1520 fing er an, von dem Antichrift zu
Iprechen, der in Rom feinen Sit habe! !)
War fomit jener Schritt des Papftes volllommen gerecht
fertigt, muß ſogar ber in dem päpftlichen Schreiben herrfchende
Ton als ein verhältnigmäßig milder bezeichnet werden, fo war
ed doch ein nicht zu läugnender Mißgriff, daß Luthers perfön-
licher Gegner mit der Publication beöjelben in einem großen
Theile von Deutjchland beauftragt wurde). Daß Zohan
Ed, der in Reipzig Luther entgegengeftanden, dann nach Rom
geeilt war, um die Verdammung desjelben zu betreiben, nun
gleichjam triumphirend mit dem päpftlichen Spruch zurückkam,
hatte etwas Verlegendes und war um fo bebenklicher, als bei
der berrichenden Stimmung Alles, was auf die Schritte Roms
ein ungünftiged Licht werfen konnte, in Deutjchland begierig
aufgegriffen wurde. War es zu verwundern, wenn Diele in
der Verdammung Luthers das Wort perjönlichen Haſſes jahen,
ihr die niebrigften Motive unterjchoben! °)
1) Vgl. Luther an Spalatin 23. Februar 1520. De Wette I, 420.
2) Verfuch einer Rechtfertigung bei C. Riffel, Chriſtliche Kirchengeſch.
der neueften Zeit I, 230 (1844). — Offenbar bat die auf diefen Umſtand
bezügliche Stelle in Luthers Gegenfchrift (Von den newen Edifchen Bullen
vnnd lugen. Vuittemberg 1590. B. 3 h.) den meiften Grunb.
2) Tlugfchriften wurden in diefem Sinne in Umlauf geſetzt. Niederer
— 37 —
Dan weiß, wie fid die öffentliche Stimmung bei der
Publikation der Bulle Fund gab. An eine Annahme verfelben
in dem churfürſtlichen Sachen, auf welches am meiften ankam,
war gar nicht zu denken. Selbſt Bilchöfe, wie der von Bam⸗
berg, wiejen fie zurüd, weil fie ihnen nicht auf dem orbent-
lichen Wege zugelommen. In Leipzig gerieth Eck fogar in
Lebensgefahr. Zu den ſtürmiſcheſten Scenen aber jollte es in
Erfurt kommen.
Noch che man von dem Inhalte der Bulle Kunde hatte,
kehrte der erbitterte Cordus feinen epigrammatiichen Stachel
gegen fie). Ecks Name war nirgendwo verhaßter, al3 in
Erfurt. Uebertiug man auf Luther jene überfchwengliche Ver⸗
ehrung, die man vorher für Reuchlin an den Tag gelegt, ſo
galt dagegen Eck als ein neuer Hochftraten, und der ganze Haß,
ben biefer erfahren, traf jebt ihn. Erſt eben war in Erfurt
ein neuer jatirifcher Dialog „ber abgehobelte Eck“ an's Licht
getreten, gleihfam ein Seitenftüd zu ben Briefen der Dunkel⸗
männer, dad in ähnlicher Weile Eck dem allgemeinen Hohne
(Nachrichten zur Kirchen:, Gelehrten: und Büchergeſch. ı, 178 — 184) theilt
einen anonymen Brief aus dem Pirfheinier’fchen Nachlaffe mit, worin bie
Bulle al3 das Werk einer action bargeftelt wird, an beren Spike Cajetan,
Prieriag, die Kölner und Löwener Theologen und die Fugger in Augsburg
ftehen; im Nuftrage der leßteren fei Ed nad) Rom gereifet und er babe bie
Berbammung zu Stande gebracht. Der Brief ift angeblich aus Rom gefchrie:
ben, und, wie Riederer aus einigen durchſtrichenen und verbefferten Stellen
fchließt, von Pirfheimer aus dem Jialieniſchen in's Lateinifche überſetzt! Mir
fcheint es eben wegen jener Berbefferungen unzweifelhaft, daß Pirkheimer ſelbſt
den Brief verfaßt Hat, zu welchem Zwecke ift Mar. Dem Berfaffer de Kccius
dedolatus fieht ein ſolches Verfahren fehr ähnlich.
ı) De Romanis Bullis, Opp. Cordi 136.
„Quod tua Romulide bullas diplomata dicis,
Insipiens adeo non mihi vulgus erit.
Nam videt, ut verae sint et sine pondere bullae
Ni grave quod plumbum pictaque cera premit.
Epigramme gegen Eck 1. c. 144 a, 145 a.
— 3 —
preis gibt, wie es in jener Satire mit Hochſtraten geſchah 1).
War e3 denkbar, daß man ben Aufforberungen dieſes Mannes
Folge leiften werde?
Was aber gefchih, übertraf jelbjt alle Erwartungen. Nicht
nur, daß ſich die Humaniften gegen Eck und feine Bulle erbo:
ben, auch die theologifche Facultät that dies und zwar in einer
MWeife, die jelbft den Eifer der Humantiten noch überbot.
Auf die erjte Aufforderung, die Bulle anzunehmen und zu
veröffentlichen, hatte jie Eck eine einfach abichlägige Antwort
gegeben. Ed Fam darauf ſelbſt nach Erfurt, um fein Anjehen
als päpftliher Nuntius geltend zu machen und perjönlich die
Berdffentlichung der Bulle zu bewirken. Bei den Mitgliedern
der beiden Stifter und einigen Mönchen jcheint er damit Ans
Fang gefunden zu haben; durch Druc wurden bie Eremplare
der Bulle vervielfältigt und Thon Anftalten zu dem öffentlichen
Anſchlage getroffen. Unter diefen Umjtänden war es, daß fid
die theologische Facultät zu einem Schritte fortreigen ließ, ver
jelbft in jener „geichwinden” und aufgeregten Zeit ohne Bei⸗
fpiel ift: fie befchloß, durch einen fürmlichen Aufruf an alle
Angehörigen der Univerjität Haß und Leidenſchaft der acade:
miſchen Jugend zu entfefleln und gegen den Berfünder der
päpftlichen Bulle zu Hülfe zu rufen. — |
1) Daß ber Bccius dedolntus (mahrfcheinlich im März 15% erjchienen)
in Erfurt gebrudt fei, fant Luther ausdrücklich (De Wette I, 465) und aud
erfurter Chroniken, 3. B. die Frieſe'ſche (nd a. 1520) melden es. Auch ſtand
Pirkheimer, ohne Zweifel ber Verfafſer, um dieſe Zeit mit Erfurt in Ber:
bindung. gl. Eub. et amic. epp. f. p. 277. Dod will id nicht ver:
hehlen, daß mir, obgleich ich mehrere Ausgaben kenne, noch feine mit erfurter
Druderzeihen zu Geficht gefommen iſt. Abgedruckt findet ſich der Dialog bei
Niederer, Beytrag zu ben 487 betreffend die Händel, welche
D. Ed im 3. 1520 erteget hat. p. 156 — 157. Luther felbft war über die
neue Behandlung feines Gegners fol erftaunt. „Vides Lipsenses et Ec-
cium futuros allos Colonienses et Hochstratos‘" Luther an Spalatin.
De Wette I, 426.
— 9 —
Ein öffentlicher Anſchlag?) that allen Freunden und Goͤn⸗
nern der chriftlichen und enangelifchen Wahrheit fund, daß nad
längern gottlofen Rathichlägen von einigen gottlofen Schrift:
gelehrten und Pharifäern, die fich fälfchlich den Namen Theo:
logen beilegten, auf Einflüftern des Satans ber Beichluß gefaßt
fei, ein Schreiben öffentlich anzuſchlagen, das den hochgelehrten
Martin Luther aus der Kirche ausſchließe und der Hölle über:
weiſe. Einhellig, ohne Ausnahme hätten aber ſämmtliche theo⸗
logischen Lehrer der Univerfität erkannt und erflärten e3 Hiermit
nad, reiflicher Meberlegang unbedenklich, daß Martin bisher gut
und chriftlich gejchrieben habe, wenn anders bei den Propheten,
Evangeliften und St. Paulus Wahrheit zu finden fei. Darum
ergehe an alle Angehörigen der Univerjität, denen bie göttliche
Wahrheit und das Heil ihrer Seelen am Herzen Tiege, ‚die
Aufforderung, fich zu erheben, Ehrifti Wort mannhaft zw vers
theidigen, und den wüthenden Verläumdern Luther? „mit Hän-
den und Füßen“ zu wiberftreiten?). Sobald jene teuflifche
1) Gedruckt unter dem Titel: INTIMATIO ERPHURDIANA
Pro Martino Luther. 1 Bog. 4°. Ohne Angabe des Drudorts, aber mit
den Druderzeichen bed mainzifchen Buchdruckers Joh. Schveffer. Möglich,
daß der Drud durch Hutten vermittelt iſt; in Erfurt war jedenfalls nur ein
geſchriebenes Eremplar angeſchlagen. Cine dentſche Tieberfeßung beforgte im
folgenden Jahre Wolfgang Ruß, von der mir zwei verichiebene Ausgaben
befannt find. Die eine führt den Titel: VerkündungsBrieff der hochberilemp:
ten Vniuerſitet Erbfurt zuſchlitz ſchirm on handhabung des Chriſtlichen gots⸗
diener vn lerers D. Martin Luthers durch Wolffgang Rüßen verteutſchet.
Mit einer „Spruchreb Vber das frevel vnbeweret erkennen, ber hohen ſchül
Paryß wider Doctor Martin Luther.“ (Erſch. May 1521). Die andere
Ausgabe iſt betitelt: Intimation ber hochberüempten Vninuerfitet Erdtfurt, in
Martinum Luther burch Wolfgang Nuſen verteutſchet. 4°. Die Ueberſeßung
it hart und fehlerhaft. Maxima ducti impudentia iſt den Ueberſetzer fo
viel als: „mit groffer Scham” und Henigrare tamen cum versutia c0-
nantur wird überſetzt: fo onderftond ſy fich dann durch liſt abweg zu ſuchen! —
2) „Quamobrem vos omnes et singuli hostrae dietae Universi-
tatis gremiales, qui veritasem Christi, Christum sl Iaquam amatis, aut
qui doctrinam Cäristi preciosissimo sanguine suo Armatam diligitis,
quibus denique chara proprias animne snlus, oxhortumur in Aoıhino
9 —
papiftifche Excommunikation an der Umeerſität angeſchlagen
ſei, möchten fie furchtlos, haufenweiſt aBer einzeln herantreten,
fie zerreißen und vernichten, auch auf jede andere Weiſe das
gottlofe Machwerk der eckiſchen action verunehren und be
Ihimpfen. Man jet verpflichtet, jenes nicht3würdige Geſchlecht
der Pharifäer zu verfolgen, die fein Mittel für unerlaubt hielten,
um den unſchuldigen Vertheidiger der Wahrheit mit Schmach
und Schande zu beladen, und fi dadurch den Dank bed
römischen Papſtes zu verdienen bofften. Doch fie und ihren
- Hirten erwarte gemeinjamed Verberben und dad Schickſal,
welches fie Luther zugedacht, werde fie jelbjt treffen ).
—
Jesu Christo, consurgite, agite animosius in verbo Christi defendendo,
pugiles resistite, reclamate immo manibus ‚pedibusque rabidissimis
illius Martini praedicti obtrectatoribus repugnate, Verum quo pacto
repugnandum sit, animadvertite. Quam primum tyraunica illa et plus
quam diabolica excommunicatio Papistica, Jicet injustissima adversus
innocentem Martinum et ejus adhaerentes, valvis nostris affıxa fuerit,
turmatim animo virili et intrepido (nostrae exhortationis memores)
etiam in magno numero, et in meridiana luce, aut partieulatim acce-
dite, has ipsas demonisticas excommunicationes in minimas particulas
dilacerantes‘“ etc. Man erfieht aus dem Stile, daß die Sumaniften an
ber Abfaſſung unfchulbig find.
1) Luthers Gegner unb die Verfündiger ber Bulle werben bezeichnet ald
Lmciferiani nuncii, Pharisaei, meri calumniateres, invidissimi convi-
ciawres, diabelici cellegii conservatores, an ihrer Spite ftehen: Imapius
Eccius et Augustinus Alfeldianus Pharisaeorum duces. — fügen ung
nicht gleichzeitige Drude vor, fo käme man in Verfuchung, an ber Echtheit
des Nctenftüdg zu zweifeln, namentlich auch wegen ber Einhelligfeit, mit ber
ber Beichluß gefaßt fein ſoll („Nos vero alme Vniuersitatis Magistri,
Baccalaurii Theologicne veritatis professores, omnes et singuli tam
conjaactim quam diuisim, desuper mature habito censilio, unanimes
unoque corde, semoto omni scrupulo liuoris vindietae aut odii Cujus-
quam, ita decernendo rite docemus et profitemur praescentium tenore
Martinum bene et prorsus Christiane hucusque scribsisse‘‘), da bed
ber Facultät noch Männer wie Ufingen, Lupus angehörten, mit bern Cha-
rafter eine ſolche Maßloſigkeit nicht wohl vereinbar ſcheint. Allein zu dem
Gewicht der gleichzeitigen Drude kommt noch, baß die Facuftät, auch als fie
wieder eine Tatholifche Haltung angenommen, fich nie gegen ben amtlichen
— 41 —
Es ift auffallend, wie dieſes denkwürdige Actenftüc, das
wohl in der ganzen Reformationzliteratur jeined Gleichen nicht
bat, jo gänzlich in Vergeſſenheit geratben konnte. Lange Zeit
war es vollitändig verfchollen oder nur dem Namen nad
bekannt 1). Die Zeitgenoffen jelbjt beobachten darüber ein
merfwürdiged Schweigen, gleihfam als wollten fie dadurch ihre
Mipbilligung über ein jo gejeklojes Verfahren an den Tag
legen. Nur das erfahren wir, daß die academische Jugend
getreulich der Aufforderung ihrer pflichtvergefjenen Lehrer nach-
gelommen ift. Zum Unfchlagen der Bulle ſcheint es gar nicht
gefommen zu fein. Ed wurde von den ergrimmten Studenten
in feiner Wohnung belagert und war kaum ſeines Leben? ficher.
Die gedruckten Eremplare der Bulle wurden dem Buchdrucker
geranbt, in Stüde zerriffen, beſchimpft und in's Waller gewor⸗
fen; „ſei e8 doch eine Blaſe (bulla), darum möge fie auf dem
Waſſer Ichwimmen” 2).
Aus den Briefen, in denen Luther diefer Borgänge gedentt,
erjieht man, daß er felbft darüber erftaunt war, er rechnete fie
zu den wunderbaren Werfen Gotted. Und fürwahr, einen
Charakter der „Intimation“ außgefprocdyen hat, was man erwarten mußte.
Der Rector des Sommer! 1520 war ein Mitglied der theol. Facultät, Plab;
von ihm ift wahrfcheinlich das Ganze ausgegangen. Seinen Bericht in Liber
rationum fchließt er mit den Worten: Veritati mikil fortius! Die Matrikel
gebenft des Vorganges nur dunkel, inbem es von Crotus, ben Rachfolger
des Platz, heißt: „„Atque statum literarii ordinis, quem perturbatum
inveuit pro virili studuit pacare.“ E. U. M. ad a. 1520.
1) Bei Sedendorf, Tentel, Salig, Rapp ift jebe Kunde davon verfchollen,
Fabricius rechnet es fogar zu ben Gegenfchriften gegen Luther; Fratzſcher J. c.
p. 294 veröffentlichte zuerſt wieber bie beutiche Weberfekung, Riederer bann
mit der Weberfegung das Iateinifche Original. Vgl. Riederer Eine überaus
feltene Reformationdurfunde Intimatio Erphurdiana pro Martine Luthero.
Altorf 1701. 4°.
2) „Bulla est, in aqua unter,“ Das Wortfpiel läßt fih im Deutfchen
nicht wiedergeben. Vgl. über diefe Vorgänge Luther an Greffendorf (30. Oc⸗
tober 1520), De Wette 2 519 und Luther an Spalatin (4. Rov.) 1. c. 1,
522. 524,
— 4B —
ſolchen Eifer hatte er in Deutſchland noch nicht gefunden. Am
wenigſten aber hatte er erwartet, daß eine Univerſität in ihrer
Geſammtheit öffentlich ſeine Sache in ſolcher Weile in Schutz
nehmen werde !). Der Borgang in Erfurt fteht in der That
vereinzelt da: von Feiner deutſchen Univerfität ift daS Beiſpiel
ber thüringifchen nachgeahmt worden.
Aber ſchon hatte Erfurt in diefem Augenblicke auf einem
andern Punkte eine Wirkſamkeit begonnen, die auf den Gang
ber Ereignifje einen ungleich wichtigern Einfluß gewann. Nicht
bloß Schuß ſollte Luther beider Schule finden, die er als feine
„Mutter“ verehrte, jondern von ihren Zöglingen auch jene
Einwirkung erfahren, die den Streiter für die Rechtfertigung
allein durch den Glauben zum Fühnften Demagogen der Nation
machte und daß ſchon Tängft angebahnte Buͤndniß zwiſchen der
theologiſchen Oppoſition und den nationalen Tendenzen zur
Vollendung brachte.
Es geſchah dies durch die Einwirkung derſelben Männer,
welche durch ihre Theilnahme bereits dem reuchliniſchen Streite
jene verhaäͤngnißvolle Wendung gegeben hatten: des Crotus
Rubianus und feined Freundes Ulrich von Hutten.
2) Was Luther von den Univerfitäten hielt, ſagt er in einem Briefe an
Spalatin bei Beſprechung ber Leipziger Diäputation: Universitates et Ro-
manum Pontificem certum habemus et nos, aut nunguam, aut contra
nos pronuntiaturos, id quod unice ipsi suspirant.“ De Wette I, 285.
— Einen Beifall, wie in Erfurt, hat er auch in Wittenberg nicht gefunden. —
—
— 48 —
Zweites Kapitel. Sturm nnd Drang.
„Vindicemus commanem libertatem! liheremus
oppressam diu jam patriam! Deum habemus
in partibus,‘“
Betten.
1.
- Wie vajch die Geifter in jener ftürmifch bewegten Zeit
aus einer Bahn in bie andere geworfen wurden, veranſchau⸗
licht das Beifpiel des Crotus Rubianus.
Im Anfang 1517 hatte Erotus Erfurt verlaflen, um ben
Thon längst gehegten Wunſch einer Reife nach Stalien auszus
führen Schon im Mai finden wir ihn in‘ Bologna, bem
gewöhnlicden Sammelplatze deutſcher Humaniften !). Er traf
hier noch mit Ulrich von Hutten zuſammen, den fein unruhiger
Geift 1515. zum zweiten Mal: nach Italien getrieben hatte, und
vermochte diefen durch feine Vorftellungen, ben abenteuerlichen
Plan einer Fahrt nach Serufalem aufzugeben ?), Als einer
ber beveutenditen Humaniften fand Crotus auch in die italie-
nifchen Gelehrtenfreife Eingang; unter den anweſenden deutichen
Gelehrten genoß vor Allen der Humanift Sohann Heß feines
vertrautern Umganges 2). Nähere Nachrichten über feine Stel:
1) Libellus alter, epıstolas complectens Eebani etc. K. 1 a.
Crotus Justo Mesio d. d. Bononiae Ascensionis dominicne feste. 1517.
2) Heumann Documenta Literaria p. 27. Cochlaeus ad Pirkh.
d. d. Bonon. 6 Cat, Jul, 1517. „Fuit his diebus Venetils Huttenus
cum gentilibus suis Hieroselymam proflciscentibus, quos ulique comi-
Latus esset, nisi Orotus Ruhianus Vulpiaorum prasceptor eum reti-
nuisset.‘“ Husten folgte dem Freunde nad) Bologna und trat von hier Ende
Juni 1517 feine Rüdreife an. 1. c. p. 28.
2) Der nachmalige MRefermator von Breslau, ſchon 1514 mit dem mutia⸗
niſchen Kreife in Verbindung, Freund Mutian's, Urban'sn, Petrejus’ und
Spalatin's. Vgl. M. B. F. fol. 180 a, 252 a und Heß an Spalatin
— 4 —
ſolchen Eifer hatte er in Deutfchland noch nicht gefunden. Am
wenigften aber hatte er erwartet, daß eine Univerfität in ihrer
Gefammtheit Hffentlich feine Sache in ſolcher Weile in Schub
nehmen werde !). Der Borgang in Erfurt fteht in der That
vereinzelt da: von Feiner deutſchen Univerfität ift daS Beiſpiel
ber thüringifchen nachgeahmt worden.
Aber ſchon Hatte Erfurt in diefem Augenblide auf einem
andern Punkte eine Wirkſamkeit begonnen, die auf den Gang
der Ereigniffe einen ungleich wichtigern Einfluß gewann. Nicht
bloß Schuß ſollte Luther beider Schule finden, die er als feine
„Mutter“ verehrte, fondern won ihren Zöglingen auch jene
Einwirkung erfabren, die den Streiter für die Rechtfertigung
allein durch der: Glauben zum Fühnften Demagogen der Nation
machte und daß jchon läͤngſt angebahnte Buͤndniß zwifchen der
theologiichen Oppoſition und ben nationalen Tendenzen zur
Vollendung brachte.
Es geſchah dies durch bie Einwirkung derjelden Männer,
welche durch ihre Theilnahme bereits dem reuchlinifchen Streite
jene verhängnißoolle Wendung gegeben hatten: des Crotus
Rubianus und feines Freundes Ulrich von Hutten.
2) Was Luther von den Univerſitäten hielt, fagt er in einem Briefe an
Spalatin bei Befprehung ber Leipziger Disputation: Universitates et Ro-
manum Pontificem certum habemus et nos, aut nunquam, aut contra
nos pronuntiaturos, id quod unice ipsi suspirant.“ De Wette I, 285.
— Einen Beifall), wie in Erfurt, hat er auch in Wittenberg nicht gefunden. —
—
— 48 —
Bweites Kapitel. Sturm nnd Drang.
„Vindicemus commanem libertatem! liheremus
oppressam diu jam patriam! Deum habemus
in partibus,‘*
Betten.
J.
Wie raſch die Geiſter in jener ſtürmiſch bewegten Zeit
aus einer Bahn in die andere geworfen wurben, veranſchau⸗
licht das Beiſpiel des Crotus Rubianus.
Im Aufang 1517 hatte Crotus Erfurt verlaſſen, um den
ſchon längſt gehegten Wunſch einer Reiſe nach Italien auszu⸗
führen. Schon im Mai finden wir ihn in Bologna, dem
gewöhnlicden Sammelplatze deutſcher Humamiften ). Er traf
hier noch mit Ulrich von Hutter zufanunen, den fein unruhiger
Geift 1515 zum zweiten Mal: nach Italien getrieben hatte, und
vermochte diefen durch feine Vorftellungen, ben abenteuerlichen
Plan einer Fahrt nach Serufalem aufzugeben?) Als einer
der bebeutendften Humaniften fand Crotus auch in die italie-
nischen Gelehrtenkreife Eingang; unter den anweſenden deutſchen
Gelehrten genoß vor Allen der Humanift Johann Heß feines
vertrautern Umganges 3). Nähere Nachrichten über feine Stel:
1) Libellus alter, epıstulas complectens Eobani etc. K. 1 a.
Crotus Justo Mesio d. d. Bononiae Ascensionis dominiene fosto. 1517.
2) Heumann Documenta Literaria p. 27. Cochlaeus ad Pirkh,
d. d. Bonon. 6 Cat, Jul. 1517. „Fuit his diebus Venetils Huttenus
cum gentillbus suis Hieroselymaın profleiscentibus, quos utique comi-
tatus esset, nisi Orotus Bubianus Vulpiaorum praecoptor eum reti-
nuisset.‘“ Hutten folgte dem Freunde nad) Bologna und trat von hier Ende
uni 1517 feine Rüdreife an. 1. c. p. 28.
3) Der nachmalige Refermator von Breslau, ſchon 1514 mit bem mutia⸗
nifhen Kreife in Verbindung, Freund Mutian's, Urban'n, Petrejud’ und
Spalatin’s. Bgl. M. 8. F. fol. 15 a, 22 a und Heß an Spalatin
— 4 —
lung und Thätigkeit fehlen und indeß, nur jo viel erfahren
wir, daß er feinen alten Verbindungen und Plänen auch in
Stalien getreu blieb. Mit den Erfurtern, mit Mutian, Urban,
Menius jtand er von Bologna aus in Brichvechjel!), aud
mit Hutten blieb er nach deſſen Abreiſe in fortwährendem Ber:
fehr ?). Und noch gang lebte er in dem Gedanken des Kampfes
gegen Sophiſten und Mönche. Bon der Wichtigkeit der Bor:
gänge in Deutjchland hatte er noch in der erjten Hälfte des
Sahres 1518 gar Feine Ahnung War ja doch Luther ein
Mönch und ala ein Mönchshandel mochte ihm auch feine An-
gelegenheit erjcheinen. Größere Hoffnungen rüpfte er an einen
jüngft in Stalien ausgebrochenen Kampf. So eben hatte hier
Petrus Pomponatius durch feine bevenflichen Säbe über die
Unfterblichfeit der Seele die ganze gelehrte Welt in Bewegung
gefeßt. Der Umftand, daß es vorzugsweiſe die firchlichen Orden
waren, die Widerfpruch dagegen erhoben, während die Huma—
niften größtentheild für Pomponatius Partei ergriffen, erweckte
in Crotus die frohe Hoffnung auf einen neuen allgemeinen
Kampf gegen dad Mönchsthum. Schon fah er im Geifte die
Scenen der reuchliniichen Fehde fich erneuern. „Wir werden
Kriege erleben“, jchreibt er 1518 mit fichtliher Freude an
Urban, „gewaltige Kriege, die in feiner Weile dem pfefferforn’-
Ichen nachitehen werden. Petrus wird eher Gut und Blut
bingeben, als den Mönchen da3 Feld räumen, es ei denn, daß
(12. April 1517) Spalatin., Nachlaß. Er ſcheint Furze Zeit nach Crotus
angefommen zu fen. Nach Kolde (Dr. Joh. Heß, Breslau 1846. p. 12)
empfing er 1519 in Ferrara bie theol. Doctorwürbe. Außer ihm waren um
jene Zeit in-Bologna anweſend und mit Crotuß in Verbindung: Cochläus,
Julius Pflug und ein gewiffer Petrus, über ben ung nähere Nachrichten
fehlen. gl. Opp. Pirkh..ed. Geldast. p. 258. Hutten bezeichnet Bologna
als ‚‚illud pulcherrimam doctissimorum virorum conventiculum.‘ Opp.
Butt, I, 145. |
1) Bgl. Lib. alter epp. J. 7 b. - Tenbel Reliquine epp. Mut. 106.
Suebus und Menius ftriiten fih um ben Beſitz ber Briefe des Crotus.
. 2) gl. Opp. Hutteni ed. Münch II, 529, 5%, III, 154, 157.
— 46 —
fie ihm Irrthümer nachwiefen. Die öffentliche Meinung fagt,
daß er ed mit ganz Stalien in ver peripatetifchen Philofophie
aufnehmen fönne. Auch in der heiligen Schrift ift er bewan-
dert, will fie aber anders gelefen wiflen, als jene, bie fie mit
fophijtiichen Polen bejudeln. Gegen ihn fteht vereinigt das
ganze Heer der Mönche, Franziskaner, Dominikaner, Serviten,
Carmeliten und wa jonft noch in Klöftern über Albernbeiten
bisputirt. Mit Spannung ſehe ich beim Verlauf dieſes Streites
entgegen. Wie auch immer dad Ende fei, ih will es Euch
Freunden mittheilen. Nur Eins fürchte ich, daß nämlich durch
die Bemühungen Einiger ein Friede zu Stande kommen möchte.
Mir jcheint diefer Kampf den Borzug vor dem Trieben zu
verdienen“ ?),
Doch die Rolle, die Crotus dem italieniſchen Philoſophen
zugebacht, follte der deutiche Mönch übernehmen. Crotus ver-
gap in Kurzem den Pomponatius, vergaß auch feine alte Ab⸗
neigung gegen dag Mönchsgewand, wurde Bundesgenoſſe de?
Auguftinerbruderd und der eifrigfte Befdrberer feines Wertes. —
Auch für Erotuß war ed enticheidend, daß die frühern
Gegner Reuchlins auch gegen Luther in die Schranten traten.
Die erfle Streitichrift, welche ihm in die Hände fiel, — wie
e3 jcheint kurze Zeit nach dem erwähnten Schreiben an Urban —
war ber Dialog des Silvejter Prierind ?). Seitdem war es
nicht mehr möglich, dem Kampfe noch länger theilnahmlos
zuzuſehen. Er fuchte fich näher über denſelben zu unterrichten,
ı) Crotus Praestabili Bonarum artium magistro Henrico Urbano
doctrina et religione insigni amico. d. d. Bononiae 1518 in Libellus
alter epp. K. 1b— 2a. Der Brief enthält auch fonft noch Intereſſantes
über ben Streit des Bomponatius. — Den Schluß bilden Grüße an Eoban,
Petrejus, Jonas, "den mainzifhen Sigillifer „et reliquos. qui sunt de
homelia Croti presbyteri.“ — Luthers wird in diefem Briefe mit Feiner
Silbe gedacht.
2) Vgl. Crotus an Luther d. d. XVI Cal, Nov. 1519 bei Mieg Mo-
num. piet. et lit. vir. I, p. 13. Dieſer Brief liegt überhaupt ber folgen:
den Darftellung zu Orunbe.
— 46 —
durch den bamberger Domherrn Andreas Fuchs, ſeinen Freund,
erhielt er die früheſten Schriften Luthers, er las fie mit Be
gierde, der gewaltige Geiſt, der ftch in ihnen anfündigte, machte
Eindruc auf ihn. Luther war ihm zunächſt ein willfommener
Mitftreiter gegen die Sophiſten, wie jo eben Pomponatius,
jeine neue Theologie ein ebenfo wirkſames Nüftzeug gegen bie
Schulgelehrfamfeit, als die Äprachlihen Formen der Alten.
Indeß bei biefer äußerlichen Bundesgenoſſenſchaft ift er nicht
lange jtehen geblieben. Der Kampf gegen die Scholaftif trat
bald in ben Hintergrund gegen das Intereſſe, das er an den
neuen. religiöfen Ideen felbft nahm, und unvermerft wurde ber
Humanift auf das thenlogijche Gebiet Hinübergeleitet, und „das
Schwert der b. Schrift” fein neuer Wahlſpruch ). — Aud
bem Crotus iſt Luther, wie ſo ‚vielen Andern, VBeranlaffung zu
einer ernſtern Beichäftigung mit der Theologie geworden. Lag
e3 aber nicht in der Natur der Sache, daß der im Kampf gegen
die Träger Eirchlicher Würden und Gelehrſamkeit bereit3 erprobte
Humanift Fühner und rückſichtsloſer auf den neu geöffneten
Bahnen vorichreiten mußte, als der in Devption gegen feine
Vorgeſetzten auferzogene Myſtiker? — Erotuß war in Kurzem
dem Meifter im Sturm des Angriffs vorausgeeilt: er hatte
1) Gladius scripturae ober auch Gladius spfrititus sancti. Ob feine
theologiſche Doctorpromstion, die in diefe Zeit fällt, mit biefen Umſchwunge
im Zufammenbang fteht? Die gewöhnliche Anficht, daß Crotus ohne alle
innere Betheiligung Luther Sache verfochten habe, dem Inhalte feiner Lehren
ganz fremb geblieben fei, widerlegen zahlreiche Stellen aus feinen Briefen,
aus benen ich nur eine hervorheben will. „Disputent acuti homines
damnentque ut libet,nusquam apud me in dubium vocabitur, quin
quivis mortalium justificatus per fidem accessum habeat ad deum.
Exultent ipsi sua satisfactione, nos ubi fecerimus omnia, quae nobis
mandata sunt, adhuc inutiles servi sumus, nihil habentes quam quod
gratis accepimus. Placeant sibi sancti viri suo merite et mercedem
pro factis postulent, ipsi credentes in eum, qui vivificat implum ex
fide amplius et a poena et a Culpa, liberi sumus‘“ etc, Crotus an
&uther d. d. Bambergae 4 Cal. Maj. 1520. Herz. Goth. Bibl. Cod.
Chart. B. 20.
— 417 —
den Zurüdigebliebenen, noch mit manchen Bedenken Kämpfenben
zum Nachfolgen aufgumuntern.
Der Anfang diefer Umwandlung fällt in den Sommer
1513. Schon im October, al? Luther die befannte Unterredung
mit dem Cardinal Thomas de Bio in Augsburg hatte, richtete
Crotus von Bologna aus ein Schreiben an ihn, um ihm feinen
Beifall und feine Theilnahme zu erfennen zu geben. Gleidj-
zeitig empfahl er Luther dem Schuß des am Faiferlichen Hofe
hochangejehenen Ritter Thomas Fuchs!) Und von ba an
lebte er nur für Luther. Tag und Nacht beichäftigte ihn, wie
er ſelbſt jagt, feine Angelegenheit. Bon ihm träumte er, nur
an ihn dachte er. Schon fing er an, in Italien ſelbſt Anhänger
für ihn zu werben; heimlich, um Gefahr zu vermeiden, janbte
er Luthers Schriften nach Rom *), in Gejprächen nahm er die
Sache des deutſchen Mönches in Schub. Sein Eifer wurde
noch erhöht, als er im folgenden Jahre mit feinem Freunde
Heſſus einige Zeit in Nom jelbft verweilte und ven „Stuhl
bed Verderbens“ — fo nannte er ihn freilich erſt einige Monate
ſpäter — aus der Nähe kennen lernte. Er mußte fih Zwang
anthun, um die nöthige Borficht zu beobachten.
Der Aufenthalt in Rom feste ihn in den Stand, dem
Neformator die erften wichtigen Dienfte zu leiften. Es war
eben um jene Zeit, als Ecks Bericht über den verhängnißvollen
Ausgang der Teipziger Disputation einlief. Es Tonnte nicht
fehlen, daß er einen tiefen Eindrucd machte: Thon jet wurden
in den hoͤchſten Kreifen Stimmen laut, welche die Anwendung
ı) Mieg 1. c. 16. Vgl. damit De Wette I, 381. Ob der Brief an
Luther durch den damals in Augsburg meilenden Hutten beforgt wurde?
Schon im November hatte Luther einem zweiten Brief von Crotus erhalten.
De Wette I, 188.
2) Er befliß ſich dabei ber größten Heimlichfeit: ‚‚Oportebat ista se-
creto fieri, ut venirent in manus legentium sine nomine mittentis, ne
quid mali capitikus nostris accerseremus per imprudentiam,‘“ Mieg
l. c. II, 13,
— BB —
der Firchlichen Cenſuren forderten. Dürfen wir den eigenen
Worten des Crotus glauben, dann ift er es geweien, der damals
noch die Sreommunifation von Luther abgewandt hat, „damit
nicht Rom durch einen voretligen Spruch eine Ähnliche Demüthig-
ung erfahre, wie jo eben bei dem Ausgang ber Katferwahl” ').
Wie wichtig wäre in diefem Falle die geräufchloje, bisher
fo ganz unbeachtet gebliebene Thätigkeit dieſes Mannes geweſen!
Daß Crotus wichtige und weitreichende Verbindungen in
Rom unterhielt, zeigt. auch der Umſtand, dag er ſich alsbald
auf geheimem Wege von dem Inhalte bed von EA nach Rom
eingefandten Berichtes Kenntniß verjchafft Hatte. Keine dringen-
dere Pflicht gab es für ihn, ald ben gefährdeten Freund in
vertraulicher Mittheilung davon zu benachrichtigen. Ecks Schrei-
ben war felbft in Rom erft Wenigen befannt, als Luther durch
den bejorgten Crotus feinen Inhalt erfuhr 2). Und noch andere
1) Der Brief, welcher diefe merkwürdige Aeußerung enthält, findet fi
bei Mieg II, 11—12 fehr fehlerhaft abgebrucdt, ohne Angabe de Bon mem
und An wen und nit irriger Jahresangabe (1517). Das Jahr der Abfaf
fung ift 1519, der Verfaffer Crotus, an Luther ift er gerichtet, wie dies bie
gothaer Abfchrift (Cod. Chart. B. 20) nachweifet. Die Stelle lautet: „„Kckius
Romae celebratur victor Lipsiacae disputationis, tantum valet pro-
prium testimonium, ubi populus spe ducitur, in eam partem, in quam
velit inclinari vietoriam. Ego prohibui praecipitationem sententiae,
ne id idem iterum pateretur Rhoma, quod paulo ante tulit cum igno-
minia, quando Gallo designavit Imperium recto sermone ubi printcipes
nostri dominum Carolum elegerunt.“
2) 1. c. II, 11. „Misit Eckius epistolam Romam, praeterquam
Pontifici et duobus Theologis paucissimis visam, quae dum secretis-
simis legeretur, furtim subauscultavit quidam medicus amicus noster
et, quae obiter retinere potuit, mecum communicavit fraterna fide.
Ego tibi Martine refero eadem fide, ne proferas, quo salvus maneat
medicus, Erat scripta epistola per multa capita exprimentia ordinem
disputationis Lipsien., deinde modum, quo progredi debeat summus
Pontifex ad tuam damnacionem. Designati episcopi. Accusati poetae
politioris literaturae studiosi, nominatim vero Huttenus meus, cujus
carmina aliquot citata sunt de fraude florentina, Addita aggravatie
instantis periculi in Ecclesia ob gliscentia in dies magis nova studia
graeca et Latina. Denique enixe admonitus summus Pontifex, quo im
wichtige Nachrichten erhielt er durch diefen Aber den Stand ber
Dinge in Rom: daß ein neuer Angriff der dominikaniſchen
Partei bevorjtehe, deren Führer Silvefter Prieriad ſich Großes
verjpreche von einer neuen Streitfegrift, die er in Kurzem ver:
öffentlichen werdet), daß aber die Curie rathlos, ohne Ver-
trauen auf ihre Sache ſei 2).
Mer den damaligen Gemüthszuſtand Luthers kennt, wird
den Erfolg folcher Mittheilungen ahnen. |
Aber Erotus kam der Sache des Freundes noch auf einem
andern Wege zu Hülfe Es unterliegt feinen Zweifel, daß von
den zahlreichen anonymen Satiren und Flugjchriften, bie feit
dem Herbit 1519 zu Gunften Luthers in Umlauf gefet wur:
den, mehrere von Erotus während feines italieniſchen Aufent⸗
haltes verfaßt find’). Er. Fannte den Erfolg, diefer Waffen
noch pon den Zeiten der veuchlinifchen Fehde ber und zu führen
verftand er fie, wie Fein Anberer. Indeß müffen wir darauf
verzichten, feinen Antheil im Einzelnen auszumitteln. Man
fühlt fich verfucht, jene eben fo gelungene, al giftige Satire
auf das damalige Inquiſitionsverfahren, bie offenbar einen ber
Mitarbeiter an den Briefen der Dunfelmänner zum Verfaffer
bat, für fein Werk zu halten: allein die entgegenjtehende Anficht
re perioulosa moram tollat atque minis cogat Scolam Parisiensem et
nostram Erffurdensem ad pronunciacionem scutenciac“ etc. Zu vol.
Cod. Chart. B. M Herz. Goth. Bibl.
1) Mieg 1. c. II, 12. Wahrſcheinlich bezieht ſich die Aeußerung duf bie
Schrift: De jarldien et irrefragibifi verttate Romanae Ecclesize Ro-
manique Pontificis Ither terfius, index quidem tongisstmus sed bre-
vissimum Epithoma, bie Luther im Juni 1520 erhielt und mit Ranbglofien
im Geiſte des Grotus herausgab.
2) „Stultitia est, simul decernere et dubitare de vletoria“, äußert
er ffber die Haltung ber Eitrie.
2) Seit der Veröffentligung der Epistola Anonymt durch Olearius ift
fo oft und fo nachbruücklich auf Erotng’ geheime ſatiriſche Thätigfeit hinge⸗
wiefen ‘worden, daß es eines weiteren Beweiſes für umfere Behauptung nicht
bedarf. — Nur follte man nicht, wie es jeßt faft Ihfich geworben, Erotus zum
Autor jedes anonymer Pamphlets, bas bantals erfchien, flempeln.
Kampichulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 4
— HD —
feines vertrauteſien Freundes, des J. Heſſus, muß Bedenken
erregen !), Ohne ‚Zweifel dagegen iſt er. hinter. dem pſeudo⸗
nymen Enbulus Cordatus verborgen, der im Sommer 1519
von Row aus feinem Freunde Montefins die Schrift des
Nicolaus von Clemangis über den nerborbenen Zuſtand ber
Kirche überſendet. Ton und Haltung der beigefügten Vorrede
über die gegenwärtigen Ausſichten in Rom entiprechen ganz
der Stimmung, in welcher ſich Crotus damals befand. Noch
bat er ‚einige Hoffnung, daß Leo X. dem Treiben der Partei
des Prierias ein Kude machen werbe?).
. ?) Tractatux ıpeidnm Solennis de Arte et Modo inquirendi quos-
cunque Haereticos secundum consuetadinem Romanae Curiae emnibus
Fidelibus praesertim haereticae pravitatis Inquisitoribus scitu utilis-
simus, compositus a quodam Legali Magistro Nostro Fratre Ordinis
Praedicatorum dieto. 4%. Am Enbe: Datum Oolonine ex bursa Kneck.
Fimie, Die Satire erinnert unwillkürlich an die Epp. Obse,, bie fie indeß
durch vernichtenden, Witz noch übertrifft. Luther. gebenkt derſelben im einem
Briefe an Spalatin: „»Modum inquirenderum haereticorum Hessus noster
missurus erat Croto in Haltanı, si remisisses.‘““ (De Wette 1, 337).
Alto Hielt. weher Lnther noch Heſſus beu Erotus für den VBerfaffer, und Strauß
(Ulrich von Hutten I, 270) bat wohl biefe Stelle überfehen, wenn er bie
Schrift umbedenffich dem Crotus zufchreibt. Immerhin mag, wie Strauß
(1. o. 1,310) vermuthet, der um diefe Zeit erfchienene Pasquillus exul (Opp.
Hutt. It, 437 sqq.) von Crotus berrühren.
2) Nicelaus Clemangis Archidiaconus Baiocen. Doctor S. theolo-
giae Parisiensis De corrupto ecclesiae staty, A. Movenünus Lectori.
Docebit hic te liber, quibus rationibus res ecclesiastica creverit et
decreverit pietas. Flebis lector nisi saxaus es, imo (quando nihil
flendo proficitur) deum .opt. Max, precaberis, ut suam a nebis iram
avertat, caecas nimirum mentes et pectora caeca‘“ 4°, . Voran geht
bie Epiftel: Eubulus Cordatus Montesio sua, S. D. d. d. Bemae Cal.
Jul. 1519. Sowohl die Sprache, wie bie Gefinwmung, bie ſich im ihr aus
ſpricht, verräth deu Crotus, dex eben um jene Zeit in Rom weilte. Nur eine
Stelle: „Caeterum spes est, rem christiauam melius habituram sub
Leone hox X, quandoquidem hic nop desunt, qui huic serie comsulant.
Primum ut Alvaros, sylvestros, et quicquid est summularum ct sum-
mulariorum preorsus abolernt, quod per istos mundus seducatur, nos
ubique evapgelium aut Paulum secutos. Deinde ut edicat ne posthac
vel Scoto vel Thumae vel cuiquam sententiariorum fidatur, nisi sacrae
— 5 —
Indeß Schon einige Monate fpäter hatte er diefe Hoffnung
volfftändig aufgegeben. Dieß zeigt ber Inhalt jenes denkwür⸗
digen Mahnfchreibeng, das er im October desſelben Jahres
von Bologna aus an Luther richtete. Weberbringer deöjelben
war fein VBertrauter Johann Heſſus, der um bieje Zeit nach
Deutichland zurückkehrte. Es tft eins dev wichtigften Schreiben,
die Luther empfangen hat: eine Aufforderung ar den Erwaͤhlten
des Heren zu muthigem Vorſchreiten und rückſichtsloſem Kampf
gegen Rom, den Sit alles Verderbens ).
Der Verfafſer beginnt mit der Erinnerung am ben freund-
ſchaftlichen Umgang, der ihn jchon in früher Jugend in Erfurt
mit Luther verbunden, und knüpft daran die Berfickerung ber
wärmjten Theilnahme, die dad nunmehrige Auftreten bed che-
maligen Freundes bei ihm finde; er jchildert die Mühen, bie
er fih in Stalien, in Rom für die gute Sache gegeben habe.
Aber ſchon ſei keine Hoffnung mehr auf Rom zu ſetzen. Ein
Ketzer werde in Rom genannt, wer Luthers Schriften nur leſe.
Offen huldige man hier dem Grundſatze, daß nuy das chriſtlich
ſei, was dem Papſte gut ſcheine, moͤge es auch noch ſo ſehr
mit Paulus und der Bibel in Widerſpruch ſtehen. Es nütze
deshalb Luther Nichts, daß er ſeine Sache ſiegreich mit dem
Schwexte ber h. Schrift vertheidige. Einen ſolchen Grab habe
die Gottloſigkeit in Rom erreicht, daß der Name eines Chriften
und eines Theologe zum Schimpf "geworben fel. Niemand
mache einen Hehl daraus, daß der Papit bie erſte, Chriſtus bie
legte Stelle einnehme. Er jelbft jei jüngjt in Rom geweſen,
seripturne testimenils agent, non autem rationibus Physicis aut Me-
taphystets‘‘ etc. Vermuthlich hat Erotus dadurch auf ee einwirken wollen.
— Mit Recht het ſchon Burkhard (De fatis et merit. Vr. ab. Hutten Im,
311) in Eibnins den Ersind vermutiet.
2) Beveremtissims Pair! Martino Luthero, , Angustiofann sncrarum
literarum Professerl eum Wocto tam sancto amfeo suo antiquissimo.
d. d. Bonon. 17 Cal. ‘Nov. 1519. In ver andefliärterr handſchriftl. Samm⸗
lung; ein Abdruck vol fintftörender Fehler bei Mieg 1. c. I, 12—17. €3
ift dies das erfte ber drei größern Sendſchreiben des Crotus an Luther.
. 30
_ 12 —
habe gefehen die Denkmäler der Alten, gefehen aber auch den
Stuhl des Berberbend. Freude habe ihm ber eine, Efel der
andere Anblick verurſacht)). Nur für das Eine trage man
Sorge, duch Bullen, Pallien, Andulgenzen Geld zujammen-
zuraffen, um damit die Werfe der Unzucht zu unterhalten.
Dentfchland müßte mit Blinpheit gefchlagen fein, wenn es nicht
gegen folche Frevel feine Stimme erhebe, nicht empört . werde
über die Beraubungen, die e3 von der Habjucht der ränkevollen
Florentiner unter dem Deckmantel der Frömmigkeit erfahre.
Doch ſchon habe fich der Netter, der. Vater des Vaterlandes
gefunden. Möge Luther nur nicht wanken, möge er vielmehr
unbefümmert .um den Widerſpruch ftreitfüchtiger Theologen, die
am beften durch Verachtung vernichtet werden ?), muthig auf
der eingefchlagenen Bahn vorſchreiten. Das fet feine, ihm vom
ı) „Haec eo dice, Murtine, ut intelligas quam parum valeat
Bomac, si dixeris: mirabilia testimonia tua, Doming, ideo scrutata es
anima mea. Eo enim impietatis progressus est, ut qui vocetur bonus
Christianus vel Tlieologus, is extremo contemptu spretus esse videatur,
qui vero salutater e cubiculo vel a mensa Pontifieis idem habeter
gallinae flius albae. Ut Pontifex in dignitate primum teneat locum,
Christus postremum, nihil hic fingitur. Cum progreditur Rex sacrik-
culus, tot Cardihales, tot Prothonotarii, tot Episcopi, lot praepositi,
tot Legati, tot enasidiei circa ipsum glomerantur, quot famelicae
aves ad putrida cadavera con@uant, seguitur %otarav. Rucharistin in
extrema Cuhorte, quam impudicae mulieres ef prestituti pueri con-
stituunt. Fui nuper Romae cum Hesso nostro, vidi veterum monu-
menta, vidi cathedram pestilentiae, vidisse juvat, vidisse piget.‘“
Mieg.). c. 21, 15.
3) Daß Luther zu Leipzig ſich zu einer Disputation mit Ed berbeigelafien,
mißfiel Crotus fehr; er. befhwört ibn, dergleichen Wortgezänf in Zukunft zu
meiden.. „Per uam: mansuetudinem te rogo, ne posthac descendas ia
areyaın disputationig publicae, praesertim contra temerarios: Nescisae
quid pueri ajunt, contra verbosum noli centendere verbis, disputa
intra tuum ınpnasterium, calamo -quiete exacıissime habetur disputatio,
quap chartis mandatur, quae verbis citroque fartur, caret Judicie et
saepe animum disputantis,a.vero perturkat, ne -interim dieam turpe
esse Theologo ad jungin descondere,“ I, e. I 16. Aehnlich urtheilte
auch Mofelan. Vgl. Sedendorf I, 91.
8 —
Himmel ſelbſt aufgetragene Miffton, dieſe habe die göttliche
Borjehung andeuten wollen, als ihn, den zweiten Paulus, jener
Blisftrahl vor den Thoren von Erfurt zu Boden gefchlagen.
„Fahre fort”, ruft er ihm aufmunternd zu, „wie Du angefangen
haft, hinterlaß der Nachwelt ein Beifpiel. Zwar bift Du bereits
ermüdet, haft Schweres erduldet. Aber Großes warb nod nie
ohne jchwere Mühe erreicht. Biſt Du am Ziele angelangt,
dann wird die Erinnerung an dad Erduldete Div tröftlich fein,
und Du wirft ausrufen: dur Waffer und Feuer bin ich
gejchritten und ich bin gerettet worden. Dann wird Deutich-
land auf Dich feine Blicke richten und mit Bewunderung Gottes
Wort von Dir vernehmen!”
Diefer Brief ift das letzte Zeichen feines Aufenthaltes in
Italien. Als Luther? und Melanchthons Antwortfchreiben aus
Wittenberg ankamen, befand er fich bereit auf der Ruͤckreiſe
nach Deutschland). Mit Ungeduld hatte er ſchon längſt dahin
ſich zurückgeſehnt: jenſeit der Alpen konnte er ſeine Plane
offener und mit weniger Gefahr verfolgen 2). Im Frühjahr
1520 kam er in Deutfchland an, wo die Männer der Bewegung
ihm mit Spannung entgegenfahen 3). In Nürnberg ſprach er
ı) Bol. Crotus an Luther d. d. Bamberg 4 Cal, Maj. 1520. ‚‚Epistola
tua diversam mecum sortita fortunam. Ubi ego redeo in Germaninm,
intrat illa in Italiam nondum egressa.‘‘ Herz. Goth. Bibl. Cod. Chars.
A. 20 und Crotus an Luther d. d. Erfurdiae in pervigil. Nicolai 15%.
„Dum me quaerit (sc, epistola Melanchthonis) una cum tan in Italia
post semestre spatium me invenit errantem in Germania.“ nid.
Nachr. Jahrg. 1723 p. 707. Luther hatte ben Brief bed Crotus ſchon im
December 1519 erhalten. Vgl. De Wette I, 373,
2) Vol. Crotus an Luther (1519). „Cum ad ver novum in Ger-
manlam rediero medium digitum estendam pseudoapeontelis, qui nos
devorant et in saccum reddunt. Hic connivendum est.“ Micg 1. c.
I, 12. Schon im Anfang 1519 hatte er beabfichtigt, nach Deutichland zurück⸗
zufehren. Vgl. Pirkh. Opp. ed. Goldast p. 258.
s) Mit welcher Spannung man in Wittenberg damals Crotus entgegen:
fab, erfieht man aus Melanchthons Aeußerungen. Vgl. Corp. Ref. I, 160,
202, 209. Auch Bernharb Adelmann von Adelmannsfelden hatte dem Crotus
Wichtiges mitzutbeilen. Heumann Doc. lit. p. 19. _
— M —
bei Pirckheimer an, von da wandte er ſich nach Bamberg, um
ſeine dortigen Parteigenoſſen, die beiden Edlen von Fuchs zu
begrüßen. Hier traf ihn um Oſtern ſein alter Herzensfreund
und Kampfgenoſſe Ulrich von Hutten.
Auch dieſer war in der Zwiſchenzeit nicht müſſig geweſen.
II.
Hatte Crotus ſich unmittelbar aus dem humaniſtiſchen Heer:
lager unter die Fahne des wittenberger Reformators begeben,
ſo gelangte Hutten zu dem nämlichen Ziele auf einem Umwege.
Noch vor Beendigung der reuchliniſchen Fehde hatte Hutten ſich
in einen neuen Kampf geſtürzt, gegen den ſeine frühere Thätig—
feit faſt nur wie Spiel erjcheint.
Ulrich von .Hutten war zu feiner Zeit der ausschließliche
Eiferer für den Humanismus, den wir in Erotuß kennen gelernt
haben. Schon durch feine Ahkunft fah er fich auf einen größern
Kreis des Leben? hingewielen, als fein Freund, der aus ärm⸗
lichen VBerhältniffen ſich müheſam zu dem Range eines Gelehrten
emporgearbeitet hatte!). Hutten vergaß über dem Humaniften
niemal3 den Ritter). Für ihn hatten auch, bei allem feinen
Eifer für Reuchlin, die großen politiichen Fragen der Nation
Smtereffe und Bedeutung. Die Gährung, welche damals alle
Schichten der Natign durchzog, jenes Ningen und Drängen der
Geiſter nach einer. neuen Ordnung der Dinge, nad) einer poli-
tiichen Wiedergeburt Deutſchlands durch Herftellung größerer
Einheit hatte auch ihn nicht unberührt gelaſſen. Mächtig erregt
durch die nationalen Strebungen, erfaßt er die neuen Gedauken
mit der ganzen Heftigfeit feine Weſens und eilt in rückſichts⸗
) „„Capras pavi, nunc capellam habeo“‘, fchreibt Crotus einmal an
Mutian. Vgl. Tentel Supplem. I Histor. Goth. p. 95. —
2) Man bemerkt, wie er regelmäßig feinen poetifchen Productionen nicht
nur bed Verfaſſers Namen, fondern auch feinen Stand vorfeßt: Eques Ger-
manus ober equestris ordinis!
5 —
fofer Durchbildung derſelben bald den Kühnften worauß. Er,
ver bereit? im den wichtigften Punkten mit dem Herkommen
gebrochen, ficht auch auf dem politiſchen Gebiete das Heil nur
in einer radiealen Umgeftaltung der beftehenben Verhältniffe.
Bon großem Einfluß war anf Huttens politiſchen Entwidelungs-
gang bie revolutionäre Stimmung, welche fich eben damals des
gefammten Ritterftandes bemächtigt hatte. Sprößling eines ver
edelften und Alteften Gejchlechter, theilte auch er ben Unmuth
feiner Standesgenofien über das immer beprohlidyer werdende
Umjichgreifen der Fürſtenmacht und ihre Sympathien für den
Kaifer, als ven letzten Hort reichBritterficher Selbftändigkeit
gegen bie fürjtlichen Bebränger. Indeß waren bie Intereſſen
feines Stande für Hutlen doch keineswegs die leitenden. Biel
mehr .erfcheint er von Anfang an voll bed aufrichtigiten Eifers
für den Ruhm feines Kaiſers, für das Wohl und die Ehre der
gefammten Nation. Schon feine früheſten Gedichte befunden
eine unbedingte Verehrung fuͤr dad NeichBoberhaupt, neben einer
glühenden Baterlandaltebe !). Tief fchmerzt ihn die unwuͤrdige
Behandlung, die ber edele Marimilian, der erfte Monarch der
Chrijtenheit ?), von feinen räntevollen Gegnern hinnehmen muß,
und die Ernievrigung, zu der er die deutfche Nation verurtheilt
fieht. Sein ganzer Groll gilt den Urhebern dieſes traurigen
Zuftandes. Als folche erfcheinen ihm die deutſche Fürſtenari⸗
ftofratie und bie römtfche Curie. Gegen beide Hatte er ſchon
frühzeitig eine feindfelige Haltung angenommen. Seinem Un-
willen gegen die Fürſten machte er zum eriten Mal in der
würtenbergiihen Fehde Luft: er befämepfte in Ulvich von Wür-
tenberg nicht bloß den Mörder feines Anverwandten, fondern
ı) Vgl. Ad isvickissimum priscipem Maximillanum Hom. Imper.
in Venetos Exhortaterium bei Münch Opp. Hatt. 1, 11538 und Ad
Caes. Maximilianum Bpigrammntum liber L co. I, 161 — 208,
2) 1. c. 1, 170. De Caesare:
Christus habet ooelos, infen rogit oeunia Caesar,
Nee nisi oeolestem rospicit hie domimum,
— 56 —
auch dad Mitglied einer ihm verhaßten Corporation. Noch
früher befam bie römische Eurie feinen Unwillen zu empfinden.
In ber Ridytung gegen Rom wurde Hutten namentlich durch
feine. religiöje Denfart gefördert. Wenn es auch wahr ift, daß
unter den deutſchen Humaniſten veligiöje Verirrungen nicht fo
häufig vorgelommen, ald in Stalien, jo liegen boch bei Hutten
die Wahrzeichen verjelben deutlich vor. Nicht allein feine Sitt-
lichkeit, deren Verletzung fich jo furchtbar an ihm rächte, aud
jein Glaube hatte im Sturme des Angriffs gelitten. Er fannte
deshalb die Mäßigung nicht, die der gläubige Patriot in feiner
Oppoſition gegen das Firchliche Oberhaupt noch immer beob-
achtete, noch, weniger jenes Gefühl der Wehmuth, das Frömmere
Seelen beim Anblicke der römischen Zuſtände empfanden: er
hatte nur Haß, Sagrimm, Hohn. Seine Epigramme an ben
Kaiſer Maximilian und an feinen Freund Crotus legen Zeug
niß davon ab. Rom iſt ibm der Ort, wo der Auswurf der
Menſchheit regiert, das Papſtthum eine durch Die verabfchen-
ungswirdigiten Mittel unterbaltene Fremdherrichaft — nicht
länger darf bie deutſche Nation dieſes jchmähliche Regiment
ertragen!)
2) Bgl. z. B. Münd 1. c. I, 227 Ad Caesarem, de Germaniae state:
Quande erit, ut lumen Germania cupta resumat,
Hinc Bomam ut videat seque suumque trahi?
Quando erit, ut bullas auraque parabile plumbum
Orbe aliquis vendi cernat, emique alio ?
Aut tua perpetuo, quod nudc Germania Caesar,
Ludibrium Romae diripientis erit?
Quin mundi imperium et caput hoc mundi imperiique
(Naın possum haud aliud dicere) Roma tur est,
Dber Ad Crotum (I. c. I, 257):
Vidimus Ausonine semieruta moenin Bomae
Hic ubi oum sacris venditur ipse Deus
Ingentum, Grote, Portificem sacrungue senatum,
Et longo proceres ordine Cardinees.
Tot sceribas, valgusque hominum nihil utile rebus,
Quos vagn contecto purpura vestit equo etc.
Ein zweimaliger Aufenthalt in Italien befeftigte Hutten
in diefer Richtung. Bon der zweiten italienischen Reife im
Jahre 1517 nah Deutichland zurüdgelehrt, war er über feine
Lebensaufgabe entjchieven. Deutjchland zu befreien von der
Knechtſchaft des römiichen Papites, wie von der Willfür der
einheimijchen Tyrannen, es dann ſtark und einig feinem Kaifer
wiederzugeben: bad wurde fortan der leitende Gebanfe feiner
Seele. Es war am 12. Juli 1517, als ihm ber Kaiſer Mari-
miltan in Augsburg den Dichterfranz auf's Haupt ſetzte ).
Diefe Dichterfrönung bildet gleichfam den Abſchluß feiner poe⸗
tifchen Laufbahn. Er wird jebt der große pelitifche Agitator
der Nation. Jacta est alea: id habs gewagt, iſt ſein
Wahlſpruch ?).
Und mit der ganzen Gluth ſeiner Seele gab er ih f einein
neuen Berufe hin. Keine Anſtrengung, keine Gefahr hat er
geſcheut, wo es die Sache der Freiheit galt. Noch in demſelben
Jahre führte er zwei Hauptſtreiche. Die fürſtliche Willkür geißelte
ver „Phalarismus“, ein gegen Ulrich von Würtenberg gerich⸗
teter Dialog, verwegener und rüdfichtölofer als Alles, was er
biäher gegen den Herzog gejchrieben °). Gegen Rom eröffnete
er den Kampf durch die Herausgabe der Schrift des Laurentius
Valla über die angeblihe Schenkung Conſtantins, in beren
Ober Ad Germaneos (I. c. I, 259):
Quis modus, o cives? Quo se haoo patieatin tandom
Profert? Haec Romae querimus, atque omimus?
Sic nes bulla capit? Sie se Germania ueseit? etc.
ı) Vgl. darüber Hutt. ad Peuting. Münd II, 470 - 72.
3) Zum erften Mal findet fi berfelbe auf dem Titel des Phalarismus,
Sein humaniftifher Wahlfprud war: Sinooritor et citra pompam. Der
Kampf gegen bie Sophiften nimmt bei Hutten von jebt an eine fehr unter:
georbnete Bedeutung an; bie Sopbiften kommen nur noch als Anhänger ber
Curie in Betracht.
®) Phalarisınus dialogus Huttenicus. Jacta est alea. Bei Münd)
11, 196 - 212. Er erſchien ſchon im März 1517. Bemerkenswerth ift auch
bie dialogifche Yorm, ‚die .er bier zum erflen Mal anwendet: fie wirb bald
feine Lieblingaform! —
— 538 —
Vorrede er die ganze Reihe von Unbilden und Bedrückungen
aufzählt, die Deutſchland von den römiſchen „Dieben und Räu—
bern” habe erfahren müſſen !). Es verauſchaulicht die damalige
Stimmung gegen Rom, daß ihn einige Zeit darauf der erfte
Prälat der Nation an feinen Hof zog. Unter dem Schutze des
Erzbiſchofs Albrecht von Mainz durfte Hutten jeine revolutio⸗
naren Blane verfolgen. Im Gefolge desſelben erjcheint er
1548 in Augsburg, wohin ber Kaifer die Stände des Reiches
zu einer Beratbung über bie drohende Türfengefahr berufen
hatte. Bereitd machte er bier den Verſuch, in feinem Sinne
auf ben verfammelten Reichstag einzuwirken. In einer Rede,
die er vor der Verfammlung zu halten gebachte, wird nicht jo
omgelegentlich von den Osmanen, gegen die freilich auch er ben
Frieg Für nöthig Hält, geſprochen, ald von ber finanziellen
Ausbeutung Deutfchlands, die fih Nom unter dem Vorwande
des Türkenkriegs erlaubt habe, und von ver Pflichtvergeffenbeit
der deutſchen Fürſten. Nicht weniger babe das Reich gegen
Rom, als gegen Afien auf feiner Hut zu jein?). Den gleid-
1) Die Vorrede bei Münd II, 41019. Er nennt darin bie früheren
Päpſte geradezu sceleris commentores, depeculatores, fures, tyrannos,
latrones (p. 416). Daß er diefe Vorrede an Leo X. richtete und ihm per:
fünlich "das größte Lob ſpendet, ift eine Tactif, die ber Offenheit be Ritters
wenig Ehre macht, um fo weniger, ba er fchen vorher in einem Briefe an
Pirdheimer von der Improbitas sanctissimi Leonis gefproden. Bgl. Münd
II, 346. — Welchen Eindrud diefe und die vorhergehende Schrift machten,
erfiehbt man aus ber Aeußerung des Beatus Rhenanus an Zwingli. Opp.
Zuinglii ed. Schuler et Schulthess VII, 71.
2) Ulrichi de Hutten, eg. Germ. ad priucipes Germanine, ut bel-
lum Tureis invehant, Exhertaterin. Abgebiudt bei Münd I, 473—522,
Del. namentlih p. 476 aqq., 479, 491, 496, 519. Die Rede wurde nicht
gehalten; in Druck erſchien fie Anfangs verſtümmelt, mit Hinweglaffung
der heftigften Stellen, bis Hutten jelbft eine vollftändige Ausgabe derfelben
beforgte mit einer Zufchriit an alle freien Deutfchen. Daß übrigens Hutten
nicht Berfafler der beiben damals anonym erfhienenen Schriften gegen ben
Türfenzehnten ift, bat. jüngft Böcking nachgewiefen in: Drei Abhandlungen
über reformationggefchichtliche Schriften p. 31 ff.
zeitig in Augöburg anweſenden Mönch von Wittenberg würdigte
er nur eines verächtlichen Blickes, noch ahnte er nicht, welche
Bedeutung berjelbe bald für ihn gewinnen werbe '). — Ein neues
Feld eröffnete fich feiner Thaätigkeit, ala im Anfang 1519 der
Ichwäbiiche Bund dem landfriedensbrüchigen Herzog von Wür-
tenberg den Krieg anfündigte. Des Hoflebend überbrüffig,
förperlich wieberhergejtelt — eben in Augsburg war ihm bie
Heilung jeiner venerifchen Leiden gelungen — beſchloß er jebt
die Feder mit dem Degen zu vertauſchen. Er knüpfte an ben
Krieg bie kühnſten Hoffuungen. „In Kurzem wirft Du”, ſchrieb
er vor feinem Aufbruche an Erasmus, „ganz Deutichland in
Verwirrung ſehen. Sollte mich jener Kampf verfchlingen, dann
echalte Du wenigftens der Nachwelt mein Andenten”?). Wichtig
wurde dieſer Krieg für ihn nur dadurch, daß er während des⸗
jelben die. nähere Belanntichaft Siefingen? machte. Ein Spiegel
des Adels feiner Zeit im guten wie im böfen Sinne, ganz
beherrjcht von den unruhigen Gefühlen jeined Standes, dazu
mächtig und angeſehen, ein durch mehrere glüdliche Fehden
bewährter Krieger war Franz von Sicingen für Hutten ber
willkommenſte Genofje; „ein Mann“, ſchrieb er voll Freude
an Erasmus, „wie Deutichland Lange Feinen’gehabt hat, und
von dem ich hoffe, daß er dieſer Nation noch zu großem Ruhme
gereichen werde” ®). In ihm Hatte Hutten den Arm gefunden,
dejlen er zur Durchführung feiner Entwürfe bedurfte *).
ı) Vgl. Hutt. ad Pirkh. d. d. Cal. Nov. Augustae. Opp. III, 9.
Es ift dies un fo bemerfenäwerther, da ihm eben um jene Zeit der Garbinal
Cajetan ben Stoff zu bem Dialoge Febris I. gab.
2) Huttenus Erasmo d. d. Mog. prid. Non. Mart. 1519. Opp.
III, 126,
2) Huttenus Erasmo d. d, Mog. Nonis Junii 1519. Opp. II, 204.
*) Die erfte Angelegenheit, in ber er ſich Sidingens bediente, war bie
reuchliniſche, die Durch dad päpſtliche Mandatum de supersedendo nur nie
bergeichlagen, nicht aber ausgetragen war. Bol. Strauß Ulrich von Hutten
N, 19 qq. Indeß bildete dieſer Handel nur mehr eine Epiſode in Huttens
Wirkſamkeit.
— 60 —
Die Hoffnung und der Antrieb zu erneuter Thätigkeit,
welche Hutten ſchon dadurch empfing, wurden aber auf’3 Höchfte
gefteigert durdy die beiden wichtigen Entſcheidungen, bie im
Sommer 1519 auf dem politiichen und religidfen Gebiete fielen.
Die erite war die Wahl des burgundiſchen Prinzen Karl zum
römischen Katfer. Es war Hutten, der felbft bei ven Mahl
verhandlungen von vem Erzbifchof Albrecht gebraucht worden !),
nicht unbelannt geblieben, daß der römiſche Hof im Anfang
jener Wahl entgegengearbeitet hatte. Welche Ausfichten eröff
neten fich, wenn es ihm gelang, den jungen, noch unerfahrenen
Kaifer für feine Plane zu gewinnen!?) Und war fich doch
Hatten ſelbſt bewußt, nur das Wohl des Kaiſers befördern zu
wollen! Schon glaubte er ſich zu Ferdinand, dem jüngern
Bruder Karls, des Beften verjehen zu bürfen °).
Die andere, noch wichtigere Entſcheidung brachte die leip⸗
ziger Disputation. Nachdem fie jenen verhängnißvollen Aus
gang genommen, war ed nicht mehr möglich, den Tutherifchen
Streit für einen bloßen Mönchsſshandel zu nehmen. Hutten
erfannte in Luther den Bundesgenofien, der der nationalen
DOppofition gegen Rom einen religiöfen Rückhalt verlieh und
bei feinem kühnen Auftreten zu den größten Hoffnungen
berechtigte. Offen fih ihm anzufchließen, hinderte ihn zwar
einftweilen noch die Rüdficht auf den Erzbilchof von Mainz,
ber Luther Angriff gegen den Ablaß als einen perjönlich gegen
ı) Vgl. Joachim von Maltzahn oder Urfundenfommlung zur Geſchichte
Deutſchlands während der eriten Hälfte bes 16. Jahrhundert? von Dr. Liſch.
Schwerin 1853. p. 323.
2) Belehrend über die Wünfche und Erwartungen der Berwegungspartei
in Bezug auf Carl V. ift ber kurz nad feiner Wahl erſchienene anonyme
Dialog Carolus (bei Münd VI, 360— 67), der aber wohl nicht Hutten.
noch weniger aber Erotus zum Berfafler bat. Auch Luther ſetzte große Hoff⸗
nungen auf Carl. De Wette J, 292.
2) Hutt. Erasmo d. d. Mog. Non. Jan. 1519. „Quod svribis de
Ferdinando mire placet.“ Münd, III, 203.
— 14 —
ſich gerichteten anjah *), aber im Geiſte des Ritters war ſchon
jet der Vertrag mit dem Mönche geſchloſſen.
Und erſt jeßt fchten Huttens Zeit gefommen, der Gedanke,
welcher jeine Seele bewegte, Tebenzfähig geworben zu fein.
Sein Eifer verdoppelt fih. Seine Anftrengungen grenzen an
dad Uebermenfchliche. Bon dem Spätfommer 1549 bis in ben
Srühling 1520 finden wir ihn in fieberhafter Aufregung bald
in Stedfelberg auf feiner väterlichen Burg, bald in Mainz, in
ber Nähe ſemes Herrn, bald in Fulda, bald auf Landſtuhl bei
feinem Siefingen, bald bei jeinem Freunde Cochläus in Fran:
Art, unermüdlich thätig durch Raten, Mahnen, ‚Treiben,
Drängen, das Vaterland zu nöthigen, daß es feine Schmach
erkenne und fih ermanne, die alte verlorene Freiheit wieder»
zuerringen ?). Er fordert wor Allen feine erfurter Freunde
auf, mit ihm in ben Kampf zu gehen, etwas zu wagen. „Was
werbet Ihr denn endlich für Deutſchlands Befreiung thun?“
ſchrieb er fchon im Auguft 1519 an Eoban und Petrejus, „Du
Hefius, der Du in Deiner Antwortsepiftel Italiens eine ſo
1) Huttenus Eobano d. d. Steckelbergk VII Cal. Nov. (1519).
„Lutherum in communionem hujus rei accipere non audeo propter
Albertum principem, qui temere persuasus est, aliquid ad se pertinere
hoc negotium, cum ego secus judicem, quod doleo ob quandam mihi
interceptam occasionem, qua insigniter ulcisci patriae petui injuriam,
. etsi nil secius id ipsum facio interim, et rectius forlasse, quam meopte
instinctu.“ Münch II, 223 zu vergl. mit Strauß 1. c. Il, 25.
2) Bei Cochläus in Frankfurt war er mehrmals, worüber diefer an
Pirdheimer fegreibt (& Februar 15%). „Fuis Ms diebus hic nobilis
Huttenus, et quidem bis. Nuno.in patrinm arcem Stechobperg tendit,
heri hiac profectus, Multes nunc se in proximis numdinis dialeges
ait emissurum: secundam Bebrem, Triaden Rom. Fortusam, Iospi-
cienten, Praedones etc... Invonit . praeteren ia Fuldemsi bibliotheca
historiam Henrici III (IV), qui Caesarcm 'quogque pugnaram namero
superasse fertur: addit ipse Apologiam contra Bom. Pontificem. Mira
home utitur ‚libertase in asserenda Germaniae gloria, rehementissimo
fagrans odio in Pont. Bam.‘ Heumann Dacum. lit. p. 43. — Sen
—— Aufenthalt in Mainz, Laudſtuhl u. ſ. w. ergibt dh. aus feinen
tiefen.
gewaltige Freiheitäfiebe angekündigt haft, Du ſchweigſt jebt,
vielleicht durd einen ſchmähſüchtigen Eurtifanen eingefchüchtert?
Aber fürchte Dich nicht! Es werden der Schriftiteller unferer
Gattung mehrere auftreten, als Du glaubſt.“ — „Und Du
Eberbach”, wendet er fich an diefen, „ber Du jelbft in Rom
warſt und bie Ränke der Betrüger. fennen gelernt Haft, und
von der Natur mit Anlage zu Spott und Satire ausgerüſtet
biſt, willft Du Deutfchland. immer die Frucht Deiner Studien
entbehren laſſen? Schweige nicht immer, ich bitte Dich, brich
einmal 103"). „Ich bitte Dich“, jehrieb er einige Wochen
jpäter an Eoban zum zweiten Mal, „ih bitte Dich, unternimm
doch etwas, und theile mir jofort mit, was es iſt). Er
iberjendet ihm jene letzte Flugſchrift und kündigt neue an,
um ihn zur Nachahmung anzufpomen.
Immer einleuchtender wurde ihm aber Luthers Wichtigkeit
für feine Sache, von Tag zu Tag überzeugte er ſich mehr von
der Bortrefflichfeit des neuen Evangeliums. Bald hatte er
auch Sicingen dafür gewonnen. . Daß Luther ein deutjcher
Biedermann, ein Anhänger der Freiheit und Gegner der Röm:
linge fei, wie Hutten ihn lehrte, genügte dem Ritter, der jo
eben noch ein Franziscanerkloſter Hatte gründen wollen ?), um
für feine Sache Partei zu ergreifen. Schon im Januar 1520
1) Hutt. Bobano Hesso et Petrejo Aperbacho d. d. Mogunt. 3
Non. Aug. 1519. Munch IM, 221,
2) Hutt. Kobamo Hesse d. d. Steckelb. VII Cal. Nerv. 1519.17. e.
IH, 228. „Aliquos ante dies quum, quid ego in Nteris ‘elabornrem,
tibi signifienrem, certior aks te ferl petebami, quid ipse interim nge-
res: num quid et tu pro gloria patriae et hajus natlonis Tibertate a
tyraanis Pontiäcibus oppressa recuperandr aliquid anderes. Quaeso
altquid meltre, mihigee statim, qunle sit hoc, multo ante, quam edes
adnontia.“ Audian Jonas ſchreibt er.
2) E. Munch: Kranz von Sichtngens Thaten, Plane, Freunde und Ans:
gang. I, 166. Münchs kritikloſe und eberflächlidke Arbeit hat übrigens das
Bedüurfniß eines gründlichen Werkes Über Sickingen und die leßte Erhebung
der Reichsritterſchaft nur noch dringender gemacht.
m 68 —
erlieh Husten im Auftrage Sickingens eine Einladung an Ruther,
auf die Burgen deö Ritterd zu kommen, wenn ihm in Sachlen
etwas Widriges begegnen ſollte. Er richtete dad Schreiben an
Melanchthon, weil er aus KRüdfict auf feinen mainziichen
Gönner eine offene Verbindung mit Vuther ſelbſt noch immer
fchente ). Dringlicder wiederholt er die Einladung einige
Wochen Tpäter von Steckelberg aus. Luther möge fich bei
etwaiger Gefahr ohne Verzug zu Franziskus begeben... Bei
diejem würbe ey ficher fein und ohne Gefahr gegen feine Feinde
auftreten können. Mit Sickingen habe er große und überaus
wichtige Plane vor. Den Barbaren folle es, hoffe er, ſchlecht
geben, und Allen, welche das römische Joch über Deutſchland
bringen. Er laſſe jet einige Dialoge drucken gegen den Papft
und die Ausſauger Deutſchlands, die Melanchthon richt miß⸗
fallen würben ?),
Eben: dem literariſchen Sampfe wandte Hutten waͤhrend
dieſer Zeit ſeine Hauptthaͤtgleit zu, Seine wirkſamſte Waffe
blieb die Feder. Aber jebt kehrte er fie fait nur noch gegen
Rom und deſſen Anhang; ber Kampf gegen die Fürſten ſchten
der minder wichtige und feine Fortſetzung in biefem Augenblicke
nicht einmal. gerathen, da mehrere Fürſten großen Eifer für
Luthers Sache an den Tag legten. Wie einige Jahre früher
ı) Hutt, Philinpo Melanchthoni d, d. Mog, 13 Cal. Vabr. N.
Münd EI, 337.
2) Hutt. Ph, Melagehthoni d. d, ex aroe Huttenina ‚Sheckelbergk
2 Cal. Mart. 1520, „Hic salus est, Hic agitur, ut secyrissime possit
medium digitum ostendere omnihus suis gemulis, Magnae mibi et
perquam graves cum Francisco ratimıes sunt, Si adesses aliquid
effutirem. Spero male futurum. harbaris, at Ramagum qui Adferunt
Jugum, omnibus. Mihi nunc dialagi exchdunturs Trias Romana et
Inspicientes, mirifice liberi in pontificem praesertim at Germaniae
depeculatores etc,‘ Gx macht ben Vorſchlag, daß Luther auf, ber Reiſe
zu Sickingen bei ihm (Hutien) in ve anfpredie, er wolle ihm Meifegeld
geben. Vgl Münch II, 388. — > Deieigend war der erſſe Buef aicht
angelommen. —
— au —
bie Schrift des Laurentius Valla, fo veröffentlichte er jetzt zu
gleichem Zwecke bie Apologie des Waltram von Naumburg für
Heinrich IV., die ihm auf der Bibliothek in Fulda in die Hände
gefallen war. Er verſah fie mit ‚einer Zueignungsſchrift an
den Erzherzog Ferdinand, in der er Heinrich IV. al? das Ideal
eines deutſchen Kaiſers empfahl, und es als die wichtigfte Pflicht
ded neuen Reichsoberhauptes darftellte, die deutfche Nation der
Ihimpflichen Tyrannei des Papftes zu entziehen ?). Zu bejon-
berer Kreude gereichte ihm, daß Telbjt das Mittelalter jo frei:
müthige Befänpfer päpftlicher Anmaßungen aufzuweifen hatte ?).
Wichtiger indeß waren feine eigenen Erzeugniſſe. Durch Flug:
ſchriften und Satiren juchte er die Nation für ſeine Plane zu
bearbeiten. In Stedlelberg unterhielt er eine eigene Preſſe,
die nur für diefen Zweck thätig war. Die humaniſtiſche Eleganz
und Feinheit, die er früher jo hoch gejtellt, wird jebt vernach—
Kälftgt, da Ste mit der von ihm beabfichtigien Wirkung nicht
wohl vereinbar iſt. An die Steltiwäber. zierlichen Verſe tritt
ber volksthümliche Dialog, und ſchon fangen Bibelſprüche die
elaſfiſchen Reminiscenzen zu verprängen an). Im Apeil 15%0
trat jene Sammlung von Dialogen an’? Licht, die er bereits
in dem erwähnten Sqhrelben an Melanchthon angerũundigt hatte *).
12) Die Zueignungsfchrift beit Münch III, 545--56. — Auf Ferdinand
hatte es Hutten zunächſt abgeſehen. „Primum conciliandus nobis Ferdi-
nandus est®, ſchrieb er art Melanchthon, „quo de Franciscus' mereri
gestit. Post facile erit exagitare improbos.“ Münd III, 337.
2) Videbis auctorein, fehreibt er am Eoban (Crede mihl), qualem iis
temporibas vixisse non 'pätasses; Strenue ponliicum tyraniıldem op-
pugnat, et 'pro’libertate Germanich belligerat is animosissimus. —
NihH vidi Nibertus; elegantius hoc in genere nihil, ita percellit, Itaque
proterit ac jugulat Ihpostores; dignum duxi adscribere praefationem,
quae simul’&detur. Hoc tam Invemum prodest amieis circam omnibus
et.‘ Mrd III, 22%
23) Auffällig wird bie: bibliſche Manier zuerft im jener ‚Suegnungsfäri
an Ferdinand. Eine Beurteilung derſelben bei Strauß I, 5
*) Bulderichi Hutteni eg. Germani Dialogf. ' Hl a rebris T et
Il, Trias Romana, Inspicientes, Sie erjhienen bei Schöffer in Maim
— 65 —
Sie überbieten Alles, was Hutten bisher für ſeine Sache gethan
hatte. Der wichtigſte unter ihnen iſt der Vadiscus oder die
römiſche Dreifaltigkeit), ein Werk, das, wie vielleicht kein
anderes jener Zeit, dazu beigetragen hat, die Nation in ihrer
antiroömiſchen Richtung zu befeſtigen?). Alle Vorwürfe, die
deutfcher Unmuth ſeit Sahren dem Papſte gemacht, alle die
Untugenden, Laſter und Verruchtheiten, die ded Ritters über-
reizte Bhantafie in Rom erblichte, waren hier zu einem ſchauder⸗
erregenden Gemälde zufammengejtellt. „Sehet da”, ruft er am
Schluſſe aus, „jehet da die große Scheune des Erdkreiſes, in
welche zujammengejchleppt wird, was in allen Ländern geraubt
worden, in deren Mitte jener unerjättliche Kornwurm fitt, der
ungeheure Haufen Korn verichlingt, umgeben von feinen zahl-
reichen Mitfrefjern, die und zuerft das Blut ausgeſogen, dann
das Fleiſch abgenagt haben, jet aber, o Chriſtus, an das Mark
gelommen find, ung bie inneriten Gebeine zerbrechen und Alle,
was noch übrig tft, zermalmen. Werben ba die Deutſchen nicht
im April 1520. (Die Febris I war ſchon im Febr. 1519 einzeln erfchienen).
Abdrud bei Münd III, 107—114 und 349— 540, Gelungene Auszüge
daraus bei Strauß I, 350 ff. u. II, 5—46.
ı) Trias Romana ift die Schrift betitelt, weil bie Beſchuldigungen
gegen Rom in Triaden zufanmengeftellt find, 3. B. Tribus inprimis rebus
abundare urben Romam, dicit Vadiscus, antiquitatibus, venenis et
vastitate,. — Tres sunt, inquit, Romanorum negotiatorum merces:
Christus, sacerdotia, mulieres. — Tria, inquit, maximo in pretio
Romae sunt: venustas mulierum, evquorum praestantia, et diplomata
pontificis. — Addidit, tria esse frequenti in usu Romae, carais vo-
luptatem, vestium luxuriam et animorum fastum etc. Solcher Drei:
beiten werden nicht weniger ald 60 aufgezählt! —
3) Cochläug, der wegen feines Verhältnifies zu Hutten für dieſe Zeit eine
ſchätzenswerthe, nur zu häufig verfannte Quelle ift, nennt die Trias „‚libel-
lum quidem parvulum, sed mire festivum et inventionis ingeniosae
argumento Laicis admodıum plausibilem et acceptum. Quo sane effecit,
ut nihil aeque invisum esset Germanis complurimis, quum nomen Rom.
Curine et Curtisanorum.°‘ De actis’ et script. Lutheri ed. Paris, f.
419 b. — Man begreift die außerordentliche Wirkung diefer Schrijt aus ihrer
durchaus volksthümlichen, pifanten Faſſung.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. IE. Theil. 5
— 6 —
zu ben Waffen eilen? Nicht mit Feuer und Schwert anftürmen?
Das find die Plünderer unferes Volkes, die früher mit Gier,
jet mit Frechheit und Wuth die erſte Nation der Welt berauben,
von Blut und Schweiß des deutſchen Volkes ſchwelgen, aus
den Eingeweiden der Armen ihren Wanft füllen, ihre Weppig-
feit nähren. Ahnen geben wir Gold! Sie halten auf unfere
Koiten Pferde, Hunde, Maultbiere, und, o der Schmach, Luft:
dienen und Luſtknaben! — Und biefe müſſen wir noch Tieb
fofen, dürfen ſie nicht ftechen ober rupfen, ja nicht einmal
berühren oder antaften! Wachen wir endlich einmal auf, rächen
wir unſere Schande, den gemeinen Schaden!” 1)
In diefer Stimmung befand ſich Hutten, als er in Bam-
berg mit Crotus zujammentraf.
DL
Die Zufammenkunft, welche Crotus und Hutten um Oftern
1520 in Bamberg hielten, gehört zu den wichtigjten Ereignijien
ber Zeit. Es waren die beiden entjchtedenften Vertreter deö
Fortſchritts nach der wiflenjchaftlichen und politifchen Seite,
jeit früheſter Jugend durch die Bande inniger Freundjchaft
verknüpft, die fich hier nach einer faft dreijährigen Trennung
wiederjahen. Unabhängig von einander waren in der Zwiſchen⸗
zeit beide bei dem nämlichen Nefultate angelangt. Ausgehend
von dem humaniftiichen Gegenjage hatte der Eine Luther zuerſt
als einen neuen Kampfgenofien gegen die Finfterlinge begrüft,
von da alfmählig zu dem Standpunkte vorrüdend, wo er in
dem gewaltigen Mönche dag augerwählte Werkzeug des Herrn
erblickte: mit ber ganzen Begeifterung, deren er fähig war,
hatte er fich ihm hingegeben. Dem Andern war im Gewühle
feiner weltumwälzenden politiichen Beſtrebungen durch Luthers
fühne ‚Predigt ein neuer Strahl der Hoffnung aufgegangen:
1) Münch III, 503, 504.
— 61 —
Mind, gab feinen Umfturzplanen bie veligiöfe Grundlage
d Berechtigung, und der Demagog, fo eben noch antiken
ſchauungen buldigend, war ein jtürmijcher Apoftel des neuen
angeliums geworden. So trafen fid) beide tn Bamberg.
utherd Angelegenheit war es, die fie bejchäftigtee Eben hier
rhielt Hutten von Erasmus die Berbammungsurtheile, welche
die Univerfitäten Köln und Löwen in Folge der leipziger Dis—
putation über Luther auzgefprochen hatten. Wie hätte dieſe
„Verhöhnung des deutschen Namen?” nicht ihre Entrüftung
von Neuem hervorrufen jollen! ’)
Was fie indek in diefen Tagen im Einzelnen mit einander
verhandelt, welche Plane fte für die Zukunft gefaßt, bleibt ung
bei der Dunkelheit, die über dem ganzen Vorgange jchwebt,
verborgen ?). Jedenfalls hat ein wechfeljeitiger Ideenaustauſch
jtattgefunden. Sch fürchte nicht, zu weit zu gehen, wenn ich
annehme, daß Hutten, der troß feiner heftigen Parteinahme für
Luther, ihn bis dahin doch nur aus ber Ferne ald einen revo⸗
Intionären Mönch Fannte, erit durch den unterrichteten Crotus
in den Streit eingeführt, von den Einzelheiten dezfelben, von
den Bemühungen der Gegner in Rom in Kenntniß geſetzt jet:
erft jet beginnt er feinen unverfühnlichen Haß auf Eck zu
ı) Crotuß an Luther d. d. Bamberge 4 Cal. Maj. 1520 Hoſchr. ber
Herz. Goth. Bibl. Cod. Chart. A. 20. ‚Cum itaque Pascha celebra-
remus caneremusque Hic (sic) est dies, quam fecit dominus, exultemus
et letemur in ea, incidit in sacra sacrım sentimentum Lovamiensium
et Coleniensium Hutheno missum ab Erasmo Botkerodame, ingens sane
materia et ad ridendum et ad stemachandum. — Non enim ita sumus
stoici, ut animns nostros ab omni negritudine liberos tueamur, pre-
sertim cum videmus (sic) eos iusanire indicihili audacia In ludibrkum
germanici nominis, in contumeliam religionis, in perniciem innocen-
cine, per quos imprimis illustrari debuit Germania, religioni suus
stare honos, minime ledi innocentia. — Oftern war 1520 am 8. April.
2) Richt einmal, baß eine ſolche Zuſammenkunft ſtattgefunden, war befannt.
Strauß 1. c. 11, 53, 54 vermuthet fie bloß (nach den Neuerungen bes
Eochläuß bei Heumann Doc. lit. p. 43, 46). Der angeführte Brief fett fie
außer Zweifel. Vgl. Bb. I, 256, wo ih ben Anfang mitgetheilt habe.
5%
— 68 —
werfen 1). Andrerſeits iſt gewiß, daß Crotus von Hutten in
ſeine verwegenen Plane eingeweiht, für dieſelben gewonnen
worden iſt: auch er ſieht fortan in Sickingen die vornehmſte
Stütze des Evangeliums2). Beide ergänzten ſich gleichſam,
ſteigerten gegenſeitig ihren Eifer.
Bald genug traten die Folgen zu Tage.
Wenige Wochen ſpäter richtete Crotus, noch von Bamberg
aus, ſein zweites größeres Sendſchreiben an Luther °). Ihn
noch weiter auf der eingeſchlagenen Bahn fortzudrängen, ihn
abermals und eindringlicher von der Nothwendigkeit des rück⸗
ſichtsloſeſten Verfahrens gegen ſeine Widerſacher zu überzeugen,
iſt der Zweck desſelben. Eben jenes Verdammungsurtheil der
kölner und löwener Theologen bildet den Ausgangspunkt.
Keine Tyrannei, führt der Verfaſſer, daran anknüpfend, weiter
aus, keine Tyrannei gebe es in der Chriſtenheit, die unmenſch⸗
licher ſei, als jene der Theologen und Mönche, die da die Vor:
bilder und Beichüger chriftlicher Frömmigkeit und Religion fein
follten. Statt hriftlicher Lauterkeit und Einfalt beherriche fie
Ihwarzer Neid, ftatt mit dem Lichte der Wahrheit zu Leuchten,
1) In einem gleich anzuführenden Schreiben an Luther gebenlt er bes
EL zum erftien Mal als eine? homo impudenter malus, auch daß ihn Ed
als einen Parteigenofien Luthers benuncirt habe. Münd II, 575 — 76.
Offenbar hat er die durch Erotus erfahren.
2) Magnus Dux germanicae nobilitatis nennt er ihn und meint,
Lutber bürfe fein Anerbieten nicht von ber Hand weifen ‚‚retinendus est
in officio Franciseus.‘
5) Reverendo patri Martino Luthero Augustiniano Sacrarum lite-
rarum professori tum docto tum sancto amico suo Antiquissimo d. d.
Bamberge 4 Cal. Maj. 1520. 9. ©. 3. Cod. Chart. A.20. Daß. biefer
Brief, ber unter allen, die Luther empfangen, ben tiefften Eindrud auf ihn
gemacht bat, fo lange unbefannt geblieben ift, zeigt allein ſchon, daß troß ber
150 Biographien Luthers noch immer nicht genug geſchehen ift. — Es freut
mid, nachträglich berichten zu können, daß Böding feinen Verdienften um bie
Reformationgliteratur nun dieſes neue hinzugefügt bat, ben wichtigen Brief
zuerfi der Deffentlichfeit übergeben zu haben: er findet fidh in Böckings neuer
Ausgabe der Opn. Hutt. I, 337 sqq. Die von mir früher angefünbigte
Publifation desſelben ift dadurch überflüffig geworben.
— 69 —
Tchnauben fie Feuer, ftatt Gottes Wort diene ihnen fopbiftifcher
Aberwitz, ftatt des Schwertes der heiligen Schrift das Schwert
des Nachrichterd. Unvergeßlich ſei ihm eine von Hochitraten
verübte Blutthat, die ihm einft in Köln zu Ohren gekommen.
Luther möge deshalb vor Allem gegen den Blutdurjt der Mönche
auf feiner Hut fein, wolle er nicht wie Huß ein Martyrer
feiner Sache werden. Doch an die Martyrerfrone dürfe er
nicht denfen. Denn wie, wirft Crotus mit bitterer Jronie ein,
wolle er auch im Tode Gnade finden vor dem höchſten Richter,
dem Papſte, deſſen Ablaß er fraftlog gemacht! „O des Unglücks
ber Ehriftenheit! ruft er aus, bed alten Glauben?! So mußte
alles Göttliche dem Menjchlichen weichen und beiubelt werben !”
Chriſtus habe feinem Volle das Wort Racha verboten, jedes
ftrenge Urtheil unterfagt, und Luther werde, weil er die Schrift
mit größerer Ehrfurcht behandele, ald Keber gebrandmarfkt !
Doch das ſei die Beicheidenheit ver Theologen!!) Aber nicht
bloß lieblos und tyranniſch feien fie, ſondern in noch höherem
Grade dumm und unwiſſend. Jeder andere Sterbliche, ſelbſt
das umvernünftige Thier lerne durch Erfahrung, jene allein
ſeien unverbeflerlich für alle Zeiten, nur noch fortjchreitend in
ihrer Verblendung Mit einiger Vorficht hätten fie fich noch
in Reuchlins Angelegenheit benommen, mit jchamlofer Unwiffen-
beit verführen fie gegen Luther, den man jebt, unfähig ihn zu
wiberlegen, durch das übereinftimmende Urtheil Aller verdammt
fein ließe! Das heiße den Gegner nicht lehrmäßig (doctrinaliter),
jondern löwenmäßig (Lovanialiter) verdammen — denn neue
Bezeichnungen müfje man für nene Irrthümer aufbringen“ ?).
1) Als den erften Repräfentanten biefer Theologen ftellt er ben Silvefter
Prierias bar, der auch den Spruch der Löwener herbeigeführt habe „Silvester
prierias hujus tragodie puppis et prorn.“
3) „‚Porro si nihil habent diffiduntque suis juribus, judicio omnium
damnatus es tu non doctrinaliter sed Lovanialiter; quemadmodum et
multis incutitur Pontificis fulmen Romanaliter, non Christionaliter.
Sunt enim novis erroribus nova confingenda vocabula.“ — Man fieht,
— 0 —
Aber möchten fie doch nur vecht bald, wie fie beabfichtigen,
durch neue Sentenzen ihre Thorbeit enthüllen, wie leicht würde
e3 dir fein, wendet er ſich an Luther, die zu vernichten, bie
da nicht einmal den Gegenftand des Streites begreifen, ihre
Sophigmen, wie elendes Töpfergejchirr mit dem Schilde der
h. Schrift zu zerichlagen. Laß die Unfinnigen dich Reber. fchel-
ten, wiffe nur, daß du in deiner Keberei viele Genoffen baft.
Ihm felbit, Crotus, ſtehe e3 unzweifelhaft fejt, daß nur der
durch den Glauben Gerechtfertigte Zutritt zu Gott habe; möch—
ten jene immerhin pochen auf ihre Verdienſte, ihm genüge ver
Glaube an den, der den Gottlojen von Schuld und Strafe
befreie um ſeines Glaubens willen, und ein demüthige® Ge
ſtändniß ſeiner Mifjethaten; möchten des Papſtes Creaturen
rühmen und preiſen das unfehlbare Lehramt der Kirche, er
halte ſich an das Wort: eine Leuchte wirſt du meinen Füßen
ſein, o Herr, und mir ein Licht auf meinen Wegen. Dieſes
Lichtes Schutz und Schirm aber möge Luther übernehmen.
„Zeige, Größter der Theologen, die Tugend“, ruft er ihm zu,
„die wir an bir verehren, offenbare den Untekrſchied zwiſchen ber
Sreatur des Papſtes und der Ereatur Gottes. Der König
hat dich eingeführt in fein Gemach und dich mit Gelehrſamkeit
ausgerüſtet, damit du wiſſeſt, das Böſe zu verwerfen und das
Gute zu wählen. Zwar wart du mir fchon längſt bekannt,
aber von Tage zu Tage erjcheint mir dein Bild heller und
glängender. Eine Sonne ift ung aufgegangen nach dem Nebel
der Schulmeinungen. — Ich habe meinen Martin, weil id
jo viele Jahre feine? Umganges nicht mehr genofjen, nicht ge
nug zu würdigen gewußt. — Wohlan denn, trefflichiter Polyclet,
führe und einen Triumphbogen auf über die befiegten Feinde
au dem Tebendigen Marmor, der ift Jeſus Chriftug. Er
wolle dich bewahren vor dem Rachen des Löwen (ab ore
wie ber alte Verfaſſer der Epp. Obso. ſich auch hier nicht verläugnen Fann,
ttoß feines biblifchen Gewandes!
— 71 —
Leonis) und vor den Hörnern der einhörnigen Sophijten in
alle Zeit” 1).
Dann folgt das Wichtigfte. Franz von Sidingen, der
große Führer des deutichen Adels, habe ihn, Luther, nach Aus:
fage Huttens, zu ſich eingeladen; theologijhe Muße, Sicherheit
gegen feine Nachjteller, Alles was er wünſche, werde er bei
Sickingen finden. Ein fo großes Anerbieten jei nicht zu ver:
ihmähen, denn Nichts Tießen fich die heiligen Väter in folchem
Grade angelegen fein, als Luther des Schußes feined Chur:
fürften zu berauben, damit er genöthigt werde, zu den Böhmen
zu flüchten ?); Ed werde ed in Nom an Bemühungen nicht
fehlen laſſen. „Daher trage Sorge, ift mein Rath, für bie
Zukunft, jchreide an Sicingen, erhalte dir fein Wohlwollen.
Durch einen einzigen für Reuchlin gefchriebenen Brief hat er
die Dominiciften mehr geſchreckt, als ale Ausſchreiben des
Kaiſers und Papſtes.“
Als Crotus dieſes Schreiben abſandte, war Hutten, wie
wir aus einer Nachſchrift erfahren, bereits von Bamberg auf:
gebrochen ). Er beabfichtigte eine Neife in die Niederlande,
1) Er bedient ſich bier bes Vergleichs mit dem Bildhauer, weil Luther
in allem Uebrigen ſchon dag Beſte geleiftet. ‚‚Nuper vidi pugilem Entellum
cum senc Marete congredientem in arena, (geht auf den Streit mit
Prieriad) deinde prodiisti venator alacer capto sevo capricorne, (auf
den Streit mit Emfer) nunc graphice judicium theologisticum depingis
(erfte Schrift gegen Löwener), quem te demum habebimus? In quo arti-
icio vis palma donari? mihi superesse vidotur statuarius, Age ergo,
optime Policlete, exprime nobis de victis hostibus arcus triumphales
de marmore vivo, qui est Christus Jesus, qui te custodiat ab ore
Leonis et a cornihus unicornium sophistarum per omne scculum,“‘
2) „In nulla re tantopere axerrent ingeniym S. Patres, quam
quod animum Friederici principis abs te alienent, ut, prcsidio omni
exutus, tandem oogereris (sic) ad Bohemns confugere.‘ Nun veriteht
man bie Aeußerung Luthers bei De Wette I, 465.
s) „„Huttenus discedens jussit te salutare, proficiseitur ad Ferdi-
nandum Careli regis fratrom, in cujus aulica familia, ut speramus,
locum habebit, non sine tup et ractorym studiorum commodo.‘
— 72 —
an den Hof des Erzherzogs Ferdinand, um hier durch per:
ſönliche Ueberredung für die Sache der Freiheit zu wirfen *).
Indeß noch ehe er diefen Plan ind? Werk richtete, führte er
einen andern aus, mit dem er fich ſchon Längft getragen, und
in dem er jet durch den Vorgang des ſonſt bedädhtigeren
Freundes beftärft worden. Er trat mit Luther in offene Ber:
bindung. Unter dem Rufe „ES Lebe die Freiheit!” richtete er
von Mainz aus am 4. Juni das erjte Schreiben an Luther ?).
Er kündigt fich ihm in den Ausdrücken der wärmjten Verehrung
als feinen Bundesgenoſſen und Mitjtreiter in Chriſto an, bringt
nochmals Sickingens Wünſche in Erinnerung, ermuntert ihn
zur Standhaftigkeit, fordert ihn auf, gemeinjfame Sache mit
ihm, Hutten, zu machen. „Sei feft, ſtark und wanke nicht. An
mir haft du einen Anhänger für jeden Tal. Darum wage
eg, mir in Zufunft alle deine Pläne anzuvertrauen. Ber:
fechten wir die gemeine reiheit, befreien wir dag ſchon Lange
gefnechtete Vaterland. Gott haben wir auf unſerer Geite.
Und ift Gott für und, wer mag wider ung fein? — Die Kölner
und Löwener haben dich verurtheilt. Das find jene teuflifche
Rotten, die fih gegen die Wahrheit verjchworen. Aber wir
wollen durchbrechen, mannbaft durchbrechen unter Chrifti
Beiftand.” | |
Sp traten die gährenden Elemente des Zeitalter in ihren
beiden vorgefchrittenften Vertretern im Sahre 1520 an den
Träger der Firchlichen Oppofition heran. Hat diefer ihnen
widerjtanden? Hat er das ihm angetragene Bündniß abgelchnt?
ı) Melanchth. J. Hesso ‚‚Huttenus ad Ferdinandum Caroli fra-
trem proficiscitur, viam facturus libertati per maximos principes.
Quid non speramus igitur ?““ 8. Juni 1520. Corp. Ref. I, 201. — Bgl.
auch Huttenus Martino Luthero d. d. Mog. 2 Non, Jun. 1520. Münd
III, 576. ‚‚Hodie ad Ferdinandum abeo. Quicquid ibi putero, nostre
bono, nan cessabe.“ - -
2) Hutt, Martino Luthero d. d. Mog. 2 Non. Jun. 1520. Ber Brief
erfchien zu Wittenberg in Drud, abgebrudt bei Münch III, 575—76.
— 73 —
IV.
„Im zwanzigſten Jahr“, ſagt Matheſius, „griff Doctor
Luther mit großem Ernſt und Eifer nach Gottes Wort des
Papſtes Hoheit und Kron und ſeinen ſchrecklichen Gewalt an,
den er mit ſeinem Banne geübt, und fähet an, die alten löb—
lichen Deutſchen von der römiſchen und babyloniſchen Gefäng—
niß als der. rechte Samſon zu erlöſen“1). Es iſt das Jahr
1520, in dem Luther ſeine aufregenden Flugſchriften Von des
chriſtlichen Standes Beſſerung an den Adel deutſcher Nation,
Von der Freiheit eines Chriſtenmenſchen, Von der babyloniſchen
Gefangenſchaft der Kirche ausgehen ließ. Er wendet ſich zum
erften Mal an die Maſſe: er redet in der Sprache des Volkes,
er hat den ausschließlich theologischen Standpunkt aufgegeben,
feine Ideen berühren Kirche und Staat, die großen Fragen ber
Nation, feine Reformvorfchläge ſtellen im politifchen nicht minder,
wie im Lirchlichen Leben die durchgreifendften Veränderungen
in Ausſicht. Rückſichtslos, mit unerhörter Kühnheit trägt er
fie vor. Selbſt vor Krieg und Aufruhr bebt er nicht zurüd.
„Ich beichwöre Dich”, jchreibt er an einen Zreund, „wenn Du
das Evangelium recht verftehft, fo glaube ja nicht, daß deſſen
Sache ohne Tumult, Aergerniß und Aufruhr geführt werben
könne. Du wirft aus dem Schwerte Feine Feder, aus dem
Kriege feinen Frieden machen: das Wort Gottes iſt ein Schwert,
ift ein Krieg, iſt Zerftörung, ift Aergerniß, iſt Verderben, ift
Gift, und, wie Amos fagt, wie der Bär auf dem Wege und
wie die Löwin im Walde, jo tritt e8 den Söhnen Ephraim
entgegen” ?).
Es find die Wirkungen des von feinen beiden ftürmifchen
Freunden ausgegangenen neuen Impulſes, bie fich in dieſer
leidenfchaftlihen Erhebung des Reformators anfündigen.
1) Matheſius 1. c. fol. 16 b.
2) Luther an Spalatin, Februar 1520, De Wette I, 417.
— 4 —
Seit der Disputation von Leipzig hatte die Verbindung
mit Männern, wie Erotus und Hutten, für Luther nichts Be
denkliche® mehr. In der Aufregung, in welche er durch ben
Ausgang, jenes Geſprächs verfeßt worden, war er für die ver-
wegenften Rathfchläge empfänglich. Die inhaltjchweren Mahn:
ſchreiben des Crotus aus Bologna fanden deshalb feinen ganzen
Beifall: er Tieß fie im Kreife feiner Freunde verbreiten und
ſäumte nicht, alsbald dem eifrigen Verfechter feiner Sache jen-
jeit der Alpen ein Antwortjchreiben entgegenzufenden, obgleich
Crotus ſelbſt feine Rückkehr als nahe bevorftehend angekündigt
hatte). Mit Hutten trat Luther fogar noch früher in Ber
bindung, als dieſer ſelbſt ven legten entfcheidenden Schritt gethan:
fhon im Mai 1520, als Hutten für feinen Verkehr fich nod
der Vermittelung Melanchthons bediente, ließ Luther ihm Briefe
zufommen ?). An Sicingen jchrieb er, wie Crotus gewünfdtt,
nicht bloß einmal, fondern allem Anjcheine nach wieberholt°).
Daß Luther eben aus diefem Verkehr den Muth zu jenem
fühnen, rückſichtsloſen Auftreten geſchöpft hat, ift nach feinen
eigenen Aeußerungen unzweifelhaft. Bor Allen war es ber
ihm von Crotus wie von Hutten in Ausſicht geftellte Schub
1) Bel. Corp. Ref. I, 202; Miey 1. c. 11, 42; Unfch. Nachr. Jahrg.
1723. p. 707.
2) Vgl. Luther an Spalatin 5. März 1520: „Hutteno, Fabricio, Pel-
licano, Erasmo scriptum est ab utroque nostrum et multis aliis.“
De Wette I, 445. An denfelben am 31. März: „Mitto literas, mi Spa-
latine, ad Huttenum, Sicoingen, et Taubenheimum nostrum: tui quaeso
sit officii, opportune eos curare.“ 1. c. I, 451. Auffallend, wie man
diefe Stellen bat überfehen Fönnen.
3) Bol. De Wette I, 451, 460. — Alfe diefe Briefe an Crotus, Hutlen,
Sidingen find verloren gegangen; nur den Inhalt des einen an Hufen
gerichteten erfahren wir durch Cochläus: „De quo (scil, Sickingen) scrip-
serat occulte ad Ulrichum Huttenum suum Lutherus, se plus confi-
dentiae erga illum gerere, majoremque in eo spem habere, quas
habeat in ullo sub coelo principe.‘“ De Actis et seriptis Martiei
Lutheri. fol. 86 b. — Ueber Huttens Verhältnig gu Wittenberg im Som:
mer 1520 vgl. au) Corp. Ref. I, 201, 263, 264,
—
— 75 —
der Ritterſchaft, der ihn ermuthigte. „Franz von Sickingen“,
ſchreibt er an einen ſeiner Ordensgenoſſen, „verheißt mir durch
Hutten ſeinen Schutz gegen alle meine Widerſacher. Das
Nämliche thut Silveſter von Schauenburg mit einigen fränki⸗
ſchen Adligen. Ich habe einen ſchönen Brief von ihm. Nun
fürchte ich Nichts mehr, ſondern gebe ſchon ein Buch in deutſcher
Sprache gegen den Papſt heraus von des chriſtlichen Standes
Beſſerung“ 1). „Silvefter von Schauenburg und Franz von
Sickingen“, erklärt er mit der größten Offenheit in einem
Schreiben an Spalatin, „haben mich von der Menichenfurcht
befreit” 2). Im Vertrauen auf den Schub, den ihm die Her:
bergen der Gerechtigkeit — wie Hutten die Burgen feines
Freundes nannte — zur Stunde der Gefahr gewähren würden,
wagt er es, Fühnlich feinen Gegnern Trog zu bieten, Huttens
Wahlipruch zu dem feinigen zu machen *), dem römischen Papft,
deſſen Gunſt und Ungunft er jet verachtet, offen den Fehde:
handſchuh Hinzumerfen, „va nicht bloß in Böhmen, jondern
mitten in Deutſchland Männer feien, die fich feiner annehmen
würden.”
Aber Luther empfing von diefer Seite nicht bloß den Muth,
offen und kühn mit feinen Ideen hervorzutreten: Huttens und
Crotus' Einfluß erſtreckte fich auch auf letztere ſelbſt. Es ift
bezeichnend, daß die Vorftsllung, der Papſt fei der Antichrift,
eben durch die Lectüre jener Schrift bei Kuther hervorgerufen
wurde, mit der Hutten feinen Feldzug gegen Rom eröffnete *).
1) Luther an Voigt 3. Auguft 15%. De Wette 1, 475. Das Schreiben
bed Schauenburg d. d. Montag nach Corporis Christi bei Münch, Franz
von Sidingen I, 173.
2) De Wette I, 469. „Quia enim jam securum me fecit Silvester
Schauenberg et Franciscus Siccingen ab hominum timore, succedere
oportet daemonum quoque furorom.““
3) „A me quidem, jacta mihi alea, contemtus est Romauss furor
et favor: nolo eis reconciliari neo communicari in perpetusm.‘‘
Luther an Spalatin 10. Zuli 1520 1. e. I, 466.
+) Vgl. De Wette I, 420.
— 66 —
zu den Waffen eilen? Nicht mit Feuer und Schwert anſtürmen?
Das ſind die Plünderer unſeres Volkes, die früher mit Gier,
jetzt mit Frechheit und Wuth die erſte Nation der Welt berauben,
vom Blut und Schweiß des deutſchen Volkes ſchwelgen, aus
den Eingeweiden der Armen ihren Wanſt füllen, ihre Ueppig—
keit nähren. Ihnen geben wir Gold! Sie halten auf unſere
Koſten Pferde, Hunde, Maulthiere, und, o der Schmach, Luſt—
dirnen und Luſtknaben! — Und dieſe müſſen wir noch lieb—
koſen, dürfen ſie nicht ſtechen oder rupfen, ja nicht einmal
berühren oder antaſten! Wachen wir endlich einmal auf, rächen
wir unjere Schande, den gemeinen Schaden!” 1) |
In diefer Stimmung befand fih Hutten, al3 er in Bam-
berg mit Crotus zufammentraf.
II.
Die Zufammenkunft, welche Crotus und Hutten um Oftern
1520 in Bamberg hielten, gehört zu den wichtigiten Ereigniffen
der Zeit. Es waren die beiden entjchiebenften Vertreter des
Fortſchritts nach der wiflenjchaftlichen und politifchen Seite,
jeit frühefter Jugend durch die Bande inniger Freundfchaft
verknüpft, die. fich hier nach einer fajt dreijährigen Trennung
wiederfahen. Unabhängig von einander waren in der Zwiſchen⸗
zeit beide bei dem nämlichen Refultate angelangt. Ausgehend
von dem humaniſtiſchen Gegenſatze hatte der Eine Luther zuerft
als einen neuen Kampfgenofien gegen die Finſterlinge begrüßt,
von da allmählig zu dem Standpunkte vorrüdend, wo er in
dem gewaltigen Mönche das auserwählte Werkzeug des Herrn
erblickte: mit der ganzen Begeifterung, deren er fähig war,
hatte er fih ihm hingegeben. Dem Andern war im Gemwühle
feiner weltumwälzenden polittichen Beitrebungen durch Luthers
kühne ‚Predigt ei neuer Straht der Hoffnung aufgegangen:
1) Münch III, 503, 504.
— 67 —
ber Mönch gab feinen Umfturzplanen die religiöfe Grundlage
und Berechtigung, und der Demagog, fo eben noch antiken
Anſchauungen huldigend, war ein jtürmifcher Apoftel des neuen
Evangeliums geworden. So trafen fich beide in Bamberg.
Luthers Angelegenheit war e3, die fie befchäftigte. Eben bier
erhielt Hutten von Erasmus die Verbammungsurtheile, welche
die Univerfttäten Köln und Löwen in Folge der Leipziger Dig-
putation über Luther ausgeſprochen hatten. Wie hätte dieſe
„Verhöhnung des deutſchen Namen?” nicht ihre Enträftung
von Nenem hervorrufen jollen!?)
Was fie indek in diefen Tagen im Einzelnen mit einander
verhandelt, welche Plane fie für die Zukunft gefaßt, bleibt ung
bei der Dunkelheit, die über dem ganzen Vorgange ſchwebt,
verborgen ?). Jedenfalls hat ein wechjeljeitiger Ideenaustauſch
ftattgefunden. Ich fürchte nicht, zu weit zu gehen, wenn ich
annehme, daß Hutten, der troß feiner heftigen Parteinahme für
Luther, ihn bis dahin doch nur aus der Ferne als einen rvevo-
Iutionären Mönch kannte, erft durch den unterrichteten Crotus
in den Streit eingeführt, von den Einzelheiten desſelben, von
den Bemühungen der Gegner in Rom in Kenntniß gefeßt fei:
erft jegt beginnt er feinen unverjöhnlihen Haß auf Eck zu
2) Crotuß an Luther d. d. Bamberge 4 Cal. Maj. 1520 Hoſchr. ber
Herz. Goth. Bibl. Cod. Chart. A. 20. „Cum itaque Pascha celebra-
remus caneremusgue Hic (sic) est dies, quam fecit dominus, exultemus
et letemur in ea, incidit in sacra sacrum sentimentum Lovamiensium
et Coleniensium Hutheao missum ab Erasmo Botherpdamo, ingens sane
materia et ad ridendum et ad stemwachandum. — Non enim ita sumus
stoici, ut animos nostros ab omni aegritudine liberos tueamur, pre-
sertim cum videmus (sic) eos iusanire indicihili audacia in ludibriem
germanici nominis, in contumeliam religionis, in perniciem innocen-
ciae, per quos imprimis illustrari debuit Germania, religioni suus
stare honos, minime ledi innocentia. — Oftern war 1520 am 8. April.
2) Richt einmal, daß eine ſolche Zuſammenkunft ftattgefunder, war befannt.
Strauß 1. ec. II, 53, 54 verniuthet fie bloß (nach ben Aeußerungen bes
Cocläus bei Heumann Doc. 1it. p. 43, 46). Der angeführte Brief fett fie
außer Zweifel. Vgl. Bd. I, 266, wo ih ben Anfang mitgetheilt habe.
5%
— 68 —
werfen 1). Andrerſeits iſt gewiß, daß Crotus von Hutten in
ſeine verwegenen Plane eingeweiht, für dieſelben gewonnen
worden iſt: auch er ſieht fortan in Sickingen die vornehmſte
Stütze des Evangeliums?). Beide ergänzten ſich gleichſam,
ſteigerten gegenſeitig ihren Eifer.
Bald genug traten die Folgen zu Tage.
Wenige Wochen jpäter richtete Crotus, noch von Bamberg
aus, fein zweites größeres Sendfchreiben an Luther’). Ihn
noch weiter auf der eingefchlagenen Bahn fortzubrängen, ihn
abermals und eindringlicher von ber Nothwendigfeit des rüd:
ſichtsloſeſten Verfahrens gegen feine Widerfacher zu überzeugen,
ift der Zweck dezfelben. Eben jened Verdammungsurtheil der
fülner und löwener Theologen bildet den Ausgangspunkt.
Keine Tyrannei, führt der Verfaſſer, daran anfnüpfend, weiter
aus, feine Tyrannei gebe es in der Chriftenheit, Die unmenjd-
licher ei, al3 jene der Theologen und Mönche, die da die Bor
bilder und Beſchützer chriftlicher Frömmigkeit und Religion fein
follten. Statt chriftlicher Lauterkeit und Einfalt beherriche fie
Schwarzer Neid, ftatt mit dem Lichte der Wahrheit zu Leuchten,
1) In einem gleich anzuführenden Schreiben an Luther gedenlt er be
EL zum erfien Mal ald eine? homo impudenter malus, auch bag ihn Ed
als einen Parteigenofien Luthers denuncirt habe. Münd II, 575 — 76.
Offenbar hat er die durch Crotus erfahren.
2) Magnus Dux germanicae nobilitatis nennt er ihn und meint,
Luther dürfe fein Anerbieten nicht von ber Hanb weifen „‚retinendus est
in officio Franciseus.‘“
s) Reverendo patri Martino Luthero Augustiniano Sacrarum lite-
rarum professori tum docto tum sancto amico suo antiquissimo d. d.
Bamberge 4 Cal. Maj. 1520. 9. ©. 8. Cod. Chart. A.20. Daß dieſer
Brief, der unter allen, bie Luther empfangen, ben tiefften Eindrud auf ihn
gemacht Bat, fo lange unbekannt geblieben ift, zeigt allein ſchon, daß troß ber
150 Biographien Luther? noch immer nicht genug gefchehen ift. — Es freut
mich, nachträglich berichten zu Können, daß Böding feinen Verbienften um bie
Neformationgliteratur nun diefeß neue hinzugefügt hat, ben wichtigen Brief
zuerft der Deffentlichfeit übergeben zu haben: ex finbet ſich in Böckings neuer
Ausgabe der Opp. Hutt. I, 337 sqq. Die von mir früher angefünbigte
Publikation desſelben ift dadurch überflüffig geworden.
— 69 —
fchnauben fie Feuer, ftatt Gottes Wort diene ihnen fopbiftifcher
Aberwitz, ftatt des Schwertes der heiligen Schrift das Schwert
des Nachrichters. Unvergeßlich fer ihm eine von Hochftraten
verübte Blutthat, die ihm einft in Köln zu Ohren gekommen.
Luther möge deshalb vor Allem gegen ven Blutdurft der Mönche
auf feiner Hut fein, wolle er nicht wie Huß ein Martyrer
feiner Sache werden. Doch an die Martyrerfrone dürfe er
nicht denfen. Denn wie, wirft Crotus mit bitterer Jronie ein,
wolle er auch im Tode Gnade finden vor dem hödhiten Richter,
dem Papfte, deſſen Ablaß er kraftlos gemacht! „O des Unglücks
der Chriſtenheit! ruft er au, o des alten Glauben?! So mußte
alles Göttliche dem Menjchlihen weichen und befudelt werden!”
Chriſtus habe feinem Volke dag Wort NRacha verboten, jedes
ftrenge Urtheil unterfagt, und Luther werde, weil er die Schrift
mit größerer Ehrfurcht behandele, als Ketzer gebrandmarft !
Doc, das fei die Bejcheivenbeit der Theologen!!) Aber nicht
bloß lieblos und tyrannifch feien fie, ſondern in noch höherem
Grade dumm und unwifjend. Jeder andere Sterbliche, felbft
bag unvernünftige Thier lerne durch Erfahrung, jene allein
feien unverbefjerlich für alle Zeiten, nur noch fortichreitend in
ihrer Verblendung Mit einiger Vorficht hätten fie fich noch
in Reuchlind Angelegenheit benommen, mit ſchamloſer Unwiffen-
heit verführen fie gegen Luther, den man jebt, unfähig ihn zu
widerlegen, burch das übereinftimmende Urtheil Aller verdammt
fein Tieße! Das heiße den Gegner nicht lehrmäßig (doctrinaliter),
fondern löwenmäßig (Lovanialiter) verdammen — denn neue
Bezeichnungen müſſe man für neue Irrthümer aufbringen” ?).
ı) Als den erften Repräfentanten diefer Theologen ftellt er den Silvefter
Prieria bar, ber auch den Spruch der Löwener herbeigeführt habe „Silvester
prierias hujus tragodie puppis et prora.‘“
2) „Porro si nihil habent diffiduntque suis jJuribus, judicio omnium
damnatus es tu non doctrinaliter sed Lovanialiter; quemadmodum et
multis incutitur Pountificis fulmen Romanaliter, non Christionaliter.
Sunt enim novis erroribus nova confingenda vocabula.‘‘ — Man fieht,
— 70 —
Aber möchten ſie doch nur recht bald, wie ſie beabſichtigen,
durch neue Sentenzen ihre Thorheit enthüllen, wie leicht würde
es dir ſein, wendet er ſich an Luther, die zu vernichten, die
da nicht einmal den Gegenſtand des Streites begreifen, ihre
Sophismen, wie elendes Töpfergeſchirr mit dem Schilde der
h. Schrift zu zerichlagen. Laß die Unſinnigen dich Keber. jchel-
ten, wiffe nur, daß du in deiner Keberei viele Genoſſen haft.
Ihm ſelbſt, Crotus, ſtehe es unzweifelhaft jet, daß nur der
durch den Glauben Gerechtfertigte Zutritt zu Gott habe; möch—
ten jene immerhin pochen auf ihre Verbienfte, ihm genüge ber
Glaube an den, ber den Gottlofen von Schuld und Strafe
befreie um ſeines Glaubens willen, und ein bemüthiges Ge
ſtändniß feiner Miffethaten,; möchten des Papſtes Creaturen
rühmen und preifen das unfehlbare Lehramt der Kirche, er
halte fih an das Wort: eine Leuchte wirft du meinen Füßen
fein, 9 Herr, und mir ein Licht auf meinen Megen. Dieſes
Lichtes Schu und Schirm aber möge Luther übernehmen.
„Zeige, Größter der Theologen, die Tugend”, ruft cr ihm zu,
„die wir an dir verehren, offenbare den Untetjchted zwiſchen ver
Creatur des Bapited und der Ereatur Gottes. Der König
bat dich eingeführt in fein Gemach und dich mit Gelehrſamkeit
audgerüjtet, damit du wifjeit, das Böſe zu verwerfen und das
Gute zu wählen. Zwar. warft du mir fchon längſt bekannt,
aber von Tage zu Tage ericheint mir dein Bild heller und
glänzender. Eine Sonne ift ung aufgegangen nach dem Nebel
ber Schulmeinungen. — Ich habe meinen Martin, weil ih
jo viele Jahre feined Umganges nicht mehr genofjen, nicht ge
nug zu würdigen gewußt. — Wohlen denn, trefflichiter Polyclet,
führe und einen Triumphbogen auf über die befiegten Feinde
aus dem lebendigen Marmor, der ift Jeſus Chriſtus. Er
wolle dich bewahren vor dem Nachen des Löwen (ab ore
wie ber alte Verfaſſer der Epp. Obse. ſich auch hier nicht verläugnen Fann,
trotz feine biblifchen Gewandes!
— 1 —
Leonis) und vor ben Hörnern der einhörnigen Sophiften in
alle Zeit”).
Dann folgt dad Wichtigſte. Franz von Sickingen, der
große Führer des deutichen Adels, habe ihn, Luther, nach Aus—
jage Huttens, zu fich eingeladen; theologijche Muße, Sicherheit
gegen feine Nachiteller, Alle? was er wünfche, werde er bei
Sidingen finden. Ein fo großes Anerbieten fei nicht zu ver-
ſchmähen, denn Nicht? ließen fich Die heiligen Väter in folchem
Grade angelegen fein, al3 Luther des Schutzes feines Chur:
fürften zu berauben, damit er gendthigt werde, zu den Böhmen
zu flüchten ?); Ed werde es in Nom an Bemühungen nicht
fehlen laſſen. „Daher trage Sorge, tft mein Rath, für bie
Zukunft, jchreide an Sidingen, erhalte dir fein Wohlwollen.
Durd einen einzigen für Reuchlin gefchriebenen Brief hat er
die Dominicisten mehr geſchreckt, als ale Augfchreiben des
Kaiſers und Papſtes.“
Als Crotus dieſes Schreiben abſandte, war Hutten, wie
wir aus einer Nachſchrift erfahren, bereits von Bamberg auf—
gebrochen?). Er beabſichtigte eine Reiſe in die Niederlande,
— —
1) Er bedient ſich hier des Vergleichs mit dem Bildhauer, weil Luther
in allem Uebrigen ſchon das Beſte geleiſtet. „Nuper vidi pugilem Entellum
cum senc Dareto congredientem in arena, (gebt auf den Streit mit
Prieriad) deinde prodiisti venator alaccr capto sevo cApricorna, (auf
den Streit mit Emfer) nunc graphice judicium theologisticum depingis
(erfte Schrift gegen Lömener), quem te demum habebimus? In quo arti-
ficio vis palma donari? mihi superesse videtur statuarius, Age ergo,
optime Policlete, exprime nobis de victis hostibus arcus triumphales
de marmore vivo, qui est Christus Jesus, qui te custodiat ab ore
Leonis et 3 cornihbus unicornium sopbistarum per omne scculum,‘‘
2) „In nulla re tantopere axerrent ingeniym S. Patres, quam
quod animum Friederici principis abs te alienent, ut, prcsidio omni
exutus, tandem cogereris (sic) ad Bohemns confugere.‘ Nun verſteht
man bie Aeuferung Luther? bei De Wette I, 465.
s) „„Huttenus discedens jussit te salutare, proficisceitur ad Ferdi-
nandum Careli regis fratrom, in cujus aulica familia, ut speramus,
locum babebit, non sine tuo et raatorym studiorum commodo.““
— 72 —
an ven Hof des Erzherzogs Ferdinand, um hier durch per:
fönliche Weberredung für die Sache der Freiheit zu wirken t).
Indeß noch ehe er diefen Plan ind Werk richtete, führte er
einen andern aus, mit dem er fich ſchon längſt getragen, und
in dem er jet durch den Vorgang des ſonſt bevächtigeren
Freundes beftärkt worden. Er trat mit Luther in offene Ver:
bindung. Unter dem Rufe „E83 Lebe die Freiheit!” richtete er
von Mainz aus am 4. Juni das erjte Schreiben an Ruther ?).
Er Fündigt fich ihm in den Ausdrücken der wärmjten Verehrung
als feinen Bundesgenoſſen und Mitftreiter in Chrifto an, bringt
nochmals Sickingens Wünjche in Erinnerung, ermuntert ihn
zur Stanbhaftigkeit, fordert ihn auf, gemeinſame Cache mit
ihm, Hutten, zu machen. „Set feft, ſtark und wanke nicht. An
mir haft du einen Anhänger für jeden Fall. Darum wage
e3, mir in Zufunft alle deine Pläne anzuvertrauen. Ber:
fechten wir die gemeine Freiheit, befreien wir das ſchon Tange
gefnechtete Vaterland. Gott haben wir auf unſerer Seite.
Und ift Gott für und, wer mag wider ung fein? — Die Kölner
und Löwener haben dich verurtbeilt. Das find jene teufliiche
Rotten, die fich gegen die Wahrheit verjchworen. Aber wir
wollen durchbrechen, mannbaft durchbrechen unter Chrifti
Beiltand.” |
So traten die gährenden Elemente des Zeitalters in ihren
beiden vorgejchrittenften Vertretern im Jahre 1520 an ven
Träger der Tirchlichen Oppofition heran. Hat diefer ihnen
widerſtanden? Hat er das ihm angetragene Bünbniß abgelchnt?
1) Melanchth. J. Hesso ‚‚Huttenus ad Ferdinandum Caroli fra-
trem proficiscitur, viam facturus libertati per maximos principes.
Quid non speramus igitur ?““ 8. Juni 1520. Corp. Ref. I, 201. — Bgl.
auch Huttenus Martino Luthero d. d, Mog. 2 Non. Jun. 1520. Münd
III, 576. „Hodie ad Ferdinandum abeo. Quicquid ibi putero, nostre
bono, non cessabe.‘“ - -
2) Hutt. Martino Luthero d. d. Mog. 2 Non. Jun. 1520. Der Brief
erichien zu Wittenberg in Drud, abgebrudt bei Münch III, 57576.
—_ 3 —
IV.
„Im zwanzigften Jahr”, fagt Matheſius, „griff Doctor
Luther mit großem Ernft und Eifer nach Gotted Wort des
Papite Hoheit und Kron und feinen fchrecklichen Gewalt an,
den er mit feinem Banne geübt, und fähet an, bie alten [öb-
lichen Deutjchen von der römiſchen und babylonifchen Gefäng-
niß als der rechte Samfon zu erloͤſen“!). Es ift das Jahr
1520, in dem Luther feine aufregenden Tlugjchriften Von des
hriftlichen Standes Beſſerung an den Adel deutſcher Nation,
Bon der Freiheit eined Chriftenmenfchen, Bon der babylonifchen
Gefangenjchaft der Kirche ausgehen ließ. Er wendet fich zum
erften Mal an die Maſſe: er redet in der Sprache des Volfez,
er hat den ausſchließlich theologifhen Standpunkt aufgegeben,
feine Ideen berühren Kirche und Staat, die großen Fragen ber
Nation, feine Refornwvorfchläge ftellen im politifchen nicht minder,
wie im Firchlichen Leben die durchgreifendften Veränderungen
in Ausſicht. Rückſichtslos, mit unerhörter Kühnheit trägt er
fie vor. Selbſt vor Krieg und Aufruhr bebt er nicht zurüd.
„Ich beſchwöre Dich”, jchreibt er an einen Freund, „wenn Du
dag Evangelium recht verftehjt, jo glaube ja nicht, daß deſſen
Sache ohne Tumult, Aergerniß und Aufruhr geführt werben
könne. Du wirft aus dem Schwerte feine Feder, au dem
Kriege feinen Frieden machen: das Wort Gottes ift ein Schwert,
ift ein Krieg, ift Zerjtörung, ift Aergerniß, ift Verderben, ift
Gift, und, wie Amos jagt, wie der Bär auf dem Wege und
wie die Löwin im Walde, fo tritt es den Söhnen Ephraim
entgegen” 2).
Es find die Wirkungen des von feinen beiden ftürmifchen
Freunden ausgegangenen neuen Impulſes, die fich in dieſer
leivenjchaftlihen Erhebung des. Reformators anfündigen.
1) Mathefins 1. c. fol. 16 b.
2) Luther an Spalatin, Februar 1520. De Wette I, 417,
— 4 —
Seit der Disputation von Leipzig hatte die Verbindung
mit Männern, wie Erotus und Hutten, für Luther nichts Be
denkliched mehr. In der Aufregung, in welche er durch den
Ausgang, jenes Geſprächs verfeßt worden, war er für die ver
wegenften Rathichläge empfänglih. Die inhaltfchweren Mahn:
fhreiden des Crotus aus Bologna fanden deshalb feinen ganzen
Beifall: er ließ fie im Kreife feiner Freunde verbreiten und
ſäumte nicht, alsbald dem eifrigen Verfechter feiner Sache jen-
jeit der Alpen ein Antwortfchreiben entgegenzufenden, obgleich
Crotus felbit jeine Rückkehr als nahe bevorftehend angekündigt
hatte !). Mit Hutten trat Luther fogar noch früher in Ber:
bindung, als diefer felbft ven Teßten entfcheidenden Schritt gethan:
fhon im Mai 1520, als Hutten für feinen Verkehr ſich noch
der VBermittelung Melanchthons bediente, Tieß Luther ihn Briefe
zulommen ?). An Sicingen ſchrieb er, wie Crotus gewünſcht,
nicht bloß einmal, fondern allem Anfcheine nach wiederholt °).
Daß Luther eben aus diefem Verkehr den Muth zu jenem
tühnen, rückſichtsloſen Auftreten geſchöpft hat, ift nach feinen
eigenen Aeußerungen unzweifelhaft. Bor Allem war es ber
ihm von Erotuß wie von Hutten in Auzficht geftellte Schuß
1) Vgl. Corp. Ref. I, 202; Miey 1. c. II, 12; Unſch. Nachr. Jahrg.
1723. p. 707.
2) Vgl. Luther an Spalatin 5. März 1520: ‚„„Hutteno, Fabricio, Pel-
licano, Erasmo scriptum est ab utroque nostrum et multis aliis.“
De Wette I, 445. An benfelben am 31. März: ‚Mitte literas, mi Spa-
latine, ad Huttenum, Siccingen, et Taubenheimum nostrum: tui quaeso
sit officii, opportune eos curare.‘“ 1. c. I, 451. Auffallend, wie man
diefe Stellen hat überfehen können.
s) Bol. De Wette I, 451, 460. — Alle diefe Briefe an Crotus, Hutten,
Sidingen find verloren gegangen; nur ben Inhalt des einen an Hutten
gerichteten erfahren wir durch Cochläus: „De quo (scil. Sickingen) scrip-
serat occulte ad Ulrichum Huttenum suum Lutherus, se plus confi-
dentiae erga illum gerere, majoremque in eo spem habere, quam
habeat in ullo sub coelo principe.‘“ De Actis et seriptis Martini
Lutheri. fol. 86 b. — Ueber Huttens Verhältniß zu Wittenberg im Som:
mer 1520 vgl. auch Corp. Ref. I, 201, 263, 264,
— 75 —
der Ritterſchaft, der ihn ermuthigte. „Franz von Sickingen“,
ſchreibt er an einen ſeiner Ordensgenoſſen, „verheißt mir durch
Hutten ſeinen Schutz gegen alle meine Widerſacher. Das
Nämliche thut Silveſter von Schauenburg mit einigen fränki⸗
ſchen Adligen. Ich habe einen ſchönen Brief von ihm. Nun
fürchte ich Nichts mehr, ſondern gebe jchen ein Buch in deutfcher
Sprache gegen den Bapft heraus von des chrijtlichen Standes
Beflerung” 1). „Silvefter von Schauenburg und Franz von
Sickingen“, erflärt er mit der größten Offenheit im einem
Schreiben an Spalatin, „haben mich von der Menichenfurcht
befreit” 2). Im Vertrauen auf den Schub, den ihm die Her:
bergen der Gerechtigfeit — wie Hutten die Burgen feines
Freundes nannte — zur Stunde der Gefahr gewähren würden,
wagt er es, Fühnlich feinen Gegnern Trotz zu bieten, Huttens
Wahlſpruch zu dem jeinigen zu machen *), dem römifchen Papft,
deſſen Gunft und Ungunft ex jet verachtet, offen den Fehde⸗
handſchuh Hinzuwerfen, „va nicht bloß in Böhmen, jondern
mitten in Deutſchland Männer feien, die fich feiner annehmen
würden.”
Aber Luther empfing von diejer Seite nicht bloß den Muth,
offen und kühn mit feinen Ideen heroorzutreten: Huttens und
Crotus' Einfluß erftreckte ſich auch auf letztere ſelbſt. Es ift
bezeichnend, daß die Vorftellung, der Papſt ſei der Antichrift,
eben durch die Lectüre jener Schrift bei Luther hervorgerufen
wurde, mit der Hutten feinen Feldzug gegen Rom eröffnete *).
ı) Luther an Voigt 3. August 15%. De Wette 1, 475. Das Schreiben
des Schauenburg d. d. Montag nach Corporis Christi bei Münd, Franz
von Sidingen I, 173.
2) De Wette I, 469. „Quia enim jam securum me fecit Silvester
Schauenberg et Franciscus Siccingen ab hominum timore, succedere
oportet daemonum quoque furoremn.‘“
2) „a me quidem, jacta mihi alea, contemtus est Romauss furor
et favor: :nolo eis reconciliari neo communicari in perpetuum.‘‘
Luther an Spalstin 10. Juli 1520 1. ce. I, 466.
2) Bol. De Wette I, 420.
— 76 —
Jener tiefe, leidenſchaftliche Haß gegen Nom und Papſt Tonnte
erſt da in ihm aufkommen, als Crotus und Hutten wetteiferten,
ihm in heimlichen und öffentlichen Schriften die Verſunkenheit
und Schändlichkeit der Curie zu enthüllen ). — Indeß äußert
ſich ihr Einfluß noch beſtimmter: es läßt ſich ſogar wahrnehmen,
wie jeder von beiden in ſeiner eigenthümlichen Weiſe auf Luther
eingewirkt hat. Es ſind, kann man ſagen, vornehmlich zwei
Züge, die Luthers Auftreten im Jahre 1520 charakterifiren:
die mwegwerfende. Verachtung gegen feine tbeologijchen Wider:
facher und der Patriotismus, den er im feinen Volksſchriften
zur Schau trägt: mit Geringſchätzung und Verachtung fchreitet
er gleichjam über die theologifchen Gegner hinweg, um fid
nunmehr mit feinem Anliegen an die Nation zu wenden. Wir
fahen bereit, wie eben nach der eriten Richtung bin vorzugs-
weife Crotus auf ihn einzuwirfen bemüht war, wie er burd
bie gehäffigiten Schilderungen ihm mit dem Haſſe zugleich bie
tiefite Verachtung gegen Prierias und feines Gleichen einzu:
flößen juchte, und wie dem entfprechend die Tactik war, die er
ihm anrieth. Die Art und Weife, wie Luther 1520 feine
Gegner zu behandeln anfing, zeigt, daß die Bemühungen bes
Crotus nicht erfolglos geblieben find. Die verächtliche Abfer:
tigung des Silvefter Prierias, deſſen dritte Streitfchrift er
jelbjt, mit einigen jpöttifchen Randgloffen verfeben, von Neuem
herausgab, die Streitichrift gegen Latomus, den er durch
wigige Ausfälle und komiſche Wortbildungen im Gefchmad
der Epistolae obscurorum virorum dem allgemeinen Gefpötte
preis gibt, laſſen auf das unzweideutigfte den Einfluß de
Crotus und namentlich die Wirkung des bamberger Schreibens
1) Die Schilderung, welche Luther in ber Borrebe zu bem liber tertius
be Prierind von den römiſchen Zuftänden gibt, erinnert ben Leſer unwill⸗
fürlih an die früher erwähnte des Crotus. Man vergleiche 3. B. Luthers
Aeußerung ‚‚Extincta in ea (Roma) jam dudum fides, proscriptum
evangcelium, exul Christus‘ mit den früher angeführten Weußerungen bed
Crotus über die römischen Zuſtände.
— 17 —
erkennen 1). — Indeß dürfen wir uns nicht darüber wundern,
daß der Einfluß des Crotus ſo lange überſehen worden: er
tritt in der That in den Hintergrund gegen die ungleich wich-
tigere, folgenreichere und auch wahrnehmbarere Einwirkung,
bie Luther durch Hutten erfuhr. Man muß gejtehen: recht
eigentlich vom Hauche des Hutten’fchen Geiftes ergriffen, ſchrieb
Zuther jeine Flugſchrift an den Adel deuticher Nation von des
riftlihen Standes Beſſerung. Sie iſt jein offenes Kriegs⸗
manifeft gegen Nom, obſchon nur wenige Bogen ftark, die
wichtigste Schrift des Reformatord, nicht bloß wegen der Fülle
neuer reformatorifcher Gedanken, die fie entwickelt — Gedanken,
welche die gefammte Hierarchie in ihren Grundlagen erjchüt-
tern — jondern weil er bier zum erjten Mal jeinen Stanb-
punkt entjchieden in den nationalen Ideen nimmt ?). „Lafiet
1) Die Streitfchrift des Prierias: De jJuridica et irrefragabili veri-
tate Romanae Ecclesiae Bomanique Pentificis liber tertius, index
quidem longissimus, sed brevissimum epithoma gab Luther gleichzeitig
mit dem Aufruf an den Adel heraus. In den beigefügten Randgloſſen ver:
fucht ſich Luther zum erften Mal, nad) bem von Crotus aufgeftellten Satze:
sunt novis erroribus nova confingenda vecabula, in bem Gebrauch bes
Colonialiter, Lovanialiter, Sylvestraliter etc. Noch mehr verfällt er in
diefen Ton in ber Schrift gegen Latomus: Rationis Latomianae pro in-
cendiariis Lovaniensis Scholae sophistis redditae Lutheriana Confu-
tatio, die außer den crotiniſchen Wortbilbungen Magistraliter, Latomia-
liter, Latomaster u. dgl. auch mehrere crotinifche, dem bamberger Schreiben
entlehnte Gedanken enthält. Der Einfhuß des Crotus ift hier um jo unver⸗
Tennbater, da eine frühere, denſelben Gegenftand behandelnde Streitfchrift gegen
bie Lömener, bie noch vor bem Empfang des bamberger Schreibens verfaßt
wurde, durchaus ernft und ruhig gehalten if. — Cochläus, dem dieſe Reue:
rung in Luthers tbeologifher Kampfweife nicht entging, kannte ihre Duelle
nicht, oder wollte fie nicht verrathen. Vgl. De actis et scriptis ad a. 1520
fol. 22 b. — Indem Crotus Luther feine Gegner verachten lehrte, gab er
ihm die Waffen in die Hand, die diefer fpäter gegen ihn ſelbſt Tehrte!
2) Abgedruckt in der Wittenb. Ausgabe von Luther Werfen Theil VI,
543 — 68. Die Debication ift datirt vom Abend St. ob. Baptiftä 1520,
Erſchienen ift fie wohl erfi Anfangs Augufl. Vgl. De Wette I, 475. — Es
ift bezeichnend für den Stanbpunft der Geſchichtſchreibung des Sleidanus,
daß er von biefer Schrift fchweigt und Hutten ad a. 1523 mit wenigen
— 78 —
uns aufwachen lieben Deutſchen“, ruft er aus, „und Gott mehr
gehorchen, denn die Menſchen fürchten, daß wir nicht theilhaftig
werden aller armen Seelen, die ſo kläglich durch das ſchändlich
teufeliſche Regiment der Roͤmer verloren worden.“ Er will
die Nation befreien helfen von dem tyranniſchen unchriſtlichen
Joche der Römer, rathend und ermunternd denen zur Geile
ftehen, „die da mögen und geneigt find, deutjcher Nation zu
helfen, wiederum chriftlich und frei zu werden, nach dem elenden,
heidnifchen und unchriftlichen Regiment bed Papſtes.“ Sein
Borbild aber ift Hutter. Es gejchieht im Geiſte Huttens,
wenn er vor Allen den Stumpffinn der tollen und. trunfenen
Deutichen beklagt, mit dem fie feither alle Erfindungen be}
römischen „Raubjtuhl3” Hingenommen !). Wie Hutten, ſo iſt
auch ihm das Papſtthum eine brücende Fremdherrſchaft, eine
nicht Länger zu duldende politiiche Bevormundung beutjcher
Nation. Auch er ſucht die alten Faiferlichen Antipathien gegen
Rom neu zu beleben. Huttens Flugſchriften haben zum größten
Theile den Stoff geliefert, wenn Ruther, der Mönch, fo berebt
über die finanzielle Ausbeutung der deutfchen Gutmüthigfeit
durch Indulgenzen, Annaten, Balliengelver, Türkenzehnten,
Pfründerverleihungen zu fprechen weiß?). Es ift unmöglid,
Worten abfertigt; „Inter alios Germaniae viros doctos, qui Luthero
plurimum favebant, erat Ulrichus Huttenus Francus, nobili gemere
natas: is huc anno sub exitum Augusti mensis, in Tigurisorum faibus
mortem obiit. Extant quaedam ejus opuscula, quae magnaam ingenü
libertatem et acrimoniam ostendunt.‘“ Vgl. J. Sleidani de state relig.
et reip. comment. ed. Am Ende I, 214.
ı) Die Dummheit und den Stumpffinn der Deutfihen gegemüber ben
Betrügereien des Papſtes Lebt Hutten mit befonberer Vorliebe hervor; vgl.
u. 9. feine Borrede zu der Schrift de Laurentius Valla. Münd IT, 415.
— Auch die „tollen und vollen Deutſchen“ Luthers verbanfen Hutten ihren
Urfprung.
2) Sedenborf 1. c. I, 112 iſt erftaunt über bie außerorbentliche Sad:
fenntniß, die Luther hier entwidelt. „Deinde remedia expendit adversus
luxum, avaritiam, Simoniam ecclesiasticam, omnesque Romanae curiae
defectns, quos longo ordine recenset: ut tantam rerum peritiam, noa
— 9 —
ben Einfluß des Ritters zu verfennen, wenn von ber Ser:
ftörung, die Luthers Reformvorschläge über eine Neihe Firch-
licher Inſtitutionen verhängen, die Domftifter, als nothwendige
Berforgungsanftalten für den Adel ausprüdlich ausgenommen
werden !). Und tritt diefer nicht Schon dadurch deutlich genug
hervor, daß eben dem Ritterftande, deſſen Organ Hutten in
diejem Augenblicke war, das Werk der Reformation aufgetragen
wird? „Gott. gebe und Allen”, fchließt der Aufruf, „einen
hriftlichen Verſtand und ſonderlich dem chriftlichen Adel deutſcher
Nation einen rechten geiftlichen Muth, der armen Kirche das
Beite zu thun!”
Faſt drei Jahre hatte Ruther feine Sache mit den Waffen
theologijcher Gelehrſamkeit verfochten, unbeirrt durch Die zu
feinen Gunften wirffamen Elemente der nationalen Oppojition:
nun eignet er fie ſich in ihrer radikalſten Geftalt an. Wohl
erkannte er dag Bebdenfliche eines ſolchen Schrittes, wohlmei-
nende Freunde warnten ihn, aber Haß und Xeidenjchaft trieb
ihn dazu, feine theologifchen Ueberzeugungen rechtfertigten ihn.
„Bir find bier überzeugt”, ſchrieb er in jenen Tagen an Lange
in Erfurt, dem der Aufruf an den Abel einige Bejorgniß erregte,
„daß das Papſtthum ver Sit des wahren und wirklichen Anti-
chriſts tft, und halten dafür, daß und zur Hintergehung und
zum Verderben desfelben, um des Heiles der Seelen willen,
Alles erlaubt it” 2).
nisi cum admiratione ia homine monacho et scholae atque Cathedrag
addicto cognoscere liceat,“ Kine VBergleihung ber Luther'ſchen Schrift
mit der Trins Romana würde das Erftaunen einigermaßen vermindert haben.
1) „Sch rede aber hie mit nichte von den alten Stifften vnd Thümen,
welche on zweivel darauff find geftifft, das, dieweil nicht ein iglich Kind vom
adel Erbeſitzer vnd Negierer fein fol, nach deudſcher Nation. jitten in. benjelben
Stifften möcht verforgt werben, vnd alda Gott frey dienen, ſtudiren und gelert
Leut werden und machen.” Wittenb. Ausg. VI, 561 b.
2) Luther an Lange 18. Auguft 1520. De Wette I, 478.
— 9 —
V.
Es hatte im Sommer 1520 den Anſchein, als würden
Huttens Ideen in der Nation zur Herrſchaft gelangen. Die
Zuſtände im Reich konnten kaum günſtiger ſein. Das neuge—
wählte Oberhaupt war noch abweſend und bei dem Mangel
einer durchgreifenden Reichsregierung fanden demagogiſche Wüh—
lereien jeder Art ein offenes Feld. Von Karl V. ſelbſt hoffte
die Bewegungspartei Gutes. Es liefen Gerüchte umher von
einer Spannung zwiſchen Kaiſer und Papſt, der bald ein of—
fener Kampf folgen werde‘). Luthers Aufruf an den Adel
hatte eine ungeheure Wirkung hervorgebracht: in wenigen
Wochen wurden viertaufend Eremplare vergriffen ?). Sp weit
ging der Theologe zwar nicht, daß er, wie Hutten gewünjct,
geradezu jeinen Wohnfig unter der revolutionären Ritterjchaft
genommen hätte, aber er blieb doch dem Geijte, der fich in dem
Aufruf an den Adel angefündigt hatte, getreu. Selbſt die ver-
wegenften Anjchläge des Ritters ſchreckten ihn nicht zurüd°).
In den Flugichriften, welche er in der nächiten Zeit ausgehen
Tieß, entwicdelte er eine Kraft und Fülle volfsthümlicher Be:
redſamkeit, die Alles unmiderjtehlich mit ſich fortriß %). Ge
1) Vgl. Cochlaeus 1. c. 18 a. ‚‚Inter Carolum et Leonem noa
arclam fore amicitiam omnes arbitrantur‘‘, jchrieb Hutten noch im Ro:
vember an Bucer (Zeitſchr. für hiſtor. Theologie Jahrg. 1855 p. 621), und
an Luther fogar noch im December: ‚‚Futurum, nonnulli arbitrantur,
magnae Inter utrumque infensionis hoc tempore initium. Münd EI,
618. So ganz grundlos waren jene Gerüchte nicht. Vgl. Ranke ı, 872.
2) Vgl. De Wette I, 478, 480.
3) Billigte er doch fogar Huttend mörderiſche Anſchläge auf das Leben
des päpftlichen Legater. „Gaudeo Huttenum prodiisse, atque utivam
Marinum aut Aleandrum intercepisset‘“ an Spalatin 13. Novbr. 15%.
De Wette I, 523,
+) Der Abfab feiner Schriften war ungeheuer: ‚„‚Nihil frequentius
emitur, nihil cupidius legitur, nihil diligentius tractatur‘‘, fchrieb
Spalatin im September 1520 von Frankfurt aus an Mutian. Bgl.
— 31 —
räufchlofer und weniger bemerkt diente Erotuß, der Humanift,
welcher inzwiihen Banıberg mit Fulda vertaufcht hatte, der
gemeinfamen Sache: als geheimer Agent. Seine Waffe war
immer die namenlofe Satire gewelen: fie blieb es auch jetzt ’).
Der Thätigfte war Hutten felbjt, der Unermüdliche. Nad)
jenem erſten Schreiben an Luther trat er ungeläumt die Reife
nad Brabant au, um den jungen Erzherzog für die Sache
der Freiheit zu gewinnen. Die wenig verjprechende Aufnahme,
welche er am brüjjeler Hofe fand, entmuthigte ihn nicht. Voll
von feinen Entwürfen finden wir ihn nach feiner Ruͤckkehr
auf neuen Kreuz: und Duerzügen in ben Rhein: und Main-
gegenden. In Tulda hielt er mit Crotus abermals eine Zu-
jammenfunft 2). Schon im Mai hatte er eine neue Schrift
für „die gute Sache” veröffentlicht: eine Samınlung von Senb-
Ichreiben aus der Zeit des großen Schisma's, die ihm in Bop⸗
pard in die Hände gefallen war, nebjt einer Vorrede, „an alle
Freien in Deutſchland“ ?). „Schon ift die Art an die Wurzel
gelegt”, verkündet er ihnen, „und ausgerottet wird jeder Baum,
ber nicht gute Frucht bringt, und de Herm Weinberg ge-
Tertius lib. epp. Rob. C 5a. Ein einziger Buchhändler verkaufte auf einer
franffurter Meſſe 15% allein 1400 Eremplare von Luthers Schriften.
ı) Er felbft jagt von ben Jahre 1520: „Fuit mihi is annus incon-
stantissimus“, weil ed ihm fo wenig Ruhe vergönnt habe. Vgl. Crotus an
Luther 5. December 1520, abgebr. in Unſch. Nachr. Jahrgang 1723 p. 708.
ebenfalls kurze Zeit nach dem bamberger Aufenthalt muß er da3 Conei-
liabulum Theologistarum adversus Germaniac et honnrum Jitterarum
studiosos Coloniae eelebratum (Münd VI, 377— 89) gefchrieben haben,
das fih dur Inhalt und Auffaffung als fein Erzeugniß charalterijirt: es
gibt die Stimmung, in der er fi) in Bamberg befand, trefflich wieder.
2) „„Sedit meenm (Huttenus) Vuldae V dies, paucos post dies,
ubi cum Hogstrato fuerat congressus. Crotus an Luther 1 c. p. 707.
3) De schismate extinguendo et vera ecclesiastica libertate ad-
serenda epistolae aliquot mirum in modum liberae et veritatis studio
strenune. Cum Praef, ad liberos in Germania ones, Die Vorrede
(bei Münch III, 561—64) ift -batirt Inter equitandum VI Cal. Jun. 1520
und fchliegt mit dem Vive lihertas! Jacta est alen!
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. II Tbeit. 6
— 82 —
reinigt werden. Das ſollet ihr nicht mehr hoffen, ſondern in
Kurzem mit Augen ſehen. Inzwiſchen ſeid guten Muths, ihr
deutſchen Männer, und muntert euch gegenſeitig auf. Nicht
unerfahren, nicht ſchwach find eure Führer zur Wiedererlangung
ber Freiheit“ 1).
Es war gewiß nicht zu verwundern, wenn man in Rom,
wie gegen Luther, ſo auch gegen Hutten einſchreiten zu müſſen
glaubte. Am Sommer 1520 empfing der Erzbiſchof Albrecht
von Mainz, des Ritter? bisheriger Gönner, ein päpftlichez
Breve, das ihn, unter Hinweifung auf Huttens kirchenfeind⸗
liche Thätigkeit, aufforderte, dem Treiben desſelben ein Ziel zu
jeßen und nöthigenfall® mit Strenge gegen ihn zu verfahren ?).
Diefer Vorgang, über den Hutten felbjt die ungeheuerlichften
Gerüchte in Umlauf jebte?), fteigerte feinen SIngrimm und
Haß auf's Höchſte. Nun fei es, jchrieb er an einen Freund,
mit feiner Milde zu Ende, denn er jehe, daß die römischen
Leuen nach Blut lechzten *). In einer Reihe von Öffentlichen
Senbichreiben, bie er im Monat Septeniber auf den Burgen
jeined Sickingen abfaßte, rief er bie gefammte Nation, Kaifer,
1) Münd It, 563.
2) Das Breve (batirt vom 12. Juli 1520) ift abgedr. bei Mieg 1. c. Il,
47—48 und Münch III, 567—68. Die Ausdrüde find mild genug gewählt:
Hortamur circumspectionem Tuam ... . ut talium compressa teme-
rFitate, quae in hanc sedem iniquis animis efferuntur, aut ad modestiam
se convertant, aut ea in maledicos indicia severitatis tuae edantur,
quae ct ipsos et caeteros possint a tanta petulantia coercere.‘‘
3) Vgl. Luther an Spalat. 11. Sept. 1520. ‚‚Hutten literas ad me
dedit ingenti spiritu aestuantes in Rom. Pontificem, scribens se jam
et literis et armis in tyrannidem sacerdotalem ruere: motus, quod
Pontifex sicas et venenum ei intentarit ac Episcopo Moguntino man-
darit, captum et vinctum Romam mittere.“ De Wette I, 486. Das
Breve jagt bavon Nichts. Luther war um dieſe Zeit nahe daran, ſich rüd:
haltlo mit Hutten zu verbinden. 1. c.
*) Hutt. Capitoni d. d. Gelnhausen 6 Jd. Aug. Zeitfchr. für Hill.
Theol. 1855 p. 627. — Der ganze „päpftliche Anfchlag auf Huttens Freiheit
und Leben“ beruht auf Huttens Ausfagen!
— 83 —
Fürſten und alle freien deutſchen Männer auf, ihm. gegen
Roms blutige Anschläge beizuftehen, nun endlich dag entehrende,
tyrannifche Zoch des Papftes, der nie Anderes, als daS Ber:
berben der Nation bezwect, abzufchütteln. In dem Send:
Tchreiben an den Kaifer — dem erſten in der Reihe — ftellt
er feine Sache als die des Kaiferd dar, den Haß der Roma-
niften gegen ihn als eine Kolge feiner Faiferlichen Geſinnung,
bes römifchen Papſtes Herrichaft als eine Schmach deutſcher
Nation, die auszutilgen Karl V. durch die göttliche Vor:
jehung berufen jei!). Noch Leivenfchaftlicher ift feine Sprache
in dem zweiten Sendjchreiben, das an Luthers Gönner, Trieb:
rich den Weifen, gerichtet iſt. „Kann dieſe Tyrannei noch ärger
werden”, ruft er ihm zu, „muß fie nicht zufammenjtürzen?
Aber wer joll dies bewirken? Gott! Freilich Gott, aber doch,
wie immer, durch menjchlihe Hände. Und wie verhaltet ihr
euch dabei, ihr Fürſten? — Was gibts Erbärmlicheres für
unſere Nation, die Königin ‘der Völker, ald einem Fremden
bienjtbar fein und noch dazu müffigen Pfaffen! Lieber ben
Türken unterthan fein, bie doch Männer ſind!“ Den Schluß
bildet das Sendſchreiben „an' die Deutſchen aller Stände“,
dad er durch öffentlichen Anſchlag bekannt machen ließ 2).
„hut die Augen auf ihr Deutjchen”, jo faßt er gegen
dag Ende den Hauptinhalt zufammen, „und ſehet, wer es iſt,
ber euch daheim beraubt und auswärts in üblen Ruf bringt,
und von allem Unglüd, allem Elend bei euch die Schuld trägt.
Es find die nichtöwürdigen Ablaßfrämer, die heillofen Ver:
faufer von Gnaden, Dispenfationen, Abfolutionen und jeg—
licher Art von Bullen, die einen Handel mit heiligen Dingen
in die Kirche Gottes eingeführt haben, während Ehriftug Käufer
und Verkäufer aus den Tempel hinaustried. Sie find bie
2) „Te singulari quadam erga patriam hanc misericardia et benig-
nitate Christus nfisit, Carole Auguste, qui inspicias haec quique
emendes.“ Münd II, 5%. u
2) Bol. Münch V, 416.
6*
— 84 —
Werkmeiſter alles Trugs, die Erfinder der Ränke, die Urheber
der Knechtſchaft und Gefangenſchaft dieſes Volks.“ — „Laſſet
und zerreiſſen ihre Feſſeln“, ſchließft er mit den Worten des
Pſalmiſten, „und von und werfen ihr Joch!“)
ALS Luther diefe Sendfchreiben durch Erotuß "empfing,
meinte er, nun müſſe das bisher unbefiegte Papſtthum zu-
jammenftürzen, oder der jüngite Tag ftehe vor der Thür ?).
Gleichwohl ift außer Trage, daß. er felbjt durch feine letzten
Flugſchriften mehr zur Erfchütterung desſelben beigetragen,
als Huttens aufregende Sendjchreiben. Luther ſchrieb deutſch.
Hutten Hatte fich either ausfchließlich der Tateinifchen Sprade
bedient: die Wirfung feiner Schriften blieb größtentheil3 auf
bie Gebildeten beſchränkt. Dies konnte ſich Hutten jelbjt nicht
verbergen, und fo faßte er im Herbſt 1520 den Entichluß, wie
er vorher fchon im Geifte Luther? Bibelfprüche und Kirchen
väter an die Stelle der claſſiſchen Autoren hatte treten Laffen,
fo nun auch nach Luthers Vorgang, fih an die Nation in
ihrer eigenen Sprache zu wenden:
Latein ich vor gefchrieben hab,
Das was eim jeben nit befannt:
Jetzt fchrei ich an dag Vaterland,
Teutſch Nation in ihrer Eprach,
Zu bringen diefen Dingen Rad °).
Noch vor Ablauf des Jahres erjchien feine deutſche Klag
und VBermahnung gegen den unchriftlichen Gewalt des Pap-
ſtes und der ungeiftlichen Geiftlihen +). Es ift eine Zuſam—
ı) Die Sammlung biefer Sendfchreiben, zu denen noch zwei Fleinere an
Albrecht von Mainz und deifen Rath Sebaftian von Rotenhan kommen —
da8 an Luther ift verloren gegangen — erfchien im October 1520. Abgebr.
bei Münch 1. c. III, 577—616.
2) Val. Luther an Spalatin 15. December 15%. De Wette I, 533.
s) Mitnch V, 66.
*) lag vnd vormanung gegen bem übermäſſigem undhriftlichen gewalt
des Bapſis zu Nom vnd ber üungeiftlichen geiftlichen, durch Herren Vlrichen
— 85 —
menfaſſung alles deſſen, was er in ſeinen verſchiedenen latei⸗
niſchen Schriften zur Aufregung der Nation veröffentlicht hatte,
vielleicht die heftigſte unter ſeinen Schriften, „ein zorniger
Spruch“, wie er ſie ſelbſt nannte. Alles, was er jemals über
Roms Sittenloſigkeit und Tyrannei, über römiſches Curtiſanen⸗
weſen und Deutſchlands Erniedrigung geſchrieben hatte, wird
hier nachträglich auch dem gemeinen Manne in ſeiner Sprache
vorgelegt, daran aber, ungeſtümer, als je zuvor, die Auf—
forderung geknüpft, jetzt endlich, nachdem die Sache der Nation
zwei Sprecher gefunden — Hutten und Luther — ſich zu er-
mannen und Deutjchland von der Pfaffenherrichaft zu befreien.
Hutten trägt fein Bedenken, geradezu eine bewaffnete Erhebung
der Nation zu fordern. Herzu, heißt es gegen Schluß,
Herzu ihr frommen Teutfchen al,
Mit Gottes Hilf der Wahrheit Schal!
Ihr Landsknecht und ihr Reuter gut
Und al die haben freien Muth!
Den Aberglauben tilgen wir,
Die Wahrheit wieberbringen bier,
Und d’weil das nit mag fein in gut
So muß «8 Toten aber Blut).
Eine zweite deutſche Schrift hat den Zwed, den Kaiſer, auf
deſſen Beiftand er auch jetzt noch hofft ?), über feinen wahren
von Hutten, Poeten und Drator, der ganken Chriftenheit und zuuorann bem
vatterland Teutſcher Nation zu nutz vnd gut ꝛc. in Reymens weyß befchriben
— wahrjeinlih in November 1520 erjchienen. Abgebr. bei Münd 1. c.
V, 59—101. Ueber die Mißhandlung bes Tertes dur Münch vgl. Strauß
II, 104.
ı) Mind V, 8.
2) So heißt e& in ber Vermahnung 1. c. 76:
So hoff ih zu Küng Carlus Muth,
Daß ſey in ihm ein teutfches Blut,
Und werd mit Ehren üben fi
Dem Bapft entgegen gewaltiglich
Und nehmen ab von feinem Fuß
Die Krone nit; ich hoff’ er thu's u. f. w.
— 86 —
Beruf aufzuklären: ihm „aus Chroniken und Hiſtorien“ vor:
zuführen, wie bie deutſchen Kaiſer von den Päpſten noch nie
Billiges, fondern immer nur Verrath, Betrug und Undank er-
fahren haben). Dann begann er feine frühern Yateinifchen
Schriften in's Deutfche zu überfegen. In Kurzem lag jene
aufregende Gefprächfammlung vom April in deutfcher Bear:
beitung dem Volke vor?). Auf dem Titelbilde erblidte man
Luther und Hutten neben einander, als die beiden Helden der
Nation.
Und da waren fie in biefem Augenblide in der That. Schon
erfchienen fte auch in andern Flugichriften vereint al3 Die beiden
von Gott erweckten Befreier des deutſchen Volkes?). Ihre Sache
erichten ald die nämliche. War Luther durch Hutten in bie
Tendenzen der nationalen Oppofition eingeführt worden, jo trat
andrerfeit3 bei Hutten der Einfluß der neuen religiöjfen Ideen
1) „Anzoig Wie allwenen fich die Nömifchen Biſchöff oder Bäpſt aegen
ben teutfchen Kayßeren gehalten haben“, nach einer fpätern Ausgabe abgebt.
bi Minh v,10 ff.
2) Bei Münch V, 157— 365.
3) Bol. Oratio ad Carulum nıax, Augustum et Germanos Prin-
cipes pro Ulricho Hutteno eq. G. et Martino Luthero patriae e&
Christianae libertatis Adsertoribus Authore S. Abydeno Corallo. Ab:
gebruckt bei Münd, VI, 520—30. „Quum eo prolaberentur res nostrae“‘,
heißt e8 im Eingang, „ut neque spes esset ultra potiundae libertatis,
et rapiendi (von den Romaniften) neque modus esset neque finis, pro-
videntia quadam et dei optimi maximi dispensatione haec aetas duos
prudentissimos et eloquentissimos viros nobis produxit, Marlinum
Lxther, praeter insignem eruditinnem mirae pietatis, et alterum Ul-
richum Hutten, equitem Germanum, militarem hominem, sed qui inter
militandum etiam optimas literas non neglexerit: ut nescias, cui stre-
nuius militaverit, bellone an litteris. His indignum simülque intole-
rabilc visum est, qui diutius serviamus et jugum illud Pharäonicum
nisi sunt abrumpere etc. 1. c. 520—21. — AB Oreſtes und Pylades
erihjeinen Luther und Hutten vereint in der Litaneia Germanorum (Bol
Strauß I, 183); als die „zwen Gottes Botten“ werben fie gemeinfchaftlich
dem Schutze des Kaiſers empfohlen in der Kläglichen Klag an ben chriftlichen
römifchen Kaifer Carolum von wegen Doctor Luther vnd Ulrich von Hutten’
bei Mündy VI, 592—45,
— 87 —
von Tag zu Tag unverkennbarer hervor: ſeine Sprache wurde
immer bibliſcher, ſeine Freiheitsidern nahmen immer mehr die
evangeliſche Geſtalt an. Das Erſcheinen der päpftlichen Bulle
gegen Luther verſetzte dieſen ſelbſt kaum in größere Aufregung,
als ſeinen geharniichten Bundesgenofjen. Während Luther
feiner Erbitterung in mehreren heftigen Invectiven gegen „die
Bulle de Antichriſts“ Luft machte), verfah Hutten den päpft-
lichen Spruch mit einem Eommentar, der ihn dem allgemeinen
Hohne preiß gab, und beſchwor die Nation, bie neue, durch
Luthers VBerdammung, dem deutfchen Namen zugefügte Schmach
nicht ungerächt zu laſſen?). Da blieb auch der Dritte im
Bunde, der Humanift, nicht zurück: in einer an Kaifer und
Reich gerichteten Rede nahm Erotus den Verkünder der evan-
geliſchen Wahrheit gegen den römischen Löwen in Schuß ?).
So vereinigten ſich die religiöſe, politiiche und humaniſtiſche
Dppofition zum gemeinfamen Kampfe gegen Nom. A’ ver
Zündftoff, der im Laufe des letzten Jahrhunderte in ber
Kation ſich gejammelt Hatte, loderte jest in einer einzigen
Flamme empor. Das von Rom unterdrüdte Evangelium war
die alle oppofitionellen Elemente verbindende Loſung geworden.
Und immer inniger wurbe das Bundniß. Am 5. Decem-
1) Widder bie Bullen des Endchriſts. Von den newen Eckiſchen Bullen
vnd Lugen u. a. Vol. Wittenb. Ausg. VII, 49 ff. 99 fi. 135 ff.
2) Bulla Decimi Leonis contra errores Mart. Lutheri et sequa-
cium bei Münd IV, 5-46. — ‚‚Huttenus bullam postulavis salsiesimis
notis in Papam et varia in hanc rem meditatur‘‘, fehrieb Luther darüber
an Spalatin. De Wette I, 542.
3) Oratio Constantini Eubuli Moventini de virtute clavium et
bulla condemnatoria Leonis Deeimi contra Mart. Lutherum ad Imp.
Carolum ac Priscipes Germaniae bei Münch VI, 504—18. Schon
Burfhard (1. c. IH, 312) und Panzer (Ulrich von Hutten in literar. Hinf.
p. 204) hielten Crotus für den Verfafler diefer Mede. Daß Erotus einer jo
ernften Sprache, wie fie in diefer Rede vorherrſcht, wohl fähig war, zeigt das
größere bolognefer Schreiben hinlänglich, und in ber häufigen Hervorhebung
ber Blindheit ber Theologen, bie Anderen mit ihrem Kichte vorangehen follten,
erfennen wir den Lieblingdgebanfen bed Crotus wieber.
— 88 —
ber 1520 richtete Crotus ſein drittes größeres Sendſchreiben
an Luther!). In keinem der frühern hatie er die Größe und
den hohen Sinn des Reformators jo überjchwenglich gepriefen,
al? es in dieſem gejchieht. Er nennt ihn den „beiligiten Hohen:
priefter”, „ven Evangeliften, den die himmlische Gnade dieſem
verdorbenen Zeitalter gejchenft”, betheuert ihm auf's Neue feine-
unbedingte Anhänglichkeit und Mitwirkung?), nur Ein3 mache
ihm Sorge: daß nämlich Luther in feinem evangelifchen Eifer
fich zu jehr den Gefahren auzfege, er ermahne ihn, mehr auf
feine Sicherheit bedacht zu fein, fein theures Leben der Welt
zu erhalten, denn eines jolchen Mannes VBerluft würde nicht
jo bald zu erjeßen fein. — Bier Tage fpäter ſchrieb aud
Hutten an „den unbefiegbaren Herold des göttlichen Wortes,
Martin Ruther, feinen theuerften Bruder und Freund” *). Zwar
jet, eröffnete er ihm, der Aberglaube noch groß, aber ihn ent-
muthige das nicht. Eine feite Stüte habe ihre Sache in Franz
von Sickingen gefunden, der entjchloffen fei, Gut und Blut
für die Wahrheit einzufeßen. Auch jtehe derjelbe bei dem Kaifer
!) Epistola Croti Rubiani doctissimi ac pientissimi viri ad De-
ctorem Martiaum Lutherum. Wittenbergae 1521. 8°. (Wahrjcheinlid
durch) Luther zum Druc befördert — jedenfalls ift der Drud ein Beweis,
dag man in Wittenberg dag Schreiben für fehr wichtig hielt). Abgedr. in
den Unfch. Nachr. Jahrg. 1723 p. 704—8. Der Brief ift d. d. Erfurdiae
in pervigiliis Nicolai 1520.
2) „„Lusimus quaedam de Brachio domini contra Brachium sae-
culare, quod invocant, qui nil impium non invocant.‘“ Auf welche
feiner Satiren er damit anfpielt, it nicht Mar, merfwürdig nur, daß Hutten
in feinem faft gleichzeitigen Schreiben an Luther (Mündy III, 619) von einer
ſeiner Schriften in den nämlichen Ausbrüden fpriht: simul saeculare
brachium tracto. — Uebrigens kann Crotus auch bier im Strome luthe⸗
rifher Begeijterung den alten Humaniften nicht verliugnen, ber durch bie
Hinweifung auf feine in ber reuchlinifchen Fehde gemachten Erfahrungen und
beſonders durch die gehäffigen Ausfälle gegen die Cölner (Colonienses mei
nennt er fie, während Ed Eccius taus genannt wird) recht deutlich bervortritt.
3) Verbi divini praeconi invictissimo, Martino Luthero, fratri et
amico dilectissimo Ulrichus Huttenus S. Ex Ebernburge V Jd. Dec.
1520 bei Münd III, 617—20.
— 9 —
in hohem Anfehen und babe noch Hoffnung, daß Karl V.
auf dem nächſten NeichStage die Treulofigkeit der Päpſte ein-
jeben und fih von ihnen abwenden werde. Möge Luther
inzwifchen feitftehen und bei der Wahrheit ausharren. Das
Verbrennen feiner Schriften, womit jüngft päpftliche Legaten
den Anfang gemacht, Ichade ihm nicht, erböhe vielmehr noch
den Eifer der Shrigen: in Mainz fei Aleander fait gejteinigt
worben. Auf der Ebernburg fei der Name Luther Allen ein
ehrwürbiger. — Zugleich überjendet er ihm feine letzten Schrif-
ten 1), die er bald durch neue zu vermehren verfpricht, und
kündigt ihm feinen nahen Beſuch in Wittenberg an, denn nicht
länger könne er ſich enthalten, einen Mann, ven er fo hoch—
Ihäße, von Angeficht zu Angeficht kennen zu lernen.
Sm diefen Tagen that Luther ven lebten entjcheidenden
Schritt. Es war am 10. December 1520, als er vor dem
Elſterthor von Wittenberg die päpftliche Bulle nebjt ven De-
cretalen, „weil fie den Heiligen des Herrn betrübt”, den Flam—
men übergab. „Hoch vonnöthen wäre es“, äußerte er des
-andern Tages vor feinen Zuhörern, „daß der Papſt, d. i. der
römifche Stuhl ſammt allen jeinen Lehren und Gräueln ver-
brannt würde.” Ä
vi
Als Erotug das letzte Schreiben an Luther richtete, war
in feiner äußern Lage bereit3 eine jehr wichtige Veränderung
vorgegangen. Im Herbit 1520 Hatte er Fulda verlafien, um
feine alten, feit mehr als drei Sahre nicht gejehenen Freunde
in Erfurt zu begrüßen. Es war im October, al3 Crotus hier
— — — — — —
1) Hutten hofft, daß Luther ſeine Schriften in Wittenberg neu auflegen
werde: „Quia suspicatus sum, scripta mer curaturum te denuo istic
edi, mitto exemplaria emendatiora, unde describantur per notarium.‘“
l. c. III, 620.
— 0 —
ankam, eben um die Zeit der Nectorwahl: den Neuangelom-
menen wählte die Univerfität zu ihrem Oberhaupte *).
Der Vorfall zeigt, daß die Schule hinter ihren Zöglingen
nicht zurücdgeblieben war?). Immer zu Streit und Kampf
bereit, war fte ihnen bald auf den neugeöffneten Bahnen gefolgt.
Wohl Hatten fih Stimmen dagegen erhoben. Gerade bie
beiden Männer, deren Anjehen bisher in Erfurt entjcheidend
gewefen war, Mutian und Erasmus, wurden durch die Bor
gange im Sommer 1520 zurückgeſchreckt und begannen umzu⸗
lenken. Mutian zog fi von Crotus, Erasmus von Hutten
zurück?), beide zeigten ſich unzufrieden über Luthers Teiden-
Schaftliches Auftreten“). Aber Mutian hatte bereits der Führer:
Schaft entfagt, und de Erasmus Mahnungen zur Mäpigung
und Bejonnenheit wurden übertönt von Huttens und Luther
begeiftertem Freiheitärufe. Wozu Hutten jchon das Jahr zuvor
aufgefordert hatte: mitzuarbeiten an Deutſchlands Befreiung,
bazu entichloß man ſich, als Luther diefelbe Sprache führte
!) Anno 1520 a natali Christiano 15 Cal. Novemb. Rector huic
augustue Scholae Erphordianae vir humanitate pietateque insignis
Joannes Crotus Rubianus bonarum artium Magister ac sacrarum
literarum professor renunciatus est... .. Biduo ante intraverat
urbem Crotus salutandi veteres amicos ergo, reversus nuper ex Italia,
quam ob ingenii cultum continuo triennia perlustraverat. Erf. Univ.
Matr. ad a. 1520.
3) Es ift bemerkenswerth, daß Crotus in feinen Briefen an Luther bie
erf. Univ. als „schola nostra“, bie Erfurter als „‚Erffurdenses nostri“
bezeichnet.
3) Vgl. Crotus an Luther 5. Dec. 1520. Unſch. Nachr. 1723 p. 708.
Hutten an Erasmus 15. Aug. 1520. Zeitfehr. für hiſtor. Theol. 1855 p. 630.
Mutian hatte fi von Hutten ſchon 1519 zurüdgezogen, wenigftens Hagt
diefer darüber: „Quid ille istic vero Mutianus? in totum credo ex ami-
corum suorum albo Hutteni nomen adcmit, ita nil scribit, nihil sig-
nificatione etiam ulla testatur, quo non iratus mihi sit.“ Huttenus
Eobano et Petrejo 3 Non. Aug. 1519. Munch III, 220.
*) Bol. Lauze's Chronik in der Zeitfcheift für heſſ. Geſch. 2 Supkl
2 Th. I, 122. Erasmus Rectori inolitae Scholne Erphurdiensis d. d.
Lovan. prid. Cal. Aug. 1520. Erasmi Epp. p. 417.
— 1 —
und durd den Aufruf an den Adel, wie Lange fagte, dag
Signal zum Angriffe gab. Der Eifer für die evangelifche
Wahrheit wird zum Eifer für die evangelifche Freiheit, der
Kampf gegen Firchliche Mißftände zum Kampf gegen die römischen
Eurtifanen und Unterdrücker der deutſchen Nation. Euricius
Cordus fpricht in feinen Epigrammen aus diefer Zeit über
Roms Ruchlofigfeit und Sünden gegen Deutjchland in einer
Weiſe, die an die Hutten’fche erinnert und ihr wenig nachgibt 1).
Eoban fieht ih den heutigen Römern die wahren Türken, gegen
die man zuerſt die Waffen ergreifen müffe, in der Gebuld, mit
der man bisher ihr Auch ertragen, die größte Schmach des
deutſchen Namens, in Luther aber ven „deutſchen“ Mann, der
die Nation von diefer Schmach beffeien werde. Luthers Sache
ift die nationale ?). In diefem patriotiichen Gewande trat bie
1) So in bem Epigramm an ben in Rom weilenden Ehriftian Schroter:
„Num dignam rear obtigisse sortem,
Dum servum stabularius bidentem,
Et focdum strigilemque furcilemque
Exercens olidum colis fimetum
Et scabros miser expolis asellos?
Aut dum purpureum sequens galerum
Discissis caligisque calceisque
Sacrae pone legis cacata mulae?
Aut dum mille gregi notariorum,
Hoc est furibus additus cinaedis,
Romanensis et ipse summisuga
Istos sacrilegos juvas Simones,
Qui nos ut rapidi lupi et leones
Imas excoriant adusque carnes?
Hoc tu cernere (proh fides) patique
Germanus potes, imo Christianus?° Opp. Cord. 132.
Bol. auch De donntione Constantini 1. c. 138 b. u. a.
2) Man vgl. namentlich feine in die Zeit des wormfer Reichstages fal-
Ienden Elegien an Jonas und Hutten. Eoh. Farrag. I, 123 syq. — Es
wäre gar nicht undenkbar, daß ber von einem patriotifchen Humaniften ver-
faßte Dialog Carolus von Eoban herrührte. — Die Wittenberger bezeichnet
er um biefe Zeit nur noch als libertatis assertatores und eriwartete mit
Ungeduld neue Thaten von ihnen. „Quando vero mittis ludum Vuitten-
— 9 —
evangeliiche Begeifterung ungleich jtürmijcher auf, als früher:
mit Hutteng nationalen Ideen jchien auch jein unruhiger Geift
in Erfurt eingezogen zu fein. In Eoban erwacht von Neuem
der alte Ungeftüm ber reuchlinifchen Zeit. Er will der frieb-
lihen Muſe, der er bisher nachgegangen, entjagen, um fich der
friegerifchen zuzumenden. Eine ungewöhnliche Aufregung be-
mächtigte fich der Gemüther. Selbſt ruhigere Naturen wie
Camerarius, Sturz, Draconites widerjtanden nicht. Es entitand
ein Zuftand wild wogender Begeifterung; die Worte Freiheit,
Evangelium, Vaterland riffen Alles mit fich fort. Forchheim,
Eobans Freund, und Lange, durch den Luther fortwährend mit
den Erfurtern in Verbindung jtand, traten mit aufregenden
Predigten von der evangelifchen yreiheit vor dad VBolE!). Des
Jonas Eifer war grenzenlod. Wie ſehr hat Erasmus feine
früheren Aufmunterungsfchreiben, die vorzugsweife eben an Jonas
gerichtet waren, zu bereuen gehabt! ?)
Bei einer folchen Stimmung blieb Crotus für feine Sache
in Erfurt wenig mehr zu thun übrig Er fah fich wielmehr
bald veranlaßt, mäßigend und zügelnd aufzutreten. Er dachte
nicht daran, die Sache ber Nation durch ftudentiiche Unord⸗
bergensium? cupio videre, quid effecerint communis libertatis strenwi
assertatores.‘“ Ad Camerarium. Lib. nov. epp. B 2 b.
ı) Bon welcher Art diefe Predigten waren, geht aus Lange’3 eigenen
Aeußerungen hinreichend hervor; um nicht wie ein ſtummer Hund zurüdzu:
bleiben, fagt er, habe er rückſichtslos und ohne Schmeichelei gepredigt „et ita
concionibus pracfui, ut placeat multis, displiceat non paucis ... la
principum aulis tolerari forte assentatio potest, in ecclesiastica CoB-
cione non debet.‘“ Dgl. Joan. Langi Erphurdiensis Epistola ad excell.
D. Mart. Margaritanum Erphurdien. Gymnasii Rectorem pro literis
sacris et seipso. 4°. Erf. 1521. A 2b. — Dem Fordheim widmete
Eoban bald für feine wadere Verfündigung ber „‚Libertas illa nostra‘
die Elegien auf Luthers Einzug in Erfurt.
2) Vgl. Erasmi Epp. p. 233, 434, 480, 550. Aus dem Briefe bei
Erotus an Petrejuß Tert. lib. epp. F. 1 b. (vgl. De Wette I, 568) erfieht
man, daß Jonas um biefe Zeit zu Crotus in einem fehr innigen Verhält⸗
niſſe ftand.
— 983 —
nungen zu befördern, wie fie jo eben bei der Publikation der
päpitlichen Bulle vorgefommen: mit Strenge jchritt er dagegen
ein). Auf ähnliche Weife hatte er früher Luther von dem
Lärm theologifcher Disputationen abgemahnt: von den Aus—
brüchen jugendlicher Auzgelaffenheit erwartete er fo wenig Heil,
als von dem Ausgange eines einzelnen theologischen Wortgefecht3.
Um fo mehr aber war er darauf bedacht, in der bisherigen
Weiſe auf die Geſammtheit der Nation einzuwirfen: in Erfurt,
in der Umgebung von feurigen Anhängern feiner Sache, durfte
er fi für die Zurückhaltung entjchädigen, die er das Jahr
zuvor in Stalien wegen der gefährlichen Nähe des Gegners
hatte beobachten müffen. Wir erfahren durch die Enthüllungen
des Ungenannten, daß er zu feiner Zeit eifriger bejchäftigt war,
Durch anonyme Flugſchriften und Briefe, welche er nach allen
Seiten ausſandte, die Nation im Sinne der Bewegung zu
bearbeiten, als während feines erfurter Rectorats?). Mit
1) „‚Statum literarii ordinis, quem perturbatum invenit pro virili
studuit pacare. €, U M. ad a. 1520. In der Vorrede zu feinem
Nechenfchaftsbericht fpricht er ausführlich von den Pflichten der acabemifchen
Obrigfeit: „ita ejusdem prudentiae partes sunt, eam rehus gestis addere
praemunitionem, ne vel negligentiae error, vel cujuspiam malevolen-
tia, vel temporis injuria labem dedecoris magistratui unquam possit
aspergere.‘“ Unter den Ausgaben werden auch bie für ein gehaltene Con⸗
ciliun de literis affixis seditiosorum juvenum aufgeführt. Liber ratio-
nun ad a. 1520. (M. ©.).
2) Epistola Anonymi ed. Olearius p. 16. „Ibi primum, nescio quam
expectans praedam, sparsisti varios occultes libros, ibi mittebas Epi-
stolas et si verum fateri vis, in hoc eras totus, ut quam latissime
spargeretur doctrina Lutheri. Nullum tunc Lutherani veredarium
(cf. Opp. Cordi f. 108) meliorem habebant, quam Crotum, et quam-
quam haec omnia non ideo faciehas, quod serio te afficerent ea, quae
Lutherus pie ac pure de religione docet, faciebas .tamen et omnino
Luthcranarum et esse et haberi volehas partium.“ Daß ausſchließlich
bie Firchliche Seite feiner Thätigfeit hervorgehoben wird, bringt der Standpunkt
und die Tendenz bed Verfaſſers mit fih. —
— 4 —
Luther ftand er in offener, mit Hutten in geheimer Verbindung,
nur für ihre Sache lebte er?).
Und aud) dieje ließen es währenddeß an ihrer Thätigkeit
nicht fehlen. Luther eilte unaufhaltiam auf feinem Wege vor:
wärts, ſeit er durch die Verbrennung der Bulle die Brücke zur
Rückkehr hinter fich verbrannt. Hutten aber brütete auf der
Ehernburg Tag und Nacht über des Volkes Befreiung. Im
Januar 1521 veröffentlichte er eine neue Sammlung von Gefprü-
chen von furchtbar aufregenden Inhalt ?). Seine Pläne wurden
. immer vermwegener, jo daß ſelbſt Luther in einem Augenblicke eine
Anwandlung von Furcht überlam ). Schon trug er kein Be
denfen mehr, den Böhmen Ziska als das Vorbild eined Befreierz
von den Gräueln römischer Pfaffenherrſchaft aufzujtellen *). —
Es waren die lebten Anstrengungen am Vorabende der Ent:
ſcheidung. Bereits feit dem October weilte Karl V. auf deutſchem
Boden. Am 23. October empfing er in Aachen die Krone. Es
mußte jeßt offenbar werben, ob der Kaiſer, Hutten? Mahnungen?)
1) Hutten ſchickte die im October veröffentlichten Sendfchreiben an Crotus,
durch. Crotus empfing fie Luther. De Wette I, 533. Bon bem Briefmechfel
zwifchen Crotus unb Hutten, überhaupt von allen den Briefen des Crotus,
bie der Anonymus erwähnt, ift ung Nichts erhalten.
2) Dialogi Huttenici novi, perquam festivi. Bulla vel Bullicida.
Monitor primus. Monitor secundus. Pracdones, Abgedr. bei Münch
IV, O7 - 230. Die auftretenden Perfonen find: die deutiche Freiheit, die Bulle,
Luther, Hutten, Sidingen u. ſ. w.
3) „„Nollem vi et caede pro Evangelio certari‘‘, ſchrieb er am
16. Sanuar an Spalatin, indem er Huttens Brief vom 9. Deceinber beilegte.
De Wette I, 543. Freilich kömmt auch in Betracht, daß ber durfürklide
Rath nie mit Huttens Planen einverflanden war, und auf feine Geneigtheit
in dieſem Augenblide ſehr viel anfam. Einige Wochen fpäter (9. Februar)
fpricht Luther in einem Briefe an Staupig von Huttens Thätigfeit wieder mit
vieler Freude. De Wette 1, 558.
*) Monitor secundus. Münch J. c. IV, p. 144.
*) Bol. namentlid Münd) 1. c. V, 82: ‚
Deß follt ein Hauptmann dit allein
Anheber auch Vollender fein ꝛc.
— 95 —
Gehör gebend, ſich an die Spike der Bewegung ſtellen, Deutfch-
land von Rom befreien und Luther Sache als die nationale
zu der feinigen machen werde. Am 28. Januar 1521 eröffnete
er den Reichdtag von Worms, der über Deutſchlands Zufunft
entfcheiden mußte. Noch hatte Hutten nicht alle Hoffnung auf:
gegeben, obgleich des Katjerd Benehmen von Anfang an feinen
Wünſchen nicht entſprach. O Karl, rief er dem in Worms
Eingezogenen zu,
O Garle, Keyßer lobeſam
Greiff du die ſach zum erſten an,
Gott würts mit dir on zweyfel han!).
Es konnte als ein günſtiges Vorzeichen angeſehen werden,
dag der Kaiſer, im Widerſpruch mit den Forderungen der päpft-
lichen Legaten, Luther vor dem verfammelten Neichdtag zu
hören beichloß.
vu
In den erften Tagen des April trat Luther, der Tatfer-
lichen Ladung folgend, feinen Gang nad) Worms an.
Er glich einem Triumphzuge. Es war, als hätte die Nation
in biefem Augenblicke noch einmal Alles aufbieten wollen, um
Luther über feinen Beruf zu vergewiffern. Gewiß haben die
Huldigungen, welche er vom 2. bis zum 16. April empfing,
Dazu beigetragen, ihn jenes Selbitvertrauen zu verleihen, mit
dem er in der entjcheidenden Stunde auftrat. Nirgendwo waren
fie glänzenber, als in Erfurt ?).
1) Vorrede zu ber Schrift: Concilia wie man bie halten fol x. Münch
V, 371.
3) Bol. die Luther? Einzug in Erfurt verherrlichenden Clegien Eobans
in ber Sammlung: Habes hic Lector In Evangelici Doctoris Martini
Lutheri Laudem Defensionemque Elegias III. Ad Jodocum Jonam
Northusanum cum eodem a Caesare redeuntem Elegiam I. Ad Udal-
ricum Huttenum Equitem Germanum ac Poctam nobilissimum De causa
— 4 —
Zuther ſtand er in offener, mit Hutten in geheimer Verbindung,
nur für ihre Sache lebte er ?).
Und auch diefe Tießen ed währenddeß an ihrer Thätigkeit
nicht fehlen. Luther eilte unaufhaltfam auf feinem Wege vor:
wärts, ſeit er durch die Verbrennung der Bulle die Brüde zur
Rückkehr hinter fich verbrannt. Hutten aber brütete auf der
Ehernburg Tag und Nacht über des Volkes Befreiung. Im
Januar 1521 veröffentlichte er eine neue Sammlung von Gefprü-
hen von furchtbar aufregendem Inhalt ?). Seine Pläne wurden
immer vermwegener, jo daß ſelbſt Luther in einem Augenblicke eine
Anwandlung von Furcht überlam?). Schon trug er Fein Be
denken mehr, den Böhmen Ziska als das Vorbild eines Befreiers
von den Gräueln römischer Pfaffenherrichaft aufzuftellen *). —
Es waren die lebten Anftrengungen am VBorabende der Ent-
Icheidung. Bereits feit bem October weilte Karl V. auf deutjchen
Boden. Am 23. Detober empfing er in Machen die Krone. Es
mußte jeßt offenbar werben, ob der Kaifer, Hutten? Mahnungen’)
1) Hutten ſchickte die im Detober veröffentlichten Sendfchreiben an Crotus,
durch Crotus empfing fie Luther. Te Wette I, 533. Bon bem Bricfmechfel
zwifchen Crotus und Hutten, überhaupt von allen den Briefen des Crotus,
bie der Anonymus erwähnt, ift und Nichts erhalten.
2) Dialogi Huttenici novi, perquam festivi. Bulla vel Bullicida.
Monitor primus. Monitor secundus. Praudones. Abgedr. bei Munch
IV, 67—2%. Die auftretenden Perfonen find: die deutjche Freibeit, die Bulle,
Luther, Hutten, Sidingen u. f. w.
3) „„Nollem vi et caede pro Evangelio certari‘, fdricb er am
16. Zanuar an Spalatin, inbem er Huttens Brief vom 9. December beilegte.
De Wette I, 543. Freilich kömmt aud in Betracht, daß ber churfürſiliche
Rath nie mit Huttens Planen einverflanden war, und auf feine Geneigtheit
in diefem Augenblide fehr viel anfam. Einige Wochen fpäter (9. Februar)
fpricht Luther in einem Briefe an Staupig von Huttens Thätigfeit wieder mit
vieler Freude. De Wette I, 558.
*) Monitor secundus. Münd) J. c. IV, p. 144.
2) Bol. namentlich Münd) 1. c. V, 82: ,
Deß ſollt ein Hauptmann dir allein
Anheber auch Vollender ſein 2c.
— 95 —
Gehör gebend, ſich an die Spike der Bewegung ſtellen, Deutſch⸗
land von Rom befreien und Luthers Sache als die nationale
zu der ſeinigen machen werde. Am 28. Januar 1521 eröffnete
er den Reichſstag von Worms, der über Deutſchlands Zukunft
entſcheiden mußte. Noch hatte Hutten nicht alle Hoffnung auf-
gegeben, obgleich des Kaiferd Benehmen von Anfang an feinen
Wünſchen nicht entiprad. D Karl, rief er dem in Worms?
Eingezogenen zu,
O Carle, Keyßer Tobefam
Greiff du die ſach zum erſten an,
Gott würts mit dir on zweyfel han).
Es konnte als ein günftiges Vorzeichen angefehen werben,
daß der Kaifer, im Widerfpruch mit den Forderungen der päpft-
lichen Legaten, Luther vor dem verfammelten Reichstag zu
hören beichloß.
vu.
In den erften Tagen des April trat Luther, der Taifer-
lichen Ladung folgend, feinen Gang nach Worms an.
Er glich einem Triumphzuge. Es war, als hätte die Nation
in biefem Augenblicke noch einmal Alles aufbieten wollen, um
Luther über feinen Beruf zu vergewiffern. Gewiß haben bie
Huldigungen, welche er vom 2. bis zum 16. April empfing,
Dazu beigetragen, ihm jenes Selbitvertrauen zu verleihen, mit
dem er in der entjcheidenden Stunde auftrat. Nirgendivo waren
fie glängenter, als in Erfurt ?).
1) Vorrede zu ber Schrift: Concilia wie man bie halten foll ꝛc. Münch
V, 371.
2) Bol. die Lutherd Einzug in Erfurt verberrlichenden Elegien Eobans
in der Sanımlung: Habes hic Lector In Evangelici, Doctoris Martini
Lutheri Laudem Defensionemque Elegias III. Ad Jodocum Jonam
Northusanum cum eodem a Caesare redeuntem Elegiam I. Ad Udal-
ricum Huttenum Equitem Germanum ac Poctam nobilissimum De causa
— 96 —
Es war am 6. April, als er hier ankam. Schon die bloße
Kunde von ſeiner bevorſtehenden Ankunft — Luther ſetzte ſeinen
Freund Lange vorher davon in Kenntniß — hatte Alles in
freudige Aufregung verſetzt. Denn was konnte es für Crotus
und die Seinigen Froheres geben, als Luther in ihrer Mitte
zu ſehen! „Nun frohlocke, erhabenes Erfurt“, jubelte Eoban,
„bekränze mit feſtlichem Laubwerk dein Haupt, denn ſiehe, es
tömmt, der dich vom Schmutze reinigt, unter dem du fe lange
gefeufzet” ). Die großartigiten Vorkehrungen wurden für feinen
Empfang getroffen. Jonas, voll ungebuldigen Eifer, eilte ihm
ſchon bis Weimar entgegen. Die Univerfität holte in feicrlichem
Zuge, vierzig Mann zu Pferde, an der Spike Crotus als
Rector, gefolgt von einer zahlloſen Menge zu Fuß ?), in Nohra,
an der Grenze des erfurter Gebietes, den Kommenden ein.
Crotus begrüßte ihn in begeijterter Anrede. Als den Feind
der Bosheit redete er ihn an, er pried die Stunde glücklich,
7
Lutheriana Elegiam I. In Hieronymum Emserum Lutheromastiga
conviciatorem Invectivam KElegiam I. 4°. (Am Ende: Erphurdiae
imprimebat Math. Maler mense Majo A. 1521.) Mit einer Debication
an Forchheim d. d. Vigil. 8. Spirit. Abgebr. in Eob. Farrag. II, f. 116
bis 128. — Eine etwas feltfame deutfche Bearbeitung der vier erften Elegien
erfchien von einem Ungenannten: D. Martin Luthers erhabene Reife durch
Erfurth nah Wormd. Nah alten römifchen Uhrkunden (!) profaifch ge:
ſchildert. 1775. — Vgl. auch 3. F. Möller, Alte Gefchichten von Erfurt aus
einer höchſt merkwürdigen Zeit. Erfurt 1820.
ı)1.c. A2 a; Eob. Farr. II, 116-117.
2) Nec mora, constratis in equis exire paramus,
Quadraginta viri, caetera turpe pedes,
Quis numero referat, velut ad spectacla ruentes,
Quae soleant vulge non nisi rara dari,
Ibamus, numeroque pares, cultuque decenti,
Tunc etiam facti Musica turba cquites:
Instructo Princeps Crotas ordine duxit euntes,
Gloria Musarum, deliciaeque Crotus.
l,ce. A4 a; Noh. Farr. II, 118.
— 17 —
die ihm den theuren Freund wieder zugeführt ?). Auch Eoban
ftammelte einige Worte des Entzücend und der Bewunderung.
Langſam bewegte fich dann der Zug durch dichtes Volfägebränge
der Stadt zu. Straßen, Thürme, Dächer und Mauern waren
mit Menschen befet ?). Jedermann wollte ven gewaltigen Mönch
fehen. In den ihm wohlbefannten Räumen des Augujtiner:
kloſters, bei jeinem Freunde Lange, nahm er feine Wohnung).
Die ganze Stadt war in Aufregung. Alles ftrömte zufammen,
als ber Gefeierte auf die Bitten feiner Treunde am andern
Tage — es war ber weiße Sonntag — in der Kirche feine?
"Ordens die Kanzel beitieg *). Er predigte über den Grumd-
gebanfen feiner Lehre, von der Rechtfertigung allein durch den
Slauben, von der Nuplofigkeit der eigenen Werke, von dem
unerträglichen Soche des Papſtthums und der Pflichtvergefjen-
heit der Pfaffen, die aus Hirten ihrer Schafe, Peiniger der:
2) Tum Crotus haec placido pectore verba dedit:
Unice perfidiae censor, quae plurima nostro
Pesdidit oppressam tempore pene fidem,
Hoc coram vidisse tuosque agnoscere vultus,
Hoc est laetitiae non habuisse modum.
Et nobis nihil huc venit jucundius unguam
Vix aliquis superum gratior esse queat.
Veber feine eigene Rede äußert er:
Hic cgo nescio quid balba de nare loquutus
Elinguem plane sum ratus esse nefas,
1. c. A4 a-b. Eob. Farr. II, 119,
2) Indeée satis lento repetentes moenia passu
Jam plenum urbana plebe redimus iter;
Turba quidem populi promiscua cuncta tenebat
Strata, viam, turres, moenia, tecta, fores. |]. c.
2) Vgl. Historia Vnd befchreibunge des ganken Lauffs vnd Lebens, wie
nemlich id) Daniel Greiser etc. meinen curriculum vitae durch Göttliche
gnad geführet habe, 4°. Dresden 1537. 8.1 b.
*) Quam cito de tota,,stupor est, confuxit ab urbe
Visa magis nullo tempure turba frequens. —
Nec satis accepit venientes area templi,
Ante ipsas stabant milia multa fores,
1. c. Bi a. Eob. Farr. II, 120.
Kampſchulte, Univerfisät Grfurt. II. Theit. 7
— 98 —
ſelben geworden 1). Seine Predigt wurde mit begeiſtertem Bei⸗
fall aufgenommen. Weber Dewoſthenes, verkündet der Dichter,
noch ber Beherricher des römiſchen Forums, noch Paulus, der
Apoſtel, hat die Gemüther jo ergriffen, als Luther Predigt an
den Ufern der Gera ?).
Zwei Tage verweilte Luther in Erfurt, um die Huldigungen
feiner Verehrer entgegenzunehmen. Stabt und Univerfität wett
eiferten, feine Anweſenheit zu verherrlichen. Die Univerfität
veranstaltete ihn zu Ehren ein feitliches Mahl). Der Stabt-
rath überhäufte ihn, nach Cobans Bericht, mit Ehrenbezeu-
gungen. *). Das Volk verehrte ihn wie einen Heiligen und’
glaubte ihn ſogar im Bei göttlicher Wunderkraft?). Es
») Ain fermon Doctor Martini Luthers, jo er auf dem hinweg zu K. M.
gen Wormbs zuziehen, auß bitt fürtreflicher vnd vil gelerter, on vorgenben
fleiß ober fonderliche ftudierung in der eyl zu Erffurdt gethon. Anno 1521.
4°, 3.1, et a. Erhard (Meberlieferungen zur vaterl. Geſch. I, 38) führt
noch zwei andere Ausgaben an, fcheint aber, nach feinen Aeußerungen über
ben Inhalt zu fchließen, Feine gelefen zu haben: obgleich Luther die Worte bes
Evangeliums „Habt Friede" zum Borfprud wählte, ift doch vom Frieden
jehr wenig bie Rede.
2) I. c. Bi a. Eob. Farr. II, 119.
:) Vgl. Liber rationum ad rector. Croti. — Aud in der Matrifel
gedenft Crotus der Hinfahrt Luthers „qui primus post tot snecula ausus
fuit, gladio sacrae Scripturase Rhomanam licentiam jugulare.‘“
*) Eob. Farrag. II, 121.
s) In Erfurt felbft follte Luther ein Wunder verrichtet baben. Während
der Predigt, die er bei den Auguftinern hielt, entftanb in der überfüllten Kirche
ein plötzliches Geräufh. Alles gerieth in Unruhe und Beſtürzung. Nur
Luther verlor die Geifteögegenwart nit. „Seid ftill*, fprach er, „liebes Bolt,
es ift ber Teufel, der richtet fo eine Spiegelfechterei an, ſeid ftill, e8 bat Feine
Noth.“ „Und er bedräuete den Teufel”, berichtet der Chronift weiter, „und
es warb gar ftille.” „Dieſes ift, feßt ein anderer Chroniſt hinzu, das erſte
Zeichen, fo Luther that, vnd feine Zünger traten zu ihm und dienten ihm.”
Auch Greifer 1.c. B1 b und Eoban 1. c. II, 1%0 gedenken dieſes Wunbers.
Auffallend ift nur, daß bei Luther Predigt in Gotha ein ganz ähnliche
Wunder geſchah. Vgl. Sagittarii Historia Gothana p. 423 und Tenkel
Suppl. I hist. Goih p. 714.
— 99 —
waren Tage des Jubels und Entzückens: an die dunkele Zu⸗
kunft dachten nur Wenige.
Der achte April war der Tag ſeiner Abreiſe. Unter den
Segenswünſchen Aller brach er auf. Die Stadt gab ihm den
lanzenkundigen Stadthauptmann Hermann von Hoff als Be—
gleiter mit”), die Univerſität den eifrigen Juſtus Jonas, ber
ſich dieſe Ehre nicht nehmen ließ. Zwei Andere, Euricius
Cordus und Sturz waren ihm bereits auf die Wahlſtatt vor⸗
auzgeeilt 2). Crotus, welcher — zu Huttens größtem Schmerz
— durch feine amtliche Stellung verhindert wurde, die Reife
nad) Worms zu unternehmen ®), begleitete den Freund noch
einige Stunden weit und ermahnte ihn beim Abſchiede nochmals
zur Ausdauer und Standhaftigkeit ). Das that auch Eoban.
„Dede du auf”, ruft er dem Scheibenden nach, „bie römifchen
Ränke, die Schmach des Erbfreifed. Das große Deutjchland
wird für dich in den heiligen Kampf treten. Ziehe bin und
fürchte dich nicht. — Iſt dir ſchon das Glück auf deiner Hin-
2) Bol, Loffius Helius Eoban Heſſus md feine Zeitgenofien- p. 109, 110,
2) Nach den Angaben von Sedenborf, Strieder, Motſchmann und Erhard
wären auch fie im Gefolge Luthers nad Worms gezogen. Allein dies iſt
irrig: beide waren ſchon früher abgereifet. Sturz fchreibt ſchon am 8. April
von Köln aus (vorher fhon aus Mainz) an Camerarius über Huttens In—
vectiven gegen Aleanber, über Sobin ꝛc. Bol. Lib. nov. epp. D6 b.
Auch Cordus fchrieb damals von Köln aus an Camerarius und läßt fi in
feinem Schreiben fehr bitter über die Fölnifchen Zuftände auß: „Nihil enim
hic colitur praeter ossa serico, auro et gemmis implicata. Atque
tam multa, ut omnia cadavera expilasse istos putes. Videres plebem
supplicem hisce nugis se advulvere. Nihil hic dignum spectatu vidi
praeter tres reges. Sed quos? Comitem Neuenarium, Caesarium et
Sobium.‘ 1. c. D 8h. — Als Luther in Wormd anfam, waren beide
fchon dort anweſend.
3) Huttenus Jonae d. d. 15 Cal. Mnj. ex Ebernb. ‚‚Crotum autem
meunı infelix magistratus, quo minus et ipse conjiceret se in opta-
bile discrimen detinsit. Utinam vobiscum abripuissetis procul dabio
volentem.‘“ Opp. Hutt IV, 29.
) Epistola Anonymi ed. Olearius p. 16.
ze
— 10 —
fahrt jo hold, jo wird, ahnt dem Dichter, noch viel glänzender
der Ruhm deiner Rückkehr fein” *).
Doc diefed Mal täufchte den Dichter feine Sehergabe.
Die Hoffnungen, welche die Bewegungspartei, vor Allen
Franz von Sickingen, bis auf den lebten Augenblick auf den
Kaifer gejeßt hatte, erwiefen fich als nichtig. Innere Weber:
zeugungen und äußere Rückſichten vereinigten fich bei Karl X.,
um ihn den Planen dverjelben fern zu halten, und die drohende,
berausforbernde Haltung, die fie eben während de Reichs⸗
tage annahm ?), mußte ihn vollends zurüdftoßen. Die pöbel-
haften, mit wilden Drohungen gemifchten Schmähungen, womit
Hutten in diefen Tagen die beiden in der Nähe des Kaiſers
weilenden päpftlichen Legaten und die in Worms anweſenden
Kirchenfüriten überjchüttete, jowie die herausfordernde Spradhe,
welche er in den neuen für Luther, den Vertreter der Freiheit
und des Vaterlandes °), an ven Kaiſer gerichteten Sendfchreiben
führte, zeigten diefem den Abgrund, in den ihn dag Bündniß
mit den renolutionären Elementen ftürzen werde*). Schon
ı) Elegia ad Martinum Erphurdia abeuntem J. c B3a-4xa Eob.
Farr. II, 122. Er rechnet noch auf des Kaiſers Beiltand:
„Fulmina pontificis nil admirabere, nam te
Jamdudum sensit, quantus in arma ruas,
Tu modo summorum regum clarissime sanguis,
Auguste his. coeptis Carole dexter ades.“ 1. c.
2) Nach Cochläus, der auf dem Reichstage anweſend war, fürdhtete man
in Worms fogar eine Sprengung des Reichstages durch die Revolutionspartei,
deren Hauptfig die Eberuburg war. ,‚‚Unde fiebat, ut nihil expectaretur
certius, quam.gravis et cruenta contra Caesarem omnemque Clerum
seditio. Sed aetas bonitasque Caesaris ac principum diligentia pro-
clives in seditionem animos cohibuerunt.“* De actis et scriptis Mart.
- Lutheri.
3) „Quid aliud enim habet Lutheri causa, quam et nostrae liber-
(atis Oppressionem et tui status convulsionem, dignitatis proculca-
tionem?‘“‘ Ad Carol. Imp. pro Luth. Exhort. Munch IV, 278.
*) Ulrichi ab Hutten eq. Germ. in Hieronyı. Aleandrum et Mari-
num Caracciolum Oratores Leonis X apud Vormaciam Invectivae sia-
gulae. In Cardinales, Episcopos et sacerdotes, Luthcrum Vormaciae
— 101 —
hatte er der Bewegungspartet jeine Abneigung unzweibeutig
zu erfennen gegeben.
Unter diefen Umftänden war der Ausgang vorauszuſehen.
Am 16. April kam Luther unter dem Jubel der Seinigen
in Worms an. Euricius Cordus verherrlichte ſeinen Einzug
durch ein Feſtgedicht ). Hutten, der auf der nur ſechs Meilen
entfernten Ebernburg über die Vorgänge in Worms fofort Kunde
erhielt, begrüßte ſchon des andern Tages in einem Schreiben
„den unüberwindlichen Evangeliften, den heiligen Freund” :- er
redet zu ibm nur noch in der Sprache der Bibel, wünfcht ihm
Standhaftigkeit und verfichert ihn feiner Treue bis zum lebten
oppugnantes Invectiva. Ad Carolum Imp. pro Luthero Exhortatoria.
Abgedr. bei Münd IV, 239—88. Ad Carol. Imp. Epistola altera bei
Burkhard IT, 203. Die letere ift batirt Ex Ebernburgo 6 Jd. April.
1521. Dem Mleander droht er: omne adhibebo studium, ut qui furore,
amentia, scelere, iniquitate gravis accessisti, vita inanis hinc effe-
raris (p. 244), den Marinus redet er an: omnium, qui unquam furati
sunt hic, furacissime! omnium raptorum violentissime, omnium im-
postorum vaferrime, astutissime, iniquissime, scelerätissime! (p. 250).
Die Invective gegen bie Brälaten fchließt mit der Drohung „Certe profecto
innocentis viri (Lutheri) damnationi capita vestra consecrata sciatis!“
(p. 271). In dem erften Sendjchreiben an den Kaifer heißt es: „Spes fuit,
Romanum te a nobis Jugum ablaturum. Dii faxint meliora sint, quae
sequentur hoc principium‘“‘ (p. 284). — Luther fpricht mit fichtlicher Freube
von biefen „‚galeritae upupae.“ De Wette II, 9.
1) Jubilum M. Luthero Vormatiam ingredienti aeclamatum. 1521.
4°. Bol. Striever, Heſſ. Gelehrtenler. I1, 291. Gleichzeitig wünfcht er dem
Kaiſer Süd, macht aber dies, wie Hutten, von ber Behandlung der Tuther.
Sache abhängig:
- „’Hoc fiet, pius ille si Lutherus,
Coram te modo qui citatus adstat,
Servetur, quod et orat audiatur,
Nec des tam faciles benignus aures
Vafris fraudibus Ausonum Sinonum.
Quaerunt interitum tuae salutis,
Et tantum sibi consulunt, videbis.
Hoc praedicere me tibi memento
Vatem Laocvonta dive Caesar.‘“ Opp. Cordi 151.
— 12 —
Athemzuge!). Auch an Juſtus Jonas jchrieb er voll Freude
und Anerfennung, daß diefer fih mit Luther in die Gefahr
begeben 2). Am Abende vezjelben Tages fand Luthers erjtes
Verhör in ber Reichdverfammlung ftatt, wierundzwanzig Stun:
den jpäter dag zweite. Luther bewies die Standhaftigfeit, die
ihm feine Sreunde gewünfjcht hatten: den Aufforderungen zum
Widerruf, den erniten, wie den freundlichen, jeßte er den beharr⸗
lichiten Widerftand entgegen: er vernahm das Wort, daß Kaifer
und Reich wiffen werden, wie mit einem Ketzer zu verfahren.
Wie ergrimmte Hutten, als ihn Ruther von dem Vorge
fallenen in Kenntniß ſetzte! Pfeil und Bogen, Degen. und
Büchjen hielt er für nothwendig, um der Raferei der teuflifchen
Rotte ein Ziel zu feßen. „Doch du, beiter Vater”, antwortete
er ihm auf der Stelle, „wanfe nicht, laß dich nicht erſchüttern.
Mögen jene jchreien, vufen, vajen. Tritt du furchtlos hin vor
die Ungeheuer. Es wird bir nicht an Vertheidigern, nicht an
Rächern fehlen” °). „Bin ich losgebrochen“, fügt er gegen
Schluß hinzu, „dann ſollſt du jehen, daß auch ich den Geift
nicht verleugnen werde, den Gott in mir erwedt hat.”
Noch einmal fehrieb Luther von Worms aus an Hutten,
gab ihm Kunde von der unwürdigen Behandlung, bie er erfahren,
von dem Faiferlichen Verbote, auf dem Heimwege zu predigen +),
dann reilete er ab (26. April).
!) Martino Luthero, Theologo, Evangelistne invictissimo, amico
sancto. Ex Eberuburgo 15 Cal. Maj. 1521. ‚‚Exaudiat te Dominus
in die tribulationis. Protegat te nomen Dei Jacob. Mittat tibi auxilium
de sancto et de Sion tueatur te etc. etc.“ Nur in ben: Et ne cede
malis, sed contra audentior ito fommt der alte Humanift wieder zum
Vorſchein. Münch IV, 297-88.
2) Hutt. Jodoco Jonae d. d. 15 Cal. Maj. 1521. Münch IV, 293.
— Beide Briefe Tamen jebenfall3 noch vor dem zweiten Verhör an.
2) Martino Luthero, Theologo, Evangelistae invictissimo, amico
S. Ex Ebernb. 12 Cal. Maj. 1521. Münch IV, 299—300. Luthers Brief,
auf ben ſich Hutten bezieht, ift verloren gegangen.
*) Vgl. Hutt. ad Hilih. Pirckheimer. d. d. Ebernb. Cal. Maj. 1521.
Münd IV, 37577. Auch dieſer Brief Luthers ift verloren gegangen.
— 18 —
Hutten? und der Seinigen Wuth kannte jett feine Grenzen
mehr. „O der über alle Maßen verabſcheuungswürdigen Bos⸗
heit!" schrieb er am 1. Mai an Pirdheimer, „Das find die
chriftlichen Fürften! Was werben die fremden Nationen jagen!
Ich fange an, mich meines Baterlandes zu jhämen“!). Cordus
hielt den Arm eines neuen Alciden für nothwendig, um die
Tenne des Herrn zu reinigen?). Eoban war außer ſich vor
Zorn, als er in Erfurt von dem Gejchehenen erfuhr. „Saget
an, ihr Großen Deutſchlands“, rief er aus, „einft die Tapfer⸗
ften, empfindet ihr feine Scham, daß folches bei und geſchieht.
Römiſche Teiglinge, des Verderbens Brut, dürfen es wagen,
auf eurem Boden Recht zu fprehen! Könnt ihr es bulben,
daß elende Sclaven euch Geſetze vorjchreiben!"?) Auf Hutten
allein berußten noch feine Hoffnungen. Ihn forderte er jetzt
auf, den Erwartungen zu entfprechen, die man jo lange von
ihm gehegt, der Befreier der Nation zu werden, im Bunde mit
Sickingen für Luther und die deutjche Freiheit zu den Waffen
zu greifen. Nicht Länger fei zu ertragen das Joch der Papiſten.
Deutſchlands Ruhm und Freiheit wiederherzuftellen, rufe Hutten
jett das Schidjal*).
Und daran dachte Hutten jelbft in dieſem Augenblicke ernft-
licher, als jemals. „Entweder“, jchrieb er dem mahnenben
1) I. c. p. 2755-77.
2) Opp. Cordi 151 b.
’) Ad Justum Jonam Theologum cum Martino redeuntem a Cae-
sare. Eob. Farr. Il, 123.
*) Ad Hulderichum Huttenum Equitem ac Poetam, ut Lutheri
causam adserät.
Adsere nunc fortissime eques, doctissime vates,
Qua debes dextra vindice, quaque potes.
Adsere germanum juvenis Germane Lutherum!
Te duce libertas nostra tuenda fuit.
Libertas strygibus, quae nunc oppressa Papistis,
Heu nimium longo servit in exilio etc. etc.
Eob. Farr. 11, 124—126. Abgebr. mit Huttend Antwort bei Münd IV,
309-317.-— Ein noch heftigered Mahnfchreiben erging an Hutten von Buſch.
— 14 —
Freunde zurüd, „wird mein Schwert die Freiheit wiederher⸗
ſtellen, oder ich wenigſtens will als Freier ſterben“ 1).
Aber Huttens Zeit war vorüber.
VIII.
Der Reichſtag von Worms bildet in der Geſchichte der
Reformation einen entjcheidenden Wendepunkt. An eine natio-
nale Durchführung derſelben, eine religiöfe und politiiche Um⸗
gejtaltung Deutſchlands, wie fie den Stimmführern im Jahre
1520 vorschwebte, war ſeit dem Erlaß des wormjer Edicts nicht
mehr zu denken. Das Band, welches die gährenden Elemente
vereinigte, begann fich zu lockern. Evangelium und Freiheit
deutjcher Nation hören jeit 1524 auf, identiſch zu ſein. Luther
ehrt auf den rein theologischen Stanbpunft zurüd, den er im
Sturme ded Angriffs verlafien. Durch die Fürjorge feines
Landesherrn der VBollftrefung der Reichsacht und damit zugleich
dem verhängnißvollen Verkehr mit Hutten entzogen, bereitet er
fi) auf der Wartburg für eine neue Wirkſamkeit vor, bie
Ichroff genug gegen die frühere abfticht 2). Hutten verliert fi
von nun an auf den Bahnen eines verwegenen politifchen
Abenteuererd: Ausſicht auf Erfolg haben feine ‘Plane nicht
ı) Münd IV, 314.
2) Am fchroffften, und gewiß übertrieben, ſpricht fih Thomas Münzer
über Luther? Verhältniß zu. ber revolutionären Reichsritterſchaft aus: „Daß
bu zu Wormd vor dem Reich geftanden bifl, Dank hab ber. teutfche Adel,
bem bu dag Maul alfo wol beſtrichen haft und Honig gegeben. Denn er
wähnte nicht anders, bu würbeft mit deinem Predigen Böhmifche Geſchenke
geben, Klöſter und Stift, welche du jetzt den Fürſten verheiſſeſt. So du zu
Worms hätteſt gewankt, wäreſt du ehe erſtochen vom Adel worden, denn los
gegeben, weiß doch ein Jeder.“ Vgl. Hoch verurſachte Schutzrede vnd antwort
wider das Geiſtloſe Sanfft lebende fleyſch zu Wittenberg. 1624. Bei Strobel
Thomas Münzer p. 166. — Auch Erasmus ſpielt auf Luthers Verhältniß
zur Reichsritterſchaft an, wenn er an Pirckheimer ſchreibt: „Qui sie scri-
bunt, qui sic minantur, debeant habere paratas Copias, si voltissent
esse incolumes,‘“ Dgl. Bilib. Pirckheimeri opera ed. Goldast p. 272.
— 18 —
mehr. In Wittenberg wirb fein Name nach dem Jahre 1521
kaum noch genannt !). Crotus aber, der Streiter mit den
Waffen des Humanismus, erlebte noch während bed wormſer
Neichdtages in Erfurt den Anfang einer Bewegung, welche
auch die Illuſion von der Sleichartigkeit der kirchlichen und
humaniſtiſchen Neuerungsbeftrebungen gründlich zerjtörte ?).
1) Es ift ein Unrecht, das Hutten von ben meiften Reformationshiſto⸗
rifern’angethan wirb — und auch fein neuefter Biögraph hat es nicht ganz
wieder gut gemacht — daß feine Cinwirkung auf Luther und Gang ber Re
formation im Jahre 1520 überfehen oder geringſchätzig beurtheilt wird. Bon
Sleidanus war bereitd die Nede, noch geringfchätiger urtheilt über Huttens
Thätigkeit Sedenborf 1. c. p. 131. Den richtigen Plab dagegen weiſet ihm
Cochläus an. Unter den Neuern haben Meinerd (Lebensbeſchr. berühmter
Männer Bd. II) und Jarke (Studien u. Sfigen p. 134 sqq.), dem Mei:
ner? dad Material, liefert, Huttens Verhältniß zu Luther nach Gebühr hervor:
gehoben, doch gehen beide von eininen irrigen Vorausſetzungen aus.
3) „Benovatur mihi memoria vetus de tragoedia Reverendi Kap-
nionis‘‘, fehreibt er noch 45%0 an Luther und ſpricht von Hochkiraten, als
bem „sceleratus.dux Coloniensium.‘‘ Unſch. Nadır. 1723, p. 706, 7. Die
reuchlinifche und Tutherifche Angelegenheit hingen bei ihm innig zufammen.
— 16 —
Drittes Capitel. Das Pfaffenſtürmen.
„Plebejo tandem victus amore Deus!“
Cordus.
J.
Während die Univerſität die Sache des Cvangeliums mit
leidenſchaftlicher Hitze verfocht, hatte dasſelbe auch bei der
ſtaͤdtiſchen Einwohnerſchaft Anklang und Beifall gefunden
In Luther war, wie Eoban ſagt, „der von der Stadt erſehnte
Apoſtel“ erſchienen !).
Erfurt hatte an der allgemeinen Gährung, welche das
ſtädtiſche Leben jener Zeit durchzog und allwärts der neuen
Predigt in den Städten ſo frühzeitig Aufnahme verſchaffte, in
reichlichem Maße Antheil. Seit mehr als hundert Jahren
bildete die Auflehnung gegen das bifchöfliche Regiment, der
Kampf gegen den Erzbiſchof von Mainz die Hauptangelegenheit
der Stadt. Faft das ganze öffentliche Leben bewegte ſich um
biefen Kampf, alle Berhältniffe wurden davon berührt. Die
Chroniken jener Jahre erzählen von Nichts fo häufig, als von
ben mainzer „Irrungen.“ In den bitterften Ausfällen gegen
ben Erzbiſchof gab fich die allgemeine Stimmung fund’).
—
1) Eob. Farrag. IT, 121. ‚‚Cupidae nam venit Apostolus urbi.“
3) Nicolaus von Siegen fchilbert die Stimmung ber Erfurter, indem et
fie redend einführt: ‚‚Libenter, immo libentissime essemus et facere
vellemus ut bone oves ct subditi, si haberemus pium atque fidelem
pastorem. Nunc vero, immo et rerum magistra experiencia docet
et sepius docuit: esse pastorem et nil solacii nichilque pabuli ovibss
impendere, ni] nisi aurum et argentum querere, semper lanam capeft
et a lupis nunquam defendere, frequenter non tantum lanam, sed et
carnem dirumpere atque devorare, sed parum aut nil conaolacionis,
parum pietatis impendere; qualis est iste pastor!“ „‚Laus deo“, fügt
ber fromme Mönd hinzu, „quod sum monachus, neque indigeo negwe
— 17 —
Lieber entichloß fi) die Stadt zu wenig ehrenvollen Zuge—
ſtändniſſen an das Haus Sachlen, als daß fie dem Mainzer
den gebührenden Gehorfam geleistet hättel Die Annäherung,
welche durch die Vorgänge von 1509 herbeigeführt wurde, war
von furzer Dauer; die alte Berbindung mit Sachjen wurbe
erneuert und wurde inniger, ald je zuvor. Es half Nichts,
daß der Kaiſer Marimilian 1516 in mehreren ſcharfen Man
daten !) der erfurter Bürgerjchaft ihre Pflichten gegen Wainz _
in Erinnerung brachte und die Berbindung mit Sachſen unterfagte.
Wer da weiß, wie gerabe die Oppofition der Städte gegen
die bifchöfliche Gewalt allenthalben der Reformation fo wich:
tigen Vorſchub geleiftet hat, wird die Bedeutung des mit jo
großer Heftigkeit und Ausdauer gegen Mainz geführten Kampfes
zu würdigen wiſſen. ine eigenthümliche Berfnüpfung ver
Dinge mußte dazu dienen, diefe noch zu erhöhen. Zeitgenofjen
haben in dem wittenberger Ablaßbefämpfer das Werkzeug fächli-
cher Eiferfucht gegen den bei den Erträgen des Ablaſſes beihei-
ligten Ehurfürften von Mainz zu erkennen geglaubt. Nicht zu
läugnen ift, daß die Irrungen zwiſchen Sachſen und Mainz
in ber erften Zeit auf den Gang der Bewegung von Einfluß
gewejen jind. Eben durch die erfurter Angelegenheit waren
fie herbeigeführt worden: auf das innigfte ſchien das Intereſſe
der Stadt mit dem Handel des ſächſiſchen Mönches verbündet.
Aber noch wichtiger und für die Aufnahme ber neuen
deben esse judex istorum: sed veniet tempus, quando omnes stabimus
ante tribunal justi judicis et tuno apparebit —. Chronic. Ecclesiast.
p. 483, 4. Ad a. 14%.
1) Abgedr. bei Faldenftein Alt:Mittel- und Neue Hiftorie von Erffurth
1, 568 ff. Crotus empfing in Stalien fogar bie Nachricht, daß die Stabt
fih fürmlih an Sachſen ergeben. Vgl. Crot. ad Urb. Bonon. 1518. Alt
lib, epp. K 2 a. — 1521 folgte ein neue? Taiferliched Mandat gegen bie
Stadt, weil der Rath eigenmächtig, ohne .Wiffen und Bewilligung be Chur⸗
fürften von Mainz Steuern ausgefchrieben hatte. Abgebr. bei Yaldenflein
1. c. I, 580. |
— 18 —
Lehre wirkfamer war das Verhältnik, in dem die Bürgerichaft
zu ber einheimischen Geiſtlichkeit ftand.
Der anticlericalifche Geiſt, der fi nach Außen in dem
Kampfe gegen Mainz zu erkennen gab, herrjchte auch im Innern
der Stadt. Die alte Ehrfurcht vor dem geiftlichen Stande
war verichwunden. Neibungen zwilchen Rath und Geiftlichkeit
waren an ber Tagesorbnung. Die Privilegien und Eremtionen
bed Clerus, einjt der Ausdruck der dem Stande gezollten Ber:
ehrung, jchienen eine brüdende Laſt, eine Beeinträchtigung der
ſtaäädtiſchen Wohlfahrt, feine reichen Einkünfte erregten Anſtoß
und Xerger. Die Abgabenfreiheit. ver Geiftlihen wurbe um
jo jchwerer empfunden, als bei ven finanziellen Bedrängniſſen
der Stadt bie Laien mit Steuern überbürbet wurden ’). Man
rechnete den geiftlihen Herrn ihre Einnahmen nach und war
empört, daß Nicht3 davon dem verfchuldeten Gemeinweſen zu Gute
fomme. Schon mehrmals hatte fich der Rath dadurch zu helfen
gejucht, daß er fie gewaltfam zu den Auflagen herbeizog, ober
2) Dies namentlich hebt der ungenannte Berfaffer des Gedichtes über
den Pfaffenfturm hervor:
Vnd als nun dem zu helffen wer
mit radt, kunſt, gelt vnd ander meer,
Solt man bie pfaffen foten Yan
vnd nit vmb hilff auch finnen an.
Man ſolt in geben zinß vnd reudt,
obgleich vergieng, das got abwendt,
Stat, dörffer, flecken, gmayner nutz,
dannocht wellen ſy bitten truß,
Sy wernß bapftes vnderthan,
ber ſy im ſchutz frey halten fan,
bes rats gelayt börfften fy nicht,
ich main es jey Kain falſch gebicht,
der fchimpff hat ſy geramwen wol,
in ift geftedit ain ander mol u. |. w.
Ain nein Gedicht wie die gauftlihait zu Erffort in Dhüringen Geſturmbt if
worben Turgwenlig zu lefen. Anno 1521. 4°. (Am Ende: Geben onb geendt
zu Weßel) A 2 b. — lieber den Steuerbrud der Bürger vgl. Falfenflein
I. c. 1, 425, 444, 448, 572 und Gudenus Hist. Erf. p. 214. —
— 10 —
fich geradezu Eingriffe in geiftliche® Eigenthum erlaubte ?).
Vorzugsweiſe waren bie zahlreichen religidjen Genoſſenſchaften
Tolchen Anfeindungen ausgeſetzt. Man zählte in der Stabt
zwölf verfchiedene Orden, acht männliche, vier weibliche ?), ihre
weitläufigen, zerſtreut Tiegenden Gebäulichkeiten nahmen einen
guten Theil der Stadt ein: redende Zeugen ber Frömmigkeit
der früheren Jahrhunderte. Aber mas der fromme Eifer der
Vorfahren gegründet, war den Nachkommen ein Gegenftand
des Anſtoßes geworden. Der gemeine Mann murrte über bie
Neichthümer und die Ueppigkeit der Mönche; Tüftern blickte
der Rath nad) den ausgedehnten Befiyungen der Klöſter Hin-
über: in dem Umfichgreifen ver Klöfter glaubte er die Urfichen
der allgemeinen VBerarmung zu erbliden. Schon hatte er durch
gefetliche Verordnungen der Vermehrung des Kloftervermögens
ein Ziel zu ſetzen geſucht. Die neue Negimentdordnung von
1510 jebte feft, daß der Rath vor Allem beim Papfte darum
einfommen jolle, daß In Zufunft Erbichaften an Tiegenven
Gütern den Klöftern nur auf die Lebensdauer des erbenden
Mitgliedes . verblieben, „weil denn augenjcheinlih am Tage,
daß die Bürger mit der (bißherigen) Weife die Länge wenig
Tiegende Güter behalten würben, fondern zu noch mehrer Ver-
wüftung der Stadt und Zerrüttung der Bürgerjchaft reichet
und lange.” „Wo aber” fchließt die Verordnung, „folches
von unſerm heiligften Vater dem Papft nicht erlanget, oder
von den Klöftern in der Güte nicht zu Wege bracht werben
möchte, alsdann auf andere Mittel zu trachten, damit der Stabt
und Bürgerfchaft ferner Nicht? abgehe, noch dieſelben in weiter
Abnehmen geführt, jondern in Weſen erhalten möge werben“ ?).
1) Chronic. Eccles. Nicolai de Siegen p. 476, 477, 478. — 1488
mußten fi das Peteröflofter, das Garthäuferflofter und die beiden Stifter
jeded zu einer Zahlung von 1000 Gulden an ben Rath verfichen.
2) Intereſſante Notizen darüber in der Hogel’Ichen Chronik (M. ©.)
ad a. 1518.
s) Ordnung, Statuta und Regimentsverbefterung ber Löblichen ubralten,
— 10 —
Keine aber unter den geiftlichen Corporationen traf der
allgemeine Haß in jo hohem Grabe al? die Mitglieder der
beiden Stifter zu Unferer Lieben Frau und zu St. Ser.
Da oben um ihre beiden an Pracht mit einander wetteifernden
Eollegiatkirchen herummohnend, bildeten fie gleichjam eine geift-
liche Burg inmitten der Stadt. Reiche Einfünfte, ausgebehnte
Befigungen, Privilegien ficherten ſie gegen die Wechjelfälle des
ftädtifchen Lebens, dem überbied auch bie Meiften durch ihre
Abkunft fern ftanden. Kein Wunder, wenn da ber gebrüdte
Bürger mit Groll im Herzen zu ihnen heraufblickte. Was bie
Abneigung gegen fie noch erhöhte, waren ihre nahen Beziehungen
zu dem mainzer Stuhle, von dem bie Gründung ber beiden
Stifter ausgegangen war !): als Anhänger de Erzbiſchoßs
galten fie zugleich als deſſen Helfer im Kampfe gegen die Un-
abhängigkeitäbeftrebungen der Stadt?). Zwiſchen dem Rath
Stadt Erffurdt ꝛc. So geſchehen nach Chrifti unſers Lieben Erxlöferd und
Seligmachers Geburt im fünffzehenhunderten und zehenben Jahre. Abgedt.
bei Taldenftein I, 519 ff. Vgl. p. 539-—-40. Eine alte Abfchr. auf de
Rathhausbibl. in Erfurt. — Der übermäßige Reichthum der Klöſter wurde
aud ein Lieblingsthema der Prädicanten. Lange fpricht über „die grofien,
hoben beufer, tiefe Teller, Föftliche gewelb, die Herren vnd fürften faum
erbawen on erhalten mochten.” Bon gehorfam der Weltlichen oberfait und den
außgangen ofterleuten. 1523. C 2 a. ‚‚Concedere etiam nolens co-
geris’‘, wirft Euelfamer dem Ufingen entgegen, „Monachis et Sacerdo-
tibus pinguissime a majoribus nostris provisum esse, pauperum vero
nullam habitam curam.‘“ Adversus Magistri nostri Barptholamei
Usingi impudentem libellum Jo. Cuelsameri confutacio. 4. 1523, C 1b.
2) Auch des Severiftiftd. Die Angaben über das Jahr ber Tranzlatien
der Gebeine bes h. Severus ſchwanken zmifchen 836 und 842. Vgl. Casp
Sagittarii Antiquitates Ducatus Thuringici. Jena 1688 p. 136. Darin
ftimmen alle Chronifen überein, daß fie durch Otgar, den fünften Erzbiſchof
von Mainz, nad) Erfurt getommen feien. Eine gebenft der Webertragung it
folgender für die Animofität gegen Mainz fehr charakteriftifchen Weiſe: „CH
bifchoff Ottgar hat die Stadt Erffurt mit S. Severs Gebeinen vereht.
Solche und bergleihen Sachen hatten die alten Ertz-Biſchoffe mit und zu
Erffurt zu thun und wußten von feinem dominatu politico.”
2) Sogar bei Nicolaus von Siegen findet fi die Aeußerung: „‚Becleria
Moguntina et canonici multas terras, civitates et cnstra obtinehl,
—- 11 —
und den beiden Capiteln herrichte fortwährend die größte
Spannung. Bereit3 mandyen Eingriff in ihre Rechte hatten
die Stiftäherrn hinnehmen müſſen. Im Jahre 1515 ließ der
Rath die geſammte Dienerjchaft beider Eapitel einkerkern. 1519
brad) ein heftiger Streit au3 zwifchen dem Rath und dem Kieb-
frauenjtift über die Ruckgabe des dem Stift zugehörigen Ortes
Großrudelſtadt. 1521 kam es zu neuen Mißhelligfeiten mit
dem Severiftift ?). Es war ein fortwährender Kriegszuftand.
Auch in diefer Oppofition gegen ven Elerus folgte Erfurt
der allgemeinen Strömung des ſtädtiſchen Leben; aber nur
an wenigen Orten ift der oppofitionelle Geift jo allgemein und
unverholen bhervorgetreten. Geſchlechter und Gemeine, wie
Tchroff fie ſich auch font entgegenftanden, waren dem Clerus
gegenüber einig. Der neue, aus ver Gemeine herporgegangene
Rath, welcher 1510 den alten patrizifchen verbrängte und alle
Handlungen dezjelben verdammte, nahm fich gleichwohl fein
feindjelige® Verfahren gegen die Geiftlichleit zum Muſter. —
Daß es dahin nicht hätte kommen Fönnen, wäre die Geift-
lichkeit ihrem urjprünglichen Berufe getreu geblieben, Tiegt zu
Tage. Es mag fein, daß der Dünkel der Humaniften und
der evangelifche Eifer fpäterer Chroniften die Verſunkenheit
des damaligen Firchlichen Lebens vielfach übertrieben hat ?),
fo viel erſehen wir auch aus gleichzeitigen unverbächtigen Zeug-
nifjen, daß die erfurter Geiftlichkeit in hohem Grade der allge-
meinen Verderbniß ihres Standes anheimgefallen war. Der
et tamen indigent, thesaurizant sibi, coram justo judice unusquisque
videbit.‘“ Chron. Eccles. p. 4%.
ı) Vgl. Erphurdianus Antiquitatum Variloquus bei Menden Script.
Ber. German. II, 534. Gudenus Historia Erfurtensis p. 218. Hiftor.
Relation von Erffurt Hei Falckenſtein 1. c. I, 578.
2) Die feandaldfen Gefchichten, welche die fpätern Chroniften Hogel und
Frieſe über einzelne Geiftliche mittheilen und von denen Erhard (Ueberl. zur
vaterl. Geſch. I, 52, 53) einige gar treuberzig macherzählt, find weiter nichts,
als Weberfebungen von Epigrammen bed Cordus! ine Vergleihung über:
zeugt davon auf das fchlagendfte.
— 12 —
Geiſtliche trieb bürgerliche Gewerbe und Handel — namentlid
mit Wein — wie der Laie, dem gegenüber er babet durch die
Brivilegien feined® Standes im Vortheil war. An die geil:
lichen Verrichtungen wurde der Maßſtab des äußern Ertrages
gelegt. An Pflege geistlicher Wiffenfchaft achten die Wenigiten
Das Predigtamt wurde vernachläffigt, oder in einer Wal
geübt, die mehr zum Aergerniß, als zur Erbauung biente; fit
Sebaftian Weinmann hatte bie Stadt feinen namhaften Prediger
mehr aufzuweifen. Um jo mehr aber wurde Sorge getragen,
daß Zinfen und Nenten zu gehöriger Zeit einfamen?). Auch
an fittlihen Unordnungen fehlte es nicht: bei der Anweſenheit
de3 päpftlichen Legaten Raymund freuten fich die im Eonur
binat lebenden Geiftlichen nicht minder, al3 die Laien über bie
Leichtigkeit der Sündenvergebung, die ihnen der verfündel
Ablaß gewährte). |
Und nicht beſſer ftand es um: den. Ordensclerus. Was
einft der Mönch von Prüm in das Güterverzeichnig feme
Abtei gefehrieben hatte, daß die Neichthümer, der Froͤmmigkeit
Töchter, zulegt die Mutter aufgezehrt *), bewährte ſich auf
bei den erfurter Klöftern. Die alte Zucht und Sitte war aus
den meiften geſchwunden. Die Ordensregel wurde vernach
läſſigt, die Clauſur nicht geachtet. An allen Tagesereigniſſen
1) Cordus ſchildert dies nach feiner Weiſe:
In missarium Sacerdotem.
Aspicis, ut tristi querulus tibi rusticus ore
Lachrymet et trepido supplicet üsque genu,
Et sua differri petat unum debita mensem,
Dum terat invectas proxima messis opes!
Tu vehemens tamen exactor nil segnius urges,
Perque tot exclusum cogis ab aede dies etc. Opp. Cord. 141.
2) Nic. de Sieg. 1. c. p. 479. „Dixit quidam notabilis predicator
(Weinmann?): Jam dicunt seculares et clerici concubinarii: jam ve
Jamus audacter et libere peccare, quia de facile absolvi possamus.“
Vgl. Cord. Opp. (In concubinarios Sacerdotes) 122 b.
2) „‚Religio nobis peperit divitins, sed filla deveoravit matren.
Vgl. Marx, Geſch. des Erzſtifts Trier J, 264.
— 13 — .
fah man Mönche Theil nehmen. Bei jtäbtifchen Feſtlichkeiten
fehlten. fie nie!), Mit weltlichen Händeln beichäftigten fie fich
innerhalb der Slojtermauern. „Wollte jemand willen”, berichtet
ein Chronift, „was fich im römischen Reiche zugetragen hatte,
der konnte bei den Karthäujern es am eriten erfahren” ?). Man
trat in's Klofter ein ohne Beruf, um gute Tage zu genießen’);
fügte man ſich den Saungen des Ordens, jo geſchah es meift
Außerlich, in handwerksmäßiger Weife, ohne innere Betheiligung.
Eine tiefere Auffaſſung des Ordenslebens ſuchen wir bei den
Meiften vergebend. Wie wenig der Geilt der Stifter ihre
Drodensangehörigen beherrichte, das zeigte auch der rajche Eifer,
mit dem die meiſten derſelben bald das Mönchdgewand von
ſich warfen.
Und aud) die Canoniker der beiden Collegien waren von dem
allgemeinen Verderben ergriffen. Kaftenartig abgefchloffen, nur
— —
1) Ad quendam Monachum:
Qui vos exclusi mundo monachique videri
Vultis et insignes relligione viri?
Qui sic errantes totam percurritis urbem
Omnibus in plateis, omnibus inque foris,
Omnibus in ludis, spectaclis conciliisque,
Fornicibus, thermis, denique dic ubi non?
Non adeo vagus ardelio, nun scurra prophanus,
Et tamen in vestra credimus astra munu etc. Cord.
Opp. 124. „Es mocht in der Stadt vorgehen was da wollte“, bemerft Hogel
dazu, „da liefſen münd zu und bie gaflen auf und ab.” Ada. 1519. —
„‚Quidquid agit mundus, monachus vult esse secundus““ war das Sprüd):
wort der Humaniften.
2) Gegen Carthäuſer und Franziskaner find die meijlen Angriffe bes
Cordus gerichtet. — Vgl. Opp. 135 b, 138 a, 133 h, 134 a, 148 b, 149 a.
Dagegen verfchont er die Benedictiner und Auguftiner.
2) Wie 3. DB. Ufingen dem Mechler mit nadten Worten vorwirft: Tu
autem juvenis a partecis, ut vocant, monasterium incurristi ut farcires
ventrem, quaerens in coenobio quod foris hahere non potuisti. Vgl.
Lihbellus F, Bartholomei de usingen augustiniani, in quo respondet
confutationi fratris Kgidii Mechlerii monachi franciscani sed exiticii
larvati et conjugati. 4%. S 3 a. —
Kampfchulte, Univerfiiät Erfurt. IT. Tbeil. 8
— 14 —
auf die Wahrung ihrer Vorrechte bedacht, brachten fie, unehr
geben? der alten Vorfchrift, ihre Tage In Unthätigkeit Bin.
Nicht fo fehr al ein Amt, denn als einen Beſitz, den fie zu
genießen berechtigt jeien, faßten fie ihre Winde auf. Willen:
ihaftliche Beftrebungen lagen nicht minder darnieder, als die
Uebungen ber Frömmigkeit. Das gemeinfame Gebet im Chor
war zu einer leeren Form, zum äußern Erfennungszeiden
geworden. Statt, wie es vorzugsweiſe in ihrem Berufe zu
liegen fchien, fich der neu auffommenden humaniſtiſchen Rid-
fung anzunehmen und fie im Einklang mit dem Firchlichen Leben
zu erhalten, traten fie ihr fchroff verneinend entgegen, ver
dammten und verfolgten, was zu widerlegen fie nicht im
Stande waren. Nicht einmal der lutheriſche Streit konnte fie
aus ihrer Unthätigkeit aufweden!). Ueber ihren fittlichen
Wandel aber waren im Volk die ungünftigiten Gerüchte in
Umlauf. Man wollte wijjen, daß nirgends die Meppigfeit und
ber Einfluß der Dirnen größer fei, als in den Wohnungen
der Canoniker ?).
Sp allgemein war freilich die Verfunfenheit des Clerus
— ti
1) Vgl. Adversus Magistri nostri Barptholomei Usingi impudenten
libellum Joh. Cuelsameri confutacio. E3Z3 a.
2) Sehr derb ſpricht ſich die öffentliche Stimmung aus in dem weiter
unten anzuführenden Gedicht de Gothard Schmalz. Da heißt es z. B. von
dem NRotendörfer:
Er hat ein Hur von Würzburg bracht,
Er ift vierzehn Jahr Thumbher gemwefen
Und bat noch nie fein Meß gelefen ꝛc.
Das wefeler Gedicht fpricht fogar von dem öffentlichen prunkvollen Auf:
treten der Soncubinen:
„Wie wol fy ver het groſſen g’walt
geübt und branget mancher g’ftalt
Thrutz burgerin vnd Edelleut,
als warn diß gemalte breut
Zu eeren Priefterlihem ftand
die alfer böften in dem land.“
An new Gedicht ꝛc. B3 b.
— 15 —
richt, daß nicht ehrenwerihe Ausnahmen noch an die Yute alte
Zeit erinnert hätten. Es zählte dad Domftift unter feinen
Mitgliedern nod Männer, wie den fittenftrengen, gelehrten
und um bad Wohl der Stadt fo vielfach verdienten Henning
Gorde. Dem Domftift gehörte auch der gefeierte Prediger Se-
baftian Weinmann an, der nie müde warb, zur Umkehr und
Beljerung aufzufordern. Unter den Mitgliedern des Severi-
ftiftes finden wir den frommen Martin von ber Marthen, der
noch im hohen Alter fich den Mühſalen einer Wallfahrt nach
Serufalem unterzog‘). Der Curatclerus hatte noch in dem
eifrigen und thätigen Pfarrer zu Allenheiligen, Andreas Frowin,
einen würdigen Bertreter?). Noch gab es in den Klöſtern
Manche, die in alter Weife dem Gebete, den Studien und der
Arbeit oblagen. Da war in dem Auguftinerflofter, in dem
Aberhaupt ein ernſter Geift herrfchte, der Bruder Bartholomäus
Ufingen ein Muſter ftrenger Frömmigkeit und regen wifjen-
ſchaftlichen Eiferd. Eine erfreulihe Erjeheinung ift aud) der
würdige Abt Nicolaus, ber zu Anfang des Jahrhunderts dem
Schottenflofter vorftand. Vor Allem aber verdient hier eine
rühmliche Erwähnung das Benedictinerkloſter auf dem Peters-
berge, dad eben gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
unter dem Einfluß der von dem Kloſter Bursfeld ausgegangeiten
Reformbewegung und unter der Leitung ſeines vortrefflichen
Abtes Günther einen Auffhmwung nahm, der in feinen Erſchei—
nungen an bie fchönften Zeiten des Ordenslebens erinnert ?).
Doch Berdienit und Würbigfeit der Minderzahl war nicht
1) Vgl. Erf. Univ. Matr. ad a. 1521.
2) „Pastor vigilantissimus omnium Sanctorum‘‘ wird er in ber
Univerfitätämatrifel ad a. 1518 genannt.
s) Das fchönite Denkmal diefer Erhebung ift die Chronik des ganz der
Reform hingegebenen Nicolaus von Siegen, durch deren Herausgabe ſich jüngft
Megele ein Verdienft erworben hat. — Wir begegnen darin Beifpielen der
firengften Asleſe. (Vgl. p. 473). Leider aber ſcheint der Eifer bald nad)
dem Tode Nicolaus’ (1495) und Günther (1502) nachgelaſſen zu haben.
8 *
— 116 —
im Stande, den Eindruck zu verwifchen, den die Entartung
der Mehrzahl machte. Der einmal ‚hervorgerufene Unwille
fehrte fich gegen Würdige und Unwürdige ohne Unterjchie:
hatte jich doch felbft der Fromme Abt Günther mehr ald ar
mal über die eigenmächtigen Eingriffe des Rathes in die Ge
vechtjame feines Kloſters zu beflagen ').
In ſolchen Zuftänden fand Luthers Predigt einen frudk
baren Boden. Auch ohne die Einwirfung der Univerfität, au
ohne das perjönliche Snterefje, dag der „Bruder Martin” wegen
ſeines fiebenjährigen Aufenthaltes in Erfurt einflößte *), war
bier dem Evangelium der Erfolg fiher. Daran ift zwar bei
dem unwiſſenden Haufen noch weniger, al3 bei den Humaniften
zu denfen, daß er an Luthers theologifchen Weberzeugungen
innerlichen Antheil genommen habe: nur daß es gegen Pfuffen
ging, das fühlte man heraus: das genügte, um Luthers Sache
den Beifall der Menge zu fihern ?). In ihm war der Befreier
von Druck und Tyrannei der Geistlichen erfchienen. So ſchil—
derte ihn auch Eoban feinen Mitbürgern, indem er ihn al
jenen verherrlicht, „der es zuerft unternommen, den Schaafftall
Chriſti zu reinigen, und an's Licht gebracht, daß die Hirten der
Schaafe Wölfe feien” +). ALS Bekämpfer der clericalen Au—
ı) So berichtet Nicolaus ad a. 1487, „Cousulatus Erfurdiensis per
vim cepit monasterio 8. Petri suas jurisdictiones in lignetis et pratis,
facientes contra voluntatem domini abbatis venaciones in lignelis
monasterii montis 8. Petri.‘ 1. c. p. 447.
2) Hängt es vielleicht damit zufammen, daß bie Rutheraner in Erfurt
noch 1525 als „Martinianer” erfcheinen ?
s) „‚Populus odio magis Sacerdotum, Monachorum et Canonica-
rum legum, quam amore Christi a Rom. Ecclesin defecit‘“ fagt Wicel
(Retectio Lutherismi A 2 a) von dem Abfall des Volkes im Allgemeinen:
in Beziehung auf die niedere flädtifche Bevölkerung ift damit ficher nicht zu
viel gejagt.
I Qui primus Christi purgare aggressus ovile,
Pastores ovium prodidit esse lupos,
Ausus et a summis rationem poscere, furta
Spem tulit illorum posse latere diu.
— 17 —
maßungen und Ungronungen, al3 Zerftörer der drückenden
Pfaffenherrſchaft war Luther jener Apoftel, nach dem die Stabt
ſich gejehnt.
Wir haben bereit gefehen, einen wie glänzenden Triumph
fie ihm auf der wormjer Fahrt bereitete. Wie aber Luthers
perjönliche Anmefenheit den Enthufiagmus für ihn auf das
böchite fteigerte, jo auch den Haß und den Unwillen gegen den
Clerus. Luther Auftreten war nicht dazu angethan, die auf:
geregten Gemüther in die Schranken der Mäßigung zurüdzu-
weijen, und nur zu bald jollten die von Eoban jo überfchweng-
lich gepriefenen Wirkungen feiner Predigt in verderbenbringenver
Weiſe ſich Außern.
Il.
Der Friede, den dad Evangelium des weißen Sonntag?
verkündete, hatte nach dem Berichterftatter über die folgenden
Auftritte zugleich mit Luthers Perſon Erfurt verlaffen !).
Eob. Farr. 11, 117. Aehnlich 1. c. p. 121, wo von ihm gefagt wird, er
babe zuerft gelehrt:
. Haemophagos blandis sub vulpibus ire leones
Christicolamque avido perdere dente gregem.
1) Bol. Das Pfaffenftürmen ao. 1521 durch Gothardum Schmalz gemacht,
in deutſchen Reimen:
Da er (Martin) zu Erffurth war allda
Der Friede mit euch war ſein Thema,
Seindt der Gottes Mann iſt hinweg gezogen
Iſt der Friede gar mit ihm geflogen
Da Martinus gen Erffurth kam
Nichts gut darine richtet au 2c.
Das Gedicht, deſſen Verfaſſer wahrſcheinlich mit dem 1507 immatrikulirten
G. Sch. identiſch iſt, iſt noch ungedruckt, exiſtirt aber in vielen Abſchriften
in den erfurter Chroniken. Der confeſſionelle Standpunkt der Abſchreiber hat
einzelne Abweichungen herbeigeführt: ſo haben zwei Abſchriften der Münchener
Hof und Staatbibl. Cod. Germ. 4908 vgl. Cod. Germ. 4010 einen ganz
veränderten Schluß. — Als Aufzeichnung eines Augenzeugen, unter dem
friſchen Eindrucke der Ereigniſſe niedergeſchrieben, iſt der Bericht die wichtigſte
— 18 —
Schon am achten April traten in der Stadt die Symptome
einer jehr bedenklichen Gährung gegen die Geiſtlichkeit hervor.
Luthers hitzige Ausfälle !) nicht minder, als das dumpfe Schwei-
gen, welches namentlich die beiden Capitel dem allgemeinen
Jubel entgegenfegten, hatten den alten Antipathien neue Nah—
rung gegeben. Es bedurfte nur eines geringen Anſtoßes, um
bie Leidenschaften der erregten Menge zu entfeſſeln. Diejer
aber wurde von dem Clerus ſelbſt gegeben.
Ungeachtet der ntgegenftehenden Anficht beider Capitel
hatten zwei jüngere Mitglieder des Severiſtifts an dem feier
fihen Empfange Luthers Theil genommen, Es waren bie
—
Duelle für dag Folgende. Sch. war felbjt mit unter den Stürmenden („I
war auch mit im erften afchrei”) und befchreibt deshalb fichtlich erfreut die
verrichteten Thaten mit aller Umſtändlichkeit,
„Damit zu gedenden der Pfaffen wefen,
Hiermit hat dieſes Gedicht ein ende,
Gott wolle alle Piaffen fchenden
Und jnen geben den verdienten Lohn,
Wie fie umb ein jeden verdient bon. Amen. Anıen.”
Mehr im Allgemeinen hält fid) dag ſchon angeführte, in Weſel (!) gedrudte,
aber höchſt jeltene Gedicht: Min nero Gedicht, wie die ganftlichait zu Erffordt
ꝛc. Es behandelt weniger dad Stürmen, als es im moralifirenden Volkston
die Entartung des Clerus jchildert. Der Verfaſſer ift ebenfalls Augenzeuge
und fchliegt noch erbaulicher, alö fein Vorgänger:
Darbey will ichs bleyben Ion,
got helff ung frid und ainigfayt bon
Vnd geb vns dort die ewig freyd
alhye behüt vor ſolchem layd
Als tragen hat die ſelbig ſtat.
wer wayß werß recht verſtanden hat.
1) Aeußerungen wie folgende konnten ihre Wirkung nicht verfehlen: „Da
kommen vnſer junckherrn vnd ſagen, Pascere heiß leges dare, geſetz geben
allein mit verfürung. Aa es iſt wol gewaidet, ſy waiden eben die ſchaff, als
die fleifchbawer am Oſterabent thun.“ Ober: „Es fein wol dreytauſent
pfaffen, ynder den man vier recht nit vindt, got erbarm den jamer, vn jo
man ſchon recht prediger hat, fo fagt man das Euangelium veberhin, vnd
darnach gin fabel vom alten efel oder ain hiſtorie von Dietrich von Bern x.
Ain ſermon D, Mortin Luthers, fo er x. zu Erffurdt gethon Anno 1521,
A 3 up A 2 h.
— 19 —
beiden, uns ſchon aus Mutians und Eobans Umgebung bin-
länglich bekannten Humaniften Juſtus Jonas und Johannes
Draconiteg, die fich kurze Zeit vorher — wir wifjen nicht auf
welchem Wege — ein Canonicat an der Severifirche zu ver:
Ichaffen gewußt hatten. So natürlich bei ihnen, als Huma—
niften, die Betheiligung an den Luther dargebrachten Hul-
digungen war, fo natürlich auch die Entrüftung, welche ihre
ältern Amtsbrüder darüber an den Tag legten. In Meberein-
Stimmung mit. der päpftlichen Bulle, welche unter Strafe der
Ercommunication den Umgang mit dem Gebannten unterjagte,
befchloffen die Vorgeſetzten beider Capitel, der Dombechant
Miedemann und der Dechant de Severiſtifts Doleatoriz, die
beiden pflichtvergeffenen Canoniker als ercommunicirt zu bes
trachten und nicht ferner zur Verrichtung ihrer Amtzfunctionen
zuzulaffen, Diefer Beſchluß wurde bei Draconited — Jonas
tehrte nicht wieder. in das Stift zurüd — wirflich zur Aus—
führung gebracht: als er am Tage der Abreife Luthers zur
gewöhnlichen Stunde im Chor erjchien, wurde er von dem
Dechant mit dem Namen eines Ketzers empfangen und aus
der Kirche gewieſen !).
Schwer jollte diefer Amtzeifer gebüßt werben. Draconites
beflagte fich bei jeinen Freunden über bie ſchmachvolle Behand:
Yung unter bittern Ergießungen gegen die Xieblofigkeit und
Pflichtvergeffenheit der Geiftlichen ?) und rief, wie es ſcheint,
— —
1) Schmalz J. c. ſpricht nur von einem „vor die Thor weiſen“, nach
Luther (an Spalatin, De Wette IT, 5) hätte ihn der Dechant publice appre-
hensa syndone aus dem Chor gezogen; noch greller malt Erhard (Ueberl.
zur vater. Geſch. I, 40) die Mißhandlung aus, indeß ohne feine Angaben zu
beweifen. — Als Anitifter des Verfahrens gegen Draco erſcheint bei Schmalz
ber Domdechant Wiebemann. „Doctor Wiedemann heute zu.” 1. c.
2) Draco Eobano ex candida Rota ‚‚Illud video, nullos longius
a vera pietate abesse, quam eos, qui capita (si diis placet) religionig
videri gaudent. Charitas in sacerdotibus refrixit, contemnuntar bonae
literae, negligitur bona seriptura. Qui profitetur Christum hac tem-
pestate haereticus dieitur.‘‘ Vgl. Beyschlag Sylloge varior. opuscul,
— 120 —
bie Hülfe der Univerfität an, deren Mitglied er war. Gein
Schickſal erwecte die Theilnahme und den Unmwillen jämmt-
licher Lehrer. Eoban fah in dem Verfahren der Stiftägeift:
Tichen eine allen Gelehrten angethane Schmad. „Möchte doch
dieſes Gefchlecht der Müßiggänger von dem Erdboden vertilgt
werben”, fchrieb er in der erften Aufwallung an Draconites
zurüd, „hoffentlich würde dann den Guten ihre Auszeichnung,
der Tugend ihre Belohnung nicht länger vorenthalten werben.
Du aber ftehe feit und laß den Muth nicht finfen! Das Schid:
fal wird fchon einen Ausweg finden“ 1).
Noch an demfelben Tage fand es ihn. Ehe noch von
Seiten der Univerfität etwa für den Beleidigten gefchehen
fonnte, wurde dad Vorgefallene unter der ftudirenden Jugend
ruhbar und rief hier die größte Erbitterung hervor. Ihre
Neigung zu tumultuarifchen Auftritten war von jeher groß
und hatte, namentlich jeit die evangelifche Sache die Gemüther
ergriffen, noch zugenommen 2). Dazu fam die Aufregung ber
I, 345. Aus dem Briefe, der ohne Zweifel vom 9. April ift, (wie auch die
gleich anzuführende Antivort Eobanz) erfieht man, daß Draco ſchon vorher
den Rector der Univerfität von dem Gejchehenen in Kenntniß gefeßt batte.
Die Beichuldigungen des Heinz von Scharfenftein, als habe Draco den Auf:
ruhr angeftiftet (vgl. Strobel 3. Draconites p. 21) find grundlog, wenn
auch erklärlich. —
!) Eobanus Draconi ‚‚Quod ad tuum nıgotium cum virulentissimo
Doliatore attinet, tuum non tantum sed et nostrum et doctorum
omnium commune puta, — Ille profecto, sicut Jam rumusculi incre-
bescunt, concitabit perniciem. Atque utinam hoc genus ignavissime-
rum hominum tollatur e medie, futurum utique sperarem, ut et bonis
sui honores essent, virtutique sua praemia. Tu ne cede malis, sed
contra audentior ito. Fata viam invenient.‘“ Eob. et amic, epp.
fam. p. 89,
2) Dan erfieht dies u. A. auch aus den feit 1518 im Lib. rat. zahlreicher
werdenden Straffällen; unter Meyger (1518) werden 11, unter Ceratin 10
(darunter einer ob novum excessum commissum), unter Pla 11 auge:
führt. Vgl. Lib. rat. ad a. 1518, 19—%0. — Zu einem größern Studenten:
tumult fam es noch um Faftnacht 1521. — Bemerkenswerth iſt auch, daß
der Dr. Beyer in dem über den wittenberger Decemberauflauf an den Chur:
— 21 —
legten Tage. Sofort wurde beichloffen, für die von den „Eur:
tifanen” — Schon war diefe Bezeichnung üblich — verübte
Unthat Rache zu nehmen. Unverzüglid ging man an's MWerf.
Drohende Haufen fammelten ſich gegen Abend um die Woh-
nungen der Stift3geiftlichen. Zu den Studenten gefellte fich
jeßt der unruhige Stabtpöbel, der nur auf ein folches Zeichen
geharrt hatte, um ſeinen Ingrimm an dem aus „der Armen
Schweiß und Blut” gefogenen Pfaffengut auszulaſſen. Nach
eingetretener Dunfelheit begann der Sturm. Mehr ala zwölf:
hundert Studenten und Proletarier warfen fich wuthentbrannt
auf die Wohnungen der Canoniker und ließen dieſe jebt in
der roheften Weile die in der Stadt herrichende Stimmung
empfinden. In wilden Haufen brachen fie in die Hänfer ein,
zerichlugen Thüren und Fenfter, zertrümmerten dad Hausge:
räth und was fte fonft vorfanden, und warfen die vorgefun-
denen Speifevorräthe auf die Straße!). Die Betten wurden
in außgelafjenem Muthwillen zerjchnitten und die Federn zu
den Fenſtern hinaus gefchüttet, daß fie über die ganze Stadt
binflogen „und es ein Anfehen hatte, al3 wenn es dick ſchneiete.“
Auch vergaß man nicht, die wohlverjehenen Keller zu erbrechen,
„darzu fie nur einen Schlag und dad Wort Ephata gebrauchten”,
und was von den reichen Weinvorräthen nicht genofjen werden
—
fürften eingefandten Berichte die Schuld auf die erfurter Studenten zu wälzen
ſucht: „In summa e3 follen die Aufruhr etliche Studenten von Erffurth, bie
an ihnen felbjt empöreriſch feyn, erwect haben.” Corp. Be I, 490.
1) Bol. Hiftoria und befchreibunge des gantzen Lauffs und Leben, wie
nemlich ih Daniel Greiser etc. B. 2 a. „Dieweil ich zu Erffurth in bie
Schule gieng? machten die Studenten einen Auffruhr vnd ſtürmten die Pfaffen-
häufer vmb die Savata und vnſer lieben Frawen und Severus Kirch berumb,
ſchlugen alle Fenfter aus, ftieffen in den ftuben die Ofen ein, verterbten allen
Baurath, ohn Scüffeln vnd Kannen, zerfpalteten die föftlichen vermofirten
Tiſche, vnd warfen die ftüd alles deſſen fo ſy verterbet hatten auf die Gaffen
hinaus, fampt allem was zu effen dihnete, als. Potter, Sped ꝛc. Greiſers
Bericht, der nur von der Plünderung ber Stift3wohnungen fpricht, ift auf
ben erſten Sturm zu beziehen. — |
fonnte, wurbe muthwillig verſchüttet. Alles, wa3 den Erbit:
terten in die Hände fiel, wurde der Zerjtörung preisgegeben.
Die ganze Nacht hindurch bis in den nächſten Tag hinein
wurde dieſes Treiben fortgeſetzt. Nur durch eilige Flucht ent
gingen die Stiftsherrn ſelbſt perjönlihen Mißhandlungen. —
So raſch folgte auf ven Subel, unter dem Luther einge
zogen war, ber Triumph der entfefjelten Leidenſchaften und bie
Herrſchaft zügellofer Willführ. Luther war kaum zwei Tage
reifen von Erfurt entfernt), als fich der evangelische Eifer
in jolcher Weiſe entlud.
Erſt die Ermüdung fcheint dem Treiben der ſtürmenden
Haufen ein Ziel gejegt zu haben. Wir vernehmen Nicht? von
einer Dazwiſchenkunft der ſtädtiſchen Obrigkeit. Vielmehr nahm
der Rath nach dem Borfalle eine Haltung an, die grabezu einer
Billigung des Gejchehenen gleichfam. und den Clerus mit böfen
Uhnungen für die Zukunft erfüllen mußte An Beftrafung
der Mifjethäter war fein Gedanke. Nur Crotus, der auch jetzt
noch jeinem alten Grundfage getreu blieb, machte den Verſuch,
gegen die Anftifter des Aufruhrs, joweit fie zur Univerfität
gehörten, mit Strenge einzufchreiten. Seine legten Amts
Handlungen waren diefem Zwecke gewidmet ?); aber Die öffent:
liche Stimmung war gegen ihn. Mißmuthig trat er im Anfang
Mai von dem NRectorat ab und verließ bald darauf die Stadt,
um fie nie wieberzufehen.
Unter diefen Umständen ließ e3 ſich unſchwer vorausſehen,
daß es bei dem Gefchehenen nicht bleiben werbe.
1) „Quo tempore nos Isenachum venimus“, jagt er felbft, Habe ber
Auflauf ftattgefunden d. i. am 9. April. Vgl. De Wette II, 5.
2) Er hielt fein Ießte$ Secretum cuncilium feria VI. post Marci,
„„in quo tractatum est de excessibus juvenum seditionem excitantium.“
Lib. rat. ad Rect. Crot.
II.
Obgleich die Rude in den nächſten Wochen äußerlich nicht
gejtört wurde, dauerte doch die Gährung in ben Gemüthern
fort. Der Haß gegen die Geiftlichfeit fteigerte fi) unter dem
Einfluß de3 Evangeliums von Tag zu Tag. Die Ihlimmften
Gerüchte wurden über das frühere Leben und Treiben ber:
felben in Umlauf geſetzt und geglaubt. Lange, der Auguftiner,
fuhr fort durch aufregende Predigten Haß und Leidenſchaft ber
Menge anzufachen !). Die Straflofigkeit der frühern Frewel
wirkte verlodend. Schon in der eriten Hälfte des Mai fprach
man von einer gemeinjchaftlich von Studenten und Handwerkern
angezettelten Verſchwoͤrung. Der Clerus ſchwebte in fortwäh-
vender Angft, ahnend, daß er erft feiner Leiden Anfang erfahren
habe. Von dem Rathe geſchah Nichts, um dem drohenden
&Sturme zu begeguen. Immer büfterer 309 ſich der Himmel
über Erfurt zufammen. Luther, der auf der Wartburg von
diejen Zuftänden erfuhr, wurbe an das alte prophetifche Sprüch-
wort Erfordia Praga erinnert und glaubte, die Zeit feiner
Erfüllung fei gelommen ?). Lange verfündete offen den Grunb-
faß, daß dad Evangelium in Erfurt der Gewalt des Schwerte?
bedürfe *). Noch im Laufe de Monat? Mai Fam ed zu neuen
—
1) Sein ſtets wieberfehrended Thema war das bisherige Verberben, dag
fi) nad ihm auf den Clerus beſchränkt zu haben ſcheint. Vgl. J. Langi
Erph. Epistola ad Exoell, D. Mart. Margaritanum Erph. Gymnasli
Recterem, 4°, 1524, Zu feiner Entſchuldigung führt er an, daß er bei
feinen Auzfällen Keinen genannt habe: „In genere de viciis disputavi
et neminem nuncupatione designavi.“ 1.c.B3a.
2) Luth. an Spalatin 14. Mai 1521. „‚Interin metuunt (sc. sacer-
dotes) majora; senatus dissimulat, male audiunt sacerdotes illic, et
artificum Juventus cum juventute literata conspirare dicitur. Prope
est, ut prover3io prophetico fortasse satisfaciant, quo dictum est:
Erphordia Praga.“ De Wette II, 5.
3) Seine um diefe Zeit erfchienene Ueberfegung des Evangeliums Mathäi
widmete er dem jtreitbaren Hermann von Hoff, damit diefer es mit dem Schwerte
— 12 —
fonnte, wurbe muthwillig verfchütte, Alles, was den Erbit:
terten in die Hände fiel, wurde ber Zerjtörung preisgegeben.
Die ganze Nacht hindurch big in den nächſten Tag hinein
wurde dieſes Treiben fortgefeßt. Nur durch eilige Flucht ent
gingen die Stiftsherrn ſelbſt perjönlichen Mißhandlungen. —
Sy raſch folgte auf den Jubel, unter dem Luther einge
zogen war, der Triumph der entfeljelten Leidvenjchaften und bie
Herrichaft zügellofer Willführ. Luther war kaum zwei Tage
reifen von Erfurt entfernt), ala ſich der evangelifche Eifer
in jolcher Weiſe entlun. |
Erft die Ermüdung jcheint dem Treiben der ſtürmeunden
Haufen ein Ziel gejegt zu haben. Wir vernehmen Nichts von
einer Dazwiſchenkunft der ſtädtiſchen Obrigkeit. Vielmehr nahm
der Rath nach dem Borfalle eine Haltung an, die grabezu einer
Billigung des Gefchehenen gleichfam und ven Eleruß mit böfen
Ahnungen für die Zukunft erfüllen mußte An Beſtrafung
der Mifjethäter mar fein Gedanke. Nur Erotuß, der auch jet
noch jeinem alten Grundfage getreu blieb, machte den Verſuch,
gegen die Anftifter des Aufruhrs, joweit fie zur Univerfität
gehörten, mit Strenge einzujchreiten. Seine legten Amt
Handlungen waren biefem Zwecke gewidmet ?); aber die öffent:
lihe Stimmung war gegen ihn. Mißmuthig trat er im Anfang
Mai von dem Nectorat ab und verließ bald darauf die Stabt,
um fie nie wiederzujehen.
Unter diefen Umftänden Tieß es ſich unſchwer vorausſehen,
daß es bei dem Gefchehenen nicht bleiben werde.
1) „Quo tempore nos Isenachum venimus‘‘, fagt er felbft, habe ber
Auflauf ftattgefunden d. i. am 9. April, Vgl. De Wette II, 5.
2) Er hielt fein letztes Secretum c,ncilium feria VI. post Marci,
„„in quo tractatum est de excessibus juvenum seditionem excitantium.“
Lib. rat. ad Rect. Crot.
II.
Obgleich die Ruhe in den nächſten Wochen äußerlich nicht
geftört wurde, dauerte doch die Gährung in den Gemüthern
fort. Der Haß gegen die Geiftlichfeit fteigerte filh unter dem
Einfluß des Evangeliums von Tag zu Tag. Die Ichlimmften
Gerüchte wurden über das frühere Leben und Xreiben der:
ſelben in Umlauf geſetzt und geglaubt. Lange, der Auguftiner,
fuhr fort durch aufregende Predigten Haß und Leidenſchaft der
Menge anzufachen !). Die Straflofigkeit der frühern Frewel
wirkte verlocdend. Schon in der erften Hälfte des Mat fprad)
man von einer gemeinschaftlich von Studenten und Handwerkern
angezettelten Verſchwoͤrung. Der Clerus fchwebte in fortwäh-
render Angft, ahnend, daß er erft jeiner Leiden Anfang erfahren
babe. Bon dem Rathe geſchah Nichts, um dem brohenden
Sturme zu begegnen. Immer büfterer 309 ftch der Himmel
über Erfurt zufammen. Luther, der auf der Wartburg von
diefen Zuftänden erfuhr, wurde an das alte prophetiiche Sprüch-
wort Erfordia Praga erinnert und glaubte, die Zeit feiner
Erfüllung fei gekommen ?). Lange verkündete offen ven Grunb-
fab, daß das Evangelium in Erfurt der Gewalt des Schwerte?
bedürfe *). Noch im Kaufe des Monat? Mai kam es zu neuen
— —
2) Sein ſtets wiederkehrendes Thema war das bisherige Verderben, das
ſich nach ihm auf den Clerus beſchränkt zu haben ſcheint. Vgl. J. Langi
Erph. Epistola ad Rxoell. D. Mart. Margaritanum Erph. Gymnasii
Rectorem. 4°, 1524, Bu feiner Entſchuldigung führt er an, baß er bei
feinen Auzfällen Keinen genannt habe: „In genere de viciis disputavi
et neminem nuncupatione designavi.“ 1.c.B3a.
3) Luth. an Spalatin 14. Mai 1521. ‚Interim metuunt (sc. sacer-
dotes) majora; senatus dissimulat, male audiunt sacerdotes illic, et
artificum Juventus cum juventute literata conspirare dicitur. Prope
est, ut prover5io prophetico fortasse satisfaciant, quo dictum est:
Erphordia Praga.“ De Wette II, 5.
3) Seine um diefe Zeit erjchienene Ueberfegung bes Evangeliums Mathäi
widmete er bem jtreitbaren Hermann von Hoff, Damit diejer es mit den Schwerte
— 124 —
Gemaltthätigfeiten gegen die Geiftlichkeit. Schon begann Luther
mit ernfter Beforgniß auf Erfurt und den Glaubenseifer feiner
Einwohner hinzublicken. „Wenn es auch gut iſt“, Jchrieb er
im Mai an Melanchtbon, „daß jene unbeugfamen Böjewichter
geftraft werben, jo bereitet doch ein folches Verfahren unjerm
Evangelium Schande und gerechte Vorwürfe. in Tolches
Wohlwollen der Menfchen gegen mich betrübt mich jehr. Wir
jehen daraus deutlich, daß. wir vor Gott noch Feine würdige
Diener jeined Wortes find, und daß der Teufel über unfere
Bemühungen lacht und ſpottet“ 2).
Einen eigenthümlich befremdenden Eindruck machte aud
auf Luther das Benehmen des erfurter Rathes, der bei allen
biefen Wirren die Rolle eines müßigen Zufchauers ſpielte und
nicht einmal durch die Tegten ſtürmiſchen Auftritte fich zu ernft-
lihem Einfchreiten veranlaßt fand ?). Keine Anftalt wurde
getroffen, den Clerus gegen die Ausbrüce der Volkswuth zu
jhüßen, nirgendwo der Verfuh gemacht, den immer gefähr:
licher werdenden Umtrieben ein Ziel zu jegen. — Es war bie
Rache, die ver Rath jest für die längft zum Gegenſtande des
Anſtoßes gewordene Abgabenfreiheit der Geijtlichfeit nahm;
ſchadenfroh gab er dafür die Wehrlofen jebt der Erbitterung
des Pobels preis!
Es iſt aber mehr als wahrfcheinlich, daß der Rath dabei
nicht ftehen geblieben ift, daß er vielmehr felbjt im Geheimen
die Gährung thätig befördert Hat. Dur den Einfluß des
Rathes iſt es ohne Zweifel gefchehen, daß jebt der Unwille
der Unzufrievenen vor Allen gegen die Privilegien und Erem:
veriheibige. „Dan muß leider ſchyr das euangelium mit dem ſchwert erhalten.“
Vgl. Riederer Nachrichten 2c. I, 253 —4. Daß auch Luther mit feinem ba:
maligen Auftreten unzufrieden war, erfieht man aus feinem Briefe an Me:
lanchthon. De Wette I, 7—8.
1) Bol. De Wette IT, 8.
2) „Audio Erfurdiae in sacerdotum domus vim fieri; quod mirur
permitti et dissimulari a senatu.“ ]. c. 11, 7.
— 15 —
tionen des Clerus fich Fehrte, während es bei dem Aprilauflauf
blos auf Befriedigung perjönlicher Rache und der Beutegier
des Poͤbels abgefehen war). Sin der leivenjchaftlich erregten
Menge fand der Rath das Werkzeug zur Durchführung feiner
alten, gegen die Vorrechte und Reichthümer des Clerus —
zumal des Stiftsclerus — gerichteten Anfchläge, und er trug
um fo weniger Bedenken, fich dezjelben zu bevienen, als er
ſchon früher bei Verfolgung feiner Abfichten oft und offen-
fundig genug den Boden ded Rechtes und Geſetzes verlafjen
batte?). Es war eine Verbindung zwijchen einer pflichtver-
geflenen Obrigkeit und dem aufrühreriichen Haufen zun Ber:
derben des Clerus. —
Inmitten dieſes gefeßlofen Treiben? nahmen fich allein
die Univerfitätälehrer dev Sache der Ordnung an. Es war,
als hätten fie jebt die frühere Schuld fühnen wollen. Die-
jenigen, welche fo eben noch feurig der Freiheit dad Wort
ı) Die Chroniken führen alle einftimmig als ben Grund bed Juniauf—⸗
ſtandes den Unmillen über die Abgabenfreiheit ber Geiſtlichen an. „Iſt alles
der Pfaffen fchuldt geweien, denn fie haben bürgerlihe Pflicht nicht thun
wollen. Darumb ift Inen das Ire genommen worden.“ — Daß Ion 1521
ber Rath der Anftiftung des zweiten Aufruhrs befhuldigt wurde, erfieht man
auch daraus, daß ihn der Ungenammte dagegen in Schuß nimmt:
Auch nicht auß aygnem befelch geichechen
ains erbarn radts, wie wir veriten.
Ain nem Gedicht ıc. B 3 a. Das Beuehmen bed Raths während des Auf:
ruhrs befeitigt jeden Zweifel über feine Stellung zu demfelben.
2) Etwa? furdtfam — weil unter den Augen des Raths — aber doch
beutlih genug, drüdt ſich Uſingen über bad Verhalten des Rates aus:
„Tyranni sunt, qui ob situm bonorum ecclesiae tam monasteria,
quam ecclesiastica collegia libenter pessum ire viderent: propter
quod ad insolentiam et perfidiam priapistarum connivent et popularem
feccem populabundum clericis in doımum irruere permittunt et rident,
sperantes forsitan per hunc modum tandem ad se venire bona cleri
et religiosorum.‘“ Sermo de Sancta Cruce. B 1 b. — Guden, der bier
übrigens einfeitig die clericalen Anterefjen vertbeibigt, fieht geradezu bie ganze
Bewegung als ein Merk ded Rathes an. „‚Idque instigante Senatu his
motibus actum est, ut Clerus ad tributa cogeretur.‘“ Hist. Erf. p. 2%,
— 16 —
geredet, verftummten jeßt, als fie eine rohe Pöbelherrfchaft in
bie brohendfte Nähe geftellt fahen, und zogen fich betroffen
zurüd. Die Leitung der Univerjttät ging in die Hände der
Gemäßigteren über. Ahnen gehörte auch der nette Nector
Martin von der Martben an, ber im Anfang Mai an ded
abgegangenen Crotus Stelle trat. Man hatte ihn gewählt,
weil ihn Alter, Erfahrung und Geſchäftskenntniß unter ben
gegenwärtigen Umftänben ald den Geeigtietften zur Verwaltung
des Nectorat3 erjcheinen Tieß +). Mit Eifer und Umficht trat
er dem unter der academifchen Jugend berrfchenden Beifte eht-
gegen. Gegen Range wurde wegen feine demagogiſchen Treiben
ein ftrenged Verfahren eingeleitet. |
Aber was vermochte der Pflichteifer Einzelner, mo der Geift
der Empörung alle Claſſen durchdrungen hatte, und diejenigen,
in deren Aufgabe es Tag, der herrjchenden Zügellofigfeit zu
begegnen, fie in Schuß nahmen! Das gegen Lange eingeleitete
Verfahren blieb ohne Erfolg und diente nur dazu, die allge
meine Aufregung zu erhöhen. Am vierten Juni richtete Lange
felbit ein Schreiben an den Rector, in dem er drohend auf
feine zahlreichen Beſchützer hinwies *)! |
Wenige Tage fpäter entlud fich diefe Stimmung in einem
zweiten Sturme gegen die Geijtlichkeit.
IV.
Die bisherigen Leiden und Drangjale ded Clerus waren
nur unbedeutende Vorfpiele zu det Scenen, deren Schauplak
Erfurt in den Tagen vom zehnten bis zum zwölften uni
war. Sie führen bei den ftädtifchen Chroniften vorzugsweiſe
1) Vol. Praef. ad Rect. Mart. Margaritani,. E. U. M. ad a. 1521.
Er war kurz vorher von felner Reife in das gelobte Land zurückgekehrt.
2) „Si quis me laeserit, non solum me lacserit, certo sciat, sed
et veritatem Ipsam et veritatis amatores omnes.‘“ Epist. Joh. Tangi
ad Mart. Marg. B3 a.
— 171° —
den Namen des Pfaffenfturmes !). Urheber derjelben waren
die verbündeten Studenten und Handwerker, und offenbar
bangen fte mit jener Verſchwoͤrung zufanmen, die ſchon in ben
eriten Tagen des Mat gegen den Clerns angezettelt worden
war. Es war eine Wiederholung der Auftritte im April in
vergrößertem Maßſtabe. Was damals in Folge einer plöß-
lichen Aufwallung und planlos gegen einen Theil der Geiſt⸗
Vichfett gefchehen war, dad wurde jet nach einem verabredeten
Plan und mit gefteigerter Leidenfchaft gegen den gejammten
Stand unternommen. Zwei Tage lang ertönten die Straßen
der Stadt von dem Klageruf der bevrängten Geiftlichen und
dent wilden Siegedgefchrei der ftürmenden Menge. Der Rath
aber beobachtete bei dieſen Vorgängen eine Haltung, die jeden
Zweifel über feine wahre Geftinnung befeitigte.
Mit dem Loſungsgeſchrei „Jupiter“ feste Fi am Abende
des zehnten Juni ein bewaffneter Haufe von Studenten und
Handwerkern gegen die Pfaffenhäufer in Bewegung Der
Sturm wurde eröffnet mit dem Angriffe auf die Wohnung
des Kebey am Roßmarkte, der als „Lofer Fuchs und Eurtifan“
zum erften Opfer der Rache auserſehen war. Da er jelbft,
wie jeine meiften Standesgenofjen, anf die Kunde von ber
nahenden Gefahr, in eiliger Flucht ſein Heil gefucht hatte,
entlud ft) der Grimm bed Haufen? in milder Zerftörung
feiner Habe. Das Nämliche gefchah in ber in der Nähe Tie-
genden Wohnung des ebenfalls geflüchteten Pfarrers zu St. Bit.
1) Den Aprilauflauf übergehen die Chroniken mit Schweigen. Ebenſo
fpreen Guben 1. c. p. 219, Motſchmann Erf. Lit. vierte Samml. p. 483,
Sinnhold De meritis Mart. Lutheri p. 13 nur von dem Juniaufſtande.
Auf diefen find auch das weſeler Gedicht und die von Schmalz erzäßften
Scenen (mit Ausnahme des über Draconites Berichteten) zu beziehen. Die
von Schmalz erzählten Scenen auf den April und Juni zu vertheilen, wie
Erhard (Meberl. I, 44) verfucht, ift nach den mir zu Geficht gekommenen,
zahlreichen Abjchriften nicht zuläffig. Ueberhaupt find die dürftigen Notizen
bei Erhard 3, c. ungenau, theilweiſe irrig.
!
— 18 —
Dann warf ſich die Rotte auf die Wohnung des vwerhaßten
Domdechants Wiedemann. Der Knecht desſelben, welcher ven
Eindringenden zu wehren verfuchte, wurde in die Gera ge
worfen, drinnen aber die Ärgjte Verwüſtung angerichtet, das
Hausgeräth zerichlagen, die Bibliothek vernichtet, der „römijche"
Wein als gute Beute genommen. „Keiner ging ohne Schaden
heraus“ 1). Dann folgte der Angriff auf den weihbijchöflichen
Balaft, der in der übelften Weife zugerichtet wurde, und bie
Erjtürmung der Weinkeller dev Geiftlichen unter der Cavata,
in denen die Stürmenden unter allerlei Ausfchweifungen bis
nad Mitternacht haufeten und neuen Muth für die Kortjegung
des Begonnenen jchöpften. Unaufhaltſam wälzte jich won nun
an der Strom der Verwüſtung weiter. Es wurde „gejtürmt”
Friedrich Stein, Hammer, der Notar, Edesheim, Martin Shi,
Caspar Viehaus, der Dechant zu St. Sever. Mit der Menge
der verübten Gewaltthätigfeiten wuch die Wuth der Stür—
menden. In der von zahlreichen Geiltlichen bewohnten Lauen-
gaffe wurden die fürchterlichjten Verheerungen angerichtet. Nicht
einmal der unjchuldige, um die Blüthe der Univerfität jo hoch—
verdiente Maternus fand Gnade?) Erjt der anbrechende
Morgen machte dem Unwejen ein Ende Ermüdet und mit
dem Gethanen für jebt zufrieden ging der Haufen gegen Tages:
anbruch auseinander. Zuvor aber wurde der Beihluß gefakt,
in der nächſten Nacht abermals mit Waffen verjeben und in
1) Nach einer Notiz in der Chronif des Nicolaus von Siegen p. 500
bat der Sturm gegen Wiedemann in der Nacht vor Barnabas (10. auf 11.
uni) fattgefunden. (Erhard läßt ihn im April flattfinden). Der zweite,
ungleich beftigere Sturm geſchah in der folgenden Nacht vom 11. auf den 12.
und wurde den nächſten Tag noch fortgejeßt, daher in dem Klagelibell des
Clerus ber 12. Juni (Mittwoch nad) Bonifazii) als der Tag de Sturmes
aufgeführt wird.
2) „Sie famen in Er Maternd Haus
Der fiel hinden zum Fenfter naug
das er lag, als wer er gar tobt
bie Pfaffen waren in großer not.” — Schmalz 1. c.
— 19 —
größerer Anzahl zufammenzutreten, um da3 angefangene Wert
zu vollenden !).
Auf den Schreden der Nacht folgte die Ungewißheit de
Tage. Lärmende Volkshaufen liefen vor den „geftürmten“
Pfaffenhäujern zufammen, um zu dem Schaden den Spott hin-
zuzufügen. Keine Obrigkeit regte fih. Der größte Theil der
Geiftlichkeit, der Dechant Wiedemann unter den Eriten, flüchtete
fich noch) vor Sonnenuntergang aus der Stadt. Nach einge:
tretener Dunkelheit aber traten die Helden der vorigen Nacht,
wie verabredet worden, „auf der Schul” zufummen. Ihre An-
zahl wurbe beträchtlich vermehrt durch den hinzukommenden
ftädtifchen Poͤbel. Sie theilten fich jegt in drei Haufen, um
fich die Arbeit zu erleichtern, Die geftrige Loſung „Supiter”
wurde, da die Rateinverftändigen die bei weiten geringere Anzahl
bildeten, mit der deutichen „R. ©. M. Delberg” vertanfcht.
Unter Fackelſchein gejchah der Aufbruch ?). Der Sturm begann
gegen Mitternacht mit dem Angriffe auf dad Haus „zum weißen
Löwen“, in welchem ber wegen feiner Strenge verhaßte Rector
Martin von der Marthen wohnte. Es beburfte eines brei-
maligen Angriffe, bis die Stürmenden dieſes wohlbefejtigten
Hauſes Meifter wurden: deſto größer aber war ihre Zeritö-
rungswuth nad) gewonnenen Siege. Dann fam der mainzijche
1) „Sprach ein Geſell, wolt jr hören:
Wir müſſen uns ftärfer mehren,
Morgen zu nacht dünfet mich gut,
Ir müft auch wiffen wie man jm thut.
Ir folt nicht reden viel Latein
R. S. M. fol die Lofung fein
Bud der Delberg joll fein unfer vath,
Wer das abftehet der fei tobt.
Seid gefchidt mit Erten und Barten .
Auf der Schul wollen wir warten
Und bringen mandyerlei wehre
So tretten wir tapfer einhere“ ıc, 1. c.
2) Yin new Gedicht ꝛc. B3b.
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil, 9
— 90 —
Küchenmeifter Engelmann an die Reihe, „ver bat gejchrieben
gen Mainz die Heimlichkeit eined ehrbaren Rath's.“ Ihm
gelang es, durch begütigende Worte bie Menge zu bejänftigen;
um fo fürchterlicher wurde bei den Webrigen gehaujet. Den
Reigen eröffnete Neidhard, „ver den Namen hat mit der That“,
dann folgten Peter Juris, Soemering, der Stegelbewahrer, der
vergeblich den Sturm von fich abzuwenden juchte), Beruhard
Brüffel, Peter Mußhaus, „der ift der größte Kügener”, Hol-
vegel, Günther von Heringen, der Notendörfer, dem es nicht?
half, daß feine Dienerſchaft ihn für „gut martiniich” ausgab,
Riemann, der Offizial, Nicolaus Roth, Hans Ziegeler, Pfauen-
tritt, „der kann heucheln, ift ein lang Wann, hat viel Lanzknecht
gekleidet an”, Hand Koch, Melchior Botelſtedt; und jo ging es
die Reihe entlang. „Berjchont ift bie Fein Pfaffenhaus.” Wer
Außerlich ich als pflichtgetreuer Geiftlicher gezeigt Hatte, wie
Hanz Han, dem wurde heimliche BoSheit vorgeworfen. Nur
Armuth entjchuldigte. Das erfuhr Magiſter Cappel, „ein
armer Pfaff“, ver unter Allen am glimpflichiten davon Tam?).
— Die Gewaltthätigfeiten, von denen diefe Auftritte begleitet
waren, überboten noch die Frevel der vorigen Nacht. Des
1) „Ich hört von dem alten Sieglern,
Dem wollten ſie die Platten ſchern,
Er bot jhn vil des guten Wort,
Eſſet vnd trinkt, lieben g'ſelln geht fort.
Was ihr haben wolt das ſoll ſein,
Man ſoll euch geben den beſten Wein,
Geſotten vnd gebraten,
Das macht, daß fie ihm nichts thaten“ ꝛc. Schmalz.
Aber er mußte ſich doch nach Sömmerda flüchten und auch da „haben fie ihn
geſtürmbt.“
2) „Magiſter Cappel erbot ſich
Was wolt jhr geſelln? hie bin ich
Ein armer Pfaff, hört eben
Ich will euch einen Gulden geben,
In dem lieffen ſie fortan
Vnd haben Ihm gar nichts gethan.“ J. c.
— 1531 —
Motendörferd Knecht, ber dad Eigentum feined Herrn zu
Tchügen verfuchte, wurde erftochen, daß Haus gänzlich unbe
wohnbar gemacht. Bei Niclas Bötner verjchente bie Zerſtoͤ⸗
rungswuth Nicht, als einen Tiſch; denn „auf diefem Tiſch
Stand geichrieben auch martinifch, darum ift er geblieben unge:
ſtört.“ Es war auch jet wicht eigentlich auf Beutemachen
abgejehen, obgleich von Einzelnen bie Gelegenheit Yazu benußt
wurde: nur vernichten und zerftören wollte man das verhaßte
Bfaffengut ). Es war eine fchredliche Vergeltung für die
alten Sünden bed Clerus.
Auch den folgenden Tag Über wurde dieſes wilde Treiben
fortgefeßt. Die Haufen der Stürmenden wuchſen von Stunde
zu Stunde Alles loſe Gefindel der Stadt, auch Bauern aus
der Umgegend ſchloſſen fic, ihnen an. Als das Werk der Zer⸗
ftörung an den Wohnungen der Geiftlihen vollendet war ?),
zogen die Schaaren vereint vor das erzbiichöfliche Gerichiäge-
2) Bol. Ain new Gedicht ꝛc. B3 a.
„Das wil ich darbey laſſen beftan,
ſy habens tapffer griffen an
Mit fturmen, ſchlagen, brechen ein,
kain veflung mocht dafür gefeyn,
Als man fihd dann verfehen het
Die thär mit rigeln wol beftet
Mit flainen, hole und bäumen groß,
Halff nit es gſchach jo mancher ftoß,
Müft als zü trimmer fallen bin;
zerbrechen fchlecht was ir gewin,
Bon bannen warb getragen nit,
wie wol man etlich bößwicht
Hat funden, die rauberlicher art
zu griffen, wie e8 in aber wart
. Berboten, wiſſen fo felber wel ꝛc.“
2) Die Anzahl der „geftürmten” Häufer wird verfchieden angegeben ; nad
ben geringſten Angaben wären «8 44 gewefen, nach ben Ungenamuten find
m eimer (der Iehten) Nacht 60, nach Eoban über 50 Hänfer erſtürmt. Nach
den amtlichen Aufzeichnungen der Univ. (Lib. rat. ad Rect. M. Marg.)
belief fih ihre Anzahl auf mehr ala 60.
9%
— 182 —
bäude. Unter Verwünſchungen der erzbiſchöflichen Tyrannei
wurden Fenſter und Thüren eingeſchlagen, die Wände einge—
riſſen, das Dach abgedeckt, alle vorgefundenen Documente,
Zinsregiſter u. dgl. zerriſſen und zerſtreut. Da endlich wurde
Halt geboten.
Schon nach den erſten Scenen hatte die bedrängte Geiſt⸗
lichkeit die ftädtifche Obrigkeit um Hülfe angefleht und fie auf
ihre Pflicht, für Sicjerheit und Ruhe zu forgen, bingewiefen.
Allein der Nath blieb taub gegen ihre Vorftellungen und ver-
harrte die ganze Zeit hindurch in feiner Unthätigkeit. Erſt
nach den letzten Vorgängen, als daS Machegefühl gegen bie
Geiftlichkeit befriedigt war, und man vielleicht bejorgen mochte,
daß die Wuth der entfefjelten Menge fich von der geiftlichen
gegen die weltliche Obrigkeit wenden koͤnne, jah fich ein „ehr:
barer Rath” zu ernſtlichem Einjchreiten veranlaßt. Es wurden
Abgeordnete an die jtürmenden Haufen abgejandt, welche ihnen
die Fortſetzung des Zerſtörungswerkes unterfagten. Nur des
ernftlich ausgefprochenen Willen? bedurfte e3, um dem wilden
Treiben ein Ende zu machen. Die Meiften folgten der an fie
ergangenen Aufforderung und gingen außeinander; die Säu:
migen, „Lofe Buben, Bauern allerlei”, die erft am Ende hin
zugefommen waren, wurben mit Gewalt auseinander getrieben.
Selten wurde ein Aufruhr jo leicht bewältigt! —
Sp endete dad „Pfaffenftürmen.” Uber Ruhe und Sicher:
heit war damit noch nicht wieverhergeftellt. Die zurückgefehrten
Geiftlichen durften faum wagen, fich öffentlich zu zeigen. Die
beiden Capitel fürdhteten jeden Tag einen neuen Ausbruch der
Volkswuth. Der Rath Fehrte zu feiner zweifelhaften Neutra-
lität zurück!). Gegen Ende Juli kam es zu einem neuen Auf:
laufe, in dem fieben PBfaffenhäufer in Flammen aufgingen ?).
ı) „Der Rath ſahe“, fagt eine alte Chronik, „durch die Finger, bis fie
(bie Geiftlichen) fich in besfelben Schuß und eine Verfchreibung über 10,000
Gulden über ſich gaben.”
2) Vgl. Kobanus Sturcio postridie Pantaleonis 1521. ‚‚Nobiscum
— 13 —
Um endlich den Schutz des Rathes zu erlangen, erklärten fich
die beiden Stifter, ihre Privilegien zum Opfer bringend, äffent-
lich zur Uebernahme ber ftäbtlfchen Laſten bereit und verpflich-
teten fich überdies, dem Rathe ein Schußgeld von 10,000 Gulden
zu zahlen), „Und das ift“, fügt ein Chronift befriedigt hinzu,
„eine gute Frucht de reinen Wortes Dr. Martini Lutheri.“
Seitdem nahm ſich der Rath mit größerem Eifer der Aufrecht:
haltung der Ordnung an und nach und: nad gewannen bie
Zuftände ein frieblicheres Ausſehen. Der Clerus erfreute ſich
in der nächſten Zeit einer erträglichen Ruhe, bis die weitere
Entwidelung der Dinge neue Stürme gegen ihn hervorrief.
ALS Luther auf der Wartburg von diefen Vorgängen hörte,
fing er an zu Hagen über die Nachitellungen des Teufels, ber
auf ſolche Weiſe feinem Werke Schmach zu bereiten juche?).
Der Rector Martin von der Marthen trug Flagend das Ge
fchehene in die Jahrbücher der Univerfität ein?). Einer ber
varii tumultus sunt, aedes Canonicorum expugnatae omnes. Supra
50 domos expugnatae una nocte sunt. Hac nocte, quum haec scri-
berem, septem aedes sacerdotum conflagrarunt exustae a fundamentis.
Eob. et amic, epp. fam. p. 82.
») Die Schuldverfchreibung der Geiftlichen iſt d. d. Montag nad) Jacobi
(1. Auguft). Bol. Faldenftein 1. c. I, 578. — Libellus F. Barth. de
Usingen de duabus disputationibus Erphurdianis. N 2 a. Der Bericht
bes Schmalz ift vor dieſer Zeit abgefaßt, als die Sache noch nicht „vertragen“
war. — Jene Summe ift bald darauf wirflih gezahlt worden. Vgl. Falden-
ftein I, 596.
2) Bal. Luther an Spalatin. De Wette 11, 31.
3) „In tantam (quod suspiriis ab imo pectore ductis refero) fe-
rocitatem atque petulantiam juvenilis impetus eo tempore prolapsus
est: ut omnis reverentie legum pudoris (?) atque metus oblifus: sub
noctem (quae etiam meticulosum audacem facit), nescio quo tantae
cladis autore, cohorte plus quam tricentorum collecta: pro Scripto-
riis calamis et disciplinarum codicihus, scolasticis armis: Enses, fustes,
ascias, preferrata pila arripiens: Hostili incursu in clericorum plus
quam sexaginta edes rueret: Januas vi ferrea effringeret, fenestras
fornacesque rumperet, Supellectilem aufferret, pecunias diminueret
ac domos devastaret. Improbitas haec tanta ob delinquentium mul-
— 134 —
mißhandelten Geistlichen aber fagte der Stadt eine böſe Zukunft
voraus !).
Am traurigiten ſollte ſich diefe Ahnung bei der Univerfität
bewähren. Ä
V.
Der „Pfaffenſturm“ bildet in der Geſchichte der Univer⸗
fität einen Wendepunkt. Und keinen erfreulichen. Bei dem
feierlichen Eınpfonge Luther? am 6. April hatte fie fich zum
legten Mal in ihrem alten Glanze gezeigt. Unmittelbar darauf
beginnt der Verfall ?).
Das Beifpiel, welche Crotus durch feinen fluchtähnlichen
Aufbruch von Erfurt gegeben hatte, fand nur zu bald Nach-
ahnung. Wie zwölf Sabre früher die Ereigniffe de „tollen
Jahres“ in gleicher Weife Freund und Feind aus der Stabt
getrieben hatten, jo gab auch jetzt die Flucht ber verfolgten
Canonifer einem großen Theile ihrer Gegier das Signal zum
Aufbruch. Unter den Erſten, welche die Stadt verließen, war
Draconited, der wider feinen Willen die nächſte Veranlaffung
zu den bebauerngwürdigen Auftritten gegeben hatte. Mißmuthig
begab er ſich fchon in den erjten Wochen nad) dem Aprilauf-
ſtande nad Norbhaufen, von wo er fih noch im Laufe des
nämlihen Jahres nach Wittenberg wandte). Hier jchlug
titudinem quoad hominem transivit inulta.‘“ Strafen wurden überhaupt
feine über die Stubenten verhängt „nam tum multitudini delinquentium
parcendum fuerat atque coaditioni temporum. KLib. rat. ad Bect.
Mart. Marg.
1) Erfurt tunc doleas nunquam caritura dolore,
| Cum careas elero, qui te ditavit honore.
Bol. Falckenfiein, I, 577.
3) Es ift bezeichmend, daß auch bie amtlichen Aufzeichnungen um biefe
Zeit anfangen, fewohl in Hinſicht auf Genauigkeit, ald auf äußere Aus⸗
ſchmückung nachläffiger zu werben.
2) Strobels (J. Draconites 2c. p. 23) Angabe, daß er fih unmit⸗
auch jein Amts- und Leidendgenoffe Juſtus Jonas feinen
Wohnſitz auf, der auf Mutian? Empfehlung bie durch Goede's
Tod erledigte Präpofitur an der Stiftötirche erhielt). Jonas
jöhnte fich bald mit dem Wechfel aus, ba ihm nun vergännt
war, in Wittenberg an der Duelle des neuen Lebens felbft zu
trinken, was ſchon lange fein Herzenswunſch geweien ?). Weber-
haupt wurde Wittenberg für die Meilten der AZufluchtzert.
Hier finden wir jchon im Sommer 1521 vie beiden Freunde
Eobans, Chriftoph Hacus, den Meliter, und Berter Damus
nebſt mehreren andern erfurter Xehrern ?). Andere zeritreuten
fich nach verfchievenen Gegenden; Erato und Bonaemilins folgten
dem Crotus nad Fulda. Hunus wandte fi nad) Norbhaufen,
Eeratinuß, der fo manches Jahr dem Ruhme der Schule ge-
dient, erjcheint noch 1521 unter den Lehrern der Univerfität
Kwen*). - Sie alle, die meiften Humaniſten entzogen fich,
Flüchtigen gleich, der ſtürmiſchen „Charybdis.“ Außer den:
jenigen, welche durch ihre amtliche Stellung dazu gendthigt
wurden °), blieben nur Wenige zurüuͤck.
Und auch auf die Studirenden blieb die Rüdwirkung nicht
aus. Die friedlicher Gefinnten folgten den abztehenden Lehrern.
Die Anzahl der Immatriculationen ſank 1521 auf weniger al?
telbar von Erfurt na Wittenberg begeben, iſt irrig, wie aus Eob. et amic.
epp. fam. p. 85, 283 erhellt.
ı) Bgl. Corp. Bef. I, 391 ff.
3) „In parvo oppidulo‘‘, fchreibt er an Eoban, ‚‚divitias invoni in-
credibiles non tantum Iliterarum, sed etiam rerum omnium. Corte
prae isto ardore studiorum Gymnasium Erphurdiense friget.‘“ Kob.
et amic, Epp. f. p. 285. So Bat fi indeß fein Anderer über Erfurt?
Berhältniß zu Wittenberg ausgeſprochen.
3) Bel. Lib. nov. epp. Bi b, Bob. et amic. f. p. 2%. — Foerste-
ınann Album Acad. Vuiteb. p. 106, 107.
«) Vgl. Strobel Reue Beyträge x. V, p. 32. Cr muß indeß jehr
bald, wie auch Hunus; wieber zurückgekehrt fein.
s) Nämlich bie wirklich angeftellten und befolbeien Lehrer der Univerſität,
bie aber den bei weitem geringfien Theil ber Docirenben bildeten.
— 156 —
die Hälfte herab !). Die Vorgänge vom April bis Juli brachten
die Univerfität weit und breit in VBerruf. Eltern riefen, wie
die Matrikel der philoſophiſchen Facultät Elagt, ihre Söhne von
Erfurt zurüd, um fie vor „Huffitifcher Anſteckung“ zu be-
wahren ?). Unter den Zurücgebliebenen aber nahm in Folge
der Straflofigfeit- der begangenen - Frevel Roheit und Zügel-
loſigkeit Ueberhand. Augsfchweifungen und Gemwaltthätigfeiten
jelbft gegen die Smititute der Univerfität 3) waren unter ihnen
an der Tagesordnung. Unmittelbar fchien der Pfaffenſturm
den Untergang der Univerfität in feinem Gefolge zu haben.
Wohl juchten Martin von der Marthen,. deſſen Rectorat
unter dieſen Berhältniffen wider dag Herfommen auch auf das
folgende Semejter ausgedehnt wurbe, und die Wenigen, welche
mit ihm aushielten, nach Kräften dem von allen Seiten herein—
brechenden Verfall entgegenzuwirfen. Es waren Männer, die
während der Sturm: und Drangperiode wenig bervorgetreten
waren: nun, als es galt, fich der verlaflenen Schule anzu-
nehmen, zeigten fie allein den Muth dazu!) Um der Ber-
wilderung der academijchen Jugend zu begegnen, wurde ernftlich
die vollitändige Wiederhberftellung des großen Collegiums in Be-
dacht genommen. Das neue jächfifche Eolleg, deſſen Gründung
ſchon längere Zeit betrieben, trat jet wirklich ins Leben *).
— —
1) Von Oſtern 1520 bis dahin 1521 wurden 311, das folgende Jahr
nur 120 immatriculirt. €. U. M. ad a. 1520 u. 21.
2) „Adeo ut plerosque bonorum hominum filios, ne Hussitico
lederentur contagio hinc ad patrivos lares avocari contigerit.“ Bgl.
Matric. facult. artium liberal. stud. Erf. ad Dec. Kob. Draconis (1522).
M. ©. der Königl. Bibl. in Berlin:
3) Am 26. Detober wurde ein Concilium secretum gehalten „eo quod
quidam Nebulones intrassent Collegium majus. Item et Collegium
Porte celi occupantes Stantias de facto preter Collegarum consensum.““
Vgl. Lib. rat. ad Rect. Mart. Marg. (1521).
+) Heinrich Herebold, Eoban Draco, Heinrich Leonis u. A.
») Es war eine Stiftung des Hildesheim’fchen Domherrn Tilemann
Brandes. Die Fundationdurfunde ift ſchon d. d. 25. April 1520, die Sta-
tuten (in latein. und franzöſ. Sprade) find vom 4. April 1521. Cröffnet
— 137° —
Seine Leitung übernahm der für dad Wohl der Univerfität
unermüdlich thätige Herebold. Aber was vermochte der gute
Wille und Eifer Weniger, wo Alles ihnen entgegen war, und
jene, die bisher den Ton angegeben hatten, vathlog und nur
auf die eigene Sicherheit bedacht, die Schule ihrem eigenen
Schickſal überliegen! Damit fein Mißgeſchick fehle, kam im
Sommer noch eine epidemiſche Seuche hinzu, die neue Verhees
rungen anrichtete und felbft unter ven zurücigebliebenen Lehrern
mehrere Opfer forderte '). Unaufhaltfam fchien die Schule
ihrer Auflöfung entgegenzugehen.
Wie Heinlaut ward da Eoban, der ftürmifche Lobredner
der Freiheit, der fo eben noch Feuer und Schwert zur Aus
vottung der Sophiften empfohlen und in dem erjten Sturme
gegen „das Gefchledht der Müßiggänger“ den Anfang einer
beffern Zeit, die auch den Gelehrten gerecht werde, erkannt
hatte! Mie brachte ihn der Anblick ſolcher Zuftände jo raſch
aus feinem Freiheitstaumel zur Befinnung und verbrängten
wehmuthsvolle Klagen die huttenfchen Treiheit3ideen!?) Sein
Dichterbund war gefprengt. Bon feinen nächjten Freunden
ſah er fi verlaffen. Den Jonas und Draconites hatte Wit-
tenberg geraubt, Cordus und Sturz waren in Italien abwejend,
Hunus inte Hülfe juchend umber, Petrejus Tag an einer
wurde dasfelbe erft nad) den Wirren, bie Beftätigung erfolgte erft 1524. Vgl.
Dſann Erfordia Literata p. 43. Loeneysen Series Magnificorum Rec-
torum etc. E 3 a.
1) „Tres insignes senatorii ordinis philosaphos ac theologos‘‘,
fagt die philof. Matrife. Vgl. Matric. fac. art. lib. ad a. 1521 u. 22;
und Eob. et amie. epp. fam. p. 82. Unter den Geftorbenen war aud)
einer von Eobans Augendfreunden, Laurenz Ufingen, über den zu vgl. De
recessu Studentum ex Erphordia tempore pestilentiae. Rob. Hessi.
Francob. Carmen Heroicum. A 3 a. Dieje Seuche hielt auch Luther ab,
von der Wartburg aus Erfurt zu befuchen, wie er vorhatte. Vgl. De Wette
II, 32.
2) Bol. feine Fläglihen Briefe an feine Freunde Eob. et amic. epp.
fan. p. 82. Tentzel Relig. epp. Mut. p. 110, Lib. nov. epp. Biau.a.
— 18 —
Krankheit darnieder. Noch ſtand ihm Camerarius zur Seite:
Ende Juli verließ auch diefer „die durch Zwietracht und Auf:
ruhr zerrüttete" Stadt, um fie, nach einem kurzen Aufenthalte
in jeiner Vaterſtadt Bamberg, mit Wittenberg zu vertaufchen ?).
Ihm folgte auch Forchheim, der lebte unter Cobans vertrauten
Freunden. Eoban war untröftlih. „Auch du”, rief er weh-
müthig dem Scheidenden nach, „weichit dem unbilligen Gefchic
und verläßt die verödete Schule! Wer wirb in Zukunft mein
Troſt jein?” 2) Ernſtlich dachte er daran, auch jelbft anderswo
ein Unterfommen zu fuchen.
Dahin war es im jo kurzer Zeit gefommen! Wie ſehr
hatte ſich der Dichter getäufcht, als er am 6. April in Luthers
Gefolge die Muſen in die Stadt einziehen gejehen!°)
VI.
Man hat in der Reformationsbewegung bis zum J. 1525
drei Perioden unterſchieden, in denen nacheinander die Theo—
logen, die Humaniſten und die ungebildeten Laien das Wort
) „Erfordiam reliquimus jam dissidiis et tumultuatione quate-
factam.“ Camer. Narr. de Eob. Hesso C 3 a. — Narr. de Melauchth.
ed. Strobel p. 37. Evb. et amic. epp. f. p. 82. Am 14. Sept. wurde
er mit Forchheim in Wittenberg immatriculirt, Förftemann 1. c. p. 107,
2) Georgio Pectiv Vorchemio suo Vuittenbergam abeunti:
Tu quoque, non aeyuo currentibus ordine fatis,
Deseris heu vacuae nomen inane scholae!
Quo fugis infractae fidei mihi cognite Pecti?
Tam subita facta est quae tibi caussa viac?
Quae mihi nuno aderunt sine te solatia? quorum
Tum certa potero laetior esse fide? etc.
Eob. Farr. I, 214 a-b.
s) Vgl. Elegia I. de Lutheri in urbem Erph. ingressu:
Et, nisi vana Scholae vicinae fallit imago,
Aunidas comites auguror isse viro.
Sic bona spectatum Nyınpharum turba ruebat
A fluvio, Musas praeteriisse putes.
Eob. Farr. ı, 118 a.
— 19 —
führen. Die Disputation von Leipzig Ichließt die rein theo-
logiſche Zeit ab; jeit dem Jahre 1519 find dann eine Zeit lang
die Humaniften bie vornehmften Streiter für das national
geworbene Evangelium, bis zuleßt der ungebildete Laie, ber
gemeine Mann in Stabt und Land, angeregt durch den Vor—
gang des Reichsadels, fich erhebt, um das Wort Gottes nad
feiner Auffaffung zu „handhaben.“ Im Allgemeinen läßt fich
das Jahr 1524 als jenes bezeichnen, in dem dieſe Erhebung
des Bolfes in Maſſe begann.
Unfere Darftellung zeigte, daß die Bewegung in Erfurt
ichon 1521 in dieſes letzte Stadium getreten war. Raſch hatte
hier die eine Welle die andere verfchlungen. Die Theologen
der freien Richtung genügten nicht mehr und wurden bejeitigt,
als die Humanifteu auftraten. Diefen gejchah binnen Kurzem
ein Gleiches von dem nicht ohne ihr Zuthun evangelijch er-
regten Haufen, und eine wilde Pöbelherrichaft, die Geſetz und
Ordnung mit Füßen trat, machte den Beichluß.
Schon ftiegen nach ſolchen Erfahrungen bei Einzelnen
Zweifel und Bedenken auf über die Rechtmäßigkeit der bisher
verfochtenen Sache. Zum erften Mal hören wir im Sommer
1521 den Crotus von dem Anſehen der Kirche fprechen und
der Achtung, die man ihr fchuldig fer! ')
Aber der Sturm ging vorüber. Den formlojen Gewalt:
thätigfeiten der Menge wurde ein Ziel gejebt und es trat für
Erfurt ein Zuftand ein, ähnlich dem, der nach Beendigung de
Bauernfrieges für die Gejammtheit des Reiches eintrat. Die
Anarchie hört auf, die Obrigkeit tritt wieder in ihr Amt ein
und nimmt jegt mit den übrigen auch die Firchlichen Angele-
genheiten unter ihre Leitung.
!) Crotus inclyto duci Petrejo d. d. Calend. Quinctil. 1521.
Heu scelus est, dominam sanctamque laccssere matrem,
Quae peperit leges res aliasque bonas.
Vgl. Tert. libellus epist. Fi a.
— 10 —
Als hierdurch auch der Univerfität die Ruhe wieder ge-
geben worben, kehrte ein großer Theil ihrer geflüchteten Mit-
glieder zurüd. Schon zu Anfang 1522 ſah Eoban wieder
mehrere feiner alten Freunde, Hunnd, Ceratinus, Forchheim
u. U. in feiner Nähe. Auch Cordus und Sturz nahmen nach
ihrer Rückkehr aus Italien wieder in Erfurt ihren Sit. Es
war Heffnung vorhanden, daß e3 ihrem vereinten Wirken ge-
lingen werbe, das alte Anſehen der Schule wieder herzuftellen.
Allein da trat ihnen der Widerftanb auf einer Seite entgegen,
wo fie ihn am wenigſten erwartet hatten.
— 141 —
Viertes Capitel. Die Prädicanten.
Magna novos fuerat spes nos jurare prophetas,
Sed magis infestus non prius hostis erat.
(Musae queruntur.)
Cordas.
L
Ungeachtet des raſchen Fortgangs der evangelifchen Be—
wegung blieb bis zum Herbft 1521 die alte Firchliche Ordnung
in Erfurt unangefochten. Der Unwille der empörten Menge
traf nur die Diener der Kirche, nicht diefe felbft: ein Bruch
mit dem überlieferten Kirchenthum Tag außerhalb ihres Ge—
ſichtskreiſes. Mitten unter den legten ſtürmiſchen Ereigniffen
wurde der Gottezdienft noch in alter Weile gehalten. Noch
ſah man 1521 in der Woche nad) Trinitati3 Nat) und Ge
meine nach Weiſe der Altvordern bie große ſtädtiſche Proceffion
mit den Gebeinen der dh. Adelarius und Eobanus mit herge-
brachtem Aufwande feiern !). Daß es das lebte Mal gemefen
jei, ahnte wohl Niemand.
Und dennoch war dies der Fall. Nur wenige Monate
ſpäter begann der Umfturz des altfatholifchen Gottesdienſtes.
Dieſer ging von den Mönchen aus.
Schon längere Zeit hatte ſich in den zahlreichen Klöſtern
der Stadt derjelbe Geift geregt, der draußen die Maffe in Be-
wegung ſetzte. Nicht nur bei den Auguftinern, wo Lange’3
Einfluß Alles beherrichte, jondern auch bei ven übrigen Orden
war Luthers Predigt von der chriftlichen Freiheit mit freudigem
Beifall der Mehrzahl aufgenommen worden. Mehrere Bene-
bietinermönd)e des Peteröflofter erließgen jogar eine Einladung
1) Bol. Faldenftein 1. c. I, 333, mo zugleich eine Beichreibung ber
Proceffion. — Die neue Regimentsordnung von 1520 enthält noch weitlänfige
Beltimmungen über das Geremonielle derjelben.
— 12 —
an Thomas Münzer, der ſchon damals durch feine radicalen
Umfturzplane befannt war, bei ihnen das Prebigtamt zu über-
nehmen’). Ohne Zweifel ift e3 diefem evangelifchen Eifer der
Mönche zuzujchreiben, daß bei dem Sturme gegen die Geift-
lichkeit die Klöfter in auffallender Weife Schonung erfuhren.
Kaum war die Stadt von jener Bewegung zur Ruhe ge
langt, als fie durch ein neues, unerhörtes Schaufpiel überrascht
wurde ine Menge von Ordenzgeiftlichen, Augujtiner an ber
Spitze, verließen mit einem Male die Klöfter, um ihre Woh—
nung unter den Bürgern zu nehmen. Der Austritt gejchah
in tumultuarifcher Weile, jo daß Luther }elbft, der auf der
Wartburg alsbald Kunde von dem Gejchehenen erhielt, feine
Mipbilligung ausfprach ?). Doch die ftädtifche Obrigkeit, durch
die Ereigniſſe der letzten Monate ſchon an Ungemwöhnliches
gewöhnt, Lich auch dies hingehen. Bei dem reichen Patrizier
Gerlady von der Marthen fanden die Ausgetretenen einjtweilen
Unterfommen und Verpflegung.
Diefem erften Austritt folgte bald ein zweiter, faft allgemei—
ner, unter Einwirkung der gleichartigen Bewegung in Witten:
berg. Ein Eonvent der Auguftiner aus den Provinzen Meißen
und Thüringen, der bier gegen Ende 1521 zufammentrat,
Ichaffte dad Einjammeln von Almojen und die SJahrmefjen ab,
erklärte die Gelübde für nicht mehr verbindlich und geftattete
einem jeden den Austritt aug dem Orden). Da zögerte auch
ı) „Salarium tuum erit triginta florenorum et tutius securius
Apud nes vivas, quamvis munus exiguum est, tamen accipito benigne,“‘
heißt e3 in dem Einladungsfchreiben. Doch Münzer z0g Böhmen vor. Val.
Seidemann Thomas Münzer p. 18.
2) Non probo egressum istum tumuliuosum, cum potuissent et
pacifice et amice ab invicem separari. Tu in comitiis futurus, vide
ut Evangelii partes foveas. Luther an Lange 18. Deceniber 1521. De
Wette IT, 115.
2) Bgl. Corp. Ref. I, 456. Nur ift die Verſammlung nicht im den
October, jondern nad) ben 18. December zu fegen, wie aus bem oben ange⸗
führten Briefe hervorgeht. Schon Sedendorf 1. c. I, 214 ſah bier das Richtige.
— 143 —
der Prior Lange, dem bereit vierzehn Mitglieder feines Klofterd
mit ihrem Beifpiel vorangegangen waren, nicht länger mehr,
das Ordensgewand abzulegen. Aus jechzehn Gründen, wie er
in der Rechtfertigungsfchrift an feine Oberen ausführt "), ver:
ließ er im Anfang 1522 dag Klofter und beeilte fich, in einer
Disputation zu Weimar gegen Alvedt die Sündhaftigfeit des
Mönchslebens zu vertheidigen 2). Lange's Austritt gab das
Signal zur völligen Auflöfung feines Klojters: nur ein einzi-
ges Mitglied — es war Ufingen — blieb dem Orden getreu ?).
Das Beilpiel der Augujtiner wirkte auf die übrigen: Orden.
Man wolle, hieß e3, nicht mehr Auguftiner, noch Franziskaner
fein, Chrifti Name genüge. Allenthalben öffneten fich die
Klöfter, und Schaaren von Mönchen jtrömten heraus, um ber
lange entbehrten Freiheit theilbaftig zu werben.
ALS Luther dies vernahm, äußerte er große Beſorgniß.
Er fand den Austritt Lange's voreilig und wollte überhaupt
bemerken, daß Viele aus unlautern Beweggründen die Klöjter
verließen. „sch ſehe“, jchrieb er an Lange, „daß unfere Mönche
zum großen Theil aus feinem andern Grunde austreten, als
aus welchem fie eingetreten find, nämlich dem Bauche und
fleijchlicher Freiheit zu fröhnen *).
Das war aber um jo bebenflicher, da gerade aus ihren
Reihen die meisten Diener und Verkündiger des neuen Gottez-
wortes hervorgehen follten. *
1) Bol. Kappens Kleine Nachlefe II, 529 sqy. Als erften Grund führt
er an „„quod sit in periculoso statu,‘“ als fechözehnten ‚‚Priores communiter
sunt asipi et nesciunt, quid sit fides, et tamen volunt imperium habere.““
2) Seine fieben Thefen ſ. bei Kapp 1. c. II, 528. Aus der Satire auf
diefe -Disputation 1. c. 520— 527 erfieht man, daß mehrere Erfurter in
Weimar anweſend waren.
2) „Quindecimus enim existi (Lange) a nobis, causa omnibus,
ut abirent,‘“ Vgl. Sermo de Sancta Cruce praedicatus Erphurdiae a
F. Bartholomeo de Usingen Augustiniano. Erph. 1524. C 3 h.
*) Luther am Lange 28. März 1522. Te Wette II, 175.
— 14 —
IL
Unmittelbar nach diefen Vorgängen begann in Erfurt die
Öffentliche Predigt ded Evangelium.
Eben die auSgetretenen Mönche übernahmen die Verkün—
digung desſelben. Johannes Lange, Ichon längſt des Evange-
liums thätiger Beförderer, gab nach feinem Austritt aus dem
Orden auch dag Lehramt an der Univerfität auf, um fich von
nun an augzjchlieglich dem Dienfte der evangeliſchen Predigt zu
widmen. In der nahe bei dem großen Collegium gelegenen
Michaeliskirche eröffnete er feine neue Wirffamfeit. Lange's
Beijpiel fand bald Nachahmung. Wie für ihn, fo beftand für
alle feine Schickſalsgefährten die Verpflichtung, dem Volke über
ben gethanen Schritt Rechenschaft zu geben. "Abgefallene Franz
ziskaner, Dominikaner, vor Allen Auguftiner bemächtigten fich
in kurzer Zeit der Canzeln. Sn der Bartholomäuskirche trat
Aegidius Mechler auf, ein ausgetretener Franziskaner, in der
Predigerfirche der abgefallene Dominikaner Noetelftein, in ber
Andreasfirche ein Melchior Weidmann aus dem Auguftiner-
orden; Johann Koel, Nicolaus Fabry, Johann Kiliani, eben—
fal3 Auguftiner, eröffneten in verjchiedenen andern Kirchen
evangelifche Vorträge. Zwar ftellte auch der Weltclerug einen
Forchheim, Eueljamer, Geltner, Welch, aber bei weitem “über:
wiegend war doch unter den neuen Predigern die Anzahl der
Mönche: in haftiger Eile drängte fich Alles, was dem Klofter
entlaufen, .auf die Canzel ?).
Es war die Zeit gekommen, wo den Mönchen für die
Yange erfahrene Zurüdfegung und Verachtung Genugthuung
werden jollte! ?)
1) Nachrichten über die Meiften ber Genannten finden fi) in Hundorph
Eucomiam Erfurt. Cont. Erfurt 1651. 4°. B 3% ff.
2) Der folgenden Darftellung ‚liegt die Prädicantanliteratiur zu Grunde,
die Schriften Lange's, Cuelſamer's, Mechler's und ihrer Gegner, des Femelius
— 15 —
Sie predigen aber von dem Berberben, dag über die Welt
gefommen fei, und von der gräulichen Finfterniß, die durch
der Pfaffen Schuld die ganze Chrijtenheit umnachte. Ihre
Rede wendet ſich an dag Volk und ift feinen Faſſungskräften
anbequemt. An die Antipathien des gemeinen Mannes an:
knüpfend, belehren fie ihn, wie jo ſchmählich jeine Vorfahren
von dem Clerus bintergangen und die göttliche Heilslehre in
das gerade Gegentheil verkehrt worden, in eine finanzielle Aus—
beutung der Gutmüthigfeit des armen Laien. Nur dahin jei
alles Streben des alten Clerus gerichtet, unter dem Deckmantel
der Religion, dad Bolt mit Abgaben zu überbürden: nur das
Geld ſuche man, nicht die Seelen 1). Daher jeien die wahren
hriftlihen Werke in Vergeſſenheit gerathen und faljche, aber
einträgliche an ihre Stelle getreten, al? da find: „Lehen, Klöfter,
Vigil, Seelenmeffen ftiften, Gebet, Bruderjchaft kaufen, Opfern
und Ablaß Löfen, die mit feinem Buchſtaben des Evangeliums
bewiejen werben mögen” 2); Daher audy dad Unweſen der
und Uſingen. Am zahlreichſten unb auch am wichtigſten find Ufingens
Schriften, wichtig find fie beſonders wegen ber vielen Stellen, bie er aus
den Predigten feiner Gegner mittheilt.
1) Vgl. 3.8. Libellus F. Barth. de Usingen Augustiniani de merito
bunorum operum. Erph. 1525. 4°. 5 2b, wo eine jolche Aeußerung aus
einer ‘Predigt Cuelſamers mitgetheilt wird: „Mi popule noa illi (Usinge),
neque complicibus ejus, sed nobis fidite, immo non nobis sed CAriste,
Deo redempturi nostro credite. Non ad hominem, sed ad Dei verbum
respicite et aliorum venenatam viperatamque astut'am pili facite.
Non auimas vestras sed marsupia vestra querunt.‘“ Guelfamer felbit
fagt: „Manete in fide patrum non inepte, nec infideliter interpretatus
sum: monachis et sacerdotibus opulente providere.“ Bgl. Adversus
Magistri nostri ®Barptholomei Usingi Iimpudentem libellum Joh. Cuel-
sameri confutaeio, qua sophistarum revellitur impietar. Erf, 1523.
4°, Cib.
2) Vgl. Ein widerlegung Joannis Cullſamer wider etzliche Sermon
geſchehen zw Erffurth von Doctor Barth. vſingen. 1522. a3 a. — „Dic
rogo“, redet Uſingen ihn an, „quid hae praedicatione vestra alind
faciatis, quam quod clerum dicitis populam hactenus decepisse, quo
illum ei reddatis odibilem. Estne hoc, populum suupte natura clero
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 10
— 146 —
Klöfter, die Lange einmal geradezu als „freye Raubſchlöſſer“
bezeichnet. Der Bettelmönh Sad und Wejen ftehe nur auf
ein Berücken des unerfahrenen Laien, auf Nehmen, Betteln
und Betrügen mit Bruderfchaften und fogenannten guten
Werfen ?), und die übrigen Orden trieben es nicht beffer. —
Schwer Tafte dieſes Erpreffungsfyften auf dem gemeinen
Marne, dad weltliche Regiment leide darunter. Dahin habe
es die Lift der Bfaffen endlich zu bringen gewußt: aus ber
Religion, die den armen. Mann tröften und aufrichten fol,
haben ſie ein Mittel zu ihrer Bereicherung gemacht! Wozu
aber anders, ald um aus dem Gute ded Armen die Werfe
ihrer Wohlluft und Ausſchweifungen zu unterhalten ?
Bon Nichts iſt jo häufig die Rede, als von diefer fittlichen
Verſunkenheit des Clerus. Ste ift das Hauptdogma, dad Lieb⸗
lingsthema des evangeliſchen Predigers. „Es iſt unſer Amt”,
meint Lange, „die Sünden aufzudecken und mit Gottes Wort
zu jtrafen” 2). Mit ven Schwärzeiten Farben werden ba Geiz,
Hohmuth und Unzucht der alten Geiftlichfeit ausgemalt. In
Sodoma und Gomorrha ift, wie Mechler lehrt, das Verderben
modice propicilum armare in illum et ad persequendum reddere pro-
pensiorem ‘‘ Vgl. Concertatio haud inelegaus Culsameri Lutheriani
et F. Barth. Usingen thevlogiae cowsulti. (Am Ende Argentinae 1523).
4°, D 2 a. |
1) Bon gehorfam der Weltlichen oberfait und ben außgangen Hlofterleuten,
ain fchußred, an Doctor Andreas Frowin Doctor Joh. Langen Eeclefiaftes
zu Erdfurt. 1523. C 2a.
2) „Ingeminatis ad ravim usque vitia clericorum et religiosorum
et non curatis Christum dicere, qui sine peceato est prejiciat primum
lapidem in eam.‘‘ meint Ufingen dagegen. ®gl. Lib; prümus F, Barth. de
Usingen erdinis Eremitani S, Aug. Quo reoriminationi respendes Cul-
samerice et confutationi, qua se author Sophistarum impietatem re-
vellere jactat etc.‘ (Am Ende Erfordie 1523). 4%. C 4 b. ,‚Quid
sonant frequentius suggesta vestra, quam calumniam pastorum et
prelatorum, ut populus illis:ebedire recuset!“ fagt er ein andermal.
Aehnliche Stellen find jehr zahlreich.
— 1417 —
nicht größer gewefen, als unter dem Papſtthum 1). In drohen:
den Scheltworten machte fich die Entrüftung darüber Luft:
die Schranfen des Anftande® und das Gebot der chriftlichen
Liebe zu beobachten, fiel ihnen nicht ei, noch bielten fie das
für Pflicht ?). \
Nicht zu hören aber, heißt «3, seien jene, die da meinen,
man müſſe troß der Gottlofigfeit der Geiftlihen, an ber
Kirche, als der Mutter, feithalten und in der Religion ber
Väter verbleiben. Sei doch nun Märlich an den Tag gekom—
men, wie bie Väter ſchmählich beirogen worden, und fordere
überdies das Alte Teftament ausdrücklich von uns, die Religion
der Väter zu verlaffen!®) Eine Mutter fei zwar bie Kirche,
aber eine „Mutter von Menfchenfakungen, Hoffarth, Geiz,
Wohlluft, Treulofigkeit und Heuchlern” %); ſchon längſt ſei fie
in Grund und Weſen verdorben, zu einer Werkitätte ver Lüge
und alles Böfen geworden! 5) — Daß der Papft der Antichrift
ı) gl. Libellus F. Barth. de Usingen Augustiniani, in quo res-
pondet confutationi F. Egidfi Mechleriü. 4°. QAb.
2) „„Sieut evangelici praedicatoris, bena annunciere homieibus,
ita etiam eorumdem animos a fulsis praedicatoribus oflcium est aver-
tere. Nec convenit, ut Paulum Ic mihi ubjiclas:; Omnia in vobis
honeste et secundum ordinem finnt. — Parum quoque appusite ad-
duxisti Apostolum ad Galatas: Estote invicem benigni etc.‘“ Adversus
B. Usingi impudentem libellem Cuelsameri Confutacioe. B2b-3.n.
Ufingen meint: „‚Erat olim licentia illa pastillophoris in foris, ut libere
convitin m eos dicerent, in quos vellent, at nostra tempestate in
templum de foris migravit, in quo evangelicks praedicatoribus nunc
licet pastillopheros ngere.* Concertatio etc. @ 6 b.
2) Vgl. Ein widerlegung Joan. Cullſamer x. a 2 b fi. Nichts
harafterifirt fo die vein Aufßerliche Auffaffung der Bibel durch die Prädican:
ten, als diefe Stefle, wo die Pflicht, ven Glauben ber Borfahren zu verlaffen,
aus Gzechiel XX, 18 (in praeceptis patram vestrorum non amnhulahitis)
bewiefen wird. —
4) Advers.. Using. impud. libell. C 1 a.
s) Liber tertins F, B. de Usingen Rremit. S. Aug. In que re-
spondet nebulis Culsameri, quas eommentus est ille in respensionem
ad libellum suum vernaculam ete, 1524. 4%. pb3..
10*
— 148 —
fei, die Bifchöfe feine Apoftel, was Luther erſt nach Tangen
innern Kämpfen angenommen batte, dad war den Männern,
bie in Erfurt feine Sache verfochten, in unglaublich furzer Zeit
einleuchtend geworben, und auch dem gemeinen Manne blieb es
nun nicht länger vorenthalten. Wurde er doch fogar aufge:
fordert, ein Kreuz zu jchlagen, fo oft er nur. den Namen der
fatholifchen Kirche höre’). Maßlos war der Eifer in der
Brandmarfung der Kirche und alles defjen was mit ihr zuſam⸗
menhing. Welche Schonung. wäre auch vor Männern zu
erwarten gewejen, die eben durch die Losfagung von ben Firch-
lichen Formen zuerft aus ihrer frühern Dunkelheit heraus:
getreten waren! Nicht einmal die Kirche der Alteften Zeit blieb
verſchont. Chriftliche Martyrer, Kirchenväter aus ben eriten
Sahrhunderten ?) und Heilige des Mittelalterd wurden in ber
rohejten Weiſe in ven Koth hinabgezogen. Da fielen Aeußerungen,
wie die, daß Auguftinus vielleicht, Hieronymus auf jeden Fall
verdammt fei?). Die Keufchheit eines Franzigcug und Domi-
1) „Praedicavit nuper Apostata quidam AMonachus exiticius ad
populum: Quoties audieritis ecclesiae Catholicae nomen in concione,
signate vos siguo crucis.“ Liber tertius etc. A 3 b.
2) Vgl. Eobani Dialogi tres B 2 a.
3) „Predicavit enim quidam tunrum nuper publice se multum
dubitare, Augustinus in celo esset necne.‘‘ Liber primus Bartholomei
de Us. B3 a. — Ein Beifpiel nody größerer Robheit erzählt Crotus: „Erat
mibi ex nomine notus apud nos Duringos Theologus magni nominis,
quondam scotista, postea illustratus spiritu, cencionator vehemens;
is sibi urgente spiritu temperare non potuit, quin eo usque Canisis
dentibus laceraret Divum Hieronymum, omnium consensu hactenus
habitum pro amico Dei, quod proscissum maledictis dejiceret e senatu
sanctorum, quod nonnulla scripta reliquerit dissidentia a nuper ortis
opinionibus. Nec melius sensit de Dive Francisco et Dominico, de
quorum casta vita quando declamaret O supperi quam scurriliter gar-
riebat; volens aliquando facetus vidori, intonuit in frequentissima
concione, inquiens sub ridendo, Virginitatis indieia. prependebant e
naribus Dominici et Francisci tortiles crines, quales a tergo demittere
solent sacerdotum concubinae, digua, ut scintis, ornamenta ad com-
mendandam talium patrum vitaın coelibem.‘“ gl. Apologia, qua
— 149 —
nicus wird dem Geſpött des Pöbels preis gegeben. Am größten
aber war der Grimm gegen die nichtäwürdigen Sophiften, bie
nun vollend® durch die Sophijtereien der heillofen Vernunft
dad Maß des Verderbens in diefen lebten Zeiten übervoll
gemacht, durch Menſchenſatzungen ohne Zahl die arınen geäng-
ftigten Gewiſſen befchwert, des Chriſtenthums tröftliche Kehren
vollftändig verbunfelt und ftatt der chriftlichen Heilgwahrheiten
heidniſche Thorheiten aufgebracht hätten. Daß Ariftoteles ein
gottlofer Betrüger und durchaus zu verbammen fei, erfuhr nun
auch der gemeine Mann zugleich mit dem Namen beöfelben
zum eriten Mal). Wie viel Neued befam er dba nicht zu
hören über die Gottlofigfeit der Bapiften und die Ränke, die
fie angewandt, ihn über die Wahrheit in Unwiſſenheit zu
erhalten!-
Doch nun, vernahm er weiter, fei diefem Unweſen, dieſer
Finfterniß ein Ende gemacht. Auf die Nacht jet der Tag gefolgt
und das lange unterdrückte Wort Gottes in diefen Tagen wieber
erftanden. Nur der Glaube an den Erldfer bringe Rechtfer-
tigung und Seligfeit, nicht Menſchenſatzungen, nicht gute Werke,
wie bisher fälfchlich gelehrt, Sünde nur fei wa vom Unglau-
ben fomme und nicht? Andered. Das ſei der tröftliche Inhalt
der jo lange und fo fchmählih dem Volke vorentbaltenen hei-
ligen Schrift. Sie ſei die alleinige Quelle des Glaubens, des
respondetur temeritati calumniatorum etc. a Joanne Croto Rubeano
privatim ad quendam amicum conscripta. CAb.
1) Wingen erzählt von einem Prediger folgendes Gefchichtchen: „Coram
populi frequentia postquam sua concione bonas risisset artes, tandem
in Aristotelem nasum strinxit et illum cum suo stercore post forna-
cem relegandum censuit. Quod e plebe quidam audiens et per Ari-
stotelem intellexisset plebanum in Stotternhem (Dorf bei Erfurt) hec
vel similia dieitur retulisse verba: Quid bonus ille dominus fecit,
quantum piaculum commisit, quod hic tum severe coram populi mul-
titudine taxatur.‘“ Liber primus etc. B 4 a. Bgl. aud) Liber tertius
etc. s 2 b, wo biefelben Ausfälle gegen Ariftoteled dem Lange in ben Munb .
gelegt werben.
— 150 —
Chriſten größter und einziger Schab, fein TFreibrief, dev ihn
frei mache von der Tyrannei des Papſtthums !). Sie zu leſen,
ſich jelbft von ihrem tröftlichen Snhalte und der Verbammlich-
feit der frühern Lehrweife zu überzeugen, wirb jedermann auf-
gefordert, Gebildet und Ungebilbet, Alt und ung, der Greis
wie dad Kind. Die Prediger jelbit ahmen geflifientlih ven
bihliichen Ton nach. Ihre Vorträge find voll von biblifchen
Gleichniſſen und Bildern. In paulinifchen Wendungen wird
das Uebermaß der göttlichen Gnade gepriefen, mit den zornigen
Sprüchen ded alten Teſtaments den Papiften das Verderben
angekündigt. Bei jeder, oft auch ohne jede Gelegenheit, werden
Norte der Bibel angeführt, und wäre es auch nur ein „Wahr:
lich, wahrlich fage ich euch” oder der Name Jeſus.
Es Tiegt in diefem Gebrauch der Bibel etwas, was an das
Verfahren der Humanijten der eriten Generation erinnert.
Hier wie dort war die Nachahmung eine Außerliche, ohne inne=
red Verſtändniß. Und mit derſelben Zuverſicht, mit derjelben
Selbitgefälligfeit, wit die Einen im antiken, treten bie. Andern
im biblifchen Gewande auf?).
1) „Sapienter““, bemerft fingen dagegen, „illum (sc. populum)
ineantatis, quando scripturam ei adulteratis et illam ad ea, quae ei
placent criptica obliquitate torguetis, in quo sibi stulidus gratulatur
populus.‘‘“ De merito bonorum operum G 4 a, womit zu vgl. Liber
primus E5 b.
2) Selbſt Mechler fann nicht umhin, dag felbitgefällige, auf den Beifall
des Haufen berechnete Auftreten mancher Prediger zu rügen. „Ach lieber
got etlich Prediger werden vil erfarner in ber gejchrift gehalten von jhnen
ſelbs und von andern, dann fie ſeynd vnd wöllen nit merfen, das nit jn
worten mebr aber in ber Frafft ift daß reich gottes, vnd ſchwatzen und waſchen
vil, on allen ernft vnd zittern, von Gottes Wort.” Eyn Chriftliche vnter⸗
richtung von gutten werden. Mit eynem nachfolgende Sermon vber das
Evangelium Luce 6. des vierdten Sontags nah Pfingften. Geprebigt durch
Egidium Mecheler Pfarrer zu Erffort jun der Pfarrfirden ©. Bartholomei.
Anno 1524, 4%. C 3b. — Trefflich fehildert auch Wicel dieſes Auftreten
der Prädikanten: „Deme turgidam loquentiam, praeterer rem eandem
subinde novis respersam vocabulis, postremo comminationes, gloria-
— 151 — .
Reichlich wird da der gemeine Mann für die Entbehrungen,
die ihm bie papiftifchen Seeljorger durch Borenthaltung der
Bibel aufgelegt, entſchädigt! Wie tröjtlich nicht nur, jondern
auch wie faßlich und einfach tritt ihm nun das lange vergra-
bene Wort Gottes entgegen! Da fällt unter den bibliichen
Streihen des Prediger raſch eine Menfchenfagung nach ber
andern: Falten und Gebet, Beicht und Ablaß, Möncherei und
Meſſe und was fonft noch die Habjucht der „geölten und gefchor-
nen Pfaffen” zum Schaben des armen Laien aufgebracht hat,
Populäre Argumente im Gejchmade des großen Haufen? kom—
men ber Bibel zu Hülfe Wozu — lautet dag gewöhnliche
Argument gegen bie Heiligenverehrung — die Heiligen verehren
und anrufen, ijt doch der erite Heilige ohne Yürbitte in den
Himmel gelommen! !)
Sn folder Weife verfünbeten die neuen Glaubensboten
das Evangelium. Ein enthufiasmirtes Publicum aber unıgab
fie: da Schienen endlih Männer gelommen zu fein, die ein
Herz hatten für das Wohl und Wehe des Volkes und es ehr-
ih mit ihm meinten. Die populäre, dem gemeinen Manne
Schmeichelnde Art ihres Vortrages, der biblifche Nimbus, mit
dem fie fich umgaben, der tröftliche Anhalt ihrer Lehren: bie
Emancipation von der Pfaffen Drucd und die Leichtigkeit der
tiones, affeetatos risus — et proram puppimque, ut dicitur, concionum
Lutheranarum demeris. Saepe scripturas jactant et nominant nomen
Christi, at haec illa esca est, qua irretiuntur parum cauti.“ Wic,
De raptu epistolae privatae in Epp. libr. IV. a3 b-4 a. (1535.) d 2 a-b.
Noch fchärfer Ufingen; „Conviciis et probris censuram seripturae sibi
vendicantes, miris tragoediis illam prorsus extinguere moliuntur,
ınobile et imperitum vulgus concitant: cujus plausu et manu frecti,
religionem synceram explodunt‘“ etc. Liber tert. u 2 b.
) Eyn furk Sermon zo die heyligen Gottes belangen. An alle Doc-
tores tzu Erffurdt, fy ſeynt jung ab’ alt, man ad’ frame Joannes Femelius.
4%. C 3b. „Eynn gemeiner Handwerksmann“, bemerkt Femelius dazu,
„ober ley yſt balt mit ſolchen arguntenten gefettigt vnd gleubt vnd plumpt
yerbin, wie eyner dem hendt vnd fuſſze engangen ſeynt, eyne treppe ynher
fallet.“ 1. c.
. — 12 —
Sündenvergebung: alles dies wirkte mit unwiberftehlicher Kraft
auf die Gemüther der Menge. Der Bfaffenfturm hatte den
Boden geebnet. Der gemeine Mann war in Folge der frühern
Bernachläffigung des Predigtamtes roh und unwiſſend. Den
firchliden Gebräuchen hatte er fich ohne Verſtändniß, ohne
innere Betheiligung gefügt, weil es fo das Herkommen mit fich
brachte, weil e3 die Väter gethban. Nun fiel eg, wie Schuppen,
von feinen Augen: er erkannte, wie ſchmählich die Väter hin—
tergangen worden waren. Da folgte der Predigt auch bald
bie That. Die kirchliche Ordnung Töfete fich auf, die Kirchen-
gebote verloren ihre Kraft. Die Meſſe wurde nicht mehr befucht,
das Fajtengebot verachtet, dag Beichten und Wallfahrten veripottet.
Pfaffen jchelten wurde ein Zeichen befonderer Chriftlichkeit.
So raſch ging es mit der Befeitigung des Alten, daß bie
herkömmliche Feier der großen ftäntifchen Proceffionen, in denen
der Fatholifche Gottesbienft bisher feinen glänzendften Ausdruck
gefunden, ſchon im Sahre 1522 unterblieb.
IM.
Der öffentlichen Predigt dc3 Evangeliums folgte der gelehrte
Kampf gegen feine Widerjacher.
Denn fo allgemein war der Eifer für dad Evangelium
doch nicht, daß nicht auch der alte Glaube noch feine Anhänger
gehabt hätte, und nicht Alle, die 1521 Luther als den erjehnten
Apostel begrüßt hatten, blieben feiner Sache getreu. Bei
Manchen gewann, al3 der erjte QTaumel vorüber war, die
Macht der Firchlihen Tradition wieder die Oberhand. Die
Perfönlichkeit und das ganze Auftreten ber neuen Prediger
mußte Sinficht3vollere mit Bedenken und Mißtrauen gegen ihre
Sache erfüllen, ihr maßlofer Eifer gegen Alles, was den Vor:
fahren heilig gegolten, die Bebächtigeren zurückſtoßen. So trat
neben die evangelifche Mehrzahl eine katholiſche Minderzahl,
— 13 —
entfchloffen, an dem Glauben der Väter feitzuhalten 1). Allein
den Gang der Ereigniffe aufzuhalten, war diefe um jo weniger
im Stande, ald es ihr längere Zeit an einem entjchloffenen
und fähigen Führer fehlte. Die alten Geiftlihen waren zum
Theil noch flüchtig, die zurückgebliebenen beſaßen nicht ven Muth,
den Kampf mit dent Gegner aufzunehmen ?). Die Canoniker
der beiden Collegien verblieben, wie fehr fie auch den neuen
Predigern, als Kebern und Buben grollten, in ihrer gewohnten
Unthätigleit. Das Einzige, was von ihnen geſchah, war, daß
fie wegen der 1521 erlittenen Gewaltthätigkeit bei den Reichs⸗
gerichten klagbar wurden ?).
Wie die meiſten Verkünder des Evangeliums aus den
Kloͤſtern hervorgegangen waren, ſo ſollten auch die Altgeſinnten
in einem Moͤnche ihren Führer und Vertheidiger finden. Es
war Bartholomäus Uſingen, Luthers ehemaliger Lehrer und
Ordensgenoſſe, der einzige dem Orden treu gebliebene Augu—
ftiner. Wir ſahen, wie auch er einen Augenblid in feinen
Meberzeugungen gewankt hatte. Indeß ſchon 1521 war er zu
) Weber das numerifche Verhältniß verbreitet eine Angabe Ufingens
einiged Licht, der zufolge er bei einer am Mathiasfeſte 1523 im Dome gehal-
tenen Prebigt beinahe 4000 Zuhörer hatte. Vgl. Liber secundus D. Bar-
tholomei de Usingen, in quo respondet Culsamerice confutationi, qua
confutatur epistola, quam premisit responsioni ad libellum vernacu-
lum a Culsamero contra se emissum. Adjuuctis tribus sermonibus.
4°, (Am Ende Erf. 1523). B 3 b. Auch im Rathe zählte der alte Glaube
noch mehrere Anhänger. Vgl. Sermo de Sancta Crucce praedicatus &
F. Barth. de Usingen. C3 h.
2) Darüber Magt Ufingen. . „Sed quid faciunt pastores nostri tem-
poris, qui lupum venientem vident et fugiunt scil. tacendo, nec se
oppenende, nec prohibendo, Animam nec suan pro ovibus suis ponunt,
quae ad infidelitatem a lupis perdecuntur‘‘ etc. gl. Barth. Usingen-
sis Sermo pulcherrimus de Sacerdotio. Lips. 4%. A3b. — Aud
Euelfamer Hagt darüber. Ein widerlegung Joan. Cullſamer 2. a 1 b.
3) Ihr Klagelibell ift d. d. 3. Juli 1523. — In Beziehung auf fie hatte
Lange nicht unrecht, wenn er fagt: „Sr kündt nichts meer, dann buben, ſchälck
und ketzer rüffen. Wer kan das nit. Die Holhipper vnnd gemeine weyber
fünnden dag auch wol.” Bon gehorfam der Weltlichen oberfait ꝛc. A An.
/
— 14 —
jeiner anfänglichen Haltung zurüdgefehrt: in den endloſen
Jubel, mit dem Luther damald in Erfurt empfangen wurbe,
ftimmte er nicht mit ein’): und mit wachlender Beſorgniß
beobachtete er von da an den weitern Gang der Bewegung.
Nach den lebten Vorgängen gab ed für ihn Teine Wahl mehr.
Er brach jet dag Tange beobachtete Schweigen und übernahm,
den Wünjchen feiner Freunde entiprechend, die Öffentliche Ver⸗
theibigung des alten Glaubens 2).
Es war am Feſte des 5. Adelariug (20, April 1522), als
er zum erjten Mal in der Domfirche auftrat und die firchliche
Lehre von der Heiligenverehrung in Schu nahın. Auf die
erite Predigt Tieß er bald eine zweite folgen über den Felſen,
auf den Ehriftus feine Kirche gebaut. So fuhr er fort und
behandelte in einer Reihe von Predigten die wichtigften Streit-
punkte, Rechtfertigung, Abendmahl, Brieitertbum u. |. w.°).
An die Vertheidigung der kirchlichen Lehren Tnüpfte er die ein-
dringlichften Ermahnungen, der alten, wahren Kirche, in ber
bie Väter gelebt und jelig geworden, treu zu bleiben. Er warnte
vor den neuen falihen Propheten, die unter dem Schein des
Evangeliums und der Freiheit Religion, Zucht und Ehrbarkeit
vernichteten, das alte boͤhmiſche Unweſen erneuerten *), Aufruhr
und Tumult erregten und das chriftliche Volk einer endlojen
Verwirrung preis gäben. Unläugbar ſei zwar — räumte er
1) Greifer (Hiſtoria vnd befchreibunge 2. B 1 b) berichtet, daß alle
Auguftiner Luther in Erfurt freundlich enıpfangen, bis auf Ufingen, der ihn
„ſauer“ angejeben. Doch ericheint ex nach dem Lih, rat, ad Heck. M. Marg.
noch 1521 zu Lange in freundlichem Berbältniß.
2) Daß ‚„honi viri ihn darum gebeten, ſagt er: felbit Lib. de merito
bonorum onerum H 3 a. und Sermo de-saneta cruce D 3 a.
+) Eine große Anzahl der von ihm gehaltenen Predigten bat er in latei⸗
nifcher Ueberſetzung in feine Streitjchriften anfgenommen,
*) Diefer Gedanke Fehrt bei Ufingen oft wieber (Vgl. 3. B. Lib, tert.
s 3 a, Libellus, ia quo respondet Confutationi Mechlerii M3a u. a.)
und zeigt, in wie lebhafter Erinnerung die huffitifche Bewegung in Erfurt
geblieben war.
— 155 —
ein — das Verderben der Kirche, und eine Reformation aller: _
dings vonnöthen, vor Allem aber eben für die, welche jetzt als
Sittenrichter aufträten, für die zuchtlofen Mönche, die durch
bözwillige Mebertreibung der kirchlichen Mißbräuche nur ihre
eigene Schmach zu verbeden fuchten!
Man kann fich denken, mit welcher Entrüftung die Diener
des Evangeliums dieſe fchmeidende Sprache vernahmen. Ihre
Erbitterung über daS frevelhafte Beginnen des ehemaligen Leh—
rers — denn dad war Ufingen den meiften — war um jo
größer, je weniger fie nach den erften glänzenden Erfolgen
noch einen folchen Angriff erwartet hatten. Jetzt galt es, ihm
raſch umd Fräftig zu begegnen. Sofort nach jener erften ‘Pre:
digt erhob fi Euelfamer, um den Verſtockten, der Feiner brüs
derlichen Ermahnung würdig ſei, öffentlich mit dem Worte
Gottes zu jtrafen ). Dann’ folgten auch die Uebrigen: Lange,
Mechler, Forchheim, Koel, Weich und wie fie alle hießen. Bald
donnerte es auf allen Canzeln von den Fallſtricken, durch die
Satan dag kaum wiedererweckte Evangelium zu verderben trachte.
Jede Predigt Ufingend rief eine ganze Reihe von Gegenpre-
digtere hervor. Durch beitellte Zmifchenträger erfuhr man den
Inhalt derſelben. Wieder und wieder wurde das Volk aufge
fordert, gegen biefe neuen Anfchläge des Teufels auf feiner
Hut zu fein, fich das lautere Gotteswort nicht rauben zu laſſen.
Ufingen, hieß es, fei ein Miethling der Hurenpfaffen ?), der
um jchnöden Geldgewinn die frühere Finfterniß und Tyrannei
zurüdzuführen trachte, ein ganz' und gar mit Blindheit gejchla-
gener Sophift, fagte Lange, der Nichts von dem Evangelium
verftehe, einer jener hartnädigen Alten, ließ ſich ein Dritter
1) Bol. Epistola Joh. Culsameri ad D. Barth. Usingen, abgebr. in
Uſingens erfter Streitſchrift: Aesponsio F. Barıh. de Usingen ad confu-
tmtionem Cuisumericam, (Am Ende Erf. 1522). 4°.
2) Died prebigte Cuelfamer: Nebulo ille turpissimus nunc tandem
Christum ipsum pudefacere conatur ob fornicariorum defensienem:
idque lucri causa. Vgl. Sermo de sancta cruce D 2 b.
— 16 —
vernehmen, die nach dem Zeugniß der h. Schrift zu allen Zei-
ten der Wahrheit widerjtanden hätten. Lärmende Vollfhaufen
wurden in feine Predigten gejchiekt, ihn durch Ziſchen und
lautes Reden in Verwirrung zu bringen; wieberholt mijchten
ſich ſogar Euelfamer und Forchheim felbft unter feine Zuhörer,
um fofort die Umſtehenden eines Beſſern zu belehren, oder Stoff
für ihre nächfte Predigt zu holen ').
Indeß nicht bloß durch die Predigt fuchte man Uſingens
Auftreten unschädlich zu machen: ein noch wirffameres Mittel
dazu bot fich in den theologifchen Disputationen dar. Die-
leipziger Disputation hatte eine Art ſymboliſcher Vorbedeutung
für die Wichtigkeit, die der Geiſt der Disputirfucht allwärts
für die Sache der Reformation gewinnen ſollte. Die Disputir-
jucht war auch in Erfurt dad Einzige, was aus der fcholafti-
chen Periode beibehalten wurde. Sofort empfing Ufingen eine
ganze Reihe von Herausforderungen zu einer Öffentlichen Di3-
putation. Allein die verlegende Form, in der fie ihm zufamen ?),
jowie die von vornherein aufgeftellte Bebingung, daß das um⸗
ı) Davon fpridt Ufingen mehrmals, 3. B. Liber tertius etc. b 2 a.
„Et si honestatis ordo servaudus est in contionibus, ne simul plures
loquantur, ad cavendum tumultum et contentionem, sicut sancte docet
Apostolus: cur a te (Culsamero) et tuis instituti Jam passim nunc
ordinem non servanut, qui in faciem praedicantis linguas laxant et
irreverenter inhonesteque concivnantem interpellant, propter quod
superivribus diebus, quidam illorum in ayuam fuit projectus, quo
baptismate et tu dignus esses: quoties me concionanten Audis, non
ut -tibi sim predicator, sed ut mihi observator sis et calumniator.
Et quare tu ipse non servas quod Apestolum docere interpretaris,
qui sub sermonibus meis submurmuras et gircumstantes aliter atque
ego nraedico doces, quibus scripturas tamquam in me militantes citare
non erubeseis.““ Noch häufiger als Euelfamer fand fi Forchheim ein.
2) So Iud ihn Euelfamer mit folgenden Worten zu einer Disputation
ein: „Quo hydram tricipitem conficias hortor, o Hercules, fac adsis
Hylne tuo:“ 'Tert. lib. b 4 db, Mechler mit folgenden: ‚‚Disputationem
hanc von theologis evangelicis sed papisticis et vertiginosis indictam
esse vulumus.‘‘
— 17 —
ftehende Volk Schiedsrichter fein follte, Tieß ihn im Voraus
den Erfolg erkennen: er verweigerte bie Annahme Wohl fei
er, erflärte er, zu einem gelehrten Zweilampfe bereit, wenn,
wie das Herfommen vorjchreibe, ein ordentlicher Richter ernannt
würde und die Gegner nicht Ankläger und Richter zugleich fein
wollten‘). Natürlich, daß dies hr wurde. Die Folge
war, daß die Evangeliichen jebt, aud) ohne fingen, unter großem
Zulauf ded Volkes ihre Disputationen hielten, bei denen «3
dann tumultuarifch genug berging. Da war nun der Sieg
leicht. So ehr, hieß es, ſeien die Papijten ſich felbit ihres
Unrecht? bewußt, daß fie den offenen und ehrlichen Kampf
vermieden und es nicht wagten, ihre Gründe dem nun durch
göttliche Gnade jehend gewordenen Volfe vorzulegen ?).
Wichtiger aber, als Prebigt und Disputation, war ber
daneben geführte Titerarifche Kampf: dieſem wenigitend wich
Uingen nicht aus. Den Anfang machte auch hier Eueljamer
durch eine deutſche Streitfchrift, welche er im Sommer 1522
gegen die erjten von Uſingen gehaltenen Predigten ausgehen
ließ. Ihm eilten fofort Mechler und Lange zu Hülfe Bald
war Alles voll von theologischen Streitfgriften. Die Feder zu
führen, verjtand auch Uſingen. Mit einer Rührigfeit, die bei
dem faft jechszigjährigen Greife in Erftaunen feßt, veröffent-
lichte er eine Streitjchrift nach der andern; feinem der Gegner
blieb er eine Antwort ſchuldig. Schonungslos, mit leidenſchaft⸗
1) Was aber nach Cuelſamer nichts Auffallendes hatte: „„Quod autem
miraris, me simul actorem et judicem agere, non est cur mireris,
cum Danielis decimo quarto idem habeas, quando ille duos senes pres-
piteros nequam accusavit, judicavit et damnavit.‘‘“ Adversus Using,
imp. lib. Bi a. _
2) Vgl. Concertatio Culsameri et Barth. de Using. B 3 b aqq. —
Libellus F. Bartholomaei de Using, August. de duabus disputationibus
Erphurdianis, quarum prior est Laugi et Mechlerii monachorum exi-
ticiorum contra ecclesiam Catholicam, posterior est Usingi Aug. pro
ecclesia catholica priori adversa et contraria, 1527. 3%. — Ein wider:
legung Io. Eullfamer 20. a 1 b. Kappens Kleine Nachlefe II, 515.
— 18 —
Vicher Hite wurde der Kampf auf beiben Seiten geführt. Map
kannte feine Partei, am wenigften der zornige Eifer der Prä-
bifanten: noch. ehe Uſingens Schriften öffentlich erichienen
waren, warnten fie das Volk vor dem darin enthaltenen Gifte.
Kein Ausdruck ift ihnen zu derb, Fein Ausfall zu roh. Von
der humaniftifchen Eleganz int ſich in diefer neuen Literatur
feine Spur mehr. Gegenftand des Streited aber war bie ganze
Reihe der theologifchen Tagesfragen, Priefterehe und Klojter-
gelübde an der Spike; dann Rechtfertigung, Primat des Pap—
fted, Autorität der Kirche, Heiligenverehrung, Fegefeuer, Huf:
ſitismus, Bibel und endlich die Vernunft, der das neue Gefchlecht
beſonders gram war. An eine ruhige, würdige Erörterung
diefer Fragen dachte Niemand: kam es doch nur darauf ar,
ſich des Beifall3 des großen Haufen? zu verfichern. Dem
entjprach auch die ganze Art der Polemik. Wie kann, ſo lautet
Cuelſamers Argument gegen den päpftlichen Primat, der Papſt
bad Oberhaupt der Kirche fein, da er Doch in Regel der Sohn
ber Sünde ift ). Die frivgle Aeußerung eines Proletariers
wird aufgegriffen, um damit die Autorität der Kirche Lächerlich
zu machen?). Da wird Ufingen wohl angewieſen, ſich bei
1) Vgl. Adversus Bartholomaei Us. imp. libellum B 4 b. „Tu in
die Petri locum illam Matthei Tu es Petrus et super hanc petram
aedificabo ecclesiam menm, perversissime torsisti ad summunm ponti-
ficem, quem conabaris probare ecclesiae caput, quod diceretur dis-
pensacionis, nescio an somniandi dixeris, an vigilans tantum delirare
potueris. Hui Usinge, cui nec totae Antieyrae suffcerent, quo satis
ellebero purgareris, tune hominem peccati (ut plerumque sunt Ro-
mani Pontifices) constitues caput super Christi ecelesiam? Si caput
esse poterit homo peceati et fillas perdicionis, quis prohibebit, quo
demones et damnati de Christi ecclesia non sint.“ Darin befteht ferne
ganze Wiederlegung.
2)1.c. A 2 n. „Eciam indoctae plebi ridendum prostituis. Ba
quod et tibi dum in monachorum monte satis superciliose et sesqui-
pedalibus verbis Romani Pontificis, Cardinalium et Episcoporum nucto-
ritatem immodice extolleres, atque illos esse praedicares, qui sanctam
matrem ecclesiam representarent, tum e plebe quidam infit: numquam
— 159 —
Luther ſelbſt Belehrung zu holen, oder mit der Behauptung
abgefertigt, daß er als Häretifer Feiner weitern Widerlegung
würdig ei, fondern gemieben werben müfje, wie Paulus ber
Apostel Iehre!). Sp offenkundig, heißt es ein andermal, fei
ber von. den Pfaffen geübte Betrug, daß ihn fogar die Kinder
einfähen und darüber fpotteten ?), Ein roher, den Faflungs-
fräften beö gemeinen Mannes anbequemter Syllogismus wird
zu Hülfe genommen, um. die von Uſingen beſchützte Vernunft
aus dem Gebiete der Religion zu verweilen. Wer den Geiſt
Gottes nicht hat, argumentirt Eueljamer, ift dem Geſetze und
ber Verdammung unterworfen. Die Vernunft aber ijt nicht
ber Geiſt Gottes, fie kann und deshalb auch nicht von unjern
Sünden befreien, und mithin haben die Sophiften Unredit,
wenn fie diefelbe fo jehr empfehlen!) Und jo geht es weiter.
Das Meifte aber leiſten jederzeit die mit Bibeljtellen unter:
anten credere posui, menachum mihi matrem esse, cum vero pApA
mater ecclesiae ac plerumque monackus sit papa, fieri potuit, ut ex
matre monacho sim genitus, tale fuit illius de sycophanciis tuis judi-
cium,“ gl. auch Liber primus «te. B1 a.
2) Vgl. Epistola Egidii Mechlerii ad Using. „Scias me, sicut in
apologia mea promiseram, aliud nihil facturum, quam ut egregie
omnia tun et te contemnam, hacreticum enim hominem docuit Pau-
lus post unam et alteram admonitionem vitandum case.‘“ De duabus
disputat. Erf. H 1 a.2b.
2) „‚Dulcibus sermonibus et benedictionibus (ventri Deo vestro
inservientes) populum dei misere seduxistis. Haec manifestiora sunt,
quam velis, adeo eeiam, ut jas pueri has vestras imposturas ct nos-
eant et irridennt.‘“ Advers, Barth. Us. impud, lb. C 3 a.
s) „Quam nihil raeio humana valeat ad justiciam hoc modo col-
ligitar. Quetquot spiritu Dei destituti sunt, sub lege sunt et male-
dictioni obnexil: Ratio autem uon est Dei spiritus. Ob id ratio a pec-
catis non liberat. Si itaque racio a maledicto non liberat, quid illam
tantopere commendatis Sophistae?““ Vgl. Tertius liber etc. K2 a,
und Adv. Using. imp. lib. CA b. — „Die armen Scholaftici“, jagt Semler
einmal, „haben fich lange genug gar zu fehr müſſen verachten laſſen; und oft
von Leuten, die fie nicht einmal zum abfehreiben hätten brauchen können.”
Lebteres Scheint in ber That in Beziehung auf Cuelſaner und feine Genofjen
der Fall zu fein.
müchten Schmähungen umd die Androhung des göttlichen Straf:
gerichtes, da3 nach dem Zeugniß der Bibel allen Gottlofen und
verſtockten Sündern bevorjteht !).
Mehr Würde und Ruhe zeigt Ufingen. Maßlofigkeiten
fehlen freilich auch bei, ihm nicht, wie er denn einmal alle
Prädifanten, als Falſchmünzer, verbrannt wiflen will. Aber
nie verfällt er in den Ton eined vohen pöbelhaften Scheltens,
wie feine Gegner ?). Mitten im Gebränge des Kampfes ver:
gißt er nicht, auch der altgläubigen Geiftlichkeit in ernfter Rede
ihre Sünden vorzuhalten, durch welche fie den gegenwärtigen
Sturm gegen die Kirche hervorgerufen °). Seine Entgegnungen
find reih an trefflihen umb fchlagenden Bemerkungen. Iſt
die Bibel die alleinige Duelle des Glaubens, hält er unter
1) In Cuelſamers Tateinifcher Streitfchrift wird Ufingen angerebet als
ımniserandus, miserubilis senex, misellus, caput stupidum, dux Sophi-
starum, excecati cordis homo, cecus, cecorum dux, hypocrita, in
verbum Dei blasphemus etc. etc. &ine ähnliche Spradye führt Zange.
„„Tu scabiose senex‘‘, redet er den alten Ordensgenofien at, „eum fugi-
tivo et exiticio fratre tuo, qui rursus pedem in antiquum contulit
sterquilinum — vobis igitur judicium dei olim non tardat et perditio
vestra non dormitat, 2 Petri 2.% Bgl. Sermo de s. cruce. C 44.
2) Auch die Unfchuld. Nachrichten äußern bei Gelegenheit der Recenfion
ber Concertatio etc. (Jahrg. 1717 p. 551 ff.), daß Uſingens Entgegnung
„mit ziemlicher Veſcheidenheit“ abgefapt fei.
2) Bol. Liber primus ete. Ed b. — Sermo dc sancta erucc. Bi.a.
Sermo de sacerdotio A 3 b. — Er fpridit ſich da mitunter fehr derb aus:
„Sed quid dicam de pscudo sacerdotikus, quorum plenus est mundus,
qui fronte semel perfricta erubescere amıplius nesciunt, in quorum
manibus pro psalterio luserie cartule cerauntur et tessere, in quorum
ore non dei nomen resouat et landes, sed jurgin, maledicta ct frau-
des, audiuntur rixosi, tumultaosi, belligeri, in quorum cubiculis non
est videre canonicas scripturas, sed gladies, pilas et surissas etc.‘
Lib, prim. E 6a. Er rügt fehr ernit, wie fie „more Fucherensium‘‘ nur
nad Pfrünben jagen. „Papistae zunt, qui sacerdotäis satiari non pos-
sunt, et per omnin collegia ecclesinstica Monupolium more Fuche-
rensium exercent in praebendis et beneficiis, ut vocant, qui lahores
locant, et sudores laborantium vorant feriati.‘“ Sermo de s. cruce
Bin,
— 161 —
Anderm einmal den Gegnern entgegen, wie war es dann zu
der Apoſtel Zeiten, als es noch Feine Bibel gab? Und ift das
Verſtändniß der Bibel fo Leicht, fragt er ein andermal, warum —
Itreiten Luther und Carlſtadt fo heftig über dieſelbe?!) Ein
Zug aber geht gleichmäßig durch alle feine Schriften hindurch:
es ift die Entrüftung darüber, daß Menjchen, wie die, welche
jet in Erfurt das Wort führen, jo eben aus dem Dunkel .des .'
Klofterß hervorgetreten, roh und unwiffend, und der Reforma—
tion felbjt mehr, als irgend ein Anderer .bebürftig, nun als
Reformatoren auftreten, über die Gefammtheit der alten Kirche
den Stab brechen dürfen. Daß jo Wenige dies anjtößig fan—
den, feine Obrigkeit fich dagegen ſetzte: darin erblidt er eine -
Schmad, des deutjchen Namens. „Das iſt der Ruhm unferer
Zeit”, ruft er einmal aus, „ber uns bei den künftigen Jahr⸗
hunderten in Verruf bringen wird.” — Wiederholt Flagt er
darüber, daß bei den Zeitgenoffen der Sinn für die innige
Verbindung, in der Deutjchland früher mit der Kirche gejtan-
den, jo gänzlich eritorben jet. Es ahnet ihm, daß wie in Folge
des griechiichen Bilderſturms die alte Größe von Eonftantinopel
und die römijche Kaiferfrone auf die deutfche Nation über:
gegangen fei, jo der gegenwärtige deutſche Bilderſturm den
Berfall Deutfchlands und ven Verluſt der alten Grüße herbei-
führen werde ?). —
Allein dergleichen Klagen verhalten wirkungslos in einer
Zeit, wo ideale Beziehungen überall. gemeiner Wirklichkeit
weichen mußten, und gaben nur Anlaß, von den phantaftiichen
Träumereien des Findifchen Alten zu ſprechen. Der gemeine
Dann hatte Fein Verftändnig dafür. Auf das Volk konnten
Uſingens Schriften überhaupt nur geringen‘ Einfluß ausüben. u
m
—
12) Vgl. Libellus in quo respondet confutationi F. Beidi Mech-
lerii O 3 b. — De dunbus disput. Erph. D 1b.
2) Vgl. Liber primus ete. B3 a. — Sermo de sancta cruce ete.
A4Ah, Ä
Kampfſchulte, Univerfität Erfurt. IT. Theil. a
— 162 —
Er verfchmähte es, das Volk, wie feine Gegner, durch eine
volksthümliche Darftelung an ſich zu ziehen. AL Mann der
Schule bedient er fich ausschließlich der Lateinischen Sprache *),
hberjeßt ſogar deutfche Schriften feiner Gegner in's Rateinifche,
um ſie dann "mit feinen Gegenbemerkungen zu begleiten. In
den Formen der Schule bewegt fich auch die ganze Art feiner
Polemik, troß der zahlreichen Bibelftellen, die er im Geſchmack
der Zeit an dem Rande feiner Streitfchriften anbringt. Es
fehlt ihm deshalb die Unmittelbarkeit, die Kraft und das Teuer,
wodurch fich die Schriften feiner Gegner auszeichnen. Durch
die Formen der Schule verfperrte auch er fich, wie jo mancher
Bertheidiger bed alten Glaubens, den Zugang zu ven Gemüthern
bed Volkes. Kein Wunder, wen da die Euelfamer und Mechler
trog der Schwäche ihrer Argumente den Sieg davon trugen!
Indeß wurde auch von FTatholifcher Seite bie Form der
populären Polemik verfucht. Es gejchah die durch den Huma⸗
niften Johann Femelius, der im Herbfte 1522 neben Ufingen
auf den Kampfplat trat. Noch im Jahre 1520 Luthers feu-
rigfter Lobredner und Vertheidiger gegen „pie unbeilige Rotte“,
war Femelius durch das Treiben der Bräbifanten auf andere
Anfichten gebracht worden. Ein ſo derbe Zufahren, ein jo
unaufhörläched Verdammen und Boltern fünne unmöglich, meinte
er, zum Guten dienen und mache das einfältige Volk irre?).
1) Nicht zu verwundern war ed, wenn die von den Gegnern ausgebeutet
wurbe. „„Adeo astutus est compilator ille‘‘, verkündet Mechler, „ut li-
bellum suum latine ederet, ne vulgus suas videret nugas.‘“ Bol.
Libellus de duabus disp. Erph. N 3 a.
2) „Das vorfprechen vnn vordammen derer bie Öffentlich vorwerffenn
vnd vffs höchſte vernichtigen”, äußert er im Eingang der gleich anzuführenden
Schrift, „die predig on lar, allhie auffgericht yn kurtzer tzeyt gefallet mir gar
nit vnd ift in der warheyt böß vnd gufitig vnd gelangt faft Bu bößen fachen.
Wan man leret yo das ewangeliun, ed ſey auch wye es wolle, macht auch
ſolch vorwerffen das ennfeltig volck vber die maß yrrig vnd ſolt billich nit
geicheen von feynem nit, Welcyer ber jchrifft erfaren angefehen werden wolt.
Es fiehet auch worlich ſolchs eynem gelarthen man nit wol an, ban es fan
ya wol be gleichen thunn, eyn grober, ungelarter menſch.“
— 158 —
Cine Disputation über die Heiligenverehrung, bei der fich Alles
in der gewöhnlichen tumultuariſchen Weiſe gegen bie Heiligen
ausſprach, veranlaßte ihn nad) Vorgang Ufingens öffentlich mit
einer deutfchen Streitfchrift für die altkirchliche Lehre in die
Schranfen zu treten’). Femel ift kein Mann der Schule:
feine Schrift. ift für das Volk beftimmt und im Volkstone
gehalten. Er will den einfältigen Laien „nicht fo faft lange
Zeit in der Schrift gebt” in den Stand feßen, ſich bei dieſen
Wirren ein ruhiges und richtigeß Urtheil zu bilden. Er ermahnt
ihn, „nicht jo muthwillig und freventlich in diefer hoben großen
Sache zu urtheilen”, wie bisher, und vor Allem ſich nicht durch
den Kärm der Prädifanten irre machen zu laſſen. Alle Argu:
mente, welche fie biß auf dieſen Tag im Erfurt vorgebracht
hätten, ſeien unzulänglich und nur fcheinbar, beſtaäͤnden nur in
„Pochen, Pultern und Stormen.“ Durch emige gelungene
Nachbildungen ihrer beliebteften Argumente jucht er dies an-
Ihaulich zu machen?) Mit St. Paulus, auf ven fie ſich jo
haufig und gern beriefen, ftimmten fie wie „ein großer Bromm-
ochſe mit einer jungen Nachtigall” 9). Grobe, finftere. Köpfe
jeien es, „welche auch das da gamz wahrhaftig ift, in ärgiten
Verftand wenden und ein närrifches Urtheil fallen in den
Sachen, die fie gar nicht verftehen” ©).
Uſingens Beifpiel gab nad) und nad auch noch Andern
1) Eyn fur Sermon ſzo die Heyligen Gottes belangen. An alle Doc:
tores Bu Erffurdt, fie feynt jung ab’ alt, man ad’ frame Joannes Femelius.
Darunter: Bruber es gylt mit leſternß wm vorſprechens Sondern Flarer
atzeygung auß der fchrifft wer das baß kann ber beſtehe. 4%. =. 1. et a.
(Am Ende: Hans Knappe). Daß die Schrift Ende 1522 erfchienen ift,
ergibt fi aus ihrem Inhalte, vgl. aud) Concertatio ete. G.3 a.
2) 3.8. Mie ber erfte Hellige ohne Fürbitte, ſo ſei auch der reuige
Schächer ohne Taufe, ohue gute Werke ac. ſelig geworden, lie bedürſe man
ber Taufe, der gun Werke jo wenig als ber dürbiue der Heiligen u. ſ. w.
I. c. O 3 4.
2) I. c. B A a.
) I. c. A2 h.
11%
— 14 —
den Muth, offen für den alten Glauben aufzutreten. Mater-
nus Piſtoris nahm öffentlich die Marienverehrung in Schuß ").
Ein Soanned Eckardi verfocht gegen Euelfamer die Nothwen-
bigfeit der Firchlichen Tradition und die Unzulänglichleit der
Bibel als alleiniger Duelle de Glauben3 ?). Andreas Frowin
trat gar mit der Behauptung auf, daß das Evangelium Auf:
ruhr errege, und daß Männer, die ihre Laufbahn mit einer
Auflehnung gegen ihre DOrdendoberen begonnen, nimmer Andere
zum Gehorfam' gegen die Obrigkeit anleiten koͤnnten. Dagegen
aber erhob ſich Lange, der in einer neuen Streitichrift ausführte,
daß nicht das Evangelium, fondern „bie geiftlichen Privilegien
und Freiheiten der Pfaffen, Mönche und Nonnen” das Anjehen
der Obrigkeit vernichteten *). Gerade die evangeliichen Predi-
ger, behauptet er, hätten das größte Verdienſt um die Obrig-
keit. „Wollt Gott”, jagt er von fich felbit, „ed wäre einem
ehrbaren Rath zu Erfurt und gemeiner Stadt Niemand jchäd-
licher geweſen benn ich!” +)
In der That war Frowins Vorwurf injoweit ungegrünbet,
als das Anſehen des erfurter Rathes durch dad Evangelium
nicht litt, und viel eher traf Ufingen das Richtige, der ben
evangeliichen Prädikanten wiederholt eine ungebührliche Schmei-
chelei gegen die ftäbtiiche Obrigkeit vorwirft). Eben in dem
Rathe fanden fie ihre Hauptſtütze. Lange ftand bei ihm in
1) Vgl. Euricii Cordi Opp. Epigr. Lib. V. De Materno p. 170.
2) Bol. Erhard Ueberl. 3. vaterl. Geſch. I, 59.
2) Bon gehorjam der Weltlichen oberfait und den außgangen Fofterleuten,
am ſchutzred an Doctor Andreas Frowin, Doctor Johannis Langen, Eccle⸗
fiaftes zu Erfurt. B2 b.
) I. c. B1 a.
2) Vgl. 3. B. Läber primus etc. E 5 b, wo er fie bezeichnet als:
„Palpones popwli, cui placentia dicitis et aures illius fricatis, nibilque
aliud quam meri Sophistae, qui veritatis specie simplicibus imponitis
et tyrannorum favorem vobis conciliatis, quo spirantes et nitentes
putatis vos ecclesiae eatholicae praevalere posse‘“, womit Wicel's
Ausſpruch zu vergleichen: Retectio Lntherismi E 3 a.
— 165 —
hohen Anfehen, während Ufingen, nachdem er dreißig Jahre
dem Ruhme der Stadt und ihrer Schule gedient, ſich jebt
ſchutzlos den Verhöhnungen des Pöbeld preis gegeben fah!).
Zwar zählte der Rath noch immer einige altgefinnte Mitglie-
der, wie Goͤrg Tennftädt, Chriftoph Milvis, Michael Moeller, |
Andrea? zum Propheten, Wilhelm den Stadtichreiber, aber fie
waren in der Minderzahl und „wenn fie am böfeften waren”,
berichtet der Chronift, „fo kam der Tod und holte einige).
Die bei weiten überwiegende Mehrzahl und die, welche an ber
Spite des Rathes ftanden, waren eifrig der Neuerung zugethan.
Und wie hätte man auch dem Evangelium gram fein fön-
nen, welche3 unmittelbar zu einem feit vielen Jahren und mit
der größten Beharrlichkeit verfolgten Ziele führen zu müffen
ſchien! Kein wirkſameres Mittel gab es, den Boden ber ver:
haften mainzifchen Herrichaft zu untergraben, als die Einfüh-
rung der Reformation. Vorzugsweiſe in diefem Sinne gejchah
es, daß der Rath ſich der neuen Prediger fo eifrig annahm,
und jener Vorwurf Frowin's enthält nach diefer Seite hin nur
zu viel Wahrheit. Es brachte feine Wirkung hervor, daß der
Kaifer 1524 ein drohende Mandat gegen Rat und Gemeine
von Erfurt erließ und die Reichsacht über die Stadt verhängte ?).
Schon jeit dem Anfang 1523 wurde unter dem Schuße des
Rathes in acht Kirchen evangelifcher Gottesdienſt gehalten.
1) Vgl. Eob. et amic. epp. f. p. 2. — Libellus Barth. de Us. in
quo respondet confutationi Eg. Mechlerii T 1 a, wo Ufingen ih in
rührender Weife darüber beflagt.
2) Frieſe'ſche Chronif ad a. 45.
2) Das aus Madrid batirte Faiferliche Mandat ift abgebr. bei Falcken⸗
ſtein 1. c. I, 588— 89. Offenbar iſt es auf Betreiben des Churfürſten von
Mainz erfolgt. —
IV.
Sp verlor die Stadt ihren altfatholifchen Charakter. Die
kirchlichen Zuftände gewannen ein anderes Ausſehen; und Fein
erfreuliche2.
- Gefährlicher als die vereinzelten Angriffe der Altgläubigen
brohten dem Evangelium die Irrungen zu werden, die bald
unter feinen Anhängern jelbft außbrachen. Die Wahrnehmung,
daß es Leichter ift, einen alten Bau nieberzureißen, als einen
neuen aufzuführen, iſt aud in Erfurt früh genug gemacht
worden. Noch war man mit dem Aufräumen ded Alten nicht
zu Ende, als es ſchon wegen des Neuen, das an feine Stelle
treten follte, zu Mißhelligkeiten kam. Die Meſſe, der Mittel-
punkt des alten Gottesdienste, war ſchon in den erften Mo—
naten 1522 gefallen. Der neue gotteödienftliche Act, der Statt
ihrer eingeführt wurde, erregte bei Manchen Unzufriedenheit.
Ein großer Theil des Bolfe wollte die alten Ceremonien mehr
geſchont wiffen. Diefen zufrieden zu Stellen, entſchloß ſich Peter
Geltner, abweichend von feinen Amtsbrüdern, die Elevation
bed Brodes in alter Weife beizubehalten 2). Weber die Bedeu—
tung de3 Abendmahls felbft waren Euelfamer und die übrigen
Prediger getheilter Anfiht ?). Eine ganze Reihe von Fragen
tauchte auf, über deren Beantwortung man fich nicht einigen
fonnte. Die meijte Verwirrung brachte die Frage über dic
Heiligenverehrung hervor. Es wurde geftritten, ob dieſelbe
den „Schwachen“, welche nicht von ihr ablaffen wollten, nach—
gefehen werben bürfte, oder ob fie geradezu ſündhaft jet Letzte—
res war die Anficht der Mehrzahl des Volkes und ber meilten
1) Loſſius (Helius Eobanus Heſſus p. 130) meldet dies von Guelfamer,
allein aus einer Notiz in den bandfchriftlichen Collectaneen von Motſchmann
ergibt fi), daß e8 Geltner war, mit deſſen Charakter eine folche Accommoba-
tion auch viel eher ftimmt.
2) Vgl. De duabus disput. Erph. G 2 b.
— 17 —
Prädikanten. Der bilderſtürmeriſche Geiſt, der kurz vorher in
Wittenberg ſeinen Einzug gehalten, begann ſich auch in Erfurt
zu regen. Lange, deſſen Anſehen ſonſt in den meiſten Fällen
entſchied, war dieſes Mal ſelbſt rathlos. Luther, welcher an
Allem, was Erfurt betraf, den lebhafteſten Antheil nahm, und
für den die erfurter Gemeinde nächſt der wittenberger die wich-
tigfte war, hatte eine Zeitlang dem rajchen Eifer der Erfurter,
die jogar ihm felbft woraußgeeilt, lauten Beifall gezollt *), bis
ihn der weitere Verlauf der Dinge und die Vorgänge in Wit:
tenberg auf andere Anfichten brachten. In einer Reihe von
Briefen ermahnte er feit dem April 1522 Lange, dafür Sorge
zu tragen, daß das Evangelium wit Ruhe und Mäßigung ver-
fünbet, gewaltfame Neuerung, Zwietracht und Aufruhr vers
mieden werde ?). Allein indem er gleichzeitig dem rohen Trei-
ben der Präbifanten gegen Ufingen dad Wort redete, nahm er
ſelbſt ſeinen Ermahnungen ihre Kraft). Die Wirren und
Unorönungen danerten fort, jo daß fih Luther veranlaßt ſah,
im Sommer 1522 ein größere® Sendjchreiben an die ganze
Gemeinde von Erfurt zu richten *), in dem er über bie Blüthe
1) Vgl. Luther an Lange 28. März; 1522, „Si tempus, dabitur epi-
stola ad Erfordienusem Eeclesiam, quanquam video et vos et ndstros
erevisse in scientin verbi supra mensuram meam et undique impleri
illad: oportet illos erescere, me autem minui.‘“ De Wette II, 175.
2) Bol. De Wette 11, 180, 203, 213, 219.
s) Seine damaligen Aeußerungen über ben einft fo verehrten Lehrer
machen einen Höchft unangenehmen Eindrud. „Usiagense caput“, fchreibt
er an Lange, „„scis inveterata pertinacia et .opinione sui esse indura-
tum, ut adamanta superet. Proinde sic contra ejus insanlas docen-
dum est, ut ejus rudissima et cnecissima inflatura contemmatur.‘‘ De
Bette II, 213. Sogar eine unwürdige Entjtellung feine® Namens fcheut er
nit: „Unsingen insanire lubens audio, ut nota fint sorum insipientia
jJuxta Paulum.‘“ 1. c. II, 255.
+) Martinus Luther, Eeclefiaftes zu Wittenberg, allen Ehriften zu Erfurt,
fampt den Predigern und Dienern, Gnad und Fried in Chriſto unferm Herrn.
d. d. 40. Juli 1522 bei De Wette II, 220 - 24. In werigen von Luthers
Briefen ift der paulinifche Ton fo glücklich nachgeahmt. Das Schreiben er:
ſchien in demfelben Jahre in Wittenberg in Drud.
—-
— 168 —
des Evangeliums in ihrer Stabt und dad Aufhören der Finfter-
niß des Antichriſts feine Freude ausdrückt, daun aber ernſtlich
ermahnt, Frieden und Eintracht unter einander zu halten, der
unnützen; Frage über die Heiligen ſich zu entſchlagen, der
Schwachen zu jchonen, gewaltfame Neuerung- und Empörung
zu vermeiden. Den Prebigern wird abermal3 Schonung und
Mäßigung empfohlen. MS aud) died ohne Erfolg blieb, unter-
nahm Luther, von Melanchtbon und einigen Andern begleitet,
im October 1522 jelbjt eine Reife nad) Erfurt, um durch feine
perfönliche Anwejenbeit die Gläubigen zur Eintracht und Ord—
nung zurüczuführen. Da gab es wieder freubige Begrüßungen,
Beifalöbezeugungen, Feſtmatle, aber in der Hauptfache wurde
wenig ausgerichtet ?). Zwar beftleg Luther einige Mal unter
großem Zulauf des Volkes die Canzel, predigte von Glauben
und guten Werfen, von Kreuz und Leiden und fprach nicht
mehr jo viel von dem Unwejen der Bapiften?), allein den
Frieden brachte er auch dieſes Mal der Stadt nicht.
Unterdeß wurde. der Kampf gegen die Reſte des Papſt—
1) Bol. den Bericht Melanchthons an Spalatin Corp. Ref. I, 579.
„Divertimus ad aedes Parochi S. Michaelis, neque enim tutum erat,
ad Monachos divertere. Vespere paene obruti sumus sulutantium
tumultibus, : Atque hic, ut dicam quid egerimus uno verho, petatum
est, clamutum est, quod solet. Korum qui litterati dieuntur, practer
nostros hoc est Kobanum, Cordum, Langun et aliquot magistros
nemo adfuit etc.“ — Doch war bie Aufnahıne fo glänzend nicht, als das
Jahr zuvor, denn ein öffentlicher Empfang wurde ihm weder von ber Stabt,
noch von ber Univerfität zu Theil. ,‚Privatim a civibus in nos omnia
officia collata sunt. Publice nec Universitas nec Senatus dona vit.“
l.c. Vgl. auch Spalat. Annal. in Mencken. Script. rer. Germ. II, 617.
2) „De rebus papisticis non ita multa dixit‘‘, äußert Melanchtbon
}. c. Am 24. October trat er in der Michaeliskirche auf, am 23. in ber
Kaufmannskirche. Beide Predigten erfchienen zu Erfurt inDrud. „Ein Sermon
zu ©. Michael gethan zu Erfurt auf ben Tag der 11.000 Sungfrauen won
Glauben und guten Werfen, D. Mart. Luther A. 1522” 4°, und „Ein ſchön
Sermon zu Erfurt in ber Kaufmanns Kirchen geprediget, von Kreuz und
Leiden, wie es ein rechter Ehrift | fol, D. Martin Luther. 1522.“ 4°,
Bol. auch Seckendorf 1. c. I, 224.
— 19 —
thums von den Prädifanten mit unveränderten Eifer fortge-
jeßt: den PBapiften gegenüber wurde der innere Zwilt und
Hader vergeffen ). Sp groß war nad) diefer Seite bin ihr
Eifer, daß felbjt der Rath Bedenken äußerte und deshalb von
Lange der Lauigfeit beichuldigt wurde. Keine Zeit ſei zu
verlieren, meinte Mechler, denn ſpät genug, um die eilfte
Stunde, habe der Herr feine Arbeiter in den Weinberg gefandt.
Mit dem Schwerte, hieß es, müſſe dem Unweſen der noch
übrigen Pfaffen ein Ende gemacht werden ?). Eueljamer er:
klärte es im Öffentlicher Rede geradezu für eine Pflicht der
ſtädtiſchen Obrigkeit, die papiſtiſchen Tagediebe und Berächter
—
des göttlichen Wortes, die noch zur Schande und zum Schaden
des Gemeinwejen? in der Stabt weilten, mit Anwendung der
Gewalt zu vertreiben). Zwar Tieß fich der Rath dadurch
nicht beirren, — fo offenbare, formloje Gewaltthätigkeiten fonn-
ten unmöglich zur Förderung feiner Plane dienen — nicht zu
verwundern war es aber, wenn durch folche Reden die Wuth _
de3 gemeinen Mannes von Neuem aufgejtachelt ward. Schon
1522 erhob fich eine neue drohende Bewegung, ala Forchheim,
ı) Daher Ufingen von ihnen fagt: ‚„‚Habent sese ut vulpcculae,
quibus studium est demeliri vineam domini, quibus etsi facies sint
diversae, caudis tamen omnes sunt colligatac.‘‘ Bol. Purgatorium,
Libellus F. Bartholomaei de Usingen Aug. — Contra Lutheranos
Hussopycardos. Herbipoli 1527. 8°. Aib.
2) Bgl. Sermo de saucta cruce C 1 a. — Libellus de duabus
diep. Erph. M 4a. — Libellus Barth. de Us. in quo respondet confu-
tationi Mechlerii L 2 b. — Der Rath ließ einmal fänmtliche Prediger
citiren unb ermahnte fie, das Evangelium nicht seditiose zu prebigen. 1. c.
84b.
2) „Quocirca magnifici et cousumatissimi viri vestrum est, vestrum
erit, Christi Evangelium ut oculi vestri pupillam defeudere et nebu-
lonıs istos verbi dei osores urbe vestra depellere. Nihil enim facient,
quam quod sudores vestros exugunt, uxores quoque vestras filias et
ancillas stuprant et devirginant, prurienterque atqye invidiose in
coenobiis litigant, ac in diem absque commodo proximi vivunt.“ Bal.
Libellus de merito bonorum operum. Jia,
— m —
einer der ungejtümjten Eiferer, auf der Eanzel vom Schlage
gerührt, plößlich ftarb und ein Gerücht feinen Tod für bie
Wirkung eined ihm von den Papiſten beigebrachten Giftes
erklärte 2). Die wenigen dem Orden treu gebliebenen Mönche
durften fich nicht mehr öffentlich jehen Taffen, ohne ven Muth-
willen des Poöbels zu erfahren. „Ein Wolf, ein Wolf“ war
der gewöhnliche Ruf, ſobald ein Mönchsgewand auf ver Straße
erblict wurbe?). Wfingen war kaum feines Lebens ficher.
Mehr als einmal, berichtet er jelbft, fei der Verſuch gemacht
worden, ihn gewaltſam aus dem Wege zu räumen. Gebungene
Aufpaffer Tauerten ihm auf, wenn er aus der Prebigt heim-
fehrte 3). Die Rage der Altgkäubigen wurde von Tag zu Tag
bedenklicher. Nur noch bei verfchloffenen Thüren durften fie
es wagen, in ben wenigen ihnen verbliebenen Kirchen — den
beiden Stift3- und einigen Klofterkirchen — ihren Gottesdienſt
zu halten. 1523 erhob fich ver -evangelifche Pöbel in einem
neuen Aufruhr). Der Rath, an den fich die bevrängten
Eoflegien und Kldfter um Hülfe wandten, fagte ihnen feinen
Schuß erſt da zu, als fie fich zur Entrichtung eines bebeuten-
ı) Bol. De Weite IT, 234, Eob. et amic. epp. fam. p. 8. Liber
primus ete. Fda.n. a.
2) Hogel'ſche Chronit ad a. 1522.
s) Bol. Liber secundus etc. B3 b. — Libellus, in quo respondet
confutationi Mechlerii Ti a. — Höhn Chronologia Provinciae Rhene-
Suevicae Ordinis F. F. Eremitarum S. August. p. 170. — ‚‚Sevitum
est in me“, klagt er gegen Mechler, „pro cujusque arbitrio, immo pre .
suggestu predicatum est impune pro mea et expulsione et necatione,
omnia patienter tuli, et neminem magnifico sehatui nostro deferri
volui puniendum. Illos meminisse debuisses, mi frater, cum unus ex
illis esses, qui trucidarios et sicarios in me egerunt.‘“ Doch berichtet
Lange, daß man auch ihm nach dem Leben ftrebe. Bol. Von gehorfam ber
Weltlichen 2. B 1a.
+) „„Hic praeter tumultus videns nihil et hellorum minas“‘, ſchrieb
damals Eoban an Dracy, „nam undique bella, horrida bella et Gaeram
multo spumantem sanguine cerno.‘“ Eob. et amic. opp. fam. p. 87.
Darnach ſcheint e3 fogar zu Blutvergießen gelommen zu fein.
— 1 —
den Schubgelde3 verftanden. Um ſchwere Summen mußte bie
Duldung des alten Gottesvienftes erfauft werden !).
Daß bei einem folhen Treiben an eine fittliche Hebung
des Volkes durch dad Evangelium nicht zu denken tft, Liegt zu
Tage. Dazu war das Auftreten der Prediger am allerwenig-
ften angethban. Das rohe, pöbelhafte Schelten von den Eanzeln,
die fortwährenden Ausfälle gegen die Siuben und Gebrechen
de3 alten Clerus, das ungeftüme Berwerfen und Verdammen
von Einrichtungen, Gegenftänden, Gebräuchen, die Jahrhunderte
lang die allgemeine Verehrung genoffen hatten: alles dies Fonnte
nur von verberblichem Einfluß auf die Sittlichfeit fein. Wie
—-
oft hielt Ufingen das nicht feinen Gegnern wor! Wie oft ers ;
umerte er fie nicht an die chriftliche Liebe und Nachficht, die
das Wort der Schrift auch gegen den Sünder zur Pflicht
mache! Wo der Vrevigtftuhl die privilegirte Stätte maßloſer
Berläfterungen war?) und eher Schadenfreude und behagliche
Luft an der Aufdeckung ber Blößen des Gegners, als Trauer
und Wehmuth über feine Fehltritte in den Worten des Red⸗
ners fich zu erkennen gab, da konnte der Zuhörer unmöglich
Nuten und Gewinn für jeine eigene Förderung auf dem Wege
des Guten fchöpfen ?). Indem die neuen Prediger die frühern
— | —
ı) Nach der Hogel’fhen Chronik betrug das Schubgeld für das Liebe
frauen: und Severiftift 1723 Schod 43 Gr., für das Petersflofter 105 Schod
und ebenfoviel für das Sarthäuferkiofter. — Selbit Cordus empfand Mitlei-
den niit der gedrückten Lage der Papiften. „„Actum est de Papistica tyr-
rannide. Supplices sacti Papistac Senatui suut. Mixeret profecto
quorumdam, qui adeo exangues a mera tenuitate contrahuntur,‘‘
Euric. Cordus Draconi 1523. Vgl. Eob. et amic. epp. f. p. WX.
2) So bezeichnet ihn Uſingen wieberholt. Vgl. Concertatio G 6 b.
Liber tertius a 3 a etc. °
s) Eine Aeuperung Wicelß möge hier eine Stelle finden: „Furwar weret
yr aus Got, yr würdet euch ber einigen kyrchen annehmen, fie ber geiftfichen
wolthaten genießen laffen — jr thun wie fie euch gethan bat, Iren mangel
und groffe feheben würdet yr vater weis ſtraffen. vnd wicht feinds weiß vnd
auf haß rugen vd den trunfen Noe entblöffen, glei wie yr auch von den
ewern nicht wöllet geruget vnd beſchemet ſeyn.“ Bon ber chriftlichen Kyrchen:
— 12 —
— Geelforger als Heuchler, ihre ganze Wirkfamfeit ald abjicht-
fichen Betrug zum Schaden bed gemeinen Mannes barjtellten,
untergruben fie den Boden unter den eigenen Füßen, machten
fie fi und Andern auf Lange Zeit hin jede jeeljorgliche Leitung
unmöglich. Und weder die populäre, dem Volke Tchmeichelnde
Art ihres Vortrages, noch die Bibel, welde fie ihm in die
Hand gaben, konnte den angerichteten Schaden wieder gut
machen. Die vorauszufehende Folge davon war nur, daß jebt
anch der unerfahrene Laie, geitübt auf feine Bibel, deren Sinn
ja Har und verjtändlich war, ein Wort über theologifche Sachen
mitjprechen zu dürfen glaubte. Da theologofirte bald jeber-
mann, Alt und Jung; Knaben, Männer, Weiber wurden von
ber theologifchen Sucht ergriffen‘). In Wirthöhäufern und
auf Märkten wurden theologische Fragen bejprochen: mar kann
denfen, in welcher Weife. Durch Sauchzen und Zurufen gab
man in der Kirche dem Prebiger feine Zuftimmung zu. erfen-
nen ?). An Sinneänderung, an ein evangelifches Leben dachten
unter dieſem theologischen Lärm nur Wenige. Man koͤnnte
auch nicht fagen, daß der perſoͤnliche Wandel der Verkünder
des Evangeliumd beſonders aufmunternd ober anregend gewirkt
babe. Es geichah nicht ohne Grund, wenn Ufingen einmal
— einen feiner Gegner fragte, ob nicht auch der evangelifche Pre—
diger jelbft ein evangelifches Leben zu ‚führen habe?). Einer
der eriten Schritte, wodurch die neuen Diener bed Wortes ihre
evangelifche Gefinnung im Leben bethätigten, war in der Regel
die Losſagung von her Pflicht des Cölibats. War ed doch
——
wider Jodocum Koch, der ſich nennet Juſtum Jonam, durch G. Wicelium.
s. I. 1534. 4°. B2a-b.
ı) Nach Femel Eyn kurtz Sermon ꝛc. B 3 a ff. war die theologiſche
Sucht namentlich bei den Weibern ſehr groß; ſie gebrauchten babei Ausbrüde,
die man erröthen muß wiederzugeben.
2) Vogl. Mecheler Eyn chriftliche unterrichtung von guten Herden CA4a.
s) Vgl. Lib. tert. a 3 a. Daß auch Lange als Reformator fein aske⸗
tiſches Leben mehr führte, erfieht man Sermo de s, cruce D 2a —
— 13 —
einer der erfurter Prädilanten, der der neuen Kirche zuerit mit
einer wifjenfchaftlichen Vertheidigung der Prieſterehe zu Hülfe
kam! 1) Mechler Tieß alsbald auf den Austritt aus dem Orden
ben Eintritt in den Eheſtand folgen. Lange hatte ſchon im
Srühjahr 1523 den Berluft einer Gattin zu beklagen. Die
haftige Eile, mit der die ausgetretenen Mönche zur Ehe fchrit-
ten, beleidigte in manchen Fällen boch noch die öffentliche
Moral?). War es da zu verwundern, wenn auch der Laie
die neue Freiheit fi) zu Nußen zu machen fuchtel Was er
von der Canzel über die blöden und erjchrodenen Gewiſſen
hörte, war nicht geeignet, den Geijt ftrenger Sittlichfeit zu
befördern. Durch die Xehre, daß der Glaube allein rechtfertige
und der Unglaube bie einzige Sünde fei, Tießen fich fittliche
Unordnungen jeder Art bejchönigen?). Es ſchien bald eine
ausgemachte Sache, daB es zu einem evangelifchen Xeben Hin-
reichend jei, fich der papiftiihen Gebräuche zu enthalten und
1) Apologia pro M. Barptolemeo Praeposito qui Uxorem iu sacer-
dotio duxit. A. 1521. Die Vorrede ift d. d. Erph. Lucine. — Sie er:
ſchien in Erfurt und ihr Verfaffer ift Johann Lange. Von den vier Weber:
feßungen erſchien ebenfalls eine (von Mechler) in Erfurt.
2) Selbft Medhler, obgleich er mit feinen Beifpiele Allen vorgegangen,
Magt darüber: „Wan ein münd oder nun ift drey tag auß bem Flofter ge:
weſen, faren fie da ber nemen burn vnd buben zu ber ehe, vnbekannt on allen
götlichen rabt, on gebet, alfo bie pfaffen auch, was yn gefallet, das nenıent
fie, darnach kompt ein lang Fritjahr nach eynem kurtzen kußmonat ꝛc.“ Eyn
Chriſtl. onterrihtung ze. B 2 a. — Vgl. auch Rob. et am. ep. f. p. 87,
wo Eoban fi noch fehärfer, namentlich über den Unfug der entlaufenen
Nonnen ausſpricht: „Nulla Phyllis nonnis est nostris mammosior.‘“ —
s) „„Omnia liberius faciunt dicuntque, quod audent,
Hoc etiam, dempta lege, licere putant.
Saepius hinc caedes, hinc probra et scandala vulgo
Spiritui carnis cum dominatur amor.
? Cumque fidem jactent plus quam apparentibus auctam
Indiciis, fructus adfluit inde uihil.
Nempe fides latitat verborum tuta recessu,
Verba manent rebus dissona, crimen habent.
Bol. Ecclesiae «fflictne epistola ad Lutherum in Kob. Karr I, 142.
— 14 —
diefe zu verachten. Und als 1524 der wadere Eberlin von
Günzburg in Erfurt anfam und eine ernftere Sprache führte,
das Inje Treiben der Evangelifchen, ihr „Freſſen, Saufen,
Huren, Wuchern, Fluchen, Talfchheit, Untreue” vügte, du er:
regte dies Befremden. „Es war Vielen ſeltſam“, äußerte er
jelbft über feine damalige Wirkſamkeit, „daß ich lehrte, daß
mehr zu einem Chriften gehörte, als PBiaffen jchelten, Fleiſch
ejjen, nicht opfern, nicht beichten“ 1).
Wie Hagte und jammerte bei dem Anblide folcher Zuftände
der greife Mfingen! „Das find die Früchte der evangeliichen
Predigt”, jchreibt er jchon 1523, „daß das Volk, nachdem es
den Gehorſam der Fatholiichen Kirche abgefchüttelt, unter dem
Borwande chriftlicher Freiheit fich den Lüften des Fleiſches hin
gibt, jeden Frevel verübt, wahre Frömmigkeit verachtet und fich
in einen Abgrund ftürzt, aus dem es kaum jemal3 wird errettet
werden können.” „Die Eurtifanen feufzen”, heißt es au einer
andern Stelle, „die Prälaten werden verhöhnt, das Volk jubelt,
bie Fürften jchweigen, der Magiftrat ift einverjtanden und ums
gejtraft geht chriftliche Zucht und Ehrbarkfeit zu Grunde” 2).
Aber ſchon Liegen fih Stimmen der Klage auch von einer
andern Seite her vernehmen. „Gottes Wort erfchallt bier Taut
in vielen Kirchen”, jchrieb Euriciug Cordus 1523 an feinen
Freund Draconites, „aber brächte e3 doch auch in dem Grade
Frucht, wie es Beifall bei dem Volke findet. Ich fehe nicht,
dag wir um ein Haar beffer werben. Vielmehr war ber Geiz
nie größer, und bequemere Gelegenheit zu fleiichlicher Luft ift
nie vorhanden geweſen. Es müßte denn jein, daß das Wort
Gottes unjere Augen gejchärft hätte, daß wir jetst mit Schrecken
al? Sünde kennen Ternen und fehen, wovon wir vorher nicht
1) Bol. Ein getrewe warnung an de EChriften in der Burgawifchen
mard, ſich auch füro bin zu hüten vor aufrur vnnd vor faljchen predigeren.
Johann Eberlein von Günkburg. s. I. et a. 4%. D3b.
2) Vgl. Liber Primus etc, A 2 a. — Liber Sccundus etc. B 3 a.
— 15 —
wußten, daß es Sünde ſei. Alles ift — was ic, jedoch nicht
mißbillige — voll von den Hochzeiten der Priefter und Mönche.
Unfere Schule aber, fchließt er bedeutungsvoll, ift verfallen
und unter den Studirenden herricht eine ſolche Zügellofigkeit, ”
daß fie unter den Soldaten im Feldlager nicht größer fein kann:
es verbrießt mich hier zu leben“1).
Es wird Zeit, daß wir unfere Aufmerkjanffeit auf bie
Univerfität zurücklenken.
V.
Es hatte im Anfang geſchienen, als würden die Predigt
der neuen Glaubensboten und die Reſtauration der Univerſität —
Hand in Hand gehen. Mit freudigem Beifall wurde Lange's
und feiner Genoſſen Auftreten von den meiſten Lehrern der —
Univerſität begrüßt. War man auch durch die Ereigniſſe von
1521 von jener überſchwenglichen Begeiſterung für Luther zu—
rückgekommen, ſo hielt doch die große Mehrzahl der Lehrer an
feiner Sache feſt?). Die Beſorgniſſe, welche die Perſoͤnlichkeit
und namentlich die niedrige Bildung der nenen Verkünder des
Evangeliums hervorrufen mußte, mochten badurd) bejeitigt jchei-
nen, daß ber wiſſenſchaftlich gebildete Lange an ihrer Spike
ftand 3). Es machte feinen Eindrud, wenn Ulingen, der Erite,
der auch nach dieſer Seite hin ein richtiges Vorgefühl der 7
Zukunft bewährte, die Prädifanten als gefährlich für die Uni-
ı) Euricius Cordus Draconi d. d. Erf. 1523. Bgl. Eob. et amic.
epp. f. p. 90. .
2) Sp wurde noch 1522 ber eifrige Rutheraner Jacob Fuchs von ber
Nniverfität mit öffentlichen Ehren empfangen. Bol. Lib. rat. ad a. 1522.
8) Derfelbe hatte ſchon 1515 u. A. einige Briefe des h. Hieronymus
herausgegeben „contra eos, qui a Christiano profanas litteras prorsus
interdiotas putabant, immo vero clamabant, qui praeter Guilhelmum,
Scotum, Capreolum et ceteres cjus farinne scriptores, uihil vel lege-
bant, vel admittebaut.‘“ — Vgl. Burdharb De Ling. Latin, Il, 531.
— 16 —
verjität bezeichnete und auf dag Beifpiel der Huffiten hinwies *).
Am lauteften äußerten die Humaniften ihre Freude über die
neue Wendung der Dinge. Eoban? Verhältniß zu Lange wurde
dag freundſchaftlichſte und innigſte, jeit diefer dag Moͤnchs—
gewand abgelegt und fich ganz der Bekämpfung der „neidiſchen
Müffiggänger” widmete. Euricius Cordus, der durch feinen
Aufenthalt in Stalien, wie dies bei den Humaniften gewöhn-
lich, in feiner frühern Richtung noch gefördert worden, war
hocherfreut, daß nunmehr die bereit? „heiferen” Sophijten vol—
lends zum Schweigen gebradyt wurden ?). Eben als Streit-
genoſſen gegen das Heer der Sophiſten wurden die Diener des
Evangeliums vorzugsweiſe angefehen. Bedienten fie fich doch
in dem Kanıpfe gegen Ufingen mit Vorliebe der Stichwörter
der humaniſtiſchen Fehde! °)
Indeß nur zu bald follte diefe Taufchung ſchwinden und
die anfängliche Bundesgenoſſenſchaft in bittere Feindſchaft ver-
wandelt werden. Denn der innere Gegenfab war zu groß,
als daß er lange hätte verborgen bleiben können. Der jchroffe
Glaubensmonismus, dem jene Männer nach Luthers Vorgang
dad Wort redeten, der zornige Eifer gegen bie Sophijtereien
der Vernunft, die erclufive Betonung der Bibel erflärte nicht
nur der fcholaftifchen, fondern aud) der humaniſtiſchen und jeder
wiffenjchaftlihen Richtung den Krieg. Lange hatte es ſchon
1521 verfündet, daß die Philoforhie und die Thorheit der
Heiden wor Chriſtus vergehen müßte, wie dad Wachs vor der
ı) Bgl. Adv. Magistri nostri Barth, Usingi imp. libell. J. Cuel-
sameri confutacio B 4 b. Ufingen beflagt fich über den torpor ber vier
Tacultäten.
2) „Ravea sophistarum reticent collegia, quando
Dectrinam Christus dat rutilare suam.
Namgque coaxantes nocturno tempore ranae
Dum matutinus surgit Apollo silent.“ — Opp. Cord. 168.
2) Uſingen fragt deshalb einmal ben Euelfamer verwundert, wie er fo
rafh zum Poeten geworden fe. Lib. tert. C 1 a. Sn der That würde
Cuelſamers Latinität einem Magister noster feine Unehre maden.
— 117 —
Sonne!). Mechler erklärt ale Weisheit diefer Welt für Thor-
beit, weil nad) Zeugniß der Schrift der Herr die Weißheit der
Weiſen und die Klugheit der Klugen zu vernichten und zu ver-
dammen bejchloffen habe?). Noch weiter gebt Eueljamer, der
in dem Streite gegen Ufingen in den jchroffiten Ausdrücken
den Gebrauch der natürlichen Bernunft verdammt, weil fie nur
Böfes wollen fünne?), und mit Berufung auf den Apoftel
Paulus alle und jede Philoſophie für ſündhaft und verberblich
erklaͤrt“). Mit Eifer trägt er die Bibelitellen zuſammen, bie
ihm darzuthun jcheinen, daß weltliche Gelehrſamkeit Nichts nüße,
nur zum Böjen führe. Die finnreichen Allegorten, mit denen
—
ein Kirchenvater dad Studium der profanen Wiſſenſchaften
empfiehlt, werden von ihm verworfen, weil die Bibel entgegen-
ſtehe und das fünfte Buch Moſes ausdrücklich verordne, daß
zu dem göttlichen Worte Nichts hinzugeſetzt, noch etwas davon
genommen werden folle).
—
1) VBgl. Joan. Langi Epistola ad Mart. Margaritanum. BIa, 2a.
2) „Secriptuu est enim perdam sapientiam shpientium et pruden-
tiam prudentium reprobabe. Ubi sapiens, ubi scriba, ubi inquisitor
hujus seculi. Nonne stultitiam fecit deus sapientiam hujus mundi ?“
Vgl. Libellus in quo respend. conf. Mechl, M 2 a.
2) „Quod vero bonr naturalia tantopere commendas: more tuo
facis, quo nihil, nisi ea quae palato tuo sapiuut et Bellal sunt, pro-
batum suscipis. — Nescis miserande, nescis, omnem humanam pru-
dentiam et racionem spiritui adversari!“ Advers. Magistri nostri
Barth. Usiugi imp. libell, @ 4 a. — Cr erflärt fih mit Entrüflung gegen
die Anficht Ufingens, daß die weltliche Gelehrſamkeit, welche Paulus beſaß,
diefem bei feinem Apoflelamte geyützt babe. —
*) „Paulus item ad Coloss. 2 universam philosophiam rejieit in-
quiens: Videte ne quis vos decipiat per philosophiam et inanem fal-
laciam secundum elementa mundi, secundum traditionem hominum et
non secundum Christum. Quis hic' non tam philosophiam quam Ju-
daicas fabulas et hominum traditianes ab Apestala rejsctas videt?““
l.c.D1b. Dep. Lib, tert, 14 b,,wo dig Stelle wiedexabgedauckt ift.
5) „Allegorias autgm ex Hieronymo de divitiis Kgigti et de vir-
gine Captiva,de gentihus sumptäs non assuıno oum enMtraricıkur Aperte
scripturis sanctis; Moses namgque Deutero. 4 et 12 precepit hoc tantum:
Kampfchulte, Univerfität Grfurt. II. Theil. 12
— 118 —
Deutlich genug war damit der Univerftät ihr Schickſal
angekündigt, und Schonung ließ die Berfönlichkeit der neuen
Prediger nicht hoffen. Es waren, mit alleiniger Ausnahme
von Lange, Männer ohne gelehrte Bildung, zum größten Theil
roh und unwiflend Ihre Vergangenheit gehörte dem Klojter
an; ohne irgend welche Auszeichnung weder im Guten noch
im Boͤſen hatten fie ſich dort bisher auf ben gewöhnlichen
Bahnen bewegt, unbelannt und unbeachtet, bis jetzt Luthers Pre-
bigt fie auf den Schauplatz des Sffentlichen Handelns führte").
Was ließ ſich von Männern erwarten, für bie der prinzipielle
Gegenſatz gegen bie Wiflenjchaften die allerperjönlichite Bedeu⸗
tung hatte?
In dem eriten Taumel wurde das Alles von jenen, die
an der Univerſität den Ton angaben, überſehen, nicht beachtet,
bis die berben Erfahrungen der nächjten Zeit ihnen, zu ſpät,
über ihre Kurzſichtigkeit die Augen öffneten. —
Seit dem Herbſt 1522 beginnen in den Jahrbüchern der
Schule die Klagen über die verderblichen Wirkungen der neuen
Predigt. Zum erſten Mal wird in dem Rectoratsbericht des
Henning Blomberg, der im Sommer 1582 der Umiverſttät vor⸗
ftand, der klagende Ton bemerklich. Ohne zwar die Prediger
zu nennen, bejchwert ſich der Nector über gewiffe unmäßige
„Tadler“, durch deren Gefchrei alle feine Bemühungen, das
quod ipse jusserit fierl nihilque detrahi de suis doctrinis neque addi
debere.“ Adv. 'Using. imp. lib. D 1 b. Lib. tert. 1.1.
ı) Man vgl. die Schilderung, bie Eoban, freilich erſt 1523, von dem
Auftreten der Prediger gibt Farrag. 1, 206 a.
„Irrepsere novis studiorum fraudibus hostes,
Turba satis Scta simplieitate potens.
Qui quoniam studfs nihil insumpsere Inboris
Neo ntsi barbarfca garrulitate valent.
Huctenus abjecti, miserum et sine nomine vulgus,
Inscitlae in poenam delituere suhe,
Nunc quaerendi aliquos, ceu 'nacti tempus, honores
Artibus indicunt bella nefunda bonis.“
— 119 —
geſunkene Anjehen ver Schule wieberherzuftellen, vereitelt wor:
den ſeien 1). Leiſe drückt fchon bald darauf auch Eoban in
einem vertraulichen Schreiben an ven heſſiſchen Canzler Fieinus
jeine Ungufrievenheit über dad Treiben ber neuen Theologen
aus, „die da theologifitten, ala ob dad Evangelium Chrifti
nicht? mit der Ordnung der Gefege zu thun habe” ?). Und
Io ſchien es in der Thät. ‚Lärmende Prädikanten erichtenen
im Laufe ded Sommers 1522 wieberholt in den Hörſäälen und
ſtörten in tumultuarifcher Weife die öffentlichen Schuldisputa⸗
ttonen ®), Gegen die akademiſchen Auszeichnungen wurde auf
der Canzel in den hefigften Ausfällen geeifert und bie Jugend -
von der Erwerbung derjelben abgemahnt. An eine georbnete
Zeitung . der Umiverſität war da. nicht mehr zu denken. Unter
ven Studirenden griff eine Rohheit und Zügelloſigkeit um fich,
die durch Nichts mehr zu bänbigen war; bie Studien wurden
vernachläffigt ; die. Anzahl der Immatriculationen fant im Som: —
mer 1532 auf ſechsundvierzig. Im Anfang des folgenden Jah⸗
re8 war. der Zuſtand der Wmiverfität bereit3 fo troftlos, daß
der Decan ber philoſophiſchen Facultät in feinem amtlichen _
Berichte nicht Worte genug finden Tann, um das gegenwärtige
Elend zu ſchildern. „Riemandb würde e2 früher geglaubt haben”, Y
klagt er, „wenn jemand vorausgeſagt hätte, daß in Kurzem
unjere Schule jo verfallen werde, daß kaum noch ein Schatten
des frühern Glanzes zurücdbleibe, wie wir das jebt, o des
Schmerzes, vor Augen jehen! — So wird ja nun die Sache
der Univerfität auf den Canzeln behandelt, daß fait Nicht?
ungefehmaht bleibt, was früher in Ehren fand“ *). Eoban
: Bd. Erf. U. M. ad a. 1522.
2) Beb. Ficiao .d. d. Erph. die Lunae a forin omnium manctorum —
1522. gl. Rob, et amio: opp. fam. p. 4.
2) Vgl, Concertstio ete. BA a. Lib, tet. c2 u. a.
*) Vgl. Matrie. facult. ars. liberal. ad Dec. Hear, Merebold. Hoxar. —
„XAenocratica etiam praestaus file aliqua, cerse olim-»twe Ade habitus
fuisset, si praedixisset, admodum brevi tempore remp. literariam sic
12°
— 10 —
pries feine abwejenden Freunde glädlih, dag ihnen ein fo
trauriger Anblick eripart würde „EL erfüllt mich mit dem
tiefften Schmerz”, jchrieb er um dieje Zeit an Draconited, „daß
die entlaufenen Mönche, unter dem Vorwande des Evangeliums,
bier die Wiffenfchaften jo gänzlich unterdrücken. So verderb-
lich find ihre Predigten; den Wilfenjchaften nehmen fie ihr
Anſehen — ich will fterben, wenn fie jelbft wiflen, was fie
behaupten und wovon fie ſprechen — und verkaufen ihre thoͤ⸗
richten Einfälle der Welt für Weisheit. So tft nun unfere
Schule verddet, wir jind verachtet. Haufenweis jtürmen Mönche
und Nonnen herbei — zum Verberben der Studien” 1). Noch
Häglicher läßt ſich Eobans gefinnungsnerwanbter Freund, Der
einst jo frohfinnige Nofjen vernehmen. „O welcher Berfall der
MWiffenjchaften”, fchrieb er. um die nämliche Zeit. an Draconiteg,
„it über ung hereingebrochen. Niemand kaun mit trockenen Augen
jeben, wie hier feit eurer Abweſenheit aller Eifer für Wiffenfchaft
und Tugend verfchwunden iſt. — Aber, wirft du vielleicht fagen,
. dem Profanen ift das Heilige gefolgt; ich räume das ein, aber
ed ift jchwer zu jagen, wie wenig auch bie gewinnt. Sch
fürchte Nicht? To ſehr, als dag, nachdem das Fundament ver
Wiſſenſchaften zerftört ift, auch alle Frömmigkeit verfallen und
eine Barbarei eintreten wird, welche die geringen Ueberbleibjel
von Religion und Wiſſenſchaft volljtändig vernichtet” 2).
casuram, ut pristini splendoris vix relinquercntur umbra aliqua, quem-
admodum nunc, proh dolor, est; conspicere. ®8ed unde tam subita
ruina! Certum quod non tam promovit rem pestifera clades, qua bis
intra quadriennium ab Erffordia sumus fugati, quam nova hec factio
a qua etiam nec vetus religio tuta est, nunc vexat studiosorum reli-
quias, Ita enim tractatur ex suggestis res gymnasii, ut mihil pene
eorum non imprebetur, que kactenus recepta fuerunt, et inter cetera
tam magnum invexeruut honerum titalis contemptum, ut eque nunc
literarum ipsa studia, atque insiguia honestatis illitia passim a juven-
tute in maximam Christianismi perniciem negligi videastur.‘“
ı) Vgl. Kob. et amic. ep. fam. p. 87.
2) Vgl. Roh, et amic. ep. fam. p. 2%.
“rn m‘ An 1
— 181 —
Neben dieſen Klagen fehlte es indeß auch nicht an Ver:
juchen, dem Unweſen der Präbilanten zu fteuern. Zunädift
jolte Wittenberg Hülfe bringen. In diefem Sinne fehrteb _
Eoban im Frühjahr 1523 das „Klagejchreiben der bebrängten
Kirche.” Wehklagend erjcheint die nicht nur von den Papiften,
jondern auch von ihren eigenen Bekennern mißhandelte Kirche
vor dem Reformator, auf dem alfein noch ihre Hoffnungen
beruhen, um feinen Beiftand anzuflehen ’). In einem befon-
dern Schreiben eröffnet der Dichter dem Reformator feine Bes
jorgniffe wegen des zunehmenden Verfalles der Wiffenfchaften.
Deutſchland, ahnte ihm, werde durch die nene Theokogie in
eine Barbarei zurückfallen, die noch ärger fer als bie frühere.
Allein das Antwortjchreiben, welches er von Luther empfing,
enthielt wenig Tröſtliches für ihn: Luther theilte jene Beſorg—
niffe nicht und forderte auch Eoban auf, fie fahren zu Yaffen,
da fie nur eingebilbet ſeien?). Melanchthon, au den er ſich
ebenfall3 gewandt. hatte, fand zwar feine Klagen nur allzu
gegründet ?), war aber unvermögend, Hülfe zu fchaffen. Bon
1) Ecclesine aflietae epistela ad Lutherum. Hagenoae 1523. 4°.
Abgedr. Eob. Furr. I, 137—145. — Die erfte Hälfte bilden heftige Ausfälle
gegen das römifche Eurtifanenwefen, noch ganz im Geifte Huttens. Nachdem
fi der Dichter auf diefe Weife von dem Verdacht römiſcher Gefinnung gereis
nigt bat, barf er fih auch ein freiereg Wort über das Unweſen be Evange—
liſchen und bie fchlehten Früchte der Glaubenspredigt erlauben. — Claffifche
Reminizcenzen fommen übrigen? — ein Beweis, wie fehr Ecban ſelbſt unter
bem Einfluß bed neuen Geiſtes ftand, — kaum noch in dem Gedichte vor,
dagegen ift am Schluß von Goliath, Sennadherib und Baal die Rede!
2) Bol. Luther an Eoban 29. März 1523. „Caeterum timores isti
vestri te nihil movennt, wbt timetis fore, ut barbariores flanus Ger-
mani, quam unquam fuerimus casa literarum per theulogiam nostram:
habent quidam suos quoque timores saepius, ubi rullus est timor.
Ego persuasus sum, sine literarum peritia prorsus stare non posse
sinceram theologiam.“ De Bette II, 313. —
s) „„Nimis verum est, quod scribis, negligi Poeticen a juventute,
et aut me ommia fallunt, aut presagit huc imminentem litterarum
rulsam, ut habituri simus indoctiorem posteritatein, quam fuere illa
Scotorum et Anglorum saecula.‘“ Corp. Bef. I, 575. 2gl. I, 613.
—
— 132 —
Wittenberg hülflos gelaſſen, machte Eoban den Verfuh, ven
Rath der Stabt zu energiſchem Einfchreiten gegen die Zerftörer
ber Univerjttät zu bewegen '). Er erinnert ihn an dag Bei—
fptel der Vorfahren, die die Schule mit ‚großen Opfern gegrün-
det und unterhalten und in ihr allzeit die worzüglichite Zierde
ber Stabt gejehen hätten, ‘wie fie das auch in ber That fei.
Der Rath aber habe vor Allen die Pflicht, diefe der Stadt zu
erhalten, fi, der bedrängten Schule gegen ihre Widerfacher
anzunehmen. Dazu fordere ihn ber Ruhm, die Ehre und das
Wohl ber Stabt auf?). In gleicher Weife ermahnte auch
Bingen den Rath, dem herrſchenden Unweſen entgegenzutreten
und bie VUntverfität, „dieſes einzige und größte Kleinod“, Der
Stabt zu erhalten). Allein die Theilnahme, mit der ehedem
die Stadt ihre Univerfität betrachtet hatte, war verſchwunden,
ſeit das Evangelium die Gemüther beichäftigte. Die neuen
Prediger mit ihren Bibelfprüchen ſtanden dem Bürger näher
und behaupteten einen größern Einfluß auf ihn, ald Schola-
ftifer und Humaniften. — Auch das ſchon früher in ähnlichen
Fällen angewandte Mittel, Männern von einer hervorragenden
öffentlichen Stellung die Leitung der liniverjiiit zu übertragen,
um dadurch ihr Anſehen zu erhöhen, wurbe verſucht. In diefer
Abſicht hatte man bereit3 im Herbit 1522 den Grafen. Dtto von
ı) Vgl. Ad Senatum KErphurdiensem pro instauranda schola col-
lapsa exhortatio. Bob. Farr. I, 204—207. |
2) Vester hic ergo iabor, vestrum opus, urhis honorem,
Quam colitis, prompta restitaisse manu;
Quod facilo est, studiis ab iniqua clade redemptis,
.. Beddere,. praedowes: qued rnpmere, deeus, -
Ergo ngise ndseriptique. Patres et lecte flenatus
Vessrae conrwians adserite urbis epes
Reddite, quem stutii feras abstulit hestis: honerem,
Reddite Iabentis prodita regna scholae ete.
Karr. I, 207 4. ’
u 3) Er wennt fie „„Clinodium hoc unicum ot .insigne, gymnasium
scholastieum, ex quo hkonerem eximism et -emolumentum hakkistis
maximum,.‘‘ De. merito bon. operum J-i a. '
— 183 —
Henneberg zum Rector gewählt. Noch mehr verſprach man
ſich von ſeinem Nachfolger, dem reichen und angeſehenen Georg
Sturz, der im Sommer 1523 das Rectorat verwaltete!). Indeß
Keiner von Beiden war im Stande, den Berfall der Schule
aufzuhalten. Traurig beklagt Sturz in feinem Rectoratsberichte
das hoffnungsloſe Darnieberliegen der gelehrten Studien ?).
Die Anzahl der Immatriculationen, die unter feinem Vorgänger
bereit? auf 26 gejunfen war, beitrug unter ihm nur 15. An
der Rettung der Schule verzweifelnd, entfchloffen ſich damals
auch mehrere ihrer Lehrer, die Stadt zu verlaſſen; denn wo
die Canzeln unaufhoͤrlich von Schmähungen gegen weltliche
Gelehrſamkeit ertänten, die Univerfitäten. von den Wortführern
des Tages als Hurenhäufer, die Wiflenichaften ala Gift bezeich-
net wurden ?), da fchienen alle Gegenbemühungen vergebens.
Roc einen Verſuch machte Eoban. Um die „catilinarijchen”
Prädifanten zum Schweigen zu bringen, veröffentlichte er im
Sommer 1523 eine Sammlung von Briefen der angefehenjten
\
reformatoriſchen Autoritäten — Luther an der Spike — worin
dieſe die Wiſſenſchaften in Schuß nehmen). Allein nicht zu
1) Bol. Eobanus Georgio Sturc. 1 Cal. Jun, 1523. „Unus ma-
xime habitus idoneus, tam quod Academiae nostrae amantissimum te
cognovimus eumque esse judicavimus, qui si volet modo, possit huic
malo moderi, vel saltem remorari velut in exilium abeuntes Musas
gratiasque humanorum studiorum conservatrices.‘‘ Eob. ei amic. ep.
fam. p. 8. Sturz war wie Eoban ber Sache der Reformation zugetban,
fein Nachfolger im Nectorat ein Gegner derſelben. Es ſcheint, daß ſich bie
Neu: und Altgläubigen an der Univerfitit um biefe Zeit an Zahl ungefähr
gleihftanden. —
2) „„Bonas literas ad ocennum et prope ad ultimos studiorum
terminos asse prefligatas.““ E. U. M. ad a. 1523.
2) Dal. & Ik M. ad n. 1523 unb Kob, Farr. I, 205:
— Japent siudia, ingeniis aus omnis adempta est.
Non est ingenuis artibus ullus honor,
Sed velut indnesae sint facta opprahria plebi,
Dieumssur saorie esse venæna libris,‘“
+) Vgl. Be mon oontemnendis studiis humaniorikus futuro Theo-
loge mazime notossariis Aliquot elaterum virorum ad Rohanum Hes-
—N
— 14 —
verwundern war es, wenn auch dies ohne Erfolg blieb. Konn—⸗
ten doch die Angegriffenen zahlreiche Aeußerungen von Luther
jelbft anführen, die ihr Verfahren zu rechtfertigen fchienen !
Es ift eine der ergreifendften Stellen in den Sahrbüchern
der Univerſität, wo Heinrich Herebold, der Nachfolger des
Sturz im Rectorat, die troftloje Lage der Univerfität ſchildert.
Die Zeit Iehre, beginnt er, daß Nichts hienieden von Dauer,
Ale? vergänglihd und wanbelbar ſei und wie ein Schatten
vorübergehe. Dieſe Erfahrung babe auch die einft jo angeſehene
Hochſchule machen müſſen. Wehmuthsvoll blickt er dann auf
bie Ereigniſſe der letzten Jahre zurüd, die zuerit ihren Verfall
angebahnt, auf die bürgerlichen Unruhen und bie verheerenden
Seuchen, aber voll’ ſei das Maß des Unglücks crit gemorden
und unbeilbar der Schaden durch dad Auftreten der neuen
Prediger. Bon dem Angriff gegen die Entartungen der Wiſſen⸗
Ihaft ſeien fie zum Kampf gegen dieſe jelbft übergegangen.
Daher daS gegenwärtige Mißgeſchick, die Vernachläffigung der
Studien, die Berachtung der academischen Ehren, die Zucht:
Infigfeit der Jugend. „Doch“, unterbricht er ſelbſt feine trau⸗
rigen Ergießungen, „doch, wa Wunder, daß folches den Schulen ,
geſchieht, da nicht einmal die Religion, die fo viele Jahrhun⸗
berte Verehrung genoß, gegen Schmähungen gefichert if. So
haben es unfere Sünden verdient, daß es ftreitjüchtigen Men—
ſchen jetzt geftattet ift, ungeftraft Alles anzutaften,' wie es ihnen
in den Sinn fommt, daß faſt nur dag gepriefen wird, was
vordem verachtet wurde” 1).
— —
sum Epistolae. (Erph. 1523). Abgedruckt in Beyschlagii Sylloge var.
opusc. I, 275— 362, Auch das ſchon angeführte Gedicht am den erfurter
Nath findet fih in dieſer Sammimng nebft einer neuen Querela de con-
temptu studiorum.
1) Vgl. EU. M. ad a, 1523. Hier bie wichtigfte Stelle: „Malorum
fuit initium collegiorun expugnatio, quam subsoguuta est una et al-
tera cx metu pestilentias fugn et, no toties jam «ispersa schola in
pristinum rediret statum, acoersit ad malorum cumulum, qued simui-
— 155 —
Konnte auch Eoban, ber jo eben noch in der „Klage ber
bedrängten Kirche” die Gräuel des Papſtthums mit den grell-
jten Farben gefchildert und dadurch gleihjfam fein Glaubens⸗
befenntnig von Neuem abgelegt hatte!), in dieſen Ton nicht
miteinftimmen, jo fing doch auch er jegt au, an ber Tutherifchen
Sache irre zu werden. immer noch batte er bißher Luther
jelbft in Schuß genommen und ſogar noch viele unter den Prä-
bifanten als „gut” bezeichnet ?). Eoban mußte e3 jebt erleben,
daß gerade ber unter den Berfechtern des Evangeliums, dem
er das größte Vertrauen gefchenkt, Johann Lange, fein viel
jähriger Freund, heimlich über ihn die gehäfligiten Berichte
nad Wittenberg jandte und ihn des Einverftändniffes mit den
Widerfachern des Evangeliums, den Sophiften, beichulbigte.
Das war mehr, al? er ertrug. Entrüſtet fragt er den Angeber,
wann denn endlich dieſer gehäffige Kampf gegen die ſchon längſt
befiegten und faſt völlig verfchwundenen Sophiften ein Ende
nehmen werde? — Ob e3 nicht genug fei, zwei Jahre darauf
verwandt zu haben? Lange möge bedenken, ob ein jo maß-
und endlojer Haß dem Geifte des Chriftentbung entipreche °).
tatis interventu sic oppugnata sit Barbaries, qua studia sunt cunspersa,
ut non cum vitio, sed cum ipsis litteris bellum nunc geri videatur.
Quo venit, cum et universitates literariae prostibulis ce concione cos-
ferantur, ut universae paene disciplinne jacennt contemptae, exosi
fiant tituli, olim juventutis ad honestatem illitia, et extinguatur pror-
sus oumnia obedientin. — Sed quid mirum haec accidere gymnasiis,
quando nec religio, per multa jam saccula recepta, non sit tuta a
calumniis. Sie meruerunt peccata nestra, ut faotiosis hominibus hac
tempestate impune tentare liceat, quicquid mode libuerit, ut nihil pro-
pemodum munc ducatur esse honestum, nisi quod untea ut turpe
despectum.‘
1) Freilich war e8 nur das Glaubensbekenntniß von 1520 — daß ber
Papft und die Nenmniften bie Feinde und Bedrücker der beutfchen Nation
feien.
2) Bol. Beyfchlag J. c. I, 0. _
2) Bol. Eoban an Lange d. d. Postridie Assumpt. Christi 1523 in
Evub, et amic. ep. fam. p. 219. ‚‚Ecquis' tandem, mi Lauge, finis
1
— 1868 —
„Wohl weiß ich“, fährt er fort, „wie unwürbig du über mich
nach Wittenberg berichtet haſt. Schämft du dich nicht, Dich
joweit zu erniebrigen, da du mir auf heimlichem Wege Nach:
jtellungen bereiteft? Doch Gottlob Bin ich Stark und mannhaft
genug, um ſolche Schmähungen zu verachten.“
Schon war es fo weit gefdinmen, daß auch die Huma—
niften den Sophiften beigezähft wurden. Seitdem brach Eoban
allen Verkehr mit Lange ab; auch fein Vertrauen auf Buther
war erfchüttert !). Das Lob, dad er ihm bisher gejpenbet,
verftummte: nur noch Klagen wurden aus ſeinem unbe
vernommen.
In den nämlichen Tagen, als der alte fe Freundfchaftsbund
mit Lange zerriſſen wurde, empfing Eoban aus der Ferne die
Rachricht von dem Verluſte eines andern Freundes, der ihm
einft unter allen der theuerſte geweſen. „DO mein Draco!“
fchrieb er durfiber wehflagend an diefen, „Ach mein Draco! Ich
melde dad Schlimmite, einen Verluſt ohne Gleichen — unfer
Hutten ift nicht mehr”). — Nur felten noch hatte er in ber
Veßten Zeit im Gebränge des Kampfes mit feiner nächſten
Umgebung des alten Kampfgenoſſen in der Ferne gedacht. Die
Nachricht vom Tode desſelben rief jeßt die alten Gefühle wie-
ber in ihm wach und lenkte noch einmal, in ber ſchmerzlichſten
Weiſe, feinen Blick in jene erſte Zeit der kühnſten Hoffnungen
.—
odiorum in paucos eosgue jem viotos, idque ipsum fassos? puerilis
est Hin, viro undequague indigna oontentio: satis erat integrum, ut
minimum dicam, Bienalum in eam rem insumpsisse; quousque rixando
progredimer ? quos vero oppugnamus? qui sunt ilik Sophistae, tam
nohts molesti? ubi latent? — Tu verb si vel unius, vel oerte pnueo-
rum odio insectaris omnes, quid ego tibi nunc dicam? Ebinm atque
etiam vide, ne non satis. Christiane, odisse fertasse non ita mirum
fuerat, Anem odiorum fuisse oportuit.‘“ — Schon dad Jahr zuvor hatte
Lange feinen Freund in Wittenberg benuncirt, aber Luther glaubte damals
den Verbächtigungen nicht. De Wette II, 214. ‘
2) Bol. Epist. Matiani ad Erdkmum im Burschii Spieil. XII, 13.
2) eb. et; amie. ep. fam. p. 35.
— 1897 —
und Entwürfe zurück. Daß ſie vorüber war, davon legte der
Ausgang, den Hutten genommen, nicht minder ald Eobans
Erlebniffe in Erfurt, ein unzweifelhaftes Zeugniß ab.
Wir unterbrechen an diefer Stelle den Gang unjerer Dar:
ſtellung, um einen Augenblid. bei Huttens legten Lebensjahren
zu verweilen: dad Bild des jcheibenben Ritter, neben bie
neuen Zuftände in Erfurt gehalten, veranfchaulicht vecht eigent-
ih den Umfchwung, welchen bie Reformationsbewegung feit
dem Sabre 1520 erfahren hatte.
VI.
Selten hat ein Menſch ein jo vollſtaͤndiges Scheitern aller
feiner Entwürfe, eine fo gründliche Vernichtung aller feiner
Hoffnungen erleben mäflen, als Wri von Hutten. Einft
hatte er, ver gefeierte VBorkämpfer ber nationalen Sache, daran
denken können, die Erſten des Volkes um ſich auf Sickingens
Burgen zu vereinen !), um mit ihrer Hülfe Deutſchland einer
neuen Zukunft entgegenzuführen: verlaflen, hoffnungslos, ver-
ftoßen erſcheint er in feinen lebten Lebenzjahren. Die Mög:
lichkeit einer Firchlich=politifhen Umgeftaltung Deutſchlands,
wie fie ihm vorgejchmebt, war jeit dem “fahre 1521 verſchwun⸗
den. Die beiden Männer, auf die er vor Allen feine Hoffnung
gefeßt, Karl V. und Luther, hatten fih von ihm abgewandt.
Der Kaiſer lehnte die ihm angetragene gefährliche Führerſchaft
ab, Luther entfernte fich immer weiter von den Bahnen, auf
denen er fich 1520 bewegt: gerade die von Hutten in erjter
Linie nach den „Romaniften” befämpften „Iyraunen”, die deut:
ihen Fürften, wurden die wichtigften. Stügen ber lutherijchen
Sache. Zu unnatürlich war doch auch der Bund zwiſchen dem
ı) Bgl. Opp. Hutt. III, 620, IV, 49. Reuchlin, Erasmus, Luther
erwartete er auf der Ebernburg.
— 18 —
glaubenslojen Ritter und dem tief gläubigen Myſtiker, als daß
er bätte von Dauer jein können’).
So gewährt Huttend Leben feit dem verhängnigvollen
Reichdtage von Worms ein in jeder Hmficht troſtloſes Bild.
Aus einem Vorfechter der nationalen Sache wird er ein heimath-
loſer politiicher Abenteurer ?). Ausſicht auf Erfolg haben jeine
Bemühungen nicht mehr: ein anderer Geift war über bie Nation
gelommen. Auf allen Seiten, jelbit in den Reihen feiner
nächiten Freunde, nahm er Abfall von ven Ideen des Jahres
15%0 wahr. Sogar an feinem Sickingen Tonnte er irre wer:
ben, als diefer im Sommer 1521 in Taiferlichen Dienft fich
begab. Schon konnte er fich nicht mehr verbergen, daß bei der
neuen Entwidelung der Dinge, bei der zuſehends fteigenden
Fürjtenmacht ſeines Bleibens in Deutſchland nicht Tange mehr
fein werde’). In dem neu eingerichteten Neichöregiment zu
Nürnberg erblickte er die größte Schmach des deutſchen Namenz,
den Untergang der deutjchen Freiheit *). Ein Zuftand vüftern
Unmuths und wilder Berzweifelung bemädhtigte fich feiner
Seele. In folder Stimmung durdirrte er fett dem Herbft
1521 die Rhein und Maingegenden, begann ein wildes Fehde⸗
leben und ließ wehrloſe Mönche und Geiſtliche ſeinen Ingrimm
) Nach dem 1. Juni 1521 wird Huttens in dem Luther'ſchen Brief⸗
wechſel nur noch zweimal beiläufig gedacht. De Wette II, 170, 41. Dan
verlor ihn in Wittenberg allmählig ganz aus ben Augen.
3) In einem Schreiben an Bucer d. d. 2 Non. Sept. 1521 (in Nied⸗
ner's Zeitfchr. für hift. Theol. 1855 p. 655) nennt er nicht einmal den Ort
feines Aufenthaltes, aus Furcht vor Nachſtellungen!
2) Ich weiß, ich werd noch Lands verjagt,
Um das ich ſolch nit ſchweigen kann
Und nimm des Dings allein mich an.
Beklagung ber Freiſtette teutſcher Nation. Münch 1. c. V, 385.
‘) Ja, fage ih, ſolch unbillich Ding,
Die unfer Fürſten achten gering,
Kein Türk, kein Heide ung legt auf;
Gott nie verwegener Menſchen fchuf,
Dann feind in dieſem Regement x. 1. c. p. 389.
— 19 —
empfinden ?). Zwar bie alten Ziele zu verfolgen, Tieß er auch
jet noch nicht ab. Hülflos gelaffen von Oben, fuchte er nun
mehr die niederen Maſſen zu erregen. Ein Aufruf an die
freien Städte Deutjcglandg, den er im Sommer 1522 veröffent-
lichte, ‚forderte diefe auf, fih mit dem Adel zum Sturze ber
fürjtlihen Tyrannet und zur Herftellung der deutſchen Freiheit
zu verbinden?). Schon trug er fein Bedenken mehr, bem
einſt verachteten Krämer die Hand zum Bunde zu reichen! ®)
Aber für des Ritter Ideale war fein Theil der Nation mehr
eınpfänglich.
Noch einmal ging für ihn ein Strahl der Hoffnung auf,
als Sickingen, aus dem kaiſerlichen Lager heimgelehrt, im Spät-
jommer 1522 ich endlich zu dem längjt erwarteten Hauptjtreiche
gegen die Fürftenpartei entſchloß. Es war am 7. September,
als das Mitterheer vor Trier erſchien, um, wie Sickingens
Manifeit jagte, diefer Stadt die evangelische Freiheit zu bringen.
Allein der günftige Moment war verfäumt worben. Schon
nad, einer Woche ſah Sickingen fich genöthigt, den Rückzug
anzutreten. Richt mit Unrecht ift gejagt worden, daß in jenen
acht Tagen eine große Wendung der beutichen Gefchicke Tiege *):
— — — — — —
1) In dieſe Zeit gehören feine unſaubere Fehde gegen die Karthäuſer in
Straßburg, die Fehde gegen Peter Meyer in Frankfurt, fein räuberifcher
Anfall auf drei pfälzifehe Aebte, worliber zu vgl. Strauß II, 198 ff., 203 ff.,
uff.
2) Abgedr. bei Münch V, 383 — 90. Ton und Haltung bed Gedichts
laſſen fehr den herabgeſtimmten Stolz bed Ritters erfennen, fo gleich ber Anfang:
Ihr frummen Städt’ nun habt in Acht
Des gemeinen teutfchen Adel Macht,
Zieht den zu euch, vertrauet ihm wohl,
Sch fterb’ wo e8 euch gereuen foll.
Ihr feht, daß ihr mit ihm zugleich
Beſchwert werbt burch der Tyranuen Reich zc.
2) Wäre, bie gewöhnliche Anficht, welche Hutten auch den Neufarfibang
zujchreibt, richtig, danıı hätte er fogar die Bauern aufzubieten geſucht. Allein
Huttens Autorſchaft unterliegt wichtigen Bedenken.
*) Ranke Deutiche Geſch. I, 89.
— 10 —
ſie jeten den Sieg der beutfchen Fürftengewalt iiber bie revo⸗
Iutionären Tendenzen des Jahres 1520. endgültig feit?).
Hutten ſelbſt hatte an dieſem unglücklichen Unternehmen,
der letzten That des alten Ritterthums, keinen thätigen Antheil
mehr genommen. Von Neuem waren um dieſe Zeit ſeine alten
förperlichen. Leiden, die er für immer beſeitigt geglaubt, über
ihn hereingebrochen. Doch mit dem Mißlingen jener Erhebung
war auch über ihn, den geiftigen Urheber derſelben, das Loos
gefallen. Die Verbannung, weiche er vorausgeſehen, trat jebt
wirflid, für ihn ein. Wie mehrere feiner Unglüddgefährten
flüchtete ſich Hutten nad) der Schweiz. Kärperli und geiftig
niedergebeugt fam er im November 15% m Baſel an. Ein
neuer Schmerz wurde ihm bier. bereitet, da er es erieben
mußte, dab Erasmus, der in Bafel Lebte, fein alter Lehrer und
Führer, fein „Socrates“, wie er ihn früher gepriefen, ihn jetzt
in feinem Unglück theiluahmios' zurückſtieß. Zum lebten Mal
erwachte da m Ihm bie alte Beibanfchaft .unb in einer ‚heftigen
Smovectäve .jchüttete er den ganzen Unmuth feiner Seele gegen
ben Übgefallenen aus?) Bon Bafel; wo ihm der Rath uch
zwei Monaten feinen Schub aufkündigte, wandte er. ch nach
Mühlhaufen. Auch von Hier fah er fich bald zur Flucht ge
nöthigt. In dem troftlofeften Zuſtande, von allen Mitteln
entblößt, mit zerrüttetem Körper kam. er im Frühjahr 1523 in
Zürich an. Hier endlich fanb der. von Allen Verftoßene in
Ulrich Zwingli, dem Reformator, einen theilnehmenden und
Ihüßenden Freund. Doch nicht Lange bedurfte er. mehr des
Schutzes.
— —
1) Obgleich das frühere Verhalmiß wWwiſchen Luther und der witterſchaft
ſich längſt aufgelöſet Hatte — wie denn Luther keineswegs mit dem Trier'⸗
hen Unternehmen einverſtanden war — fo knüpften die Gegner doch noch
große Hoffnungen an Sickingens Catafirophe. ‚‚Clamabant adversarii,
pseudoregem, Franciscum Siccingerum putantes, extinctum, pseudo-
papam autem s. Lutheram aegrotum, propediem oblturem.“ Annales
Spalat. bei Menden II, 625.
2) Vgl. über den Streit mit Erasmus Opp. Hutt. IV, 238 fi.
— 191 —
Die Stimmung, in der Hutten fich in diejen lebten trau-
rigen Tagen befand, läßt un? das Schreiben erfennen, das er
noch am 241. Juli von Züridy aud an feinen alten Herzens:
freund Eoban richtete und ‚dag wir gleichſam als feinen Scheide-
gruß an Erfurt anfehen dürfen. „OD Eoban“, begiumt er,
„wird es denn endlich Maß und Ziel finden, daß wibrige Ge-
chic, das ung fo bitter verfolgt! Zwar glaube ich das nicht,
aber wir werden Muth genug haben, ftandhaft auszubarren....
Mic hat die Flucht zu den Schweizern geführt, und einer noch
weitern Berbannung ſehe ich entgegen, denn Deutjchland kann
mid) in feinem gegenwärtigen Zuſtande nicht mehr dulden...
Der Ueberbringer dieſes Briefed hat von mir eine Schrift
gegen die Tyrannen, die er zum Druck bejorgen fol. Sei ihm
dabei, ich bitte dich, behülflih.... Sehen und erfenuen follen
fünftige Jahrhunderte, was für Menjchen diejenigen. gewefen
find, welche mit Srevel und Verwegenheit gegen Chrbarkeit,
Geſetz und Recht, Tree und Frömmigkeit gehandelt haben...
Gar jehr verlangt. mich zu wiſſen, wo Crotus ift und wie es
ihm geht.... Wöge es ihm gut geben, wo er auch immer jet.
Sch höre nicht auf zu hoffen, daß Gott noch einmal die Guten
aus diefer Zerjtreuung wieder ſammeln werde: gebet auch ihr
dieſe Hoffnung nicht auf” *).
Der Tod erfparte ihm den Kummer, auch biefe Hoffnung
volljtändig vernichtet zu Ehen. Wenige Wochen fpäter machte
die Krankheit, an der er ſeit ſeinem zwanzigſten Jahre gelitten,
feinem vielbewegten Leben ein Ende. Er ftarb im fechdund-
dreißigſten Jahre feines Lebens, auf einer einfamen Inſel im
Züricher See, in Armuth und Dürftigkeit, nur bon wenigen
theilnehmenden Freunden betrauert 2).
1) Ulric. ab Hutten Eobano Hesso d. d. Tiguri in Helvetiis 12
Cal. Aug. 1523 bei Mind Opp. Hutt. IV, 338—9. — Die Schrift gegen
die „Tyrannen“ (bie Fürften), die Eoban zum Drud befördern ſollte, iſt ver:
Ioren gegangen
2) „Nihil reliquit‘“, fchreibt Zwingli, „quod ullius sit precii. Libros
_ 192 —
Sp ſehr hatten ſich die Zeiten geändert, daß beinahe ein
Jahr verging, ehe man in Wittenberg über jeinen Tod beſtimmte
Kunde hatte, und der ſchmerzliche Klageruf Eobans fat der
einzige war, der dem Hingefchievenen aus jenen Gegenden nach-
gefandt wurbe ?).
Für Luther war Huttend frühzeitiger Tod ein Glüd, da
bei einer längern Lebensdauer desſelben ein volljtändiger Bruch
zwijchen ben beiden "alten Verbündeten unvermeidlich gewor⸗
den wäre.
vn.
Eobans Klagen über das traurige Ende feined Freundes
wurden indeß bald wieder zurücgebrängt durch den Schmerz,
den er beim Anblick des eigenen immer wachlenden Elendes
empfand. Denn von Tag zu Tag geftalteten fich die Dinge
in Erfurt mißlicher. In ähnlicher Weife, wie Huttend lebte
Lebensjahre, gewähren auch die Anftrengungen der erfurter
Schule dad Bild eines fruchtlofen Ringens und Ankämpfens
gegen die neue Strömung der Zeit. Der fteigende Einfluß der
Prädifanten und der zunehmende Verfall der Univerjität hielten
gleichen Schritt. Es brachte auch Feine Aenderung hervor, daß
der bumaniftifch gebildete Juſtus Menius, früher ein eifriges
Mitglied der eobanischen Genoſſenſchaft, nach mehrjähriger Ab-
wejenheit um. diefe Zeit zurückkehrte und in bie Reihe ber
nullos habuit, supellectilem nullam, praeter calamum.‘‘ Zwinglii Opp.
ed. Schuler et Schulthess VII, 313. — Sein Todestag war nad) Eras⸗
mus (Münd IV, 491) der 29. Auguft.
1) Melanchthon und Camerarius erfuhren erft im folgenden Sabre in
Fulda Beſtimmtes über feinen Tod. Bgl. Cameraril Narr. de Melanchth.
ed. Strobel p. 89. An Wittenberg wurde Hutten nicht mehr vwermißt.
Luther gedenkt feines Todes gar nicht. — Eoban widmete feinem Freunde
fpäter ein klagendes Epicebion in Form eined Zwiegeiprächd. eb. Farr.
ı, 16062.
— 19 —
Prädifanten trat’). Lange's Beifpiel zeigte, weſſen auch jolche
Männer, einmal von dem Strome der neuen Meinungen er-
griffen, fähig waren. Lange felbit trat zwar 1523 wieder als
Lehrer an der Univerfität auf, aber Gegenftand jeiner Lehr:
thätigfeit war nun nicht mehr, wie früher, das Griechiſche,
jondern die Lehre von der „menfchlihen Schwachheit” und daß
Niemand aus fich jelbit etwas vermöge. Weltliche Willen:
Ihaften galten als Menfchenfagungen und Verachtung und
Dürftigkeit war dag Loos derer, die ihnen noch dad Wort zu
reden wagten. Buchdrucker weigerten fich, andere als theolo-
giihe Schriften zum Druck zu befördern. Eoban ſelbſt, defjen
Name jonft zur Empfehlung eine® Buches hHinreichte 2), jah
ſich genöthigt, als er eine neue Ausgabe feiner früher mit dem
größten Beifalle aufgenommenen „Heroiden“ beabfichtigte,
Melanchthon's Bermittelung in Anfpruch zu nehmen ?). Die
Anzahl der Lehrer, wie die der Studirenden, ſchmolz immer
—⸗e
—
mehr zuſammen. Kaum fand ſich noch Jemand, der zur Anz:
nahme eine? akademischen Amtes bereit war *). Bon Eobans
alten Freunden entfernte fich einer nach dem andern. Euricius
1) Auch er war durch den Pfaffenfturm aus Erfurt getrieben und dem
Crotus nad) Fulda gefolgt, unter deffen Rectorate er noch in Erfurt in nahem
Berfehr mit Petrejus und Camerarius erfcheint; vgl. Lib. alt. epp. A 3b.
Derjelde Grund, den Böcking (Drei Abhandlungen 2c. p. 77) gegen Juſtus
Jonas als Verfaſſer der Epistola Anonymi anführt, würde alfo auch Menius
von Autorfchaft auzfchliegen. Einer Nachricht zufolge (Bol. Bed Johann
Friedrich der Mittlere IL, 137, Brückner Kirchen und Schulftaat von Gotha
1, 180) hat Menius noch 1521 feine Reife nach Stalien angetreten. Zurüd-
gekehrt, wurbe er 1523 Diaconus in dem erfurtifchen Fleden Mühlberg, hielt
fih aber gewöhnlich in Erfurt felbft auf und wurde hier nächſt Lange der
eifrigfte Verfünder des Evangelimz.
») Bol. Cordi Opp. p. 173.
3) „„Efficiam‘‘, antwortet ihm Melandhtbon, „ut aut hic aut ad Rhe-
num cudantur: uam Lutheranis quibusdam prelis otium erit post ab-
solutam äpunvsıav Novi Testamenti.‘“ Corp. Ref. I, 573. So fehr
war alfenthalben die Prefle für die Theologie in Anfpruch genommen.
“) Vgl. Eob, Hessi Dialogi tres C 3 a.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 13
—
— 14 —
Cordus folgte 1593 einem Rufe nach Braunfchweig: längſt
war ihm das Leben in Erfurt zumider gewejen !). Schon vor
ihm hatte Micyllus die hoffnungsloſe „aeoniſche Schaar” ver:
laffen, der er beinahe fünf Jahre angehört hatte?). Das Jahr
darauf nahm auch Hunus auf längere Zeit Abfchied von ber
Stadt, um fi bei Erasmus, dem „Camillus der gelehrten
Srömmigfeit”, Troſt zu holen 3). Petrejus, Eobans treuchter
Sefährte, zog fich, an dem Wiederaufkommen der Schule ver-
zweifelnd und durch förperliche Leiden nievergebeugt, mißmuthig
von aller Lehrthätigkeit zurüd.
Gern wäre auch Eoban den Scheidenden gefolgt, hätte ſich
ihm irgendwo eine Ausſicht eröffnet, denn in Erfurt jah er
einer traurigen Zukunft entgegen. Er fing an Noth zu leiden.
Schon 1522 hatte er ſich, da ihm die poetifchen Studien, bei
ber zunehmenden Verachtung derſelben, feinen hinreichenden
Lebensunterhalt mehr gewährten, nach einem einträglichen Yach-
ſtudium umgejehen und fih auf den Rath des Petrejus für
die Rechtswiſſenſchaft entſchieden %). Da aber feine juriftifche
Thätigfeit den gewünfchten Erfolg nicht hatte, wandte er fich
jebt der Medicin zu 5). in gelehrtes Gedicht „über die Er-
— — —
1) Sein Abſchiedsgedicht ſ. Opp. Cordi 176..
») Jac. Micylli Sylv. libri V. p. 59. Sein Abzug fällt wohl in bie
erſten Monate bed Sahres 1523.
2) Mutian verfab ihn mit einem Empfehlungsſchreiben an Erasmus:
Martinus Hunus, Magister Erfordiensis, non vulgaris amicus noster,
homo probissimus, mihi crede. Odit rem tumultuosam et malos viros,
quos tu sentis efferatiores. Scit, Lutherum per unum Philippum fieri
celebriorem etc. 2gl. Bursch. Spieil. XII, 13. Hunus fehrte indeß
wahrfcheinlich noch vor Ablauf 1524 zurück. -- Doctae pietatis Camillus
wird Erasmus mehrmald genannt von Stromer; vgl, Heumann Dec. lit.
213, 214. — Auch Ceratinus und Camerarius finden wir bald darauf bei
Erasmus.
*) Vgl. Eoh. et amic. epp. fam. p. 7, 13.
s) Vol. Camerariuß Narr. de Kob. C 4 a (die Übrigens für diefe Zeit
eine ſehr dürftige Quelle ift). „Cum Kobant eo ferme tempore admodum
in angustum cogerentur copiae, ut ait Terentius, et publieus respectus
— 15 —
haltung der Geſundheit“, welches er 1524 veröffentlichte, war
bie erfte Frucht feiner medieinifchen Studien). Allein feine
Lage wurde auch dadurch wenig gebeffert, und hätten ſich nicht
Urban und Sturz feiner: angenommen, jo würden Hunger und
Elend das Loos des gefeierten Dichters geweſen jein.
Wehmuth und Bitterfeit bemächtigten fich feiner Seele,
wenn er aus biefem troſtloſen Zuftande auf die frühere Zeit
zurücblicte. Zerſtreut war der frohe Gelehrtenkreiß, den er
einſt al3 „König“ beherrſcht hatte?). Unwiſſenheit und Bar-
barei nahm er wahr, wo wenige Sahre zuvor Alles von Eifer
für die Wiffenfchaften erglühte. Selbjt in den Sahrhunderten
ber ſcholaſtiſchen Barbarei war — jo kam es ihm jebt vor —
dad Verderben nicht größer geweſen, als im diefen „verab-
ſcheuungswürdigen“ Zeiten 3).
Eoban hatte acht Jahre früher feine Hülfe geliehen, als Hut-
ten nnd Crotus den Kampf gegen die Schultbeologen und Mönche
penitus illi subtraheretur — placuit quaestuosae eum Arti cuipiam ope-
ram dare, non jam famae „amplificandae causa, sed ne fame laborare
mox cogeretur. Atque autores illi fuere amici, ut medicinam disceret,
quoniam priores conatus forenses parum successissent,.‘“ Mutian war
ſehr unzufrieden darüber. Eob. et amic. ep. fam. p. 8. — Auch Petrejus
muß um biefe Zeit in fehr bedrängter Lage geweſen fein. Beyfchlag 1. c.
I, 302.
ı) De conservanda valetudine: Mediciuae laus, Musaeum Stur-
tiaaum. Tabula differentiarum omnis generis febrium: Tabula cognos-
cendorum secnndum communes et planetares horas humorum. Erph.
45%. 4%. Das Gebicht hat 13 Auflagen erlebt und gehört zu den gelefenften
des Dichterd. Abgebr. in Eoh. Farr. II, 73 sqgg.
2) „Tu velut de multis nobls loqueris, quorum cherus ne gra-
tiarum quidem numerum aequet. Ducem enim et regem dempseris,
vacuum reliqueris hoc wovsceloy.‘‘“ Koh. Camerario. Lib. nov. epp.
B7h.
°) Haec ego praecipuo priscis conferre ruinis
Nil verebor execranda tempora,
Quae studiis adimant pietatis Imagine quicgeid
Heneris ante quicquid et laudis fait.
De contemptua studiorum querela bei Beyſchlag Syli. I, 349.
13 ®
— 16 —
mit den Waffen der Satire eröffneten ): dieſelben Waffen
entſchloß er fich jebt, nachdem alle übrigen Mittel erfolglos
geblieben, gegen die Vertreter der neuen Barbarei zu kehren.
Dies geſchah durch eine kleine dialogifche Schrift, Die er'
im Frühjahr 1524 ausgehen Tieß „zu Gunjten der Wiſſenſchaft
und Wahrheit” ?). Es ift eine Sammlung von drei Gejpräden,
in denen die Blößen, die der Fanatismus der Präbifanten bot,
namentlich ihr finnlofes Eifern gegen die Wiffenjchaft in ſcho—
nungslofer Weife aufgedeckt, fie ſelbſt dem öffentlichen Hohne
preigegeben werben.
Am gelungenften ift der erjte Dialog „Melaenus“, der
uns einen Prädikanten dieſes Namens im Geſpräch mit Hunus
und Heſſus und dem fpöttifchen Momus vorführt?). Gegen—
ſtand der Unterhaltung iſt die Arzneiwiſſenſchaft. Melaenus
beklagt es, daß Hunus und Heſſus ſich mit dieſer profanen
Wiſſenſchaft beſchäftigen, und ſieht ihr Seelenheil dadurch gefähr—
det; „denn“, meint er, „ihr vernachläſſiget den Schöpfer und
hanget der Creatur an.” Nur von Gott dürfe der Menſch
in Reibesnöthen Hülfe und Heilung erwarten. Hunus jucht
hierauf das Studium der Medicin durch Gründe der Vernunft
und Erfahrung zu rechtfertigen und macht dem Gegner, der
1) Eobans Theilnahme an ber Abfaffung der Epp. Obsc. erhält eine
Beftätigung durch die mir früher entgangene Schrift De generibus ebrio-
sorum et ebrietate vitanda (abgedr. bei Zarnde Die beutfchen Univerfitä-
ten des Mittelalter3 p. 116—155), in ber 3. B. die Grabfchrift auf ben
Hana Raumthaſch (1. c. 128) die auffallendfte Aehnlichfeit mit mehreren
Neimereien in ben Epp. zeigt. Daß Eoban der Verfaffer ift, folgt u. X. aus
einem Epigramm bes Cordus: In libellum Eobani de ebrietate vitanda
(Cordi opp. 117), das jih nur auf diefe Schrift beziehen Tann.
2) Robani Hessi Dialogi tres. Melaenus. Misologus. Fugitivi.
Studiorum et veritatis causa nuper aediti. 4%. (Am Ende: Exc. Erph.
in offic. M. Maler A. 1524). Die Dedication (d. d. IX Kal. Mart. 1524)
ift an den Eifterzienferabt Peter zu Porta gerichtet. Diefe Schrift ift fehr
jelten, daher eine furze Inhaltsangabe um fo eher gerechtfertigt erfcheint.
s) Melagenus Dialogus Hessiaticus. Interlogutores: Hunus, Hessus,
Melaenus, Momus . c. Aib—B2%b.
— 117 —
nur geringe Faſſungskräfte verräth, an dem Beifpiel einer Rübe
Har, daß vielen Pflanzen eine befondere heilende Kraft beiwohne,
die der Menjch nach Gottes weiſer Einrichtung kennen lernen
und anwenden ſolle. Melaenus aber erflärt dergleichen für
Phantaftereien und verlangt Bibelftellen für die Zuläffigkeit
der Medicin. Als Hunus auch folche beibringt, Tpricht jener
ihm das richtige Verſtändniß derjelben ab und ftellt ein für
allemal den Sat auf, daß e2 ficherer fet, auf Gott zu vertrauen,
al3 auf Menſchen. Die Aerzte finden die Ausübung ihrer
Kunft auch damit vereinbar, erregen aber jeßt den Zorn des
Theologen, der lange darüber nachfinnt, wie dieſe ungeftümen
Eindringlinge mit ihrem profanen Treiben) aus der „theolo-
gischen Burg” zu vertreiben fein möchten, und dann eine glän-
zende Lobrede auf die neuen theologifchen „Solone“ hält, durch
deren Verdienſt der durch die heillofe Philofophie verdunfelte
göttliche Heiland wieder an's Licht gezogen je. Immerhin,
entgegnet Hunus, auf dag Thema zurüclenfend, möge das
richtig fein, aber darum ſei es doch nicht gerechtfertigt, alle
weltliche Wiffenjchaft zu brandmarken und aus den Schulen
zu verbannen. „Ich wünfchte, daß alle Schulen, die hoben,
wie die niederen, in Flammen ftänden“, wirft ihm Melaenus
troßig entgegen und verläßt hierauf zornentbrannt die unheilige
Geſellſchaft.
Beſondere Rückſicht auf die erfurter Zuſtände nimmt der
zweite Dialog, Miſologus betitelt?). — Der Humaniſt Bonae-
1) Er will nicht mehr antroorten, weil Hunus ihn beim Aesculap um
eine Antwort gebeten bat: „Per Acsculapium equidem purulentum illum
latrinarium nihil dicturus sum, sed per Christum si me roges, est
quod deliberem.“ Worauf Hunus: „Per Christum profecto multo
rogarim libentius, nisi tantam Majestatem jocis immittere religio esset,
sed haec praefatus ac ejus pietate confisus, audebo: Dic age per
Christum te rogo. 1.c., Bi.
2) Misologus. Eobani Hessi Dialogus. Interloqutores: Strome-
gerus, Bonaemilius, Misologus I. c..B3a—C3a.
— 1% —
milius, nach mehr als zweijähriger Abwejenheit vor Kurzem
nach Erfurt zurückgekehrt, beklagt fich bei jeinem Freunde Stro-
megerus über die inzwilchen eingetretene Verödung ber wenige
Sahre zuvor noch fo blühenden Hodhjhule!). Als Urheber _
dieſes traurigen Zuſtandes bezeichnet er anf bie Frage des
Stromegerud „einige nicht fo jehr boshafte, al3 von übermäßi-
ger Selbitliebe geplagte Menfchen”, deren ganze Tapferkeit darin
beitebe, brave und verdiente Männer zu unterbrüden, um dann
ungeſtört felbft die Herrichaft ausüben zu können. Am wmeiften
aber, führt er dann weiter aus, ‚befördern dieſelben ihre Ab-
ſichten dadurch, daß fie ihren Umtrieben gegen die Univerfttät
den Schein eined Kampfes gegen bie Sophiiten geben, obgleich
e3 jchon längſt in Erfurt feinen Sophiften mehr gibt. Doc
willen fie e8 ber unerfahrenen Menge, um deren Gunft fie
auf die unwürbigite Weiſe buhlen ?), einzureden, daß die So—
phiften noch immer nicht außgerottet jeien, und übertragen jet
biefen Namen auf alle Freunde der Wiflenjchaften. Während
dem nähert fich den Klagenden Mifologus, einer der Präbi-
fanten. Auch er ift gegen feine Gewohnheit ?) traurig und
verftimmt, aber gerade aus dem entgegengejeßten Grunde.
„Es Ichmerzt mich in der Seele”, beginnt er, „daß die ſchmutzi⸗
gen Spphiften noch athmen.” Sophiften aber heißen ihm, wie
er auf weitered Fragen erklärt, alle diejenigen, „bie ftatt des
Paulus den Ariftoteles, ftatt ded Evangeliums allerlei Rhe—
toren und Poeten leſen.“ Sofort machen Stromegerud und
Bonaemiliu den Verſuch, ihn eines Beffern zu belehren.
1) „BSpes erat optima miki, in eam me Scholam rediturum, quam
paucos ante annos forentissimam reliqueram, Sed en longe fefellit
spes, cum pro florente aridam ac jacentem et ipse et omnes videa-
mus.“ 1.0.B3a,
2) „Ut sunt mensarum omnium asseclae.““ BA a:
2) „Soles enim“, redet ibn Stromegenis an, „nom levi de causa
perturbari, cum tam spaciosam habeas conseientiam, ut Urbes et
regna capiat, nedum res leviusculas“ BAb,
— 19 —
Unrecht ſei es allerdings, meinen ſie, und nicht zu billigen,
wenn — wie das aber in Erfurt gewiß nicht der Fall ſei —
das Studium des Ariſtoteles und der Poeten über Gebühr und
zum Nachtheil des Evangeliums betrieben werde, aber eben ſo
ungerecht ſei es, alle Beſchaͤftigung mit den Alten aus den
Schulen verbannen zu wollen. Habe fich doch Paulus felbft
der Zeugniffe heidniſcher Dichter bedient. Für den Theologen
insbeſondere jeien die humaniſtiſchen Studien dag wichtigite
Bildungsmittel, wie dad Eoban Hefe jo oft und jo jchön in
feinen Schriften dargethban. Aber an dem Starrfinn des Prä-
difanten fcheitern alle ihre Bekehrungsverſuche. Unfähig, die
vorgebrachten Gründe zu widerlegen, bricht Miſologus in Ver:
wünjchungen aus gegen die hohen Schulen, die Nicht? als
Menſchenſatzungen lehrten, und entfernt fich zulekt mit der
Behauptung, daß in den Humaniftiichen Studien Gift enthalten
fei, und die Jugend durch fie verführt, von Chriftug entfernt
werbe!).
Eine noch derbere Zeichnung gibt da3 dritte Gefpräd:
„Die entlaufenen Mönche” 2). Das Satirifche tritt hier zurück:
es iſt eigentlich nur eine won Ausbrüchen der Entrüftung und
des Unwillens begleitete Aufzählung aller Gebrehen und
Sünden der neuen Prediger, wobei fich die revenden Perſonen
gegenseitig unterftügen und ergänzen. Mit grellen Karben wird
ausgemalt, wie die Meijten, nachdem fie aus unlautern Beweg-
gründen das Kloſter verlaffen, nun unter deut Schuße de
Evangeliums ein fleifchliches Leben führen, das Volk durch
niedrige Schmeicheleien bethören, auf den Canzeln Albernheiten
!) „Venenum est in illis, quae tu vocas humnanitatis studie; illis
ewim lenociniis ac velut Syrenum cantibus Juventus seducitur hae-
retque implicata dulcibus ludibriis non secus, ac Ulyssis socii apud
Lothophagos, nec domum hoc est veram et Christianamı philosophiam
redire cogitant.“ Ci b.
2) Fugitivi. Interl. Kusebius, Philotimus, Pompomius, Autolyous,
Fugitivi. C3b—D3b.
— 0 —
und Widerfprüche vorbringen, dag Ehrwürdigſte in den Koth
herabziehen und im Gefühl ver eigenen Unwifjenheit allen
wiffenjchaftlichen Beitrebungen den Krieg erflären!). „Für—
wahr”, äußert Philotimus, „es ift traurig, daß Ungethüme,
wie diefe, die nur zu fchreien, lärmen, poltern, toben wiffen,
heutzutage Glauben finden koͤnnen.“
Dahin war es in wenigen Jahren mit ber einft jo freudig
begrüßten Bundesgenoſſenſchaft gefommen!
Erfolg hatte indeſſen auch diefer lebte Schritt Eobans nicht.
Der Rath konnte oder wollte nicht helfen. Noch ſtanden die
Diener des Evangeliums feit in der Volksgunſt. Webermuth
und Rücdfichtslofigkeitt nahmen auf den Eanzeln immer mehr
Ueberhand. Ernitlicher als je zuvor fing jet Eoban an, ſich
von Erfurt wegzujehnen. „Wider meinen Willen“, jchrieb er
bamal3 an Sturz, der einige Zeit vorher ebenfalls die Stabt
verlafjen hatte, „werde ich bier zurüdigehalten, wo Alles ver-
Ioren tft. Denn es ift feine Hoffnung mehr übrig, weder auf
dad Wiederauffommen der Studien, noch auf den Fortbeitand
des Gemeinwefend. Alles geht zu Grunde Ich ſelbſt werke
ı) Bol. 3.8. D1h. ‚Video levissimum quemque et indoctissi-
mum id agere (sc, e monasterio exire), non ut conscientiae suae
(quamvis, Deum immortalem, quam ubique praetexunt illum titulum!)
medeatur, sed ut libertati caruis (ut uno verbo dicam omnia) con-
sulat. Nam quae est taudem ista libertas, nulli obedire ac interim
Jactare, se Deo obedire, — Videas meros asinos ex suggestis hodie
concionantes fanda atque nefunda, secum adeo plerumque (nota testa-
taque loquor) dissentientes, ut ubi vel coeperint nesciant, vel, ubi
desituri sint, non inveniant, et tamen vulgo habentur, quo sunt stupi-
diores, eo doctiores et sanctiores.‘“ Oder D 1 a: „Cui non adblan-
diuntur vel vilissimo de plebe; si invitet ad coenulam? si prandiolo
nonnihil lautiore Evangelicum ventrem demereatur ac suffarcinet?
Ut taceam, quam sit hoc genus hominum in Venerem effusae libidinis,‘‘
Wegen ihrer Unwiſſenheit werden fie 1. c. bezeichnet als: „‚Indoctissimi
Idiotae ac bardi declamatores, cum passim ex inscitiae suae latibulis
emergentes, tum praecipua studiorum pestis, vehementer ac usque
ad miraculum indocti Fugitivi.‘“
— X —
durch unwiſſende, dem Kloſter entlaufene Mönche bei Allen
verhaßt gemacht. Traurige Auftritte wüͤrdeſt du ſehen und
hören, wenn du hieher kämeſt. O armes, o unglückliches
Erfurt!“ 1) „So tief ſind wir geſunken“, ſchrieb er um die—
ſelbe Zeit an Camerarius, „daß uns nur noch die Erinnerung
an unſer früheres Glück übrig geblieben iſt; die Hoffnung, es
wieder erneuern zu können, iſt völlig verſchwunden“ 2).
Es war ein trauriges Wiederjehen, als Eobans Freund
Micyllus, im Herbft 1524 von Wittenberg zurüdfehrend, noch⸗
mal3 in Erfurt bei feinen frühern Genoſſen anſprach. Nur
noch einige wenige fand er Dort von den alten Freunden, Fläg-
liche „Reliquien“ des ehemals durch ganz Deutjchland angefehe-
nen Dichterbundes °). Und ſchon war der Sturm im Anzuge,
ber auch diefe von dem Site des alten Ruhmes verfcheuchen
jollte.
1) Eob. et amic. ep. am. p. 84. Sturz kehrte jedoch nach einigen
Monaten wieder nach Erfurt zurüd.
2) Libell. nov. epp. B7 a.
2) Convenere sodales
Relliquiae veteris, nomina nota, scholae:
Urbanus, Nossenus, Aperbachus, Mechobachus,
Cumque Gerungeno (Groeningen?) pars mea magna Procus
Et quundam priaceps Hessus studiique scholneque,
Hessus, qui vatum dona tot unus habet,.‘“
Jac. Micylli Sylv. libr. V. p. 203.
— 202 —
Fünftes Capitel. Gänzlicher Verfall der Univerſität.
„Nunc studia expulsis siluerunt optinia Musis,
Nuoc iterum fiet barbarus iste locus,‘*
Melanchthon,
L
Das Jahr 1525 war auch fir Erfurt ein jehr verhäng-
nißvolles ?).
Die Gährung, welche Luther Predigt burch das ganze
Reich hin unter dem Bauernftande hervorrief, hatte das Land⸗
volk des erfurtifchen Gebietes ?) nicht unberührt gelaffen. Alte
Klagen über Druck und Mebergriffe der ſtädtiſchen Ariftofratie
empfingen auch hier durch bie Predigt von der evangelifchen
Treiheit neues Leben und eine religiöſe Weihe’). Schon feit
1) Die Chroniften, welche es als ein neued „tolle® Jahr“ bezeichnen,
bieten für die Gefchichte des erfurtifchen Bauernaufftandes manches Material,
doch ohne inneres Verſtändniß ber Greigniffe. Wichtiger find bie Verhörs⸗
protofolle, von denen einige Herrmann mitgetheilt bat in: Anecdotorum ad
Historiam Erfurtensem pertinentium particula prima Erf. 18%. Höchſt
oberflächlich find die fpäteren Darftellungen von Loſſius (Hel. Eob. Heſſus 2c.),
Talekenftein I. c., Erhard (Meberlief. 3. vat. Gel.) Unter den Späteren ift
Gudenus ber Einzige, der den wahren Zufammenhang ber Greigniffe in der
Hauptfache geahnt hat. Die Vorgänge in Erfurt eröffnen und einen inter-
effanten Blick in das Getriebe ber damaligen ſtädtiſchen Factionen.
2) Das erfurtifche Gebiet umfaßte, mit Augfchluß der Hauptftadt, neun
Aemter (Mühlberg, Bargula, Vippach, Sömmerda, Gispersleben, Alach,
Tonndorf, Azmannsdorf und dag Stadtamt), mit 1 Stadt (Sömmerba),
3 Fleden, 72 Dörfern, und? — gegen Ende des vorigen Jahrh. — 24,000
Einwohnern. Die Anzahl ber letztern ift inbeß für bag 16. Jahrh. jedenfalls
viel höher anzufeßen. Eben im J. 1524 ließ der Rath zum erften Dal das
ftädtifche Gebiet genau aufnehmen, feine Gerechtfame und die Leiftungen der
einzelnen Dorffchaften feitfeßen, was auf bie Stimmung de Landvolks wohl
nicht ohne Einfluß geblieben ift. Vgl. Dominikus, Erfurt und das erfurtifche
Gebiet, Gotha 1793. HI, p. WU.
°) Vgl. Hermann Anecdota p. 17. Die durch die Wirren feit 1509
— 0 —
dent Sahre 1521 hatte fich in den der Stadt benachbarten Dorf:
Ichaften ein unruhiger Geift gezeigt. An dem Sturme auf
die ſtädtiſche Geiftlichfeit in jenem Jahre ſah man zahlreiche
Zandleute aud der Umgegend Theil nehmen. Der weitere
ftürmifche Verlauf, den die Bewegung in Erfurt jelbft nahm,
erhöhte die Aufregung auch auf dem Lande. Zu den Predigten
und öffentlichen Diöputationen ſtrömten die Bauern aus ben
umliegenden Ortfchaften in großer Menge herbei. Man vers
nahm begierig, was der Diener des Evangeliums über hrift-
liche Freiheit und papiftifche Knechtſchaft vortrug, und kehrte
in aufgeregter Stimmung in die Heimath zurüd. Der Rath
fuchte zwar zuweilen dem Andrang des Landoolfed Einhalt zu
thun), aber, wie es fcheint, one großen Erfolg, Die Prä-
bifanten waren den Landleuten ‚gewogen. Mechler erblidte in
ihnen die wichtigfte Stüße des Evangeliums. In öffentlicher
Predigt Tieß er fich einmal vernehmen, daß, wenn dad Wort
des Prediger allein nicht genüge, Spaten und Hacke bes
Landmann? dem Evangelium zu Hülfe fommen müßten ?).
nothwendig gewordenen neuen Auflagen hatten namentlich auch das Landvoll
hart getroffen. Bol. Dominifus 1. c. I, 384. Auch einer der erfurter Hus
maniften, Cordus, beflagt das traurige Loos der Bauern:
Flebilius nihil est isto, quaın rusticus, acvo,
Qui sur ceu servus non sibi rura colit,
Cum riguit totum miser et sudavit in annum
Milleque sollicito dura labore tulit,
Et tot vix quantum rursus serat accipit agris,
Quod superest deses vendicat ara suum,
Opp. Cordi p. 130 a.
1) Der Rath verbietet einmal eine von Mechler angefündigte Disputa⸗
tion, als fi das Landvolk wieder in zu großer Anzahl eingefunden hatte,
Bgl. De dunb. disput. H 2 b.
2) „‚Quid praetenderas““, ſtellt ihn deshalb Ufingen zu Rebe, „quaudo
de suggesto et vernaculis intimationibus plebem rudem ad illam (dis-
putationem) citaveras! Quid denique dum eo loci ad populum clama-
veras, necesse esse, ut vel pastino, sarculis et ligonibus suburbanis
evangelio comsuleretur, quamdo nec tua, nec tuprum proficerent verba!
Meministine rusticae inselentine, qua jam passim zubditi in deminos
— WM —
> Bergeblich war es, daß Uſingen, der auch hier feinen richtigen
Blick bewährte, in Schrift und Predigt ven Gegnern da3 Be
denkliche jolcher Neußerungen vorbielt und einen Bauernauf-
uhr, als nothwendige Folge ihres aufregenden Treibenz, vor-
berfagte ). Unter den beraufchenden Erfolgen des Augenblicks
wurde der Zukunft nicht gebacht.
Was Ufingen warnend vorhergefagt, ging im Frühjahre
1525 in Erfüllung. Kaum war die Kunde von der Erhebung
der Bauern in Schwaben und Franken nach Thüringen ge=
brungen, als die Bewegung auch das erfurtifche Gebiet ergriff.
Auf einer Bauernverfammlung in Kirchheim, unweit Erfurt,
wurden Artikel entworfen, welche die Befchwerben ber Auf-
jtändifchen gegen den Stadtrath enthielten und auf Grund des
Evangeliums eine jofortige Befeitigung derjelben verlangten.
Sämmtliche Dorfichaften gaben ihre Zuftimmung. Zu Daber-
ftabt, in der unmittelbaren Nähe von Erfurt, fand hierauf
zwifchen den Hauptanführern eine letzte Verabredung ftatt.
E3 wurde beichloffen, das gejammte Landvolk bewaffnet in die
Stadt einrüden zu laſſen, den alten Rath zu ftürzen, einen
neuen „ewigen” an deſſen Stelle zu fegen und die Annahme
der Artikel zu bewerfftelligen, im Falle aber, daß die „Herrn“
Widerſtand verfuchen würden, ſämmtliche Mitglieder des alten
Rathes zu ermorden und die Häufer der Reichen zu plündern 2).
— Es war an einem Donnerſtag Abend (27. April), als der
Stabtrath die Nachricht erhielt, daß fünftaufenb bewaffnete
suos tumultuantes et insurgunt contra fidelitatem, quam illis promi-
serunt et juraverunt!‘“ De duab. disp. H 2 b.
1) Vgl. Hoehn Chronologia etc, 1. c. „Nescitis““, jchrieb er ſchon
1523, „‚populum esse bestiam multorum capitum, bestiam cruentam,
quae sanguinem sitit, vosne ergo rem vestram sanguinariis perficietis!““
Liber primus etc. C 4 b.
2) Bol. bie Verhörsprotokolle der vier Haupträbelsführer: Hand Bed,
Hana Hayder, Hand Schroeter und Peter Schmitt bei Herrmann Anecdota
p. 9 aqgq. Die Chroniken übergehen biefe Borgänge.
Bauern vor den Thoren jtänden und ungeſtüm Einlaß in die
Stadt verlangten. Schreden bemächtigte fich des wohlhaben⸗
deren Theile der Bürgerichaft ). Eilends wurde bejchlojfen,
um die Gefahr eined nächtlichen Weberfall3 von der Stadt
abzuwenden, durch Herausfendung von Speije und Trank die
bewaffneten Bittfteller einftweilen zu bejänftigen und auf den
nächjten Morgen zu vertröften. Das geſchah. Am folgenden
Morgen aber wiederholten die Haufen mit noch größeren Un-
geſtüm die geftrige Forderung. Einer Gefandtjchaft des Rathes,
welche zu vermitteln juchte, wurde erklärt, daß man nicht mit
dem Rathe, jondern bloß mit der Gemeine unterhandeln wolle:
wer aus dem Rathe ed noch wagen würde, bei ihnen zu erjchei-
nen, werde des Todes jein?). Der Rath befand ſich in der
peinlichften Lage. Noch war er zu feinem Entfchluffe gefom-
men, als auf dem Rathhauſe Boten mit der neuen Meldung
erjchienen, daß bereit3 auch im nern der Stadt der Aufruhr
ausbreche: die Gemeine rotte fich auf der Augftbrüde zufam-
men und drohe unter Schmähungen gegen den Rath, die Thore
gewaltjfam zu öffnen und mit den Bauern gemeinfchaftliche
Sache zu machen.
In der That verhielt es fich jo. — Auch die Vorgänge in
Erfurt offenbaren jenes geheime Bündniß zwifchen dem aufftän-
bifchen Landvolke und der jtäbtischen Demokratie, welches ſchon
von ſcharfblickenden Staatsmännern jener Zeit wahrgenommen
worden it !). Noch unvergeffen war bier der alte Streit zwiſchen
2) Vgl. den Bericht des Joh. Elliger an Joh. Hecht, mitgetheilt von
Jörg: Deutichland in der Nevolutionsperiode von 1522—26 p. 127—8,
Elliger, den wir als Mitglied ber Univerfität im Mai 1525 bei ber Rector⸗
wahl thätig finden, erzählt das Ereigniß als Augenzeuge.
2) „Liegen fih bören, hätten etwas an die Vormunder und Gemeinde
anzutragen und nicht an ben Rath, wollten mit den Bluthunden nicht? zu
Ihaffen haben; wenn auch ein Rathsherr zu ihnen heraußreiten wollte, möch⸗
ten fie ihn nicht hören, wollten fie (ihn) ermorden.“ Elligers Bericht 1. c.
2) Vgl. Sörg 1. c. p. 112, 133. Tenkel Rel. epp. Mut. p. 75.
— 206 —
Rath und Gemeine. Die Art und Weiſe, wie die Rathspartei den
gewonnenen Steg benutzt und die neue Regimentsordnung von 1520
alle Errungenſchaften des „tollen Jahres“ der Gemeine wieder
entrifjen hatte, war am wenigjten geeignet, die in den Gemüthern
zurüdgebliebene Mißſtimmung zu bejeitigen. Der gegenwärtige
Augenblict wurbe von ber Gemeine benust, um mit Hülfe ber
Bauern zu ertrogen, was fte, bejchränft auf ihre eigenen Kräfte,
vergeblich angejtrebt hatte. Mehr ala wahrſcheinlich iſt es jogar,
daß fie, fchon vorber von dem Vorhaben der Bauern unter-
richtet, fie darin insgeheim beftärkt, ihnen Hülfe und Beiſtand
in Ausſicht gejtelt hat. Die genaue Kenntniß ſtädtiſcher Ver⸗
hältniffe und BVerfönlichkeiten, jowie die Sympathien für bie
Borjteher ver Gemeine, welche die Aufftändifchen von vornherein
an den Tag legen, weilen deutlich auf eine vorbergegangene
Verſtändigung mit der jtädtiichen Volkspartei hin !).
Die Lage ded Rathes war verzweifelt. Die Stunde der
Vergeltung fchien gekommen für die Gewiffenlofigfeit, womit
er früher jelbit die Leivenjchaften der eutfeſſelten Menge zur
Durchführung feiner Abfichten benußt hatte. Verſuche, den
verfammelten Stabtpöbel durch friedliche VBorftellungen umzu—⸗
ftimmen, blieben ohne Erfolg Die Präbilanten, welche auf
das Rathhaus beichieven wurden, um mit Rath und Hülfe zu
dienen, waren jelbft hülf- und rathlos. Bittere Aeußerungen
fielen da über ihr bißheriges Benehneen 2). Sie hatten es wohl
verstanden, die Leidenſchaften des Volkes zu entfefleln, es aber
wieder in die Schranken der Ordnung zu bannen, waren fie
nicht im Stande.
Nur Einen gab es unter den Dienern ded Wortes, der
1) Die Mitglieber des neuen NRathe waren theilweife von den Bauern
fon namhaft gemacht. Die Supplik follte nicht an ben Rath, fondern an
bie Vorſteher ver Gemeine gerichtet werben, „weil fie fi von biefen leiten
Hülfe verfprechen Fünnten.” Herrmann 1. c. p. 15.
2) „Liebe Herren“, hielt ihnen unmuthig der alte Rathsmeifter Friederaun
vor, „habt ihr's wohl angerichtet, jo führt's wohl hinaus.“ Klliger I. c.
|
— 0 —
Hoffnung und Muth nicht verlor und der wegen feiner unge
wöhnlichen Popularität auch helfen zu koͤnnen jchien. Es war
Hans Eberlin von Günzburg). Erſt das Jahr zuvor war diejer
merkwürdige Mann nad Erfurt gefommen, wo er Anfangs
burch den Ernft, womit er, abweichend von feinen Amtsbrüdern,
das loſe evangelifche Leben rügte, Befremden und Mißfallen
erregt hatte?), bald aber als freimüthiger Vertheibiger ber
Bolkzintereflen dem Rathe gegenüber ver erflärte Liebling des
Volkes geworden war. An Eberlin, den er bisher verjchmähet,
wandte fich jebt dev geängftigte Rath. „O Herr”, bat ihn
Hans Koch, „thut an ung als ein Biedermann, ihr möget wohl
helfen!” Uneingevent der vom Rathe erfahrenen Kränfungen, ?)
ſagte Eberlin bereitwillig feine Hülfe zu, begab fich alsbald,
von einigen Rathsherren und Prädikanten begleitet, an ven
Ort, wo ſich der ftäbtifche Pobel zufammengersttet hatte, und
fing an, den Aufftändifchen in's Herz zu reden. Er ſprach
von der Strafbarkeit ihres Beginnend, von der Schmad, bie
dent Evangelium bereitet werde, und ermahnte fie einbringlich,
zu dem jchuldigen Gehorſam zurüdzufehren. „O lieben Freunde“,
rief er aus, „bedenket euch eines Beflern, folget mir, habt ihr
mid) doch allweg getreu erfunden in enern Röthen. Ich will
— — — — — —
1) Die Chroniſten übergehen Eberlin's Verdienſt um Erfurt mit Still⸗
ſchweigen, wohl deshalb, weil ihr Patriotismus einem Fremden das Lob nicht
gönnte, das die Feigheit der Einheimiſchen in ein um ſo grelleres Licht geſtellt
haben würde. Eberlin ſelbſt gibt einen intereſſanten, wenn auch nicht ganz
unbefangenen Bericht über den erfurter Aufſtand in der Schrift: Ein getrewe
warnung an die Chriſten in der Burgawiſchen marck ſich auch füro hin zu
hüten vor aufrur vnnd falſchen predigeren. Johan Eberlein von Güntzburg.
40. s. J. et a. D 35 fi. — Außerdem gab er eine ber in Erfurt gehalte⸗
nen Predigten in Drud: Eyn Sermon zu den Ghriften ynn Erffurt gepredigt
auf den Sontag ber Kreuzwoche 1524, die mir aber leider nicht zu Geficht
gekommen ift.
2) Ein getreme warnung 2. D 3 b.
2) Der Rath hatte ihm fogar die Canzel verboten „um ber Käfterung
Willen.“ Elliger 1. c.
— 210 —
folgenden Ereigniſſe unzweifelhaft. Alle Berichte find einjtim-
mig in dem Lobe der friedlichen Gejinnung, welche die Bauern
gegen die Bürgerichaft an den Tag gelegt. „In der Stabt”,
erzählt Eberlin, „waren die Bauern jo friedlich, daß einer fich
barob verwundern möchte, feinem Bürger geſchah etwas Leides
von ihnen”). Auch Eoban rühmt ihre Mäßigung. „Während
in Thüringen Alles von Mord erfüllt ift“, jchrieb er am
10. Mai an Sturz, „herricht hier in Erfurt die größte Sicher:
heit, nicht einmal ein Kind ift verlegt worden — nur gegen
dag Eigenthum der Geiftlihen und des Erzbiichofes hat man
gewüthet” 2).
Gegen den Erzbiſchof und die altgläubige Cleriſei entlud
fich der ganze Unwille der Bauern. Noch am erften Tage
begann der Sturm auf die mainzifchen Gebäude; die Gericht2-
häufer wurden niebergeriffen, dad Zollhaus zerjtört, die main:
ziihen Wappen zerichlagen. Der mainzische Vicedom Fonnte
nur durch eilige Flucht fein Leben retten. Abends nahmen bie
Haufen nach einer, wie es fcheint, vom Stadthauptmann em-
pfangenen Weifung ?) ihr Quartier in den Moͤnchsklöſtern,
auch verbengt und zugeben, daß fie Kirchen, Klöfter und laufen, auch ben
Erzbifchöflihen Hof, Gerichts, Zoll und Henkers Haus, die Salt Kräme und
fürderd indgemein faft alle Geiftliche und Häufer geftürmt unb geplünbert.
Darüber auch der Nath fich vieler Kirchen, auch der Auguftiner Kirchen und
Carmeliter Clöſter gemächtiget und guten Theil der Kirchen Schäße und
Zierrath zu fi genommen ꝛc. und hat alfo der Ohngehorfam in der Stadt
“Hegen ihre rechte Ober und Erbherrm je länger je mehr zugenommen. —
Deutliche Anfpielungen auf die Schuld des Rathes enthält endlih auch
Eoban's Klagedicht über jene Vorgänge (Farr, I, 50-5), wie an folgender
Stelle, wo er den Rath für die flattgefundenen Berheerungen verantwort:
lih macht:
Viderit hoc, cui sunt urbis commissa regendae
Munera, nos isti est odiosum insistere curae,
Forsitan ille suo se jure tuebitur ordo etc. 1. c. 52.
ı) Ein getrewe warnung ꝛc. D 5 a.
2) Eob. et amic. ep. fam. p. 110.
:) Vgl. Belenntniß bes Dalentin Töberitſch. Herrmann 1. c. p. 14.
— 211 —
während ein Ausſchuß in dem mainzer Hof feinen Sig auf-
Ihlug. Am nächſten Tage kehrte ſich der Angriff der neuen
Klojterbewohner gegen die katholiſche Geiſtlichkeit. Naubluftige
Banden durchftreiften die Straßen, juchten die geiftlichen Woh—
nungen auf, vertrieben ihre Einwohner und begannen zu plün-
dern. Was der ſtädtiſche Pöbel früher noch verjchont, traf
jet die vernichtende Gewalt der Bauern. Wieder waren es
die Wohnungen der Canonifer, die vorzugsweile ald® Opfer
augerjehen wurden. Mehrere Tage dauerte das Unweſen. Was
man an Lebensmitteln und Wein erbeutete, wurde. in dem
mainzer Hofe zufammengefchleppt und dort von den Bauern
in wilden Gelage verpraßt. Auch die Kirchen blieben nicht
verichont. Man beraubte fie ihres papiftiichen Schmuckes, zer: -
trümmerte Bilder und Altäre, nahm werthvolle Kirchengeräthe
ala Beute: aus dem Domjtift allein wurden hundert goldene
und filberne Kelche geraubt. In der ganzen Stadt umher
wurden die Zeichen des alten Cultus vernichtet: nicht einmal
dag Bild des h. Martin, des alten Stabtpatrong, fand Gnabe.
Gleichzeitig fielen die Zeichen der mainzifchen Herrfchaft und
bie letzten Symbole des Fatholifchen Cultus 1).
Alles dies geichah unter den Augen des Rathes, ohne daß
von demjelben irgend ein Verſuch gemacht worben wäre, ber
Zerjtörungswuth der Haufen Einhalt zu thun. Aber nicht
genug, daß der Rath gejchehen Tieß, was zu verhindern bie
Pflicht der Obrigkeit gebot: er machte aus feiner Gefinnung
jo wenig Hehl, daß er ſich ſogar nicht fcheute, ſelbſt an der
Plünderung Theil zu nehmen. Während die Bauern im Dome
ı) Detail geben außer ben Chronifen: Eob. et amic. epp. f. p. 110,
112, 117, die Rectoratsberichte von Remberti und Leuffer (E. U. M. ad a.
1524 u. 25), Eberlin Ein getrewe warnung 2c., Eobani Farrag. I, 50-5,
(eine poetifche Schilderung der angerichteten Verwüſtung) Faldenftein 1. c.,
Loſſius 1. c. 1, 147, Guden Hist. Erf. p. 223, Erhard Ueberl. I, 62 20. —
Man erjieht übrigens, daß es in Erfurt nicht fo unſchuldig herging, wie
Zimmermann Geſch. des Bauernkrieges III, 628 meint.
14 *
— 212 —
— Kelchlefe hielten, nahm er für fich den filbernen Sarg, Der die
Gebeine der Hl, Eobanus und Adelarius barg. Die von den
Bauern erftürmten Fatholifchen Kirchen wurden von ihm fofort
den Evangelifchen überwiefen und der Dom für den evange—
iichen Hauptgottesdienſt beftinmt !). Er freute fich, Durch
den Drang der Umftände entjchuldigen zu Finnen, was auf
eigene Gefahr auszuführen er vorher nicht den Muth gehabt.
Das Yang eritrebte Ziel, die Befreiung der Stadt von
Erzbischof und Papſt ſchien mit Hülfe der Bauern erreicht.
Eine merkwürdige Wendung der Dinge, daß eine Be
wegung, deren erflärter Zweck der Sturz des biäherigen Regi—
ment? war, gerade dem Plane der jtädtilichen Machthaber
dienſtbar wurde, ihre Abftchten beförderte! Es gehörte die ganze
Schlauheit und Gewandtheit des damaligen Patriciat3 dazu,
um ein folches Refultat herbeizuführen. Indeß war es ein
gefährliches Spiel, dad der Rath trieb. Dies follte er bald
erfahren.
Beinahe vierzehn Tage hatten die Bauern in der Stadt
gelegen und zum Nuben und Frommen des Rathes ihr Un—
wejer getrieben, als fich bei ihnen eine bevenfliche Stimmung
gegen den Rath jelbft kundgab. Keineswegs Hatten fie, wie e3
ih im Anfange anließ, ihre alten Befchwerden vergefien:
nachdem der evangelifche Eifer in der Verfolgung der „Bifcho-
fiſchen“ fich abgekühlt, traten jene wieder in ben Vordergrund.
Loſe Buben, Hagt Eberlin, mifchten fich unter die Haufen und
erhöhten die Aufregung burch dag Vorgeben, „die Herrn wären
untreu.” Einige hundert Bauern, die im Peteröklofter Lagen,
jtellten abermals ihre Forderungen in Artikeln zufammen.
Eherlin, der überall zur Mäßigung rieth, machte Gegenvor-
jtelungen, prebigte aber jeßt tauben Ohren. Hans Becke, einer
ver Rottenmeifter, meinte jogar, man bebürfe gar feiner Inter:
1) Lange wurde Domprediger, nachdem Cherlin das Ihm angetragene
Amt abgelehnt hatte. Mob, et amic, ep. f. p. 112,
— 213 —
Handlungen mit den Rathöherren, man müffe „ihnen allen bie
Köpfe hinweg jpringen laſſen“, wie fie es längſt verdient.
Diefen Augenblid benußend, erhob ſich auch die Gemeine,
welche die Annäherung des Landvolks an den Rath ungern
gejehen hatte und indgeheim die Bauern aufgehebt zu haben
fcheint. Handwerker und Landvolk vereinigten ſich zu einer
gemeinjamen Eingabe ihrer Beſchwerden. Am 9. Mai rüdten
Bürger und Bauern vor dad Rathhaus und verlangten unter
Drohungen die Annahme von 28 Artikeln, welche ihre gemein-
famen Wünfche und Beſchwerden enthielten). Abermals
ergriff der Rath ein geſchicktes Auskunftsmittel, indem er, in
ber Verzögerung dag Heil erblickend, Luther und Melandhthon
nebft andern hochgelehrten, gottesfürcchtigen und chriftlichen
Männern nad Erfurt einzuladen verfprach, um durch dieſe bie
eingereichten Artifel mit Zuziehung der Gemeine prüfen und
bewilligen zu Yaffen. Wirklich jchienen die Gemüther beruhigt,
als der Rath, um alles Miktrauen zu entfernen, über feine
Zufagen eine förmliche Urkunde ausftellte?). Schon am fol-
ı) Die 28 Artikel, die nicht, wie Erbarb meint, erſt nad Beendigung
bed Bauernkrieges eingereicht wurden, find zugleich mit Luthers Antwort
mehrmals gedruckt, bei Loſſius 1. c. p. 305, Unfchuld. Nachr. Jahrg. 1723
p. 1025 ff., zulegt De Wette-Seidemann VI, 61 ff. Aus ihrem Inhalt erficht
man, baß die Abfaffung von der Gemeine ausgegangen if, denn hauptſäch⸗
lich find e3 die Beſchwerden ber Gemeine, die berüdfichtigt werden. — Die
„loſen Buben“, welche Eberlin erwähnt, waren auch wohl nur Aufbeker aus
der Gemeine.
2) „Wir Rathsmeifter und Rath der Stadt Erffurtb befennen und thun
fund Öffentlich mit diefem Brieffe: Nachdem fich bie Unfern in allen unfern
Boigteyen, Pflegen, Dorffchafften und Landichaften zufammen gefammelet und
fammt ber Gemein von Vierten und Handwerfern der Stadt Erffurth Uns
etliche Articul, die Frohn, Dienft, Geſchoß, Ungeld, Weidgeld, Hols, Wende,
Wildbahn, Fiſchweſen und anderes belangend, behänbigt und abzuthun, auch
aufzurichten begehrt haben, daß wir biefelbe von ihnen angenommen, zuge:
faget und vermwilliget, die Würbdigen, Hochgelahrten und Wellberübmten Doct.
Martin von Wittenberg und Philippfen von Melanchthon, aud) anbere
hochgelahrte und fonft Gottesfürchtige, fromme, redliche und chriftlide Män-
ner darzuforbern und ſammt den verorbneten von Vierteln, Handwerkern unb
— 214 —
genden Tage erging eine Öffentliche Einladung an die beiden
Häupter der wittenberger Kirche, jchleunigft nah Erfurt zu
fommen und die neue Ordnung der Dinge gründen zu helfen ).
Brivatichreiben von Eoban und Lange unterftügten dag öffent-
fihe Geſuch?). Indeß bald genügte auch dies nicht mehr.
Das Benehmen des Rathes wurde verdächtigt. Es kam zu
einem neuen Tumulte, in dem der alte Rath völlig geftürzt
und ein neuer, aus Volksmännern beftehend, an jeine Stelle
gejebt wurde). Ein Zuftand völliger Anarchie trat jebt ein.
Der neue Rath fcehritt zu den revolutionärſten Maßregeln.
Die wenigen noch zurückgebliebenen Geiftlichen mußten flüchten.
Auch die bisher ald unschädlich noch verfchonten Nonnenkflöfter
traf jetzt das Schieffal der Plünderung. Vergebens erhob ber
wacere Eberlin feine Stimme zu Gunften der Ordnung und
Mäpigung®). Bon Münzer kam eine aufregende Einladung,
an dem Vernichtungskampf gegen die Fürften Theil zu nehmen.
Der Bauern Mebermuth kannte feine Grenzen. Es gab feine
Sicherheit des Eigenthums und der Perſonen mehr. Da end-
ih traf die Nachricht von der Niederlage des Bauernheeres
bei Frankenhauſen ein und brachte ver Stadt Rettung.
Die Nachricht von der Schlacht bei Franfenhaufen wirkte
wie ein Donnerihlag In wilder Flucht brachen auf die
jchredlihe Kunde die Bauern noch an demſelben Tage von
gantzer Gemeine auf forderlichft folches fein mag, dieſelben Articul fürzu-
nehmen, mit Fleiß beratbfchlagen, zu bewilligen 2.” D. D. Dienftag nad
Aubilate (9. Mai). Bol. Motihmann Erf. Lit. 5. Samml. p. 709.
1) Abgedruckt bei Sinnholb: De meritis Martini Lutheri etc. p. 18.
Bel. Corp. Ref. I, 744.
2) Vgl. Eob, et amic. ep. fam. p. 111.
2) Die Einſetzung des neuen revolutionären Rathes muß am 13. ober
14. Mai erfolgt fein, da nach den Chroniften fein Regiment nur brei Tage
gebauert hat und gleich nach ber Schlacht von Franfenhaufen fein Sturz
erfolgte.
*) Er muß in diefen Tagen, noch vor ber Gataftrophe, die Stadt ver:
lafſen haben, da fein Bericht ber letzteren nicht mehr gedenkt.
— 215 —
Erfurt auf. Der neue Rath verſchwand — nur drei Tage
hatte fein Regiment gedauert — der alte trat von felbft wieder
in fein Amt ein. Dann folgte die Reaction. Wie allenthalben
hatte audy in Erfurt dad Mißlingen der Bauernerhebung eine
Erjtarfung der obrigkeitlihen Gewalt zur Folge. Schwer mußte
jet der Landmann für die furze Zeit ausgelaſſener Luſt büßen.
Eine ftrenge Unterfuhung über dad Vorgefallene wurde ange-
ordnet. Bald füllten ich die Kerfer mit Schuldigen und Ber:
dächtigen. Manche vetteten ſich durch Flucht. Die vier Haupt.
räbelsführer wurden nach mehrmaligem Verhör im Auguft auf
der Wagt öffentlich enthaupte. Den ganzen Sommer und
Herbit dauerten die Verhaftungen, Verhöre und Berurtheiluns
gen fort. Da befam der Rath freilich auch Manches zu hören,
über daS er Tieber den Schleier gebecft hätte. „Er habe nie
anders gewußt”, befannte Meifter Joſt aus Tiefengruben, einer
der Rotterrmeifter, „denn daß er durch fein Hereinziehen nad
Erfurt, feinen Herrn, dem dafiegen Stabtrathe zu Dienften
gezogen wäre!" ) Indeß ließ fich der Rath durch dergleichen
Mahnungen in feinem Verfahren nicht beirren. Weber Er-
barmen noch Schonung wurde jebt gegen die geübt, welche
man eben noch als Werkzeuge zu benußen fein Bedenken
getragen. Noch im Laufe der nächjten Sahre erlitten einige
der Unglüdlichen die Todeöftrafe ?).
Und auch für die Gemeine blieben die nachtheiligen Folgen
nicht lange aus. An die Bewilligung der 28 Artikel war jebt
nicht mehr zu denken. Der Rath erachtete fich durch feine
früheren Zufagen nicht mehr gebunden, und machte jest auch
der entmuthigten Volkspartei gegenüber fein Anjehen mit größe-
— — —
1) Herrmann Anecdota p. 21.
2) Das Benehmen des Rathes, der als Richter über ſeine Mitſchuldigen
auftritt, wird indeß dadurch erklärlicher, daß es in demſelben eine Minorität
gab — Adelarius Hüttener, der erſte Rathsmeiſter, und Georg Friederaun
gehörten zu ihr — die von Anfang an dem Bauernweſen feind geweſen.
Möglich, daß jetzt die Minorität auf ſtrenge Beſtrafung drang.
— 216 —
rem Nachruf geltend, als jeit langer Zeit. Die wichtigften
Dienfte leiftete ihm dabei Luther in Wittenberg. Verhin—
dert, der an ihn ergangenen Einladung nad Erfurt Folge
zu leiten, jandte Luther einige Monate jpäter — im Sep—
tember — ein fchriftlicheg Gutachten über die ihm zuge—
ſchickten Artikel, in dem er nicht nur entjchieden für den Rath
Partei nimmt, jondern auch das ganze Benehmen der Gemeine
in den jchroffiten Augdrüden verdammt. „E83 jcheint”, heißt es
gleih im Eingang feines Schreibens, „als feien die Artikel
von denen geftellt, denen zu wohl ift und (bie) ſich gebäucht
haben, e3 ſei Niemand im Himmel und auf Erden, der ſich
nicht vor ihnen fürchte, und wo ich in Erfurt gewaltig wäre,
wolf’ ich der Artikel feinen laſſen gut fein, obgleich etliche gut
darinnen wären, jondern müßten mir, zur Strafe ſolcher uner-
hörter Vermeſſenheit und Frevel, aller folcher Artikel Wider:
ipiel leiden und tragen”). In gleichem Geiſte find die dann
folgenden Bemerkungen über die einzelnen Artikel gehalten.
Einige werben jchlechtweg verworfen, andern jpöttifche Rand:
gloſſen beigefügt, nur wenige finden Billigung, alle aber wer:
den dem Gutdünfen des Rathes überwiefen?). „stem ein
Artikel ift vergejfen”, mit diefer bitter ironiſchen Bemerkung
Ichließt das Gutachten, „daß ein ehrbar Rath nicht? thue, Feine
Macht habe, ihm nichts vertrauet werde, jondern fihe da wie
ein Götze und Zyfra und laß ihm fürfauen von der Gemeine,
1) Bal, De Wette- Seidemann I. c. VI, p. 60. Das Schreiben ift
datirt Donnerſtag nach Lamberti (21. September) 1525.
2) Nur einige Proben. Die im erften Artikel verlangte freie Setzung
und Entfegung der Pfarrer durch die Gemeine wird ſchon im Eingang als
aufrührerifch bezeichnet — freilich nicht ganz im Einflang mit dem früber von
Luther jelbft (Walch X, 1860) den Pragern gegebenen Rathe —, ber vierte
Artikel über „Holz, Wafler ꝛc.“ wird fchlechtweg verneint; zu dem fiebenten
Artikel, „Daß der jetzige Rath Nechenfchaft gebe von aller Ausgabe und Ein:
nahmen” febt Luther fpöttifh Hinzu: „Und daß ja ber Rath nicht Rath ſei,
fondern ber Pöbel Alles regiere.“ Gebilligt aber werben die Artikel über die
Abſchaffung des Frauenhauſes und die Wiederherftelung der Univerfität. —
— 17 —
wie einem Kinde, und regiere alfo mit gebundenen Händen und
Füßen, und der Wage die Pferde führe und bie Pferde den
Fuhrmann zäumen und treiben. So wird’3 denn fein gehen
nach dem Töblichen Vorbild diefer Artikel).
Diefe Antwort des Neformatord nahm den Bittitellern
ihre Teste Hoffnung, vollendete und befeitigte den Sieg be
Rathes auch Über die Gemeine. Luther hat es bewirkt, —
fchließt der ſtädtiſche Chronift feinen Bericht über diefe Vor—
gange — daß die Gemeine unterlag und bie alte Ordnung in
Erfurt wieberhergeftellt wurde ?).
Doch war die Wiederherftellung des alten Zuſtandes Feine
vollftändige. Indem der Rath mit unnachfichtiger Strenge
gegen Bauern und Bürger einfchritt und beide in das alte
Abhängigkeitsverhältnig zurüchrachte, Tieß er nach einer andern
Seite hin dad Reſultat der Bewegung vollftändig beſtehen.
Nicht? von dem, was gegen die erzbifchöflichen Beamten, die
altgläubige Geiftlichfeit und die katholiſchen Kirchen geſchehen
war, wurde geahndet, Feine der an diefen verübten Gewalt:
thätigfeiten wieder gut gemacht. Die vertriebenen Beamten,
Canoniker und Mönche durften nicht zurückkehren, und taub
war der Rath für ihre Vorjtelungen °). Weder in dem Dome,
noch in einer andern der geplünderten Kirchen wurde der katho—
liſche Gottesdienst wieder hergeſtellt. Die geraubten Kirchen:
ichäße blieben, joweit fie nicht von den Bauern verjchleudert
worden waren, im Befibe des Rathes: aus dem filbernen
Sarge des Eobanus und Adelarius wurde Flingende Münze
gejchlagen *).
1) De Mette-Seidemann VI, 68. Loſſius 1. c. 318.
2) Vgl. Hogel ad a. 1525.
3) Val. Eob. ad Sturc. d. d. Idib. Aug. 1525. ,‚‚Canonici et mo-
nachi adhuc omnes exulant, quamvis cogitent et sperent de reditu.‘“
Eob. et amic. ep. fam. p. 106. — Noch im Auguft war alfo Keiner ber
vertriebenen Geiftlihen zurückgekehrt.
+) Sogenannte Sargpfennige, bie noch Tange im Umlauf waren. Bol.
Taldenftein I, 590, auch I, 59.
— 218 —
Man fieht: vollftändig eignete fich hier der Rath die Früchte
der Revolution an. Er ging noch weiter. Nachdem eine lebte
Nachleſe alles geistliche Geräth und überflüffigen Schmud aus
den Kirchen entfernt und dem gemeinen Beften überwiejen hatte,
verordnete ein Rathsbeſchluß fürmlich die Abſchaffung des alten
Cultus in Erfurt und Entjeßung aller Fatholifchen Pfarrer.
Ein neue? Pfarrſyſtem wurde eingeführt, dem zufolge mehrere
Kloſterkirchen in evangelifche Pfarrkirchen umgewandelt wurden ").
Es ergab fich, daß die Anzahl der vorhandenen Gotteshäufer
die Firchlichen Bebürfniffe der Stadt bei weitem überftieg. Eine
ganze Menge, neunzehn an der Zahl, wurden gejchloffen und
ftanden leer. Eine neue, von Lange, dem nunmehrigen Doms
prebiger, entworfene, von Luther beftätigte Kirchenordnung
befiegelte die gejchehene Umwandlung ?).
Im Herbſt 1525 erjchten Erfurt als eine unabhängige und
rein evangelifche Stadt. Der Rath hatte Urjache, mit den
errungenen Erfolgen zufrieden zu fein. Auch die Gemeine fing
an, fih mit dem neuen Zuftande zu befreunven. Klagend aber
ließ fi) Eine Stimme vernehmen: jchwere Anklagen erhob gegen
die Stadt Eoban, al3 Sprecher der Univerfttät °).
1) Schon zu Anfang Juni war dieſe Aenderung vorgenommen, da Eoban
ihrer bereit8 in einem Schreiben d.d. Pfingften gedenft. ‚„‚Templa Mariae
(Dom) Praedicatorum, Minorum, Scotorum, Regularium, Mercatorum,
Augustinianorum, Andreae in parochias sunt redacta. Horae Cano-
nicae prorsus nullae celebrantur, Missarum ritus aboliti, novi insti-
tuti, Culsamerus mortuus est. Verbum strenue praedicatur.‘“ EKob.
et amic. ep. f. p. 118. — Hiedurch geſchah wenigitend einem Wunſche der
Gemeine Genüge, bie in dem erſten Artikel auch eine Aenderung der Pfarren
verlangt hatte.
2) Sinnhold De meritis M. Lutheri p. 18. De Wette I, 36. —
Gleichzeitig ſchrieb Menius „Einen kurzen vnd eunfeltigen Unterricht” über
Taufe und Abendmahl, weil darin „nicht alleyn mit groſſen vnd groben
Vnvorſtandt, ſondern auch mit erſchrecklicher Vnachtſamkeit vnd Vnordnung
gefahren“ worden.
2) Vgl. Idyli. XVII. Erphurdia. De collapso Scholae et Reip.
statu colloquuntur Erysiptolis, Nympha et Hieras fluvius. — Farrag.
II.
Nächſt der altgläubigen Geiſtlichkeit wurde die Univerſität
durch die Ereigniſſe von 1525 am haͤrteſten getroffen.
Wir jahen, wie tief fie bereit? bi zum Sahre 1524 ge-
ſunken war. Vernachläffigt von ihren ehemaligen Gönnern,
auf den Ganzeln verläftert, durch den Abgang von Lehrern
und Lernenden verödet !), war fie faum noch ein Schatten von
dem, was fie einft geweſen, ein Bild, wie Hagend ihre Annalen
ausführen, der VBergänglichkeit irdifcher Größe. Die alten
gefeterten Namen, an die fich vornehmlich ihr Ruhm knüpfte,
waren bis auf wenige verſchwunden. Schon ging in der Terne
dad Gerücht von einer gejchehenen Auflöfung der alten Uni-
verfität Erfurt ?).
Es Hatte eine Weile den Anfchein, als würde der Bauern-
aufruhr dieg Gerücht zur Wahrheit machen und durch raſchen
Tod das traurige Siehthum beendigen. Iſt dies auch nicht
gefchehen, jo wurde doch durch die Vorgänge von 1525 die
Univerfität ihres letzten Zaubers entkleivet und die Hoffnung
nn — — —
1, 50 s4q. Die Abfaſſung dieſes Gedichts fällt aller Wahrſcheinlichkeit nach
in die letzten Monate des Jahres 1525.
1) Die Abnahme der jährlichen Ammatriculationen veranfchaulicht fol-
gende Weberficht :
E3 wurden immatriculirt vom 1. Mai 1520 613 1. Mai 1521 — 311.
» m „ n „ 121 _ „ 4922 — 1%0.
„m " n „ 192 „ „ 13— 7.
„ 1523, „ 14 — 34.
„ n » „ „ 12 „ „ 195 — 4.
„on „ „ „ 185, „ 126 — 21.
" 1526 „ 1527 — 14.
s) Dal. Heumann Doe. lit. p. 303. Jacob Montanus empfiehlt im
März 1525 dem Pirfheimer einen Züngling, ber bisher in Erfurt ſtudirt,
dort aber wegen ber Abrogatio Gymnasi feine Studien nicht mehr fort-
feken könne. —
—
— 220 —
vollſtändig vernichtet, ſte jemals wieder zu ihrer alten Bedeu—
tung erheben zu können 1).
Es wiederholten fich nach dem Einzuge der Bauern zunächſt
die Scenen von 1510 und 15241. Angriffe auf Berjonen und
Eigenthum der. Univerfität gingen, mit den Gewaltthätigfeiten
gegen den Clerus Hand in Hand: fie mußten jchon dadurch
herbeigeführt werden, daß ein großer Theil der Lehrer dem
geiftlichen Stande angehörte, oder als altgefinnt verhaßt war.
Die amtlichen Aufzeichnungen aus diefer Zeit enthalten Nicht?,
als Klagen und wehmüthige Betrachtungen über die von den
aufrühreriichen Bauern verübten Zrevel?). Unſicherheit und
” Verwirrung waren fo groß, daß ſogar die herfömmliche, auf
den 2. Mai fallende Rectorwahl unterblieb.. Eine große Anzahl
Zehrer flüchtete fi aus der Stadt; ihnen folgte der geringe
Reſt von auswärtigen Stubirenden, der ſich noch an der Uni-
verjität befand. Auch Ufingen, der unter allen bisherigen
Angriffen jo mannhaft ausgehalten, wurde in diefen Tagen
feinem Verſprechen, nie in Erfurt den Feinden das Feld räu-
men zu wollen, untreu: nie hat er die damals verlaſſene Stabt
wiedergefehen. — Dad Sturmläuten der Bauern Klang wie
Grabesgeläut für die Univerfität. —
Aber der Sturm währte nicht lange genug, um dad Werk
ver Zerftörung zu vollenden. Der Tag von Franfenhaufen
befreite auch die Univerfität von ihren Bebrängern. Von den
Geflüchteten Tehrten Einige nach hergeftellter Sicherheit alsbald
zurüf. Am 22. Mai jchritt man nachträglich zur Wahl eines
neuen Rectors — aber wohl noch nie war eine Rectorwahl
unter jo geringer Theilnabme gejchehen. An die Spite der
1) Bezeichnend genug hören auch um dieſe Zeit die Halbjährlichen Nector-
wahlen auf. Rembert Remberti war ber Erfte, der das Rectorat während
zwei Semefter verwaltete. Mangel an Bewerbern um bie crite alademiſche
Würbe feheint der Hauptgrund diefer Aenderung geweſen zu fein.
2) Die beiden Rectoratäberichte von Remberti und Leuffer befchäftigen
fich ausfchließlich mit dem Bauernaufftande E. U. M. ada. 1624 u. 1525.
— 221 —
Univerſität trat Anton Leuffer, ein alter, erfahrener Rechts⸗
gelehrter, den indeß weder Alter noch Gelehrſamkeit gegen die
Gewaltthätigfeiten der Bauern geſchützt hatte!). Man fchöpfte
neue Hoffnung: gegen den früheren Zuftand wenigſtens jchien
eine VBerfchlimmerung kaum noch möglich. Namentlich verſprach
man fich Vortheilhaftes für die Univerfität von der Energie,
mit welcher der Rath gegen die Empdrer verfuhr. Allein in
diefer Hoffnung jah man ſich bald bitter getäuscht.
Denn der Reftaurationgeifer des Rathes erftreckte ſich mit
nichten auf die Univerfität und ihre Angehörigen. Vielmehr
jollte auch für fie, wie wir Gleiches bereitß bei dem Klerus
wahrnahmen, die Reaction noch gefährlicher werden, als jelbit
die Revolution. Wie verderblich letztere auch gewirkt haben
mochte, die Abfichten ihrer Leiter waren doch, wie bald zu Tage
trat, keineswegs feindfelig gegen die Univerfität gerichtet, Einer
der am 9. Mai eingereichten Artifel — der dreiundzwanzigſte
in der Reihe — verlangt fogar ausprüdlich, daß „eine Löbliche
Univerfität” wieder in den alten Stand geſetzt werde?). Auf
. 2) „Immodicum ab rusticis passus‘“ heißt e8 von ihm in dem Liber
rationum ad a. 1525. — Seiner Wahl gebenft der Rectoratzbericht (E. U.
M. ad a. 1525) mit folgenden Worten: ‚‚Posteaque paucula pax mem-
bris gymnasii reddita fuerat, non revera postridie divorum Aposto-
lorum Philippi et Jacobi, ut ab antiquo mos erat, sed vicesima se-
cunda Maji anni MDXXV congregatis reliquiis gymnasil in auditorio
celebri B. Mariae Virginis pro eligendo novo Rectore... in annuum
Gymnasiarcham designatus est venerabilis et doctus magister Antho-
nius Leuffer Erfordianus juris utriusque Bacularius, Collega Scholae
Jureconsultorum, Sacerdos Severianus etc.“ Seine Wähler waren
Schoenemann, Ceratinus und Joh. Elliger.
2) „tem, unfere Bitte ift, fürberlih darnach zu trachten, bamit eine
löbliche Univerfität, wie bievor gehalten, aufgerichtet möchte werden.“ De
Mette-Seidemann VI, 66. — Eoban fehreibt deshalb am 10. Mai an Sturz:
„Scholae nostrae Erphurdianae summo conatu omniumque vetis con-
sultum cupit et vult populus et quasi cogit senatum in ea re jam
dudum desidem et cessantem adhibere operam et impensas, ut deso-
lata schola instauretur,““
— m —
ben gemeinen Mann wirkte in ruhigeren Augenbliden immer
noch die Erinnerung an den alten Glanz der Univerfität und
den Ruhm, welchen Erfurt wegen feiner Schule einft im ganzen
Vaterlande genojjen hatte ). Anders dachte die Rathspartei.
Luthers anerfennende Bemerkung zu jenem Artikel — er bezeich-
nete denjelben als den „allerbeiten” — fand bei ihr feine
Beachtung. Was einſt Gegenftand des patriciichen Ehrgeizes
geweſen, wurde jetzt mit mißtrauiſchem Auge betrachtet, ſogar
Acte entſchiedener Feindſeligkeit traten an die Stelle des Wohl-
wollens, welches durch das Beiſpiel der Vorfahren gegen die
Univerſität zur Pflicht gemacht wurde. Klagend berichtet, erſt
einige Tage nach Beendigung des Aufſtandes, Eoban ſeinem
Freunde Sturz, daß er durch den Rath ſeiner bisherigen Ein—
fünfte beraubt worden! ?)
Es war wieder die gegen Mainz gerichtete Unabhängig-
> feitöpolitit des Rathes, der auch dieſes Verhalten gegen die
Univerfität entfprang. Obgleich durch ihre Gründung ber Stadt
angehörig und von dem Nath gefliffentlich immer als „feine“
— Schule bezeichnet, ftand die Univerfität in jenem Kampfe gegen
Mainz doch keineswegs auf Seite ded Rathes. Die Würde
eines „ewigen Canzler3”, welche ihre Statuten dem Erzbifchofe
jicherten, hielten fie immer in einer gewiffen Abhängigkeit von
dem mainzer Stuhle, die in früherer Zeit namentlich durch den
Einfluß der beiden Stifter gefördert worden war ?). Erzbifchof
1) Spuren ber weitverbreiteten Popularität der erfinter Schule finden
wir auch in den VBollsbüchern jener Zeit, wie 3. B. im Reineke Vos. — Wie
4525 fo Hatte das Bolt auch bei der Revolution ded „tollen Jahres“ feine
Sympathien für die Univerfität an den Tag gelegt, indem die neue Regi⸗
mentzorbnung fie in der forgfamften Weife in Schuß nimmt. Bol. Falcken⸗
ftein 1, 535.
2) Eob. et amic, epp. f. p. 118. Natürlich fonnte der Rath Eoban
nur ben Theil des Gehaltes entziehen, den derjelbe von der Stabt bezog.
3) Vgl. Motſchmann Erf, Lit. Zweite Samml. p. 184 fi. Erſte Fortſ.
p. 41. Die beiden Stifter befeßten mehrere Profejiuren, indem Bonifaz VIII.
ſchon 1396 vier Canonicate als Loctoralpräbenden der Univerfität incorporirt hatte.
— 228 —
Albrecht Hatte ſich überdies, als eifriger Beförberer der neuen
Studien, den Danf aller Humaniften verdient). Dazu kam
jest noch das kirchliche AInterefje, welches den Lehrern der Uni⸗
verfität, die größtentheilß dem alten Glauben fich wieder zuge-
wandt hatten, die Aufrechthaltung der frühern Verbindung mit
Mainz gebot. Bedurfte ed noch weiterer Gründe für ven Rath,
um gegen die Univerfität feindfelig gu verfahren!
Unter diefen Umftänden mußte erfolgen, was erfolgt tft.
Erſt durch die Reaction erreichten die Mißgefchiefe der Unis .
verfität ihr volles Maß und die lebten Dinge wurden ärger,
als die eriten. Im Herbit 1525 gewährte die einft jo blühende
Schule den traurigiten Anblick. Der größte Theil ihrer Lehrer
lebte im Eril. Die Anftrengungen der Zurücgebliebenen waren
fruchtlog geblieben. Die Wiedereröffnung ded großen Colle-
giums, welche der eben von feinen Srrfahrten wieder heimge-
fehrte Ceratinus vornahm ?), konnte wohl die alten Zeiten
noch einmal in’? Gedächtniß zurückrufen, fie aber nicht zurück⸗
führen. Verödet und verlaflen ftanden die Hörſääle. Eoban
war faſt der Einzige, der noch regelmäßige Vorleſungen bielt ?).
Magifterpromptionen fanden das ganze Sahr hindurch nicht
— —
1) Coban's Sympathien für Mainz bat bereits Loſſius 1. c. p. 182
wahrgenommen. — Dieſe Verwickelung der Univerſität in die politiſchen Hän⸗
del der Stadt vollendet ihre Erniedrigung: ihre fernere Geſchichte bildet nur
einen Theil der Geſchichte der ſtädtiſchen Parteiungen.
2). Vgl. Loeneysen Series Magnificorum Rectorum continua suc-
cessione ab a. 1392 ad a. 1614. Erf. 1614. E3 a. Die Wiedereröffnung
geſchah ‚‚sundentibus hoc Collegis‘“ am 15. October 1525. Die verfchie:
denen Nachrichten über Geratinus und feine Schidjale im Jahre 1525 (Vgl.
Epp. Erasmi ed. Basil. p. 721. 722, € U. M. ad Rect. Remberti 1525,
Eob. et amic. ep. fam. p. 42, Heumann Doc. lit. 213. 214, Loeneysen
1. e.) find ſchwer in Einflang zu bringen, fo daß man faft verfucht wird,
an ber Sdentität der Perfon zu zweifeln, wogegen ſich indeß eben fo wichtige
Gründe von anderer Seite erheben.
s) „Schola quidem nostra vix meam ei eam valde languidam
vocem trahit.“ Eoban an Sturz. Eob. et amic. ep. fam. p. 106.
— 94 —
mehr ftatt!). Einſt war die Anzahl der Lehrer größer geweſen,
als zu Ende 1525 die Zahl der Studirenden!
Welch' ſchmerzliches Wiederſehen war es, als Camerarius,
damals auf kurze Zeit nach Erfurt zurückkehrend, ſeinen Eoban
in dieſer traurigen Verlaſſenheit fand!?) Traurig verweilten
die beiden Freunde bei der Betrachtung vergangener Zeiten,
die ihnen günſtiger geweſen. Selbſt des Cordus harter Sinn
wurde zur Wehmuth geſtimmt, wenn er aus der Ferne auf
die kläglichen „Reliquien“ der alten Genoſſenſchaft hinblickte *).
Es war in Erfurt feine Stätte mehr für fie. In den
legten Monaten 1525 und in den erften des folgenden Jahres
jehen wir die legten Glieder de3 alten Bundes die Stabt ver:
laffen. Schon im Detober 1525 ſchied Hunus, erſt vor einigen
Monaten von feiner frühern Wanderung zurüdgefehrt, um nie
wieder zurüdzufehren *). Es ſchied Sturz, den es immer \wie-
der nach Erfurt zurücgezogen hatte, zum dritten Mal: die
legten traurigen Ehrfahrungen hatten feine alte Vorliebe fir
die Stadt grünblid) zeritört °). Auch Bonaemiliug, der eifrige
Streiter für die Wiffenjchaft, dem Eoban in feinen Dialogen
ein ehrendes Denfmal geſetzt bat, räumte damals das Feld,
um im fernen Norden, bei Erotu in Preußen fein Glück zu
1) Vgl. Matric, facult, art. ad a. 1525. — ‚‚Roga lector‘‘, flieht
ber fromme Rector Leuffer feinen traurigen Bericht, ‚„„elementissimum deum,
indignitatem nostram mutet omniaque bene vertat, si non in utriusque,
quod discupimus, attamen in interioris hominis salutem.“ EU M.
ad a. 1525.
2) Vgl. Lib. alter epp. Eoh. C3 bh.
s) Vgl. Cord. Opp. 202. Er bezeichnet Lange, von befien Abfall er in
ber Ferne nicht? wußte, Eoban, Petrejus und Hunus als „Nostrae reli-
quiae sodalitatis, postquam cetera dissipata turba est,‘
*) Vgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 107. Auch Hunus war fein Gehalt
entzogen worden. Er unternahm in den nächften Jahren eine Reife nach
Italien und erjcheint fpäter ala Arzt von bedeutendem Ruf in Graz. —
5) Vgl. Eob. et amic, ep. f. p. 6. Er zog fih nad Joachimsthal
auf feine Güter zurüd,
— 225 —
verſuchen ). Endlich verließ auch Eoban's älteſter Genoſſe
Petrejus, durch die letzten Erfahrungen tief gebeugt, die undank⸗
bare Vaterſtadt: wo er ſeine neue Heimath gefunden, wußten
nicht einmal feine nächſten Freunde ?).
Am längiten widerjtand Eoban. Doch endlich brach aud)
fein Muth zufammen. |
Eoban hatte trotz der bitteren Erfahrungen noch längere
Zeit die Hoffnung genährt, daß der Reſtaurationseifer des
Rathes fih am Ende doch auch der Univerfität zuwenden werde.
Um fo größer war fein Unmuth, als er zulegt feine Täufchung
inne wurde’). Mit ganzer Seele hatte er an der Schule
gehangen, deren Ruhm mit dem feinigen innig verfnüpft war:
nun, da fie von ihren natürlichen Beſchützern völlig preisgegeben
wurde, gab auch er fie auf. Die Stadt war ihm fchon längſt
verleidet; die Tumulte des Poͤbels, die Räuke des Raths ver-
legten die Seele des harmlojen Gelehrten auf’3 tiefite ): jebt
wurde ihm dag Leben in Erfurt. vollends unerträglih. Bon
feinen treueiten Freunden ſah er fich verlaffen. Armuth und
1) Schon im März 1526 erjcheint er bei Crotus in Königeberg. Tert.
lib. epp. F 3 a. — Bon ihm fagt Eoban (Epp. fam. p. 233), daß er
geweſen fei: Armatus in amusos, dentatus adversus ineruditos decla-
matores.
2) Eoban vermuthete ihn im Herbſt 1526 in Würzburg, im Dienſte des
Biſchofes. Lib. nov. epp. CA b.
2) „Satis video“, ſchrieb er am 23. October an Sturz, „quorsum
attineat ista tam praeclara instauratio, eo scilicet, ut nihil demum
sit, quod instaurari possit amplius. A nobis incoeptum est Sturciade,-
nam, ut scis, excidimus et ipsi salario praetoriano.‘‘“ Eob. et anıic.
ep. p. 9.
*) Klagen darüber finden fich ‚namentlich in der ſiebeniehnten Idylle,
aus der hier nur eine Stelle:
Et memini et meminisse dolet, quia nulla supersunt
Temporibus nostris priscae vestigia laudis,
Usque adeo concessit amor probitatis et aequi,
Inque locum subiere nefas, dolus, arma, libido,
Insidine et victae expultrix discordia pacis, -
Eob. Farr. I, 51.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. IL Theil. 15
Dürftigfeit waren fein 2008 und wurden von Tag zu Tag
drüdender *). Sein Entſchluß war gefaßt: nicht länger mehr
an dieſem Drte des Jammers zu verbleiben.
Schon gegen Camerarius hatte er, bei deſſen Anweſenheit,
den Wunſch geäußert, ein Lehramt in Nürnberg zu übernehmen,
wo eben damals der Rath eine höhere Stabtichule zu gründen
beabfichtigte. Sein Wunſch blieb nicht lange unerfüllt. Vor⸗
nehmlih durch Melanchthon's weitreichenden Einfluß geſchah
es, daß die Wahl des nürnberger Rathes auf Eoban fiel.
Unterhandlungen wurden mit ihm angefnüpft und führten raſch
zum Ziel. Noch vor Ablauf des Jahres 1525 erklärte ſich
Eoban zur Annahme des ihm unter jehr günftigen Bebin-
gungen augetragenen Lehramtes bereit?). Bon Seite des
erfurter Rath geſchah Nichts, um den ehemals gefeierten Leh—
ver zurüdzuhalten. — Am erften Mai de folgenden Jahres
verließ Eoban nicht ohne Wehmuth die Stabt, an die ihn die
theuerften Erinnerungen fnüpften. Doc die Theilnahmlofigfeit
und Kälte derer, von denen er fchied, und die Augficht auf eine
befjere Zukunft halfen ihm den Abſchied erleichtern °).
Mit Eoban’3 Abgang war die lette Hoffnung der Uni-
verjität geichwunden. Nur mit Mühe bewahrten die wenigen
zurücdbleibenden älteren Lehrer fie vor völliger Auflöfung, und
ı) Vgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 121, 115. Lib. alt. epp. C5 a.
Er lebte faft ganz von der Mildthätigfeit des Sturz. Nachdem ihm der
Math feinen Gehalt entzogen hatte, reichten feine übrigen Einkünfte, feiner
eigenen Angabe zufolge, kaum für Waſſer und Brob Bin.
2) Er nehme die Stelle an, erflärt er in dem Schreiben an den nürn⸗
berger Rath, „‚quoniam et ego tota vita nullis aliis in rebus praeter
litterarum studils versatus sum et in hac nostra civitate fatali (opi-
nor) horum temporum tumultu minus florent.‘“ Eeb. et amic. epp.
fam. p. 38.
3) Wie fehr indeß auch jebt noch fein Herz an Erfurt hing, zeigt ber
Brief, den er ſchon am Tage nad) feiner Abreife, von Arnftabt aus, an ben
zurüdgebliebenen Gröningen ſchrieb. Kaum habe er fich, gefeht er dem
Freunde, geftern ber Thränen erwehren fönnen. Vgl. Narratio de Eob. et
epistolae P A b.
— 9 —
pflanzten noch Maternus, Groͤningen und Herebold die alten
Traditionen fort ?).
DL
Mar es ein Spiel des Schickſals, daß faft in den nämlichen
Tagen, als Eoban von Erfurt aufbrach, der Mann, mit befien
Namen der nun völlig zu Grabe getragene Ruhm der Univerfität
auf das innigfte verfnüpft war, aus dieſem Leben abgerufen wurde?
Wenige Wochen vor Eoban's Abreiſe ftarb Conrad Mutian,
der Vater des erfurtiihen Humanismus. Bitter und kummer⸗
- vol waren feine Ichten Tage: wohl Keiner hat den herben
Wechſel fchinerzlicher empfunden, als er. Widmen wir ihm
an diefer Stelle noch einen Augenblick unjere Aufmerkſamkeit.
Unfere Erzählung verlieh ihn, als noch die Tutherifche
Bewegung unmwiderftehlic, Alles mit fich fortriß. Auch Mutian
war nicht zurückgeblieben. Jene merkwürdige, innere Umwand⸗
lung, die noch während ber reuchliniichen Fehde mit ihm vor—
gegangen, hatte zwar feinen frühern gehäfligen Ausfällen gegen
Kirche und Elerus ein Ziel gejeßt, feine Seele milder und
ruhiger gejtimmt?), aber ihn keineswegs zu einem Freunde
der alten Kirche gemacht. Luther? Auftreten begrüßte er als
bie Morgenröthe einer Firchlichen Wiedergeburt und mit Teb-
ı) Eoban's engerem Kreife gehörten die Genannten nit an. — Coban
Draco, der am Tage nad) Eoban's Abreife zum Rector gewählt wurde, war
kaum zu bewegen, biefe Würbe anzunehmen. Ueber feine Amtsführung
berichtet er felbft: „„Hanc Monarchiam inter haee longe horrendiss.
Christianae reipublicae pericula perpetuo anno ita ut potuit, dum
quod maxime vellet minime liceret, administravit, ut animum saltem
suum in remp. litterariam Aequum et amicissimum et minime ignavum
testaretur.‘“ €. U. M. ad a. 1526.
2) Doch tritt die alte Spottjucht auch nach jener Umkehr noch einigemal
bervor, fo in bem von Förſtemann mitgetheilten Briefe an Jonas d. d.
Quintil. 1517 (Vgl. Neue Mittheil, des thür. ſächſ. Vereins Bd. II. H. IV.
©. 162) und noch mehr in den noch ungebrudten (auf ber Königl. Bid. in
Münden befindl.) Briefen an Lange, mit bem er 1517—%0 in lebhaften
Briefwechfel fand. — 0
‚15°
— 228 —
haftem Beifall verfolgte er ſeine erſten Schritte. Luther wurde
der Mann ſeines Herzens, wie einſt Reuchlin. Daß ſich dem
Myſtiker der humaniſtiſch gebildete Melanchthon — der es nicht
verſäumt hatte, dem gefeierten gothaiſchen Canoniker alsbald
ſeine Huldigung darzubringen — als Gehülfe beigeſellte, erhöhte
noch ſeine Theilnahme, ſteigerte ſeine Hoffnung !). Wir haben
bereits erfahren, von welchem Einfluß ſeine Geſinnung auf die
Haltung feiner Schüler war. Er ſah es gern, wenn Jünglinge
aus feiner Umgebung nach Wittenberg gingen, um dort an der
Duelle des neuen Leben? jelbft zu trinken ?). Freudig vernahm
er die Nachrichten, welche ihm jein treuergebener Spalatin vom
hurfürftlichen Hofe über den Fortgang der guten Sache zufome
men ließ ?). Und al Friedrich der Weife im Anfang 1521
bei Wiederbejegung der durch Goede's Tod erledigten Präpo—
fitur am Allerheiligenftift Mutian's Rath einholte, va empfahl
diejer gerade denjenigen unter feinen Schülern, der fich vor
Allen durch feinen Eifer für Lurher bervorthat, den jungen
Juſtus Jonas; als Luthers Liebling, als ein zweiter Luther
ſchien Jonas ihm der Würdigſte +).
Indeß auch Mutian's Lob ſollte bald verſtummen und
Bitterer Unmuth der anfänglichen Begeifterung folgen. Schon
im Laufe des J. 1520 waren Bedenken- in ihm aufgeftiegen °),
1) Wie fehr ihn Melanchthon eingenommen, unb wie große Hoffnungen
er auf benfelben fette, zeigt fein Brief an Menius d. d. 8 Id. April 1519.
„Scripsit (Melanchthon) ad me nuper dissertissime, et quod summae
voluptati mihi fuit amicissime, Vidi, vidi, vera esse, quae in annota-
tionibus Evangelicis de hoc juvene Suevo Erasmus praedicat: Nihil tam
abditum in litteris, quod hunc praetereat.‘“ Xenbel Bel. epp. Mut. p. 36.
2) Vgl. Mut. ad Men.1. c. p. 37.
2) Bol. Tert. lib. epp. D2a,C5au.a.
*) Bol. Mutian’3 Empfehlungsfchreiben an den Churfürften d. d. Cal.
Mart. 1521 im Corp, Bef. I, 391, wo aud fein Gratulationzichreiben an
Jonas, ber die von Mutian felbft abgelehnte Stelle wirklich erhielt. Der
Ehurfürft Hatte ihn Schon am 12. Febr. dringend gebeten, Goede's (F 21. San.)
Stelle felbft zu übernehmen. Tentzel Rel. epp. Mut. p. 36.
*) Vol, Epist. Croti ad Luth. d. d. Erf.w. Dec. 1520. Unfdulb,
— 9 —
ſie mehrten ſich im folgenden und ſteigerten ſich noch vor
Ablauf dezjelben bis zu einer vollftändigen Verwerfung des
Zutherihen Unternehmens. Luther? Angriffe jchienen ihm zu
verwegen, die ganze Bewegung zu revolutionär, zu radical.
Statt der gehofften Reformation fand er gewaltfamen Umfturz,
unabjehbare Verwirrung. Er mißbilligte das Heraufbejchwören
ver Keidenjchaften des großen Haufen? und fand, daß wahre
firchliche Neformatoren noch niemals eine jo Teidenjchaftliche
Sprache geführt hätten, als Luther; er war keineswegs über-
zeugt von der Nothwendigfeit eines vollftändigen Umfturzes
der alten Kirchenverfaffung, wie ihn Luther lehrte. Erſchreckt
durch den Abgrund, den die Zerjtörungzluft der Neuerer vor
ihm eröffnete, zog er fich zurüd. Noch nie zuvor war ihm bie
alte Kirche, die Religion der Bäter jo ehrwürdig erichienen, als
ießt, wo fich Alles zu ihrem Sturze vereinigte Er brach mit
Crotus und Lange, wie er früher ſchon mit Hutten gebrochen. Er
wandte jich ab von Luther, deſſen Berirrungen er beflagte. Sein
Entſchluß Stand feft: troß ihrer Mängel bei ver Mutterfirche zu
verharren, gegen die er früher jo wenig findlichen Sinn gezeigt").
Nachr. Jahrg. 1723 p. 708. Doch erflärt er noch einige Monate fpäter in
einem Briefe an Lange die Gerüchte über feinen Abfall von Luther, unter
Hinweifung auf feine bisherige Haltung, für falih. ‚‚Adeone umgo0opoı
sunt molitores isti rerum novarum, ut credant Lutheranis inimicum
esse Rufum? — Ego sum vester.‘‘ (M. ©. ver Kgl. Bibl. in Münden.) —
1) Sehr naiv fpricht fich fein Landsmann, der heſſiſche Chronift Lanze,
über feine Firchliche Haltung aus: „Vnd boruber ſich wol zu verwundern
were, ob er gleich die gnadenreiche zeit neben vielen andern auch erlebet, in
welcher Gott der Herr fein heyfiges und allein feligmachenbes Euangelium
ben Teutſchen offenbaret, und er borzu auch one das etlicher mafen verſtan⸗
den, das ber rechte Gottesdienft gefallen, und er derwegen folichem eingerifje-
nen falfchen Gottesdienft und Aberglauben fpinnen feind geweſen zc. (folgen
einige Beifpiele). So hat er erzaltö unangefehen doch folcher Iere nicht gant
wollen beifallen, fondern wenn er ven andern deßhalb angefprocdhen vnd befragt
worden, bat er nihe anders geantwortet, wider Tu videbis, du wirft es ſelbs
fehen vnd erfahren, dorbey hat er’& bleiben laſſen. So babe ih auch in fei-
nem Ambrofio fouiel gefunden, das Ime das erfte heftige fchreiben D. M.
Luthers mipfallen. Den wo fich ber angezogene Biſchoff gelinder vnd mefliger
— 0 —.
Seitdem aber verlebte er traurige und fummervolle Tage.
Diefe letzte herbe Enttäufhung ſchien Muth und Kraft voll:
ftändig in ihm gebrochen zu haben. Seine eigene VBergangen:-
heit Yaftete jchwer auf ihm. Blickte er auf fein früheres Leben
zurüd, dann mußte er fich gejtehen, daß er jelbjt die gegen:
wärtigen Sreigniffe hatte vorbereiten helfen. Dieſer Gebante
verbitterte feine Tage und vaubte ihm die Zuverficht und Freu—
digkeit, womit Gefinnungdgenofjen von ihm damals für die alte
Kirche in die Schranken traten. Einſt hatte er bloß aus grund:
Iofer Scheu ſchriftſtelleriſches Auftreten gemieben: jet ſah er ſich
auch durch die Frucht feiner Thaten zum Schweigen verurtheilt.
Zwar verließ fein hoher Gönner, Friedrich der Weife, ihn
auch jeßt noch nicht. Ebenſo blieb Spalatin, des Churfürften
vertrauter Rathgeber, ſeinem Lehrer in unveränderter Liebe
zugethan. Uber Mutian wich ängitlich allem Verkehr mit
Wittenberg aus. Spalatin’3 freundliche Briefe ließ er unbe-
antwortet und gleiches Schweigen beobachtete er gegen den
Churfürften ſelbſt. „Fortwährend quält und böjer Argwohn“,
Ichreibt ihm Spalatin einmal, fichtlich betrübt, „jo lange du
bei diefem Schweigen gegen unſern gütigen Fürſten verharreit,
der von ſolchem Wohlwollen gegen dich durchdrungen ift, daß
er dir Alles, wa3 du nur wünjcheft, gewähren würde. — Du
glaubft es kaum, wie gern der Churfürft von dir Tpricht, wie
wort gebraucht, da hat er mit feiner hand allenthalben binbeigezeichnet, Uti-
pam sic fecisses Lutherus Doraus fteht wohl abzunemen, was Inen
aufgehalten vnd verhindert habe. Ob er aber darzu fug vnd recht gehabt,
befehle ich mehr wifjenden zu vribeilen.” Vgl. Lauze's Chronik in der Zeit:
ſchrift des Vereins für Hell. Geld. 2. Suppl. 2. Theil, J. p. 121— 22.
Etwas anders urtheilt ein zweiter, ebenfalls Mutian naheftebender Zeitgenoffe,
Georg Wicel, ber ihn (in der: Apologia das ift ein vertedigungsrede Georgii
Wicelii widder feine affterreber die Lutheriften. Leipzig 1533) zu den großen
Männern rechnet, bie wie früher Tauler, Gerjon, Alliaco, Wefel und fpäter
Reuchlin, Erasmus, Beatus Rhenanus 2c. zwar bie Mängel ber Kirche erkannt
und gerügt, aber um bed Mißbrauchs Willen ben Brauch nicht aufgegeben
hätten. Vgl. auch Sedendorf 1, c. p. 57, 231,
— 2831 —
ſehr er dir gewogen ift” *). Aber Spalatin's Vorſtellungen blieben
fruchtlos. Selbft, daß der Churfürft ein eigenhändiges Schreiben
an ihn richtete und um Antwort bat, hatte feine Wirkung ?).
Auch von der wittenberger Univerſität wurde Mutian
troß feines Abfall3 Anfangs mit fchonender Rückſicht behandelt.
Dean Hütete fich, unnöthigerweile einen Mann herauzzufordern,
bejfen Anfehen noch immer groß war. Luther hatte mit Eras⸗
mus, Mutian's Genofjen im humaniſtiſchen Triumvirat, bin-
länglich zu thun. Melanchthon, ven die perjönliche Hochachtung
gegen Mutian nie verließ, wagte einmal jogar noch die Bitte
an ihn, mit feinen archäologiſchen Kenntniffen Luther’ Bibel-
werke zu Hülfe zu kommen ?).
-Daran: war indeß nicht zu denken. Denn der Gang, den
bie Reformation der Wittenberger nahm, entſprach jeinen Wün-
jchen immer weniger. Er ſah auf den Canzeln robe, unwiſſende
Mönche, daS Volk mit blinden Fanatismus gegen die Gegen:
ftände früherer Verehrung erfüllt, die Bande der Ordnung. und
Sittlichfeit zerriffen. Eine neue Barbarei glaubte er im An-
zuge, noch ſchlimmer, al3 die überwundene, Mit tiefem Schmerz
1) Spalatinus eruditissimo viro D. C. Mutiano Rufo Doctori et
Canonico Gothensi suo patronv et praeceptori colendo, d. d. prid,
feriar. Paschal. 1523 ex arce Coldensi. — Tert. lib. epp. D3 a-b.
2) „Saepe miramur, KEximie Doctor, singulariter nobis. dilecte,
quid causae sit, quod tam diu nihil prorsus ad nos dederis literarum.
Neque enim latere te potest, quam praecipua semper in te voluntate
fuerimus. Quapropter gratum nobis feceris, si nihil veritus, postkac
ad nos crebrius scripseris, atque aliquandiu hactenus feoisti. —
Reverendo nobis singulariter dilecto devoto D. C. Mutiano Doct,
Canonico. Gothensi d. d. ex arce Colditz vigil. resurr, Dom. 1523. —
Tert. lib. epp. C 3 a.
2) Vgl. Corp. Ref. I, 570, 571. — Er erbat fi, (Mai 1522) von
Mutian Auffchlüffe Über bibliſche Numismatik. — Auch Mutian bat ben
Melanchthon immer geſchätzt: er meinte, daß Luther feine Berühmtheit guten:
theils dieſem verdanke. Die Art und Weife, wie er Melanchthon über Luther
ftellte, hatte, wie man aus bem Briefwechfel mit Lange erfieht, fchon früh in
Wittenberg Anſtoß erregt. —
_ 282 —
erfüllte ihn vor Allem der Anblid de traurigen Verfalls in
Erfurt, an welcher Stadt er auch jebt noch mit ganzer Seele
hing. Zerftört waren bort bie Früchte jeines vieljährigen Wir-
tens, Tärmende Prädikanten herrſchten als die Helden bed Tages,
feine alte Jüngerfchaft war zerjtreut, zum Theil jelbjt von dem
Strome der neuen Meinungen mit fortgeriffen. Das beugte
ihn tief. Wohl richtete er noch an Eoban Worte bed Troſtes
und ermahnte ihn, wie den umherirrenden Camerarius, mit
ungebrochenem Muthe an den alten Beftrebungen feftzubalten ").
Aber er ſelbſt beburfte des Troſtes am meiften.
Den ganzen Kummer feiner Seele jchättete er in einem
Schreiben an Erasmus aus, welches diefem im Frühjahr 1524
durch Martin Hunus überbracht wurde. „Wohin“, ruft er
aus, „wohin bie Verwegenheit und der unfelige Düntel noch
führen werden, ich fehe es nit. — Möge ung geitattet fein,
nach Weiſe unferer Väter Chriftum zu vwerehren und und rein
zu bewahren. Weiteres darüber kann dir Hunus mittheilen,
mein Freund und ein Mann von guter Gefinnung — Er
haßt die Sache des Aufruhrs und jene Böfen, deren Stachel
du jet fühlt. Er weiß, daß Luther Ruhm einzig durch
Melanchthon fteigt. Er kennt Huttens VBerwegenheit. — Jonas,
Schalbus, Draco, Crotus find von unferm Bunde abgefallen
und zu den Lutheranern übergegangen. Eoban iſt durch meine
Ermahnung wieder zur Einficht gefommen. — Mögen Andere
fih ein Geſchäft daraus machen, Menſchen zu verleben. Ich
fann dieje fanatifchen Steiniger nicht lieben. Vergebens wer:
den fie ermahnt. Ihre Wuth gleicht jener der Raſenden“ ?).
1) Tert. lib. epp. D 8 a. „Sane horror quidam ingruit alterius
tempestatis. Sed non est temporis istud vitium, hominum est.‘
2) Mut. ad Erasın. d. d. Gothae instant. Cal. Mart. 1524. Algebr.
bei Bursch. Spicil. XIII p. 12 sqq. Leider nicht ganz volftändig. — Statt
Crotus findet fi im Tert Crocus, offenbar ein Irrthum, der durch die Achn:
lichfeit beider Namen entftanden iſt. Crocus gehörte nie zu ber Erfurter
Sodalitas. von der hier Mutian fpricht, und war um biefe Zeit nicht einmal
mehr in Deutfchland.
— 3 —
Zu allen andern Schmerzen fügten feine lebten Lebens⸗
jahre noch den Drud ungewohnter Armuth. Schon feit dem
Sahre 1521 waren feine ohnehin nur mäßigen Einfünfte un-
volitändig eingefommen 1). Das zahlungspflichtige Landvolk
verfagte auch ihm unter dem Schuße der evangelifchen Freiheit
bie bisherigen Leiftungen. Es ſchützte Mutian nicht vor dem
Schiefjal feines Standes, daß er bei Erhebung feines Einkom⸗
men? biöher immer mit Milde und Nachjicht verfahren ?).
Seit dem Ende de J. 1522 fing er an, Mangel zu leiden.
Seine Lage wurde noch mißlicher, als auch der Stabtrath in
Gotha alte Feindjeligkeiten gegen das Stift wieder auffrijchte.
Zwar enthielt der unter churfürftlicher Vermittelung im Früh—⸗
jahr 1523 zwiſchen Rath und Capitel abgejchloffene Vertrag,
ber dem letteren großen Abbruch that, gerade in Beziehung
auf Mutian’eine mildernde Elaufel*), aber feiner Noth war
damit nicht abgeholfen. In diefer traurigen Lage brach er
endlich das jo lange gegen den Ehurfürften beobachtete Schwei⸗
gen, um dieſem feine Noth zu Elagen. Der theilnehmende Fürft
verfprach Hülfe und Beiltand, fandte eine Geldunterftübung
“ und fuhte nach Kräften die Reiven des tief gebeugten Greiſes
zu lindern). Allein neue Trübfal brachte dad Sahr 1524,
als der gothaifehe Pöbel, aufgeftachelt von den Prädikanten,
die Wohnungen der Stiftögeiftlihen erftürmte und plünderte,
wie brei Jahre zuvor die Erfurter ’). Seitdem geftaltete ſich
) Bol. Tentzel Rel. epp. Mut. p. 77. .
2) Det dimidium et liber erit fagte er wohl von einem Schuldner.
M. B. ©. f. 266 b. Sein Grundfaß war Vitae necessaria habere sat
est. 1.c.f3 a.
2) Der Vergleich findet fich abgebr. in Tentzel Suppl. histor. Goth. II.
p. 715--21. Neben Mutian erhielt auch der Stiftäbechant Gerhard Marichalt
diejelben Vergünftigungen „in anfehung bed fie Ir weßen bey Inen wol
berbracht und vnnſere Diener ſeindt.“ 1. c. p. 719.
*) Bgl. Tert. lib. epp. C 2 a.
>) Tentzel Suppl. hist. Goth. II. p. 732. „Anno 1524 cresoente
Sacrificulorum impurissime concubinatu Concionatores quidam Evan-
— 234 —
ſeine Lage immer trauriger. Seine Habe hatte er zum größten
Theil eingebüßt. Seine Einkünfte reichten nicht mehr zu dem
Allernothwendigſten hin. Die churfürſtliche Unterſtützung blieb
aus. Ein Mißgeſchick folgte dem andern, bis endlich während
des Banernfrieges Noth und Elend ven höchiten Grad erreichten.
Mitten unter den Stürmen des Bauernkrieges, in den
legten Tagen ded Monat? April, richtete er jenes weheklagende
Schreiben an den Ehurfürften, das den vollftändig gebrochenen
Muth des Greiſes erkennen läpt!). „Mein Herr und mein
König”, beginnt fein Schmerzendruf, „meine Seele ift betrübt
43 in den Tod. Sp gewaltfam, fo unmenfchlich, fo graufam
verheert und verwüſtet die rohe Bauernrotte Gottes heilige
Tempel, ohne Zucht, ohne Geſetz, ohne Gottesfurdt. — Ein
klägliches Schaufpiel gewähren die umherirrenden Nonnen, die
obdachlofen Priefter, durch die Furcht vor den tempelräuberifchen
Rotten aus ihren geheiligten Wohnungen vertrieben. Ich ſelbſt,
elend und dürftig, muß jeßt im Greifenalter mein Brod betteln.
Kummer und Noth werden mich in's Grab bringen.” Doch
nicht auf ihn und den geiftlichen Stand, fährt er, höchft merf-
würdig, fort, werde ſich das Verderben bejchränten, auch die
weltliche Obrigkeit werde es erreichen. Denn durch glaubwür⸗
dige Mittheilungen wiffe er, daß die, welche ven Aufruhr ins⸗
geheim leiteten, die Reich3ftädte, unter Mitwirkung der Juden,
auf einen völligen Umsturz des ganzen Reiches hinarbeiteten
und, nach Bejeitigung der Fürften, Republit und Volksherrſchaft
einzuführen trachteten ?). Schwere Zeiten, ahnt ihm, werden
gelici Gothae in sermonibus sacris dixerant: incipiendum esse a ınonte,
ubi Canonici habitahant, et omnes meretrices evertendas urbeque pel-
lendas. Plebs haec sici dicta putahat etc.“ Sagittarius (Hist. Goth.
p. 51. 423) jeßt den Vorgang irrig in das Jahr 1522.
1) Zuerft abgebr. bei Hekelius Manipulus primus epist. sing. p. 71
sqq. Dann bei Tentel Bel. epp. Mut. p. 75 sqg. Das Schreiben ift datirt
Donnerftag nad) Quasimodogeniti (27. April) 1525.
2) „Men ingenua simplicitas studiis tranquillimis dedita non po-
— 235 —
über Deutſchland hereinbrechen und kaum werde der Ruin fei-
ner alten Verfaſſung abzuwenden fein. So habe aber Alles hie
nieden, tröftet er fich, feine Dauer und fein Ende!!) — Be
dieſem düftern Blicke in die Zukunft hat er für fich nur noch
den Wunfch, daß es ihm vergönnt werde, den geringen Reit
feiner Tage in befcheidener Ruhe und zurücdgezogen von dem
wirren Treiben der Zeit an dem Orte feiner „Ruhe“ zu ver:
leben. Gern will er mit dem Allernötbigften zufrieden fein.
„Ich Liege zu deinen Füßen“, fleht er den Fürften an, „und
rufe deine Barmherzigkeit anı In deiner Hand iſt mein Heil.
Sch will ein Denkmal meines Dankes ſetzen, der Nachwelt will
ich. es verkünden, daß ich die Unterftügung des frommen Friebrid)
genoſſen habe.“
Es ſcheint nicht, da Mutian’3 Klageruf noch zu dem Ohr
des fterbenden Fürften gebrungen ift. Friedrich der Weiſe ver:
ließ wenige Tage fpäter, amd. Mai, das Zeitliche. Sein eifrig
lutheriſcher Nachfolger hatte Mutian nie große Theilnahme
bewiefen. Sp bfieb dieſer Hülflos, der bitterften Noth preiz-
gegeben ?). Noch fait ein volle® Jahr Hatte er fein hartes
Geſchick zu tragen. Von feinen alten Freunden fah er damals
noch Urban, den treu gebliebenen Eifterzienfer, der, durch den
Bauernaufruhr aus feinem Klofter Genrgenthal vertrieben ?),
tuit aliquid mali suspicari, etsi ex litteris et sermone prudentissimo-
rum cognoscerem, Imperii civitates occultis insidiis et dolis per spe-
ciem Kvangelii instigare rusticam multitudinem, et miris artibus, ad-
Juvantibus Judaeis, conari extinguere principaleis et illustreis familias
et una cum Kpiscopis opprimere velle non solum Episcopatus, sed etiam
Principatus .omnes, ut scilicet exemplo Venetorum et antiquorum Grae-
corum popularis status ei democratia praevaleret.‘“ Tentell. c. p. 75. 76:
!) „Neque enim vis imperitae multitudinis semel excitata cohiberi
facile poterit. Novi rerum humanarum vicissitudines, Novi incursus
fortunae variantis. Ompnia habent suum circulum, suum fatem, suum
interitum.‘“ 1. c. p. 76.
2) „„Mutianus misere eget, Urbanus incerto rerum statu fluctuat.‘‘
ſchreibt Eoban an Sturz 2. December 1525. Eob. et amic. ep. fam. p. 121.
2) Vgl. Thuringia sacra. Fref. 1737. p. 548. Das Jahr zuvor (1524)
— 236 —
nun dem ſchwer Heimgeſuchten als ein willkommner Tröſter
erſchien. Mit Urban hatte er vor dreiundzwanzig Jahren jene
wichtige Annäherung an Erfurt begonnen: der Erſte und Ael—
tefte jeine® Bundes, jollte Urban auch der Letzte fein, ver ihm
zur Seite ftand. —
Schon feit Tängerer Zeit war Mutian’3 Geſundheit ange-
griffen. Sein fchwächlicher Körper!) war fo fchweren Heim-
ſuchungen nicht gewachfen. Die Iebten traurigen Creigniffe
x
hatten vollends feine Kraft gebrochen. Im Frühjahr 1526
befreite ihn der Tod von allen feinen Leiden. Der Todestag
bed Herrn, der zuleßt jein einziger Troft geblieben, war auch
der feinige: er ftarb Charfreitag, ven 30. März, in chriftlicher
Ergebung. „Chriftus blicke gnädig herab auf Deinen Diener“
waren bie lebten Worte, welche man von ihm vernommen hat ?).
-.
hatte außer Micyllus (vgl. Sylv. libr. V. p. 209) aud noch Camerariug
mit Melanchthon u. X. Mutian befucht. Damals ſchon lebte Mutian in fo
bürftiger Lage, daß er die Befuchenden nicht mehr aufnehmen konnte. Val.
Tert. lib. epp. D7b.
1) Er litt faft fein ganzes Leben an einem fehr ſchmerzlichen Magenübel,
gegen das alle ärztliche Hülfe vergeblih war. Vgl. M. B. ©. fol. 262 a,
273 b. Xentel Suppl. I, p. 29.
2) Vgl. Amoenitates literariae Tom. IV, p. 430. „Haec ultima
hominis vox fuit: „O Jhesu respice famulum.‘‘ So Spalatin nad) dem
Bericht eines Augenzeugen. Aehnlich Crotus: „Ingravescente infirmitate
nedum diem sed ferme mortis horam praedixit. Quo appetente jussit,
recitari Psalmos aliquot consolatorios, nunc aliquid ex epistolis Pauli
de Christi beneficio, nunc de resurrectione mortuorum. Precabatur
quandoque constantiam, mertis contemtum, cessante lectore, nulla
audiebatur aoxietas, nulla fiebat corporis hinc inde jactatio. Divino
auxilio domuit acerbitatem moriendi. Fertur dixisse: ‚‚Christe mise-
rator respice ad servum tuum‘ et paulo post ‚‚Fiat voluntas tua‘‘
atque haec ultima vox fuit. Dein obdormivit habitu corporis com-
posito in modum sopiti, non mortui.“ — Crot. ad Camerar. in Tert.
libell. epp. F 4 b. — Daß in Wittenberg baneben aber noch andere Ge:
rüdte über Mutian’3 Ende in Umlauf gefebt wurben, erfieht man Corp.
Ref. I, 912 und ohne Zweifel hat Crotus die Wittenberger im Auge, wenn
er 1. c. jagt: „Ad uuntium mortis ejus quidam gravissimi scilicet ho-
mines suspenso naso suhriserunt.“‘
_ 37 —
Die Nachricht von Mutian’3 Tode machte in dem ganzen
gelehrien Deutichland einen tiefen Eindruck. Untröftlich waren
feine treuen Schüler. Seit dem Tode jeiner Eltern, klagt
Crotus, den die Trauerbotichaft am fernen Gejtade der Ojtjee
traf, habe ihn Fein Todesfall fo fchmerzlich ergriffen, als dieſer 2).
Micyllus jucht Troft in dem Gedanken, daß die Gottheit dem
Heimgegangenen den Anblick der folgenden Trübſale erjpart
babe, und in dem Ruhme, der Mutian’3 Namen durch alle
Sahrhunderte tragen. werde. „Mögen Städte untergehen”, ruft
er aus, „Reiche zufammenjtürzen, hohe Mauern im Laufe ber
Zeit verfallen: Dein Ruf bleibt und wird ewig fortleben” 2).
Eoban widmet von Nürnberg aus dem Hingefchiedenen einen
klagenden Nachruf, in dem er die lange Reihe deutſcher Ge-
lehrten vorführt, die Elagend und weinend bad Grab des großen
Mannes im Geifte umringen?). Aber am größten ift des
Dichter eigener Schmerz. Seine Klage über Mutian's Tod
gehört zu dem Rührendften und Gefühlvollſten, was er jemals
gefchrieben. Immer will er bed Mannes gebenfen, der ihn
unter allen Sterblichen der theuerfte geweſen, nie aufhören,
den Hingang des verehrten Lehrers zu betrauern, mit dem
der Ruhm der vaterländifchen Dichtlunft zu Grabe getragen
worden.
!) Crot. ad Camer. „Mutiani mors, de qua nunc etiam scribis,
post parentum fuit mihi acerbissima. — Doleo non illius sortem, sed
meam ipsius, tanto amico privati. Terminavit ille vitam mortalem
immortalitate, procul dubio exceptus in aeternam felicitatem, pro
Cnjus spe vitam suam piis moribus instituit.‘ Tert. lib. F 4 b.
2) Heu noster sic te superi voluere peremptum
Et tutum a nostri temporis ire malis,
. Nec tua foelicis quae sunt post fata secuta
Cernere fraterna praelia serta manu.
Dia tamen restant multos quaesita per annos
Gloria et e studiis fama parata bonis etc.
Micylli Sylv. p. 209.
s) In funere doctissimi viri Mwtinni Ruf Epicedion. Abgedr. Eob.
Farr. 1, 15566. |
— 288 —
Wo immer nur Mitglieder des zerſtreuten mutianiſchen
Bundes ſich fanden, ertönte die Stimme der Klage. Nur dort,
wo derſelbe ſeine Heimath gehabt, in Erfurt, herrſchte Theil-
nahmlofigfeit. Aller Aufmerkjamkeit war hier dem weitern
Berlauf der innern ftäbtifchen Wirren zugewandt.
IV.
Die Zuftände, welche bad Jahr 1525 in Erfurt gefchaffer
hatte, waren auf die Dauer unhaltbar. In der fchnödeften
Weile waren Berträge gebrochen, unzweifelbafte Nechte mit
Füßen getreten worden. Rohe Gewalt Hatte rechtlod die Alte
ften Körperfchaften der Stadt aus vielhundertjährigem Beſitz
vertrieben. Das Berbot ded alten Gottesdienjteg war ein
fchreiendes Unrecht gegen einen noch immer beträchtlichen, katho—
liſch gebliebenen, Theil der Bürgerſchaft ſelbſt. Vollends ent-
behrte das Verfahren des Rathes gegen den EChurfürften von
Mainz des rechtlishen Grunde: es war eine Ufjurpation und
— blickt man auf die angewandten Mittel — eine der gewilfen-
loſeſten, die jemals jtattgefunden.
Bei ruhiger Erwägung des Geſchehenen Eonnte ſich der
Rath ſelbſt das Bedenkliche feiner Tage nicht verhehlen. Die
Nechtzverlegungen waren zu offenfundig, als daß die höheren
Gewalten im Reich nicht dagegen hätten einfchreiten follen.
Albrecht von Mainz, ver Getroffene, ſäumte nicht, Kaiſer und
Reich um Hülfe anzurufen). Das gefteigerte Selbftbewußt-
2) Die mainzifche an Kaifer und Stände gerichtete Klagefchrift enthielt,
wie Guben nach mir nicht zugänglich gewordenen archival. Quellen mittheilt,
folgente Hauptanflagepunfte: „Senatum undecim millia subditorum in
Urbem recepisse, hos in electoralem Curiam, tabernas, telonium, in
Canonicorum familias, in ipsa templa, salva ceterum Urbe, rabiem
vertisse. Hacc omnia dolum Senatus arguere, nulla de raptoribus
sun pta supplicia, continuata a Senatu spolia, et er peracta, qyuae
mali incentorem manifeste convincant. Eo jam Erfurtensium inso-
lentias excrevisse, ut non in suam tantum et electoratus, verum in
— 19 —
ſein, welches die Reichsfürſten überhaupt nach der Bewältigung
des Bauernaufſtandes an den Tag legten, konnte bie Beſorg⸗
niffe der Schulpbewußten nur erhöhen. — Zeitige Nachgiebig-
feit jchien unter diefen Umftänden das einzige Mittel, Härteres
von der Stadt abzuwenden. Und der Rath entjchloß fich dazu.
Noch in demfelden Sabre wurde der Anfang gemacht.
Dad Allererite war, daß man ed nachſah, als der muthige
Franziskanerguardian Konrad Kling, der einzige Ordensmann,
der in jenen jtürmijchen Tagen außgehalten hatte, unter zahl:
reicher Betheiligung der Altgläubigen in der verlaffenen Spital-
firche wieder Tatholifchen Gottesdienst hielt’). Bald folgte ein
zweites, wichtigeres Zugeftänoniß: noch vor Ablauf des Jahres
durften die vertriebenen Canoniker und Mönche zurückkehren
und von ihren übel zugerichteten Wohnungen wieder Beſitz
nehmen ; Benedictiner und Carthäufer erhielten gegen Entrich-
tung eines Schutzgeldes an den Rath die Erlaubniß, bei ver:
ſchloſſenen Thüren in ihren Klöftern den gewohnten Gottesdienft
zu halten ?). Noch weiter ging der Rath im folgenden Jahre,
indem er den Katholischen auch öffentlichen Pfarrgottesdienft
zugeftand und ihnen wieder vier Pfarrficchen einräumte®).
Zuletzt folgte, ebenfalls noch 1526, dag wichtigjte und merf-
würdigſte Zugeſtändniß: jene Entſchließung, der zufolge die
Hauptlirche der Stadt, der Dom, der gemeinjamen Benugung
beider Glaubensparteien überlaffen wurde *).
universi Imperii injuriam tendant, si impune in Rep. Romana sic pec-
care liceat.‘‘ Hist. Erf. p. 226.
1) „Da ward“, jagt der Ehronift ad a. 15%, „die Kirche, der Kirchhof,
dad Steinhaus alle vol Volckes.“ Man fieht daraus, daß bie Zahl der
fatholifhen Bürger noch immer beträchtlich war.
2) VBgl. Frieſe'ſche Chronik ad a. 1525 u. a, Diefelbe Erlaubniß erhielt
das Severiftift, ohne daß hier die Chroniken ber Entrichtung eines Schutz⸗
geldes gedenken, ber Dom aber blieb lutheriſch.
2) Die Kirhen zu St. Nicolaus, St. Lorenz, St. Veit und bie Aller:
heiligenfirche.
4) Der evangelifche Hauptgottesdienft „die Neunprebigt” wurbe auch jebt
\
Bundes fich fanden, ertönte die Stimme der Klage. Nur dort,
wo derjelbe feine Heimath gehabt, in Erfurt, herrſchte Theil
nabmlofigkeit. Aller. Aufmerkfamkteit war bier dem weitern
Berlauf der innern ftädtifchen Wirren zugewandt.
|
— 288 —
Wo immer nur Mitglieder des zerſtreuten mutianiſchen
|
|
IV.
Die Zuftände, welche dad Jahr 1525 in Erfurt geſchaffen
hatte, waren auf die Dauer unhaltbar. In der ſchnödeſten
Weiſe waren Berträge gebrochen, unzweifelhafte Rechte mit
Füßen getreten worden. Rohe Gewalt hatte rechtlos die älte—
sten Körperfchaften der Stadt aus vielhundertfährigem Beſitz
vertrieben. Das Berbot des alten Gottesdienſtes war ein
fchreiendes Unrecht gegen einen nod) immer beträchtlichen, katho—
liſch gebliebenen, Theil der Bürgerſchaft ſelbſt. Vollends ent-
behrte dad Verfahren des Rathes gegen den Churfürjten von
Mainz des rechtlichen Grundes: es war eine Ujurpation und
— blickt man auf die angewandten Mittel — eine der gewiffen-
Iofeften, die jemals ftattgefunden.
Bei ruhiger Erwägung des Gejchehenen konnte fich der
Rath ſelbſt das Bedenkliche feiner Lage nicht verhehlen. Die
Nechtöverlegungen waren zu offenkundig, ald daß die höheren
Gewalten im Reich nicht dagegen hätten einjchreiten follen.
Albrecht von Mainz, ver Getroffene, faumte nicht, Kaifer und
Reich um Hülfe anzurufen‘). Das gefteigerte Selbjtbewußt-
1) Die mainziiche an Kaifer und Stände gerichtete Klagefchrift enthielt,
wie Guden nach mir nicht zugänglich gewordenen archival. Quellen mittbeilt,
folgente Hauptanflagepunfte: „Senatam undecim millia subditerum ia
Urbem recepisse, hos in electoralem Curiam, tabernas, telonium, in
Canonicorum familias, in ipsa templa, salva ceterum Urbe, rabiem
vertisse. Haec omnia dolum Senatus arguere, nulla de raptoribus
sunpta supplicia, continuata a Senatu spolia, et ea peracta, quae
mali incentorem manifeste convincant. Eo jam Erfurtensium inso-
lentias excrevisse, ut non in suam tantum et electoratus, verum in
— 99 —
fein, welches die Reichsfürſten überhaupt nach der Bewältigung
des Bauernaufftandes an den Tag legten, fonnte die Bejorg-
nifje der Schuldbewußten nur erhöhen. — Zeitige Nachgiebig-
keit fchien unter diefen Umftänden das einzige Mittel, Härtered
von der Stadt abzuwenden. Und der Rath entſchloß jich dazu.
Noch in demfelden Jahre wurde der Anfang gemacht.
Dad Allererfte war, daß man ed nachſah, als der muthige
Tranzisfanerguardian Konrad Kling, der einzige Ordendmann, __
der in jenen ſtürmiſchen Tagen außgehalten hatte, unter zahl-
reicher Betheiligung der Altgläubigen in der verlaffenen Spital-
firche wieder Fatholifchen Gottezdienit hielt). Bald folgte ein
zweites, wichtigere Zugeftändniß: noch vor Ablauf des Jahres
durften die vertriebenen Canoniker und Mönche zurückkehren
und von ihren übel zugerichteten Wohnungen wieder Befik
nehmen; Benedictiner und Sarthäufer erhielten gegen Entrich-
tung eines Schutzgeldes an den Rath die Erlaubniß, bei ver-
Ihlofienen Thüren in ihren Klöftern den gewohnten Gottesdienst
zu halten ?). Noch weiter ging der Rath im folgenden Sabre,
indem er den Katholifchen auch öffentlichen Pfarrgottespienft —
zugeftand und ihnen wieder vier Pfarrkirchen einräumte?).
Zuletzt folgte, ebenfalls noch 1526, das wichtigfte und merk—
würdigte Zugeſtändniß: jene Entſchließung, der zufolge die
Hauptlicche der Stabt, der Dom, der gemeinfamen Benutung
beider Glaubensparteien überlafjen wurde *).
—
universi Imperii injuriam tendant, si impune in Rep, Romana sic pec-
care liceat.‘‘ Hist. Erf. p. 226.
ı) „Da ward“, fagt der Chronift ad a. 15%, „die Kirche, der Kirchhof,
dag Steinhaus ale vol Volckes.“ Man fieht daraus, daß bie Zahl der
Tatholifhen Bürger noch immer beträchtlich war.
2) Vgl. Frieſe'ſche Chronik ad a. 1525 u. a. Diefelbe Erlaubniß erhielt
das Severiftift, ohne daß bier die Chroniken ber Entrichtung eines Schutz⸗
geldes gedenken, der Dom aber blieb lutheriſch.
2) Die Kirchen zu St. Nicolaus, St. Lorenz, St. Veit und die Aller⸗
heiligenfirche.
*) Der evangelifche Hauptgottesdienft „die Neunprebigt” wurbe auch jeht
— 40 —
Diefe außerorbentliche Nachgiebigkeit hatte indeß nicht bloß
in der Bejorgniß vor dem Eingreifen der Reichdgewalt ihren
Grund: fie empfahl fich dem Rathe auch och von einer andern
Seite. — Wie die fatholiiche Sache mit Mainz verbündet war
und ein Sieg ded Katholicismus die Wiederherſtellung der
mainzijchen Herrjchaft zur Folge gehabt haben würde, jo drohte
eine-volljtändige Evangeliſirung die Stadt dem alten Rivalen
von Mainz, dem Churfürften von Sachjen, zu überliefern.
Nicht ohne Sorge hatte man wahrgenommen, daß mit. der
Zunahme des ſächſiſchen Evangeliumd auch Sachſens politifcher
Einfluß in Erfurt jtieg, und daß der „Schußherr” an Macht
gewann, was ber „Erbherr” verlor. Die Gemeine, bei ber
noch feit dem tollen Sahre die Antipathien gegen Sachien
lebendig waren, hatte ſchon 1525 ihre Unzufriedenheit deutlich
genug zu erkennen gegeben, indem fie in ihrem vierzehnten
Artikel die „Nachlaffung” des ſächſiſchen Schubgelves in An-
trag brachte — wa ihr freilich von Luther, der hier die Sache
feine® Herrn vertrat, eine derbe ZJurechtweilung zuzog !). —
Der außergewöhnliche Eifer, den Johann der Beſtändige für
den Fortgang der Kirchenverbefferung in Erfurt an den Tag
legte, erregte auch bei dem Nathe Verdacht. Einer Jächfiichen
Geſandtſchaft, die in Erfurt erichien, um entſchiedeneres Ein-
[ohreiten gegen noch vorhandene Reſte des Papſtthums zu ver:
langen, wurde entgegriet, daß man wohl guten Rath, nicht aber
Befehle von Sachſen anzunehmen gejonnen fei?). Die Ahnung
ftieg auf, daß der ſächſiſche „Schußherr” der Freiheit der Stadt
gefährlicher werden fönne, als ihr rechtmäßiger Oberherr, der
Erzbifchof von Mainz. —
noch im Dome (durch Lange) gehalten, die übrige Zeit aber war er ben
Ratholifen. Es war wohl das erfte förmlich eingeführte Simultaneum in
Deutſchland. — Daß die Befchlüfle des Reichstags von Speier 1526 auf diefe
Berhältniffe eingewirft, wie Loffiuß 1. c. p. 175 angibt, kann ich nicht finden. —
1) Vgl. Te Wette-Seidemann VI, 64—5.
2) Vgl. Gudenus Hist. Erf. p. 225.
— 4l —
Merktwürdig, daß dasfelbe Streben nad Unabhängigkeit,
welches bigher der Glaubengneuerung fo wichtigen Vorſchub
geleiftet, nun zulebt dem alten Glauben Hülfe brachte! Es
ist unverfennbar, daß die Eonceffionen, zu denen fich der Kath
1526 entjchloß, zum großen Theil durch fein Mißtrauen gegen
Sachſen herbeigeführt worden find. Man mochte hoffen, durch
ein folches Duldungsſyſtem fich nach beiden Seiten bin zu
jihern: den Zorn des Mainzer zu bejänftigen und damit zu—
gleich des gefährlichen ſächſiſchen Schutzes ledig zu werden.
Sp begannen feit vem Jahre 1526 die Katholiken in Erfurt
wieder aufzuathinen. 1527 erhielten fie jogar die Genugthuung,
daß einer der Shrigen, der alte Georg von Denftet, in den
Rath gewählt wurde, was von da an Negel geworden zu fein
Iheint !). In Nürnberg erzählte man fich bereit, daß Erfurt
unter dad Papſtthum zurücgefehrt fei?). Oeffentlich durfte
jegt Konrad Kling, der beharrliche Franziskaner, feinen Glau—
ben, deſſen Sache in Erfurt jchon verloren gefchienen, befennen
und vertheidigen. Sn ihm fand die Fatholifche Bartei den
Führer, deſſen fie feit Uſingens Entweichung entbehrt hatte.
Und der neue Führer erjegte feinen Vorgänger reihlih. Ben
eben jo ftrengen Sitten, wie Ufingen, von gleicher Glaubens⸗
treue und Ausdauer, aber auch von gleichem Freimuth, wo es
galt, Firchliche Mißbräuche zu rügen, übertraf Kling jenen
durch Gewandtheit ver Rede und namentlich durch größere Be-
kanntſchaft mit den Bebürfniffen des Volkes. Der lebte in
Erfurt promovirte Doctor der Theologie, machte er der Schule
Ehre durch fein treue Feithalten an ihren alten Grund-
ı) Das folgende Jahr 1528 ſaß Michael Moeller im Rathe, 1529 wieber
Georg von Tenftet, 1530 Chriſtoph Milwitz, 1531 wieder Michael Moeller.
Alle drei werden von den Chroniften al3 „der Papiſterei anhangend“ bezeich-
net. Ein Verzeichniß der Rathsmeiſter und Vierherrn für diefe Zeit gibt
ob. Hundorph Encomium Erfurtinum A 3 a fi.
2) Vgl. Eob. ad Lang. d. d. Norimb. prid. Id. Octobr. 15%. —
Eob. et amic. epp. fam. p. 221.
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. ’ 16
— 242 —
fägen !). Unter der Führung eines ſolchen Mannes nahm die
fchon vernichtet geglaubte Fatholifche Partei bald wieder eine
Haltung an, die wohl geeignet war, dem Gegner Beforgniffe
einzuflößen.
Und auch der Univerfität eröffneten ſich mit diefer neuen
Wendung der Dinge wieder günſtigere Ausſichten. Diefelbe
Eombination, welche den Katholiken Hülfe gebracht, jchien auch
ihr zu Gute kommen zu müſſen. Mehrere Mitglieder des
Rathes zeigten ernftlichen Willen, der tief gefunfenen Schule
wieder aufzubelfen. Ihre Lehrer gaben ſich bereit3 ben frohe-
ften Hoffnungen bin und verboppelten ihre Thätigfeit. Das
Rectorat erhielt 1527 der ehrwürdige Maternus, an deſſen
Namen fih für die Univerfitäit jo ruhmreiche Erinnerungen
nüpften. Auch er hatte in den vorhergehenden Jahren wegen
feiner Anhänglichfeit an Mainz manches Herbe erfahren müfjen,
bis in Folge des neuesten Wechſels feine Lage fich wieder Freund
ı) Es mag genügen, einige Aeußerungen aus feinen Loci communes
theologici pro ecclesia catholica anzuführen, z. B. über den Ablaß:
„MNecessarium est, ut concessores indulgentiarum suas concessiones
ita moderentur, ut nec divinae justitiae per nimium derogetur: et ne
scandalum maxime pusillorum in multiplicandis indulgentiis ex levi
causa praebeatur.‘“ p. 168; oder über die Pflichtvergeffenbeit der Geift:
lien: „Pauci sunt, vel de episcopis, sacerdotihus et clero, qui darent
operam literis, vel etiam hodie inciperent studere, Satis putant con-
tigisse, si Praebendam possederint; sed non cessahunt haereses,
donec vitam in melius et mores composuerimus.‘ p. 180 und p. 323
„Faciles sunt et impetrantur dispensationes per Papam et Praelutos,
super juramentis debitis, super votis rationabilihus, super immensa
beneficiorum pluralitate, super generalium conciliorum conclusionibus
ete.“ Aeußerungen, bie den Zögling ber alten Univerfität binlänglich erfen:
nen laflen. Wie Ufingen fehreibt auch er das gegenwärtige Elend den abtrün-
nigen Mönchen zu: „Et hnec omnia, quibus debet populus, nisi exi-
tieiis Monachis, quos Deus tradidit in reprobum sensum? p. 213. —
Im Sabre 1518 immatrikulirt, wurde er 1520 Doctor der Theologie. Bon
da ab fand 110 Jahre Tang Feine theologifche Promotion mehr ſtatt. Die
Sage bringt ihn auch mit Zauft in Verbindung, den er zu befehren gefucht
haben fol. Motſchmann 3. Fortſ. p. 374.
243 .,—
— — ⸗
ande:
licher geftaltete. Mit umfichtigem Eifer erfüllte er jebt die
Pflichten deS ihm zum zweiten Mal anvertrauten Amtes und
wirklich zeichnete fich fein Rectorat durch eine erfreuliche Zu⸗
nahme der Studirenden aus). Doch blieb der Erfolg weit
hinter den Erwartungen zurück. Maternus jchied im nächſten
Sahre aus jeinem Amte mit der traurigen Üeberzeugung, die
Ichon fein Vorgänger ausgefprochen, daß die Wiederherftellung
der Univerjität eine Aufgabe fei, welche menjchliche Kräfte
überjteige 2).
Veberhaupt erfuhr der Rath in diefen Tagen, wie jchwer
es ift, gethanes Unrecht wieder gut zu machen, und dem Gejebe,
dem man ſelbſt Hohn gefprochen, bei Andern Achtung zu ver:
Ihaffen. Seine gegenwärtige Haltung erfuhr von den verfchie-
denjten Seiten Anfeindung und Widerſpruch. Niemand aber
zeigte fich mehr. entrüftet darüber, als die Prädifanten. Sie
fonnten e3 nicht verjchmerzen, daß ihnen der bereitß errungente
Sieg wieder verfümmert wurde, und daß dies durch dieſelbe
Macht gefchah, die fie bisher geſtützt, deren Intereſſen fie gebiet.
Bald vernahm man auf den Canzeln bittere Klagen über die
eingetretene Erfaltung des Glaubens, neben verftärkten Aus—
fällen gegen die Gräuel des Papſtthums. Der Eifrigfte unter
den Dienern des Evangelium war damals Juſtus Menius,
der den 1525 heimgegangenen Eueljamer in ähnlicher Weile
erjegte, wie Kling an Ufingen’® Stelle getreten war. Wir
ı) Die Zahl der Immatrikulationen ftieg unter ihm von 14 auf 36,
ſank aber ſchon im nächften Jahre wieder auf 28, dann 1529 auf 20. E. U. M.
2) „Erat etiam‘‘, beißt es in feinem Nectoratzbericht, „multis piis
sub idem tempus viris spes reparandae revelandaeque jacentis uni-
versitutis, sed quum id humanarum virium non sit, rogandus est id
benignissimus Deus, ut rarsus in Israelem suum iatendat Josephumque
velut oveın in adeo morbosa Aegypto ad desiderabileın portum de-
ducat.““ Bor den Bericht findet fidy das Bild der h. Maria mit der Unter-
fhrift „Virgo roga prolem, quo clerum servet et urbem!“ EU M.
ad a. 1527.
16 *
— Mm —
fägen !). Unter der Führung eines ſolchen Mannes nahm die
Schon vernichtet geglaubte Tatholifche Partei bald wieder eine
Haltung an, die wohl geeignet war, dem Gegner Bejorgniffe
einzuflößen.
Und auch der Univerfität eröffneten ſich mit diefer neuen
Wendung der Dinge wieder günftigere Ausfichten. Diefelbe
Combination, welche ben Katholiken Hülfe gebracht, ſchien auch
ihr zu Gute fommen zu müſſen. Mehrere Mitglieder des
Rathes zeigten ernftlichen Willen, der tief gefunfenen Schule
wieder aufzubelfen. Ihre Lehrer gaben fich bereit3 den frobe-
ften Hoffnungen bin und verboppelten ihre Thätigkeit. Das
Rectorat erhielt 1527 der ehrwürdige Maternug, an beffen
Namen fich für die Univerfität jo ruhmreiche Erinnerungen
fnüpften. Auch er hatte in den vorhergehenden Sahren wegen
feiner Anhänglichfeit an Mainz manches Herbe erfahren müffen,
bis in Folge des neueſten Wechſels feine Lage fich wieder freund:
ı) Es mag genügen, einige Aeußerungen aus ſeinen Loci communes
theologici pro ecclesia catholica anzuführen, 3. B. über den Ablaß:
„MNecessarium est, ut concessores indulgentiarum suas concessiones
ita moderentur, ut nec divinae justitiae per nimium derogetur; et ne
scandalum maxime pusillorum in multiplicandis indulgentiis ex levi
causa praebeatur.‘‘“ p. 168; oder über die Pflichtvergeffenheit der Geift:
lien: „Pauci sunt, vel de episcopis, sacerdotibus et clere, qui darent
operam literis, vel etiam hodie inciperent studere. Satis putans con-
tigisse, si Praebendam possederint: sed non cessahunt haereses,
donec vitam in melius et mores composuerimus.‘‘ p. 180 und p. 323
„Faciles sunt et impetrantur dispensationes per Papam et Praelatos,
super juramentis debitis, super votis rationabilihus, super immensa
beneficiorum pluralitate, super generalium conciliorum conclusionibus
etc.‘ Aeußerungen, bie den Zögling ber alten Univerfität binlänglich erfen-
nen lafien. Wie Ufingen fchreibt auch er das gegenwärtige Elend den abtrün:
nigen Mönden zu: „Et haec omnia, quibus debet populus, nisi exi-
ticiis Monachis, quos Deus tradidit in reprobum sensum? p. 213. —
Im Sabre 1518 immatritulirt, wurde er 1520 Toctor ber Theologie. Von
da ab fand 110 Jahre Tang Feine theologifche Promotion mehr ſtatt. Die
Sage bringt ihn auch mit Fauſt in Verbindung, den er zu befehren gefucht
haben fol. Motſchmann 3. Fortf. p. 374.
243. —
—— a
licher geſtaltete. Mit umſichtigem Eifer erfüllte er jetzt die
Pflichten des ihm zum zweiten Mal anvertrauten Amtes und
wirklich zeichnete ſich ſein Rectorat durch eine erfreuliche Zu—
nahme der Studirenden aus !). Doch blieb der Erfolg weit
hinter den Erwartungen zurück. Maternus jchied im nächſten
Jahre aus ſeinem Amte mit der traurigen Ueberzeugung, die
ſchon ſein Vorgänger ausgeſprochen, daß die Wiederherſtellung
der Univerſität eine Aufgabe ſei, welche menſchliche Kräfte
überjteige ?).
Meberhaupt erfuhr der Rath in diefen Tagen, wie jchwer
e3 ijt, gethanes Unrecht wieder gut zu machen, und dem Gejebe,
dem man felbjt Hohn gefprochen, bei Andern Achtung zu ver:
Ihaffen. Seine gegenwärtige Haltung erfuhr von den verjchies
denften Seiten Anfeindung und Widerſpruch. Niemand aber
zeigte fich mehr entrüftet darüber, al3 die Prädifanten. Sie
fonnten es nicht verjchmerzen, daß ihnen der bereits errungene
Sieg wieder verkümmert wurde, und daß die durch biefelbe
Macht geichah, die fie bisher geſtützt, deren Sutereffen fie gedient.
Bald vernahm man auf den Canzeln bittere Klagen über die
eingetretene Erfaltung ded Glaubens, neben verjtärkten Aus—
fällen gegen die Gräuel des Papſtthums. Der Eifrigfte unter
den Dienern des Evangelium war damals Juſtus Menius,
der den 1525 heimgegangenen Cuelſamer in ähnlicher Weife
erjeßte, wie Kling an Ufingen’3 Stelle getreten war. Wir
befigen von ihm noch eine gegen Kling gerichtete Predigt über
ı) Die Zahl ber Immatrikulationen ftieg unter ihm von 14 auf 36,
fanf aber fchon im nächſten Jahre wieder auf 28, dann 1529 auf 20. E. U. M.
2) „„Erat etiam‘‘, beißt es in feinem Rectoratsbericht, „multis piis
sub idem tempus viris spes reparandae revelamdaeque jacentis uni-
versitutis, sed quum id humanarum virieum non sit, rogandus est id
benignissimus Deus, ut rarsus in Israelem suum iatendat Josephumque
velut oveın in adeo morbosa Aegypto ad desiderabilen portum de-
ducat.‘“ Bor dem Bericht findet fidy das Bild der h. Maria mit ber Unter-
fhrift „Virgo roga prolem, quo clerum servet et urhem!“ E. U. M.
ad a. 1527.
16*
— 24 —
die papiſtiſche Meſſe, die uns den Groll und die Erbitterung
veranſchaulicht, womit er und die Seinigen auf die jüngſten
Ereigniffe hinblickten ). „Unfere Pfaffen und Mönche”, heit
es gleich im Eingang derjelben ?), „des Widerchrift3 und Teu—
fels Hofgefind, Hat fich nun allhie wiederumb zufammengefuget
und gezichtet, nachdem fie eine Zeitlang von Gott gejchwächet
und verjaget gewefen, wiewohl fie meinen und follen audy (al?
verſtockt fie find) auf der Meinung bleiben, es jet nicht Gott,
fondern ein Strobuß geweſen, der fie aljo "geicheuchet bat,
jchreien und fchreiben überlaut in Stadt und Dorf, wie es bie
zu Erfurt aljo fein wiederumb in das alte Wejen fomme, und
jagen, e8 gehe, Gottlob, der alte, ehrliche, heilige und Löbliche
Gottesdienst (alfo nennen fie ihren Gräuel und Gottesläſterung)
wieder an, und die neue verdamınte huffitifche und Tutherifche
Keberei (jo nennen fie die reine und göttliche Kehre de3 Evan-
gelit) nehme täglich ab.” — Demungeachtet will er Hoffnung
und Muth nicht ſinken laffen und dem „theuren Mefjeritter”
gegenüber, — wie er Kling nennt — der fi auf die Bibel
veritehe, wie ein Ejel auf die Harfe, um fo treuer an Luthers
gnadenreichem Evangelium feithalten und imnterfort deffen Lob
in Erfurt verfünden ?).
ı) Etliher Gottlofen vnd widderchriftifchen Tere von der Papiftifchen
Meilen, fo ber Barfuffer zu Erfurt D. Conrad Kling gethan, Berlegung
durch Juſtum Menium am Sontag Reminiscere geprebiget 1527. 4°. (Am
Ende: Wittenberg).
»)1.c.A2h.
s) „Ob es gleich (das Evangelium) von ech bluthunden und Chriſten⸗
mördern verbampt wird“, mit biefen Worten fchließt Menius, „fol ed vns
dennoch darumb nichts befter vnwerder fein, Ja es fol un? eben darumb
recht hertzlich lieb feyn, das es euch gottlefen tyrannen vnd feelenmördern
nicht gefellet. Weiftu nicht dad Ehriſtus ym Euangelio vom Teuffel eben
nichts wil gepreifet fein? — So wollen wir vnſers Gottes namen vnd ehre
widber bein leftern mit munt vnd febbern bekennen vnd rhümen wider dich
deinen Satan, vnd bie bellifchen pforten. Dazu fol vns Gott feine grade
geben. Amen.“ oc. E da.
— 45 —
Nicht minder war Luther jelbft über das Duldungsſyſtem
de Rathes aufgebracht. Er ſprach von dem Zorne Gottes,
der über Erfurt gefommen, und von pharaonifcher Verſtockt⸗
heit ). Er zollte dem Auftreten des Menius vollen Beifall
und Tieß deſſen Teidenfchaftliche Predigt, mit einem Vorworte
verfehen, in Wittenberg zum Druc befördern. Einer zweiten
Streitſchrift desfelben fügte er ein Sendſchreiben „an alle
frommen Chriften” in Erfurt bei, in dem er feinen Unwillen
über die gegenwärtige Haltung der Stadt in den ftärfften Au3-
drücken kundgibt?). Er erinnert an die großen Gnaden, die
Gott Erfurt vor fo vielen Städten erwiefen, und vergleicht die
papiftifche Finfterniß, in der die Vorfahren gefchmachtet, mit
dem Kichte des Evangeliums, das jett Allen leuchte, Schwer
fei deshalb, Iehrt er, auf Capernaum und Chorazin hinweiſend,
die Verantwortung, welche Erfurt jebt durch feine Undankbar⸗
feit und Sleichgültigkeit gegen fo hohe Gnaden auf fich lade.
Der Rath wird ermahnt, eitele Furcht fahren zu laſſen und
das Unmwefen der Papiften und ihres Führers Conrad Kling
nicht ferner zu geftatten. „Es ſollt ein Theil weichen“, fügt
der Reformator drohend Hinzu, „ed wären bie Evangelifchen
oder die Päpftifchen, wie Chriftus Yehrt Mathäi am zehnten
Kapitel: An welcher Stadt fie euch nicht hören wollen, ba
weichet von und fehüttelt den Staub eurer Schuhe über fie. —
Wer und nicht hören will, von dem find wir leicht und bald
geſchieden“ *).
1) Bol. Te Wette II1, 168. „Erfordia tua est Erſordia: tam cito
sequitur ira de coelo, ut simulac coeperit gratia lucere, statim con-
currat et furor Dei excaecantis et gravantis cor Pharaonis.‘“ Ad
Menium (9. April 1527),
2) Abgedr. bei De Wette III, 227—9.
3) De Wette ITI, 229. — E83 fcheint, daß ber Streit zwifchen den bei:
ben Olaubensparteien von den Wichertäufern benußt wurde, um für ibre
Secte in Erfurt Anhang zu gewinnen, wie Aehnliches fich in mehreren
Städten wahrnehmen läßt. Vermuthlich fand der fchiwärmerifche Valentin
Ickelſamer mit jener Secte in Verbindung. in Wiedertäufer, „der ftolze
— 246 —
Indeß der Rath ließ ſich durch Luthers Drohungen auf
ſeinem Wege nicht beirren und hörte noch weniger auf das
Schelten der Prädikanten. Der Einfluß der letzteren war bereits
völlig dahin. Nicht ohne Grund hatte ihnen Uſingen einſt
zugerufen, ihren Siegesjubel zu mäßigen, da er nicht von
Dauer fein werde). Daß ſich das Evangelinm dem Rathe
als das wirkſamſte Beförderungsmittel ſeiner politiſchen Plane
empfahl, hatte bisher den Argumenten ſeiner Verkünder einen
großen Theil ihrer Beweiskraft verliehen, fie ſelbſt mit ſtolzer
Zuverficht erfüllt: mit dem MWechfel der politiihen Tendenzen
im J. 1526 war es um ihren. alten Einfluß gejchehen. Der
Eifer des gemeinen Mannes war fchon erfaltet, feit ihre Pre—
bigt den Reiz der Neuheit verloren hatte. Zurückſetzungen,
jelbjt Kränfungen traten jebt an die Stelle des frühern Bei—
fals und. wurden um fo härter empfunden, je weniger man
an fie gewöhnt war?). Menius drohte unwillig,. die undank—
bare Stadt zu verlaffen, und bat Luther, ihm anderwärt3 ein
Unterfommen zu verfchaffen. Luther ſelbſt aber ſprach, als er
alle feine Ermahnungen fruchtlos ſah, nur noch in den Aus—
brüden der Entrüftung von dem heillofen Erfurt, deſſen Ver:
jtocftheit er einem Fluche des Himmels zuzujchreiben geneigt
war 3).
Nicol“ wurde 1528 geviertheilt, weil er die Stadt habe anzünden und ben
Täufern überliefern wollen! Vgl. Faldenftein ı, 591.
1) Vgl. Liber secundus D. Barth. de Using. E 4 a. ‚‚Superbia
vestra, qua caecamini, periodum suam habet.‘“ —-
3) Ein von Motſchmann in feinen handſchriftl. Collectaneen angeführter
Ghronift gebenft ausführlich der bittern Erfahrungen, welche die Prädifanten
feit diefer Zeit haben machen müſſen, wie fie „viel und mehr ald ihnen Tieb
gewefen, de papiftifchen Sauerteigd haben unausgefegt müſſen bleiben laſſen“
und in ber Öffentlihen Meinung fehr tief geftanden, weil man gewußt, daß
es meiften? alte, verlebte Ordensleute feiern. —
2) „„Erfordia est Erfordia, Erfordia crit Erfordia, Erfordia fuit
Erfordia‘“ fchreibt er am 1. Mai 1528 an Menius. De Wette II, 308.
Auf jenes Geſuch des Menius antwortete er am 23. Mai: „Ego uon
onittam, quin, ut Occasio sese quaeque prima obtulerit, te ex isto
— UT —
Biel eher, als dag Drängen der Theglogen, war die Hal-
tung des Erzbiſchofs von Mainz geeignet,. ven Rath wieder
wanfend zu- machen. Nicht zufrieden gejtellt durch die Zuge-
ftändniffe des Rathes, hatte Albrecht fein Recht bei Kaifer und
und Neid) weiter verfolgt. Unter dem 18. September 1527
erichien ein Faiferliche® Mandat, welches dem Rath, unter An-
drohung Faiferlicher Ungnade, befahl, fortan feinen lutheriſchen
Prediger mehr zu dulden). Treilih wußte man in ‚Erfurt
aus Erfahrung, daß Ungehorfan gegen des Kaiſers Man
date nicht gefährlich fei, und Tieß deshalb auch das gegen-
wärtige unbeachtet ?). Allein der beharrliche Eifer, womit ber
Erzbifchof in der nächſten Zeit feine Sache betrieb, erweckte
doch ernftliche Beſorgniſſe und verichaffte endlich der Weber:
zeugung den Sieg, daß der 1526 eingejchlagene Weg zu dem
gewünschten Ziele nicht führe. Und nun erfolgte wirklich, was
früher den theologifchen Eiferern verfagt worden war. Man
fing abermal3 an, fih Sachſen zu nähern; fogar mit Philipp
von Heffen wurden Verhandlungen angefnüpft, um deſſen Hülfe
gegen Mainz zu gewinnen. Die Altgläubigen erfuhren neue
Beſchränkungen; ihrem Vorkämpfer Konrad Kling wurbe 1529
vom Rath die Eanzel verboten. Luther erwied in bemfelben
Sahre der Stadt wieder die Ehre eines Bejuches?). Die Ber
jühnung war vollitändig, Von Neuem jchien es, als würde
dag Evangelium in Erfurt die Alleinherrichaft behaupten.
Diejen unaufhörlichen Schwankungen machte endlich der
Bertrag von Hammelburg im Anfang des Jahres 1530 ein
—
bestiarum crudelium et ingratissimarum lustro evocem: ita me habet
pessime istins urbis abominatio, quid enim aliud dicam?“ 1. c. III, 325.
) Vgl. Hundorph Euc. Erf. Mi.
2) Bol, übrigens das Schreiben des Syndikus Wolfgang Plid an Pirf-
heimer (d. d. 8. Februar 1528), worin jener fi Auskunft darüber erbittet,
wie fih Nürnberg in gleihen Falle verhalten habe. Heumann Doc. lit.
p. 254.
2) Vgl. Erhard Ueberl. 3. vaterl. Geſch. I, 76.
— 248 —
Ende. — Die letzten Vorgänge hatten den Erzbiſchof Albrecht
von der Unmöglichkeit überzeugt, feine Forderungen in ihrem
ganzen Umfange durchzufeßen. Er entjchloß fih, Opfer zu
bringen. Unter Bermittelung des ſchwäbiſchen Bundes, der
ſchon zwei Sahre vorher in Augsburg eine Ausſöhnung der
Streitenden verſucht hatte, traten am Feſte Mariä Lichtmeß
1530 Abgeoronete von Mainz und Erfurt zu Hammelburg, im
Gebiete des Abtes von Fulda, zufammen, um den Streit end
gültig zu erledigen. Bon beiden Seiten wurden Zugeſtändniſſe
gemacht. Der Erzbilchof gewährt eine allgemeine Amnejtie für
alles Borgefallene. Die Stadt dagegen verjpricht, den Erz-
bifchof wieder als ihren rechtmäßigen Oberherrn anzuerkennen.
Sie verpflichtet fich ferner, ihm für den erlittenen Schaben
Erfab zu leiften, die zerftörten Gebäude wieder aufzurichten,
die geraubten Kirchenfchäbe, foweit fie noch vorhanden, herauz-
zugeben, für das, was abhanden gekommen oder zu ftäbtijchen
Zweden verwandt it, eine Entihädigungsfumme zu zahlen.
Nur die beiden Capitel haben auf die Nüderftattung des ihnen
Genommenen für immer zu verzichten und follen die ihnen
1521 abgebrungene Summe von 10,000 Gulden „gütlih und
freundlich nachjehen”, auch in billigen Dingen den Anorbnungen
des Rathes Gehorſam leiſten. — Was endlich den wichtigsten
Punkt, die kirchlichen Verhältniffe, angeht, jo wird in dem Ber:
trage ſtillſchweigend das Nebeneinanverbeftehen der beiden Reli:
gionsparteien anerfannt. Nur für die beiden Stiftäfirchen und
bad WBeteröflojter wird ausdrücklich katholiſcher Gottesdienſt
„nach altem Herkommen und chriftlicher alter Ordnung” vor:
behalten. Hinfichtlid der übrigen Kirchen blieb es bei dem
Beitehenden, d. i. fie blieben zwischen beide Confeſſionen getheilt 2).
1) Der Hammelb. Vertrag findet ſich abgedr. bei Faldenftein ı, 592— 97,
im Auszuge bet Guden I. c. p. 227. — Der evangelifhe Hauptgottesdienft
wurde nach Rückgabe des Domes an die Katholifchen in die Predigerfirche
verlegt. —
_ 249 —
Am Samftag nad) Marias Lichtmeß wurde der Verfrag
von Hammelburg von beiden Parteien unterzeichnet — wohl
ver erfte in Deutjchland, in welchem Alt: und Neugläubige
jich zu gegenfeitiger Duldung verftanden.
V.
Es iſt die außerordentliche, dem allgemeinen Gange der
Ereigniſſe vorauseilende Raſchheit der Entwickelung, welche die
reformatoriſche Bewegung in Erfurt auszeichnet und merf-
würdig macht.
Unter den Erften, welche die Fahne der Bewegung auf:
gepflanzt, war Erfurt, wie im ftürmifchen Lauf, auf den neu-
geöffneten Bahnen vorausgeeilt. In rafcher Folge gelangten
die einzelnen Richtungen, welche nacheinander die Reformations-
bewegung beherrſcht und ihren Gang beitimmt haben, hier zur
Herrſchaft. In kürzeſter Friſt wurden bie verjchiedenen Ent-
wicelungsftufen zurüdgelegt. Noch kaum hatten im Reiche die
Barteien des alten und neuen Glaubens fich zu gruppiren
angefangen, als in Erfurt bereit3 an ihrer Ausgleichung gear:
beitet wurde. Und noch ehe der Reichdtag von Augsburg die
Spaltung Deutſchlands jeinem Kaiſer als vollendet zeigte, war
in Erfurt Schon der Friede aufgerichtet, den zu gewinnen bag
Reich erft langer und blutiger Kämpfe beburft hat.
Aber es zeigte fich bald, wie wenig damit einftweilen
gewonnen war.
Der Friede von Hammelburg war fo wenig, al3 der Augs⸗
burger Religionsfrjede, deſſen Stelle er für Erfurt vertritt,
die Frucht berichtigter Ideen über Religion und Religionzfrei-
heit, jondern ein Werk der Politik, unter dem Drange äußerer
Berhältniffe zu Stande gefommen. Er machte wohl der bi3-
herigen Unficherheit des öffentlichen Zuftandes ein Ende, aber
in den Gemüthern dauerte die Gährung fort. Der innere
Gegenjag war nicht ausgeföhnt: an ein aufrichtiges friedliches
— 0 —
Zufammenleben war auch jebt noch nicht zu denfen. Der
Standpunkt de Raths, der von nun an regelmäßig cinige
Katholiken unter feinen Mitgliedern zählte und die hammel—
burger Zufagen aufrecht zu halten entjchloffen war, wurde von
den Wenigſten getheilt. Der Vertrag erfuhr von beiden Seiten
Anfeindungen. Bon fatholifcher Seite legten die Canoniker
der beiden Stifter Proteſt ein, weil fie die ihnen auferlegte
Berzichtleiftung unbillig fanden !). Indeß ihre Widerſpruch
blieb ohne Wirkung und offenbarte nur ihre Ohnmacht. Beuns
rubigender waren die Anfeindungen von der entgegengefeßten
Seite. Zunächſt erhob ſich Sachen, die Schußmacht des erfur-
tiſchen Proteſtantismus. Erfurt hatte ſich nicht jo bald mit
feinem rechtmäßigen Oberherrn ausgejöhnt, als der ſächſiſche
Ehurfürft feinen Unwillen auf die Stadt warf und, aufgejtachelt
von einigen unzufriebenen, Bürgern, Feindſeligkeiten gegen jie
eröffnete ?). Gründe der Religion und Politik vereinigten fich
bei Sohann dem Beitändigen und jeinem Nachfolger, um ihnen
den hammelburger Bertrag ald einen Abfall won der guten
Sache ericheinen zu laſſen. Die Feindſeligkeiten zwiſchen Sachen
und Erfurt nahmen einen jo bebenflichen Charakter an, daß
Melanchthon Schon in ihnen den Keim eines allgemeinen Reli-
gionskrieges erblidte”). Erſt durch die Dazwiſchenkunft der
beiden katholiſchen Höfe von Mainz und Dresden kam gegen
Ende 1533 ein Vertrag zu Stande, welcher der Stadt vor den
ſächſiſchen Anfeindungen Sicherheit verjchaffte *).
ı) Guben Hist. Erf. p. 228.
2) Bol. außer den Ehroniften Faldenftein 1. c. I, 599 ff. Guden 1. c.
p. 228. — Die Eröfinung der Feindfeligfeiten geſchah durch Wiederauf:
frifhung des Geleitsrechts. Die Bedrängniß der Stadt wurde fehr groß: Bürger
durften ſich kaum noch vor den Thoren fehen lafien, da ſächſiſche Reiter die
ganze Umgegend unficher machten und Wehrloie gefangen nahmen. — Unter
den „Aufhetzern“ des fächfifchen Hofes, welche die Chroniſten namhaft machen,
finden ſich mehrere Erfurter, namentlich jener Hermann von Hoff, der alte
Gönner Lange’3 und Borreiter der Bauern im Sabre 15251
s) Val. Corp. Bef. II, 676, 685, 688, 6%.
*) Der Vertrag ift abgedr. bei Faldenftein I, 601—4.
— 251 —
Den bartnädigften Gegner aber fund das Friedenswerk
“in den Prädifanten. Ihnen war die Duldung des Fatholiichen
Gottesdienstes neben dem ewangelifchen ein Aergerniß, ein Frevel
gegen dag Evangelium jelbit, und Luther, an den fie fih um
Rath und Hülfe wandten, theilte ihre Anficht: ihm erinnerte
Erfurt an Sodoma und Kapernaum!). Dem Rathe Fonnten
fie e8 nimmer verzeihen, daß er die Sache des Glaubens welt-
fihen Rücfichten aufgeopfert. Das Verhältniß zwijchen der
ſtädtiſchen Obrigkeit und der neuen Cleriſei wurde.noch gejpann-
ter, als die Fathelifchen Mitglieder des Rath fogar die Recht:
mäßigfeit der Vocation der evangelischen Geiftlichen anzufcchten
wagten. Luther, wieder um feinen Beiſtand angegangen, antiwor:
tete feinen erfurtifchen Amtsbrüdern mit einem Troftjchreiben, in
dem er ihnen einjtweilen Geduld anempfahl und bie Hülfe des
Ehurfürften in Ausſicht ftellte?). Allein die ſächſiſche Hülfe
blieb aus. Da eine Aenderung feiner Haltung von dem Rathe
nicht zu erwarten war, machten die Prädikanten ven Verſuch,
ſich völlig von feinem Anfehen zu emancipiren. Es fam darü-
ber zu bittern Streitigfeiten im Schooße der neuen Kirche felbft.
Der Rath wur nicht gejonnen, eine neue Hierarchie auffonmen
zu laſſen, einer Macht, die er ſelbſt geichaffen, eine ſelbſtändige
Stellung neben ſich einzuräumen, und trat den Anfprüchen der
Prediger mit Entjchiedenheit entgegen. Aber auch das Bolt
war ihnen zum großen Theil entgegen 3). Es Half Nichts,
daß Luther mit den angefehenften Häuptern der neuen Kirche
in einem ſehr energiichen Gutachten die Selbjtändigfeit der
— — — — — —24
) De Wette IV, 582.
2) Bol. Te Wette IV, 477 ff. Das Schreiben iſt auch yon Jonas und
Melanchthon unterzeichnet. Das Schreiben des Mechler, worin er Luther
von den Anfeindungen des Rathes in Kenntuiß feßt, ift verloren gegangen.
3) Meber die Haltung des Volkes fchrieb Wicel ſchon im Sahre 1532,
„Qui sunt e populo sanieris judicii, ii imposturas intelligere coepe-
runt et magna pars Erphurdiae resiliit a Catilina, major in ambigue
haeret.“ Wicel. epp. X 2b.
— 22 —
Prädikanten dem Rathe gegenüber in Schuß nahm und ſogar
die geiftlihe Gewalt, als die erfte, über vie weltliche erhob ?).
Das Anfehen des Rathes trug zulegt den Sieg davon, und bie
Diener ded Evangeliums mußten fid) der neuen Oronung ber
Dinge fügen, — im Herzen freilich immer noch von der Ver—
werflichkeit derjelben überzeugt 2). — Reibungen und Streitig-
feiten zwiſchen der tolerant gefinnten Rathspartei und den
theologischen Eiferern blieben in Erfurt noch lange an der
Tagesordnung ?).
Vor Allem betrafen diefelben die Univerſität. Um die
Univerfität hatte fich jchon feit dem Jahre 1530 vorzugsweiſe
— — — — — — —
1) Das Gutachten, unterzeichnet von Luther, Melanchthon, Pomeranus,
Konad und Myconius, findet fi abgedruckt in den Unſchuld. Nachr. 1715
p. 380 — 92. 3 ift merfwürdig durch die entfchiedene Vertheidigung ber
geiftlichen Principien. „Verbum Dei constituit magistratum‘‘ Tautet ber
oben erwähnte Sak, „„et non magistratus verhum aut verbi ministerium.‘“
Auch die Ernennung und Wahl der Geiftlichen wird dem Rath abgefprochen:
„Vocatio et electio ministrorum praedicationis purae non est proprie
et principaliter magistratus, sed ecclesiae“ ]. c. p. 383. — Zwei Dinge,
wird dann p. 385 ausgeführt, gäbe es in Erfurt, bie wohl auseinandergehal⸗
ten werden müßen: Bespublica und Ecclesin.
2) Ihr Ummuth und Grol tritt und in ben noch erhaltenen fpäteren
Briefen von Mechler und Lange entgegen. So fchreibt Mechler über ben
Tod Luther? an Myconiuß: „Video, Dei arcano consilio Ecclesiam tantis
viris et rectoribus orbari et nos in perpetua pugna hic cum Satana
et suis dentatissimis satellitibus adhuc relinqui.‘“ Vgl. Tenzelii Suppl.
reliqua Hist. Goth. cum praef. Cypriani p. 106. Aehnlih Lange an
benjelben; ‚„‚Utinam Evangelium apud nos promoveret, quod nunc, heu
nobis, Mantrabuli more procedit. Gratulor vobis et gaudeo, quod
sub Christiane principe degitis, qui non literarum modo, sed et pie-
tatis Mecaenas dici debeat. Nobis multi sunt priacipes, multae leges
etc.‘ 1. c. 126. Bol. Verpoortennii Annlecta rev. sup. p. 119.
3) So unterzeichnete Lange gegen ben Willen des Rathes bie ſchmalkald.
Artifel; 1543 kam es zu Mißhelligfeiten zwifchen Rath und PBrüdifanten über
die Abfchaffung Fathelifcher Geremonien, mozu die Prädifanten eigenmächtig
fhritten. Auch das Interim, welches die Prädifanten „auf eigene Fauſt“
verwwarfen, gab Anlaß zu Streitigkeiten.
— 253 —
der Kampf der Parteien bewegt. Gerade hier traten ſich die
Gegenſätze am ſchroffſten entgegen.
Mit dem Frieden von Hammelburg war der Univerfität
noch einmal ein Strahl der Hoffnnng aufgegangen. Durd)
die Ausfähnung mit dem mainzischen Stuhle war der Grund
des frühern Mißtrauens gegen fie befeitigt. Der Nath dachte
jeßt ernitlich daran, eine alte Schuld zu fühnen und den fchon
drei Jahre zuvor angeregten Plan zur Ausführung zu bringen.
In Öffentlichen Berfammlungen wurde über die „Reſtauration“
der Univerjität berathen. Faſt allgemein gab fi) daS Ber-
langen Fund, die ehemalige Hauptzierde der Stadt wiederher:
gejtellt zu jehen'). Sogar aus der Ferne kamen Aufmunte-
rungsſchreiben, welche den Wunsch und die Hoffnung ausfprachen,
dag „das erlauchte Erfurt fein Haupt wiedererhebe und dag
verlorene Anjehen wiedergewinne” ?).
Aber die Herjtelung der Univerfität war ein Werk, das
die Kraft des Rathes überſtieg. Der kirchliche Riß, der bie
Stadt in zwei feindliche Heerlager theilte, machte dad MWieder-
aufblühen ihrer Schule unmöglich, Die zurücdgebliebenen Leh—
rer jelbit waren zwijchen beide Bekenntniſſe getheilt: neben der
fatholifchen Majorität gab es eine evangelifche Minorität, aus
der während der beiden vorhergehenden Sahre (1528 — 30)
jogar der Nector hervorgegangen war). 3 Tonnte nicht die
Abſicht des überwiegend evangelifchen Nathes fein, die lebtere
von der wiederherzujtellenden Anjtalt auszuſchließen, obgleich
der hammelburger Vertrag den katholiſchen Charakter berjelben
1) Vgl. Wicelii epist. libr. IV, 8 44.
2) „„Civitas literariis rebus veluti condita existimari possit‘‘,
fchrieb damals Wicel aus Fach an den Syndikus H. ©. „adeo nihil in ea
non ad eas habile est. — Tu satage, ut Erphurdia inciyta caput re-
levet et amissam dignitatem recuperet.‘‘ I, c.
2) Heinrich Eberbach, der von 1528— 30 das Rectorat bekleidete. €.
UM. Doch war die evangelifche Minorität jehr ſchwach.
— mM —
anzuerfennen jchien '). Die Abficht des Rathes ſcheint viel-
mehr gemwejen zu fein, die Univerjität zu einem gemeinjamen
Eigenthum beider Confeſſionen zu machen, wie Achnliches früher
binfichtlich de Domes von ihm verjucht worden war. Allein
feine Partei fand fich dadurch befriedigt. Die Prädikanten,
welche von Anfang an wenig Eifer für die Wiederheritellung
der Schule gezeigt hatten, fürchteten, daß das Porhaben des
Rathes bloß dem Papſtthum zum Vortheil gereichen möchte 2).
Als bald darauf ſich daS Gerücht verbreitete, der Rath beab-
fichtige, fogar einem abgefallenen Lutheraner, dem gelehrten
Georg Wicel, ein Lehramt zu übertragen, erhob ſich in der
evangelifchen Geiftlichkeit ein allgemeiner Sturm Bon den
Canzeln wurde die Gefahr des evangeliichen Glauben? verfündet
und Alles in Bewegung gejeßt, um die Berufung des Abtrün—
nigen, der dem Volke als ein Ungeheuer gejchilvert wurde, zu
verhindern ?). Von Wittenberg eilte Juſtus Jonas herbei, um
durch einen gehäffigen, theils ſogar unmwahren Bericht über
Wicel's Leben und Charakter den Rath von feinem Vorhaben
abzujchreden und die Gefahr von der Stadt abzuwenden. Der
Rath beſaß nicht den Muth, dem allgemeinen Sturme zu trogen,
— — — — ——
1) Die Wiederanerkennung des Erzbiſchofs in allen feinen Rechten ſchloß
auch ſeine Anerkennung als Canzler der Univerſität in ſich. — Die theolog.
Facultät war ſchon durch den damals zugeſtandenen Fortbeſtand der beiden
Stifter, welche die meiſten theol. Lehrſtellen beſetzten, den Katholiken geſichert.
— Es fällt auf, daß ſeit dem J. 1531 eine ganze Reihe von Jahren hindurch
nur Canoniker das Rectorat bekleiden.
2) Auf ſie bezieht ſich Wicel's Aeußerung: „Sunt homines quidam,
quibus instauratio scholae istius non usquequaque placere videatur.
Nam factioni suae misere metuunt.“ Wic. epp. S4 a.
2) „Cathedrae templares“ ſchreibt Wicel felbft an einen Freund,
„Aclassatae sunt crebris clamoribus et furiis non referendis in me,
quem non noverunt. Intoxicati sunt civium animi tot vociferationibus,
tot sihilis, tot delationibus, tot vituperiis, tot calumniis suorum con-
cionatorum, ut nihil supra.‘“ Wic. ad J. L. d. d. Erph. Joan. Bapt.
15322. 1.c. V 3 a.
— 2355 —
und ließ den Angefeindeten, der fich bereit3 in Erfurt einge
funden hatte, fallen ').
Und auf der Fatholifchen Seite gab fich ein ähnlicher Geiſt
fund. Sie ſetzte ſich mit Entjchiedenheit dagegen, als der Rath
in der nächſten Zeit den Wunjch äußerte, zwei Lehrer von
Wittenberg zu berufen, und wußte den Plan zu vereiteln.
Die Eifrigften, wozu allezeit die aus den beiden Capiteln her:
dorgegangenen Lehrer - gehörten, gingen in der Unduldſamkeit
jo weit, daß fie Allen, die in Wittenberg den Studien obge—
legen, die Ertheilung der afademifchen Grade vermeigerten ?).
Bei diefer Teidenfchaftlichen Erregtheit der Gemüther auf
beiden Seiten war an ein Wiederaufblühen der Univerjität um
jo weniger zu denken, als die gelehrten Studien ſelbſt jeit dem
Anfang der kirchlichen Bewegung immer mehr in Verachtung
gerathen waren. Schon 1529 wird in den afademijchen An—
nalen über den zunehmenden Materialismus der Seit Klage
geführt und mit Bedauern auf die Erfcheinung hingewieſen,
daß Alles, was noch Talent befite, jebt die unfruchtbare Wiffen-
Tchaft verlaffe, um dem einträglichen Gewerbe oder dem Handel
ſich zuzuwenden!“) Fürwahr, der jegige Hader der Parteien
—— — — —— — —
1) Ueber die gegen Wicel angezettelten Umtriebe vergl. man Wicelii
epp. Q3a—R25, V2a—3b, X 2 a—3 b, c 3a sqq. De Wette
IV, 385. Wicel batte fich um die bebräifche Profeffur beworben, die er jo
ficher erwartete, daß er bereits feine Antrittsrede ausgearbeitet hatte.
2) So berichten wenigſtens einzelne Chroniften und fügen hinzu, daß die
Papiſten fpäter auch den für illegitim erflärten Söhnen der Präbifanten die
akademiſchen Grabe verfagt hätten. — Vgl. Narr. de Eob. Hesso et Epi-
stolae L 2 a.
3) Vgl. Philoſoph. Matrifel ad a. 1529. „Inter hujus seculi innu-
mera mala unice dolenadum, quod bone litere saluberrimaque bonarum
arcium studia, quibusvis fedissimis questibus posthabentur. Omaia
ingenia liberaliora, quibusque divina henignitate contigit, ut optimis
literarum studiis incumbere possent, ilico aut mercature aut alis
artibus questuosioribus mancipantur. Antea dum sacerdociorum spes
essct, aliquantum literarum racio habita est: en spes cum alibi sublata
sit, alibi nutet, nemo est, qui liberos suos erudiri solide alicujus
— 256 —
war nicht geeignet, die frühere Begeiſterung für gelehrte Stu-
dien zurückzurufen!
Nur Ein Mittel ſchien noch übrig, der darnieberliegenden
Schule wieberaufzuhelfen und Erfurt3 alten Ruhm zu erneuern:
die Zurückberufung des gefeierten Dichters, der vor Allen den
frühern Ruhm der Schule vertrat. Auf Eoban Hefe richteten
ſich die Blicke aller redlichen Freunde der Univerfität. _ Sein
anerkannter Ruhm, feine milden religiöjen Anfichten Tießen ihn
in gleicher Weile als den einzigen nod) möglichen Netter der-
jelben erjcheinen. Noch vor Ende 1532 empfing er die Ein-
ladung, nach Erfurt zurüdzufehren.
Und Eoban war dazu bereit. Er hatte fich in der vor:
nehmen Handelsſtadt an der Pegnitz, troß der Auszeichnung,
womit er dort behandelt wurde, nie recht heimiſch gefunden.
Sein Herz hing an Erfurt, an der Schule, welcher der größte
Theil feines Reben? gewidmet geweſen. Mit lebhafter Freude hatte
er von den Bemühungen des erfurter Rathes vernommen, und
gen war er jett bereit, ihm zu Hülfe zu eilen. Mehr al?
die Hälfte feiner Einfünfte brachte er zum Opfer, fchlug gleich:
zeitig an ihn ergangene ehrenvolle Einladungen nah Witten:
berg und Marburg aus, um dem Drange feine? Herzen? nad)
Erfurt zu folgen. Sieben Sahre war er abweſend gewejen,
als er im Frühjahr 1533 wieder bei feinen alten Mitbürgern
eintraf ").
faciat. Tum qui sacerdocia adhuc aucupantur plerique perditis fere
adeo ingeniis sunt, ut et ipsi literas tamquam veritatis ministras et
imposturarum hostes pessime odiant et; detestentur.‘‘ — Ganz ähnlich
lautet Wicel’8 lage: ‚‚Parentes et cognati saepe vel invitos filios e-
ludis exturbatos ad officinas propellunt, sive quia contemptissimum
sacerdotium, sive quia non habent, unde ocii literarii sumptus susti-
neant. Quaestio nunc est, non quantum quis sciat, sed quantum ha-
bent. Expers sui honoris est scientin, abdomen vero et tumor et
opulentia mirifice colitur. Scholae deseruntur, ad aulas, ad emporia,
ad Alchumiam ad metallariam strenue curritur.‘“ Wic. cpp. Ee la.
ı) Bgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 50, 65, 135, 138, 155, 219, 267.
— 297 —
Großer Jubel herrſchte in Erfurt über Eoban’d Rückkehr.
Es fchien, als ob aller confeſſioneller Hader vergeſſen ſei. Als
der endliche Wiederherſteller der Univerſität wurde der Ange—
kommene von ſeinen alten Bekannten beider Parteien begrüßt.
„Ich freue mich“, ſchrieb Wicel damals, „über das Glück, das
unſerm Erfurt zu Theil geworden, daß ihm endlich ſein Eoban
zurückgegeben worden iſt. Dieſer wird, was immer mein ſehn⸗
lichſter Wunſch war, das erloſchene Licht der Wiſſenſchaft wieder
anzünden. Es werden jetzt wieder frohlocken die traurigen
Muſen, nachdem ſie ſo lange verachtet und nackt am Boden
gelegen” 1). Und dies hoffte zuverſichtlich auch Eoban ſelbſt.
Durch öffentlihen Anſchlag verkündete er, daß Erfurt feinen
alten Ruhm, als Stadt der Mufen, mwiebergewinnen und den
Wiſſenſchaften nicht Länger die gebührende Ehre vorenthalten
werde. Auf die Opfer hinweiſend, die er jelbjt gebracht, for:
derte er Alle auf, jeinem Beifpiele zu folgen, ihre Bemühungen
mit den feinigen zu vereinigen, damit durch vereintes Wirken
bald dag alte Erfurt wieder erjtehe 2).
Narrat. de Eob. et ep. R 2 a sqq. Libell. alt. epp. C 6 b. Libell.
nov. epp. C 8 a. Corp. Ref. II, 624. — Männer von beiden Belennt-
niffen wie ber Fatholifche Canoniker Groeningen und ber inzwifchen wieder
mit Eoban ausgefühnte Lange hatten fich zu einer Zurücdberufung bie Hand
geboten. — Statt der 150 Gulden, die er in Nürnberg bezog, konnte ihm
Erfurt mur 60 Gulden bieten, trotzdem und troß ber glänzenden Anerbietungen,
die ihm ber Churfürft von Sachſen machte, zog er Erfurt vor. Vgl. Narr.
de Eob. Q 8 b. Epp. fam. p. 239.
1) Wicel, ad W. L. d. d. 21. Maj. 1533. — Wic. Epp. Ji3b.
2) Vgl. Eob. Farr. I, 337. In foribus scholae Erphordianae cum
e Norico reversus esset.
Nunc age, qui reduces posteras sperare Camoenas,
Me duce Musarum limina rursus adil
Me nisi versa retro fati vis certa fefellit
Jam suus ingeniis restituetur honor,
Jam studia amissum decus et detracta resument
Praemia, jam virtus nulla jacebit iners etc,
Daß aber daneben auch fofort wieder die alten Gelagereien begannen, erjieht
man Narr. de Eob, et Epp. K7 au. a.
Kampſchulte, Univerfirät Erfurt. II. Theil. 17
— ass —
Allein die großen Erfolge, die fich Eoban jo zuverſichtlich
veriprach, blieben aus, und bald genug hatte er Urſache, den
gethanen Schritt zu bereuen. Bei dem Rathe fand er zwar
guten Willen, aber nicht immer die gewünfchte Unterftüsung;
die Menge verhielt ich theilnahmlos und gleichgültig; allent-
halben trat ihm der Firchliche Zwift heinmend entgegen. „Mit
unferm Schulwejen”, ſchrieb er ſchon im folgenden Sabre an
Camerarius, „geht es in der gewohnten Weife, d. i. ſchlecht.
Dieſe Stadt ift die Uneinigkeit jelbft” 2). Alle feine Bemühun:
gen und Anftrengungen blieben fruchtlos. Die Frequenz der
Schule fteigerte ih nur unbedentend. Eoban's Name hatte
jeine alte Anziehungskraft verloren). Dazu fam, daß ihm
von den übrigen Lehrern nur wenig Hülfe geleiftet wurde.
Maternus Piſtorius, fein alter Xehrer, der ihn als Vicecanzler
der Univerfität im erften Jahre nach Kräften unterftügt Hatte,
ſtarb ſchon das Jahr darauf 1534 — er war der Einzige
geweſen, der in böſen, wie in guten Tagen an ber Stätte des
alten Ruhmes audgehalten. Ein Verſuch, Camerarius und
Micyllus zur Rückkehr nach Erfurt zu bewegen *), hatte Teinen
Erfolg. Da verlor auch Eoban, in allen feinen Erwartungen
getäufcht, Muth und Freudigkeit und gewann jeßt die Weber:
zeugung, daß der alte Ruhm der vielbefungenen Stadt unwie
derbringlich dahin ſei. Gegen feinen Willen zurückgehalten,
verlebte er noch einige traurige Jahre in Erfurt, bis 1536 ein
ehrenvoller Ruf nach Marburg ihn dem troſtloſen Wirkungs⸗
kreiſe für immer entrückte ).
1) „De nostris rebus scholasticis nostro more omnia i. e. male.
Haec ciwitas eat ipsa discordia.‘“ Am 6. Juli 1534. Narr. de Eob.
et epp. L 4 b.
2) Im erſten Jahre ſeiner Anweſenheit ſtieg zwar die Zahl der Inſcriptionen
wieder auf 76, ſie ſank aber ſchon in den nächſten Jahren wieder; 1534 wurden
nur 68, 1535 zwar wieder 74, 1536 aber nur 50 immatrikulirt. E. U. M.
3) Vgl. Eob. et amic. ep. f. p. 50. Narr, de Bob. et ep. K7 a.
*) Vgl. Narr. de Eeb. et epist. M 7 b. — Eob. et amic. ep. f.
p. 179, 181, 1%.
— 19 —
„Run tft e8 um die Studien in Erfurt gefchehen”, klagte
Melanchthon, als er von Eoban’3 Abzug hörte, „Barbarei
wird, nachdem die Muſen verftummt, die Oberhand gewinnen“ ?).
Der legte Schimmer von Hoffnung war geichwunden. Der
Rath 309 ſich mißmuthig von der hoffnungsloſen Anftalt zurüd.
Der Streit der firchlichen Parteien, der während Eoban's An-
wejenheit etwas geruhet hatte, entbrannte mit neuer Heftigfeit.
Noch einmal beftieg der greife Lange 1539 den theologijchen
Lehrſtuhl, um feiner Erbitterung gegen das Papftthum Luft
zu macen?). Die Katholifchen rächten fich, indem fie, ihr
Uebergewicht benutzend, die Gegner von allen afademijchen
Würden ausſchloſſen. Mäßigung wurde von Feiner Partei
geübt. Als endlich der Fathofifche Theil die Hand zum Frieden
bot und durch die Wahl eined evangelifchen Geiftlichen zum
Rector ein anerfennendwerthes Beijpiel von Duldſamkeit gab,
da geſchah e8, daß die Amtsgenoſſen des Gewählten biefem die
Annahme des dargebotenen Geſchenkes aus den Händen ber
Geber unterfagten: nicht Dulbung wollten fie, fondern Allein-
herrſchaft °).
ı) Vol. Eob. et amic. cp. f. p. 205.
2) Lange Icheint von da ab bie thenlogifche Lehrthätigfeit bis an ſeinen
Tod (1548) fortgeſetzt zu haben. Achtzehn Jahre nach ſeinem Tode (1566)
wurde von dem Rathe eine förmliche Profeſſur für die augsburgiſche Con⸗
feſſion gegründet (vgl. Motſchmann 5. Fortſetzung p. 569). Da auch das
Collegium Saxonicum bald in proteſtantiſchen Beſitz kam und in den drei
niedern Facultäten immer einige proteſtantiſche Docenten blieben, ſo erhielt
die Univerſität in der That, wie es der Rath gewünſcht, einen paritätiſchen
Charakter, der im vorigen Jahrh. noch mehr ausgebildet wurde, indem der
Erzbiſchof Emmerich Joſeph (1767) ein vollſtändiges Lehrercollegium für die
evangel. Theologie errichtete, das aber freilich keine Facultätsrechte erhielt. —
3) Der Gewählte war Joh. Gallus, Prediger an der Reglerkirche. Das
evangeliſche Miniſterium erklärte, „es ſey ein öffentlicher Umgang mit denen
katholiſchen Geiſtlichen bey dem gemeynen Manne ärgerlich und alſo ſollte er
(Gallus) entweder das Rectorat abſchlagen oder durch Hülfe des Rathes aus⸗
wirken, daß es ihm in Collegio majori ohne Beiſein jener übergeben werde.“
Sie beriefen ſich auf die Stellen ber Bibel, welche ausfagen, daß man einen
Teßerifchen Menfchen meiden müffe, um nicht feiner Verbrechen theilhaftig zu
17%
— 0 —
Doch was den Haß der Parteien entflammte, war nur
noch ein Schattenbild. In trauriger Verlafienbeit fand Me:
lanchthon 1540 bei feiner Anwesenheit in Erfurt den einft
gefeierten Muſenſitz!). VBerödet Itanden um die Mitte des
Jahrhunderts die Hörfääle, in denen ein Jahrhundert früher
der rührigite Theil der deutſchen Jugend ſich zufammengefun-
den, in denen vor einem Menfchenalter der Ruf nach Deutſch⸗
lands Befreiung am lauteſten erjchollen. Mehr und mehr tritt
jeitvem die Erinnerung an die große Vergangenheit der Schule
bei denen, welche fie noch vertreten, zurüd. In den afabemi-
ſchen Annalen werben die Klagen über die hingeſchwundene
Größe immer feltener: die Zeit lehrte nach und nach die erlit-
tene Erniedrigung verſchmerzen. Nur in der Ferne beklagten
noch Eoban’3 zerftreute Genofjen eine Zeitlang das traurige Ge
ſchick, das die erfte der deutfchen Schulen getroffen — und fie jelbft.
** LS
Wir Finnen von dem Gegenjtande unferer Darftelung
nicht fcheiden, ohne zuvor noch einen Blick gu werfen auf bie
legten Schieffale jener kühnen, jugendlich feurigen Gelehrten-
fhaar, die Mutian’3 Anfehen und Eoban’3 Dichterruhm in
Erfurt vereinigt hatte, und an die fich vor Allem der Ruhm
der erfurtifhen Schule Fnüpfte,
Traurig, wie das Geſchick der Univerfität, deren Ruhme
fie gedient, war auch das ihrige. Luthers Triumpbzug am
6. April 1521 hatte fie zum letzten Mal vereinigt gezeigt.
werben. Indeß ber Rath war anderer Anficht und bewirkte bie Annahme.
Der Vorfall fällt in das Jahr 1569. Pol. Motſchmann Dritte Sammlung
p. 414, Hundorph Encom, Erf, BAb—Cib.
ı) Corp. Ref, III, 1016.
— 211 —
Der erften Zerftreuung durch den „Pfaffenfturm” folgte eine
zweite, noch vollftändigere, durch die neu auffommende Macht
der Prädikanten. Die Wiedervereinigung, auf die Hutten noch
in feinen legten Tagen gehofft, trat nicht ein. Vielmehr ver:
trieben die ftürmifchen Ereigniſſe des Jahres 1525 auch bie
Zebten von der theuer gewordenen Stätte.
Seitdem fehen wir Eoban's Genofjen, Flüchtlingen gleich,
über ganz Deutfchland, nach den werjchiedenften Richtungen hin
zerftreut 2), zum Theil hülf- und obdachlos umberirren, im
Kampf mit Noth und Entbehrung. Derſelbe Geift, dem fie
in Erfurt hatten weichen müffen, trat ihnen auch in der Ferne
entgegen. Nur Wenigen war ein fo milde Loos bejchieden,
als Eoban, der nad) feinem zweiten Abzuge von Erfurt in dem
Zandgrafen Philipp von Heffen einen theilnehmenden und groß:
müthigen Gönner fand, und als Lehrer der claffiichen Literatur
an der Univerfität Marburg den alten Frohfinn wiedergewann,
ben er in Erfurt vollftändig eingebüßt. Doch erft vier Jahre
hatte er feined neuen Glückes genoffen, als der Tod ihn abrief:
er ftarb im vierundfünfzigften Jahre feines Alters, am 3. De
tober 15402). Biel unfreundlicher waren die leßten Lebens⸗
1) „„Dissipatio ista tam multorum amicorum‘‘, ſchreibt Eoban 1526
an Cordus, „qui aliquando una viventes familiaritate et humanitate
mutua suavissime fruebamur, non potest mihi non tristissima accidere,
divolanlibus nobis, sicut aviculae dispulsae solent. Sed fercndum
etiam hoc incommodum est.“ gl. Libell, nov. epp. C 4 a.
2) Irrig wurde bisher al? fein Todesjahr 1541 angenommen. Ferrarius
Montanus, ber 1540 das Nectorat befleidete, gebenft im Album der Univer:
fität feined® Todes mit folgenden Worten: „‚Flete Musae! Helius Eobanus
Hecssus, poetarum nostrae aetatis facile princeps, dum scholasticum
hunc magistratum sustineremus, anno Christianne salutis supra ses-
quimilesimum quadragesimo IV Non. Octobr. diem supremum obiit,
non sine magno eruditorum desiderio, cui postero die in coemeterium
monasterii divae Elisabethae elato justa faciebamus, perorante D.
Joanne Draconite sacrae theol.- doctore Professore et Ecclesiaste.“‘
Nach einer Mittheilung ded Herrn Prof. Heppe in Marburg. Vgl. übrigens
3b. I, p. 60.
— m —
jahre ſeines Freundes und Landsmanns Euricius Cordus, der,
nachdem er ſeit dem J. 1522 ſeinen Aufenthalt unſtät zwiſchen
Erfurt, Braunſchweig, Emden, Marburg gewechſelt, in Straß⸗
burg vergeblich eine Anſtellung geſucht Hatte!), 1535 als
Lehrer und Stadtarzt in Bremen in büfterer Stimmung fein
Leben beſchloß. Glücklicher als er, fanden Micyllug und Ca—
merarius nach manchem vorhergegangenen Wechfel, jener in
Heidelberg, diefer in Leipzig, als Lehrer der claffiichen Sprachen
einen erwünſchten Wirkungskreis: noch heute lebt das Andenken
an die langjährige, verdienſtvolle Thätigkeit, die fie dort als die
legten Träger hHumaniftifcher Bildung in einem Zeitalter zuneh-
mender Barbarei entfaltet haben ?). Bewegter war das Leben
der meiften Webrigen. Erſt nach vieljährigen Srrfahrten und
harten Kämpfen konnte Martin Hunus, Eoban's treuejter
Freund, zu einer feiten Lebenzftellung gelangen, welche ihm
zulegt Graz in Steiermark gewährte. Joh. Draconites finden
wir faft fein ganzes Leben hindurch auf unruhigen Wanderungen
und von Mißgeſchicken jeder Art verfolgt, bald in Norbhaufen,
bald in Eifenach, bald in Marburg, bald in Xübed, bald in
Roſtock, zu drei verfchiedenen Malen in Wittenberg, wo im
%. 1566 der Tod ihm endlich Ruhe brachte. Ein Leben voll
harter Entbehrungen und Anfeindungen war auch Wicel’3 Loos,
1) Diefer von den Biograpben übergangene Umftand erhellt aus einem
noch ungedrudten, an Sturm und Bucer gerichteten Schreiben des heſſiſchen
Rathes Meyer d. d. 1. Mart. 1532, der den Corduß „quem hic in sen-
tina et inter aulicas simultates, ubi assentatio, quam non didicimus,
integritati praefertur, latere nolui‘ dem Straßb. Rath als Stadtarzt
empfiehlt. Mittheilung von Herrn Prof. Cornelius aus dem proteftantifchen
Kirchenardhiv zu Straßburg.
3) Micyll ftarb 1558, nachdem er dad Jahr vorher in Gemeinfchaft mit
Melanchthon die Univerfitätsftatuten veformirt hatte. Eine forgfältige Bio:
graphie Micyll's bat jüngft nach der Fürzern Arbeit von Hautz Hr. Director
Glaffen geliefert. Camerariuß dagegen (} 1574) harrt noch feines Biogra-
pben. Die vorhandenen ältern biographifchen Darftellungen, Reden 2c. von
Drefler, Edard, Fifcher, Bezzel find meiſtens oberflächlich oder erſchöpfen den
Gegenftand nur theilmeife.
— 263 —
den wir bis in ſein Greiſenalter flüchtig von Ort zu Ort
waandern ſehen, bis er in feinen lebten Lebensjahren in Mainz
ber gewünjchten Ruhe theilhaftig wird. In ähnlicher Weife
gewährt der fpätere Lebenslauf eines Niger, Ceratinus, Urban,
Petrejus u. U. das Bild einer unftäten Wanderung, eines
Suchen? und Ringen? nach einer feiten Lebenzftellung, bie
nicht Allen zu Theil wurde). Xeichter zwar gelangten bie
jenigen zum Ziel, welche jich unter Wittenberge Schuß ftellten
und als Diener der neuen Predigt ein Unterfommen fanden,
wie Juſtus Jonas, der im Beſitz einer reichen Pfründe in
Wittenberg den erfahrenen Wechjel Leicht verjchmerzte 2); indeß
die Streitigkeiten, welche bald innerhalb ver neuen Kirche aus⸗
brachen, machten auch ihre Stellung ſchwierig und unficher. —
Andere verjchwinden nach der Auflöjung des Bundes völlig in
dem Getümmel der Zeit und Nichts gibt und noch von ihrem
Dafein Kunde, ald der Ausdruck der Wehmuth, womit Eoban
und Camerarius in ihren Briefen zuweilen noch der Vermißten
gedenken. So ruht völlige? Dunkel über den lebten Lebens⸗
jahren des Crotus Rubianus, der einjt neben Luther und
Hutten ald Wortführer an der Spite der nationalen Bewegung
gejtanden hatte: nicht einmal dad Jahr feines Todes ift und
befannt °).
1) Anton Niger ftarb 1555 nach einem äußert ‚bewegten Leben als
Stadtphyſikus in Braunſchweig, Ceratin, ber ſchon 1526 in fein Vaterland
zurüdgefehrt war, 1530 in Löwen, Urban's Todezjahr ift ungewiß, zum letzten
Mal wird fein Name im %. 1538 genannt. Petrejus farb ſchon 1531 in
großer Verlaſſenheit in Erfurt, wohin er ſich kurz vorher zurüdbegeben hatte.
Das Leben des Yebtgenannten Gelehrten, befien Kenntniffe im Lateinifchen,
Griechiſchen und Hebräifchen Spalatin nicht genug zu rühmen weiß, ben
Eoban den beutfchen Gatull, Mojellanus die Wonne bed Humanismus,
Mutian eine Zierde bed Zeitalterd nennt, und den letterer ald ben tieffin-
nigften unter feinen Schülern bezeichnet, verdiente wohl, in ein helleres Licht
gejtellt zu werben.
3) Vgl. Eob. et; amic. ep. fam. p. 285.
2) Daß er 1539 noch Iebte, erhellt auß Kob. Farrag. 7, 35 a. Auch
führt ihn Henning Pyrgallus in dem 1539 erfchienenen Genvoorızov de
— 264 —
Es war eine harte und rauhe Zeit. Andere Fragen
beſchäftigten jetzt die Gemüther, als die des Humanismus.
„Deutſchland iſt nicht mehr das frühere“, ſchrieb ſchon im
Jahre 1530 der Humaniſt Metzler an Crotus Rubianus, als
dieſer nach ſiebenjährigem Aufenthalte in Preußen nach Deutſch—
land zurückkehren wollte, „Alles iſt verändert. Die Wiſſenſchaft
findet keine Anerkennung mehr. Ueberwinde dich und gib der
Unbill der Zeit nah”). Fürwahr, Eoban's und feiner zer-
ftreuten Genoſſen Schieffal Tegte Zeugniß davon ab, daß eine
andere Zeit begonnen.
Aber größer noch, als die Außere, war die innere Tren⸗
nung, welche durch die kirchliche Bewegung unter den Mitglie-
dern unfered Kreifed herbeigeführt wurde. Der überfchwengliche
Enthuſiasmus, womit Alles in Erfurt den Ausbruch der Be
wegung begrüßt hatte, war nicht von Dauer. Auf den Jubel,
unter dem Luther, als der erjehnte Apoftel der Freiheit, feinen
Einzug in Erfurt gehalten, waren die Wehetage des Pfaffen:
ſturms gefolgt. Die erfte Begeifterung fühlte fih ab. Das
feparatijtifche Kirchenwefen, das dann Luther feit dem J. 1522
in Wittenberg aufzurichten begann, entjprach nicht dem Ideal,
das feinen Verehrern in Erfurt vorgefchwebt. Viele zogen ich
mißmuthig von ihm zurücd und fuchten wieder in den Studien
Troſt. Andere traten offen ihren Rüdzug in die alte Kirche
an, bitter die Täufchung beflagend, die man ihnen bereitet ?).
jacturis 88, religionis Christianae noch unter den Streitern für bie
fathol. Sache auf. Indeß muß er bald darauf geftorben fein. Sicher hat
Juſtus Sonas, ber 1541 als Reformator nah Halle fam, wo Crotus ſich feit
1531 aufhielt, ihn dort nicht mehr getroffen. —
1) Bol. Tert. libell. epp. R 4 a. — „‚Verum ista rerum huma-
narum est conditio‘‘, trüftet fi Camerariuß, „Nihil ut perpetuum sit
in terris, sed vicissitudine quadam fluctuent universa. Quemadmodum
singulis annis variantur tempora, ita aetatibus aliis alia in precio
sunt et magnifiunt atque expetuntur.“ 1.c.S6b.
2) „Primum positum est bonum vinum, sed inebriatis nobis, id
quod est deterius. Panem in dextra vidimus ostendi, lapidem in si-
nistra latentem non vidimus.‘“ Wic. Epp. Q 2 a.
— 6 —
Nur ein Theil blieb Luther getreu und folgte ihm auch auf
feine neuen Pfade. Sy traten jich innerhalb Eoban's Genoffen-
Ichaft drei größere Parteien feindlich entgegen: die Parteien
der Alt: und Neugläubigen und die humaniſtiſche — und mehr,
al? alle äußern Mißgeſchicke, hat diefer innere Zwift zu ihrer
Auflöfung beigetragen. |
Ein Gutachten der wittenberger Theologen ber die evan-
geliichen Zuftände in Erfurt aus dem Sahre 1536 hebt es als
ein beſonderes Verdienſt diefer Stadt hervor, daß fie der neuen
Kirche mehrere ihrer Hauptzierden gegeben !). Aber mit dem—
jelben Rechte konnte die alte Kirche auf eine nicht unbeträcht-
liche Anzahl von Bertheibigern des alten Glaubens hinweifen,
die in Erfurt ihre Bildung empfangen hatten. Aus Eoban’3
Umgebung gingen Männer hervor wie Femelius, Kling, Wicel,
unermüdliche Streiter im Kampfe gegen Luthers Reformation-
werk, dejjen Anfänge freilich auch fie einjt mit lautem Jubel
begrüßt hatten. Andere, die nicht gleichen Muth zum Kampfe
befagen, Ließen fich wenigſtens durch feine Rückſicht abhalten,
fi) wieder ald Anhänger des alten Glaubens zu befennen.
Als eine merfwürdige Erfcheinung verdient es hervorgehoben
zu werden, daß namentlich diejenigen, welche zu Mutian's
engerem Kreife gehörten, dem alten Kirchenwejen ven Vorzug
gaben. Bon Betrejuß erfahren wir, daß er während feiner
legten Jahre wegen feiner fatholifchen Haltung von den Luthe—
rifchen harte Anfeindungen erlitt, Urban erfcheint in naher
Verbindung mit den Wortführern der Fatholifhen Sache in
Erfurt ?). Ja fogar Crotus Rubianus, den begeifterten Sprecher
der Univerfität bei Luthers feierlihem Empfange in Erfurt,
jehen wir zehn Jahre fpäter den Rückzug in die alte Kirche
nehmen. Es Tag fein Widerfpruch darin, daß der Main, ber
im %. 1520 neben Luther und Hutten Yeivenfchaftlich einer
1) Bol. Uni. Nachr. Sahrg. 1715. p. 385.
2) Bol. Wicelii Epp. O 4a, S2a,Yia,o3b.
— 266 —
nationalen Erhebung das Wort geredet hatte, ſich von der Be—
wegung losſagte, als dieſelbe die damals verfolgten großen Ziele
aufgab und ihr Ziel in der Gründung einer Sonderkirche fand,
die ihm durch Herrſchſucht, Willkühr, unerträglichen Glaubens⸗
druck die Uebelſtände ver alten Kirche noch zu vermehren ſchien 1).
Aber ſchwer mußte es ihm doch fallen, wie feinem Andern,
fh von einer Sache loszuſagen, der er ſich mit der ganzen
Leivenichaft feiner Seele hingegeben hatte, mit der fein Ruhm
ftand und fiel, und ein Act außerorventlicher Selbftüberwindung
war e3, al? er die Wiederaufnahme in die Gemeinjchaft jener
Kirche juchte, die er Jahre Yang mit den fchärfften Waffen des
Spotte® und Hohnes befämpft hatte! Erſt nach einem zehn:
jährigen innern Kampfe bat er fich dazu entjchließen können.
Eritaunt jahen die Einen, entrüftet die Andern im Herbft 1531
Lutherd alten Streitgenoffen, den Berfaffer zahlloſer Flug:
Ihriften gegen Papſt und Geiftlichkeit, als Vertheidiger der
kirchlichen Ordnung für den Erzbifchof Albrecht von Mainz
auf den Kampfplatz treten! ?)
ı) Den Beiftesdrud und die Glaubenspolizei, welche die neuen firchlichen
Machthaber ausübten, rügt er namentlich in ber Apologie für den Erzbifchof
Albreht von Mainz. ‚‚Habent leges hae (sc. evangelicae) nudiustertius
e coelo missne suos Coricaeos, suos vigiles Argos, qui transgressores
ad judices deferant, nec item reliquarum legum more circumscribuntur
terminis, inter quos natae sunt, procul sequuntur cives suos quocun-
que negotiorum causa proficiscuntur. Quod commiseris Neapoli con-
tra tam bona psephismata, peregre profectus, ejus rei poenam luis
Parthenopoli domum reversus etc.‘“ Vgl. Apologia, qua respondetur
temeritati calumnistorum non verentium confictis criminibus in popu-
lare odium protrahere Rever. Albertum Archiep. Mog. a Joanne
Croto Rubeano privatim ad quendam Amicum conscripta. (Am Ende:
Lips. 1531). R3b--4a. Noch 1521 hatte er al3 Grund feiner Anhäng⸗
lichkeit an Luther angeführt, daß L. das Volk aus ber Knechtfchaft befreit habe.
Erotus an Lange 9. Auguft 1521. (M. ©. der Königl. Bibl. in Münden).
2) Die Gründe feines ſchon feit 1521 vorbereiteten Rücktritts entwidelt
Crotus felbft in feinen Briefen an den Herzog Albrecht von Preußen, bie
mir durch freundlihe Mittbeilung bed Herm ©. R. Profefior Boigt in
Königsberg in einer Abfchrift des Originals vorliegen unb die. ihrem weſent⸗
— 1 —
Indeß zahlreicher ſind doch die Streiter für das Evange⸗
lium, die aus unſerm Kreiſe hervorgingen. Gar mancher ent-
ſagte den kühnen Entwürfen der Jugendzeit, der alten Frei—
heitsluſt und ordnete ſich willig dem gewaltigen Mönche in
Wittenberg unter, der es, wie ſelten ein Sterblicher, verſtanden
hat, die Geiſter zu beherrſchen und ſich dienſtbar zu machen.
Aus Schwärmern für des Vaterlands Befreiung werden Eiferer
-
lichen Inhalte nad ſich abgebrudt finden in Voigt's Briefmechfel der berühm:
teften Gelehrten des Zeitalter der Ref. mit Herzog Albrecht von Preußen
p. 160 ff. Erotus betont Hier namentlich die Uneinigleit in ber neuen Kirche
und die maßlofe Verdammungsſucht der Lutherifchen, „das man nicht? wolt
laſſen onzeriffen, onbefubelt, obs glei von ber Zceit der Apofteln vnd von
der apofteln Dizcipeln uff ons bracht, und bag iko mehr ein fect aus ber
andern wuchs.“ Zwar leide auch die alte Kirche an großen Mängeln, aber
es fei doch bei ihr niehr Ausſicht vorhanden, baß fie gebeifert werde, als bei
ber neuen „durch kurtze Zar in fo vil ſtück zeriſſen.“ „Sch wil”, ſchreibt er
4532 an den Herzog, „mit ber Hülfe Gotes in der gemeinfchaft ber heyligen
riftlichen Kirchen bleiben und alle Novitet laſſen für über mwehen, wie ein
fawern rau und vff? Ende trachten. In kurtz müffen wir alle fterben,
Jungk und alt. €. f. g. wollen das auch betrachten vnd wandern im wege,
der vns von der Zeit ber Apofteln bis bieher durch die Lerer der fchrifft
geweift if.” — So fpricht nicht der glaubenslofe, um fchnöden Geldgewinn
zum &onvertiten gewordene Heuchler, ald welchen ihn bie übliche Auffaſſung
darftellt, und ben auch Strauß 1. c. IL, 357, ber faft nur das Zerrbild be
Anonymus wiedergibt, in Crotus zu erbliden geneigt ift. Die Behauptung,
Crotus fei fatholifch geworben, lediglich um eine Verforgung zu erhalten —
auch Strauß ſpricht von einem „ſich anwerben laſſen“ — ift geradezu lächer:
fi, da ein Mann von den PVerdienften und dem Anfehen bed Erotus auch
wohl noch in der neuen Kirche eine Verforgung hätte erhalten können —
hätte er fie gewünfdht. Sein Verhältniß zu Wicel, der Freimuth, womit er
jelbft in der erwähnten Apologie noch die Mängel ber alten Kirche rügt
(‚„Possum vere dicere: Iliacos intra muros peccatur et extra’C Apo-
logia etc. B 2 a) zeigt, daß er fi nicht bat „anmwerben“ Yaflen. Sein
innigfter Wunſch ift, daß eine Vereinigung ber beiden Neligionsparteien zu
Stande Fommen möge. Vgl. Voigt 1. c. p. 162; Apologia C 1b. —
Freilich bat Crotus nicht immer fo gebadht, aber der Anonymus, Juſtus
Jonas, war am menigiten berechtigt, ihn als einen „Abtrünnigen” vor feinen
Richterſtuhl zu ziehen, da fein eigener Abfall von ber Sache der Freiheit größer
war und die Entrüſtung Huttens (defien Schatten er heraufbeſchwört) in
höherem Grade hervorgerufen haben würde, als ber des Crotus.
— 268 —
für die Rechtfertigung durch den Glauben allein und die Lehre
von der Unfreiheit des Willens. Mehrere der eifrigſten und
leidenſchaftlichſten Vertheidiger der lutheriſchen Sache verdanken
der Univerſität Erfurt ihre Bildung und gehörten einſt Eoban's
nächſter Umgebung an. Keinen leidenſchaftlichern Verehrer hat
Luther gefunden, als Juſtus Jonas, der in ſolchem Grade von
Bewunderung für den Reformator hingeriſſen war, daß er ſelbſt
in den menſchlichſten Handlungen desſelben Wunder der gött-
lichen Allmacht erblickte), und gornentbrannt auffuhr, wo irgend
ein Widerfpruch gegen Luthers Autorität jich erhob, deffen Wille
ihm unverbrüchliche® Gefeß, deſſen Ausſpruch ihm unfehlbar
war?). Aehnlichen Eifer nahmen wir bereitß früher bei Luthers
ebemaligem Ordensgenoſſen Johann Lange wahr, dem Führer
ber zornigen Präbifantenjchaar in Erfurt. Auch Juſtus Me
nius erjcheint ganz von dem Eindruck beherricht, den Luther
gewaltige Berfönlichkeit auf ihn gemacht. Luther ift ihn der
erite und einzige dem deutfchen Volke von Gott gejandte Apo-
jtel, der alleinige VBerfünder ver Wahrheit, deſſen Ausſprüchen
1) „‚Rei insigniter novae nuncia Tibi venit haec mer Epistola, mi
Spalatine‘‘, fchreibt er an Spalatin 3. B. über Luthers Verbeirathung,
„Lutherus noster duxit uxorem Catharinam de Bora. Heri adfui rei
et vidi sponsum in thalamo jJacentem. Non potui me continere, astans
huic spectaculo, quin illachrymarem, nescio quo affectu animum per-
cellente, quandoquidem sic nostra res cecidit et Deus voluit, Precor
optimo et sincerissimo Viro charissimoque in Domino parenti pluri-
mam felicitatem. Mirabilis Deus in consiliis et operibus suis. — Haec
significavi Tibi ad hanc rem solam conducto tabellario!“ Vgl. Schel-
born Amuenitätes IV, 423. —
3) Vgl. Contra tres pagellas Agric. Phagi Georgii Witzel, quibus
pene Lutheranismus prostratus et voratus esset, J. Jonae Responsio.
8°. (Am Ende: Wittenb. 1532). A 6 a, E 1 a. Seine Streitfhrift gegen
Latomus und die beiden Streitfchriften gegen Wicel gehören zu dem Heftigſten
und Roheften, was die polemifche Kiteratur jener Zeit bietet. Wicel empfängt
in einer Schrift nicht weniger ald 200 Schimpfnamen. Selbſt Knapp, ber
Lobredner des Jonas, weiß ihn nicht anders zu entjchulbigen, als durch die
Annahme ‚‚multo saepo sensisse mitius, quam scripsisse.‘‘ Narratio
de J. Jonae p. W. .
— 269 —
er ſich blindlings unterwirft, dem er bereitwillig die Cenſur
über feine eigenen Schriften zugeſteht ‘). Auf felbjtändige
Erforſchung der h. Schrift macht er feinen Anfpruch mehr:
ihm genügt e3, fich mit Luther im Einklang zu wiffen und
feinen Gegnern Ausſprüche Luthers entgegenhalten zu fönnen ?).
— Doc nicht Alle, die fih um Luthers Fahne jchaarten, gaben
fih ihm jo blindlings bin, noch auch nahm bei Allen der evan—
gelifche Eifer jenen verfolgungsfüchtigen Charakter an. Dra-
conites hat nie den freiern bumaniftiichen Geift verläugnet
und erregte durch feinen häufigen Umgang mit Anbersbenfen-
den bei den Eiferern Anftoß und Verdacht). Crato findet
mit feiner evangelifchen Ueberzeugung aud) ein mildes Urtheil
über katholiſche Einrichtungen vereinbar *). Und wie jehr.auch
Spalatin überzeugt erjcheint von Luthers göttlicher Sendung
und durchdrungen von feiner Rechtfertigungslehre, die vielleicht
von Keinem jo überjchwenglich gepriejen worden ift, al3 von
ihm 5), entſchieden mißbilligt er doch die maß- und Tieblofe
1) Vgl. u. U. Etlicher Gottlofen vnd widderchriſtiſchen lere von ber
Papiſtiſchen Meffen ꝛc. durch Juſtum Meniun. C 1 a. Bon ber Gerechtig-
feit, die für Gott gilt. Wider die newe Alcumiftifhe Theologiam Andrei
Dfiandri. Juſtus Menius 1552. 8% 3 Hp ff. — Er fenbet felbit feine Schrif:
ten, ehe er fie in Drud gibt, zur Approbation nad Wittenberg!
2) Namentlich machen feine letzten theolog. Streitjchriften gegen Oftander,
Flacius, Amsdorf diefen Eindrud.
3) Bol. Wic. Epp. 0438,03 b, Z1b. Inter denen, die ihn ver:
bächtigten, war auch Jonas. —
*) Vgl. Striever 1. c. II, 382. Ein anerfennendes Urtheil über ihn
fällt auch Cordus. Cordi Op. 234.
5) Die Wirfungen der Sola fides preijet er namentlich in einem Gedicht,
das fih vor Eoban's Yateinifcher Pfalmenüberfebung findet:
Sola fides hominem coelesti donat honore,
Sola fides superis conciliare potest.
Sola fides hominem peccato liberat omni,
Sola fides mortem et pessima quaeque premit.
Sola fides Christi fratres sociosque potentes
Efficit et in coelis inserit una fides.
Sola fides animos tetrico moerore jacentes
Erigit et in miseris pectora laeta facit.
— 20 —
Verdammungsſucht eines Jonas: er findet es unchriftlich, Die
Gebrechen der Papiften jehadenfroh aufzudecken, ftatt fie zu
bemitleiden 2). —
Ein ganz anderes Bild, als bie beiden erften, gewahrt bie
dritte Gruppe, die wir innerhalb unſeres Kreifes wahrnehmen.
Erjchienen jene ganz den großen Firchlichen Fragen zugewandt,
mit völliger Vernachläffigung deſſen, was fie einft erftrebt, fo
fehen wir diefe getreu den alten Beftrebungen, unbeirrt durd)
die theologiſchen Streitigfeiten, unter die Fahne des Humanig-
mus zurückkehren. Ihr Führer ift Eoban, ihr berebtefter
Sprecher Camerarius; Hunus, Micyllug, Cordus, Niger, Ce:
ratinus, Stibarus und viele Andere gehören ihr an. Die
Erinnerung an die gemeinfam in Erfurt verlebten Jahre erhält
troß der Zerjtreuung, die über fie verhängt worden, eine innige
Verbindung unter ihnen. Den Freiheitsideen des Jahres 1520
haben auch biefe Männer entjagt, von dem alten Ungeftüm
zeigt fich bei ihnen Feine Spur mehr, ihre Anfprüche find fehr
bejcheiden: bloß die Erhaltung der von allen Seiten angefein-
beten Wiſſenſchaft ift ihr Streben ?). Der neuen Kirche bleiben
fie innerlich fremd, obgleich äußere Lebensſtellung die Meiſten
von ihnen als Mitglieder derſelben erſcheinen läßt. Der von
Wittenberg jeit dem J. 1525 ausgeübte Geiftegdrud, der von
Jahr zu Jahr jchroffer ich gejtaltende Dogmatismus der neuen
Sola fides Satanam subigit stygiasque paludes,
Clavibus his solis sydera summa patent,
Sola fides vivis morientibus omnia donat,
Sola fides regit atque omnia sola potest.
Vgl. Psalterium Davidis carmine redditum per Eoh. Hessum. Cum
annot. V. Theodori. Frcf. s. a. p. 13—14.
ı) Vgl. Corp. Reform, T, 481, 486.
2) „Nos certe‘, ſchreibt Camerarius 1536 an Niger, „quo minus
vulgo nostrae fitterae amantur atque in precio sunt, eo vehewentius
misericordia illarum et oura tangimur.“ gl. Joach. Camerarii Ba-
penb. epistolarum fam. Libri VI. Frof. 1583 p. 365. — Ihr Vorbild
ift wieder Erasmus.
— 1 —
Kirche!) widerſprach ihrem Weſen eben fo fehr, als dag Trei-
ben Hochſtraten's und feiner Genofien?). Verſuche, Einzelne
von ihnen für ein Lehramt in Wittenberg zu gewinnen, find
deshalb immer gefcheitert °). Wengftlich gehen fie den theolo-
giſchen Streitigkeiten aus dem Wege. Während die Einen bie
vorhandene Spaltung beklagen, fuchen die Andern fie zu igno-
riren. Micyllus, obgleich Vorfteher einer lutheriſchen Stabt-
fchule, tritt nachdrücklich der Meinung entgegen, „baß er ber
lutherifchen Secte anhängig jei.” Er habe fich niemals mit
ber Theologie befaßt, meldet er dem pfälzifchen Churfürften,
auch mit feiner Secte Umgang gehabt, fondern nur mit ven
ſchönen Wifjenjchaften und gedenke es jo auch in Zukunft zu
halten *). Camerarius jtellt einmal das Nebeneinanderbeitehen
von zwei verjchtebenen Kirchen geradezu in Abrede. „Wenn bu
die verjchiedenen Richtungen und Beftrebungen, die beiden ab-
weichenden Geſellſchaften gleichlam als zweit Secten einführft”,
Ichreibt er an den Fatholifchen Vitus Amerbach, „dann geitehe
1) Selbft einem Menius wurbe e3 zu arg, als Amsdorf behauptete, daß
Nichts ber Kirche Chrifti gefährlicher fei, als Gelehrſamkeit. „Da mag man
aber mit auffjehen, wohin das wol geraten und verfianden werben mög, das
der Herr Biſchoff (Amsdorf) fchreibet, es habe zu allen zeiten niemand ber
firhen Ehrifti gröffern ſchaden gethan, denn hochgelarte Leute, barumb hab
Chriſtus auch nicht hochgelarte Keute, fondern albere ond ein:
feltige Fiſcher zu Apofteln erwelet.“ Vgl. Bericht der bittern Wahr:
beit Justi Menii. Wittenb. 1558. 4%. S 3 a,
2) Eine merkwürdige Aeußerung findet fi in einem Briefe des zwar
nicht unferm Kreife angehörigen Humaniften Bannißis an Pirdheimer, worin
Luther Schon 1524 zu den Obfcuren gerechnet wird. „V. D. quam enixius
obsecro, ut abactis in maximam malam crucem Eckiis, Hochstratis,
Lutheris et iis similibus, continuo insistat suo optimo et pulcherrimo
instituto et studiis et eruditione sua et viventibus et posteris con-
sulat.‘“ gl. Heumann Doc. lit. p. 144. Der Brief, I, c. irrig in das
%. 1514 gefebt, gehört offenbar in das J. 1524.
s) Eoban, Cordus, Micyllus, Niger, wie auch Erotus und Petrejus hat
man zu verfchiebenen Zeiten nach Wittenberg zu ziehen gejucht. Vgl. Eob,
et amie, opp. f. p. 239, Corp. Ref. I, 547, 782, 813 ꝛc.
“) Vgl. Hauß Jacobus Micyllus p. 14—15.
— 22 —
ich, daß ich zu Feiner gehöre. Mber die Sache verhält ſich
anderd. Meine Anficht ift, daß es nur Eine chriftliche Gemein:
ſchaft gibt und immerfort geben wird, und dies ift bie Kirche
Ehrifti, die nicht in Theile zerriffen werben kann. In dieſer
bin ich geboren und getauft, in dieſer habe ich fpäter gelebt
und in diefer glaube ich mich auch jeßt noch zu befinden” 1). —
Auch Eoban theilte bei aller Verehrung für Luthers Perſon
deſſen erclufiven Sinu jo wenig, daß man wegen feine? haufi-
gen Verkehr? mit Anhängern der alten Kirche fogar feine Rück—
fehr zum Papſtthum beforgte 2). Seine Freundfchaft mit dem
Carthäuferprior Jodocus Hefe?) und dem Fatholifchen Groe—
ningen war eben jo innig, al3 fein Umgang mit den nürnber:
ger Stadtreformatoren. Als er 1538 feine beiden Söhne zu
ihrer Ausbildung nad Erfurt fandte, übertrug er die Sorge
für fie ebenfowohl feinen katholiſchen, als Tutherifchen Freun-
den). Sein altes freundichaftliches Verhältniß zu Erotus
erlitt durch deſſen Rücktritt zum Katholicismus feine Aende—
rung’). Unbehaglich fühlte er fich unter den glaubenzeifrigen
Theologen zu Schmalkalden, wohin er. 1537 feinen Landes—
herren begleiten mußte‘). Und als 1539 fich die Nachricht
ı) „Ego hoc Christum oro cotidie“, fügt er in bemfelben Schreiben
hinzu, „ne sinat me excidere Ecclesia tua, sed in hac ipsa ut qua-
cunque conditione etiam infima me retineat.‘“ Vgl. Epist. Camer. ad
Vit. Amerbachium d. d. Lips. prid. Id. April. 1548. Mieg. Monum.
piet. et lit. vir. II, 48 — 60. Doch ift Camerarius unter den Humaniften
unſeres Kreiſes derjenige, der die größte Anbänglichfeit an Luther zeigt.
2) Bol. Narr, de Eob. et epist. L7 a.
s) Vgl. Eob. Farrag. I, 306, 307, 308.
“) Eob. et am. ep. f. p. 150, 222. Narr, de Eob. et epist. S3a.
s) „Quo (Croto) tum ut nunc quoque amico familiarissime ute-
batur‘“ heißt es in ber 1539 erjchienenen Ausgabe der Farragines I, 35 a.
e) Er bittet den Landgrafen dringend, ihn wieder nach Haus zu fchiden:
‚„‚Redde meis natum studiis me, redde quieti
Hic nihil est, tibi quod commoditatis agam.““
Principi Philippv pro discessu a Smala Chalcide, Farr, I, 316. Bal.
Eob, et amic. ep. fam. p. 147,
— 273 —
verbreitete, daß neue Verjuche zur Wiedervereinigung ber ftrei-
tenden Parteien gemacht werden jollten, da war Niemand froher,
als Eoban, der feinen Freunden bereit3 zuverfichtlich bie Bei-
legung des „verberblichiten Haders“ anfünbigte ').
In dieſer Zerrifienheit zeigt und Eoban's Dichterbund ein
traurige Abbild des großen Zwiejpaltes der Zeit. Diejelben
Gegenfäbe, welche dag beutiche Volk in feindfelige Heerlager
theilen, es feiner alten Bedeutung beraubt haben, treten fich
bier in engerem Kreife entgegen und führen zu gleichem Re⸗
fultat. Die alte Eintracht ift verſchwunden. Freundſchafts⸗
bünbniffe, in jugendlicher Begeifterung „für ewige Zeit”
gejchlojfen, werden vergefjen. Alte Freunde werden zu bittern
Teinden, kehren die Waffen, mit denen fie einit unter dem
nämlichen Führer gefochten, gegeneinander. Lange fchreitet zum
Angriff gegen Eoban, Menius gegen Kling, Jonas gegen
Crotus, gegen Wicel, gegen Draconited. Die Junigfeit des
frühern Verhältniſſes wird benußt, um dem jebigen Gegner
jeine verborgen gebliebenen Sünden vorzuhalten, feine Bloͤßen
aufzudecken, ihn zu vernichten! ?)
2) Bol. Eoban an Groeningen 1. April 1539. ,‚Bona spes est, pa-
cem et tranquillitatem ubivis gentium esse futuram, praecipue vero
concordiam inter partes, id quod summo cum gaudio nebis omnibus
est accipiendum et gratine agendae Dco immortali, qui tandem istas
perniciosissimas dissensiones finire et componere sit dignatus; nam
ita certo ingtitutum est, ut a tribus utrinque tota res in unum con-
sensum componatur, ad hoc dictus est locus Noriberga nostra.‘“
Narr. de Kob. et epist. Ti b.
2) Ich denke hierbei namentlich an die gegen Crotus gerichtete Epistola
Anonymi, von einem ehemaligen Freunde besfelben zu dem Zwecke gefchries
ben, ihn durch Aufdelung feines frühern Treibens moralifch zu vernichten.
Daß zu jenen Zwecke aber auch Vebertreibungen, Entftellungen, Unwahrbeiten
angewandt worden find, hat Strauß überſehen. — Als Verfaffer bes Send⸗
ſchreibens muß ich auch nach ber fcharffinnigen Abhandlung von Böding, der
Menius als ſolchen anfieht,; (Drei Abhandlungen über reformationsgefchichtl.
Schriften p. 67 ff.) noch Juſtus Jonas feſthalten. Daraus, dag Menius
von Luther den Auftrag erhielt, gegen Crotus zu fchreiben (De Wette IV,
Kampſchulte, Univerfirät Erfurt. II. Theil. 18
— 1 —
Aber wie ſehr auch Haß und Leidenſchaft die Gemüther
entzweien, wie feindfelig und jchroff fich auch die verfchiebenen
Richtungen entgegentreten, in Einem herrſcht doch bei Allen
Uebereinſtimmung. Es tft die Klage über den feit dem Beginn
der Religiondwirren eingetretenen allgemeinen Verfall. Daß
Alles ſeit demfelben fich trauriger geftaltet habe, daß Zucht
und Sitte, Frömmigkeit und Bildung abgenommen und dag
Berberben von Jahr zu Jahr fich fteigere, daß ein ſchweres
Berhängniß auf Deutſchland Lafte, darin ftimmen Freund und
Feind überein. ine düftere Meltanfchauung, die fich nicht
jelten biß zur Vorftelung von der Nähe des Weltunterganges
311) folgt nicht, daß er ihn ausgeführt. Solche Aufträge von Wittenberg
waren nicht jelten, wurden aber nicht immer befolgt, wie denn berfelbe Menius
neben Andern von Melandython den Auftrag erhielt, die „Geſchichte Wicel's“
zu fchreiben, ohne denſelben auszuführen (Corp. Ref. It, 678, 709). Daß
der Hauptgrund, den Böcking 1. c. gegen Jonas’ Autorſchaft geltend macht
— feine Anweſenheit bei Luther’3 Einzuge in Erfurt — auch den Menius von
der Autorfchaft ausſchließen würde, ift bereit? oben (S. 193) bemerkt worden.
Uber nicht dieg, fondern Anderes fchließt ihn von der Autorfchaft aus. Der
Ungenannte erinnert den Erotuß an eine Zeit, wo biefer noch nicht mit Me:
nius, wohl aber mit Jonas befannt war. (Vgl. Epist. Anom. ed. Olearius
p. 12; „Ante Moriam tllam Erasmi“ etc.) Menius war zur Zeit ber
Converſion des Crotus ganz durch feine Fehde gegen bie Wiebertäufer in
Anfprud genommen; er fchrieb faft nur deutſch, feine beiden Fleinen Iateini-
[hen Schriften Iaffen am menigften ben Xerfajfer der Epistola Anonymi
erfennen. BDahingegen finden wir Jonas eben um jene Zeit mit Wicel, dem
vertrauten Freunde und Gefinnungsgenofien des Crotus, in Fehde, und wer
feine lateiniſche Streitfchrift gegen Wicel (Contra tres pagellas Agric.
Phagi ete.) mit unferem Sendfchreiben vergleicht, wird eine große Aehnlich-
feit in ber Auffaffung des Charakter des Crotus (der auch in der Streit:
fchrift gegen W. „durchgekämmt“ wird), in ber Tactif, ſelbſt in einzelnen ora=
torifhen Wendungen (auffallend häufiger Gebrauch des ille tuus und iste
taus!) nicht verfennen Tonnen. Daß Jonas Ereigniffe, die er felbft miterlept,
mit einem „Man fagt” und feinen Aufenthaltsort Wittenberg als dla urbs
erwähnt, findet darin feine Erflärung, daß der Ungenannte unerkannt bleiben
wollte. — Endlich bleibt noch zu erwähnen, baß auch eine alte, wahrſcheinlich
aus dem 16. Jahrh. ſtammende handichriftliche Notiz in bem auf der Königl.
Bibl. in München befindlichen Cremplar des Originalabdrudes Jonas als
ben Berfaffer bezeichnet.
— 275 —
fteigert, wird bei den Meiften herrſchend. Diejenigen, welche
zur alten Kirche zurüdgefehrt, die Crotus, Wicel, Kling, Fe
melius erheben jchwere Anklagen gegen Luther und jein Refor-
mationdwerf. Ihr Muth, ihre Freudigkeit ift hin. Mit tiefem
Schmerz fehen fie die alte Einheit der Chriftenbeit zerriffen,
das Andenken der Vorfahren verläftert, verhöhnt, die laut ver-
Eiindete Reformation vernachläffigt. Die Webelftände der noch
unverbefierten alten Kirche finden fie in noch höherem Grabe
in Luthers Kirche wieder: dad Volk frech und ſittenlos, die
Prediger ohne Würde, unwiſſend und roh, dag Oberhaupt
herrſchſüchtig, deöpotifch, einen Geiſtesdruck ausübend, wie er
unter dem Papſtthum zu feiner Zeit bejtanden !). Es werben
Stimmen unter ihnen laut, welche Luther als den Zerftörer
der deutjchen Nation, feine Reformation al3 Deutſchlands Ruin
bezeichnen! ?)
Konnten auch Luther? treue Anhänger und Verehrer in
diefen Ton nicht mit einftimmen, jo find doch die Klagen über
den traurigen Verfall des öffentlichen Zuftandes bei ihnen eben
jo häufig, und der Zukunft blicken fie noch hoffnungsloſer ent-
gegen, als ihre Gegner. Johannes Yange, der früher fo zu=
verfichtlich die Vorzüge des neuen Evangeliums gepriefen und
Uſingen's Schilderungen von dem zunehmenden Sittenverberb-
niß als Einbilbungen des thörichten Alten verachtet hatte, läßt
und zwanzig Jahre ſpäter die nämlichen Klagen vernehmen,
1) „Ante exstructum Lutherismum licebat de jure divino cuivis
io publico in Romana Ecclesia vociferari, et qui nos impediebat, is
erat Antichristus. At nunc, ludo ex sententia confecto, verentur
ruinam, male quippe sibi conscii. Imo dux factionis vetuit, ne pri-
vatim etiam a quoque doceatur, Id quod si ante Octennium fecisset,
non staret Jam Lutherismus.“ Vgl. Retectio Lutherismi Authore
Georgio Wicelio. Lips. 1538. 6 1 a. (Gefchrieben 1532).
3) Zahlreiche Belege f. in der Apologie und ben Briefen des Crotus, in
ben Schriften Kling’3, namentlich aber in Wicel’3 ‚Briefen, in jeiner Querela
Evangelii, Reteotio Lutherismi u, |. w.
— 216 —
die er fingen zum Vorwurfe gemaht‘). Bitter beffagt fich
Jonas über bie Verjtoctheit der Welt, welche das größte
Geſchenk des Himmeld, das reine Evangelium, mit ſchnödem
Undank vergelte und nur als ein Mittel zu einem bequemen,
lajterhaften Leben benuge?). Nie war, hören wir ihn ſchon
1530 Tagen, fleifchliche Freiheit, Nuchlofigkeit, Verachtung der
Wiſſenſchaft und aller guten Sitte größer, al3 in diefer Zeit
des gnadenreihen Evangeliums. Er glaubt den Untergang der
Welt nahe und fieht in der herrſchenden Sittenlofigfeit vie
Erfüllung der Prophezeiungen, die Chriftud und die Apoitel
von den lebten Zeiten gethan ?®) Luther ift ihm der Vorläufer
der großen Cataſtrophe, ven Gott al3 feinen Vorboten voraus:
gefandt hat, um zuvor bie wenigen Guten zu vetten!*) Bon
ähnlichen düſtern Vorſtellungen erſcheinen auch die Mebrigen
beherrſcht. Menius nimmt, Angeficht® der herrichenvden Ver-
wirrung, zum Gebet feine Zuflucht: auch er glaubt an die
Nähe des jüngiten Tages 3). Spalatin endlich verfiel während
feiner letzten Lebensjahre in einen Zuſtand düjterer Schwer:
muth: er jehnte fich fort aus diefer Welt des Haders, der
Treuloſigkeit, der Heuchelet. „Das goldene und alle beffern
ı) Qgl. Verpoortennii Sacra superioris aevi Analecta. Cob. 1708
p. 115116. Er wiederholt dort im Weſentlichen Uſingen's Klagen.
2) Bol. da fibend Gapittel Danielis, Von des Türden Oottezlefterung
vnd fjchredlicher mörderey mit vnterricht Juſti Zone. Wittenb. 1530. 4°.
a3b—4a.
2) 1. c. a 2 h. — Daher bat auch nach Jonas Gott den Satan bie
Türken ermweden laſſen, deren „vrſprung vnd anfang der laydig wütend teuffel
vnd kain ander geyſt iſt. — b 2 a.
2) „Sch Halt, das got darumb in Teutſchen landen hat das Euangelium
laſſen auffgehen, das ſolche ſtraff iſt vorhanden geweſen, denn wenn Gott hat
wolt ein volck ſtraffen, hat er alle zeyt zuvor Propheten geſchickt, das erſt
ettlich errettet, damit ſie nicht alle verdürben.“ 1. c. a 3h. — Zuweilen
ſpricht er ſich aus, als würde das göttliche Strafgericht bloß das deutſche
Bolt treffen.
2) Vgl. von der Notwehr unterricht: Nütlich zu leſen. Dur Juſſum
Menium. Wittenb. 1547. 4%, WU 1b. — Verpoort. 1, c. 170.
— 27 —
Zeitalter find worüber”, fchrieb er zwei Jahre vor feinem Tobe
an Weneeslaus Link, „das fchlechtejte ijt gefolgt, und ich hoffe,
daß das Ende nicht mehr fern fein wird” 2).
Am lauteſten aber ertönt die Klage der fchwergeprüften
Humaniften, die unter Allen die Trübfal der Zeit am härtejten
empfanden. Faſt nur noch zu Klagen öffnen fie ihren Mund;
fie Flagen über die zunehmende Zuchtloſigkeit des Volkes, über
den unchriftlichen Hader der Theologen, über die Abnahme des
Nationalfinns, über den traurigen Religiondfrieg, der Deutich-
lands Anfehen und Wohlſtand untergrabe, am meilten aber
über den fortjchreitenden Berfall wifjenjchaftlicher Bildung,
Mit Wehmuth blickt Micyllus auf die gute alte Zeit zurüc,
als noch Ein Glaube Alle vereinigt, ald Tugend, Frömmigkeit
und Treue noch etwas gegolten und Gelehriamkeit Anerkennung
gefunden, als Deutjchland durch Eintracht noch ſtark geweſen
und der Bruderfampf dem Nationalfeinde noch nicht ven Weg
in dad innere de Reiches gebahnt?). Ohne Hoffnung fieht
er der Zufunft entgegen. Erſt jest, klagt Eoban, fei das letzte,
das eiſerne Zeitalter, wovon die alten Dichter geiprochen, in
Wahrheit angefommen ?). Euriciud Cordus kehrt in düſterm
Unmuth feinen epigrammatischen Stachel gegen die „Apojtaten”,
ı) Verpoort. 1. c. p. 141. — 2gl. p. 77, 143, Heumann, Doc. lit.
p. 237.
2) Vgl. Micylli Sylv. p. 20, 21, 22, 27, 297, 2%, 426, 503, 506.
Es genügt, die letzte Stelle (aus ber Precatio ad Christum) anzuführen:
Ah bene sub priscis currebant patribus anni,
Cum genus in verbo credidit omne tuo.
Tuno neque divitine neque amor regnabat habendi,
Parebant uni pectora sancta Deo. —
Nunc male cum longis perierunt omnia saeclis,
Spreta jJacet pietas, spreta jacetque fides,
Nunc pudet esse bonos, nunc est Mile vivere virtus,
Nunc quidquid facias turpiter, omne decet.
Scilicet haec rerum series, ea gloria mundi,
Hei mihi, quis finis temporis hujus erit! 1. c. 506.
; °) Vgl. De tumultibus horum temporum Querela. Norimb. 1528.
Ada,
— m —
bie ihren Klöftern entlaufenen Mönche, welche er als die Haupt:
urheber alles Elendes anfieht. Mit derfelben rückſichtsloſen
Bitterfeit, womit er einft Mönche und Schultheologen befämpft,
wendet er jich jetzt gegen die Härte, Unduldſamkeit, Verfolgungs—
jucht der neuen theologijchen Machthaber, denen er nun fogar
dad mildere Verfahren der papiftifchen Biſchöfe ala nachzu—
ahmendes Beifpiel entgegenhält *). Klagend führt er einmal
die Wiſſenſchaft ſelbſt ein, Elagend über den Irrthum, in dem
fie befangen gewefen, ald fie won den „neuen Bropheten“ Hülfe
erwartete! ?)
Rührender hat aber wohl Keiner den Berfall beflagt, als
Joachim Camerarius, dem es befchieden war, ben traurigen
Anblick dezfelben am längſten zu ertragen und alle feine Freunde
vor ſich hinſcheiden zu fehen. Länger als die Mebrigen hatte
er feinen Schmerz über den Gang der Ereigniſſe unterdrüdt;
er hatte fi) mit der Hoffnung auf eine befjere Zukunft getrö-
ftet und die frühen Klagen Anderer fogar al3 unmännlich
getadelt *), bis er fi von der Nichtigkeit feiner Hoffnungen
überzeugte. Seitdem hatte der trauernde Humanismus feinen
berebteren Sprecher, ala Camerarius. Zahllos find die Klagen,
in denen er ſich ergeht über die Verachtung von Religion und
Sitte, über den Verfall der Schulen, über die Rohheit und
Zügellofigfeit der heranwachjenden Generation *). Bor Allem
ı) Quanto evangelici distent discrimine dicam
Papisticis ab Kpiscopis,
Non phas est, nisi quod rerum potientibus illis
Bonae cadant jam literae,
Quarum magna sub his tamen emolumenta fuerunt
Dignumque juxta praemium.
Opp. Cordi 278; vgl. 223, 238, 248, 265, 270, 277, 280, wo zum Theil
noch viel ftärfere Angriffe.
2) I. c. 278.
3) Vgl. Tert. lib, epp. S8 a—h.
«) Ich verweiſe auf bie Stellen, welche Döllinger Die Reformation ꝛc.
1, 524 ff. u. 11, 584 zum Theil nach noch ungebrudten Quellen zuſammen⸗
geftellt hat, die fich aber noch Durch viele andere vermehren ließen.
— 279 —
aber find es die nad) dem Tode Luthers in der neuen Kirche
ausbrechenden endloſen theologijchen Streitigkeiten, die ihn mit
tiefem Schmerz erfüllen und feinen Bli in die Zufunft ver-
düftern. Man fehe es klar, jchreibt er fchon 1550 an Fabri-
cius, daß Alles ſich zum Untergange Deutſchlands vereinige,
dag Religion, Wiffenjchaft, Zucht und Ehrbarkeit untergehen
müßten‘). „Was werben bie andern Nationen jagen”, ruft
er wehmuthsvoll aus, „oder vielmehr, was jagen fie jebt Schon!
Doch umſonſt ift unfer Mühen und Nicht? richten Klagen
aus” 2). Tief gebeugt durch den Anblick der Gegenwart, an⸗
gefeindet von den Theologen, gegen die er vergeblich Luther's
Schatten zu Hülfe ruft 3), flüchtet ev fich zuletzt in die Ber:
gangenheit und fucht feinen Troft in der Erinnerung an jene
Ihönen Jahre, die er einjt in Erfurt im Dienfte der Wiſſen—
Ichaft verlebt. Doppelt ehrwürdig erjcheinen ihm jebt Mutian
und Eoban. „Seid mir gegrüßt, edle Seelen!” wendet er fich
an fie, „Euern Ruhm will ich verfünden, jo lange meine Glie-
der jich noch regen Fünnen. Süß wird es mir fein, Euern
Namen zu nennen”). In dem geiftigen Verkehr mit feinen
hingefchiebenen Freunden, in der Erinnerung an bie glückliche
Jugendzeit fucht er Entichädigung für die Leiven der Gegen-
wart, Mutian's und Eoban's Lob zu verkünden, das Andenken
des erfurter Kreifed der Nachwelt zu erhalten, gilt ihm als
Aufgabe, ſoll fein Troſt fein in einer Zeit, wo Haß, Neid,
Leidenfchaft die Gemüther beherriche, wo die Tugenden ber
ı) Vgl. Joach, Camerarii Bap. ep. fam. p. 49.
2) ]. c. p. 52.
3) Wie früher Eoban in der „lage ber Kirche” fich an den Tebenden Luther
um Hilfe gewandt hatte, fo ruft Camerarius in der 1553 erſchienenen „Klage
Luthers“ (Querela M. Lutheri seu Somnium) bie Manen bed Reformatorg
zu Hülfe, den er redend einführt und das Verdammungsurtheil über da
Treiben ber Theologen ausſprechen läßt. Der Erfolg war aber fein anderer,
al? daß Camerarius neue und heftigere Anfeindungen erfuhr.
*) Vgl. Tert. lib. epp. A 2b.
— 30 —
Vorfahren, Frömmigkeit, Redlichkeit und Treue zugleich mit
ber Bildung völlig verſchwunden ſeien).
Was Camerariud zum Troſte gereichte, verpflichtet un?
demfelben zum Danke. Eben ven wehmuthsvollen Ergiegungen,
in denen Camerarius feinem Kummer Luft machte, verdanfen
wir zum großen Theil unfere genaue Kunde von dem reichen
geijtigen Leben, das einft in Erfurt feinen Sit hatte, und dem
bedeutſamen Einfluß, der von hier im ſechszehnten Jahrhundert
auf das folgenreichite Ereigniß unjerer vaterlãndiſchen Geſchichte
ausgeübt worden iſt.
1) So beſchreibt er ſelbſt die Entſtehung der vier nacheinander (1553,
1558, 1561 u. 1568) von ihm veröffentlichten Briefſammlungen, an deren
Spite die meifterbafte Biographie Eoban's ſteht, und die wir gleichſam al?
ein Urkundenbuch zur Gefchichte des erfurter Gelehrtenfreifeg anzufchen haben.
In ben vorausgefchicdten Einleitungen kehrt immer ber Gedanfe wieder, daß
er in der Erinnerung an das ehemalige Leben in Erfurt Troft ſuche:
Quae saepe recordans,
Ac animo rediens in consuetudinis usum
Sentio laetitine veteris nova gaudia, et illa
Tempora tam bona mox haud absque dolore requiro,
Et mirabiliter miscentur tristia laetis
In corde et memore et frustra reputante priora etc.
Vgl. Lib. tert. epp. A 2 b. Aehnlich in den Einleitungen zu der erften,
zweiten und vierten Sammlung, unter denen namentlic, die zweite eine fehr
anmuthige Schilderung des frühern wiffenfchaftlichen Treibens in Erfurt gibt.