Skip to main content

Full text of "Die Universität Erfurt in ihrem verhältnisse zu dem humanismus un der reformation"

See other formats




Google 





This ıs a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before ıt was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 


It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear ın this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 


Google ıs proud to partner with lıbraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 


We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text ıs helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users ın other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance ın Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organıze the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 


atihttp: //books.gooqle.com/ 





Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen ın den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google ım 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 





Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ıst. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 


Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die ım Originalband enthalten sind, finden sich auch ın dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 





Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 


Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 








+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ıst, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 











+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sıe das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer ın anderen Ländern Öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es ın jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 





Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 


Den gesamten Buchtext können Sie ım Internet unter|lhttp: //books.google.comldurchsuchen. 


* 
2 
2 
=.) 
[=] 
* 
= 
a 
FA 





* 
2 
O 
= 
7 
O 
A 
en 
on) 
5 
> 


N | 


— 
— 
ii 
_ 
er 
= 
m. 
— 
J: 
—— 


I—⏑—— 


—V— 








Die 


Univerſität Erfurt 


in ihrem Verhältniſſe zu dem 


Humanismus und der Reformation. 


Aus den Duellen dargeſtellt 
von 


Dr. F. W. Kampſchulte, 


Privatdatent der GOeschithte au der Aniuersität Bonn, 
-040%- 


Erfier heil : 


Der Humanismus. 


Trier, 1858. 
Verlag der Fr. Lintz'ſchen Buchhandlung. 


" er 
“ . — 


Schnellpreſſendruck der Sr. Lintz'ſchen Buchdruderei in Trier. 


Dem 
Sarm Sanitätsrath 


D: med. Otto Fifcher 


gewidmet. 


Inhalt. 


— — 


Vorrede. 
Einleitung. Die Univerfität Erfurt im fünfzehnten Jahr: 
bundet © 2 2 00 ne. 
1) Borbemerfungen. 2) Beift ver Univerfitäten im Mittel- 
alter. Abweichende Richtung der Uiniverfität Erfurt. 3) Grün⸗ 
bung berfelben. 4) Betbeiligung an den cuneiliaren Kämpfen. 
Sehtbalten an den reformatoriichen Tendenzen der bafeler Sy⸗ 
node. 5) Züterbod, Weſel, Job. von Dorften. 6) Abweichun⸗ 
gen von der berrichenden Lehrweiſe. 7) Ungewöbnliches Anſehen 
der erfurter Schule. Schlußbetrachtung. 


Erfies Buch. Auflommen und Entwidelung der humanifti- 
ſchen Richtung in Erfurt. 
Erſtes Eapitel. Die erfien Humaniften. Bermittelungsverfuche 
zwifchen Humanismus und Scholafif . . . . . .» 
1) Der Humanismus. 2) Die erfien Verkünder der neuen 
Richtung in Erfurt, Lurer, Bublicius, Langen, Dalberg. 
3) Erfolge. Knaͤß, Soemmering, Geltes. 4) Vermittelungs- 
verfuche, Goede. 5) Trutvetter. Ufingen. 6) Rüdblid. 
weites Capitel. Die Boden - - 2 > 
4) Sntichievenes Einlenken in vie nenen Bahnen durch 
Maternus und Marfchall. 2) Ihre Einwirkung auf die Ju⸗ 
gend. 3) Die Poetenſchule des Maternus. Erotus, Vetrejus, 
Eoban. Freundliches Verhältniß ver Voeten zu den Scholas 
ſtikern. Begeifterung für bie Alten. 4) Ankunft auswärtiger 
Sumaniften. Gınfer, Bigilantius, Hermann van dem Bufche. 
Störung ver Wirkiamkeit nes Maternus. Aufnahme Hutten’s. 
Maternus zieht fich zurüd. 5) Charakter feiner Schule. 
Drittes Gapitel. Conrad Mutian und die Univerfität . . . 
1) Mutian bis zu feiner Ankunft in Gotha. 2) Streitigs 
keiten mit ven gothaiſchen Canonikern. Humaniſtiſches Tri⸗ 
umvirat. Urban und Spalatin. 3) Mutiau's religiöſe An⸗ 
fihten. 4) Freundſchaftliches Verhältniß zu den älteren Lehrern 
der Univerfität. Annäherung der poetiſch gefinnten Jugend 
an Mutian. Er wird ihr Führer. 5—6) Mutian’s Lehrtbä- 
tigkeit in Kreife feiner neuen Sünger. Reges wiflenfchaftliches 
"eben. PBortichritte. Mutian's Freuden und Leiden. Weit: 
verbreiteter Ruhm der mutianifchen Schule. 7) Auflommen 
einer bittern Stimmung gegen die Vertreter des alten Syſtems. 


@eite 
1-36 


2748 


49-74 


74—119 


vi 


Umwandlung der Schule in einen Bund zum Kampfe gegen Seite 
die „Sopbiften‘. 8) Auflöfung des freundlichen Verhältnifſes 
zwifchen den Humaniften und ben ältern Lebrern. Bildung 
einer neuen und einer alten Bartei an der Univerfität. 
Bierted Eapitel. Die ftäbtifche Revolution 1509, 10 . . . 120—148 
1) Frühere Sefchichte der Stadt. Kämpfe ver Gemeine 
gegen den Kath. 2) Dice Revolution des „tollen Jahres”. Sieg 
der Gemeine. Sachen und Mainz. 3) Beilegung der Irrun⸗ 
gen. 4) Entgegengefegtes Berbältniß der Gumaniften und 
Scholaſtiker zu den ſtädtiſchen Parteien. 5) Der „Stubenten- 
lärm*. Zerftörung der Burfen. 6) Zerftreuung der Mitglies 
der des mutianifhen Bundes. Folgen. Schlußbetrachtung. 


Bweites Buch. Teilnahme an dem Kampfe zwifchen ber 
neuen und alten Richtung. 


Erſtes Eapitel. Der Reuclinifhe Street . - -» 2 2... 19-191 
1) Bedeutung dieſes Streites. 2) Erſte Theilnahme ver 
Univerfität. Rückkehr ver Mutianer. Ihr Unwille über vie 
Kölner. Aufmunterungsfchreiben an Reuchlin. 3) Reaction 
der alten Partei. Euriciue Cordus. Verdammung des „Au= 
geniviegels". 4) Aufbraufen Mutian’s und feiner Anhänger. 
Berubigung Reuchlin’d. Sturm gegen bie alte Partei. Ge⸗ 
mäßigte Haltung derfelben. Sieg der Neuerer. 5) Wachſen⸗ 
des Anieben bed mutianifchen Bundes. Weitverzweigte Ver: 
bindungen besielben. Mutian’s Siegespropbezeiungen. 6) Ge⸗ 
heime fatirifche Thätigkeit innerhalb de8 Bundes. Crotus. 
Der Triumphus Gapnionis. 7) Rückkehr Goban’s. Geſtei⸗ 
gerter Haß gegen die Kölner, Reuchlin wird die Hülfe des 
Bundes angeboten. 
Zweited Eapitel. Die Briefe der Dunfelmänner . . . . 192-226 
1) Bisherige Anfichten über die Berfafler ver Satire. 2) Sie 
ift aus Mutian’8 Bunde hervorgegangen. :Berfafler: 3) Cro⸗ 
tus, 4) Hutten, 5) Perrejus, 6) Goban. 7) DBerbältniß ver 
übrigen Mitglieder zur Abfafjung ver Epistolae. Näheres 
über ihre Entflehung. 8) Innere Gründe, welche vie aufge- 
ftellte Anficht beftätigen. 9) Schlußbetrachtung. 
Dritte Capitel. Einfluß des Erasmus. Der Eoban’fche Dich- 
terbunnnnn.. 226-259 
1) Stellung des Erasmus. 2) Goban, Oberhaupt eines 
neuen Humaniſtenbundes. 3) Begeiſterung desſelben für Eras⸗ 
mus. Gelehrte Wallfahrten in die Riederlande. H Neues wiſſen⸗ 
ſchaftliches Leben. Camerarius. Friedliche Haltung der Gobaner. 
Hutten's Unwille darüber. 5) Geſellige Verbältniſſe. Soda- 
litium Eobani. Mitglieder vesfelben. 6) Mutian. 7) Voll⸗ 
ſtändiger Sieg der neuen Richtung an der Univerfität. Höchfte 
Blüthe der Univerfität. 8) Bekämpfung des Lee. Rückkehr 
des Crotus. Der Freundekranz. 


— — — — — — 


Yorrede. 


BE 


Dr Frage nach dem Berhältniß zmwifchen Humanismus 
und Reformation iſt eine ebenfo wichtige, ald häufig angeregte. 
Das Werk, deſſen erfte Abtheilung ich hiemit der Deffentlich- 
feit übergebe, fchildert die Humaniftifch-reformatorifche Wirkſam⸗ 
feit jener deutſchen Hochfchule, die an den beiden großen geiftigen 
Kämpfen unter allen den beveutendften und Iebhafteften Antheil 
genommen hat. ine getreue, unbefangene Darftelung der 
Thätigfeit, welche fie bei dem einen wie bei dem andern ent 
faltet, und der Einwirkung, welche fie durch jeden von beiden 
erfahren hat, dürfte am beften geeignet fein, dad Verhältniß 
beider zu einander in dem richtigen Lichte erjcheinen zu laſſen. 

Ueber die Quellen, die mir bei dem erften Theile zu Ge⸗ 
bote ftanden, mögen wenige Worte genügen. 

Nächſt der hiefigen Univerfitätsbibliothef gewährte mir für 
den Anfang die in Bezug auf die humaniftifche Literatur höchft 
reichhaltige Privatfammlung des Herrn Prof. Böding bierfelbft 
die ergiebigfte Ausbeute. Indeß fehr bald wurde ich inne, daß ich, 
um die gewünfchte VBolftändigfeit zu erreichen, meinen Rachfor- 
ſchungen eine weitere Ausdehnung geben mußte. Ich wandte mich 
alfo an auswärtige Bibliotheken und das Glück wollte mir dabei 


VIII 


ſo wohl, daß ich durch freundliche Vermittelungen nach und 
nah aus den Bibliotheken in Berlin, Breslau, Münfter, Jena, 
Rudolftadt, Würzburg und München die gefuchten, den Gegen- 
ftand meiner Forſchung betreffenden Altern Schriften, Brief- 
fammlungen, Gedichte ꝛc. in kaum gehoffter Vollſtändigkeit 
erhielt. Ä 

Doch au damit glaubte ich mich noch nicht begnügen zu 
dürfen. Im Herbfte des. vorigen Jahres machte ich eine Reife 
nach Erfurt, um dort an Ort und Stelle meinen Studien eine 
fihere Orundlage zu geben. Blieb auch der Erfolg hier und da 
hinter meinen Wünfchen zurüd, fo gaben mir doch die Matrifeln 
und fonftigen Aufzeichnungen der Univerfität, mehrere fehr feltene 
Schriften von erfurtifhen Gelehrten, der Gerſtenberg'ſche hand⸗ 
Schriftliche Nachlaß, die zahlreichen ftädtifchen Chroniken ıc. noch 
wichtiges und interefiantes Material. Zugleich erhielt ich durch 
die Freundlichkeit ded Herrn Stadtraths Herrmann einige recht 
danfenswerthe Beiträge für die Gefchichte der ftädtifchen 
Srrungen im Beginn des 16. Jahrhunderts. — Bon Erfurt 
begab ich mich nad Gotha, wo ich einige für meinen Zwed 
höchft wichtige, ungedrudte Briefe des Crotus Rubianus fand, 
die wahrfcheinlich unter den Beilagen zum zweiten Theile dieſes 
Werkes eine Stelle finden werden. Eine ebenfall8 noch unge- 
drudte Sammlung von Briefen des Spalatin wurde mir von 
dem Befiter derfelben, Herrn Dr. Neudeder in Gotha, mit 
freundlicher Bereitwilligfeit auf einige Zeit zur Benugung über- 
laſſen. — Blieb eine nah Fulda und Mainz unternommene 
Reife ohne wefentlihen Erfolg, fo eröffnete mir dagegen die 
Frankfurter Stadtbibliothef eine um fo wichtigere Quelle in der | 
handfchriftlihen Sammlung der Briefe des Mutianus. Der 
von Tentzel im Anfange des vorigen Sahrhunderts veröffent- 
lichte Auszug aus jener Sammlung ließ mich von vornherein 


IX 


bier reiches Material hoffen, und der Erfolg hat meinen Er 
wartungen vollſtaͤndig entfprochen. 

Damit habe ich meine Nachforfhungen gefchlofien: ich 
fühlte feine wefentliche Lüde mehr. 

Schließlich fpreche ich den genannten Herrn und Allen, 
die mich bei meiner Arbeit unterftügt haben, hiemit öffentlich 
meinen Dank aus. Ganz befonders fühle ich mich dem Herrn 
Profefjor Cornelius in München für die freundliche Theilnahme 
und ergiebige Unterflübung, die mir derfelbe wiederholt zuge 
wandt hat, verpflichtet. Möchte das Werk felbft das mir bewies 
fene Wohl wollen rechtfertigen ! 


Bonn, im Oktober 1857. 


Seite 8 Rinie 7 


„ 34 
. + 
.„ 32 
. 63 


163 


Drudfehler. 


von unten lies Freydank ftatt Freydenk. 

von oben lies den finnigen flatt der finnige. 
von oben lies Meiften ftatt Meifter. 

von unten ergänze nach mit: ihm. 

von oben lied Hefius ſtatt Hefftus. 

von oben lies undhriftliher flatt irreligiöfer. 
von unten lie opposuerint ftatt opposuerit. 
von oben lies welchen flatt welche. 

von unten lie primo flatt prima. 

von unten ließ das ftatt ber. 

von oben lies Ungeſtüm ftatt Ungeftümen. 





Einleitung. 


Die Univerfität Erfurt im fänfzehnten Jahrhundert. 


„Quam late, quam longe patet Germania, nusquam 
Fama obscura scholae nominis hujus erat.‘“ 


J. 


Noch iſt die Zeit nicht fern, als die Univerfität Erfurt und 
in ihr eine der ehrwürdigften Bildungsanftalten unjeres Bater- 
landes zu Grabe getragen ward. Damals zwar wurde ihr Ber: 
luft faum gefühlt; befcheiden und glanzlos war die GSteflung, 
die fie in ihren letzten Zeiten unter Deutſchlands Hochſchulen 
eingenommen, und wohl nur felten war die Kunde von ihrem 
geräufchlojen Wirken über Thüringens Grenzen hinausgedrungen. 
Aber es erhielt diefe, wenn auch ftille und unfcheinbare Thätig⸗ 
feit die Erinnerung an eine glanzvolle, folgenreiche Wirkjamfeit, 
die ehedem hier entfaltet worden war. In den Mittelpunkt des 
geiftigen Lebens geftellt, hatte einft die Univerfität Erfurt einen 
bedeutfamen, entſcheidenden Einfluß auf den Bang der geiftigen 
Entwidelung in Deutfchland ausgeübt. In den Tagen jener 
ſtets denfwürdigen Erhebung der Geifter am Ausgange der 
mittleren Jahrhunderte, als in raſcher Yolge zwei Bewegungen 
die wichtigften Ummwälzungen auf deu wifjenfchaftlihen und 
religiofen Gebiete hervorriefen, ging fie Allen mit dem Beifpiel 


eines entfchiedenen Einlenfens in die neu geöffneten Bahnen vor. 
Kampfhulte, Univerfirät Erfurt. 


{9} 
—— da — 


In „Ger⸗Athen“ fand der Beift des Alterthums am früheften 
in Deutichland eine Heimath, und hier feine Fahne aufpflanzend 
ſammelte er allmählig um fie eine Schaar der rüftigften und 
talentvollfften Humaniſten. Es war diefelbe Schaar, aus deren 
vereintem Wirken bald die beiden großen Vorfämpfer der neuen 
Richtung Muth ſchöpften zu Fühnem Vorbringen auf den noch 
ungebahnten Pfaden; im Vertrauen auf fie durfte Reuchlin 
den Kampf mit der Scholaftif aufnehmen, Erasmus fah in ihr 
die ficherfte Bürgfchaft des Sieged, den die neuen Ideen über 
die alten erringen würden. Borbereitet durch diefes entfchiedene 
Eingreifen in die humaniftifchen Bewegungen war die Theil: 
nahme, welche die Thüringifche Schule bei der bald folgenden 
religiöfen Umwälzung zeigte, erhöht wurde fie noch dadurch, 
daß der Mann, welcher diefer zweiten großen Bewegung Daſein 
und Namen gegeben, in Erfurt ven Grund zu feiner Bildung 
gelegt hatte. Luther hat in den erften Jahren feines Auftretens, 
fo lange feine reformatorifchen Tendenzen noch mit dem Gedanken 
der kirchlichen Einheit vereinbar fchienen, nirgendwo fo aufrich- 
tigen, ungetheilten Beifall gefunden, als an jener Schule, deren 
Zögling er felbft gewejen. Ihr ward unter den deutfchen Uni- 
verfitäten das ehrenvolle Amt zu Theil, durch fehiedsrichterlichen 
Ausfpruch über die leipziger Disputation den Streit zu vermitteln. 
Daß ihr dies nicht gelang, enthielt ven Keim zu ihrem Verderben 
und führte in Kurzem die Auflöfung ihres Fühn aufftrebenven 
Gelehrtenbundes herbei, deſſen Mitglieder von da ab verftreut 
über ganz Deutfchland, unzufrieden über den Gang der neuen - 
Entwidelung, vergeblich den Verfall jenes Strebens aufzuhalten 
ſuchten, daß fie einft fo ſchön in Thüringens Hauptftadt ver- 
einigt hatte. , 

Beſchränkt zwar der Zeit nach ift die Blüthe gewefen, welche 
Erfurt damals entfaltet hat, aber um fo anziehender die Fülle 
des geiftigen Leben, die wir hier in einem Zeitraum von wenigen 
Sahren zufammengedrängt fehen, um fo überrafchender das Bil, 
welches und eine fpäter fo unfcheinbare Anftalt im Mittelpunfte 





— 3 — 

der hervorragenden Beſtrebungen des Zeitalters zeigt und eben 
dadurch auch über dieſes ſelbſt weſentliches Licht verbreitet 1). 

Meine Abſicht iſt, die Geſchichte dieſes denkwuͤrdigen Auf⸗ 
ſchwunges der Univerfität Erfurt in feinen Beziehungen zu den 
geiftigen Kämpfen jener Tage zu erzählen. Ich verfuche es 
zunächſt, mir durch einen Rüdblid auf die unmittelbar vorhers 
gehende Zeit ven Weg zu bahnen. Schon das fünfzehnte Jahr⸗ 
hundert zeigt Erfurt in einem merkwürdigen Berhältniffe zu 
den übrigen deutfchen Univerfitäten, in einer hoͤchſt eigenthüms 
lihen Entwidelung begriffen und eine Thaͤtigkeit entfaltend, 
die faft ſtufenweis jene glanzvolle geiftige Erhebung anbahnte 
und vorbereitete. 


IL 


Wie alle Hervorbringungen und Bildungen des Mittel 
alterd trugen die Univerfitäten ein entfchieden firchliches Gepräge. 
Urfprung, Form und Außere Haltung zeigen fie auf gleiche Weife 
im innigen Berbande mit den Factoren des Firchlichen Lebens, 
ja ald eine der wichtigften Stützen des hierardhifchen Pracht 
bau's, den jene Zeit aufgeführt. Durch den Machtſpruch des 
firchlichen Oberhauptes ind Dafein gerufen, trugen fie ihr Leben 
von der Kirche zum Lehen und hatten fie vor Allem die Pflicht 
der Bertheidigung der Firchlichen Interefien ?). Die Theologie 


2) Das Andenken an biefe glänzende Zeit bildete gleichfam den Troſt 
der Hochſchule in den Tagen ihrer fpäteren Bebeutungslofigkeit. Es wurde 
nachher eine Lieblingsbefchäftigung der Mniverfitätsprofefioren, in Abhand- 
Iungen, Brogrammen u. dgl. auf die frühere Blütheperiode hinzumeifen. 
Daher die forgfältigen Rectoren » Berzeichnifie von Rebefeld, Vollbracht, 
Lönenfen, Die, mehr oder minder verdienſtlichen Arbeiten von Hartenfelß, 
Biantes, Hundorp, Dominicus, Motfchmann, Dfann, Sinnhold u. a. Manche 
ſchätzenswerthe Nachricht verdanken wir ihren panegyrifchen Darftellungen. 

2) „Ad laudem divini nominis et fidei Catholicae propagationem 
exaltationemque Romanae ecelesiae‘“ heißt es in der Fundationsurkunde 
Nrban’s VI für Erfurt. Bol. Motſchmann Erfordia Litterata, erſte Samm- 

4* 


= 


— 4 — 


in Form der Scholaſtik bildete deshalb vorzüglich den Gegen⸗ 
ftand der Lehrthätigfeit. Nach dem Mufter der Hochſchule von 
Paris war die theologiſche Facultät faft überall die bevorzugte 
und übte. „ald das glänzende Geftirn, von dem Alles Licht und 
Leben empfing”, auch auf die übrigen wichtigen Einfluß aus. 
Faſt überall finden wir die Banzlerwürde im Beſitz von Geift- 
lichen, hier und da war aud) die Befähigung zum Rectorat 
von dem geiftlichen Character abhängig !). Zahlreiche Statute 
befeftigten die Herrfchaft des kirchlichen Geiftes. 

Hiedurch war die Stellung bedingt, welche die Univerfitäten 
der Zeit und ihren Beftrebungen gegenüber einnahmen. ALS 
fertige, abgefchloffene Bildungen und ihrer Beitimmung nad) 
mehr den Erfcheinungen auf dem Gebiete des Eirchlichen Lebens 
zugewandt, fommen fie fehr felten der fortichreitenden geiftigen 
Entmwidelung mit derjenigen Empfänglichfeit entgegen, die ein 
erfolgreiches, neugeftaltendes Eingreifen in diefelbe möglich macht. 
Oft genug zeigt ihr Benehmen gerade das Gegentheil: ein Abs 
lehnen, Abwehren des Neuen, was der Zeitgeift gejchaffen, und 
faft immer |pricht fich in ihrem Hervortreten ein ftabiler, von 
den herrfchenden Richtungen der Zeit wenig berührter Geift aus, 
Damals freilich, als im Mittelpunft der Kirche ſelbſt bevenfliche 
Bewegungen fich Fundgaben ?), und man irre wurde an der Ge⸗ 
walt, welche ihnen dad Daſein verliehen, wurden auch fie nothwen- 
dig von der allgemeinen Strömung mit fortgeriffen. Eine unge 
wöhnliche geiftige Rührigfeit unterbrach auf mehrere Jahrzehnte 
die Regelhaftigfeit und Schwerfälligfeit des corporativen Wirkens. 
Als aber der gewaltige Sturm beigelegt fchien, Eehrten auch fie 
zu der frühern Ruhe zurüd und nahmen den ftabilen &haracter 
wieder an, defien fie fih nur für jene Zeit entäußert hatten, 


lung p. 26. Aehnlich lauten die Formeln für Köln (Bianco, die alte Uni- 
verfität Köln, 1856. Anlagen p. 2.) Ingolſtadt (Aun.acad. Ingolst. IV, 17, 
two aber der letzte Zufag fehlt) u. a. 

1) 3.83. in Prag. Tomef Gefch. der Prager Univerf. p. 9. 

2) Zur Zeit des großen Schismae. 





— 5 — 


Das natürliche freundſchaftliche Verhaͤltniß zu den kirchlichen 
Autoritäten, das durch jene Wirren geftört worden, ftellte ſich 
unvermerft wieder her !). Und fo erfcheinen fie zur Zeit der 
großen geiftigen Kämpfe am Wendepunfte der mittlern und 
neuern Jahrhunderte. Mißtrauiſch beobachten fie die Beftre- 
bungen der Humaniften; zahllos find die Klagen, in denen ſich 
die „Poeten“ über ihr abftoßendeg, feinpfeliges Verhalten ergehen. 
Auch das Beginnen des Wittenberger Reformatord hätte nicht 
jene welthiftorifhe Bedeutung erlangt, wäre freie, unerzwungene 
Beiftimmung der Univerfttäten Bedingung feiner Durchführung 
geweien 2). Gewiß ift es deshalb eine höchft merfwürdige Er⸗ 
fheinung, daß unter den deutfchen Univerfitäten eine hervortritt, 
die, abweichend von den übrigen, fih auf ganz andern Bahnen 
bewegt. Weder die devote Anhänglichfeit an das herrjchende 
Kirchenthum, noch die Verſchloſſenheit und fremdartige Stellung 
gegen die Richtungen des Zeitalters theilte die Univerfität Erfurt 
mit ihren deutſchen Schwefteranftalten. Die Regungen einer 
ernfthaften Oppofttion gegen die beftehenden firdhlichen Verhält⸗ 
niffe, die anderwärtd nur vereinzelt 'auftauchten und wirfungslos 
verfhwanden, fanden hier eine allgemeinere Verbreitung und 
verwebten fib in das Leben der Anftalt felbfl. Statt jener 


— {01.1 — 


ı) Man vergl. die Eidesformel, die Pius II in der Yundationsurfunde 
für Ingolftadt für die Bromotion vorschrieb; fie fängt an mit den Worten: 
„Ego scolaris studii Ingolst. Eystetens. dioec. ab hac hora in antea 
fidelis et obediens ero beato Petro sancteque Romane ecclesie et 
Domino meo Domino Pio Pontifici Pape secundo.‘“ Ann. Ing. Ac. IV, 18. 

2) Diefe Anficht tritt freilich der gewöhnlichen Auffaffung entgegen, 
nach der die Deutfchen Univerfitäten in einem ungleich wichtinern und innigern 
Berhältniffe zu der geiftigen Entwidelung der Nation und namentlich zur 
Reformation erfcheinen (vergl. Krabbe: Die Univerfität Roſtock p. 2), aber 
fie findet in der Geſchichte der einzelnen Univerfitäten ihre Beftätigung. 
Die Haltung von Köln und Leipzig ift jedermann befannt, über Roſtock 
vergl. Krabbe 1. c. 392; über Tübingen Eiſenbach: Befchreibung und Ge- 
ſchichte der Univerfität und Stabt Tübingen p 37, u. f. w. Belehrend ift 
die Schilderung von Däkinger: Die Reformation, ihre innere Entwidlung 
und ihre Wirkungen. BP. I. p. 610 ff. (zweite Aufl.) 


= 


— 4 — 


in Form der Scholaſtik bildete deshalb vorzüglich den Gegen- 
ftand der Lehrthätigfeit. Nach dem Mufter der Hochſchule von 
Paris war die theologische Facultät faft überall die bevorzugte 
und übte „als das glänzende Geftirn, von dem Alles Licht und 
Leben empfing”, auch auf die übrigen wichtigen Einfluß aus. 
Faft überall finden wir die Banzlerwürde im Beſitz von Geift- 
lichen, bier und da war auch Die Befähigung zum Rectorat 
von dem geiftlichen Character abhängig !). Zahlreiche Statute 
befeftigten die Herrfchaft des Firchlichen Geiftes. 

Hiedurch war die Stellung bedingt, welche die Univerfitäten 
der Zeit und ihren Beftrebungen gegenüber einnahmen, Als 
fertige, abgefchlofiene Bildungen und ihrer Beftimmung nad 
mehr den Erfeheinungen auf dem Gebiete des Eirchlichen Lebens 
zugewandt, fommen fie fehr felten der fortfchreitenden geiftigen 
Entwidelung mit derjenigen Empfänglichfeit entgegen, die ein 
erfolgreiches, neugeftaltendes Eingreifen in diefelbe möglich macht. 
Oft genug zeigt ihr Benehmen gerade das Gegentheil: ein Abs 
lehnen, Abwehren des Neuen, was der Zeitgeift geichaffen, und 
faft immer fpricht fich in ihrem Hervortreten ein ftabiler, von 
den herrfchenden Richtungen der Zeit wenig berührter Geift aus. 
Damals freilich, als im Mittelpunkt der Kirche jelbft bevenfliche 
Bewegungen fich Fundgaben ?), und man irre wurde an der Ge⸗ 
walt, welche ihnen das Dajein verliehen, wurden auch fie nothwen⸗ 
dig von der allgemeinen Strömung mit fortgeriffen. Eine unge: 
wöhnliche geiftige Rührigfeit unterbrach auf mehrere Jahrzehnte 
die Regelhaftigfeit und Schwerfälligkeit des corporativen Wirkens. 
Als aber der gewaltige Sturm beigelegt fchien, kehrten auch fte 
zu der frühern Ruhe zurüd und nahmen den ftabilen Character 
wieder an, deſſen fie fih nur für jene Zeit entäußert hatten, 


lung p. 26. Aehnlich lauten die Formeln für Köln (Bianco, die alte Uni⸗ 
verfität Köln, 1856. Anlagen p. 2.) Ingolftadt (Aun. acad. Ingoist. IV, 17, 
wo aber der lebte Zufag fehlt) u. a. 

1) 3.2. in Prag. Tomef Geſch. der Prager Univerf. p. 9. 

2) Zur Zeit des großen Schismae. 





— 5 — 


Das natürliche freundſchaftliche Verhälmiß zu den kirchlichen 
Autoritäten, das durch jene Wirren geflört worden, ftellte fich 
unvermerft wieder her !). Und fo erfcheinen fie zur Zeit der 
großen geiftigen Kämpfe am Wendepunkte der mittlern und 
neuern Jahrhunderte. Mißtrauifch beobadhten fie die Beftre- 
bungen der Humaniften; zahllos find die Klagen, in denen ſich 
die „Poeten“ über ihr abftoßendes, feindfeliges Verhalten ergehen. 
Auch das Beginnen des Wittenberger Reformators hätte nicht 
jene weltbiftorifche Bedeutung erlangt, wäre freie, unergwungene 
Beiftimmung der Univerfitäten Bedingung feiner Durchführung 
gewefen 2). Gewiß ift es deshalb eine höchft merfwürbige Er⸗ 
fheinung, daß unter den deutfchen Univerfitäten eine hervortritt, 
die, abweichend von den übrigen, fih auf ganz andern Bahnen 
bewegt. Weder die devote Anhänglichkeit an das herrfchende 
Kirchenthum, noch die Verichloffenheit und fremdartige Stellung 
gegen die Richtungen des Zeitalters theilte die Univerfität Erfurt 
mit ihren deutichen Schwefteranftalten. Die Regungen einer 
ernfthaften Oppofttion gegen die beftehenven Firchlichen Verhält⸗ 
niffe, Die anderwärtd nur vereinzelt 'auftauchten und wirkungslos 
verfchwanden, fanden bier eine allgemeinere Berbreitung und 
verwebten fih in das Leben der Anftalt felbfi. Statt jener 





:) Man vergl. die Eidesformel, die Pius II in der Yundationsurfunde 
für Ingolftadt für die Promotion vorichrieb; fie fängt an mit den Worten: 
„Ego scolaris studii Ingolst. Eystetens. dioec. ab hac hora in antea 
fidelis et obediens ero beato Petro sancteque Romane ecclesie et 
Domino meo Domino Pio Pontifici Pape secundo ““ Ann. Ing. Ac. IV, 18. 

2) Diefe Anficht tritt freilich der gewöhnlichen Auffaflung entgegen, 
nad) der die deutfchen Univerfitäten in einem ungleich wichtigern und innigern 
Berhältniffe zu der geiftigen Entwidelung der Nation und namentlich zur 
Reformation erfheinen (vergl. Krabbe: Die Univerfität Roſtock p. 2), aber 
fie findet in der Geſchichte der einzelnen Univerfitäten ihre Beſtätigung. 
Die Haltuna von Köln und Leipzig ift jedermann befannt, über Roftod 
vergl. Krabbe 1. c. 39%; über Tübingen Eiſenbach: Beichreibung und Ge⸗ 
ſchichte der Univerfität und Stadt Tübingen p 37, u. f. w. Belehrend ift 
die Schilderung von Dökinger: Die Reformation, ihre innere Entwicklung 
und ihre Wirkungen. Bd. I. p. 610 ff. (zweite Aufl.) 


— 6 — 


Stabilität, welche die andern deutſchen Gelehrteninnungen ganz 
dem Leben der Nation zu entfremden drohte, zeigt die thüringifche 
eine auffallende Beweglichkeit, die fie überall auf die Zinnen 
der Zeit führt und für jede neue Erjcheinung empfänglich macht. 

Schon früh erfcheint Erfurt in diefem eigenthümlichen Lichte, 

Für die Richtung des einzelnen Menſchen find oft die erften 
Zugendeindrüde von Entfcheivung, auf die Richtung geiftiger 
Bildungsinftitute üben in der Regel die Zeitumftände, unter 
denen fie in’d Leben traten, einen erfolgreihen Einfluß aus. 
Die Univerfität Erfurt war gegründet eben beim Beginn des 
großen Schisma's, welches das Anfehen der höchften geiftlichen 
Autorität auf das tieffte erfchütterte, und — fie war die Schöpfung 
einer freien Bürgerjchaft. 


II. 


Es war im September des Jahres 1379, ald Clemens VII 
von Avignon auf Anfuchen der Bürgerfchaft von Erfurt die 
Bulle erließ, welche die Errichtung einer Univerfität in der 
thüringifchen Hauptftadt verordnete und in überreichem Maaße 
Privilegien auf die zu gründende Anftalt übertrug 1). Außer 
den gewöhnlichen Dieciplinen wurde auch das bürgerliche Recht 
und überhaupt alle „erlaubten” Wiffenfchaften zu lehren geftattet. 
Denn „beiondere Gründe” beftimmten diefen Papft, der Stadt 
fein Wohlmollen zu bezeigen; ſchon früher hatte er in einem 
Schreiben an die Erfurter diefelbe Gefinnung audgefprochen, 
zugleich aber die Bitte hinzugefügt, daß fie auch ferner in Treue 
gegen ihn verharren und die Briefe eines gewiffen Bartholo- 
maäus von Periguano zurüdweifen möchten 2). Fruchtlos muß 
diefe Bitte wohl geweſen fein, denn zehn Jahre fpäter ertheift 
eben jener „geweſene Exrzbifchof von Bari” Bartholomäus von 


ı) Die Bulle findet fich bei Motfchmann 1. c. I. 18—38. Der primus 
annus pontificatus erſtreckt fi vom 20. Sept. 1878 bis dahin 1379. 
2) Das Schreiben f. bei Motfchmann 1. oc. I. 13. 








_ 1 — 


Beriguano — ed war Urban VI — von der Stadt erfucht, audh 
jeinerfeitö die Einwilligung zur Gründung der Univerfität *). 
Abermals vergingen drei Jahre und neue Privilegien fügte der 
Nachfolger Urbans zu den bereits verliehenen, bis im Jahre 1392 
die neue Univerfität — die fünfte in Deutfchland — förmlich 
eröffnet ward 2). Seltfam war das Geſchick und bedeutungs- 
voll für die künffige Richtung der jungen Anftalt, welches ihre 
Sründung in nahe Beziehung zu einem für das Anfehen des 
Papſtthums fo nachtheiligen Ereignifie brachte. Der Geiſt einer 
ehrfurchts vollen, kindlichen Hingebung an den päpftlicden Stuhl, 
wie fie eigentlih in der Aufgabe der Univerfitäten zu Tiegen 
ſchien, konnte fich nicht leicht in einem Inflitute geltend machen, 
das fchon durch feine Gründung und doppelte Beftätigung an 
den Verfall deffelben erinnert ward. — Es fam aber hinzu, 
daß auch die unmittelbare Umgebung, die Berhältniffe der Stadt, 
der Geift der Bürgerfchaft, von der der Gedanke der Gründung 
ausgegangen, einen ähnlichen Einfluß ausüben mußten. Schon 
die phyſiſche Lage der Stadt im Mittelpunfte Deutfchlands Fam 
bier in Betracht, infofern diefe eben dadurch vorzugsweife zum 
Sig einer patristifch-nationalen Entwidlung geeignet ſchien ®). 


41) Die Bulle f. bei Motfchmann 1. c. I. 24. 

2) Der erſte Rector Ludwig Mülner aus Arnfladt trug 383 Namen in 
die Matrikel ein. — Die Anficht, welche in den Univerfltäten überhaupt und 
namentlich in der erfurtifchen nur die corporative Vollendung einer bereits 
vorhandenen Schule flieht, bedarf wohl der Beſchränkung. Nach manden 
Andeutungen der Chroniken war in Erfurt bereits früh eine blühende Schule, 
aber feine Spur von einer Wirkfamkeit derfelben bei der Gründung ber Uni- 
verſitaͤt laͤßt fich nachweifen; vielmehr waren die erſten Profefloren fait alle 
aus Prag herübergelommen. — Die fomifche Sage, welche die Errichtung 
der Univerfltät mit dem fränkifchen Könige Dagobert in Berbindung bringt, 
bat in einer Berwechfelung der Univerfität mit den frühern Kloſterſchulen 
ihren Grund. 

2) Die berühmten Zönlinge der Univerfität Erfurt: Luther, Eoban, 
Crotus, Cordus, Hutten, Micyll, Witzel u. a. find unerfchöpflidh in dem 
Lobe Erfurts und der Bortheile, Die es befonders zu einem Mufenfige geeig⸗ 
net mache; fie denken an bie fruchtbare Umgebung, den Wohlthätigkeitsfinn 
der Bürger und ihre Empfänglichleit für höhere Beſtrebungen u. dgl. 


— 6 — 


Stabilität, welche die andern deutſchen Gelehrteninnungen ganz 
dem Leben der Nation zu entfremden drohte, zeigt die thüringifche 
eine auffallende Beweglichkeit, die fie überall auf die Zinnen 
der Zeit führt und für jede neue Erfcheinung empfänglich macht, 

Schon früh erfcheint Erfurt in diefem eigenthümlichen Lichte, 

Für die Richtung des einzelnen Menfchen find oft die erften 
Fugendeindrüde von Entfcheidung, auf die Richtung geiftiger 
Bildungsinftitute üben in der Regel die Zeitumftände, unter 
denen fie in’d Leben traten, einen erfolgreichen Einfluß aus, 
Die Univerfität Erfurt war gegründet eben beim Beginn des 
großen Schisma’s, welches das Anſehen der höchften geiftlichen 
Autorität auf das tieffte erfchütterte, und — ſte war die Schöpfung 
einer freien Bürgerjchaft. 


II. 


Es war im September des Jahres 1379, ald Clemens VII 
von Avignon auf Anfuchen der Bürgerichaft von Erfurt Die 
Bulle erließ, welche die Errichtung einer Univerfität in der 
thüringifchen Hauptftadt verordnete und in überreihem Maaße 
Privilegien auf die zu gründende Anftalt übertrug 1). Außer 
den gewöhnlichen Diesciplinen wurde auch das bürgerliche Recht 
und überhaupt alle „erlaubten” Wiffenfchaften zu lehren geftattet. 
Denn „beiondere Gründe” beftimmten dieſen Papft, der Stadt 
jein Wohlwollen zu bezeigen; fchon früher hatte er in einem 
Schreiben an die Erfurter dieſelbe Gefinnung ausgefprochen, 
äugleich aber die Bitte hinzugefügt, daß fie auch ferner in Treue 
gegen ihn verharren und die Briefe eines gewiffen Bartholo- 
mäusd von Periguano zurüdweifen möchten 2). Fruchtlos muß 
diefe Bitte wohl geweſen fein, denn zehn Jahre fpäter ertheilt 
eben jener „gewefene Erzbiſchof von Bari” Bartholomäus von 


1) Die Bulle findet fich bei Motfchmann 1. c. I. 18—38. Der primus 
annus pontificatus erſtreckt fi vom 20. Sept. 1878 bis dahin 1379. 
2) Das Schreiben f. bei Motfchmann 1. c. I. 13. 


_ 7 — 


Periguano — es war Urban VI — von der Stadt erſucht, auch 
ſeinerſeits die Einwilligung zur Gründung der Univerfität !). 
Abermals vergingen drei Jahre und neue Privilegien fügte der 
Nachfolger Urbans zu den bereits verliehenen, bis im Jahre 1392 
die neue Univerfität — die fünfte in Deutfchland — förmlich 
eröffnet ward 2). Seltfam war das Geſchick und bedeutungs⸗ 
vol für die künflige Richtung der jungen Anftalt, welches ihre 
Gründung in nahe Beziehung zu einem für das Anfehen des 
Papſtthums fo nachtheiligen Ereigniffe brachte. Der Geiſt einer 
ehrfucchtsvollen, kindlichen Hingebung an den paͤpſtlichen Stuhl, 
wie fle eigentlich in der Aufgabe der Univerfitäten zu liegen 
ſchien, konnte ſich nicht leicht in einem Inftitute geltend machen, 
das fchon durch feine Gründung und doppelte Betätigung an 
den Verfall defielben erinnert ward. — Es Tam aber hinzu, 
daß auch die unmittelbare Umgebung, die Berhältnifie der Stapt, 
der Geift der Bürgerfchaft, von der der Gedanke der Gründung 
ausgegangen, einen ähnlichen Einfluß ausüben mußten. Schon 
die phuftiche Lage der Stadt im Mittelpunfte Deutfchlands kam 
bier in Betracht, infofern diefe eben dadurch vorzugsweiſe zum 
Sig einer patriotifchnationalen Entwidlung geeignet fehien 2). 


1) Die Bulle f. bei Motfchmann 1. c. I. 24. 

2) Der erſte Rector Ludwig Mülner aus Arnfladt trug 533 Namen in 
die Matrikel ein. — Die Anficht, welche in den Univerfltäten überhaupt und 
namentlich in der erfurtifchen nur Die corporative Vollendung einer bereits 
vorhandenen Schule ficht, bedarf wohl der Beichränfung. Nach manchen 
Andeutungen der Chroniken war in Erfurt bereits früh eine blühende Schule, 
aber feine Spur von einer Wirkſamkeit derfelben bei der Gründung der Uni- 
verfität laͤßt fich nachweifen; vielmehr waren die erften Profefioren fait alle 
aus Prag herkbergelommen. — Die Fomifche Sage, welche die Errichtung 
der Univerfltät mit dem fräntifchen Könige Dagobert in Berbindung bringt, 
bat in einer Berwechfelung der Univerfität mit den frähern Klofterfhulen 
ihren Grund. 

2) Die berühmten Zöglinge ber Univerfität Erfurt: Luther, Eoban, 
Crotus, Cordus, Hutten, Micyll, Wisel u. a. find unerfchöpflidh in dem 
Lobe Erfurts und der Bortheile, die es befonders zu einem Mufenfipe geeig⸗ 
net mache; fie denken an bie fruchtbare Umgebung, den Wohlthätigkeitsfinn 
ber Bürger und ihre Empfänglichkeit für höhere Behtrebungen u. dgl. 


— 8 — 


Es war kein Zufall, daß die verderbliche Eintheilung in Natio⸗ 
nen, welche eben damals den Zuſtänden der Univerſttät Prag 
ein ſo duͤſteres Ausſehen gab, hier vermieden wurde. Wichtiger 
indeß war die politiſche Stellung und kirchliche Denkungsart 
Erfurts. Gerade am Ausgange des vierzehnten Jahrhunderts 
ſtand die Stadt im Zenith ihrer Macht. Rechtlich zwar in 
kirchlicher wie in politiſcher Hinſicht dem Erzbiſchofe von Mainz 
untergeben, anerkannte ſie deſſen Herrſchaft doch kaum dem Na⸗ 
men nach. Ein ſtolzer Unabhängigfeitsfinn kündigte ſich überall 
in ihrem öffentlichen Auftreten an und brachte ſie nicht ſelten 
mit geiſtlichen und weltlichen Gewalten in ernſthaften Conflict. 
So eben noch hatte fie dafür Die. ganze Schärfe der papftlichen 
Cenſuren empfunden 2). Diefe vermochten denn freilih am 
wenigften die antihierardhifche Stimmung zu befeitigen, die ſich 
fhon frühzeitig im Leben der Stadt kundgab und durch fort« 
währende Reibungen mit dem Clerus immer neue Nahrung 
erhielt. Da drüben auf dem Rathhausſaale konnte jedermann 
offen lefen, wie gefpannt das Verhältniß zwifchen der Bürgers 
Ihaft und den kirchlichen Autoritäten war ?). 

Aus einer folchen Atmofphäre ihren Lebensathem fchöpfend, 
mußte die Univerfität fchon von vornherein in eine eigenthüm- 
lihe Bahn gelenft werden. Inmitten einer freien, leicht erreg- 


2) Zur Zeit des Kampfes zwifchen Dither von Ifenburg und Adolph 
von Naflau. 

2) Ueber die fogenannten Rathhausfchilder, die den Untergang des alten 
Rathhauſes überlebt haben, vgl. 2. von Ledebur Allg. Archiv für Geſchichts⸗ 
funde des preußifchen Staates. Bd. 14, Heft 2, p. 166. Hoffentlich wird es 
Herren Prof. Caſſel gelingen, mehr Licht über biefelben zu verbreiten; Die 
Sinnfprüche, welche fih als Umfchriften auf den Schildern befinden, find 
meiftens dem Freydenk entnommen, oft find fie nichts anders als der Aus- 
druc einer gefunden, derben Volksmoral, manche aber eröffnen uns einen 
tiefen Bli in die oppofitionelle Richtung des ftädtifchen Lebens, 3. B. 

„Gotis licham bicht unde touf 
fint erloubet ane fouf. 

oder: Romis hof in gert nicht me 
wan das di werlt mit werrin ſte.“ 





— 9 — 


baren Bürgerſchaft und eine Schöpfung dieſer, konnte fie ſich 
auch der Beweglichkeit und Rührigkeit nicht ganz erwehren, die 
das ftädtifehe Leben characterifirte. Entrüdt dem unmittelbaren 
Einfluffe geiftlicher und weltlicher Obrigkeit ermöglichte fie nach 
allen Seiten ein freies, Fühnes Auftreten und verfprach dem 
Geifte eine ungehemmte, ſelbſtſtändige Entwidkung. 

Und: fo ſchien denn Erfurt einen Freibafen zu eröffnen 
für alle jene, die unruhig und zerfallen mit der Zeit ihr Schiffr 
lein auf den gefährlichen Wogen der Oppofttion Ienkten. Schon 
ift man geneigt, ſelbſt in der Verfaſſung der Univerfltät Spuren 
der Wirkſamkeit jenes freien Geifted wahrzunehmen. Denn 
merkwürdig ift ed, daß nur in Erfurt den Studirenden eine 
Theilnahme an der Rertorwahl geftattet war 7), und faft erfcheint 
es als eine Nachahmung des vielküpfigen ftädtifchen Regiments, 
dag dem Rector ein Conſilium zur Seite ftand, an deffen Zus 
flimmung er überall gebunden war ?). Aber vereinzelt ſtehen 
diefe Beflimmungen da. Eben in der Berfafjung, in den Stas 
tuten lag das flärffte Hemmniß jener freiern, felbftftändigern 
Entwidlung, für die fi) alles Webrige zu vereinigen fchien. 
Zu tief hatte damals der Tirchliche Gedanfe in den Herzen 
Wurzel gefchlagen, zu jehr war er in alle Bildungen der Zeit 
verzweigt, ald daß man es hätte wagen bürfen, ſich bei der 
Geftaltung eined jo wichtigen Inftituts von ihm zu entfernen. 
Wenig Eigenthümliches bietet deshalb die Verfaffung der Unis 
verfität. Diejelben Einrichtungen und Vorfehrungen, wodurch 
anderwärts das afademijche Leben in den hierarchifchen Bahnen 
erhalten wurde, fehren auch hier wieder: Gollegien und Burfen 3), 





1) Bergl. Statut. Univers. Rubric. II. n. 8. bei Motfhmann 1. c. 
v. 6232. 

2) Bergi: Statut. Univ. Rubr. VII. n. 1. Motſchmann l. c. v. 645. 
Meiner's Geſchichte der hohen Schalen I, 99. 

2) Außerdem zugleich mit der Univerfität gegruͤndeten Collegium majus 
wurde 1418 das Oollegiem amplosianum gegründet, fo genannt nad 
feinem Stifter Amplonius. Rating de Fago aus Rheinbergen im Nieberftift 


— 10 — 


das erfte Erforderniß einer jeden Lniverfität,. beherrfcht von 
dem Geifte einer firengen Gefebgebung ?). Dieſelbe Rangord- 
nung der Facultäten, ald deren legte die unter den Schub von 
St. Georg geftellte artiftifche oder philofophifche erfcheint, dazu 
die allgemein herrſchende ſcholaſtiſche Lehrweiſe mit Zugrunde⸗ 
legung der herkoͤmmlichen Autoritäten, des Ariſtoteles und 
St. Thomas von Aquin. Das Lectionsverzeichniß der philo⸗ 
ſophiſchen Facultaͤt weiſet 33, mit wenigen Ausnahmen dem 
Begriffskreiſe der Scholaſtik angehörende Vorleſungen auf 2). 
Die fünf „Cirkel“, durch welche der Weg zu den philoſophi⸗ 
fen Ehren führte, waren angefüllt mit fubtilen ſcholaſtiſchen 
Duäftionen und zogen faft das ganze ariftotelifche Lehrgebaͤude 
in ihren Bereich °). Dafür belohnte den Sieger der Acht mit- 
telalterlihe Glanz, der die Promotionen umgab: eine feierliche 
Prozeffion geleitete unter Olodengeläute den Theologen in Das 
Eollegium Coelicum, feftlihe Aufzüge fchloffen fih an bie 


Köln; das Gebäude, worin es fein Sig hatte, hieß die Porta coeli; vergl. 
Sinnhold Erfordia literata p. 9; 1448 folgte die Schola juris, eine 
Stiftung des Heinrich von Gerbftede, vergl. Oſann Erford Sit. p 13; das 
Collegium Saxonicum ward erft 1534 gegründet. Neben diefen beftanden 
noch fleinere Collegien, die bursa pauperum, die schola Antiqua u. a. 

ı) Bergl. Statut. Univers. Rubr. VIII. De officio recterum bur- 
sarum, bei Motfchmann 1.c. v. 646 ff. Zuweilen hatte der fromme Eifer 
des Stifters die Anforderung noch höher gefpannt; fo war es bei ben Sta- 
tuten des Coll. Ampl. der Fall. Sie find (freilich fehlerhaft) abgedrudt 
bei Sinnhold 1. c. p. 51 ff. und fangen fo an: „‚Primo, ut vita ecclesi- 
astica semper currat cunı scholastica licet sit principaliter scholastica 
hic intenta, statuo et ordino ut quilibet hic collegiatus in sacris con- 
stitutus vel beneficiatus degat omni die horas canonicas et simul 
Miserere pro defunctis et Mis. cum oratione de B. Virgine supra 
notata et attenta utrumque genuflectendo.““ 1. c. 

2) Bergl. das Statut. circa quantitatem temporis et pastus lecti- 
onum bei Motfchmann. Vierte Fortſetzung p. 436. Ich finde, daß feine 
Univerfität fo fehr den Kreis der philof. Disciplinen erſchöpft hatte, Prag 
zählte nur 36, Köln 35, Ingolftabt 23, Wien 81 philof. Lectionen. 

2) Bergl. Motfchmann. Bierte Zortf. p. 446. 


— 1 — 


juriftifche Promotion; und fo Hatte jede Yacultät ihre ange 
mefiene Auszeichnung !). 

Man fieht: reichlich war der Zeit ihr Tribut entrichtet, 
und es Fonnte fcheinen, ald würden die gegnerischen Einflüffe 
der Menge diefer fcholaftifchen Satzungen erliegen müffen. Aber 
die Ereigniffe der folgenden Zeit verhinderten, daß dieſes geſchah. 


IV. 


Der Anfang des 15. Jahrhunderts zeigte die Kirche in 
einer höchft bevenflichen Lage. Im Mittelpunfte derfelben war 
der Stuhl Petri in der unmwürdigften Weife Gegenftand des 
Streites und Haderd. Auf allen Seiten ließen ſich laut und 
ernftlid Stimmen vernehmen, welche dringend eine allgemeine 
Reformation des Firchlichen Lebens forderten. Da erfchien 
endlih auch draußen ein gefährlicher Feind: den gänzlichen 
Umfturz aller beftehenden religiöfen und politifchen Berhältnifie 
ftellten die huſſitiſchen Bewegungen in die drohendſte Nähe, 
Eine ungewöhnliche Aufregung bemächtigte fih der Gemüther. 
Diefer allgemeinen geiftigen Erregtheit konnte fich die neue 
Univerfität um fo weniger entziehen, als fie zu allen berührten 
Erfcheinungen jener Zeit in eigenthümlich nahen Beziehungen 
fand. Wie ihre Gründung, die ſich an die Namen zweier ſich 
einander befämpfender Päpfte Fnüpfte, ihre Aufmerkſamkeit 
fofort auf das große Schisma lenken mußte, fo machte fie der 
antihierarchifche Character der Stadt empfänglich für jene refor- 


27 Luther gebenft noch in fpätern Jahren mit Borliebe der glanzvollen 
erfuriifchen Promotionen. „Wie war es eine fo große Majettät und Herr- 
lipkeit*, fagt er, „wenn man Magifters promovirte und ihnen Fackeln vor: 
trug und fie verehrte. Ich halte, daß Feine zeitliche, weltliche Freude der: 
gleichen gewefen fei. Alſo hielt man auch ein fehr groß Bepräng und 
Weſen, wenn man Dertores machte, da ritt man in der Stadt umher, dazu 
man fich fonderlich kleidete und fchminkte, welches alles dahin ift und gefallen. 
Aber ich wollte, daß man’s noch hielte.“ Luth. Tifchreden. Frankf. 1368. 
f. 415 a. 


— 9 — 


matorifchen Tendenzen, die fehon in einem ihrer erften Lehrer, 
dem Weſtfalen Gobelinus Perſona von Winterberg, den ents 
fohiedenften Vertreter fanden ?). Noch näher lag es ihr, auf 
die huffitifche Angelegenheit einzugehen, denn eben dieſe trug 
zum fchnellen Wachsthum Erfurts wefentlich bei. Faſt gleichs 
zeitig mit der Stiftung der thüringifchen Hochſchule begannen 
die Unruhen in Brag und die Auswanderungen der Deutjchen 2). 
Von den zwanzig Lehrern, welche bei der Eröffnung der 
erftern anmefend waren, waren die meiften von Prag herüber- 
gefommen. Die erften Rectoren der Univerfität Erfurt vers 
dankten fämmtlih Prag ihre Bildung und die afademifchen 
Ehren 2). Bon den Studirenden wandte fich, wie es fcheint, 
vornehmlich die baier'ſche Nation nach Erfurt, und fo groß war 
im Sahre 1409 vie Zahl der Neuanfommenden, daß fie die 
Beforgniß des dortigen Rathes erregten und diefer ſich von 
ihnen die feierliche Zufage geben ließ, Fein Statut wider die 
Privilegien der Stadt zu errichten *). Das nahe PVerhältniß, 
in welches die Hochfchule von Erfurt hierdurch zu Prag trat, 
der friſche Eindrud, den die Neuangefommenen von den böh— 
mifchen Creigniffen mitbrachten, konnten nicht verfehlen, auch 
für die Hujfitiichen Bewegungen eine lebhafte Theilnahme zu 
erregen. — 

So von allen Seiten in die Strömungen ded Zeitalters 
eingeführt, ja in mehr als gewöhnlichem Gerade durch die 
großen Fragen der Zeit berührt, entfaltete die Faum in's Dafein 


ı) Bergl. Adami vitae theol. germ. Heidelb. 1780. p. 2. 

2) Bergl. Tomek Gefch. der Univ. Prag. p. 38. 

3) Man vergl. die Erfurter Univerfitäts-Matritel namentlich mit dem 
Liber Decanorum Facultatis Philosophicae Pragensis, Tom. I. Prag. 
1830. 

4) Bergl. 3. H. von Faldenftein: Civitatis Erffurtensis Historia 
critica (?) et diplomatica oder vollfländige Alt:, Mittel: und Neue Hiftorie 
von Erffurth. Erf. 1734 1, 290.291. Die Zahl der von Brag Abziehen⸗ 
den wird von ihm in der gewöhnlichen Weife übertrieben. 





— 13 — 


getretene Anftalt alsbald eine rege, ganz den fchwebenten An- 
gelegenheiten zugewandte Thätigkeit. Offenbar und weltfundig 
wurde Diefed zum erſten Mal auf der großen Kirchenverfamms 


lung von Conſtanz. Nah den außgezeichneten Abgeordneten 


der Sorbonne waren feine Ramen fo gefeiert, als die der beiden 
Bertreter der Schule von Erfurt, des Johannes Zachariä und 
bes Angelus Dobelin. Jener glänzte als fiegreicher Befämpfer 
ded gewaltigen Böhmen und die fehr feltene Auszeichnung durch 
bie geweihte goldne Roſe ehrte fein Berdienft '). Bon diefem 
wird erzählt, daß fein Rednertalent felbft die Bewunderung 
und Anerfennung Martins V fand ?). — Es war in Eon» 
ftanz nicht ohne Einfluß auf die Haltung der erfurter Abge⸗ 
fandten und namentlih wichtig für ihre Verhältnig zu dem neu 
gewählten Papfte, daß dort noch die verjchiedenen Richtungen, 
welche hervortraten, befreundet neben einander gingen, zuſam⸗ 
mengehalten durch den Einen Gedanken der Reformation der 
firchlihen Zuftände Verändert wurde ihre Haltung, ald die 
reformatorifchen Beftrebungen in dem Papſtthume nicht mehr 
die nöthige Unterſtützung fanden, als jene verfchiedenen Richt- 
ungen fich zu durchfreuzen anfingen und die Synode von Bajel 
den Widerftreit zwifchen Haupt und Gliedern der Kirche zur 
allgemeinen Funde brachte. Mathäus Doering, der bedeutendfte 


2) Bergl. über ihn Trithemius de scriptoribus eccles. ed. Fabricius 
p. 170. c.733; feit 1400 immatrifulirt hatte er als Univerfitätslshrer einen 
bedeutenden Ruf. Seiner Disputation mit Huß und jener ehrenvollen Aus⸗ 
zeichnung gedenken Motſchmann Erſte Bortf. p. 60 und Baldenflein 1. c. 
1. 295. Diefer meldet nach einem alten Chronicon über Zachariä „er habe 
gegen Johann Hufen am flärfiten disputirt und die Bictoria erhalten, 
dahero brachte er von 360 Erg: und Bilchöffen, 564 Doctoribus promotis, 
1600 Fürſten und Edlen und 37 Univerfitäten und andern Gelehrten, bie 
aufm Concilio waren, wegen ſolcher wider Johann Huflen erhaltenen Bics 
torin einen ſolchen Preiß davon, daß da die Päpfte fonft nur hohen Häup- 
tern geweihere güldene Rofen zu Ehren fchenfen, ihme doch ultra sortem 
hominum privatorum eine folche Rofe zum groflen Braefent feines treff: 
lien Dienftes und hohen Qualitäten von dem Goncilio gegeben wurde ” 

2) Erhard, Geſch. des Wieberaufblühens der Wiſſenſch. I, 171. 


— 14 — 


unter den Gelehrten, welche von Erfurt nad) Bafel gefandt 
wurden, ftand entfchieden auf der Seite des Concils. Beftimm- 
tere Spuren feiner Thätigkeit dafelbft find zwar nicht fichtbar, 
aber für eine innige und wirkfame Verbindung unferer Schule 
mit jener Synode fpriht mehr als Ein Umftand. Noch im 
J. 1442 empfängt fle wichtige Privilegien von ihr und unter 
den Letzten, welche das Anfehen der Bafeler Synode verthei- 
Digten, wird die Univerfität Erfurt genannt !). Freilich theilten 
dieſe Stimmung noch mehrere Schulen: auch Wien, Heidelberg 
und Köln hielten felbft da noch an der Synode feft, als die 
Entfcheidung der Dinge ſchon längft in andere Hände übers 
gegangen war. Aber noch Länger erfcheint die Univerfität 
Erfurt von ihrem Einfluffe beherrjcht. 

Irre ich nicht, fo Hat fie zum großen Theil eben von der 
Bafeler Synode ihre Richtung für die folgende Zeit empfangen. 
Derjelbe Geift, der jene leitete, fpricht fich eben fo häufig als 
entfchieden in ihrer fpäteren Haltung aus. Kein Wunder! 
Die conciliaren Ideen, auf welche die erfurtifche Schule von 
vornherein mit der größten Entfchievenheit eingegangen, unter 
deren Einfluß fie zu Anfehen und Geltung gelangt war, hatten 
eine habituelle Bedeutung für Leben und Lebensäußerung der: 
felben erhalten; in der Geftalt, die fie in Bafel gewonnen, 
wurden fie feftgehalten. Dadurch nun trat Erfurt zugleich in 
den entichiedenften Gegenfab zu den übrigen deutfchen Hoch» 
ſchulen. Allmählig lenkten dieſe ſämmtlich wieder in die alten 
ihnen vorgezeichneten Bahnen zurüd, Köln, das vor allen das 
Beifpiel einer aufgeregten, freifinnigen Bekämpfung päpftlicher 
Anfprüche gegeben, wirkte bald in der gerade entgegengejeßten 
Richtung. Nur die Univerfität Erfurt nimmt an diefem allger 
meinen Umſchwunge nicht Theil. Jener Gedanfe einer freien 
antihierarchiſchen Entwidelung, der ſchon durch die Momente 


— 





2) Vergl. M. 3. Schmidt Geſch. der Deutfchen. IV, 216. 





- 23 — 


ihrer Gründung fo nahe gelegt war, hatte unter den concifiaren 
Kaͤmpfen eine beftimmte Geftalt gewonnen. Entſchiedener tritt 
er fortan hervor. 


V. 


Die folgende Zeit führt uns eine Reihe von Männern 
vor, durch welche diefe von der allgemeinen abweichende Richt 
ung, die in Erfurt herrfchte, offen ausgeiprocdhen und Nah und 
Fern zur Kenntniß gebracht wurde. 

Da lebte um die Mitte des Jahrhunderts in der Garthaufe 


von Erfurt ein jchlichter, befchaulicher Mönch, Sacob von Jüters.. 


bod genannt; vierzig Jahre war er bereitd Ciſterzienſer geweien, 
als er 1445, ſchon ergraut, die firengere Ordensregel des heil. 
Bruno vorzog !). Aber unter dem harten Ordensgewande 
bewahrte er einen freien Sinn, der fühn genug, felbft den 
Kampf mit den höchften geiftlichen Gewalten aufzunehmen ſich 


nicht ſcheute. Eine allgemeine Reformation des FKirchlichen \ 
Lebens war der leitende Gedanke feiner Seele und in den Gons 


cilien ſah er das alleinige Mittel zur Verwirklichung deſſelben. 
Nie konnte er deshalb jenen verzeihen, die mit den conciliaren 
Bewegungen zugleich feine Hoffnungen vereitelt hatten. Unums 
wunden äußerte er feinen Unwillen gegen fie, „die nicht allein 
das heilige Kind, die Reformation zu erwürgen fich beflifien, 
fondern auch feine Mutter, der Boncilien Autorität und Bes 
rufung getödtet haben“ ?). Bittere Klagen führt er namentlid) 

2) Vergl. Motfchmann J. c. Sechſte Samml. p. 913. Daß Iäterbod, 
ber außerdem auch ben Namen Jac. de Paradiso führt, auch als öffents 
licher Lehrer auftrat, erficht man ſchon aus dem Titel folgender, nach feinem 
Tode in Erfurt gebrudter Schrift: Tractatus peroptimus de animabus 
exutis a corporibus editus a venerabili patre Jacobo de Paradiso, 
sacre theologie professore ordinis carthusiens. Erf. 4. Pauzer Annal. 
typogr. Al, 506. 

2) Ercerpt aus feiner Schrift de statibus humanie bei Hogel, Erfur⸗ 
tiſche Chronik (DM. ©. der Minifterialbibliothef in Erfurt) ad a. 1449. 





— 


— 14 — 


unter den Gelehrten, welche von Erfurt nach Bafel gefandt 
wurden, ftand entfchieden auf der Seite des Concils. Beſtimm⸗ 
tere Spuren feiner Thätigfeit daſelbſt find zwar nicht fichtbar, 
aber für eine innige und wirkſame Verbindung unferer Schule 
mit jener Synode fpriht mehr als Ein Umſtand. Noch im 
J. 1442 empfängt fie wichtige Privilegien von ihr und unter 
den Ketten, welche das Anfehen der Bafeler Synode verthei- 
digten, wird die Univerfität Erfurt genannt !). Freilich theilten 
diefe Stimmung noch mehrere Schulen: auch Wien, Heibelberg 
und Köln hielten ſelbſt da noch an der Synode feft, als die 
Entfcheidung der Dinge ſchon längft in andere Hände übers 
gegangen war. Aber noch laänger erfcheint die Univerfität 
Erfurt von ihrem Einfluffe beherricht. 

Irre ich nicht, fo hat fie zum großen Theil eben von der 
Bafeler Synode ihre Richtung für die folgende Zeit empfangen. 
Derfelbe Geift, der jene leitete, fpricht fich eben fo häufig als 
- entfchieden in ihrer fpäteren Haltung aus. Kein Wunder! 
Die conciliaren Ideen, auf welche die erfurtifche Schule von 
vornherein mit der größten Entfchiedenheit eingegangen, unter 
deren Einfluß fie zu Anfehen und Geltung gelangt war, hatten 
eine habituelle Bedeutung für Leben und Lebensäußerung der- 
ſelben erhalten; in der Geftalt, die fie in Bafel gewonnen, 
wurden fie feftgehalten. Dadurch nun trat Erfurt zugleich in 
den entjchiedenften Gegenfab zu den übrigen deutfchen Hochs 
ſchulen. Allmählig Ienkten dieſe ſämmtlich wieder in die alten 
ihnen vorgezeichneten Bahnen zurüd. Köln, das vor allen dag 
Beifpiel einer aufgeregten, freifinnigen Bekämpfung päpftlicher 
Anfprüche gegeben, wirkte bald in der gerade entgegengefehten 
Richtung. Nur die Univerfität Erfurt nimmt an diefem allge 
meinen Umſchwunge nicht Theil. Jener Gedanke einer freien 
antihierarchiſchen Entwidelung, der ſchon durch die Momente 


1) Vergl. M. 3. Schmidt Geſch. der Deutfchen. IV, 216. 





- 23 — 


ihrer Gründung fo nahe gelegt war, hatte unter den conciliaren 
Kämpfen eine beftimmte ®eftalt gewonnen. Entfchievener tritt 
er fortan hervor. 


V. 


Die folgende Zeit führt und eine Reihe von Männern 
vor, durch welche dieſe von der allgemeinen abweichende Richt» 
ung, die in Erfurt herrſchte, offen ausgeiprocdden und Nah und 
Fern zur Kenntniß gebracht wurde. 

Da lebte um die Mitte des Jahrhunderts in der Carthauſe 
von Erfurt ein jchlichter, befchaulicher Mond, Sacob von Jüter⸗ 
bod genannt; vierzig Jahre war er bereits Eifterzienfer geweſen, 
als er 1445, ſchon ergraut, die firengere Ordensregel des heil. 
Bruno vorzog !). Aber unter dem harten Ordendgewande 
bewahrte er einen freien Sinn, der fühn genug, felbft den 
Kampf mit den höchften geiftlihen Gewalten aufzunehmen ſich 
nicht ſcheute. Eine allgemeine Reformation des Kirchlichen \ 
Lebens war der leitende Gedanke feiner Seele und in den Con⸗ 
cilien fah er das alleinige Mittel zur Berwirklichung vefielben. 
Kie konnte er deshalb jenen verzeihen, die mit den conciliaren 
Bewegungen zugleich feine Hoffnungen vereitelt hatten. lUnums 
wunden äußerte er feinen Unwillen gegen fte, „die nicht allein 
das heilige Kind, die Reformation zu erwürgen fich beflifien, 
fondern auch feine Mutter, der Boncilien Autorität und Bes 
rufung getödtet haben“ 2). Bittere Klagen führt er namentlich 


— 


2) Vergl. Motfchmann I.c. Sechſte Samml. p.913. Das Jüterbod, 
ber außerdem auch ben Namen Jac. de Paradiso führt, auch als öffents 
licher Lehrer auftrat, erficht man ſchon aus dem Titel folgender, nach feinem 
Tode in Erfurt gedruckter Schrift: Tractatus peroptimus de animabus 
exutis a corporibus editus a venerabili patre Jacobo de Paradiso, 
sacre theologie professore ordinis carthusiens. Erf. 4. Pauzer Annal. 
typogr. U, 306. ; 

2) Excerpt aus feiner Schrift de statibus humanis bei Hogel, Erfur⸗ 
tiſche Chronik (DM. S. der Minifterialbibliothef in Erfurt) ad a. 1449. 





— 16 — 


gegen den römiſchen Stuhl und die Cardinäle „Handgreiflich 
fehe man, daß gerade die päpftlihe Curie am meiften der Ne 
formation bedürfe, wie dies die legten Generalconcilien allge: 
mein fundgethan” 2). Die reformatorischen Tendenzen jener 
Firchenverfammlungen beherrfchten auch ihn; an eine Entfern- 
ung von der Bafis des Firchlichen Lehrſyſtems hat er nicht 
"gedacht, wie ſchon feine Schrift über die Würde des Priefter- 
thums und ‚feine Apologie der Religiofen zeigt ?). Ex ift der 
erfte Repräfentant der eigenthümlichen erfurtifchen Geiftesricht- 
ung Nach ihm finden wir namentlich den Minoriten Johannes 
Rannemann und einen Eggeling Beder auf ähnlichen Bahnen 
ſich bewegen °). Beide aber wurden bafd in den Hintergrund 
gedrängt durch einen Mann, bei welchem diefelben Beitrebungen 
eine für das Firchliche Lehrgebäude bevenfliche Geftalt annahmen. 
Sohannes Rucherath ans Oberweſel, befannter unter dem Namen 
Johann von Wefel lernte und lehrte in Erfurt ungefähr zwanzig 
Sahre 2). Als „berufener Profeffor der heiligen Schrift” ver 
faßte ex bier bei Gelegenheit des päpftlichen Jubiläums feinen 
berühmten Tractat wider die Indulgenzen 5), worin er Anfichten 
yorträgt, die an Kühnheit hier und da felbft die Theſen des 
Wittenberger Auguftinermöndys überbieten. Er war einer der 
gefeierfften Xehrer, befleivete 1456 das Nectorat und mußte 
noch einmal 4458 das Amt eined Wicerectord Übernehmen. 
Kurze Zeit Darauf wurde er nah Mainz, fpäter von da nad) 
Worms berufen. Hier machte er aber Bald die Erfahrung, daß 
die oppofitionele Stimmung, die ihn in Erfurt getragen, mit 


ı) Bal. Catalogi testium veritatis anctarium. Cattopoli 1667. p. 59. 

2) Tritheim 1.c. p. 191 c. 814 nennt ihn „vita quoque et conver- 
satione devotus.‘° Unter den 31 Schriften, welche er von ihm anführt, 
verfolgen mehrere entſchieden reformatoriſche Tendenzen. 

2) Bol. Tritheim 1.c. p. 190 c. 813. Motſchmann 8. Fortſ. p. 216. 

4) Ungefähr 1440 — 60. Seine Studien fcheint er namentlich unter 
Leitung bes gefeierten Gotſchalk Greſemund von Mefchede gemacht zu haben; 
1446 wurde er Magifter, 1456 Dr. theol. 

°, Dal. Ullmann: Die Reformatoren vor der Ref. I, 282. 





— 17 — 


nichten die allgemeine in Deutfchland fei. In Mainz vor das 
Inquifitiondgericht geftellt, mußte er ſich zu einem harten Wider⸗ 
ruf bequemen. Es waren Doctoren von Köln und Heidelberg, 
welche diefes 2008 über ihren erfurtifhen Amtsgenoſſen ver- 
hängten!'). — J 

In Johann von Wefel hatte ſich der Geiſt der Oppofltion, 
nicht ganz im Einklang mit feiner urfprünglichen Richtung, 
auch der dogmatifchen Seite zugewandt. Aber um fo entjchie 
dener macht er fih von nun an auf feinem eigentlichen Ges 
biete, in den Forderungen einer durchgreifenden Umgeftaltung 
des Firchlichen Lebens geltend. Da eiferte Sohann von Dorften, 
lange Zeit der angefehenfte Xehrer der Univerfität, gegen das 
häufige Walfahrten nah Wilznach „ſolch Laufen bedeute nichts 
Butes, wäre ein Zeichen, daß das Volk an einer anſteckenden 
geiftlichen böfen Seuche Frank liege” 2). Den Ablaß ließ er 
unangetaftet, ja er nahm ihn fogar einmal. in Schub, aber fehr 


freimuͤthig Außerte er fih über die Verehrung der Reliquien, 


die man erft prüfend und forfchend aufnehmen müfle. — Iohann 
von Lutria trat mit einer Behauptung hervor, welche die faft 
allgemein übliche Weife der Präbenvenverleihung als ſimoniſtiſch 
bezeichnete °). Den derben fatirifch volfsmäßigen Ton der Op- 


1) Tritheim Hat ihn nicht unter feine Scriptores ecclesiastici aufge- 
nommen, um fo überfchwenglicher ift ber Fortſetzer Tritheims, der Mönch 
Joh: Butzbach aus Heifterbach, in feinem Lobe; er nennt ihn „‚Sacrae theo- 
logiae professor insignis et in declamandis ad populum sermonibus 
(pastor enim fuit) promptus et famosus sermocinator, ingeniv acutus, 
eloquio disertus nec nunquam vita et moribus atque doctrina excellens.“ 
Auctar. in libr. J. Trithemili de script. eccles. fol. 79 b. M. ©. ber 
Bonner Univerfitätsbibl. Wichtiger iſt das Lob, welches Wigand Tre: 
beilius, der felbft der erfurter Schule angehörte, ihm fpendet: Concordia 
curatorum et fratrum mendicantium. b. & a. 

2) Hogel’fche Chronik ad a. 1475. 

2) Er erflärte auf der Synode von Mainz 1471 das Statut: Neno 
recipiatur ad praebendam, canoniam vel beneficium, nisi tantum con- 
tribaat ad fabricam aut aedificium für eine species Simoniae. Motfchm. 
Erfte Samml. p. 37. Aehnlich Hatte fih das Koncil von Vaſe erklärt. 

Kampichulte, Univerfität Erfurt. 


— 18 — 


pofition flimmte Sebaftion Weinmann an, Prediger am Marien 
ftift, zugleich Lehrer und 1493 Rector der Univerfität. „Wollt 
ihr Herrn Geiftliche fein und heißen”, redet er die ihn umge 
benden Canoniker an, „dann führet auch ein geiftliches Leben.“ 
Ueber einen päpftlidhen Ablaßprediger äußert er fih auf ber 
Banzel mit unerhörter Derbbeit !). Bei dem Bolfe, wie bei 
den Studirenden ftand er in hohen Ehren, er bat fih au in 
Luther's Andenken erhalten 2). Ein Johannes Hilten machte 
feinem Unwillen über die beftehenden kirchlichen Verhältniſſe 
in den bitterfien Invectiven gegen Rom Luft. Eben auf das 
Jahr 1516, fagt man, habe er eine große Reformation vorhers 
verfündet 3). Da flieg denn auch wohl in Einzelnen der Ge⸗ 
danke auf, daß ehemals Huſſen's Beginnen nicht fo ganz ver- 
dammungswürdig gewefen fe. Bon einem Doctor Pfennig 
wird erzählt, daß er bereitd auf dem Wege zu den Böhmen 
war, „Willens, dieje in ihrem Irrthum zu ftärken” %) Mehr: 
mals hörte Luther feinen Lehrer Johann Grebinftein die Bes 
hauptung vortragen, daß Huß ohne Beweis und redhilos vers 
dammt worden fei ®). 

Kein Wunder, wenn die übrigen deutfchen Univerfitäten 
mit banger Beforgniß auf ihre thüringifche Schwefer, die 
Mutter fo gewagter Doctrinen, binblidten. Man dachte unwills 


©) Hogel'ſche Ehronif ad a. 1508; vergl. Flacii Illyrici catalogue 
testium veritatis. Frcf. 1666 p. 827. 

2) Ruther’s Briefe herausgegeben von De Wette III, 168. In der 
Univerfitätsmatrifel wird er als eloquentissimus theologorum aufgeführt. 
Mebrigens verfaßte Weinmann auch: Orationes in usum horarum camosi- 
carum und ein Rosarium beatae Mariae virginis. — Neben ihm war 
auch der gelehrte Johann Reg, ebenfalls Prediger und Lehrer, in ähnlicher 
Weiſe thätig. 

2) Adamus vitae theologorum p. f. 

4) Der Monachus Pirnensis bei Menken. Script. rer. Germ..Il, 1487. 

8) Bol. Fratzscher De academia Erfordiensi de Luthero optime 
merita et evangelioae, quam is adseruit veritatis teste et vindice 
abgedrudt im Musaeum Casimirianum ed. Frommann. Cob. 1771. P. I, 
P. 267. 





— 19 — 


führlich an die fehweren Zeiten der böhmischen Unruhen zurüd, 
in welchen diejelbe in's Leben getreten war und in den merk 
würdigen Worten Erfordia Praga fand die Meinung Bieler 
ihren Ausdrud, die im Geifte ſchon von neuen die unheilvollen 
prager Scenen in Erfurt wiederfehren fahen !). 


VL 


Indeß jene Kundgebungen böhmifcher Sympathien haben 
wohl nie mehr als eine momentane Bedeutung erlangt; zu 
vereinzelt tauchen fie auf, al8 daß wir in ihnen den Ausprud 
der in Erfurt herrfchenden Richtung finden könnten. Ein Aufs 
lehnen gegen die Eirchlichen Doctrinen iſt e8 wohl nicht, was 
den Character derfelben ausmacht. Aber als eine freifinnige, 
entfchieden veformatorifche, mit den hierardhifchen Gewalten 
nicht fonderlich befreundete werden wir fie Doch immer bezeichnen 
müflen; als folche ftellte fie fih uns bei al den genannten 
Männern dar. 

Es ift wahr, nicht immer liegt in den einzelnen äußern 
Erfcheinungen der Schlüffel zum richtigen Verſtändniß des 
innern geiftigen Lebens, aber da, wo jene, in dauernder Aufs 
einanderfolge auftxetend, dieſelbe geiftige Signatur zur Schau 
tragen, wie dies bei dem Auftreten der genannten Männer der 
Fall if, müflen fie als die Manifeftation einer beſtimmt aus⸗ 
geprägten geiftigen Richtung betrachtet werden. — Oft genug 
zeigte die Oppofition des Einzelnen unmittelbar im Hintergrunde 
die gleiche Gefinnung der ganzen Corporation. Wir fahen 
bereit8, wie jene Vertreter der offenen Oppofition faft ohne 
Ausnahme bei der Univerfität in hohem Anfehen fanden. Als 
Johann von Lutria auf der Synode von Mainz die erwähnte 
fühne Bropofition aufftellte, trat die theologifche Facultaͤt, die 





1) Val. Falckenſtein 1.c. I, 377. Auch Luther gedenkt dieſes feltfamen 
Sprühwortes in einem Briefe an Spalatin. De Wette II, 5. 
2° 


Ä 


— dd — 


um ihr Gutachten erfucht wurde, förmlich und entfchieden feiner 
Anficht bei !). 

Indem fih die Stimmung in jo wichtigen Dingen von 
dem Geifte der Schuleg entfernte, war eine andere Abweichung 
fehr nahe gelegt. Hemmend mußte das ftraff angegogene Ge⸗ 
wand feholaftifcher Satzungen jenen freiern Regungen entges 
genwirfen und namentlich fonnte der Geift der Oppofition in 
den herfömmlichen Syftemen der Schule feine gewünfchte Nahr⸗ 
ung nicht finden. Es veranfchauliht und einigermaßen Die 
Sreifinnigfeit, die ſich auch in diefer Beziehung geltend gemacht 
hatte, wenn wir fehen, daß die Schriften eben jenes Johann 
von Weſel, der von der Inguifition zu Mainz verurtheilt wor⸗ 
den, an der Univerfitäat Erfurt in ein „fonderbares Anſehen“ 
famen 2). „Johann Wefalia“, jagt Luther, „hat zu Erfurt mit 

⸗ ſeinen Buͤchern die hohe Schule regiert, aus welchen ich daſelbſt 
auch bin Magifter worden” 3). — Höchſt charakteriſtiſch iſt das 
Licht, welches die Schriften des Johann von Hagen, eines Zeit⸗ 
genoſſen von Weſel, über die erfurtiſchen Zuſtände verbreiten. 
Jenes Allen daſelbſt gemeinſame Streben nach einer Reforma⸗ 
tion des kirchlichen Lebens hatte dieſer eifrige Carthäuſermoͤnch 
„it der herkoͤmmlichen Achtung gegen die geiftlichen Autoritäten 
und die Syfteme der Schule vollftändig in Einflang zu bringen 
gewußt *), und er ſah deshalb mit um fo größerem Bedauern, 
daß diefelben Bemühungen in feiner Umgebung zu einer Ab⸗ 
neigung gegen beide führten. Unermüdlich thätig, fuchte er in 
| zahlreichen Schriften — man zählt über 300 — diefer Richt- 


1) Motfhmann 1. c. Erfte Sammlung p: 37. 

2) Saldenftein 1. c. 1.315. Es waren freilih nicht jene Schriften, 
durch Die Wesel die Inquifition zum Einfchreiten veranlaßt, aber es ift ſchon 
bezeichnend genug, daß feine Schriften überhaupt Anfehen gewinnen fonnten. 

2) Wald XVi. p. 2743. 

*) Für feine reformat. Bemühungen zeugen feine Schriften: De casu 
religionis, De negligentiis oceurrentibys circa sacramentum altaris u. a. 


— 1 — 


ung entgegenzuarbeiten 1). Eine unter dieſen iſt der Herſtellung 
der Autorität des großen Meiſters der Scholaſtik St. Thomas 
von Aquin gewidmet 2). Aber es ſcheint nicht, daß dieſe großen 
Erfolg gehabt. War es einmal ein fcholaftifches Syftem, für 
das man fich entfcheiden mußte, fo erhielt der Rominalismus 
des freifinnigen Wilhelm von Occam den Borzug. Weberhaupt 
aber brachte e8 die Scholaftif hier nicht zu der ausfchließlichen 
Herrſchaft über die Gemüther, die fie an den übrigen Univer- 


fitäten inne hatte. Ich finde nicht, daß die großen Turnier 


übungen der Scholaftif, die fcholaftifchen Disputationen, in 
denen der Geift für fie erftarfte, fih in Erfurt zu einigem 
Glanze entwidelt hätten. Freilich gedenfen ihrer wohl die 
Statute, aber gar manches enthielten diefe, worüber man fidh 
allmählig hinwegzuſetzen gewöhnte. Das Eramen, welches ber 
Ertheilung der philofophifchen Magifterwürde vorausging, ſetzte 
ftatutarisch eine erfchöpfende Kenntniß des ganzen ariftotelifchen 
Lehriyftems voraus, gleichwohl finden wir bald Männer im Beftg 
diefer Würde, denen wir eine vertrautere Befanntfchaft mit 
jenem Syfteme in feiner Weife zumuthen dürfen’). — Mehr 
als in fcholaftifhen Diftinctionen ſcheint der Geift in einer 


— — nn — — 


!) Tritheim 1.c. p. 195. c. 833 macht viele feiner Schriften namhaft, 
Darunter: De autoritate papae in concilio, De potestate ecclesiasticae. 
— Bon feinem eifernen Fleiße erzählen die Annalen feines Klofters fols 
gendes Beifpiel: In paupercula quadam delitescens candelarum usu 
aliisque adminiculis ad lucubrandum necessariis omnino. destitutus 
fuit. Hinc eum, ut a patribus nostris accepimus, oum scilicet sufli- 
cienti lumine non posset potiri interdum ex offis pinguioribusgue es- 
culentis Jumini fomitem sibi ipsi concinuisse.‘‘ Vergl. Motfchm. Fünfte 
Samml. p. 686. 

2) Ich fand wenigftens in den Gollertaneen von Wotfihmann und 
Sinnhold diefe Schrift erwähnt: ‚‚Defenserium pro S. Thoma contra 
eos, qui illius scripta minus vera reputant.‘ — eb 

2) Es if in der That auffallend, daß ganz humaniftifch gebildete 
Sünglinge unter den Bewerbern um den philof. Brad fehr häufig bie erſten 
Plaͤtze einnehmen. 


— 9 — 


lebhaften Beſchaͤftigung mit der Bibel ſeine Befriedigung geſucht 
zu haben. Schwerlich hat irgendwo Nicolaus von Lyra's Bei⸗ 
fpiel anregender gewirkt, als in Erfurt'). Die Namen eines 
Zachariä, Stendel, Mylbach, Bertram und Anderer werden in 
Verbindung mit umfaſſenden Arbeiten im Fache der bibliſchen 
Exegeſe genannt. Selbſt Spuren einer bibliſchen Kritik laſſen 
ſich ſchon wahrnehmen. Nur die canoniſchen Bücher gläubig 
aufzunehmen, alle übrigen der Pruͤfung zu unterwerfen, war 
die Lehre, die Luther von einem der berühmteften erfurtiſchen 
Doctoren empfing ?). 

Noch jebt haben wir ein redendes Denkmal des damaligen 
geiſtigen Lebens unſerer Schule und der Richtung, in welcher 
es ſich bewegte, in der Menge der handſchriftlichen Werke aus 
jener Zeit, die die Bibliotheken der Stadt Erfurt heute noch 
aufbewahren 2). 

Da fehlt es freilich nicht an einem Ariſtoteles fuͤr den 
Philoſophen, wie für den Juriſten durch den Bartolus geſorgt 
iſt, ſo findet der Theologe den Meiſter der Sentenzen und den 
St. Thomas von Aquin. Aber auffallend groß iſt neben ihnen 
die Menge der bibliſchen Commentare, die auf ein ſehr reges 
Studium der heiligen Schrift ſchließen laſſen ). Auch über⸗ 


— — — — — 


1) Schon in den Statuten des Amplonianum’s heißt es: Item atatuo 
et ordino quod Applicatus Theologiae primo Bibliam cum suis pro- 
logis studeat et dircat literaliter cum morali sensu intelligere ex 
interpretibus ei postillis Nicolai de Lyra et ante omnia haec sunt 
necessaria; Sinuhold 1. c. p. 58. 

2) Vergl. den Brief Luthers an Trutfetter bei de Wette I. 109 „ex 
te primo omnium didici solis canonicis libris deberi Adem, ceteris 
omnibus judicium.‘‘ 

2) Viele von diefen find freilich vernichtet in dem fogenannten toflen 
Sabre; auch die fpätern Geſchicke, welche Stadt und Univerfität trafen, 
waren der Erhaltung nicht günftig. 

2) Nach einer Bergleihung, welche Herr Dompfarrer Kleinfchmibt 
anzuftellen die Güte hatte, bilden unter den handfchriftlichen theologifchen 
Werken der amplonianifchen Bibliothek die exegetifchen ungefähr die Hälfte 





— 33 — 


rafcht die große Anzahl von Abſchriften der Altern Kirchenväter 
eines Anguftinus, Hieronymus, Lactantius u. a.?), von mebs 
teren griechifchen, 3. B. Chrufoftomus, Euſebius find lateiniſche 
Ueberfegungen vorhanden. Unter den Reuern fieht man nament 
lich St. Bernard, Tauler, Gerfon hervortreten. Und nicht blos 
in den Denfmälern der theologijchen Literatur wird das Walten 
eines freiern, von der Schule nicht unbedingt beherrfchten Gei⸗ 
ſtes fichtbar. Es gibt auch jehr deutliche Spuren einer viel 
fachen Annäherung an das claffifche Alterthum. Noch heute 
erftaunt man über den ungewöhnlichen Reichthum an Abſchriften 
lateiniſcher Elaffifer, welchen die amplonianifche Bibliothek befigt. 
Damals, in den Zeiten des fünfzehnten Jahrkunderts, if er 
gejammelt worden?). — 

Mit Freuden Hat eine folgende Generation dieſe willkom⸗ 
mente Erbichaft angetreten. 


vu, 


Entſprechend diefem regen geifligen Leben finden wir die 
äußere Blüthe, welche die Univerfität Erfurt gleichzeitig entfaltet, 

Schon früh nahm Erfurt unter den Bildungsftätten dee 
deutfchen Geiftes einen anfehnlichen Rang ein. Des glänzen 
den Auftretens der Erfurter Gefandten in Conſtanz und Bafel 
ift bereitd gewacht worden. Als 1409 die Univerſität Leipzig 
gegründet wurde, erhielt fie einen der ausgezeichnetften Xehrer, 


(otwa hundert an ber Zahl), Bei den Handfhriften ber alten, nur in 
geringen Ueberreſten noch erhaltenen Univerfitätsbibl. iſt das Verhaältniß 
nicht fo günftig. Die exegetifchen Schriften bilden bier etwa ben vierten 
Teil der geſammten theol. Literatur. 

1) Sn der amplonianifch. Bibl. 88, in der Univerf. Bibl. 17. 

2) Brofeffor Kris hat das Berbienft, biefe reiche Sanımlung der Be⸗ 
nutzung zugänglicher gemacht zu haben durch feine Abhandlung: De codi- 
cibus Bibliothecae Amplonianae potioribus. Erf. 1850. Ein großer 
Theil der Handfchriften rührt fchon von Amplonius felbit her. 


— 24 — 


den Conrad Thuß aus Erfurt. Formlich eine Colonie von 
Erfurt war die, zehn Jahre fpäter geftiftete Hochfchule von 
Noftod; der erfte Rector und. die meiften Profefforen waren 
von Erfurt herübergefommen 1); an Erfurt erinnerten das Unis 
verfitätsftegel wie die Benennung der Burfen?). Einen eigen- 
thümlichen Glanz verbreiteten um die Univerfität Erfurt die 
zahlreichen hohen Adeligen, die an ihr ftudirten und nicht felten 
die höchften academifchen Aemter befleiveten 3). Weniger wohl 
hat diefe Erfcheinung in dem geiftigen Leben der Anftalt ihren 
Grund, ald in der äußern Unabhängigkeit, welche die Stadt 
verjprach, obgleich bei Einzelnen vom Adel auch das erftere 
wichtigen Einfluß ausgeübt zu haben fcheint. Ein Diether 
von Iſenburg und jener merfwürdige Berthold von Henneberg 
legten in Erfurt den Grund zu ihrer Bildung *). 

Die Zeit der größten Außern Blüthe begann um die Mitte 
des Jahrhunderts, eben damals, als in der innern Entwidelung 
der Schule der Beift der Oppofttion mit größerer Energie und 
Entſchiedenheit fich geltend machte, und die Jüterbod und Weſel 
den Reigen entfchloffener Befämpfer der Ficchlichen Zuftände 
eröffneten. Erft da nahm Erfurt jenen großartigen Aufſchwung, 
durch den alle deutfchen Univerfitäten auf eine Zeit in den 


ı) „Da wurden alsbald aus der Erfurtifchen Academia Magistri und 
Professores verfchrieben und verordnet”, vgl. Weitphalen Monumenta IV, 
343. Der erſte Rector war Petrus Stenbede aus Erfurt. 

2) Val. das Leichenprogramm des Andreas Wesling auf Arnold Bu⸗ 
renius 1566) „Ac Erfordiensem praecipue scholam nostrae metro- 
polin esse character sigilli publici idem et Portae coeli aliarumque 
academiae domuum nomina endem adhuc indicant. Bei Kay: Die 
Roſtock'ſchen Humaniften p. 49. 

2) Mährend des 15. Jahrh. finden wir zwanzig Rectoren vom hohen 
Adel. 

4) Die (58) thüringifchen und fächfijchen Fürſten und Grafen, die im 
15. Jahrh. in Erfurt fudirten, find nach der Matrifel zufammengeftellt in 
den neuen Mittheilungen hiſtor. antiquar. Forſch. von dem thür. ſächſ. 
Bereine Bd. VII. p. 185. 





— 25 — 


Hintergrund gedrängt wurden, fo daß fie nach Luther's Worten 
nur wie „Leine Schuͤtzenſchulen“ gegen die thüringifche erfchies 
nen‘), Die Univerfitätömatrifel gewährt von dem Jahre 1451 
an das Bild eines feltenen Zufammenftrömens Ternbegieriger 
Juͤnglinge aus allen Theilen unſeres Baterlandes, von Ober- 
und Riederrhein, von Donau, von Oper und Elbe?) Da 
waren unter den oberen Landen namentlih Schwaben und 
Elfaß ſtark vertreten; mafjenweis entjfandten Ulm und Straß- 
burg von Zeit zu Zeit ihre wiſſensdurſtigen Söhne nad der 
thüringifhen Hauptfladt. Die alte Tradition, welche Weftfalen 
und Niederrhein an diefe wies 3), gewann bejonderd damals 
an Stärke und Lebendigkeit. Im Rorden wirkte die Anzieh 
ungsfraft der Schule fogar noch über Deutſchlands Grenzen 
hinaus. Es war feine Seltenheit, daß wetteifernd neben ein- 
ander Schwaben und Lienländer, Weltfalen und Dänen in 
Erfurt fidh um die academifchen "Ehren: bewarben. Denn weit 
und breit war der academifche Grad, den die thüringifchen 
Dorctoren verliehen, hochgeachtet. „Wer recht ſtudiren will”, 
fagte das Sprüchwort, „der ziehe nach Erfurt” *), 

Es war gewiß ein merkwuͤrdiges Zeichen der Zeit, daß 


1) Luther's Tifchreden f. 415 a. 

3) Gerade das Jahr 1451, in dem Wefel auftrat, bildet den Wende⸗ 
punkt. Grreichte vorher die Anzahl der Immatrifulirten felten 300, fo 
überfteigt fie von nun an mehrere Decennien hindurch 400. 1450 wurden 
124 immatrifulirt, 1431: 357; 143%: 43%; 1435 fogar 53%. Nach einer 
ungefähren Berechnung muß die Geſammtſumme der anweſenden Studiren- 
ben in Ddiefer Zeit 1800 — 2000 betragen haben, obgleich die ruhmredigen 
Ehronifen der Stadt die Anzahl viel höher angeben. Oft bewirften peft- 
artige Seuchen ober ftädtifche Unruhen eine Unterbrechung, fo 1463 unter 
dem Rectorate des Greſemund. Damals wurden allein 20 Lehrer von ber 
Seuche hingerafft. E. U. M. ad a. 1463. 

2) Nach dem Willen des Stifters mußten bei ber Aufnahme in das 
Colleg. Amplon. zuerft feine Landsleute berüdfichtiat werden. 

*) Hogel’fche Chronik ad a. 1519, wo dieſes Sprüchwort als ein in 
früherer Zeit allgemein übliches erwähnt wirb. 


— % — 


fi) die allgemeine Stimmung fo unverholen gerade für wie 
unter Deutſchlauds Hochſchulen ausſprach, die in den wichtig: 
fien Punkten von der Bafls des Herfümmlichen fich entfernte, 
die nicht undeutlich ihre Abneigung gegen die herrfchenden 
Spfteme der Schulen, fehr deutlich ihre Unzufriedenheit über 
die beftehenden Firchlichen Zuftände an den Tag legte. Mußte 
da nicht dem Einſichtsvollen ein Licht darüber aufgehen, daß 
die Ideen, welche bisher für wiffenfchaftliches und religiöfes 
Leben leitend geweien, ihre Macht über die Gemüther verloren 
hatten? Die Zeiten waren vorüber, wo Alles eine geiftige 
Einheit offenbarte, wo jeder Fortfhritt auf dem wiſſenſchaft⸗ 
lichen, jede Entfaltung auf dem religiöfen Gebiete gehorfam 
fih der großen Einheit einfügte. Wohl mochten Einzelne ahnen, 
daß der Tag einer allgemeinen Erhebung nicht mehr fern fei. 
Schon bereiteten ſich auch anderwärts, hier und da, Erfchein- 
ungen vor, in denen fich die Herrfchaft eines neuen Geiftes 
anfündigte. In Erfurt war ihm der Weg gebahnt: wenn 
irgendwo, durfte er fich hier Aufnahme und Erfolg verjprechen. 





Erſtes Bud. 


Auftonmen umd Entwidelung der humaniſtiſchen Richtung 
in Erfurt. 


Erfies Kapitel. Die erfien Humaniſten. Vermittelungsverſuche 
zwiſchen Scholaflik und Humanismus. 

| „Neque bonae literae in hoc revocatae 

sunt in scholas, ut pristinas disciplinas 

ejiciant, sed ut illae purius et commo- 


dius tradaatur.“ 
Erasmus. 


J. 


Es gewährt ein eigenthuͤmliches Intereſſe, das Leben einer 
Nation in jenem Momente zu betrachten, wo dieſelbe von den 
Ideen, die Jahrhunderte lang ihr Denken und Handeln beherrſch⸗ 
ten, abfällt, wo Mißtrauen und Abneigung gegen das an den 
Tag gelegt wird, worin vordem das Herz feine Befriedigung, 
die geiftigen Kräfte ihre Beichäftigung fanden. Wie ein durch⸗ 
furchtes Aderfeld harrt da ihr Geiſt einer neuen Saat: zerfallen 
mit dem Alten und Hergebrachten iR ex um fo empfänglicher 
für alles Reue und Ungewohnte und mit lautem Jubel wird 
jede neue Erſcheinung begrüßt und gefördert, welche der vor⸗ 
bandenen Oppofition gegen das Veberlieferte nur einigermaßen 
entgegenlommt. Dies zeigt vor allem die humaniftifche Bewegung 
in Deutfchland. Wir erftaunen darüber, wie ein gelehrter Kampf 
gegen die eben nicht gefährliche fprachliche Barbarei der Scholaftif 


— 28 — 


den Gemüthern eine fo allgemeine Erregung mittheilen, ja einige 
Zeit den Inhalt des gefammten geiftigen Lebens bilden Fonnte. 
Der Humanismus war nicht von dem Zauber umgeben, durch 
den ein neu auftauchendes religiöfes Prinzip wirkt, noch erfreute 
er fih jener Volfsthümlichkeit, die nationalen Bewegungen Be- 
deutung und Erfolg verleiht, aber was ihm durch fein innerftes 
Weſen verfagt war, erfegte ihm der Geift jener Zeit, die eben 
mit dem Alten zerfallen, freudig und zuvorfommend jeder Neue 
rung fih zumwandte. Daß die in Rede ftehende überdied gegen 
- einen unverfennbaren Uebelſtand gerichtet war, fleigerte die von 
vornherein vorhandene Theilnahme für viefelbe. 

Indem fich fo der Humanismus, wenn auch nur auf Einem 
Gebiete als Emancipationsverfuh von den beftehenden Autoris 
täten darftellte, wurde er die Lofung der Unzufriedenen und 
Misvergnügten überhaupt. Wiffenfchaftliche, Firchliche, fogar 
politifhe Neuerungsbeftrebungen wurden unter die Aegide der 
Pallas geftelt: die oppofitionellen Richtungen der Zeit fanden 
einftweilen in dem Humanismus ihren Mittel- und Sammelpunft, 

So fonnte es gefchehen, daß der Geiſt des Alterthums, als 
er nach mehr als taufendjährigem Schlummer wieder erftand, 
ſich mit überrafchender Schnelligkeit eine nene ausgedehnte Herr: 
[haft gründete Wie immer war ed auch damald die jüngere 
Generation, welche ſich aunächft und vorzugsmweife von der Neues 
rung fortreißen ließ. Sich abwendend von den ftarren Formen 
der herfömmlichen Schulgelehrjamkeit eilte von allen Seiten die 
rührige Jugend zu den Fahnen der neuen Alten, um „im Dienfte 
der Pallas” an der Ausbreitung des neuen Reiches Theil zu 
nehmen. Webermüthig ſetzen Viele ihren Stolz in die Nieder: 
tretung der hergebrachten Formen und führen im Gegenfag zu 
der Gemeſſenheit und Regelhaftigfeit des Univerfitätslebens ein 
unruhiges Wanderleben. Wie die fahrenden Helden der griedhi- 
fhen Sage durchziehen wandernde „Poeten“ nahe und ferne 
Gegenden, erfcheinen an den Univerfitäten, um dort den Kampf 
mit- ihren Widerfachern, den „Sophiften” aufzunehmen. Die 





— 9 — 


DOpferwilligfeit, welche zu einem ſolchen Leben erforderlich war, 
verlieh ihnen ihre Begeifterung für die verfochtene Sache. Das 
niedere Volk, ſo wenig Sinn und Empfänglichkeit es auch für 
ven Gegenſtand ihrer Verehrung hatte, fo fonderbar ihm auch 
ihre latinifirten und graecifirten Namen vorfommen mochten, ſah 
gleichwohl in ihnen, als Bertretern der Oppofition, feine Ber 
bündeten und vergaß darüber die Abweichungen von der Baſis 
des nationalen und volfsthümtlichen Lebens, die fie fich erlaubten. 
Und höchft bedenklich waren mitunter jene Abweichungen. Mag 
es auch übertrieben jein, was von der heidnifchen Welt» und 
Lebensanfchauung mancher Humaniften berichtet wird: nicht zu 
laͤugnen ift, daß wenigftens bei Einzelnen der Enthuſiasmus 
für die Alten ?) einen trübenden Einfluß auf das chriftliche 
Bewußtfein ausgeübt habe. Indeß ift es mehr der italienifche 
Humanismus, der und in einem folchen Fichte erfcheint: dieſſeit 
der Alpen Fam es feltener zu derartigen Berirrungen. Hier 
ſahen vielmehr Manche in den fchönen Formen des claffiichen 
Altertbums eben nur das fchmudreiche Gewand, in welches 
eingekleidet die chriftlichen Ideen wieder zu neuer, bedeutender 
Wirkſamkeit gelangen würden 2). Bon einem eifrigen Jünger 
der neuen Richtung wird die Wiederaufnahme der fprachlichen 
Studien fogar mit dem Ereigniß der wunderbaren Spradhengabe 
am erften Pfingftfefte verglichen und die Anficht ausgeiprocdhen, 
daß die Religion, deren erſte Ausbreitung fih an ein ſprach⸗ 
liches Wunder Inüpfe, duch die gegenwärtigen Studien einer 
neuen Blüthe entgegengeführt werden müfle ?). Freilich dachten 


2) Wie z. B. Bicinus in feiner Verehrung für Plato fo weit ging, 
daß er vor dem Bilde defielben eine ewige Lampe unterhielt. 

2) So faßt Eräsmus die Bedeutung der neuen Wiſſenſch. auf, wenn 
er an Hochſtraten ſchreibt: „Aaec studia non obscurant theologicam 
dignitatem, sed illustrant, non oppugnant, sed famulantur.‘“ Bon der 
Hardt Histor. literaria reformationis II, 13. 

») G. Wicel: Ein Tröſtlich Schöne predigt S. Eypriani Martyris vom 
erben. s. 1. 1536. Eint. A x. 


- 0 — 


nicht Alle ſo. Indeß der Mangel an eigener Webereinftimmung, 
der hier, wie auch noch jonft in den Anfichten der Neuerer 
hervorteitt, binderte fie nicht, fih als Streit- und Bundes- 
genoffen anzufehen; fie alle wurden vereinigt Durch das Band der 
gemeinfchaftlichen Oppofttion gegen die Herrfchaft der Scholaftif ; 
fdonungslos, mit fieberhafter Aufregung wurde der Kampf 
gegen diefe geführt. — . 

Bon Stalien, wo die Erinnerung an die Zeiten des claffi⸗ 
[hen Alterthums nie aus dem Gedächtniß hatte verwifcht werden: 
fönnen, war diefe merkwürdige Geifterbewegung ausgegangen. 
Bon bier theilte fie fih den übrigen europäifchen Ländern mit. 
Deutſchland Fonnte ſich nicht lange der Einwirkung derfelben 
entziehen, und hier ließ fich ein hartnädiger Kampf vorausfehen. 
Denn war aud die Stimmung der Nation der Neuerung noch 
fo günftig, fo umſchloſſen doch hier, mehr als irgendwo, die 
academifchen Mauern die entfchiedenften Vertheidiger der alten 
Richtung; in den Univerfitäten befaß die Scholaftif zahlreiche 
und fefle Bollwerk. Da fchien ed nun aber von Wichtigkeit 
werden zu müflen, daß e8 doch eine unter ihnen gab, an ber 
die Scholaftif nie fo ausfchließlich Hatte zur Herrichaft gelangen 
fonnen. Kein Wunder, wenn an ihr am früheften der Berfuch 
gemadht wurde, die neuen Ideen zur Geltung zu bringen. 

Die Univerfität Erfurt war die erfte in Deutfchland, an 
der die neue Doctrin vorgetragen und entfchieden auf die Roth 
wendigfeit bingewiejen wurde, fi von dem bieherigen Lehr⸗ 
ſyſtem loszuſagen. 


I. 


Kur dunkele und dürftige Nachrichten haben wir über bie 
erften Berfünder der neuen Richtung in Erfurt. 

Es war in den fechöziger Jahren des Sahrhunderts, eben’ 
um jene Zeit, wo der eigenthümliche Ruhm der Univerfität 
Lehrer und Lernende aus allen Gegenden in Erfurt verfammelte, 


« 





— 31 — 


als unter den Reuanfommenden auch zwei Wänner bemerft 
wurden, die fofort in mehr ald gewöhnlichem Grade die Auf 
merkſamkeit auf fich lenkten: Betrus Ruder und Jacob Bublicius 
Rufus aus Florenz, beide ihrer Bildung nach Stalien anges 
hörig, obgleich der Rame des erftern den geboren Dentjchen 
verräth. Luder erfchien bereits im Sabre 1460, die Ankunft 
ded Bublicius fallt um mehrere Jahre fpäter. Schon der Name, 
den fie fich beilegten, gab deutlich fund, daß fie mit ihren 
Abdfichten und Plänen nicht mehr innerhalb des herkoͤmmlichen 
academifchen Begriffötreifes fanden; denn als „Poeten“ ber 
fannten fie fi, und die Poeſie zu Ichren, war der Wunſch, 
der fie hergeführt. Hätte in Erfurt der excluftve, gegen alles 
Reue mißtrauiſche Geiſt geberrfcht, den die übrigen Univerfitäten 
früher und fpäter bei ähnlichen Gelegenheiten zur Schau trugen, 
fo wäre es gewiß verfucht worden, diefe beiden feltfamen Ges 
lehrten fernzuhalten, da man ihnen nur zu bald anfehen mußte, 
daß fie ein neues, fremdartiges Bildungselement einzuführen 
trachteten. Daß aber jener Geift nicht vorwaltete, daven legte 
die Achtung und Zuvorkommenheit, mit der man ihnen begeg- 
nete, ein neues Zeugniß ab: man zog fie allen Reuangelommenen 
vor, fogar die üblichen Gebühren wurden ihnen „aus perjöns 
lider Hochachtung“ gegen die Gewohnheit erlaffen '). 

Die Aufnahme war ehrenvoll und verfprad, ihnen günft® 
gen Erfolg, Schon war ihnen in manden Stüden vorgear⸗ 
beitet worden. Der Donatug, defien Einführung anderwärts 
den Humaniften jo viele Mühe koſtete, gehörte hier bereits zu 


———— nn 


) Betrus Luder wurde unter dem Rectorat bes Sutwolk immatriculirt, 
als: Dms Petrus Luder, professus poosim gratis ob rererentiam sui; 
er flieht an erfter Stelle. Mit benfelben Worten gedenkt Sartoris 1466 ber 
Immatrieulation des Publicins. Das Reciorat des Sartoris if eins ber 
glängendften: 268 wurden immatrienlirt, 99 zu Barccal., 13 zu Magiſt. 
graduirt. Fünf Jahre ſpäter erfcheint abermals sin graduirter Italiener 
unter den Immatriculirten, nämlich: Dians franciscus de mediolano artis 
medicae doctor. Bgl. Erf. Univ. Matr. ad a. 1460. 1466. 1471. 


— 32 — 


den längft üblichen Schulbüchern '). Nichts defto weniger war 
die Anweienheit des Luder in Erfurt nur von kurzer Dauer. 
Es fcheint, daß er bereitd von der unruhigen Wanpderluft 
getrieben wurde, die bald das charafteriftifche Merkmal aller 
poetiſch Geſinnten wurde. Im Jahre 1464 finden wir ihn in 
Bafel. Das Dunkel, welches überhaupt über die Schidfale und 
Thätigfeit diefes Mannes verbreitet ift, wird auch während der 
Zeit feines Aufenthalts in Erfurt nicht aufgehellt 2), Dauernder 
und jedenfall8 bedeutender war die Wirkſamkeit, die PBublicius 
in Erfurt entfaltet. Die Aufzeichnungen eines feiner Schüler, 
des Joannes Knäß aus Rheinbergen, feßen und einigermaßen 
in den Stand, und ein Bild von dem Charakter und der Thä- 
tigkeit desfelben zu entwerfen). Bol Begeifterung für die 
Schöpfungen des claffifchen Alterthums, leidenfchaftlich einge- 
nommen gegen die erflarrten Formen der hergebrachten Schul⸗ 
gelehrfamfeit, erfcheint er ald das wahre Vorbild aller fpätern 
deutſchen Humaniften. Mit Berwunderung ‚und Abfcheu, jagt 
er im Eingang feiner Abhandlung de arte distiguendi, habe 
ex oft der Vorfahren Fahrläffigfeit und Trägheit betrachtet, 
durch die es gefchehen, daß nun die vorzüglichften Mittel zur 
wiffenfchaftlihen Ausbildung (d. i. die Werke der Alten) in 
tieffter Finfterniß vergraben lägen, und. Alles des Lichtes. der 
Wiffenfchaften entbehre*). Doch fei es beſſer, fpät zu lernen, 


1) Bol. das Lectionsverzeichniß der philoſ. Facultät bei Motfchmann, 
4. Fortſetz. p. 437. Mit der Einführung des Donatus glaubten häufig die 
Bertreter der neuen Richtung den Sieg ihrer Bartei entfchieben. 

2) Ohne Zweifel ift der Petrus Ludner, von dem in Gust. Haenelii 
Catal. libr. Manuscr. qui in bibl. Gall. Helvet etc asservantur (Lips. 
1830) bei Bafel eine ars punctandi ex Franc. Petrarcha und eine oratio 
habita Basileae a. 1464 angeführt wird, mit dem unferigen identifch. 

2) Die Aufzeichnungen des Knäß finden fih unter den M. ©. ber 
amplonianifchen Bibl. u. bilden einen Duartband; außer Abfchriften von 
Werfen des Cicero, Seneca, Salluft enthielt derielbe auch Vorleſungen des 
Publicius, de arte distiguendi. Institutiones oratoriae, ars episto- 
landi u. a. 

4) Sacpenumero mecum majorum nostrorum incuriam, ne socordiam 





— 33 — 


als immer in der Finſterniß der Unwiſſenheit zu bleiben, und 
zur Aufhellung der letztern wolle er das Seinige beitragen. 
Und fo beginnt er denn mit elementaren, grammatifchen und 
meirifchen Unterweifungen, er gibt Anleitungen zu der Kunft, 
Briefe zu schreiben, fchreitet dann zu förmlichen Borlefungen 
über die Beredtfamfeit ’), natürlich immer in den Yußftapfen 
der Alten, auf die er fich fort und fort beruft. Denn das 
Beifpiel der Alten ift allein maßgebend für ihn, die Rückkehr 
zu ihrem Mufter die unerläßliche Pflicht eines jeden, der auf 
den Namen eined Gelehrten Anſpruch machen will. — Mag 
auch zugeflanden werden, daß weder Publicius noch Xuder eine 
hervorragende Stellung unter den Bertretern der neuen Richr 
tung einnehmen, — wie denn beider Namen lange Zeit ver 
fhollen waren — immer bleibt doch die Thatjache höchft merk: 
würdig, daß zu einer Zeit, wo das alte Syftem an allen beuts 
hen Univerfitäten noch unangefochten die Herrfchaft behauptete 
und kaum Kunde vorhanden war von der eigenthümlichen Bes 
wegung, welche jenfeitö der Alpen die Gemüther ergriffen, in 
Erfurt bereitd von Männern, die entichieden den neuen Ideen 
buldigten — denn menigftend als folche erfcheinen ung Luder 


aut ignaviam dixerim admirari ct detestari solitus eram, cum tau- 
tam tamque lautam supellectilem ad studium (?) usque eo devolutam 
animadverto ut omni literarum lumine orbati obscuris tenebris et 
alta caligine mersi ea tantum quae aqualiculun extendunt, non quae 
ingenio lucem afferunt in pretio ponamus. In pretio enim solum est: 
dat tempus honores etc. In der angeführten Handfchrift: Tractatus 
mgri Jacobi publicii florentini oratoris egregii de arte distinguendi. 
Es ift vielleicht der Orundriß einer Borlefung, jedenfalls in Erfurt verfaßt. 

1) Diefe hielt er im zweiten Jahre feiner Anwefenheit 1467. Am 
Schlufie derfelben findet fih nämlich in der angeführten Handichrift die 
Anmerfung: Jacobi publicii Bufi forentini ytali oratoris dissertissimi 
iustitutilones oratoriae finiunt feliciter anno Domini 1467. Man flieht, 
in wie großem Anfehen er fand. Much fcheint er in Borlefungen einzelne 
Claſſiker erflärt zu haben, wenigftens liegt es fehr nahe, die einer a. a. D. 
befindlichen Abfchrift des Salluft hinzugefügten Anmerkungen aus Borträ- 
gen des P. abzuleiten. 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 3. 


— 4 — 


und Publicius — mit aller Schärfe die Grundfäße des Hu- 
manismus vorgetragen wurden, ja daß dies von Männern 
gefhah, die fürmlih und feierlih in die Genoſſenſchaft ver 
Lehrer der Univerfität aufgenommen waren. Auch der Erfolg 
fcheint fein gewöhnlicher gewefen zu fein. Es ift mehr als 
wahrfcheinlich, daß die ungewöhnlich ftarfe Frequenz der Unis 
verfität in den fechsziger Jahren mit der Lehrthätigfeit des 
Publicius und Luder in Zufammmenhang ftehe. Ja wir find 
fogar in den Stand gefegt, Spuren einer höchft bedeutungs⸗ 
vollen über Erfurt hinausgehenden Wirffamfeit bei ihnen nach⸗ 
zuweifen. Irre ich nicht, fo knüpft fich eben an das Auftreten 
unferer beiden Gelehrten in Erfurt die erſte Verbreitung der 
humaniftifchen Richtung in den weitern Kreiſen unferes Vaters 
landes. Denn um jene Zeit war es, daß zwei Männer in 
Erfurt die Keime ihrer Bildung empfingen, die fich als die 
erften Befchüger der claffiichen Literatur das größte Verdienſt 
um das Auffommen derfelben in Deutfchland erworben haben. 
Rudolph von Langen, der finnige Beförderer antiker Studien, 
durch den das erfte Licht der neuen Bildung über die weſtfä⸗ 
Iifchen Kreife verbreitet wurde, finden wir gleichzeitig mit Luder 
in Erfurt). Aus des Publicius Umgebung ging Johannes 
von Dalberg hervor, der, nachmals auf dem Bifchofsftuhle zu 
Worms, von allen Berehrern der neuerwachten Stupdien als 
ihr erfter Maecenad verehrt und gepriefen wurde ?). 

Nach mehrjähriger Wirkfamfeit verließ Bublicius Erfurt, um, 
wie es fcheint, in fein Vaterland zurüdzufehren. . Auch Langen 
und Dalberg nahmen den Weg nach Italien, um dort aus Der 
Duelle des neuen Lebens felbft zu trinfen. Wird der ausge 
ftreute Samen in Erfurt auch ohne fie auffommen und gedeihen? 








ı) Er wurde 1460 Magifter der freien Künſte. Dean vergl. über ihn 
die treffliche Darftellung bei Cornelius: Die Münfterifhen Humaniften p. 1. 

2) Er wurde gleichzeitig mit Publicius immatriculirt al$ Johannes 
Kemmerer de Dalburg. Ausführlichere Notizen über ihn gibt Erhard 
1. c. I, 356. 











— 35 — 


II. 


Sinnige und friedliche Männer waren es, die nunmehr 
die weitere Pflege de8 Samens, den der feurige Ylorentiner 
geftreut, übernahmen. Schon ift jenes Joannes Knäß gedacht 
worden. Mit warmer Berehrung für feinen Meifter erfüllt, 
lebt er auch noch nach dem Abgange vesjelben in den von ihm 
angeregten Studien und fucht namentlicdy durch Abjchriften der 
claſſiſchen Autoren fie in weitern Kreifen zu verbreiten. Mit 
größerm Erfolg konnte er im Intereſſe der neuen Richtung 
thätig fein, als er 1480 als Rector die Leitung des wichtigen 
amplonianifchen Eolleg’8 übernahm !). Reben ihm nahm fich 
bald der angefehene Sohannes Sömmering mit gleicher Liebe 
der neuen Literatur an, eifrig bemüht, durch feine Vorlefungen 
z. B. über Terenz auch in Andern Sinn und Liebe für diefelbe 
au erweden. Roc in fpätern Zeiten rühmt der gothaifche 
Canonicus Muth an ihm ven Eifer, ven er um diefe Zeit für 
die neue Richtung bethätigte2). Auch Georg Eberbach, damals 
berühmt Durch feine umfaffenden Kenntniſſe auf dem Gebiete 
der Heilkunde, erfcheint als wohlmollender Förderer der neuen 
ſprachlichen Studien. Wir finden ihn fpäter mit den entfchie- 


12) Sinnhold Erf. Lit. ]. c. 

2) Die merfwürdige Aeußerung findet fi in einem Briefe an Urban 
in der handfchriftlichen Sammlung der Briefe des Mutian auf der Stadt: 
bibliothek in Frankfurt. f.143 b. Mutian fagt dort über Sömmering: „Tui 
imo nostri amantissimum esse Soemmeringum non heri et nudius ter- 
tius sed olim cognovi. favet latinis studiis ut qui maxime: odit bar- 
baros ut qui valde; nustris commodis ut qui libenter fert opem. 
Nam adhuc tenui fortuna et tantum philologiae baculo insignis, Te- 
rentium in schola philosophorum enarrebat. Auditor eram Eunuchum 
tractavit per ferias caniculares. Satis facundiae, multum diligentiae 
Präestitit. De elegantia taceo, quae sub idem tempus nondum emer- 
serat.‘“ (Das Folgende bezieht ſich auf die fpätere Zeit). Jene Vorleſung 
über Terenz muß vor das Jahr 1488 fallen, da ©. in diefem Magifter ber 
freien Künfte wurde. Ein anderer Gelehrter desfelben Namens ift um einige 
Jahre jünger. 

3% 


— 36 — 


denſten Vertretern der humaniſtiſchen Richtung in freundfchaft- 
licher Verbindung. In ähnlicher Weife ließen fich ein Tetel⸗ 
bach, Petz, Biermoft, Männer, die eine bedeutende Stellung an 
der Univerfität einnahmen, die Pflege der neuen Wiffenichaft 
angelegen fein). Faſt auf Alle übte das neu erjchloffene Alter: 
thum mit feinen fchönen Formen einen ungewöhnlichen Reiz 
aus und ſchon erwachte bei Einzelnen die Sehnſucht nach dem 
Lande, das man als die Heimath der claffifchen Bildung anfah, 
nad Italien. Den fchon genannten Georg Eberbach, den jungen 
Conrad Muth, den Otterer u. U, finden wir in den beiden 
legten Jahrzehnten des Jahrhunderts auf einer folchen claffifchen 
Wanderung über die Alpen begriffen 2). Bon befonders anre- 
gender, wenn auch nur vorübergehender Bedeutung für das 
neue wifienfchaftliche Leben in Erfurt war der Furze Aufenthalt 
des ganz dem Studium der Alten hingegebenen Conrad Eeltes 2). 
Er, der für die übrigen deutfchen Univerfitäten — er durfte 


ı) Eoban rähmt an legterem Schon den eleganten lateinifchen Stil: 
Te quoque florentis commendat gratia linguae 
Quam Cicero probet et vulgi latialis ad aurem 
Deferat invitus. 

Bol. De laudibus et praeconiis incliti atque tocius Germaniae 
celebratiss. Gymnasii litteratorii apud Erphordiam Eobani Hessi Fran- 
cobergii ejusdem litterariae cominanipulationis alumnuli Juvenis Ephebi 
Carmen successivis horis deductum (Erphordie 1507.) 4. C.1.a. 

2) Georg Eberbach erwarb fich in Ferrara den Doctorgrad; feine Reife 
fand flatt nach dem Jahre 1483, in welchem er in Erfurt die philof. Magifter: 
würde erhielt. Er unterhielt fpäter ein freundfchaftliches Verhältniß mit 
Tritheim und Mutian. 

3) So gewiß es ift, bag Celtes einige Zeit in Erfurt lehrte, fo ift fein 
Name doch in ber Matrifel nicht aufzufinden. Die Conjectur Erharb’s, 
ber unfern Eeltes in dem mehrmals in den Matrifeln vorfommenden Con- 
rad Schefer de Sweynfort ſteht (Erhard 1. c. II, 12. 19 20.) entbehrt 
zu fehr jedes pofltiven Orundes, als daß man fle annehmen könnte Neben 
dem Conrad Schefer erfcheint gleichzeitig auch noch ein Nicolaus Schefer 
aus Schweinfurt in der Matrifel. Für eine zweimalige Anwefenheit des 
Geltes in Erfurt, die E. in Folge feiner Conjectur anzunehmen genöthigt 
wird, fehlt e8 ebenfalls an anderweitigen Anhaltspunften. 





— 1 — 


fih rühmen, fie ſammtlich befucht zu haben — der erfte Herold 
der neuen Richtung war, fand hier in Erfurt fchon zahlreiche 
Gefinnungsgenoffen, neben die er dann jelbft als Lehrer trat. 
Indeß zu einer dauernden Wirkffamfeit ließ ihn auch bier der 
unruhige poetifche Wandergeift, der ihn trieb, nicht gelangen, 
und weder die freundliche Aufnahme, noch die treuen Yreunde, 
die er in Erfurt gefunden, vermochten ihn zurüdzuhalten ’), Es 
ift aber auch möglich, daß der friedliche Charakter, den die Ent- 
widelung der neuen Richtung in Erfurt annahm, nicht wenig 
zu der baldigen Abreife des Celtes beitrug, der vol Begeifter: 
ung für die Alten, wie er war, überall ein rafches Vorjchreiten 
auf den von ihnen vorgezeichneten Bahnen forderte. Schon bei 
Knäß fallt es auf, daß er troß feines lebhaften Eifers für die 
neuen Studien dennoch keineswegs den Kumaniftifchen Unges 
füm theilte, der feinen Meifter charakterifirte, fondern dieſem 
gegenüber. eine gewifle Mäßigung zeigte. Diefe gemäßigte 
Haltung bemerken wir bei allen, die neben und nad) ihm für 
die neue Richtung thätig waren?). Bei Keinem schlägt die 
Verehrung für den Humanismus in Verachtung des bisher 
befolgten Syftems um. Bon lebterem ſich vollſtändig loszuſa⸗ 
gen, wie e8 Celtes wollte, mit der vorhergegangenen Entwidels 
ung rückſichtslos zu brechen, lag nicht in der Abficht der erfurs 
tiſchen Humaniften. Der Gegenfag zwifchen der alten und 
neuen Richtung ſchien für fie nicht vorhanden zu fein. Pietät 


1) Noch im Jahre 1494 ladet ihn Peg zu fih nach Erfurt ein und 
gedenft der erfurtiichen Freunde des Geltes, unter benen ein Lohrer, Ußfelb 
u. 9. genannt werden. Vgl. Klüpfel De vita et scriptis Conradi Celtis 
lib. 1. c. 9. p. 62 

2) Außer den genannten Männern begegnen uns noch ein Reinbote, 
Werlich, Leo, Laasphe, Martin von der Marthen als Befchüger der neuen 
Richtung. Hier und da zerftreute Notizen in den Briefen des Mutian und 
in den Iugendgedichten Eobans unterrichten uns über ihre humaniftifchen 
Beſtrebungen. Am weiteften ging wohl in der Begünftigung ber neuen 
Richtung Laasphe, der bald, als Weihbifchof in Erfurt, von den jungen 
Borten als ihr größter Gönner gepriefen wurde. 


— 38 — 


gegen die überkommenen Lehrformen ihrer Väter und Verehr⸗ 
ung der neu aufgebrachten wiffenfchaftlihen Ideen erfcheinen 
bei ihnen in wunderbarer Mifchung. 

Man wird den Beftrebungen viefer Männer die Aner- 
fennung nicht verfagen können, namentlihd wenn man weiß, 
wie wenig um jene Zeit die übrigen Univerfitäten von den 
neuen Ideen berührt waren, und mit welcher Schroffheit man 
fich hier denfelben fpäter, als fte fich geltend zu machen fuchten, 
entgegenftellte. Aber eben fo wenig läßt fich verfennen, daß 
durch jene Beftrebungen keineswegs den Anforderungen des 
Publicius vollfommen Genüge gefhah, daß der Erfolg feines 
Auftretend den Hoffnungen nicht gleichfam, zu denen man 
wegen der Empfänglichkeit, welche die Univerfität früher für 
jede neue Erfcheinung bewiefen, gewiffermaßen berechtigt war. 
Ein fefter Waffenplab für den mit Anſpruch auf Herrichaft 
auftretenden neuen Geift, wozu Erfurt beftimmt fchien, follte 
e8 einftweilen noch nicht werden. 

Die bereits gefchwächte Anhänglichfeit an das Alte erwacht 
zuweilen gerade in dem Augenblide wieder mit aller Stärfe, 
wenn jenem plößlih in feiner ganzen Schroffheit das Reue 
gegenüber geftellt wird; da zeigt fich nicht felten das Beftreben, 
das Hergebrachte, deſſen Befeitigung jo eben noch der gemein- 
fame Wunfch Aller fchien, zu erhalten. Nicht als ob man ſich 
mit den Mängeln deſſelben ausgeföhnt hätte und das Beflere, 
welches das Neue bietet, verachte: es ift vielmehr der plöglich 
in feiner ganzen Schärfe der Seele vorgeführte Uebergang von 
dem Einen zum Andern, welcher diefe zurückbeben macht. Der 
Gedanke einer allmähligen Vermittelung zwifchen beiden, wodurch 
das Kühne und Gewagte vermieden wird, liegt unter dieſen 
Umftänden fehr nahe, und ihn zu verwirklichen, halten in der 
Kegel die EinfichtSvolleren und Gereifteren für ihre Aufgabe. 

Aehnliches zeigte die erfte Aufnahme des Humanismus in 
Erfurt. So unverholen bier auch früher die Unzufriedenheit 
mit den überfommenen 2ehrfgftemen zu Tage getreten war, fo 





— 9 — 


ſchien doch die Rede des feurigen Florentiners von einer rüds 
fihtslofen Aufopferung desfelben den Meiften zu hart. Mit 
dem Gedanken einer unbedingten Losfagung von dem, woran 
die Sahrhunderte ihre heiligende Kraft ausgeübt, Eonnten fie 
fih nicht jo bald befreunden. So verfuchten fie, das Alte und 
Reue zu vereinigen, dieſes durch jenes zu mildern, jened durch 
dieſes zeitgemäß umzugeftalten und dadurch beiden Richtungen 
gerecht zu werden. Diefe vermittelnden Beftrebungen, welche 
alle die genannten Gelehrten bewußt oder unbewußt verfolgten, 
treten namentlidy bei den drei angeiehenften Lehrern und vor⸗ 
züglichften Vertretern unferer Schule hervor. 


IV. 


Der Ruhm der erfurter Schule am Ausgange des fünf 
zehnten Jahrhunderts Fnüpft ſich vornehmlich an die Wirkfams 
feit des Henning Goede, Jodocus Trutvetter und Bartholos 
mäus Arnoldi ?). 

Noch fehr jung an Jahren eröffnete Henning Goede aus 
Werben 1464 in Erfurt feine wiffenfchaftliche Laufbahn. Bon 
der genannten Zeit an finden wir ihn 25 Jahre hindurch un: 
ermüdlich thätig, fich in faft allen Disciplinen, in Philofophie, 
Theologie und Jurisprudenz ein umfangreiches Wiffen anzu- 
eignen. Afademifche Auszeichnungen in großer Anzahl belohn⸗ 
ten fein Streben: zunächft das philofophliche Baccalaureat und 
die Magifterwürde; dann wurde er Baccalaureud, Licentiat und 
endlich 1489 Doctor in den Rechtswifienichaften, die er ale 
jein eigentliches Fachſtudium anfah. Als Geiftlicher hatte er 
ſchon frühzeitig zur Anerfennung feiner Tüchtigfeit ein Cano- 
nicat am Marienftift erhalten. Reunmal hat er das Dekanat 





ı) Wegen der Wichtigkeit ihrer Stellung, die fie zu der fpätern Ents 
widelung ber neuen Richtung in Erfurt einnahmen, war es nöthig, aus⸗ 
führlicher anf fie einzugehen. 


— 40 — 


in der philofophifchen oder juriftifchen Facultät befleidet, zwei⸗ 
mal das Rectorat 1), In der Stadt war fein Anfehen fo groß, 
daß Nichts ohne feinen Rath unternommen wurde. Als 1478 
das Ronnenklofter auf dem nahen Eyriarberge in ein Feſtungs⸗ 
werk umgewandelt werden follte, wurde ihm die Gefandtfdhaft 
nad) Rom aufgetragen, um dort die erforderliche Erlaubniß zu 
erwirfen. Den Danf der ganzen Stadt verdiente er fih in ſpä⸗ 
terer Zeit, als e8 ihm gelang, die endlofen ſtädtiſchen Wirren 
durch einen günftigen Vertrag mit dem Haufe Sachſen beizu- 
legen. Denn auch bei den ſächſiſchen Fürften fand er in großem 
Anjehen; er hat fie wohl auf den Reichstag begleitet und wurde 
in allen wichtigen Staats- und Rechtsangelegenheiten von ihnen 
zu Rathe gezogen. Man empfing ihn mit der größten Aus- 
zeichnung, als er 1509 eben in Folge jener ftädtifchen Unruhen 
Erfurt verließ und fih nach Wittenberg wandte. Der Ehurfürft 
übertrug ihm die Propftei an der Allerheiligen-Stiftsficche und 
die damit verbundene Profefiur des cononifchen Rechts an ver 
Univerfität, auf deren noch nicht vollendete Einrichtung er dann 
einen bedeutenden Einfluß gewann. Friedrich der Weife fah in 
ihm eine der vorzüglichften Zierden feiner Schule; feine Zeit: 
genofjen gaben ihm wegen feiner allgemein bewunderten Rechts⸗ 
fenntnifje den ehrenvollen Beinamen eined monarcha juris. 
Sft Goede auch nie als Schrififteller thätig gewefen und 
müffen wir alfo auf den Vortheil verzichten, ung aus feinen 
Schriften ein Bild von ihm zu entwerfen 2), fo find wir doch 
bei feiner bedeutenden Wirkſamkeit in Erfurt und bei der wich- 


1) Lebteres 1486 und 1489. 

2) Zwanzig Jahre nach feinem Tode erfchienen auf Veranlaſſung des 
Churfürften Johann Friedrich feine Consilia latino Germanica in Witten 
berg in Drud; fie erlebten 8 Auflagen; der Processus judiciarius et de 
fermandis libellis erfchien 1538 zu Wittenberg und erlebte 5 Aufl. Beibe 
Werke find nur Sammlungen von Outachten, rechtlichen Erörterungen u. dgl., 
deren Beröffentlihung Goede wohl nicht beabfichtigte, und nur für die Ges 
fhichte der Rechtswifienfchaft von Bedeutung. 


J 


— 414 — 


tigen Stellung, die er unter den Gelehrten jener Zeit einnahm, 
über feine Richtung und Denfungsart und namentlich über jein 
Berhältniß zu der neuen wiflenfchaftlichen Bewegung genugjam 
unterrichtet. Soviel erhellt fofort, daß er in feinen Grund⸗ 
anfchauungen wefentlich überall an dem lleberlieferten fefthielt; 
ja es feblt fogar nicht an Beifpielen, wo er fi) geradezu in 
einem feindfeligen Tone gegen die Beitrebungen der poetifchen 
Neuerer vernehmen ließ. Namentlich ſcheint er an ihrem übers 
mäßigen und einfeitigen Xobe der Haffifhen Spracden, das 
nicht felten in eine Verachtung der vaterländifchen, ald einer 
barbarifchen, überging, Anftoß genommen zu haben '). Er war 
vor allem eine Acht deutiche Natur, wie er denn ja der erfte 
gervefen ift, der über einen Gegenftand des deutfchen Staats, 
rechts Vorlefungen hielt 2). Schon dies zeigt, daß er nicht eins 
feitig an den hergebrachten Methoden fefthielt und ſich engherzig 
gegen die Anforderungen einer neuen Zeit verſchloß. Wir ers 
fahren, daß er, angeregt durch das neue wifjenfchaftliche Leben, 
die Studirenden zum Studium einer reinern Philofophie ermahnte, 
Und wie er in diefem Falle die neu auflommende Literatur zur 
zeitgemäßen Umgeftaltung und Läuterung der alten Lehrweife 
zu benutzen fucht, fo zeigt feine ganze Thätigfeit dieſes auf fried- 
lihe Bermittelung der beiden ſich befämpfenden Gegenſätze ge: 
richtete Beftreben, Weit entfernt, dem Humanismus in den 
Weg treten zu wollen, erfcheint er fogar, fobald verfelbe in 
einem friedlichen Gewande auftritt und nicht jene fehonungslofe 
Bitterfeit gegen die Scholaftif zeigt, als fein wohlmollendfter 
Beförderer. Er erbietet fih zur Hülfe, als Maternus Gefahr 


2) Vorzüglich deshalb, weil er noch fo viel auf deutfche Sprache und 
Literatur hielt, war Mutian fo fehr gegen ihn eingenommen, wie fi) aus 
manchen Aeußerungen in den Briefen des legtern ergiebt. 

2) Als er von feiner Reife, auf der er den Churfürften Friedrich den 
Weiſen zur Wahl und Krönung Karl’s V begleitet hatte, nach Wittenberg 
zjurückkehrte, hielt er eine Borlefung über die Art und Weife der Wahl des 
zömifchen Königs (Practicam et modum eligendi Romanorum Regem). 





— 42 — 


für die junge, von ihm geleitete Poetenſchaar beforgte !), Er 
findet Gefallen an den vdichterifchen Berfuchen der poetifch ge- 
finnten Jugend und überfendet folche wohl dem Mutian zur 
Beurtheilung 2). Jünglinge, die ganz entſchieden Der neuen 
Richtung huldigten, 3. B. ein Euricius Cordus werden von ihm 
in Schuß genommen und zu anfehnlichen Stellungen befördert. 
Vol des Lobes find diefe deshalb für ihn. Cordus, deffen ſcharfe 
Feder feinen Gegner der neuen Richtung verfchonte, preifet ihn 
in zahlreichen Epigrammen, ex vergleicht feine Ruͤckkehr nad Er⸗ 
furt nach Beendigung der ftädtifchen Wirren mit dem feierlichen 
Einzuge des Eicero 3), Eoban, der eiftigfte aus der jungen 
Dichterſchaar, die ſich bald in Erfurt fammelte, feiert ihn in 
den Ausprüden der größten Ehrfurdt *). Und fürwahr, der 
Mann hatte gegründeten Anfpruch auf Anerkennung von diefer 
Seite, der durch feinen letzten Willen einen großen Theil feines 
Vermögens einer Genoſſenſchaft zumandte, die man als bie 
vorzüglichite Befchüßerin der neuen Richtung anfehen durfte). 


ı) Dal. den Brief des Mutian an Urban. F. M. B. f. 204. b. 
2) Bol. W.E. Tentzelii Supplementum historiae Gothanae primum 
(Jenae 1701) p. 56. 
2) „Sic aberat moestae proscriptus Tullius urbi 
Sic rediit, plus est, quam fuit ante, decus. 
Bol. Euricii Cordi Simesusii Germani, Poetae lepidissimi opera poe- 
tica omnia. 8° s. 1. et a. — p. 100. Mit Preis gedenft er feiner auch 
p. 102. 125. @uricius wurde durch die DBermittelung des Goede Lehrer 
an der Domfchule. 
4) Primus ad Henningum (bifida ut quem jura Monarcham 
Observent) referendus honor, qui (sicut habundans 
Fons scatet et rivos producit) fonte perhenni 
Spargit in aeternos Causarum saemina rivos 
Cujus ad Istricolas nuper facundia Dacos 
Venit et externas virtus legalior urbes.‘“ 
De laudibus Gymnasii lit. Erph. C. 1. a. 
8) Goede vermachte bei feinem Tode (1581) der philofophifchen Facultät 
in Erfurt, die Damals ganz von der humaniftifchen Richtung beherrfcht war, 
ein Geſchenk von 1000 Gulden. — Kirchliche und politifche Barteifucht haben 








— 3 — 


V. 


Reben Goede glänzte eine Reihe von Jahren als Lehrer 
in der philojophifhen und theologischen Facultät Jodocus Truts 
vetter aus Eifenach !). Er führte zur Auszeichnung vorzugs- 
weile den Ramen Doctor Erfordiensis. Schon daraus erhellt, 
wie bedeutend die Stellung war, die er an der Univerfität ein⸗ 
nahm, Der Ruhm feiner Gelehrfamfeit war fo groß, daß jeder 
Wivderfpruch vor ihre jchwinden zu müflen fchien 2). Auch in 
der Ferne war fein Name berühmt und angefehen; wir finden, 
daß fich Albrecht Dürer um feine Freundfchaft bewirbt °). Er 
war auch unter denen, die Friedrich der Weife zu Zierden fei- 
ner neuen Univerfität auserſah — ein Beweis, daß er auch zu 
den Aufgeflärtern feiner Zeit gerechnet wurde, 1507 bekleidete 
er in Wittenberg das Rectorat und lehrte dann daſelbſt noch 
mehrere Jahre mit vielem Beifall, bis er etwa um das Jahr 1513 
nach Erfurt zurüdfehrte *). 








in gleicher Weife das Bild diefes Mannes entftellt.e Während einerfeits 
Melanchthon wegen des Mißfallens, das Goede über die Intherifche Bewe⸗ 
gung an den Tag legte, fi zu einem unbilligen Urtheile über ihn verleiten 
läßt (vgl. Corp. reform. I. 393), kann ihm andrerfeits der eifria katho⸗ 
lifche Guden die feindliche Haltung, die er bei jenen ſtädtiſchen Irrungen 
gegen Mainz bewies, nicht verzeihen und ftellt feine Thätigfeit im fchwärze- 
ſten Lichte dar; vgl. Guden Hist. Erf. p. 185. 194. 213. 

’) 1476 immatriculirt wurde er 1484 Magifter der freien Künfte, 1505 
Doctor der Theologie; unter feinem Rectorat 1501 wurde Luther immatriculirt. 

2) Bartholomäus Tertoris widmet ihm Die zweite Ausgabe feines Con⸗ 
felfionales und gibt ald Grund an: ‚‚Deterrebit nasutos, scio veluti 
eneum tormentum in ipso statim limine positum minaciter, nomen 
tuum tam celebre.‘“ 

2) Bol. den Brief Chriſtoph Scheurl’s an Trutvetter d. d. 1. April 1517 
bei $. von Soden: Chriſtoph Scheurl der Zweite. Nürnberg 1837, p. 26. 
Eben jener Scheurl war einer der verirauteften Freunde Trutvetter's, wie 
denn bei beiden fich auch die nämliche Geſiunung in Bezug auf die huma- 
niſtiſche Richtung Tundgibt. 

4) Der anonyme gleichzeitige Berfafler feiner vita in der Centuria 
scriptorum insign. in Acad. Lips. Wittenb. et F'rcf. a Madero edita 


— 44 — 


Trutvetter war als Schriftfteller fehr fruchtbar: über Dia- 
lectit, Logik und Phyſik hat er umfangreiche Werke gefchrieben 1). 
Ueberficht man diefe, fo überzeugt man fich fehr bald, daß der 
Verfaſſer, wenn auch der Secte der „Modernen“ zugethan, 
im Wefentlichen bei der hergebrachten Lehrweiſe verharrt. Da 
fehren die alten Begriffsbeftimmungen und Eintheilungen, die 
oft gehörten Einwürfe und Widerlegungen, felbft die herkömm⸗ 
lichen Beifpiele wieder. Demungeachtet bewegt Trutvetter fich 
nicht gedanfenlos und ohne freiern Gefichtspunft auf den her⸗ 
fümmlichen Pfaden, wie die Meifter feiner Zeit. Vorfichtig zwar, 
aber doch freimüthig genug, tritt er nicht felten, namentlich in 
feinen Schriften über Phyſik den herrichenden Vorurtheilen ents 
gegen, fucht irrige Anfichten zu widerlegen, ven überhand neh 
menden Wunderglauben zu befeitigen und eine freiere wiſſen⸗ 
Schaftlihe Richtung anzubahnen. Er ift derfelbe Lehrer, von 
dem Luther die Vorfchrift erhielt, nur die canonifchen Bücher 
der heiligen Schrift gläubig aufzunehmen. Luther hielt ſelbſt 
um jene Zeit noch viel auf Trutvetter's Urtheil, als er ſich 
bereit8 daran gewöhnt hatte, den Ariftoteled al8 einen „Ihoren“ 
zu bezeichnen ?). Denn mit nichten hatte der Doctor Erfordiensis 
feine Studien auf Ariftotele8 und die üblichen fcholaftifchen Auto⸗ 
ritäten eingefchränft. Seine Schriften zeugen vielmehr von einer 
nahen Befanntfchaft mit den Blaffifern und andern außer dem 


(16690) nedenft der Berufung mit folgenden Worten: „Hic denique ob vitae 
et doctrinae suae famam ab Saxoniae ducibus accersitus ab iisdem 
Wittenbergam ob novae ibidem nuper fundatae Universitatis corro- 
borationem et collustrationem mittitur. Zur Zeit, ale der Verfaſſer dieſes 
fihrieb (1514), war Trutvetter bereits wieder nach Erfurt zurüdgefehrt. 

ı) Seine Epitome seu breviarium logice (Erf. 1507), die Epitome 
seu breviarium Dialectice (zweite Aufl. Erf. 1518) und die zweite Auflage 
feiner Summa totius philosophiae naturalis (Erf. 1318) befinden fich auf 
der Stadtbibliothek in Erfurt. Die lebtere Schrift ift bei weitem die wich- 
tigſte; Melanchthon gedenft in fpätern Jahren feines Breviarium dialec- 
ticum in Ehren. 

2) Luther an Lange. De Wette 1. c. I, 16. 





— 5 — 


Bereich der Scholaftif ſtehenden Schriftftellern, mit Plutarch, 
Herodot, Seneca und Plinius, mit Petrarca, Gerfon, Mirandola 
u. A. Eben in diefen fah er — offenbar dem Einfluffe der 
neuen Richtung nachgebend — das geeignetfte Mittel, den ftarren 
Kormen der Schule neues Leben mitzutheilen. Empfänglich für 
die Schönheit der claffifhen Formen liebt er es, feine Werke 
mit kleineren Gedichten der neuen Poeten zu zieren, und nicht 
verfagen ihm die Sibutus, Marfchalf, Eoban ihre empfehlenden 
Epigramme 1). Und fo wenig er fich hier, troß feiner Anhäng- 
fichfeit an das Alte, ald Verächter der neuen Studien zeigt, 
fo wenig erfcheint er auch im Leben ihren Befennern abhold. 
Jünglinge, die mit den neuern Ideen vertraut find, fuchen fich 
dem gefeierten Lehrer zu nähern und beeifern fich feinen Ruhm 
zur Anerkennung zu bringen. Eoban umgibt ihn fogar mit dem 
ganzen Zauber der claffifchen Formen, indem er ihn preifet ale 
„ven großen Herold der göttlichen Eigenfchaften, glänzend unter 
den Repnern wie Phoebus unter den Geftirnen ?),* 

Aehnlich war die Stellung und Wirkffamfeit des Bartholor 
maus Arnoldi von Ufingen. Es verdient Beachtung, daß gerade 
die in Rede ſtehenden Männer in nahem und einflußreichen 
Berhältniffe zu der Entwidelung und Bildung des wichtigften 
Mannes der Folgezeit erfcheinen. Vorzugsweiſe unter Goede's 
Zeitung lag Luther in Erfurt den juriftifchen Studien ob, wäh. 
rend er in Tirutvetter einen wohlmollenden Führer für feine 
pbilofophifchen Studien fand 3). Inniger noch war das Ber- 
hältniß, in dem er zu Ufingen ftand, mit dem ihn außer den 
gemeinfamen Studien auch noch der Aufenthalt in demfelben 
Klofter verband. Ufingen gehörte dem Orden der Auguftiner an 
und befleidete zugleich das Amt eines Lehrers in der philofophis 


1) Seine Logik wird bevorwortet duch ein empfehlendes Epigramm 
des Marfchalf, feine Dialectik durch Sibutus, feine Phyſik dur Eoban. 

2) Bgl. Eoban De laudibus Gymn. lit. Erph. A. 4. b. 

2) Bol. K. Zürgens: Luther von feiner Geburt bis zum Ablaßſtreite I, 443. 


— 46 — 


fhen Facultät, in der er nächft Trutvetter das meifte Anjehen 
genoß. Als Schriftfteller entwidelte er eine noch regere Thätige 
feit, als jener; er verfaßte dialectifche, Togijche, phyſiſche und 
grammatifche Schriften, zu denen in fpäterer Zeit auch noch 
zahlreiche theologifche Famen ?). Jedermann bewunderte feine 
außerordentlichen Kenntnifje 2), und namentlich war die Jugend 
ihm mit großer Liebe zugethan. Auf Luther hatte ex einen fo 
wohlthuenden Eindrud gemacht, daß diefer ihm noch von Witten- 
berg aus das größte Lob fpendet, und ebenjo finden wir, daß 
auch der junge Eoban nach feiner Entfernung von Erfurt mit 
unveränderter Anhänglichkeit feiner gedenft ). Daß ein Mann, 
zu dem fich befonders die ftrebjame Jugend in dieſer Weife hin- 
gezogen fühlte, für den der eifrig poetifch gefinnte Eoban fo große 
Perehrung an den Tag legt, auch den neuen wifienfchaftlichen 
Deftrebungen nicht abhold geweſen fei, fcheint von felbft einzu- 
leuchten. Aber auch bei ihm war der Einfluß derfelben fo groß 
nicht, daß er ed gewagt hätte, fich von den alten Yormen des 
Wiſſens zu emancipiren. Ein Blid auf feine zahlreichen Schriften 

ı) Ein ziemlich vollftändiges Berzeichniß feiner Schriften nebſt einer 
panegyrifchen Darftellung feines Lebens findet fi in Höhn's Chronologia 
Provinciae Rheno-Suevicae Ordinis F.F. Eremitarum S.P. Augustini. 
p. 166 ff. Zu vergleichen ift auch Motfchmann 5. Fortſ. p. 397. 

3) Soban fagt von ihm in dem Preisgedichte auf die Univerfttät: 

Et decus et nostrae specimen, laus, fama pälestrae 

Vivida cui multum debet Dialectica. Cujus 

Ingenio Chrysippe tui laus caedit acervi 

Per te floret honor studii, per te utraque multis 

Quae latuit natura patet: Te grata juventus 

Grata senectus colit, stupet, admiratur amatque. 
l.c A. 4b. 

2) Luther fpricht fich in einem Briefe an Leiffer 1516 fehr vortheilhaft 
über Ufingen aus. De Wette I. 18. — Coban ſchreibt 1510 aus Rieſen⸗ 
burg an feinen Freund Plab unter Anderm: Saluta praestantissimum et 
doctissimum Bartholomaeum Usingen meo nomine terque quaterque. 
Pol. die 1543 von Donconites herausgegebene Sammlung der Briefe Eobans: 
Helii Eobani Hessi poetae excellentiss. et amicorum ipsius epistola- 
rum familiarium libri XI. — p. 12. 








— 41 — 


genügt, um zu der Veberzeugung zu gelangen, daß er ebenjo 
wie Trutvetter, ja in noch höherem Grade, als diejer, im Wefent- 
lichen auf dem alten Stanppunfte verhartte. Sehr begeichnend 
ift die Art und Weife, wie er dennoch der neuen Richtung genug 
zu thun ſuchte. Da feßt er wohl jeiner Logik eine horazifche 
Sentenz ald Motto vor, um wenigſtens fo feine Achtung vor 
den Alten fund zu geben. In feiner „zum Lobe Gottes und 
zum Frommen der gelehrten Republif* verfaßten Erklärung des 
Donatus !) fpricht er viel von den Vorzügen der claſſiſchen 
Literatur, er ift mit der Behauptung einverftanden, daß alle 
Sprachen außer der lateinifchen und griechifchen barbarifch feien. 
In Diefem Sinne führt er auch bei jeder, oft auch ohne jede 
Gelegenheit griechifche und xömifche Autoren an, die er viel 
und fleißig gelefen hat, den Plinius, Cicero, Birgil, Ovid, 
Plautus u. A. 2) Aber bei diefer Außerlichen Anerkennung der 
Alten bleibt ex ſtehen, einen tiefer greifenden Einfluß gewinnt 
ihr Studium bei ihm nicht. Eben jene Abhandlung über den 
Donatus, die die größte Belefenheit in der alten Literatur vers 
räth und gerade zur Beförderung der claſſiſchen Ausdrucksweiſe 
dienen fol, ift in einer barbarifchen Sprache gejchrieben. 


VI. 


Und in dieſer Weiſe glaubten die genannten drei Gelehrten 
und mit ihnen mehr oder weniger alle, welche damals zu einiger, 
uns wahrnehmbarer Bedeutung an der Univerſität gelangten, 
dem neuen wiſſenſchaftlichen Princip genugzuthun. Gering 


1) Interpretatio donati minoris scholastice exponens diffinitiones 
octo partium orationis cum accentibus earumdum in studio Erphur- 
diensi per magistrum Bartholomaeum de Usingen collecta et revisa 
ad Dei laudem et reipublicae litterariae profectum.“ 4°. (Am Ende 
Erf. 1513); natürlich ift diefe Schrift für unfern Zweck die wichtigfte. 

2) Bezeichnend iſt es auch, daß unter den Neuern befonders Laurentius 
und Georgius Valla feine Aufmerffamkeit verdienen. 


— 48 — 


genug waren doch die Conceſſionen, die man ihm machte und 
bei Einigen kaum mehr, als die äußerlichſte Anerkennung, bei 
der das alte Syſtem vollkommen ſeine Rechnung fand. Man 
las wohl Livius, Virgil, Terenz, lag aber daneben unbeirrt 
durch ſie den hergebrachten ſcholaſtiſchen Studien ob und bediente 
ſich — wenigſtens bei den Meiſten war dies der Fall — nach 
wie vor in den Schriften der hergebrachten barbariſchen Aus⸗ 
drucksweiſe, ſchon zufrieden, wenn man hier und da einen antiken 
oder doch antififirenden Vers zur poetiſchen Decoration beige- 
fügt hatte. Aber fchon viel war ed, daß man überhaupt auf 
das Neue nur eingegangen war und bedeutfam mußte Dies 
für die Zufunft werden. Denn mochte ſich auch der neue Geift, 
nicht zufrieden geftelt durch jene ſchwachen Zuftänpnifle, zu 
entjchiedenem Angriffe erheben, fo ließ fih doch voraugjehen, 
daß jene fchroffe PBarteiftelung, die der Kampf zwifchen Hu⸗ 
manismus und Scholaftif überall hervorgerufen, da nicht auf 
fommen werde, wo Alle und felbft die, welche durch ihre Stell 
‚ung zu Berfechtern des Herföümmlichen beftimmt waren, eine 
gewiſſe Berechtigung der neuen Ideen anerkannten, voraudges 
fett auch, — und die Folgezeit lehrt dies — daß fie auf dem 
einmal eingenommenen Standpunfte verharrten. Ob das neue 
PBrineip, das nur zu beftimmt mit dem Anſpruche auf unbe- 
dingte Herrfchaft auftrat, fich durdy jenen Tribut, den man ihm 
in Erfurt zollte, durch das ängftliche Antikifiren befriedigen 
laſſe, war eine Frage, die nicht lange zweifelhaft bleiben fonnte. 

Durfte man hoffen, daß die für alles Reue fo empfäng- 
fiche jüngere Generation, nicht mehr als die ältere, der die 
genannten Männer ſämmtlich angehörten, durch die Schönheit 
der antiken Formen angezogen, ebenfo mit jenen jchwachen 
Anfängen fich begnügen würde? 

Der Erfolg zeigte, daß dies nicht der Fall war. 





— 9 — 


Bweites Kapitel. Die Pocten. 


„Hic soror intonsi nata est pulcherrima Phoebi 
Geraque mutato vocater nomine Triton.“ 


Eobamus. 
L 


Bon der größten Wichtigkeit war es für den Fortgang 
der neuen Entwidelung, daß felbft aus der Altern Generation, 
unter den Lehrern, zwei Männer hervortraten, die, unbefriedigt 
durch das Verfahren ihrer Genoſſen, zu einer entfchiedenen 
Huldigung der neuen Ideen übergingen: Maternus Piftoris 
und Nicolaus Marichalf. 

Es gibt unter den Vertretern der Neuerung Feine anzie⸗ 
hendere Berfönlichkeit al8 die des Maternus Piftoris aus Ing- 
weiler 2). Seit dem Jahre 1488 Hatte er in Erfurt ald Mit 
glied des großen Eollegiums den Wiffenfchaften obgelegen, 
vorzugsweife unter Anleitung des Trutvetter, defien Ruhm fich 
eben damals zu verbreiten begann, bis er im Jahre 1494 nad 
erlangter Magifterwürde neben venfelben als Lehrer in der 
philofophifchen Facultät trat, Die Schönheiten ver claffifchen 
Literatur, in die ihm bei ver antififirenden Methode feiner 
Lehrer Hier und da, wenn auch nur aus der Ferne, ein Blid 
geftattet wurde, übten einen zu unwibderftehlichen Reiz auf ihn 
aus, als daß er ihren Spuren nicht hätte weiter nachgehen 
folen. Da mußte er aber fehr bald die Erfahrung machen, 
mit wie großen Schwierigkeiten dies verfnüpft fei. Bei feinen 
Lehrern, die einen ſolchen Erfolg nicht beabfichtigt Haben mochten, 
fand er wenig Unterſtützung. Selbſt das Unentbehrlichſte, die 
Werfe der Alten felbft, fanden ihm nicht in gemwünfchter Weife 
zu Gebote, Diefe fih zu erwerben, ließ er ſich Feine Mühe 





1) Auch Piſtorius, Piſtorienſis gefchrieben. Sein Geburtsort liegt im 
Bisſthum Straßburg, das Geburtsjahr iſt unbekannt. 
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 4 





— DD — 


noch often verdrießen. So fam er allmählig in den Befitz 
der gefchäßteften Werke der Alten?). Im ihnen nun fand er 
was er in den herfümmlichen logifchen und dialectifchen Schul- 
büchern vergebens geſucht, und je länger er ſich mit ihnen 
befchäftigie, defto empfänglicher wurde er für ihre Borzüge, 
defto mehr leuchtete ihm die Nothwendigkeit ein, zu dem Vor⸗ 
bilde der Alten zurüdzufehren. Er felbft fing an, die zierliche 
Darftelung, die Eleganz ver fprachlicden Formen im Gegenfat 
zu der jchofaftifchen Ausprudsweije fi anzueignen. Was er 
aber felbft gelernt, das ſuchte er auch Andern mitzutheilen. 
Dazu mußten ihm feine Vorlejungen dienen, welche fich bald 
auffallend genug von den übrigen an der Univerfirät gehaltenen 
unterſchieden. Begnügten fich feine Amtsgenoſſen mit einer 
blo8 äußerlihen Anerfennung der Alten, mit rühmlichen Er- 
wähnungen verfelben und Eitationen von Ausfprüchen einzelner 
ihrer Dichter, jo machte Maternus ihre Werfe ausichließlich 
zum Gegenftand feiner Borträge; er erflärte fie für Das geeig- 
netfte und vorzüglichfte Bildungsmittel. Indeß mild, wohl- 
wollend, befcheiden wie überhaupt, erjcheint er auch in feinem 
Streben zur Beförderung der antifen Studien. Durch feine 
Leidenichaft wurde dasſelbe getrübt 2). Jene maßlofe Bitterfeit 
gegen vie herfümmlihe Schulgelehrfamfeit, die uns nur zu 
häufig bei ten Befennern der neuen Richtung mißfällt, blieb 
ihm fremd. Gewiß haben die anerfennungswerthen, wenn auch 
ungenügenden Bemühungen, den neu auffommenden Studien 
genugzuthun, welche er in feiner Umgebung bei den Vertretern 
der alten Richtung wahrnahm und durch die er felbft die erfte 


— — — — — — 


1) Sogar Mutian, ſelbſt Befiger einer vorzüglichen Bibliothek, beneidet 
Maternus um feine reiche Sammlung von claſſiſchen Werken. 

2) Auch war fein Streben nicht, als Schriftfieller im Sinne ber neuen 
Richtung zu glänzen. Wir haben nur eine Schrift von ihm, die er aber 
nicht verfaßt, fondern nur herausgegeben und mit einer Einleitung verfehen 
hat: Declamatio lepidissima ebriosi, scortatoris, aleatoris de vitiosi- 
tate disceptantium, condita a Philippo Beroaldo. Erph. 1501. 





— 51 — 


Anregung empfangen, nicht wenig dazu beigetragen, ihn in 
feiner friedfertigen, gemäßigten Haltung zu beſtärken. Diefe 
hat er fein ganzes Leben hindurch bewahrt, und fie gewann 
ihm die Achtung und Liebe aller Barteien. Wie Tettelbach, 
Ufingen’8 Freund und Gefinnungsgenofie, ihm bereitwillig das 
größte Lob fpenidet ?), fo preijet ihn andrerfeitd Eoban, der eifrige 
Mufenverehrer, als die vornehmfte Zierde der Univerfität?), 
Mutian, der größte Eiferer für den Humanismus, weiß fein 
Verdienſt zu fchägen und unterhält mit ihm das freundlichfte 
Verhaͤltniß ®), und noch in fpäteren Jahren gedenkt Camerarius 
feiner in der anerfennenpften Weife +). Wohl tadellos muß 
der Character, verdienftlich die Wirkſamkeit des Mannes geweſen 
fein, dem es gelungen if, was wenigen in jenem leivenfchaft- 
lich bewegten Zeitalter, ruhig und unangefocdhten durch das 
Leben zu gehen). 

Einen Gefinnungsgenofien und treuen Mithelfer fand 
Maternus in dem etwas jüngeren Nicolaus Marſchalk aus 
Roßla in Thüringen‘). Ungefähr gleichzeitig mit erflerem 


— — —— — — — — 


+) In der Vorrede zu feinen Rectoratsverzeichnifien gedenkt er des 
Maternus mit folgenden Worten: Maternus pistoriensis artium et philo- 
sophiae interpres excellentis doctrinae et bonitatis tunc facultatis 
artium decanus commendatissimus. ©. U. M. ad a. 1504. Noch zwei: 
mal befleidete M. außerdem das Decanat, nämlich 1511 und 1518, zweimal 
war er Rector 1516 und 1587. 

2) « Mereris 

Ferre prior palmas parte hac Materne priores 
Orator vatesque simul Pistorie. 
Bol. Eoban De laudib. Gymnas. lit. Erph. A 4 b. 

2) Bol. Tentzel 1.c. p. 35, 41, 97. M. B. F. f. 6a. 

*) Narratio de Hel. Eobano Hesso comprehendens mentionem de 
oempluribus illius aetatis doctis et eruditis viris composita 2 Jonch. 
Camerario Pabeberg. Norimb. 1553. co 3b. 

5) Höchftens fönnte man in der Stelle des Nichts verfchonenden Cor⸗ 
bus Opp. p. 170 eine übele Anfpielung auf den Maternus finden. 

6°) Geb. 1470 aus einer alten adeligen Familie. Den Beinamen Thu- 


rius führte er von feinem Baterlande, nicht aber von Herodot. Er wurde 
48 


— 59 — 


hatte diefer feine Studien in Erfurt begonnen, die außer den 
üblichen philofophifchen Disciplinen auch die Rechtswiſſenſchaft 
umfaßten. Die Fortfchritte, welche er in der letztern machte, 
waren fo groß, daß ihm fchon nach einigen Jahren ein anfehn- 
liches fRädtifches Amt übertragen wurde. Diefes hielt ihn jedoch 
nicht ab, auch noch ale Lehrer an der Univerfität thätig zu 
fein und das Unternehmen des Maternus zu unterftügen. Auch 
für ihn war in ähnlicher Weife die antikifirende Richtung feiner 
Lehrer Anlaß geworden zu einer ernfleren Befchäftigung mit 
den Alten, und noch entfchiedener, als bei feinem finnigen 
Freunde, trat der Einfluß verfelben bei ihm hervor. Seine 
zierlichen Iateinifchen Verſe verjchafften. ihm bald in weitern 
Kreiſen Ruf und den Namen des thüringifchen Poeten ’). Ber 
dienter noch war der Ruhm, den er wegen feiner mit vieler 
Mühe erworbenen Kenntniß der griehiichen Sprache genoß, die 
ihn vor den Meiften feiner Zeitgenofien augzeichnete. Ihm ver- 
dankt Erfurt ven Ruhm, jchon 1501 ein griechifches Buch zum 
Druck befördert zu Haben, „was niemald vordem in Deutfch- 
land gejchehen“ 2). Indeß befchränfte fich bei Marſchalk das 





in Erfurt Baccalaureus der Rechte und Magifter; legteres 1496. Kurz nad 
diefer Zeit fcheint er das Amt eines Secretarius senatus erhalten zu haben. 
1) Thurius poeta nennt ihn gewöhnlich der mit fehr befreundete Mu: 
tian. Noch größeres Lob fpendet ihm Sibutus. der ihm anrebdet: 
‚„Thuria victrices vidit pinguissima lauros 
Testis appollinea sit tua musa cheli. 
Nam vel succinctos tornato pollice versus 
Aut calami nectent verba soluta tui 
Urbanus cultus. suavis, tersus cumulatus 
Et varia dives arte poeta nites.‘“ 
Bel. De divi Maximiliani Caesaris adventu in Coloniam. Georgii 
Sibuti Daripini Poetae Laur. Panegyricus s. l.eta. E.1a Bir 
fennen noch einzelne dichter. Berfuche Bes Marfchalf, namentlich fein Car- 
men de diva Anna und De moribus Archigrammateorum in einer 1501 
zu Erfurt erfchienenen Sammlung von alten und neuen lateinifchen Gedichten. 
3) Nämlich: Prisciani Caesariensis Grammaticorum facile principis 
negı oovrokens. 4%. Mit nicht ungegründeter Ruhmredigfeit wird am 


— 53 — 


Studium der Alten nicht auf die ſprachliche Seite. Ein Mann 
von vielſeitiger Bildung, der durch anhaltenden Fleiß in den 
Befitz von umfangreichen Kenntniſſen in den verſchiedenſten 
Zweigen des Wiſſens gelangt war, fühlte er überall das Be⸗ 
dürfniß einer Reform nach dem Muſter der Alten. Davon 
legen alle ſeine Schriften, die zahlreich genug ſind und den 
verſchiedenſten Kächern angehören, Zeugniß ab. Ueberall ſchwebt 
ihm das Vorbild der Alten vor Augen!). Unterſcheidet ihn 
nun dies ſchon von Maternus, bei dem die ſprachliche Richtung 
vorherrſchend war, ſo bildet auch ſein vielbewegtes Leben einen 
Gegenſatz zu der ruhigen, gereuſchloſen Thätigkeit feines Freun⸗ 
des, den feine Neigung für immer an Erfurt feſſelte. Marſchalk 
verließ ſchon 1502 die Stadt und wandte ſich nach der neuen 
Univerfität Wittenberg ?), wo fein, damals fchon weit verbreis 
teter Ruhm jelbft das fürftliche Brüderpaar in feine Vorlefuns 
gen 309. Dann finden wir ihn am Hofe des Ehurfürften von 
Brandenburg, der fich vergeblich bemühte, ihn durch glänzende 
Verfprechungen für die eben gegründete Univerfität Frankfurt 
zu gewinnen. Endlich fchlug er in Roftod feinen bleibenden 
Wohnfig auf und gab Hier durch fein Auftreten an der Unis 
verfität Den Ausfchlag für den Sieg der humaniftiichen Richt 
ung. Allein troß der großen Berjchiedenheit, welche zwijchen 


— — — —— — 


Schluſſe beigefügt: „„Habes en candide lector Prisciani duo de Con- 
structione volumina: Graecis literis: id quod ia Germania nunquam 
antea contigit.‘“ Nach Banzer Annal. typograph. VI, 493 ift dies wirk⸗ 
li der ältefte griechifche Drud in Deutfchland. 

I) Seine Schriften findet man aufgeführt bei Erhard 1. c. II, 414, 
womit zu vergl. Schelhorn Amoenit. Franff. und Leipzig 1725. IE, 434. 
Eine gediegene Würdigung ber fchriftitellerifchen Leiftungen des Marfchalt 
bei Krabbe 1. c. p. 281. Am wichtigfien find feine Annales Herulorum 
ac Vaudalorum (Rostoch. 1581. fol.), wodurch er auch unter den durch 
das neue wifienfchaftliche Leben angeregten Hiftorifern einen anjehnlichen 
Rang einnimmt. | | 

2) Er ift unter den erfien in Wittenberg Immateifulirten. Foerflemann 
Album academiae Vitebergensis p. 1. 


— 4 — 

Maternus und Marſchalk ſtattfindet, beobachteten beide doch 
in Einer Hinſicht eine Übereinftimmende Haltung. Jene Mäßig- 
ung, die den Maternus fo vortheilhaft auszeichnete, war aud 
dem Marfchalf eigen. Auch dieſer verftand es, jeine Verehrung 
für die neuen Alten mit einer gewiffen Pietät gegen die über: 
fommene Lehrweife der Väter in Einklang zu bringen und 
feineswegs war mit dem Namen eined Poeten, den man ihm 
beilegte, auch der poetifhe Dünfel auf ihn übergegangen. Ein 
eifriger und thätiger, aber dabei doch ruhiger und friedlicyer 
Verehrer der antifen Studien ftellte er fih dem Maternus als 
würdiger Genoffe zur Seite: das innigfte Freundfchaftsver- 
hältniß verfnüpfte beide 1). — 

Der Gegenſatz, den vieje beiden Männer zu ihrer Umge: 
bung bildeten, mußte bald gefühlt werden. Ging auch bei Feinent 
die Begeifterung für die neue Richtung in Verachtung des 
Herfommens über, es war Doch offenbar, daß fie nicht mehr 
innerhalb des Kreifes der Anfichten ftanden, welche die Schule 
beherrfchten. Sie hatten den Schritt, zu dem einft Publicius 
aufgefordert, Fühnlicy gewagt, während die Uebrigen ihn ängft- 
Tih zu vermeiden fuchten: Roh war Ruhm, Anfehen und 
Bedeutung auf Seite der lebteren. Indeß alled died gewannen 
unfere beiden Freunde in Furzer Zeit als Führer und Leiter 
einer zahlreichen, ftrebfamen Juͤnglingsſchaar. 


I. 


Der Reiz, von dem überhaupt neue Entwickelungen begleitet 
ſind, hat von jeher vorzugsweiſe und zunächſt auf die Jugend 
gewirkt. Leicht läßt ſich dieſe dem Alten entfremden, dunkele 
Ahnungen, unbeſtimmte Nachrichten von einem Neuen, das 





1) Ein anmuthiges Bild von dem Charakter und der Thätigkeit des 
Marſchalk gibt auch Hutten in der neunten Elegie des zweiten Buches feiner 
Klagen. Münd. Opp. Hutt. I, 41. 


— 55 — 


irgendwo aufgetaucht, waren oft genug dazu hinreichend, ja 
nicht ſelten waren gerade fie am wirkſamſten. Der Humanid- 
mus durfte um fo mehr auf eine günftige Aufnahme bei ver 
jüngern Generation rechnen, da er nicht nur ihren Blick in 
ferne, eigentkümlich ſchöne Zeiten lenkte und dadurch ihrer 
Phantafie einen geeigneten Spielraum bot, ſondern auch duch 
die Ausficht auf Emancipation von den Sabungen der Schule, 
welche er eröffnete, ihrem Unabhängigfeitsfinn fchmeichelte. 

Spuren einer Einwirfung der humaniſtiſchen Ideen auf 
die Haltung der Studirenden laſſen fi in Erfurt fchon früß- 
zeitig wahrnehmen. Und wie hätte die Jugend nicht von ihnen 
berührt werben follen, da felbft die Aelteren ſich nicht gegen 
fie zu verfchließen vermochten und durch ihre antikifirende Lehr⸗ 
weiſe nothwendig bei ihren Schülern eine Sehnſucht nad) den 
von ihnen mit einer gewiflen Zurüdhaltung gezeigten Alten 
erweden mußten. Bedeutend wurde indeß der Einfluß der 
neuen Literatur erſt feit der Zeit, wo fie unter den Lehrern 
felbR in Maternus und Marfchalf zwei entjchievene Bertreter 
erhielt. 

In ihnen fanden nicht nur die vereinzelt auftauchenden 
Bumaniftifhen Regnngen ihren Sammels und Mittelpunkt, 
fondern beide zeigten fich auch fofort entjchloffen, ihren ganzen 
Einfluß zur Verbreitung der neuen Studien zu verwenden. “Da 
fam nun dem Maternus vor allem feine liebenswürdige Per: 
fönlichfeit zu Statten. Sein anfpruchslofed Benehmen, in dem 
ſich überall das größte Wohlwollen ausfprach, flößte der Jugend 
Bertrauen ein. Unwillkuͤhrlich fühlte ſich diefe zu einem Lehrer 
Bingezogen; von dem fie glaubte, daß er ihr ein Herz entgegen: 
trage, das empfänglich für ihre Wünfche und Bepürfniffe fei. 
In der gefchicteften Weife mußte Maternus diefes Verhältniß 
zu benuben, um den Samen bed Schönen: in die jugendlichen 
Gemüther auszuftreuen. Im. freundlichen Gefprächen wies er 
bin auf die Schönen Mufter der Alten, gab den fih ihm N 
hernden wohl das Werf eines alten Dichters in die Hand und 


— 56 — 
ſuchte unter ihnen Sinn für die Vorzüge desſelben zu erwecken. 
Seine Worte fielen auf keinen unfruchtbaren Boden. Einer 
der erſten, die ſich durch ihn für die neue Richtung gewinnen 
ließen, war der junge Johannes Jäger aus Dornheim, der ſich 
bereit8 einige Zeit auf den herfümmlichen Pfaden der Scho⸗ 
faftif bewegt hatte. Bei Manchen braudte er blos an die 
bereitö vorhandene Neigung anzufnüpfen, wie bei Heinrich und 
Peter Eberbach, den Söhnen jened Georg Eberbach, die [don 
durch ihren Bater in die humaniftifche Strömung des Zeit- 
alters eingeführt waren. Seine amtliche Stellung verlieh feiner 
Thätigkeit größere Bedeutung. Daß ein Mann, der zu den 
angefebenften Lehrern der Univerfität gehörte, fich fo entfchieden 
der neuen Richtung annahm, und fie in feinen Borlefungen 
laut und unummunden verfündete, erwarb diefer auch unter 
den Berächtigeren Anhänger. Maternus fah allmählig einen 
anjehnlichen Schülerfreis um fich verfammelt. Dem genannten 
Jäger und den beiden Eberbah fchloß fich bald ein anderes 
Brüderpaar an, Jacob und Andreas Fuchs, von angefehenem 
fränfifchen Adel, die jeit 1496 in Erfurt den Studien oblagen '); 
zu ihnen gejellte fih dann ein finniger Süngling, Georg Burk⸗ 
hard geheißen und aus Spelt gebürtig, der fchon auf der Schule 
in Nürnberg die erfte Kunde von dem neuen wiffenfchaftlichen 
Leben empfangen hatte. Gleiches Streben vereinigte den Lud⸗ 
wig Platz aus Melfungen mit ihnen. Johannes Lange und 
Herebord von der Marthen aus Erfurt, Hermann Surmwint 
aus Eiſenach, Jacob Theodorici aus Horn, den feine Lernbe- 
gierde aus den fernen Niederlanden nach Erfurt geführt hatte, 
der fonderbare Tilemann Conradi aus Göttingen, Ludwig 


— — — — — — 


ı) Das innige Freundſchaftsverhältiniß, das namentlich fpäter zwiſchen 
Crotus und den beiden Fuchs hervortritt und das nach den Andeutungen 
von Hutten (Münd. 1.c. II, 39) und Camerarius (Tertius libellus Epis- 
tolarum H. Eobani Hessi, Lips. 1561. S. 8b) bis in die früheften Zeiten 
zurüdgeNt, if ohne Zweifel damals begründet worden. 





— 57 — 


Chriftiani aus Frankenberg u. A. traten hierauf in rafcher 
Folge in jenen Kreis ein!). Sie alle verehrten in gleicher 
Weile Maternus als ihr geiftiges Oberhaupt. Reben diefem 
aber entwidelte Marfchalf eine für das neue Leben nicht mins 
der wichtige Thätigfeit. Beruhte das Verdienſt des Maternus 
ganz in der perfönlichen Anregung, die er der Jugend gab, fo 
ftellte fich ihm fein Freund, als Schriftfteller im Interefle der 
neuen Richtung Hülfe leiftend, zur Seite. Durch grammatika⸗ 
lifche Lehrbücher, welche ex verfaßte, fuchte er den fprachlichen 
Studien zu Hülfe zu fommen?), um poetifche Neigungen zu 
befriedigen oder zu weden, veranftaltete er Sammlungen aus⸗ 
gewählter lateinifcher Gedichte, denen er feine eigenen dichterir 
chen Verſuche anreihte*). Dabei ftand auch er zu der auf- 
firebenden Juͤnglingsſchaar in einem ſehr nahen perjönlichen 
Berhältnif, er widmete wohl einem aus ihr eine Sammlung 
von Gedichten *); feine Mühe war ihm zu groß, um fie auf ihrem 
Wege zu fördern. Um ihr die Werfe der Alten zugänglicher 


— — — — — 


1) Ludwig Platz und die beiden Eberbach wurden 1497 unter dem 
Rectorat des Georg Eberbach immatrifulirt. 1498 folgten Jäger und Burk⸗ 
hard, von denen fich der eine fpäter Grotus, der andere Spalatin genannt 
bat. 1500 wurde immatrifulirt Jacob Theodorici (Geratinus), Hermann 
Surwint (Trebelius) und Joh. Lange, 1501 Ludwig Chriſtiani, gleichzeitig 
mit ihm Martin. Ludber aus Mangfeld, der fich einzelnen Gliedern unferes 
Kreifes näherte, aber demfelben doch nicht eigentlich angehörte. 

2) Seine 1501 erfchienene Orthographia führt nicht nur in die elemen- 
taren Kenntnifle der lateinifchen, fondern auch der griechifchen Sprache ein; 
fie handelt unter anderm: De literis lativis. De literis graecis. De di- 
visione literarum latinarum. De divisione literarum graecarum. De 
accentibus graecis. 

3) 1501 erfchien Die Laus Musarum ex Hesiodi Ascraei Theogonis 
nebft Gedichten von Lartantius, Dvid, Aufonius, Baptifta Mantuanus, Po⸗ 
litian, zu denen er am Ende auch feine eigenen fügt. Die Herausgabe 
diefes Werkes hatte Marfchalt dem Spalatin überlafien. 1503 erfchien 
Euchiridion Poetarum clarissimorum Nicolai Marscalci Thurii; außer: 
dem gab er Epitaphia quaedam mirae vetustatis u. a. heraus. 

*) Das Euchiridion Poetarum clariss. it dem Heinrich Eberbach 
gewidmet. 


— 58 — 


zu machen, legte er in ſeiner Wohnung eine eigene Preſſe an, 
die vorzugsweiſe dem Dienſte der clafſiſchen Autoren gewidmet 
war. Als eine Hauptaufgabe aber ſah er ed an, für die Ver⸗ 
breitung der Kenntniß der griechifchen Sprache zu wirken. Es 
bildete fi) um ihn ein engerer Kreis von Schülern, die er zu 
einem ernften Studium jener Sprache anleitete. Unter dieſen 
ftand ihm Georg Burkhard am nächften, den er fogar zu fick 
in feine Wohnung nahm und auf.deffen Bildung er den wich 
tigften Einfluß ausgeübt hat. Außer dieſem genofjen auch. die 
beiden Eberbach, Lange und Theodorici jeined nähern Umgan- 
ge8 ?) und gelangten dadurch zu jener Bekanntſchaft mit ber 
griehifchen Literatur, die ſie vor den Webrigen auszeichnet). 
Maternus aber war weit entfernt, auf diefe Beftredungen feines 
Freundes und den Einfluß, den derfelbe auf einzelne Jünglinge 
feiner Umgebung gewann, eiferfüchtig zu werden. Er war viel 
mehr der Erfte, der fein Verdienſt zur Anerfennung brachte. In 
zierlichen Epigrammen, die er dem Marfchalk zur Empfehlung 
feiner Werfe nicht verfagte, preifet er ihn ald den Führer auf 
den neu eröffneten wiflenfchaftlihen Bahnen 3). Nirgends 
trübte Eiferfucht das gemeinfame Streben der beiden Freunde. 


— — — — 
% 


1) Daß auch Lange und Theodorici jenem engeren Kreife angehörten, 
fchließe ich aus ihrer ungewöhnlichen Kenntnig der gariechifchen Sprache, 
bie fie fich nicht wohl anders, als im Umgange mit Marfchalf erivorben 
haben Eönnen, obgleich es an beftimmten Anhaltspuuften fehlt. 

2) Eoban fagt in dem Kucomium de laudibus Gymn. lit. Erph. über 
den Eifer für beide Spradhen: 

Nlic viva viget Latiae facundia linguae 

Graeca prius post facta Latina novissima nostra est, 

Hic est cum docto magnus Cicerone Periches 

Et plures alii quos laudat Graeca vetustas. 
l.c. A. 4b. Es fcheint indeß nicht, daß das Studium des Griechiſchen 
fo allgemein in Erfurt verbreitet ivar, fondern es war wohl auf die Um⸗ 
gebung des Marfchalf beſchränkt, und erkaltete nach dem Abgange desielben. 

° So in den Epigrammen, weiche fi vor der Orthographia N. M. 
T. (Erph. 1501) finden. 











— 59 — 


Unter der ſinnigen Pflege ſolcher Männer zeigte das neue 
wiffenfchaftliche Leben in Kurzem eine ungewöhnliche Regfam- 
feit. Die Zahl der Verehrer der neuen Alten wuchs faft zufes 
hends. Es jchien Die Zeit gekommen zu fein, wo diefe für die 
lange Bernachläffigung, die fie erfahren hatten, entjchädigt wer- 
den follten. Unwiderſtehlich fühlte fi die Jugend durch die 
eigenthHümlichen Schönheiten des fic ihnen allmählig erſchließen⸗ 
den klaſſiſchen Alterthums angezogen. 


IH. 


Als Marichalf 1502 Erfurt verließ, um fih nah Witten: 
berg zu begeben 1), übernahm Maternus wieder ungetheilt die 
Leitung der mit den neuen Speen befreundeten Jünglingsſchaar. 
Die größere Einheit, welche dadurch in die wiffenfchaftlichen 
Beftrebungen vderfelben gebracht wurde, fprach fich auch bald 
in ihrem äußeren Auftreten aus. Unter den jungen Befennern 
der neuen Richtung begann ſich allmählig ein nahes und inniges 
Berhältniß zu bilden, getragen von der Verehrung für ihren 
gemeinfamen Lehrer; die Webereinftimmung in Neigungen, Wün⸗ 
Ihen und Beftrebungen führte bald zu einer warmen Freund» 
(haft unter ihnen. Zugleich fuchten fie fih von den Anhängern 
des altern Syſtems, deren Anzahl noch die bei weitem größere 
war, abzufondern: fie gewöhnten fich daran, fich jelbft als eine 
eigene geichloffene Schule anzufehen. Schon längft war der 
Rame Poeten“ für die Neuerer aufgebradht worden. Diefen 
eigneten auch fie fi mit Vorliebe an, waren es ja doch unter 
den Alten vorzugsweije die Dichter, die fie anzogen und zur Nach⸗ 
ahmung aufmunterten. Mit dem poetifhen Namen eigneten 


— — — — —— 


1) Daß er aber auch nach dieſer Zeit mit Erfurt in Verbindung blieb, 
zeigt der merkwürdige Brief, den er im April 1505 aus Brandenburg an 
Spalatin fchrieb, in dem er noch viele Theilnahme für Erfurt zeigt. Der 
Brief findet fi} Rerum Meclenburgicarum libri VII a. M. J. Beehr 
Lips. 1741 in der Borrede von Kapp p. 45. 


— 0 — 


fie fich aber auch fehon etwas von der herausfordernden, übers 
müthigen Haltung an, die von diefem Namen unzertrennlich 
fhien, und bei dem fteten Zuwachs, den fie erhielten, glaubten 
fie fih fchon ftarf genug, um es mit ihren fcholaftifchen Geg⸗ 
nern aufnehmen zu können. Unter den neuen Bundesgenoffen, 
welche fie um diefe Zeit fanden, zeichneten fich namentlich ein 
Caspar Schalbus, dann die beiden angefehenen Batrizierjöhne 
Georg Sturz aus Annaberg und der noch fehr junge Jodocus 
Jonas vor andern aus!). Aller Aufmerkſamkeit lenkte aber 
fofort auf fih der feurige Süngling mit lebhaftem Auge, der 
im Jahre 1504 anfam; Eoban Hefje nannte er fih und das 
heififche Dorf Bodendorf war fein Geburtsort ?); fchon daheim, 
auf der Moetenfchule zu Frankenberg, die er 3 Jahre befucht, 
hatte er mehr ald einmal Proben feines poetifchen Talentes 
abgelegt und von feinem Lehrer Horlaus die Verheißung empfan⸗ 
gen, daß er das „Licht der Welt” werden würde). In Erfurt 


ı) Schalbus wurde 1504 immatrifulirt, Sturz 1505, Jonas, der wahr: 
fheinlich urfprünglich Koch geheißen, 1506. 

2) Als Eoban Hefius findet er fich 1504 unter dem Nectorat des Tet⸗ 
telbach in die Matrifel eingetragen, wozu eine fpätere Hand jam rex hin— 
zugefügt hat. Ob fein urfprünglicher Name Göbbechen oder Koch gelautet 
habe, ift fehwerlicdy noch auszumachen; ebenfo dunkel ift fein Geburtsort; 
Micyll in dem Epitaph auf Eoban, das fich vor der bereits angeführten 
draconitifchen Brieffammlung findet, gibt Frankenberg als folchen an, Lauze 
in feinem Bericht „Bon des erleuchten und hoch begabten Poeten Helii Eobani 
Heſſi leben und abflerben“, der fih in feiner Chronik findet (abgedrudt in 
der Zeitfchrift des Vereins für hHeffifche Geſchichte 2. Suppl. 2. Theil 1.) 
läßt ihn in Habelgehaufen geboren werden, Camerarius endlich entfcheidet 
fih für Bodendorf und dies ift das Richtige. Uebrigens iſt das von Ea- 
merarius angegebene und allgemein angenonmene Geburtsjahr 1488 nicht 
das wahre, da Eoban bereits 1487 geboren ift, was fich aus der Angabe 
besfelben Camerarius über das Alter feines Freundes und aus des leptern 
Aeußerungen in feinem Briefe an Reuchlin (IIIustr. vir. epp. ad Reuchl. 
y. 3 b.) unzweifelhaft ergibt. Die Angaben über das Geburtsjahr in den 
Gedichten Eobans widerfprechen fi, da es ihm mehr auf richtige Ders: 
bildung, als auf richtige Zeitangabe anfam. 

2) Lauze’s Chronik 1.c. p. 4239. Coban fpricht fich felbft über feinen 





— 61 — 


fand er jegt feine wahre Heimath. In der anmuthigften Weife 
ſchildert er felbft den regen wiffenfchaftlihen Eifer und die 
dDichterifchen Beftrebungen, die er hier vorgefunden, und wie 
ihn Maternus, ald er mit jugendliher Schambaftigfeit nicht 
gewagt habe, fich ven Mufen zu nähern, ermunternd in das 
Heiligthum derfelben eingeführt und ihn über feinen Beruf zum 
Dichter aufgeflärt Habe!). — Man darf indeß nicht glauben, 
daß mit dieſen poetifchen Beftrebuugen eine vollftändige Los⸗ 
fagung von dem alten Syftem erfolgt fei. Eine foldhe lag, 
wie wir wiflen, nicht in der Abficht des Maternus, dem man 
überall Folge leiftete. Die alten für den herfümmlichen Gefichts- 
punft berechneten Borlefungen wurden deshalb nach wie vor 
befucht. Eoban rühmt felbft den Eifer, mit dem er Logik und 
Dialectif gehört babe, aber weder bei ihm, noch bei einem ber 
Uebrigen faßten diefe Wiflenfchaften tiefere Wurzel. Es war 
eben nur eine außerliche Accommodation, zu der man fich dem 
verehrten Lehrer zu Liebe entfchloß, und die fich überdies dadurch 
empfahl, daß fie die Erwerbung der academifchen Ehren ficherte, 
poetifchen Drang in frühefter Jugend aus, z. B. in feinen Heroiden, wo 
unter Anderm: 
Obtulit in triviis quendam fortuna magistrum 
Qui numeris certum diceret esse modum 
Hunc colui supplex illi tantis per adhaesi 
Dum didici certis legibus ire pedes. Farr. I. 135 b. 

1) Er gibt diefe höchſt anziehende Schilderung in feinem Vreisgedicht 
auf die Univerfität. Nachdem er den Mufencult in Erfurt und fein anfäng- 
liches Erftaunen befchrieben, fährt er fort: 

Sic ego divinac cupidus (licet inscius) artis 

Non potui sancti tetigisse palacia regni 

Ecce sed eggressus sacras Pistorius aedes 

Affuit et cupidum manibus Maternus amicis 

Duxit ad ignotae secreta cubilia sylvae 

Et quid has dixit trepidas Eobane puellas, 

Quem metuis? Tuus hic amor est; tuus ignis in illis 
Neu mihi finge metus. Sic sic Laeander adibat 


Seston Abydenus. Phrygiam sic Pyudaris urbem etc. 
1.c.A.5b. 


— 92 — 


welche man doch nicht gern entbehren wollte !). Es wird erzähle, 
daß Ceratinus, ald er nach mehrjährigem Aufenthalte in Erfurt 
und hier ſchon im Rufe großer Gelehrſamkeit ſtehend in fein 
Baterland zurückfehrte, dort bei einex der herfömmlichen fchola- 
ftifhen Prüfungen, wie fie der Ordination zum Geiftlicden voran⸗ 
gingen, durch feine Unfunde das Erftaunen und den Unwillen 
der Wrüfenden hervorgerufen habe 2). — Für die trodenen fchos 
laftifchen Unterfuhungen war fein Sinn mehr vorhanden, die 
barbarifchen Compendien über Logif und Dialectif hatten allen 
Keiz für die Jugend verloren, feitdem das claffifche Altertum 
mit feinen bezaubernden Kormen ihr erfchlofien war. Das Ber 
fireben, die Alten nachzuahmen, fh den Zauber ihrer Formen 
anzueignen, machte fie unempfänglich für alles Andere. Es erregt 
zumeilen unfer Lächeln, wenn wir fehen, mit welcher Aengftlich- 
feit man überall den Spuren der Alten nachgeht, wie die Eoban, 
Jäger, Herebord, Trebelius ſich in einem fortwährenden Antifi- 
firen von Berfonen und Berhältniffen aus ihrer Nähe gefallen. 
Ueberall begegnen wir Anfpielungen auf Mythologie und Ge⸗ 
fhichte der Griechen und Römer. Man glaubt einen verehrten 
Lehrer am würbigften zu preifen, wenn man ihm Namen und 
Eigenfchaften eines Weifen des Alterthums beilegt. Da wird 
ein Ufingen als Ehryfippus, der gothaifche Canonicus Mutian 
als Minog, der gelehrte Trutvetter gar ale Phöbus verherrlicht. 
Eoban und Jäger begrüßen fich als Oreſtes und Pylades. Erfurt 
wird als Wohnſitz der Muſen befungen ?) und die raufchende 


1) Schon ein Blid auf das Berzeichniß der Männer, die in diefen 
Jahren in Erfurt die Magifterwürde empfingen, genügt, um Erfurt als bie 
Bildungsftätte einer Reihe von Gelehrten zu erfennen, die für die fpätern 
Entwicelungen auf dem Gebiete der Wiffenfchaften wie der Religion von 
ber größten Wichtigkeit geworden find. 
2) Bayle Dictionnaire hist. et crit. II, 112. 
2) Hic sacra Teutonici celebrant Heliconia vates 
Hic faciles gelidis Musae spaciantur in umbris 
Cumque suis placide nectunt sed casta poetis 
Brachia et albentes praecingunt flore capillos etc. 
De laudib. gym. Erph. A. 5. a. 














— 8 — 


Gera nebenbei zum Triton gemacht, um die Stadt ein anderes 
Mal als Geburtsort der Pallas zu preifen ’). Und indem fo 
das claſſiſche Alterthum für Alles Mufter und Vorbild war, 
fand man auch bald den bisher geführten Namen anftößig und 
fuchte den deutſchen durch einen Inteinifchen oder griechifchen 
zu erſetzen. Es koſtete oft viel Mühe und Scharffinn, ehe man 
zum Ziele fam. Surwint nannte fih Trebelius, Burkhard 
Spalatinus nad) feinem Geburtsort Spelt, Heinrich Eberbach 
begnügte fi) mit einer lateinifhen Weberiegung jeined Namens 
in Aprobachus, während fein Bruder Peter den claffifcheren 
Kamen Betrejus vorzog. Theodorici gelangte nicht ohne Mühe 
zu dem Namen Geratinus?), noch mühevoller aber war der Weg, 
auf dem Johannes Fäger zu feinem Ziele Fam, indem er fidh 
längere Zeit mit dem einfachen lateinischen Benator zufrieden 
ftellen mußte, bis er fich fpäter den dornenvollen Namen Brotus 
Rubianus ausfindig machte?). Eoban gab fi, um der An- 
forderung des Celtes zu genügen, daß ein Dichter drei Namen 
haben müfje *), ven prunfvollen Namen Helius Eobanus Heffius. 

So verkündete Alles die Herrſchaft der Alten. Es ift fehr 
bezeichnend für den Geift, welcher die Univerfität beherrfchte, 
daß diefe Beftrebungen der rührigen Poeten nirgendwo Anftoß 
erregten. Die ältern Lehrer, die fich ſelbſt ähnlicher Regungen 
nicht ganz hatten erwehren fönnen, bejorgten feine Gefahr von 


) I. c. A. 3 b. 

2) Von xcoceo, der Ueberſezung des Namens feines Geburtsortes (Horn). 

3) Als Jäger wurde er immatrifulirt, als Benator Magiſter, als Gro⸗ 
tus Rubianus Rector. — Bubianus fügte er bei zur Bezeichnung feines 
Geburisortes Dornheim, indem er unter Bubus irrig einen Dornſtrauch 
verftand. Das Crotus leitete er mahrfcheinlih von xeorem ab. Sein 
Wappen, ein Horn (xeges) kann nicht wohl Anlaß zu demfelben gegeben 
haben, da es jünger ift, als der Name. 

*) Poetas esse trinemines. Ueber den Urfprung des Helius erklärt 
ich Coban felbft im eriten Buche feiner sylvae. vgl. Farr. L 20% b. — 
Die urfprünglichen Namen eines Cordus, Urbanus find uns völlig unbefannt. 


- 4 — 


ber neuen Berberrlichung des HeidenthHums !) und ſchienen viel- 
mehr Gefallen zu finden an der poetifchen Gefchäftigfeit ver 
Jugend, die fich ja gern bereit finden ließ, fie den Weifen der 
Griechen und Römer an die Seite zu ftellen. Es iſt bereits 
berührt worden, in wie nahem und freundlichen Verhältniffe 
Trutvetter, Goede und Ufingen zu der poetifch gefinnten Jüng- 
lingsſchaar ftanden. Als deren großmüthigfter Gönner erfcheint 
aber der damalige Weihdifchof von Erfurt Johann von Laasphe, 
der fogar dem Eoban das Rectorat an der Schule des Severi- 
ftifts übertrug?) und fi namentlih die Vergrößerung der 
Univerfttätsbibliothef angelegen fein ließ). Bald waren zahl 
reihe Buchdrudereien, deren Beſitzer ſchon durch den claffifchen 
Namen an den Tag legten, daß fie im Dienfte der neuen Rich⸗ 
tung ftanden, mit der Vervielfältigung der Werke der Claſſiker 
befchäftigt *). So vereinte fich Alles, um das Emporfommten 


ı) Wie wenig Die poetifchen Neuerer mit Mißtrauen behandelt wurben, 
ergibt fih auch daraus, daß einer aus ihnen, Jacob Fuchs, bereits 1501 an 
der Rectorwahl Theil nimmt. — E. U. M. 

2) Ihm widmete deshalb Erban das oft angeführte Preisgedicht auf 
die Univerfität. In der Widmung fagt er unter Anderm von ibm: „Bo- 
narum Jitterarum studia amas ut qui maxime. Rectissimarum artium 
studiosos quosque mira humanitate persequeris. Taceo quantis meritis 
me politioris literaturae Tyrunculum nondum quadrilustrem jamdudum 
accumulaveris, atque ita tibi (quamvis nullis meis meritis) devinxeris 
ut si quid ingenii in me, si quid concinnitatis unquam posteritati etiam 
commendabile esse videatur id tibi totum me debere agnoscam.‘‘ — 

3) Eoban ift unerfhöpflich in dem Lobe der Bibliothek, die er ſogar 
über die ptolemäifche feßt. 1. c. A. 4 a. 

4) Der buchhändlerifche Verkehr Erfurts um dieſe Zeit ift fehr bedeu⸗ 
tend. Bine Reihe von Buchdrudern: Echenf, Sartorius, Maler, Stribilita, 
Knapp. Buchführer, Golthammer, Sachs, Wolfgang und Gervaflus Stürmer 
finden wir im Anfang des 16. Jahrh. in Erfurt thätig. Sie führten faft 
alle antife Namen; Wolfgang Schenk, dem wir ſchon am Ausgang bes 
15. Jahrhunderts begegnen, nannte fich Lupambulus Ganymedes oder Bo: 
eilator, mehr Geſchick in der claffifchen Namenbildung befundet Hans 
Knapp, ber ſich Cn. Appius nannte. Wie bei ben Poeten, fo ift es auch 
bier bei manchen ſchwer (3. B. bei Stribilita) den urfprünglichen Namen 
zu errathen. 





— 65 — 


der Poeten zu begünftigen. Begeiftert fordert deshalb Eoban 
die deutfche Jugend auf, nach Erfurt zu eilen, das durch die 
wohlmwollende Aufnahme, die es vor allen übrigen deutſchen 
Univerfitäten den Mufen gewähre, den gegründeiften Anfpruch 
auf den Danf aller poetifch Gefinnten habe !). 

In der That gebührte Erfurt diefer Vorzug. Wie vereins 
zelt und wirkungslos blieben nicht ähnliche Verfuche, die neuen 
Studien einzuführen, welde um diefe Zeit an den übrigen: 
Univerfitäten gemacht wurden? Welch’ ein Gegenfaß zeigt fich 
da zwifchen der Behandlung, welche die Boeten in Köln und 
Leipzig erfuhren, und dem Anfehen, welches Maternus und 
feine Schüler ſchon vorher in Erfurt genofien! Wohl war nicht 
ohne Einfluß darauf, daß die Verfünder der neuen Lehre anders 
wärtd nicht Die friebfertige und gemäßigte Gefinnung des 
Maternus an den Tag legten. Aber auch Erfurt follte bald 
Männer fennen lernen, deren Sinnesart mit jener friedlichen 
Entwidelung, die wir bisher wahrnahmen, nicht wohl verträg- 
lich ſchien. 


IV. 


Die günftige Aufnahme, welche die neuen Ideen in Erfurt 
gefunden und das rege wiffenjchaftliche Xeben, welches fich hier 
in Folge derfelben entwidelte, erregte in Kurzem auch in weitern 
Freifen Aufmerkſamkeit?). Männer, die der neuen Richtung 
befreundet waren, glaubten bier ein geeignetes Feld für ihre 


ı) Huc age digne puer primis se confer ab annis 
Hic vir eris patrios repetis cum laude penates etc. 
De laudibus gymn. Erph. C. 3 a. vgl. A. 3 a-b; A.5 a; B. 4 a und 
C. 3 b. 

2) Welche Anerkennung das verdienſtliche Streben des Maternus auch 
in der Ferne fand, erficht man z. B. aus dem Briefe bes Ulrich Zaſtus an 
Thomas Wolf (1506), wo des Maternus in der ehrenvollften Weife gedacht 
wird. Er heißt dort: „homo ex asse formatus“; — vgl. Udalrici Zasii 
Epistolae ad viros aetatis suae doctissimos. ed. Rieggerus p. 391. 

Zampichulte, Univerfität Erfurt. 5 





— 6 — 


Shätigkeit zu finden. Schon im Jahre 1504 erjchien der den 
humaniſtiſchen Studien eifrig ergebene Hieronymus Emfer in 
Erfurt). Dur ihn wurde zuerft Reuchlin's Name bier 
bekannt, der nachmals für die erfurtifche Schule von fo großer 
Bedeutung wurde. Weber den Sergius, eine von Reuchlin ver- 
faßte Eomödie, hielt er Borlefungen unter großem Zudrang 
der Studirenden. Er felbft rühmt fich fpäter, hier auch Luther 
unter feinen Zuhörern gehabt zu haben, Ein Jahr fpäter erjchien 
der berühmtere Publius Vigilantius, der ſich fchon durch Die 
Glafficität und BVielheit feiner Namen als den eifrigften Huma- 
niften anfündigte 2). Bei der ehrenvollen Aufnahme, die ihm 
zu Theil ward, und bei dem innigen Berhältniß, in dem er 
noch fpäter zu Erfurt fteht 3), ift es hoöͤchſt wahrfcheinlich, daß 
ee längere Zeit hier als Lehrer thätig war. Um viefelbe Zeit 
war es, daß auch der unruhige Hermann van dem Bufche, 
einer der erften, die fich auf den Bahnen der neuen Literatur 
verſucht hatten, in Erfurt anfam. Es Heißt, daß er glänzende 
Anerbietungen, welche ihm von verfchiedenen Seiten gemacht 
wurden, ausgefchlagen habe, um ver Einladung einiger in Erfurt 
ftudirender Jünglinge Folge zu feiften %), Die mit großer Bes 

2) Er wurde immatriculirt unter dem Rectorat des Schollus ale: 
Hieronymus emser magister arcium Basiliensis. Seine: fpätere Firchliche 
Stellung entfpricht freilich feinem früheren Benehmen nicht ganz. In feinem 
Berhältnig zu Bufch, Hutten und Spalatin erfcheint er als eifriger Humanift, 
dem Männer wie Pirfheimer, Grasmus u. a. ihre Anerkennung nicht verfagen. 

2) Er führte die Namen Publius Vigilantius Bacillarius Axungia 
‘ Arbilla. Aus feiner Erwähnung in der Erf. Matrifel ergibt fich, daß er 
auch den Namen Trabotus führte. Seiner Immatriculation wird nämlich 
mit folgenden Worten gedacht: „Trabotus poeta et orator gratis. Posten 
dictus Vigilantius francophordien. Oderanus adeo nobilis. A praedo- 
nibus Italiam petiturns est (?) sagittis necatus miserabiliter.‘‘ 

°, Die Holgel’fche Chronik ad 1518 berichtet, daß er noch kurz vor 


feiner Abreife nah Italien in Erfurt anwefend war und Petrejus, Here- 
bord u. U. befuchte. 


*) Bol. Echarb Ueberlieferungen zur vaterländ. Geh. L 8. Hamel- 
mann Opera geneal. hist. p. 294. Hamelmann nennt Euricius Cordus, 


— 67 — 


geifterumg gehaltenen Borlefungen diefes rüdfichtslofen Bekenners 
der neuen Richtung brachten unter der Jugend eine ungewoͤhn⸗ 
lie Wirkung hervor. Er wußte e8 durchzuſetzen, daß jetzt die 
alten Schulbücher öffentlich und feierlich abgetban wurden 1). 
Es unterliegt Feinem Zweifel, daß Maternus dergleichen Bors 
Hänge und überhaupt das Auftreten feiner neuen Bundesgenofien 
nit gebilligt Hat. Das harmloſe, friedliche Leben, wie er es 
unter feinen Schülern befördert hatte, wurde durch fie geftört, 
fein Einfluß, der vorher Alles beherrichte, geſchwaͤcht. Wohl 
mochte er da die Schwierigkeit fühlen, noch ferner einer Schaar 
firebfamer Jünglinge vorzuftehen, die das Beifpiel des ſtuͤrmi⸗ 
hen Bufch vor Augen gehabt hatte. Diefe Schwierigkeit wurde 
no größer, als auch Ereigniffe anderer Ratur ftörend in jene 
poetifche Stillleben eingriffen. 

Zwiftigfeiten zwifchen einem Theil der Bürger und den 
Studirenden, welche im Sahre 1505 ausbrachen, führten zu 
tumuliuarifchen Auftritten und brachten auch unter den Schü⸗ 
fern des Maternus eine ungewohnte Aufregung hervor ?2). Kaum 
Ulfen, Sturz, Jacob Montanus und Boban als folche, die Bufch einluben, 
während es nur von Eoban und Sturz gewiß ift, daß fie Damals in Erfurt 
waren (1505). In der Matrikel ift der Name B's nicht zu finden; ber 
Umftand, bag Eoban in feinem Gedichte aus früherer Zeit des Bufch gedenkt 
und ihn in dem Breisgebicht auf die Univerfität nicht unter den Lehrern 
derfelben aufführt, macht die Angabe von einer längeren Lehrthätigfeit B's 
in Erfurt unwahrfcheinlich. 

1) Hamelmann allein hat diefe Nachricht 1.c.: „IIIo praesente vel 
etiam praesidente omnes inepti et barbari soriptores ut Alani et simi- 
lum barbarorum insulsi libri sumt publiee abdicati.“ Sedenfalls if 
auch dies übertrieben; bie alten logifchen, dialectifchen u. f w. Handbücher 
blieben nach wie vor. 

2) Bgl. De pugna Studentum Erphordiensium cum quibusdam con- 
juratis nebulonibus Eobani Hessi Francobergii Carmen. Erph. 1506. 4° 
Irrig bezieht Loſſius (Helius Coban Heffus und feine Zeitgenofien, Gotha 1799, 
P.78) Dies Gedicht auf den Aufitand von 1510. In dem letzteren unterlagen 
die Studirenden völlig, während in dem von Goban gefchilderten bie Stu⸗ 
direnden „durch Hülfe der Ballas und des Magiftrats von Erfurt“ den Sies 
davon trugen. 





5* 


— 8 — 


war: Diefe vorüber, als eine jener peftartigen Seuchen, die damals 
nicht felten waren, Stadt und Univerfität beunruhigte und eine 
vollftändige Auflöfung der legtern zur Folge hatte’). Maternus 
flüchtete fih nach Gotha zu feinem dortigen Freunde Mutian. 
Schon vor ihm hatten feine meiften Anhänger die Stadt verlaflen. 
Eoban durchwanderte in Gefellfchaft des Laurenz Ufingen und 
Ludwig Play als fahrender Boet ganz Thüringen und Heffen. 
Spalatin zog nad; Georgenthal, Erotus nad Köln, Petrejus 
fam auf feiner Irrfahrt fogar bis nach Straßburg). Da fchien 
nun -jenes friedliche Zufammenleben für immer geftört. Indeß 
zu wenig verlodend waren doch die Ausfichten, welche fich der 
zerfireuten Poetenſchaar auswärts eröffneten, ald daß man nicht 
die Ruͤckkehr nad) Erfurt hätte vorziehen follen. Unter ven Erſten, 
welche heimfehrten, war der muntere Eoban, der bald die 
Begebenheiten feiner poetifchen Wanderjchaft zum Gegenftande 
eines größern Gedichtes machte. Auch Crotus Fehrte 1506 
aus Köln wieder zuräd, wo er an der fiholaftifchen Lehrweife 
der Theologen vielfach feine muthwillige Laune geübt hatte 3). 
In feiner Begleitung fam auch damals der junge Ulrich von 
Hutten in Erfurt an. Schon vordem war fein Name bier 
Einzelnen befannt gewefen. Auf PBeranlaffung eben jenes 
Erotus hatte er 1504 in einem Alter von ſechszehn Jahren, 
unbefümmert um Eltern und Verwandte, die Flucht aus dem 
Flofter Fulda unternommen, dem er zur Erziehung anvertraut 


3) Bol. De recessu Studentum ex Erphordia tempore pestilentiae. 
Kobani Hessi Francobergii Carmen Heroicum Extemporaliter Concin- 
natum. Erph. 1506. 4°. 

2) Lepteres wiffen wir nur aus einem noch ungedrucdten Briefe Spa⸗ 
latin’s, der 1512 an Aldus über Petrejus fchreibt: „„Qui sexto abhinc anno 
ex Argentina, quo propter pestilentiam tum secesserat, inter multa . 
mihi sic scripsit etc. Weim. Arch. 

2) Auf diefen Aufenthalt in Köln bezieht fich Die fpätere Aeußerung 
Hutten’s in ber an Erotus gerichteten Vorrede zum. zweiten Nemo: Quam- 
quam tu solitus sis imitari, qui nos olim docuerunt Colonienses et. 
syllogismis fulminare etc. Münch 1. c. II, 308. 





— 9 — 


war, und fih nah Köln gewandt!) Hier traf ihn Erotus 
und wurde ihm nun zum zweiten Mal Beranlafiung, den 
Aufenthalt in Köln mit dem viel angenehmeren in Erfurt zu 
vertaufchen?). Er fand unter der poetifch gefinnten Jugend 
Erfurts eine wohlmollende und freundliche Aufnahme. Reben 
Crotus, den er mehr als feinen Lehrer und Zührer betrachtete, 
wie jener denn auch mehrere Jahre älter war, zog ihn Feiner 
fo an, als der lebhafte und ftrebfame Eoban und fchon damals 
wurde das innigfte Yreundfchafts-PVerhältniß zwifchen beiden 


1) Camerarius Narratio de vita Melanchthonis ed. Strobel p. 89. 


2) In der Univ -Matr. findet er fich nicht verzeichnet; wohl aber wird 
1502 unter den Immatriculirten ein Dpolitus de Hutten erwähnt, und viel: 
leicht iſt die Anweſenheit diefes Stammesvetters Grund, daß der junge Ulrich, 
welcher fich der Kunde der Seinigen zu entziehen fuchte, fich nicht fchon 1504 
nad) Erfurt, fondern nah Köln wandte; Erhard 1. c. U, 271 nimmt, ohne 
es zu beweifen, an, daß Qutten fich unmittelbar nach feiner Flucht aus Fulda 
nach Erfurt begeben habe. Es ſteht aber feit, das Hutten’s Anwefenheit in 
Erfurt in die Zeit nach feinem Aufenthalte in Köln und vor feiner Abreiſe 
nah Frankfurt fällt, wohin er fih eben von Erfurt aus wandte. Dies 
geht hervor aus dem bisher ganz unbeachteten Abfchiedsgedichte bes Coban 
an ihn: 

Ergo vale longum superis Huttene secundis 
Catholicus menti spiret Apollo tune 

Pergis abhinc tua te exspectat Francfordia vatem 
Dimidium nostri te fugiente fugit 

Acmule Nasoni, viridi signande corona 
Et titulo multis nobiliore. Vale. 


Das Gedicht findet fich Hinter dem fchon oft angeführten De laudibus etc. 
und ift auch ein Beweis für das innige Verhältniß, welches zwifchen beiden 
Sünglingen beftand. — Fällt auf diefe Weife die Ankunft des Hutten in 
Erfurt gleichzeitig mit der Rückkehr des Erotus, fo wird die Annahme uns 
abweisbar, daß legterer, der den jüngeren Freund ſchon zu der Flucht aus 
Fulda veranlaßt Hatte und in Köln zu ihm in ein näheres Berhältuiß 
getreten war (Mündy 1. c. II, 308), ihn auch mit fih nach Erfurt gezogen 
babe und der Umftand, daß Hutten in Erfurt zunäcdhft in der Umgebung 
und unter dem Ginfluß des Grotns erfcjeint — Crotus is hac (Erph.) 
nobis sub primis praefuit annis fagt er felbft im zweiten Buche feiner Klagen 
(Müud1. c.1,66) — Tann nur zur Beſtaͤtigung dieſer Annahme dienen. 


— 0 — 


gegründet T), welches ven ſchönſten Zug in dem Charakter 
beider ausmacht. | 

Um viefelbe Zeit Fehrte auch Petreius von feiner Wande- 
rung wieder nah Erfurt zurüd, und Maternus, der fich feldft 
nur auf kurze Zeit entfernt zu haben fcheint, fah die zerftreute 
Schaar allmählig wieder um fih verjammelt und fogar noch 
mit neuen Mitgliedern vermehrt. Aber durfte er hoffen, daß 
die letzten Ereigniffe ohne Einfluß auf fie bleiben würden? 
Schon ließen ſich unzmeideutig Anzeichen einer veränderten 
Stimmung bei Einzelnen 3. B. bei Crotus wahrnehmen. Gewiß 
geſchah es nicht im Geiſte des Maternus, daß der junge frän- 
fifche Ritter, in deſſen Furzer Laufbahn fich fchon deutlich jener 
unruhige Poetendrang ausſprach, fo günftige und wohlwollende 
Aufnahme fand. Ich finde nicht, daß er den neuangefommes 
nen Hutten feiner fonftigen Gewohnheit gemäß in feine Nähe 
gezogen habe. Das Wohlwollen, welches diefem dennoch von 
den Süngeren bewiefen wurde, offenbarte den vorhandenen 
Zwiefpalt. Es war Zeit, daß Maternus die Yührerfchaft 
einem Andern abtrat. 


— — — 


») Hutten redet ihn bei feinem Scheiden von ®rfurt an: 
„Vive memor nostri qui te delegimus nuum 
Sitque comes scriptis semper Apollo tuis‘‘ 
und noch fpäter in feinen Klagen (Münch I, 62) erinnert er ihn an Die 
prisci amores diefer Zeit und redet ihn an: 
Hesse cothurnati divine poematis auctor 
Hesse tui vates gloria prima chori 
Si qua tibi veteris permansit cura sodalis 
Et potes Hutteni jam memor esse tui.‘“ 
1. c. I, 59. Schon hieraus erficht man, daß der Aufenthalt Hutten’e in 
Erfurt Fein vorübergehender war, fondern längere Zeit dauerte, was auch 
fehon durch fein inniges Berhältniß zu der Stadt überhaupt außer Zweifel 
geftelit wird. Vgl. die Meußerung in feinen Klagen: 
Oferet excelsos digressae Erphordia vates, 
Atque omnes junxit, quos habet, illa mihi.‘ 
Münd 1. c. I, 66. 











— 1 — 


V. 


Man verweilt nicht ohne Theilnahme bei den Erfolgen 
der ſtillen und anſpruchsloſen Thätigkeit des Maternus. Sein 
Beiſpiel kann als Beleg dienen, dag man, um ein Beförderer 
der humaniſtiſchen Richtung zu fein, nicht in den Ton einer 
leidenſchaftlichen Bekämpfung des alten Syſtems einzuftimmen 
brauchte. Indeß fehlt e8 auch bei ihm nicht an Einfeitigkeiten 
und Schwächen, und von diefen legte auch die Wirkung, die er 
bei feinen Schülern hervorbrachte, Zeugniß ab. 

Mehrere Jahre war er als Lehrer im Interefje der neuen 
Richtung thätig geweſen, und längft war die Bezeichnung „Poeten“ 
für feine Schüler üblich, ehe diefem Namen auch durch die That 
entjprocyen wurde. Der erfte, der mit einem größern Gedichte 
hervortrat, war Eoban, in dem fofort alle Uebrigen ihren Meifter 
erfannten. In einem heroifchen Gedichte befang er zuerſt den 
Kampf und die Gefahren der Mufenjöhne im Sahre 1505; ein 
zweites ift gegen die Angriffe eines „Zoilus“ gerichtet; dann 
verherrlichte er feine Erlebniffe auf jener poetifhen Irrfahrt 
durch Thüringen und Heſſen, bis er endlich durch das wieder 
holt erwähnte Preisgedicht auf die Univerfität feinen bisherigen 
poetifchen Leiftungen die Krone auffegte. Ihm folgten Trebeliug, 
Erotus, Herebord, Tiloninus mit ähnlichen dichterifchen Vers 
fuchen !). Auch der junge Hutten trat damals im Kreife feiner 
erfurtiichen Freunde zum erften Mal als Dichter auf?). 

— — — 


1) Trebel war zwar dem Marſchalk nach Wittenberg gefolgt, wo er 
auch an der Univerſität immatriculirt wurde, trozdem blieb er mit Erfurt 
und den dortigen Poeten in regem Verkehr und erfchien wiederholt unter 
ihnen. Sein erfles Gedicht ift dem bes Eoban ähnlich: Hermanni Trebelii 
Isenachi Hecatostichon Elegiarum de Peste Isenachensi: Anno Chris- 
tianae Salutis Milesimo DVI. Die Berfe können mit den eobanifchen den 
Bergleich aushalten. Die Widmung ift an den Damals in Erfurt fiudirenden 
Joh. Tylus gerichtet. Möglich, daß auch Trebel Damals wieder in Erfurt war. 

2) Sein erftes Gedicht ift eine Elegie an Coban, bei feinem Abfchiede 
von Erfurt verfaßt: In Eobanum Hessum vivacissimi Ingenii adoles- 
centem Ulrichi Hutteni Elegia. Es findet fih ale Anhang neben ähnlichen 


— 72 — 


Unſere Dichter ſchlugen den Werth ihrer poetiſchen Erzeug⸗ 
niſſe hoch genug an. Eoban ſpricht in dem Epilog zu ſeinem 
panegyriſchen Gedichte auf die Univerfität von dem unſterb⸗ 
lihen Ruhme, den dasfelbe der Stadt Erfurt eintragen werde, 
wie Troja durch die Ilias und Theben durch die Thebais, fo 
werde Erfurt, auch wenn es zerflört werde, durch fein Gedicht 
in Zufunft fortleben *). Und nicht weniger waren die Webrigen 
für die Producte ihrer Mufe eingenommen. Unfer Urtheil über 
biefelben wird indeß etwas befcheidener ausfallen müfjen. Zwar 
zeugen fie alle von dem lebhafteften und eifrigften Studium der 
Alten; die claffifche Ausdrucksweiſe ift bis in's Einzelnfte nach⸗ 
geahmt, eine Fülle von claffifchen Bildern und Wendungen fteht 
den Dichtern zu Gebote. Wo aber findet fi eine Spur von 


Dichterifchen Verſuchen des Herebord und Ghriftiani hinter dem erwähnten 
Preisgedicht Eoban's auf die Univerfität. Es firömt über von dem Lobe 
Eoban’s, wie ſchon der Anfang zeigt: 
„Si qua tenet nunguam morituros gloria vates 
Et trepidos fugiunt carmina nostra rogos 
Famaque stat putres ubi terra recondidit artus, 
(Nam fovet Aonios quid nisi fama viros) 
Semper eris vivus postque ultima fata superstes 
O juvenis patriae spesque decusque tuae. Ete. 
Mündh, der die Laus Marchiae als Hutten's Erftlingsgedicht bezeichnet, 
fannte diefes Gedicht nicht. 
2) Ad Erphordiam elegi concludentes: 
Nunc melior toto vives Erphordia mundo 
Venturaeque stupor posteritatis eris. 
Tu potes in cineres verti tenuesque favillas 
In mea nil fatum carmina juris habet. 
Clara prius Danais ceciderunt Pergama flammis 
Vivit adhuc celebres Ilias inter avos. 
Non minus antiquae periisset gloria Thebes 
Ni celebris toto Thebais orbe foret: 
Sic tibi perpetuis veniet mansura diebus 
Gloria, laus, splendor, fama, perhennis honor. c. 4 a. 
Mebrigens ift @oban felbft fpäter anderer Anficht geworden; denn er hat 
feins von den Ddiefer Periode angehörigen Gedichten in die Sammlung 
feiner Gedichte aufgenommen. 


— 3 — 


einer tiefern geiftigen Auffaffung der Alten? Man begnügte 
fih damit, das Außerliche Gewand derjelben anzulegen. Bor 
die neu geöffneten Schäbe des Alterthums hingeftellt greift der 
junge Dichter begierig nach den glänzendften und farbenreichften, 
ſchmückt fich mit ihnen und duͤnkt fich fchön wie Homer und Virgil. 
Um Erfurt zu preifen, wird der ganze mythologifche Apparat der 
Griechen angewendet. Götter und Halbgötter müffen ihre Namen 
und Eigenſchaften erfurtifchen SBrofefforen leihen, jo oft man dieſe 
preifen will, Eignete man fich mit diefem äußeren Gewande des 
Alterthums zugleich aber auch deffen innere Schönheit an? 

Zwar lag diefe Außerliche Auffaffung der neuen Studien 
am nächften, und faft allenthalben ift man zuerft von ihr aus- 
gegangen, aber nicht überall blieb man fo lange bei ihr ftehen, 
als in Erfurt. Irre ich nicht, fo ift dies vorzugsweife der 
Richtung des Mannes zuzufchreiben, der Bier die Beftrebungen 
der Jugend leitete !). Auch Maternus war über den Stand» 
punft jener Außerlichen Betrachtungsweife nicht hinausgefommen. 
Ihn zog allein die fprachliche Seite der antifen Studien an. 
Ohne im Uebrigen den herfömmlichen Anfichten entfremdet zu 
fein, jah er in den zierlichen claffifchen Formen das Mittel, 
jene in ein fchöneres, anfprechendered Gewand einzufleiden. 
Zu einer tiefern Auffaffung und zu einer geiftigen Durch» 
dringung der Werke der Alten hatte er es nicht gebracht, und 
dazu anzuleiten war eine Aufgabe, die zu ihrer Löfung einen 
Andern erforderte. 

Indem fo von den verfchiedenften Seiten ber jungen Dichter: 
[haar das Verlangen nach einem neuen Führer nahe gelegt wurde, 
erbot fich zu ihrer Leitung ein Mann, auf den fie ſchon einige 
Fahre früher Marfchalf als den mit den Weifeften aller Zeiten 


2) Man wird zu biefer Annahme genöthigt, wenn man Gedichte aus 
dieſer erſten Periode mit folchen vergleicht, die bald nach Mutian’s Eingreifen 
aus unferm Kreife hervorgingen, 3. DB. das Encomium Boban’s mit feinen 
bucoliſchen Sedichten, die größtentheile 1508 verfaßt find. Obgleich nur ein 
furzer Zeitraum zwifchen beiden liegt, fo ift der Fortſchritt Doch außerordentlich. 


— 714 — 


Wetteifernden hingewieſen hatte!) und der durch Charakter und 
Lebensverhältniffe für einen folchen Wirkungskreis beftimmt fchien, 
Es war der gothaifche Kanonicus Conrad Mutianus Rufus. 


— — — — — nn 


Drittes Capitel. Conrad Mutian und die Aniverfität. 


At tu Rufe, meae formator prime juventae 
Per te vocalis debita Iyrae fama. 
Eobanm. 


1. 


Es ift nothwendig, daß wir einen Augenblid bei ven 
Jugendjahren Mutian’s verweilen 2). 
Eonrad Mutianus Rufus, oder, wie fein Name urfprüng- 


ı) In dem bereits angeführten, aus Brandenburg (25. April 1505) 
an Spalatin gefchriebenen Briefe bei Beehr Rerum Meclenb. libri VIII 
Einleitung p. 45. Die Stelle wirb nicht ungern gelefen werden. ‚‚Hic mihi 
unus ex omnibus adhuc Alemannis videtur assecutus id, quod de 
Secundo suo Apollinaris scriptum reliquit, quod ipse Mucianus eru- 
ditissimus humanissimusque et omnis de se ostentationis expers, Asper- 
nari non debet, nec dictum per assentationem a me putare sed ex 
corde. Nam sentit ut Pythagoras, dividit ut Socrates, explicat ut 
Plato, implicat ut Aristoteles, ut Aeschines blanditur, ut Demosthenes 
irascitur, vernat ut Hortensius, aestuat ut Cethegus, incitat ut Curio, 
moratur ut Fabius, simulat ut Crassus, dissimulat ut Caesar, suadet 
ut Cato, dissuadet ut Appius, persuadet ut Tullius, instruit ut Hiero- 
nymus, destruit ut Lactantius, adstruit ut Augustinus, attolitur ut 
Hilarius, submittitur ut Joannes, ut Basilius corripit, ut Gregorius 
consolatur, ut Orosius affluit, ut Ruffinus stringitur, ut Eusebius narrat, 
ut Eucherius sollicitat, ut Paulinus provocat, ut Ambrosius perseverat.““ 

2) Mutian felbft faßt feine bisherigen Schicffale um die Zeit, als er 
ſich dem erfurtifchen Kreife näherte, in die Worte zufammen: Mutianus, 
qui XX annorum lucubrationes: exilia: peregrinationes: incommoda 
multa litterarum amore sustinuit. Tentel p. 33. 





— 5 — 


lich Tautete, Conrad Muth, war der Sohn wohlhabenver und 
angefehener Eltern in dem heſſiſchen Städtchen Homburg, wo 
er am 15. October 1471 geboren wurde !). Schon in frühefter 
Jugend wurde er der rühmlich bekannten Schule des Alerander 
Hegius in Deventer zur Erziehung übergeben und empfing von 
diefem gleichzeitig mit Erasmus die erfte Kunde von den neuen 
Wiſſenſchaften und damit zugleich die Richtung feines Lebens 2). 
Zünfzehn Jahre alt, bezog er nebft feinem Altern Bruder or 
hannes die Univerfität Erfurt und febte hier unter Begünftigr 
ung der damals herrſchenden antikifirenden Lehrmweife die in 
Deventer begonnenen Studien fort ?), Nachdem er im Jahre 
1492 die philofophifche Magifterwürde erlangt hatte, trat er, 
der allgemeinen üblichen Sitte folgend, al& Lehrer auf. Unger 
achtet des großen Beifall, den er fand *), war feine Wirkfams 
feit in Erfurt doch nicht von langer Dauer. Wir fahen, wie 
um jene Zeit das neu erwachte Studium der Alten bei mehreren 
Gelehrten Erfurt's eine Sehnſucht nach den claffifchen Stätten 
Italiens erweckte. Dahin zog ed auch Mutian: er verließ 
Erfurt und unternahm die gelehrte Pilgerfahrt über die Alpen, 
Der Aufenthalt in Italien wurde für ihn von der größten 
Wichtigkeit. Er fand Eingang in die beveutenpften Gelehrten. 


) Tenpel p. 174. Ueber die Feftflellung des Geburtsjahres vgl. fpäter. 
Woher der Name Rufus, erfieht man nicht recht. 

2) Tengel 1. c. und M.B. Fr. wo er Erasmus „‚condiscipulus meus“ 
nennt, fol. 300 b. 

8) Er wie fein Bruder erfchien im Gefolge des Grafen Wilhelm von 
SHohenftein und beide wurden deshalb gratis immatriculirt. EU.M ad a. 
1486. In diefe Zeit fällt auch die Ankunft des Celtes. 

*) Auf diefe Zeit bezieht ſich Urban's Weußerung in einem Briefe an 
Herebord: „Quom (Mutianum) a puero non aliter dilexi, observavi, 
colui atque a bono scholastico diligi, observari, coli par est virum 
doctissimum eundemgue integerrimum. Commetus videlicet fama no- 
mineque celeberrimi hominis quo me primi anni inter Erphurdienses 
Academicos auditore clarehat istie quam qui maxime.“ M. DB. F. 
f. 189 a. 


— 76 — 


freife diefes Landes. In Bologna, wo er am längften ver- 
weilte und ſich den Doctorgrad in den Rechtswiſſenſchaften 
erwarb, genoß er des nähern Umganges des Älteren Beroaldug, 
des Antonius Codrus und anderer berühmter Lehrer der alten 
Literatur. Mir finden ihn in nahen Beziehungen zu Baptifta 
Mantuanus und Picus von Mirandola. In Rom zählte er 
unter den Gardinälen Gönner und Freunde!). Unter den 
verfchiedenen, fi auf dem Gebiete der neuen Literatur durchs 
freuzgenden Richtungen fcheint vorzugsweife die des Politian 
Einfluß auf ihn gewonnen zu haben: fein Stil erinnert wenig 
ftens auffallend an jenen Gelehrten 2). — Indeß gab fih Mutian 
in Italien nicht fo ausfchließlich den hHumaniftifchen Beftrebun- 
gen hin, daß er nicht daneben aud noch andern Angelegen- 
heiten feine Aufmerkfamfeit zugewendet hätte. Es macht einen 
eigenthümlichen Eindrud, daß er um diefelbe Zeit, wo er fidh 
in den glänzenden italienifchen Humaniftenfreifen bewegt, auch 
jenen ftillen, befchauliden Männern fich nähert, die in der Zus 
rüdgezogenheit wehmüthig den herrichenden Verfall der Kirche 
beflagen. Das merfwürdigfte Denkmal jeines italienijchen Auf— 
enthaltes ift jener Brief an den Sohannes Burkhard in Rom 


1) Wie angefehen und befannt Mutian in den italienifchen Kreifen 
war, erhellt auch daraus, daß der Italiener Chryfoftomus, ale er bei feiner 
Anwefenheit in Deutfchland (1513) Mutian’s Namen nennen hörte, diefen 
als einen ihm wohlbefannten bezeichnete. ‚‚Cognovi extemplo“, ſchreibt 
er an Mutian felbft, „istud nomen ex Italicis academiis notum habere.““ 
Tengel 1. c. p. 175. Chryfoflomus war 20 Jahre älter als Mutian und 
es Tann jenes deshalb nicht wohl eine Rüderinnerung an ehemalige gemein: 
fame Studien fein. 


2) Gamerarius Narr. de Eobano Hesso B. 5 a. fagt von feinem 
Stil: „Genus autem erat sententiosum orationis et incisum, quale est 
' Politianicum ad quod in Italia erat assuefactus.“ Uebrigens iſt es 
bezeichnend, daß Mutian theilweife die nämlichen Borwürfe hat hören 
müflen, die dem Politianus gemacht worben find. Bon einem perfönlichen 
Zufammentreffen beider Männer findet fich feine Spur; Bolitian ftarb fchon 
1494, Mutian’s Ankunft fällt wohl etwas fypäter. 





_ 17 — 


aus dem Jahre 1502, in dem er fih in den wehmüthigften 
Klagen über den traurigen Zuftand der durch Außere Angriffe 
und innere Zwiftigfeiten bevrängten Kirche ergeht 1). 

An dem genannten Sabre kehrte Mutian nach Deutſch⸗ 
land zurüd. Die Abficht der Seinigen war, daß er feine Ge 
Iehrfamfeit und den Ruhm, den ihm feine italienifche Reife 
verfchafft hatte, dazu benutzen folle, um bald zu einer einträgs 
lichen und glänzenden Stellung im Leben zu gelangen. Wirks 
lich Tieß er fich bewegen, an dem Hofe des Landgrafen von 
Heſſen, wo einer feiner Brüder bereitd eine anfehnliche Stell» 
ung befleidete, ein Amt anzunehmen. Indeß fehr bald war ihm 
dies verleidet. Die Theilnahme an wichtigen Staatsgefchäften, 
der Olanz Außerer Würden hatten feinen Reiz für ihn. Er 
fehnte fidh weg von dem Hofe, um ungeftört durch weltliche 
Händel einzig feinen wiffenfchaftlichen Beftrebungen nachgehen 
zu Fünnen. 

Ein halbes Jahr Hatte er in jener Stellung zugebradht, 
als er fie aufgab. Er vertaufchte fie mit einem nur dürftig 
ausgeftatteten Banonicate in Gotha. Hier fam er im Jahre 


ı) Der merkwürdige Brief findet fih in der fehr feltenen Echrift: 
Concordia curatorum et fratrum mendicantium. Carmen elegiacum 
deplanugens discordiam et dissensionem christianorum cujuscunque 
status dignitatis aut professionis. 4° s.]. et a. Diefelbe enthielt außer: 
dem einen Brief des Wimpheling, die Abhandlung des Wigand Trebel: 
lius über den Streit zwifchen dem Ordens- und Weltclerus und einige 
Gedichte. Das Schreiben Mutian’s beginnt folgendermaßen: „Dum turpis 
ille Thurcarum pseudopropheta tot christianorum terras in suam 
ditionem redigit: Dum nostri principes inter se dissident depraedantur, 
digladiantur et armis saeviunt: Dum praeclare imperii Romani civi- 
tates a Tyrannis misere lacerantur: Dum coenobia manifesfis rapinis 
intereunt, Dum clerus a latronibus pessumdatur: demon ipse bella 
movet etiam inter ipsos ecclesiasticos, inter sacris iniciatos: latrant 
contra se diversorum ordinum fratres in contionibus. Contendunt 
inter se diversa collegia: fratres mendicantes contra rectores et ple- 
banos seculares atque illi contra mendicantes crebras suscitant rixas 
etc.“ Am Schluß: Ex Bononia Kal. Juniis anno christi 1508. 


— 78 — 


4503 an. Weber der Eingangsthür feiner Wohnung fah man 
bald mit goldenen Buchftaben die Infchrift glänzen; Beata 
tranquillitas ?). 


n. 


Aber wie häufig gefchieht es, daß Wünfche gerade da auf 
die größten Schwierigkeiten ftoßen, wo man ſich ihrer Erfüllung 
ficher waͤhnte! | 

Jene „glüdfelige Ruhe”, die fih Mutian von feiner neuen 
Stellung in Gotha für fein wiftenfchaftliches Streben verfprach, 
follte ihm nicht fo bald zu Theil werden. Seine nächſte Um⸗ 
gebung bildeten dort die Canoniker, mit denen ihn fchon feine 
täglihen Amtsverrichtungen in nähere Berührung bringen 
mußten. Nach der Schilderung, die Mutian felbft von ihnen 
gibt, erjcheinen fie größtentheild ald Männer von bereits vor- 
gerüdtem Alter, die ohne höheen Gefichtspunft überall einfeitig 
an dem Herkommen fefthalten, unempfänglich für die neu aufs 
tauchenden wifjenfchaftlichen Ideen, aber nicht fo unempfäng- 
fich für die zeitlichen Vortheile, die ihnen ihre Stellung bot. 
Unter fie trat ver Mann mit feinen idealen Plänen und Ent- 
würfen, der den Ruhm der angefehenften Schulen der neuen 
Richtung in Deutfchland und Italien auf feinem Haupte ver- 
einte und auf Außern Glanz und zeitliche Vortheile verzichtet 
hatte, um in ungeftörter Ruhe feinen Wiſſensdurſt zu befrie- 
digen. Nicht Iange blieb diefer Gegenfag verborgen. Anfangs 
eine räthfelhafte Erfcheinung wurde der neue Canonicus feinen 
altern Amtsbrüdern bald ein Gegenftand des Anftoßes Man 
bemerkte mit Mißfallen, daß er, obgleich dem geiſtlichen Stande 


1) Die Einkünfte jenes Canonicats betrugen nah Coban (Farr. I, 
34 b) kaum 60 @ulden. Jener Infchrift gebenfen Lauze 1. c. p. 121. 
Eoban 1.c. Hutten in einem Briefe an 3. Fuchs bei Münch 1. c. II, 39. 
Es ift nicht mit Gewißheit auszumachen, ob Mutian erſt um diefe Zeit, oder 
fon früher in den geiſtlichen Stand getreten fei. 





— 9 — 


angehörig, ſich ſtets der Darbringung des Meßopfers enthalte, 
man fand ſeine außerordentliche Begeiſterung für die heidni⸗ 
ſchen Sprachen anſtoͤßig. Seinerſeits fühlte auch Mutian ſich 
durch ſeine Umgebung zurückgeſtoßen. Wenig erbaut wurde er 
durch die handwerksmäßige Verrichtung der religiöſen Pflichten, 
wie er fie bei feinen Mitcanonikern wahrnahm, die barbarifche 
Sprache, in der fie verkehrten, verlebte feinen feingebilveten 
Geſchmack. So wurde fon in Kurzem das Berhältnis ein 
gefpanntes; einzelne unangenehme Auftritte fteigerten die Spann» 
ung. Mutian ſah ſich in feinen Hoffnungen auf eine unges 
förte Ruhe volftändig getäufcht. In feiner Seele gewann 
aber jeßt jener bittere Unmuth gegen die Zerftörer feines Gluͤcks 
die Oberhand, der fortan die herrfchenne Stimmung feiner 
Seele bleibt. Bald erfchöpfte er fih in bittern fatirifchen 
Ausfällen gegen feine Umgebung, bald fuchte er in den Auss 
drüden der Entrüftung feinem Unwillen Luft zu machen), 
Jede Aeußerung legt von feiner gereizten Stimmung Zeugniß 
ab. Dann machte er den Verſuch, fih vollſtändig abzufchließen, 
„nur mit den Guten und Gelehrten wolle ex verkehren" *). Er 
verfagte fich jedes Vergnügen, das ihm Anlaß geben fonnte, 
fich feinen Amtsbhrüdern zu nähern. Sein Zwed- wurde auch 
fo nicht erreicht. Sich jelbft und feiner Umgebung verbitterte 
er das Leben. 

Es war ein Glüd für ihn, daß er in bdiefer traurigen 


— 





2) Man vgl. 3.8. Ausdrüde wie folgende: „Dii pecus scablosum in 
tartara detrudant.“ M. B. F. 154 a. ‚‚Ego quoque inter tot belluas 
quasi segnis et stupidus asellus torpeo et vocem latinam doctique 
probos sermones amisi clamando jugiter cum asinis.‘“ Tengel p. 61. 
„Glande vescuntur inventis frugibus“ u. a. 

2) „Nemo enim Mutiano amicus unquam fuit, aut est, aut erit 
nisi qui rectus et integer et doctus. Nam ut libere loqui, libere 
vivere, ingenium apertum habere semper meum fuit: ita nullus un- 
quam favit mihi, nisi cui morum illa simplicitas, fides constantia 
placuisset: ut verum et ratum sit, bonos esse amicos meos, inimicos 
vero non bonos.‘“ ad Urb. Tengel p. 19. 





— 90 — 


Lage in einem benachbarten Klofter einen wohlwollenden Freund 
und Genoffen feiner Gefinnung fand. Heinrich Urbanus, einige 
Sahre jünger ald Mutian ?), hatte dieſen ſchon während feiner 
Studienjahre in Erfurt fennen und ‚Ichägen gelernt. Schon 
damals hatte Gemeinjamfeit der Gefinnung zu einem engeren 
Verhältniffe zwifchen beiden geführt, das aber durch Mutian’s 
Reife nach Italien unterbrochen wurde. Urban trat inzwifchen 
in den Eifterzienferorden und erhielt feinen Aufenthalt in dem 
einige Stunden von Gotha entfernten Klofter Georgenthal, 
Um die in Erfurt empfangenen Keime zu pflegen, ließ er fid 
Bier neben den Pflichten feines Ordens auch das Studium der 
Alten angelegen fein. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach eine 
fürzere oder längere Anwefenheit in Erfurt, wo fein Kloſter 
bebeutende Beſitzungen hatte?), die Stille feines Elöfterlichen 
Aufenthaltes. Obgleich er für feine wiſſenſchaftlichen Neigun- 
gen in dem Klofter Feine Genoſſen fand, fo durfte er ihnen 
boch bei der milden Richtung des Ordens ungehindert nachgehen. 

Indem Mutian mit ihm von Gotha aus das alte Ver 
hältniß erneuerte, fand er einigermaßen Erfah für die Wider 
wärtigfeiten, die ihm feine nächfte Umgebung bereitete. Es war 
fhon eine Erleichterung für ihn, daß er den Summer feiner 
Seele vor einem theilnehmenden Freunde ausfchütten Tonnte, 
An die Klagen über die Verfolgungen und Verpächtigungen, 
die er in Gotha erfahre, fnüpfte er zugleich Betrachtungen über 
den gefunfenen Zuftand der Scholaftif, über die Nothwendigkeit, 
den Zweck und die Bedeutung der neuen Wiffenfchaften ). Er 








ı) Das Geburtsjahr habe ich nicht ermitteln können. Mutian zweifelt 
einmal, ob er oder Urban ber ältere fei. Urban bezog wahrfcheinlih um 
1492 die Univerfität, ald Mutian fchon als Lehrer auftrat; vgl. M. B. 8. 
fol. 189 a. - 

2) Den fogenannten Georgenthaler Hof, defien Verwaltung Urban über: 
tragen ivar. 

2) Die Briefe, welche Mutian damals von Gotha aus an Urban fchrieb, 
gehören zu den merkwürdigſten jener Zeit. In ihnen bat M. auch feine 
eigenthümlichen religiöfen Anfichten niedergelegt, wovon fpäter. 





— 831 — 


hatte ein Herz gefunden, welches empfängli war für feine 
Wuͤnſche und Bedürfniffe. Das Berhältniß, welches fich zwifchen 
beiden Männern bildete, war das innigfte und fchloß felbft die 
Mitiheilung der geheimften Gedanken nicht aus. Sie theilten 
einander ihre Bedenken und Zweifel mit, fie ermahnten fich gegen- 
feitig, in dem Eifer für die neuen Wiffenfchaften nicht zu erfalten. 
Der Verkehr zwifchen beiden wurde noch lebhafter, ale fich ihnen 
noch ein Dritter ald Gefinnungsgenoffe anſchloß. Es war der 
junge Georg Spalatin, den wir bereits an der Seite feines 
Lehrerd Marſchalk auf dem Gebiete der neuen Literatur thätig 
fanden '), ein fanfter, ftiller, anfpruchslofer Juͤngling, nicht fo 
reich an geiftigen Erlebniffen, wie Mutian und Urban, eine 
von jenen befcheidenen Raturen, denen Hingebung an den 
geiftig Lleberlegenen Bedürfniß if. Wohl auf Marichalfs Ver⸗ 
anlafjung gefchah es, daß er ſich Mutian zu nähern fuchte, _ 
der ihn alsbald erfreut als den Dritten in feinen Heinen Bund 
aufnahm 2) und ihm noch im Jahre 1505 eine Anftelung in 
dem Kloſter Georgenthal verfchaffte, wo er auch mit Urban das 
innigfte Verhaͤltniß anfnüpfte. 

Spalatin’d ausgezeichnete Kenntniffe in der griechifchen: 
Literatur theilten den wiffenfchaftlichen Beftrebungen feiner beis 
den Altern Freunde neues Leben mit, In der Zurüdgezogen- 


ı) Geb. um 1482 zu Spelt im Bistyum Eichftädt, feit 1497 in Erfurt, 
wo er dem juugen Humaniſtenkreiſe angehörte; der Abgang feines Lehrers 
Marſchalk fcheint auch ihn auf einige Zeit nah Wittenberg gezogen zu 
haben, 1505 war er Hauslehrer in einer Batrizierfamilie zu Erfurt, noch 
in bemfelbeu Jahre wurbe er Lehrer in dem Klofter Georgenthal. 1507 
Pfarrer zu Hohenfirchen. 

2) Mutian fchreibt über ihn an Urban: „Qui sic implet triumvira- 
tam Amicitiae nostrae ul neque melior neque doctior juvenis facile 
offendatur, etiamsi quaeras.““ Zengel p. 19. — Er fordert Urban auf, 
ſich des Spalatin anzunehmen: „‚Tu infortunati juvenis miserias sustenta, 
ille lautas, luculentas, festivas disciplinas, quas vel summi doctores 
ignorant, tecum ut liber est, libere communaicabit. O lepidum con- 
vivium! o raram sodalitatem!““ Tentzel p. 31. 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 6 


— 80 — 


Lage in einem benachbarten Klofter einen wohlwollenden Freund 
und Genoffen feiner Gefinnung fand. Heinrich Urbanus, einige 
Jahre jünger als Mutian !), hatte diefen ſchon während feiner 
Studienjahre in Erfurt fennen und ſchätzen gelernt. Schon 
damals hatte Gemeinfamkeit der Gefinnung zu einem engeren 
Verhältniffe zwifchen beiden geführt, das aber durch Mutian’s 
Reife nach Italien unterbrochen wurde. Urban trat inzwifchen 
in den Gifterzienferorden und erhielt feinen Aufenthalt in vem 
einige Stunden von Gotha entfernten Klofter Georgenthal. 
Um die in Erfurt empfangenen Keime zu pflegen, ließ er fich 
Bier. neben den Pflichten feines Ordend auch das Studium der 
Alten angelegen fein. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach eine 
fürzere oder längere Anwefenheit in Erfurt, wo fein Klofter 
bedeutende Beſitzungen hatte), die Stille feines Flöfterlichen 
Aufenthaltes. Obgleich er für feine wiffenfchaftlichen Neigun- 
gen-in dem Klofter Feine Genoſſen fand, fo durfte er ihnen: 
Doch bei der milden Richtung des Ordens ungehindert nachgehen. 

Indem Mutian mit ihm von Gotha aus das alte Ver: 
hältniß erneuerte, fand er einigermaßen Erſatz für die Wider: 
wärtigfeiten, die ihm feine nächfte Umgebung bereitete. Es war 
fhon eine Erleichterung für ihn, daß er den Kummer feiner 
Seele vor einem theilnehmenden Freunde ausfchütten konnte. 
An die Klagen über die Verfolgungen und PBerdächtigungen, 
die er in Gotha erfahre, knüpfte er zugleich Betrachtungen über 
den gefunfenen Zuftand der Scholaftif, über die Nothwendigkeit, 
den Zwed und die Bedeutung der neuen Wiffenfchaften). Er 








ı) Das Geburtsjahr habe ich nicht ermitteln können. Mutian zweifelt 
einmal, ob er oder Urban der ältere fei. Urban bezog wahrfcheinlich um 
1492 die Univerfität, als Mutian fchon als Lehrer auftrat; vgl, M. B. F. 
fol. 189 a. - 

2) Den fogenannten Georgenthaler Hof, defien Berwaltung Urban über: 
tragen war. 

2) Die Briefe, welche Mutian damals von Gotha aus an Urban fchrieb, 
gehören zu ben merfwürdigften jener Zeit. In ihnen bat M. auch feine 
eigenthümlichen religiöfen Anfichten niedergelegt, wovon fpäter. 








— 831 — 


hatte ein Herz gefunden, welches empfängli war für feine 
Münfche und Berürfniffe. Das Verhältniß, welches fich zwifchen 
beiven Männern bildete, war das innigfte und fchloß ſelbſt die 
Mittheilung der geheimfien Gedanken nicht aus. Sie theilten 
einander ihre Bedenken und Zweifel mit, fie ermahnten fich gegen- 
feitig, in dem Eifer für die neuen Wiffenfchaften nicht zu erfalten. 
Der Verkehr zwifchen beiden wurde noch Iebhafter, als fich ihnen 
noch ein Dritter als Sefinnungsgenoffe anfchloß. Es war der 
junge Georg Spalatin, den wir bereit8 an der Seite feines 
Lehrers Marſchalk auf dem Gebiete der neuen Literatur thätig 
fanden '), ein fanfter, filler, anfpruchslofer Juͤngling, nicht fo 
reich an geiftigen Erlebniffen, wie Mutian und Urban, eine 
von jenen befcheidenen Naturen, denen Hingebung an ven 
geiftig Lleberlegenen Bedürfniß if. Wohl auf Marfchalfs Ver⸗ 
anlaflung geihah es, daß er ſich Mutian zu nähern fuchte, 
der ihn alsbald erfreut als den Dritten in feinen kleinen Bund 
aufnahm ?) und ihm noch im Jahre 1505 eine Anftellung in 
dem Kloſter Georgenthal verfchaffte, wo er auch mit Urban das 
innigfte Verhältniß anfnüpfte. 

Spalatin’8 ausgezeichnete Senntniffe in der griechifchen- 
Literatur theilten den wifjenfchaftlichen Beftrebungen feiner beis 
den ältern Freunde neues Leben mit, In der Zurüdgezogen- 


ı) Geb. um 1482 zu Spelt im Bistyum Eichftäbt, feit 1497 in Erfurt, 
wo er dem jungen Humaniftenkreife angehörte; der Abgang feines Lehrers 
Marſchalk ſcheint auch ihn auf einige Zeit nach Wittenberg gezogen zu 
haben, 1505 war er Hauslehrer in einer Batrizierfamilie zu Erfurt, noch 
in bemfelben Jahre wurbe er Lehrer in dem Kofler Georgenthal. 1507 
Pfarrer zu Hohenkirchen. 

2) Mutian fchreibt über ihn an Urban: „Qui sic implet triumvira- 
tum amicitiae nostrae ul neque melior neque doctior juvenis facile 
ofendater, etiamsi quaeras.““ Tengel p. 19. — Er fordert Urban auf, 
fich des Spalatin anzunehmen: „Tu infortunati juvenis miserias sustenta, 
ille lautas, luculentas, festivas disciplinas, quas vel summi doctores 
ignorant, tecum ut liber est, libere communicabit. O lepidum con- 
vivium! o raram sodalitatem!““ Tentzel p. 31. 

Kampichulte, Univerfität Erfurt. 6 


— 92 — 


heit des Elöfterlichen Aufenthaltes, inmitten einer Umgebung, 
die ohne Sinn und Berftändniß für ihre Neigungen war, vers 
einten fi nun die drei Männer zu dem Zwed einer gemein 
famen Beförderung der neuen Wiffenfchaften. Nichts veran- 
ſchaulicht uns mehr den .eigenthümlichen Reiz, den damals die 
antifen Studien auf die Gemüther ausübten, als der Eifer, 
welchen Mutian und feine beiden Freunde in der ungimftigften 
Lage für fie bethätigten. Sie entzogen fich das Nothwendigſte, 
um fich mit vieler Mühe die Werke der claffifchen Autoren aus 
den italienischen Preſſen über die Alpen Hinüberzufchaffen. 
Urban trat im Jahre 1505 felbft mit dem gefeierten Aldus in 
Venedig in Verbindung !), durch Hinweifung auf das Gebet, 
mit dem man in ihrem ftillen Kreife ſtets feiner eingedenk fei, 
fuchte er ihn für ihre Wünſche willfähriger zu ſtimmen 2). 
Und wie groß war die Freude, wenn fie nach langem Harren 
endlich der erfehnten Schätze theilhaftig wurden! Mutian 
weinte einmal vor Freude, als er eine neue Sendung feiner 
“lieben Alten empfing. Mit einem wahren Heißhunger gab man 
fih ihrem Studium hin. Was man aus ihnen gelernt hatte, 
wurde bald Gegenftand ihrer gegenfeitigen Mittheilungen, die 
Mutian dazu zu benugen wußte, um anregend und ermunternd 
auf feine jüngern Freunde, die ihn gern als ihren Lehrer und 
Führer anerkannten, zu wirken. Gewöhnlich gefchah Dies in 


ı) Das Datum, welches Tentzel p. 43 für die Briefe Urban’s an Aldus 
gibt, iſt falfch: ſtatt 1510 ift nach Angabe des Driginals 150% zu tefen. 
„Allegamus ad te‘ jagt Urban in dem erften Briefe d. d. 12 Cal Dec. 
„nummos quatuor aAureos, pro quibus Focchariis ad nos dato Etymo- 
logicum magnum et Julium pollucem et si non est nimium opuscula 
Bessarionis, Xenophontis, Hieroclis et epistolas Merulae“ 1. c. Er 
gedenkt in dem Schreiben auch unter vielen Lobfprüchen des Mutian und 
der Anwefenheit des Spalatin. — Zehn Tage fpäter legt er bem Aldus ihre 
Angelegenheit nochmals an’s Herz und. gibt ihm beforgt nochmals ihre 
Adrefie: „Commoramur in regione Thuringiae non procul ab aeraria 
focchariorum“ L c. 

2) Tengel 1. c. p. 43. 





— g3 — 


Briefen, die er von Gotha aus an ſie richtete, manchmal jedoch 
erſchien er perfönlich unter ihnen in Georgenthal, wo die freund⸗ 
lihe Aufnahme, die er fand, ihn für die Leiden feines gothais 
hen Aufenthaltes entfchädigte. Spalatin hing mit der größten 
Liebe an ihm, Nichts hätte er ohne feinen Rath unternommen. 
Urban’ Berehrung für ihn war fo groß, daß Mutian felbft 
ihn aufforderte fich zu mäßigen, um nicht feinen Ordensgenoffen 
Anlaß zur Eiferfucht zu geben. Wie ganz anders erfcheint Bier 
Mutian, als in feiner Umgebung zu Gotha!) Doch auch feinem 
Verkehr mit Urban und Spalatin theilte jenes unfelige Ver⸗ 
hältniß einen düftern Hintergrund mit. Faſt in jedem Briefe 
fommt er auf die Unwiffenheit feiner Mitcanoniker zurüd, auf 
die Anfeindungen, die er der Wiffenfchaft wegen von ihnen 
erfahren müfle. Der Gedanke, daß er und feine beiden Freunde 
mit ihren Beftrebungen in ihrer Umgebung vereinzelt ftänden, 
fehrt überall wieder. „DO Urban”, fchreibt er an Diefen, „unfer 
Weg ift gerade, eng, uneben, hügelig, fleil und befchwerlich, 
entweder rauh durch Dorngeftrüppe oder durch Zelfen verfperrt, 
jo daß wir nur mit großer Mühe und Anftrengung und immer 
in Gefahr zu fallen, vorfchreiten können. Gerade ift unfer 
Weg, weil wir einmüthig Gott allein fuchen und verehren; 
eng, weil Wenige mit uns nach Wiſſenſchaft und fanfteren 
Sitten ftreben; fleil, weil er zum Studium der lateinifchen 
Sprache führt: zu einem wahren geiftigen Gute gelangen We 
nige ohne Anftrengung” 2). Ex vereinigt fich mit feinen Freun- 


2) Das anmuthige Verhältniß wird uns namentlich auch veranſchau⸗ 
licht durch die Titel, die Mutian den beiden Freunden in feinen Briefen 
gibt; einen Brief an Urban beginnt er folgendermaßen; 
Hanc chartam tribuis viro modesto 
Urbano celeri manu viator, 
Qui multum celebrat bonos sodales 
Et prodesse studet latinitati. 

MB. F. fol. 5 a. 

2) Tentzel 1. c. p. 20. 21. 

6* 


— 84 — 


den zum Gebete, daß Gott, trotz der Menge ihrer Gegner, ihrer 
Sache den Sieg verleihen wolle !), aber er bat nicht den Muth, 
feinen Blid hoffnungsvoll in die Zufunft zu richten. 

Hätten auch die Bemühungen diefer Männer nicht die 
Bedeutung gewonnen, welche fie fpäter gewonnen ‚haben, man 
würde doch nicht ohne Theilnahme bei ihnen verweilen. 

Das innige Berhältniß, welches Mutian mit den beiden 
gelehrten Klofterleuten von Georgenthal unterhielt, war indeß 
nicht geeignet, das Mißtrauen, weldhes in feiner Umgebung 
gegen ihn aufgefommen war, zu befeitigen. Abneigung und 
Argwohn gegen ihn wurden nur noch größer. Bald flüfterte 
man fich zu, daß in den geheimen Zufammenfünften jener drei. 
Männer eine unfichliche Gefinnung befördert werde 2). Eines 
Tages, als im Convente das Leben des h. Gregorius vorge- 
lefen wurde, bejchuldigte einer der Anmwefenden Mutian geradezu 
irreligiöfer Grundſätze 3). | 


OL 


Mutian's religiüfe Anfichten haben nicht blos bei feinen 
Amtsbrüdern, fondern auch bei Andern in damaliger und fpäs 
terer Zeit Anſtoß erregt. Ein neuerer Hiftorifer hat verſchie— 
dene feiner Aeußerungen über Religion und Kirche zu einem 
Ganzen zufammengeftellt, das fein Berhältniß zu dem Ehriften- 
thum mindeftend als ein fehr zweifelhaftes erfcheinen läßt *). 





ı) Tengel 1. c. p. 47. „Tu Deum ora, ut negotio, quod molimur, 
aspiret. — Pie Deum precor ut fautores linguae latinae tueatur et 
servet.‘“ ad Urb. 

2) Mutian felbft beklagt fich über folche Verbächtigungen: ‚„‚Urbanus, 
Spalatinus, Mutianus poetae sunt, graece loquuntur, de divinis rebus 
impie sentiunt. Talia jactantur.‘“ ad Urb. Tengel p. 32. 

°) Tentzel p. 38. 

4) Bol. C. Hagen Deutfchlands relig. und liter. Berhältniffe im Zeit: 
alter der Reformation. 1,323 ff. Die dort gegebene Zufammenttellung fönnte 
noch durch einige Stellen aus der Frankf. Sammlung vervollfiändigt wer: 








— 85 — 


Richt zu läugnen iſt, daß wir in feinen Briefen, namentlich 
in jenen, die in die erften Jahre feines gothaifchen Aufenthaltes 
fallen, manche Ausfprüche finden, die und den Blick in ein den 
chriſtlichen Anfchauungen in bedenklichem Grade entfrembetes 
Seelenleben zu eröffnen ſcheinen. Indeß einzelne dergleichen 
Aeußerungen an fich erfchließen nie oder höchft felten das Innere 
eines Menſchen. Rur dann, wenn fie mit Rüdficht auf die 
gefammte geiftige Entwidelung desfelben und die beftimmte Lage, 
in welcher fie gefchahen, betrachtet werben, berechtigen fie und 
zu einem Urtheil. 

Mutian war ein Geift, dem an und für fih die einfeitig 
fprachliche Richtung der neuen Studien nicht genugthat. Das 
harafteriftifche Merkmal der meiften Humaniften, die Eleganz 
der ſprachlichen Darftellung, teitt bei ihm wenig hervor, Er 
verwahrte fich dagegen, wenn man ihn mit Cicero verglich *). 
Dagegen nannte er fich felbft mit Vorliebe einen Philoſophen 
und hörte ed gern, wenn Anvere ihn fo nannten?), Wie dies 
im Allgemeinen für feine Richtung bezeichnend ift, fo beftimmt 
er dieſe felbft noch näher dadurch, daß er ſich gewöhnlich einen 
chriſtlichen Philoſophen nennt. Ein eigenthümlich religiöfer Zug 


— — — — 


den, obgleich Tentzel bei ſeiner Auswahl dieſer Seite beſonders ſeine Auf⸗ 
merkſamkeit zugewendet hat. 

1) Dal. M. B. F. fol. 114 b. — Camerarius bemerkt mit Recht über 
feinen Stil, er habe geſchrieben: „Animo magis intento sententiis cum 
gravibus tum jocosis breviter concinnandis, quam cogitatis dilucide 
et copiose explicandis. Concessa etiam sibi licentia vel derivando 
vel duplicando vel quocunque alio modo non usurpata ab auctoribus 
Latinitatis effingendi vocabula.‘“ Vergl. Libellus novus Epistolas et 
alia quaedam monumenta doctorum superioris et hujus aetatis conı- 
plectens Joach. Camerarii Pabeperg. Lips. 1568. 8° E. 8a. 

2) Sehr bezeichnend für ihn iſt der wenn auch feherzhafte Entwurf einer 
Gintichtung der Univerfitäten, welcher fich in einem Briefe an Urban findet: 
„Weren genug in der aroßen Schule ein Sophift, zwene Mathematici, drey 
Theologi, IIII Juriften, V Medici, VI Oratores, VII Hebrei, IIX Graeci 
IX Grammatici, X rechifinnige Philosophi tamquam praesides et prin- 
cipes totius rei literariae‘“ Tengel 16%. 


— 86 — 


ift in feinem Charakter vorherrfchenn. Neben den humaniſti⸗ 
ſchen Studien befchäftigten ihn fortwährend die Lehren des chriſt⸗ 
lihen Glaubend. Er äußerte ſich mißbilligend über das Benehmen 
der Moeten, die fich einfeitig dem Dienfte des neuen Sprachen⸗ 
ftudiumsd widmeten. „Zwei Heilmittel“, fchreibt er an Mufardug, 
der ihn um Rath gefragt hatte, „empfehle ih Dir, das evan- 
gelifche und das poetifche ’).” Er jcheint oft geneigt, den neu 
erwedten fprachlichen Studien nur infofern Werth beizulegen, 
als fie dad Studium der Theologie befördern. 

Das aber erficht man fehr bald, daß feine Theologie nicht 
die der Schulen ift. 

Ueberblidt man den frühern Bildungsgang Mutian’s, fo 
findet man, daß fih Vieles vereinte, um ihn auf die Bahnen 
der theologifchen Oppoſition zu führen. Als Zögling der Uni- 
yerfität Erfurt war er von vornherein in den Geift einer freieren 
Theologie eingeführt, er theilte die Sympathien jener Schule für 
ihren ehemaligen Lehrer Johann von Wejel?). Dann erfcheint 
er in Italien in innigem Verkehr mit jenen kirchlich Mißver- 
gnügten, die fih in wehmüthigen Klagen über die traurigen 
Zuftände der Kirche ergehen. Noch wichtiger wurde für ihn 
fein Verhältniß zu den italienifchen Humaniftenfreifen. Es ift 
unverkennbar, daß die dort in Umlauf gefehten neuen philofo- 
phifchen Ideen einen tiefern Einfluß auf ihn ausgeübt haben 3). 


!) „Duo nunc remedia proponimus alterum evangelicum alterum 
poeticum‘ ad Mus. M. 3. %. fol. 156 a. Aehnlich fchreibt er ihm in 
einem andern Briefe: „Arbitraris enim, ut neminem ornate loqui posse, 
ni qui latine sciat, ita infantem atque insulsum in Theologia futurum, 
nisi qui literas, quas seculares vocant praegustaverit. Ego etsi non 
refragor huic opinioni tamen illud addendum existimo, copulandum 
‚utrumque studiorum genus, ne dum alterum latus protegas, vulnere- 
:ris in altero.‘“ Tentzel l. c. p. 134. 

2) Tengel 1. c. p. 93. 

2) Seine Miitcanoniker bezeichnen ihn wegen feiner religiöfen Anſich⸗ 
:ten als einen Italiener. M. B. F. fol. 154a. Seine Anfichten find oft 
geradezu Picus, Ficinus u. A der italienifchen Schule entlehnt. 


_ 897 — 


Die Anregung, welche er von ihnen empfing, entfernte ihn 
noch weiter von den theologiichen Syftemen der Schule, ohne 
jedoch feinen eigenen religiofen Anfichten Klarheit und Sicher: 
heit zu verleihen. Aber Mutian befaß Opferfähigfeit genug, 
um fih duch Verzichtleiftung auf den Glanz Außerer Ehren 
die Ruhe zu erfaufen, deren er bedurfte, um das, was erft 
bunfele Ahnung war, auf dem Wege ernften Rachvenfens in 
klaren Begriff umzugeftalten ’). Da mußte es ihm begegnen, 
daß er gerade dort, wo er feinen Plan zur Ausführung zu 
bringen gedachte, in einen Kreis von Männern geführt wurde, 
die, ohne höhern Geſichtspunkt der herfömmlichen ſcholaſtiſchen 
Borftelungsmweife zugethan und ohne Begriff und Bepürfniß 
von dem, was Mutian’8 Seele bewegte, ihn fofort mit Miß⸗ 
trauen, bald.entfchieden feindfelig behandelten. Indem er aber 
fo an der Schwelle in feinen idealen Beftrebungen geftört wurde, 
erwachte in ihm die Leidenfchaft gegen feine Widerfacher und das 
Syftem, welches fie vertraten. Der Gedanke des Gegenfabes 
gegen feine Umgebung wurde der leitende feiner Seele. 

In diefer Lage geſchah es, daß er fich zu jenen merfwürs 
digen Aeußerungen über Religion und Kirche fortreißen ließ. 
Eie find eben als die verwegenften Angriffe zu betrachten, die 
er in feinem unausgefebten Kampfe gegen feine Umgebung 
unternahm. Sie haben bald die Form von bittern ſatiriſchen 
Ausfällen, bald find fie in das Gewand einer ernften philofo- 
phiichen Betrachtungsweiſe eingefleidet. Allen fieht man bie 
gereizte Stimmung an, in der fie vorgebracht wurden. Manche 
knüpfen geradezu an einen Vorfall an, der fo eben wieder feiner 
Erbitterung gegen feine Amtsbrüder neue Nahrung gegeben hat. 


1) Er felbft fagt kurz nad feiner Ankunft in Gotha von feinen wiflen- 
fhaftlichen Beitrebungen: „De deo sauctisque viris et de cognitione 
totius antiquitatis nostrum est studium.‘ Tengel p. 18 ad Urb. In 
demielben Briefe heißt es: „Mea siquidem vita in pietatis et doctrina- 
rum otio conquiesecit.‘ 


— 88 — 


Die Unwürdigkeit des perſoͤnlichen Wandels ſeiner geiſtlichen 
Collegen iſt ihm ein Beweis für die Unwahrheit ihrer Religion. 
„Wer möchte es glauben“, ſchreibt er an Urban, „daß ſolche 
Priefter int Bells der wahren Religion feien.” Ihrer außer- 
lichen exchufiven Auffaffung des Chriftenthums gegenüber gibt 
er demfelben die univerfellfte Bedeutung ohne alle zeitliche und 
örtliche Beichränfung ?). Er liebt es, fih antifer Tugend 
beifpiele zu bedienen, zieht Heidnifche Denker chriftlichen Theo⸗ 
logen vor, er glaubt dem h. Benedictus eine Ehre zu erweifen, 
wenn er ihn einen Pythagorus nennt; überhaupt hebt er das 
Gute, welches er in andern Religionen vorfindet, mit Vorliebe 
hervor und findet namentlih an herrlichen Ausſprüchen des 
Koran Gefallen 2). Machten ihm feine Mitcanoniker die Vers 
‚nadhläffigung des Meßopfers zum Vorwurf, fo hebt er hervor, 
wie wenig auf die blos Außerliche Darbringung desfelben an- 
fomme. Er ftellt den geiftigen Genuß über den leiblichen, oder 
vielmehr er laßt jenen allein gelten, denn das Reich Gottes 
fei nicht Speife und Trank; er redet einem ftarf fpheitualifirten 
Chriſtenthum das Wort, der geiftige Ehriftus. fteht ihm höher, 
als der leibliche ?). Gegenüber der ängftlichen Beobachtung der 
religiöfen Geremonien, welche er in feiner Umgebung wahrnimmt, 
betont er den Glauben, außer dem Alles Sünde fei, oder ex 
dringt auf Erfüllung des einfachen Sittengefeges, Gott zu lieben 
und den Nächften *). Letzteres ſei die Hauptfache, dazu nuͤtzten 


1) 3. 3. in einem Briefe an Urban und Spalatin bei Tengel p. 37: 
„Non incepit Christi religio cum illius incarnatione sed fuit ante 
omnia secula, ut prima Christi nativitas, Quid enim aliud est verus 
Christus, verus Dei filius, quam, ut Paulus inquit, sapientia Dei, quae 
non solum affuit Judaeis in angusta Syriae regione, sed Graecis et 
Italis et Germanis, quamquam vario ritu religionis observarentur. add 

2) Bol. Tengel 1. c. p. 60. 85. 114. 850. 

3) Tentzel p. 20. 58: „Verus Christus animus est et spiritus, qui 
neque comprehendi neque manibus tractari neque videri potest.f“ 

4) Tengel p. 106. 57. 


— 89 — 


weder Ceremoniendienſt, noch ſcholaſtiſche Spitzfindigkeiten 1). 
Leichtſinnig äͤußert er ſich über einzelne kirchliche Inſtitute, über 
das Faſten, durch das man Thiere, nicht Menſchen baͤndige, 
über die Beichte und den Charakter der Priefter?). Auch über 
einzelne Erzählungen des alten Teſtaments ſpricht er fich in 
einer Weife aus, die wenigftens feiner Umgebung fehr anftößig 
erfheinen mußte >). 

Wie wenig indeß folche meift in den Augenbliden leiden- 
ſchaftlicher Erregtheit hingeworfene, fich theilmelfe widerfprechenve 
Aeußerungen als Ausdrud feiner inneren Ueberzeugung und der 
herrſchenden religiöfen Denkungsart Mutian's zu betrachten find, 
zeigt fich fehr bald. Er ſelbſt ſagt, daß er ſich „durch foldye 
Scherze nur gegen die Angriffe feiner Gegner ſchuͤtze ).“ Er 
fucht ihre Verbreitung in weitern Kreifen zu verhindern, aud) 
fordert er wohl feine Freunde auf, Briefe von ihm, in denen 
folhe Aeußerungen vorfamen, zu vernichten 5), nur zur Befrie- 
digung feiner Laune feien fie gefchrieben *), Er ſelbſt trägt 
fein Bedenken, fie als heidniſch und irreligios zu bezeichnen, 


ı) „Quid ista disserendi subtilitas ad vitam moresque facit? 
Conducit, ajunt, religioni Christianae. Non est ita, obest magis.‘“ 
Tentzel p. 21. 

2) Weber das Faften fpricht er fich am frivolften aus in einem Briefe 
an Petrejus 1. c. 238, über den Prieftercharafter in folgender Gtelle: 
„Accepimus de pectore Serapidis magicum characterem, eui Jesus 
Galilaeus auctoritatem dedit; illa figura fugamus hostes, allicimus 
numos, Deum Consecramus, tartara concutimus et facimus mirabilia 
sive coelestes sive scelestes, nihil ad rem dummodo simus beati 
Jovis epulones. «“ 1. c. 106. 

2) Bol. Tenbel p. 18. 63. 

4) Tenpel p. 61. 

6) 3.38. ad Herebordum: „Tu literas meas conoerpe si me amas. 
Nisi ita feceris, nen audebo cavillari, ut soleo.‘‘ Tentzel p. 104. 

6) So fagt er einmal über das Faflen: ‚„‚Pertinet enim haec sobrietas 
ad morum regulam et ad salutis rationem‘‘ und fährt dann fort: „Ego 
ut paulisper inter seria jocer, dico causam jejunandi avaritiam esse.‘‘ 
Tengel p.46 Stellen wie die oben berührten beginnen oft mit den Worten: 
„Ego ut tecum meo more jocer‘ u. dal. 


— 90 — 


und bittet wegen ihrer ſeine Freunde um Verzeihung. Und 
welches Vertrauen er ſelbſt in ſeine philoſophiſchen Argumente 
ſetzt, mit denen er mitunter uͤbermüthig um ſich wirft, ſieht 
man am beften, wenn er einmal bei einer folchen Gelegenheit 
den Weg, den er wandele, ald einen gottlojen darftellt und 
fchließlich e6 vorzieht, zur Verrichtung der Andachtsübungen, 
die ihm fein Stand auferlegt, überzugehen !). Eben die Haltung, 
die er in feinem perfönlicden Wandel beobachtet, thut auf das 
entfchiedeufte dar, daß ed mit jenen frivolen Ausfällen nicht 
fein völliger Exrnft war. Oft trifft ihn der Bote, wie er mit 
dem Beten ded Breviers beichäftigt ift ?). Er läßt es fich ſehr 
angelegen fein, daß die Seelenmefien für die Verftorbenen feiner 
Familie gehalten werden). Im Jahre 1514 fohreitet er nad 
langem Zögern zur Darbringung des Meßopfers, „da er fich, 
ohne die Pflicht der Frömmigkeit zu verleben, nicht länger von 
Opfer und Altar enthalten fünne *).“ Einige Zeit fpäter finden 
wir ihn eifrig mit dem Studium der heiligen Schriften befchäftigt. 
Er arbeitet an einer Auslegung ded Pfalmiften und feiert ihn 


1) So fat er einmal in einem Briefe an Urban: „Sed ne sanctita- 
tem tuam ab academia porticuque Christiana ad impiam viam, quae 
nos philosophos fatigat seducam cano receptui, teque rogo ut ames 
me amore ill tuo singulari. Ego nunc propter deum ad primarum 
supplicia vado tui memor, tuas ad Christum preces reposcendo.‘“ 
Tengel 58—59. Es ift beachtenswerth, daß diefe Aeußerung eben auf jene 
Stelle folgt, wo er von einem Scheinchriftus fpricht. Bgl. Hagen 1. c. I, 386. 

2) M. B. F. fol. 1392. Tengel p. 181, 167, 221 u. A. 

° Bol, M. B. %. fol. 171a u. 307b. Er verkaufte das von feinem 
Bruder ererbte Haus in Erfurt nur unter der Bedingung „ut fratri Joanni 
Muth olim in aula Moguntina vita defuncto piorum roquien! inter 
sacra precarentur.‘“ 

*) „Neque enim salva pietate diutius ab aris et victimis abstinere 
manus possum; fui spectator potius quam conviva. Visitavi hostiam 
tantum non tractavi ut pepa. Nunc deo meo propitio gustabo partes 
dominicae coenae et pro vivis et defunctis memoriter, ut ft, orabo.““ 
M.B.F%.fol. 184b. Einige Zeit fpäter fpricht er mit der größten Achtung 
von der Meſſe. M. B. 5. fol. 188b. 





— 91 — 


in zierlichen Berfen 1). Er lieſet mit großem Eifer die Werke der 
Kirchenväter. Die Ordensftifter, die hh. Benedict und Bernard, 
verehrt er als die herrlichiten Blüthen des Firchlichen Lebens; 
er will einmal an Baptiſta Mantuanus ſchreiben, damit diejer 
das Andenken des Erfteren durch ein Gedicht verberrliche ?). 
Auch fpricht es fiherlich nicht für Mutian's Untkirchlichkeit, daß 
die Männer, weldhe feined vertrauteften Umganges genoffen, 
einen wahrhaft kirchlich⸗religiöſen Charakter zur Schau tragen. 
Georg Spalatin, der ganz unter Mutian’8 Einfluffe Hand, brachte, 
als er 1509 als Erzieher nach Wittenberg berufen wurde, vor 
feinem Abgange an 30 Tagen das Mebopfer dar, in der Abficht, 
fih den Segen des Himmels zu erfleben ?). Urban, Mutian’s 
innigfter Bertrauter, it Berfaffer einer Schrift, die an die 
glaubige Myſtik der früheren Jahrhunderte erinnert *), Er vers 
faßte fie auf Anregung Mutian’s, der ihn fchon früher aufgefordert 
hatte, dad Leben Chrifti oder des h. Bernard zu befchreiben >). 
Selbft die Sünglinge, deren fih Mutian und Urban zur Ver 
mittelung ihres gegenfeitigen Verkehrs bedienen, erfcheinen in 


1,3 8. „‚Custos pii David gregis 
Psalmos canebat inclytos 
Hebraea gens, quos censuit 
Toto colendos pectore. 
‘Nec errat hac in semita 
Mittunt recepti sub jugum 
Christi colouum simplicem 
Purgantque conscientiam.‘‘ 

Vgl. Libellus novus Epp. etc. G 7a. 

2) Tengel p. 89. Ueber S. Bernard fagt er: „„Bernardus noster vir 
haud dubie primi nominis inter sanctissimos, cujus familia hodie late 
patet celestium contemplatrix. M. 8. F. fol. 48a. 

2) Tenkel p. 180. 

*, Diefes merkwürdige aber fehr teltene Schriftchen führt den Titel: 
M. Maruli Carmen de dactrina domini nostri Jesu Christi pendentis 
in Cruce per modum dialogismi Christi et Christiani.‘‘ 4°. (Exc. per 
Joan Canappum. 1514.) 

>) Bgl. Tengel 96, 33, 35. 


— 92 — 


einem ähnlichen Lichte; auch fie führen einen fehr erbaulichen 
Briefwechfel vorwiegend religiöfen Inhalts ?). 

Beachtenswerth ift, wie die humaniftifchen Schüler Mu- 
tian’8 über ihn geurtheilt Haben. Auf Keinen unter ihnen hat 
er den Eindrud der Irreligiöfttät gemacht, fie alle find einftim- 
mig in dem Lobe feiner Frömmigkeit und firchlichen Gefinnung 
und heben diefe unter feinen Tugenden immer befonders hervor. 
Euricius Cordus fordert jeden auf, der einen „gelehrten, tugend- 
haften, gefälligen, freundlichen Mann, einen Mann ausgezeichnet 
durch Religiöfität” zu fehen wünfche, in die Wohnung des 
frommen Gothaer Canonicus einzutreten?). „Sa fürwahr”, 
fchreibt diefer felbft an feinen Freund Urban, „ich liebe ven 
Glauben der Kirche, angenommen zum Antheil des Herrn“ >), 

Gewiß lebte in Mutian nicht der mit den Lehren ded 
Chriſtenthums zerfallene Geift, der fih in einzelnen feiner 
Aeußerungen zu verrathen ſcheint. Aber daß fein Verhältniß 
zu denfelben nicht immer und überall das einer unbedingten 
Anerkennung und gläubigen Hingabe war, feheint ebenfo gewiß. 
Die innere Ruhe und Befriedigung ded Bewußtfeind, die mit 
leßterer verfnüpft ift, fehlte ihm. Eine Disharmonie, ein Schwan- 
fen zwifchen zwei verfchiedenen Weltanfchauungen war in ihm 
vorhanden, nie hätte ihn fonft der Kampf gegen feine fcholafti- 
fhen Wiverfadher in Gotha zu fo ungemefjfenen Behauptungen 
fortreißen können. Und wie fein erftes ZJufammentreffen mit 
den Anhängern der Scholaftif jeinen innern Zwieſpalt offen 
barte, fo hat eben die Feindfchaft gegen fie denfelben vergrößert 
und feine Ausfühnung um ein Bedeutende erfchwert, Der 
Kampf gegen die Scholaftif Tieß ihn nie zum ruhigen Nach—⸗ 
denfen über fich felbft gelangen. Der Gedanke des Gegenfabed 


1) M. B. F. fol. 24%. Tengel 196. 197. u. a. 

2) Euricii Cordi Opp. 80. Das Itinerarium, in dem dieſe Aeuße⸗ 
rung vorfommt, ift aus dem Jahre 1515. Vergl. auch Eobani Farrago 
I, 86 b. u. a. 

2) Tentzel p. 199. 





— 93 — 


gegen die Schultheologen verfolgt ihn überall. An den Aus⸗ 
drud der Verehrung gegen den h. Benedict knüpft er den bes 
bitterfien Haſſes gegen jene !). In diefer Gemüthsftimmung 
hat er Fein Bedenken getragen, ein Unternehmen zu unterftüßen, 
dad dem verhaßten Feinde den tödtlihen Schlag beibrachte. 
Und erft da, ald der Feind vernichtet war, defien Bekämpfung 
ihn fortwährend in fieberhafter Aufregung erhalten hatte, wurde 
Mutian's Seele ruhiger und milder geftimmt. Da gewann er 
Muße, in fein eigenes Inneres. zurüdzufehren und die Aus- 
föhnung der hier fich befämpfenden Gegenjäße vorzunehmen. 

Und er hat died gethan. 

E8 war am Tage vor feinem Tode, als er nach dem legten 
Kampfe mit fich felbft die Feder ergriff und die Worte nieder- 
ſchrieb: „Diele weiß der Landmann, was der Philofoph nicht 
weiß. Ehriftus aber, unfer Leben, ift für und geftorben. Dies 
glaube ich auf das feftefte” 2). Erſt fpät, am Abende feines 
Lebens, ift Mutian jene „glüdjelige Ruhe” zu Theil geworben. 


. W. 


Während ſich für den neuen Canonicus in Gotha ſelbſt 
die traurigſten Ausſichten eröffneten, geſchah es, daß er in ber 
Gerne die Theilnahme und Anerkennung fand, die ihm feine 
unmittelbare Umgebung verfagte. Nicht fo einfam und unbes 
achtet, wie er in jenem Briefe an Urban klagt, wandelte Mu- 
tian mit feinen beiden ftilen Freunden auf dem fteilen Pfade 
der neuen Wiffenfchaften. 


ı) So fagt er: Legi nuper nudius tertius et heri regulam S. Be- 
nedicti. Quis non rabularum magnifica et insidiosa verba contemneret. 
M. B. F. fol. 308 a. 

2) Bol. den Brief bes Myconius ad Georgium Brunum in Amoeni- 
tates literariae IV, p. 439—30, wo jene Nachricht fich findet: Priori die 
sedens, et nescio quid secum gerens certaminis, arrepto calamo ita 
scripsit: „Multa scit rusticus quae philosophus ignorat: Christus vero 
pro nobis mortuus est, qui est vita nostra: quod certissime credo.‘ 


— 92 — 


einem ähnlichen Lichte; auch fie führen einen fehr erbaulichen 
Briefmechfel vorwiegend religiöfen Inhalts !), 

Beachtenswerth ift, wie die humaniftifhden Schüler Mu- 
tian’8 über ihm geurtheilt Haben. Auf Keinen unter ihnen hat 
er den Eindrud der Srreligiöfttät gemacht, fie alle find einftim- 
mig in dem 2obe feiner Frömmigkeit und Firchlichen Geſinnung 
und heben diefe unter feinen Tugenden immer befonders hervor. 
Euricius Cordus fordert jeden auf, der einen „gelehrten, tugend» 
haften, gefälligen, freundlichen Mann, einen Mann ausgezeichnet 
durch Neligiöfttät" zu fehen twünfche, in die Wohnung des 
frommen Gothaer Canonicus einzutreten?). „Sa fürwahr“, 
fchreibt Ddiefer felbft an feinen Freund Urban, „ich Tiebe ven 
Glauben der Kirche, angenommen zum Antheil des Herrn“ 3). 

Gewiß lebte in Mutian nicht der mit Den Lehren des 
Chriſtenthums zerfallene Geift, der fih in einzelnen feiner 
Aeußerungen zu verrathen fcheint. Aber daß fein Berhältniß 
zu denfelben nicht immer und überall das einer unberingten 
Anerkennung und gläubigen Hingabe war, ſcheint ebenfo gewiß. 
Die innere Ruhe und Befriedigung des Bewußtſeins, die mit 
leterer verfnüpft ift, fehlte ihm. Eine Disharmonie, ein Schwan- 
fen zwifchen zwei verfchiedenen Weltanfchauungen war in ihm 
vorhanden, nie hätte ihn fonft der Kampf gegen feine fcholafti- 
fhen Wiverfacher in Gotha zu fo ungemefienen Behauptungen 
fortreißen fünnen. Und wie fein erftes ZJufammentreffen mit 
den Anhängern der Scholaftif jeinen innern Zmiefpalt offen 
barte, fo hat eben die Feindfchaft gegen ſie denfelben vergrößert 
und feine Ausföhnung um ein Bedeutended erfchwert. Der 
Kampf gegen die Scholaftif ließ ihn nie zum ruhigen Nach 
denfen über fich felbft gelangen. Der Gedanfe des Gegenſatzes 


1) M. B. 5. fol. 24% a. Tengel 196. 197. u. a. 

2) Euricii Cordi Opp. 80. Das Itinerarium, in dem dieſe Aeuße⸗ 
rung vorfommt, ift aus dem Jahre 1515. Bergl. auch Eobani Farrago 
1, 36 b. u. a. 

2) Tengel p. 199. 


— 93 — 


gegen die Schultheologen verfolgt ihn überall. An den Aus— 
drud der Verehrung gegen den 5. Benedict knüpft er den des 
bitterften Haffed gegen jene !). In diejer Gemüthsftimmung 
hat er Fein Bedenken getragen, ein Unternehmen zu unterftügen, 
dad dem verhaßten Feinde den tödtlichen Schlag beibrachte. 
Und erſt da, ald der Feind vernichtet war, deſſen Bekämpfung 
ihn fortwährend in fieberhafter Aufregung erhalten hatte, wurde 
Mutian’d Seele ruhiger und milder geftimmt. Da gewann er 
Muße, in fein eigened Inneres zurüdzufehren und die Aus: 
fhnung der hier fich befämpfenden Gegenfäße vorzunehmen, 

Und er hat dies gethan. 

Es war am Tage vor feinem Tode, als er nach dem legten 
Kampfe mit fich felbft die Feder ergriff und die Worte nieder- 
ſchrieb: „Vieles weiß der Landmann, was der Philofoph nicht 
weiß. Chriſtus aber, unfer Leben, ift für und geftorben. Dies 
glaube ich auf das feftefte” 2). Erſt ſpät, am Abende feines 
Lebens, iſt Mutian jene „glüdfelige Ruhe” zu Theil geworben. 


IV. 


Während fih für den neuen Canonicus in Gotha felbft 
die traurigften Augfichten eröffneten, geſchah es, daß er in ber 
Ferne die Theilnahme und Anerkennung fand, die ihm feine 
unmittelbare Umgebung verfagte. Nicht fo einfam und unbes 
achtet, wie er in jenem Briefe an Urban klagt, wandelte Mu- 
tian mit feinen beiden ftillen Freunden auf dem fteilen Pfade 
der neuen Wiffenfchaften. 


ı) So fagt er: Legi nuper nudius tertius et heri regulam S. Be- 
nedicti. Quis non rabularum magnifica et insidiosa verba contemneret. 
M. B. 5. fol. 308 a. ' 

2) Bol. den Brief des Myconius ad Georgium Brunum in Amoeni- 
tates literariae IV, p. 439—30, wo jene Nachricht fich findet: Priori die 
sedens, et nescio quid secum gerens certaminis, arrepto calamo ita 
scripsit: „Multa soit rusticus quae philosophus igaorat: Christus vero 
pro nobis mortuus est, qui est vita nostra: quod certissime credo.‘ 


— U — 


Reh war er nicht lange Zeit in Getha, als er von dem 
ſachũ ſchen Ehurfürfien Friedrich dem Weiſen die ausgezeichnetiten 
Bewriie der Hulp und Anerfennung empfing und zu demjelben 
im jenes innige und nahe Berbälmis trat, welches ihm bald 
bei allen wichtigen Schritten des Fürfien einen entjcheidenden 
Einfus verlich”). Schon im Jahre 1505 finden wir den 
gelchrten Abı Tritheim in jeiner Rähe. Der bumaniftifch gebil- 
dete Graf Hartmann von Kirchberg, welcher in dem Kloſter 
Fulda lebte, näherte ich ihm um diejelbe Zeit in Briefen, welche 
Die größte Brrehrung für Mutian ausiprechen?). Gleichzeitige 
Briefe des Aldus Manutius und Ulrich Zaſius verfünden 
Mutian's Lob. Letzterer preijet ihn „als den Gelehrteften ver 
Deutſchen, einen zweiten Barro” 2), 

Aber von feiner Seite wurde dem neuen gothaiihen Ca— 
nonicus größere Aufmerfjamfeit bewieien, als von den Gelehrten 
der benachbarten Univerſität Erfurt. Schon ift des nahen Ber: 
hältnifles gevadıt, in dem die beiden Träger ded Humanismus 
dafelbft zu ihm ftanvden, ver ungewöhnlichen Ehrfurcht, welche 
fie für ihn an ven Tag legten*). Ihr Beifpiel fand auch bei 
ſolchen Nachahmung, die nicht jo entfchieden wie fie der neuen 
Richtung huldigten. Als Zögling der Univerfität ftand Mutian 


ur 


*) Val Lib nov. epp. K 5 b. Mut. ad Urb. „‚Mitto etiam Petri 
Ravennatis sermones quos dux inchytus Foedericus mihi transmisit 
eum elegantiasima quam suo tempore videbis epistela, quae referta 
or summae illius humanitatis et praecipui erga me amoris.“ Der 
Brief IM aus 1505, mie bie Erwähnung der clades intestina zeigt. — Reuch⸗ 
lin nannte foäter Mlutian den Hierophantes des Churfürſten. 

3) Schon 1505 überfandte Mutian einen Brief bes Grafen an Urban 
mit den Worten: „‚Üernere licebit, quantus sit Amor erga me diser- 
tiaxlmi comitis Hartmanni Kirchburgii.‘‘ Tengel p. 41. 

*) Ud, Zunil epp, ed. Rieggerus p. 390 ad Thom. Wolphium. 
(1006); val, Lib, mov. epp. KIT a 

2) Diutiam wußte bas Derbienit bes Marfchalt und Maternus zu würs 
Diaen, Bwei Briefe von Ihnen überfandte er (1505) an Urban mit den 
Worten; „No mobliissimus Thurius sun te delectabit elegantia, cui 
Mntarni Pistorionsin opistolam sodalitatis momine comulayi.t* Tentzel #1. 














— 95 — 


ohnehin allen nahe; man erinnerte ſich noch, mit welchem Bei⸗ 
fall er einft in Erfurt gelehrt). Der Zauber, mit dem ihn 
feine italienifche Reife umgab, erhöhte die Theilnahme für ihn. 
Männer wie Georg Eberbach, Goede, Soemmering, Reinbote 
u. A., die uns ſchon als Vertreter jener vermittelnden Richtung 
befannt find, fuchten feine Rähe und Frenndſchaft. Es bilvete 
fih in Kurzem zwifchen Mutian und größtem Theile der Unis 
verfitätsichrer das fchönfte Verhältniß. Wohl fand Mutian 
Manches bei feinen neuen Freunden, was er nicht billigen 
fonnte, aber fie bildeten doch immer einen erfreulichen Gegen⸗ 
jab gegen feine nächfte Umgebung in Gotha; theilten fie auch 
Mutian's wiffenjchaftlihe Anfchauungen nicht, fo waren fie 
doch nicht unempfänglicy für diefelben; fie alle waren einflims 
mig in der Anerkennung feiner feltenen Gelchrfamfeit. So 
lebhaft wurde jenes Berhältnig, daß Mutian, obwohl er fort 
während feinen Wohnſitz in Gotha beibehlelt, Doch wegen des⸗ 
felben als Mitglied der Univerfität betrachtet werden konnte. 

Indeß wichtiger und folgenreidher als dieſe befreundete 
Stellung zu den Lehrern der Univerfität wurde das Verhältniß, 
in das Mutian bald zu der bisher von Maternus geleiteten 
jungen PBoetenfchaar trat. Schon im Yahre 1504 hatte Eoban 
auf feiner Reife nach Erfurt den merfwürbigen Gelehrten in 
Gotha Fennen gelernt. „Du wirft der Ruhm der Dichtfunft 
werden”, verfündete Mutian dem feuerigen Sünglinge Ein 
innigered und dauerndes Berhältniß zwifchen beiden war aber 
damals noch nicht begründet worden. in foldhed bildete ſich 
erſt zwei Sahre fpäter, eben als Maternus fich feinem bisher 
verwalteten Amte nicht mehr gewachfen fühlte und die Blide 
feiner Schüler nach einem Fräftigeren Führer fuchten?). Eoban, 
der ſchon mehrmals den Ton in dem jungen Dichterfreife anges 


ı) Bal. De laudibus Gymnas. lit. Erph. B 1 a. 

2) Der erfle Brief Mutian’s an Eoban, worin fich jenes innige Ber- 
hältnig zu erfennen gibt, ift .d. d. Cal. Octob. 1506. — Lib. nov. epp. 
H6b. 


— 96 — 


geben hatte, wurde auch jetzt durch das Beiſpiel der Annaͤhe⸗ 
rung an Mutian feinen Freunden Anlaß zu demfelben Schritte. 
Die Berfönlichkeit eines Mannes, der nach bewegter, ganı im 
Dienfte der: Wiffenfchaften verlebter Jugend, jest einen Elöfter- 
lihen Aufenthalt in Gotha dem Glanze einer clericalen oder 
politifchen Laufbahn vorzog, nur um. ungeflört feinen wiſſen⸗ 
Ichaftlihen Neigungen nachgehen zu fönnen, übte auf die jugend- 
lichen Gemüther einen eigenthümlichen Reiz aus. Nicht ohne. 
eine gewiffe Schüchternheit fingen nun au Eoban's Freunde 
an, fih dem wunderbaren Manne zu nähern, am frübeften 
Erotus Rubianus, Petrejus und der mit Eoban jehr nahe 
befreundete Herebord von der Marthen !).. Ihnen folgten dann 
die Uebrigen, Geratinus, Heinrich Eberbach, Trebelius, Jonas 
u. |. w., bis ſich nach und nach die ganze erfurtifche Poeten⸗ 
haar um Mutian zufammenfand. Auch der junge Ulrich von 
Hutten trat von Erfurt aus zu diefem in ein näheres Berhälts 
niß, welches innig genug war, um auch noch nach erfolgter 
Trennung auf feine Entfchließungen einzuwirfen ?). Ihn zwar 
trieb fein unruhiger Geift fchon bald wieder aus der Nähe des 
Mannes, dem die „glüdjelige Ruhe” über Alles ging, zu neuen 
poetifchen Abenteuern fort; um fo näher aber fohaarten fich die 
Uebrigen um: denfelben, denn fehr bald wurden fie inne, daß 
fie in ihm gefunden, was fie gefucht, einen Führer und Leiter 
für ihre wiffenfchaftlichen Beftrebungen. 

Jene „Guten”, denen fein Umgang ausfchließlich gewidmet 
fein folte, traten Mutian in diefen offenen, Iernbegierigen 


) Herebord war der. Sohn des mainzifchen Vigedom - Gerlach von der 
Marthen, von gleichem Alter mit Eoban, deſſen vertrauter Freund und groß: 
müthiger Gönner er war. Coban hat fein Gefchlecht in mehreren Gedichten 
verberrlicht. Lib..nov. epp. F 1 b. sqgq. 

2) Ueber fein damaliges Berhältniß zu Mutian fpricht fih Hutten im 
zweiten Buche feiner Klagen aus: 

;„Consulit hunc Crotus doctoremque eligit Hessus 
Non nihil et crebro profuit ille mihi.‘“ 
Opp. Hutt. I, 67. 


— 1 — 


Jünglingen entgegen, und die Infchrift: Bonis cuneta pateant, 
welche er um dieſe Zeit über der Eingangsthür feines Wohn⸗ 
zimmers anbringen ließ, that legteren kund, mit welcher Liebe 
er fich ihrer anzunehmen gedachte ?). 


V. 


Fortan war Mutian's ganze Sorge und Thaͤtigkeit feinen 
jungen erfurtifchen Freunden zugemendet. Einen Augenblid 
dachte er daran, unter ihnen in Erfurt, wo er,ein von feinem 
Bruder ererbted Haus befaß, feinen Wohnftg zu nehmen. Sehr 
bald aber überzeugte er fich, wie wenig dies nothwendig fei. Gern 
unternahmen die eifrigen Sünglinge die Heine Reife von Erfurt 
nah Gotha, um einige Zeit in Mutian’d Nähe zu vermeilen, 
und je mehr fich ihnen feine wahre Gefinnung erſchloß, deſto 
häufiger wurden ihre Beſuche. Allmählig verlor fich bei dieſen 
Zufammenfünften die anfängliche Schüchternheit; Mutian's zu: 
vorfommendes und freundliches Benehmen flößte Vertrauen ein, 
mar fing an, in einem berzlicheren, freieren Tone mit ihm zu 
reden. Theilmeife wurde dieſer Uebergang durch Urban und 
Spalatin vermittelt, die fich ebenfalls um jene Zeit ihren ehma⸗ 
figen erfurtifhen Studiengenofien wieder anfchloffen und letz⸗ 
tere dadurch auch Mutian näher brachten. So hatte fich ſchon 
binnen kurzer Zeit dad Verhäliniß ausgebildet, das zwiſchen 
Mutian und der jungen Dichterichaar eine Reihe von Jahren 
beftehen follte: als Lehrer und Führer einer eifrigen und folg- 
famen Schülerfchaft hatte Mutian einen Wirfungsfreis gefun- 
den, der feinen Bemühungen den wichtigften und glänzendften 
Erfolg verſprach. 

Und nie erfeheint ung Mutian’s Bild anmuthiger und 
anziehender, als in dem Berhältniß zu feinen neuen Schülern. 


ı) Kob. Farr. I, 24 b. Camerar. Narr. de Eob. Lauze's Ghronik 
lc. p. 119. 
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 7 


— 98 — 


So ganz lebt er mit feinen Sünglingen und.für fie, er geht 
auf ihre Vorftelungsweije ein, theilt ihre Wünfche und Ans 
Hiegen, ihre Wohlergehen ift feine einzige und größte Freude. 
„So fehr bin ich meinen Freunden zugethan”, fchreibt er an 
Herebord, „daß ich mich in den Himmel verfegt glaube, fo oft 
id) eine günftige Nachricht von Euch erhalte” ?). Er hatte fi 
in Kurzem von den Anlagen, Fähigkeiten und Bevürfniſſen 
eines jeden überzeugt. Darauf berechnete er feine Anweijungen. 
Eoban, in dem er fofort den geborenen Dichter erkennt, macht 
er auf die Hoheit feines Berufes aufmerffam. Er warnt ihn 
vor Abmwegen, „Gott zieht den einen auf diefe, den andern 
anf jene Weiſe“, fchreibt er ihm ſchon im Herbft 1506, „Dich 
aber trägt er durch heilige Gedichte in die Höhe, wie die “Bro: 
pheten und Sibyllen. Bewahre deshalb das Dir von dem 
Herrn anvertraute Talent” 2). Er ermahnt ihn, durch einen 
züchtigen und ehrbaren Wandel feinem ‚wichtigen Berufe Ehre 
zu machen und dadurch den Gegnern der Dichtkunft allen Grund 
zu Klagen zu benehmen?). Die Hauptjache ift aber immer, 
daß er ihn auf das. unübertrefflihe Mufter der Alten hinweifet. 
Er fordert, daß er ihren Werken ein ernftliheres Studium 
widme als bisher, denn es fei nicht genug, fie einmal gelefen 
zu haben, und in dem eigenen Gedichte hier und da ihre jier- 
lihe Ausdrucksweiſe nachzuahmen, nicht blos die Formen, ſon⸗ 
dern auch den Inhalt, die Anfchauungsweife der Alten müffe 
er fih zu eigen machen, um gegründeten Anfpruch auf den 


1) M. DB. F. fol. 106 a. 
2) Lib. nov. epp. H 6 a. 

3) „Etenim ut muitiscium ita probum atque modestum esse decet 
pium Poetam. Alioquin opici Momi habebunt nos ludibrio in audito- 
rum examine coetuque doctorum vexahbunt tamquam ridicalos et nota 
dignos cenforia. Nam divinum Poetae nomen, nescio quibus Caco- 
daemonum aspirationibus, invidiosum esse coepit. Quid fiet si ama- 
tores antiquitatis a via virtutum aberraverint? Plus nimirum exemplo, 
quam peccato nocebunt.“ Lib. nov. epp. H4b—5a. 





— 9 — 


Namen eined Dichters zu haben !). — Um den lernbegierigen, 
firebfamen Petrejus, von dem er fich jofort viel verſprach, bei 
feinem Eifer zu erhalten, hält er Robfprüche für hinreichend; 
er nennt ihn „den zweiten Mutian”, „ven Feldherrn der latei- 
nischen Abtheilung“ 2). — Mehr Sorge machte ihm Herebord, der 
fich, feiner eigenen Neigung und dem Wunfche der Seinigen 
folgend, für das Studium der Rechtswiffenfchaft entjchieden hatte. 
Hort und fort ermahnt er dieſen, fich bei feinen juriftifchen 
Studien nicht auf die herfümmlichen barbarifchen Lehrbücher zu 
beſchraͤnken 2); gründliche Rechtskenntniß fei ohne eifriges Stu- 
dium der Alten unmöglich, da erſt dieſes zu den eigentlichen 
Quellen des Rechts führe, denn wie die chriftliche Kirche aus 
dem Judenthume hervorgegangen fei, fo, behauptete er, babe 
das gegenwärtige Recht in dem claffifchen Alterthume und 
namentlich in der folonifehen Berfaffung feine Wurzel). Da- 
neben ermahnt er ihn, ebenfalls im Anfchluß an die Alten fich 
einer reinern und edlern Sprache zu befleißigen, nur dadurch 
fihere fih der NRechtögelehrte den Erfolg®). Bejonderes Ber- 
trauen ſchenkte Mutian dem Erotus Rubianus. Diefem eifrigen 


ı) 3.2. Lib, nov. epp. H 4 b. „Quo magis mi adolescens gau- 
dere debes meo judicio dareque operam, ut utriusque linguae prae- 
stantissimes auctores varia tibi multiplicique lectione vel digitis tuis 
notiores efficias: Neque enim concludere versum dixeris esse satis, 
ut inquit Horatius. Est operae pretium tractare totam encyclopae- 
diam, nosse praecipue veterum probatas historias etc.‘ 

2) „Latinae elassi«e imperatorem.“ DM. DB. 5. si6 a. 

8) Lib. nov. epp. K5a. Mut. ad Hereb. ‚‚Constitui dare prae- 
scripta tanquam normam optimi tyrocinii, ut positn barba sumtaque 
virili toga non cum imperitis leguleis sacratiss. jus adeas, sed ingenua 
et prisca doctrina duee juris tam civilis quam pontificii consultissimus 
atque utilis et elarus patriae civis creari et institui possis.‘* 

*) Mut. ad Hereb.: „Nam ut ecclesiastica secta, cui nos omnes 
addicti sumus, propagatur ex matre synagoga ita civile jus et ur- 
banae leges peregrinam habent radicem, Athenis olim Solonis sapi- 
entia corroboratam ° M. B. %. 321 b. 

5) Mut. ad Hereb. M. B. F. 184 a. 

70 


— 10 — 


Sünglinge, der al8 der ältefte bei feinen Genofien fchon in 
einigem Anjehen ftand, übertrug er wohl das Amt, ihn in Erfurt 
zu vertreten ?). 

Neben Urban und Spalatin waren ed eben die vier Ges 
nannten, die Mutian vorzugsweife in feine Nähe 309. Indeß 
beichränfte fich feine Wirkfamkeit nicht auf fie Er wurde der 
Lebensathem für den ganzen Kreis. UWeberall erfcheint er anre- 
gend und ermunternd. Den noch Unerfahrenen führt er ein 
in den Geiſt ver claffifhen Studien, den bereits Eingeweihten 
fördert er weiter. Recht eigentlich veranfchaulichen und Die Briefe, 
welche er an die Einzelnen richtet, feinen Lehreifer. Allents 
halben ſchaltet er grammaticalifche, antiquarifche, auch wohl 
philofophifhe Bemerkungen ein. Man fieht, das Unterweifen, 
Belehren ift ihm Bebürfniß 2). Nie fehlt es ibm an Anlaß, 
auf den Gegenftand zu fommen, der fein Herz erfüllt. Er gibt 
den Einzelnen Aufgaben zur Ausarbeitung und hilft nad), wo 
es nothwendig ift; er ordnet an, in welcher Weife Eoban ein 
Gedicht umändern, wen er es widmen fol, Selbft die unbe 
deutenvften Kleinigkeiten entgehen feiner Aufmerkſamkeit nicht. 
Man findet wohl, daß er geringfügige Verftöße gegen die Or- 
thographie, die er in den Briefen feiner Schüler bemerkte, ver: 
beffert, oder daß er auf die richtige Accentuation lateinifcher 
Worte aufmerffam macht ?). 


I) Vgl. 3.2. Lib. nov.epp. J 4a, wo Mutian den Coban auf Erotus 
als auf feinen Stellvertreter hinweifet: Vigilat Crotus et hoc tibi satis, 
außerdem die Briefe Mutian’s an Grotus felbfi (Lib. nov. H6a u. Kib). 
Uebrigend nahm Erotus erft um diefe Zeit, wie es fcheint unter Mutian’e 
Einwirkung, diefen Namen an, wie auch fein Eintritt in den geifklichen 
Stand in diefe Zeit zu fallen fcheint. 

2) Es charakterifirt den Briefwechfel, den er mit feinen ; jungen Freun⸗ 
den führte, jehr gut, wenn er in einem Briefe an Herebord nach der Mit: 
theilung, daß er fo eben eine neue Sendung claffifcher Werke empfangen 
und dabei vor Freude geweint habe, einen langen, aus den alten Schrift- 
ftellern geführten Beweis folgen läßt, daß man auch vor Freude weinen 
könne. Lib. nov. epp. K 4 a 

2) Pol. Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum 








— 101 — 


Irrig würde es indeß fein, aus Letzterem zu fchließen, daß 
er bei feiner Lehrthaͤtigkeit vorzugsweiſe ver fprachlichen Seite 
der neuen Studien feine Aufmerkſamkeit zugewendet habe. Wir 
fahen bereite, wie wenig jene einfeitig formelle Richtung der 
meiften Poeten feinen Anfichten entſprach. So ift er auch im 
Kreife jeinee Schüler bemüht, diefen begreiflich zu machen, wie 
wenig durch eine blos Außerliche, geiftlofe Nachahmung der 
alten Schriftfteller erreicht werde, wie thöricht jened Haſchen 
nach halbverftandenen claffifchen Yormen und Bildern fe. Er 
entwöhnte fie allmählig jener oberflächlichen Betrachtungsweiſe, 
indem er fie dazu anleitete, die Werke der Alten unter einem 
höheren Gefichtspunfte zu fludiren ’). Und fo mild und nad» 
fihtig er fonft war, fo unerbittlich fireng zeigte er fich, wenn 
er, trob feiner vielen Ermahnungen, dennoch in feiner Umge⸗ 
bung Spuren jener plagiarifch-poetifchen Richtung wahrnahm ?). 


quorundam virorum auctoritate, virtute, sapientia doctrinaque excel- 
lentium. Kditus a. J. Camerariu Pabeperg. Lips. 1561. 8%. D6b. 
Lib. nov. epp. I 6 a. Tentelp. 65. M. B. %. fol. 151 a. 

ı) So fchreibt er an einen der jungen Dichter: „„Exgo son in offlcio- 
sum Aristarchum, pro benevolentia, qua te prosequor (egi) jussique 
ut lectionibus magis quam stylo vacares. — Crebro legendum esse 
praecipio, non tamen id solum et semper agendum. Stylus interim 
lectivni succedat.‘‘“ Tert. lib. epp. D 6 a. 

2) Er bezeichnet Boeten wegen ihrer fflavifchen Nachahmung der Alien 
wohl geradezu als Blagiatoren, z. B. in einem Briefe an Urban und Spas 
latin. „Quid dicam de peetis ineptis! tres ad me veniunt, quis eorum 
vaniloquentior sit, verbis exprimere ncqueo. Unus pestilens fur est 
et plagiarius Ovidii, sccundus barbarus blaterator, tertius ita hebetis 
animi homuneio, ut quid dicat neme praeter se ipsum iutelligat; ponit 
in fronte libri quatuor male literatos et ridieulos versus quos equi- 
dem luminis egere censeo. Omnes isti cacozeli sunt et quasi hiru- 
dines sugentes malum sanguinem, bonum in poelis relinguunt. Le- 
gerunt puto et thesaurum invenerunt, prorsus illepidi rudes 
doquaces.‘“ Teutzel p. 38. Zur Begrändung feines harten Urteils über 
einen folchen dichterifchen Berfuch fagt er ein anderes Mal: „„Neque enim 
ingenii est aut literaturae sic aliena compilare, sive illis a quibus 
sumseris accepta referas, sive tui juris esse atque inventi velis, 


— 9 — 


einem ähnlichen Lichte; auch fie führen einen fehr erbaulichen 
Briefwechfel vorwiegend religiöfen Inhalts 1). 

Beachtenswerth ift, wie die bumaniftiihen Schüler Mu- 
tian’s über ihn geurtheilt haben. Auf Keinen unter ihnen hat 
er den Eindrud der Irreligiöfttät gemacht, fie alle find einftim- 
mig in dem Lobe feiner Frömmigkeit und Firchlichen Gefinnung 
und heben diefe unter feinen Tugenden immer befonders hervor. 
Euricius Cordus fordert jeden auf, der einen „gelehrten, tugends 
haften, gefälligen, freundlichen Mann, einen Mann ausgezeichnet 
durch Religioͤſität“ zu fehen wünfche, in die Wohnung des 
frommen Gothaer Canonicus einzutreten?). „Sa fürwahr“, 
ſchreibt diefer felbft an feinen Freund Urban, „ich liebe ven 
Glauben der Kirche, angenommen zum Antheil des Herrn“ 3). 

Gewiß lebte in Mutian nicht der mit den Lehren des 
Chriſtenthums zerfallene Geift, der ſich in einzelnen feiner 
Aeußerungen zu verrathen fcheint. Aber daß fein Berhältnig 
zu denfelben nicht immer und überall das einer unbedingten 
Anerkennung und gläubigen Hingabe war, feheint ebenfo gewiß. 
Die innere Ruhe und Befriedigung des Bemwußtfeins, die mit 
legterer verfnüpft ift, fehlte ihm. Eine Disharmonie, ein Schwan- 
fen zwifchen zwei verfehiedenen Weltanfhauungen war in ihm 
vorhanden, nie hätte ihn fonft der Kampf gegen feine ſcholaſti⸗ 
fhen Widerfacher in Gotha zu fo ungemefienen Behauptungen 
fortreißen können. Und wie fein erſtes ZJufammentreffen mit 
den Anhängern der Scholaftif jeinen inneren Zwiefpalt offen- 
barte, jo hat eben die Feindfchaft gegen fie denfelben vergrößert 
und feine Ausfühnung um ein Bedeutendes erfchwert. Der 
Kampf gegen die Scholaftif Tieß ihn nie zum ruhigen Nach 
denken über fich jelbft gelangen. Der Gedanke des Gegenſatzes 


1) M. B. F. fol. 242 a. Tengel 196. 197. u. a. 

2) Euricii Cordi Opp. 80. Das Itinerarium, in dem dieſe Aeuße⸗ 
rung vorfommt, ift aus dem Jahre 1515. Vergl. auch Eobani Farrago 
I, 26 b. u. a. 

2) Tentzel p. 199. 


— 93 _ 


gegen die Schultheologen verfolgt ihn überall. An den Aus- 
drud der Verehrung gegen den h. Benedict knüpft er den des 
bitterfien Hafled gegen jene !). In diejer Gemüthsftimmung 
hat er Fein Bedenken getragen, ein Unternehmen zu unterftüßen, 
das dem verhaßten Feinde den tödtlihen Schlag beibrachte. 
Und erft da, als der Feind vernichtet war, defien Bekämpfung 
ihn fortwährend in fieberhafter Aufregung erhalten hatte, wurde 
Mutian’d Seele ruhiger und milder geſtimmt. Da gewann er 
Muße, in fein eigenes Inneres. zurüdzufehren und die Auss 
föhnung der hier fih befämpfenden Gegenfäge vorzunehmen. 

Und er hat dies gethan. 

Es war am Tage vor feinem Tode, als er nach dem legten 
Kampfe mit fich felbft die Feder ergriff und die Worte nieder- 
fchrieb: „Vieles weiß der Landmann, was der Philofoph nicht 
weiß. Chriftus aber, unfer Leben, ift für uns geftorben. Dies 
glaube ich auf das feftefte” 2). Erſt ſpät, am Abende feines 
Lebens, ift Mutian jene „glüdfelige Ruhe” zu Theil geworden. 


IV. 


Während fih für den neuen Ganonicus in Gotha jelbft 
die traurigften Ausfichten eröffneten, geſchah ed, daß er in der 
Ferne die Theilnahme und Anerkennung fand, die ihm feine 
unmittelbare Umgebung verfagte. Nicht fo einfam und unbes 
achtet, wie ex in jenem Briefe an Urban Flagt, wandelte Mu- 
tian mit feinen beiden ftilen Freunden auf dem fteilen Pfade 
der neuen Wiffenfchaften. 


1) So fagt er: Legi nuper nudius tertius et heri regulam S. Be- 
nedicti. Quis non rabularum magnifica et insidiosa verba contemneret. 
M. B. 5. fol. 308 a. | 

2) Vgl. den Brief de8 Myconius ad Georgium Brunum in Amoeni- 
tates literariae IV, p. 48930, wo jene Nachricht fich findet: Priori die 
sedens, et nescio quid secum gerens certaminis, arrepto calamo ita 
scripsit: „Multa scit rusticus quae philosophus ignorat: Christus vero 
pro nobis mortuus est, qui est vita nostra: quod certissime credo.‘“ 


— 14 — 


Noch war er nicht lange Zeit in Gotha, als ex von Dem 
ſaͤchſiſchen Churfürften Friedrich dem Weiſen die ausgezeichnetften 
Deweife der Huld und Anerfennung empfing und zu demfelben 
in jenes innige und nahe Berhältniß trat, welches ihm bald 
bei allen wichtigen Schritten des Fürften einen entſcheidenden 
Einfluß verlieh). Schon im Jahre 1505 finden wir Den 
gelehrten Abt Tritheim in feiner Nähe. Der humaniftifch gebil- 
dete Graf Hartmann von Kirchberg, welcher in dem Klofter 
Fulda lebte, näherte fich ihm um diefelbe Zeit in Briefen, welche 
die größte Berehrung für Mutian ausfprechen 2). @leichzeitige 
Briefe des Aldus Manutius und AUlrich Zaſius verkünden 
Mutian’s Lob. Lebterer preifet ihn „als den Gelehrteften der 
Deutfchen, einen zweiten Varro“ 3). 

Aber von feiner Seite wurde dem neuen gothalfchen Ca⸗ 
nonicus größere Aufmerkſamkeit bewiefen, als von den Gelehrten 
der benachbarten Univerfität Erfurt. Schon ift des nahen Ver⸗ 
hältniffes gedacht, in dem die beiden Träger des Humanismus 
dafelbft zu ihm flanden, der ungewöhnlichen Ehrfurcht, welche 
fie für ihn an den Tag legten*). Ihr Beifpiel fand auch bei 
folhen Nachahmung, die nicht jo entfchieden wie fie der neuen 
Richtung huldigten. Als Zögling der Univerfität ftand Mutian 


ı) Bol. Lib nov. epp. K 5 b. Mut. ad Urb. „Mitto etiam Petri 
Ravennatis sermones ques dux inclytus Foedericus mihi transmisit 
cum elegantissima quam suo tempore videbis epistola, quae referta 
est summae illius humanitatis et praecipui erga me amoris.‘“ Der 
Brief ift aus 1505, wie die Erwähnung der clades intestina zeigt. — Reuch⸗ 
lin nannte fpäter Mutian den Hierophantes des Churfürſten. 

2) Schon 1505 überfandte Mutian einen Brief des Grafen an Urban 
mit den Worten: ‚‚Cernere licebit, quantus sit amor erga me diser- 
tissimi comitis Hartmanni Kirchburgii.““ Tengel p. 41. 

3) Ud. Zasii epp. ed. Rieggerus p. 390 ad Thom. Wolphium. 
(1506); vgl. Lib. nov. epp. K 1a 

4) Mutian wußte das Verdienſt des Marfchall und Maternus zu wür⸗ 
digen. Zwei Briefe von ihnen überfandte er (1505) an Urban mit ben 
Worten: „IIle nobilissimus Thurius sua te delectabit elegantia, cui 
Materni Pistoriensis epistolam sodalitatis nomine copulavi.““ Tenpel 41. 


— 95 — 


ohnehin allen nahe; man erinnerte ſich noch, mit welchem Bei⸗ 
fall er einſt in Erfurt gelehrt’). Der Zauber, mit dem ihn 
feine italienifche Reife umgab, erhöhte die Theilnahme für ihn. 
Männer wie Georg Eberbach, Goede, Soemmering, Reinbote 
u. A., die und ſchon ald Vertreter jener vermittelnden Richtung 
befannt find, fuchten feine Nähe und Freundſchaft. Es bildete 
fih in Kurzem zwifchen Mutian und größtem Theile der Unis 
verfitätslehrer das fchönfte Berhältnit, Wohl fand Mutian 
Manches bei feinen neuen Freunden, was er nicht billigen 
fonnte, aber fie bildeten Doch immer einen erfreulicden Gegen⸗ 
fat gegen feine nächfte Iimgebung in Gotha; theilten fie auch 
Mutian's wiffenfchaftlihe Anfchauungen nicht, fo waren fie 
doch nicht unempfänglicy für diefelben; fie alle waren einftims 
mig in der Anerkennung feiner feltenen Gelehrſamkeit. So 
lebhaft wurde jenes Berhältniß, daß Mutian, obwohl er forts 
während feinen Wohnſitz in Gotha beibehielt, doch wegen des⸗ 
jelben als Mitglied der Univerfität betrachtet werden Fonnte, 

Indeß wichtiger und folgenreiher als dieſe befreundete 
Stellung zu den Lehrern der Univerfität wurde das Berhältniß, 
in dad Mutian bald zu der bisher von Maternus geleiteten 
jungen Boetenfchaar trat. Schon im Jahre 1504 hatte Eoban 
auf feiner Reife nach Erfurt den merfwürbigen Gelehrten in 
Gotha kennen gelernt. „Du wirft der Ruhm der Dichtkunft 
werden”, verfündete Mutian dem feuerigen Sünglinge Ein 
innigere8 und dauerndes Verhaͤltniß zwifchen beiden war aber 
damals noch nicht begründet worden. Ein folches bildete fich 
erft zwei Sahre fpäter, eben als Maternus fich feinem bisher 
verwalteten Amte nicht mehr gewachfen fühlte und die Blicke 
feinee Schüler nach einem Fräftigeren Führer fuchten 2). Eoban, 
der fchon mehrmals den Ton in dem jungen Dichterfreife anges 


ı) Bal. De laudibus Gymnas. lit. Erph. B 1 a. 

2) Der erſte Brief Mutian’s an Coban, worin fich jenes innige Ver⸗ 
haͤltniß zu erkennen gibt, iſt d. d. Cal. Octob. 1506. — Lib. nov. epp. 
H6b. 


— 96 — ‘ 


geben hatte, wurde auch jebt durch das Beifpiel der Annähe- 
rung an Mutian feinen Freunden Anlaß zu demfelben Schritte. 
Die Perjönlichkeit eines Mannes, der nad) bewegter, ganz im 
Dienſte der: Wiffenfchaften verlebter Jugend, jetzt einen Flöfter- 
lichen Aufenthalt in Gotha dem Glanze einer clericalen oder 
politifchen, Laufbahn vorzog, nur um. ungeftört feinen wiſſen⸗ 
Ihaftlihen Neigungen nachgehen zu können, übte auf die jugend- 
lichen Gemüther einen eigenthümlichen Reiz aus. Richt ohne 
eine gewiffe Schüchternheit fingen nun au Eoban’d Freunde 
an, fi dem wunderbaren Manne zu nähern, am früheften 
Erotus Rubianus, Petrejus und der mit Eoban fehr nahe 
befreundete Herebord von der Marthen !).. Ihnen folgten dann 
die Uebrigen, Ceratinus, Heinrich Eberbach, Trebelius, Jonas 
u. ſ. w., bis ſich nach und nad die ganze erfurtifche Poeten« 
[haar um Mutian zufammenfand. Auch der junge Ulrich von 
Hutten trat von Erfurt aus zu diefem in ein näheres Verhält- 
niß, welches innig genug war, um auch noch nach erfolgter 
Trennung auf feine Entfchließungen einzumirken ?). Ihn zwar 
trieb fein unruhiger Geift ſchon bald wieder aus der Nähe des 
Mannes, dem die „glüdjelige Ruhe” über Alles ging, zu neuen 
poetifchen Abenteuern fort; um fo näher aber ſchaarten fich die 
Üebrigen um: denfelben, denn fehr bald wurden fie inne, daß 
fie in ihm gefunden,. was fie gefucht, einen Führer und Leiter 
für ihre wiffenfchaftlichen Beftrebungen. . 

Sene „Guten“, denen fein Umgang ausschließlich gewidmet 
fein follte, traten Mutian in diefen offenen, Iernbegierigen 


1) Herebord war der. Sohn des mainzifchen Vitzedom - Gerlach von der 
Marthen, von gleichem Alter mit Eoban, deſſen vertrauter Freund und groß- 
müthiger Gönner er war. Eoban hat fein Gefchlecht in mehreren Gedichten 
verberrlicht. Lib..nov. epp. F 1 b. sqg. 

2) Meber fein damaliges Berhältnig zu Mutian fpricht fi Hutten im 
zweiten Buche feiner Klagen aus: 

„Consulit hunc Crotus doctoremque eligit Hessus 
Non nihil et crebro profuit ille mihi.“ 
Opp. Hutt. I, 67. 





— 1 — 


Sünglingen entgegen, und die Infhrift: Bonis cuneta pateant, 
welche ex um dieſe Zeit über der Eingangsthür feined Wohn⸗ 
zimmers anbringen ließ, that letzteren Eund, mit welcher Liebe 
er fich ihrer anzunehmen gedachte ?). 


V. 


Fortan war Mutian's ganze Sorge und Thaͤtigkeit ſeinen 
jungen erfurtiſchen Freunden zugewendet. Einen Augenblick 
dachte er daran, unter ihnen in Erfurt, wo er ein von ſeinem 
Bruder ererbtes Haus beſaß, ſeinen Wohnſitz zu nehmen. Sehr 
bald aber uͤberzeugte er ſich, wie wenig dies nothwendig ſei. Gern 
unternahmen die eifrigen Sünglinge die kleine Reife von Erfurt 
nah Gotha, um einige Zeit in Mutian's Nähe zu verweilen, 
und je mehr fich ihnen feine wahre Gefinnung erſchloß, deſto 
häufiger wurden ihre Beſuche. Allmählig verlor ſich bei dieſen 
Zufammenfünften die anfänglihe Schüchternheit; Mutian's zus 
vorfommendes und freundliches Benehmen flößte Vertrauen ein, 
man fing an, in einem berzlicheren, freieren Gone mit ihm zu 
reden. Theilweiſe wurde diejer Webergang durch Urban und 
Spalatin vermitielt, die fich ebenfalls um jene Zeit ihren ehmas 
figen erfurtifden Studiengenofien wieder anſchloſſen und letz⸗ 
tere dadurch auch Mutian näher brachten. So hatte ſich ſchon 
binnen furzer Zeit dad Verhältniß ausgebildet, das zwifchen 
Mutian und der jungen Dichterichaar eine Reihe von Jahren 
beftehen follte: als Lehrer und Führer einer eifrigen und folg- 
famen Schülerfchaft hatte Mutian einen Wirfungsfreis gefun- 
den, der feinen Bemühungen den wichtigften und glänzendften 
Erfolg verſprach. 

Und nie erfcheint uns Mutian’s Bild anmuthiger und 
anziehender, als in dem Berhältniß zu feinen neuen Schülern. 


) Eob. Farr. I, 34 b. Camerar. Narr. de Eob. Lauze's Chronik 
l.c. p. 119. 
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 7 


— 98 — 


So ganz Tebt er mit feinen Iünglingen und.für fie, er geht 
auf ihre Vorftelungsweije ein, theilt ihre Wünfche und Ans 
liegen, ihre Wohlergehen ift feine einzige und größte Freude, 
„So fehr bin ich meinen Freunden zugethan”, fchreibt er an 
Herebord, „daß ich mich in den Himmel verfegt glaube, fo oft 
ich eine günftige Nachricht von Euch erhalte” ?). Er hatte fich 
in Kurzem von den Anlagen, Fähigkeiten und Berürfniffen 
eines jeden überzeugt. Darauf berechnete er feine Anweiſungen. 
Eoban, in dem er fofort den geborenen Dichter erkennt, macht 
er auf die Hoheit feines Berufes aufmerkſam. Er warnt ihn 
vor Abmegen, „Gott zieht den einen auf Ddiefe, den andern 
anf jene MWeife”, fchreibt er ihm ſchon im Herbft 1506, „Dich 
aber trägt er durch heilige Gedichte in die Höhe, wie die Pro- 
pheten und Sibyllen. Bewahre deshalb das Dir von dem 
Herrn anvertraute Talent“ 2). Er ermahnt ihn, durch einen 
züchtigen und ehrbaren Wandel feinem ‚wichtigen Berufe Ehre 
zu machen und dadurch den Gegnern der Dichtkunft allen Grund 
zu Klagen zu benehmen?). Die Hauptfache ift aber immer, 
dag er ihn auf das unübertrefflihe Mufter der Alten hinweifet. 
Er fordert, daß er ihren Werfen ein ernftlichered Studium 
widme als bisher, venn es fei nicht genug, fie einmal gelefen 
zu haben, und in dem eigenen Gedichte hier und da ihre zier- 
liche Ausdrudsweife nachzuahmen, nicht blos die Formen, jons 
dern auch den Inhalt, die Anfchauungsweife der Alten müffe 
er fih zu eigen machen, um gegründeten Anfpruch auf den 


1) M. B. F. fol. 106 a. 
2) Lib. nuv. epp. H 6 a. 

3) „„Etenim ut multiscium ita probum atque modestum esse decet 
pium Poetam. Alioquin opici Momi habebunt nos ludibrio in audito- 
rum examine coetuque doctorum vexahunt tamquam ridicalos et nota 
dignos cenforia. Nam divinum Poetae nomen, nescio quibus Caco- 
daemonum aspirationibus, invidiosum esse coepit. Quid fiet si ama- 
tores antiquitatis a via virtutum aberrnverint? Plus nimirum exemplo, 
quam peccato nocebunt.‘“ Lib. nov. epp H4b—5a. 





— 99 — 


Kamen eines Dichters zu haben ). — Um den lernbegierigen, 
ſtrebſamen Petreius, von dem er fi} jofort viel verfprach, bei 
feinem Eifer zu erhalten, hält er Lobſprüche für hinreichend: 
er nennt ihn „den zweiten Mutian”, „ven Feldherrn der latei- 
niſchen Abtheilung“ 2). — Mehr Sorge machte ihm Herebord, der 
fich, feiner eigenen Neigung und dem Wunfche der Seinigen 
folgend, für das Studium der Rechtswifienfchaft entjchieden hatte. 
Sort und fort ermahnt er dieſen, ſich bei feinen juriftifchen 
Studien nicht auf die herfommlichen barbarifchen Lehrbücher zu 
befchränfen 2); gründliche Rechtskenntniß fei ohne eifriges Stu- 
dium der Alten unmöglich, da erſt dieſes zu den eigentlichen 
Duellen des Rechts führe, denn wie die chriftliche Kirche aus 
den Judenthume hervorgegangen fei, fo, behauptete er, habe 
dad gegenwärtige Recht in dem claffifhen Alterthume und 
namentlich in der folonifehen Verfaffung feine Wurzel). Da- 
neben ermahnt er ihn, ebenfalls im Anfchluß an die Alten fich 
einer reinern und edlern Sprache zu befleißigen, nur dadurch 
fihere fich der Rechtsgelehrte den Erfolg®). Beſonderes Ber- 
trauen ſchenkte Mutian dem Crotus Rubianus. Diefem eifrigen 


1) 3.2. Lib. nov. epp. H 4 b. „Quo magis mi adolescens gau- 
dere debes meo judicio dareque operam, ut utriusque linguae prae- 
stantissimes Auctores varia tibi multiplicigue lectione vel digitis tuis 
notiores efficias: Neque enim concludere versum dixeris esse satis, 
ut inquit Horatius. Est operae pretium tractare totam eneyclopae- 
diam, nosse praecipue veterum probatas historias etc.‘ 

2) „„Latinae classie imperatorem. M. DB. F. sie a. 

2) Lib. nov. epp. RSa. Mut. ad Hereb. ‚‚Constitui dare prae- 
scripta tanquam norman optimi tyrocinii, ut positn barba sumtaque 
virili toganon cum imperitis leguleis sacratiss. jus adeas, sed ingenua 
et prisca doctrina duee juris tam civilis quam pontificii consultissimus 
alque utilis et clarus patriae civis creari et institui possis.‘* 

*) Mut. ad Hereb.: „Nam ut ecclesiastica secta, cui nos Omnes 
addicti sumus, propagatur ex matre synagoga ita civile jus et ur- 
banae leges peregrinam habent radicem, Athenis olim Solonis sapi- 
entia corroboratam * M. B. F. 221 h. 

5) Mut. ad Hereb. M. B. 5. 184 a. 

70 


— 10 — 


Sünglinge, der als der ältefte bei feinen Genoſſen ſchon in 
einigem Anfehen ftand, übertrug er wohl das Amt, ihn in Erfurt 
zu vertreten !). 

Neben Urban und Spalatin waren ed eben die vier Ges 
nannten, die Mutian vorzugsweife in feine Nähe zog. Indeß 
beſchränkte fich feine Wirkfamkeit nicht auf fi. Er wurde der 
Lebensathem für den ganzen Kreis. Ueberall erfcheint er anre- 
gend und ermunternd. Den noch Unerfahrenen führt er ein 
in den Geift der claffifhen Studien, den bereitd Eingeweihten 
fordert er weiter. Recht eigentlich veranfchaulichen uns die Briefe, 
welche er an die Einzelnen richtet, feinen Lehreifer. Allent- 
halben fchaltet er grammaticalifche, antiquarifche, auch wohl 
philofophifche Bemerkungen ein. Man fteht, das Unterweifen, 
Belchren ift ihm Bedürfniß?). Nie fehlt es ihm an Anlaß, 
auf den Gegenftand zu Fommen, der fein Herz erfüllt. Er gibt 
den Einzelnen Aufgaben zur Ausarbeitung und hilft nad), wo 
ed nothwendig iftz er ordnet an, in welcher Weile Eoban ein 
Gedicht umändern, wen er e8 widmen fol. Selbft die unbe 
deutendften Kleinigkeiten entgehen feiner Aufmerkſamkeit nicht. 
Man findet wohl, daß er geringfügige Verftöße gegen die Or- 
thographie, die er in den Briefen feiner Schüler bemerkte, ver: 
beffert, oder daß er auf die richtige Accentuation lateinifcher 
Worte aufmerkfam madt >). 


I) Bgl. 3.2. Lib. nov.epp. J 4a, wo Mutian deu Coban auf Erotus 
als auf feinen Stellvertreter hinweifet: Vigilat Crotus et hoc tibi satis, 
außerdem die Briefe Mutian’s an Crotus felbft (Lib. nov. H6a u. Kib). 
Uebrigens nahm Erotus erft um dieſe Zeit, wie es fcheint unter Mutian’s 
Einwirkung, diefen Namen an, wie auch fein Eintritt in den geiflichen 
Stand in diefe Zeit zu fallen fcheint. 

2) Es charakterifirt den Briefwechfel, den er mit feinen jungen Freun- 
den führte, fehr gut, wenn er in einem Briefe an Herebord nach der Mit: 
theilung, daß er fo eben eine neue Sendung claffifcher Werke empfangen 
und dabei vor Freude geweint habe, einen langen, aus ben alten Schrift 
flellern geführten Beweis folgen läßt, dag man auch vor Freude weinen 
fönne. Lib. nov. epp. K 4 a 

2) Dal. Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum 


— 101 — 


Irrig würde es indeß fein, aus Letzterem zu fchließen, daß 
er bei feiner Lehrthätigkeit vorzugsweife der fprachlichen Seite 
der neuen Studien feine Aufmerkjamfeit zugewendet habe. Wir 
fahen bereite, wie wenig jene einfeitig formelle Richtung der 
meiften Poeten feinen Anfichten entſprach. So ift er auch im 
Kreife jeiner Schüler bemüht, diefen begreiflich zu machen, wie 
wenig durch eine blos Außerliche, geiftlofe Nachahmung der 
alten Schriftfteller erreicht werde, wie thöricht jenes Hafchen 
nach Halbverftandenen claffiichen Formen und Bildern je. Er 
entwöhnte fie allmählig ‚jener oberflächlichen Betradhtungsmeife, 
indem er fie dazu anleitete, die Werfe der Alten unter einem 
höheren Gefichtspunftte zu fludiren '). Und fo mild und nad 
fihtig er fonft war, fo unerbittlich ftreng zeigte er fich, wenn 
er, troß feiner vielen Ermahnungen, dennoch in feiner Umge⸗ 
bung Spuren jener plagiarifch-poetifchen Richtung wahrnahm ?). 


quorundam virorum auctoritate, virtute, sapientia doctrinaque excel- 
lentium. Kditus a. J. Camerariuo Pabeperg. Lips. 1561. 8°. D6b. 
Lib. nov. epp. I 6 a. Tentel p. 65. M. DB. F. fol. #51 a. 

1) So ſchreibt er an einen der jungen Dichter: „„Exgo non in offlcio- 
sum Aristarchum, pro benevolentia, qua te prosequor (egi) jussique 
ut lectionibus magis quaın stylo vacares. — Crebro legendum esse 
praecipio, non tamen id solum et semper agendum. Stylus interim 
lectivni succedat.‘‘ Tert. lib. epp. D 6 a. 

2) Er bezeichnet Boeten wegen ihrer fflavifchen Nachahmung der Alien 
wohl geradezu als PBlagiatoren, 3.2. in einem Briefe an Urban und Spas 
latin. „Quid dicam de peetis ineptis! tres ad me veniunt, quis eorum 
vaniloquentior sit, verbis exprimere ncequeo, Unus pestilens fur est 
et plagiarius Ovidii, sccundus barbarus blaterator, tertius ita hebetis 
animi hommneio, ut quid dicat nemo praeter se ipsum intelligat; ponit 
in fronte libri quatuor male literatos et ridiculos versus quos equi- 
dem luminis egere censeo. Omnes isti cacozeli sunt et quasi hiru- 
dines sugentes malum sanguinem, bonum in poelis relinguunt. Le- 
gerunt puto et thesaurum invenerunt, prorsus illepidi rudes 
doquaces.‘‘ Teutzel p. 38. Zur Begrändung feines harten Urtheils über 
einen ſolchen dichterifchen Berfuch fant er ein anderes Mal: „„Neque enim 
ingenii est Aut literaturae sic aliena compilare, sive illis a quibus 
sumseris accepta referas, sive tui juris esse atque inventi velis, 





— 10 — 


Sünglinge, der als der ältefte bei feinen Genoffen ſchon in 
einigem Anfehen fland, übertrug er wohl dad Amt, ihn in Erfurt 
zu vertreten !). 

Neben Urban und Spalatin waren ed eben die vier Ge⸗ 
nannten, die Mutian vorzugsweife in feine Nähe zog. Indeß 
beichräntte fich feine Wirkſamkeit nicht auf fie Er wurde Der 
Lebensathem für den ganzen Kreis. Ueberall erjcheint er anre⸗ 
gend und ermunternd. Den noch Unerfahrenen führt er ein 
in den Geiſt der claffifhen Studien, den bereits Eingeweihten 
fördert er weiter. Recht eigentlich veranfchaulichen ung die Briefe, 
welche er an die Einzelnen richtet, feinen Lehreifer. Afent- 
halben fchaltet er grammaticalifche, antiquarifhe, aud wohl 
philofophifche Bemerkungen ein. Man fteht, das Unterweifen, 
Belehren ift ihm Benürfnig?). Nie fehlt es ihm an Anlaß, 
auf den Gegenftand zu fommen, der fein Herz erfüllt. Er gibt 
den Einzelnen Aufgaben zur Ausarbeitung und Hilft nad), wo 
ed nothwendig iftz er ordnet an, in welcher Weife Eoban ein 
Gedicht umändern, wem er es widmen fol. Selbft die unbe: 
deutenpften Kleinigkeiten entgehen feiner Aufmerkſamkeit nicht. 
Man findet wohl, daß er geringfügige Verftöße gegen die Or- 
thographie, die er in den Briefen feiner Schüler bemerkte, vers 
beffert, oder daß er auf die richtige Accentuation lateinifcher 
Worte aufmerkffam madt ?). 


I) Vgl. 3.2. Lib. nov.epp. J 4a, wo Mutian den Goban auf Erotus 
als auf feinen Stellvertreter hinweifet: Vigilat Crotus et hoc tibi satis, 
außerdem die Briefe Mutian’s an Erotus felbft (Lib. nov. H6a u. Kıb). 
Mebrigens nahm Erotus erft um Ddiefe Zeit, wie es fcheint unter Mutian’s 
Einwirkung, diefen Namen an, wie auch fein Eintritt in deu geiſtlichen 
Stand in diefe Zeit zu fallen fcheint. 

2) Es charakterifirt den Briefwechfel, den er mit feinen jungen Freun- 
ben führte, fehr gut, wenn er in einem Briefe an Herebord nad der Mit: 
theilung, daß er fo eben eine neue Sendung claffifcher Werke empfangen 
und babei vor Freude geweint habe, einen langen, aus ben alten Schrift 
ftellern geführten Beweis folgen läßt, bag man auch vor Freude weinen 
fönne. Lib. nov. epp. K 4 a 

2) Bol. Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum 








— 101 — 


Irrig würde es indeß fein, aus Letzterem zu ſchließen, daß 
er bei feiner Lehrthätigkeit vorzugsweife der ſprachlichen Seite 
der neuen Studien feine Aufmerkſamkeit zugewendet habe. Wir 
fahen bereits, wie wenig jene einfeitig formelle Richtung der 
meiften Boeten feinen Anfichten entſprach. So ift er au im 
Kreife jeinee Schüler bemüht, diefen begreiflich zu machen, wie 
wenig durch eine blos äußerliche, geiftlofe Nachahmung der 
alten Schrififteller erreicht werde, wie thöricht jenes Hafchen 
nah Halbverftandenen claffifchen Kormen und Bildern ſei. Er 
entwöhnte fie allmählig ‚jener oberflächlichen Betrachtungsweiſe, 
indem er fie dazu anleitete, die Werke der Alten unter einem 
höheren Geſichtspunkte zu ſtudiren ’). Und fo mild und nad» 
fihtig er fonft war, fo unerbittlich ftreng zeigte er fich, wenn 
ex, troß feiner vielen Ermahnungen, dennoch in feiner Umge⸗ 
bung Spuren jener plagiarifch-poetifchen Richtung wahrnahm 2), 


querundam virorum auctoritate, virtute, sapientia doctrinaque excel- 
lentium. Editus a. J. Camerario Pabeperg. Lips. 1561. 8°. D6b. 
Lib. nov. epp. J 6 a. Tenkelp. 5. M. DB. F. fol. 351 a. 

2) So fchreibt er an einen der jungen Dichter: „Ego non in officio- 
sum Aristarchum, pro benevolentia, qua te prosequor (egi) Jussique 
ut lectionibus magis quam stylo vacares. — Crebro legendum esse 
praecipio, non tamen id solum et semper agendum. Stylus interim 
lectivoi succedat.‘‘ Tert. lib. epp. D 6 a. 

2) Er bezeichnet Boeten wegen ihrer fflavifchen Nahahmung der Alten 
wohl geradezu als PBlagiatoren, z.B. in einem Briefe an Urban und Spas 
latin. „Quid dicam de poetis ineptis! tres ad me veniunt, quis eorum 
vaniloquentior sit, verbis exprimere nequeo. Unus pestilens fur est 
et plagiarius Ovidii, secundus barbarus blaterator, tertius ita hebetis 
animi homunecio, ut quid dicat neme praeter se ipsum intelligat; ponit 
in fronte libri quatuor male literatos et ridiculos versus quos equi- 
dem luminis egere censeo. Omnes isti cacozeli sunt et quasi hiru- 
dines sugentes malum sanguinem, bonum in poetis relinguunt. Le- 
gerunt puto et thesaurum invenerunt, prorsus illepidi rudes 
loquaces.““ Tentzel p. 39. Zur Begrimdung feines harten Urtheils über 
einen folchen dichterifchen Berfuch fagt er ein anderes Mal: „Neque enim 
ingenii est aut literaturae sic aliena compilare, sive illis a quibus 
sumseris accepta referas, sive tui juris esse atque inventi velis, 





— 
r — — — — — — 


— 109 — 


Sein Urtheil war dann mitunter abjchredend für den jungen 
Dichter. „Wenn ich Dich nicht liebte, würde ich Dich nicht 
beftrafen” schreibt er einem aus ihnen, der ihm ein Gedicht 
überreicht hatte, weldyes in der eben berührten Weife ganz aus 
claffishen Bildern und Wendungen zufanmengefegt war, und 
fallt dann das härtefte Uxtheil über das Erzeugniß deflelben, 
ohne fih durch die Lobſprüche befänftigen zu laffen, die der 
Dichter ihm gefpenvdet hatte’). 

Eine andere Anforderung, die Mutian an feine Dichter 
ftellte, war die, daß der Inhalt ihrer Producte rein und züchtig 
fei. Wie Mutian’d yperfönliher Wandel in dieſer Hinficht 
mufterhaft war — er duldete nicht einmal einen unfeufchen 
Diener in feiner Nähe?) — fo follten auch die poetifchen Ver⸗ 
fuche feiner Schüler rein und lauter fein. „Ein guter Dichter 
muß keuſch fein“, fchreibt er an Eoban und ftellt diefen ernftlich 
darüber zur Rede, daß er ſich in einem Gedichte einige zwei⸗ 
deutige Anfpielungen erlaubt habe 3). Denn fo groß war feine 
Verehrung für die Alten doch nicht, daß er fie auch in dieſem 
Punkte ald muftergültig angenommen hätte, ja er ſah es zu 
Zeiten fogar nicht ungern, wenn von feinen Schülern auch 
rein chriftliche Stoffe in Gerichten behandelt wurden. Es fand 
jpäter feinen vollen Beifall, daß Eoban in feinen Heroiden „die 
Minerva zu einer Chriftin zu machen“ juchte *). Neben Birgil, 


auctoribus praeteritis.‘“ Tert. lib. epp. D5a. Darnach wird die Nach⸗ 
richt des Camerarius von der übergroßen Milde Mutian’s in der Beurs 
theilung der 2eiftungen feiner Schüler (Narr. de Eob. Hesso B 4 b) zu 
berichtigen fein. — 

ı) „„Ego immodice laudatus nen audeo par pari referre.‘“ Tert. 
Mb. epp. D 6 a. 

2) Er bittet einmal Urban, ihm einen Diener zu miethen und fügt 
hinzu: „Castum volo et simplicem, non tamen melancholicum.“ M. 
B. F. fol. 163 a. ' 

s, Lib. 'nov. epp. J 3 b. „Praeis mibi carmen non sanctissimum, 
est enim in eo latens impuritas.“ Schärferen Tadel fpricht er aus 1. c. 
J!a. 

*) Man vergl. Tengel p. 183. Mut. ad Kob. ‚„‚Eo vero tendit pro- 


— 108 — 


ver unbeftritten den erften Rang behauptete und deſſen Geburts⸗ 
tag fogar feftlich begangen wurde, war deshalb auch Baptifta 
Mantuanus Gegenfland befonderer Berebrung in unferem 
Kreife?). 

Mutian fah feine Saat gedeihen. Jedermann erftaunte 
über die ungewöhnliche Rührigkeit, welche die junge Humaniften- 
haar feit Mutian's Einwirken zeigte Wohl nirgends find 
um jene Zeit die Alten mit folhem Eifer ſtudirt worden, als 
von der Süngerfchaft des gothaifchen Banonicus. Ihre Werke 
ſchaffte man mit großer Mühe oft aus den fernften Gegenden 
herbei; Fein Opfer, welches zu diefem Zwecke gebracht wurde, 
fhien zu groß. In Georgenthal hatte es Urban bei der Bers 
größerung der Klofterbibliothef durchzuſetzen gewußt, daß nament⸗ 
lich auf die humaniftifche Literatur Rüdficht genommen wurde ?). 
In Erfurt hatte der unermüdliche Vetrejus, der dazu vom Meis 
fer einen befondern Auftrag empfangen ®), fich mit vieler Mühe 
und großem Aufwand in den Beſitz einer reihen Sammlung 
claffifcher Werke geſetzt. Mutian felbft erhielt immer größere 
Sendungen feiner lieben Alten über die Alpen zugefchidt. Kein 
Beſuch war ihm erwünfchter. Er fonnte dann kaum den Tag 
der nächften Herüberfunft feiner jungen $reunde abwarten, um 


positum tuum: quod laudabile quis non videt? ut Juventus recenti tue 
beneficio ad Cultum excitetur Christianae Minervae. Credant se modo 
etstudeant tuis hymnis, intermissa sophistarum insulsitate, scholastici.‘“ 

ı) Tert. lib. epp. D5 b. 

2) Mutian machte deshalb ein zierliches Gedicht auf die Bibliothek: 

In vallem veniunt Georgianam 
Qui de barbarica cohorte nomen 

Aeternum peperere cum triumpho etc. 
Lib. nov. epp. H 3 a. 

2) „„Petrejo literatissimo juventutis et totius autiquitatis amantis- 
simo damus eam provinciam ut libros vestiget“ M. B. F. fol. 192 a, 
Der reichhaltigen Bibl. des Petrejus gebenft Mutian wiederholt, vgl. 1. c. 
316 b u. a. 


— 4 — 


diefe von dem Glüd, das ihm zu Theil: geworden, in Kenntniß 
zu fegen. Lange ließen jene indeß nie auf fi warten. Denn 
fo oft fie des Meifters bedurften — und. fie glaubten feiner oft 
zu bedürfen — eilten fie in zahlreicher Gefelichaft nach Gotha. 
Da hielt ihnen denn Mutian getreulich die gaftliche Aufnahme, 
welche jene freundliche Infchrift über der Eingangsthür feines 
Wohnzimmers „ven Guten” verfpradh. Denn „Niemand“, lautete 
fein Grundfaß, „der zu der Schaar der Seinigen gehöre, dürfe 
unbefchenft von ihm gehen” '). Nie war er vergnügter, ale 
wenn er fih im reife. feiner Sünger fand. Bei heiterem 
Mahle, dad er immer bei ihrer Ankunft anrichten ließ, beſprach 
er mit ihnen im Tone gemüthlicher Unterhaltung ihre Fortfchritte 
und Ausfichten für die Zufunft, oder er lenkte das Geſpräch 
von den befonderen Angelegenheiten ihres Fleinen Kreiſes auf 
die gefeierten Heroen der neuen Richtung, auf Celtes, Reuchlin, 
MWimpheling u. A, deren Namen in Aller Munde lebten und 
die dann wohl in Augenbliden der Begeifterung durch kleinere 
Gedichte verherrlicht wurden ?). 

Mutian war glüdlih. Jene ‚Zeit war die fehönfte feines 
Lebens, nie hat die Erinnerung an diefelbe bei ihm verwifcht 
werden fonnen. „Meine wohlgemeinten Ermahnungen”, fehreibt 
er fpäter darüber an Urban, „fanden Gehör. Einige verbans 
den Beredfamfeit mit dem Studium der Rectswiffenfchaft, 
Andere, vom dichterifchen Schwung ergriffen, trugen ihre Ges 
dichte vor, Andere, die ihren Stil zu veredeln fuchten, befliffen 
fih einer zierlihen Ausdrudsweife in Rede und Schrift. Des: 
halb war ich erfreut und. wünfchte den Studirenden Glüd” 2). 


1) „De cohorte familiarium sic mecum tacitus ratiocinor: Nemo 
ex hoc numero mihi non donatus abibit.“ M. B. F. f. 114 b. — 
„Nihil erudito commodius sodalitate literaria‘“ fagt er über jene Sus 
fammenfünfte, „ut memoria confabalatorum praesidio fulciatur.“ M. 
B. 5. 115 a. 

2) Bol. Lib.nov.epp. Hia., wo fich einige Fleinere, bei einer folchen 
Gelegenheit improvifirte Gedichte von Cobanus, Trebelius, Hereborbus und 
Pyrrhus finden, die den Ruhm des Geltes feiern. 

2) Es war im J. 1513, wo jenes anmuthige Zufammenleben bereits 





—- 1095 — 


VL 


Mutian durfte in der That mit feinen Erfolgen zufrieden 
fein. Schon darin lag für ihn eine Anerfennung, daß in Kurs 
zem einige aus feinen Schülern zu anfehnlihen Stellungen 
gelangten. Crotus erhielt das Amt eined Exzieherd bei den 
jungen Burggrafen von Kirchberg, welche ſich damals in Erfurt 
aufbielten. Spalatin folgte gleichzeitig einem ehrenvollen Rufe 
nah Wittenberg, ohne indeß fein früheres Verhältniß zu Mutian 
aufzugeben, Segnend entließ ihn diefer. „Reife glüdlich”, ſprach 
er zu dem Scheidenvden, „der Hof fteht Dir offen, Du wirft Ehren 
empfangen“ 1). Dem talentvollen Trebelius wurde damals auf 
Mutian’s Anregung die Auszeichnung durch den Dichterfranz 
zu Theil?), und die nämliche Ehre hatte der Lehrer ſchon dem 
jungen Eoban gefichert, als dieſer fie ausfchlug?). Diefer 
damals zwanzigjährige Süngling wurde von Allen als die größte 





geflört war, als er in Diefer Weife an Urban frhrieb. „Sperabam fore 
ut indies magis vigerent ingenia et graecae latinaeque literae a situ 
et squalore vindicarentur: sublata de medio barbaria, multique prae- 
ceptoribus desertis et librorum copia adjuti Aorerent; ob id medo 
hunc modo illum ut desertis literatoribus veternosis praeclaram eru- 
diionem capesserent hortabar. Inveni qui bene monenti obtempe- 
rarent, alii eloquentiam in juris professione ostentabant, alii poetico 
ardore accensi dignitatem carminis admirantes jaostabant sua poemata, 
alii stilum castigantes, nihil misi cultum aut loqui aut scribere ten- 
tabant. Itaque gaudebam et studiosis gratulabar “ M. B. F. fol. 204 a. 

I) Ito bonis avibus dextro pede sidere fausto 

Felix optatum carpe viater iter. 
Aula patet, Spalatine tibi tribuentur honores, 
I te praetereant quae nocitura putas. 

Lib.nov. epp. G2b. — Spalatin ging 150% nach Wittenberg. Uebrigens 
war ihm jenes Amt durch Mutian’s Dermittelung zu Theil geworben. 1. c. 
K!a. 

2) Bol. Tentzel p. 24. Lib. nor. epp. J. 5 a. Ueber das nahe Ber: 
hältniß des Trebel zu Mutian und Eoban vgl. u. a. Lib. nov. epp. H4a. 

2) Bgl. Lib. nov. epp. J.6a. und H6a. — Eobani Farr. I 35 a. 


— 106 — 


Zierde ihres Kreifed angefehen. Erft feitvem er fih Mutian 
genahet, kamen die ausgezeichneten dichterifchen Anlagen des⸗ 
felben zu ihrer Entfaltung Wie fo durchaus verfchieden von 
dem frühern ift der Geift, der und aus feinen größtentheild im 
Sahre 1508 verfaßten bucoliſchen Gedichten entgegenhaudht! ?) 
Man fteht, die fortwährenden Ermahnungen des Meifters, nicht 
bei der äußerlichen Nachahmung der Claſſiker ftehen zu bleiben, 
den fhönen fpradhliden Formen auch den Geift, die Anfchau- 
ungsweife der Alten Hinzufügen und fie dadurch zu beleben, 
find nicht erfolglog geblieben. Eoban's bucoliſche Gedichte fchil- 
dern in der finnvollften Weife, in den anmuthigften Bildern dad 
rege geiftige LXeben in dem Kreife feiner jugendlichen Genoffen, 
des Trebelius, Erotus, Herebordus, Spalatin, Petrejus, Jonas 
u. U, ihre Begeifterung für die neuen Studien, ihren edlen 
MWetteifer, ihre herzliche Freundfchafl Im Mittelpunfte aber 
ericheint Mutian, ald der Schubgeift, der Alle überwacht, jedem 
zur Seite fteht, ermunternd, mäßigend, entfcheidend. Alles athmet 
Verehrung für ihn?). Man glaube indeß nicht, daß diefe von 
dem Dichter übertrieben fei. Sie ift in der That das charaf- 


1) Bucolicon Eobani Hessi Magistri Erphurd. 1509. 4°. Diefe 
erfte Ausgabe jener Gedichte, welche Eoban auch. in bie hallifche Geſammt⸗ 
ausgabe feiner Werke aufgenommen hat, ift mir nicht zu Geficht gekommen. 
Daß er die meiften Gedichte 1508 verfaßt Hat, ergibt ſich aus diefen ſelbſt. 
Eoban ſelbſt ſagt: 

„Et jam quarta meis accessit Olympia annis 
Bucolicis lusit nostra jJuventa modis.‘“ 
Eob. Farrag. I, 135 h. 

2) Bol. namentlich die feyöne vierte Idylle (Farrag. I, 13—15), wo 
Mutianus, der den Namen Thrafybulus führt, auftritt, um den zwifchen 
Tityrus und Battus (Ionas und Petrejus) geführten Streit zu entfcheiden: 

„Sit satis, inclinat dies, requiescere suadet: 

Claudite vocales pueri jam claudite cannas. 

Vieit uterque, ipsi vestrum vicistis utrumque 

Vos faciunt et forma pares et carmen et aetas. 

Arcus Batte tibi, tibi fistula Tityre caedat 

Ut prius et vestros concordes pascite tauros.‘“ 
l. c. 16. b. 





— 017 — 


teritifche Merkmal aller Jünger Mutian’d. In den überfchweng- 
lihften Ausbrüden wird fein Lob von ihnen verfündet. Als 
„ven Bonful des ganzen Altertbums, ven Vater der glüdjeligen 
Ruhe” reden fie ihn in ihren Briefen an!). Mutian felbft 
ſieht fih einmal genöthigt, ihnen die ungemefienen LXobeserhe- 
bungen in den Auffchriften ihrer Briefeizu unterfagen ?). Selten 
hat ein Xehrer feine Schüler in dem Grade zu fefleln vermocht, 
als der gothaifche Canonicus. Erotus gab jene Stelle bei den 
jungen Grafen von Kirchberg auf, als fie ihn nöthigte, Erfurt 
zu verlaffen, um wieder dorthin, in Mutian’d Nähe und feinen 
erfurtifchen Juͤngerkreis zurückzukehren?). Eoban Fannte Fein 
größeres Glüd, ald Mutian's Beifall +), WMutian’d Anfehen 
war überall entfcheidend, „Wenn jener etwas von mir wünjcht”, 
fhreibt Petrejus, „fo fcheint er wegen des Anfehens, das er 
behauptet, nicht fo ſehr zu bitten, als zu befehlen“ 5). Spalatin 
wagt Feine neue Freundſchaft ohne Bewilligung jeined Lehrers 


?) So ein Brief in der Sanımlung A. 379 der Herz. Bibl. zu Gotha. 

2) Lib. nov. epp. &. 3 b. „Nolo enim supra modum laudes.“ 
Die Ermahnung betrifft befonders Spalatin. — Eben fo wenig litt er es 
jedoh, wenn man fich fcherzhafte Anreden erlaubte; dies fchien ihm mit 
feiner Stellung, die er als Lehrer ihnen gegenüber einnahm, nicht verträg- 
li. Später geflattete er einzelne Ausnahmen. 

2) Bol. den Brief des Grotus an Hutten. „Discessi ab illustribus 
discipulis impetrata dimissione, nolente volente patre redii ad Er- 
Phurdium in consortiam bomisum similitudine studiorum parium.“ 
Opp. Hutteni I, 104. Crotus entfernte ſich wahrfcheinlich gegen Ausgang 
des 5. :508 von Erfurt, noch in der erften Hälfte des J. 1509 Fehrte er 
zu Mutian zurück. — 

u) „Hesse puer! gaude Rufo placuisse videris. 

Nunc placet en Clario: barbara vera Deo. 

Hesse puer! gaude, doctus tua carmina Bufus 

Laudat et ingenii parvula dena Tui‘ 
ſaat Eoban felb® in einem Gedichte an Dlutian; vgl J. F. Hekelius 
Manipulus primus epistolarum singularium. p. 111. 

*) „Ile enim si quid a me desyderat pro ea, qua pollet aucto- 
rFitate, nom tam rogare, quam cogere videtur.‘ Hlustr. virorum epp- 
ad J. Reuchlin. Y 4 a. 


— 18 — 


zu fehließen. Durch ihn wird Herebord, der in Erfurt in fehr 
glänzenden Berhältniffen lebte, vermocht, fih in die Stille des 
Klofterd Georgenthal zurüdzuziehen, um dort einige Zeit unge 
ftört den celaffifhen Studien obzuliegen !). Willig ‚ordnete man 
fich einem Manne unter, der fein ganzes Leben dem Wohle ver 
Jugend gewidmet hatte, und dadurch gegründeten Anſpruch auf 
eine folche Anerkennung zu befißen fchien ?). 

Nur an Eine Eigenheit vesfelben konnte man fih lange 
Zeit nicht gewöhnen. So groß nämlich auch Mutian’d Eifer 
für die neuen Wiffenfchaften war: nie trat er ald Schriftfteller 
für diefelben auf. - Oft drangen deshalb feine Schüler, nament⸗ 
lich der eifrige Eoban, in ihn, auch fchriftftelleriicd für fie 
thätig zu fein, da fie nicht Daran zweifelten, daß er e8 könne >). 
Mutian wich ihrem Anfinnen gewöhnlich mit einem Scherze 
aus, oder er wies fie auch wohl auf Socrates und Chriftus 
bin, die ebenfalls Nichts gefchrieben hätten*), Nur einige 
Fleinere Gedichte, bald Eomifchen, bald ernften Inhalts, erhielt 
man von ihm, die dann bald im ganzen Kreife die Runde 
machten und von den Jüngern, weil fle von ihrem Meifter her- 
rührten, übermäßig gepriefen wurden). Aber nie ließ er fi 


1) M. DB. 5. fol. 93 b. — Darauf bezieht Ach auch Eoban’s fünfte 
Söylle. Der „Phileremus” ift Herebord. Vgl. Farr. I, 15 sqg. 

2) Er felbft verlangte unbedingte Folgfamfeit. „Perspioio enim‘“ fagt 
er, „propter nativum acumen etsi non abditissima longe plura tamen 
quam ceteri.‘‘ ad Hereb. M. B. F. fol. 263 b. — Ueberhaupt machte er 
die Vorrechte des Lehrers überall für fich geltend. 

8) Eoban forderte ihn einmal auf, die Arche Noch zu befingen. 

4) M. B. 5. 290. b. Tentzel p. 105. 

5) So preiſet ihn Coban wegen derſelben übermäßig: 

Grandia verba canis, Juvenes miramur inertes 

Thracia nunc nostrae plectra verentur aquae etc. 
Hekelius 1. c. Die kleinern Gedichte, Die wir von Muttan haben, recht: 
fertigen diefes Lob nicht; fie finden fih in dem Libellus novus & 4 a sqg. 
und in der mutianifchen Brieffammiung der Frankf. Stabibibl. und find 
nur theilweife durch den Drud veröffentlicht. — Bat. auch Rob. rarra 
I, 335 a. 








— 10 — 


dazu bewegen, die Veröffentlichung eines feiner geiftigen Erzeug- 
niffe durch den Drud zu geftatten. „Es geichehe deshalb”, ant- 
wortete er fpäter dem Camerarius, der ihn um den Grund dieſes 
fonderbaren Benehmens fragte, „weil ihm das Seinige nie hin- 
länglich gefalle, deshalb wolle er fich lieber an der Thorheit 
Anderer ergögen“ !'). Der Ruhm eines Schriftftellerd hatte 
nichts Verführerifches für ihn, und nuglos war es, daß Eoban 
fortwährend durch Hinweifung auf denfelben auf ihn einzu 
wirken fuchte „Dann“, entgegnete er ihm einmal, „lebe ich in 
den Büchern, wenn ich bei Dir und den übrigen beredten Jüng- 
fingen bin, die mich einiged Lobes würdig halten“ 2). 

Un» er hatte Recht. Der Ruhm, den er ald das Ober 
haupt und ber 2eiter einer ftrebfamen, für die neuen Ideen 
begeifterten Juͤnglingsſchaar gewann, überftrahlte den des Schrift: 
ſtellers. Jene Männer, die ihm fchon früher jo unzweideutige 
Beweife ihrer Anerkennung gegeben, vermehrten dieſe, feit fie 
ifn eine fo wichtige Stellung einnehmen fahen. Im Jahre 
1509 erfcheint Yabricius Phachus, einer der eifrigften Verthei⸗ 
diger der neuen Richtung in Wittenberg, in feiner Nähe, um 
feinen Rath zu vernehmen 2). „Sch kann es nicht ausdrüden“, 
fhreibt ihm 1508 der jüngere Thomas Wolf aus Straßburg, 
„wie ſehr ich Dich fchäge, verehre und liebe. Du allein verdienft 


1) Camerarius Narrat. de Eob. B 5 a. ,‚‚Ac mihi percontanti 
Aliquando caussam, quam ob rem tam pertinaciter premeret scripta 
sua, cum omnes arbitrarentur et ego quoque putarem, eum scriptio- 
zsibus operam dare, ita fiert respondit, quia sua sibi nunquam satis 
placerent, ideoque malle se frui aliorum stultitia.‘° — Später war Mu⸗ 
tan allerdings mehr ſchriftſtelleriſch thätig, er hinterließ mehrere handſchrift⸗ 
line Werke, über deren Herausgabe Melanchthon noch 1338 und 1543 mit 
Crispinus werhandelte. Tert. lib. D 8 b. und E 1 b. Gamerarius meinte 
damals: „„Namc non voluntas ipsius sed henor et rei litterariae ipcre- 
menta nobis spectanda aumt.““ 1.c. E3a. — Bergl. Corp. Reformat. 
II, 368. 

2) M. B. %. fol. 303 a. 

2) MD. F. fol. 67 a. 


— 10 — 


e8, daß dich Alle wegen Deines Talents, deiner Rechtichaffen- 
heit und Gelehrſamkeit einem göttlihen Weſen gleich nicht 
fowohl lieben, al8 verehrten” 1). Und von dem Ruhm des 
Lehrers geht er fofort auf das Lob feiner Schüler über, „vie ſich 
fo ehr durch Geiſt und Gelehrſamkeit auszeichnen, daß fie nicht 
Anfänger, fondern bereits ergrante Krieger in dem literarifchen 
Kampfe zu fein fcheinen”2), — Gelbft die deutfchen Höfe, 
welche der neuen Richtung günftig waren, der fächfifche, der 
heififche und der von Mainz ſchätzten und ehrten den Mann, 
deffen Wirkſamkeit eine immer größere Bedeutung für die Sache 
des Humanismus gewann 2). 

Neben ſo vielem Erfreulichen, welches Mutian aus ſeiner 
Stellung erwuchs, fehlte es indeß auch nicht an Unangenehmem. 
Mit Verdruß bemerkte er, daß einer der jungen Dichter, Tilo⸗ 
ninus, ungeachtet der vielen dagegen gerichteten Ermahnungen, 
an jener Methode des geiſtloſen Compilirens und rein äußer⸗ 
lichen Nachahmens feſthielt. Selbſt die derbſten Zurechtweiſun⸗ 
gen blieben fruchtlos ?). Bon Wittenberg her beſtürmt ihn 


ı) „Quanti te faciam, Mutiane et quanta veneratione 66 quanto 
amore prosequar, non possum dicendo consequi. Tu unus es, qui ob 
ingenii amoenitatem et candorem fidei et omnis rectae disciplinae 
noticiam merito ab omnibus instar divini numinis, non tam amari 
quam coli mereris. — Concedant precor fata, ut ante fata coram 
possimus colloqui et dextram dextrae jungere et veras audire et 
reddere voces.‘“ Tengel p. 118. 

2) „Vivat Eobanus, vivat Eberbacchus, qui sic ingenio et doctrina 
florent, ut non quidem tirunculi sed plane veterasi in litteraria pugna 
videantur. Urbanum Coenobitam et Spalatinum ac etiam Eobanum 
salvere cupio. Ego totus sum vester. l.c. p. 119. 

2) Vol. Tengel p. 158, 114; Lib.nov.epp. K2?a. M. B. %. fol. 95 a. 

*) Bol. namentlich Tengel p. 69,144, M. B. F. fol. 139 b. Tiloninus, 
urſprünglich Thielmann Gonradi, war 1508 in Erfurt immatriculirt. Durch 
bie bittern Epig ramme des Cordus „Contra Tiloninum“ find viele irrige 
Anfichten über ihn verbreitet, einer mißverflandenen Stelle des Cordus fol 
gend, macht ihn die Friefe'fche Chronik von Erfurt gar zu einem Stadt- 
narren „In der Stadt war ein Stadtnarr Thilo von der Lerchen genannt, 
der immer tolle fchwenfe machte” ad a. 1505. - 





— 11 — 


Spalatin, der fi Anfangs in die höfifchen Verhältniffe nicht 
zu finden wußte, fort und fort mit Klagen); über Hereborb 
vernimmt er, daß diefer anfange, feine jugendlichen Freunde übers 
müthig zu behandeln ?). Der bisher jo ftille Urbanus gibt um 
diefelbe Zeit durch feine Haltung feinen Ordensbrüdern Anlaß zu 
gegründeten Klagen und muß das Klofter Georgenthal, wo er 
bis dahin in aller Ruhe Gott und den Mufen gedient hatte, 
verlaffen 2). Da mußte denn Mutian bald warnen, bald firafen, 
bald tröften oder ermuntern. Keiner machte ihm aber größere 
Sorgen, als der junge Eoban, der ihn fortwährend mit Bitten 
und Klagen behelligte. Als Trebelius den Dichterfranz erhalten 
hatte, Tag auch er unausgefeht den Meifter an, ihm viefelbe 
Ehre zu erwirfen, und als diefer fie ihm endlich gefichert hatte, 
wollte er fie ‚nicht mehr*). Einmal fam es fogar zwifchen 
Eoban und Betrejus zu höchſt bevauerlichen Auftritten. Beide 
wandten fi klagend an Mutian. Da fruchteten feine Hins 
weifungen auf Beifpiele antiker Kriedfertigfeit wenig, auch 
Crotus, dem er die Beilegung des Zwiſtes übertragen, bemühte 
fih vergebens. Erft durch Mutian's perfünliche Anweſenheit 
in Erfurt wurde das gute Einvernehmen zwifchen den Ent- 
weiten wieder hergeftellt ®). 

Sole Vorfälle betrübten die Seele des Lehrers und durch 
wiederholte und verichärfte Ermahnungen zur Mäßigung fuchte 
er ähnlichen Ereigniffen für die Zufunft vorzubeugen. „Bers 
wegenheit und Leidenfchaft führen in der Regel die Jugend 


1) Urban weifet ihn im Auftrage Mutian’s zurecht, Tenkel 78, Mu⸗ 
tian felbft 1.c. p. 8% m. f. w. 

2) M. B. $. fol. 106 a. 358 b. 

2) Im Sabre 1508; vgl. Tengel p. 75. u, M. B. 8. 138 a. 

) M. DB. F. fol. 8330 b. Lib. nov. epp. J 52, JG6Ga,H6 a—b. 
„Vos adolescentes‘“ fagt hier Mutian, ‚‚respuitis amicam objurgatio- 
nem, et non cCogitatis quam simpliciter vobiscam agam.‘ Bol. Farrag- 
l, 35 a. 

2) Lib. mov. epp. 6 7b. U7 a. M. B. F. fol 113 b. 


— 112 — 


vom Wege des Guten” !), war die Lehre, welche er den Sei- 
nigen einprägte; jened weife Maaßhalten, wovon die Alten 
das Mufter gegeben, empfahl er ihnen zur Nachahmung. — Nur 
nah Einer Seite fannte und wollte er jene Mäßigung jelbft 
nicht, — 

Konnte der feindfelige Gegenfaß gegen die Scholaflif, ver 
fo tief in feine Seele eingedrungen war, auf die Bildung der 
Jugend ohne Einfluß bleiben? 


vu 


Es konnte einigermaßen befremden, daß Mutian, der feiner 
eigenen Angabe zufolge?), in der Abficht nah Gotha gezogen 
war, um hier in Ruhe feine Tage zu verleben, fih fo bald an 
die Spige der unruhigen erfurtifchen Dichterfchaar ftelte. Daß 
die feinpfelige Behandlung, die er von feiner unmittelbaren 
Umgebung in Gotha erfuhr, der nächfte Anlaß dazu war, haben 
wir gefehen. Indeß nicht blos Erholung von jenen Wider: 
wärtigfeiten follte ihm vie Thätigfeit in feinem neuen Wirkungs⸗ 
freife fein. Gleichſam um fich zu rächen für die Unbilven, die 
er von feinen ſcholaſtiſch geſinnten Amtsbrüdern hat erdulden 
müſſen, bildet ex zugleich feine Schüler zu den fhroffften und 
rüdfichtslofeften Gegnern der Scholafti, Was einzelne Ber: 
treter der legteren an ihm gefündigt, mußten alle büßen. — 

Unter Maternus’ Leitung hatte ſich die funge Schaar, 
angezogen durch die Schönheit der antifen Formen, froh und 
heiter auf den neu geöffneten Bahnen bewegt, ohne eigentlich 
inne zu werden, wie weit fie fich von den herfümmlichen Vor⸗ 
ftellungen der Schule entfernte. Mutian war nicht zufrieden 
damit, fie auf dem eingefchlagenen Wege weiter zu fördern, er 


1) M. B. F. fol. 177. b. 
2) „Deserui maturo judicio fastum et popularitatem, ut omni 
animi affectione carens sine tumultu vitam agerem.‘‘ Lib.nov. epp.J.1.a. 





— 113 — 


Ienfte auch ihren Bid auf die verlafienen Bahnen zurüd. 
Durch ihn wurde zuerft den Fünglingen der Gegenſatz zwifchen 
ihrer frühern und jebigen Richtung in feiner ganzen Schärfe 
zum Bewußtfein gebracht. Indem er die Schattenfeiten des 
alten Syftem’8 mit den grelften Karben ausmalte, fuchte er fie 
in ihrer Anhänglichfeit an das neue zu befefligen. Er fordert 
Urbanus auf, vor Allem Gott dafür zu danken, daß er ihn aus 
dem Heerlager der Barbaren in die Eenturie der Lateiner 
geführt habe). Er yreifet dem Erotus die Vortheile, die ihm 
burch feine „Wiedergeburt“ zu dem neuen Leben zu Theil gewor- 
ven find, gegenüber dem frühern Elende. „Da Du nun”, redet 
er ihn an, „den Klippen und Sirten entronnen, im Hafen bift, 
erfennft Du leicht, wie elend jene find, welche fich von der Bar: 
barei noch nicht Iosgefagt haben" 2), „Wer möchte fich noch”, 
fhreibt er an Herebord, „in das Lager der Barbaren begeben, 
da bereitd die Sonne aufgegangen iſt“?22) Ald den Kampf 
von Licht und Finfterniß ftellt er ihnen den Gegenſatz beider 
Richtungen dar. Alles wurde von ihm darauf berechnet, feinen 
Schülern die tieffte Abneigung gegen „die Sophiften, jenes 


— — — — — 


1) „Omnium primum age Deo gratias: qui te abalienavit a bar- 
baris, in nostram, hoc est, Latinorum centuriam impegit. Mox fruere 
bono tuo et authoribus proletariis et imi subsellii classicos antepone.‘“ 
Tentzel p. 31. 

2) „„Tunc enim prudens et sanctus tibi videbare, cum adhuc Jeger 
et Dornheim esses; Tunc placebant Doctor sanctus, irrefragabilis, 
Doctor subtilis Heng von Ohau, Hentz von Frimar, Arnolt von Thungern 
et id genus phanatici,. Postquam vero renatus es et pro Jeger Cro- 
tus, pro Dornheim Rubianus salutatus, ceciderunt et aurcs praelongae 
et cauda pensilis et pilus impexus, quod sibi accidisse dicit Apulejus 
cum adhuc asinus esset, et Junae beneficio, quae est regina coeli, 
restitueretur sibi hoc est humanitati. Cum autem evaseris scopulos, 
e syrtibus enataveris, in portu naviges facile cognoscis quam miseri 
sint, qui nondum barbariem exuerunt; nunc felix et beatus, cui bonos 
autores evolvere contigit“ Tengel 151 —2. 

2) „„Quis igitur ad agmen barbarorum se reciperet orto jam 
sole?“ Tentzel p. 163. 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 8 


— 114 — 


Jornige, anmaßende und geizige Gefchlecht” einzuflößen. Gegen 
diefe Schonung auszuüben, hielt er nicht für Pflicht. Was 
nur immer mit Zucht und Anftand vereinbar war — und 
damit fand er in diefem Falle außerordentlich viel vereinbar — 
erlaubte er fi und den Seinigen, fobald die Rede auf die 
Anhänger des alten Syftems fan’). Jene Gedichte, mit denen 
er um diefe Zeit feine Jünger befchenfte, atmen theilweiſe den 
bitterften Haß gegen die Scholaftif und was mit ihr zufammen- 
hing und find feineswegs ein Mufter der poetifchen Lauterkeit, 
die er früher dem Eoban u. A. einſchärfte 2). Vor Allem traf 
fein Unwille die academifchen Grade, weil er in ihnen dad 
vornehmfte Herrfehaftsmittel der Sophiften fah und von ihnen 
die meifte Gefahr für die Seinigen beforgte. „Wo die Ber- 
nunft den Vorſitz führt”, Außerte er wohl, „da bedarf es Feiner 
Doctoren” 3). Ueber Magifter und Baccalaureen fprach er nur 
in Ausdrüden der Beratung und des Spottes, um dadurd) 
ſolchen Auszeichnungen den Reiz zu benehmen, den fie noch auf 
einzelne Schüler ausüben mochten +). Eoban, der auf feine neu 


2) Lauze in feiner Chronik 1.c. p. 120 fagt zwar: „So ein freund 
und Holtfeliger man ift er gewefen, niemands zu flolg noch zu hoffärtig, ber 
auch ein fonderlich wolgefallens an zuehtigen vnd ehrlichen fchimpfreden 
getragen“, aber diefe Züchtigfeit und Ehrlichkeit war mwenigftens in feinen 
Angriffen gegen die Scholaftif nicht zu groß. 

2) So findet ſich namentlich ein noch -ungebrudtes Gedicht von ihm in 
der M. DB. 5. fol. 9% a, das des Obſcoenen genug enthält; zu dem Ge⸗ 
lindeften gehört, was er über die Priefter fagt: 

Quis sacerdotes asinos 
Ferat, qui se doctissimos 
Et sua censent optima 
Quae nil detestabilius — 
Nam qui se ipsos nesciunt 
Ac eruditis praeferunt 
Plus ceteris superbiunt 
Et stulti pulsant cymbala. 
2) M. B. F. fol. 53 a, 
4) Einer Baccalaureenprüfung, welche die Profeſſoren in Erfurt abhiel⸗ 





— 15 — 


erlangte Magiſterwürde einiges Gewicht zu legen fchien, gerieth 
dadurch in Gefahr, die Gunft des Lehrers zu verlieren. Als 
etwas Unwürdiges ftellte diefer ed dar, wenn Männer von 
wahrer Bildung ſich Anftrengungen unterzögen, um zu jenen 
leeren, barbarifchen Titeln zu gelangen ; und nur deshalb geftattete 
er. den Seinigen die Accommodation an die allgemeine Sitte, 
weil dad Anfehen, welches fie durch die academifchen Grade 
empfingen, ihnen in dem Kampfe gegen die Sophiften zu Statten 
fomme. „Sch will doch”, fchrieb er an Urbanus, „daß Du Dir 
den Meagiftertitel erwirbft, damit Du unter diefer Masfe die 
Unmündigen in der Dunkelheit in Schreden feßen fannft“ 1). 

Derartige Ermahnungen verfehlten ihre Wirkung nicht. 
Schon bald gewann Erotus durch feine wißigen und bittern 
Ausfälle gegen die Sophiften den Beifall des Lehrers im höchften 
Grade. Eine ähnliche Gefinnung befundete Petrejus. Urban, 
der nach feiner bereitd erwähnten Entfernung aus dem Klofter 
Beorgenthal von feinen Ordensobern nach Leipzig gefchict wurde, 
um fich dort die philojophifche Magifterwürde zu erwerben, 
beſchwerte fich in einem Briefe an feinen jüngern Freund Eoban 
über die vielen Thorheiten, mit denen er fich befchäftigen müſſe, 
„denn Poſſen zu treiben werden wir gezwungen”, fchreibt .er, 
„wir, Die wir und um academifche Ehren bewerben” 2), In 





— — 


ten, gedenkt er mit den Worten „examen puerorum congregaverunt, ut 
bacularios lignariosque crearent.‘“ Lib. nov. epp. K 3 a. 

1) M. B. 5. fol.140 a. „Volo tamen personam tibi megistri im- 
ponas ut persenatus terreas infantes in tenebris.“ — Auf die Art und 
Weiſe der Erlangung der academifchen Ehren fam ihm wenig an; er gab 
dem Spalatin den Rath, ſich das juriftifche Barcalaureat zu erfaufen. 
Tentzel p. 81. 

2) Dgl..Libellus alter, epistolas complectens Eobani et aliorum 
quorundam doctissimorum virorum nec non versus varii generis atque 
argumenti Auctore J. Camerario. Lips. 1557. 8°. — J 8a. „Sed 
Pythagoricum fecit infinita et inexhausta legendae barbariae occu- 
patio. Quid enim mihi Bacillario reliquum esse putas, quam ut ma- 
gisterii insignia accipiam? (Quibus impetrandis idoneus nemo esse 

8r 


— 116 — 


einem an Spalatin gerichteten Briefe führte er Klage darüber, 
daß die Thorheiten und Abfurditäten der Sophiften die anges 
borne Schärfe feines Geiſtes abftumpften !). Diefe bittere, 
gereizte Stimmung verbreitete fih almählig über Mutian’d 
gefammte. Süngerfchaft und nur der einzige Eoban erhielt fid 
damals noch von derfelben frei?). Ihn fcheint vor jener Bits 
terfeit vorzugsmweife die Rüdficht auf feine alten, acdhtungswer- 
then erfurtiichen Lehrer bewahrt zu haben. Seine Freunde 
kannten diefe nicht; am wenigften gab Mutian dergleichen Be: 
trachtungen Raum, „denn wir haben Nichts davon zu beforgen“, 
äußerte er kalt, „was ftreitfüchtige Sophiften über die Jüng⸗ 
linge unferer Schaar urtheilen” 3). Der gute Erfolg, von dem 
feine Ermahnungen begleitet waren, war ihm vielmehr ein 
Sporn, auf dem einmal betretenen Wege weiter zu gehen und 
die vorhandenen Gegenfäse noch zu verfchärfen. Wiederholt 
ermahnte er die Seinigen zum feften und treuen Zujammen- 
halten; er gewöhnte fie daran, fi al8 Glieder eines zum ent- 
fhiedenen Kampfe für die neue Richtung gefchloffenen Bundes 
zu betrachten und fuchte fie mit dem Gedanken eines baldigen 
feindlichen Zufammentreffens vertraut zu machen *), Er liebte 


potest sine ineptitudine multiplici. Cogimur enim ineptire quicunque 
petimus literarias dignitates, quae rectis studiis vix ullae his tempo- 
ribus dantur. Vides enim, quid fiat, quid velint, quid faciant, qui 
omnia faciunt, omnia possunt.“ Das Schreiben ift d. d. Lipsiae 1508 
die Jov. post Martinianam festivitatem. — 

I) „Ego enim in hac schola pythagorica sedulus nugamentorum 
auditor praeter quisquilias nihil lego et absurda frivolaque Sophis- 
tarum dictata nativam aciem ingenii hebetant.“ M. B. F. fol. 63 b. 

2) Es ift charakteriftifch für die Stimmung, welche damals unter 
Mutian’s Schülern herrfchte, wenn Mutian felbft in einem Briefe an He: 
rebord (1508) fie alle als verfchlagen bezeichnet und den leßteren auffordert, 
feinem zu trauen, al& dem Eoban. „Nemini confidas, Eobanum excipio.“ 
M. DB. F. fol. 112 a. 

®) „„Neque enim metuendum est, quid de nostri ordinis adolescen- 
tibus sophistae contentiosi judicent.“ Lib. nov. epp. K 3 a. 

2) Der Begriff einer feft gefchloffenen humaniftifchen Verbindung, So- 





— 117 — 


es, ſie als ſeine lateiniſche Cohorte, ſich ſelbſt als ihren Feld⸗ 
herrn darzuſtellen, der fie in Kurzem zum Siege gegen die Bar 
baren führen werde. „Ausdauern müflen wir”, redet er einen 
feiner Untergebenen an, „da wir und einmal zu diefem Krieges 
dienfte befannt haben und gleichſam durch einen Eoldateneid 
vereinigt find“ 1). 


VII. 


In Folge der gereizten Stimmung, welche ſich in dem 
mutianiſchen Kreiſe kundgab, mußte ſich aber auch das Ver⸗ 
hältniß ändern, in welchem derſelbe bisher zu der Univerſität 
geftanden hatte. 

Jenes freundliche Einvernehmen zwifchen Mutian und den 
älteren Lehrern der Univerfität war auch durch den lebhaften 
Verkehr, in den erfterer bald mit der poetifch gefinnten Jugend 
trat, nicht geftört worden. Vielmehr fteigerte fich eben dadurch 
Mutian’s Anfehen in Erfurt. Wie der von ihm geleitete huma⸗ 
niftifche Dichterbund immer mehr das Leben der Univerfität in 
fih zu concentriren fchien, fo wurde er felbft aewifiermaßen als 
das geiftige Oberhaupt der Univerfität verehrt. Goede's und 


— 


dalitas, Cohors, Legio, Classis, Ordo genannt, trat erft damals beflimmt 
hervor. 

ı) Lib. nov. epp. K 4 b. ad Hereb. Die ganze Stelle ift wichtig 
genug, um fie herzuſetzen: „Me primum pilum inter auxiliarios secun- 
dum latinas legiones ducente magnus eris assertater et idoneus vin- 
dex contra barbaros, quorum conspirationi singuli sumus impares, 
conjuncti vero stabimus in acie viriliter et sublatis signis praeliabi- 
mur. Durandum enim est, quia semel huic militiae nomen dedimus 
et foederati sumus, quasi militari jurejurando. Ne si inclinata acie 
nostra brachia manus et arma submiserimus extrema patienda sint 
nobis et res latina, quam prudentissimo saeculo ab interitu, clade, 
ruina et internecivo barbarorum odio vindicarunt, nunc tandem iterum 
prolapsa penitus extinguatur, professoribus suis sub jugum missis vel 
interfectis.“ Diefer Brief it aus der erften Hälfte des 3. 1509, keinen⸗ 
falls fpäter. — 


— 13 — 


Trutvetter's Einfluß war nie fo groß gewefen, ald der des 
gothaifhen Banonicus. Sein Name wurde gefeiert, feine 
Freundichaft und Nähe von jedermann gefucht; die Jüngeren 
waren erfreut, wenn ed ihnen gelungen, in die „Kunde“ des 
berühmten Mannes zu kommen. Die Vorgefeßten der Univer- 
fität ehrten ihn durch die größten Auszeichnungen. Man findet, 
dag ihm zu Ehren in den Jahren 1507 und 1508 Sünglinge, 
die ihm nahe ftanden, unentgeltlih an ber Univerfität imma: 
trienlirt wurden !). 

AS aber Mutian nit feiner Schaar jene Bitterfeit, jenen 
leidenfchaftlichen Haß gegen das alte Syſtem zu zeigen begann, 
da verftummte auch allmählig der Beifall, ven man ihm bie 
dahin gezollt. Denn wie fehr auch Alle den neuen wiffen- 
ſchaftlichen Beftrebungen geneigt waren, fo unbedingt und fo 
rüdfichtslos, wie Mutian vorfchrieb, mochte man ſich ihnen 
doch nicht hingeben. Seine gehäffigen Aeußerungen über das 
ſcholaſtiſche Lehrſyſtem erregten bei den älteren Lehrern allge 
meinen Anftoß. Die Meiften zogen fich gänzlich von ihm zurüd. 
Biele ſchenkten jegt der feinpfeligen Haltung, welche die übrigen 
Univerfitäten fchon immer den neuen Studien gegenüber gezeigt 
hatten, ihren Beifall. Einen angefehenen Mönd aus dem 
Benedictinerflofter hörte man öffentlich behaupten, daß die neuen 
Dichter die Verderber der Univerfitäten feien 2). | 

Mutian ließ fih durch gegnerifche Regungen diefer Art 
nicht beirren. Leicht überzeugte er fich, daß die Stimmung der 
Aelteren Feineswegs die allgemein herrfchende fei. Gerade im 
Sabre 1509 erhielt fein Bund aus den Jüngeren mehrere rüftige 


— — — — — 


ı) So 1507 unter dem Rectorat des Reimbote ein Benedictus Lutri- 
bergius gratis ob honorem dm Doctoris Muciani, 1508 unter dem Rec⸗ 
torat des Grafen von Henneberg ‚„‚Henricus Apollo de honkirchen gratis 
inscriptus ob reverentiam D. Doctoris Muciani et Spalatiai. €. U M. 
— Der Eromius (?) Appollo, deſſen Crotus in einem Briefe an Hutten 
gedenft (Opp. Hutt. I, 105.) ift wohl identifch mit dem Letztgenannten. 

2) Lib. nov. epp. & 2 a. 


— 119 — 


Mitglieder: einen Hunus, Mufardus, Hacus, Femelius, Draco, 
Sünglinge von gleichem Eifer für die neuen Studien bejeelt. 
Üeberhaupt neigte fi) die gefammte jüngere Generation auf 
feine Seite. „Ich wünfche den jüngeren Lehrern in Erfurt 
Süd”, fchreibt er an Herebord, „weil fie fih von der Barbarei 
befreien” 1). 

Im Bertrauen auf fie wagte er es Tühnlich, den Aelteren 
die Spige zu bieten. „Nichts richten die Feinde der Wiffen- 
ſchaften aus”, Außert er fich 1509 in einem Schreiben an den 
Rector der Univerfität.. „Sie mögen wollen oder nicht, die 
Zahl der Gebilveten mehrt fih. Dies wollte ich Dir zu wiffen 
thun” 2). 

Aber fchon fah fih die Lage der Dinge bevenflicher an. 
Der ruhige, ungeflörte Yortgang, den bie neuen Ideen bisher 
in Erfurt genommen, war durch die lebten Borfälle unmöglich 
geworden. Eine ihnen entfchieden feindjelige Partei hatte ſich 
zu bilden begonnen. Ein Kampf zwifchen der neuen und alten 
Richtung ſchien in der nächſten Zukunft bevorzuftehen. Da 
fliegen unerwartet von ganz anderer Seite fchwarze Gewitters 
wolfen auf, welche beide Parteien in gleicher Weife mit dem 
Verderben bedrohten. 





!) „„Gratulor junioribus magistris Erphordianis, quod se a bar- 
baria vindicent.“ Tengel l.c. p. 105. 

2) Tert. lib. epp. D 7 a. ‚‚Nihil agunt hostes literarum. Velint, 
nolint, multiplicantur politiores. Hoc velui ne nescires.“ — 


— 190 — 


viertes Capitel. Die flädtifche Revolution 1509, 10, 


„Vidimus ibi omnia discordiarum plena, 
discedente plebe a patribus quotidieque nova 
moliente. Non tatam videbatur versari inter 
enses, atque pro calamo ferrum tractare.“ 

Crotus, 


I. 


Während der Zwiefpalt an der Univerfität immer deut 
licher hervortrat und Alles ein feindliches Zufammentreffen der 
beiden Richtungen ald nah bevorftehend anzufündigen jchien, 
begann im Innern der Stadt ein Kampf zwifchen zwei Ahnlich 
geitellten Gegnern. Der Zwift zwifchen Rath und Gemeine, 
das gemeinfame Erbübel aller ſtädtiſchen Gemeinwefen jener 
Zeit, machte Erfurt in den Sahren 1509 und 1510 zum Schau 
plage der Ausbrüche der wildeften Leidenfchaft und blutiger 
Gemaltthaten. Nicht mit Unrecht führt jene Zeit in ber 
. erfurter Gejchichte den Namen des „tollen Jahres." Die große 
Wichtigkeit, welche die Ereigniffe desfelben für die Univerfität 
und namentlich für die Fortentwidelung ver beiden ſich ent- 
gegengejegten Richtungen erhielten, macht es nothwendig, daß 
wir einen Augenblid unfere Aufmerffamfeit den ftäptifchen 
Angelegenheiten zuwenden !). 


1) Die erfurter Chroniken befhäftigen ſich mit befonderer Borliebe mit 
der Gefchichte des tollen Jahres und find reich an intereffanten Einzelheiten. 
Indeß wird ihr Werth durch die durchgängige Parteilichfeit der Verfaſſer, 
fei es für Mainz oder für Sachen, fehr beeinträchtigt. Hogel in feiner 
Chronik laßt fih durch feinen leidenfchaftlichen Eifer gegen Mainz nicht 
felten zu irrigen Angaben verleiten; in eben fo aehäffigem Tone gegen 
Mainz ift die Frieſe'ſche Chronik (im Beflg des Herrn Stabtrath Herrmann 
zu Erfurt) gefchrieben, während R. B. von Wechmann’s „„Memorial Hi⸗ 
ftorifcher Befchreibung vom Urſprungk und wachsthum der Löhlichen Friedens⸗ 
ſtadt Erfurt” für Mainz gegen Sachſen Bartei ergreift. Unter ben gebrud- 
ten Schriften, welche den Gegenftand behandeln, vertreten die Werke von 





— 1211 — 


Obgleich des Vorzuges der Reihdunmittelbarkeit entbehrend, 
nahm Erfurt in den mittleren Jahrhunderten unter den deutjchen 
Städten doch eine fehr bedeutende Stellung ein. Das Ab» 
_ hängigfeitsverhältniß, in dem es politifch wie Firchlich zu Mainz 
fand, that feinem Auffommen und feiner Blüthe wenig Ein- 
trag. Die dem Handel günftige Lage der Stadt machte dieſe 
fhon frühzeitig zum Schauplatze eines lebhaften Verkehrs, zum 
Stapelplage für den Handel zwifchen den obern und niedern 
Landen. Zahlreiche Faiferliche Privilegien, deren erfted ihr von 
Friedrich II. fchon um das Jahr 1234 gegeben war, ſchützten 
fie in ihren Rechten. Durch Kauf und Waffengewalt hatte fie 
feit dem Jahre 1266 weitläufige auswärtige Beflgungen an 
fih gebracht und nur Nürnberg und Ulm fonnten ſich unter 
den deutfchen Städten an Größe des Gebietd mit ihr mefjen. 
Die Stadt ſchloß Bündniffe mit Fürften und Herrn, ihre 
Sreundfchaft ward gefucht, denn die zahlreichen mit glücklichem 
Erfolg geführten Kriege legten Zeugniß ab von ihrer Waffen- 
tüchtigfeit. Der Eifer, womit fie fi die Aufrechthaltung des 
Landfriedens gegen die mächtige thüringifche Ritterfchaft anges 
legen fein ließ, hatte ihr den ehrenvollen Namen der „Friedens: 
ſtadt“ verſchafft!). Mancher raubluftige Evelmann war durch 
Erfurter von feinem Hofe weggeholt worden; nad) der Zer⸗ 
ſtörung von Raubburgen ftreuten fie wohl Waidjamen, das 
Symbol erfurtifcher Induftrie, auf die Trümmer derfelben, um 
anzudenten, daß es durch Erfurter gefchehen 2). Daheim war 


— — — — — 


Gudenus und Falckenſtein ebenſo ſehr das mainziſche Intereſſe, als Weinrich 
in feiner 1713 anonym erſchienenen „Kurk gefaßten und gründlichen Nach⸗ 
riht von den vornehmften Begebenheiten ber uhralten und berühmten Haupt: 
Stadt Erffurt“ das fächfliche. 

ı) Gudenus Historia Erffurtensis Duderst. 1675. p. 61. Hundorph 
in feinem Encomium Erffurtinum 1651. 4%. A 23 a. weiß fogar, daß kai⸗ 
at Majeftät ſelbſt die Stadt mit diefem Titel „allergnädigk begabet 

a.” — 
2) Kaldenftein 1.c. I, 160. 


— 12 — 


die Stadt wohlverwahrt mit Wal und Mauer, deren Urfprung 
die ruhmredige Sage bis ‚auf Attila’8 Zeiten zurüdzuführen 
wußte. Drinnen zahlreiche Kirchen, — fehon im vierzgehnten Jahr⸗ 
hundert zählte die Stadt 28 Pfarrfirchen — reiche Klöfter, das 
prächtige Rathhaus, die Zierde der Stadt, und, worauf fie vor: 
Allem ftolz war, die Univerfität, 2) die man, wie der Ehronift 
fagt, zu dem Zwede gegründet hatte, „daß die Mufen den 
Mars vertreiben follten.” Wie ftarf die Stadt bevölfert war, 
erfehen wir daraus, daß allein im Jahre 1464 an der Peſt 
28,000 Menfchen farben. Große Reichthümer lagen bei den 
Vornehmen aufgehäuft. Wohlftand herrfchte unter allen Stän- 
den und hatte, außer in Handel und Gewerbe, in der Frucht: 
barfeit der Umgebung eine nie verfiegende Duelle. Natürlich 
ftellten fi im Gefolge eines ſolchen Zuftandes auch bald 
Veppigfeit und Luxus ein, und wir finden, daß fehon frühzeitig 
ſcharfe Gefege gegen das übermäßige Prunfen mit Gold und 
Seide in der Kleidung nöthig wurden. „Gott plaget andere 
Leute mit Theuerung, uns ftrafet er mit Fülle,” fagte einmal 
einer der angejehenften erfurtifchen Prediger. Staͤdtiſcher Factions⸗ 
geift fand hier unter einer von Nahrungsforgen nicht gedrüdten, 
leicht erregbaren Bürgerfchaft einen fruchtbaren Boden, und 
Anlaß zum Hader boten hinlänglich die Webergriffe, welche ſich 
die an der Spiße befindlichen Gefchlechter zu Schulden fommen 
ließen. Schon in den Zeiten ded Interregnums hören wir 
von einem mit großer Erbitterung zwifchen Rath und Gemeine: 
zu Erfurt geführten Kampfe. Rudolph von Habsburg Fonnte 
1289 bei feiner Anwefenheit nur durch die ftrengften Maaß- 
regeln die Ruhe einigermaßen wiederherftellen?). Zwanzig 


I) Selbſt bei den Auswärtigen galt die Univerfität ale die vorzüglichfte 
BDertreterin des erfurtifhen Ruhmes; fo fagt Aeneas Sylvius in feiner 
Historia de Europa: „In Thuringia nobile oppidum et caput gentis 
Herfordia, Maguntino subjecta pontifici, studiis liberalium artium 
insignis.‘‘“ Aeneae Sylvii Piccol. Opp. editio Basilieus. p. 423 b 

2) Bol. Gudenus Hist. Erf. p. 68. 


— 193 — 


Jahre fpäter, im Jahre 1309, brach dann in Folge neuer Ueber⸗ 
griffe von Seiten der Machthaber die gewaltige Volksbewegung 
aus, welche der Alleinherrfchaft der rathsfähigen Gefchlechter 
für immer ein Ende machte und dem Snftitut der aus den 
Biereigen und den Handwerkern gewählten „Bierheren” das 
Dafein gab, die, mit tribunicifcher Gewalt ausgerüftet, fortan 
das Intereſſe der Gemeine wahrnehmen follten ’), Dadurch 
war nun zwar die Gemeine gegen die früheren Berrüdungen 
fiher geftelt, aber e8 fehlte doch noch viel daran, daB ihren 
Wünſchen vollftändig genug gefchehen wäre. Die neuen Bier 
herrn vergaßen überdies nur zu leicht Urfprung und Zweck 
ihres Amtes, ſchloſſen fi den herrfchenden Gefchlechtern an 
und fo fehrte in Kurzem das frühere gefpannte Berhältniß 
zwiihen Regierenden und Regierten wieder zurüd. Es war 
ein Glüd, daß die Gemüther von diefen inneren Zermürfnifien 
durch die glüdlichen Ilnternehmungen abgelenkt wurden, mit 
denen die Stadt in der folgenden Zeit nach außen hervortrat. 
Draußen, dem Feinde gegenüber, vergaß man den Gegenſatz, 
der innerhalb der Mauern Alles entzweite. „Wer im Streit 
feinem Compan nicht hilft, fol nicht gen Erfurt fommen und 
was er hat, fol Beute werden,” lautete ein Artifel des alten 
erfurtifchen Zuchtbriefes. 

Die glänzenden Unternehmungen, welche im Laufe des 
vierzehnten Jahrhunderts von Erfurt ausgingen, brachten die 
Stadt zu ihrer größten Blüthe. Da ließ fih denn auch wohl 
die Gemeine manche Bedruͤckung gefallen von einem Regimente, 


1) „„Missis hinc inde legatis, demum in hoc conventum est: 
Eligeret plebs tribunos quatuor, qui ad januam aulae senatoriae 
sederent, acta senatus observarent, intercedendi potestate, non defi- 
niendi uterentur, remisit de impetu plebs et nominatis de numero suo 
Quatuor viris Senatus proclamatus est.“ Gudenus 1.c. p. 81. — Auf 
diefen Sieg der Gemeine beziehen fich vielleicht einige der Umfchriften ber 
bereit erwähnten Rathhausfchilder, 3. B. die folgende: 

Wer recht tut der ift wol geborn 
ani tugint it adil gar velorn. 


— 14 — 


unter welchem das Anfehen und der Ruhm der Stadt fo glän- 
zend nach außen geltend gemacht wurden. 

Dies änderte ſich aber, als im fünfzehnten Jahrhundert 
die allzufühnen Bläne des Rathes in Einem PBunfte- fcheiterten 
und Erfurt in Folge davon genöthigt ward, feine frühere 
Machtſtellung aufzugeben. 

Schon längft hatte die ſtolze Stadt ihre Unterordnung 
unter Mainz nur mit Widerwillen ertragen, und ob ſchon die 
Umſchrift des Stadtſiegels fie fortwährend „als treue Tochter 
des mainzifchen Stuhles“ ypries!), fo verrieth ihr Auftreten 
doch nur zu häufig die Abficht einer Emancipation von der 
mütterlichen Beauffichtigung. Unverholen gab fich dieſes Streben 
feit den Zeiten des Ehurfürften Conrad II. (1419—34) fund. 
Der Rath ließ großartige Bauten unternehmen, Feftungswerfe 
mit ungewöhnlichem Koftenaufwand aufführen, un jo den 
mainziſchen Anfprüchen mit Nachdruck entgegentreten zu fünnen 2). 
In diefem Sinne gefhah e8 auch, daß man zu dem Haufe 
Sachſen in freundfchaftliche Beziehungen trat?). Den main- 
zifchen Churfürften Dietherich nahm man einige Zeit fpäter nur 
unter der Bedingung auf, „daß er die Stadt bleiben ließe bei 
aller Herrlichkeit und Freiheiten.” Um ein Bedeutendes fchien 
die Stadt ihrem Ziele, der Unabhängigkeit, näher gerüdt, ale 
nach dem Tode eben jenes Dietherich zwei Prälaten, Diether 
von Iſenburg und Adolph von Naffau, fih um den Beſitz des 
mainzer Stiftes ftritten. Den günftigen Zeitpunft wahrneh⸗ 
mend, machte der Rath von Erfurt die großartigften Anftreng- 
ungen, um die Befreiung der Stadt von der mainzifchen Ober: 





1) Schon 1192 führte das Stabtfiegel die Umjchrift: Erfordia est 
fidelis filia Moguntinae sedis. 

2) Bel Mencken. Script. rer. Germ. Il, 1553. Baldenftein. c. I, 
303. Auf die Befefligungen wurden 5433 Talente verwandt. ' 

5) Das Berhältniß zwiſchen Erfurt und Sachfen wurde noch enger, 
als 1440 das früher von den thüring. Landgrafen behauptete Geleitsrecht 
in Erfurt auf die fächfifchen Fürſten überging. 





— 15 — 


boheit durchzufegen. Aber Unglücksfälle, von denen die Stadt 
bald in furchtbarer Weiſe getroffen wurde, die fchredliche Peft 
im Jahre 1464, der große Brand von 1472, der einen großen 
Theil der Stadt einäfcherte, machten die Erreichung jenes Zieles 
unmöglih. Dazu Fam, daß der EChurfürft Diether am Ende 
feiner Tage die Klugheit befaß, den fächfiihen Prinzen Ernſt 
zu feinem Coadjutor anzunehmen. Hierdurch ihres bisherigen 
Rüdhaltes an dem Haufe Sachſen beraubt, ſah ſich die Stadt 
genöthigt, das mit jo großer Beharrlichkeit verfolgte Ziel ganz- 
Lich aufzugeben). Die Friedensſchlüſſe von Amorbach und 
Weimar (1483) beftätigten nicht nur die Abhängigfeitöverhält- 
nifie der Stadt, fondern nahmen ihr auch das Uebergewidht, 
welches fie bisher in Thüringen behauptet hatte. 

" Damit aber hatten die Mißgeſchicke ver Stadt noch nidht 
ihr Ende erreicht. Statt ſich felbft und Andern den geſunkenen 
Zuftand Erfurt einzugeftehen, juchten die Herrn, welde am 
Regiment faßen, denfelben dadurch zu verdeden, daß fie ganz 
in der frühern Weiſe zu regieren fortfuhren und auch jebt noch, 
wie in den Zeiten der größten Blüthe, große Summen auf 
glänzende Gefandtichaften, ftäptifche Feftlichfeiten u. dgl. ver- 
wandten. Sehr bald rächte ſich Died. Die Schuldenmaffe der 
Stadt, weldhe ſchon während jener Unabhängigfeitsbeftrebungen 
eine bevenkliche Höhe erreicht hatte, wuchs in erichredender 
Weife. Die Ausficht, fie jemals abtragen zu können, fing an 
zu fchwinden. Neue Auflagen famen nur unvollftändig ein 
und fchafften Feine Hülfe Die Gläubiger, zum Theil dem 
febveluftigen Adel angehörend, juchten fi durch Angriffe auf 
Perſon und Eigenthum erfurtifcher Bürger ſchadlos zu halten. 
Da erwachte in der Gemeine von Neuem der alte Widerwille 
gegen die Machthaber, denen nunmehr alles Unglüd zugejchrieben 
wurde. Vergeblich fuchte der oberite Vierherr Heinrich Kelner 


1) „„Actum videbatur‘“ fagt Guben, „de Erfordiae licentia, Patre 
in Saxonia, fillo Moguntiae imperante.““ 1.c. p. 160. 


— 136 — 


der augenblidlihen Roth dadurch abzuhelfen, daß er das wich⸗ 
tige Gapellendorf wiederfäuflih an Sachen überließ. Der 
Verluſt diefer fhönen Beflgung, welche zugleich eine Erinnerung 
an die blühendften Zeiten der Stadt war, erhöhte nur noch die 
Mipftimmung. Die innern Zuftände der Stadt gewannen ein 
düfteres Ausfehen; Alles fchien auf einen neuen Kampf der 
Gemeine gegen die herrſchende Klaſſe hinzudeuten. Da gefchah 
ed, daß durch einen Mißgriff des NRathes felbft den Unzufrie 
denen die Waffen in die Hand gegeben wurben. Bei ber 
großen Berlegenheit, in welcher fi) der Rath befand, war 
nämlich) von Einigen der Gedanke geäußert worden, man müfle 
offenherzig der Gemeine den Grund des ganzen Unglüds, vie 
Schuldenverhältniffe der Stadt, vorlegen und fie freundlich um 
Rath und Beiftand erfuchen. Unbegreiflich fcheint es, wie 
diefer Vorſchlag den Beifall der Mehrzahl finden Fonnte: man 
beihloß, ihn unverzüglich zur Ausführung zu bringen. Um- 
font war es, daß Einfihtövollere, das Gefährliche jener Maaß⸗ 
regel ahnend, ſich dagegen feßten. 


1. 


Der achte Juni des Jahres 1509 war für Erfurt ein fehr 
verhängnißvoller Tag. Vor fechszehn aus der Gemeine nad) 
den vier Vierteln erwählten Vertretern machte an diefem Tage 
der rathlofe Rath feine wichtigen Enthülungen über die Schuls 
denverhältniffe der Stadt !). Da erfuhr man zum allgemeinen 
Schreden, daß die Schulden die ungeheure Höhe von beinahe 
600,000 Gulden erreicht hatten. Die Heren vom Rath hatten 
faum das Wort ausgefprocdhen, als fie den gefchehenen Miß⸗ 
griff einfahen. Die ungewöhnliche Aufregung, welche ſich in 


ı) Die 16 GErwählten hatten fich. eingeben der frühern Härte bes 
Rathes, zuvor von der Gemeine Gut und Leben ficher ftellen Lafien, „denn 
mit Herrn fei böfe Kirfch eſſen.“ Falckenſtein 1.c. I, 455. 


— 1171 — 


der Gemeine verbreitete, fobald fie von ihren Erwählten das 
Rähere erfahren, ließ den Rath das Aeußerfte befürchten. Was 
fo eben noch den Gegenſtand feiner größten Eorge ausmachte, 
die finanzielle Bedrängniß, fchien unbedeutend gegen die neue 
Gefahr, die er felbft bedachtlos heraufbeſchworen. Zunächft 
verlangte die Gemeine, daß die Herrn, welche bisher am Regis 
ment gejefien, Rechenichaft ablegen follten. Der Rath; juchte 
dem Anfinnen auszuweichen, zu befänftigen und bat endlich, 
als das Bolf dennoch auf jeinen Forderungen befland, die 
ſächſiſchen Fürften um Hülfe. Die nächte Folge davon war, 
daß die Gemeine ſich jetzt um fo inniger an den rechtmäßigen 
Herrn der Stadt, den Ehurfürften Uriel von Mainz, anjchloß, 
fo daß der Kampf zwilchen Rath und Gemeine zugleich ein 
Kampf zwiſchen einer ſächſiſchen und mainzifchen Partei wurde. 
Trotz der Abmahnung von Seite Sachſens und troß der 
Gegenvorftellung des Rathes, welcher jede Annäherung an 
Mainz als gefährlich für die Privilegien der Stadt darzuftellen 
fuchte 2), wußte ed die Gemeine doch durchzufegen, daß ſchon 
nach wenigen Wochen eine Geſandtſchaft nach Mainz gejchidt 
wurde, um den Ehurfürften von dem „Unrathe * der Stadt in 
Kenntniß zu feben und feine Hülfe anzuflehen. Nach der Abs 
reife der Befandten wurde aber die Verwirrung in der Stadt 
immer größer. Ein anardifcher Zuftand ftellte ſich ein; der 
Rath hatte alle und jede Haltung verloren, das Volk forderte 
die Schlüffel zu dem großen Thurm im Brühl und das Stadts 
fiegel 2). Und fchon flieg aus den niedrigften Schichten der 
Bevölferung die fogenannte „ſchwarze Rotte” empor, welche, 
bereits nicht mehr zufrieden mit der gemäßigten Haltung der 
Ermwählten, den wilveften Haß gegen Rath und Rathsverwandte 
zur Schau trug. Unter den Angefchuldigten traf der allgemeine 
Haß Feinen in fo hohem Grade, als den oberften Bierheren des 


1) Bol. Faldenftein 1.c. I, 497. 
2) Wechmann 1.c. ad a. 1509. 


— 1383 — 


Jahres 1507, jenen Heinrich Kelner, der zu dem Schimpf, wo: 
mit er die Stadt durch Verſetzung des Amtes Bapellenvorf 
angetban, noch den Ausdrud der Verachtung gegen die Gemeine 
hinzugefügt hatte. „Ich bin die Gemeine”, Batte er übermüthig 
den Ermwählten entgegengeworfen, als diefe ihn darüber zur 
Rede ftellen wollten, daß er jene Befisung ohne Wiflen und 
Outheißen der Gemeine veräußert habe. Dieſes vermeflene 
Wort reiste den Unwillen des Volkes gegen ihn auf das höchite. 
Er wurde in feinem Haufe in gefänglidem Gewahrfam gehal- 
ten und mußte jeden Augenblid auf das Aeußerfte gefaßt fein, 
bis es ihm endlich gelang, in die nahe BVitusfirche zu entkom⸗ 
men, deren Afylrecht ihn vor dem Schlimmften ſchützte. In⸗ 
zwifchen fam die Nachricht nach Erfurt, daß jene nad) Mainz 
abgeordneten Gefandten auf der Rüdreife im Gothaifchen von 
ſächſiſchen Mannfchaften aufgehoben und die ihnen beigegebenen 
mainzijchen Räthe zur Heimfehr genöthigt feien. Die Freude, 
welche die Rathsherrn über diefen Vorfall an den Tag legten, 
war nur von furzer Dauer. Einige Tage nach Allerheiligen 
famen andere mainzifche Räthe, die ſich den Nachftellungen. der 
fächfifchen Ritter zu entziehen gewußt hatten, glüdlich in ber 
Stadt an. Der Rath erfchrad, „hätte lieber jo viel Wölfe 
fehen fommen, denn die Räthe von Mainz.” Das Volk aber 
begrüßte fie als jeine Erreiter. Die Neuangelommenen erhielten 
alsbald ungehinderten Zutritt auf das Rathhaus und durften 
ſich bier, da ihnen auch alle wichtigen Papiere vorgelegt wur- 
den, von den „Heimlichkeiten” des Rathes überzeugen, welche 
wahrlich nicht geeignet waren, bei ihnen Sympathien für diefen 
zu weden. Die Forderung der Gemeine, daß. der Rath Rechen- 
{haft ablegen müffe, fand ihren Beifall und wurde von ihnen 
unterftügt. Weberhaupt gewannen die Beitrebungen der Gemeine 
einen feften NRüdhalt in den mainzifchen Räthen. Die Leis 
tung der Angelegenheiten ging bald thatfächlich von dem „Mainzer 
Hofe” aus, wo jene refldirten; fogar eine Abtheilung main- 
zifcher Landsfnehhte wurde in die Stadt gelegt, Drohungen 





— 19 — 


von Seite Sachſens machten ebenfo wenig Eindrud auf die 
Mainzer, als die gleichzeitig unternommenen Bermittelungs- 
verfuche der mit Erfurt befreundeten Städte Mühlhaufen und 
Kordhaufen zu dem gewünfchten Ziele führten. Da die Vers 
hältnifje fi immer ungünftiger für den Rath geftalteten, fo 
entwichen noch vor Ablauf des Jahres 1509 die meiften Mit 
glieder desfelben, fowie viele der vornehmften Bürger aus der 
Stadt!) und ſuchten Schu in dem Gebiete der fächfifchen 
Zürften, die nun von ihnen unaufhörlich aufgemuntert wurden, 
energifcher gegen die aufrührerifche Stadt einzufchreiten. Nichts 
fonnte den Führern der Bewegung erwünfchter fein, als bie 
Flucht ihrer Gegner. Erft nunmehr durfte man zum vollftän- 
digen Sturze des alten Rathes fchreiten. Bezeichnend genug 
wurden .in den neuen Rath, welcher alsbald an die Stelle des 
alten trat, nicht blos Männer aus den niedrigften Ständen, 
jondern ſogar auch Fremde gewählt, deren fih in Folge der 
Bewegung viele in der Stadt eingefunden hatten. Die mainzer 
Räthe aber nahmen die Gelegenheit wahr, um der alten, für 
die Mitglieder des Rathes üblichen Eidesformel eine ven Rechten 
ihres Herrn günftigere Fafjung zu geben?). — Dann Fam die 
Reihe an die alte Regimentsordnung, die bald nad) dem Sturze 
des Rathes befeitigt ward. Die neue „umb gemeiner Nub 
willen angefangen” gab in ihrem Eingange ein vollftändiges 
Berzeichniß der Sünden des frühern NRathes, wodurch „vie 
Bormunde der Viertel, Handwerf und Gemein hoch und groß 
geurfacht jeien, anders in Regierung der Stadt zu fehen, andere 
und befjere Ordnung und Regiment fürzunehmen.” Zugleich 
war der Wunſch ausgedrüdt, daß jened Sündenregifter jährlich 
von Wort zu Wort üffentlich verlefen werde „zu einem gedächt- 
nus der vergangenen Dinge und dad man fich fürther vor 


ı) Neun und dreißig der Edelften werden in den Chroniken namhaft 
gemacht. Die Auswanderung begann fchon im Juli. 
2) Gudenus 1.c. p. 195, 
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. ‘9 


— 10 — 


ſchaden deſto fürderlicher zu verwahren wiſſen und darnach 
richten möge” 1). 

Während dies geſchah, faß Heinrich Kelner, das Ober: 
haupt der Rathspartei und der entfchloffenfte Gegner der Volks⸗ 
herrfchaft, in firenger Haft. Unbegreiflicher Weife Hatte er 
nach der Ankunft der mainzer Gefandten im November 1509 
fein Afyl in der Vituskirche aufgegeben und dadurch der Ge 
meine feine fürmliche Einferferung möglich gemacht. Nach dem 
gänzlihen Sturze der alten Ordnung nahte auch fein Schickſal 
heran. Berlaffen von feinen gleichgefinnten Freunden, die fidh 
fammtlih auf das fächfifche Gebiet geflüchtet Hatten, mußte er 
jebt feinen frühern Stolz hart büßen. „Wie die Juden mit 
Chriſto“ ging die Volfsmenge mit ihm um. In einer Reihe 
peinlicher Verhöre wurden ibm die umfafjendften Geftändniffe 
über die ÜUnordnungen, die unter dem alten Regimente vorge 
fommen, abgenöthigt. Es half ihm nichts, daß er, von der 
Holter befreit, fie mwiderrief.e Sein Untergang war beichloffen. 
Mit ſchallendem Gelächter wurde das über ihn ausgefprochene 
Zodesurtheil von der umftehenden Menge aufgenommen ?). 
Am 28. Juni 1540 wurde unter Umftänden, die und einen 
tiefen Blick in die zerrütteten Berhältniffe der Stadt eröffnen, 
das Todesurtheil an ihm vollzogen ®). 





1) Die neue Regimentsordnung findet fi} abgedrudt bei Falckenſtein 
I. c. 1, 519 ff. Eine alte Abfchrift derfelben befindet fih in der Rathhauss 
bibliothek zu Erfurt. — Uebrigens enthält die neue Ordnung mandje zwed- 
mäßige Berbefferungen und fie verdiente Feineswegs das Schidfal, welches 
fie fpäter erfahren. Bollendet und; aufgezeichnet wurde fie erft im Suli 
1513. 

2) Faldenftein J. c. I, 486. 

2) Man wagte nicht, den Verurtheilten auf die gewöhnliche, in ziem- 
licher Entfernung von der Stadt belegene Richtflätte zu führen, aus Furcht, 
daß ihn ftreifende fächfifche Schaaren feinem Schidfal entreigen möchten. 
Unter militärifcher Bededdung der Bürger wurde das Todesurtheil an un: 
gewohntem Orte und von ungeübter Hand vollzogen. 

1 





— 131 — 


MI. 


In der Hinrichtung Kelner's hatte die Bewegung ihren 
Höhepunft erreicht. Die alte Ordnung der Dinge war geftürzt, 
dem Rachegefühl der Gemeine war ein Opfer gebracht worden. 
Eine rubigere Betrachtung begann von nun an fi allmählig 
geltend zu machen, und in ihr lag der Keim zu einer Reaction. 

Manches begünftigte dieſe. Zunächſt machte man die 
Erfahrung jehr bald, daß mit den alten Einrichtungen Feines» 
wegs zugleich die alten Webelftände befeitigt waren. Die alten 
Gläubiger der Stadt, derer man ſich nicht fo, wie des Rathes 
hatte entledigen können, fuhren fort, fich durch Angriffe auf das 
Eigenthum erfurtifcher Bürger ſchadlos zu halten. Ein durch 
gürfprache Uriel’8 von Mainz erwirktes Faiferliches Moratorium 
(d. d. Freitag vor Pfingften 1510), wodurch den Gläubigern 
unterfagt wurde, innerhalb der nächften vier Jahre ihre Ans 
jprüche geltend zu machen, war nicht im Stande, ihren eigen- 
mächtigen Angriffen Einhalt zu thun. Zu ihnen gejellte fich 
eine Menge anderer raubluftiger Evelleute, die Selwitz, Wagener, 
Botteler, Fadentisfcher u. A., welche die gegenwärtige Bebräng- 
niß der Stadt dazu benußten, um fich für die Niederlagen zu 
rächen, Die ihre Vorfahren von derfelben erlitten hatten. Die 
gefährlichiten Gegner fand jedoch die Stadt in den fächitfchen 
Sürften, welche, als die Bejchüger des erilirten erfurter Patris 
ciats, unaufhörlich die jebt herrſchende Gemeine bevrängten. 
Herzog Georg nahm ihr einmal fogar das wichtige Amt Bars 
gula weg, ſächſtſche Schaaren drangen wiederholt bis vor Die 
Thore der Stadt, jo daß Fein Bürger die Stadt verlaffen konnte 
ohne Gefahr, gefangen zu werden. Die Bemittelten juchten 
fihh dagegen durch Schugbriefe, welche fie um fchwere Summen 
an dem fächftjchen Hofe erfauften, zu fichern, allein als bie 
ärmeren Claffen darüber murrten, wurde auch Died unterfagt, 
Gegen jo vielfache Angriffe konnte der Churfürft von Mainz, 

9% 


— 12 — 


unter defien Schu das neue Regiment aufgefommen, die 
erforderliche Hülfe nicht leiften. Das Bedeutendſte, was von 
ihm gejchab, war, daß er einmal zur Zeit der größten Roth, 
im Sommer 1511 eine neue Abtheilung von 150 mainzijchen 
Landsknechten in die Stadt ſchickte. Alles Uebrige beftand faft 
hur in freundlichen Zufagen und „getreulichen Vertröftungen.” 
Um fo unangenehmer mußten deshalb die Bürger durch das 
Benehmen der mainzifchen Räthe berührt werden, die bei jeder 
Gelegenheit auf die Rechte ihres „Erbherrn“ zurüdfamen, und 
überhaupt nur zu wenig verhehlten, daß das mainzifche Interefle 
mehr, ald das Wohl der Stadt, für fie leitend fei. Schon Die 
Veränderung des Rathseides, welche fie Durchgefegt hatten, hatte 
deshalb bei einigen Bürgern Bedenken und Mißfallen erregt: 
ed wird einer damals auftretenden Minorität gedacht, welche 
die Zuläffigfeit der Eidesveränderung aus zehn Gründen 
beftritt *). Der Eifer für Mainz fing an zu erfalten. Bon 
dem alten Vierherrn Görg zum Roche vernahm man ſchon 1512 
die Aeußerung, daß die Stadt nicht zur Ruhe kommen voerde, 
„man fehlüge denn die Mainzifchen alle todt vor tolle Hunde ” 2). 
Es bildete fih allmählig neben der mainzifchen und fächfifchen 
Partei, welche Ießtere im Geheimen noch immer in der Stadt 
viele Anhänger zählte, eine Dritte, die erfurtifche. Zwar wurde 
dies zunäcdhft eine Duelle neuer Wirren und ftürmifcher Aufs 
tritte, Die in der nächften Zeit fogar noch zu blutigen Scenen 
führten 9), aber e8 wurde doch durch jene Partei die Möglich 


1) Wechmann 1.c. ad a. 1510. 

3) Frieſe'ſche Chronik ad a. 1512. 

2) „D lieben Freunde”, ruft ein patriotifch gefinnter Chronift aus, 
„auff der Zeit war groß jammer und not in der Stadt Erffurdt, denn bie 
Bürger waren in 3 teil geteilet. Als gut Herkogifch, Etliche Erffurdifch, 
Etliche Bifchoffifch und vertraute Feiner dem andern vnd verrieth einer den 
andern wo er funde oder mochte. Vnd welcher verrathen ward, der ward 
übel gemartert vnd fehr viel unfchuldig.” Nach einer alten handſchriftl. 
Chronik auf der Königl. Bibl. zu Erfurt. — Noch im Mai 1514 wurde 





— 13 — 


feit gezeigt, zu den auswärtigen Mächten wieder in ein mit 
ver Ehre der Stadt verträglihes Berhältniß zu treten. Und 
felbft mit dem Gedanken an eine Wiedereinführung der alten 
Berfaffung der Stadt wurde jene Partei befreundet, ſeitdem 
der neue Rath zu Ähnlichen Auflagen, wie der frühere jchreiten 
mußte, Inter diefen Umſtänden fanden diejenigen Gehör, 
welche riethen, durch Wiederherfielung des guten Einvernehr 
mend mit den fächftfchen Fürſten den übermächtigen Einfluß 
der Mainzer einzufchränfen und dadurch der Stadt die Ruhe 
wiederzugeben. Wirklich wurden in diefem Sinne Schritte 
gethan. Allein den Bemühungen des Ehurfürften von Mainz 
gelang es, einftweilen noch die beabfichtigte Annäherung an 
Sachſen zu verhindern. Befonders ließ es fich der neue Chur⸗ 
fürft Albrecht von Brandenburg, welcher 1514 den mainziichen 
Stuhl beftieg, angelegen fein, die Stadt in ihrer bisherigen 
Anhänglichfeit an Mainz zu erhalten. Er bewilligte ihr eine 
umfafjende Amneftie, ordnete den allgemein beliebten Abt Harts 
mann von Fulda als feinen Gefandten an fie ab, der einen 
wohlthuenden Eindrud auf die Bürgerfchaft machen mußte, und 
bot überhaupt Alles auf, um die Gemüther für ſich zu gewin⸗ 
nen. Seine Bemühungen waren in der That von fo glüd- 
lihem Erfolg, daß, als er im folgenden Jahre feinen Einzug 
in die Stadt anfündigte, die Bürgerfchaft zu feinem Empfange 
die glänzendften Vorkehrungen traf. Indeß wie der angefüns 
digte Einzug felbft in Folge jächfifcher Machinationen unter- 
blieb, fo gewann auch bald wieder in der Stadt die Uebers 
zeugung die Oberhand, daß nur von einer Annäherung an 
Sachſen Heil zu erwarten fei. Jedermann fah ein, daß die 
fortwährenden Verationen, denen man in Folge ded gefpannten 
Berhältniffes zu Sachſen ausgefebt war, zulegt den vollftän- 


der Stadtſyndieus Bobezahn auf eine ziemlich tumultuariſche Weiſe hinge⸗ 
richtet. — 


— 134 — 


digen Ruin der Stadt herbeiführen müßten. Da gab man 
lieber die neue Verfaffung der Stadt auf, welche ohnehin ſchon 
nicht mehr den Wünfchen Aller genugthat. Ohne Vorwiſſen 
des Churfürften von Mainz wurden abermals Unterhandlungen 
mit Sachfen eröffnet. Bergeblich bemühte fich dieſes Mal Albrecht, 
der bald AEn den Unterhandlungen durch einen feiner Anhänger 
in Kenntniß gefeßt wurde, die Sache zu Hintertreiben. Die 
Borftelungen feines Gejandten Frowin von Hutten blieben 
ebenfo fruchtlos als die Faiferlihen Mandate, die er gegen jene 
Unterhandlungen aufbrachte!). Alle drängte zu einer Aus- 
fühnung mit Sachfen, welche endlich durch den Vertrag von 
Kaumburg am 25. October 1516 zu Stande fam. Alle „Reuige 
feit” mußte in Folge desfelben abgethan werden, die alte Regis 
mentsordnung wurde wieder eingeführt, die Erilirten durften 
wieder heinfehren. Gern ging die Stadt jede Bedingung ein, 
um nur endlich der lang entbehrten Ruhe theilbaftig zu werden. 


IV. 


Dei dem innigen Verhältniß, welches zwijchen Stadt und 
Univerfität beftand ?), Fonnte eine Rüdwirkung der dargelegten 
Ereigniffe auch auf letztere nicht ausbleiben. 

Als Schöpfung der Bürgerfchaft war die Univerfität in 
guten wie in böjen Tagen auf das Schidfal der Stabt hin- 





ı) Bol. Erphurdianus antiquitatum Variloquus bei Mencken. Script. 
Germ. II, p. 548 und Faldenftein 1 c I, 567. 

2) Der Rath nannte fie gewöhnlich „feine Univerfität.” Eoban redet 
ihn deshalb in feinem Preisgedicht auf die Univerfität in folgender Weife 
an: Quod cano novistis titulis succedere vestris, 

Gymnasium res vestra agitur, notissima cunctis. 
l.c. A 3 a. — Daß die Univ. feine Fürftenanftalt war, fondern abhängig 
von einem ftädtifchen Magiftrat, hat ihrer Reputation auch wohl gefchabet. 
Mofellanus führt fie in feiner Oratio de variarum Linguarum cognitione 
paranda (Bafel 1519 4°.) nicht auf, weil er feinen Fürften findet, auf den 
ber Ruhm davon zurüdfallen Eonnte. 


— 15 — 


gewiefen. Es jchien deshalb in ihrer Stellung zu liegen, fofort 
nah Beginn des Aufruhrs Alles aufzubieten, die Parteien zu 
verföhnen und das drohende Ververben von der Stadt abzu- 
wenden. Indeß nicht fo ganz entfprach diefen Erwartungen 
die Haltung, welche fie damals annahm. Jene wiſſenſchaft⸗ 
lihen Gegenfäge, deren wir bereitd gedachten, wurden auch 
mitten unter den Stürmen der ftäptifchen Revolution nicht vers 
gefien, fie verfchärften fich vielmehr dadurch, daß fie jebt auch 
auf das politifche Gebiet übertragen wurden. Der Kampf der 
beiden ftäptifchen Parteien ftellte ſich den gelehrten Gegnern 
ald ein dem ihrigen verwandter dar, und fo mußte e8 gefchehen, 
daß fie zu der Bewegung in ein gerade entgegengefebteds Ders 
hältniß traten und dadurch die Rathlofigfeit noch vermehrten. 

Es gewährt ein befonderes Intereſſe, zwei Erjcheinungen, 
wie den Kampf der Gemeine gegen das fläbtifche Patriciat und 
die Erhebung des Humanismus gegen die Scholaftif, in denen 
fih zwei hervorſtechende Richtungen des Zeitalter ausfprechen, 
hier unmittelbar neben einander, ja auf einander einwirfend 
wahrzunehmen 1). 

Auf der Seite des Rathes finden wir fämmtliche Altern 
Lehrer, foweit wir ihre Haltung im Einzelnen verfolgen fönnen. 
Wie ihr Benehmen, welches fie in der lebten Zeit gegen Mutian 
und feine Schaar an den Tag gelegt hatten, fie als die Ver⸗ 
theidiger der confervativen Intereffen auf dem wifjenfchaftlichen 
Gebiete zeigte, fo ſchloſſen fie ſich auch jetzt bei den bürgerlichen 
Irrungen folgerecht der mit den confervativen Intereſſen ver- 


1) Das Interefie wird noch erhöht, wenn man bedenkt, daß Erfurt, 
wie es zuerfl den neuen wiffenfchaftlichen Ideen Aufnahme geftattete, fo 
auch den übrigen Städten mit dem Beifpiel der Erhebung gegen das herr: 
ſchende Batriciat vorging. ' „In dieſem Jahr 1509 if der Gemein zu Erfordt 
wider den Rath anfgeflanden nnd hat viel andere Städten in viel Landen 
ein böß und ſtarkes Exempel gegeben, hinach zu folgen.” Vgl. ®. Spas 
latin's hiſtoriſcher Nachlaß, herausgegeben von Neudeder und Breller. Jena 
1851 L 147. 


— 16 — 


bündeten Bartei an. Keinen Augenblid war den Goede, Reim- 
bote, Biermoft, Frankenberger u. A. ihre Stellung zweifelhaft 
geweien. Sie vergaßen jogar die ſchuldige Rüdficht auf Die 
rechtmäßigen Anfprüche von Mainz, feitvem dieſe Macht mit 
den Abfichten der aufgeregten Volksmaſſe befreundet erſchien. 
Selbft der geiftlihe Charakter, der wenigſtens Einige unter 
ihnen, 3. B. Goede mit Mainz verbünden zu müffen ſchien, 
befaß nicht Kraft genug, um ihren Widerwillen gegen die Ten- 
denzen der Gemeine zu bejeitigen!), Der Sieg der Volköpartei 
trieb auch fie größtentheild aus der Stadt auf das Gebiet des 
Ehurfürften von Sachſen 2). Indeß fo wenig brachte dieſes 
Schickſal eine Aenderung in ihrer Gefinnung hervor, daß fie 
vielmehr in ihrer Berbannung fortwährend den ſächſiſchen 
Ehurfürften anlagen, ihnen zum Sturze der Volksherrſchaft 
feinen Arm zu leihen. Einer unter ihnen, Doctor Kiezing 
geheißen, fehrieb fogar in einem herausfordernden Tone an ben 
neuen Rath „den man zu Erffurt jetzt nennet.” Offenbar der 
tüchtigfte unter ihnen war Henning Goede. Auf ihn hatte 
deshalb der Rath von vornherein das größte Vertrauen gefeßt. 
Um fo drohender hatte fich aber auch fofort gegen ihn ver 


1) Es ift nicht wahr, was Hogel in feiner Ehronif ad a. 1509 berichtet, 
dag nämlich „die Pfaffen und Maintziſch Beamten die Bürger verleitet“ 
hätten. Die Geiftlichfeit fand faft durchgängig auf Seiten des Rathes. — 

2) Unter den von Faldenftein 1.c. I, 488 aufgeführten Erilirten befin- 
den fich auch acht Dortoren, darunter Biermoft, Reimbote u. A. Der erfte, 
der überhaupt fliehen mußte, war Goede (13. Juli 1509), ihm folgten Reim⸗ 
bote und Sachfe. „Post quem et alii duo Doctores ex amicatis vide- 
licet D. Doctor Johannes de Sachsa et Doctor Joh. Reimbot filius 
praedecessoris anni illius, qui ambo lecturis ab Krfurtensibus fuere 
provisi fugam latenter inierunt.‘“ Erph. Antig. Varil. 1. c. II, 512. — 
Sener Mönch, der fich früher fo gehäfftg über die Poeten geäußert hatte, 
befand fich ebenfalls unter den Erilirten und fand in großem Anfehen. 
Lib. nov. epp. & 2 a. — Mutian gedenft der DBertreibung ber ältern 
Lehrer nicht ohne eine gewiſſe Schadenfreude. „„Veterani partim exulant, 
partim aetate fessi in ocio degunt ““ Tengel 1. c. p. 120. 





— 157 — 


Unwille der Gemeine fund gegeben und ihn ſchon im Juli 1509 
vor allen Andern zur Flucht genöthigt ?). Seine Abwefenheit 
erleichterte den Mainzern und der populären Bartei den Sieg 
um ein Bedeutende82). Aber auch aus der Ferne machte er 
fih denen noch fühlbar, die daheim an's Ruder gelangten. 
Wiederholt klagt die Gemeine in ihren Bittjchriften an ben 
Churfürften von Mainz über die heimlichen Pläne, die er zu 
Gunſten der vertriebenen Rathspartei anzettele. Er vornehmlich 
war ed, der den fächfifchen Ehurfürften aufforderte, gegen das 
neue Regiment in Erfurt feindlich einzufchreiten, und bei dem 
großen Anſehen, welches er in Wittenberg genoß, hatten feine 
Vorftelungen den meiften Erfolg 2). Um fo freundlicher und 
zuvorfommender bewies er fich da gegen feine Baterftadt, ale 
diefe die Abficht einer Ruͤckkehr zu der alten Ordnung der 
Dinge verriet. Gern erbot er fich dazu, die Ausföhnung der 
Stadt mit dem Haufe Sachſen zu vermitteln: jener Vertrag 
von Raumburg, der die alte Verfaſſung wiederherftellte und 
Erfurt mit Sachen wieder verfühnte, war vor Allem fein Werf *). 

Ganz anderd war die Stellung, weldhe die Humaniften 
den ftädtifhen Parteien gegenüber einnahmen. Wie Goede 


ı) Wechmann's Memorial ıc. ad a. 1509 erwähnt, daß der Rath ihn 
im Anfange zu feinem Deputirten an die @emeine gewählt habe, „weil aber 
berfelbe vermerkt, das die Gemeine Ihme den Weg vom Rathhaus zum 
Tenfter hinaus zu weifen gemeint, Hat er ſich entfchuldigt und ift zu Haufe 
blieben.” Ueber feine Flucht vgl. Erph. Aut. Varilog. 1. c. II, 5132. 

3) „Eo absente Signifer (d. i. der mainzifche Siegelbewahrer) vir 
amicus non vulgariter excellit et auctoritate et potentia.‘“ Mut. ad 
Urb. 8. M. 2. fol. 56 a. 

2) Etwas übertrieben fchildert Guden 1. c. p. 213 feine Bemühungen 
in Sachfen: Ast praevaluerunt exulis Goedenii machinationes, hic 
foris Prinoipum suspicionem erga Moguntiam firmaverat: hostiliter 
haberent Erfordiam, quamdiu Sedem Moguntinam suspiceret, ut sal- 
vam se non nisi Saxonum favore sciret, brevi postmodum adversi- 
tatibus pressam obsequia Principum subituram. Hi Goedenil consi- 
lium secuti cives infestarunt eto. 

4) Falckenſtein 1. c. I, 567. 


— 13 — 


und feine Freunde das patrizifche und fächftfche Intereffe ver- 
traten, "fo zeigten jene eine entſchiedene Hinneigung zu den 
plebejifchen mit Mainz verbündeten Beftrebungen, Kein Wunder! 
Die jugendliche, leicht erregbare Schaar der Poeten, welche felbft 
das Herfommen den neuen wiffenfchaftlichen Ideen zum Opfer 
gebracht Hatte, war ſchon dadurch empfänglich für die Wünfche 
und Abfichten der Gemeine, die ja eben in ähnlicher Weife ftatt 
der hergebrachten eine neue, wie fie glaubte, zwedmäßigere 
Ordnung einführen wollte Dazu fam, daß Mutian, überall 
ihr Führer, ihr auch bier mit dem entfchiedenften Beifpiele vor: 
ging. Er fand in feinen Alles wiffenden und Alles über ihn 
vermögenden Alten zahlreiche Gründe für die Billigkeit der 
Horderungen des Volkes und gegen die Anfprücdhe der auf ihre 
Abfunft pochenden Gefchlechter. Ifocrates habe gejagt, fchreibt 
er 1510 an Herebord, daß man befiere Regenten haben würde, 


wenn man fie wählte. Cicero und Marius, zwei fo vortreff- 


liche Römer, hätten fih aus dem niedrigften Stande empor 
gearbeitet. „Es ift unfinnig, ja fürwahr unftnnig, zu glauben, 
dag fürftlicde Männer blos geboren worden.” läßt er fich in 
demfelben Schreiben vernehmen, „ine vornehme Abkunft 
genügt nicht, Tugend macht berühmt“), Die Bemühungen 
Goede's erbitterten ihn bis zur Leidenfchaft, er verglich ihn mit 
Gatilina und fandte ihm fogar noch in’8 Exil die lieblofeften 
MWünfhe nah Kelner’s hartes Schickſal billigte er, fein Be 
nehmen gegen die Gemeine habe eine fo firenge Ahndung ver 
dient?). Diefe Gefinnung, welche der Lehrer unter feinen 


ı) Tengel p. 206 ‚‚Furor est et profecto furor censere, nasci 
tantum viros principes. — Non satis est, nasci claro loco, virtus 
illustrat, quot sunt, qui ex claris parentibus degenerarunt.“ Dan 
vergleiche auch den Brief, den er wenige Tage nach Beginn des Aufruhrs 
an Herebord ſchrieb 1. c. p. 108. 

2) M. B. F. fol. 231 b. Mut. ad Urb. et Hereb. — „Novit omnis 
Erphurdiensium posteritas de Henrico Cellario reo laesae reipublicae, 
fure aerarii, de ordine plebejo male merito IV Cal. quintiles Anno 








— 19 — 


Schülern verbreitete, wurde noch dadurch gefördert, daß der mit 
der Bollspartei verbündete mainzifche Hof zugleich die neuen 
poetifchen Beftrebungen auf das entfchiedenfte in Schug nahm, 
namentlich feit der brandenburgifche Prinz Albrecht „die Zierbe 
bed Zeitalter, der Schmud der Frömmigkeit, des Friedens 
Schugwehr und der edlen Wifjenfchaften Vertheidiger,” wie ihn 
einer von Mutian’d jungen Freunden preifet '), die Regierung 
des Stifts übernommen hatte. Demungeachtet blieb ſowohl Mu- 
tian, als auch der größte Theil feiner Anhänger dem Gedanken 
einer perfünlichen und offenen Theilnahme an dem ftädtifchen 
Kampfe fremd. Den einzigen Herebord von der Marthen finden 
wir mitten in den Wirren des Kampfes für die Befriedigung 
der Anfprüche der Gemeine thätig, weshalb ihm im Herbfte 1514 
zur Anerkennung das Stadtfyndicat übertragen wurde ?). Er 
war ed, der zwei Jahre fpäter den Churfürften Albrecht von 
den geheimen Unterhandlungen des Rathes mit Sachien in 
Kenntniß feßte, aber dadurch auch, weil die Stimmung ſchon 
allgemein Sachſen günftig war, feinen Sturz berbeiführte 3). 


salutis 1510 sumptum fuisse supplicium. Vivit igitur vivetque pecu- 
lator insignis in contumeliam et exemplum.‘‘ Er nennt ihn „Homo 
indoctus, imperitus, supercilioso fastu tumens, assentatorum adulatio- 
nibus omuia praestans.““ 1: c. 

1) Hutten preifet ihn fo, vgl. Jac. Burckhard De Ulriei de Hutten 
fatis et meritis I, 186. Mutian felbft fpricht von ihm mit der größten 
Anerkennung: „Quis autem Alberto melior? Is ruinas civitatis fulciet, 
marcentia excitabit, contumacia domabit, ut populi plausus prae se 
ferre possit hanc exclamationem: Advenisti Servator patriae. Salvus 
populus. Salva patria. Salvus pater patriae.““ Tengel p. 226. In 
Mainz bekleidete überdies damals Eitelmolph von Stein, der eifrig huma⸗ 
niftifch gefinnte Freund Mutian’s und Gönner feiner Schüler, ein fehr 
anfehnliches Amt. 

2) Bol. RM. B. F. fol. 256 b. Mutian fleht fich fogar mehrmals 
genöthigt, ihn wegen feines übergroßen Eifers für die Gemeine zur Mäßi- 
gung zu ermahnen. 

°) Hogel gedenkt der Sache ad a. 1516. Der Kath fei unwillig gewor⸗ 
ben über die Veröffentlichung feiner geheimen Unterhanblungen „vnd weil 


m — — — — - 


— 10 — 


Mutian felbft z0g es vor, heimlich in den Briefen an bie 
Seinigen, feinen Haß gegen die Anhänger der Rathspartei 
auszulaffen, die er wohl, um aller Gefahr vorzubeugen, unter 
fremden Namen verftedt, einführte!). Bon einem Fräftigen, 
entjchiedenen Eingreifen zu Gunften der Partei, weldye feine 
Biligung fand, wollte er nichts wiſſen, geradezu ‚mahnte er 
feine Anhänger davon ab, da fie, ald Priefter im Dienfte der 
Mufen, fich von den bürgerlichen Wirren fern zu halten hätten). 
Wohl aber fand es feinen Beifall, wenn fie, ihrem Berufe an« 
gemeſſen, ihre politifchen Sympathien in Gedichten fund gaben, 
wie er denn in dieſem Sinne den Eoban auffordert, den Ein» 
zug des Churfürften Albrecht durch ein Gedicht zu verherr- 
lichen 2). Man flieht: jenes energifche Eingreifen in den Kampf, 
wie e8 Goede und feine Gefinnungsgenofien zeigten, blieb ven 
Humaniften fremd; auf Sympathien, die, fo aufrichtig fie auch 
waren, doch nicht zur That führten, bejchränfte fich ihre Theil⸗ 
nahme ®), 

Freilich that die Bartei, welcher ihre Sympathien galten, 


man den Eleinen Doctor von der Marthen, als der in der Zeit fehr main- 
zifch geivefen war und die bürger hatte verführen helfen, in Verdacht Hatte, 
ließen fie ihn citiren.“ Er befannte fogleich und wurde dann in gefäng- 
licher Haft gehalten. Erit als ſich die Univerfität für ihn verbürgte, entließ 
man ihn. Gegen fein gegebenes Wort entfloh er bald darauf aus der Stadt. 
Als mainzifcher und Faiferlicher Rath gewann er fpäter eine anfehnliche 
Stellung. Vgl. auch Erph. Ant. Varil. 1. c. II, 556. 

1) Bol. M. B. $. fol. 122 b. 123 a. 

2) Pol. M. B. 5. fol. 287. bu. a. 

3) Vgl. M. B. F. fol. 320 b. Eoban hat wirklich zu diefem Zwecke 
ein Gedicht verfaßt, welches aber nicht auf uns gekommen ifl. Vgl. Eobani 
et amic. epp. famil. p. 22. 

4) Es ift bemerfenswerth, daß die Sympathie für Mainz, welche ſich 
damals unter den erfurtifchen Humaniften bildete, auch fpäter ihr charaf- 
teriftifches Merkmat blieb. Noch 1535 ſprach Eoban fein Bedauern dar⸗ 
über aus, als ihm mitgetheilt wurde, daß die mainzifchen Rechte über Erfurt 
anf Sachſen und Heffen übergehen follten. Vgl. Loſſius H. E. Heffus und 
feine Zeitgenofien p. 181. 





— 141 — 


ſehr wenig, um fie zu nähten und zu wirkjamer That zu ent 
fammen. Ohne Sinn und Berftändniß für den geiftigen Kampf 
an ihrer Schule und deshalb unvermögend, den natürlichen 
Berbündeten auf dem geiftigen Gebiete zu erkennen, nahm die 
ſtürmiſch erregte Volksmenge gegen Yreund und Feind eine 
gleich bevrohliche Haltung an. Die fortwährenden tumultu- 
arifchen Auftritte wirkten hoͤchſt nachtheilig auf die Yrequenz 
der Univerfität!). Wan fing an zu fürchten, daß die „uralte” 
Univerfität das Geſchick des alten Rathed und der alten Regi- 
mentsorbnung haben fünne. Ein in feiner Beranlafjung höchft 
unerheblicher Vorfall fchien diefe Beforgniß im Sommer 1510 
verwirklichen zu follen. 


V. 


Der ſogenannte „Studentenlärm“ ?) veranſchaulicht recht 
eigentlich, wie bei ver fieberhaften Aufregung, welche währen 
jener ganzen Zeit in der Stadt herrſchte, auch ein an fid 
geringfügiger Vorfall Bedeutung gewinnen konnte. 

Bei den Feftlichkeiten, welche fih an die Feier des Kirch⸗ 
weihfeftes in der Michaelispfarre fchloffen, kam es zwifchen 
Stubirenden und Landsknechten zu einem Wortwechfel. Diefer 
führte zu einem Handgemenge, welches bald in offenen Straßen- 
fampf ausartete. Das Gedränge, in welches die Landsknechte 
famen, veranlaßte die Bürger, ihnen zu Hülfe zu eilen. Den 
jo überlegenen Gegnern nicht mehr gewachfen, fanden es die 
ftreitbaren Mufenföhne gerathen, fih in ihr großes Collegium 
zurückzuziehen. Hier angelangt, glaubten fie der drohenden 
Menge, welche alebald das Gebäude umzingelt hatte, Trotz 


ı) Im Sommer 1509 wurden noch 164 immatriculirt; im Winter . 
1309 — 10: 188, im Sommer 1510: 64, im Winter 1510 — 11: 61. 

2) Man vergl. über denfelben Guden 1. c. p. 200. Faldenftein 1. c. 
1,504. Weinrich 1. c. 276. Erph. Ant. Varil. 1.c. IL, 517 und die Chroniken. 


— 12 — 


bieten zu können. Webermüthig wagten fie fogar mit Hands 
büchjen auf fie zu feuern. Das fteigerte den Grimm der Be 
lagerer auf's höchftee Sofort wurden zwei Kanonen aufge 
fahren und gegen das Univerfitätsgebäude gerichtet. Da entfanf 
den Belagerten der Muth und fie ergriffen abermals die Flucht. 
Aber der Zorn der Menge war durch dieſe Demüthigung der 
Gegner nicht zufrieden geftellt. In wilder Wuth ftürzte fie fich 
nad Sprengung der Thore in das menfchenleere Gebäude, um 
zu vernichten, was vernichtet werden fonnte. Die Hörfäle und 
Wohnungen der Studirenden wurden demolirt und unbewohn⸗ 
bar gemacht, Catheder und Bänke zertrümmert, die alten Privi- 
legien und Urkunden der Univerfität zerichnitten oder ver 
brannt ?), die werthvolle Bibliothek zerftreut, vernichtet, was 
Werth für die Menge hatte, wurde ald Beute nah Haufe 
getragen ?). 

Recht fauer hatten fih’8 die Stürmenden werden laflen, 
um eine Anftalt zu ververben, welche ihre Vorfahren mit fo 
vielen Opfern gegründet und unterhalten, und zu den vorzüg- 
lichften Zierden der Stadt gerechnet hatten. Die wenigen 
zurüdgebliebenen Lehrer dachten in der That einen Augenblid 
daran, die Univerfität in eine andre Stadt zu verlegen, und 
ließen diefe Abficht in den Vorftellungen, welche fie am folgen: 
den Tage dem Rathe wegen ded Vorgefallenen machten, nicht 
undeutlich durchbliden. Indeß die Entfchuldigung des Rathes, 
welcher „das große und unverantmwortliche Verbrechen” aner- 
fannte und bedauerte, und die Zuficherung, welche er gab, Altes 


ı) Daher kommt es, daß uns die Originale der Stiftungsurfunde und 
aller ältern Documente der Univ. fehlen. 

3) Die Univerfitätsmatrifel ad a. 1511 gedenft des Vorfalls mit fols 
genden Worten „Gymnasium Erphordiense tempore Enceniorum 8. 
Michaelis anno priori .... maxima etiam civium seditione suborta et 
principum factiosorum quorundam rabularum diabolo suadente beilico 
furore expoliatum, direptum et pene depopulatum erigere iterum 
et reformare volentes etc. 


_ 13 — 


aufbieten zu wollen, um die Univerfität wieder in den Beflk 
des Verlornen zu feßen, verhinderten die Ausführung jenes 
Planes. Ein öffentlicher Ausruf forderte Tages darauf jeden 
bei Strafe an Leib und But auf, alle8 der Univerfität oder 
ihren Angehörigen Geraubte wiederzuerftatten. Die Strenge, 
mit welcher der Rath gegen die Verächter feines Gebotes ver: 
fuhr, bewirkte, daß das Meifte von dem, was nicht geradezu 
vernichtet war, reftituirt wurde. Ein Handwerker, welcher den 

Befehl zu umgehen gefucht hatte, wurde öffentlich geftäupt 1). 
| Zwar wurde jo der Stadt die Univerfität erhalten, aber 
des alten Glanzes fehien diefe doch für immer beraubt. Nicht 
genug, daß fie ihre werthvollſten Kleinodien, die Documente 
ihter Gründung und ihrer Freiheiten, den größten Theil der 
herrlichen Bibliothef unwiederbringlich verloren, auch die An- 
jiehungsfraft, die fie früher ausgeübt, war dahin. Zahlreiche 
Schaaren von Studirenden wanderten aus. Zum erften Mal 
Ihien ihnen die Stadt des Lobes unmwürdig, das man ihr bie- 
ber jo reichlich gejpendet?). Aber die Folgen jenes Borfalles 
gingen noch über dieſen Außeren und, wie ſich doch vorausfehen 
ließ, nur momentanen Berfal der Univerfität hinaus, — Was 
an fi) das bedacht: und planlofe Werk einer vorübergehenden 


1) Er hatte, wie die Chroniken berichten, einem Magifter bie filbernen 
Knöpfe vom Wanıms gefchnitten und wollte dieſe zurücdbehalten. Loffius 
l.c.p. 78 vermuthet, daß Eoban jener Magifter geweſen fei, da doch Coban 
ſchon um jene Zeit in Preußen weilte. Irrig bezieht auch Loffius die 
bereits erwähnte Schilderung des Goban auf diefen Aufftand. 

2) Schr bezeichnend in dieſer Hinficht ift auch der Ton, in dem jenes 
Ereigniſſes in der philofophifchen Matrifel gedacht wird. „O impia secula, 
o malivolentiam inauditam, o immemor honestatis ira. Melius inter 
barbaros hostes fuisses dulce gymnasium, quam inter eos, quos et 
rebaris humanos et benevolos merebaris. Kos puto, qui gymnasia 
Nostratia cRAcodaemone nescio quo suadente impudenter oppugnare 
veriti non sunt, qui etiam facile in causa existunt, quod octo Jam 
solum candidatos magistrorum albo inseribimus.“ Bergl. die (auf der 
fönigl. Bibl. in Berlin befindl.) philof. Matrikel der Univ. ad a, 1511. 


— 14 — 


leidvenfchaftlihen Erregtheit der Menge war, gewann auch für 
den Fortgang der geiftigen Entwidelung eine nicht. geahnte 
Bedeutung. 

Jedermann weiß, daß das fcholaftiiche Syſtem überall am 
längften in den Eollegien und Burfen die Herrfchaft behaup- 
tete. Diefe bildeten gewiffermaßen bie fefteften Bollwerke gegen 
die Neuerer. Auch in Erfurt durfte die alte Partei, welche 
fih in der legten Zeit gegen Mutian zufammengetban, hoffen, 
den Angriffen des letztern mit Erfolg entgegentreten zu fünnen, 
da fie fich noch im Beſitz des großen Gollegiums befand. In⸗ 
dem fich der Angriff des ftürmifchen Pöbels gegen diefes richtete 
und e8 der Bernichtung Preis gab*), wurde jener Partei ihre 
Kraft, ihr vornehmftes und letztes Widerftandsmittel genonmen. 
Ohne es zu ahnen, hatte dad Volf durch die Zertrümmerung 
jener Werfftätte des alten Geifted den Humaniften, gleichfam 
zum Danf für ihre ftillen Sympathien, den wefentlichften Dienft 
geleiftet. Die Sprengung der Burfen, in denen bis dahin ein 
großer Theil der Jugend in alter Zucht und Ordnung zufams 
mengehalten wurde, machte eine freiere Geftaltung des wiffen- 
Ihaftlicheu Lebens unvermeidlich. 

Da war ed denn mehr als zweifelhaft, ob die alte Partei 
wirflich den Angriffen der Neuerer gewachfen fein würde, 


VI. 


Waͤhrend ſo den Humaniſten der Sieg über den unmittel⸗ 
bar neben ſie geſtellten Gegner um ein Bedeutendes erleichtert 
wurde, erfuhren fie ſelbſt von jenen ftädtifchen Wirren eine 








2) Das Collegium wurde vollfländig unbewohnbar gemacht; erft nad 
15 Jahren (1525) wurbe es durch Geratinus, damals Decan ber philof. 
Sacultät, wieder eingeweiht. Vgl. Loeneysen Series Magnificorum Rec- 
torum ab a, 1398 — 1614. E 3 b. — Auch das amplonianifche Gollegium 
wurde theilweife mit in’s Verderben gezogen. 





— 15 — 


Einwirkung, welche ihre Bedeutung über die Grenzen des 
erfurtifchen Kreiſes hinaus erweiterte und fie zur Theilnahme 
an dem großen Kampfe des Humanismus gegen die Scholaftif 
vorbereitete. 

Seit. dem Beginne des Aufruhrs ſah Mutian einen der 
Jünger nad dem andern aus feinem Kreife ſcheiden. Unter 
den erfien war Eoban, der Stolz und die Zierde des Bundes. 
Roh vor Ablauf des Jahres 1509 mußte er fi) von feinem 
Meifter trennen, an dem er mit fo großer Zärtlichkeit hing. 
Mit ſchwerem Herzen verließ er Erfurt!) und wandte ſich nach 
dem fernen Norden, wo er bei dem freundlichen Biichofe Hiob 
von Riefenbusg in Preußen eine gaftlihe Aufnahme fand. Um 
diefelbe Zeit nahm auch Ceratinus von dem Lehrer Abſchied, 
um fi) in feine Heimath zurüdzubegeben. Erotus, der jo eben, 
dem Zuge feines Herzens folgend, nad Erfurt zurüdgefehrt 
war, ſah fich in feinen Erwartungen bitter getäufcht und folgte 
jest. gern einer freundlichen Einladung nad) Fulda, die ihn 
„der ſtürmiſchen Charybdis“ entriß2). Im May 1510 finden 
wir Heinrich Eberbach auf einer Reife nach Wien begriffen. Nach 
den Ereigniffen des Michaelisfeftes verließ auch Juftus Jonas 
die Stadt und ließ fi nebft mehreren andern erfurtifchen 
Magiftern in Wittenberg immatriculiren 2). Endlich, im October 
1511, entriß fi auch Petrejus, Mutian’s Lieblingsfünger, den 


1) „„Saepe rellquendam respexit tristis ad urbem 
Et dixit, quamvis non mereare, vale.‘“ 
Farr. I, 239 a. — Bgl. Camerarius Narr. de Eob. A 8 a. 


2) „„Vidimus ibi omnia discordiarum plena, discedente plebe a 
patribus quotidieque nova moliente. Non tutum videbatur versari 
inter enses atque pro calamo ferrum tractare. Proinde semestri 
spatio coepi cogitare, quo consilio subriperem me ex turbulentissima 
Charibde, praesertim jam. se inclinante collegio hominum literatorum. 
Ita mecum cogitanti redduntur literae a Vuldanis. Advolo media 
hieme.““ Crot. ad Hutt. vgl. Opp. Hutt. I, 104—5. 

2) Album Acad. Viteberg. ed. Foerstemann p. 35. 

Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 10 


— 16 — 


Armen feines Meiſters. Er nahm feinen Weg nad Wien, 
wo er längere Zeit. verweilte und mit einem feiner frühern 
Genofien, dem unruhigen ‚Hutten, zufammentraf, den ed um 
diefe Zeit aus dem unwirthlichen Norden nach Italiens claffijchen 
Stätten zog 1). . Mutian fah ſich vereinfamt. Nur der einzige 
Urban, ‚welcher damals von Leipzig nach Georgenthal wieder 
heimgefehrt war, fand ihm noch zur Seite. Seine Iünger 
fchaft, feine Freude und fein Troft, war dahin. Traurig ließ 
fh ECoban's Mufe aus dem fernen Norden vernehmen, fi 
wehmüthig nach dem Schickſal Der ihres Lehrers beraubten, ums 
herirrenden Schaar erfundigend 2). Die Frucht der langjährigen 
Bemühungen des gothaer Canonicus ſchien vereitelt. 

‚Aber. gerade das fcheinbar Ungünftigfte mußte dazu dienen, 
ihn feinem Ziele näher zu bringen. 

Erzogen und gebildet durch Mutian hatten die erfurter 
Humaniften bisher ausjchließlih unter dem Einfluffe dieſes 
merkwürdigen Mannes geftanden. Da er ihnen in Allem genug 


1) Badian in einem Briefe an Georg Eollimitius d. d. prid. Id Ja- 
nuar. 1512, gedenft jener Zufammenfunft. „Venit superioribus mensibus 
ad me Mariumque et Aperbachum illum eruditum, dum ageremus con- 
tubernio Ulrichus Huttenus poeta.‘“ Opp. Hutt. I, 112. Ob jener 
Marius identisch ift mit einem in Erfurt lebenden Freunde Mutian's diefes 
Namens, ift nicht mit Sicherheit auszumachen. 


2) Bal. Eob. Farr. I, 1938 a (ad Mutianum epistola): 
Quid facit amisso grex errabunda magistro ? 
Quam timeo saevos, monstra cruenta, lupos! 
Quid facit is merito cui pagina nostra dicata est? 
Hic mihi quam praeceps nostra carina fuit, 
Quid mihi mentito Phileremus nomine dictus? 
Cessit an in sacra valle moratur adhuc? 
Quid Crotus ingenio plus quam florente beatus? 
Haerens principibus quid Spalatinus agit? 
Nobilis hunc animum Petrei cura relinquet, 
Cum fiammae glaciem, cum dabit unda faces. 
Vivite delitiae nostrae, dum vester amicus 
Longius a vobis quam decuisset abest.‘“ 





— 1417 — 


that, fühlten fie nicht das Beduͤrfniß, ihren Blick in die Kerne 
zu richten. Ihr Sinnen und. Trachten. bewegte. fih innerhalb 
des eigenen Kreiſes; von den Barteilämpfen außerhalb ded- 
jelben erfuhren fie nur fo viel, als. ihnen der Lehrer mitzutheilen 
für gut fand. Jene durch die Revolution von 1509 herbeige- 
führte Zerſtreuung machte diefem Zufande ein Ende. Dem 
engen Kreiſe, auf den fie fich bisher befchränft Hatten, entrüdt, 
wurden fie den Ereigniffen der Zeit näher gebracht und kamen 
theilweife felbft mit den gefeiertften Vertretern der neuen Rich- 
tung in Berührung. Ihr Geſichtskreis erweiterte ſich. Jene 
Kämpfe, von denen fie früher nur aus Mutian’s Wunde vers 
nommen, lernten jegt die Meiften aus ihnen, ald Zeugen ein- 
jelner Kampfesicenen, aus eigener Anfchauung und Erfahrung 
fennen. Die Abneigung gegen das alte Syftem, das in Erfurt 
bei der würdigen Haltung feiner Bertheidiger noch immer zu 
einiger Schonung aufgefordert hatte, konnte erſt jeßt tiefe Wurzel 
bei ihnen faflen, feit fie erfannten, wie fchroff und enghegig 
ſich deſſen Vertheidiger anderwärt® den neuen Beftrebungen 
gegenüber verbielten. Da mußte in der Seele von Sünglingen, 
die ein Mutian mit Begeifterung für das neue Leben erfüllt 
hatte, ver Gedanke des Kampfes erwachen. Zür die Friegerifchen 
Ermahnungen, die fie daheim von ihrem Meifter empfangen, 
ging ihnen erft in der Kerne das Verſtändniß auf. — 

In naturgemäßer Stufenfolge, wie nicht leicht anderswo, 
hat die neue Entwidelung in Erfurt ihren Fortgang genommen. 
Durch geringe, wenn auch für die damalige Zeit fehr aner- 
fennungswerthe Zugeftänpniffe fuchte man im Anfange den 
neuen Anfprüchen genugzuthun: man verfolgte den Gedanken 
einer friedlichen Vermittelung der neuen und alten Richtung, 
bis Maternus, entfchievener in die Bahnen der erfteren eins 
lenkend, die Schönheit der antiken Ausprudsweife, die äußere 
Seite der neuen Studien, zur Anerkennung brachte, ohne jedoch 
gegen das alte Syſtem eine feindfelige Haltung anzunehmen. 


Der äußerlihen Nahahmung der Alten, bei der Maternus 
10* 


— 148 — 


ſtehen blieb, fügte dann fein ihm überlegener Nachfolger das 
geiftige Verftändnig hinzu. Er brachte aber auch feinen Schir 
een den Gegenfat zum: Bewußtfein, in dem fie fi) gegen die 
Scholaftif befanden, und bildete fie zugleich zu entfchloffenen 
Kämpfern gegen diefe heran. Ein politifches Ereigniß mußte 
es endlich fein, welches die jo ausgebildete Sumaniftenfchaar auf 
einige Zeit dem bisherigen befchränkten Kreife entrüdte, in Folge 
defien fie auch mit den Abfichten und Zuſtänden ihrer Partei 
in der Ferne befannt gemacht und zur Theilnahme an dem 
großen allgemeinen Kampfe des Humanismus gegen die Sche 
laſtik befähigt wurden. 

Eben als Letzteres gefchah, wurde der große Entſcheidungs⸗ 
kampf zwiſchen beiven Richtungen eröffnet. 





Zweites Bud. 


Theiluchme an dem Kampfe zwiſchen der neuen und alten 
Richtung. 


Erſtes Rapitel. Ber Renuchliniſche Streit. 


„Teutones, emensi Latialia regna poetae, 

Vestrum decus viriliter defendite. 

Impia molitur certamina Gapniomastix 

Heu quibus ille odiis, heu quanta exaestuat ira.‘‘ 
Eoban, 


I. 


Reuchlin’d Streit mit den Kölnern bildet in der Gefchichte 
der hHumaniftifchen Bewegung einen Wendepunkt. Bisher hatte 
fh der. Kampf zwifchen der neuen und alten Richtung nur in 
einzelnen vorübergehenden Streitigkeiten und Fehden bewegt, 
die mehr dazu geeignet waren, die vorhandene Spannung zu 
Reigern, als die eine oder andere Partei dem Siege näher zu 
bringen. Wanders und fehdeluftige „Poeten”, die Rhagius, 
Buſchius, Vigilantius durchzogen Deutfchland nach allen Rich 
tungen hin, verfündeten ftürmifch die newe Weisheit und fchritten 
überall, wo fie auf Widerſtand fließen, eben fo plans als ſcho⸗ 
nungslos zu den übermüthigften Angriffen gegen das jcholaftifche 
Syſtem, ohne daß einer unter ihnen fich in dem Grade hervor- 
that, daß fein Auftreten das allgemeine Intereffe der Partei 
Hätte erweden können. Ihnen gegenüber huldigten die Vertreter 


— 18 — 


ſtehen blieb, fügte dann fein ihm überlegener Rachfolger das 
geiftige Verftändniß hinzu. Er brachte aber auch feinen Schü⸗ 
lern den Gegenſatz zum Bewußtfein, in dem fie fi gegen vie 
Scholaſtik befanden, und bildete fie zugleich zu entfchloffenen 
Kämpfern gegen diefe heran. Ein politifches Ereigniß mußte 
e8 endlich fein, welches die fo ausgebildete Humaniftenfchaar auf 
einige Zeit dem bisherigen befchränkten Kreife entrüdte, in Folge 
defien fte auch mit den Abfichten und Zufländen ihrer Partei 
in der Ferne befannt gemacht und zur Theilnahme an dem 
großen allgemeinen Kampfe des Humanismus gegen die Sche- 
laftif befähigt wurden. 

Ehen ald Letzteres gefchah, wurde der große Entfcheivungs- 
kampf zwifchen beiden Richtungen eröffnet. 








Zweites Bud. 


Theilnahme an dem Kampfe zwifchen der uenen und alten 
Richtung. 


Erfies Aapitel. Ber ,Keuchliniſche Btreit. 


„Teutones, emensi Latialia regna poetae, 

Vestrum decus viriliter defendite. 

Impia molitur certamina Gapniomastix 

Heu quibus ille odils, heu quanta exaestuat ira.‘‘ 
Eobam. 


I. 


Reuchlin's Streit mit den Kölnern bildet in der Gefchichte 
der humaniftifchen Bewegung einen Wendepunft. Bisher hatte 
fi der Kampf zwifchen der neuen und alten Richtung nur in 
einzelnen vorübergehenden Streitigkeiten und Fehden bewegt, 
die mehr dazu geeignet waren, die vorhandene Spannung zu 
feigern, als die eine oder andere Partei dem Siege näher zu 
bringen. Wander» und fehdeluſtigen, Poeten“, die Rhagius, 
Buſchius, Vigilantius durchzogen Deutfchland nach allen Rich 
tungen bin, verfündeten ftürmifch die neue Weisheit und fchritten 
überall, wo fie auf Widerſtand fließen, eben fo plans als ſcho⸗ 
nungslog zu den übermüthigften Angriffen gegen das ſcholaſtiſche 
Syſtem, ohne daß einer unter ihnen fich in dem Grade hervor: 
that, daß fein Auftreten das allgemeine Intereffe der Partei 
hätte erwecken fonnen. Ihnen gegenüber huldigten die Vertreter 


— 190 — 


ber fcholaftifchen Richtung, welche allenthalben noch an Den 
Univerfitäten die Lehrftühle inne hatten, einer fchroffen Ab⸗ 
fohließungstheorie. Alle Mittel, welche ihnen ihre Stellung an 
die Hand gab, boten fie dagegen auf, wenn einer der Neuerer 
in ihrer Nähe Einfluß zu gewinnen drohte). Zu einem offenen 
Angriff gegen die Reuerung vorzufchreiten, Geift mit Geift zu 
befämpfen, dazu ſchien ed ihnen an Kraft und Muth zu fehlen. 

‚Ungeftümes, planlofes Herausfordern von der einen, 
Fleinliches, engherzigesd Sichverfchließen von der andern Seite 
harakterifiren bis ungefähr zum Sabre 1510 das Berhältnig 
der beiden Parteien zu einander. 

Duch den reuchliniichen Streit, deſſen erfte Anfänge 
bereit in das Jahr 1509 fallen, wurde diefem Zuſtande ein 
Ende gemacht. An die Stelle einzelner, vorübergehender Fehden 
trat ein großer, allgemeiner, von beiden Parteien mit gleicher 
Anftrengung geführter Kampf. — Was jenem Steeite feine hohe 
Bedeutung verlieh, war nicht der Gegenftand, über den man 
ftritt, — der Grad der Zuläffigfeit der hebräifchen Literatur — 
fondern die Stellung und der Rang derer, zwifchen denen er 
ausbrach. 

In dem Kampfe Reuchlin's gegen die koͤlniſchen Theologen 
ſtießen die beiden Richtungen in ihren vorzuͤglichſten Vertretern 
feindlich zuſammen. Mochte auch der Gelehrte von Pforzheim 
jene Merkmale, welche für den Humaniſten charakteriſtiſch 
fhienen, äußerlich nicht fo entfchieden zur Schau tragen, wie 
* mandhe feiner Zeitgenofien, fo Herrfchte doch darüber nur Eine 
Stimme, daß Feiner fo allfeitig und mit ſolchem Erfolg auf die 
antifen Studien eingegangen war, Mit einem Wörterbuch, 
dem erften im Geſchmack der neuen Richtung, Fam er den lateis 
nifhen Studien zu Hülfe Die Schwierigkeit der ‚Griechen- 
fprache uͤberwand er zuerft und nöthigte einen Argyropulos zu 








ı) Man erinnere fih an bie Behandlung, bie Buſch, Rhagius, Caeſa⸗ 
rius u. A. in Köln und Leipzig erfuhren. 


— 11 — 


dem Geſtaͤndniß, „daß Griechenland über die Alpen geflogen“ "), 
Er war e8, der den Vorhang aufzog, welcher bisher der Her 
bräer Weisheit verhülltee Als das trilingue miraculum, als 
den Phoenix der Wiffenfchaften prieien ihn deshalb nicht mit 
Unrecht feine Zeitgenofien. Selbit die feingebilveten Italiäner, 
fonft nur allzufehr gewohnt, das Verdienft ihrer Nebenbuhler 
jenfeit8 der Alpen geringfchägig zu beurtheilen, wetteiferten, 
biefem Deutfchen mit Beweifen der Anerkennung und Hoch—⸗ 
achtung entgegenzufommen. 

In ähnlicher Weife, wie Reuchlin bei der humaniftifchen, 
nahmen die koͤlniſchen Theologen bei der fcholaftifchen Partei 
eine hervorragende Stellung ein. Der Ruhm der großen Meifter 
der Theologie, welche im 12. und 13. Jahrhundert in Köln 
‚gelehrt, Fam auch ihren Nachfolgern zu Statten. Wie Orakel 
fprüche wurden ihre Outachten im 15. Jahrhundert aufgenom⸗ 
men, „höher als des Croeſus Schäße,” heißt es in einem 
Schreiben der cracauer Theologen an ihre Fülnifchen Amtss 
drüber, würde man ihre Antwort anfchlagen?). Diefes Ans 
fehen behauptete die theologiſche Yacultät in Köln auch noch 
im Beginn des 16. Jahrhunderts. Das Beifpiel der fchroffen 
Abſchließung gegen die neuen Beftrebungen, welches von ihr 
gegeben, war deshalb nicht ohne Einfluß auf die Haltung der 
übrigen Univerfitäten gewefen, und indem fte fich zum Angriff 
gegen das geiftige Oberhaupt der Neuerer erhob, war das 
Signal zu einem allgemeinen Kampfe beider Richtungen gegeben, 
der die Herrfchaft der einen oder andern entfcheiden zu muͤſſen 
ſchien. 

Seit dem Ausbruch dieſes Kampfes iſt der Fortgang der 
Bewegung durch ihn bedingt, in ihm finden die Beſtrebungen 
beider Parteien ihren Anhaltspunkt. Neben den alten Stich⸗ 


1) Vgl. Majus vita Beuchlini p. 29. „Eheu! Graecia nostro exilio 
transvolavit Alpes.“ 
2) Bianco Die alte Univerfität Köln.. Anlagen p. 236. 


— 190 — 


der foholaftifchen Richtung, welche allenthalben nod an Den 
Univerfitäten die Lehrftühle inne hatten, einer fchroffen Ab⸗ 
fhließungstheorie. Alle Mittel, welche ihnen ihre Stellung an 
die Hand gab, boten fie dagegen auf, wenn einer der Neuerer 
in ihrer Rähe Einfluß zu gewinnen drohte). Zu einem offenen 
Angriff gegen die Reuerung vorzufchreiten, Geift mit Geift zu 
befämpfen, dazu fchien es ihnen an Kraft und Muth zu fehlen. 

‚Ungeftümes, planloſes Heraudfordern von der einen, 
Fleinliches, engherziges Sichverfchließen von der andern Seite 
harakterifiren bis ungefähr zum Jahre 1510 das Berhältniß 
der beiden Parteien zu einander. 

Durch den reuchlinifchen Streit, deſſen erfte Anfänge 
bereits in das Jahr 1509 fallen, wurde diefem Zuftande ein 
Ende gemacht. An die Stelle einzelner, vorübergehender Fehden 
trat ein großer, allgemeiner, von beiden Parteien mit gleicher 
Anftrengung geführter Kampf. — Was jenem Streite feine hohe 
Bedeutung verlieh, war nicht der Gegenftand, über den man 
fteitt, — der Grad der Zuläfftgfeit der hebräifchen Literatur — 
fondern die Stellung und der Rang derer, zwifchen denen er 
ausbradh. 

In dem Kampfe Reuchlin’d gegen die Fölnifchen Theologen 
ftießen die beiden Richtungen in ihren vorzüglichften Vertretern 
feindlich zufammen. Mochte auch der Gelehrte von Pforzheim 
jene Merkmale, welche für den Humaniften charakteriſtiſch 
fhienen, äußerlich nicht fo entfchieden zur Schau tragen, wie 


manche feiner Zeitgenoffen, fo herrfchte doch darüber nur Eine 


Stimme, daß keiner fo allfeitig und mit ſolchem Erfolg auf die 
antiken Studien eingegangen war. Mit einem Wörterbuch, 
dem erften im Geſchmack der neuen Richtung, kam er den lateis 
nifhen Studien zu Hülfe Die Schwierigfeit der Griechen 
fprache überwand er zuerfi und nöthigte einen Argyropulos zu 








1) Man erinnere fih an die Behandlung, bie Bufch, Rhagius, Caeſa⸗ 
rius u. 9. in Köln und Leipzig erfuhren. 


— 1311 — 


dem Geſtaͤndniß, „daß Griechenland über die Alpen geflogen“ '). 
Er war e8, der den Vorhang aufgog, weldyer bisher der Her 
bräer Weisheit verhülltee Als das trilingue miraculum, als 
den Phoenix der Wiftenfchaften priefen ihn deshalb nicht mit 
Unrecht feine Zeitgenoffen. Selbft die feingebildeten Italiäner, 
fonft nur allzuſehr gewohnt, das Verdienft ihrer Rebenbuhler 
jenfeit8 der Alpen geringfchäßig zu beurtheilen, wetteiferten, 
diefem Deutfchen mit Beweifen ver Anerkennung und Hoch⸗ 
achtung entgegenzufommen. 

In ähnlicher Weife, wie Reuchlin bei der humaniftifchen, 
nahmen die koͤlniſchen Theologen bei der feholaftifchen Partei 
eine hervorragende Stellung ein. Der Ruhm der großen Meifter 
der Theologie, welche im 12. und 13. Jahrhundert in Köln 
‚gelehrt, kam auch ihren Nachfolgern zu Statten. Wie Orakel 
ſprüche wurden ihre Gutachten im 15. Jahrhundert aufgenom⸗ 
men, „höher als des Eroefus Schätze,“ heißt e8 in einem 
Schreiben der cracauer Theologen an ihre Fölnifchen Amtes 
brüder, würde man ihre Antwort anfchlagen?). Dieſes Ans 
ſehen behauptete die theologische Facultät in Köln auch noch 
im Beginn des 16. Iahrhunderts. Das Beifpiel der fchroffen 
Abſchließung gegen die neuen Beftrebungen, welches von ihr 
gegeben, war deshalb nicht ohne Einfluß auf die Haltung der 
übrigen Univerfitäten gewefen, und indem fie fich zum Angriff 
gegen das geiftige Oberhaupt der Neuerer erhob, war das 
Signal zu einem allgemeinen Kampfe beider Richtungen gegeben, 
der die Herrichaft der einen oder andern entjcheiden zu müflen 
ſchien. 

Seit dem Ausbruch dieſes Kampfes iſt der Fortgang der 
Bewegung durch ihn bedingt, in ihm finden die Beſtrebungen 
beider Parteien ihren Anhaltspunkt. Neben den alten Stich⸗ 


1) Bol. Majus vita Reuchlini p. 39. „Eheu! Graecia nostro exilio 
transvolavit Alpes.‘ 
2) Bianco Die alte Univerfität Köln.. Anlagen p. 236. 


— 192 — 


wörtern der Yehde „Poeten“ und „Sophiften” vernimmt man 
fortan die neuen „Reudliniften” und „Kölner“ 1). 


I. 


Schon frühzeitig wurde bie Univerfität Erfurt zur Theils 
nahme veranlaft. 

Unter den vier theologifchen Facultäten, die durch das 
faiferlihe Mandat im Sommer 1510 neben Reuchlin um 
ihr Gutachten über die angeregte Frage erfucht wurden, 
befand fih auch Die erfurtifche. She Gutachten Fam bereits 
unter Einwirkung des feindlichen Verhältniſſes zu Stande, 
welches fich fo eben zwifchen der mutianifchen und alten Partei 
gebildet hatte, und fprach nach Vorgang der Kölner von der 
hebräifchen Literatur in einem ziemlich unfreundlichen Tone ?). 
Indeg wurde in der nächften Zeit weder von der mutianifchen 
noch von der alten Partei dem Streite die Theilnahme gefchenkt, 
die durch einen folden Vorfall begründet ſchien. Die Unfälle, 
welche damals die Univerfität in Folge ver ftädtifchen Wirren 
erlitt, die Sorge für die eigene Erhaltung machten einftweilen 
die Beichäftigung mit dem Kampfe in der Berne unmöglid. 
Erft da wurde diefe möglid, als die gewaltigften Stürme der 
Revolution vorübergezogen waren, und bie ruhigeren Zuftände 


1) Der folgenden Darftellung liegt vorzüglich der zwifchen Mutian 
und dem erfurtiichen Kreife geführte Briefwechjel zum Grunde. So ſchwer 
auch die gedructen und ungedrudten Sammlungen, in denen derfelbe nieder- 
gelegt ift, zugänglich find, fo ift doch die Schwierigfeit, mit der bie richtige 
Benugung derfelben verfnüpft ift, noch größer, indem viele der wichtigften 
Briefe ohne Datum find. Ich habe feine Mühe gefpart, die chronologifcke 
Ordnung derfelben auszumitteln und es ift mir, hoff’ ich, mit Ausnahme 
von nur wenigen, unbedeutenden Fällen gelungen. — 

2) Der Kaiſer fei verpflichtet „ut a Judaeis libros falsitate ac 
blasphemiis Christiani nominis notatos, quicunque illi sint, prorsus 
tollat.‘“ Tentzel p. 99. Der eigentliche Gegenſtand ber Frage, ob übers 
haupt die hebräifche Literatur mit alleiniger Ausnahme der Bibel zu vers 
nichten fei, fcheint jedoch umgangen zu fein. 








— 153 — 


der Stadt ihren Gelehrten wieder eine freiere Entfaltung 
geflatteten. 

Zunäcdhft betheiligten fich die Humaniften an dem Kampfe. 

Wir fahen, wie die Ereigniſſe des „tollen Jahres“ gerade 
zu ihrem Bortheile dienen mußten. Noch vor Ablauf des Jahres 
1512 war der größere Theil von Mutian's Jüngern aus der 
Zerſtreuung nach Erfurt zurückgekehrt. Mit neuen Ideen 
bereichert, mit auswärtigen Parteigenoffen befreundet, in ihrer 
Abneigung gegen das alte Syſtem beftärkt, traten fie wieder 
vor ihren Meier bin. Mutian durfte fie jebt in der That 
als feine „Krieger bezeichnen, in der Ferne waren fie zu ſolchen 
berangewachfen. Ihr Bund, der fofort erneuert wurde, ent 
widelte in Kurzem einen ungleich energifcheren Charakter ald 
früher. Bor Allem wurde jest ein Iebhafterer Verkehr nach 
Außen begründet. Damit hängt es zufammen, daß Hutten, ber 
in den letzten Jahren den Erfurtern ziemlich entfremdet ſchien, 
jest auf's neue mit ihnen in Verbindung trat. Es wirft ein 
beveutfames Licht auf die Wichtigkeit, welche Erfurt für die 
Beftrebungen der Reuerer hatte, und dürfte wohl Wenigen 
befannt fein, daß mehrere der von Hutten damals verfaßten 
Gedichte zuerft durch die erfurter Preſſe in die Deffentlichkeit 
gelangt find!) Schon im Sommer 1512 finden wir einen 


1) Die Originalausgabe bes erfien Nemo erfchien zu Erfurt bei Stris 
bilita gegen Ende 1512 oder im Anfang 1513 (im Frühjahr 1513 erfchien 
in Deventer ein Nachdruck). Banzer (Ulrich von Hutten in liter. Hinficht 
p. 77) kannte dieſe Ausgabe nicht, ahnte aber ihr Vorhandenſein. Böllig 
unbefannt war bisher bie erfie Ausaabe :des Vir bomus, bie im Auguſt 
1813 bei Knapp erfhien: Ulrici Hutteni ex equestri ordine adolcs- 
centis Carmen emunctissimum mores hominum admodum. jucunde com- 
pleetens cui Titulus Vir bonus. Impressum per Jo. Ksappum Erpu. 
Anno virginei partus Tredecimo supra sesqui millesimum Idib. Au- 
gusti. 4%. — Möglich it es, daß der Drud durch Petrejus. der in Wien 
mit Hutten zufammentraf, vermittelt ift. — Welche unter Hutten's Schriften 
es geiwefen, die im Aunuft 1512 in Mutian’s Kreife ciweulirte, (M. B. 
8. fol. 161 b) ift ſchwer zu beftimmen. 


— 14 — 


entfchiedenen Anhänger der neuen Richtung, den von Mutian 
gebildeten Heinrich Eberbach als Rector an der Spige der 
Univerfttät ). 

Sp gefräftigt wandte diefe Partei dem reuchliniſchen Streite 
ihre Aufmerkſamkeit zu. Von großer Wichtigkeit war es, daß 
Mutian ſchon früher zu Reuchlin in einem nahen und befreun⸗ 
deten Verhaͤltniſſe ſtand. Die erſte Kunde vor feinem Auf- 
enthalte in Gotha gibt uns eben der von hier 1503 an Reuchlin 
geſchriebene Brief, worin er dieſen um Aufnahme unter ſeine 
Freunde bittetz). Sowohl die Freundlichkeit, mit welcher 
Reuchlin feinem Wunfche entgegenfam, als auch das große 
Verdienſt vesfelben um die neuen Studien hatte zur Folge, daß 
Mutian wiederholt im Kreife der Seinigen auf ihn hinwies. 
Reuchlin durfte fih hier die entfchiedenfte Theilnahme ver- 
ſprechen. Und fofort die erfte Aeußerung, in der Mutian feines 
Streites mit den Kölnern gedenkt, Fündigt diefe an. „Pytha⸗ 
goras lehrte feine Schüler zuerft ſchweigen,“ fchreibt er im 
October 1512 an Petrefus, „und fo babe ich mich bisher gleich⸗ 
jam als Pythagoräer ftumm verhalten. Da aber der größte 
Gelehrte angegriffen und ein elender Weberläufer [Pfefferkorn] 
in Schub genommen wird, jo will ich mich nach Kräften der 
Sache annehmen, nicht als Befchüber der Juden, jo viel maße 
ih mir nicht an, fondern als Reuchlin's Xobredner, der aus 
Liebe zur Wahrheit ein billiges Gutachten über den Talmud 
abgegeben hat, indem er das Schlechte verdanımt, das Gute vers 


ı) Die Matrikel fpendet ihm das größte Lob: ‚‚Medicinae doctrina 
sine controversia illustris. Ad haec naturae dotibus egregie auctus, 
pollet enim ingenio, valet experientia, consilio nemini cedit, diligentia 
in obeundis magistratus negotiis mirifice excelluit.‘“ G. U. M. ad a. 
1518. 

2) Illustr. vir. epp. ad J. Reuchlin. 1 3a. ‚‚ab humanitate tua 
peto, ut Mutianum tui nominis atque honoris studiosum in album 
amicorum recipias.‘“ Der Brief ift d. d. Gotha Tauring: ad Cal. Octob. 
1508. 








— 15 — 


theidigt 1). — Bon dieſem Augenblicke an befchäftigte ihn 
Reuchlin's Angelegenheit faft ausfchlieplich. 

Der Streit hatte damals bereit® auf. beiden Seiten einen 
äußert Teivenfchaftlichen Charakter angenommen. Dem in hef- 
tigem Lone gefchriebenen „Handfpiegel,” den Pfefferlorn gegen 
das Gutachten Reuchlin’s gerichtet Hatte (Anfang 1511), war 
von diefem der „Augenfpiegel® entgegengefegt worden. Unter 
handlungen, welche dann gegen Ende des Jahres 1511 zwifchen 
Reuchlin und der theologifchen Farultät in Köln eröffnet worden 
waren,‘ blieben ohne Erfolg, Das von Reuchlin im Sommer 
1512 herausgegebene „Klare Berftänpnig“ fteigerte die Erbit- 
terung der Fölnischen Bartei nur noch mehr und veranlaßte fie, 
im Herbfte des genannten Jahres durch Arnold von Tungern 
eine Gegenſchrift abfaſſen zu laffen, die in 43 Sägen Reuchlin 
einer ſträflichen Hinneigung zu den Juden befchulbigte2). 

Eben diefe Schrift war es, welche bei Mutian jene unge⸗ 
wöhnliche Aufregung hervorbrachte und jofort bei ihm ven 
Gedanken einer thätigen Theilnahme an dem Kampfe erwedte. 
Denn nicht mit Unrecht fah er in Reuchlin, dem Wortführer 
der Partei, fich feld und feine Juͤngerſchaar gefährvet. Richt 
war es der Gegenſtand des Streites, der ihn beflimmte; fand 
er ja doch an dem reuchlinifchen Gutachten ſelbſt Eingelnes 
auszuſetzen 2). Diefed hinderte ihn indeß nicht, fich gegen das 
Berfahren der Kölner, als das verabfcheuungswürdigfte Ver 
brechen zu erklären. Nur in den Ausprüden des bitterften 
Hafles gedachte er ihrer; er drohte Rache zu nehmen an ihnen 


!) Lib. nov. epp. J 7 b. Petrejus war im April 1518 wieder nach 
Erfurt zurückgekehrt. 

2) Bol.: Bon der Hardt Hist. Ht. ref. 11, 6 . Erhard 1. o. II, 398. 

2) Tentzel p. 138 ad Urb. ‚‚Hanc questionem doctissimus aetatis 
kostrae adeo scienter et graviter expedivit Jo. Reuchlinus, ut etiamsi 
isterdum erraverit (est enim homo) tamen laude dignus sit. Sed pro 
laude culpam invenit apad sciolos inkumanissimos tam graece quam 
latinae linguae, nedum hebraicae rudes.‘“ 


— 156 — - 


für die Ungerechtigkeit, die fie gegen Reuchlin verübt!). „Sch 
habe mir nie Mühe. gegeben,” äußert er in jenem Schreiben 
an Petrejus, „das Böfe Anderer kennen zu lernen, aber jebt 
mahnt die Zeit, daß ich den Frähen die Augen ausſteche“ *). 

In ähnlicher Weife wie Mutian wurden auch feine Anhänger 
durch jenes Auftreten der Koͤlner erregt. Unter ihnen that fi 
frühzeitig Petrejus durch feinen leidenſchaftlichen Eifer für 
Reuchlin hervor?). Crotus, der damals noch in Fulda zurüd- 
gehalten wurde, aber von hier aus einen lebhaften Verkehr mit 
Mutian und feinen Freunden unterhielt, erging fich bald in 
bittern fatirifchen Ausfällen gegen die verhaßte Fölnifche Partei. 
Nicht minder war Urban über „bie frivole Cenſur“ der Kölner 
aufgebracht. Ä | 

Und noch konnte man nicht wiffen, wohin fie ihr gemeins 
famer Eifer führen würde, als unerwartet die Nachricht von 
der Verdammung Reuchlin's durch Faiferlihen Urtheilsſpruch 
eintraf und die größte Beſtürzung unter ihnen verbreitete. 
MWahrfcheintich hatte das Faiferliche Mandat, welches nach der 
Veröffentlichung der reuchlinifchen „Bertheidigung gegen vie 
fölnifchen Berläumder” im Frühjahr 1513 beiden Parteien 
Stillſchweigen auferlegte, - Anlaß zu jenem irrigen Gerüchte 
gegeben. Mutian gerieth außer ih. „Dex Heiligfte und Ges 
Ichrtefte unferes Zeitalters,” rief er klagend aus, „der Fürft 
der Gelehrten, Joh. Reuchlin, hat auf Anftiften der Theologen, 


ı) Er danft dem Urban, der ihm die Schrift der Kölner überfanbt 
hatte, mit folgenden Worten: Quantas maximas possum gratias ago atque 
habeo Urbane noster quod me nugis et vere abortivis fetibus et agrip- 
pis agrippinensium colonorum donaveris. Legam accuratius, el si 
licuit theologis alienum opus vellicare licebit et mihi cornicum 
ocutos configere‘“ M. B. F fol. 167 a. 

2) Lib, nov. epp. J 7 h. 

2) Mutian äußert über ihn in einem Schreiben an Urban: Johannem 
Reuchlin agrippinenses cehseria virgula notaraent, non vidi, utinam 
daretur. Dii perdant istos xalapopayovg. Petrejus noster ait cartas 
esse cacatas.““ Tengel p. 135. 





— 17 — 


fei e8 vom Kaifer oder vom kaiſerlichen Rathe, die unwuͤrdigſte 
Berurtheilung feiner Bemuͤhungen erfahren. Er if verurtheilt 
und geäcte. Wehe, Wehe! Die Wahrheit ift ihres Ber- 
theidigers beraubt. Die Barbarei berrfcht. Ungelehrte herrſchen 
über Gelehrte” *). Im Geifte der Alten verglich er ihn mit 
Socrates und ſah in Ihm das Beifpiel leidender Unfchule. 
Freilich konnte er es fich nicht verbergen, daß Reuchlin in feinen 
legten Schriften gegen die feindliche Bartei ich zu ſehr habe 
von Leidenſchaft Hinreißen.laflen, daß feine Bertheidigung der 
Sebräifchen Literatur hiex und da das Maaß überfdgreite, und 
er fand daher in einem Augenblide die Faiferliche Berurtheilung 
fo unbilig nid ?). Aber dergleihen Anwandlungen wurden 
ſchnell wieder durch feinen umverfühnlichen Haß gegen die 
ölnifche ‘Partei befeitigt. „Wehe! fo viel: vermag ein elenber 
Üeberläufer von jüdiſchem Blute!“ fchrieb er im Juli an Peu⸗ 
tinger in Augsburg, „Ich werde ed nicht ertragen, fo viel-an 
mir liegt, nein, ich werde es nicht ertragen, obgleich ich weiß, 
wie wenig Mittel mir zu Gebote ftehen, daß ein ſo großes 
Licht in Deutfchland ohne Verhör ausgelöfcht werde“ 3). Gleich- 
zeitig wandte er fich fchriftlich an Reuchlin ſelbſt, verficherte ihn 
feines "&ifer und der Bereitwilligfeit, ihm zu Hüffe zu kom⸗ 
men *). Um aber feinen Zufagen deſto mehr Gewicht zu geben, 
veranlaßte er auch Einzelne der Seinigen in ähnlicher Weife 
vor den großen Wortführer ihrer Partei hinzutreten. Raum 
fönnen dieſe Worte finden, um ihre Begeifterung für den ver- 
ehrten Patron auszuprüden. „Welche Worte möchten einer fo 
herrlichen That gleichkommen,“ ſchreibt Petrejus mit Hinblid 
auf Reuchlin's letztes Auftreten gegen die pfefferkorn'ſche Partei, 


1) Tentzel J. c. p. 143. ad Urb. 

2) Vgl. den Brief an Urban bei Tenkel p. 139. 

°) Illustr. vir. epp. ad J. Reuchl,. Alb. 

2) Diefes ergibt fi aus Reuchlin's Antwortsſchreiben bei Tenpel Re- 
liquiae epistolar. Mutiani p. 18. - 


— 18 — 


„ih will Dich nicht ermahnen, daß Du bei dieſem heiligen 
Vorhaben verharreft, denn ein Thor tft, wer einen. Eilenden 
anfpornt, aber das darf ih Dir. nicht verhehlen, daß Du nir⸗ 
gendwo auf. der Welt fo viele Anhänger zählft, als hier unter 
den Unferigen* °). Denfelben Eifer befundet das gleichzeitige 
Schreiben bed Urbanus, welches Reuchlin den fölnifchen „Theo: 
logiften” gegenüber. ald den Bertreter der wahren Theologie 
verherrlicht und mit einigen bittern Verſen gegen die Genfur 
der letzteren ſchließt 2). 

Es war das erfte Mal, daß Mutian in diefer Weife öffent 
lid) mit feiner Schaar hervortrat, und fofort erfannte Reuchlin 
die hohe Wichtigkeit derfelben für feine Sache. „Unter ven 
gegenwärtigen Umftänden,” fchrieb er am 22. Auguft 1513 an 
Mutian, „wird mir Nichts von größerem Nuten fein, als 
Deine Freundſchaft, namentlich. wenn. Euer ganzer Gelchrten- 
bund mit gleihem Eifer auf meine Seite tritt, wie dies die 
Briefe des Petrejus und Urbanus neben dem ‚Deinigen in 
Ausficht ſtellen. Durch den Beiftand fo Vieler ermuthigt, hoffe 


— — — — 


N 


ı) Illustr. vir. epp. ad Reuchl. y 4 a. ‚‚Illud tamen forte tacen- 
dum non fuit, tot tibi e nostratibus studere homines, de illis loquor 
quos Diogenes et Aesopus paucos esse in balineo responderunt, cum 
tamen turba adesset multa, quot alibi terrarum nusquam. Er bezieht 
fh auf Mutian, Crotus, Urban, Spalatin. 


2) In peperiphronas -superstitionis. vicio et malevolentia aestu- 
antes: 
: Balba Sophistarum sileat censura, profecto 
Irritant doctum Capnionem fatui 
Despuit in celebrem bucca crepitante Suevum 
Et ciet ambages lippa cathedra rudes, 
Quid tibi Barde nocet grati Thymiani vaporis 
Aere tabifico tura Sabaea cremas 
Quod rapidum conflet Aammam recutibus Agaso. 
Florida falsiloqui pectora Aetna calet.““ 


Zengel Suppl. Hist. Goth. I, p. 117. — Urban lebte um dieſe Zeit gewöhns 
lich in Erfurt. 





— 19 — 


ih alles Widrige glüdlich zu überwinden" ?), An demfelben 
Tage fchrieb er auch an Urban in den. anerfennendften Aus⸗ 
brüden. Zugleich überfandte er ihm jenes kaiſerliche Mandat, 
das zu fo beunruhigendem Gerüchte Anlaß gegeben, mit der 
Bitte, für die Veröffentlichung desfelben Sorge zu tragen ?). 

Daraus erfahen nun Alle, daß ihre Beforgniß ungegründet, 
wenigftend übertrieben gemwefen war. Einſtweilen bevurfte 
Reuchlin ihrer Hülfe noch nicht. Um fo mehr aber machte die 
Haltung, weiche in dieſem Augenblide die gegnerifche Partei 
in ihrer unmittelbaren Nähe annahm, ein energifches Einjchrei- 
ten nöthig. 


M. 


Sene bereits feit Jahren vorhandene Spannung zwiſchen 
der alten und neuen Partei an der Univerfität brach endlich 
im Jahre 1513 in offenen Kampf auß, 

So ſchwach fühlte fich die alte Partei doch noch nicht, daß 
fie den immer drohender werdenden Fortfchritten der Neuerer 
ruhig hätte zuſehen follen. Der in Folge des reuchlinifchen 
Streites gefteigerte Ungeſtüm verfelben brachte bei ihr den ſchon 
längft gehegten Plan einer Reaction zur Reife. Manches ver- 
ſprach ihr Erfolg. Die Berhältniffe der Stadt, in welcher in 
dem genannten Jahre die Partei des Rathes wieder ihr Haupt 
erhob, jchienen das Unternehmen zu begünftigen. In Jodocus 


ı) „„Hoc tempore Tua mihi amicitia non erit etiam utilius quic- 
quam, id maxime, quando par studium totius vestrae sodalitatis lite- 
ratoriae in rem meam Accesserit, quod et Petrejus Aperbacchus et 
Henricus Urbanus cum Tuis literis pollicentur, in quibus unus et idem 
communis, Deo gratia, omnium Vestrum conatus ostenditur, diligendi 
mei. Unde consolabor, tot patronis adjutus, quod animo nen fracto, 
quantavis in senecta, vincam quaelibet adversa.‘ Tenkel Bel. epp. 
Mut. p. 18. | 

2) Tengel Suppl. hist. Goth. p. 116. 


— 10 — 


Trutvetter, der nach langjähriger Abwefenheit jo eben von Wit: 
tenberg heimkehrte, erhielt die Bartei einen ihrer tüchtigften und 
talentvolften Bertreter wieder. Wie er der theologischen Facultät 
angehörte, fo fand überhaupt die Reactionspartei in der theo- 
logifchen Yacultät ihre vornehmfte Stütze. Es fehien fat, als 
feien bei ihr durch die maßlofen Angriffe gegen ihre koͤlniſche 
Schweſter die alten Sympathien, welche fie zur Zeit der großen 
Goncilien für leßtere bekundet hatte, wiedererweckt worden. 

Den erfien Sieg erfocht die Bartei bei den nädjften Wah: 
len. Auf jenen Heinrich Eberbach war im Herbſt 1512 der 
ebenfalls mit Mutian befreundete Johann Werlich als Rector 
gefolgt. Im Frühjahr 1513 wurde nun ein entfchiedener Scho- 
laftifer, der Canonicus bei St. Sever, Andreas Schill, als Nach⸗ 
folger gewählt, und eine geraume Zeit hindurch blieb von da 
an die Rectorwürde bei eifrigen Berfechtern der alten Partei "). 
Gleichzeitig wurde auch der Verſuch gemacht, die in Verfall 
gerathenen Inftitute der Univerfität wieder emporzubringen; 
eben unter dem Rectorate jenes Schill wurde eine bedeutende 
Summe auf die Wiederherftelung ded großen Collegiums ver- 
wandt?). Indeß auch mit geifligen Waffen fuchte man dem 
Feinde zu begegnen. Die alten Schulbücher wurden verbeffert 
und neu aufgelegt. Trutvetter gab feine Dialectif, Ufingen 
feine Zogif neu heraus. Und fo groß war der Eifer, fo ange 
ſtrengt die Thätigkeit diefer Partei, daß ihr ſelbſt Mutian, 
wie erbittert er auch darüber war, deshalb feine Anerkennung 
‚nicht verfagen konnte ?). 


1) Die Namen ber nächften Rectoren find: Balentin Ingermann, Con⸗ 
rad Wideling, Heinrich Drolmeyer, Joh. Hoch. Lebterer beginnt die Ein: 
leitung zu feinen Rectoratsverzeichniffen fogar mit einer Xobeserhebung 
Köln's. Es ift auch charakteriftifch für fle, daB ihre Nectoratsberichte in 
ber Regel Lobfprüche auf die monarchiſche Regierungsform enthalten. 

2) Lib, rationum ad a. 1513 s. v. Schill M. ©. der Eönigl. Bibl. 
in Erfurt. | 

2) M. DB. 5. 204. Mut. ad Urb. Nachdem er fich ausgefprocdhen Hat 
über die erfreulichen Fortfchritte, die der Humanismus unter feiner Leitung 





— 161 — 


Es waren die angefehenften Lehrer, die Vertreter des alten 
Ruhmes der Univerfität, von denen die Reaction ausging. 
Keineswegs redeten fie einer engherzigen Abjchließungstheorie 
den neuen Studien gegenüber das Wort — waren fie ja eben 
bie erfien Gönner derjelben gewefen — nur gegen die Eonfe 
quenzen des gothaifchen Banonicus erhoben fie Proteſt. Wie 
hätte es ihnen an Erfolg fehlen konnen? 

In der That traten binnen kurzer Zeit fammtliche Lehrer 
der Schule, mit wenigen Ausnahmen !), auf ihre Seite. Sie 
entjagten ihrer frühern Verbindung mit Mutian. Die Eorpo- 
ration emancipirte fi von dem Einflufle eines Mannes, dem 
fie Jahre lang als ihrem Gebieter gehuldigt. 

Sp weit ging nun zwar die Jugend nicht: zu tief hatten 
die neuen Ideen bei ihr Wurzel gefchlagen; aber e6 blieb doch 
das Beifpiel der Lehrer nicht wirkungslos. Bei Bielen fing 
der frühere Enthuflasmus für Mutian an zu erfalten. Schon 
ſah man fie wieder fittiger Hinter ihren Lehrern daher jchreiten. 

Wie aufgebraht war da Mutian! Wie unmillig äußerte 
er fi über die „Bosheit“ der alten PBhilofophafter, über die 
Unzuverläffigkeit der Jugend! Schon glaubte er die Zeit nicht 
mehr fern,. wo ber Humanismus in Erfurt vollftändig unter: 
drüdt werden würde 2). 


in Erfurt gemacht, fährt er fort: „„Pervertunt hoc bonum magistri cum 
ingenti puerorum damno. In quibus ut acre ingenium, studium, labo- 
rem, vigilantiam, religionem, castitatem laudo: ita damno pertinaciam, 
invidiam, malevolentiam, teterrimas humani animi pestes: quae suis 
sordibus carere nolunt: doctrinae meliori non favent, jJuventuti prae- 
stantiam optimarum arcium invident et secum universos stultiferam ut 
ita dicam triremem conscendere jubent. Apage istas febres, ista 
carcinomata. Quis ferat novum hoc scelus?““ Der Brief ift im Juni 
oder Juli 1513 gefchrieben. 
1) Maternus, H. Eberbach, Hereborbus, welche Damals ebenfalls fchon als 
Lehrer aufgetreten waren, blieben Mutian getreu. Doch erregte Maternus zuwei⸗ 
len Rutian’s Verdacht. — Männer wie Werlich, Soemering, die früher in dem 
freundlichften Berhältniffe zu Mutian fanden, wendeten fich jebt von ihm ab. 
2) Dhne Zweifel übertreibt Mutian (M. B. %. fol. 204 b, 139 a, 
Kampſchulte, Univerfität Erfurt. 11 


— 12 — 


Dies war nun aber ‚nicht zu befürchten. Beharrlich hielt 
Mutian’d unmittelbare Füngerfchaft, die den eigentlichen Kern 
der Humaniften bildete, an ihrer Sache feft. Zu entfchiedenem 
Widerſtande zeigte fie. füch entjchloffen. Ihre Haltung flößte 
auch dem Meifter bald wieder Hoffnung und Bertrauen ein. 
Für den Augenblid gab. ihm aber ein Zwift, welcher unter den 
Süngern felbft ausgebrochen war, zu den traurigften Betrady 
tungen Anlaß. Da mußte e8 Mutian jogar erleben, daß einer 
der begabteften. jungen Dichter fein Talent — freilich ohne es 
zu wollen — im Intereſſe der alten Partei verwandte. 

Es war dies Euricius Cordus aus dem hefiifhen Dorfe 
Simtshaufen, Freund. und Studiengenofie des Eoban, der 
gleichzeitig mit ihm die MWoetenfchule des Jacob Horlaus in 
Frankenberg befucht hatte. Seit dem Beginn des Jahres 1513 
finden wir ihn in Erfurt !). Er wandte fih damald in einer 


163 a u. a.) die Bemühungen und die Erfolge der Alten, um dadurch Haß 
gegen fie zu erregen. Die Jugend war Mutian nie fo entfremdet, als dieſer 
felbft angibt. Dal. Tengel p. 109. 

1) Meber feiner Jugendgefchichte fchwebt vieles Dunfel. Wir fennen 
weder das Jahr feiner Geburt, noch die Zeit feiner Ankunft in Erfurt. 
Eben fo wenig ift fein urfprünglicher Name befannt. Die Anficht, welche 
Erhard aufgeftellt hat und die auch durch eine fpäter eingefchobene Bemerkung 
in der philof. Matrifel beftätigt wird, dag nämlich Cordus identifch fei mit 
dem 1515 in Erfurt immatriculirten Henricus Eberweyn aus Sranfenberg, 
widerlegt fich Dadurch, daß unfer Euricius bereits feit Anfang 1513 unter 
dem Namen Cordus und Ricius (woraus Mutian fpäter Euricius machte) 
in Erfurt erfcheint, daß er hier unter legterem Namen 1514 feine bucoli- 
ſchen Gedichte herausgab (Panzer Annal. typ. VI, 498), daß ferner jener 
Heinrich Eberwein neben Cordus und offenbar als eine von ihm verfchie- 
dene Berfon in dem mutianifchen Briefwechfel vorflommt. (Alt. lib. epp. 
J7 a). Endlich ift ohne Zweifel der Henricus Everbinus, an den Cordus 
felbft einmal ein Epiaramm richtet, (Cord. Opp. 187) mit jenem Heinrich 
Eberw. identifch. — Nach Hamelmann 1. c. und der Hogel’fhen Chronik 
ad a. 1505 müßte Cordus ſchon 1505 in Erfurt geweſen fein, allein bie 
Eritiklofigfeit beider Quellen erlaubt uns, an_diefer Nachricht zu zweifeln. 
die fonft durch Nichts beftätigt wird. — Wenigftens fo viel ergibt er aus 
Mutian's Briefen, daß er Cordus erit im Anfang 1513 kennen gelernt hat. 





— 183 — 


Reihe ehr heftiger Epigramme gegen den Tiloninus, einen ver 
ungeftümften Gegner der Scholaftif, der es aber gleichwohl bei 
feinen humaniftifhen Studien nie über jene Außerliche, geiſtloſe 
Nachahmung der Alten hinausgebracht hatte. Eben Lebteres 
und daß er dennoch fortwährend mit feinem Dichtertitel pruntte, 
hatte die gerechte Entrüftung des claſſiſch gebildeten Cordus 
hervorgerufen 2). 0. 

Wenn auh Mutian früher jelbft auf das entfchledenfte 
gegen das Berfahren des Tiloninus geeifert hatte, fo erregte 
doch unter den gegenwärtigen Umftänden der Angriff des Corvus 
gegen ihn feinen Unwillen im höchften Grade. Ya er ging in 
letzterem fo weit, daß er über das unläugbare poetifche Talent 
desfelben das härtefte und unbilligfte Urtheil fällte 2). Bei der 
regen Thätigkeit, welche damals die alte Partei nach allen 
Seiten entmwidelte, glaubte er, daß Cordus auf ihr Anftiften 
zu jenem Angriffe gejchritten fei 3). In der That leiftete dieſer 
den „Sophiften” durch die Bekämpfung ihres übermüthigften 
Gegners einen wefentlichen Dienft. — So durch Zwiſt in dem 





) Die fehr biffigen Epigramme contra Tiloninum (zuerſt gedrudt 1515) 
Änden fih in Opp. Cordi 86—99. Einige andere Gedichte des Cordus 
gegen Tiloninus find uns nicht erhalten. 


2) Bol. u. 9. die Aeußerung in einem Briefe an Petrejus (Anfang 
Anguft oder Ende Juli 1513) bei Tentel p. 165. „Hoc temporis punc- 
tulo dedit ad me Cordus suum foenum serotinum, imo praecocia 
ejectamenta. Responsum accepit, non quale forsan optabat, fucatum 
et blandum, sed severum. Castigavi mordacitatem impudentissimam, 
hortatusque sum, ut amore Musarum ignosceret Proteo et palino- 
diam cantaret, ac dein latino potius homini, quam frivolae sophista- 
rum doctrinae adhaereret.‘““ Diefe Aeußerung bezieht ſich auf Die Eflogen 
des Cordus, unter denen ebenfalls eine gegen Tilonin gerichtet war. 


2) M. DB. 5. fol. 304 b, ad Urb. ‚‚Ecce quia contractis barbaris 
oopiis latinas cohortes pellere non possunt insidiantur et olam per 
dolum exilio mulctare nituntur. Existimant, nulla re citius superarl 
Posse, quam si alium ejusdem sectae ad sustinendum impetum oppo- 
suerit. Sic lacessit Tiloninum Cordus, sophorum vafricia subornatus.“ 

11% 


— 14 — 


humaniſtiſchen Heerlager begünftigt, felbft einig und unermüd- 
lich thätig, fland die alte Partei im Herbſt 1513 wieder mächtig 
und einflußreich da. 

Unter diefen Umftänden konnte es gefchehen, daß die Uni⸗ 
verſitaͤt, welche Petrejus ſo eben in ſeinem Schreiben an Reuch⸗ 
fin als den vorzuͤglichſten Sitz der „Reuchliniſten“ bezeichnet 
hatte, ſich ſelbſt, bei gegebener Veranlaſſung, öffentlich in einem 
ganz andern Lichte zeigte. Damals nämlich ließen die kölniſchen 
Gottesgelehrten durch ihren Abgefandten, ven Dominikaner Bern: 
hard von Sochenberg, die theologiſche Yacultät in Erfurt um ihr 
Gutachten über den reuchlinifchen „Augenſpiegel“ erſuchen. 
Das Gutachten, welches die Kacultät am dritten September 
durch ihren Decan Hermann Serges von Dorften ausfertigen 
ließ, fiel der Hauptſache nah im Sinne der Bittfteller aus. 
In aller Form ſprach es ſich für die Unterdrüdung jener Schrift 
aus 1). Die Kölner fahen es als einen Triumph ihrer Sache 
an. Freilich fo unbedingt, wie fie es wünſchen mochten, Hul- 
digte das Gutachten ihren Grundfäben denn doch nicht. Nicht 
genug, daß bei der Verdammung der Schrift Ehre und An- 
fehen des Verfaſſers ausprüdlich vorbehalten wurden. Reuchlin 
wurde in dem Gutachten fogar mit Auszeichnung behandelt, 
feiner Kenntniß in den drei Sprachen, feinen Abfichten, feinem 
perfönliden Wandel, feiner kirchlichen Geſinnung das größte 
Lob geſpendet 2). Aber wie mild und fchonend auch die Form 





12) Es findet fih bei Tentzel J. c. 98 —101. — „Judicamus saepe 
fatum libellum, citra tamen authoris sui notam ac ignominiam (ne 
regis Idumee ossa in cineres usque consumantur) supprimendum, tol- 
lendum, e medio delendum ac communi hominum (simplicium maxime 
et eorum quorum posset esse offensivus) usui prorsus interdicendum.“ 
l. c. p. 100, 

2) Das Gutachten nennt ihn ‚‚autorem singularis et praeeminentis 
'eruditionis, virum doctissimum, triplicis linguae Hcebraicae, Graeca- 
nicae atque Latinae peritissimum, celebri fama de vitae ac morum 
integritate nobis multipliciter commendatum et prout commendabilis 
sua testatur protestatio, quam consultationi suae praemisit ac sub- 





— 15 — 


war, die Sache wurde im MWejentlichen dadurch nicht geändert, 
über Reuchlin's Unternehmen fchien der Stab gebrochen. 

Damit Hatte nun die alte Bartei unabwendbar den Sturm 
der Neuerer gegen fich heraufbeſchworen. 


IV. 


Trotz der erfolgreichen Thätigkeit, welche die „Alten“ in der 
legten Zeit entfaltet hatten, fcheinen Mutian und feine „Ge⸗ 
treuen” doch nicht erwartet zu haben, daß fle dem Zumuthen ' 
der Kölner nachfommen und die VBerdammung der reuchlinijchen 
Schrift auszusprechen wagen würden. Um jo größer war ihre 
Entrüftung, als dies dennoch gefhah. Es gewährte nur einen 
geringen Troft, daß die übrigen Facultäten, unter denen wer 
nigftens die juriftifche um ihre Zuflimmung erjudht worden 
war’), dem Beichluffe nicht beigetreten waren. Die Verdam⸗ 
mung Reuchlin's ſchien ihnen ein unauslöfchlicher Fleden in 
den Annalen der Univerfität. Mutian jelbft eilte nach Erfurt, 
begleitete den Ausfpruch der Theologen mit den gehäfflgften 
Anmerfungen; daß fie die fölnifchen Theologen als ihre „Mit 
brüder und zu jeder Zeit verehrungswärdigen Gönner“ bezeich- 
net hatten, war ihm das verabfcheuungsmwürbigfte Verbrechen; 
die milde Form, in der das Gutachten abgefaßt war, vermochte 
ihm nicht milder zu flimmen. „O der erheuchelten Milde,“ 
rief er au8, „unter dem Anfchein von Mitleiven mwüthen fie 
graufam!” 2) 


h) 
nexuit, bonum et Catholicum Christianuın.‘‘ Tengelp.99. Bine Sprache, 
die in der That von der fölnifchen gewaltig abweicht. Die Irrthümer in 
dem renchlinifchen. Gutachten werden ſogar entfehulbigt, weil Meuchlin die 
Veröffentlichung desfelben nicht habe-vorausfehen lönnen „minus extimuit, 
seu praevidit, quempiam ex dictis suis erraudi sumturum occasienem 
aut scandalisatum iri.“ 1. c. p. 10. 

ty Nur bei diefer Annahme wird die Aufforderung des Mutian an 
Herebord „‚Excusa tuum cohortem et quod non subsoripserint Theo- 
logistis refer.‘“ (Tengel 97) exklaͤrlich 

2) Vgl. den Brief an Urbanus bei Tengel p. 93— 3. 


— 16 — 


Zunaͤchſt mußte verhütet werden, daß Reuchlin felbft durch 
die Nachricht von der Verurtheilung, die feine Sache an einer 
ihm als jo ergeben dargeftellten Univerfität erfahren, entmu⸗ 
thigt werde. Sofort wird Urban, der damals für längere Zeit 
feinen Wohnfis in Erfurt genommen hatte, aufgefordert, in 
diefem Sinne an Reuchlin zu fchreiben !)., In gleicher Weife 
werden Crotus und Herebord ermahnt. Mutian legte dem 
Gutachten eine größere Bedeutung bei, als es wirklich Hatte. 
„Unfer Freund Janus Reuchlin ift in Gefahr,“ jchrieb er an 
Herebord, „nicht wegen feiner Gelehrfamfeit, die ihn hinlänglich 
nad allen Seiten jchüßt, fondern wegen des Geſchrei's der 
Arnobardiften. Wenn Du den Ruhm Tiebft, wie Du. ihn Tiedfl, 
dann fei ein Capnobat (Reuchlinift), Fein Arnobarvift (Kölner). 
Schreibe fofort” 2), Ohne Verzug fam Urban der Aufforderung 
feines Meifters nad. „Der Friede fei mit Dir, heiligfter 
Bater!" redet er Reuchlin an, „Wenn die Theologiften dieſer 
Schule einige Würde bejäßen, oder wenn fie ihre eigene Un- 
wiffenheit begriffen, würden fie den Arnobardiften nicht beis 
flimmen. Wir find Eapnobaten und in Deinem Dienfte, und 
zugleih mit und verehrt und liebt Dich die ganze ftudirende 
Sugend diefer Univerfität auch wider den Willen des Sergius 
und Bacchus“ 3), 

Mutian war indeß nicht gefonnen, ed bei ſolchen Auf 
munterungsfchreiben bewenden zu laſſen. In höchft merfwür- 
diger Weife gedenft er um diefe Zeit in einem Briefe an Urban, 
feinen vertrauteften Anhänger, eines großen Unternehmens, das 
er für Reuchlin beabſichtige?). Worauf dasjelbe eigentlich 


— — 





1) M. DB. F. fol. 99 a.. Mut. ad Urb. ‚‚Tu scrihas tuo more, quo 
nihil absolutius perfectiusque. Vale et veninm nihil scribenti. Scri- 
bat Crotus et Herebordus. Hie sui ordinis assensum et officium re- 
promittat. Iste vero Hartmanni domini.“ : 

2) Tenkel p. 97. 

5, Tentzel p. 109. u 

ıM.»B. 5. fol. 99 a. „ad Capnionem ideo uihil in praesentia 








⸗ 


— 167 — 


berechnet war, erfahren wir nicht, nur fo viel erſieht man, daß 
Mutian ſchon damals im Geheimen mit wichtigen Plänen zu 
Bunften Reuhlin’d umging. — — 

Dffener, als Hier, verfuhr er in dem Kampfe, der, ſobald 
Reuchlin beruhigt worden war, gegen die fcholaftifchen Lehrer 
an der Univerfität eröffnet wurde, und da mußte e8 fich zeigen, 
ob diefe den jüngft gewonnenen Einfluß würden behaupten 
können. Es ift nothwendig, daß wir an diefer Stelle den 
Standpunft, welche jene den neuen Beftrebungen gegenüber 
einnahmen, etwas näher in's Auge faſſen. 

Wenn irgendivo, fo ift in Erfurt von den Vertretern der 
alten Richtung eine friedliche Ausföhnung zwifchen den neu 
erwachten antifen Studien und der hergebradhten Lehrmeife 
verfucht worden. Selbſt das Schrofffte, welches je von ihnen 
ausgegangen ift, jenes Gutachten über den reucdhlinifchen „Augen 
fpiegel”, verläugnet, wie wir ſahen, viefes Beftreben nicht. 
Eben diefe Mäßigung und Billigfeit der neuen Richtung gegen⸗ 
über, hatte nicht wenig dazu beigetragen, ihnen in der legten 
Zeit, als fie ſich einmal Fräftig erhoben, mit fo überrafchenver 
Schnelligkeit Anjehen und Einfluß wiederzugeben. Und fo wenig 
lag es in ihrer Abficht, die wiedergemonnene Macht zur Unter 
drüdung der neuen Richtung anzuwenden, daß die theologifche 
Facultät 1514 ven erften Beförderer derjelben, Maternns, unter 
ihre Mitglieder aufnahm). Unangefochten lehrten damals der 
von Mutian in das Rechtsſtudium eingeführte Herebord und 
der ungeftüme Tiloninus in der juriftifihen Yacultät, während 
in der mediciniſchen Heinrich Eberbach ſich die Verbreitung ber 
neuen ©rundfäge angelegen fein ließ, ohne daß ihm von der 
alten Bartei irgend ein Hinderniß entgegengefegt worden wäre 2), 


scribam, quod nondum expeditum sit, quod conor et ille desiderat.‘“ 
Der Brief ift im Anfang Dectober 1513 gefchrieben. 

2) Pol. Motfchmann 1. c. Erfte Fortf. p. 85 

2) Mutian ſelbſt gefteht dies in einem Briefe, den er 1514 an ihn fchrieb, 


— 18 — 


Diefe äußere Anerkennung war jedoch das Wenigfte. Es iR 
bezeichnend, daß eine Predigt über das Leiden Ehrifti, die in 
der Charwoche 1514 von einem Mitglievde der fcholaftifchen 
Partei vor den Studirenden gehalten wurde, mit Anführung 
eines Beijpield aus der römifchen Gefchichte beginnt '). Das 
merfwürdigfte Denkmal diefer antikifirenden Beftrebungen der 
erfurtifden Scholaſtik ift Die im Anfang 1515 veröffentlichte, 
zum allgemeinen Gebrauch für die Stupirenden beftimmte, An 
leitung zum richtigen Empfang des Bußfaframents?). Da 
nach dem Grundiage der Stoifer, Außert der Berfaffer in der 
Kachreve des Werkes, die Menfchen um der Menjchen willen 
gefchaffen feien, fo habe auch er durch gegenwärtige Schrift 
den Studirenden nützen und ihren Eifer für das herrliche 
„fofratifche Inftitut” — wie die Beichte genannt wird — neu 
beleben wollen. Das Beftreben, ‘den neuen wiffenjchaftlichen 
Anforderungen genugzuthun, welches man ſofort in dieſer 
Aeußerung erkennt, ift für das ganze Werf harafteriftifch. Die 


„Bene agitur cum optimarum artium studiosis, te Cornelium Celsum 
medicorum latiniss. in Erphurdiensi Gymnasio enarrante. Vellem, 
et mihi liceret te audire profitentem.“ M. B. 5. 263 a. 

1) Oratio de passione domini Erphurdie habita die mercurii in 
ebdomade sancta pro vernis vacationibus: studiorum per Judoeum 
tex: winshemium. 1314. 4°. 

2) Die erſte Ausgabe erjchten im Anfang 1515 unter bem Titel: Hoc 
in libello subscripta continentur. Forma recte penitendi et confi- 
tendi ex onmi ferme vitiorum genere: adjecta declaratione quando 
peccatum sit mortale et quibus remediis cavendum: cum allegatione 
scriptorum ecclesiasticorum et juris Canonici. Cantalitii poetne cla- 
rissimi Christiani poenitentis Elogiaca confessio, De Sacramente 
Eucharistiae breves quedam et admodum succincte adnotationes. 1515. 
4°. Eine zweite Auflage erfchien im Februar 1516 und führt den Titel: 
Institutiones succincte in rite faeiendum ex vera poenitentia confes- 
sionem sacramentalem et pro mortiferis criminibus perfectam ple- 
namque satisfactionem ad communem utilitatem piumque profectum 
scholastice juventutis gymnasii Erphurdien. — Erph. 4°. Die zweite 
Auflage enthält einiges Neue, wogegen aber auch Manches fehlt, was fi 
in der erſten findet. — Beide Ausgaben find äußerſt felten. Ich benuste 
zwei Gremplare aus der Würzb. Univ. Bibl. 








— 169 — 


fholaftifche Anfchauungsweife, vie demjelben natürlih zum 
Grunde liegt, wird an manchen Stellen kaum wiedererfannt 
unter der Menge ber claffiichen Zuthaten und poetifchen Deco- 
rationen, die im Geſchmack der neuen Richtung angebracht find. 
Ueberall fucht der Berfaffer feine Bekanntſchaft mit den clafs 
fiichen Autoren an den Tag zu legen. Neben Thomas Aquinas 
und Petrus Lombardus werden Blinins, Seneca und „unfer 
Cicero, der Fürft der Iateinifchen Philoſophen,“ mit wenigftens 
eben fo großer Hochachtung genannt und Ausfprüdhe von ihnen 
mit Borliebe angeführt; neben ariftotelifchen Definitionen und 
Diftinctionen finden fich die zierlichften Tateinifchen Diftichen. 
Auch bemerft man, daß unter den neuern theologischen Schrift: 
Rellern vorzüglich Männer wie Gerfon, Geiler von Kaifersberg, 
„unſer“ Wimpheling und Erasmus erwähnt werden. Schwer: 
ich hat in einem andern Werke jener Tage das alte Syſtem 
fh fo freundlich dem neuen genähert und diefem die Hand zur 
Berföhnung geboten, als in dem vorliegenden. Und dieſe 
Schrift war dem Trutvetter gewidmet, dem damaligen Vor⸗ 
fampfer der alten Richtung in Erfurt). — 

Mochte auch die angeftrebte Wermittelung auf jenem Wege 
‚nicht erreichbar fein, achtungswerth bleibt das Streben immer 
und ehrenvoll für die Erfurter war der Gegenſatz, den fie da» 
durch zu ihren PBarteigenofien in Köln und Leipzig und Roftod 
bildeten. Daß ein ſolcher Gegenfab ftattfinde, war auch den 
Neuerern nicht unbekannt, wie denn Eoban in einem Schreiben 
an Reuchlin der erfurtifchen Theologen geradezu in einer aner- 
fennenden Weife gedenkt?). Selbft die Briefe der Duntels 


1) Der Berfafler Tertoris fordert Teutvetter auf, das Werk gegen die 
Angriffe der Gegner in Schug zu nehmen. Vgl. die Vorrede zur zweiten 
Ausgabe. 

2) „„Ostendi tuas literas quibusdam hic bonis viris, qui non minus 
tuae Jaudis sunt studiosi quam adversae factionis inimici. Et etiam 
quod adeo mirum tibi non debet videri, ipsorum quidam Theologiam 
profitentium sed non adeo penitus contemnendam sicut istorum, qui 


— 10 — 


männer lafien ed burchbliden, daß die in Erfurt herrſchende 
Scolaftif nicht die der Kölner und ‘Barifer war. Ein Joh. 
Gerlamb jchidt feinen jungen Anverwandten von Erfurt nad) 
Köln, weil er will, daß derfelbe bei feinen Studien auf dem 
Wege der Alten wandele!). Ein erfurtiiher Magifter muß 
ed fein, der in Bafel die Predigt eines gelehrten Theologen 
von Paris zu widerlegen wagt ?). 

- Eine folche Partei ſchien denn doch gegründeten Anfprud 
auf Schonung und Nachficht der Neuerer zu haben. Allein 
für Mutian und feine leidenfchaftlichde Schaar waren Nachſicht 
und Schonung in diefem Falle unbekannte Namen. Nicht Zu: 
geftändnifje, fondern allgemeine Anerkennung, nicht Duldung, 
fondern unbedingte Herrfchaft wollten fie. Das Gutachten über 
Reuchlin hatte fie überdies auf das empfindlichfte verlegt. Mit 
faft Eranfhafter Leidenfchaftlichfeit erhob fih Mutian bald nad) 
der Veröffentlihung desfelben zum Bernichtungsfampfe gegen 
die alte Bartei, entfchloffen, nicht eher nachzulaffen, als bis er 
ihren vollftändigen Ruin. herbeigeführt. Eben nicht gewiffen: 
haft verfuhr er bei der Wahl der Mittel, Jener Tiloninus, 
der Dichterling, der durch die geiftloje und lächerliche Nach— 
ahmung der Alten fv oft feinen Unwillen erregt, und den er 
deshalb Früher abfichtlich von der Theilnahme am Kampfe gegen 
die Scholaftif fern gehalten hatte, „damit der poetifhe Name 


— 


te malo judicio condemnare voluerunt. Sunt enim et hic quoque 
boni et mali, ipsi autem illi, quos tu non honos sed inter pejores 
minus malos appellas, pvenitere videntur, quod Coloniensibus asinis 
et circumforaneis nugivendis ipsi decepti potius quam instructi suffra- 
gium addiderunt.‘‘“ Illustr. vir. epp. ad J. Reuchl. y % a. 


ı) Praesentium, lator est consanguineus meus et habet bonum 
ingenium et intendit studere in artibus, tunc pater suus voluit eum 
huc facere ad Universitatem: et ego dissuasi, quia volo, quod studet 
in via antiquorum sicut ego studui.“ Der Brief ift aus Erfurt datirt. 
— Bol. die Münch’fche Ausgabe (Opp. Hutt. Tom. VI) p. 340. 


2) 1. c.p 188. 


—- 1 — 


is Erfurt nicht in Verruf fäme,” !) war ihm jebt das brauch» 
barfte und willfommenfte Werkzeug, weil er es an fchonungs- 
lofem Haß gegen die „Sophiften“ allen Uebrigen zuvorthat. 
Geradezu forderte er ihn jept zum Kampfe auf und übte gern 
Kachficht gegen feine Fehler, die ihm bei weitem nicht fo ver 
abfheuungswürtig, als die Lehrweife der „PBhilofophafter* 
dienen 2). Lebteren gegenüber hielt er fich nicht zur Ausübung 
von Gerechtigkeit verpflichtet. „Richt den Schuß der Geſetze follen 
fie genießen, jedes Rechtsanfpruches find fie zu berauben“ war 
der Ausdrud, Durch den er den Weg vorzeichnete, auf dem man 
gegen fie worfchreiten ſolle?). Daß ein ſolches unbilliges und 
ungerechted Verfahren unter Mutian’d Jüngern den allgemeinen 
Beifall finden fonnte, ven es fand, wird zum Theil dadurch 
erflärlich, daß damals auch die Fölnifche Partei bei ihrem Ver⸗ 
fahren gegen Reuchlin alles Maaß überfchritt. Rach jener 
heftigen Bertheivigung, die Reuchlin im Frühjahr 1513 erfcheis 
nen ließ, hatte Hochftraten, den man bald als das Haupt jener 
Partei erfannte, im Herbſt des genannten Jahres in feiner 
Eigenſchaft ald Kebermeifter, denſelben vor ein in Mainz nieder- 
geſetztes Inquifitionsgericht fordern lafien. Das Ungejeplicdhe, 
welches in viefem Verfahren lag — Hochftraten war ald Nieder- 
länder gar nicht befugt, im mainzer Sprengel zu Gericht 
m ſitzen — erhöhte indeß nur den allgemeinen Haß gegen 
bie Kölner, ohne Reuchlin zu fchaden. Eine Appellation 


1) Noch im Sommer 1513 ſchrieb er an Petrejus: Tiloninus vellem 
maneret im schola juris et cum studiosis mon satyrice sed humaniter 
ageret. Sic defenderetur ab iajuria Sopkorum et Poetici nominis dig- 
nitas Erphurdiae canservaretur.‘“ Tenpel p. 164. 

2 „Dii perdant theologistas. - Tiloninus profiteatur more suo. 
Quid nocet plagium! Doceat et pergat exitare bonas Hteras vel vo- 
mitantibus philosophastris. Melius est suo modo insanire, quam 
audire vel physicum vel dialecticum parvulum.‘“ M. B. F. fol. 208 a. 
Ih ſetze diefen Brief in das Jahr 1514. 

®) „Sint jure exautorandi exleges.““ Tengel p. 118. 


— 12 — 


des letztern an den Bapft hatte zur Folge, daß von dieſem 
der Bifhof Georg von Speyer mit der Unterſuchung der 
reuchlinifchen Angelegenheit beauftragt wurde. Indeß, unbe 
fümmert um den Gang des fpeier’fchen Prozefies, ließen 
Hochſtraten und feine Genofien im Februar 1514 Reuhlin’s 
Augenfpiegel öffentlih in Köln verbrennen und fuchten 
dann, als im April 15914 die fpeierfche Commiſſton zu Gunften 
Reuchlin's entfchieden hatte), durch Veröffentlihung der Gut⸗ 
achten von vier angejehenen Univerfitäten, unter denen fich 
auch das erfurtifche befand, den gefällten Urtheilsſpruch zu 
entfräften. Diefe Vorgänge und namentlich der Umftand, Daß 
durch die Publication jener Gutachten die Univerfität‘ Erfurt 
neben Paris, Köln und Mainz unter den Wortführern der 
alten Partei erfihien, fteigerte die Erbitterung der Mutianer 
auf den höchften Grad und führte fie zu den rüdfichtslofeften 
Angriffen gegen jene, weldde der Univerfität dieſe Schmach 
angethan. Nutzlos war es, daß die Urheber der Sentenz über 
ihren voreiligen Schritt, den fie „mehr getäufcht, als wohlun⸗ 
terrichtet” gethan, Reue zeigten und fogar Miene machten, 
geradezu den Beſchluß zu widerrufen?). Der Sturm, welchen 


—— — 





1) Sie erklärte fich folgendermaßen über den „Augenipiegel”: „Deceer- 
nimus et declaramus supra memoratum libellum cum ejus declara- 
tione annexa, ut praefertur nullam haecresin aut errorem ab ecclesia 
publice damnatum manifeste sapere aut continere, perfidis Judaeis 
non plus quam deceat aut jura permittant, favorabileın fore, aut 
ecclesine dei seu sacris ejusdem doctoribus neque injuriosum neque 
irreverentialem esse. Et ab omnibus ipsum Oculare speculum cum 
ejus annexa declaratione (quam in singulis conjunctam cum libelle 
et repetitam volumas) legi es publicari posse, diffamatione in con- 
trarium ab adversariis dedncta non obstante. Bon der Hardt 1. c. 
II, 114. J 

2) Vgl. Mustr. vir. epp. ad J. Reuchl. y2 b. Huch die Briefe der 
Dunfelmänner gedenfen der Sache. M. Cribelinioniatius fehreibt aus Rom: 
„Bed jam recordor, quod nuper venit unus huc, qui dixit, quod Uni- 
versitas Erfordiensis vult revocare sententiam suam seu determina- 
tionem contra Joannem Reuchlin. Et si faecit, tuno volo dicere quod 





— 113 — 


fie einmal gegen ſich Heraufbefchworen hatten, Ließ ſich dadurch 
nicht mehr befhwichtigen. Das Yahr 1514 hindurch war bie 
Uniserfität fortwährend durch tumuftuarifche Auftritte der 
Neuerer beunruhigt. Immer mehr verloren in Folge derſelben 
die älteren Lehrer an Anſehen. Erſt jest fühlten fie recht den 
Berluft, den fie vier Jahre früher durch die Zerflörung des 
großen Gollegiums erlitten. Es ftand ihnen nicht mehr jene 
ergebene, unter ihrem Einfluß in den Burfen gebildeten Schüler: 
fhaar zur Seite, wie ehedem. Denn damit war es ihnen bei 
jenem fonft fo glüdlichen Reactionsverfuche doch nicht gelungen, 
auh die alten Burfenverhältniffe wiederherzuftellen ). So 
ihres früheren Einfluffes auf die Iugend beraubt, waren fie 
feines energiichen Widerftandes gegen die Angriffe der Neuerer 
fähig. Die Berrängniß, in weldye die Scholaftifer bald gerie- 
then, war jo groß, daß fle es fogar über fich gewannen, ſich 
an Mutian felbft zu wenden und ihn um feine Hülfe anzu- 
flehen 2). Damit Sprachen fie aber felbft auf das entfchiedenfte 
ihre Demüthigung aus: fie anerfannten das Uebergewicht der 
Neuerer. Nur Ufingen und Trutvetter ſuchten noch eine Zeit- 





-—)4 


omnes theologi, qui sunt ibi, sunt perfidi et mendaces, et volo sem- 
per de eis dicere hoc scandalum, quod non manent cum sua Facul- 
tate et defendunt zelosissimum virum Dominum Jacobum de Hog- 
straten.‘“ Münch VI, 223. 

») Es ift fehr bezeichnend, wenn der Berfafier des Confeflionales, um 
den Eifer der Scholaren für das Beichtinftitut zu erweden, fie hinweifet 
auf den Spruch des weifen Pittacıs Nosoe vempus und fe dann bittet, 
einen Augenblick ihre elegifchen und fatirifchen Dichter bei "Seite zu legen. 
So freundlich mußten die älteren Kehrer den Wünſchen ber Jugend ent- 
gegenfommen, um noch einigen @influß über fe zu behaupten. 

2) „„Tumultuatur Schola Erfordiensis, Latini et Barbari rixantur 
inter se,  Terrult Theologos noster Reuchlin, terret Sophistas Tilo- 
ninus; gravatur et in extremo pericule laborat barbaries. Quo se 
vertatnescit. Meam fidem implorat, quasi vero sim levis et aınbiguae 
dei.“ Mut. ad Urb. Tengel p. 156. — Eine Vollendung biefer Erhe⸗ 
bung der mutianifchen Partei liegt darin, daß 1515 einer ber eifrigften 
Mutianer, Herebord von der Marthen, zum Rector gewählt wurbe. 





— 14 — 


lang die Bartei aufrecht zu erhalten, bis endlich auch fie zum 
Schweigen gebracht wurden. 

Fortan. nimmt der mutianifche Bund ausjchließlich unfere 
Aufmerkſamleit in Anſpruch. 


V. 


Es läßt ſich denken, daß Mutian alle Kräfte feines Buns 
des hatte aufbieten müffen, um in fo furzer Zeit den Gegner 
zu bewältigen. Jene Periode bildet in der That die aufge 
regtefte jeined Leben. Wiederholt erjchien er in Erfurt — 
wozu er fih früher nur höchſt ungern entſchloß — um die 
Seinigen zur Ausdauer zu ermuntern. Häufiger jedoch gefchah 
es, daß diefe in der früheren Weife fich zufammen nach Gotha 
aufmachten. KHocherfreut empfing fie der Meifter — ihre Ans 
zahl war ihm nie zu groß — und führte fie alsbald in ven 
gewohnten Verfammlungsfaal. Da jah man ringsumher an 
den Seitenwänden die Wappen der gefeiertften Vertreter der 
neuen Richtung und der vorzüglichiten Mitgliener des Bundes *), 
Gefprochen wurde von den Fortjchritten der PBoeten, von dem 
Kampfe gegen die Theologiften und Sophiften in Erfurt. 
Bittere Ausfälle gegen lebtere würzten das Mahl, welches bei 
jolden Gelegenheiten nie fehlen durfte 2). Bon Mutian lernte 
man, wie der Angriff zu unternehmen fei, von ihm empfing 


ı) Bgl. Ricii Cordi Nocturnae Periclitatienis expiatorium poema. 

(Opp. Cordi 81) 

Pictus habet paries multorum insignia vatum 

Quos tali junctos semper amore colit etc. 
Ohne Zweifel befanden fich die meiften der von. Gamerarius (tert. libell. 
epp- C 8 a) angeführten Wappen in jenem Berfammlungsiaale. 

2) Nah den Mitiheilungen des Jonas in feinem Sendfchreiben an 
Crotus müflen diefe gothaifchen Unterhaltungen mitunter fehr frivol geweſen 
fein. Dal. Epistela Anonymi ad Joannem Crotum Bubeanum verum 
huncce Inventorem et autorem Epistolarum Obscurorum Virorum 
manifestans. ed. Olearius Arnstad. 1720. 8°. p. 14. 





— 115 — 


der Einzelne feine Verhaltungsmaßregeln. Wie hätte die alte, 
ohnehin durch den Verluft der academijchen Inſtitute jo bedeu⸗ 
tend geſchwächte Partei den Angriffen einer jo feft gefchloflenen, 
einheitlich geleiteten Schaar auf die Dauer wiverftehen koͤnnen! 

Indeß befchränkte Mutian auch währen dieſer Zeit die 
Zhätigfeit feines Bundes keineswegs auf den Kampf gegen 
die Sophiften in der Nähe. Wie diefe vorzugsweife durch ihre 
Annäherung an die Kölner feinen Unmwillen gegen ſich hervor 
gerufen Hatten, jo war überhaupt die Fölnifche Angelegenheit 
für ihn die leitende. Mit der größten Theilnahme wurde Reuch- 
lin’d Streit auf allen feinen Entwidelungsftufen von ihm ver- 
folgt. Ale Schriften und Gegenfchriften, welche den Streit 
betrafen, fand man bei ihm. Hochftraten’d Name wurde nir- 
gende mehr gehaßt, Reuchlin's Ruhm nirgendwo mehr gefelert, 
als in Mutian’d Kreife. Faſt war es gleichbedeutend, Reuch- 
lin's Xobredner und Mutian’s Sünger fein. „Keine angeneb- 
mere Kachricht Fannft du ihm bringen“, fagt Cordus, der eben 
durch das Lob, welches er Reuchlin fpendete, die verlorne Gunft 
des Meifterd wiedergewonnen hatte!), „als die, daß Gapnion 
feine gottlojen Gegner befiegt habe. Diefen preife als einen 
großen Mann, ald den erften Dichter, freundlich wird Dir dann 
Mutian begegnen und Di in feinen Bund aufnehmen” 2). 
Die Anzahl derer, welche diefe Aufnahme fuchten, war aber 


—— — —r — 


1) Mutian lieg auch jetzt feinem poetiſchen Talente Gerechtigkeit wider: 
fahren, ja er verwandelte, um ihn auszuzeichnen, feinen Ricius in Euricius: 
„Legerat ut Rici versus, Euricius esto 
Rufus ait, studii est, syliaba prima tui.‘‘ 
Cordi Opp. 9%. | 
2) „Non optata magis dabis illi nuncia quam quae 
Impia Capnionem monstra domasse ferunt. 
Hunc magnum laudato virum primumque poetam, 
Plurima victorem secla valere jube 
Sic tibi se facilem Rufus praebebit amicum 
Inque sodalicium te leget inde suum.‘ 
Cordi Opp. 81. 


— 16 — 


ſehr groß. Denn je mehr das Anfehen ver ſcholaſtiſchen Bartei 
abnahm, defto höher flieg Mutian’d Einfluß. Bon Neuem fing 
die Sugend der Univerſität an, fih um den gelehtten Cano⸗ 
nicus von Gotha zu fammeln!). „Täglich frönien bei mir“, 
ſchreibt diefer felbft hocherfreut 1514 an Reuchlin, „gute Juͤng⸗ 
linge zujammen, denen Capnion im Munde und im Herzen 
lebt” 2). 
Mutian’d Wirkfamfeit hatte damals fchon die Aufmerf: 
famfeit ded ganzen humaniſtiſchen Deutfchland erregt. Ja fogar 
gelehrte Italiäner wurden auf ihn und feine Süngerfchaft auf- 
merffam 3). Gefeierte Vertreter der neuen Richtung, Männer, 
die mitten in den Beftrebungen ihrer Bartei fanden, fuchten 
feine Bekanntſchaft. Schon im Sommer 1513 finden wir den 
eifrigen Rhagius Aefticampianus in feiner Umgebung *). Im 
folgenden Jahre verweilten der Fölnifche Humanift Sobius und 
der gelehrte Engländer Erocus längere Zeit bei ihm). Solche 
Beweiſe von Anerkennung waren für Mutian nicht nur eine 
Aufmunterung, fondern er wurde dadurch auch in den Stand 
gefeßt, fih eine genaue und umfaflende Kenntniß von den 
Beftrebungen jeiner Partei und den Einzelheiten des großen 
Kampfes zu erwerben). Wohl Wenigen feiner Zeit ftand dieſe 


ı) Zu ben Namhafteften, bie um dieſe Zeit ih an Mutian anfchicfien, 
gehören Johannes Algesheim aus Gröningen, Juſtus Menius und Adam 
Kraft aus Fulda, Johann Lange aus Erfurt. 

2) Mustr. vir. epp. ad Reuchl. Z 3 a. 

2) Man vergleiche darüber ben fehr interefianten Brief des Neapoli⸗ 
taners Chryfoftomus an Mutian bei Tengel p. 1714. 

2) Bol. M. B. F. fol. 217 a und Tengel 167. Mutian nahm ihn 
fehr ehrenvoll auf und rief feine SJüngerfchaft zufammen, um ihn zu 
begrüßen. Rhagins fland übrigens fchon vorher mit Mutian in Brief: 
wechjel; vgl. Alt. libell. epp. J 8 b. 

8) Bol. Mustr. vir. epp. ad Reuchl. Z 8 a und Tengel p. 118. 

6) So überbradhte ihm Sobins Nachrichten von Erasmus, Bufch. Hochs 
firaten und Ortwin Gratins; von dem berühmten Buchdrucker Thomas 
Anshelmus in Tübingen, dem Berleger der meiften Schriften Reuchlin’s, 
welcher ihn ebenfalls befuchte, ließ er fich über Bücherangelegenheiten u.dgl. 
unterrichten, (Lih. nov. epp. J 8 a) u. f. w. 








— 117 — 


in jolhem Umfange zu Gebote, ald ihm. Es ift bezeichnend, 
wenn Mojellanus einmal in einem Briefe an Eoban fid) jeder 
Mittheilung über den Stand der reuchlinifchen Angelegenheit 
enthält, weil jener den Mutian in feiner Nähe habe!),. — 
Eine jo ausgedehnte Kenntnig von Allem, was den Streit 
der beiden Parteien betraf, wurde Mutian theilweife auch durch 
den brieflihen Verkehr vermittelt, welchen ex mit einigen, noch 
nicht wieder zurüdgefehrten Mitgliedern jeiner Züngerfchaft unter: 
hielt. Noch war Jonas von Wittenberg nicht wieder heim- 
gekehrt, Erotud wurde in Fulda zurüdgehalten, Eoban hielt ſich 
in Leipzig auf, während Hutten noch in Italien fein Glüd vers 
fudte?). Mit Ausnahme des Jonas fanden fie alle mit Mutian 
in lebhaftem Briefwechjel. Am wichtigften indeß war ohne 
Zweifel der, welcher zwiſchen Mutian und Petreius geführt 
wurde. Auf Anrathen des Lehrers hatte fih nämlich letzterer 
im Auguft 1513 abermals von Erfurt aufgemacht, um die beiden 
Heroen der neuen Wiffenichaften Tritheim und Reuchlin per- 
fönlih aufzufuchen und dann eine Reife nach Italien, dem 
Lande der hHumaniftifchen Sehnfucht, anzutreten ?). Im Anfang 


ı) Hel. Eob. et amicor. epp. fam. p. 26. 

2) Unter feinen damals abweienden Freunden erwähnt Mutian einen 
Emanuel. Im J. 1513 war er in Rom, wenigftens glaubte dies Mutian, 
der deshalb den Urban erfucht, den Petrejus zu ermahnen, daß er ebenfalls 
nah Rom reife. ‚‚Emanuel, quem novit Romae est, ubi industriam 
exercet, non sordidus ut ceteri nimis jejuni et angusti animi in emen- 
dis ac vendendis beneficiis,. Homo est sanctiss. et integer. quae 
omnia eo spectant, ut Petreo autor sis maturandi abitus. Nam noster 
est Emanuel.‘ Tengel 138. Schon in einem früheren Schreiben an Ero: 
tus gedenft Mutian des Emanuel. „‚Epigramma mihi dedit Emanuel 
adhibita lege, ut id tibi et Eobano, quos amicissimos vocat et merita 
laude celebrat, exhiberem.“ Lib. nov. epp. K 2 a. Offenbar ift Ema- 
nuel ein fingirter Name Man fühlt fih unwillführlich verfucht, an Hutten 
zu denfen, der ſich 1518 in Stalien aufhielt und mit dem Betrejus wirklich 
in Rom zufammentraf. Auch die innige Yreundfchaft des Emanuel mit 
Eoban und Erotus paßt trefflich auf Hutten. 

2) Mutian verfah ihn mit einem Smpfehlungsichreiben an Tritheim. 

Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 12 


— 118 — 


des Sahres 1514 Fam er in Italien.an. In Rom, wohin er 
fih alsbald begab, traf er zum zweiten Mal mit Hutten zuſam⸗ 
men. Der römifche Aufenthalt wurde für ihn um fo wichtiger, 
da er eben in jene Zeit fiel, wo Reuchlin's Angelegenheit, die 
auch durch das Urtheil der ſpeier'ſchen Commiſſion nicht Hatte 
erledigt werden koͤnnen, an der päpftlichen Curie verhandelt 
wurde. Eben von Rom aus trat Petrejus in einen ebenfo 
lebhaften als wichtigen Briefwechiel mit Mutian. Er fchrieb 
in jedem Monat zweimal. — Petrejus erhielt Lehrer und Ge 
noffen fortwährend in Kenntniß über das, was in dem Haupt- 
lager ver ftreitenden Parteien geſchah 1). — 

Wie ganz anders fühlte ſich Mutian jebt, als zu jener 
Zeit, wo er einjam mit Urban und Spalatin „den engen und 
fteilen Weg” der neuen Wiffenichaften wandelte! Mit welchen 
Hoffnungen blidte er jebt der Zukunft entgegen! Vollkommen 
war er fih der Bedeutung bewußt, die er mit jeinem Bunde 
für die Sache der Humaniften habe?). Er jelbft machte wohl 
jeine entfernteren Freunde aufmerfjam auf die ftreitbare Manns 
ichaft, die er zum Kampfe gegen die Barbaren herangebilbet 
und die er jeden Augenblid in das Treffen führen fünne. Schon 
im April 1514 that er feinem Freunde Georg Agricola in 
Breslau die Abficht Fund, wenn es nöthig fei, feine Fampfluftige 
Schaar gegen die „fanatifhen Predigermönche“ vorrüden zu 
laffen 3). Zuverfichtlih ſprach er von der Niederlage, melde 





engel p. 166. Daſſelbe ift d. d. 5 Id. Sextil, Er felbft Fündigt feine 
Abreife in einem Schreiben an Spalatin d. d. Id. Aug. auf den nächften 
Dienftag an. (Vgl. Hekelii Manipulus Iepp. singul. p. 111.) Im Anfang 
1514 fchrieb er bereits aus Italien an Mutian. Erhard’s Angabe (1. c. 
IE, 287), daß er erft 1515 nach Italien abgereifet fei, if irrig. — 

ı) Bol. über diefe Correfpondenz M.B.% fol. 2502, 350 b, 263 b u. a. 

2) Bol. 3. B. M. B. F. fol. 158 a. ad Musardum: „‚Vidimus ro- 
mana pallacia, Rabularum artes spectavimus. Sectam longe solidio- 
rem comparavimus “° 

2) „„Ego quoque ut inquit ille, minimus apostolorum contraxi 
satis validam manum ei possum in cohorte nostra ostentare duces 





— 179 — 


die Gegenpartei in Kurzem erleiden werde „Se Du nidt 
beforgt wegen der Gegner der Mufen.” ſchrieb er im Juni 
1514 an Mufardug, „Jene werden es zu ihrer Zeit fühlen, 
wen fie gereizt haben” 1). 


VL 


So jehr auch diefe und ähnliche Aeußerungen ein baldiges 
offene und entſchiedenes Auftreten für Reuchlin und feine 
Sache anzufündigen jcheinen, dennoch würde es irrig fein, an- 
zunehmen, daß Mutian's Pläne je im Ernſt darauf berechnet 
gewejen feien. Der Mann, welder fih aus Liebe zur „glüd» 
feligen Ruhe‘ ganz von dem Schauplage des öffentlichen Hans 
delns in faft Elöfterliche Einfamkeit zurückgezogen hatte, war 
nicht dazu geeignet, an der Spige einer ftreitbaren Sünglings- 
haar offen auf den Kampfplatz für Reuchlin zu treten. Faffen 
wir die Schätigfeit, welche damald im Innern feined® Bundes 
entwicelt wurde, etwas näher in's Auge, fo überzeugen wir 
und fehr bald, daß e8 in der That nicht die Waffen des offenen 
Kampfes waren, die Mutian für Reuchlin zu führen gedachte. 

Der mutianifche Bund war während der Jahre 1513 und 
1514 der geheime Sit einer Außerft lebhaften fatirifchen Thätig- 
keit. Gegenftand der Satire war das Verfahren der Kölner 
gegen Reudhlin. 

Wir fahen, wie Mutian fich ſchon im Kampfe gegen die 
Ganonifer in Gotha der jatirifchen Waffe bediente. Die bittere, 
farfaftifche Stimmung, welche er damals verrieth, gewann bei 
den unaufhörlich fortgefebten Reibungen mit feiner Umgebung 


et principes viros et de sacris Abbas et magnos jovis epulones, ex 
ordine literario quasi quosdam Cataphractos et antesignanos, quos 
agmine facto educemus, si necessitas postulaverit contra fraterculos 
casearios et phanaticos paedicatores, hem praedicatores dicere volui.‘“ 
Ad Agricolam. M. 3. 3. 185 b. 
1) Tentzel p. 1593. 
12° 


— 10 — 


immer mehr über ihn die Herrfchaft. Yrüßzeitig wurde jeine 
Süngerfchaft von derſelben angeftedt. Schon im Jahre 1509 
verbefjert Mutian einen ihm von Herebord vorgelegten fatirifchen 
Verſuch, der in überaus bitterm Tone die Genußfucht und Un 
wiffenheit des römifchen Clerus behandelt). Wie reichlichen 
Stoff bot bei diefem Hange zur Satire der Fölnifche Streit! 
Schon die im Herbft 1512 veröffentlichten Artikel des Arnold 
von Tongern erregten bei Mutian den Gedanken, fie durch ein 
fatirifches Gegenſtuͤck unſchädlich zu machen 2). Im Juni 1513 
überſandte er an Crotus einen ſatiriſchen Dialog, der ſehr 
gehäſſige Anſpielungen auf die Bervammungsfucht der Fölnifchen 
Theologen enthält?). Ein anderes ähnliches Gefpräch, welches 
er ungefähr um die nämliche Zeit an Urban fchidte, hat die 
Unmäßigfeit und den Geiz der Theologen zum Gegenftande %). 
Es ift als ficher anzunehmen, daß er ähnlicher Schriften Damals 
noch mehrere abgefaßt hat. „Denn um die Schmähungen der 
Gegner leichter zu ertragen,“ war fein Grundſatz, „ftärke id 
mich durch ſolche Poſſen“ 5). 

Es entjpricht ganz der Handlungsweife Mutian’d, daß er 
bei der Mittheilung folcher fatirifcher Erzeugniffe mit der größten 


— nn 


1) M. B. F. fol. 238 a4. Es kommen darin fehr obfcoene Stellen vor. 
— Bezeichnend ift es auch, daß Bebel's Facetien fo großen Anklang in 
Mutian’s Kreife fanden, Mutian felbft dachte einmal daran, mit einem 
ähnlichen Werke aufzutreten. Tenkelp. 179. Bebel's Triumphus Veneris 
wurde wirklich von Tiloninus, der einen Triumphus Cupidinis jchrieb, nad: 
geahmt. M. B. F. fol. 213 a. 

2) MWenigftens wüßte ich die Aeußerung in dem Briefe o an Urban: Si 
licuit Theologis alienum opus vellicare, licebit et mihi cornicum ocu- 
los configere (M. B. F. 167 a) nicht anders zu deuten. 

2) Durch Verſehen findet fich derfeibe in der mutian. Brieffammiung 
zweimal; fol. 119 b — 120 a und 196 a — b. 

*) Tentzel p. 53. 

9) Tengel p. 61. AdUrb. „Mittimus nugas aliquas non iNiberales, 
Jucundas fore spero.. Nam ut dissidentium calumnias levius feram, 
talibus ludicris firmo me ipsum.““ 





— 1831 — 


Borficht verfuhr. Er bildete gewiffermaßen einen engern Aus 
fhuß innerhalb feines Bundes, dem er dieſelben anvertraute: 
nur feine PVertrauten Crotus, Petreius, Urbanus wurden in 
das Geheimniß eingeweiht. Diefen machte ex aber die größte 
Berfchwiegenheit zur Pflicht, er ermahnte fie namentlich, ſich 
gegen unzuverläffige und noch nicht hinlänglich erprobte Freunde 
nur vorfihtig zu äußern, diejenigen unter feinen Briefen, deren 
Inhalt verdächtig war, fofort zu verbrennen !). Er tadelt Urban 
darüber, daß er jedem, der fih für einen Anhänger der neuen 
Richtung ausgebe, fein Bertrauen fchenfe. „Du bift ein guter 
Menſch,“ jchreibt er ihm, „aber Du urtheilft nicht ganz richtig 
über die Menfchen. Du glaubft, alle feien Dir ähnlich. Ich 
benfe nicht jo. Ich kenne die Weißen und auch die Schwarzen” ?). 
Das Mißtrauen, welches er in folchen Fällen, wo feine fati» 
tifche Thätigkeit in Betracht kam, felbft gegen Männer bewies, 
die bereitd längere Zeit feinem Kreife angehört hatten, wie 
Schalbus und Mufardus, bildet in der That einen auffallenden 
Gegenſatz zu der Freundlichkeit, mit der er fonft jedem „Reuch⸗ 
liniften” begegnete. 

Auf jene aber, die Mutian in die Mitwifjenfchaft feiner 
geheimen Thätigfeit 309, wirkte fein Beifpiel im höchften Grade 
anregend. Wie bald wurde der Lehrer von den Schülern über: 
troffen! Am thätigften erwies ſich Crotus, wie ja eben .er zu 
Mutian in dem vertrauteften Verhältniſſe ſtand >). 


m — —— — — 


ı) Formeln wie „Sed haec mysteria sunto‘‘ „Non omnibus pateat, 
tantum electis“ u. a. kehren in den Briefen an feine Vertrauten häufig 
wieder. An Urban fihreibt er einmal: „Ais tecum esse Verpum. Hem 
quid ais! Forsan est explorator, occule literas et omnia. Odi ego 
eircumcisos.“ M. B. F. 1686. Wie er feine Freunde zur Berbrennung 
feiner Briefe auffordete, fo vernichtete auch er die Briefe feiner Freunde. 
M. 3. 5. 190 a erwähnt er beiläufig, wie er fo eben einige Briefe des 
Erotus verbrannt habe. Diefem Umftande ift es zugufchreiben, daß wir 
namentlich von feinem wichtigen Briefwechfel mit Grotus, Eberbach und 
Hutten nur geringe Ueberrefte mehr haben. 

2) M. B. F. 228 a. 

®) Mut. ad Crot. „Sed tu is es, mi Crote, cujus benevolentiae 


— 1832 — 


Seit dem Jahre 1510 lebte Erotus in Fulda, wo er unter 
der Gönnerfchaft des freifinnigen Hartmann von Kirchberg einer 
Schule vorftand. Seine Stellung, fo angenehm fle auch war, 
wurde ihm doch dadurch verleidet, daß man ihn nöthigte, auch 
für die jungen Kloftergeiftlichen Borlefungen zu halten!). Un- 
zufrieden darüber, daß er fein Leben „zwijchen einfältigen Meß- 
prieftern * hinbringen follte, was ihm „unanftändig” fchien, 
fuchte er fich feiner Lage zu entziehen?). Bald nahm er fich 
vor, nach Erfurt zurüdzufehren, bald fann er auf eine Reife 
nah Rom, die ihm jedoch von Hutten abgerathen wurde 3). 
Sp traf ihn der reucdhlinifche Streit. Reuchlin’d Sache war 
fofort auch die feinige. Das Verlangen, jelbft auf dem Schau⸗ 
plate ded Kampfes zu fein, führte ihn im Sahre 1513 nach 
Mainz, wo er durch perfünliches Zufammentreffen mit Den 
Hauptvertretern der Fölnifchen Partei in feinem Hafle gegen 
Diefe noch beftärft wurde). Nach feiner Rüdfehr begannen 








credam ct credidi semper omnia, etiam nugaliu, Jocos, urbanitatem““ 
M. B. F. 197 b. Erotus äußert über fein Berhältniß zu Mutian: „„Nul- 
lius hominis unquam mihi exstitit carior amicitia aut morum simili- 
tudo convenientior.‘“ Ad Camerar. Tert. lib. epp. F 4 b. 

’) Opp. Hutt. I, 105. 

2) Er äußert Darüber noch fpäter „‚Videtur incivile inter sacrificulos 
Idiotas vitam terere, quibus societas nulla, nisi velis bibere, ludere 
foenus et venerem sequi. — Vivere absque ullo consorte morum et 
studii sors mihi videtur vitae belluarum inferior, quas natura simi- 
litudine genuina conciliat.‘“ Crot. ad Mut. M. ©. der Herz. Goth. Bibl. 
A, 379. 

5) Opp. Hutt. I, 257. 

4) Bol. feinen Brief an Reuchlin (1515) in mustr. vir. epp. ad 
Reuchl. z 2 a. „Altero abhinc anno multa de te cum eo (Peperi- 
corno) locutus sum, ut quod obscoeno corpore lateret loqucntis serme 
mihi indicaret. Non recipit epistola, alioqui scriberem. Dedit literas 
Arnobardistae, quibus ille tibi lapides e via tollere praecipit. Alte- 
ras tuas, quas tu ad eundem Arnoldum dederas, requirendas doeuit 
Moguntiae a Chordigeris patribus, cum quorum praefecto ie jurgium 
descendi.“ — Grotus hat während jener Jahre mehrmals feinen Anfent- 
balt in Fulda verlaffen. In dem oben angeführten noch ungedrudten Briefe 





— 13 — 


feine alten Leiden wieder. Erhöht wurden diefe jest noch da⸗ 
duch, daß ihm wiederholt beunruhigende Kachrichten über ven 
Fortgang der reucdhlinifchen Angelegenheit zufamen ). Unter 
ähnlichen IUmftänden war es, dag Mutian zu den Waffen der 
Satire jeine Zuflucht nahm. Erotus fühlte fi um fo mehr 
dazu aufgefordert, da er eben für die Satire ein angeborneg 
Talent bejaß. Nicht Manchem feiner Zeit war die Gabe des 
Wiges in jo hohem Grade eigen, ald ihm. Schon während 
feines Aufenthaltes in Erfurt hatte er davon Proben abgelegt: 
feine Freunde nannten ihn wegen feines Geſchicks, Allem, was 
ihm vorfam, eine Tächerliche Seite abzugewinnen, „ven Alles 
Berlachenden.” Mit diefem Talente wandte er fih nun zu- 
nachft gegen die ihm widerwärtigen Mönche in feiner Rähe, 
dann gegen ihre VBorfämpfer in Köln. Er fuchte und fand 
darin jeine Entihädigung. „Mögen fie nur fchreiben, dispu- 
tiren, toben, Propofitionen auf Propofitionen häufen”, läßt er 
fih einmal über die Kölner vernehmen, „wenn die trägen und 
fraftlofen Thiere nur wiffen, daß fie Gelchren Stoff zum Lachen 
geben” 2). Die Briefe, welde er von Fulda aus an jeine 
Freunde richtete, find voll von wißigen, jarfaftifchen Ausfällen 
gegen Mönche und Theologen, nie läßt er eine Gelegenheit vors 
übergehen, die Spihfindigfeit der Schulgelehrten zu verjpotten; 
durch komiſche Nachahmung ihrer barbarifchen Ausdrucksweiſe 
gibt er fie dem Gelächter Breis 2). Vor Allem aber ift ihr 


an Mutian gedenkt er feines Zufammentreffens mit Reuchlin und Bufch. 
Es if aber unbeſtimmt, in welches Jahr diefes fällt. — 

1) Ihm zuerſt war jenes (irrige) Gericht über Reuchlin's Verdammung 
zu Ohren gekommen und durch ihn wurde es in Mutian's Kreife verbreitet. 
Zengel p 139. Er war darüber zum höchften srhittert. „‚Crotus meus 
excandescit vehementer ob iniquissimum judicium, quo vir bonus et 
doctus crudeliter et nefarie eircumventus est. Jugulandi potius 
essent Theologistae crassi, obliti barbaria.“ 1. c. Mut. ad Urb. 

2) Mlustr. vir. epp. ad Reuchl. z 2 a. 

2) Wenn er 3. B. einen feitlichen Aufzug des Abtes Hartmann Ichildert, 
fagt er, der fet in honorifcabilitudinationibus erfchienen. M. B. F. 179 b. 


— 14 — 


Verfahren gegen Reuchlin Gegenftand feines Angriffe. Mu: 
tian und Hutten, mit denen er überhaupt am meiften verkehrte, 
waren entzudt über den Inhalt feiner Briefe. Mutian nament- 
ih fonnte die wißigen Einfälle. feined Freundes nicht genug 
loben). Er hatte nichts Angelegentlicheres zu thun, als die 
Briefe desfelben, die zumeilen geradezu den Charafter von 
vollendeten Satiren gegen die Kölner annahmen ?), unter feinen 
Bertrauten in Umlauf zu feßen. Erotus war ihm das Mufter 
eines eifrigen Reuchliniften, ihn empfahl er den Uebrigen zur 
Nachahmung ?). 

Neben Erotus verfuchte fih auch Urban auf vem Gebiete 
der Satire. Mutian felbft ermahnt ihn einmal, mit feinen 
Geiftesproduften zurücdhaltend zu fein: fo viel wenigftend erficht 
man daraus, daß diefe nicht immer das Licht vertragen konn⸗ 
ten *). Jedenfalls bedeutender war aber die Thätigfeit, welche 
Petrejus auf demfelben Gebiete entwidelte. Geradezu fcheint 
er fi mit Crotus zum Zwed einer gemeinfchaftlichen fatirifchen 
Thätigfeit verbunden zu haben. Schon im Sommer 1513 fpricht 
Mutian von überaus wigigen fatirifchen Schriften, Die er gemein 
ihaftlih von beiden empfangen habe, deren feiner Spott ihn, 
den bereitd Alternden wieder aufgeheitert und gleichfam ver: 
jüngt habe). Merkwürdig, wit welchem Ernſt er davon redet. 








ı) Man vgl. Stellen, wie M. B. 5. fol. 116 a, 198 a, 295 bu. a. 
Hutten gedenft (TI, 313) einer epistola facetissima über das Magifterweien. 

2) So fpriht Mutian einmal von 3 schedulae, die er von Crotus 
empfangen „in tertia deridet adversarios Capnionis et simul me judi- 
cem facit.‘“ Tengel p. 214. 

2) Pal. Tengel p. 95. 

4) „Tu nihil emitte. Omnia pone quamvis invitus in ignes.‘“ 
Tentzel 143. Als Vermittler des brieflichen DBerfehrs zwifchen Urban und 
Diutian erſcheint (M. DB. %. 73 a) ein Jacob Zonarius. Es ift Derfelbe, 
der auch zwifchen Crotus und Hutten ald Bote wandert. (Opp. Hutt. I, 
104) und fpäter mehrere Satiren gegen die Kölner im Tone der Briefe der 
Dunfelmänner jchrieb; vgl. darüber Heumann Documenta literaria p. 
361. — — 

$) Mut. ad Petre). „Qui urbanitatem non intelligit, hebetis est 





— 15 — 


„Die Götter mögen es glüdlich fügen!” jegt er Hinzu, „Unfere 
Sache fteht gut.” Man fieht, e8 waren nicht leichte vorübers 
gehende Scherze, zur eigenen Aufheiterung gefchrieben, fondern 
Satiren, von deren Veröffentlichung fi) Mutian für feine Sache 
die wichtigften Erfolge verſprach. Wer wird hier nicht an jenen 
geheimen Plan erinnert, ven Mutian, wie wir ſahen, eben um 
die genannte Zeit für Reuchlin im Schilde führte? 

Wir treffen außerdem in dem mutianifchen Kreife mehrere 
höchſt merkwürdige Schriften ebenfalls fatiriichen Inhalts an, 
deren Urfprung wir nicht auf beftimmte Mitglieder desfelben 
zurüdzuführen vermögen. So überfandte Mutian im Anfang 
1515 feinem Freunde Hartmann einen fatirifchen Dialog, worin 
die Xehrweife der parifer Theologen verfpottet wird, „ein heiteres 
und wibiges, aber wahres und nothwendiges Werk“ 12). Daß 
der Berfaffer desjelben nicht Erotus fei, erhellt daraus, daß 
biefer eben bis um die genannte Zeit fortwährend in Hart⸗ 
mann’d Nähe lebte. Die merkwürdigſte Erfcheinung in diejer 


et obtusi cordis. Tu homo sagacis et perspicacis ingenü et Crotus 
vir’romnium horarum et valde lepidus, auditis et scribitis urbanissime, 
festivissime, facetissime et vestris cavillis me jam senescentem exci- 
tatis et restituitis mihi Juvenilem dicacitatem et Inetum atque sere- 
num ingenium. Dii bene vertant. Salva res. Saltat senex si XLIl 
annus senem facit.““ Tengel p. 153. Daß ber Brief 1513, alfo vor ber 
Abreiſe des Petrejus nach Rom gefchrieben ift, ergibt fich daraus, daß Mutian 
in demfelben die Aufnahme des Hallensis Ofücialis in feinen Bund meldet, 
(nah dem Original des Briefes M. B. 5. 199 b), welche nach einem 
andern Briefe (M. B. F. 170 a) 1513 ſtattfand. — Daraus ergibt ſich 
zugleich, Daß das Geburtsjahr Mutian’s nicht 1473 (wie gewöhnlich und 
auch von Erhard angegeben wird), fondern 1471 if. 

I) „„Praeterea mitto ridiculum opus et facetum, sed verum et 
necessarium: quo sub fictis personis Eathymemata Theologorun Par- 
rhisiensium eluduntur. Jucunda sane lectio et stilus pragmaticorum. 
Habemus ut spero tuae gratiae favorem. Volguinus noster remittab.‘“ 
Tentzel p. 198. So viel ich weiß, paflen die hier von Mutian gegebenen 
Andeutungen auf feine der ung erhaltenen Schmähfchriften gegen die parifer 
Theologen. Es ift wohl nur von einer Handfchrift die Rede, die fpäter 
verloren gegangen. 


\ 


— 186 — 


Hinficht ift der Triumphus Capnionis. Diefe ihrem Urfprunge 
nach fo räthfelhafte, durch ihre Anfpielungen auf die Briefe 
der Dunfelmänner höchft auffallende Schrift '), deren Abfafjung 
allgemein in das Fahr 1515 verlegt wird, finden wir bereits 
im Sommer 1514 in Mutian’d Beſitz. Er überfendet fie an 
feine vertrauteften Sünger, ald ein Schredimitsel gegen Die So- 
phiften, ohne fich indeß irgendwie darüber auszulaffen, wie er 
in den Beſitz des Werfes gefommen?). 

Geht uns da nit ein anderes Licht über jene Kriegs— 
erflärungen und Siegesprophezeiungen Mutian’d auf? 


VII. 


Es konnte einen Augenblick ſcheinen, als würde die bitter 
ſatiriſche Stimmung, welche ſich Mutian's und feiner Jünger 
bemächtigt hatte, durch die Rückkehr des heitern und frohfinni- 


— 





ı) Abgedruckt in Opp. Hutt. II, 349—91. Wenigftens an fünf Stellen 
fommen Anfpielungen auf die Epp. Obsc. Vir. vor. 

2) Zum erften Mal gedenkt er des reuchlinifchen Triumphes in einem 
Briefe an Urban M. B. 8. fol. 195 a. „Valeat ergo compendium vel 
potius dispendium Trutfetteri, vel si omnino carmine delectantur dabo 
triumphum Capnionis ab Accio Neobio concinnatum in Colonienses 
Theologos, quem Sophistae apponant operi suo tam pulchello. Verum 
hac lege do, ut in manumancipio sit tuo. Nam si Theobardis exhi- 
beres, damni multum faceres et tu es optimus testis, quam iniquis 
auribus acciperent.“ Ende Juni 1514 fordert er ihn gurüd dl. c. 243 a). 
dod im Auguft befaß ihn Urban noch, denn am 8. Auguft fehreibt Mutian 
an Eoban: ‚‚Ostendet tibi solertiss. pater Urbanus, praecipuus obser- 
vator elegantiae latinae, Triumphum Neobii id est buschii, cui adhaeret 
Hutteni Epigramma extemporale; fac pervidens.‘“ 1. c. 248 b. (Coban 
fpiett auf das Werk an, wenn er bald darauf an Reudlin fchreibt: „La- 
tinae civitatis senatus jam tibi Triamphum decrevit.‘“ Mil. vir. epp. 
ad Reuchl. y 2 b). — Belanntlich wird Hutten gewöhnlich als Berfafler 
des Triumphgefanges angefehen. Deffentlih in Drud erfchien er wahr: 
fcheinlih erft Ende 1518. Reuchlin felbft kannte den Verfaſſer nicht. „Si 
Jusseris Questenberge, tibi per stygem jurabo, me hujus libelli, quem 
ad te nunc mitto, authorem ignorare“ fchreibt er am 12%. Februar 1519 
an Queftenberg. Bol. Friedländer Beiträge zur Reformationsgeich. p. 86. 





— 187 — 


gen Eoban einigermaßen gemildert werden. Eoban fehrte näm- 
ih im Sommer 1514 nad faft fünfjähriger Abweſenheit nach 
Erfurt zurüd. Er hatte feit dem Tage feines Aufbruches von 
Erfurt ein vecht bewegtes Leben geführt, doch fein offenes, 
heiteres Gemüth, fein dichteriſches Talent, fein ftattliches 
Aeußeres I) verfchafften ihm überall Freunde und Gönner. Der 
gaftlihe Prälat Hiob von Dobened, an den er fi zunächft 
wandte, nahm ſich feiner auf das zuvorflommendfte an und 
fuchte ihn durch eine ehrenvolle Behandlung für immer an 
feinen Hof zu fefleln. Er ließ ihn an wichtigen Gefandtichaften 
nah Königsberg, Eracau, Warfchau Theil nehmen. Demun- 
geachtet verließ Eoban feine dichteriiche Neigung nicht und meh: 
tere Gedichte, die er von Rieſenburg aus an ferne erfurtifchen 
Freunde ſchickte, zeigten dieſen, daß er feinem Berufe noch nicht 
untreu geworden war. Ya eben jenes Gedicht, welches vor⸗ 
jugsweife feinen Ruhm begründet hat, „die Heroiden”, begann 
er unter Preußens „unfreundlichem Himmel“ 2), Die Abficht 
feines Gönners war, daß er fih den Rechtswiffenfchaften wid- 
men und dann auf der vielverfprechenden Laufbahn eines Rechtes 
gelehrten in Preußen fein Glück machen folle. Er verichaffte 
ihm dazu die Mittel und im Anfang 1513 bezog Eoban die 
Univerfität Frankfurt). Nur kurze Zeit verweilte er bier, nicht 
mit juriftifchen Studien, fondern mit der Vollendung feiner He 
toiden befchäftigt. Dann begab er ſich nach Keipzig, wo er mit 


ı) Camerarins (Narr. de Eob.) fagt über fein Aeußeres: „Neque 
ego facile existimo fuisse quemquam a primz ortu, cujus habitus 
atque constitutio ac species cum Eobanico corpure conferri, nedum 
kuic ut illa praeferri possent.‘“ 

2) Bal. Eob. Farr. I, 135 b. 

2) Gamerarius in feiner Narr. de Eob. übergeht diefen Aufenthalt 
Goban’s in Frankfurt; er ergibt fich aber ungweideutig aus mehreren Aeuße⸗ 
tungen Eoban's felbft. Vgl. Farr. 1. c. Im Juli 1513 fchrieb er von Frank⸗ 
furt aus an Zange. Epp. Eobani et amic. famil. p. 15. Auch Sabinus 
(Eleg. XIII, 97) gedenft Eoban's Aufenthaltes in Frankfurt. — 


— 18 — 


vielem Beifall Vorlefungen über feine frühern Gedichte hielt!) 
Den juriftifchen Studien fonnte er feinen Gefhmad abge 
winnen. Died und noch mehr die Sehnjucht nach feinen lange 
entbehrten erfurtifchen Freunden, brachten ihn im Sommer 1514 
dahin, daß er, uneingedenf feines Wohlthäters, das Studium 
der Rechtswiſſenſchaft gänzlich aufgab, Leipzig verließ und nad) 
Erfurt zurüdfehrte 2). Wer war froher ale Mutian? Er bet 
Alles auf, um zu verhindern, daß Eoban der abermaligen, drin 
genden Einladung feines nordifchen Gönners folge, und ruhte 
nicht eher, bis derfelbe wieder mit der Leitung der ſchon früher 
von ihm verwalteten Severifchule betraut wurde ?). — 

Wäre Eoban noch unverändert der frühere geweien, viel 
leiht würde fich jein Einfluß in der angedeuteten Weije geltend 
gemacht haben. Indeß brachte er felbft den veränderten Ber: 
hältnifjen eine veränderte Stimmung entgegen. Die Erfah 
rungen, welche er während der Zeit feiner Abweſenheit gemacht 
hatte, die ſchroffe Haltung, welche die fcholaftifche Partei in 
Frankfurt und Leipzig zeigte, perfünlicher Umgang mit mehreren 
begeifterten Vertretern der neuen Richtung, wie Phachus und 
Rhagius hatten auch Eoban in ein gefpannteres Berhältniß 
zu dem alten Syftem gebracht *). Mutian, deſſen feharfer Blid 


ı) Bgl. Epp. Eobani et amicor. famil. p. 246, wo fich feine Oratio 
in praelectione Sylvarum olim Lypsiae habita findet. 

2) Camerarius Narr. de Eob. „Ibi (Lipsiae) ille, quem natura 
etiam a Musis aberrare non pateretür, et horror iractationis a studio 
juris repelleret, oblitus voluntatis ac mandatorum Praesulis sui, pecu- 
niam confecit, et libros grandes istos Legum atque Constitutionum 
divendidit et mox Erphordiam ad incunabula doctrinae suae se 
retulit.“® 

2) Daß ihn der Bifchof freundlich wieder zu ſich einlud, erficht man 
aus M. B. F. fol. 263 a. — Meber die Bemühungen des Mutian für 
Eoban zu vergl. 1. c. 257 b. Tengel 207 und Relig. epp. Mut. p. 23. 

“) Schon von Leipzig aus trat er mit NReuchlin in Briefmechfel, und 
überfandte ihm feine Heroiden. wofür diefer ihm den Titel rex gab (mit 
Anfpielung auf feinen Namen Hessus, &sonv). Vgl. Eob. Farr. I, 2202. 
ml. vir epp. ad Reuchl, y 3 b. 








— 19 — 


dies al8bald wahrnahm, unterließ Nichts, um ihn in diefer 
Richtung weiter zu fördern. Eben jener mit fo maßlofer Bitter 
feit gegen die Scholaftifer abgefaßte „Triumph des Capnion“ 
war die erſte Schrift, die er ihm empfahl. „Lies ihn durch 
und preife Bapnion, den größten Gelehrten,” fchrieb er ihm 
ihon in den erften Tagen nach feiner Rückkehr. Eoban fland 
bald feinen Freunden um Nichts nach. Jene ungemeflene Bes 
geifterung für Neuchlin, der bittere Haß gegen die Fölnifche 
Partei ging vollftändig auch auf ihn Über. Gerade er war es, 
der der bittern, leidenfchaftlichen Stimmung, welche den Bund 
beherrfchte, zuerft einen entfprechenden Ausprud verlieh. Dies 
gefhieht in jenem denfwürdigen Schreiben, mit dem er im 
Sanuar 1515 vor den Wortführer feiner Partei trat. Es offen- 
bart mit der überjchwenglichten Verehrung für Reuchlin und 
einer fchonungslofen Bitterfeit gegen die Kölner zugleih auf 
das entfchiedenfte die Abficht, einen vernichtenden Schlag gegen 
legtere auszuführen. „Möge Gott die Böjen ververben,” heißt 
es in demjelben, „und ihr Andenken von der Erde der Xebenven 
vertilgen.. Denn fie verdienen ed, daß jeder Gute fie haſſe, 
nit blos als die Verfolger jeder Wiſſenſchaft, fondern auch 
als die Verderber der göttlichen Religion. — Aber ih will fie, 
foviel an mir liegt, prächtig in Schug nehmen und ihre Ber 
theidigung jo führen, daß ich fie unfterblich mache. — Ich 
habe neulich einige heftige Samben gegen die Fölnijchen Dia- 
bologen — fo nennft Du fie ja — gemacht und werde deren 
nody mehrere anfertigen und fie Dir überjenden, wenn die Zeit 
kommt. Muth macht es mir, daß ich nicht allein flehe. Denn 
ih hoffe, daß Hutten, Buſch, Erotus, Spalatin, Deine Lands⸗ 
leute Philomufus und Melanchthon und außerdem nody Viele 
mit mir in die Siegestrompete ftoßen werden.” 1) 

Gleichſam wie auf gemeinfame Verabredung traten nad 
Eoban's Vorgang in der nächſten Zeit mehrere feiner Genoffen 
mit ähnlichen Aufmunterungsfchreiben vor Reuchlin. 


— — — — 


i) Mustr. vir. epp ad J. Reuchl. y 3 a. 


— 10 — 


Noch in demjelden Monate jchrieb Erotus. Nach ven 
heftigften Invectiven gegen „das verworfene Geichlecht ” der 
Sophiften fordert er Reuchlin auf, im Kampfe gegen fie den 
Muth nicht finkfen zu laflen. Um aber feiner Aufmunterung 
um fo mehr Gewicht zu geben, bietet er ihm förmlich die Hülfe 
ihres ganzen Bundes an. „Du haſt,“ redet er ihn an, „Mutian, 
den großen Gelehrten; Du haft die ganze mutianifche Schaar. 
Es gibt darin Philofophen, Redner, Dichter, Theologen, alle 
Dir ergeben, alle für Dich zu ftreiten bereit. Eoban iſt im 
Befib eined himmlifchen Talents, ein glüdlicher Dichter. — 
In meinem Hutten verbindet fich Feuereifer mit Scharffinn. 
Mit einem Male wird er den erbärmlichen Ortvin zu Grunde 
richten. Es ift nicht nöthig, mehr zu verfprehen. Gib Auf 
träge und Befehle, wir ftehen jederzeit zu Deinem Dienfte bereit” '). 
Bon gleicher Begeifterung für Reuchlin zeugt das Schreiben, 
welches Euricius Cordus um die nämliche Zeit an ihn richtete. 
Reuchlin wird angeredet als der Ruhm des deutfchen Landes, 
als die Wonne der Mufen, als der Batron der Wiffenfchaften, 
als der über die barbarijchen Ungeheuer fiegreiche Hercules 2). 





ı) Die Stelle ift wichtig genug, um fle auch im Origina herzuſetzen: 
„‚Habes doctissimum virum Mutianum. Habes totum Mutiani ordinem. 
Sunt in eo philosophi, poetae, oratores, Theologi, omnes tibi dediti, 
omnes pro te certare parati. BEobanum Hessum caeleste ingenium 
beat, scribit carmen summa felicitate. Vidisti credo ejus ludicrum 
Bucolicon, in quo ostendit ille quid possit, si velit, In Hutteno meo 
exultat ardor et subtilitas, uno impetu conficiet aridum Ortuinum. 
Nun attinet plura promittere. Manda et jube, quandu voles prae- 
sto erimus. Ipse in hoc colleyio non habeo arma Minervae, copi- 
arum tamen tribunum me profiteor.“ — Der Brief ift datirt VH 
Kalend. Februar. ohne Sahresangabe. Da aber derfelbe, wie ſich ans 
zwei Stellen ergibt, aus Fulda gefchrieben if, wo Crotus bis 1515 weilte, 
fo kann die Abfaffung nicht fpäter als 1515 fallen. Daß fle aber wirklid 
in Diefes Jahr fällt, fchließe ich namentlich aus der Erwähnung des Eoban, 
auf den Erotus erſt da hinweifen Fonnte, als derfelbe wieder in den Kreis 
feiner Breunde zurücdgefehrt war. Der Brief findet fih Il. vir. epp. ad 
J. Reuchl. z1 a—?2 b. 

2) Charakteriftifch ift folgende Stelle: Salve, salve igitur, Salve 





— 11 — 


Auch Petrejus blieb Hinter feinen Freunden nicht zurüd. Noch 
von Rom aus überfendet er ganz im Tone feiner Genofjen da- 
heim ein Furzes, aber feuerigeds Aufmunterungsjchreiden an 
Reuchlin. Er Spricht ihm Muth ein, verfichert ihn feiner Treue 
und Anhänglichfeit, „denn wir Alle,” betheuert er, „die wir 
und zum Dienfte der Pallas befennen, find Dir nicht weniger 
verpflichtet, al8 die Soldaten ihrem Feldherrn, dem fie Treue 
geſchworen“ 1). 

Wird ſich die Thätigkeit des mutianiſchen Bundes nach 
dieſem offenen und entſchiedenen Hervortreten ſeiner bedeutendſten 
Mitglieder, nach ſo umfaſſenden und beſtimmten Hülfszuſagen 
noch innerhalb der bisherigen engen Grenzen halten können? 


inquam omnium optime et doctissime Capnion, integerrimae integri- 
tatis homo. Immo adversus tot deterrima monstra ex olida barba- 
riae palude emergentia invictissime Hercules. Iterum salve maxime 
literatorum Patrone et assertor dulcissimum Musarum delicium.‘“ 
N. vir. epp. ad Reuchl. A 4 b. Auch diefer Brief (d. d. Herphortiae VII 
Kal. Februar.) ift ohne Jahresangabe. Nach einer in demfelben enthal⸗ 
tenen Angabe ift er fpäter abgefaßt, als das Schreiben Eoban’s. Ich trug 
um fo weniger Bedenken. ihn in den Anfang des J. 1515 zu verfeßen, da 
Eordns allen Anzeichen nah im Anfang 1516 nicht in @rfurt (von wo 
doch der Brief Datirt ift), fondern in Leipzig verweilte. 
ı) Illustr. vir. epp. ad J. Reuchl. y 4 b. 


— — — — — — 


— 112 — 


Bweites Capitel. Die Briefe der Bunkelmänner. 


„Viginti amplius sumus in infamiam ac 
perniciem vestram conjurati. ı Debetur hoc 
Capnionis innocentiae, debetur vestro sceleri, 


debetur reipublicae literariae.“ 
Hutten. 


I. 


Einige Zeit nach jenen feuerigen Aufmunterungsfchreiben, 
im Anfang des Jahres 1516, erfchienen die Briefe der Dunfels 
männer 1). 

Jedermann weiß, von wie außerorbentlichem Erfolge das 
Erfcheinen diefer Satire begleitet war. Recht eigentlich wurde 
durch fie der reuchlinifche Streit entichieden. Der Ausſpruch 
Roms, den man fo eben noch mit der größten Spannung erwartet, 
verlor in Folge derſelben feine Bedeutung: ohne fhiedsrichterlichen 
Ausfpruch fühlte fich vie Eölnifche Partei vernichtet. 

Um jo auffallender ift das geheimnißvolle Dunfel, in wel- 
ches der Urfprung diefer Satire gehüllt if. Vergebens fuchte 
der Blick der hart getroffenen Kölner unter den Reihen der 
Gegner nadı den PVerwegenen, die ed gewagt., diefe giftigen 
Pfeile gegen fie zu fchleudern. Was noch feltjamer ift, felbit 
der großen Maffe der Humaniften, die den Erfolg der neuen 
Waffe anftaunten und bewunvderten, blieb der eigentliche Sad) 
verhalt ein Räthje. Muthmaßungen, die man verfudhte, um 
den Urhebern der Satire auf die Spur zu fommen, führten zu 
den abweichendften Refultaten. Erasmus, Ulrih von Hutten, 





1) Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum M. Or- 
tuinum Gratium Daventriensem, Coloniae Agrippinae bonas literas 
docentem, variis et locis et temporibus missae, ac demum in unum 
volumen redactae. In Venetia impressum in impressoria Aldi Mi- 
nutii. 4°. 





— 193 — 


Hermann van dem Bufche, Jacob Fuchs u. A. wurden nad) 
und neben einander als Verfaſſer des Werfes genannt, Ein 
noch mannigfaltigeres Echo fanden diefe fich vielfach Freuzenden 
Stimmen der Zeitgenofien in denen der Nachkommen. Kaum 
gibt ed noch einen bedeutenden „Reuchliniften,” deſſen Name 
nicht fchon mit der Abfafjung der Briefe in Verbindung gebracht 
worden wäre !). Die Wahrnehmung, die faft jeder bei Lefung 
derfelben machte, daß fie nicht dad Product der fatirifchen 
Thätigkeit eines Einzelnen feien, wurde dafür ausgebeutet, eine 
möglihft große Anzahl von Mitarbeitern anzunehmen. Eine 
einzelne Aeußerung, die in der Kegel unbeftimmt genug lautet, 
genügte Manchem, um den bereits aufgeftellten Autoren einen 
neuen hinzuzufügen. Das Verhältniß aber, in dem viefelben 
zu einander geftanden, fo einleuchtend auch die Wichtigkeit davon 
Iheint, fand wenig oder gar Feine Berüudfichtigung 2). — 
Sept aber nicht ſchon der Umftand, daß die Verfaſſer eines 
Werkes, das, wie fein anderes jener Zeit, fofort die allgemeine 
Aufmerkſamkeit auf ſich lenkte, fich der Kenntniß der Zeitgenofjen 
zu entziehen vermochten, ein nahes und inniged Verhältniß 
jwifchen ihnen voraus? Und blieben fie fogar auch den Män- 


— — — nn 


1) Das vollſtaͤndigſte Verzeichniß der aufgeſtellten Autoren gibt Vogler 
in „Altes und Menes fir Sefchichte und Dichtkunſt.“ Potsdam 1832. p. 
231 ff. | 

2) Erhard flellt, um nur diefen einen Fall zu erwähnen, als Berfafler 
des erſten Buches der Epp. neben Crotus den Grafen Hermanı von Neuen: 
aar und Peter Eberbach auf. Die beiden letzteren waren einander fo wenig 
bekannt, daß Peter Eberbach, als er einige Jahre nachher nach Köln reifete, 
einer Empfehlung des Eoban an den Grafen bedurfte. (Eob. Farr. I, 
235 a.) — Wenn übrigens Erhard (I. c. II, 404) aus den Worten des 
Neuenaar: „Contra Honstratum .... paucula ineptivimus‘“ (1. vir. 
epp. ad Reuchl. t 3 b), welche ©. überfeßt: „gegen Hochftraten habe ich 
einige Poſſen entworfen“ auf eine TIheilnahme bdesfelben bei Abfaflung der 
Briefe fchließt, fo fieht jeder leicht, daß jenes ineptire nur ein Ausdrud 
der Befcheidenheit if, eben fo wie anser, wie er fich felbft einige Zeilen 
weiter bezeichnet. Der Zufammenhang fpricht überdies gegen eine Beziehung 
anf die Epp. — 

Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 13 


— 14 — 


nern der eigenen Partei verborgen, müffen wir dann nicht auf 
die Vermuthung geführt werden, daß das Band, welches fie 
vereinte, ein innigered und feftered war, als das der allgemei- 
nen humaniftifchen Einigung ? 


II. 


Die Haltung, welche der mutianifhhe Bund unmittelbar 
vor und nad dem Erſcheinen ver Satire beobachtete, macht 
einen eigenthümlich befremdenden Eindrud. 

Dur jene ungewöhnlichen Anerbietungen und Hülfszu 
fagen mußte die Hoffnung erregt werden, daß der Eifer des 
Bundes für Reuchlin fih auch bald in einer ungewöhnlichen 
Weiſe beihätigen werde. Man erwartet Legteres um fo mehr, 
da der Bund gleichzeitig feine bis dahin an verfchiedenen Orten 
zerftreuten Kräfte concentrirte: im Laufe des Jahres 1515 
fehrten faft ſämmtliche abweſende Mitglieder desjelben nad 
Erfurt zurück!). Alles läßt ſich an, wie zu einem wichtigen 
Unternehmen, welches Mutian’s Schaar für Reuchlin beab- 
fichtigt. Es befremdet, wenn wir gleichwohl Nichts von einer 
energiicheren Betheiligung derjelben an dem reuchlinifchen Kampfe 
vernehmen. Unfer Befremden fteigert fih, wenn wir das Be 
nehmen Mutian’d und feiner Anhänger nady der Veröffent⸗ 
lihung der Epistolae obscurorum virorum etwas näher in’ 
Auge fafien. Man erwartet wenigftend, daß die Satire, die jo 
ganz der herrjchenden Stimmung ihres Bundes entgegenkam, von 
ihnen mit ungetheilten Beifall begrüßt worden fei. Aber wie 
fehr finden wir ung in diefer Erwartung getäufcht! Der mutia 
nifche Briefwechfel, der fonft jede neue literärifche Erſcheinung 


ı) Im Anfange des genannten Jahres kehrte Erotus zurüd, ihm fol- 
aen im Laufe des Jahres Lange, Jonas, Ceratinus, Petrejus. Auch Hutten, 
der gegen Ende 1514 aus Italien heimfehrte, rüdte dem Kreife wieder 
näher, obgleich fich nicht nachweifen läßt, daß er um dieſe Zeit felbft nad 
Erfurt gefommen fei. — 





— 19 — 


jmer Zeit erwähnt, übergeht gerade die widhtigfte und folgens 
teichfte, die Briefe der Dunfelmänner. Während das ganze 
Heer der Humaniften aufjauchzt und den überraſchenden Erfolg 
der neuen Waffe bewundert, wird gerade von jenen, die vorher 
am bentlichften ihre. Vorliebe für die fatiriiche Kampfweiſe 
befundet, die fih fogar in dem Gebrauche der fatirifchen Waffen 
bereitö verfucht hatten, das tieffte Stillfehweigen beobachtet. — 

In der That eine räthfelhafte Erfcheinung! Iſt es anzu- 
nehmen, daß der Eifer für Reuchlin fo bald erfaltet fei, daß 
die fatirifhe Stimmung fo bald nachgelaffen habe? Erfterer 
Annahme widerfpridht, daß Reuchlin's Name fortwährend in 
Mutian’8 Kreiſe mit unveränderter Ehrfurcht genannt wird. 
Letzteres ift fo wenig der Zall, daß eben Furze Zeit nach dem 
Erfcheinen der Briefe von Erfurt aus eine Meinere Satire ver: 
breitet wurde, die Durch ihre auffallende Achnlichfeit fchon bei 
Zeitgenoffen den Verdacht erregte, daß fie mit jenen in derfelben 
Werkftätte gefertigt fei?). 

Noch ein Ausweg bleibt uns übrig, das Räthfelhafte jenes 
Benehmend zu erflären. Iſt vielleicht die Erwähnung ber 
Satire eben wegen allzu naher Beziehungen, in denen man zu 
ihr fand, von Mutian und den Seinigen gefliffentlich vermie- 
den worden? Sind vielleicht die Briefe der Dunfelmänner eben 
aus dem mutianifchen Kreife hervorgegangen? Hat vielleicht 
Mutian’s Klugheit und Borfiht den Urſprung derſelben in 
jenes merfwürdige Dunfel zu hüllen gewußt? 

Rur dieſe Auffaffung der Sache fcheint uns zuläffig. — 
Sollte Mutian vergeblich die ganzen Jahre daher den Geis 


— — — nn 


1) Luther, welcher dieſelbe von ſeinem erfurtiſchen Freunde Lange erhielt, 
gedenkt ihrer mit folgenden Worten: „Ineptias illas, quas ad me misisti 
de supplicationibus ad 8. Pontificem contra theologastros nimis ap- 
paret a non modesto ingenio effictas prorsusque eandem olentes 
testam, quam Epistolae obscurorum virorum.‘“ Luther an Lange. 
5. Octob. 1516. De Wette I, p. 37. — Bol. auch Luthers Brief an Spa⸗ 
latin 1. c. p 38. 

43* 


— 194 — 


nern der eigenen Partei verborgen, müffen wir dann nicht auf 
die Vermuthung geführt werden, daß das Band, welches fie 
vereinte, ein innigered und feftered war, als das der allgemei- 
nen humaniftifhen Einigung ? 


Il. 


Die Haltung, welche der mutianifche Bund unmittelbar 
vor und nah dem Erſcheinen der Satire beobachtete, macht 
einen eigenthümlich befremdenden Eindrud. 

Dur jene ungewöhnlichen Anerbietungen und Hülfszus 
fagen mußte die Hoffnung erregt werden, daß der Eifer des 
Bundes für Reuchlin fih auch bald in einer ungewöhnlichen 
Weife bethätigen werde. Man erwartet Legteres um fo mehr, 
da der Bund gleichzeitig feine bis dahin an verfchievdenen Orten 
zerftreuten Kräfte concentrirte: im Laufe des Jahres 1515 
fehrten faft fämmtliche abwejende Mitglieder desjelben nad 
Erfurt zurück!). Alles läßt fih an, wie zu einem wichtigen 
Unternehmen, welches Mutian’d Schaar für Reuchlin beab- 
fichtigt. Es befremdet, wenn wir gleihwohl Nichts von einer 
energijcheren Betheiligung derjelben an dem reuchlinifchen Kampfe 
vernehmen. Unſer Befremden fteigert fi, wenn wir das Be 
nehmen Mutian’s und feiner Anhänger nad der Beröffent- 
lihung der Epistolae obscurorum virorum etwas näher in’s 
Auge faffen. Man erwartet wenigftend, daß die Satire, die fo 
ganz der herrichenden Stimmung ihres Bundes entgegenfam, von 
ihnen mit ungetheiltem Beifall begrüßt worden fei. Aber wie 
fehr finden wir ung in diefer Erwartung getäufcht! Der mutia- 
nifehe Briefiwechfel, der fonft jede neue Fiterärifche Erſcheinung 


1) Im Anfange des genannten Jahres kehrte Crotus zurüd, ihm fol- 
aen im Laufe des Jahres Lange, Jonas, Beratinus, Petrejus. Auch Hutten, 
der aegen Ende 1514 aus Italien heimfehrte, rückte dem Kreife wieder 
näher, obgleich fich nicht nachweiſen läßt, daß er um dieſe Zeit ſelbſt nach 


Erfurt gekommen ſei. — 








— 195 — 


jener Zeit erwähnt, übergeht gerade die wichtigfte und folgen« 
reichte, die Briefe der Dunkelmaͤnner. Während das ganze 
Heer der Humaniften aufjauchzt und den überrafchenden Erfolg 
der neuen Waffe bewundert, wird gerade von jenen, die vorher 
am deutlichften ihre Borliebe für die fatiriiche Kampfweiſe 
befundet, die fich fogar in dem Gebrauche der fatirifchen Waffen 
bereit verjucht hatten, das tieffte Stillſchweigen beobachtet. — 

In der That eine räthfelhafte Erfcheinung! Iſt es anzu⸗ 
nehmen, daß der Eifer für Reuchlin fo bald erfaltet fei, daß 
bie fatirifche Stimmung fo bald nachgelaffen habe? Erſterer 
Annahme widerfpricht, daß Reuchlin's Name fortwährend in 
Mutian’d Kreife mit unveränderter Ehrfurcht genannt wird. 
Lebtered ift fo wenig der Fall, daß eben Furze Zeit nach dem 
Erfcheinen der Briefe von Erfurt aus eine Meinere Satire ver: 
breitet wurde, die durch ihre auffallende Aehnlichkeit ſchon bei 
Zeitgenoffen den Verdacht erregte, daß fie mit jenen in derfelben 
Werfftätte gefertigt fei’). 

Roh ein Ausweg bleibt uns übrig, das Räthfelhafte jenes 
Benehmens zu erflären. Iſt vielleicht die Erwähnung der 
Satire eben wegen allzu naher Beziehungen, in denen man zu 
ihr fand, von Mutian und den Seinigen gefliffentlich vermie- 
den worden? Sind vielleicht die Briefe der Dunfelmänner eben 
aus dem mutianifchen Kreife hervorgegangen? Hat vielleicht 
Mutian’s Klugheit und Borfiht den Urfprung verfelben in 
jenes merfwürdige Dunkel zu hüllen, gewußt? 

Rur dieſe Auffaffung der Sache fcheint uns zuläffig., — 
Sollte Mutian vergeblich die ganzen Jahre daher den Sei» 


— — — — nn 


1) Luther, welcher dieſelbe von feinem erfurtifchen Freunde Lange erhielt, 
gedenft ihrer mit folgenden Worten: ‚‚Ineptias illas, quas ad me misisti 
de supplicationibus ad 8. Pontificem contra theologastros nimis ap- 
paret a non modesto ingenio effictas prorsusque eandem olentes 
testam, quam Epistolae obscurorum virorum.“ Luther an Zange. 
5. Octob. 1516. De Wette I, p. 37. — Bol. auch Luther's Brief an Spa- 
latin 1. c. p 38. 
180 


— 1% — 


nigen Haß und Kampf gegen die Scholaftif geprebigt Haben? 
Der Feldzug gegen die „Barbaren“ war fein Lieblingsgedanke: 
durch die Briefe der Dunfelmänner ift er in einer dem Geiſte 
des Bundes entfprechenden Weife verwirklicht worden. Nicht 
zwar, als ob diefe Satire dad gemeinfame Product aller Mit 
glieder des Bundes geweſen fei. Eben die Vorſicht Mutian’s, 
das Mißtrauen, welches er, wie wir fahen, gerade damals gegen 
einzelne bezeigte, bürgt dafür, daß dieſes nicht der Kal war. 
Obgleich innerhalb des Bundes entftanden, kann die Satire 
deshalb doch nur das Werf einiger weniger Mitglieder des⸗ 
ſelben geweſen ſein. 

Da iſt nun die Frage von Wichtigkeit, von welchen Mitglie⸗ 
dern des Bundes das folgenreiche Unternehmen ausgeführt ſei). 


II. 


Mutian felbft ift nie unter den Verfaſſern der Briefe 
genannt worden. In der That fpridht Nichts dafür, daß er 
bei Abfaſſung derfelben wirklich fchöpferifch betheiligt geweſen 
fei. Er zog es immer vor, ſich an der „Thorheit“ Anderer zu 
ergößen; die Scheu vor dem jchriftftellerifchen Auftreten hat 
ihn nie verlaſſen?). Wie überhaupt, fo war auch in dieſem 
Halle feine Bedeutung eine anregende. Er hat die Atmosphäre 
geichaffen, in der ein Erzeugniß, wie. jene Satire auffommen 


1) Da das Berzeichniß der Humaniften jener Zeit faſt erfchöpft if, 
um die Verfafler der Satire ausfindig zu machen, fo muß die in Folgendem 
aufgeftellte Anficht infofern auf den Anſpruch der Neuheit verzichten, als 
fie die Abfaffung der Briefe nicht bisher noch ungenannten Männern 
zufchreibt. Die Verfaſſer, die in Kolgendem anfgeftellt werden, find bereits 
alle als folche genannt, aber freilich nicht in dieſer Verbindung, noch weni- 
ger mit Beziehung auf den Hintergrund, welchen ber Ordo Mutianus 
gewährt. 

2) Bol. Camerarius Narr. de Eob. B 5 a. — Seine Eleineren fati: 
tifchen Berfuche, deren wir früher gedachten, unterfcheiden fich durch Stil 
und Haltung von den Epp. Obsc. 


— 197 — 


und gedeihen konnte, er hat den Berfaffern den @eift einge 
haucht, der fie zu dem Werke befähigte. 

Bon vornherein erregt Erotus Rubianus am meiften den 
Bervacht, an der Abfaffung der Satire Theil genommen zu 
haben. Alles, was fich in den Briefen ausfpricht, die unbe 
grenzte Ehrfurcht für Reuchlin, den leidenfchaftlichen Haß gegen 
die Fölnifche Partei, dad unvergleichliche fatirifche Talent, trug 
fein bisheriged Leben auf das entfchiedenfte zur Schau. Er 
höht wird der Berdacht gegen ihn durch fein Benehmen uns 
mittelbar vor dem Befanntwerben der Satire. Sein Haß gegen 
die Scholaftifer hatte eben damals in Folge der leuten Ereigs 
nifje und feines perfönlichen Zuſammentreffens mit den Worte 
führern derfelben den höchften Grad erreicht. Unruhige Pläne, 
von denen er felbft mit großem Nachdruck fpricht, bewegten 
feine Seele’). Was er bisher für Reuchlin gethan, genügte 
feinem Eifer nicht mehr, und fchon das feuerige Schreiben, 
welches er an jenen richtete, zeigt, daß er fich mit dem Gedanken 
an ein bedeutendes Unternehmen gegen die Sophiften in Köln 
vertraut gemacht hatte Wohl zu verfelben Zeit, als er von 
Fulda jenen merkwürdigen Brief an Reuchlin ſchrieb, geſchah 
es, daß er mit feinem Jugendfreunde, dem fo eben aus Italien 
wieder heimgekehrten Hutten zuſammentraf?). Gewiß ein 
bedveutungsvolles Zufammentreffen! Der Briefwechfel, in den 
fie bald darauf gemeinfchaftlih mit Mutian traten, zeigt beide 


— — — — — 


3) Er ſchreibt in dem ſchon erwähnten aus Fulda an Mutian gerich⸗ 
teten Briefe: „Molior aliquid, ‚sed secreto, cooperatoribes nonnullis 
patribus Bonifacianis. Non licet abesse sacerdotio aliequin non ma- 
nerem in isto naufragio, cujus tempestatem pauci considerant.‘ Herz. 
Both. Bibl. A 379. 

2) Wenigſtens macht die Art und Weife, wie Hutten's in jenem Schreis 
ben gedacht wird, Dies wahrfcheinlich. Daß Hutten überhaupt nach feiner 
Rüdkehr von der erfien italienifchen in Fulda erſchienen fei, ergibt ſich 
unzweifelhaft aus einem Briefe Mutian’s an Sunthaufen(M.B.%. 878 a). 
Hutten's Verhältnis zu Fulda war immer ein fehr freundliches, er hatte 
dort ſelbſt unter den Klofterleuten geheime Anhänger. 


— 1% — 


in einer ungewöhnlich aufgeregten Stimmung. Mutian felbft 
beflagt fi über den Ungeftüm feiner beiden Freunde ). 

Was damald des Crotus Seele bewegt, mit welchen 
geheimen ‘Plänen er ſich getragen habe, darüber laffen uns 
feine eigenen fowohl, als feiner Freunde Briefe vollftändig im 
Dunkeln. Aus einer Andeutung, welche ſich in einem jpätern 
Briefe des Eoban an Menius findet, erficht man zwar, Daß 
Erotus Ungewöhnliches nicht blos beabfichtigt, fondern auch 
geleiftet Habe 2), aber über den eigentlichen Inhalt feiner Thätig- 
keit erfahren wir nichts Näheres. Crotus jelbft hat ſich ftets 
über feine damaligen Beftrebungen nur mit der größten Zurüd 
haltung geäußert ?), fogar da noch, als die Geheimhaltung ders 
felben ganz zwecklos fchien. 

Ueberhaupt harakterifirt Crotus neben feiner Richtung auf 
die Satire eine eigenthümliche Abneigung gegen jedes öffent⸗ 
lihe Hervortreten mit feiner PBerfönlichkeit. Auch darin war 
er. ein würdiges Ebenbild des gothaer Canonicus. So groß 
auch fein Eifer für Reuchlin war, nie war er dahin zu bringen, 
frei und offen für diefen in die Schranfen zu treten. Er hat 
es geliebt, feine Pfeile aus dem Verborgenen gegen den Feind 





2) Mutian an Urban: „Coenanti mihi redditae sunt Hutteni et 
Croti literae. Dequeruntur et me quasi postulant brevitatis in scri- 
bendo.‘“ Tentzel p. 325. Auch daraus erficht man, daß Hutten und Erotus 
damals zufammen waren. — 

2) Bol. Alter libell. epp. J 3 b. „Nisi te malis oculis esse et 
ex consuetudine lippire scirem, extorquerem vel convitiis Gbi tuum 
illud specimen, quo ab eo, quod Crotus dederat, non vidi pellucidius.“ 
Der Brief ift aus. dem Jahre 1524. Grotus war damals öffentlid noch 
nicht als Schriftfteller aufgetreten. 

2) Verhaͤltnißmäßig am offenften fpricht er fich über feine Theilnahme 
an dem reuchlinifchen Streite in dem Briefe aus, den er im December 1530 
aus Erfurt an Luther ſchrieb, (Epistela Croti Rubiani doctissimi ac 
pientissimi viri ad Doctorem Martinum Lutherum. Wittenb. 1521. 
8°.) aus dem auch Burkhard 1. c. III, 61 und II, IL1 einzelne Aeußerun⸗ 
gen mittheilt. | 








— 19 — | 


abzufchleudern. Mit diefem Hange verband er das Geſchick, 
Mit» und Nachwelt in Unkenntniß über feine geheimen Bes 
firebungen zu erhalten, in bewunderungswürdigem Grade. Er 
begegnet uns fpäter noch in feinem Verkehr mit Herzog Albrecht 
von Preußen als Erfinder einer Geheimjchrift '); neben feinem 
öffentlichen Ramen bediente ex fich in wichtigen Briefen auch 
eines geheimen?). Gern verzichtete er auf den Ruhm eines 
angefebenen Schriftftellers im Sinne der neuen Richtung. Er 
ſchrieb anonym, nur ein einziges Mal ift er mit einem Werke 
unter feinem Namen hervorgetreten und, merkwürdig genug, 
mußte eben dieſes dazu dienen, um den Schleier zu lüften, der 
über feiner bisherigen umfangreichen literariſchen Tchätigfeit 
geruht hatte. Jene Schrift namlich — es war die 1531 erfchienene 
Apologie für den Churfürſten Albrecht von Mainz 2) — vollendete 
den fchon längſt durch die Firchlichen Streitigkeiten eingeleiteten 
Bruch zwifchen den Angehörigen des mutianifchen Ordens und 
hatte dadurch zur Folge, daß auch andern Zeitgenofien ein Blick 
in die Geheimniſſe jener Verbindung eröffnet wurde. Aufge⸗ 
bracht über die veränderte religiöje Oefinnung, die Crotus in 
jener Schugfchrift befundet, erließ ein anderes Mitglied des 
Bundes, der fchon genannte Juſtus Jonas, ein überaus hefr 


2) Bol. Boigt Briefwechfel der berühmtehlen Gelehrten des Zeitaltere 
der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen. p. 165. 

2) Man erficht die ans einem Briefe des Gamerarius an Fuchs 
(Tert. lib epp. S 8 a), wo Grotus auch unter dem Namen Cuſtor (Um⸗ 
feßung der Buchflaben von Erotus) aufgeführt wird. 

°) „„Apologia, qua respondetur temeritati calumniatorum non 
verentium confictis crimigibus in populare odium protrahere Reve- 
rendissimum in ‚Christo patrem et dominum, do. Albertum Tituli 8. 
Petri ad vineula presbyterum Cardinalem legatum natum, Archiepis- 
copum Moguntinen. et Magdeburgen. Principem Klectorem, Germa- 
niae Primatem, Administratorem ecclesiae Halberstadiensis, Marchi- 
onem Brandeburgensem etc. a Joanne Croto Bubeano privatim ad 
quendam amicum Conscripta.‘ 4%. Am Ende Lipsiae M. Blum excu- 
debat Septemb. 1531. 


— 0 — 


tiges Sendfchreiben an feinen ehmaligen Freund, in dem er 
rüdficht8lo8 die großartigften Enthuͤllungen über defien frühere 
geheime Thätigkeit macht ?). Da werden nun die Briefe der 
Dunfelmänner einzig und allein auf Crotus zurädgeführt. 
Diefer erjcheint nach jenen Mittheilungen nicht etwa blos als 
Mitwiffer und Theilnehmer, fondern als Erfinder und alleiniger 
Verfaſſer der Satire?). Seine Thätigkeit wird darauf noch 
nicht beſchraͤnkt. Im Bunde mit Hutten fol Crotus damals 
eine große Menge von Dialogen, Epigrammen, Satiren gegen 
Romaniften und Garvinäle gefchrieben Haben ?). Hutten felbf 
wurde faft ausichließlich durch ihn angeregt *). 

Die Autorfchaft des Erotus, für die von vornherein fo 
Manches ſprach, wird dadurch unzweifelhaft gemacht. Sein 
feltiames Benehmen in der letzten Zeit feines Aufenthaltes in 
Fulda, feine unruhige Stimmung, die dunfeln Pläne, jene merk 
würbdige Aeußerung des Eoban, alles dies wirb erflärt durd) 
den Brief des Jonas, durch die Nachricht, Daß Crotus Berfaffer 
der Epistolae obscurorum virorum ift. 


— 





ı) Epistola Anonymi ad Joannem Crotum Rubeanum verum huncce 
Inventorem et Autorem Epistolarum Obscurorum Virorum manifestans. 
Edid. Olearius Arnst. 1720. 8°. 

2) Die fortwährende Wiederholung diefes Borwurfes nimmt fich faſt 
widerwärtig aus; blos auf S. 11 kommen folgende Ausdrüde vor: Libellus 
tuus, libellus iste tuus obscurorum scilicet virorum epistolae, tuum 
inventum, Fidicule dicta tua, illa politia tus. — 

2) „Quam vos duo heroes tu et Huttenus horribile bellum indl- 
xistis universo Papistico nomini, quantis viribus, quam instructis et 
ärmis copiis terra marique persequi Papistas induxeratis in animum. 
Quot et quantis Dialogis, Epigrammatis, Satyris, scriptis latinis, Ger- 
manicis exagitastis BRomanistas, Cardinales, Episcopos, praecipue 
autem theologos et monachos. Superi boni! qui sales, quae dicteria, 
l.c p. 10. | 

%) „„Ad haec tu unus et primus paene author eras Hutteno, qui 
Lutheranarum partium constanter mansit usque in finem, ut in Ger- 
mania ad vexandos Omni genere scommatum Episcopos, Bomani Pas- 
quilli Jibertatem et nagönoıav imitaretur.‘ 1. c. p. 12. 








_ 91 — 


indes, wie nicht felten nach aufgelöfter Freundſchaft, if 
Jonas in feinem Eifer gegen den abtrünnigen Freund zu weit 
gegangen. Nur zu bald entvedt man in jenem Sendſchreiben 
ven PBarteieifer des Berfafferd und die Abfiht, dem Crotus 
nicht blos durch ſchonungsloſe Aufpedung, fondern auch durch 
Vebertreibung des Gegenſatzes zwifchen feinem damaligen und 
früheren Verhalten zu ſchaden!). Das Mißtrauen, welches 
dadurch gegen die volle Glaubwärdigfeit der Enthüllungen des 
Jonas hervorgerufen wird, fteigert ſich noch dadurch, daß der 
nämliche Autor, von Parteieifer verblendet, gleichzeitig auch in 
feinen Mittheilungen über einen zweiten feiner ehmaligen, fpäter 
mit ihm zerfallenen Freunde, an mehr als einer Stelle feiner 
Leidenfchaft die Wahrheit zum Opfer bringt 2). Webertreibungen 
find auch in vorliegendem Falle unverfenndbar. Mag Crotus 
au, wie nad Allem nicht geläugnet werden kann, unter den 
Berfaffern der Satire eine hervorragende Stellung einnehmen, 
mag der erſte Gedanke in feiner Seele entfprungen fein, fichers 
ih war er nicht, wie Jonas angibt, der alleinige Verfaſſer 
derfelben 2). Unvereinbar ift jene Angabe mit dem Charakter 
des Eroius, der immer zögernd und zurüdhaltenn, auch dann 
noch, wenn er bereitd einen Plan in fich aufgenommen hatte, 


1) Es hängt damit zufammen, daß der Kampf gegen Hochftraten und 
feinen Anhang überall geflifientlich als ein Kampf gegen das Papſtthum 
dargeftellt wird. Dadurch wird die fpätere Rückkehr des Crotus zur katho⸗ 
liſchen Kirche in ein viel grelleres Licht geftellt. Uebrigens wiflen wir — 
und auch Jonas wußte es — dab Papſt Leo der X bei Mutian und Erotus 
in hohem Anſehen fland. — 

2) Die Berunglimpfungen, welde Georg Wicel von feinen fpätern 
Biographen hat erfahren müflen, And zum größten Theil auf den gehäfflgen, 
Iheilweife lügenhaften Bericht, welchen Sonas über fein Leben gibt, zuräd: 
zuführen. Schon Strobel (Beiträge zur Literatur befonders des 16, Jahrh. 
®. II, 273 ff.) deutet dies an. 


2) Burfhard 1. c. III, 58 blieb deshalb mit Recht auch nach der Ber- 
Öffentlichung jenes Sendfchreibens bei feiner frühern Anſicht, in Folge 
deren er neben Crotus auch Hutten als Derfafler des erften Buches ber 
Epp. anfleht. 





— mM — 


von feinen Freunden zur Ausführung desfelben ermahnt werden 

mußte ’). Schwerlich würde er e8 bei jener ihm angebornen Scheu 

und Unentjchloffenheit gewagt haben, den vernichtenden Schlag 

gegen die feindliche Partei auszuführen, hätten ihm nicht Bundes: 

und Gefinnungsgenofjen hülfreich dazu die Hand geboten. 
Der wichtigfte unter diefen war Ulrich von Hutten. 


IV. 


Unter Mutian’d Anhängern war Ulrich von Hutten der 
feuerigfte und ungeftümfte. Seit dem Augenblide, wo er dem 
Klofter Fulda entwich, bietet fein Xeben das Bild einer fork 
währenden Wanderung, einer unausgefepten Fehde gegen die 
Sophiften. Als ftürmifcher Herold der neuen Wiflenfchaften 
durchzog er den Norden und Süden von Deutichland. Erfurt 
und Köln, Franffurt und Greifswalde, Wittenberg und Wien 
waren Zeugen feines Eiferd. Sogar nah Italien hatte ihn 
jein unruhiger Geift geführt. Aber troß dieſes unftäten Lebens 
vergaß er doch nie den Ort, wo er durch den erften vichterifchen 
Berfuch gewiffermaßen fein Befenntniß zu der neuen Richtung 
abgelegt hatte, und die wohlmollenden Freunde, die er dort 
gefunden, den väterli um ihn beforgten Crotus?), den froh— 


1) Wichtig find in dieſer Hinficht die fortwährenden Ermahnungen 
Wicel's in feinen Briefen an Erotus; vgl. Epistolarum libri IV G. Wi- 
celii y 2 a, Ff. 4 bu. a. Das Berhältniß zwifchen Hutten und Crotus 
erfcheint ung ganz anders, als Jonas es darftellt; fchon in feinen Querelen 
fordert Hutten feinen ältern Freund auf, als Schriftfteller aufzutreten: 

Kde aliquid, sed rumpe moras, impelle nocentem 
Nunquam animum melius exacuisse potes. 
Opp. Hutt. I, 56. 
2, So fehildert ihn Hutten ſelbſt in feinen Klagen: 
Ecce sedet Musasque inter pulchrosque labores 
Et nostri curam Crotus amicus habet. 
Opp. Hutt. I, 54. — Grotus nennt den Hutien in feinen Briefen nie 
anders, als: „‚Huttenus meus.““ Ueberhaupt ift das innige Berhältniß 
zwifchen Crotus und Hutten bisher viel zu wenig beachtet worden. 


y 





— 0 — 


finnigen Eoban, den ihm eifrig zugetbanen Petreius. Im 
Mutian ſah auch er das gemeinfchaftliche Oberhaupt, er liebte 
und verehrte ihn’), und verfündete ed laut vor aller Welt, 
wie viel er ihm verdanke. Yortwährend, felbft zur Zeit feines 
Aufenthaltes in Stalien, blieb er mit Mutian in brieflichem 
Verkehr, wichtige Nachrichten wurden viefem oft durch ihn ver- 
mittelt 2). Auf der andern Seite wurde Hutten von Mutian 
und feinen Anhängern trog feiner Abwejenheit als ein vorzüg- 
liches Mitglied ihres Bundes angefehen. Crotus macht in dem 
mehrerwähnten Schreiben an Reuchlin, wo er von dem mutias 
nifhen Orden fpricht, außer Eoban auch Hutten befonders 
namhaft. Sein Wappen fohmüdte ven Berfammlungsfaal des 
Bundes. Hutten’d Gedichte wurden theilweife durch die erfur- 
tifche Prefie in die Deffentlichkeit befördert, in dem erfurtifchen 
Kreiſe eifrig gelefen und bewundert. Mutian felbft hat ihn 
in mehreren Fleineren Gedichten verherrlicht ?). 

Bor feiner Rüdfehr aus Italien hatte fi Hutten noch 
nicht direct an dem reuchlinifchen Streite betheiligt. Unſchwer 
ließ ſich indeß vorausfehen, daß er fich nicht lange mit der 
Rolle eines bloßen Zufchauerd begnügen werde. Yür die Art 
feiner nächften Theilnahme wurde jein Berhältniß zu dem 
mutianijchen Bunde entjcheidend. Niemals war basfelbe leb⸗ 
bafter, niemals der briefliche Verkehr zwifchen Mutian und 
Hutten reger, ald nach der Rüdkehr des letztern aus Stalien *). 


—. 





) Sogar noch zu der Zeit, als Mutian bereits den Planen des ſtürmi⸗ 
hen Ritters völlig entfremdet war, fpricht diefer feine Ehrfurcht für ihn 
aus. „Ego certe hominem reverenter semper colui et nunc ut me- 
retur studiosissime veneror et amo.‘“ Hutt. ad Eob. et Petrej. (1519) 
Epp Eob et amic. ips. famil. p. 288. 

2) Bol. M. B. F. fol. 314 a. 

2) Am bezeichuendften ift das Cpigramm Mutian’s, welches fich in ber 
Originalausgabe des zweiten Nemo findet; vgl. Opp. Hutt. II, 308. 

4) Ans einem Briefe des Mutian an Coban erfieht man, daß Hutten 
damals Mutian’s Vermittlung in Anfpruch nahm, um zu einem Amte zu 
‚ gelangen. Bgl. Tenpel p. 308. (d. d. V Id. Mart. 1515.) — Üebrigens 


— MM — 


Sollte da die Stimmung des Bundes anf Hutten ohne Ei 
fluß geblieben fein? — Noch wichtiger mußte für dieſen fein per 
fönliches Zufammentreffen mit Erotus in Fulda werden, welches 
gerade um jene Zeit flattfand, als letzterer über feinem geher 
men Plane brütete. Wäre ed denkbar, daß Erotus „feinen“ 
Hutten, dem er jogar in der Ferne die Erzeugniffe jeines Wites 
zugefandt, damals über feine Pläne in Unfenntniß gelaflen 
hätte? Haben wir nicht vielmehr den feuerigen, alljeit kampf⸗ 
bereiten Hutten eben als den anzufehen, der den wankenden, 
zaghaften Crotus in feinem Plane beftärkte, ihm Muth zur 
Ausführung desfelben einflößte? Ich fürchte nicht zu weit zu 
gehen, wenn ich annehme, daß jenes begeifterungsvolle Schreiben 
des Erotus an Reuchlin eine Folge der von Hutten empfangenen 
Anregung geweſen fei. Sollte Hutten fi) aber auf bloßes 
Anregen, Aufmuntern beſchränkt haben? In der Art des Rik 
ters lag das nicht, Die merfwürdige Aeußerung, in der Erotus 
in dem berührten Schreiben an Reuchlin jeiner gedenkt, zeigt, 
daß er weiter gegangen ift!). Hutten hat den Freund nicht 
blos angefeuert, er hat feinen Plan auch thätig unterftüht. 
Die Briefe der Dunfelmänner — natürlich if hier zunächſt 
vom erften Buche die Rede — find theilmeife Hutten’s Werl, 

Die Zeitgenoffen haben dies fehr bald geahnt. Leber 
wiegend bezeichnete die öffentliche Meinung Furze Zeit nad) dem 
Erſcheinen der Satire Hutten ald Verfaſſer derfelben. Des 


verdient ed Beachtung, daß Feiner von den vielen Briefen, die Hntten an 
Mutian richtete, uns erhalten if. — — 

I) Es ift die Stelle: „In Hutteno meo exultat ardor et subtilitas; 
uno impetu conficiet aridum Ortuinum.“ Il. vir. epp. ad Beuchl. 
2 2 a. Marum nennt er gerade ben bisher fo wenig beachteten Ortwin, 
wenn nicht die Stelle geradezu auf die Epistolae Obscurorum zu beziehen 
iſt? Wie bezeichnend find in letzterem Falle Die Worte: Ardor et subtilitas? 
— Erf mit Hinblid auf dieſe gemeinfchaftlich von Hutten und Erotus ent: 
wickelte fatirifche Tätigkeit verfieht man die Meußerung. welche ber erkert 
in feiner an Crotus gerichteten Vorrede zum zweiten Nemo allen läßt: 
3„,AC suaviter interdum ridebimus hominum mores.‘‘ Opp. Hutt. II, 313. 





— 9 — 


Erotus gedachte man nicht. Diefe Auffaffung der Sache lag 
ſehr nahe. Hutten war eins der vornehmften Glieder in den 
Reihen der Gegner des alten Syſtems. Schon mehr ald ein- 
mal hatte er mit niedergelafienem Bifter ven Kampfplagtz betreten, 
Bas war natürlicher, als auch diefe neue Erfcheinung, die den 
Sieg feiner Partei entfchied, auf feine Perſon zurüdzuführen ? 
Den zurädgesogenen Erotus überfahb man. Bei der Vorſicht, 
mit der er verfuhr, gelang es ihm, den öffentlichen Verdacht 
zu vermeiden. Hutten kannte jeme Borficht nicht. Seine uns 
vorfichtigen Aeußerungen ließen es felbR Männern von Eins 
fiht nicht fraglich erfcheinen, daß er mit um den Urfprung der 
Satire wifle, daß wenigſtens ein Theil der Briefe ihm die 
Entftehung verdanke. 

Erasmus redet von drei Berfaflern; daß er Hutten zu 
ihnen zählte, erficht man fchon aus feiner Bemerkung, daß ber 
allgemeinen Anficht zufolge eben der erfie Brief jenen zum Ber 
faffer habe!). Wilibald Pirkheimer räth Hutten in einem 
Briefe, ven Titel Obscuri viri in Clari viri umzuwandeln, das 
mit auf dieſe Weite Me Mönche noch einmal getäuſcht würden, 
ein Vorfchleg, der nur dem wirklichen Verfaſſer der Briefe 
gemacht werden bonnte?). Der würzburger Canonicus Raurenz 
Behaim, Freund und Gefinnumgsgenoffe Hutten’s, erflärt diefen 
anummwunden für den Verfaſſer, „er fcheine es ja felbft nicht 
zu läugnen” >), 

Und in der That, er bat es felbft nicht werläugnet. Wie 
dunkel werben nicht ſchon feine Ausprüäde In dem Briefe an 
Reuchlin, wo er von einer Laft fpricht, die von Reuchlin’s 

i) Bol. Erasmi Spengia in Opp. Hutt. IV, p. 434, 423. 

2) Bel. Opp. Hutt. ZI, 839. „Mutzndus itaque tkulus ost et pre 
obscuris clari viri sunt insoribendi, ut rurses nebwlones pecunias 
dilapidare cogantur.“‘ 

’) Bgl. Houmanın documenta liter. p. 357. „YVidetur enim palam 


Bon negare, se illas epistolas odidisse et quidem, ut mihi videtur, nom 
satis prudenter propter pericalum.‘“ 


— 0 — 


Schultern auf die ſeinigen übergegangen ſei, von einem Feuer, 
das er ſchon laͤngſt anſchüre, von einem Verlachen der Gegner, 
wenn wir nicht eine Beziehung auf die Briefe der Dunkelmänner 
annehmen?) Unverholener fpricht er von der Sache, wenn er 
in einem Schreiben an Erasmus, wo er ber päpfllichen Ber- 
dammungsbulle gedenkt, auch fich zu den durch fie Getroffenen 
rechnet 2). Ganz außer Zweifel wird feine Autorfchaft durch 
die merkwürdige Aeußerung geftellt, die ihm in einem Briefe 
an Pirfheimer entfällt, wo er ſich nämlich zu denen rechnet, 
gegen welche die Lamentationen der Obfeuren gerichtet feien, 
d. i. zu den Berfaffern unferer Satire). 

Nicht mit Unrecht alfo bezeichnete die öffentliche Meinung 
Hutten als Verfaſſer. Ließ fchon fein Verhältniß zu Crotus, 
das uns den erften Faden zur Entwirrung der Sache darbietet, 
feine Theilnahme an der Abfafjung der Briefe nicht mehr frag 
lich erfcheinen, jo wird dieſe durch die Zeugniffe Fundiger Zeit 
genoſſen und noch mehr durch feine eigenen Ausſprüche vollends 
unzweifelhaft gemacht. Hutten war der Helfer, deſſen der ſchuͤch—⸗ 
terne Crotus zur Ausführung feines Planes bedurfte, feine 

Theilnahme hat die Verwirklichung des Planes entfchieden. 
| Die Einwendungen, welche gegen diefe Auffaffung erhoben 
worden find, widerlegen fich leicht. Es ift bereitd gefagt, was 
von der Glaubwürdigkeit des Zeugniffes des Jonas zu Halten 
fei, welches den Erotus als alleinigen Verfaſſer der Satire 
darftellt. Merkwürdig genug — das fidherfte Zeichen blinden 
Eifers — wird demungeadhtet an einer Stelle fogar ausdrücd⸗ 


— — — — — 


1) Dilustr. vir. epp. ad Reuchl. A 1a. 

2) Opp. Hutt. II, 343. „Rumpantur ilia obscuris virlis, qui jam, 
qua nos excommunicamur, ingentem circumferunt bullam, bene bul- 
lam, quid enim tumidius, quid imbecillius.“ — Die paͤpſtliche Balle 
gegen die Epp. wurde am 15. März 1517 erlaflen. 

®) Opp. Hutt. III, 72. ‚‚Illam adkuc Capnionis causam mordicus 
teneo, qua de in litteris tuis memtionem facis, Theologistas ‚auxisse 
nescio quas suas adversum nos lamentationes.‘“ 











— 2907 — 


lich eine Mitthätigkeit Hutten’d angenommen’), Gegrünveter 
jheint das Bedenken gegen Hutten’d Theilnahme, welches durch 
feine beiden Briefe an den Engländer Erocus in Leipzig her- 
vorgerufen worden ift?). In dem erften Schreiben theilt er 
Grocus mit, daß ihm das G®erücht von dem Erfcheinen der 
Briefe der Duntelmänner zu Ohren. gelommen jei; er drückt 
feine Freude darüber aus, „denn Barbaren müſſen barbarifch 
verlacht werden,” und bittet den Crocus, ihm ein Exemplar zu 
überfenden, da er das Werk noch nicht gefehen habe?). Das 
zweite enthält die Rachricht, daß er nunmehr die Briefe wirk⸗ 
lih erhalten, zugleich aber die Klage, daß die Sophiften ihn, 
Hutten, für den Berfaffer ausgäben, wogegen ihn Brocus in 
Schutz nehmen fol *2). — Um Hutten feiner Unwahrheit zu 
zeihen, hat man das erſte Buch der Briefe, auf das fich jene 
Aeußerungen beziehen, dem Zeugnifie des Jonas folgend, für 
das alleinige Werk des Crotus erflärt und Hutten’s Theilnahme, 
die nach feinen anderweitigen Aeußerungen gar nicht in Abrede 
geſtellt werden konnte, auf das zweite, 1517 erjchienene Buch 

beſchraͤnkt. Hierdurch gejchieht allerdings einigen der berührten 


— nn ne 


ı) p. 11 heißt es: „„Quem libellum propter infinita ridicule dicta 
tua in Episcopos in monachos, in Theologos etc. Erasmus ille Bo- 
terodamus sic dieitur habuisse in deliciis, ut duas epistolas ejus prae- 
clari operis, alteram tuam omnium salsissimam et elegantissimam, 
alteram Hutteni ad verbum ediscere et in conviviis recitare non 
dubitarit.‘“ 

2) Sie wurden 1801 durch C. &. Müller veröffentlicht: Epistolae 
duae Ulrici ab Hutten ad Richardum Crocum. Beide wurden im Jahre 
1516 gefchrieben. 

®»)l. c.p. 5. „Barbare ridentur barbari .... sed mihi (qui haec 
audio) videre non licet. Nondum enim ad oculos meos pervenerunt 
isti quiqui sunt obscuri viri.‘“ (Bonon. Idib. Aug. 1516). 

4) 1. c. p. 7. „Accepi Obscuros Viros: Dii boni! quam nen illi- 
berales jocos! Verum ipsum me autorem non jam suspicantur Su- 
phistae, sed ut audio, palam praedicant. Oppone illis te, et aliquam 
absentis amici causam age, nec me istis sordibus pollui sine.‘ (Bonon. 
XI Sept. 1516). 


— 208 — 


Beweisſsmomente Genüge, indeß die Mehrzahl derſelben findet 


bei diefer Annahme Feine Erflärung Am wenigften. verträgt 
fih dieſe Auffaffung mit dem Verhaͤltniß Hutten’s zu dem 
erfurtifchen Kreife überhaupt und zu Erotus insbefondere, der 


gewiß nicht verfaumt haben würde „einem Hutten“, wenn et 
wirflich nicht betheiligt war, fefort ein Exemplar der Satire 
zu überjenden, fo daß jeme Bitte an Crocus umöthig wurde. 
Auch muß es bei jenen Briefen auffallen, daß Hutten fo außer 
ordentlich fchnel von der Veröffentlichung der Satire Funde 
erhalten hat, und noch mehr, das er zu einer Zeit, wo er angeb 
Lich die Briefe noch, gar nicht gejehen, mit dem Inhalte der 
felben nicht ganz unbekannt zu fein ſcheint!). Es bleibt alfe 
nur übrig, anzunehmen, daß Hutten in dem vorliegenden Falle 
abfihtlih den wahren Sachverhalt entftelt habe. Zwar if 
nicht zu läugnen, daß Hutten ſonſt ein offenes und gerades 
Auftreten liebte, aber es bilden doch Offenheit und Geradheit 
nicht in dem Grade die hervorſtechenden Züge feines Charak 
ters, wie Manche der Späteren geglaubt haben. Seine Zeit 
genofien und Freunde urtheilen wenigſtens in diefer Hinſicht 
nicht fo ängftlich über ihn ?). 


} 


V. 


Es bleibt immer eine merkwuͤrdige Erſcheinung, daß zwei 
Männer von fo verſchiedenen Charakteren wie der ungeſtuͤme 


1) Wenigftens deuten dies Die Worte: Barbare barbari ridentur ar. 
L. c. P. 5. 

2) So erzählt Laurenz Behaim in einem Briefe an Pirkheimer von 
einer Schrift Yutten’s, in welche bdiefer offenbare Unwahrheiten babe ein: 
fließen laffen und zwar mit Borbebacht. ‚‚Corte vafer est, quae mers 
sunt mendacia (et ipsee fassus est) inseruit in ii“ Heumann Docum. 
Hit. p. 338. — Auch die zahlreichen anonymen Schriften, die unzweifelhaft 
Hutten zum Berfaffer Haben, zeigen, daß er jener Berfiellung fähig war. 
— Ran hat deshalb nicht nöthig, ihn in Mänch’s Werfe (Einleitung zu 
Epp. Obsc. p. 57) mit Gründen der Kaſuiſtik gegen jenen Vorwurf zu 
vertheidigen. 








— 1 — 


Gatten und der bis zur Yurchtfamfeit zaghafte Erotus fich zu 
einem und beimjelben Unternehmen die Hand reichten unb es 
mit fo vielem Geſchick ausführten. Das Befrempende, weldhes 
diefe Thatfache hat, wird indeß fehr vermindert, wenn wir neben 
ihnen einen Mann thätig finden, Ber die Gegenfähe ihres 
Charakters auffallendet Weife in dem eigenen vereinigte und 
fi eben dadurch zum Vermittler zwischen beiden eignet. 

Diefe Stellung nimmt Petrejus ein, 

Der unruhige Wanderungstrieb, den er fon in früher 
Jugend durch mehrere Reifen zu den Humtaniftenfchulen in 
Straßburg, Wien und Augsburg verrieth, feine Begeifterung 
für Reuchlin, dem ex, einer der erſten, bereits 1513 feine Dienfte 
anbot, fein maßlofer, zuweilen In den derbſten Ausprüden 1) 
fundgegedener Haß gegen die Schulgelehrten, erinnern anf- 
fallend an Hutten’s Auftreten und vermuthlich gefchah es nicht 
ohne Einwirkung diefer Eharafterähnlichleit, daß ſich ſchon 
friüchzeitig zwiſchen Petrejus und Husten ein inniges Freund- 
ſchafts verhaͤliniß bildete. Mit Erotus theilte ex dagegen jenen 
fatirifchen Zug, die Neigung und das Geſchick zu fatirifchen 

Anfpielungen, zu witzigem Spott und Tadel Mutin und 
Hatten wettelfern in ihren Lobpreifungen auf das vortreffliche 
Zalent, welches Betreius in der Satire entwidelte?2). Eoban 
weiß die witigen Ginfälle feines Freundes nicht genug zu 
rühmen 2). Richt zu verwundern iſt es Deshalb, wenn Crotus 


1) Bol. namentlich feine Aeußerung über die kölniſchen Artikel bei 
Tempel p. 135. 

2) Hutten nenn ihn „natura ad irridendum et facete objurgandum 
valde accommodatus“ val. Eeb. et amic. epp. fam. p. 288. Mutian 
bezeichnet ihn wohl als den ingenjosissimas amtcorum. Tengel 178. 

2) Bol. 3. B. Eob. Farrag. I, 260 b. 

„Tot versus tibl muneri remittam 

Ouot toto tibi suggerunt ih anne, 

Et Musae Veneresque Gratiaeque 

Risus, scommata, fabulas, jocosque 
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 14 


— 210 — 


vorzugsweife den Petrejus zu feinem Freunde und Genoffen 
auserfah. Es gab in Mutian’d Jüngerſchaft Fein vertrauteres 
Freundepaar. Was Erotus Keinem mitzutheilen wagte, das 
vertraute er dem PBetrejus-an !). 

So Hutten’s und Crotus' Cigenfchaften in feinem Cha 
rafter vereinigend, mit dem einen und dem andern auf das 
innigfte befreundet, hat Petrejus dazu dienen müffen, ‚auch die 
Thätigfeit beider Männer zuerft in Verbindung zu bringen, ihr 
eine gemeinfame Richtung zu geben. — Mit Erotus zufammen 
fanden wir Petrejus bereitd im Sommer des Jahres 1513 
heimlich auf dem beiden wohlbefannten Gebiete der Satire 
befchäftigt. Die ungewöhnlihen Hoffnungen, ‘. welche ihre 
Leiftungen bei Mutian erwedten, machten es unzweifelhaft, daß 
ed fih nicht um leichte, vorübergehende Poffen handelte, die — 
weil fie in Mutian's Kreiſe an der Tagesordnung waren, — 
nie feine Aufmerffamfeit in fo hohem Grade auf fich lenkten, 
fondern daß Erotus und Petrejus fchon damals den Plan 
gefaßt Hatten, mit den Waffen der Satire einen Hauptfchlag 
gegen den Feind zu führen ?). 

Sm Auguft desfelben Jahres unternahm Petrejus feine 
Reife nach Italien. In Rom traf er mit Hutten zufammen. 
Beide traten von bier aus mit Mutian in Briefwechfel ?). Es 
ift bemerfenswerth, daß jene. zuverfichtliche Hoffnung, die bei 
Mutian duch die fatirifchen Erzeugniffe des Erotus und Pe 


Urbanosque sales facetiasque 
Petrei delitine facetiarum.“ 
1. c. 261 b. redet er ihn an: Imclyte dux ungwv. 
1) Es ift ganz bezeichnend für diefes Berhältnig, wenn Crotus ſchon 
im 3. 1581, alfo zu einer Zeit, wo er äußerlich noch den feurigem Luthe⸗ 
raner fpielte, geheim vor Vetrejus feinen Unmuth ausjchüttet über den Gang 
der neuen Bewegung; vgl. Tert. lib. epp. E 8 b. Eine geheime Corte 
pondenz zwifchen Petrejus und Erotus wird auch erwähnt l.c. F 4b. 
2) Tentel p. 158. 
2) M. B. F. fol. 249 b. 





— 211 — 


trejus erwedt worden war, durch die Briefe, die Petrejus aus 
Kom an ihn richtete, unterhalten und genährt wurde !).. — 

In dem Umgange mit Hutten entwidelte Petreius jenes 
von erfterem fo jehr bewunderte Talent „au Spott und witzigem 
Tadel 2). Wer erwehrt ſich hier des Gedankens, dag Petrejus 
den Freund auch von der geheimen fatirifchen Thätigfeit in 
Kenntniß gefebt habe, die er daheim, mit Erotus vereint, ent- 
faltet hatte? Gewiß! Hutten ift durch ihm zuerft für die geheis 
men Pläne, mit denen fi) Crotus trug,. vorbereitet und gewon⸗ 
nen worden. 

Nach Hutten’s Abreife verblieb Petrejus noch laͤngere Zeit 
in Rom, in nahem Verkehr mit den angeſehenſten Vertheidigern 
Reuchlin's, mit dem gelehrten Minoriten Galatinus, mit Martin 
Grvening®), überhaupt ganz der reuchliniſchen Angelegenheit 
zugewendet, über deren Verlauf er auch gleichzeitig Mutian 
und feinen erfurtifchen Yreunden die nöthige Auskunft gab, 
Das letzte Zeichen feiner Anmwefenheit in Rom ift eben jenes 
feuerige Aufmunterungsschreiben an Reuchlin (25. Auguft 1515). 
Er verließ dann Rom und Stalien, und erfcheint noch in dem- 
felben Jahre in dem Kreife feiner erfurtifchen Freunde, wo wir 
ihn einige Zeit fpäter mit „ausgelafjenen Epigrammen“ bejchäfs 
tigt finden*). Wer möchte behaupten, daß fein abermaliges 





— — — 


ı) „Nam si tenerer ulciscendi studio, non tuti essent Mori et 
Lotius, quod tibi facile intellectu est Petrejana legenti promissa.““ 
Mut. ad Urb. M. B. F. fol. 100 b. Die Aeußerung bezieht fich auf einen 
Brief, den er von Betrejus aus Rom empfangen. — Leider find alle Briefe, 
die Petrejus und Hutten von Rom aus an Mutian richteten, verloren — 
vermuthlich weil fle in bie Klaffe jener gehörten, die Mutian aus Borficht 
zu vernichten pflegte. — 

2) Menigfteus knüpft Hutten die Bemerkung über das fatirifche Talent 
bes Petrejus eben an die Erwähnung feines Aufenthalte in Rom; vgl. 
Eob. et amic. epp. fam. 288. 

3) Bol. I. vir. epp. ad Reuchl. y 4 b. 

4) „‚Petrejus et ego omnes fere dies consumimus scribundis Epi- 
grammatis, sed ut plerumque lascivis, sine teste tamen.‘“ Eob. ad 

14° 


— 22 — 


perfönliche® Zufammentreffen mit Crotus und der Briefwechſel, 
den er um jene Zeit mit Hutten führte"), nicht in Beziehung 
ftehe zu der Ausführung des Planes, der eben damals jene 
beiden Männer auf das Iebhaftefte befchäftigte ? 


VI. 


Nie hat die Anſicht ganz beſeitigt werden können, daß auch 
Eoban Heſſe bei der Abfaſſung der Briefe der Dunkelmänner 
betheiligt gemwefen fei. Das innige Berhältniß, in dem derſelbe 
zu Männern ftand, die man unzweifelhaft ald Verfaſſer der 
Satire anfah, ſchien jene Annahme unabweisbar zu machen. 


Was ihr am meihen entgegenſtand, war dad Bedenken, zu dem 


fein Charakter Anlaß gab. Mit der Gutmüthigfeit, die nad 
der Darfteluug des Camerarius in Eoban’s Charakter einen 
fo hervorftechenden Zug bildet, fand die Mehrzahl eine der 
artige fatirifche Thätigkeit unvereinbar 2). 

Es ift wahr und wir felbft haben es bereitd früher ange 
deutet, daß Eoban feine von den bittern, vorzugsweiſe ſatiriſch 


Mut. Bgl. Eoban. et amic. epp. fam. p.9. Der Brief ift aus der erfien 
Hälfte 1516. wie fih aus einer Vergleichung desfelben mit dem Briefe 
Eoban’s an Lange (1. c. p. 16) ergibt. 

») Hutten gedenkt diefes Briefwechfels 1. c. p. 288. 

2) Bol. z. B. Erharb II, 397. Das Streben, ben verehrten Yreund 
zu ibealifiren, bat ſich bei Gamerarius nicht felten auf Koften der Wahr: 
heit geltend gemacht. Er felbft verhehlt Dies nicht, wenn er 3. B. fagt 
„Reotius nos facturos esse statuentes, si aliquid omitteremus hono- 
rifico de Eobano sensu, quam si omnia periculo opinionis alienae 


evulgarentur.‘“ Narrat. de Eobano D 6 b. Es ift bezeichnend für die 


Art, wie Camerarius ſchrieb, wenn Crato, der ihm einige Notizen über 
Coban's Jugendgefchichte zufandte, die Werte beifügt: „Ouae tu pro tus 
copia non sines esse paucula, sed amplificabis et illustrabis pro dig- 
nitate. Tert. lib. epp. E 7 a. Dan flieht. mit welcher Vorſicht Game: 
rarius’ Arbeiten benugt werden müflen. Für den vorliegenden Fall fümmt 
Hinzu, daß Camerarius zu der Zeit, ald Epp. Obse. entflanden, dem erfur: 
tischen Kreife noch ganz fern ſtand. 








— 215 — 


angelegten Raturen war, wie wir deren mehrere in Mutian’s 
Umgebung anttafen. Er felbft hat wohl in fpätern Zeiten 
jeine Gutmüthigfeit gerühmt, „Feinem Menſchen thue er etwas 
zu Leide, obgleich er es wohl Fünne.” Indeß jo groß war doch 
feine Gutmüthigkeit nicht, daß ke nicht ihre beftimmten Schranken 
gehabt hätte; vorgezeichnet waren ihm dieſe durch die Stellung, 
welche er zu den beiden großen Parteien feiner Zeit annahm. 
Ein Eiferer für die neue Richtung, wie jeder, der aus Mutian’s 
Schule hervorgegangen, fannte er Feine Schonung gegen Hoch⸗ 
fraten und feine Bartei. Für die „Sophiſten“ war ihm fein 
Ausdrud zu derb. In einem Heinen, und noch erhaltenen Ger 
dichte preijet er Reuchlin als „ven Bändiger der Ungeheuer“ ’). 
Sehr bitter fpricht er in dem befannten Schreiben an Reuchlin 
von den „Lölnifchen Diabologen,“ die er prädtig In Schuß 
nehmen wolle 2), Dergleicyen Aeußerungen find doch geeignet, 
einiges Mißtrauen gegen jene gepriefene Outmüthigfeit Eoban’s 
zu erweden. Vollends unvereinbar mit diefer fcheint das übers 
aus innige Verhältniß, welches er ftetd mit Hutten unterhielt. 
Was Hutten ihm zugemuthet Kat, dürfte am beften jener Brief 
jeigen, den er noch einige Tage vor feinem Tode an ihn richtete, 
worin er ihn bittet, heimlih den Drud einer Schrift „gegen 
die Tyrannen“ zu befürdem?). Der Freund, auf den Bier 
Hutten fo große Hoffnungen fegt, war gewiß auch einer Theil» 
nahme an der Abfafjung der Briefe der Dunfelmänner fähig. 
Diefe Befähigung Taffen auch mehrere feiner fpätern Schriften 
erfennen. Eoban's Epigramme gegen Leus, den Gegner des 


\ 


1) M. B. F. fol. 359 a. 

2) Er nennt fie „Terriculamenta et monstresissima monstra. ““ II. 
vir. epp. ad Beuchl. y 3 b. 

2) Opp. Hutt. IV, 338. ‚‚Qui has perfert habet a me libelli quid- 
dam in tyraanos quod curet typis inprimendum. Ibi quaeso tuam 
mihi atque ii accommoda,oporam. Potest silentio transigi negotium 
et occulte, neque unquam rectiun, quam in vestra urbe, ubi nemo 
actum suspicabitur, praesertim sic longe quum absim ego.‘“ 


— 2l4 — 


Erasmus, und feine Invective gegen Emfer gehören zu dem 
Bitterſten und Heftigften, was in jener Zeit gefchrieben ift. 
Die drei Dialoge, in denen er einige Jahre nach Luther's Auf 
treten das ungeftüme Poltern der Praedicanten gegen die 
Wiffenfchaften auf die gelungenfte Weife parodirt, zeigen, daß 
ihm auch die Waffen der Satire zu Gebote fanden !). 
Damit ift nun die wichtigfte Einwendung, die gegen 
Eoban's Autorfchaft gemacht worden ift, befeitigt. Das Ber 
hältniß, in dem er eben zur Zeit, als die Satire verfaßt wurde, 
zu den Männern ftand, die wir als deren Verfaſſer haben kennen 
lernen, nöthigt in der That zu der Annahme, daß auch Eoban 
dem Werke nicht fremd geblieben fei. Wir fahen bereits, wie 
Erotus, wenn er Reuchlin die Hülfe ihres Bundes antrug, 
zuerft auf Eoban hinwies. In Gefellfchaft des Petrejus finden 
wir diefen 1516 im Geheimen mit der Abfaffung „ausgelaffener 
Epigramme” befchäftigt 2). Noch beveutfamer erfcheint das 
Berhältniß, welches um jene Zeit zwifchen Eoban und Hutten 
befand. Ihre ſchon früh gefchlofiene Freundfchaft war nie 
inniger und Iebhafter, als nach Hutten's Rückkehr von feiner 
erften italienifchen Reife. Beide haben fich jpäter gegenfeitig 
an den Eifer erinnert, mit dem fie damals ihre Freundichaft 
bethätigt ?). Hutten’8 Beifpiel wirkte anregend und begeifternd 





ı) Diefe Dialoge erfchienen 1524 in Erfurt. „Lobani Hessi Dialogi 
tres Melaenus, Misologus, Fugitivi, Studiorum et veritatis causa 
nuper editi.‘“ Gamerarius hat diefelben entweder nicht gekannt oder and 
dem angeführten Grunde abfichtlich übergangen. Nachdem er jene beiden 
Schriften gegen Leus und Emfer erwähnt bat, ſetzt er hinzu „‚Haec sunt 
ac praeterea nihil, quae vel joco vel serio ad alterum exagitandum 
dixit aut scripsit.““ Narr. de Eob. C 1a. 

2) Eob. et amic. epp. famil. p. 9. 

2) Hutten thut Dies Opp. Hutt. II, 220. Noch auffallender if 
Eoban's mit Bezug auf ihr damaliges Verhältnig gethane Aeußerung. 

„Sed te praecipue spes nostrae Huttene morantur, 

Pars quia tu nostri mazima nuper eras.“ 
Eob. Farrag. II, 185 a. Daß beide 1515 in einem fehr lebhaften brief: 
lichen Verkehr flanden, erfieht man aus M. B. 5. 314 b. 











— 215 — 


auf Eoban. Sogar auf die großen politifchen Ideen des fühnen 
Ritter ging diefer damals ein!). Denn es fehien ihm, wie 
er an Mutian fehreibt, „groß und ruhmvoll, Hutten gleich zu 
werden” 2). | 

Man fieht:. e8 ift nicht bloß‘ das Band der Jüngerjchaft 
Mutian’s, weldyes Eoban mit den Urhebern der Satire ver- 
einigte. Bedenkt man überdies, daß er felbft in jenem feuerigen 
Schreiben Reuchlin auf das entfchiedenfte feine Hülfe in Aus- 
ficht ftelit, und daß er fpäter durch den Gebrauch, welchen er 
von einzelnen in der Satire vorfommenden Wien macht, deut: 
ih fein Gefallen an derſelben zu erkennen gegeben hat ?), 
dann wird man unmöglich jener Anficht beipflichten können, 
die Eoban alle Theilnahme an der Abfafjung der Epistolae 
obscurorum: virorum abfpridht. 


VII. 


Es iſt ſchwierig, auszumitteln, ob außer den genannten 
noch mehrere Mitglieder der mutianiſchen Schule an dem Unter⸗ 


ı) Hutten's Epistola Italiae ad Maximilianum Caesarem wurde von 
Eoban ebenbürtig beantwortet und beide Gedichte durch legteren 1516 in 
Erfurt zum Druck befördert unter dem Titel: Quae in hoc libello Nova 
habentur, Epistola Italilae ad Divum Maximilianam Caesar. Aug. 
Ulricho Hutteno Equite Germano Autore. — Responsio Maximiliani 
Augusti Helio Eobano Hesso Autore — Addita sunt Hutteni de ea- 
dem re Epigrammata aliquot nuper ex urbe Roma missa sumpto ex 
his temporum motibus argumento. (Mattheus Maler imprimebat Er- 
phurdiae in Doringis 1516). 4°. 

2) Alter libell. epp. J 2 b. „Magnum est, Mutiane, et gloriosa 
res, Hutteno fieri parem, multo gloriosius excellere. Tu quid sentis: 
Nosti Capnionis elogium, nosti quid Huttenus mihi tribuat.‘‘ — He: 
gendorphin widmet 1518 Hutten's Stichologia compendiosa dem Eoban, 
„quod non ignorabam te Hutteno esse vel deditissimum.‘“ 

2) So gibt er einem Schreiben an Niger mit Anfpielung auf den 
erſten Brief der Satire die Meberfchrift: ‚„„Antonio olim Nigro, nunc ni- 
gerrimo, nostro magistrando, vel magistro nostrando.‘“ Eob. et amic. 
epp. famil. p. 232. 


— 16 — 


nehmen Theil gehabt. Died anzunehmen, fühlt man fich fehr 
geneigt, wenn man weiß, wie allgemein herrſchend jene bitter 
 fatirifhe Stimmung in Mutian's Jüngerfchaft war. Sogar 
ſolche vermochten fich derfelben nicht zu erwehren, die duch 
ihr fpäteres Leben zeigten, daß fie, für Nichtd weniger, als 
für Satire gefchaffen waren. Crato, wohl der milnefte unter 
Mutian’s Anhängern, hielt damals an der Univerfität Ber 
lefungen über „das Lob der Thorheit“ des Erasmus !). Auch 
Spalatin, deſſen nachmalige Wirkjamfeit gewiß nicht den Sar 
tirifer verräth, blieb zur Zeit, ald er unter Mutian’s Einfluß 
ftand, von der herrſchenden fatirifchen Stimmung nicht under 
rührt 2). Die Atmosphäre, in der ſich der mutianifche Kreis 
bewegte, war, wenn wir fo fagen dürfen, eine fatirifche. Wie 
es fcheint, bildeten die häufigen bei Mutian gehaltenen Zw 
fammenfünfte das wirkfamfte Beförderungsmittel diefer Rich—⸗ 
tung. Die bei denjelben geführten Unterhaltungen nahmen 
immer mehr einen frivolen Ton an. Dürfen wir den Nad 
richten des Jonas trauen, fo war ed namentlich Crotus, dei 
ſich bei folchen Gelegenheiten durch feine witzigen Ausfälle, 
durch frivole Aeußerungen vor Allen hervorthat 3). Bei einem 


ty Nach Strieder Heffiiches Gelehrtenlexicon IH, 378. 

2) Man erfieht Dies unter Anderm daraus, daß er fich Abfchriften von 
mehreren der bitteren Satiren anfertigte; fo findet fih in feinem hand 
fhriftlihen Nachlaſſe Lin Weimar) eine Abfchrift des Pasquills Contra 
Curie avaritiam (wahrfcheinlich 1517), der ich auch in Tom. II Pasquil- 
lorum — jedoch mit einigen Abweichungen — abgebrurt finbet. 

3) Bol. Epist. Anonymi p. 14. „Non recitabo hic confahulationee 
illag cum amico ille Gothano, quem nosti. Cujusmodi ibi risus & 
cachinnos saepe meveris de Missa Papistarum, quarum ornatum 50% 
nicum scaenico similem dicehas, de suffragameis Episcoporum, & 
unctionibus ipsorum, et amurca, ut vocahas, Papae, de reliquiis sanc- 
torum, quas ossa vocabas etc. etc.“ Man fieht, wie Jonas auch bie 
geflifientlich nur dae hervorhebt, was den geweſenen Freund am meiſten 
compromittiren fonute. Doch if wohl an dem frivelen Charakter jent 
Geſpraͤche nicht gu zweifeln. Da Jonas erft feit Ende 1515 wieder nad 
Erfurt zurücgefehrt war und Grotus Anfangs 1517 nad Italien abreifet, 








— 217 — 


fo lebhaften geiftigen Verkehr, bei fo vielfachen Gedankenaus⸗ 
taufch wird es mehr als wahrſcheinlich, daß noch andere Mit 
glieder des Bundes in das Geheimniß des Crotus und feiner 
brei Genoffen eingeweiht worden feien. Ohne. Zweifel it Urban, 
ver Bertraute des Mutian und Erotus, der „Plautus” umd 
„Ulyſſes im Moͤnchsgewand“ 2) zur Mitwiflenfchaft des Planes 
gelangt. Indeß, wie wir bereitd erwähnten, gibt uns die übers 
aus große VBorficht Mutian’s, der, wie er bei jenen Zuſammen⸗ 
fünften den Vorfitz führte, fo auch bei allen Angelegenheiten 
des Bundes einen entfcheidenden Einfluß ausübte, die Bürg⸗ 
haft, daß die Zahl der Mitwifler und Theilnehmer nicht alls 
zugroß gewefen ift, daß viele Mitglieder der Schule über das 
Geheimniß nicht aufgeklärt worden find. 

Namentlich if dies in Abficht auf das erfte 1516 erfchienene 
Buch der Satire anzunehmen. Die Umftände, unter denen dass 
jelbe zu Stande fam, waren vorzugsweile geeignet, ein geheims 
nißvolles8 Dunkel über ven Urfprung desfelben zu verbreiten. 
Größtentheild in dem einfamen, entlegenen Fulda von dem 
jurüdgezogenen Crotus verfaßt, anfangs unter des Petrejus ?), 
jpäter unter Hutten's thätiger Beihülfe, wurde es vermuthlicdh 
dem letteren von Erfurt aus, wohin ed Erotuß bei feiner Ueber⸗ 
fiedelung im Jahre 1515 mitgenommen baben mag, zugefandt 
und von Hutten an einem Orte zum Drud befördert, der nicht 
im entfernteften auf die Werkftätte, in der es entftanden, 
ſchließen ließ >). 


fo ergibt fich, daß dieſe Befpräcde in das I. 1318 fallen. Jonas felbft 
fagt, daß alles Erzählte vor Luther’s Auftreten vorgefallen 1. c. p. 15. 

) Dal. Tentzel p. 17 u. M. B. F. fol 3% a. „‚Plauti urkanitate 
praedisus“ „‚„Cucullatus Ulysses.‘“ 

3) Wie weit die fatirifchen Verſuche des 3 1513 in die Briefe mit 
aufgenommen End, wage ich nicht zu enticheiden, daß wir in ihnen den 
erſten Reim ber Briefe zu fehen haben, halte ich für unzweifelhaft. Coban, 
wenn er überhaupt ſchon an dem erſten Buche Theil genommen, hat ſich 
er fpät, wahrfcheinlich erfi nach der Rückkehr des Grotus, betheiliat. 

2) Durch den Brief des Wolfgang Angft an Erasmus Münch VI, 


— 218 — 


Nah allem Vorhergehenden ergibt ſich dieſe Auffaſſung 
der Sache von felbft. 

Es gefhah wohl in Folge des Beifalld, den das erfle 
Buch gefunden, daß man bei der Abfaffung des zweiten Buches 
nicht mehr fo heimlich zu Werke ging. Es fteht feft, daß die 
Hortfegung der Briefe größtentheild in Erfurt im Verlaufe des 
Sahres 1516 zu Stande fam, und es erregt unfer Erftaunen, 
wenn wir hören, mit welcher Offenheit hier Erotus verfuht, 
wie wenig Hehl er aus feinem Plane machte !), mit dem jeht 
wohl der bei weiten größte Theil der mutianifchen Schule 
befannt wurde. Bei diefem zweiten Buche hat ohne Zweifel aud 
Eoban thätigen Beiftand geleiftet. Petrejus fand hier Gelegen- 
heit, von feiner genauen Kenntniß der römifchen Zuftände und 
des reuchliniichen Prozeſſes einen feinem Hange zur Satire ent 
jprechenden Gebrauh zu machen. Es ift deshalb irrig, die 
Bekanntſchaft mit Rom und Stalien, welche fich in den Briefen 
fundgibt, al8 einen Beweis der Theilnahme Hutten’s anzufeben; 
daß aber Hutten demungeachtet auch ald Mitverfaffer des zweiten 
Buches betrachtet werden muß, ergibt ſich unzweifelhaft aus 
feinen bereitd angeführten Aeußerungen und herrichte darüber 
von jeher faft nur Eine Stimme. Als die eigentliche Seele 
des Unternehmens erfcheint aber auch bei dem zweiten Theile 





46) wird es unzweilhaft gemacht, dag er die Briefe in Hagenau gedrudt 
hat. Mit welcher Stirn durfte er fonft jagen: ‚„‚„Obscuri viri ad myrium 
canentes apud me in sterili arena orti, fronte jam perfricata in tuum 
conspectum prodire volunt“? Kein Anderer, als der allwaͤrts heimifche 
Hutten Tann fie ihm zugeftellt haben. 

1) Epist. Anom. p. 12. „Raro eras in templo, raro in scholA, 
quin in cera annotares belle et lepide et festive dicta, quaedam 
ridicule detorta, quibus crescere posset opus pulcherrimum et pos- 
teritati profuturum ““ Auch diefe Aeußerung bezieht fi) aus dem genann⸗ 
ten Grunde auf das Jahr 1516, als Crotus und Jonas zufammen in Erfurt 
weilten. Diefe wichtige Stelle ift bisher noch von Keinem gehörig beachtet 
worden. Bei dem erften Buche Hatte Jonas blos Bethenerungen, bei dem 
zweiten kann er die Art der Entſtehung nachweifen. 


— 219 — 


Crotus. In Kiche und Schule befchäftigten ihn die Briefe. 
Bon Jonas erfahren wir, daß er fogar mit auswärtigen Freun- 
den und Gefinnungsgenoffen in Verbindung trat und fie zur 
Mitwirfung aufforderte!). Es jcheint, daß feine Aufmuntes 
rungen bei Einigen nicht ohne Erfolg geblieben find *). 


— 


I) „‚Praetereo multos alios Poetas eruditos passim, quos occultis 
sollicitasti epistolis et invitasti ad ridendas Ecclesiae Romanae pup- 
pas, semper vehementissime adhortatus, ut ibi sibi liceret intendere 
nervos et vires ingenii.‘“ 1. c. p. 13. Daß Jonas Die Epp. Obsc. ale 
eine folche irrisio Romanarum pupparum anfah, erhellt aus der unmits 
telbar folgenden Aeußerung. 

2) Unter der großen Menge der Humaniften. die man fonft noch als 
Berfafler der Epp. aufgeflellt hat, feheinen mir Hermann van dem Bufche 
und der Canonicus Jacob Fuchs die gegründetiten Anfprüche zu haben. 
Grfterer wurde fchon von Zeitgenofien (3. B. in den Lamentationen) als 
Berfafier der Epp. angefehen, Eoban rechnete auf feinen Beiftand, als er 
Reuchlin feine Hülfe zufagte; er hatte fein Leben in ununterbrocdhenem 
Kampfe gegen die Scholaftif zugebracht und war deshalb eines vernichten: 
den Schlages gegen fie wohl fähig. Die Gründe, welche für feine Theil: 
nahme fprechen, hat zulegt Vogler 1. c. mit vielem Nachdruck hervorge⸗ 
hoben. Bon Fuchs meldet Hutten ſelbſt, daß er durch ihm einmal aufge: 
muntert fei ‚‚in re admodum seria ludos agere‘“ (Opp. Hutt. II, 893). 
Laurenz Beheim fchreibt ihm eine Theilnahme an ben Briefen, wenigitens 
eine Mitwifjenfchaft zu „Est optimus amicus meus et intimus Ulrici 
Hutteni. Credo etiam, ipsum non nullas composuisse epistolas ob- 
scurorum virorum vel saltem non abfuisse longe dum nonnullae 
illarum compositae sunt.‘“ Ep. ad Pirk. bei Heumann docum. lit. p. 
356. — Es dient zur Befefligung unferer Auficht über den Urfprung ber 
Epp., daß gerade diefe beiden Männer in einem jehr nahen Berhältniß 
zu dem mutianifihen Kreife ſtehen. Bufch war es ja gewefen, welcher einft 
durch Die Befeitigung der alten Lehrbücher den jungen erfurtifchen Boeten 
gleichfam Die Brüde abgebrochen hatte, die bis dahin noch eine gewifle Ver⸗ 
bindung mit dem alten Syſteme vermittelte. Als verrrauter Freund des 
Nation, Hartmann von Kirchberg, Erotus und Coban war er dem Kreife 
nie entfrembet worden. — Noch deutlicher treten dieſe Beziehungen bei 
3. Fuchs hervor, der früher felbft mehrere Jahre dem erfurtifchen Kreife 
angehört Hatte und außer zu Hutten namentlich zu Crotus (zu dieſem 
ſchon feit Frühefter Jugend, vgl. Tert. lib. ep. S. 8 b) und dann auch zu 
Petrejus und Eoban (De Wette II, 313, Alt. lib. epp. C 3 a) in einem 
ſehr freundlichen Berhältnifle fland. — Bufch und Fuchs gehören alfo wohl 
zu den poetae eruditi, an die ſich Erotus wandte. 


— 20 — 


So fam, jedenfalls noch im Jahre 1516, unter Mehrerer 
Mitwirfung das zweite Buch der Briefe zu Stande. Ob aud 
diefes von Hutten zum Drud befördert fei, oder ob Crotus 
jest felbft dazu den Muth gehabt: ſchwerlich wird ſich das aus⸗ 
machen lafien. 


VL 


Es kann noch die Frage aufgeworfen werden, ob die Satire 
felbft nicht das Gepräge der Werfftätte an fi trage, in Der 
fie gefertigt worden. 

Wenn jogar der Drudort verheimlicht wurde, wie viel mehr 
gebot dann die Vorſicht den Verfaſſern, ſich in den Briefen ſelbſt 
aller Aeußerungen zu enthalten, die zur Löſung des Räthiels 
hätten führen können! Wir dürfen deshalb nicht erwarten, daß 
die Perfonen der Verfaſſer in den Briefen mehr als die übrigen 
Humaniften hervorgehoben worden feien. — Eben fo wenig 
jedoch entiprach es der Abficht der Verfafler, fich felbft, ven Ort, 
wo fie gearbeitet, wenn Anderes eine Erwähnung desielben 
nöthig machte, vollftändig mit Stillfchweigen zu übergehen, wos 
durch geradezu Verdacht erregt worden wäre!). Diefe Borauss 
fegung beftätigen die Briefe wirklich. Weder der Univerfität 
Erfurt noch der mutianifchen Schule wird eine bejondere Auf- 
merkjamfeit gefchenft 2). Crotus und Petrejus, Hutten und 


ı) Bon Hutten deutet ed Behaim an, daß er ſich felbft in der derbfien 
Weite in den Epp. genannt habe, um dadurch allem Verdachte zu ent⸗ 
geben: „Et ille Huttenus, qui forte auctor est vel majoris partis. 
illius libelli, seu epistolarum, ipsemet se, ut scribit (sc. Fuchs) in- 
seruit; sibi ipsi obloquens, quasi sit truffator seu bestialis, ut ferte 
evitaret suspicionem auctoris.‘“ Heumann 1. c. p. 356. 

2) Aus Erfurt ift im erſten Buche (wie auch im zweiten) nur I Brief 
Datirt, dagegen aus Leipzig 6, aus Köln 3, aus Mainz 3, aus Wittenberg 
8, aus Nürnberg 2 u ſ. w. Nur einmal werden Mitglieder der mutiani- 
fhen Schule in größerer Anzahl zufammen genannt, nämlich in dem Briefe 
des Padormannus Fornacificis. Epp. Obsc. (Nũnch'ſche Ausg.) p. 142. 


— 2211 — 


Eoban werden — ohne den Hintergrund des mutianiſchen Bundes 
— blos als Mitglieder des allgemeinen großen humaniftifchen 
Bundes aufgeführt, ganz wie die Übrigen „Poeten.“ 

Irre ih mich nicht, fo enthalten demungeachtet die Briefe 
einige beftimmte Hinweifungen auf das nahe Berhältniß, in dem 
fie zu Erfurt und der mutianifchen Schule fanden. Es macht 
in der That einen befremdenven Eindrud, wenn an den wenigen 
Stellen, wo Erfurts gedacht wird, ſich zugleich die genauefte 
Kenntniß der erfurtifchen Zuftiende und Verhältnifie ausfpricht. 
- Der Berfaffer des aus Erfurt datirten Briefes im erften Buche 
macht jogar das Haus namhaft, in dem er gefchrieben!). In 
demfelben Schreiben wird des theologifchen Syſtems gedacht, 
welchem die Schelaflifer an der LUniverfität huldigten. Der 
aus Rom fchreibenne Magifter Eribelinioniatius weiß fogar, 
daß die theologifche Facultät ihe über Reuchlin’d Augenfpiegel 
abgegebenes Gutachten bereut ?). Und eine ähnliche Wahrneh- 
mung läßt ſich auch am mehreren Stellen bei der Erwähnung 
von Angehörigen des mutianifchen Kreifes machen. Da Mutian 
Ah nie dazu verftand, wie Reuchlin und Erasmus öffentlich 
als Schrififteller für die neue Richtung aufzutreten, fondern 
feine Wirkfamfeit für dieſelbe auf die perfönliche Anregung 
innerhalb feiner Schule beſchraͤnkte, fo Eonnte feine hohe Bedeu⸗ 
tung für die Sache des Humanismus nicht in der Weife von 
Männern, die außerhalb feines Kreiſes ftanden, zur Anerkennung 
gebracht werden, mie e8 in den Briefen gefchieht. Sicherlich 
fonnte nur ein Angehöriger der mutianiſchen Schule Mutian 
neben Erasmus und Reuchlin als eine der „Leuchten” Deutfch- 
lands aufftelen 2). Nur foldhe, die in die Geheimniffe feiner 


1) Ex Dracone 1. e. p. 140. Daß es, und zwar in der Nähe der 
Nniverfität, ein Haus Diefes Namens gab, zeigt noch heute der Name einer 
dort befindlichen Straße. 

?) Epp. Obsc. p. 233. 

2) Dies gefchieht in dem Briefe des Ad. Klingefor 1. c. p. 248. Mu: 
tian felbft proteftirt aus Befcheidenheit gegen dieſe Zufammenftellung. Tentel 
pP. 191 zu vergl. mit der M. B. F. fol. 265. 


— 9 — 


Schule eingeweiht waren, wußten, daß er unter allen Gegnern 
der Kölner „ver Schlimmſte“ war !). Wie dieſes auf das nahe 
Verhältniß der Verfaffer zu Mutian fchließen läßt, jo befunden 
diefe in anderer Weife auch eine ungewöhnliche Befanntfchaft 
innerhalb des, mutianifchen Kreifes. Unverkennbar tritt eine 
joldye hervor, wenn fogar untergeordnete Mitglieder desfelben 
namhaft gemacht werden, deren Name fchwerlich über Die 
Schranken der Schule hinausgedrungen war ?). 
| Es ift Schon der Verfuh gemacht worden, aus dem Stile, 
aus der verfchiedenartigen Auffafjung und Behandlung des 
Stoffes auf die Berfaffer der Satire zurüdzufchließen 3). Freilich 
ift ein ſolches Verfahren bei fchriftlichen Denfmälern diejer Art, 
deren Eigenthümlichfeit eben in dem Zurüdtreten der eigenen 
und der glüdlihen Nachahmung einer fremden Individualität 
befteht, nicht ohne Bedenken. Indeß felbft die gelungenfte Nach⸗ 
‚ ahmung des Fremden kann es nicht hindern, daß nicht auch noch 
die eigene Perjönlichkeit des PVerfaffers in mehr oder minder 
Iharf ausgeprägten Zügen Hinter der. fremden Maske wieder 
erkannt werde. Das zeigt fich auch bei unferer Satire. Nicht 


1) Als folchen bezeichnet ihn der Brief des Eocleariligneus, in bem es, 
nachdem eine Reihe humaniſtiſcher Eiferer aufgeführt ift. weiter heißt: 
„Et quidam Studens Erfordi, qui est mihi notus dixit, quod Conradus 
Mutianus est pessimus omnium illorum, qui sunt pro Reuchlin et est 
ita inimicus Theologis, quod non potest audire, quod aliquis nominat 
Theologos Colonienses et talis Studens dixit, quod vidit bene viginti 
Epistolas illius, in quibus ipse rogat quosdam socios, quod velint 
esse Reuchlinistae*‘ 1. c. p. 264. 

2) Wie der obfeure Ludovicus Miftotheus; p. 142. 1. c. Neben ihm 
werden noch genannt: Eoban Hefius, Henricus Urbanus, Ritius Euritins, 
Georg Spalatinus und Ulrich von Hutten, wie man flieht, die bedeutendften 
Schüler Mutian’s; nur Crotus und Petrejus find übergangen. Der Brief 
ift wohl von Crotus zur Zeit der Abwejenheit bes Petrejus verfaßt, wofür 
auch der Inhalt fpricht, vermuthlich vor der Mitte des J. 1515. bis wohin 
für Euric. Cordus noch der Name Ricius üblich war. Als Drt der Abs 
faffung ift Wittenberg angegeben. 

3) Bon Meiners: Lebensbefchreibungen berühmter Männer III, 92. 








— 23 — 


genug, daß in dem Stil, in der Behandlung des Stoffes wirk⸗ 
fih ein Unterfchied wahrgenommen wird: wir erfennen auch 
in ihm deutlich die Spuren der Mitwirkung der einzelnen Ber: 
faffer. Wie auffallend erinnern nicht jene Briefe, in denen es 
vorzugsweiſe auf die Berfpottung ſcholaſtiſcher Spibfindigfeit 
und mönchifcher Befchränktheit abgejehen ift, mit ihren fomifchen 
Wortdildungen und Etymologien, mit ihren gelungenen Rad): 
bildungen ſcholaſtiſcher Terminologien und Barbarismen an die 
eigenthümliche Geiftesrichtung und Yähigfeit des Erotus? !) 
Und wer erkennt nit in der rüdfichtslofen Darftelung ver 
angeblichen fittlihen Schwächen des Gegners, die das Charak- 
teriftifche einer andern Klaffe von Briefen bildet, in der Virtuos 
fität bei Ausmalung objevener Scenen, in jenen „Eurtifanen“, 
in dem frivolen Uebermuthe, der den Gegenſtand des Haſſes 
in den tiefften Koth hinabzieht, ven Charakter des leidenſchaft⸗ 
lichen, ungeffümen fränfifchen Ritter wieder, der auch an dieſer 
Stelle die Eigenfchaften nicht verläugnen fann, die ihn im Leben 
fennzeichnen? 2) Schon Meiners, der zuerft auf diefen Unter 
hied aufmerffam gemacht hat, legte Das Geſtändniß ab, daß 
manche Briefe dad Eigenthümliche der beiden berührten Claſſen 
in fih vereinigen, ohne jedoch diefe Exfcheinung genügend erflären 
zu können. Erflärlich wird fie durch die Theilnahme des Petrejug, 


— — 





1) Man vergl. 3. B. die Briefe p. 103 — 4, 119 — 21, 128 — 30, 140 
—43 x. Meiners J. co. fcheint geneigt, die Briefe, welche obfeoene Scenen 
Ihildern, ſaͤmmtlich auf Hutten zurädzuführen; allein auch Crotus mied 
das Obſcoene nicht, wie der zwifchen ihm und Mutian geführte Briefwechfel 
zeigt. Daß er als Geiftlicher in dieſer Hinficht immer noch mehr Nüdficht 
genommen als Hutten, ift zuzugeflehen. — Uebrigens erfieht man an einzelnen 
Stellen, 3. B. aus der genauen Bekanntſchaft mit den Ginzelheiten der 
Mefle (vgl. p. 97), daß unter den Berfaflern ein Geiſtlicher war. 

2) Das Eigenthümliche der Hutten’fchen Briefe tritt am meiften her⸗ 
vor in den Briefen des Magister Conradus de Zuiccavia. 1. c. p. 9I3— 
95; 100 - 2; 1182 — 14. Der unruhige Hutten wählte fi) vorzugsweife, 
feinem Charakter enifprechend, die Darftellung des Wandels der Gegner, 
Grotus, der Ruhige, die Lehrmethode. 


— MM — 


der, wie wir ſahen, die Eigenthuͤmlichkeiten ſeiner beiden Freunde 
in der auffallendſten Weiſe in ſeinem Charakter vereinigte. 

Doch wollen wir nicht in Abrede ſtellen, daß mit dem 
Gefagten das Charakteriſtiſche aller Briefe nicht erfchöpft iſt. 
Der Brief des Adolph Klingeſor zeichnet ſich vor allen übrigen 
durch feine theilweiſe ſehr ernſte Sprade und Haltung aus), 
Mehr zur Beluftigung dienend, als den Feind ſcharf verlegen 
ſchildern einige Briefe, gleichweit entfernt von der Leberfchmeng- 
Tichkeit ver Hutten’fchen Produete wie von der Feinheit der Satire 
des Crotus, in heiterer, gemüthlicher Weife die Freuden des 
Weines und des Mahles und fonflige fpaßhafte Auftritte, 
Man fühlt fich verfucht, in ihnen die Spuren der Mitthätigfert 
Eoban’s zu vermuthen, mit deſſen Eharafter eine foldhe Theil: 
nahme im fchönften Eimflange ftehen würde 2). 

Es fei fchließlich geftattet, auf einige allgemeinere Momente, 
die zur Beftätigung der von uns aufgeftellten Anſicht dienen, 
zurüdzufommen. Der Umftand, daß die Berfafler troß der ans 
geftrengteften Nachforfehungen felbft den Männern der eigenen 
Partei verborgen bleiben Fonnten®), hört auf zu befrempen, 
wenn man erfährt, daß jene nicht blos durch das allgemeine 
humaniftifhe Band zufammengehalten wurden, fondern einem 


1) 1. c. p. 248. Es ift eben der Brief, in welchem Mutian neben 
Reuchlin und Erasmus als eine der Leuchten Deutſchland's bezeichnet wird. 
Sollte hier vielleicht Urban, der Cifterzienfer, feinen Gefühlen für feinen 
Meifter Ausdruck verlichen haben? 

2) Es gehören dahin die Briefe p. 85 — 87; 131 — 2; 205 — 6; auch 
fann man den Brief des Eribelinioniatius p. 223 dahin rechnen, der eben 
die nämlihe Mittheilung über die Gefinnung der erfurtifchen Theologen 
enthält, die Eoban früher in dem Schreiben an Reuchlin gemacht hatte, — 
Da die angeführten Briefe theilmeife dem erften Buche angehören. fo müßte 
hienach alfo auch eine Theilnahme Eoban’s an dem eriten Buche ange: 
nommen werben. 

2) Biel zu wenig iſt dieſer Umſtand von jenen, die fich bisher mit ber 
Frage befchäftigt Haben, berücfichtigt worden. Keine der bisher aufgeftellten 
Anfichten über den Urfprung der Satire erklärt die Möglichkeit der Geheim⸗ 
haltung der Verfaſſer. 





m — 


Bunde angehörten, in deffen geheime Thaͤtigkeit keinem Unein⸗ 
geweihten ein Blick geftattet war. “Die ungewöhnlichen Kennt⸗ 
niffe, welche dem. Oberhaupte des Bundes zu Gebote ftanden, 
die Erfahrungen, welche vie Mitgliever desfelben auf ihren 
poetifchen Irrfahrten gewonnen, erfläten die ausgedehnte und 
genaue Kenntniß von den Einzelheiten des großen Kampfes, 
welche die Satire bekundet. Die in dem Bunde berrfchende 
Gefinnung findet in den Briefen ihren wahrften Ausdruck. 
Undegrenzte Ehrfurcht für Reuchlin, maßlofer Haß gegen die 
Kölner, ‚getragen von einer durch und durch ſatiriſchen Stim⸗ 
mung, bilden die charakteriftifchen Merkmale aller Angehörigen 
besfelben und befähigten fie zu dem Unternehmen, welches der 
kölniſchen Bartei Die tödtliche Wunde beibrachte, 


RX. 


Und fo ſchien denn durch die Briefe der Dunkelmänner 
doch das alte prophetiiche Sprüchwort Erfordia Praga, welches 
die übrigen deutfchen Univerfitäten immer mit Mißtrauen gegen 
ihre thüringifche Schwefter erfüllt hatte, in gewiffem Sinne zur 
Wahrheit geworden zu fein. Das Unternehmen, wodurch der 
alten Herrfchaft der Schulen für immer ein Ende gemacht wurde, 
fnüpfte ſich an die Wirkfamfeit der Univerfität Erfurt. Bon 
ihren Zöglingen wurde e8 ausgeführt, in ihren Hörfälen wurde 
an der Vollendung desjelben gearbeitet, e8 kam zu Stande unter 
der Vermittelung eined Mannes, der eine Reihe von Jahren 
den Mittelpunft im geiftigen Leben der Univerfität gebilvet hatte. 

Merkwürdige Wendung der Dinge! Zu verjelben Zeit 
und unter denfelben Umftänden in’d Dafein getreten, hatten 
ehedem die Iniverfitäten Köln und Erfurt faft ein halbes Jahr: 
hundert ſich als treue Bunvesgenoffen, diefelben Intereffen ver- 
fechtend, zur Seite geftanden ). Gerade ein Jahrhundert war 


1) Es erfcheint faſt wie eine Reminiscenz an- jene früheren Zeiten und 
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. 45 


— U — 


feit jener Synode von Conſtanz verfloffen, die fie in Der größten 
Eintracht zeigte, ald von Angehörigen der einen der verderbliche 
Schlag gegen die andere ausgeführt wurde. Maßlofigfeiten 
auf des einen Seite hatten noch aröbene Maßloſigkeiten auf 
der andern hervorgerufen. 


— 


— — ——— — — — — 


Drittes Capitel. Einfluß des Erasmus. Ber Eoban'ſche 
Bichterbund, 


„Accepture pii venerabile nomen Erasmi 
Castior a nequam siste libelle jocis.““ 
Euricius Cordus. 


L 


Unter den Stürmen des reuchlinifchen Kampfes ließ es 
fi an, als würde die humaniftifche Bewegung nur in der 
volftändigen Vernichtung der alten Schulen und aller Inftitute, 
die unter dem Einfluß der Scholaftif zu Stande gefommen, ihr 
Ziel finden. Auf den Trümmern des Alten fchien der neue 
Geift feine Herrfchaft gründen zu wollen. Zugeftändnifje, welche 
man den Neuerern hier und da gemacht hatte, blieben fruchtlos 
und dienten nur dazu, die Anfprüche derfelben zu fleigern. Die 
Duldfamkeit, die man in Erfurt gegen fie bewiefen hatte, war 
mit fchnödem Undanf vergolten worden; gerade von da ging 
das Unternehmen aus, weldhes der Scholaſtik die empfindlichſte 
Wunde beibrachte. 


— — 





die ehemalige Richtung, wenn die fölner Theologen den Papſt mit einem 
Schiema bedrohten, für den Fall, daß er in der reuchlinifchen Angelegenheit 
nicht günftig für fie entfcheide; vgl. IM. vir. epp. ad J. Reuchl. x 4 b. 
— Jedoch darf nicht vergeflen werden, daß wir jene Nachricht blos Hermann 
van dem Buche verdanken. 








— Mm — 


Aber eben die Maßloſigkeiten, zu denen jener Kampf führte, 
hatten zur Folge, daß friedlichere Naturen, in dem Beifall, den 
ſie bisher den Beſtrebungen der Poeten gezollt hatten, kühler 
wurden. Maͤnner, die noch irgendwelche Achtung vor dem 
Herkommen hatten, fingen an, in ruhigere Bahnen einzulenken. 
Als der vorzüglichfte Repräfentant dieſer erfcheint Erasmus 
von Rotterdam. Man darf gewiß nicht behaupten, daß bie 
Wirkſamkeit diefes Gelehrten von Anfang an in einem folchen 
Lichte erfcheine. Schon feit frühefter Jugend mit dem Kloſter⸗ 
und Studienwefen feiner Zeit im Widerfpruch, hatte er dem⸗ 
felden wiederholt feine Abneigung in fehr verletzender Weile 
fühlbar gemacht. Schwerlich hat vor dem Erfcheinen der Briefe 
der Dunfelmänner eine Schrift dem Anfehen der Scholaſtiker 
mehr gefchadet, als das „Lob der Thorheit” des Erasmus), 
Aber von Natur vor allem Weberfchwenglichen zurüdbebend 
hatte ex doch nie fo ganz in die leidenfchaftliche Sprache feiner 
Parteigenofien eingeftimmt, dad Aeußerfte immer vermieden. 
Ueber die Briefe der Dunfelmänner ſprach er nach anfänglichem 
kurzen Beifall feine Mißbilligung aus 2). An dem reuchlinifchen 
Streite nahm er verhältnißmäßig nur geringen Antheil. So 
ſehr er auch Reuchlin's Gegner verabjcheute, fo konnte ex ſich 
doch auch nicht mit dem Ungeftümen der „Reuchliniften“ befreuns 
den. Ein jo plößlicher und gewaltſamer Bruch mit der bie- 
herigen Entwidelung, wie ihn jene beabfichtigten, Tag nicht in 
feinem Plane, Nicht plöglich, — dahin ging feine Anfiht — 
fondern almählig follten die neuen Wiffenichaften eingeführt 
werden, nicht um die alten zu verdrängen, fondern vielmehr um 
fe zu fäutern und zu reinigen; nicht zerflören jolle man des⸗ 
halb die alten Bildungsanftalten, fondern mit Benupung ber 
neuen wiffenfchaftlichen Ideen zeitgemäß umgeftalten. Rur fo, 


— — —— 


i) Bon dem Mogıag Eyanouıov find noch bei Lebzeiten des Verfaſſers 
37 Anflagen erfchienen. 
2) Spongia Erasmi bei Muͤnch 1. c. IV. 483. 
15* 


— 228 — 


ließ er ſich vernehmen, würden die neuen Wiſſenſchaften mit 
Recht den Ramen der „guten” führen. — Erft allmählig hat ſich 
diefe Anficht bei Erasmus ausgebildet, fie befeftigte fih unter 
Einwirkung der Begebenheiten des reuchlinifchen Kampfes, erft 
nach. diefem hat ex fie in feinen Schriften öffentlih und Tlar 
auägefprochen ?). 

Erinnern wir ung, daß man in Erfurt vor der Einwirfung 
Mutian’d ähnliche Tendenzen verfolgte. Auch hier ſchwebte der 
Gedanfe einer Durchdringung und Berfchmelzung beider Bil- 
dungselemente den Einfichtsvolleren vor, wenn fie auch bei 
weitem noch nicht zu fo entfchiedener Anerkennung der neuen 
Ideen vorgefchritten waren. Erasmus ſprach eben das aug, 
wohin die Entwidelung in Erfurt, wenn fie ungeftört hätte 
ihren Fortgang nehmen fönnen, von felbft geführt haben würde. 

Entfprechend diefer geiftigen Berwandtfchaft war das Außere 
Berhältnig, in welches Erasmus bald zu der Univerfität Erfurt 
treten ſollte. 


IL 


Wie nach dem Gewitter die Luft, fo fohien nach Entfen- 
dung jener bligartig wirkenden Satire die geiftige Atmosphäre, 
in der ſich der erfurtifche Gelehrtenfreis bewegt, gereinigt, Der 
bie ganze Reihe von Jahren angefammelte Zündftoff war ver- 
braucht, jene unheimlihe Stimmung verſchwand, freundlichere 
Seiten ſollten folgen. 


1) Dal. namentlich Die Aeußerung in Epp. Erasmi p. 447, Baſeler 
Ausgabe, (Opp. Erasm. ed. Bas. T. III), auf die ich mich immer beziehe, 
da fie die Gorrefpondenz des Erasmus mit den Erfurtern fo vollftändig als 
die übrigen Ausgaben enthält. — Charakteriſtiſch ift auch folgende, etwas 
fpätere Aeußerung: „Tum demum erunt id quod dicuntur, hoc est 
bonae literae, si nos reddant meliores, si serviant gloriae Christi. 
Neque enim in hoc revocatae sunt in scholas, ut pristiaas disciplinas 
ejiciant, sed ut illae purius et commodius (radantur.‘“ Erasmi Spongia 
bei Münch 1. e. IV. 487. 

















— 229 — 


Manches vereinte ſich, um dieſe merfwürdige Veraͤnderung 
herbeizuführen. Mutian's Groll gegen die Scholaſtik war durch 
jenes Unternehmen befriedigt; er entließ feine „Soldaten“; fie 
hatten ausgedient, da fie jenen Feldzug unternommen, der ihm 
bei allen feinen Ermahnungen daß lebte Ziel geweſen war. 
Crotus, der hauptfächlichfte Repräfentant jener bittern fatirifchen 
Stimmung, verließ Erfurt im Anfang des 9. 1517, um die 
längft beabfichtigte Reife nach Italien anzutreten. Dahin war 
ihm, ſchon zum zweiten Mal, der unruhige Hutten voraus 
gegangen. Längere Zeit hörte man von diefem in Erfurt Nichte. 
Unter den Zurüdgebliebenen nahm unbeftritten Eoban, ver 
Dichter „der Heroiden“ ?), den anfehnlichften Rang ein. Schon 
weithin war damals fein Ruhm verbreitet. Reuchlin hatte ihn 
als den König unter den Dichtern bezeichnet ?). „Diefer ift es, 
den ganz Deutjchland hochfchäten muß,” rief Beatus Rhenanus 
aus, als er feine Heroiden gelefen hatte?). Als der chriftliche 
Ovid, ald der erfte Dichter Deutfchlande wurde er gepriefen. 

Eben Eoban trat an die Spige der neuen Entwidelung. 
Nicht als wenn er diefe Stellung felbft gefucht hätte Auch 
befaß er in feiner Perfönlichkeit eigentlich Nichts, was ihn zum 
Bildner und Förderer literarifcher Kräfte vorzugsweife geeignet 
hätte. Man orpnete fih ihm freiwillig unter. Die Aelteren 
übertrugen, nachdem Mutian ſich zurüdgezogen, einftimmig auf 
ihn, als den Talentvoliften, die Hegemonie. Die Jüngeren 
fühlten fi unmwillführlich zu dem Dichter hingezogen, den die 
erſten Gelehrten feiner Zeit mit jo großer Auszeichnung behan- 
delten. Eoban wurde fo das freiwillig gewählte Oberhaupt 
eined neuen Humaniftenbundes: Mutian’s Anfehen und Eins 


— — — — 


!) Heroidum christianarum epistolae; opus Novitium nuper aedi- 
tum. Lips. 1314. 4%. Sowohl für das Dichtertalent, als für die Geſinnung 
Eoban's legen diefe Gedichte ein fchönes Zeugniß ab. 

2) Eob. Farr. I, 326 b. 

®) Bob. et amic. epp. fam. V. 389, 


fluß ging auf ihn über, Zwar wurde Erfurt nicht wieder der 
Sit einer fo bedeutend eingreifenden literärifchen Macht, wie 
vordem, dennoh war die Wichtigkeit, welche e8 jebt für den 
Fortgang der allgemeinen Entwidelung gewann, nicht viel 
geringer, und rußmvoller war fie jedenfalls. 

Es war beveutfam für die Haltung diefes neuen Bundes, 
daß Eoban feit dem Jahre 1516 das Amt eines öffentlichen 
Lehrers an der Univerſität beffeivete!). Schon dadurch mußte 
fih das Berhältniß der Neuerer zur Univerfität freundlicher 
geftalten, ald ed zu Mutian’s Zeiten gewefen war. Bon nod 
wichtigerem Einfluß wurde in diefer Hinficht Eoban’s Perſön⸗ 
lichkeit jelbft. Wie er fih am längften jener Bitterfeit, vie 
Mutian’s Süngerfihaft charakterifirte, erwehrt hatte, und wie 
fie feinem Charakter am wenigften entfprach, fo hat auch er 
fih zuerft von ihr losgemadt. Sein alter Frohſinn kehrte 
wieder, als er dem verhängnißvollen Verkehr mit Crotus und 
Hutten entrüdt war. Jenen machte er auch in feiner neuen 
Stellung geltend. In Eoban's „Reiche* Fonnte die Bitterfeit 
und Leidenfchaftlichkeit, welche Mutian’d Umgebung beherrfcht 
hatte, nicht auffommen ?). Eine ruhigere und frieblichere Bes 
tradhtung der Dinge gewann unter ihm die Oberhand. Der 
ehedem fo ehrenvolle Barteiname „Reuchlinift” wurde nur noch 
felten gehört, erinnerte er ja an die Maßlofigkeiten, zu denen 
man fih in leidenfchaftlicher Erregtheit hatte fortreißen laffen. 
Aus Reudliniften wurden begeifterte „Erasmianer.” 

An den Namen des Erasmus Fnüpft ſich die ganze Thaͤ⸗ 
tigkeit des eobanifchen Bundes 3). 


i) Bergl. feine Oratio de instaur studiorum bei Motſchmann. Fünfte 
Fortſ. p. 614. 

2) Schen die Namen Chorus Eobani, Regnum Eobanicum, Soda- 
litas, Sodalitium find dafür bezeichuend. 

2) Für diefe Zeit ift Camerarius, der felbit dem Regnum Eobanicum 
angehörte, Hauptquelle. Durch die herrliche Darftellung. die er von Eoban's 
Leben gibt, Hat er den fchönften Kranz um das Haupt feines Freundes und 





— 1 — 


I. 


Wenn Erasmus jich zuweilen über die allzu häufigen und 
wudringlichen Beweife der Anerkennung, die ihm von feinen Zeits 
genoſſen gebracht wurden, beklagt, jo fcheint diefe Klage in der 
hat in Beziehung auf die Hnldigungen, die er von feinen 
Berehrern in Erfurt empfing, nicht ohne Grund. 

Schon Wutian hatte die Seinigen auf die Leiftungen des 
gelehrten Niederländer aufmerkfam gemacht. Indeß bei den 
Abſichten, weldye der gothaiſche Canonicus verfolgte, werden 
wir es erklärlich finden, daß Erasmus damals noch nicht zu 
dauerndem Einfluß gelangte. Diefen gewann er erft da, als 
Mutian die Führerfchaft aufgegeben hatte und der friedlicher 
gefinnte Eoban an feine Stelle trat. Um diefelbe Zeit war eg, 
daß Erasmus feine bisherige Stellung in England mit der 
eines Rathes des jungen Fönigs.Karl von Spanien vertaufchte 
und feinen bleibenden Aufentbalt in den Niederlanden nahm, 
wodurd ohnehin fein Einfluß auf Deutjchland ein größerer 
wurde. In der That ‚waren die fchriftftellexifchen Leiftungen 
bed Erasmus viel mehr dazu geeignet, ihrem Berfaffer Ruhm, 
Einfluß und Anfehen zu verfchaffen, als Reuchlin's Schriften. 
Durch feine Adagien, Barabeln und Apophthegmen machte er 
gleihfam die ganze Weisheit der Alten zum geiftigen Gemein⸗ 
gut feiner Zeit. Wen hätten nicht die glanzvolle Diction, der 
tebnerifche Schmud der Alten, den Keiner fo gefchidt anzu 


— — — — — 


zugleich um das eigene gewunden. Er ſelbſt verweilte noch in fpäteren 
Jahren mit Vorliebe bei der Erinnerung an ſeinen Aufenthalt in @Erfugt, 
an die treuen Freunde, die er dort gefunden, an das rege wiflenfchaftliche 
Leben daſelbſt u. ſ. w. Vgl. namenilich die Einleitung zu Lib. tert. epp. 
— Uebrigens ift das früher über feine Glaubwürdigkeit Geſagte nicht außer 
Acht zu laſſen. — Manche feiner erwähnten Irrthümer entfpringen daher, 
daß er Berhältnifle, Die ex bei feiner Auweſenheit in Erfurt vorfand, auch 
auf die frühere Zeit übertrug. ° 


— 3 — 


wenden verftand, als ex, anfprechen follen? Seine Schriften 
brauchten nur gefannt zu werden, um ihres Beifalld ficher zu 
fein. Das zeigt auch die Aufnahme, die fie in dem erfurtifchen 
reife fanden. „Ich war fofort der Deinige,” fehrieb Spalatin 
1517 an Erasmus, „fobald ich Deine Schriften gefehen hatte“ 1). 
Man konnte die eigene Verblendung nicht begreifen, daß man 
fo lange jene „Eoftbare Perle” überjehen hatte. Alles, was fonft 
von den Vertretern der neuen Richtung geleiftet worden war, trat 
gegen die Werfe des Erasmus in Schatten. Als die Sonne, „die 
alles Dunkel mit ihren Strahlen erhellt,“ wurde er gepriefen 2). 
Ramentlih war Eoban von dem Lobe des Erasmus voll. 

Bei diefer Bewunderung, die man dem großen Gelehrten 
aus der Ferne zollte, blieb man nicht lange fliehen. Wan 
mußte den Berehrten von Angefiht zu Angeficht kennen lernen. 
Eoban ging mit feinem Beifpiele vor. Im Sahre 1518 unter: 
nahm er in Begleitung des Berter zu Fuße die lange 
mühevolle Reife nach den Niederlanden. In einer zierlichen 
poetifchen Epiftel begrüßte er den gefeierten Lehrer. „Schon 
längft warft Du mir wie ein göttliche Weſen,“ redete er ihn 
an, „fo ſehr feffelten mich Deine Schriften, die Dir den Ruhm 
der Unfterblichfeit fichern werden“ 3). Eine nur kurze Unter- 
redung mit dem Verehrten war der Lohn der mühevollen Pilger 
fahrt %). Aber auch fo hielt Eoban feine Mühen für reichlich 





1) Epp. Erasmi p. 391. 
2) ,„,Nulla isti scintilla potest dare lumina soli, 
Omnia qui radiis lustrat opaca suis.“ 

Cordi Opp. 133. 

s) Ad Desyderium Erasmum BRoterodamum KEpistola Lovasü 
scripta in Kob. Parr. I, 233 b. 

+) Brasmus erwähnt felbit, daß die Aufnahme des Coban wohl nicht 
den Mühen der Reife entiprochen Habe. „Allud incommode, ofendit me 
Eobanus et aegrotum et occupatissimum. Alioqui mihil unquam vidi 
libentius, &® gQılas uovoaı, qui carminum fluxus? quae vena? quae 
felicitas? — Felicem Germaniam sed praecipue Erphurdiam, si mode 
novit sua bona.‘‘ ad Mut. — Eob. et amic. epp. fam. p. 336. 


— 1 — 


belohnt. Das ungewöhnliche Lob, welches er Erasmus nach 
feiner Ruͤckkehr jpendete, erwedte bei Allen das Verlangen, ihn 
zu fehen '). Im diefer Abſicht unternahmen einige Zeit fpäter 
der junge Inſtus Jonas und Schalbus viefelbe Wallfahrt. Nie 
iR wohl die Verehrung für Erasmus weiter getrieben worden, 
als in jenem Schreiben, wodurch ihn Schalbus von ihrer Ans 
kunft in Kenntniß febt. „Durch fo viele Wälder,” beginnt er, 
„durch fo viele von anftedenden Krankheiten heimgefuchte Städte, 
find wir, Erasmus, zu Dir vorgedrumgen, Jonas und ich, und, 
guter Gott, wie find wir zur glüdlichen Stunde angelangt! 
So wenig reuete und der lange und befchwerliche Weg, daß 
wir uns auf der Reife, ungewiß, wo Du, die einzige Perle 
des chriftlichen Erdkreiſes, verborgen feieft, durch einen heiligen 
Schwur verpflichteten, Dich aufzufuchen, ſei e8 auch an den 
äußerften Grenzen Indiens, oder in dem entlegenen Thule, wie 
viel mehr in den Niederlanden oder in Frankreich!“?) Er 
erſchoͤpft alle Ausprüde der Verehrung — und wozu? Bloß 
um eined kurzen Antwortfchreibens gewürdigt zu werden, das 
ihnen als koſtbare Reliquie dienen fol ®). 

Noch Mehrere entfchloffen ſich nach ihnen zu jener mühe- 
vollen Wanderung, um in ähnlicher Weife dem großen Meifter 
ihre Huldigung darzubringen. Andere, wie Cordus und Cera⸗ 
tinus, thaten dies fchriftlich. Alle wetteiferten in den Aus: 


—— 





1) „Tam autem honorifici tunc fuere sermones Eobani de Erasmo, 
tam plena praedicatio tanta amplificatio virtutis illius, ut nullius non 
animus cupiditate visendi Erasmi incenderetur.“ Camerarius Narr. 
de Eob. 

2) Epp. Erasm. p. 245 d. d. Bruxell. 5 Cal. Jun. 1519. 

°) „Dispeream enim, si a te etiam si baculo mineris abigere, 
avelli possimus, nist habeamus quod te nobis in itinere jam et ınaxime 
quum in istam nimis longinquam regionem nostram redierimus prae- 
sentem referat. Quid multis verbis hic explicem, quanti hanc pro- 
fectionem nostram faciam? Ut me Dous amet, nollem eam mihi decem 
Pactolis aut solidis auri moutibus commutatam. Vale magae Erasme 
et dignare nobis (ut dia etiam expectandus sis) solwm rescribere.‘1.c. 


— 234 — 


drücken der Bewunderung und Anerkennung. „Man klatſchte 
ihm Beifall, wie einem gelehrten und kuͤnſtleriſchen Schau⸗ 
ſpieler auf der Bühne der Wiſſenſchaften. Jeder, der nicht 
für einen Fremdling im Reiche der Muſen gehalten werden 
wollte, bewunderte, verherrlichte, lobte ihn. Man pries das 
Zeitalter glüdlih. Wenn Jemand einen Brief von Erasmus 
herausloden Eonnte, fo war fein Ruhm ungeheuer und großer 
Triumph wurde dann gefeiert. Wenn aber Jemand das Glüd 
einer perfünlichen Zufammenfunft und Unterredung mit Eras 
muß hatte, dann hielt er ſich für jelig auf Erden“ 1). 


IV. 


Bon diefer Begeifterung für Erasmus getragen war dad 
neue wiflenfchaftliche Leben, welches fich in Erfurt entfaltete, 
Erasmus jelbft hatte feinen enthuftaftifchen Verehrern ſchon 
frühzeitig angedeutet, daß fie ihm die befte Huldigung durch 


das Studium feiner Schriften darbringen würden. „Den bein 
Theil von Erasmus Fannft Du täglich in feinen Schriften ſehen,“ 


antwortete er dem Schalbus auf jened ungeftüme Schreiben ?). 
Solcher Hinweifungen bedurfte ed indeß nicht. Es war in 
Erfurt eine ausgemachte Sache, daß in den Werfen des Eras⸗ 
mus alle Weisheit der Alten und Neuen niedergelegt fei, daß 
man in ihnen das vorzüglichfte Bildungsmittel habe. Nirgends 
find fie eifriger ftudirt worden, als von Eoban und feinen 
Genofien. Daß es dabei zu Einfeitigkeiten und Uebertreibungen 
fam, wird nicht befremden. Indem man durch Erasmus mit 
den verfchiedenften Autoren des Alterthums befannt wurde, 
fühlte fich der Eine mehr durch diefen, der Andere mehr durch 





I) Camerarius Narr. de Eob. B 6 b. 
2) „Optimam Erasmi partem in libris videre licet queties libet-“ 
Epp. Erasm. p. 346. 


— 238 — 


jenen angezogen). Dem Einen gefiel Livius, dem Andern 
Proper, einem Dritten Ovid. Jeder wählte ſich einen Lieb- 
Iingsautor, den er ſich vorzugsweife zum Mufter nahm. Es 
kam wohl vor, daß man fich dazu gerade die obfeureften Schrift- 
Keller auserfah, ein Fehler, gegen den namentlich ver claffifch 
gebildete Petrejus eiferte?). Dadurch wurde bald ein reger 
Wetteifer zwiſchen den Einzelnen hervorgerufen, denn Jeder 
juchte die Vorzlige feines Autors zur Anerkennung zu bringen. 
Aber ed Tag in diefer Eiferfucht, wie Camerarius berichtet, 
nichts Gehäfftges, „der Eine wollte num gelehrter ſcheinen ale 
der Andere.” Der Thätigfte war natürlich Eoban, „der König.“ 
Tiefere claffifche Bildung ſchützte ihn vor jenen Einfeitigfeiten. 
Seine mit „treuem und höchftem Fleiß” gehaltenen Borlefungen 
über Birgil, Quintilian, Livius und Eurtius verdunfelten alles 
Üebrige 3). — Ihren Ruhm aber feßten Alle darein, Dichter zu 
fein. Schon wagten es Einige, Goban ſelbſt und der früh mit 
ihm um den Borrang ftreitende Euricius Cordus, von den 
leihtern Herametern und Bentametern zu den fchwierigern 
horaziſchen Versmaßen überzugehen. Ihr Beifpiel fand Beifall, 
dald Nachahmung. Beſonders anregend wirkten die pramatifchen 
Aufführungen claffifcher Schaufpiele, die man veranftaltete *). 
Draconites und Noffenus erregten durch das ungewöhnliche 
Zalent, welches fie dabei entwidelten, allgemeine Bewunderung. 
Der junge Jacob Moltzer aus Straßburg, der feit dem Jahre 
1517 Eoban's Genofienfchaft angehörte, empfing fogar wegen 
der Geſchicklichkeit, mit der er die Rolle des Micyllus in einem 





') Bergl. Darüber namentlich bie Ginleitung zu dem Alt. libell. A 4a. 

2) Alt. libell. epp. A 4 b. 

») Der Ehronift Lauze, welcher damals in Erfurt ſtudirte und Coban's 
Borlefungen beimohnte, rühant nech fpäter feinen Eifer. „An welchem ort 
Ih etliche. Bucher Quinetiliani von Ime gehoret, wollte Gott mit fo groſſem 
aub, als mit trewen vnd höchſten vleis ex dieſelben offentlich verlefen.“ 
Lauze's Chronit 1. c. p. 433. 

) Bol. darüber Rob. et amice. epp. fam. p. 354; Alterlib. K6b u.a. 


— 286 — 


lucianiſchen Dialoge ſpielte, von ſeinen Freunden den Namen 
feines Helden. Er wurde. fortan nur Micyllus genannt 
und ift auch unter diefem Namen berühmt geworben !). Den 
Aufwand zu folchen claſſiſchen Vorſtellungen beftritt Georg 
Sturz, der Maecenad der eobanifchen Genofjenfchaft, der den 
größten Theil feines anſehnlichen Vermögens poetischen Jeden 
widmete. Zum Danf dafür erhielt er bald den clafftfcheren 
Namen Sturciades. Auch fuchte man jebt das feit Marfchalf? 
Zeiten faſt gänzlich vernadhläffigte Studium der griechiſchen 
Sprache wieder neu zu beleben. Borzugsweife thätig in dieſen 
Sinne waren Petrejus und Lange, die als Schüler Marſchalks 
im Befig einer gründlichen Kenntniß der griechifchen. Literatur 
waren. Ihnen fchloß ſich Eoban an?). Einen eifrigen Be 
förderer ihres Planes erhielten fie in dem jungen Joachim 
Gamerarius 3), der im Sommer 1518 von Leipzig, wo er von 
Erocus, Mebler und Mofellanus in das Studium der griechi⸗ 
ſchen Literatur eingeführt worden war, nach Erfurt Fam, um 
hier feine wifjenfchaftliche Ausbildung zu vollenden. Camerarius 
war mit ganzer Seele den neuen Studien ergeben. Bei einem 
in Leipzig entflandenen Aufruhr. hatte er zuerft feinen Herodot 
in Sicherheit gebracht: das Webrige machte ihm wenig Sorge *). 
Wie willlommen erſchien ein folcher Verehrer der Alten den Er 
furtern! Der Ruhm feiner griechifchen Kenntniffe war ihm bereits 
vorausgeeilt und verfchaffte ihm die ehrenvollfte Aufnahme). 


ı) Camerarius Narrat. de vita Melanchthonis ed. Strobel p. 350. 
Haug Jacobus Micyllus Heidelberg 1848. p. 6. Micyllus war 1503 geboren. 

2) Bol. Alt. libell. epp. C 5a. Eoban erkundigt fich bei Lange über 
das Digamma Xeolicum. 

3) Geb. zu Bamberg 1500. Er hieß urſprünglich Rammermeifter. 

*) Adami Vitae philosophorum p. 239. 

5) „„Hanc famam cum attulissem mecum Erphordiam, qui concursus 
ad me adolescentum optimorum complurium factus quaque benevo- 
lentia me plerique omnes complexi sint, tu optime nosti, Adame eve.“ 
in der an Erato gerichteten ini. zu der Narr. de Kob. Seine Ankunft 
fiel in die Zeit, als Eoban feine gelehrte Pilgerfahrt in die Niederlande 








— 31 — . 


Seiner Jugend ungeachtet trat ex ſchon in Kurzem auf die 
Bitten feiner neuen Freunde öffentlich ald Lehrer der geiechifchen 
Literatur auf, die jeßt einen dauernden Platz unter den öffent- 
lichen Unterrichtsgegenfländen an der Univerfität erhielt. 
Diefe ehrenvolle Aufnahme des Camerarius ift überhaupt 
bezeichnend für den Geift, der damals in Erfurt herrſchte. Man 
verehrte und fchägte das Gute, wo man es fand, man gefland 
bereitwillig dem Weberlegenen den Vorrang zu, Feine Gelegens 
heit zu lernen wurde vernachläffigt. Wo aber zeigt fich noch 
eine Spur von dem Ungeflüm der frühern Poeten? Friedliche 
Verehrer der Dufen, fern von der Leidenfchaft und dem Dünfel 
der „Reuchliniften” hatten fich unter Eoban's mildem Scepter 
zuſammengefunden?). Die Summe ihres Ehrgeizes befand 
darin, würdige Verehrer des großen Erasmus zu fein. Nach 
feinem Ramen benannten fie ihren Bund ?), fein Anfehen war 


— — — — — — 


machte. — Die Aufnahme, welche Camerarius fand, erweckte noch in ſpaͤ⸗ 
teren Jahren bei ihm die angenehmſten Erinnerungen. „Repetens recor- 
dationem aAdolescentiae et ejus temporis, quo Erphordiam profecti 
inciperemus ad uberiorem copiam Ingenii et doctrinae aspirare et utili- 
tatem opt. disciplinarum atque artium paulo clarius perspicere, inore- 
aibili aficior voluptate et suavissime acquiesco in cogitatione ejus 
consuetudinis, quae mihi fuit cum opt. et eruditissimis tam juvenibus 
quam viris atque etiam senibus aetatis illius.‘“ Lib. alt. Praef. A2b. 
— Beder Wittenberg noch Leipzig hat bei Camerarius fo angenehme Er: 
innerungen zurüdgelafien. — 

12) Folgende anmuthige Schilderung des Camerarius möge hier eine Stelle 
finden: „Fuit enim tum mos profecto optimus et humanissimus et huic 
quo nunc vivitur dissimillimus: candor eximius in tribuendo cuique 
quod illi deberetur: summa reverentia eorum, qui virtute et doctrina 
praestare crederentur: mira facilitas ad reconciliationem gratiae, si 
quid forte simultatum incidisset: in consuetudinis et familiaritatis usu 
nihil fucatum aut exulceratum; discendi quod ignoraretur inflammati 
studio animi et nullus in confitendo pudor, nullum persequendi occa- 
siones taedium, neque fastidium audiendi, inprimis autem parata bene 
meritis grati animi. memoria.‘‘ Narr. de Eob. A 4 b. 


?) Sodalitas Erasmici nominis studiosa. 


— 238 — 


für Alles entſcheidend, ſogar für das Berufsfach des Einzelnen!). 
Eoban kam bei jeder Gelegenheit auf die unübertrefflichen Tu 
genden ihres erhabenen Patrons zurüd, Da fand ſich faum 
noch Einer, der den frühern maßlofen Angriffen gegen bie 
„Sophiften” das Wort redete. Forderte ja Erasmus in allen 
feinen Briefen zur Mäßigung auf. „Wenn Du auf meinen 
Rath hören willſt“, fehrieb er an Eordus, dann verwende mehr 
Fleiß auf die Ausbreitung der fchönen Wiffenichaften, als auf 
die Bekämpfung ihrer Widerfacher” 2). 

Eden Eordus war e8 auch, der allein einer folchen Ex 
mahnung bedurfte. Er ſchien fich jekt von dem Borwurfe einer 
fräflicden Hinneigung zu den Sophiften, den ihm Mutian einfl 
gemacht, reinigen zu wollen. Seine bittern, zum großen Theil 
gegen die Sophiften gerichteten Epigramme aus viefer Zeit 
bilden in der That einen unerfreulichen Gegenſatz zu der fried⸗ 
lihen und harmlofen Haltung feiner Genoffen 3), und nicht zu 
verwundern ift e8, wenn die Meiften fi von ihm zurüdzogen *). 
Die Zeit des Kampfes, wo ein Hutten und Crotus den Ton 
angaben, war vorüber, Ya Erotus felbft ſcheint fich mit dieſer 
neuen Wendung befreundet zu haben. Wenigftens unterhielt 
er auch von Italien aus einen lebhaften Briefwechſel mit meh 


1) Jonas vertaufchte auf Erasmus’ Rath das Studium ber Rechis⸗ 
wiffenfchaft mit ber Theologie. Kpp. Er. p. 2333. 
?) Erasm. epp. p. 236. Lovan. 15. Cal. Maj. 1519. 
a) Die beiden erften Bücher feiner Epigramme erfchienen ſchon 1517; 
manche derfelben find fehr gelungen, 3. B.: 
„Barbara, Celarent didicere docentque Sophistae 
Hoc ego non studium judico Vere malum. 
Barbara celarent tantum super omnia vellem 
Quantum Castaliae sum sitibundus aquae.“ 
Opp. Cordi 1380. — Auch gegen Mitglieder des eobanifchen Kreifes aigie 
er ſeinen epigrammatiſchen Stachel. 
*) Er ſelbſt klagt darüber in einer Elegie an Hacus. — Sogar Be 
merarius, der ſonſt fo gern zum Lobe feiner erfurtiſchen Freunde bereit iR, 
äußert ſich mißbilligend über Cordus. Narr. de Bob. B 4 a. 








_ 9 — 


reren Gliedern des Boban’schen Bundes, und mit dem größten 
Beifall wurden feine Briefe von diefen aufgenommen !). Nicht 
jo ſchmiegſam zeigte fih Hatten. Ihm war der Kampf Ber 
bürfniß geworden: eher brach er mit feinen alten Freunden, 
als dag er jenem entfagt hätte. Entrüftet über den unerwar⸗ 
teten Wechſel der Dinge in Erfurt wandte er fih 1519 in 
mehreren heftigen Schreiben an &oban, dem er die ganze Schuld 
davon beimaß und machte ihm bie bitterfien Borwürfe wegen 
der Unthätigfeit, der er nach fo viel verfprechenden Anfängen 
verfallen. Mit Hinweifung auf ihre frühere gemeinfchaftliche 
Thätigkeit forderte er ihn und Petrejus auf, von neuem den 
Sampfplap zu betreten und ihr Talent der guten Sache zu 
widmen 2). 

Aber um diefe Zeit Hatte man in Erfurt für die Pläne 
des ungelümen fränfijchen Ritters kein Gehör. 


V. 


Man darf nun aber nicht glauben, daß die Thaͤtigkeit der 
eobaniſchen Genoſſenſchaft ſich ſo ganz auf jene ſtille, fried⸗ 
liche Pflege der neuen Wiſſenſchaften beſchraͤnkt habe. Denn 
dazu war die Perfönlichkeit des Mannes nicht angethan, ver 
an der Spige derfelben ftand. Heben dem Umgang mit den 
Mufen war Eoban auch für die Freuden des Mahles und des 
Weins, für den gefelligen Verkehr mit Freunden und Gefin- 
nungsgenoffen nicht unempfängli. Unter feiner Führerſchaft 
befam das Leben der Poeten in Erfurt eine freundliche und 


1) Man flritt fich fogar um ihren Befig. Alt. lib. I 7 b. — Erotus 
war ſchon in Venedig mit Hutten zufammengetroffen (Heumann Doc. lit, 
P. 37) die meifte Zeit brachte er in Bologna zu, wo er wahrfcheinlich auch 
die Doctorwürde erhalten hat. 

2) Bel. Ep. Hutt. ad Eob. et Petrej. (Mog. 3 Non, Aug. 1519) 
Inn Ep. Hutt. ad Eob. (Steckelbergk 7 Cal. Nov.) kei Mind IN, 336 
und 333, 


— 4 — 


heitere Außenfeite. Gar oft befchied er durch „Euniglichen Macht⸗ 
fpruch” feine Untergebenen zu fich, um den Ernſt ihrer Studien 
durch ein heiteres poetifches Gelage zu unterbredden !). Oder 
er gab — und das that er noch lieber — feinem Sturciades, 
dem „Mufenwirth” den Auftrag, ein .verartiged Mahl zu ver- 
anftalten. Als König führte Eoban immer den Vorſitz und 
fein heiteres frohes Wefen verbreitete fich über Alle. Da ver 
ſchwand jede Spur von der conventionellen Steifheit der Schu: 
len. „Du fennft das Recht unſerer Freundfchaft noch nicht“, 
äußerte Eoban einmal gegen Camerarius, der ſich anfangs 
durch den allzufreien Ton, der in Eoban's Umgebung herrfchte, 
abgeftoßen fühlte. Man fchloß warme Yreundfchaften, „von 
denen die Nachwelt erzählen folle”, ſprach mit Begeifterung 
von Erasmus, dem erhabenen Patrone ihres Bundes; die 
neueften poetifchen Verſuche wurden vorgelefen und bewundert. 
Dabei wurde aber auch des naumburger Bierd und des fram 
kiſchen Weins nicht vergeflen. -Eoban bewährte fih auch hier 
in feiner Rolle: er hielt das für eine Ehrenſache?). Scery 
weife beförderte er mehrere feiner vertrauten. Freunde zu beſon⸗ 
dern Würden in feinem Reiche, Petrefus wurde zum „Her 
joge” ernannt, ex wurde als der Erfte nach dem Könige ange 
fehen 2). Camerarius erhielt das Amt eines „Schatzmeiſters“, 
welches aber wegen der fortwährenden Geldverlegenheiten des 


’) Die.Epp. Eob. et amic. famil. enthalten dergleichen Einladungen 
in Menge. 

2) „„Putavit enim, se etiam inter poculorum certamina non vinci 
ab altero oportere.“ Narr. deEob. Camerarius gibt zugleich ein Bei: 
fpiel von Coban's erflaunlicher Birtuofität im Trinken. Dem Tadel der 
Freunde begegnete Eoban wohl mit der Aeußerung, man fpreche viel von 
feinem Trinken, aber wenig von feinem Durfte; nad) Melandri Jocos. L. 
I, p. m. 748 bei Strieder 1. c. III. 


®) „„Hunc Ducem ipse solebat vocare: significans prozimum locum 


a se quasi in gubernatione regni musici Hli deberi.‘“ Narr. de Eob. 
BSb. 


— A — 


Königs eben nicht zu den angenehmſten gehörte’). Denn nicht 
felten fah fich Eoban, um die Koften feines Föniglichen Auf 
wandes zu beftreiten, zu drüdenven Auflagen genöthigt. Sonft 
aber war er, wie Camerarius treuherzig berichtet, ein milder 
und wohlwollender Herr, der keinem feiner Untertanen ein 
beleivigendes Wort fagte, gefchweige denn etwas Härteres that ?). 

Gamerarius, dem wir überhaupt die meiften Nachrichten 
über die Tchätigfeit dieſes frohen Kreifes verdanken, gibt uns 
auh ein Berzeichniß der beveutendern Mitglieder desfelben. 
Man erficht daraus, daß fih die gefammte Jüngerfchaft des 
gothaifchen Banonicus unter Eoban’s milded Regiment begeben 
hatte. Abermals tritt und bier Urban, der claffifch gebilbete 
Cifterzienfer, entgegen. Er hatte damals feinen bleibenden 
Wohnſitz in Erfurt, in dem Georgenthaler Hof. Nicht felten 
hielt Eoban feine Bundesverfammlungen bei ihm ab). Eben⸗ 


— — 





ı) Eoban ſcherzt wohl über feine Geldverlegenheit. „Valentinus Ca- 
pella putat hoc de pecuniis dictum: Qui habent sint tamquam non 
habentes. Nos rectkus multo, qui nihil habentes sumus tamquam 
habentes et possidentes omnia.‘‘ Eob. et amic. epp. fam. p. 60. Uebri⸗ 
gens vergl. man Motſchmann. Fünfte Fortſ. 619. 

2) Dabei Fam Eoban und feinen Genofien die Nachficht zu Statten, 
welche die Erfurter (apud quos minus suspecta est innocentia nostra, 
wie Coban ſich ausdrädt) immer gegen ihre Mufenföhne bewiefen. Auch 
Cordus und Micyll heben dies hervor. Cordus rühmt auch namentlich den 
wiffenfchaftlichen Sinn der Erfurter: 

/-Tam sapiens alibi non puto vulgus erit, 
Cui puta tam doctum fit ad omnia lauta palatum.‘“ 
Cord. Opp. 128. ' 

Ueberhaupt ift für die erfurter Humaniften ihr inniges Verhältnig zur 
Vürgerfchaft harakteriftifch. Während anderwärts die Humaniften die Gunft 
und Nähe der Großen fuchten und als Verkünder des Muhmes färftlicher 
Naecenate glaͤnzten, waren die Erfurter ſtolz auf ihre Unabhängigkeit von 
hoͤfiſchen Berhältnifien (Cord. Opp. 101), ein Ing, ber die meiſten noch 
in ihrem fpäteren Leben dharakterifirt. 

2) „Is in Eobanico grege non ferebat postremas ac saepe illum 
a suis accipiebat, ut res erant ac tempora, satis prolixe.‘‘ Narr. 

Eob, 

Kampfehulte, Univerfität Erfurt. 16 


— 22 — 


falls einen anjehnlihen Rang nahm ein zweiter Ordendmann 
ein, der Auguftiner Johann Lange, von deſſen Berbienften um 
das Studium der griechifchen Sprache bereits die Rebe war. 
Kerner erfcheinen unter Eoban's Unterthanen die beiden feueri- 
gen Erasmianer Jacob Ceratinus und Juſtus Jonas !), Hein 
rich Eberbach, der Bruder des „Herzogs“, der finftere Euricius 
Eordus, außerdem der bereitd an Jahren vorgerüdte Caspar 
Schalbus, und fchon befannt als frommer Waller zu Erasmus, 
Plag Melofingus, Johann Bemelius, der begeifterte Lobredner 
ded Erasmus und das traute Freundepaar Drakfonites aus 
Karlſtadt und Crato aus Fulda. Sie alle hatten einft neben 
Eoban an Mutian’d Tafelrunde gefeffen. An Anzahl und wo 
möglich auch noch an Eifer wurden fie von den Jüngeren über 
troffen, die fih allmählig um Eoban gefchaart hatten. Den 
Reigen eröffnete der heitere und frohfinnige Martin Hunus, 
den fi Eoban bald zu feinem Lieblinge auserfehen hatte 2). 
Innig befreundet mit diefem war Jacob Micyllus, der eben fo 
ſehr durch feine zierlichen elegifchen Gedichte, als durch feine 
Gewandtheit bei den üblichen dramatifchen Vorftelungen den 
Beifall feiner Genofjen ärntete. Daran ſchloſſen fich der poetifch 
firebfame Anton Niger aus Breslau, Chriftoph Hacus, als 
melifcher Dichter von feinen Freunden vor Allen gefchäst, ver 
junge Daniel Stibarus von edlem Gefchlecht, Freund und fpäterer 
Gönner des Camerarius, der joviale Noffenus, Sturciades, der 
Maecenas der Gefelfchaft, und wie viele ihrer Camerarius noch 
aufführt, die Groeningen, Eccilius Menius, Mufa, Mejobachus, 


— — — — — 


) „Es nominis Erasmici omnium, quos ego viderim longe stu- 
diosissimus‘“ redet Eoban den Jonas an (Eob. et amic. epp. f. p. 14). 
Sonas war von Allen der überfchwenglichite Bewunderer bes Erasmus, 
vgl. Erasm. ad Jon. in Epp. Er. p. 256. „Nae tu mi doctissime Jona, 
non epistolanı, sed meros amores, meras flammas amantissimi pecto- 
ris misisti.‘‘ Später freilich hat fich das geändert. 

2) Narr. de Eob.B8b. 





_ u — 


Drtus, Bapella, Forchheim, Francus, Wicel, Kling u. f. w.). 
„Sie alle waren entbrannt,” fchließt Camerarius, „von Eifer für 
die ſchönen Wiffenfchaften und die Univerfität war voll von ihnen.“ 

Man kann zugeben, daß manche unter den Aufgezählten 
nicht gerade zu den hervorragenden Männern ihrer Zeit gehören, 
obgleich Camerarius faft feinem das ehrende Beiwort verfagt, 
und es in der That wenige unter ihnen gibt, an deren Namen 
fi nicht wichtige Erinnerungen knüpfen ?), das wird fein 


Kundiger in Abrede ftellen, daß gleichzeitig fich nirgendwo in 


Deutfchland eine fo zahlreiche Schaar von eiftigen und bedeu- 
tenden Vertretern der neuen Richtung zufammenfand. 

Wohl haben die Zeitgenofien diefe Bedeutung des eobani- 
hen Bundes zu würdigen gewußt. Das anerfennende UÜrtheil, 
welches Erasmus bei verfchiedenen Gelegenheiten über denjelben 
ausgefprochen hatte, wurde von dem gefammten humaniftifch 
gefinnten Deutſchland wiederholt, Männer wie Peutinger, 
Zaftus, Pirkheimer, Beatus Rhenanus, rechneten es ſich zur 
Ehre an, mit Mitgliedern des erfurtifchen Kreiſes in brieflichem 
Derfehr zu ftehen. Der junge Melanchthon war faum in 
Wittenberg angelangt, als auch fchon der benachbarte Huma⸗ 
niftenfreis auf ihn feine Anziehungsfraft ausübte. Auf jede 
Weiſe fuchte er fih demfelben zu nähern). Er hätte es für 


— 





ı) Nicht alle die Genannten finden fich bei Camerarius, der etwa 27 
namhaft macht. Ein vollfländiges Verzeichniß lag nicht in feiner Abficht 
Nebrigens wird auch Spalatin von ihm noch zur Sodalitas Eobani gerechnet. 

2) Es ift wenig übertrieben was Dresserus (Rhetorica s. laudatio 
urbium p. m. 438) von biefer Zeit fagt. „Fuit haec Erffordiensis Aca- 
demia quondam celebris et honorata propter bonarum literarum stu- 
dium et doctorum virorum abundantiam, prodiit enim ex ea tamquam 
ex equo Trojano innumerabilis eruditorum copia, qui passim per 
Germaniam dispersi Rebuspublicis et ecclesiae utilissime inservie- 
Tune.“ Motfchmann 4. Samml. p. 474. Man denke nur an die nad: 
malige Stellung und Wirkfamfeit eines Coban, Camerarius, Micyllus, Cor: 
dus, Wicel. Wir werden fpäter darauf zurücdfommen. 

2) Ueber fein Verhältniß zu den Erfurtern vergl. man. feine Briefe an 
Lange in Corp. Ref. I, 76, 105, 162, 212. 

16* 


— MM — 


den größten Gewinn gehalten, einige Mitglieder desfelben nad 
Mittenberg herüberzuziehen ). Bon Leipzig ber blidte der 
gefeierte Humanift Mofellanus fehnfuchtsvoll nah Erfurt und 
feinen dortigen Genoflen heruͤber. „Nirgends,“ fchrieb er 1520 
an Eoban, „möchte ich Tieber leben, nirgends Tieber fterben, ald 
bei folchen Genoflen, die zugleich die gelehrteften und die unde 
fcholtenften find“ 2). 


VI, 


Unwillführlich fucht unjer Blick nad diefer neuen Wer 
dung der Dinge jenen Mann, den wir früher ald den Lenker 
und Führer der poetifch gefinnten Jugend fortwährend im Mittels 
punfte unfered Kreifed fanden. Hat fih Mutian von den 
Sünglingen, in deren Herzen er zuerft den Samen des Schönen 
ausgeftreut hatte, fo gänzlich zurüdgezogen? — War dies nun 
auch nicht der Fall, fo ergab fich doch fehon aus der bisherigen 
Darftelung genugfam, daß er feine frühere einflußreiche Stellung 
nicht mehr einnahm. 

Seit dem Erſcheinen der Briefe der Dunfelmänner waren 
merkwürdige Ummwandlungen in Mutian’d Seele vorgegangen, 
Bis dahin hatte der Kampf gegen die Scholaftif für all jein 
Sinnen und Trachten den leitenden Geſichtspunkt abgegeben. 
Durch die vollftändige Demüthigung, welche der Gegner durch 
jene Satire erfuhr, war feinem Haffe genug gefchehen. & 
durfte fich des Kampfes überhoben glauben: das, was er gewoll, 
war erreicht. Erſt jebt warb ihm die Möglichkeit, feinen ur 


1) Namentlich gab er fi Mühe, den gelehrten Petrejus für Witten: 
berg zu gewinnen, damit derfelbe die Vorlefungen über Plinius übernehmt 
denen fich M. ſelbſt nicht gewachfen fühlte. Vgl. Ep. ad Spal. (25. Juni 
1520) und Ep. ad Lang. (Juli 1530) im Corp. Ref. I, 208, 207. 

2) Eob. et amic. epp. fam. p. 25. Im Herbft 1519 verweilte Re 
fellan perfönlich einige Zeit in Erfurt. 





— u — 


ſpruͤnglichen Plan in's Werk zu richten, in ſich ſelbſt zurüds 
zukehren, ſich Rechenſchaft zu geben über feine eigenen refigiöfen 
Anfichten, die noch in fo manden Punkten der Klarheit und 
Sicherheit ermangelten. Die Theologie wurde fortan fein 
Hauptftudium. Mit Eifer ftudirte er die Werke der Kirchens 
väter; er verfah fie wohl felbft mit einzelnen Anmerfungen !). 
Nie zuvor hatte er jo viel Weisheit in ihnen entvedt, als jetzt. 
Almählig wurde es suhiger, freundlicher in feiner Seele, der 
düftere Hintergrund, den bisher feine religiöfen Vorſtellungen 
zeigten, fing an ſich aufzuflären. Jene „glüdfelige Ruhe,” vie 
j0 lange trügerifch über dem Eingange feiner Wohnung geprangt 
hatte, ſchien endlich alles Ernſtes bei ihm Einkehr nehmen zu 
wollen. Aeußere Auszeichnungen und Ehren lehnte er jebt noch 
ängftlicher ab, als früher ?). Wie viele Mühe hat fich nicht Fried- 
ich der Weiſe gegeben, ihn für feine Univerfität Wittenberg 
zu gewinnen, wo er die angefehenfte Stellung bekleidet haben 
würde!3) So menig machten vergleichen Anerbietungen auf 


) Lauze's Chronik 1. c. p. 128. 

2) Wie groß fein Anfehen damals war, erfieht man am beten, wenn 
fogar ein Dann wie Zaſius fich als feinen Diener befennt (totus 8 te 
pendeo) und ihn als die Zierde des Zeitalters darftellt: „Faxit deus ut 
felicibus fatis fortunatum evum transigas, nostraeque etati (ut jam 
diu fuisti in multos annos) et ornamento sis et utilitati.““ Freiburg 
1. Dez. 1520. Herz. Goth. Bibl. Manufer. A. 20. 

2) Der Churfürft fehrieb mehrmals eigenhändig an Mutian, um ihn 
nah Wittenberg herüberzuziehen; vgl. Tengel Rel. epp. Mut. p. 49. u. a,; 
namentlich bat Spalatin wiederholt und flehentlich den Lehrer, der fürfts 
lichen @inladung zu folgen. „Nam si voluntati optimi et sapientissimi 
principis nostri subscripseris, rem longe gratissimam ei feceris, futu- 
rus clarissimus non solum Neacademiae, sed etiam principi optimo 
perpetuo et inter eos victurus, qui te sunt habituri in summo et ho- 
Nore et precio tanquam parentem. Utinam tandem obsequaris prin- 
cipi et mihi. Si enim laeta responderis, hoc est te venturum et 
migraturum in Saxoniam, gaudebimus omnes.““ 36. Nov. 1580. vol. 
Tert. ib. epp. D 3 b, wo überhaupt die zwifchen dem Ghurfürften und 
Spalatin und Mutian geführte Correſpondenz ſich Anbet; abgedrudt bei 
Tengel Rel. epp. Mut. p. 41 ff. 


x 


— 246 — 


Mutian Eindrud, daß er den Churfürften jogar lange Zeit ohne 
alle Antwort auf jein einladendes Schreiben ließ. „Ich ſtimme 
in Allem mit Dir überein,” jchrieb einige Zeit fpäter Spalatin 
an ihn, der inzwifchen die Vortheile des höfifchen Lebens beffer 
fhäßen gelernt hatte, „nur wünfchte ich, daß Du in Deiner 
Liebe zur Armuth nicht fo weit gingeft, daß Du’ wenigftens 
endlich einmal einem Fürften, der es jo gut mit Dir meint, 
und fo ſehr um Dich beforgt ift, Dich willfährig erzeigteft, und 
Dich dazu entfchlöffeft, in feinem Lande nicht blos ein ehrbareg, 
fondern auch ein glänzendes Leben zu führen“ %). 

In Folge diefer innern Umwandlung änderte fi auch 
das Verhältniß, in dem Mutian bisher zu den erfurtifchen 
Humaniften geftanden. Zwar dauerte feine Liebe zu ihnen 
noch ungefhwächt fort, noch gab er ihnen die unzweideutigften 
Beweife feines Wohlwollens 2), aber zu dem Amte eines Yüh- 
rers derſelben in der bisherigen Weife war er nach jener Rück— 
fehr im fich felbft nicht mehr fähig. Er legte fein Amt nieder, 
um es mit der Rolle eines ftilen, wohlmollenden Beobachters 
und Gönners feiner ehemaligen Zöglinge zu vertaufchen ?). 
Man fah ihn feit diefer Zeit nicht mehr in Erfurt, wo er früher 
fo manche frohe Stunde im Freife der Seinigen verlebt Hatte. 
Wohl aber bewied er diefen aus der Berne die größte Theil 
nahme. „Freude verflärte fein Antlis,” erzählt Camerarius, 
„wenn ex vernahm, daß die Sünglinge eifrig den ſchönen Wiſſen— 
fchaften oblagen und Nichts unterließ er, um ihren Eifer zu 
entflammen ” %). Und wie hätte man vollends von Diefen 


ı) Tert. lib. epp. D 4 b. 

2) Alt. lib. epp. J 5 b. 

°, Es iſt ſehr bezeichnend, wenn er, der fich früher als den Feldherru 
feiner Friegerifchen Süngerfchaft barzuftellen liebte, um dieſe Zeit von ſich fagt: 

Sum piger et senior Pieridumque comes. 

Dal. Lauze's Chronik 1. c. p. 182, wo fich zugleich die Auslegung Diefes 
Berfes findet. 

*) Narr. de Eob. B4 b. 


— 247 — 


erwarten koͤnnen, daß ſie ſich ſo ganz losſagten von dem Manne, 
der ſo manche unter ihnen zuerſt an den Quell des neuen 
Lebens geführt hatte! — Jene ſchon ſeit Jahren uͤblichen gothai⸗ 
ſchen Excurſionen wurden auch noch während Eoban's Herr⸗ 
ſchaft fortgeſetzt'). Die Aelteren glaubten der Anweiſungen 
ihres Meiſters noch immer nicht entbehren zu können, die Juͤnge⸗ 
ren fehnten fi, einen Mann fennen zu lernen, von dem fie fo 
Merfwürdiged gehört. Ernft und würdevoll, aber dennoch mit 
der größten Freundlichkeit, empfing fie der Greis, — ſchon war 
um diefe Zeit Mutian’d Haar gebleiht — Keinem verfagte er 
Belehrung und Auffchluß; den Iüngern legte er wohl einzelne 
Tragen zur jchriftlichen Ausarbeitung vor; die ihm eingereichten 
Arbeiten fah er felbft nach und zeigte fich in feinem Urtheile 
über fie — ganz im Gegenfab zu feinem frühern Verfahren — 
aͤußerſt milde und nachfihtig ?). Ungern fchieden die Sünglinge 
von ihm. Seine ehrwürdige ©eftalt, dad Wohlmollen, weldyes 
fh in feinem ganzen Wefen ausfprach, feine freundlichen 
Ermahnungen machten auf fie einen unbefchreiblichen Eindruck. 
Sie bewunderten und verehrten den außerorventlihen Mann; 
wie ein höheres Wefen fam er ihnen vor >), 


ı) Alt. libell. epp. in der Einleitung A 3 b. 


2) „Solebat Mutianus, tum quidem canus (nam annis gravis erat 
quum ad eum primum veni) adolescentibus studiosis literarum, qui 
ad se visendum Accessissent, proponere materiam, quam scribendo 
elaborarent et scripta postea emendare et saepe non admodum digna 
collaudare ut hoc pacto ad diligentiam et curam studiorum excita- 
rentur animi illorum. Camer. Narr. de Eob. B 4 b. Mutian war, 
als er fo auf Kamerarius den Eindrud eines hochbetagten Greifes machte, 
erſt 47 Jahre alt. 

2) Man vgl. 3. B. die Schilderung Mutian’s bei Micyll (Sylvarum 
libri quinque p. 209.) 

„‚Hic tandem fortuna dedit mihi cernere Rufum, 
Rufum, quo non vir dignior alter erat, 

Unus qui studio per longos contulit annos, 
Quidquid habet Latium, Graecia quidquid habet. 





* 


Die alten Chroniken der Stadt Erfurt verweilen zu keiner 
Zeit mit fo großer Vorliebe bei ihrer Univerfität, als während 
der Sahre von 1517 bis 21, Damals erft, heißt es in ber 
hogel'ſchen Ehronif, fei das alte Sprüchwort, welches Erfurt 
ald den Sammelplag für alle diejenigen bezeichnete, die in 
der „rechten” Weife den Studien obliegen wollten, zur Wahr⸗ 
heit geworden, 

In der That bilden jene, Jahre die Periode der Höchften 
Blüthe in der Gefchichte der Univerfität. Wie in den glän 
zendften Zeiten des fünfzehnten Jahrhunderts firömten jept 
abermals wiffensdurftige Jünglinge aus allen Theilen unſeres 
Baterlandes fin Erfurt zufammen; Graduirte aus Wittenberg, 
Leipzig, Tübingen, Loewen, fuchten hier dad anderwärts Be 
gonnene zu vollenden !). Das nahe und befreundete Berhält 


Non erat huic lingua quisquam nec voce secundus, 
Dictaque seu magnis imbribus acta dabat, 
Praecipue quoties Musas laudemque sororum 
Et reparaturum dona canebat opum. 
Augusto quondam spirabant numine vultus 
Ipsaque consueverant ora referre Deum 
Ex alto quoties se demisisset Olympo 
Latona aut Maja natus uterque Jove 
Ire que in humano voluissent corpore divi 
Corporibus divos talibus isse puto.““ 


1) Der bedeutendfte unter den nen aufgenommenen Graduirten iſt Otto 
Beckmann aus Warburg. der bis dahin in Wittenberg gelehrt hatte, er 
wurde immatrifulirt als „Mer. et licenciatus jure studii Wittenber- 
gensis gratis propter honorem suae universitatis.“ &. U. M. ad a. 
1517. — Freilich läßt fich nicht verfennen, daß die Anzahl der Immatri⸗ 
kulirten nicht wieder die Höhe erreichte, die fie in der Mitte des 15. Jahrh. 
hatte, aber es wird fich zeigen, daß Erfurt's eigentliche Blüthe in etwas 
Anderem, als in der Mafle der Studirenden, beruhte. Auch wirkte um bie 
in Rede fiehende Zeit die Rivalität Wittenberg's nachtheilig für Die Fre⸗ 
quenz; folgende Weberficht möge bier Blag finden: 








— 9 — 


niß, in welchem die Univerſitaͤt zu Erasmus, dem Abgotte der 
Zeit, ſtand, das reichliche Lob, welches dieſer ihr ſpendete !), 
wirkten förderlich für ihren Ruhm. Bor Allem aber übte der 
Name Eoban’s einen eigenthümlichen Reiz aus. Mancher begei- 
fterte Süngling zog nad) Erfurt, blos um „ven chriftlichen Ovid,“ 
wie Eoban einftimmig von feinen Zeitgenoffen gepriefen wurde, 
fennen zu lernen?) Das Würdevolle, welches in feinem 
Aeußeren lag, erhöhte ven Ruhm des Dichter ?). In feinen 
Borlefungen ſoll Eoban oft fünfzehnhundert Zuhörer gehabt 
haben, fo daß der Hörfaal die Menge derfelben nicht faſſen 
fonnte +). Wie ehedem vie theologifche, fo war jest, feit Eoban's 


Es wurden 1515—16 in Erfurt immatrifulirt 305, in Wittenberg 1855 


"u" . 116-7, u. „ 17*, . . 190; 
"nr Bo, „ „ 5 „ „ 97; 
..  B1-9, „ „ 38 „ . 358; 
“IB, „ „  „ „ 553; 
„ 1520-1, . . 311, 406. 


[ — —— 
® In dieſem Jahre verſcheuchte eine epidemiſche Seuche einen Theil ver Studirenden 
aus Erfurt. 


1) Vgl. feine Briefe an Eordus und Draconites, Epp. Erasmi p. 835, 236. 

2) „‚„Alliciebat autem fama nominis Eobanici invitabatque per- 
multos, ut in Academiam Erphordianam vel discendi causa migrarent, 
vel ad visendum saltem Eobanum excurrerent.‘‘“ Camer. Narr. de 
Eob. C 2 b, Unter denen, die blos kamen, um Coban zu fehen, erwähnt 
Camerarius 1. c. den berühmten Sebaldus Münfterns. 

2) Daniel Greifer, welcher damals bei ihm Duintilian und Gurtins 
hörte, gedenkt noch in fpätern Jahren, in feiner 1587 zu Dresden erfchie- 
nen Selbfibiographie, des Eindrudes, den Eobau's Berfon auf den Juͤng⸗ 
Img machte, freilich mit einer übeln Nebenbeziehung: „Wenn Eobanus 
nüchtern war, ehe denn er getranf, war in vultu ejus eine herrliche gra- 
vitas und modestia, daß, wenn Junge Leute für ihn kahmen, muften fie 
ihr angeficht für ihm fubmittiren, niderfchlagen vnd die erde anfehen und 
ich fchemen ihn kecklich anzufehen.“ 

2) „Wann er lafe hatte er einen foldyen Applausum, daß die Menge 
der Auditorum in dem obgleich geranmen Auditorio nicht Play fande, 
jondern auffen vor der Thüre, auch wohl auf ber Gaſſen fiehen mußten.“ 
Biantes Lebensbefchreibungen berühmter Erfurter. Erf. 1733. p. 87. Die 
oben angeführte Anzahl der Zuhörer, die ſich bei Mehreren findet, fanb 
indeß ſchon Motſchmann, und wohl nicht mit Unrecht, etwas übertrieben. — 


— u — 


vn. 


Die alten Chroniken der Stadt Erfurt verweilen zu Feiner 
Zeit mit jo großer Vorliebe bei ihrer Univerfität, als während 
der Jahre von 1517 bis 21. Damals erft, Heißt e8 in der 
hogelfchen EChronif, fei das alte Sprüchwort, welches Erfurt 
al8 den Sammelplab für alle diejenigen bezeichnete, Die in 
der „rechten” Weife den Studien obliegen wollten, zur Wahr⸗ 
heit geworden. 

In der That bilden jene Jahre die Periove der höchften 
Blüthe in der Gefchichte der Univerfttät. Wie in den glän- 
zendften Zeiten des fünfzehnten Jahrhunderts ftrömten jeßt 
abermals wiffensdurftige Sünglinge aus allen Theilen unferes 
Baterlandes fin Erfurt zufammen; Grabuirte aus Wittenberg, 
Leipzig, Tübingen, Loewen, fuchten hier das anderwärts Be 
gonnene zu vollenden!), Das nahe und befreundete Berhälts 


Non erat huic lingua quisquam nec voce secundus, 
Dictaque seu magnis imbribus acta dabat, 
Praecipue quoties Musas laudemque sororum 
Et reparaturum dona canebat opum. 
Augusto quondam spirabant numine vultus 
Ipsaque consueverant ora referre Deum 
Ex alto quoties se demisisset Olympo 
Latona aut Maja natus uterque Jove 
Ire que in humano voluissent corpore divi 
Courporibus divos talibus isse puto.““ 


ı) Der bedeutendfte unter den neun aufgenommenen Orabuirten ift Otto 
Beckmann aus Warburg. der bis dahin in Wittenberg gelehrt hatte, er 
wurde immatrifulirt al& „Mer. et licenciatus jure studii Wittenber- 
gensis gratis propter honorem suae universitatis.“ E. U. M. ad a, 
1517. — Freilich läßt fich nicht verfennen, daß die Anzahl der Immatri- 
kulirten nicht wieder die Höhe erreichte, die fie in der Mitte des 15. Jahr. 
hatte, aber es wird fich zeigen, daß Erfurt’s eigentliche Blüthe in etwas 
Anderem, als in der Maſſe der Studirenden, beruhte. Auch wirkte um bie 
in Rede fiehende Zeit die Rivalität Wittenberg’s nadıtheilig für bie Fre⸗ 
quenz; folgende Ueberſicht möge hier Platz finden: 





— 9 — 


niß, in welchem die Univerſitaͤt zu Erasmus, dem Abgotte der 
Zeit, ſtand, das reichliche Lob, welches dieſer ihr jpendete !), 
wirften förderlich für ihren Ruhm. Bor Allem aber übte der 
Name Eoban’3 einen eigenthümlichen Reiz aus. Mancher begeis 
ſterte Juͤngling zog nah Erfurt, blos um „ven chriftlichen Ovid,“ 
wie Eoban einftimmig von feinen Zeitgenoffen gepriefen wurde, 
fennen zu lernen?) Das Würdevolle, welches in feinem 
Aeußeren lag, erhöhte ven Ruhm des Dichters 2). In feinen 
Borlefungen fol Eoban oft fünfzehnhundert Zuhörer gehabt 
haben, fo daß der Hörfaal die Menge derfelben nicht faſſen 
fonnte +). Wie ehedem vie theologifche, fo war jebt, feit Eoban's 


Es wurden 1515—16 in Erfurt immatrifulirt 305, in Wittenberg 185; 


"u. B16--7, „ mer, . . 190; 
, . BI7-8, „ „ 5 „ „ 977; 
.. 11-19, . . 38, „ . 358; 
„" .  1B-0, » „  „ „ 553; 
„ 1520-1, . sh „ 406. 


° an diefem Jahre vericheuchte eine evidemiſche Seuche einen Theil ver Studirenden 
aus Erfurt. 


1) Bat. feine Briefe an Eordus und Draconites. Epp. Erasmi p. 835, 236. 

2) „„Alliciebat autem fama nominis Eobanici invitabatque per- 
multos, ut in Academiam Erphordianam vel discendi causa migrarent, 
vel ad visendum saltem Eobanum excurrerent.‘‘ Camer. Narr. de 
Eob. C 2 b, Unter denen, die blos Tamen, um Coban zu fehen, erwähnt 
Gamerarius 1. c. den berühmten Sebaldus Münfterns. 

8) Daniel Greifer, welcher damals bei ihm Duintilian und Curtius 
hörte, gedenkt noch in fpätern Sahren, in feiner 1587 zu Dresden erfchie- 
nenen Selbfibiographie, des Eindrudes, den Cobau's Berfon auf den Jüng- 
Img machte, freilich mit einer übeln Nebenbeziehung: „Wenn Eobanus 
nüchtern war, ehe denn er getrauf, war in vultu ejus eine herrliche gra- 
vitas vnd modestia, daß, wenn Junge Leute für ihn fahmen, muften fie 
ihr angeficht für ihm fubmittiren, niderfchlagen vnd die erde anfehen vnd 
Rh ſchemen ihn kecklich anzufehen.” 

*) „Wann er lafe hatte er einen ſolchen Applausum, daß die Menge 
der Auditorum in dem obgleich geraumen Auditorio nicht Play fande, 
ſondern auffen vor der Thüre, auch wohl auf der Gaſſen fichen muſten.“ 
Biantes Lebensbefchreibungen berühmter Erfurter. Erf. 1738. p. 87. Die 
oben angeführte Anzahl der Zuhörer, Die fich bei Mehreren findet, faub 
indeß ſchon Motſchmann, und wohl nicht mit Unrecht, etwas übertrieben. — 


— 0 — 


Auftreten, die philofophifche Facultät das glänzende Geftirn, 
von dem alles Webrige an der Iniverfität Licht und Leben 
empfing. 

Nichts veranfchaulicht uns beſſer den Gegenfat, welchen 
die Haltung des eobanifchen Kreifes zu den Beftrebungen ver 
Humaniften während der reuchlinifchen Sturm- und Drangs 
periode bildet, als dieſes fchöne Verhältniß, in dem Eoban zu 
der Univerfität fand, Sahen wir ja, wie unverholen Mutian 
geradezu auf den Ruin derſelben Hinarbeitete. Dahin eben war 
eine feiner erften Sorgen gerichtet, feinen Schülern gegen bie 
beftehenven Lehranftalten, als Schöpfungen des Scholafticismusg, 
einen unverfühnlihen Haß einzuflößen. Kein Wunder, wenn 
ſolchen veftructiven Tendenzen gegenüber die alte Partei, ihre 
frühere Milde und Nachficht faft bereuend, fich zur Gegenwehr 
feste. Eben jo wenig darf es aber auch befremden, wenn jeßt, 
da die Neuerung eine fo friedliche Außenfeite gewonnen und 
die Humaniftifchen Beftrebungen fich nicht blos dem Beifte der 
Univerfttät wieder genähert hatten, fondern fogar zur Erhöhung 
ihres Ruhmes beitrugen, auch die Partei der älteren Lehrer 
wieder zu ihrer frühern milden Haltung zurückkehrte. Mochte 
auch der Eifer der enthufiaftifhen Mufenverehrer noch bier 
und da das Maaß überfchreiten ?), jener gefährliche Geift, der 
den mutianifchen Humanismus beherrfchte, war aus Eoban's 
Reiche gewichen. Wir hören nichts mehr von der bittern 
Polemif der frühern Zeit, von tumultuarifchen Auftritten, wie 
fie während der reuchlinifchen Streitigfeit in Erfurt vorfielen. 
Freundlich kamen die Altern Lehrer den friedfertigen „Eras- 
mianern” entgegen. Es wurde gern gefehen, wenn Eoban 
bie Feier eines academijchen Actes durch eine claffifche Feſtrede 





——— 


1) So erzählt Eamerarius von Niger, daß er bei der Magiflerpros 
motion zurädgemiefen worden fei ‚‚quod bonarum artium et studiorum 
humanitatis avidior et in his colendis fuisset lıberior.‘‘ Narr. de 
Eob. C 4 a. 











— 251 — 


erhöhte). Wie in den Zeiten des Maternus, der jetzt von 
neuem wieder zu Anfehen gelangte 2), wurde fett abermals der 
Zauber der claffifchen Formen zur Verherrlichung der Univers 
fität verwendet. 

Und fürwahr, die erfurter Humaniften hatten feinen Grund, 
diefe ihre Rüdfehr zu jener friedlichen Entwidelung zu bereuen. 
Ihnen ift ed dadurch gelungen, jenen Gedanken, welcher dem 
Erasmus vorfchwebte, zuerft zu verwirklichen. Auf friedlichen 
MWege haben fie die Univerfität im Geifte der neuerwachten 
Studien umgeftaltet, fie in ein Organ der neuen Richtung ums 
gewandelt. . 

Diefed geſchah im Sommer 1519, unter dem Rectorate 
des damals jechsundgwanzigjährigen Juſtus Jonas. Während 
ſeiner Abweſenheit, eben ald er fih auf feiner gelehrten 
Pilgerfabrt in die Niederlande befand, war Jonas daheim von 
feinen $reunden Eberbach, Draconited, Yemelius?), denen in 
der herfümmlichen Weife das Wahlgejchäft aufgetragen worden 
war, zum Rector der Univerfität gewählt worden. Sei ed, daß 
er befondere Aufträge von Erasmus empfangen hatte, fei es, 
daß die Entwidelung in Erfurt von felbft dahin führte: genug, 
ganz im Geifte des Erasmus wurden nach feiner Rüdffehr in 
der Einrichtung der Univerfität die wichtigften Veränderungen 
getroffen, Acht Xehrer wurden für die Doction der lateinifchen 
und griechifchen Sprache und der „wahren“ Bhilojophie ernannt. 
Die philofophifche Facultät jollte fortan als die erfte, wenigftens 


ı) Bon diefen bei verfchiedenen Gelegenheiten von Eoban gehaltenen 
Reden kenne ich nur Die 1580 bei einer Baccalaureenpromotion gehaltene, 
welche fich findet in Eob. et amic. epp. fam. p. 248—352. 

2) Er war 1518 Decan in der philofophifchen Facultät. Bon feinen 
damaligen Bemühungen für die neuen Studien fpricht Samerarius Narr. 
de Eob. C 2 b. | 

2) Alle drei gehörten Coban's Genoſſenſchaft an, ein Umfland, ber 
allein fchon hinreicht, uns den großen Einfluß der legteren erkennen zu 
laſſen. 


— 22 — 


als die wichtigfte angefehen werden ?). Dann wurde auch der 
mittelalterliche Pomp, an dem die Univerfität ‚bisher noch feR- 
gehalten, in einzelnen Stüden vereinfacht, die üblichen Magifter 
mahle wurden befehränft. Die dadurch erzielte Exrfparniß follte 
zum Beſten der Lehrer der claffifchen Sprachen verwendet wer 
den. Durch eine feierliche Rede beftegelte Eoban den Gieg 
feiner Sadhe?). Jonas aber trug triumphirend das Ereigniß 
in die Jahrbücher der Univerfität ein und ließ in der ſinw 
reichften Weife feinem Berichte das Bild de8 Mannes vor 
fegen, defien Ideen eben durch die vorgenommenen Reformen 
ihre Verwirklichung gefunden hatten ?). 

Und ſo waren denn doch jene Hoffnungen, zu denen bie 
Haltung der Univerfität von vornherein Anlaß gegeben, in 


1) „Quem quis merito totius Gymnasii proram puppimque dixerit“ 
fagt Ionas in feinem Bericht. 

2) Oratio de studiorum instauratione in inclyta schola Erphur- 
diensi omnium Ordinum consensu frequentissimo Auditorio ab Eob. 
Hesso habita 1519 mense Sept. Erph. 1520. 4°. Leider ift mir biefe 
Rede felbft nicht zu Geflcht gekommen. 

®) Praefatio ad rector. J. Jonae. E. U. M. ad a. 1519. Ein 
wichtiges Actenflüd für die Gefchichte der Univ. Nachdem zuvor den Wiſ—⸗ 
fenfch. und den Mufen reichliches Lob gefpendet ift, Fömmt endlich Die Rebe 
auf die glüdlichen Reformen, die im I. des Herrn 1519 vorgenommen 
feien. Bor dem Berichte ift das Bildniß des Erasmus angebracht. Er 
erfcheint in Magiftertracht, in Gegenwart feines Faiferl Gebieters Karls V, 
zur Seite nimmt man eine Anzahl eifriger Scholaren wahr, die fich Her: 
andrängen, um ben verehrten Meifter zu fehen; in ihren Händen, mit Denen 
fie auf Erasmus hinweiſen, halten fte die Infchrift: Hic est ille Erasmus. 
Nicht fchöner fonnte das Verhältniß des Erasmus zur Univerfität darge 
fellt werden. — Wenn übrigens Franke (Geſch. der Hallifchen Reformation 
p. 257) meint, daß Jonas „die befiere Lehrmethode von Wittenberg mitge 
bracht habe”, fo ift Dies irrig und beruht auf einer Ueberſchätzung Witten 
bergs. Jonas hatte von Wittenberg Nichts mitzubringen. Erhielt ja 
doch Wittenberg feine ausgezeichnetften Lehrer, den Marſchalk, Trutvetter, 
Luther, Goede, eben aus Erfurt und war ja gerade während der in Rede 
Rehenden Zeit Melandıthon fortwährend bemüht, gelehrte Erfurter nah 
Wittenberg herüberzuziehen. So vollſtändig wie in Erfurt 1519 bat Rd 
in Wittenberg der Humanismus nie Bahn gebrochen. 








— 2353 — 


Erfüllung gegangen. Noch Feine deutſche Univerfität hatte, 
als Corporation, den neuen Ideen einen derartigen Einfluß 
geſtattet. Es war das erſte Mal, daß der neue Geift fih in 
aller Form eine mittelalterliche Lehranſtalt dienſtbar machte. 

Was unter Jonas begonnen, wurde von feinen Nachfol⸗ 
gern fortgejegt. Ihm folgte in der Rectorwürde der gleich 
eifrige Ceratinus, jener Gelehrte, den Erasmus felbft in einem 
Briefe an Pirkheimer als fein würdigſtes Ebenbild hinſtellt 1). 
In gleichem Sinne thätig war deſſen Nachfolger Ludwig Platz, 
ber warme Freund und Verehrer Eoban’s. Erasmus, der durch 
humaniftifhe Pilgrime fortwährend von Allem, was in Erfurt 
geihah, in Kenntniß erhalten wurde, ſtellt feiner Amtsver⸗ 
waltung das glänzendfte Zeugniß aus. In einem Schreiben 
„an den Rector der gefeierten erfurtifchen Schule” preifet er 
in den anerkennendſten Ausdrücken feine Gelehrfamfeit und 
feine Bemühungen, auf frievlihem Wege die Herrfchaft det 
neuen Wiffenfchaften ficher zu ftellen. Dem Lobe fügt er die 
Aufmunterung hinzu, auch fernerhin nach den bisherigen Grund- 
fügen zu verfahren, Eifer und Mäßigung zu verbinden. „So 
müflen die guten Wiftenfchaften an den hohen Schulen einge- 
führt werden,” heißt es in jenem Schreiben, „nicht als Feinde, 
die Alles mit Verwüſtung bedrohen, ſondern ald Gaftfreunde, 
die fich bald mit den einheimifchen Sitten befreunden“ 2), 


1) Heumann Docum. liter. C. J. p. 95. — Sein Rertorat wird durch 
mehrere Tleinere Gedichte, die fich in den Matrikeln finden, verherrlicht. — 

2) Der Brief findet fi in Erasm. Epp. p. 417. Die dort beigefügte 
Jahreszahl 1518 ift unrichtig. Der Brief iſt aus dem I. 1520. Ich will 
den Anfang berfeßen: „Rectori inclitae Scholae Erphurdiensis Erasmus 
8. D. Vir eximie non possum non amare te quod ut ex Dracone 
javene minime vano cognovi, doctissimus ipse, studiis melioribus im- 
pense faveaa: atque horum Accessione Erphurdiensem Academiam (cui 
tu felieibus praesides auspiciis) exornandam expoliendamque cures. 
Ile tuae prudentiae laus est peenliaris, quod hoc absque tumultu 
facis, quem alibi videmus excitari quorundam imprudentia. Bonae 
literae sic debent irrepere in Academias, non ut hostes omnia depo- 


— 22 — 


als die wichtigfte angefehen werden). Dann wurde auch der 
mittelalterlihe Pomp, an dem die Univerfität ‚bisher noch feſt⸗ 
gehalten, in einzelnen Stüden vereinfacht, die üblichen Magifter 
mahle wurden befchränft. Die dadurch erzielte Erfparniß follte 
zum Beften der Lehrer der claffifhen Sprachen verwendet wer 
den. Durch eine feierlihe Rede beftegelte Eoban den Sieg 
feiner Sache?). Jonas aber trug triumphirend das Ereigniß 
in die Jahrbücher der Univerfttät ein und ließ in der finw= 
reichften Weiſe feinem Berichte das Bild ded Mannes vor 
ſetzen, deffen Ideen eben durch die vorgenommenen Reformen 
ihre Verwirklichung gefunden hatten 2). 

Und fo waren denn doch jene Hoffnungen, zu denen bie 
Haltung der Univerfität von vornherein Anlaß gegeben, in 


1) „„Quem quis merito totius Gymnasii proram puppimque dixerit“ 
fagt Ionas in feinem Bericht. 

2) Oratio de studiorum instauratione in inclyta schola Erphur- 
diensi omnium Ordinum consensu frequentissimo Auditorio ab Eob. 
Hesso habita 1519 mense Sept. Erph. 1520. 4°. Leider ift mir dieſe 
Rede felbft nicht zu Geſicht gekommen. 

®) Praefatio ad rector. J. Jonae E. U. M. ad a. 1519. Ein 
wichtiges Actenftüd für die Gefchichte der Univ. Nachdem zuvor den Bil 
ſenſch. und den Mufen reichliches Lob gefpendet ift, kömmt endlich Die Rede 
auf die glüdlichen Reformen, die im I. des Herrn 1519 vorgenommen 
feien. Bor dem Berichte ift das Bildnig des Erasmus angebracdht. Er 
erfcheint in Magiftertracht, in Gegenwart feines Faiferl Gebieters Karls V, 
zur Seite nimmt man eine Anzahl eifriger Scholaren wahr, bie ſich her: 
andrängen, um den verehrten Meifter zu fehen; in ihren Händen, mit Denen 
fie auf Erasmus hinweifen, halten fie die Infchrift: Hic est ille Erasmus. 
Nicht fchöner Fonnte das Verhältnig des Erasmus zur Univerfität darge⸗ 
fellt werden. — Wenn übrigens Franke (Geſch. der Hallifchen Reformation 
p. 257) meint, daß Jonas „die befiere Lehrmethode von Wittenberg mitge⸗ 
bracht habe”, fo ift dies irrig und beruht auf einer Ueberſchätzung Witten 
bergs. Jonas Hatte von Wittenberg Nichts mitzubringen. Erhielt ja 
boch Wittenberg feine ausgezeichnetften Lehrer, den Marfchalf, Trutvetier, 
Luther, Goede, eben aus Erfurt und war ja gerade während der in Rebe 
Rehenden Zeit Melanchthon fortwährend bemüht, gelehrte Erfurter nah 
Wittenberg herüberzuziehen. So volltändig wie in Erfurt 1519 hat ſich 
in Wittenberg der Humanismus nie Bahn gebrochen. 








— DB — 


Erfüllung gegangen. Noch Feine deutſche Univerfität hatte, 
als Eorporation, den neuen Ideen einen derartigen Einfluß 
geftattet. Es war das erfte Mal, daß der neue Geiſt ſich in 
aller Form eine mittelalterliche Lehranftalt dienftbar machte. 

Was unter Jonas begonnen, wurde von feinen Nachfol⸗ 
gern fortgefett. Ihm folgte in der Nectorwürde der gleich 
eifrige Ceratinus, jener Gelehrte, den Erasmus felbft in einem 
Briefe an Pirkheimer als fein würdigſtes Ebenbild hinftellt *). 
In gleichem Sinne thätig war deffen Nachfolger Ludwig Plab, 
ber warme Freund und Verehrer Eoban’d. Erasmus, der durch 
humaniftifche Pilgrime fortwährend von Allem, was in Erfurt 
geſchah, in Kenntniß erhalten wurde, flellt feiner Amtsver- 
waltung das glänzendfle Zeugniß aus In einem Schreiben 
‚an den Rector der gefeierten erfurtifchen Schule” preifet ex 
in den anerfennendften Ausprüden feine Gelehrſamkeit und 
feine Bemühungen, auf friedlihem Wege die Herrfchaft det 
neuen Wiffenfchaften ficher zu ftellen. Dem Lobe fügt er die 
Aufmunterung Binzu, auch fernerhin nach den bisherigen Grund⸗ 
fägen zu verfahren, Eifer und Mäßigung zu verbinden. „So 
müſſen die guten Wiflenfchaften an den hohen Schulen einge: 
führt werden,” heißt es in jenem Schreiben, „nicht ald Feinde, 
die Alles mit Verwüftung bedrohen, fondern als Gaftfreunde, 
die fich bald mit den einheimifchen Sitten befreunden” 2), 


I) Heumann Docum, liter. C. J. p. 95. — Sein Rectorat wird durch 
mehrere Tleinere Gedichte, Die fich in den Matrikeln finden, verherrlicht. — 

2) Der Brief findet fih in Erasm. Epp. p. 417. Die dort beigefügte 
Jahreszahl 1518 ift unrichtig. Der Brief iſt aus dem I. 1520. Ich will 
den Anfang herſetzen: „Rectori inclitae Scholae Erphurdiensis Erasınus 
8. D. Vir eximie non possum non amare te quod ut ex Dracone 
javene minime vano cognovi, doctissimus ipse, studiis melioribus im- 
pense faveas: atque horum accessione Erphurdiensem Academiam (cui 
tu felicibus praesides auspiciis) exornandam expoliendamque cures. 
Ola tuae prudentiae laus est peeuliaris, quod hoc absque tumultu 
facis, quem alibi videmus excitari quorundam imprudentia. Bonae 
literae sic debent irrepere in Academias, non ut hostes emnia depo- 


— 254 — 


Platz ließ dieſe Worte des gefeierten Lehrers nach Ablauf 
feines Rectorats in die Matrikel der Univerſität eintragen 1). 
Sie enthielten den wahrften Ausdruck des Gedankens, unter 
defien Herrfchaft damals die Univerfität fand. 


VII. 


Nur in einer Hinſicht kannten unſere Erfurter jene ihnen 
von Erasmus fort und fort anempfohlene Mäßigung nicht: 
eben in dem Enthufiasmus für den Verfünder der Mäßigung 
felbft. Erasmus war ihnen das unerreichbare Ideal, erhaben 
über alle Rebenbuhler 2), das große Vorbild, dem Alle nad): 
ftreben follten, Keiner aber gleichfommen könnte. Sich ihm 
vergleichen zu wollen, fchien ihnen Vermeffenheit, ein Angriff 
gegen ihn das größte aller Verbrechen. Der Engländer Eduard 


Lee hatte einen folchen gewagt, indem er mit einer Streitjchrift 


gegen die von Erasmus veranftaltete Ausgabe des Neuen 
Teſtaments hervortrat, Wen hätte das mehr empören können, 
al8 die Crasmianer in Erfurt? Aufgebracht über die Ber 


pulaturi videantur, sed hospites potius in civilem consuetudinem coa- 
lituri.““ 

2) Bol. Praef. rect. Lud. Platz. €. U. M. ad a. 1520. 

2) „Qui sua immortali gloria virtuteque omnem invidiam supe- 
ravit.‘“ Eob. ad Jonam Epp. fam. p. 14. Vgl. audy Micyllus Sylv. 
p.53 u.a. Diefe unbegrenzte Verehrung für Erasmus fpricht ſich nament 
lich in den Klagen aus, zu denen die mehrmals (1513, 1519,1522) über ben 
Tod deffelben irrig in Umlauf gefeßten Nachrichten Anlaß gaben. Zu charaf: 
teriftifch ift der Klageruf, in dem ſich Eoban 1522 bei einem folden Ge⸗ 
rüchte erging, auch für die in Rede fiehende Zeit, als daß ich ihn übergehen 
fönnte: „O justas lacrimas! Hic tandem flendum est! Quid patriam 
lugemus ademptam? Quid obiisse parentes. Hi pepererunt nos socun- 
dum corpus, ille secundum animos. Nec fuit illo verior alias infan- 
tiae nostrae magister. Ah periit tamen. Sed heu, non periit. O me 
miserum! pugnant in affecto corpore spesque dolorque.‘“ ad Drac. 
Eob. et amic. epp. fam. p. 86. 








— 255 — 


wegenheit des Auslaͤnders, wenn auch über den Gegenſtand 
des Streites eigentlich nicht urtheilsfähig, erhoben ſich Eoban, 
Petrejus, Cordus, Niger und Crato in einer gemeinſchaftlich 
von ihnen verfaßten Invective zur Bekaͤmpfung jenes „öffentlichen 
Feindes“ ?). Die erfte Anregung dazu ging von Petreius aus, 
welcher e8 für eine Schmach des Zeitalter hielt, vaß ed noch Men» 
hen gab, die dem Erasmus ihren Beifall zu verfagen wagten ?), 
und deshalb Eoban, das Bundesoberhaupt aufforderte, ſich an 
die Spige zu fielen und Alle zum Sampfe gegen den Verwe⸗ 
genen aufzubieten®). Schwerlih ift jemald Erasmus über: 
Ihwenglicher gepriefen, ein Zeind von ihm mit größerer Ber 
achtung behandelt worden, als in dieſer Schrift. Lee's Begin⸗ 
nen wird als eine zweite Heroftratusthat dargeſtellt, nur um 
zu einem berühmten Namen zu gelangen, habe er den frevel- 
haften Angriff unternommen *), denn fchon habe ex es für den 


ı) In Eduardum „„Leum Quorundam e sodalitate Literaria Erphur- 
dien, Erasmici nominis studiosorum Epigrammata.‘‘ 4°. (Krph. bei 
Cnapp. 1520.) Ich verdanfe die Benutzung biefer Schrift der Freundlich⸗ 
feit des Hrn. Brof. Boeing in Bonn. Schon das Jahr zuvor (d. d. Mog. 
13. Cal. Jun. 1519) hatte Hutten getrennt von feinen erfurtifchen Freunden 
auf eigene Hand ein heftiges Sendfchreiben, voll der maßlofeften Schmähungen 
gegen Lee erlafien; vgl. Opp. Hutt. III, 197—200. 

2) „„Cum publicum totius aetatis dedecus interprer, esse quibus 
displiceat Erasmus, esse qui mordere audeant, tot modis pietati juxta 
ac optimis studiis utilem, ut si omnium, qui annos abhinc sexaginta 
vixerunt, labores conferas, aequilibrium non sint facturi.‘“ Petrej. 
ad Eob.l.c. A1b. 


2) „Tu itaque Eobane mi Jucundissime fac agas Misenum Aeoli- 
dem, quo non praestantior alter, aere ciere viros Martemque accen- 
dere cantu, cane nobis classicum, ut undique irruant quanta quanta 
est Germania milites Minerviae legionis in publicum istum hostem, 
quem configant, proterant, lancinent. Alle Elegis, hic Jambis, alius 
Satiris, alius Epigrammatis.“ 1. c.A1b. 

4). So heißt es in einem Cpigramm bes Riger: 

Qualicunque Leus, nomen ratione paretur, 
Non referre putat, nomen habere cupit. 


— 256 — 


Gipfel des Ruhmes gehalten, Erasmus, dem Hercules der 
Wiffenichaften, zu unterliegen ?). 

Seit dem Erfcheinen der Briefe der Dunfelmänner war 
dies der erfte Hal, daß fich wieder mehrere Mitglieder des 
erfurtifchen Kreiſes zu einem gemeinfchaftlichen Titerärifchen 
Unternehmen vereinigten. Es liegt eine gewiſſe Eonfequenz 
. darin, daß die Schaar, in der vier Jahre zuvor Reuchlin feine 
rüftigften Bertheidiger gefunden, auch für den Rachfolger des: 
felden im humaniſtiſchen Brincipat einmal in die Schranfen trat. 

Während dies gefchah, Fehrte Erotus Rubianus nach mehr 
als dreijähriger Abwefenheit aus Italien zurüd, Im April 
1520 finden wir ihn bereit in Bamberg in Geſellſchaft der 
beiden Edlen von Fuchs und feines lieben Hutten?). Längere 


— — — — 


Nunc id habet, sed quod mihi non ut Herostratus optem, 
Nec tibi qui Macedon fata Philippe tulit. C 3 a. 
Aehnlich laßt ſich Cordus vernehmen: 
Non alio orbi innotescere pacto, 
Quam tibi quod magnus carptus Erasmus erat. 
ı) So Betrejus: 
Ah monstrum infoelix, quod famam in funere quaeris 
Speras perire ab Hercule 
Fatoque tam claro mori? 
Te palamedaerae volucris prosterneret hostis 
Nodum coactus in brevem 
Nullo labore protinus: 
Quodsi omnino tibi divina occumbere dextra 
Volentibus satis datum est, 
Manu cades Stercutiüi. B 1 b. 
In ähnlichem Beifte find auch die übrigen Epigramme gehalten, nur Crate 
flimmt einen etwas milderen Ton an. 
2) Crotus fchrieb bald nach feiner Ankunft in Bamberg an Luther 
(d. d. Bamb. 4 Cal. Maj. 1520) „Salvus ex Italia reversus, subsetiti 
hic apud Inclytos fuchsos, tui nominis inprimis studiosos. Vevdit 
eodem paulo post Huthenus meus non inito de hoc ullo inter n08 
cousilio, sed ut mihi firmiter persuadeo ita amicos tandem de impro- 
viso convocante Christo, qui mwllo sacrificio eque gaudet ac mutus 
charitate hominum.“ M. ©, ber Herz. Both. Bibl B.n. 30. Bol. and 














— 2597 — 


Zeit wurde er hier zurüdgehalten. Im October erfchien er 
endlich wieder in Erfurt im Kreife feiner alten Freunde. Es 
war eben um die Zeit der Rectorwahl. Keiner erfchien den 
Wählern zur Bekleidung des höchften Amtes würdiger, ald der 
eben angeflommene Crotus: er wurde an die Spise der Uni⸗ 
verfität geftellt 1). 

In dem Rectorate des Crotus feierte der Humanismus 
den vollendetften Sieg. Der eobanifche Bund war durch Ero- 
tus gleichfam volzählig geworden und empfing durch ihn neues 
Leben. Gern theilte fih Eoban mit feinem gelehrten Freunde 
in die Hegemonie?). Die Univerfität wurde unbedingt von 
den Humaniften beherrſcht. Bei der großen feierlihen Pros 
motion, welche im Anfang 1521 unter dem Vorfib des Erotus 
vorgenommen wurde, trat Eoban abermals mit einer glänzen» 
den, vom Lobe der Alten Überfirömenden Rede auf. Unter den 
achtzehn Sünglingen, welche damals die philofophifchen Ehren 
empfingen, bemerfen wir einen Camerarius, Sturz und Groe 
ningen. „Erfurt ftrahlte im Ruhme der Wiffenfchaften”, fagt 
Eoban fpäter in Bezug auf diefe Zeit, „vor allen Städten 
Deutſchlands trug es in dem Weitlampfe die Siegespalme 
davon 8).“ 

Gleichſam als Hätte er die Stürme geahnt, die bald zer- 
flörend über den fiegesfrohen Humaniftenfreis hereinbrechen 
jollten, hat Crotus auf eine höchft eigenthümliche Weiſe Sorge 


den Brief bes Mutian an Menius (die Valeriani 1580) in Alt. lib. epp. 
38a 

1) E. U. M. ad a. 1320. Praef. rect. Crot. „Biduo ante intra- 
verat urbem Crotus salutandi veteres amicos ergo. Reversus nuper 
ex Italia, quam ob ingenii cultum continuo triennio perlustraverat. 
Erat igitur oneri improvisus ille magistralus, tamen proprio commodo 
utilitatem communem praetulit.‘“ Der Borgänger bes Erotus war Pla. 

2) Bon dem überaus innigen Berhältniffe zwifchen beiden um bie 
damalige Zeit zeugen mehrere Briefe, 3.8. Eob. et amic. epp. fam. p. 333. 

®) Kob. Farr. I, 53 a. 

Kampfehulte, Univerfität Erfurt. 17 


— 258 — 


getragen, daß das Andenken an denſelben nicht fo bald ver- 
wifcht werde. Dem Rectoratsberichte, welchen er nach her 
kömmlicher Sitte in der Matrifel der Univerfität abftattete, ließ 
er eine eben fo geihmadvoll als finnreich gefertigte Wappen 
tafel zur Seite jeßen. Sie enthält die Wappen der hervor 
ragendften Mitglieder des eobanifchen Bundes und jener Män- 
ner, die in einem bejonderd nahen und bedeutfamen Berhältniß 
zu demfelben fanden. Oben thront der Schwan des Eobanus 
mit der Eöniglichen Krone. Rechts und links davon fieht man 
die Zeichen des Hutten und Jonas. Weiter bemerkt man die 
Wappen des Melanchthon, Lange, Eberbach, Forchheim, Urban, 
Draconites, Crato, Camerarius und Menius. In der Mitte 
prangt jenes räthjelhafte Horn, das Zeichen des Crotus jelbft. 
An den vier Eden der Tafel find aber in etwas vergrößertem 
Maapftabe die Wappen der vier großen Lehrer angebracht; von 
Reuchlin, Mutian, Erasmus und — Luther '). 


—— — — —— 


1) Die Anordnung iſt folgende: 
Luther. Hutten. Eobanus. Jonas. Erasmus. 


Menius. Melanchthon. 
Camerarius. Crotus. Lange. 
Crato. Eberbach. 


Reuchlin. Draco. Urban. Forchheim. Mutian. 
Die den Wappen beigefügten Namen find ſpäteren Urſprungs, einer iſt 
fogar offenbar irrig: flatt Urban findet fi nämlich in der Matr. der Name 
Urb. Reg. Urbanus Regius ftand aber in durchaus Keiner Berührung mit 
den Erfurtern. Offenbar hat ein Späterer ihn mit dem, unferem Kreife 
angehörigen und mit Erotus innig befreundeten Gifterzienfer Urban ver- 
wechfelt. Die Spuren einer Rafur laffen vermuthen, daß urfprünglich wirt 
lih der Name des H. Urban an der Stelle geftanden habe. — Draconites 
iſt wegen feines Geburtsortes als Caroloftad. aufgeführt. — Diefes Wappen: 
bild ift eine der vorzüglichfien Zierden der Matrifel. Ein Abdrud befielben 
— jedoch ohne die heraldifhen Farben — findet fi in dem NReformationd 
almanach von Keyfer, Jahrg. 1817 S. LXXX. Unter dem Gemälde befindet 
fih ein Kleines Gedicht von E. H. (Cob. Hefle): 
„UL nunquam potuit sine charis vivere amicis 
Hic etiam solus noluit esse Crotus. 
Picta vides variis fulgere toreumata signis 
His sociis nostrae praefuit ille scholae. 








— 259 — 


Wie beveutfamen Einfluß die drei erfigenannten Gelehrten 
auf Erfurt ausgeübt, haben wir gejehen. Der Einfluß des 
welterjchütternden Auguftinersd hatte erſt feit Kurzem begonnen, 
Fortan wird ex herrfchend. 


“u, 


„f 


Die 


Univerfität Erfurt 


in ihrem Verhältniſſe zu dem 
Humanismus und der Reformation. 


Aus den Quellen dargeſtellt 
von 


Dr. F. W. Kampſchulte, 


a. o. Protessor der Geschichte an der Aniversität Bonn. 
-0#90:0- 


Bweiter heil: 
Die Neformation. 


A — 


Trier, 1860. 
Berlag der Fr. Lintz'ſchen Buchhandlung. 








Bie 


Univerſität Erfurt 


und die 


Keformation. 


üæ- 


Ein Beitrag zur Reformationsgeſchichte 
von 


Dr. 8. W. Kampſchulte, 


a. 0. Dınfessar der Geschichte an der Aniuersität Bonn. 


ö— — —Dů- — —— —— — 


Trier, 1860. 
Verlag der Fr. Lintz'ſchen Buchhaudlung. 


SFr. ſintz'ſche Buchdruckerei in Trier. 





Carl Adolph Lornelius 


gewidmet. 





Borrede. 


Inhalt. 


— 


Erfted Eapitel. Luther's Anfänge in Erfurt . . .. . 


1) Luther's Studien- und Mlofterjahre in Erfurt. Sein inne- 
rer Entwidelungsgang bi® zum Ausbruch des AWblafiftreites. 
2) Bedentung des Ablafftreites. Stimmung der Nation. Ber- 
lauf des Streites bis zur Disputation von Leipzig. 3) Erſte 
Aufnahme der Thefen Luthers in Erfurt. Widerfpruch des 
Zrutvetter und Nfingen. Beifall Lange's. Sieg der Intherifch 
Gefinnten. Haltung der Univerfität bei der leipziger Disputa- 
tion. 4) Theilnahme der Sumaniften. Ihre anfängliche fühle 
Haltung dem Möndshandel gegenüber. Gründe des Umfchwungs. 
Begeifterung für Luther. Einfluß des Erasmus. Borlefungen 
des Eordus, Eoban, Jonas. 5) Die päpftlihe Bulle. Ber: 
theilung des päpftlichen Verfahrens. Scenen in Erfurt. Oeffent- 
liche Berdammung der Bulle durch die theologifche Facultät. 
Intimatio Erphürdiana. 


Zweites Capitel. Sturm und Drang . . . . 


1) Crotus. Sein Aufenthalt in Italien. Hoffnungen und 
Befürchtungen. Parteinahme für Luther. Bemlihungen für den- 
felben in Rom. Glühender Haß gegen Rom. Mahnung an 
Luther zum rüdfichtslofen Kampf. Rücklehr nach Deutfchland. 
2) Hutten. Seine politifchen Ideen. Sein Kanıpf für die 
deutſche Yreiheit, gegen Papft und Fürften. Annäherung an 
Euther. Anfmunterungen und Anerbietungen. Gefteigerter Haß 
genen Rom. 3) Hutten’8 und Erotus’ Zufammentunft in Bam- 
berg. Neue Mahnfchreiben an Luther. Hülfszuſagen. 4) Ein- 
wirfung auf Luther, Luther's Erhebung im Jahre 1520. Ver- 
änderter Charakter der Reformationsbewegung. Patriotifche 
Ideen. 5) Fortgang der Bewegung, Luther. Erotus. Hutten. 
Bormwaltender Einfluß Hutten’s. Nationaler Charakter der Be⸗ 
wegung. Das Evangelium und die deutjche Freiheit. Berbren- 
nung der päpftlichen Bulle. 6) Aufregung in Erfurt. Begeifte- 
rung für Evangelium und Baterland. Das Nectorat des Erotus, 
Seine geheime fatirifche Thätigkeit. Fortgeſetzte Anftrengungen 
Hutten’s. 7) Luther’s Fahrt nah Worms. Sein Triumph in 
Erfurt. Ankunft und Berhör in Worms. Ausgang. 8) Schluf- 
betrachtung. 


Dritted Capitel. Das Pfaffenflürmen . . . . 


1) Kirchliche Zuftände in Erfurt vor der Reformation. Anti- 
clerifalifcher Geift der Bürger. Entartung der Geiftlichkeit. 


Seite 
1—42 


43—105 


106—140 


VIII 


Ausnahmen. Wirkung der Predigt Luther's. 2) Erſter Pfaffen⸗ Saite 
flurm im April 1521. 3) Yortdauernde Gährung. Ziweidentige 
Saltung des Rathes. Cinverftändniß des Rathes mit dem Pöbel. 
4) Zweite Plünderung der Geiftlichfeit. Benutung der Bedräng- 
niß des Elerus durch den Rath. 5) Zraurige Folgen diefer Bor- 
gänge für die Univerfität. 6) Rückblick. 

Viertes Tapitel. Die Prädifantn . . . . 141-1 

1) Zumultuarifcher Austritt der Mönde aus den öftern. 

2) Die frei gewordenen Mönche werfen ſich ald Berfünder des 
Evangeliums auf. Ton und Inhalt ihrer Predigt. Auflöfung 
der alten Tirchlichen Ordnung. 3) Kampf der Prädifanten gegen 
Ufingen und andere Bertheidiger des alten Glaubens. Dispu- 
tationen. Theologiſche Streitichriften. Rohheit der Polemit. 
Rath und Prädilanten. 4) Die neuen Tirchlichen Zuftände, 
Irrungen und Streitigleiten in der neuen Kirche, Bedrängte 
2age der Altgläubigen. Loſes Treiben der Evangelifchen. Klagen 
darüber. 5) Die Prädilanten gegenüber der Univerfität. Ihr 
Glaubensmonismus. Anfeindung der Wiffenfchaft. Angriffe 
auf die Univerfität. Verfall derfelben. Klagen. Fruchtloſe 
Wiederherftellungsverfuche. Veränderte Bedeutung des Wortes 
Sophiften. 6) Blid auf Hutten’8 Tette Lebensjahre, Umſchwung 
in der Reformationsbewegung feit 1521. 7) Fortichreitender 
Berfall in Erfurt. Verddung der Schule. Eoban’s Noth. Sein 
Angriff gegen die Prädilanten. Satirifhe Dialoge. Hoffmungs- 
loſe Lage. 

Tünftes Eapitel. Gänzlicher Verfall der Univerfitit . . . . 202-260 

1) Der Bauernaufftand in Erfurt. Die Bauern und die 

ftädtifche Demokratie. Intriguen des Rathes. Plünderung und 
Vertreibung der Geiftlichfeit. Herrfchaft der Bauern. Reaction. 
Confiscation der Früchte der Revolution durch den Rath. Auf- 
hören des Tatholifchen Gottesdienftes und der mainziſchen Herr- 
haft. 2) Bedrängte Tage der Univerfität. Weindfelige Haltung 
des Rathes gegen diefelbe. Gründe. Abzug Eoban’s. 3) Mu- 
tian’8 Ausgang. 4) Yortgang der ftädtifchen Irrungen. Eiu— 
lenkungsverſuche des Rathes. Duldungsſyſtem. Theilweiſe Re- 
ftitution der Katholiſchen. Die Univerſität. Erbitterung der 
Prädikanten. Herftellung des Friedens durch den Vertrag von 
Sammelburg. 5) Anfeindung des Vertrages durch Alt- und Neu- 
gläubige. Kanıpf zwifchen Rath und Prädifanten. Letzte Ver- 
ſuche zur Wiederherftelung der Univerfität. Kampf der beiden 
Confeſſionen um diefelbe. Zroftlofer Zuſtaud der Schule um die 
Mitte des jechszehnten Jahrhunderts. 





Rückblick auf Eoban's Dichterbund. Zerftreuung feiner Mit- 
glieder. Kirchliche Stellung derfelben. Katholiten. Lutheraner. 
Humaniften. Klagen über den feit dem Beginn des Kircheuftrei= 
te8 eingetretenen Verfall ne. 0-20 











vorrede. 


BG» 


Ars das vornehmſte Organ der kirchlichen Oppofition 
des "fünfzehnten Jahrhunderts hat die Univerfität Erfurt im 
Zeitalter Zuther’3 in mehr ald gewöhnlihem Grabe Anſpruch 
auf unfere Aufmerkſamkeit. Ich habe es verjucht, die Thätig- 
feit, welche fie in jener verhängnißvollen Epoche unjerer Ge- 
ihichte entfaltet, den wichtigen Einfluß, den fie bis 1521 auf 
den Gang ber Bewegung ausgeübt, und die Einwirfung, welche 
fie dann durch diefelbe erfahren hat, treu und volljtändig, jo 
weit die noch vorhandenen, müheſam von mir gefammelten 
Quellen e3 geftatteten, darzuftellen, und glaube, dem Leer 
einen nicht ganz werthlofen Beitrag zur Geſchichte der deutjchen 
Reformation vorzulegen. 

Die früher ausgeiprochene Abficht, diefem Bande Beilagen 
von ungedruckten Briefen 2c. folgen zu Taffen, habe ich aufge: 
geben. Soweit diefelben auf den Gegenftand unjerer Darſtel⸗ 
lung Bezug hatten, haben jie in Tert und Anmerkungen 
hinlänglich Berücfichtigung gefunden. Documente von allge 
meinerem Inhalt werden füglicher für größere Publikationen 
zurücgelegt, zu denen die reiche Fülle des noch ungedrucdten 
reformationdgefchichtlichen Materials auffordert. Eine Samm— 





x 


lung der zahlreichen noch ungedruckten, theilweiſe jehr wichtigen 
Briefe ift ein Bedürfniß, das Seder, der fih eingehender mit 
der Neformationsgejchichte bejchäftigt hat, gefühlt haben wirt. 

Sehr habe ih im Verlauf diefer Arbeit den Mangel 
eine® Werkes empfunden, das für die Fatholifche Literatur 
basfelbe Leiftete, wa das Corpus Reformatorum für die 
evangelifche zu Leiten bejtimmt ift, — eine Corpus Catholi- 
corum, wenn man bdiefe Bezeichnung gelten laffen will. So 
lange die Schriften eines Cochläus, Erotus, Kling, Eck x. 
noch Raritäten bleiben, die aus den verſchiedenſten Bibliothefen 
zufammengetragen werden müſſen, wird der Reformationghiifto: 
rifer mit kaum zu bewältigenden Schwierigkeiten zu kämpfen 
haben und in manchen Fällen feine Aufgabe nur unvollkom— 
men löjen können. 

Einige Ueberwindung hat es mir gefoftet, mich über die 
ſpäteren Schieffale des erfurter Gelehrtentreifes fo Furz zu 
faffen, als es gejchehen ift, zumal da ich hier vielfach berr: 
Ihenden Anfichten entgegenzutreten genöthigt war. Allein mit 
dem Plane des MWerfed war größere Ausführlichfeit nicht ver: 
einbar. Vielleicht wird mir Später Gelegenheit geboten wer: 
den, in einem andern Zuſammenhange auf die hier angeregten 
Tragen zurücdzufommen und auszuführen, was hier nur ange: 
deutet werden konnte. 

Noch Liegt e& mir ob, meinen verehrten Freunden und 
Gönnern in Bonn, Münden, Erfurt, Gotha, Göttingen, 
Königsberg ꝛc. für die freundliche Unterftüßung, die fie mir 
bei diefer Arbeit gewährt, meinen herzlichen Dank auszuſprechen. 

Bonn, im Mai 1860. 








Druckfehler. 


Seite 3 Linie 17 von unten lies optime ſtatt optimo. 


2 2322 23233033 


= 
- 


17 


SEE 


2 3% 23 3 


4 u 


lies 18. Mai 1518 ſtatt 18. März 1858. 
lies 1761 ftatt 1701. 
tilge das Komma nach culpa. 
"nn " „ seducitur. 
lie® hoc ftatt hox. 
lie® ingentem ftatt ingentum. 


21 don oben lies Pfründenverleihungen ftatt Pfeünderverleihungen. 


1un 


lies theologifixte ftatt theologofirte, 


1 van unten lied Jona ftatt Jonae. 


Erfies Kapitel. Luthers Anfänge in Erfurt. 


„Exoptate die votis Martine tuorum, 
Nostra deäm dextro numine tecta subi.“ 
Koban, 


J. 


Es war im Sommer 1501, unter dem Rectorat des gefeierten 
Trutvetter, als Martin Luther die Univerſität Erfurt bezog ). 
Er ſtand damals in feinem achtzehnten Lebensjahre; das fünf- 
undzwanzigſte hatte er beinahe zurückgelegt, als er Erfurt verließ. 

Was feine Biographen über dieſe fteben Qahre berichten, 
it dürftig und kaum mehr, als Meberlieferung der Sage ?); 
doch Luthers eigene Meittheilungen genügen, um uns erfennen 
zu laſſen, daß fte zu den wichtigften ſeines Lebens gehören. 

Wenig zu jagen tft von der erften Zeit. Soweit wir 
Luther Spuren folgen können, finden wir ibn während der 
eriten Fahre ganz auf den gewöhnlichen Bahnen. Er ftudirte 
Philoſophie und Rechtswiſſenſchaft, um fpäter nach Wunfch der 
Eltern als Rechtögelehrter fein Glück zu verfuchen. „Mit 
ſonderm Fleiß” widmete er fi dem Studium der Philofophie ; 
er hörte Logik, dann Phyſik, Ethik und was ſonſt noch das 


1) Als Martinus Judher ex munsfelt ift er 1501 in bie Matrifel ein: 
getragen, als Martinus Luder erfcheint er in bem Magifterverzeichniß von 
1505. — Erf. Univ. Matr. 

2) Melanchthon Historia de vita et actis M. Lutkeri (Wittenb, 1546), 
Cochläus Comment. de actis ct scriptis M. Lutheri (Me. 1549), 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. IL. Theit. 


- 2 — 


ſcholaſtiſche Herfommen vorfchried. ine ganze Reihe von 
Lehrern wird aufgeführt, deren Borlefungen er bejucht hat: 
Trutvetter, „der Doctor von Erfurt”, der eben damals auf ber 
Höhe feines Ruhmes ftand, Wfingen, Ebeling, Greffenjtayn, 
Gryphius, Hecker. Aus fpätern Weußerungen Luther geht 
hervor, daß diefe Männer einen günftigen Eindrud auf ihn 
gemacht haben !). Den meijten Einfluß auf ihn gewann Trut- 
vetter, den er vorzugöweife als feinen Lehrer und Führer 
betrachtete und für den er auch noch in fpäterer Zeit große 
Verehrung befundet?). Das in Erfurt berrichende philofopbifche 
Syſtem war, im Einklang mit der ganzen Richtung der Schule, 
dag ber „Modernen“, der ſeit Dccam gewöhnlich mit der Firdh- 
lichen Oppofition verbündete Nominalismus, und in dieſen 
wurde auch Luther eingeführt). Schon im Jahre 1503 empfing 


Matheſius Hiftorien Bon des Ehrwirdigen in Gott feligen theuren Mannes 
Gottes, Doctorig Martini Luther? anfang, Lere, leben und fterben (Nürnb. 
1570), Bavarus, bei Sedenborf Comment. de Lutheranismo I, p. 21 
bieten für biefe Zeit — wenn man bie fagenhafte Ausſchmückung entfernt — 
nur fpärliche Notizen. Aehnlich verhält es fi) mit den fpätern Arbeiten von 
J. 9. Sinnhold De meritis Martini Lutheri in civitatem et ecclesiam 
Erfordiensem (Erf. 1746), Fratzſcher Do academia Erfordiensi de Lu- 
thero optimo merita et evangelicae, quam is adseruit veritatis teste 
et vindice (Abgedr. im Musaeum Casimirianum ed. Frommann Cob. 
1771, P. 1, p. 258—%8) und Motfchmann Erfordia Litterata Fünfte 
Sammlung p. 696 sqq. 

1) So ftellt er der willenfchaftlichen Tüchtigfeit feiner erjurter Lehrer ein 
fehr günſtiges Zeugniß aus, wenn er fpäter in ber Streitfchrift gegen Latomus 
feine eigene jcholaftiihe Bildung rühmt: „„Arbitror igitur et mihi non esse 
penitus crassum in rebus istis (sc, philosophia et scholastica theo- 
logia) judicium, qui educatus in eis sim et coaetangrum doctissi- 
morum ingenia expertus, optima istius generis scripta contemplatus, 
in sacris literis saltem ex parte eruditus.‘“ gl. Rationis Latomianae 
pro incendiariis Lovaniensis scholae Sophistis redditae Lutheriana 
Confutatio, Wittenb. Q. 2b. 

2) Vgl. De Wette Luthers Briefe I, 107 ff. Lutherus egregio et op- 
timo viro Domino Jodoco Eisenacensi, Theologo et Philosopho prime, 
sibi in Domino Majori semper venerabili d. d. 9. März 1518. 

s) Ein Umſtand, dem indeß übertriebene Bedeutung beigelegt worben 





- 3 — 


er die erite acabemifche Auszeichnung, das philoſophiſche Bac- 
calaureat, zwei Jahre fpäter die Magiſterwürde. Es kann al? 
ein Beweis für den Erfolg feiner philofophifchen Studien ange- 
jehen werden, daß ihın unter fiebenzehn Bewerbern der zweite 
Platz zuerkannt wurde. 

Für ſeine juriſtiſchen Studien fand er in dem gelehrten 
Henning Goede einen eben ſo wohlwollenden, als kenntnißreichen 
Führer. Als Beiſpiel ſeines Eifers für dieſe Studien wird 
angeführt, daß er trotz ſeiner beſchränkten Vermögensverhältniſſe 
ſchon in den erſten Jahren das ganze Corpus juris käuflich ſich 
erworben hatte. 

Allein auf die Dauer vermochte weder nominaliſtiſche Phi⸗ 
loſophie, noch Rechtswiſſenſchaft ſeinen Geiſt zu feſſeln. Schon 
frühzeitig fing er an, neben den Fachſtudien ſich ernſtlich mit 
der h. Schrift zu beſchäftigen; von Trutvetter empfing er die 
erſte Anleitung zu einem freiern Studium derſelben ’). Dann 
wandte er fich, dem allgemeinen Zuge folgend, eine Zeitlang 
dem clajfiichen Alterthum zu, las Cicero, Virgil, Plautus, 
nahm 1504 an den humaniftifchen Vorlefungen bes Hieronymus 
Ener Theil?). Indeß die Begeifterung, welche Andere aus 
den Worten der Alten fchöpften, blieb ihm fremd: er ſelbſt hat 
e3 jpäter bedauert, in feiner Sugend nicht mehr „Poeten und 
Hiftorien” gelefen zu haben?). Um jene Zeit war es, daß 
Maternus die poetiſch gefinnte Jugend um ſich fammelte und 
zu einer Schule vereinigte. Luther hat fich ihr nicht ange- 
ſchloſſen; aud zu Mutian ift er in fein näheres Verhältniß 


iſt: Luthers. Ausgangspunft war nicht ber Nominalismus des Occam, wie 
fleißig er dieſen auch eine Zeitlang ſtudirt hat. 

ı) De Wette I, 109. — Was Matheſius u. A. über bie Schreierigfeiten 
berichten, die ſich Luther babei entgegengeftelt haben follen, ift Ausſchmückung 
der Sage und wird jchon durch meine frühern Ausführungen über das Bibel: 
ſtudium in Erfurt widerlegt. Vgl. Bd. J, p. 21 sgg. 

2) Bol. Unfhuld. Nachrichten. Jahrg. 1720 p. 14. 

2) Walch, Luther? Werke. X, 558. 


—_ 4 — 


getreten. Die heitere und frohe Welt: und Lebensanfchauung 
ber jungen Poeten war nicht die ſeinige. Der Einzige aus 
dem Humaniftenfreife, mit dem er nähern und freundfchaftlichen 
Umgang hatte, war Crotus Rubianug !). 

Wie wenig indeß die Freundjchaft zwifchen beiden auf 
Geifteöverwandtfchaft beruhte, zeigte der Schritt, den Luther 
1505 that. Der plöbliche Tod feines Freundes Alexius, ber 
erfchütternde Eindruck, den ein furchtbares Naturereigniß auf 
ihn machte ?), brachte bei ihm in dieſem Jahre den wahrjchein- 
lich Schon längere Zeit gehegten Plan zur Reife, der Welt zu 
entfagen und fich dem Ordensleben zu widmen. Am 17. Suli 
1505 erfolgte fein Eintritt in dag Auguftinerkflofter zu Erfurt. 
Bergebens hatten Eltern und Freunde ihn von der Ausführung 
ſeines Vorhabens abzuhalten gejucht. 

Faft um diefelbe Zeit, als Luther ſich in die Einfamkeit 
des Kloſters zurüczog, förderte fein Freund Erotuß den “Plan 
des jungen Ulrich von Sulten, aus dem Klofter zu Fulda zu 
entfliehen. — 


2) Crotus gebenkt Tpäter mehrmals diefer Freundſchaft, die fi) wahr: 
fcheinlih aus jener Zeit herfchrieb, wo er mit Luther gemeinfchaftlich ber 
Scholaftif oblag; fo in dem Schreiben aus Bologna d. d. 17 Cal. Nov. 1519 
„Duo Martine Venerande itemque mihi Charissime firmum in te amo- 
rem meum custodiunt, quod summa familiaritate Erfordiae banis 
artibus simul operam dedimus aetate juvenili, quod tempus inter si- 
miles mores arctissima fundamenta collocat,‘“ Mieg Monumenta Pie- 
tatis et litter. virorum. Fref, 1701. U, 12 und in bem Schreiben aus 
Banıberg d. d. 4 Cal. Maj. 1520. ‚‚Eras in meo quondam contubernio 
Musicus et philosophus eruditus.‘“ Herz. Goth. Bibl, Cod. Chart. B. %. 

2) Auch Crotus gedenft des Blitzſtrahles, in dem er ſpäter das Zeichen 
der göttlichen Miffion Luthers ſah: „Nam ista facis non sine 'numine 
divum. Ad haec respexit divina providentia cum te redeuntem & 
parentibus coeleste fulmen velut alterum Paulum ante oppidum Er- 
fordianum in terram prostravit aAtque intra Augustiniana septa com- 
pulit ex nostro consortio tristissimo tuo discessu, post hoc tempus 
etsi rara fuerit familiaritas nostra, animus tamen meus semper tuus 
mansit.‘“ Crot. ad Luth. d. d. Bonon. 17. Cal. Nov. 1519. Mieg 
1. c. II, 16. 





— 5 — 


Und mit Eifer und Hingebung ging Luther an die Er- 
füllung der Pflichten feine® neuen Standed. „Sch war ein 
Mönch ohne Klage”, jagt er von fich ſelbſt, „deſſen ich mich in 
Wahrheit rühmen kann.“ Ohne Murren unterzog er fich 
während feine? Noviziats den niebrigften Verrichtungen, die 
ihm auferlegt wurden, bis fich die Univerfität für ihn in's 
Mittel legte). In der Befolgung der ascetifchen Vorſchriften 
war Niemand gewifjenhafterr. Durch Falten, Beten, Nacht: 
wachen, anhaltende Studium der heiligen Schrift härmte er 
feinen Körper dergeftalt ab, daß er jogar dag Mitleiven feiner 
Klofterbrüber erregte ?). „Wahr iſt's“, äußert er ſpäter einmal 
über fein ascetiſches Ringen, „ein frommer Mönch bin ich 
geweien und habe fo geftrenge meinen Orden gehalten, daß 
ich's Tagen darf: ift je ein Mönd, gen Himmel fommen durd) 
Möncherei, fo wollt’ ich auch hineingefommen fein.” So empfing 
er im Frühjahr 1507 die priefterliche Ordination. — 

Um diefe Zeit gedachte Crotus, ber inzwilchen unter 
Mutians Leitung fich begeben, wohl kaum noch des ascetiſchen 
Freundes und ahnte am wenigften die Bedeutung, die derfelbe 
einst für ihn und Mutians Schaar gewinnen follte. Und doch 
wurde fehon in diefen Sahren ver Grund dazu gelegt. 

Mir dürfen einen Augenblic® hierbei ftehen bleiben. 

Es ift unzweifelhaft — Luthers eigene Aeußerungen befei- 
tigen jedes Bedenken ) — daß er bereit? während der erfurter 
Klofterjahre den Keim empfangen, aus dem fein ganzes nadh- 
berige3 Syitem hervorwuchs. 


ı) So nad Mathefiuß 1. c. 46. Auch als Mönch blieb Luther Pre 
der Aniverfität. 

2) Vgl. Bavarus bei Sedenborf 1. c. I, 21. 

3) Pol. 8. Jürgens, Luther von feiner Geburt bi zum Ablaßftreite, 
8. I u. II, wo eine forgfältige Zufammenftellung berfelden. Doch wird 
man Luthers fpätere Aeußerungen über feine frühern Seelenzuftänbe- mit 
etwas mehr Vorſicht aufnehmen müflen, als es bier geihieht. Vgl. auch 
Döllinger die Reformation ꝛc. III, 3 494. 


— 6 — 


Schon aus dem Geſagten ließ ſich erkennen, daß Luthers 
ascetiſcher Eifer nicht der gewöhnliche war, daß ihm etwas 
Ueberſpanntes, Krankhaftes beiwohnte. Den Grund diefer Er⸗ 
ſcheinung finden wir in dem höchſt eigenthümlichen Seelen— 
zuſtande, der ſich ſchon in früheſter Jugend bei Luther entwickelt 
zu haben ſcheint. Jene Sehnſucht der Creatur nach der Voll⸗ 
kommenheit des Schöpfers, die ihr auch nach Adams Fall ver— 
blieben iſt, hat wohl kaum Jemand tiefer gefühlt, als Luther 
in ſeiner erſten Lebensperiode. Sein ganzes Weſen ſcheint von 
ihr durchdrungen. Innig verknüpft damit iſt ein tiefes Gefühl 
von der natürlichen Kraft des Menſchen. Es iſt der Zuſtand 
einer vollſtändigen, durch eigene Kraft und Anftrengungen zu 
erringenden Sünbenlofigkeit, der ihm als Ziel vorjchwebt, ein 
Zuftand, in dem der Menſch mit dem verdienten Anjpruche 
‚ auf Anerkennung gleihjam jelbitändig vor jeinen Herm bin- 
tritt. Diefen zu verwirklichen, hält er für die Aufgabe aller 
Religion, für feine größte und einzige Pflicht. Sehr wahr 
bezeichnet er in feiner fpätern Periode den chemaligen Luther 
als den „anmaßlichſten Scelbftgerechten” (praesumptuosissimus 
Justitiarius). Und fein Opfer, feine Anftrengung hat er gefcheut, 
um das Ziel zu erreichen. Er trat in’? Klofter, als er daran 
verzweifeln mußte, in der Welt feine Lebenzaufgabe erfüllen 
zu können !). Er ergriff ven Ordensſtand und deſſen ascetiſche 
Vorſchriften mit der ganzen Energie feines heftigen, der größten 
Anstrengungen fähigen Charakter. Durch Häufung kirchlicher 
Andachtsübungen, durch Werke rauher Buße, durch Abtödtung 
und Selbftverläugnung glaubte er fein Ziel erreichen zu können. 

Aber fein Wunder, wenn eine jolche VBerfennung der menjch- 
lichen Schwachheit fich rächte, wenn der geiftige Hochmuth, der 
vermeſſen durch eigene Kraft, ohne göttliche Gnade den Himmel 
ftürmen wollte, eine Niederlage nach der andern erfuhr, und 


1) „Ich ging in's Klofter und verließ die Welt, indem ich an mir ver: 
zweifelte.* Sürgens 1. c. I, 522, 





— 7 — 


das Bewußtſein der eigenen Sündhaftigkeit dem krankhaft 
Ringenden mitten unter ſeinen ascetiſchen Bemühungen von 
Neuem und verſtärkt ſich aufdrängte! Das Ende war Ent- 
muthigung, Troſtloſigkeit, düſtere Schwermuth, ein Zuſtand, 
in dem er, wie er ſich ſelbſt ausdrückt, Gott haßte, ihm zürnte. 

Solche Stimmungen haben nicht ſelten einen Umſchlag in 
das gerade Gegentheil zur Folge gehabt. Bei Luther lag dies 
um ſo näher, als jenes werkheilige Streben keineswegs in der 
Richtung des Ordens lag, dem er angehoͤrte, dieſer vielmehr 
ſchon längere Zeit die auguſtiniſche Lehre von der Gnade mit 
beſonderer Vorliebe gepflegt hatte!). Der Provinzial des 
Ordens, Staupis, war e3, der ihm zuerft die Verfehrtheit feines 
bisherigen Streben? vorftellte und ihn auf Gottes Vaterhuld 
hinwies. Ein alter Augujtinerbruder, dem er feine Seelenleiden 
Magte, erinnerte ihn in väterlihem Zuſpruch an die Lehre von 
ver Vergebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöfer. 
Diefe Worte fielen wie ein Lichtſtrahl in dunkele Nacht. Rath: 
108, von der Nutzlofigkeit feiner bisherigen Anftrengungen üiber- 
zeugt, erfaßte er nunmehr jene tröftliche Lehre eben jo einjeitig 
und Teivenjchaftlich, al3 er vorher Alles burd eigene Kraft zu 
erreichen geſucht hatte; er empfing damit den Keim zu dem, 
was er }päter fein „Evangelium“ nannte. Eine neue Welt 
begann fich ihm zu erjchließen. . 

Es war no im Klofter zu Erfurt, wo Luthers innere 
Entwickelung diefe entfcheivende Wendung erfuhr). Was in 
Erfurt begonnen, follte in Wittenberg vollendet werden. 

Auf Beranlaffung feines Provinzial® wurde Luther im 
Sahre 1508 dorthin berufen, um als Lehrer der PBhilofophie 


1) Indeß wie jehr auch Luther — und bie hebt mit Recht Döllinger 
bervor — durch die myſtiſch-auguſtiniſche Richtung bed Ordens, bie nament- 
ih Andreas Proles begünftigt hatte, auf feinem Wege gefördert worben ift, 
jo ift doch feine Auffaffung der Rechtfertigung durchaus ihm eigenthümlich, 
die Schöpfung feines Geiftes. 

2) Jürgens 1. c, II, 69. 








— 8 — 


. ’ 
an der neugegründeten Univerfität zu wirken. Indeß von ben 
Borlefungen über Dialectit und Phyſik des Ariftoteles, die er 
übernehmen mußte, kehrte er bald zur Theologie -gurüd. Er 
verjenkte fich in das Studium der Bibel, der Schriften des 
h. Auguftin und der Predigten Taulers. Die Stimmung, in 
der er an dieſe Werke herantrat, ließ ihn Leicht in benfelben 
neue Beweife für die Nichtigkeit feiner neugewonnenen Anficht 
finden. Im Sahre 1512 empfing er von der theologiichen 
Tacultät in Wittenberg die Doctorwürbe, 

Der lebte Vorfall ftörte auf einige Zeit das freundliche 
Verhältniß, in dem Luther, troß feiner Weberfiedelung nad 
Wittenberg, zur Univerfität Erfurt geblieben war. Seine alten 
Lehrer in Erfurt waren unzufrieden darüber, daß der Zögling 
ihrer Schule anderswo die höchſte academiſche Auszeichnung 
angenommen, und führten Klage über jeine Undankbarkeit. 
Luther, der das bisherige Verhältniß ungern geitört jah, Tuchte 
in mehreren Briefen den gethbanen Schritt zu entjchuldigen und 
durch die Betheuerung feiner tiefiten Ehrfurcht gegen „feine 
Mutter, die Univerfttät Erfurt”, die Beleidigten zu verſöhnen '). 
Starke Bande feflelten ihn auch noch in Wittenberg an Erfurt. 
Seine nächte Umgebung beftand dort zum Theil aus Mit 
gliedern der erfurter Schule und mit ihnen hatte er den meiften 
Umgang. Trutvetter und Goede, feine beiden verehrtejten 
Lehrer, wirkten eben damals neben ihm an der Univerfität. 
Spalatin lebte ſeit 1508 am churfürſtlichen Hofe und 1513 


- 2) Bol. Luther an den Decan und die Doctoren ber theol. Facultät in 

Erfurt d. d. 21. December 1515. ‚‚Fateor et axnosco, Mater mes, 
Erfordiensis Universitas, cui non contentionem sed honorem debeo. 
Ideircn non quaero violentam juris deſensionem.“ De Wette-Seidemann 
VL, 5 — Aehnlich Luther an den Prior Lohr und die Senioren bed ef. 
Auguftinerconvent3 d. d. 16, Juni 1514 bei De Wette I, 12. Vgl. aud 
1, 9, wo bie Einladung Luthers an feine erfurter Ordensgenofien zur Pro: 
motion. -— Die Klage der Erfurter war allerdings nicht ganz grundloß, benn 
nad) der gewöhnlichen Auffaffung der damaligen Zeit hätte Luther in Erfurt 
den Doctortitel annehmen müffen. 





— 9 — 


kam auch der Auguſtiner Lange auf mehrere Jahre nach Wit⸗ 
tenberg. Gerade mit dieſen beiden unterhielt er jenen vertrau⸗ 
lichen Verkehr, dem wir großentheils unſere Kenntniß von dem 
Fo tgange feiner innern Entwidelung verdanken '). 

Diefe aber war, freilich nicht ohne Anfechtungen, bereits 
gegen Ende 1516 fo weit vorgefchritten, daß Luther, den einmal 
erf.igten Gedanken weiter verfolgend, ſchon damals ſich in ben 
wichtigften Punkten von ber Lehre der Kirche entfernt hatte, 
und feine neugewonnenen Ideen fich zu einem myſtiſchen Sy- 
ſteme zu geitalten begannen, das durch die Lehren von der 
Sünpdhaftigkeit alles menfchlichen Thuns, der Unfreiheit des 
Willens, der Aneignung der göttlichen Gerechtigkeit durch den 
Slauben den jchroffiten Gegenjab zu jeinen frühern Beftreb- 
ungen bildet. Wir haben noch eine Reihe won Predigten von 
ihn aus den Jahren 1515 und 1516, in denen fi jene Säbe 
bald mehr, bald weniger beftimmt ausgefprochen finden 2). Er 
trug fie vor in feinen VBorlefungen?). In einer 1516 unter 
feinem Vorſitz gehaltenen Disputation werben fie ſchon in ihrer 
Ichroffiten Geftalt vertheidigt +). In Briefen an Spalatin und 


— 


1) Bon den 53 und erhaltenen Briefen, bie Luther vor feinem Auftreten 
gegen ben Ablaß fchrieb, find 29 an Erfurter gerichtet, Davon 11 an Spalatin, 
13 an Lange, letztere find bei weiten die wichtigften. Lange war bis Anfang 
1546 in Wittenberg (im Februar 1516 erfcheint er bereit3 als von Luther 
eingefeßter Auguftinerprior in Erfurt, |. De Wette I, 15, 22), beichäftigte fich 
namentlich mit Tauler (vgl. De Wette I, 34), dur Spalatind Bermittelung 
benutzte er die Wittenb. Bibl. (Vgl. Spalatin an Lange 11. März 1514 
M. ©. ber herz. Goth. Bibl. No, 399). 2. war ber eigentliche Vertrauens⸗ 
mann Luthers. 

3) Bei Löſcher Reformationd-Acta und Documenta I, 231 ff. 

2) Nach Melanchthon 1. c. hätte er ſchon damals in feinen Vorleſungen 
feinen Gegenſatz zwifchen Gefeß und Evangelium gelehrt. 

“) Quaestio de viribus et voluntate hominis etc. bei Löſcher 1. c. 1, 
325--48. Da kommen ſchon Säbe vor, wie folgende: Homo quando facit 
quod in se est peccat, cum nec velle aut cogitare ox se ipso possit 
(p. 334). Cum justitia fdelium sit in Deo abscondita, peccatum vero 
corum manifestum in se ipsis, verum est, nonnisi justos damnari, 


— 10 — 


Lange beklagt er jich über die theologifche Richtung des Erazmu3, 
der die Bebentung der göttlichen Gnade verkenne!). Bereits 
juchte er feine Anfichten in weiteren Kreifen zu verbreiten: er 
fandte feine Predigten an entferntere Freunde ?), er ermahnte 
ſchon im April 1516 den Auguftiner Georg Spenlein in Mem- 
mingen, an fich felbft zu verzweifeln und einzig auf Chriſti 
Gerechtigkeit zu vertrauen ?). 

In Wittenberg fanden feine Lehren Anklang. Sie wurden 
an ber Univerſität, wie im Auguftinerflofter nach und nach 
herrichenn 4). Luther erfreute fich eines ungewöhnlichen An— 
ſehens. Stanpitz machte ihn während einer Reife zum Verweſer 
des Ordens. Spalatin, der vertraute Nathgeber de Chur- 
fürften, hegte eine fat unbegrenzte Verehrung für ihn °); durch 
Zange läßt er ihn um fein Gutachten über die reuchlinifche 


atque meretrices et peccatores salvari (p. 335). Omnis justus vel 
inter bene agendum peccat (p. 335). 

t) „Erasmum nostrum lego et in dies decrescit mihi animus erga 
eum: placet quidem, quod tam religiosos quam sacerdotes non minus 
_ constanter quam erudite arguit et damnat inveteratae hujus et'veter- 
nosae inscitine: sed timeo ne Christum et gratiam Dei non satis pro- 
moveat.“ An Lange. Vgl. De Wette I, 52; ähnl. an Spalatin I. c. I, 39. 

2) De Wette I, 15. | 

2) „‚Igitur, mi dulcis frater, disce Christum et hunc crucifixum, 
disoe ei cantare et de te ipso desperans dicere ei: lu, Domine Jesw, 
es justitia mea, ego aultem sım peccalum taum: assumsisti meum et 
dedisti mihi tuum.,.. Igitur non nisi in illo per fiducialem despera- 
tionem tui et operum tuorum pacem invenies.“ 1. c. I, 17. 

*) ‚„„Theologia nostra et 8. Augustinus prospere procedunt et 
regnant in nostra Universitate Deo operante. ““ Luther anfangel. c. X, 57. 

>) Vgl. Spalatin an Lange 11. März 1514. ,‚Doctori Martino me 
quaeso commenda. Tanti enim facio virum doctissimum et integer- 
rimum et quod rarissimum est etiam judicii acerrimi hominem, ut tam 
ejus totus esse cupiam quam et tuus sum jam pridem et eruditorum 
atque bonorum omnium, M. ©. der Herz. Goth. Bibl. No. 399 fol. 271n. 
— Sn einem ebenfall® noch ungedrudten Schreiben an Lange aus dem J. 
1515 äußert er bei &elegenheit eines Streites über den Verfafler be Liber 
de statura Christi, daß er unbedingt Luther beipflichte: Ne Jatum quidem 
digitam a Doctoribus nostro Martino et Wenceslao discedam. 





— 1 — 


Angelegenheit bitten: er betrachtet Luthers Anficht ala ent- 
Tcheidend !). Selbft ein Mutian wurde in der Terne aufmerk— 
fam auf den fühnen Mönch und zog bei Lange Erfunbigungen 
über ihn ein?). 

Und ſchon wagte es Luther weiter zu geben. In feiner 
Vorrede zur Deutjchen Theologie, die er 1516 herausgab, ftellt 
er bereit? die Behauptung auf, daß an ben Univerfitäten „das 
heilige Wort Gottes nicht allein unter der Bank gelegen, fon: 
dern von Staub und Motten nahend verwefet”*). Vor Allem 
nahmen feine Ideen eine Richtung gegen bie Scholaftif, die 
ihm, feit er in ber Myſtik feine Beruhigung gefunden, wie ein 
Gräuel erſchien. Schon im Februar 1516 Tieß er durch Lange 
feinem nah Erfurt zurückgekehrten Lehrer Trutvetter ein 
Schreiben voll der härtejten Schmähungen gegen Ariſtoteles 
zuſtellen *). 


1) Vgl. Spalatin an Lange, in ber angeführten Sammlung f. 272. 
Das Gutachten Luthers findet fih De Wette I, 7. Das Datum bei De Wette 
ift irrig; richtig fette Schon Aurifaber bag Gutachten in das S. 1514. 

2) Die fehr intereffante Antwort Lange’? auf Mutians Anfrage findet 
fi) bei Hefel Manipulus primus epp. siugularium p. 104 (wiederabgedr. 
bei Tentel Rel. epp. Mut. p. 29) und lautet: „De acri illo oratore 
rogas, qui hesternoe die in fratrum sanctulorum mores invectus est, 
is Doctor Martinus est, quocum Erphurdie perquam familiariter vixi, 
nec parum auxilii bonis in literis olim mihi attulit. Rum ipsum ut 
Apollinem Spalatinus noster veneratur et consulit. Dictionem ejus 
fuco vacantem (quem ex industria fugit) mitto cum nostra. Demos- 
thenis autem lucernam in neutra reperics, quippe quod nostrum uter- 
que lectionibus Wittenburgi adeo disturbatur, ut vix respirare liceat.“‘ 
Der Brief und die befprochene Predigt gehören fpäteflens, und wohl wahr: 
ſcheinlich, in das J. 1515, da im Anfang 1516 Lange Wittenberg verließ. 

2) Vgl. Löſcher I, 300 

) In dem Begleitſchreiben an Lange äußert er; „„Niail ita ardet ani- 
mus, quam histrionem illum, qui tam vere Graeca larva Ecclesiam 
lusit, multis revelare ignominiamque cjus ounctis ostendere si otium 
esset. Habeo in manibus commentariolos in primum Physicorum, 
quibus fabulam Aristaei denuo agere statni ia meum istum Protea 
illusorem vaferrimum ingeniorum ita ut nisi caro fuissel, vere dia- 
bolum eum fuisse non puderet asserere!“ De Wette I, 15—16. 


Veberhaupt Täßt ſich bemerken, daß Luther es fich vorzüg- 
fich angelegen fein Tieß, feine Ideen auch in Erfurt zur Herr 
ichaft zu bringen. Er ſendet an Lange feine Predigten zur 
MWeiterverbreitung. Wir erfahren, daß die in Wittenberg auf 
geitellten Propofitionen über Gnade und Freiheit jchon früh 
zeitig auch in Erfurt herumgingen’). Im Sommer 1517 
empfing Lange von feinem wittenberger Freunde abermald 
99 Theſen über Gnade, Freiheit, Rechtfertigung, über die Ver: 
“ werflichfeit des Ariftoteled und der Scholaftil 2). Am 4 Sep 
tember erbot fich Luther, nach Erfurt zu kommen und dort jeine 
Sätze zu vertheibigen ®). 

Ungefähr zwei Monate ſpäter überfandte er an Lange eine 
neue Sammlung von Thejen mit einem Begleitichreiben, das 
Ihon durch feine merkwürdige Unterjchrift etwas Ungewöhn- 
liche? ankündigte *). 

Es waren die 95 Theſen gegen den Ablaß. 


I. 


Waren auch Lutherd Bemühungen, feine Anfichten zu ver: 
breiten, nicht fruchtlos geblieben, fo war doch, bei der Gleich— 
gültigfeit de Zeitalter? gegen theologifche Fragen 5), wenig 
Ausſicht vorhanden, daß fie in die Maſſe der Nation eindringen 


ı) De Wette I, 29, 33, 

2) Abgedr. bei Wald XVII, p. 6—14. 

s) De Wette 1, 60. 

*) De Wette I, 71. Er unterzeichnet ſich in diefem Schreiben zum erſten 
Mal: Martinus Eleutherius! 

5) „„Adeo invaluit““, Tlagt der fromme Wimpfeling, „error et coe- 
citas prudentium hujus saeculi, qui sacras literas et earum studiosos 
despiciunt ut cum quodam quasi ludibrio atque contemtu theologum 
quempiam appellent. Est, inquiunt, theologus, subsannantes, irridea- 
tes, pro nihilo ducentes, tamquam homo sit nullius pretii ad nikil 
idoneus, nullo statu honesto dignus. Id persaepe audivi.“ Vgl. 
Riegger Amoeuitates literar. Friburg. Ulmae 1775. p. 275. 





— 13 — 


würden. Noch ließ es fich als möglich denken, daß fie — auf 
den Kreid weniger geiftlicher und gelehrter Genoſſenſchaften 
befhräntt — nad, einigen Generatiohen verfchollen, in das 
Geleiſe Firchlicher Rechtgläubigkeit zurückgelenkt fein würben, 
wie Aehnliches früher und fpäter in der Kirche geſchehen ift. 
Indem aber Ruther feine Ideen gegen den Ablaß kehrte, ficherte 
er ihnen ihr Beitehen für die Zukunft: er trat damit an bie 
Spitze einer bereit3 beftehenden, nationalen kirchlichen Oppofition 
und drücte ihr den Charakter des Schismas auf. 

Denn durch eine verhängnißvolle Wendung der Dinge war 
es gefchehen, daß die Nation, welche einft in dem innigften 
Verhältnig zu Rom geftanden und dur treue Ergebenheit 
gegen den päpftlichen Stuhl vor allen fid, ausgezeichnet hatte, 
im Anfang des jechzehnten Jahrhunderts gerade in ber ent- 
gegengejegten Richtung am weiteften vorgejchritten war. Man 
darf behaupten, daß Oppofition gegen Rom und Papft damals 
die in Deutfchland herrichende Stimmung war. Wir finden 
fie in allen Schichten der Nation, bei Hoch und Niedrig, bei 
dem Gebilvdeten wie bei dem Ungebilveten. Der gemeine Mann 
in Stadt und Land verkündet fie in feinen Sprüdwörtern und 
Anekdoten ’), die Volksbücher offenbaren fie, die volksthümliche 
Satire ift voll davon. Unter einem großen Theile der Gebil- 
deten galt Haß gegen Ron als ein ehrenhafter Zug im beut- 
ſchen Charakter, als ficheres Kennzeichen ächt vwaterländifcher 
Sefinnung. Die deutihen Fürften, geistliche und weltliche, 
jehen wir nach feiner Seite hin fo eiferfüchtig über ihre Nechte 
wachen, al3 der Curie gegenüber. Mit Miftrauen wurde auf- 
genommen, wer von Nom fam. Auf den Reichdtagen war von 
Nichts fo häufig die Rede, als von den Befchwerben der beut- 
hen Nation. gegen den römischen Stuhl, Es war eine der 


1) Es mag genügen, an Bebeld Facetien zu erinnern; Auszlige baraus 
bei ©. Hagen, Deutfchlands Titer. und relig. Verhältnifſe im Reformations⸗ 
zeitalter, 1, 393 ff. 


— 14 — 


eriten Handlungen des 1500 eingerichteten‘ Reichdregiments, 
daß es eine Gefandtichaft an den Papft abfertigte, um dieſem 
wegen feiner ungejeblichen Eingriffe in deutſche Angelegenheiten 
Borftelungen zu mahen!). Die Richtung gegen Nom war 
im eigentlichen Sinne zu einer nationalen geworden. 

Und eben in dem öffentlichen Urtheil über den Ablaß trat 
fie wohl am jchroffften hervor. Selten wurde derfelbe anders, 
denn als eine Steuer aufgefaßt, womit römifche Habfucht unter 
dem Deckmantel der Religion das Reich belafte?). Man wußte 
oder wollte wijjen, daß die eingefommenen Geldſummen nicht 
zum Wohle der Chriſtenheit, jondern zu weltlichen Privatzwecken 
des Papſtes verwendet würden. Selbft fromme, durchaus Firch- 
lich geſinnte Ordensleute äußerten bejcheiven ihre Bebenfen, 
trauerten und klagten über die Unerfättlichfeit der römischen 
Curie‘). Daß überdied® der Ablaß von marftfchreierifchen 
Predigern dem einfältigen Volke oft in der unwürbigiten Weiſe 


1) Ranke, Deutſche Gefch. im Zeitalter der Ref. I, 10 (Dritte Ausg.). 

2) Ef äußert fpäter einmal: „Mer it den teutfchen auffgangen in XX 
jaren auf Luterifch, zwinglifch bücher, dann fie in 200 jaren gen Rhom vmb 
Ablaß geben“ (Vgl. Schußred . Kindtlicher vnſchuld PB. 4b). Gewiß waren 
die in Rom zufammenfließenden Summen nicht fo ungeheuer — um fo größer 
aber muß die Erbitterung der Nation geweſen fein, die fie als unerſchwing⸗ 
lich darſtellte. 

3) So der Benedictiner Nicolaus von Siegen: „O si intencio summi 
pontificis esset sincera, recta et perfecta, et pecunia oblata ad debi- 
‘tum et pium ecclesiasticum exponeretur usum, sicut debet: meum et 
nostrum non est indicare praelatos neque in celum os ponere neque 
jJudicare summum pontificem: sed hoc verum est, quod ego audivi et 
dictum fuit, an autem in veritate res sic se habuit, ignoro et scire 
non teneor: legatus apostolicus veniens ad papam, tunc papa sue 
filie nupcias solennes celebravit ac legatus ad sinum sponse obtulit, 
si recte retinuli 41 milia florenorum aut ducatorum.‘“ Chronicon Ec- 
clesiasticum Nicolai de Siegen zum erften Mal herausgegeben von %. X. 
Wegele p. 482. — Der liegborner Benebictiner Wittiuß äußert bei Gelegen- 
beit der Ablaßbulle Leo's X. ‚‚Utinam vel Romana curin semel satiata! 
sed perpetuam quis saturabit esuriem!‘“ Vgl. Historia Antiquae ecci- 
dentalis Saxoniae seu nunc Westphaliae p. 653. 














— 1 — 


verfünbet ward, mußte den Öffentlichen Unwillen noch erhöhen ?). 
Sehr nachdrücklich hatte bereit? im Sahre 1501 die Reiche 
regierung ihren Unwilleu gegen dad Ablaßweſen Fundgegeben. 
Schon war es vorgefommen, daß deutjche Fürften, wie Friedrich 
der Weiſe von Sachen, die gefammelten Ablaßgelder an fich 
genommen und zu andern Zwecken verwandt hatten 2). 

Indem Luther vom theologischen Standpunkte aus den 
Ablaß angriff, fam er der nationalen Oppofition zu Hülfe. 
Seine Thefen durchliefen in wenigen Wochen ganz Deutichland. 
Die Sache des Myſtikers wurde eine Sache der Nation. 

Da kam ed nun vor Allem darauf an, ob Luther felbft 
feine Angelegenheit mit der nationalen identificiren, ob er feinen 
Standpunft innerhalb der natignalen Ideen nehmen werde. 

Bergegenwärtigt man ich feinen geijtigen Zuſtand, ſo 
erfennt man leicht, wie jchwierig bie für ihn war. Durd) 
und durch ein glaubengeifriger Theolog, fett Jahren mit ben 
wichtigften Fragen der Religion bejchäftigt und in ihnen lebend, 
in der Einſamkeit des Kloſters weltlichen Händeln entfrembet, 
befaß Luther für den Augenblid weder die Fähigkeit, noch den 
Willen, die Tendenzen der nationalen Oppofition zu den ſei— 
nigen zu machen. Mehr als zwei Jahre find barüber ver- 
gangen, ehe er diefen wichtigen Schritt that und thun konnte: 
bis zum Jahre 1520 verblieb er wefentlich auf dem Stanb- 
punkte der theologischen Oppofition. Die Stimmung der Ration 
hatte für ihn einftweilen nur die Bedeutung, daß fie ihn wor 
dem Schickſal feiner Vorgänger ſchützte, ihm Muth verlieh, 


) Auch das Concil von Trident fpricht von vorgelommenen Unordnungen 
fharf genug und verorbnet: „pravos questus omnes pro his consequendis, 
unde plarima in Christiano populo abusuum cAusa Auxit, omnino abo- 
lendos esse.‘ Sacres. et oecum, Concil. Trid. Canon. et Decreta, 
Sessin XXV. Decretum de Induigentüs. Indeß ift Tehel's und feiner 
Genoffen ärgerliches Treiben nur von untergeorbneter Bedeutung : unverholen 
genug hatte fich ſchon vorher die Öffentliche Meinung zu erfennen gegeben. 

2) Ranke 1. c. I, 1%, 242. 


— 1 — 


feine Glanbensſätze kühner und rücfichtslofer zu entwickeln 
und auszufprechen. 

So wird ed erflärlich, daß Luthers Angelegenheit eine 
Zeitlang den Charakter einer gelehrten theologijchen Fehde 
behielt, die nur durch die ungewöhnliche Aufmerkfamfeit und 
Theilnahme, welche ſie erregte, fi) von früheren unterjchied. 
Sedermann kennt ihren Verlauf während der Jahre 1518 und 
15192). Das Erfte war, daß der Dominikaner Teßel, ber 
fich zumächft angegriffen fab, mit Gegenthefen auftrat. Dann 
erhoben ſich Silvefter Magolini und der Kölner Jakob Hod;- 
ftraten zum Kampfe gegen Luther. Indeß die Art ihrer Po— 
lemik machte diefem die Antwort leicht, wie die. Perfönlichkeit 
jener Männer, die beide jchon durch ihr Auftreten in dem 
reuchlinischen Streite fich verhaßt gemacht hatten, die allgemeine 
Theilnahme für den Angegriffenen erhöhte?). Ungleich beveu- 
tender war ber vierte Gegner, der Verfaſſer der „Obelisken“, 
Johann Maier von Ed, deſſen Gelchrfamkit und Scharffinn 
Luther jelbft das günftigfte Zeugniß ausgeſtellt hat ?). — 
Inzwiſchen erfolgte Luthers Ladung nad) Rom zur Verant- 





— —— — 


1) Die wichtigſten darauf bezüglichen Actenſtücke |. bei Löſcher Neforma: 
tionsacta Bd. II u. III. 

2) Mazolini ſagt in der Vorrede zu feiner erſten Streitſchrift gegen Luther 
(In presumptuosas M. Lutheri conclusiones de potestate pape dialo- 
gus), er wolle fich Luthern als ein Schild für den päpftlichen Stuhl (scu- 
tum pro sedis hujus proque veritatis honore) entgegenwerfen: nichts bat 
bem päpftlichen Stuhle mehr gefchadet, als daB fich gerade ſolche Männer 
feiner annahmen. „Non poterunt magis officere Rumano Pontifici“, 
ſchreibt Erasmus an Pirfheimer, ‚„‚neque magis Lutherum commendare 
affectibus hominum.‘‘ Bilib. Pirkheimeri Opera ed. Goldast p. 272. 

2) Vgl. De Wette I, 63 „„Mitto insuper positiones nostras... quas 
poteris Eccio nostro, eruditissimo et ingeniosissimo viro exhibere“ 
und I, 100 ‚‚Scripsit nuper Adversus meas propositiones obeliscos 
aliquot insignis veraeque ingeniosae eruditionis et eruditi ingenii home, 
et quod magis urit, antea mihi magna recenterque contracta amicitia 
conjunctus Joh. Eccius ille.“ Wie lange wird Ed noch feines Biographen 
barren müflen? 








- 1 — 


wortung. Friedrich der Weile handelte im Sinne der Nation 
und ihres Kaiſers, als er feinem Mönche die Erlaubniß erwirkte, 
ſich auf deutſchem Boden vertheidigen zu dürfen. In Augsburg 
geihah im October 1518 Luthers Vernehmung durch den paͤpſt⸗ 
lichen Legaten Thomas de Bio. Die Ermahnungen des Legaten 
zur Unterwerfung blieben fruchtlod. Noch einmal verjuchte im 
folgenden Jahre der wohlwollende aber furzjichtige Miltiz auf 
dem Wege der Milde eine friedliche Beilegung des Streites. 
Da erfolgte die Disputation von Leipzig. Es war beveutungs- 
voll, daß fie in den nämlichen Tagen eröffnet wurbe, als in 
Frankfurt ded Reiches Churfürſten in der Wahlcapelle zufam- 
mentraten, um den Enfel Maximilians auf den bdeutjchen 
Kaijerthron zu berufen. Wichtig war diefe Entfcheidung, wich- 
tiger noch die, welche in Leipzig herbeigeführt wurde; die Voll⸗ 
endung des Bruches zwifchen Luther und ber Kirche. 

In diefem Augenblide wurde zum eriten Mal die Uni- 
verfität Erfurt für die Bewegung von Wichtigfeit. In unge 
wöhnlichem Grade 309 fie die Öffentliche Aufmerkſamkeit auf 
ih, denn ihr war von den ftreitenden Parteien das ſchieds⸗ 
richterliche Urtheil übertragen worden. 


IL 


Es hatte im Anfang gefchtenen, als jollte dem Eifer, womit 
Luther feine Anfichten in Erfurt zu verbreiten geſucht, der 
Erfolg nicht entfprechen. 

Zuther jelbft Schon hat die Beobachtung gemacht, daß feine 
Lehren vorzugsweiſe bei der jüngern Generation, ‚weniger bei 
der ältern Anklang fanden. Wie Chriftus, äußert er einmal, 
von den Juden verftoßen, fih zu den Heiden-begeben, fo werde 
ſich jet da3 Evangelium, von den eigenfinnigen Alten verſchmäht, 
an die Jugend wenden !). Es war eben das Verhalten feiner 


2) Vgl. Luther an Spalatin 18. März 1858. De Wette h 112. 
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 


- 8 — 


Lehrer in Erfurt, was ihn zu diefer Aeußerung veranlaßte. 
Und in der That ließ ihr erſtes Benehmen ihn wenig hoffen. 
Hatten ſchon, wie Lange nach Wittenberg berichtete), Luthers 
frühere Thefen in Erfurt Anftoß erregt, fo war died in einem 
noch weit höheren Grabe bei den verhängnigvollen 95 der Fall. 
Trutvetter, der jo eben. von dem Erzbiſchof Albrecht zum Cenſor 
und Inquiſitor ernannt worden war ?), richtete an jeinen che 
maligen Schüler ein abmahnendes Schreiben im Tone wäter: 
lichen Ernſtes. Er war dad Haupt der theologifchen Facultät, 
einer der angefehenften Theologen jener Zeit, dejfen Name ſogar 
im Auslande mit Auszeihnung genannt wurde’). Sein An: 
jehen war bisher für die Facultät immer entfcheidend geweſen. 
Auch Ulingen, der nach Trutvetter unter den Theologen den 
erften Rang einnahm, konnte fich mit Luther Thefen nicht 
befreunden, wie Manches er auch ſelbſt an ber Theologie der 
Schulen auszuſetzen hatte*). Als Luther im Frühjahr 1518 





2) Vgl. De Wette I, 34. 

2) Bol. Fratzſchet 1. c. p. 265. 

2) Chriftoph Scheurl jagt in einer 1507 zu Wittenberg über ihn gehal- 
tenen Rede, daß die parifer Theologen ihn für die vorzüglichfte Zierde Deutfch- 
lands gehalten ‚„‚cujus ingenii monimenta Parisiensis schola in manibus 
tum habuerit, nec probarit solum, sed ista etiam admirata propter 
unum Trutfitterum Germaniae plus tribuerit.““ gl. Burckard de lin- 
gune Lat, in Germania fatis I, 355. 

+) Er felbft fagt in ſpätern Schriften, baß er früher die Schultheologen 
wegen der Einmifchung philofophiicher Quäſtionen in die Theologie befämpft habe: 
„Nempe quod disputare de esse et essentia, de actu et potentia, de 
motu et tempore, de Potenciis anime et Predicamentis et id genus 
aliis non Theologorum, sed artisciorum sit, quibus tamen theologo- 
rum libros videmus refertos. Qui tantum aquae philosophice theo- 
logico vino immiscuerunt, quod verum et nativum saporem perdiderit. 
Hinc recessum est nimio a fructibus et per rivos descensum in lacu- 
nas. Quod cum olim in disputationibus theologicis liberius dicerem, 
nonaullis stomachum movebam et eos caperato supercilio in me res- 
picere faciebam etc. ®Bgl. Liber Primus F. B. de Usingen Ordiais 
Eremitani S. Augustini, quo recriminationi: respondet Culsamerice. 
(Am Ende. Erf. 153) E. 6 a-b, 





— 18 — 


auf feiner NRückreife von dem heidelberger Auguftinerconvent 
einige Tage im Klofter zu Erfurt verweilte, gab er ſich alle 
Mühe, die Zweifel und Einwendungen feiner Lehrer zu wiber: 
legen. Gern hätte er jeine Säbe in einer öffentlichen Dispu- 
tation vertheidigt. Mit Ufingen, der ebenfall3 dem Ordens⸗ 
convent beigewohnt, hatte er bereit3 auf der Reife ausführlich 
über feine Angelegenheit verhandelt, jedoch ohne alle Bedenken 
desfelben befeitigen zu können). Noch weniger gelang ihm 
died bei Trutvetter, an den er aus dem Auguſtinerkloſter ein 
ausführliches Nechtfertigungzfchreiben richtete?). Weber dies, 
noch eine bald darauf erfolgte mündliche Unterrebung führte 
eine Annäherung zwilchen Lehrer und Schüler herbei. Xrut- 
vetter hatte ſelbſt mit ehrenhaftem Freimuth Tirchliche und 
wiffenfchaftliche Mebelftände gerügt, fo daß fich Luther auf fein 
Beifpiel berufen. konnte, aber er mochte e3 fühlen, daß Luthers 
Sätze mit den kirchlichen Mipbräuchen da ganze Tirchliche 
Lehrſyſtem, mit der Scholaftik jede Wiffenichaft gefährdeten °). 
Alle Bemühungen Luthers, ihn umzuſtimmen, blieben vergeben? *). 

Und fo fchien e8 denn, als würbe bei dem Widerſpruche 


j 


1) Luther an Spalatin 18. Mai 1518 „Cum Doctoro Usingen plu- 
ribus, quam cum omnibus aliis egi, ut persuaderem (erat enim socius 
vecturae), sed nescio an quid profecerim: cogitabundum et mira- 
bundum reliqui.‘“ De Wette ı, 111. 

2) Abgebr. bei De Wette 1, 107—110. Trutvetter hatte Anfangs wegen 
Kränflichkeit eine mündliche Unterrebung abgelehnt. — Durch dieſen Brief 
erhalten wir erft Kunde von bem obenermähnten erften Schreiben Trutvetter?. 

2) Luther ſelbſt berichtet über den Ausgang feiner Unterredung mit Trut⸗ 
vetter: „Sed frustra narratur fabula surdo, suis distinctionibus per- 
tinaciter inhaerent: etiamsi confiteantur, non esse aliqua autoritato 
confirmatas, nisi dietamine (ut vocant) naturalis rationis, quod apud 
nos idem est, quod chaos tenebralum, qui non praedicamus aliam 
Iucem, quam Christum Jesum, Iucem veram et sotam.““ De Wette 1,111. 

*) Die Interhanblungen zwifchen beiden fcheinen noch im Sommer 1518 
fortgefett zu fein; wenigſtens gebenft Luther (an Spalatin) am 29. Juni 
noch eines anbern Schreiben?, das er fo eben an Trutvetter gerichtet habe. 
De Wette I, 127. 

2% 


u} 


_ DD — 


ber angefehenften Lehrer Luthers Sache an der Schule, die er 
als feine „Mutter” verehrte"), und die biöher in Firchlichen 
Dingen die freimüthigite gewefen, nur geringe Ausſicht haben. 

Allein Schon ſehr bald ſollte fih Erfurt in einem andern 
Tichte zeigen. Trutvetters und Uſingens Anficht war, wie großes 
Anſehen auch beide genofjen, doch keineswegs die allgemeine. 
Bor Allem beſaß Luther in feinem Ordensgenofjen Lange, den 
er 1516 zum Prior des Auguftinereonvents in Erfurt gemacht ?), 
einen eben jo aufrichtigen, als für die Weiterverbreitung ihrer 
Lehre eifrig thätigen Anhänger. Um Lange ſammelte fich eine 
lutheriſch gefinnte Partei; fie zeigte, als die angreifende, die 
größere Thätigfeit und gewann bald wichtigen Einfluß. Sogar 
Ufingen, der Trutvetterd Feſtigkeit nicht befaß, und als Augu- 
ftiner, ald Verehrer des Proles, nicht ganz ohne Sympathien 
für Luther war, ſcheint fich ihr genähert zu haben. Luthers 
Erflärung, daß er den Streit begonnen, um die trägen Theo— 
logen aus ihrer, von Wfingen felbft oft beklagten, Unthätigfeit 
aufzurütteln, mag dazu beigetragen haben, ihn verföhnlicher zu 
ftimmen). Durch feine Vermittelung gefchah «3 *), daß Zange 
im Anfang 1519 von der theologischen Facultät die Doctor: 
würde erhielt und als ihr Mitglied aufgenommen wurde, ein 
Ereigniß, das in Wittenberg große Freude erregte?). Die 


ı) Cui ego omnia mea ut matri accepta refero. Luther an Lohr 
I. c. 1, 13. 

2) Vgl. Luther an Mutian 29. Mai 1516. De Wette I, 21. 

s) Vgl. Purgatorium, Libellas Fratris Barth. de Usingen August. 
— Contra Lutheranos Hussopfcardos. 1527. — L. 1b. „Audieram 
olim a Luthero in Erphurdia, quando hanc tragoediam incepit contra 
ecclesiam catholicam, se velle pigros excitare theologos, sed video 
eum excitasse rusticos.‘“ . 

*) Vgl. Sermo de Sancta Cruce praedicatus Erphurdiae in templo 
divae virginis Mariae a F. Bartholomee de Usingen Augustiniane, 
Erf. 1524, D. 1a. — Daß Ufingen fi) Luther wieber genähert haben muß, 
erfiehbt man auch De Wette I, 282. 

>) Luther und Melanchthon eilten mit Gratulationgjchreiben. „‚Quic- 
quid Dominas“, fchrieb Luther am 3. Februar an Lange, „tuo contulerit 








— a1 — 


Aufnahme diefes eifrigen Befördererd der Neuerung wurde um 
jo wichtiger, al3 bald darauf Trutvetter, der Führer der Alt: 
gefinnten, durd, Krankheit genöthigt wurde, ſich von ber öffent⸗ 
lichen Thätigkeit zurückzuziehen?). Durch: Trutvetterd Rück— 
tritt erhielt Lange völlig das Uebergewicht. Alle jene, welche 
bisher bloß dur Trutvetterd Anſehen fich hatten beftimmen 
laſſen, gaben die alte Sache auf. Lange's Anhang mehrte fich 
zujebend und in Kurzem beherrſchte fein Einfluß die ganze 
Univerfität. Der Widerfpruch, den noch einige ſtandhafte Gegner 
der Neuerung erhoben, blieb wirkungslos. 

Bis zu welchen Grabe bereit3 im Sommer 1519 Luthers 
Geift in Erfurt die Oberhand gewonnen hatte, davon Tegten 
die Vorgänge während und nach der leipziger Disputation 
Zeugniß ab. 

Bon Luther ſelbſt erfahren wir, daß ihm ald Ort der 
Disputation Erfurt erwünjchter geweſen wäre, als Leipzig ?). 
Hatte er in diefem Punkte Eck nachgeben müffen, jo gejchah 
bei der Wahl der Schiebörichter, zu deren Zulaffung er fich 
nach längerm Sträuben verjtand °), feinen Wünfchen und 
Sympathien um jo mehr Genüge. Denn neben der Univerfität 
Paris, die jo eben in ihrer fehr freimüthigen „Appellation” an 
den Papit ſich offen zu den Grundſätzen der Synoden von 
Eonftanz und Baſel bekannt hatte*), wurde bie Univerfität 


honori, nostro collatum quoque gratulamur, reverende Pater, pro- 
spere procede et regna.“ De Wette I, 217. gl. Corp. Reform. I, 76. 

1) Luther glaubte ihn fhon am 6. Juni 1519 tobt. De Wette I, 281. 

2) Vgl. Luthers und Carlſtadts Bericht an den Churfürften vom 18. Auguft. 
„Hätten wohl lieber Erfurt ober eine andere Stadt genommen.” De Wette I, 
318. Man fol übrigens nicht fagen, daß Ecks Disputirfucht allein das fol: 
genſchwere Geſpräch herbeigeführt habe: Luther felbft war vol Begierde, feine 
Anfichten in öffentlichen Disputationen zu vertheidigen. 

2) Bol. darüber feinen Bericht an Spalatin. De Wette I, 285. Seden: 
borf 1. c. I, 72. 

*) Die Appellation (d. d. 27. März 1517) findet fich bei Löſcher 1, 554 
fi. Unſch. Nachr. Jahrg. 1714 p. 197 ff. — Bon Flacius ift deswegen bie 





— — 


Erfurt mit dem ſchiedsrichterlichen Amt betraut‘). Luther 
verſprach fich won der einen, wie von der andern ein günftiges 
Urtheil 2). 

Es ift bekannt, wie jehr ſich Luther hinfichtlich der parifer 
Hochſchule getäufcht, und wie derb er darüber feinen Unwillen 
fund gegeben hat ?). Das Urtheil, welches fie im Anfang 1521 
über Luthers Beginnen füllte, offenbarte ver Welt den Gegen- 
ja zwilchen den conciliaren Reformbeitrebungen bes fünfzehnten 
Jahrhunderts und der Reformation des wittenberger Nuguftiner: 
mönchs. Beſſer wurde Luther Wünjchen von der Univerfität 
Erfurt entiprochen, an welcher Lange den Geift des fünfzehnten 
Sahrhunderts in diefem Augenblicke bereit? überwunden Hatte. 
Mehrere ihrer Mitglieder hatten fich nach Leipzig begeben *) 


Univ. Paris unter bie Testes veritatis aufgenommen worben. Bol. Flacli 
Catalogus testium veritatis (Ercf. 1666) p. 436 sqq. 

1) Vgl. den Bericht des Moſellanus an Pirfheimer (Opp. Pirckheimeri 
ed. Goldast p. 325). Löſcher II, 819 meint, außerdem fein auch Köln 
und Löwen zu Schiedrichtern ernannt, wahrjcheinlich verleitet durch die 
(ungünftigen) Gutachten, welche dieſe beiden Univerfitäten aus freien Stüden 
abgaben. 

3) Sedendorf I. c. I, 72; Cochlaeus De actis et scriptis etc. 14 a: 
„Consensit tandem (sed invitus et iratus) in Judices Parisienses 
et Erphordienses facultatis Theologicre. In hos sane quod apud eos 
in literis educatus plus notitiae et favoris haberet, quam Eckiys; 
apud illos vero, quod offensos nuper in causa Capnionis atque in 
privilegiis Cleri Gallicani speraret approbaturos potius impugnatoris, 
quam propugnatoris Bom. Ecclesise partes.“ Ausgeſchloſſen waren bie 
Dominikaner und Auguftiner, als parteiifh. Da, fo viel ich fee, in Erfurt 
die theol. Fakultät feine Dominikaner, wohl aber Auguftiner zu Mitgliedern 
hatte, fo ift die Neußerung des Moſellanus (Opp. Pirkh. p. 325 u. Eeden: 
dorf I, 91) erklärlich. 

2) 1519 nennt er fie in Hinblid auf ihr freimüthiges Auftreten gegen 
Leo X. „multis nominibus commendanda Universitas Christianissima 
Parisiensis.““ 1524 fpricht er von „Barifer Eſeln.“ — Vgl. Sedenborf I, 
87. De Wette II, 2. 

*) Darunter auch die beiden Humaniften Crato und Camerarius. Außer 
Erfurt war von ben auswärtigen Univerfitäten nur Wittenberg durch Depu⸗ 
tirte vertreten. Es verdient Beachtung, daß ber Feſtredner, jo oft er bie 





und waren dort Zeugen des zwanzigtägigen Kampfes und der 
inhaltſchweren Zugejtänbniffe, die Eck feinem Gegner abgenäthigt. 
Die Zumuthung, ihm den Sieg zuzufprechen, wagte Luther 
nach Beendigung des Geſpräches ſelbſt nicht mehr zu ſtellen: 
einen jolchen Ausgang hatte er fich ſelbſt nicht gedacht, und 
feine Haltung während der Disputation befriedigte ihn felbft 
ſo wenig, al? das Teipziger Publitum, welches feinem Gegner 
den Sieg zufchrieb ). Er fühlte, daß es unter diefen Umftän- 
den das Vortheilhafteite für ihn fein werde, wenn jeder ſchieds⸗ 
richterliche Ausspruch unterbleibe, und gab in einem Schreiben 
an Range feinen Wunſch nicht undeutlich zu erkennen ?). Was 
er wünjchte, geſchah. Schon am 3. December machte Luther 
erfreut einem feiner Freunde die Mittheilung, daß die Erfurter 
fein Urtheil fällen würden, und daß er fich jet um die Parifer 
nicht mehr fümmere?). Es war vergebens, daß Eck perfünlich 
nah Erfurt amt) und Herzog Georg von Sachen die Uni- 
verfität dringend um ihr Gutachten erfuchtee Lange wußte es 
durchzuſetzen, daß die Acten des Gejpräches dem dresdener Hofe 
zurücdgefandt wurben*). Trutvetter erlag in bdiefen Tagen 
feinen Förperlichen Leiden und dem Kummer über das Umſich— 


Anmejenden anredet, den Erfurtern vor den Wittenbergern ben Vorrang gibt. 
Vgl. Oratio Joan. Langii Lembergii Encomium theologicae disputa- 
tionis Doctorum Joan. Eckii, Andreae Carolostadii ac Mart, Lutheri 
complectens. Lipsiae 8°. a3au.b3b. 

) Bgl. De Weite I, 287. 

3) Luther an Lange 3. Sept. 1519 ‚‚Suspicor eos (Erfurdienses) 
‚ prudentius acturos, quam sese misceant alienis et odiosis causis istis““ 
I. c. 1, 328. 

>) Bol. Luther an Spalatin De Wette I, 327. 

+) Dal. Urban an Draco Eob. et amic. ep. fam. p. 29, wo der gleich: 
zeitigen Anweſenheit des Ed und Moſellanus gedacht wird. Ed hatte auch 


den Papſt in einem Schreiben aufgefordert, die beiden Univerſitäten zur Ab⸗ 


faſſung des Gutachtens zu nöthigen. Vgol. Mieg Monum. piet. et lit. 
vir. II, 11. 


>) De Wette I, 380, 


‚greifen der neuen Meinungen !'). Sein Tod befreite die Tuthe- 
rifch Gefinnten von ihrem wichtigften Gegner und ficherte ihre 
Herrichaft. Am 29. December 1519 erließ die Univerfität ein 
Schreiben an den Herzog Georg, in dem fie die Abfaſſung eines 
Gutachtens förmlich ablehnte 2). 

Es war dies der erſte Dienſt, den die Univerfität Erfurt 
der Sache Luthers leiſtete. Sehr bald follte er durch neue 
überboten werben. 

Dieje gingen von den Humaniften aus. 


IV. 


Als Ulrich von Hutten, im Anfang ded Jahres 1518 die 
erjte Kunde von den Händeln des Auguftiners in Wittenberg 
empfing, war er hocherfreut, daß jet die Mönche unter ſich 
jelbjt in Hader gerathen feien. Gleichſam triumphirend meldet 
er dem kölniſchen Humaniften Hermann von Neuenaar, wie 
nunmehr die Feinde mit ihren Bropofitionen, Corrolarien, 
Artikeln jich gegenfeitig zu befämpfen angefangen. „Vernichtet 
nur”, hatte er dem Mönche gejagt, der ihm die erjte Nachricht 
von dem ausgebrochenen Streite überbrachte, „damit ihr vwer- 
nichtet werdet”). Er verſprach fich von biefem theologifchen 


2) Luther ſelbſt machte ſich Gewiſſensbiſſe über feinen Tod. Vgl. Luther 
an Spalatin 7. December 1519 1. c. I, 373. 

2) „Wyr befinden aber, heißt es in bemfelben, Nach Manchfaltigem gehap: 
tem vathe, das vns dyeß falß dye gezcendte, So zewuſchen obgemelten Doc⸗ 
torn ſtehen und Sn der gehapten Disputationn furpracht ſeyn, zeu entſcheiden, 
vnd vnſer erkenntniſſze ader Declarationn dor auff zeuthun nicht gepurhen 
wyll.“ Das Schreiben iſt unterzeichnet: Rector, Magiſtri vnd Doctores der 
Vniverſitedt zeu Erffordt. — Abgedr. bei Seidemann, Die leipziger Disputa⸗ 
tion im J. 1519. Beilagen p. 152. 

2) Vgl. Hutten an Neuenaar (d. d. Mog. 3 Non. April. 1518) „Jam 
vero, quod tu ignoras forte, Vittembergae in Saxonibus altera adver- 
sus summi pontificis auctoritatem insurrexit factio, altera indulgentias 
papales adserit. Magnis utrinque conatibus res agitur, Ipsi duces 
strenui, vehementes, concitati, alacres clamant, vociferantur, plorant 


— 8 — 
Mönchsgezaänk den Untergang der Mönche und Theologen, ven 
endlichen Sieg des Humanigmu?. 

Gerade das Gegentheil von dem, was der Radicalſte unter 
den Humaniften vorausſah, tft erfolgt. Die Sache des Moͤnches 
gewann welthiftoriiche Bedeutung, der Humanismus wurde 
darüber vergeffen. Und daß dies gejchah, ift nicht zum gering: 
ften Theil dag Werk der Humaniften ſelbſt. Eben aus dem 
humaniftifhen Heerlager gingen die rüftigften Streiter für 
Luthers Sache hervor. Hutten felbft that es bald an Eifer 
für den Mönch Allen zuvor. 

Es ift nicht eine innere, dem Auge Huttend im Anfange 
verborgen gebliebene, Verwandtſchaft zwifchen den Anſchauungen 
Luther? und der Humaniften, was jene merkwürdige Wendung 
herbeigeführt hat. Wir jahen bereit3, wie weit. bie Gedanken⸗ 
welt des myſtiſchen Auguftinerbruderd® von dem Liberalismus 
der Humaniften entfernt war. Die Bundesgenofjenfchaft zwi: 
fchen beiven hatte andere Gründe. Luther, wenn auch Myſtiker 
und Mönch, befämpfte doch die römische Curie, mit der bereitö 
der am meiften vorgefchrittene Theil der Humaniften fi in 
offenem Bruch befand, er befämpfte fie in einer Inſtitution, 
die wie jeden Deutjchen, jo auch den Humaniſten mit Unwillen 
erfüllte, und er führte den Kampf von Anfang an mit einer 
Kühndeit, wie es Keiner vor ihm gethan. Sein Myſticismus 


nonnunquam et fortunam incusant. Novissime ad scribendun quoque 
adjecerunt animos. Factum librariis negotium, Venduntur proposi- 
tiones, corrolaria, conclusiones et illi multis saepe exitiosi articuli. 
Sic spero fiet, ut mutui interitus causas sibi invicem praebeant. Ipse 
de hoc negotio nuper factus certior a quodam ex fratribus, hoc illi 
respondi: consumite, ut consumamini invicem. Opto enim, ut quam 
maxime dissideant inimici nostri et pertinacissime se conterant.‘“ 
Opp. Hutteni ed. Münch II, 428. Noch im Oxtober 1518 äußert er fich 
ähnlich in einem Schreiben an Pirfheimer (d. d. Aug. 8 Cal. Nov. 1518) 
„Eckius proscidit Carolostadium, civem meum, probum Theologum, 
eidem cum Luthero bellum est, Luthero cum multis. En viros Theo- 
logos impactis mutuo genuinis se concerpentes.‘“ Hutt. Opp. II, 99. 


— 


batte ihn überdies auch mit der Scholaſtik in Eonflict gebradtt. 
Daß Ariftoteles ein „Thor“ fei, daß Feine ſyllogiſtiſche Form 
fih zu göttlichen Dingen reime — wie Luther fchon im Som 
mer 1517 behauptet hatte!) — waren Süße, bie bei jedem 
Humaniften freudigen Beifall finden mußten. Es kam binzu, 
daß die nämlichen Männer, die fo eben als Gegner Reuchlins 
fich hervorgethan, auch zuerft gegen Luther in die Schranken 
traten. Kein Wunder, wenn da weniger Unterrichtete den Tuthe 
riſchen Handel geradezu als eine Fortfegung des reuchlinifchen 
auffaßten. Man weiß, wie Neuchlin jelbft fich darüber freute, 
daß jeine Gegner jebt den Mann gefunden, ber ihnen zu fchaffen 
machen würde Bon der größten Wichtigkeit war es enblid, 
daß Luther felbit, der den nationalen Ideen gegenüber, bie er 
noch nicht zu würdigen verjtand, eine gewiſſe Zurückhaltung 
bewiejen, doch bie Lage ber Dinge jo weit überfah, um bie 
Wichtigkeit der Humaniftifhen Bundesgenofjenfchaft zu erkennen, 
und fein Bedenken trug, fich um biefelbe zu bewerben. Er 
nähert ſich Reuchlin jchon 1518 in einem Schreiben, worin er 
ih ihm als einen Bundesgenoffen anfündigt und ihn, in der 
Humaniften Weife, feiner Verehrung, Treue und Ergebenheit 
verfihert ?). Ganz im Tone des feurigen Humaniften fchreibt 
er einige Monate jpäter an Erasmus, obſchon er vorher in 
Briefen an feine Bertraute wiederholt fich mißfällig über ihn 
ausgeſprochen. Er rebet ihn an als die Zierde und Hoffnung 
des Zeitalterd, ald den Mann feines Herzens, mit dem er fid 


ı) Bol. De Wette I, 15. Wald XVIII, 10. 

2) Vgl. Illustr. vir, epp. ad J. Reuchlin Phorcensem C. 3b — 48. 
„Occurro et cgo ipsis lenge quidem minoribus ingenii et eruditionis 
viribus quam tu occuristi et prostravisti, sed minore animi fiducia... 
Sed ecee nonne impudens, qui tam familiariter sine prooemio honoris 
tecum loquor? Verum facit hoc animus in te officiosissimus, qui ei 
tibi est familiarisissimus tum memoria tui, tum librorum tuorum me- 
ditatione.“ d. d. Vuittemb, alt, die Luciae 1518. Beh De Weite I, 
1 — 197. 








— 4 — 


täglich im Geifte unterhalte. „Denn wo, fragt er, gibt ed noch 
einen, deſſen Inneres Erasmus nicht ganz einnehme, den Eras⸗ 
mug nicht unterweife, den Erasmus nicht regiere?“ *) 

So konnte es nicht fehlen, daß die Humaniften in Kurzem 
aus jener gleichgältigen, halb ironiſchen Haltung, wie wir fie 
bei Hutten wahrnahmen, heraustraten. Es vermählte fich die 
humaniſtiſche Oppofition mit der theologischen, oder vielmehr: 
jene ging in diefer auf. An Reuchlind Stelle trat Luther. 
Daß die Bewegung durch die Theilnahme von Männern, bie 
bereit3 jeit Jahren den Boden der Zrabition verlafien hatten, 
einen ungleich .bedenklicheren Charakter annahın, war unver: 
meidlich und ließ ſich vorausfehen. 

Un diefem allgemeinen Umjchwunge nahmen die Huma- 
nijten in Erfurt um jo mehr Theil, als derſelbe hier durch 
befondere Umftände begünftigt wurde. Schon ein alter Refor- 
mationghiftorifer hat von ihnen gejagt, daß fle gleichlam ein 
„Boripiel” zu der Reformation gegeben ?). Der erfurter Hu- 
manismus war jchon in feinem Urfprunge mit der Firchlichen 
Dppofition verbündet, denn ihr verbankte er jein Auflommen und 
Gedeihen. Und Mutians Wirkſamkeit war am wenigjten bazu 
angethan, dieſes Mifverhältniß auszugleichen. Konnte er ſich 
doch nicht einmal dazu entjchließen, das Bildniß des humaniſtiſch 
gebildeten Papſtes Leo X. in fein „Sancarium” aufzu- 
nehmen’). Bei jeinen humaniftifchen „Sympoſien“ war nicht 


1) Luther an Erasmus 28. März 1519. „Toties ego tecum fabulor, 
et tu mecum, Erasme, decus nostrum et spes nostra, necdum mutuo 
nos cognoscimus: nonne monstri hoc simillimum? imo non monstrum, 
sed plane quotidianum opus. Quis enim est, cujus penetralia non 
penitus occupet Erasmus, quem non doceat Erasmus, in quo non 
regnet Erasmus?.... Sed ego stultus, qui te talem virum, sio illotis 
manihus absque reverentiae et honoris praefatione, veluti familiaris- 
simum aggredior etc.“ De Wette I, 247, wemit zu vergl. I, 39, 52. 

2) Sedenborf 1. c. I, 182. ‚‚Praelugeruut Erfurti quasi doctrinae 
evangelicae bonarum littorarum professores celeberrimi etc.‘ 

3) Vgl Mut. ad Jon. (15. Juli 1517). „Sed demus adumbrate 


8 — 


fo häufig die Rebe von den Verdienſten Reuchling, al3 von ben 
Fehlern der Sophiften und Theologen. Seine bittern Ausfälle 
gegen Scholafttk, päpftliche Decretalen, Mönchsorden, unter 
denen faft nur die Eifterzienfer Schonung bei ihm fanden!), 
feine mitunter frivolen Ausſprüche über Religion und Kirche, 
zu benen er ſich im Zuftande eigener Unficherheit fortreißen 
ließ, fein unaufhoͤrliches Schelten gegen Firchliche Mißbräuche, 
oder was er dafür hielt: alles dies konnte an feiner Jünger 
ſchaft nicht ſpurlos vorübergehen. Zwar hatte er, als Luther 
fih erhob, bereit? andern Gedanken Raum gegeben, fidh von 
ber frühern Wirkſamkeit zurücdgezogen, aber die Folgen berfel 
ben Tießen ſich nicht rückgängig machen. Schon hatte die Stim- 
mung der Jüngerſchaft in den Hirtengedichten des Cordus?) 
einen Ausdruck gefunden, der ben Aeußerungen des Meiſters 
wenig nachgab. Nur allzugern kommen die Hirten des Dichter? 
auf bie geiftlichen Hirten zu fprechen.. Sie wiffen, wie dieſe 
ihr Amt nur als feile Miethlinge verwalten, erzählen von dem 
Geiz, der Genußſucht der Geiftlichen, dem clericalen Dedpr 





lineamenta respondere vivo pontifici, tanti tamen non est piscatoris 
vicarius cum germano, ut recipiatur in sanctarium meum.“ Foͤrſte⸗ 
mann, Neue Mittheilungen aus dem Gebiete hiſtoriſch-antiquariſcher Forſch⸗ 
ungen des thür. ſächſ. Vereins. Bd. IH, H. IV, p. 163. 


1) Vgl. Mut. ad Urbanum (der dem Ciſterzienſerorden angehörte) bi 
Tentzel Supplement. I. histor. Goth. p. 61. Ein Erguß bes bitterften 
Haſſes gegen das Mönchsthum ift fein Gebicht über dag Sprüchwort: Quic- 
quid agit mundus, monachus vult esse secundus. gl. Libellus novus 
epistolas et alin quaedam monumenta complectens J. Cameraril 
Lips. 1563. — 6. 2b. 


2) Bucolicorum Eclogae X. Lips. 1548. 4°. Schwerlich wird bie 
die erfte Ausgabe fein; ſchon 1517 hielt er in Leipzig Vorlefungen über feine 
bucolifchen Gedichte. Aus Aeußerungen Mutians (M. B. F. 218n, Tenkel 
1. c. p. 165 u. a.) erfieht man, daß Cordus fchon 1513 mit ihnen befchäftigt 
war.. Ein Abdrud findet fi} in Euricii Cordi Simesusii Germani, Poela® 
lepidissimi opera poetica omnia, -jam primam colleeta ac posteritall 
transmissa. 8°. s. 1, et a. f.:2—36. 





tismus, der. feinen Widerfpruch ertrage '). Wie hätte bei einer 
ſolchen Stimmung Luther Predigt ihren Erfolg verfehlen 
können! Endlich wirkten für Luther auch perjönliche Beziehungen. 
Er war Schüler der Univerfität Erfurt und in den erfurter 
Kreifen durch feine Thefen fchon jeit einigen Jahren als Geg- 
ner der Scholaftif bekannt. Mutian hatte er bereit? im ‚Jahre 
1516 in einem jehr ſchmeichelhaften Schreiben jeine Huldigung 
dargebracht 2). Sein vertrautefter Freund und Anhänger war 
der Auguftinerprior Johann Lange, der, wenn auch jebt durch 
feine amtliche Stellung im Orden dem frühern Verkehr mit 
dem Humaniftenkreife entrückt, doch immer noch in Verbindung 
mit ihm blieb und bei allen Mitgliedern desſelben in hohem 
Anſehen jtand °). 

Dean fieht: bei den erfurter Humaniften fand Luther einen 
vorbereiteten Boden, wie nicht leicht anderäwo. Und mit der 


2) Bol. 3. B. folgende Stelle: 

Esse scias magnum sacris malcdiccre crimen 
Quale sacerdotum genus est electa deorum 
Turba quidem et tincti divino chrismate patres 
Quos omni obnixe debemus honore vereri 

Et quibus omnipotens jussit parere voluntas. Opp. 20 b. 

Dber: Nostra sacerdotes curare negotia credis? 

Annua Di caperent parientis foenera nummi, 
Quasque gemens trabibus vix sustinet exedra fruges 
Nullus in aede foret cantus nullusque precatus 
Et nudae starent sine luce et honoribus arae. 1. c. 21 a. 

2) Luther an Mutian 29. März 1516. „Vincit affectus in te meus 
et salutat te doctissimum, te delicatissimae eruditionis viram, rusticus 
iste Coridon, Martinus inguam barbarus et semper inter anseres stre- 
pere solitus: sed scio, sed certus sum, sed vel praesumo, quod Mu- 
tianus cor praeferat linguae et calamo, cor mihiideo satis eruditum, 
quia satis in te amicum est.“ De Wette I, 24. Auffallend ift die Aehn⸗ 
lichkeit zwifchen ben brei Briefen an Reuchlin, Erasmus und Mutian. 

s) „Erat tum“, fagt Gamerartuıs, „‚Joh. Langus eo loci positus, 
quem suspicere ınagis possemus, quam erehro adire.“ Vgl. Libellus 
alter epistolas eomplectens Eobani et aliorum. Lips. 1557. Praef. A. 
3a. — Eobani Hessi et amicorum ipsius epistolarum familiarium Libri 
XIT. (Marp. 1543) p. 14, 16. 





9 — 


ganzen Hingebung und Leidenfchaftlichkeit, die fie bereits in ben 
frübern Fehden bewiejen, ftürzen fie fih auch in den neuen 
Kampf. Die kirchliche Frage drängt plößlich alle übrigen in 
den Hintergrund. Luther war dad Werkzeug, dad der Herr 
ſich auzerfehen, um der im Argen Tiegenden Welt Rettung zu 
bringen. „Es ſchien, als jei ein neuer Thesbites aufgeftanden“, 
fagt Wicel, der diefe Jahre im erfurter Kreife zubrachte, „ein 
neuer Hercules, hieß e3, fei feinem Augias gekommen. Man 
ſchwur, daß Paulus wiebergeboren jei!).” Mit jugendlichen 
Enthuſiasmus wurde Luther Ruhm von Alleı gefeiert. Ein 
Feind war, wer Luther zu widerjprechen wagte. Urban war 
entrüftet darüber, daß Eck bei feiner Anweſenheit von einigen 
ältern Lehrern wohlwollend aufgenommen wurde ?). In bittern 
Epigrammen gegen Luthers Widerfacher, gegen Sopbiften, 
Mönche, Prälaten und Päpſte gibt fich des Cordus Religionz- 
eifer fund’). Rom ift ihm der Sik der Simonie und in ihr 
allein beiteht dag Hirtenamt des Papftes +). Glücklich Deutich- 


ı) Vgl. Epistolarum, quae inter aliquot Centurias videbantur 
partim profuturae Theologicarum literarum studiesis partim innocentis 
famam adversus Cycophantiam defensurae Libri IV Georgii Wicelii. 
Lips. 1537. 4%. — D. d, 2b, „Videbatur novus surrexisse Thesbites, 
novus Hercules dicebatur venisse Augiae sune. Et (ail mentior) 
renatus esse Paulus jurabatur, qui nihil nisi thus pederet‘‘ etc. 

2) Vgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 29. Mofellanus dagegen fei — 
Magt Urban — zu ſchlecht aufgenommen. Moſellanus jelbit rühmt aber bie 
Aufnahme, die er in Erfurt gefunden. Wald XV, 1416. 

3) Bol. Euric. Cordi Epigrammatum libri XII in ben Opp. f. 9 
bi8 286, namentlich 102a, 104p, 110a, 118a, 1226, 124a x. — Da die An: 
ordnung der Epigramme chronologifch ift, fo läßt ſich bie Entſtehungszeit 
eines jeden mit ziemlicher Wabrfcheinlichfeit beftimmen. Die brei erften find 
bis zum J. 1520. (das britte großentheils in dieſem) gebichtet. 

“) Prima Simon Petrus fidei fundamina jecit 

- Christicolasque novus dex fuit inter oves, 
At superas postquam Petrus migravit in arces 
Hoc subiit solus munus ubique Simon, 
Hei mihi quam tomuis grex est pastore sub illo 
Quam gracili rarum tergore vellus habet. 1. c. 109. 





— 1 — 


land, daß ihm endlich die Augen geoͤffnet, und es den Ablaß 
Hagend von bannen ziehen fieht !). Der Befreier und Netter 
ber Frömmigkeit aber ift Luther, der Held, größer als Achilles, 
den der Herr bei jeinem gefahrvollen Kampfe Fräftigen möge ?). 
Und Eordus ſprach die herrichende Stimmung aus. Wie allge 
mein die Begeijterung für Luther war, erfiebt man daraus, 
daß felbft ein Kling, der einige Jahre fpäter als der ent- 
Ichlofjenite Gegner des Reformators erjcheint, ihr damals nicht 
widerjtehen fonnte?). Fürwahr, reichlich wurde da Luther für 
den Kummer entichädigt, den ihm Trutvetters und Uſingens 
Haltung im Anfang verurjfachht, und nicht zu verwundern war 
es, wenn er fchon 15148 beim Anblide ber erfurter Zuftänbe 
frohe Hoffnung für die Zukunft jchöpfte *). 

Einen außerordentlichen Einfluß hat damals auf die Stim- 
mung in Erfurt Erasmus ausgeübt. Jonas gab auf feinen 
Rath) das Studium der NRechtswiffenichaft auf, um ſich jetzt 
ansjchließlich der neuen Theologie zuzuwenden. Femelius ver: 
öffentlichte dad Gutachten, dad Erasmus dem Erzbifchof von 
Mainz über die Iutherifche Angelegenheit gegeben, um dadurch 
die „unheilige Rotte”, die Luther wiberfprach, zum Schweigen 


ı) Indulgentiarum querela: 
Heu nos hou miseras sapiens Germania postquam 
Perspecta tandem sobria fraude videt. 1. c. 138. 
2) Ad Mart. Lutherum: 
Chare mihi in Christo Jesu super omnia frater 
Imo verende magis relligione pater 
O vere fortis super omnem miles Achillem ! 
Firmet in haec auspex te modo bella Deus! 1. c. 143. 

3) Nach ber Frieſe'ſchen Chronit ad a. 1525 (M. ©.). Dadurch wird 
wohl der Irrthum Sedendorfd (1. c. I, 182) erflärlich, der Kling zu ben 
Prädifanten rechnet. 

*) Vgl. De Wette I, 112. 

>) Vgl. Epistolae Erasmi (Opp. Erasm. ed. Basil. T. III) p. 23%. 
De Wette I, 456. 


— 12 — 


zu bringen). Daß Erasmus, der verehrte Patron der Huma- 
niften, deſſen Ausfprühen man unbebingt Folge zu leiſten 
gewohnt war, fich für Luther erklärte, feine Sache in Schuß 
nahm und empfahl, wäre allein ſchon hinreichend geweſen, 
Eobans Genoſſen in Streiter für Luther umzuwandeln: fein 
Zufpruch fteigerte jeßt den bereit3 vorhandenen Enthuftasmuß. 
Erasmus’ Briefe und Schriften befeitigten jeden Zweifel und 
wurden die Quelle einer neuen Begeilterung für Luther. „Wer 
fie gelefen hatte”, jagt Wicel, „Eonnte dem angefangenen Werke 
nicht mehr abgeneigt fein“ 2). 

Aber fchon blieb man dabei nicht mehr ftehen. Euricius 
Cordus, der erit vor Kurzem mit den poetilchen Studien das 
der Arzneiwifjenjchaft verbunden, begann im Jahre 1519, zum 
großen Verbruß des altgefinnten Lupus, auch theologiſche Vor⸗ 
lejungen zu halten). Man kann denken, in weldhen Sinne. 


ı) Desiderii Erasmi ad Reverendiss. Mogunt. praesulem atque 
illustrissimum principem epistola nonnihil D. Martini Lutheri negotium 
attingens. M. Jo. Femelius lectori judicii de M. L. deque ejus doc- 
trina cupido: 

Quid spirat totus Martinus pectore toto 
Quid valeant magni dogmata magna viri 
Spiritus an doceat Martinum scribere cuncta 
Cliamat ut audacter turba prophbana niger 
An sit perdendus fiammis ultricibus ipse . 
Haeresis ut doctor perfidus atque nocens: 
Quid faciant illi, qui damnant omnia plane 
Quae vir tam clarus comprobat esse pia 
Omnia si breviter libet haec tibi noscere lector, 
Unde tenere queas, magnus Erasmus habet, 
(Am Enbe. 1520. 4°.) 

2) Wicelii epp. Ad Jon. b4b. Die Stelle ift überhaupt lehrreich: 
Attraxit me primum in partem vestram plausus ille orbis maximus, 
pellexit praeproperus eruditorum assensus, incitavit novitas: ut pleri- 
que natura hujus cupidine ducimur: perpulit ecclesiae foeda facies, potiss. 
incitavit spes magna, omnia fore purius Christiana. Calcar ad id 
ingens erant Erasmi vigiliae, quas qui legerat, is non potuit mon 
favere coeptis istis, quantumcumque reclamante una portione orbis.‘“ 

23) Bol. Hogel’fche Chronik ad a. 1519, womit zu vergl. das Epigramm 








— BB — 


Da biieb auch Eoban nicht zurüd. Noch in demſelben Jahre 
fing er an, in öffentlichen Vorlefungen das eradmifche „Hand: 
buch des chriftlichen Streiters“ zu erklären, „um jegt mit der 
Gelehrſamkeit die Beförderung chriftlicher Frömmigkeit zu ver- 
binden.” Wir befigen noch die Rebe, mit der er fie eröffnet 
hat!). In ihr bemerken wir zum erjten Mal den biblifchen 
Ton, der bald in der ganzen humaniſtiſchen Literatur herrfchend 
wird. Er preifet die Zeit glücklich, daß fie — namentlich durch 
das Verdienft des großen Erasmus — zu dem Born der wah- 
ren Frömmigkeit, zu der Bibel, zurüdgefehrt jei, und dem 
frühern Berderben, dem Aberglauben und der Heuchelei entjage. 
„80 bleiben nun jene”, ruft er aus, „bie jo übermüthig und 
anmaßend von chriftlicher Demuth predigen — von der fie jelbft 
fo weit entfernt find, al® Myfien von den Phrygiern — als 
wenn und nicht der leiſeſte Widerfpruch gegen fie, ihnen aber 
ein immerwährendes Sündenleben geitattet jei. Dulden wir 
es nicht mehr, daß Menfchen durch alberne und nichtömwürbige 
Poſſen das chriftliche Volk, die einfältige und ungelehrte Menge 
täufchen und leider nur zu oft ven dem engen und jchmalen 
Pfade auf den Weg des Verderbens führen — nur darum 
bejorgt, daß ihnen die Mittel nicht ausgehen, daheim ihren 
Lüſten zu fröhnen” 2). „Seid frei”, mit diefer Ermahnung 


des Cordus Ad Sedecianum (Opp. 148 a), dem Hogel wohl jene Nachricht 
entnommen bat. — Lupus (‚‚rasae Alpha farinael‘“) hielt feit Jahren 
Borlefungen über Gabriel Biel. Er Teiftete am längften Widerſtand, fcheint 
fih aber 1520 gefügt — oder zurüdgezogen zu haben. 

1) In ber Sammlung: Praefatio in Epistolas Divi Pauli Apostoli 
ad Corynthios, Erphurdise ad Christianae philoseophiae studiosorum 
ordinem habita ab eximio viro D. Jodoco Jona Northusane jarlum 
designato D. Canonico ibidem apud divi Severi. Cum epistola Mosel- 
Jani ad eundem. Huic addita est non multum dissimili argumento 
Eobani Hessi praefatiuncula in Enchiridion Christiani hominis. (Am 
Ende: Erphordiae V Cal. Sept. 1520), 4°. Den Schluß bilden zwei Mei- 
nere Preisgedichte auf Luther von Cordus. 

2) In Praelcetionem Christiani militis J. c. C. 3 a. „Dum modo 
Kampſchulte, Univerfität Srfurt. IL Theil. 3 


— 4 — 


fchließt der Redner, „unter Chriſti Kührung vernichtet das 
feindliche Heer, wifjet, daß Chriſtus unſer Herr und Gott, der 
Urheber und der Wiederheriteller der Freiheit ift” *). 

Eine noch Teidenfchaftlichere Sprache führt Juſtus Jonas. 
Wie er ſo eben durch feinen überfchwenglichen Eifer für den 
Humanismus es Allen zuvorgeiban, jo kennt auch jebt jein 
Eifer für die Sache der Reformation Feine Grenzen. In der 
Einleitung zu feinen Borlefungen über die Ehrintherbriefe, die 
er ebenfall® 1519 begann, kann er nicht Worte genug finden, 
um das bisherige allgemeine Verderben zu jchildern. Alle 
Stände, alle Berhältniffe find, nach feiner Schilderung, davon 
ergriffen; mit der Muttermilch, wird e3 eingeſogen?). Weppig- 
feit und Habgier herrichen, Wiflenfhaft und Frömmigkeit find 
‘verachtet, der Glaube Liegt darnieder. Die, welche den Titel 
von Geiftlichen und Seeljorgern führen, dienen der Wohlfuft 
und dem Geize, ſcheuen fi, auch nur eine Stunde dem Stu: 
dium der h. Schrift zu widmen. Bifchöfe, Erzbifchöfe, Done 
capitel wetteifern in Pflichtvergefjenheit. Nur von weltlichen 
Dingen tft bei ihren Zujammenfünften die Rede, von Forſten, 
Bauten, Einkünften, von Ritterbürtigfeit, vem Ruhme der Bor: 
fahren und der langen Reihe der Ahnen; darin ſuchen fie ihren 
Ruhm, nicht aber in der Berrichtung der geiftlichen Pflichten *). 
Die Mönche jind der Unmäßigkeit, der Böllerei uud den Müßig— 
gang verfallen, die Wiſſenſchaften in den Klöftern erftorben, 
die alten einfachen Sitten bis auf die Kutte verſchwunden “), 


illis domi non desit, undecunque corrasum, quod voluptatibus, tibidinl, 
avariciae satisfaciat.‘“ 

1) „Liberi Christo duce profligetis hestilem exercitum eumque 
solum libertatis authorem agnoscatis, ‚qui solus perditam munde liber- 
tatem restituit, Josum Christam qominum et deum aostrum.“ 1.c. C. 3b. 

2) Praef. in ep. divi Pauli etc, A. 3 a. 

s)1l.c. A. 4a—b. 

*) Seine Aeußerungen über die Mönde gehören zu ben berbften, doch 
verwirft er dad Möndhsinftitut noch nicht, — „‚Quod si continentia et illa 
litteris amicissima frugalitas, quam ceremoniis quidem et ipso habite 





— 85 — 


— Dem müfje ander? werben. Die Zeit ſei gekommen. Jonas 
hält einen volljtändigen Bruch mit der Vergangenheit für nöthig 
und fordert dazu auf; zwar falle e3 jchwer, fich von den Ge- 
wohnheiten der Väter loszuſagen, allein über die Pietät gegen 
die Vorfahren gehe der Befehl des himmlischen, Vater ?). 

Bon ſolchen Lehren ertönten die Hörjääle in Erfurt in 
den Jahren 1519 und 20. Eoban’3 und Jonas' Vorlefungen 
fanden begeifterten Beifall bei der Jugend. Die von Witten: 
berg audgegangene Bewegung hatte die ganze Univerfität ergriffen. 
Der Gedanke der Reformation beberrichte Alles und riß jelbft 
die ältern Lehrer mit ſich fort. Die Begeifterung für Xuther 
war grenzenlos. „Schwiegen die Menjchen”, ruft Cordus aus, 
„die Steine würden anfangen zu reden” ?). 

Died war die Stimmung in Erfurt, als die päpftliche 
Bulle erfchien. 


V. 


Es war am 15. Juni 1520, als in Rom die Bulle aus— 
gefertigt wurde, die einundvierzig aus Lutherd Schriften aus⸗ 
gezogene Süße verdammte, die Bücher, in denen fie enthalten, 
zu vernichten gebot und über Luther felbft, nach Ablauf einer 
Friſt von jechzig Tagen, die ihm zum Widerruf bewilligt wurde, 
die ganze Strenge der firdhlichen Genfuren verhängte. 


prae se ferunt, foreret in monasterlis, fieri non possct ullo pacto, 
quin ibi regnarent literne. Etenim si simplici et modesto viotu hi 
essent contenti, si non eg quogue taterrimum vitium crapulae pens- 
trasset, quid animis ita relictis in suo regno, ita nullo vino, nullis 
epulis gravatis, vel cogitarent, quam quae item animos pascerent? 
Nunc plerique coenobitac post preces illas utcunque permurmuratas 
ventrem ita piscibus farciunt, ista distendunt, ut credas eos perdendis 
cibis conductos aut natos ut jures nulli rei quam somno utiles esse. 
1. c.B.2a. — An mandyen Stellen erfennt man ben Einfluß de Erasmus. 
ı) 1. c. B. in. 


»)1,c.C. 4a. 
30 


— 36 — 


Nach dem, was vorhergegangen, war der Kirche, wollte 
ſie ſich nicht ſelbſt aufgeben, Nichts übrig geblieben, als zu 
dieſem äußerſten Mittel zu greifen. Nicht nur, daß Luther 
ſich mit den wichtigen, wohl von ihm ſelbſt nicht geahnten Er: 
gebniffen der Leipziger Disputation in Kurzem befreundete: et 
war jeitdem auf der einmal betretenen abſchüſſigen Bahn noch 
weiter vorgejchritten. Getragen von der nationalen Oppofition, 
unter dem vanfchenden Beifall der Humaniften hatte er in 
Predigten, Streitfchriften und Briefen eine firchliche Lehre nad 
der andern angegriffen. Seine Sprache. wurde immer ver: 
wegener, feine kirchlichen Umfturzgedanfen immer vabicaler: 
Ihon im Februar 1520 fing er an, von dem Antichrift zu 
Iprechen, der in Rom feinen Sit habe! !) 

War fomit jener Schritt des Papftes volllommen gerecht 
fertigt, muß ſogar ber in dem päpftlichen Schreiben herrfchende 
Ton als ein verhältnigmäßig milder bezeichnet werden, fo war 
ed doch ein nicht zu läugnender Mißgriff, daß Luthers perfön- 
licher Gegner mit der Publication beöjelben in einem großen 
Theile von Deutjchland beauftragt wurde). Daß Zohan 
Ed, der in Reipzig Luther entgegengeftanden, dann nach Rom 
geeilt war, um die Verdammung desjelben zu betreiben, nun 
gleichjam triumphirend mit dem päpftlichen Spruch zurückkam, 
hatte etwas Verlegendes und war um fo bebenklicher, als bei 
der berrichenden Stimmung Alles, was auf die Schritte Roms 
ein ungünftiged Licht werfen konnte, in Deutjchland begierig 
aufgegriffen wurde. War es zu verwundern, wenn Diele in 
der Verdammung Luthers das Wort perjönlichen Haſſes jahen, 
ihr die niebrigften Motive unterjchoben! °) 


1) Vgl. Luther an Spalatin 23. Februar 1520. De Wette I, 420. 

2) Verfuch einer Rechtfertigung bei C. Riffel, Chriſtliche Kirchengeſch. 
der neueften Zeit I, 230 (1844). — Offenbar bat die auf diefen Umſtand 
bezügliche Stelle in Luthers Gegenfchrift (Von den newen Edifchen Bullen 
vnnd lugen. Vuittemberg 1590. B. 3 h.) den meiften Grunb. 

2) Tlugfchriften wurden in diefem Sinne in Umlauf geſetzt. Niederer 











— 37 — 


Dan weiß, wie fid die öffentliche Stimmung bei der 
Publikation der Bulle Fund gab. An eine Annahme verfelben 
in dem churfürſtlichen Sachen, auf welches am meiften ankam, 
war gar nicht zu denken. Selbſt Bilchöfe, wie der von Bam⸗ 
berg, wiejen fie zurüd, weil fie ihnen nicht auf dem orbent- 
lichen Wege zugelommen. In Leipzig gerieth Eck fogar in 
Lebensgefahr. Zu den ſtürmiſcheſten Scenen aber jollte es in 
Erfurt kommen. 

Noch che man von dem Inhalte der Bulle Kunde hatte, 
kehrte der erbitterte Cordus feinen epigrammatiichen Stachel 
gegen fie). Ecks Name war nirgendwo verhaßter, al3 in 
Erfurt. Uebertiug man auf Luther jene überfchwengliche Ver⸗ 
ehrung, die man vorher für Reuchlin an den Tag gelegt, ſo 
galt dagegen Eck als ein neuer Hochftraten, und der ganze Haß, 
ben biefer erfahren, traf jebt ihn. Erſt eben war in Erfurt 
ein neuer jatirifcher Dialog „ber abgehobelte Eck“ an's Licht 
getreten, gleihfam ein Seitenftüd zu ben Briefen der Dunkel⸗ 
männer, dad in ähnlicher Weile Eck dem allgemeinen Hohne 


(Nachrichten zur Kirchen:, Gelehrten: und Büchergeſch. ı, 178 — 184) theilt 
einen anonymen Brief aus dem Pirfheinier’fchen Nachlaffe mit, worin bie 
Bulle al3 das Werk einer action bargeftelt wird, an beren Spike Cajetan, 
Prieriag, die Kölner und Löwener Theologen und die Fugger in Augsburg 
ftehen; im Nuftrage der leßteren fei Ed nad) Rom gereifet und er babe bie 
Berbammung zu Stande gebracht. Der Brief ift angeblich aus Rom gefchrie: 
ben, und, wie Riederer aus einigen durchſtrichenen und verbefferten Stellen 
fchließt, von Pirfheimer aus dem Jialieniſchen in's Lateinifche überſetzt! Mir 
fcheint es eben wegen jener Berbefferungen unzweifelhaft, daß Pirkheimer ſelbſt 
den Brief verfaßt Hat, zu welchem Zwecke ift Mar. Dem Berfaffer de Kccius 
dedolatus fieht ein ſolches Verfahren fehr ähnlich. 


ı) De Romanis Bullis, Opp. Cordi 136. 


„Quod tua Romulide bullas diplomata dicis, 
Insipiens adeo non mihi vulgus erit. 

Nam videt, ut verae sint et sine pondere bullae 
Ni grave quod plumbum pictaque cera premit. 


Epigramme gegen Eck 1. c. 144 a, 145 a. 


— 3 — 


preis gibt, wie es in jener Satire mit Hochſtraten geſchah 1). 
War e3 denkbar, daß man ben Aufforberungen dieſes Mannes 
Folge leiften werde? 

Was aber gefchih, übertraf jelbjt alle Erwartungen. Nicht 
nur, daß ſich die Humaniften gegen Eck und feine Bulle erbo: 
ben, auch die theologifche Facultät that dies und zwar in einer 
MWeife, die jelbft den Eifer der Humantiten noch überbot. 

Auf die erjte Aufforderung, die Bulle anzunehmen und zu 
veröffentlichen, hatte jie Eck eine einfach abichlägige Antwort 
gegeben. Ed Fam darauf ſelbſt nach Erfurt, um fein Anjehen 
als päpftliher Nuntius geltend zu machen und perjönlich die 
Berdffentlichung der Bulle zu bewirken. Bei den Mitgliedern 
der beiden Stifter und einigen Mönchen jcheint er damit Ans 
Fang gefunden zu haben; durch Druc wurden bie Eremplare 
der Bulle vervielfältigt und Thon Anftalten zu dem öffentlichen 
Anſchlage getroffen. Unter diefen Umjtänden war es, daß fid 
die theologische Facultät zu einem Schritte fortreigen ließ, ver 
jelbft in jener „geichwinden” und aufgeregten Zeit ohne Bei⸗ 
fpiel ift: fie befchloß, durch einen fürmlichen Aufruf an alle 
Angehörigen der Univerjität Haß und Leidenſchaft der acade: 
miſchen Jugend zu entfefleln und gegen den Berfünder der 
päpftlichen Bulle zu Hülfe zu rufen. — | 


1) Daß ber Bccius dedolntus (mahrfcheinlich im März 15% erjchienen) 
in Erfurt gebrudt fei, fant Luther ausdrücklich (De Wette I, 465) und aud 
erfurter Chroniken, 3. B. die Frieſe'ſche (nd a. 1520) melden es. Auch ſtand 
Pirkheimer, ohne Zweifel ber Verfafſer, um dieſe Zeit mit Erfurt in Ber: 
bindung. gl. Eub. et amic. epp. f. p. 277. Dod will id nicht ver: 
hehlen, daß mir, obgleich ich mehrere Ausgaben kenne, noch feine mit erfurter 
Druderzeihen zu Geficht gefommen iſt. Abgedruckt findet ſich der Dialog bei 
Niederer, Beytrag zu ben 487 betreffend die Händel, welche 
D. Ed im 3. 1520 erteget hat. p. 156 — 157. Luther felbft war über die 
neue Behandlung feines Gegners fol erftaunt. „Vides Lipsenses et Ec- 
cium futuros allos Colonienses et Hochstratos‘" Luther an Spalatin. 
De Wette I, 426. 





— 9 — 


Ein öffentlicher Anſchlag?) that allen Freunden und Goͤn⸗ 
nern der chriftlichen und enangelifchen Wahrheit fund, daß nad 
längern gottlofen Rathichlägen von einigen gottlofen Schrift: 
gelehrten und Pharifäern, die fich fälfchlich den Namen Theo: 
logen beilegten, auf Einflüftern des Satans ber Beichluß gefaßt 
fei, ein Schreiben öffentlich anzuſchlagen, das den hochgelehrten 
Martin Luther aus der Kirche ausſchließe und der Hölle über: 
weiſe. Einhellig, ohne Ausnahme hätten aber ſämmtliche theo⸗ 
logischen Lehrer der Univerfität erkannt und erflärten e3 Hiermit 
nad, reiflicher Meberlegang unbedenklich, daß Martin bisher gut 
und chriftlich gejchrieben habe, wenn anders bei den Propheten, 
Evangeliften und St. Paulus Wahrheit zu finden fei. Darum 
ergehe an alle Angehörigen der Univerjität, denen bie göttliche 
Wahrheit und das Heil ihrer Seelen am Herzen Tiege, ‚die 
Aufforderung, fich zu erheben, Ehrifti Wort mannhaft zw vers 
theidigen, und den wüthenden Verläumdern Luther? „mit Hän- 
den und Füßen“ zu wiberftreiten?). Sobald jene teuflifche 








1) Gedruckt unter dem Titel: INTIMATIO ERPHURDIANA 
Pro Martino Luther. 1 Bog. 4°. Ohne Angabe des Drudorts, aber mit 
den Druderzeichen bed mainzifchen Buchdruckers Joh. Schveffer. Möglich, 
daß der Drud durch Hutten vermittelt iſt; in Erfurt war jedenfalls nur ein 
geſchriebenes Eremplar angeſchlagen. Cine dentſche Tieberfeßung beforgte im 
folgenden Jahre Wolfgang Ruß, von der mir zwei verichiebene Ausgaben 
befannt find. Die eine führt den Titel: VerkündungsBrieff der hochberilemp: 
ten Vniuerſitet Erbfurt zuſchlitz ſchirm on handhabung des Chriſtlichen gots⸗ 
diener vn lerers D. Martin Luthers durch Wolffgang Rüßen verteutſchet. 
Mit einer „Spruchreb Vber das frevel vnbeweret erkennen, ber hohen ſchül 
Paryß wider Doctor Martin Luther.“ (Erſch. May 1521). Die andere 
Ausgabe iſt betitelt: Intimation ber hochberüempten Vninuerfitet Erdtfurt, in 
Martinum Luther burch Wolfgang Nuſen verteutſchet. 4°. Die Ueberſeßung 
it hart und fehlerhaft. Maxima ducti impudentia iſt den Ueberſetzer fo 
viel als: „mit groffer Scham” und Henigrare tamen cum versutia c0- 
nantur wird überſetzt: fo onderftond ſy fich dann durch liſt abweg zu ſuchen! — 

2) „Quamobrem vos omnes et singuli hostrae dietae Universi- 
tatis gremiales, qui veritasem Christi, Christum sl Iaquam amatis, aut 
qui doctrinam Cäristi preciosissimo sanguine suo Armatam diligitis, 
quibus denique chara proprias animne snlus, oxhortumur in Aoıhino 


9 — 


papiftifche Excommunikation an der Umeerſität angeſchlagen 
ſei, möchten fie furchtlos, haufenweiſt aBer einzeln herantreten, 
fie zerreißen und vernichten, auch auf jede andere Weiſe das 
gottlofe Machwerk der eckiſchen action verunehren und be 
Ihimpfen. Man jet verpflichtet, jenes nicht3würdige Geſchlecht 
der Pharifäer zu verfolgen, die fein Mittel für unerlaubt hielten, 
um den unſchuldigen Vertheidiger der Wahrheit mit Schmach 
und Schande zu beladen, und fi dadurch den Dank bed 
römischen Papſtes zu verdienen bofften. Doch fie und ihren 
- Hirten erwarte gemeinjamed Verberben und dad Schickſal, 
welches fie Luther zugedacht, werde fie jelbjt treffen ). 





— 


Jesu Christo, consurgite, agite animosius in verbo Christi defendendo, 
pugiles resistite, reclamate immo manibus ‚pedibusque rabidissimis 
illius Martini praedicti obtrectatoribus repugnate, Verum quo pacto 
repugnandum sit, animadvertite. Quam primum tyraunica illa et plus 
quam diabolica excommunicatio Papistica, Jicet injustissima adversus 
innocentem Martinum et ejus adhaerentes, valvis nostris affıxa fuerit, 
turmatim animo virili et intrepido (nostrae exhortationis memores) 
etiam in magno numero, et in meridiana luce, aut partieulatim acce- 
dite, has ipsas demonisticas excommunicationes in minimas particulas 
dilacerantes‘“ etc. Man erfieht aus dem Stile, daß die Sumaniften an 
ber Abfaſſung unfchulbig find. 

1) Luthers Gegner unb die Verfündiger ber Bulle werben bezeichnet ald 
Lmciferiani nuncii, Pharisaei, meri calumniateres, invidissimi convi- 
ciawres, diabelici cellegii conservatores, an ihrer Spite ftehen: Imapius 
Eccius et Augustinus Alfeldianus Pharisaeorum duces. — fügen ung 
nicht gleichzeitige Drude vor, fo käme man in Verfuchung, an ber Echtheit 
des Nctenftüdg zu zweifeln, namentlich auch wegen ber Einhelligfeit, mit ber 
ber Beichluß gefaßt fein ſoll („Nos vero alme Vniuersitatis Magistri, 
Baccalaurii Theologicne veritatis professores, omnes et singuli tam 
conjaactim quam diuisim, desuper mature habito censilio, unanimes 
unoque corde, semoto omni scrupulo liuoris vindietae aut odii Cujus- 
quam, ita decernendo rite docemus et profitemur praescentium tenore 
Martinum bene et prorsus Christiane hucusque scribsisse‘‘), da bed 
ber Facultät noch Männer wie Ufingen, Lupus angehörten, mit bern Cha- 
rafter eine ſolche Maßloſigkeit nicht wohl vereinbar ſcheint. Allein zu dem 
Gewicht der gleichzeitigen Drude kommt noch, baß die Facuftät, auch als fie 
wieder eine Tatholifche Haltung angenommen, fich nie gegen ben amtlichen 





— 41 — 


Es ift auffallend, wie dieſes denkwürdige Actenftüc, das 
wohl in der ganzen Reformationzliteratur jeined Gleichen nicht 
bat, jo gänzlich in Vergeſſenheit geratben konnte. Lange Zeit 
war es vollitändig verfchollen oder nur dem Namen nad 
bekannt 1). Die Zeitgenoffen jelbjt beobachten darüber ein 
merfwürdiged Schweigen, gleihfam als wollten fie dadurch ihre 
Mipbilligung über ein jo gejeklojes Verfahren an den Tag 
legen. Nur das erfahren wir, daß die academische Jugend 
getreulich der Aufforderung ihrer pflichtvergefjenen Lehrer nach- 
gelommen ift. Zum Unfchlagen der Bulle ſcheint es gar nicht 
gefommen zu fein. Ed wurde von den ergrimmten Studenten 
in feiner Wohnung belagert und war kaum ſeines Leben? ficher. 
Die gedruckten Eremplare der Bulle wurden dem Buchdrucker 
geranbt, in Stüde zerriffen, beſchimpft und in's Waller gewor⸗ 
fen; „ſei e8 doch eine Blaſe (bulla), darum möge fie auf dem 
Waſſer Ichwimmen” 2). 

Aus den Briefen, in denen Luther diefer Borgänge gedentt, 
erjieht man, daß er felbft darüber erftaunt war, er rechnete fie 
zu den wunderbaren Werfen Gotted. Und fürwahr, einen 


Charakter der „Intimation“ außgefprocdyen hat, was man erwarten mußte. 
Der Rector des Sommer! 1520 war ein Mitglied der theol. Facultät, Plab; 
von ihm ift wahrfcheinlich das Ganze ausgegangen. Seinen Bericht in Liber 
rationum fchließt er mit den Worten: Veritati mikil fortius! Die Matrikel 
gebenft des Vorganges nur dunkel, inbem es von Crotus, ben Rachfolger 
des Platz, heißt: „„Atque statum literarii ordinis, quem perturbatum 
inveuit pro virili studuit pacare.“ E. U. M. ad a. 1520. 

1) Bei Sedendorf, Tentel, Salig, Rapp ift jebe Kunde davon verfchollen, 
Fabricius rechnet es fogar zu ben Gegenfchriften gegen Luther; Fratzſcher J. c. 
p. 294 veröffentlichte zuerſt wieber bie beutiche Weberfekung, Riederer bann 
mit der Weberfegung das Iateinifche Original. Vgl. Riederer Eine überaus 
feltene Reformationdurfunde Intimatio Erphurdiana pro Martine Luthero. 
Altorf 1701. 4°. 

2) „Bulla est, in aqua unter,“ Das Wortfpiel läßt fih im Deutfchen 
nicht wiedergeben. Vgl. über diefe Vorgänge Luther an Greffendorf (30. Oc⸗ 
tober 1520), De Wette 2 519 und Luther an Spalatin (4. Rov.) 1. c. 1, 
522. 524, 


— 4B — 


ſolchen Eifer hatte er in Deutſchland noch nicht gefunden. Am 
wenigſten aber hatte er erwartet, daß eine Univerſität in ihrer 
Geſammtheit öffentlich ſeine Sache in ſolcher Weile in Schutz 
nehmen werde !). Der Borgang in Erfurt fteht in der That 
vereinzelt da: von Feiner deutſchen Univerfität ift daS Beiſpiel 
ber thüringifchen nachgeahmt worden. 

Aber ſchon hatte Erfurt in diefem Augenblicke auf einem 
andern Punkte eine Wirkſamkeit begonnen, die auf den Gang 
ber Ereignifje einen ungleich wichtigern Einfluß gewann. Nicht 
bloß Schuß ſollte Luther beider Schule finden, die er als feine 
„Mutter“ verehrte, jondern von ihren Zöglingen auch jene 
Einwirkung erfahren, die den Streiter für die Rechtfertigung 
allein durch den Glauben zum Fühnften Demagogen der Nation 
machte und daß ſchon Tängft angebahnte Buͤndniß zwiſchen der 
theologiſchen Oppoſition und den nationalen Tendenzen zur 
Vollendung brachte. 

Es geſchah dies durch die Einwirkung derſelben Männer, 
welche durch ihre Theilnahme bereits dem reuchliniſchen Streite 
jene verhaäͤngnißvolle Wendung gegeben hatten: des Crotus 
Rubianus und feined Freundes Ulrich von Hutten. 


2) Was Luther von den Univerfitäten hielt, ſagt er in einem Briefe an 
Spalatin bei Beſprechung ber Leipziger Diäputation: Universitates et Ro- 
manum Pontificem certum habemus et nos, aut nunguam, aut contra 
nos pronuntiaturos, id quod unice ipsi suspirant.“ De Wette I, 285. 
— Einen Beifall, wie in Erfurt, hat er auch in Wittenberg nicht gefunden. — 


— 





— 48 — 


Zweites Kapitel. Sturm nnd Drang. 


„Vindicemus commanem libertatem! liheremus 
oppressam diu jam patriam! Deum habemus 
in partibus,‘“ 

Betten. 


1. 


- Wie vajch die Geifter in jener ftürmifch bewegten Zeit 
aus einer Bahn in bie andere geworfen wurden, veranſchau⸗ 
licht das Beifpiel des Crotus Rubianus. 

Im Anfang 1517 hatte Erotus Erfurt verlaflen, um ben 
Thon längst gehegten Wunſch einer Reife nach Stalien auszus 
führen Schon im Mai finden wir ihn in‘ Bologna, bem 
gewöhnlicden Sammelplatze deutſcher Humaniften !). Er traf 
hier noch mit Ulrich von Hutten zuſammen, den fein unruhiger 
Geift 1515. zum zweiten Mal: nach Italien getrieben hatte, und 
vermochte diefen durch feine Vorftellungen, ben abenteuerlichen 
Plan einer Fahrt nach Serufalem aufzugeben ?), Als einer 
ber beveutenditen Humaniften fand Crotus auch in die italie- 
nifchen Gelehrtenfreife Eingang; unter den anweſenden deutichen 
Gelehrten genoß vor Allen der Humanift Sohann Heß feines 
vertrautern Umganges 2). Nähere Nachrichten über feine Stel: 


1) Libellus alter, epıstolas complectens Eebani etc. K. 1 a. 
Crotus Justo Mesio d. d. Bononiae Ascensionis dominicne feste. 1517. 

2) Heumann Documenta Literaria p. 27. Cochlaeus ad Pirkh. 
d. d. Bonon. 6 Cat, Jul, 1517. „Fuit his diebus Venetils Huttenus 
cum gentilibus suis Hieroselymam proflciscentibus, quos ulique comi- 
Latus esset, nisi Orotus Ruhianus Vulpiaorum prasceptor eum reti- 
nuisset.‘“ Husten folgte dem Freunde nad) Bologna und trat von hier Ende 
Juni 1517 feine Rüdreife an. 1. c. p. 28. 

2) Der nachmalige MRefermator von Breslau, ſchon 1514 mit dem mutia⸗ 
niſchen Kreife in Verbindung, Freund Mutian's, Urban'sn, Petrejus’ und 
Spalatin's. Vgl. M. B. F. fol. 180 a, 252 a und Heß an Spalatin 


— 4 — 


ſolchen Eifer hatte er in Deutfchland noch nicht gefunden. Am 
wenigften aber hatte er erwartet, daß eine Univerfität in ihrer 
Gefammtheit Hffentlich feine Sache in ſolcher Weile in Schub 
nehmen werde !). Der Borgang in Erfurt fteht in der That 
vereinzelt da: von Feiner deutſchen Univerfität ift daS Beiſpiel 
ber thüringifchen nachgeahmt worden. 

Aber ſchon Hatte Erfurt in diefem Augenblide auf einem 
andern Punkte eine Wirkſamkeit begonnen, die auf den Gang 
der Ereigniffe einen ungleich wichtigern Einfluß gewann. Nicht 
bloß Schuß ſollte Luther beider Schule finden, die er als feine 
„Mutter“ verehrte, fondern won ihren Zöglingen auch jene 
Einwirkung erfabren, die den Streiter für die Rechtfertigung 
allein durch der: Glauben zum Fühnften Demagogen der Nation 
machte und daß jchon läͤngſt angebahnte Buͤndniß zwifchen der 
theologiichen Oppoſition und ben nationalen Tendenzen zur 
Vollendung brachte. 

Es geſchah dies durch bie Einwirkung derjelden Männer, 
welche durch ihre Theilnahme bereits dem reuchlinifchen Streite 
jene verhängnißoolle Wendung gegeben hatten: des Crotus 
Rubianus und feines Freundes Ulrich von Hutten. 


2) Was Luther von den Univerſitäten hielt, fagt er in einem Briefe an 
Spalatin bei Befprehung ber Leipziger Disputation: Universitates et Ro- 
manum Pontificem certum habemus et nos, aut nunquam, aut contra 
nos pronuntiaturos, id quod unice ipsi suspirant.“ De Wette I, 285. 
— Einen Beifall), wie in Erfurt, hat er auch in Wittenberg nicht gefunden. — 


— 





— 48 — 


Bweites Kapitel. Sturm nnd Drang. 


„Vindicemus commanem libertatem! liheremus 
oppressam diu jam patriam! Deum habemus 
in partibus,‘* 

Betten. 


J. 


Wie raſch die Geiſter in jener ſtürmiſch bewegten Zeit 
aus einer Bahn in die andere geworfen wurben, veranſchau⸗ 
licht das Beiſpiel des Crotus Rubianus. 

Im Aufang 1517 hatte Crotus Erfurt verlaſſen, um den 
ſchon längſt gehegten Wunſch einer Reiſe nach Italien auszu⸗ 
führen. Schon im Mai finden wir ihn in Bologna, dem 
gewöhnlicden Sammelplatze deutſcher Humamiften ). Er traf 
hier noch mit Ulrich von Hutter zufanunen, den fein unruhiger 
Geift 1515 zum zweiten Mal: nach Italien getrieben hatte, und 
vermochte diefen durch feine Vorftellungen, ben abenteuerlichen 
Plan einer Fahrt nach Serufalem aufzugeben?) Als einer 
der bebeutendften Humaniften fand Crotus auch in die italie- 
nischen Gelehrtenkreife Eingang; unter den anweſenden deutſchen 
Gelehrten genoß vor Allen der Humanift Johann Heß feines 
vertrautern Umganges 3). Nähere Nachrichten über feine Stel: 


1) Libellus alter, epıstulas complectens Eobani etc. K. 1 a. 
Crotus Justo Mesio d. d. Bononiae Ascensionis dominiene fosto. 1517. 

2) Heumann Documenta Literaria p. 27. Cochlaeus ad Pirkh, 
d. d. Bonon. 6 Cat, Jul. 1517. „Fuit his diebus Venetils Huttenus 
cum gentillbus suis Hieroselymaın profleiscentibus, quos utique comi- 
tatus esset, nisi Orotus Bubianus Vulpiaorum praecoptor eum reti- 
nuisset.‘“ Hutten folgte dem Freunde nad) Bologna und trat von hier Ende 
uni 1517 feine Rüdreife an. 1. c. p. 28. 

3) Der nachmalige Refermator von Breslau, ſchon 1514 mit bem mutia⸗ 
nifhen Kreife in Verbindung, Freund Mutian's, Urban'n, Petrejud’ und 
Spalatin’s. Bgl. M. 8. F. fol. 15 a, 22 a und Heß an Spalatin 


— 4 — 


lung und Thätigkeit fehlen und indeß, nur jo viel erfahren 
wir, daß er feinen alten Verbindungen und Plänen auch in 
Stalien getreu blieb. Mit den Erfurtern, mit Mutian, Urban, 
Menius jtand er von Bologna aus in Brichvechjel!), aud 
mit Hutten blieb er nach deſſen Abreiſe in fortwährendem Ber: 
fehr ?). Und noch gang lebte er in dem Gedanken des Kampfes 
gegen Sophiſten und Mönche. Bon der Wichtigkeit der Bor: 
gänge in Deutjchland hatte er noch in der erjten Hälfte des 
Sahres 1518 gar Feine Ahnung War ja doch Luther ein 
Mönch und ala ein Mönchshandel mochte ihm auch feine An- 
gelegenheit erjcheinen. Größere Hoffnungen rüpfte er an einen 
jüngft in Stalien ausgebrochenen Kampf. So eben hatte hier 
Petrus Pomponatius durch feine bevenflichen Säbe über die 
Unfterblichfeit der Seele die ganze gelehrte Welt in Bewegung 
gefeßt. Der Umftand, daß es vorzugsweiſe die firchlichen Orden 
waren, die Widerfpruch dagegen erhoben, während die Huma— 
niften größtentheild für Pomponatius Partei ergriffen, erweckte 
in Crotus die frohe Hoffnung auf einen neuen allgemeinen 
Kampf gegen dad Mönchsthum. Schon fah er im Geifte die 
Scenen der reuchliniichen Fehde fich erneuern. „Wir werden 
Kriege erleben“, jchreibt er 1518 mit fichtliher Freude an 
Urban, „gewaltige Kriege, die in feiner Weile dem pfefferforn’- 
Ichen nachitehen werden. Petrus wird eher Gut und Blut 
bingeben, als den Mönchen da3 Feld räumen, es ei denn, daß 


(12. April 1517) Spalatin., Nachlaß. Er ſcheint Furze Zeit nach Crotus 
angefommen zu fen. Nach Kolde (Dr. Joh. Heß, Breslau 1846. p. 12) 
empfing er 1519 in Ferrara bie theol. Doctorwürbe. Außer ihm waren um 
jene Zeit in-Bologna anweſend und mit Crotuß in Verbindung: Cochläus, 
Julius Pflug und ein gewiffer Petrus, über ben ung nähere Nachrichten 
fehlen. gl. Opp. Pirkh..ed. Geldast. p. 258. Hutten bezeichnet Bologna 
als ‚‚illud pulcherrimam doctissimorum virorum conventiculum.‘ Opp. 
Butt, I, 145. | 

1) Bgl. Lib. alter epp. J. 7 b. - Tenbel Reliquine epp. Mut. 106. 
Suebus und Menius ftriiten fih um ben Beſitz ber Briefe des Crotus. 

. 2) gl. Opp. Hutteni ed. Münch II, 529, 5%, III, 154, 157. 























— 46 — 


fie ihm Irrthümer nachwiefen. Die öffentliche Meinung fagt, 
daß er ed mit ganz Stalien in ver peripatetifchen Philofophie 
aufnehmen fönne. Auch in der heiligen Schrift ift er bewan- 
dert, will fie aber anders gelefen wiflen, als jene, bie fie mit 
fophijtiichen Polen bejudeln. Gegen ihn fteht vereinigt das 
ganze Heer der Mönche, Franziskaner, Dominikaner, Serviten, 
Carmeliten und wa jonft noch in Klöftern über Albernbeiten 
bisputirt. Mit Spannung ſehe ich beim Verlauf dieſes Streites 
entgegen. Wie auch immer dad Ende fei, ih will es Euch 
Freunden mittheilen. Nur Eins fürchte ich, daß nämlich durch 
die Bemühungen Einiger ein Friede zu Stande kommen möchte. 
Mir jcheint diefer Kampf den Borzug vor dem Trieben zu 
verdienen“ ?), 

Doch die Rolle, die Crotus dem italieniſchen Philoſophen 
zugebacht, follte der deutiche Mönch übernehmen. Crotus ver- 
gap in Kurzem den Pomponatius, vergaß auch feine alte Ab⸗ 
neigung gegen dag Mönchsgewand, wurde Bundesgenoſſe de? 
Auguftinerbruderd und der eifrigfte Befdrberer feines Wertes. — 

Auch für Erotuß war ed enticheidend, daß die frühern 
Gegner Reuchlins auch gegen Luther in die Schranten traten. 
Die erfle Streitichrift, welche ihm in die Hände fiel, — wie 
e3 jcheint kurze Zeit nach dem erwähnten Schreiben an Urban — 
war ber Dialog des Silvejter Prierind ?). Seitdem war es 
nicht mehr möglich, dem Kampfe noch länger theilnahmlos 
zuzuſehen. Er fuchte fich näher über denſelben zu unterrichten, 


ı) Crotus Praestabili Bonarum artium magistro Henrico Urbano 
doctrina et religione insigni amico. d. d. Bononiae 1518 in Libellus 
alter epp. K. 1b— 2a. Der Brief enthält auch fonft noch Intereſſantes 
über ben Streit des Bomponatius. — Den Schluß bilden Grüße an Eoban, 
Petrejus, Jonas, "den mainzifhen Sigillifer „et reliquos. qui sunt de 
homelia Croti presbyteri.“ — Luthers wird in diefem Briefe mit Feiner 
Silbe gedacht. 

2) Vgl. Crotus an Luther d. d. XVI Cal, Nov. 1519 bei Mieg Mo- 
num. piet. et lit. vir. I, p. 13. Dieſer Brief liegt überhaupt ber folgen: 
den Darftellung zu Orunbe. 


— 46 — 


durch den bamberger Domherrn Andreas Fuchs, ſeinen Freund, 
erhielt er die früheſten Schriften Luthers, er las fie mit Be 
gierde, der gewaltige Geiſt, der ftch in ihnen anfündigte, machte 
Eindruc auf ihn. Luther war ihm zunächſt ein willfommener 
Mitftreiter gegen die Sophiſten, wie jo eben Pomponatius, 
jeine neue Theologie ein ebenfo wirkſames Nüftzeug gegen bie 
Schulgelehrfamfeit, als die Äprachlihen Formen der Alten. 
Indeß bei biefer äußerlichen Bundesgenoſſenſchaft ift er nicht 
lange jtehen geblieben. Der Kampf gegen die Scholaftif trat 
bald in ben Hintergrund gegen das Intereſſe, das er an den 
neuen. religiöfen Ideen felbft nahm, und unvermerft wurde ber 
Humanift auf das thenlogijche Gebiet Hinübergeleitet, und „das 
Schwert der b. Schrift” fein neuer Wahlſpruch ). — Aud 
bem Crotus iſt Luther, wie ſo ‚vielen Andern, VBeranlaffung zu 
einer ernſtern Beichäftigung mit der Theologie geworden. Lag 
e3 aber nicht in der Natur der Sache, daß der im Kampf gegen 
die Träger Eirchlicher Würden und Gelehrſamkeit bereit3 erprobte 
Humanift Fühner und rückſichtsloſer auf den neu geöffneten 
Bahnen vorichreiten mußte, als der in Devption gegen feine 
Vorgeſetzten auferzogene Myſtiker? — Erotuß war in Kurzem 
dem Meifter im Sturm des Angriffs vorausgeeilt: er hatte 


1) Gladius scripturae ober auch Gladius spfrititus sancti. Ob feine 
theologiſche Doctorpromstion, die in diefe Zeit fällt, mit biefen Umſchwunge 
im Zufammenbang fteht? Die gewöhnliche Anficht, daß Crotus ohne alle 
innere Betheiligung Luther Sache verfochten habe, dem Inhalte feiner Lehren 
ganz fremb geblieben fei, widerlegen zahlreiche Stellen aus feinen Briefen, 
aus benen ich nur eine hervorheben will. „Disputent acuti homines 
damnentque ut libet,nusquam apud me in dubium vocabitur, quin 
quivis mortalium justificatus per fidem accessum habeat ad deum. 
Exultent ipsi sua satisfactione, nos ubi fecerimus omnia, quae nobis 
mandata sunt, adhuc inutiles servi sumus, nihil habentes quam quod 
gratis accepimus. Placeant sibi sancti viri suo merite et mercedem 
pro factis postulent, ipsi credentes in eum, qui vivificat implum ex 
fide amplius et a poena et a Culpa, liberi sumus‘“ etc, Crotus an 
&uther d. d. Bambergae 4 Cal. Maj. 1520. Herz. Goth. Bibl. Cod. 
Chart. B. 20. 





— 417 — 


den Zurüdigebliebenen, noch mit manchen Bedenken Kämpfenben 
zum Nachfolgen aufgumuntern. 

Der Anfang diefer Umwandlung fällt in den Sommer 
1513. Schon im October, al? Luther die befannte Unterredung 
mit dem Cardinal Thomas de Bio in Augsburg hatte, richtete 
Crotus von Bologna aus ein Schreiben an ihn, um ihm feinen 
Beifall und feine Theilnahme zu erfennen zu geben. Gleidj- 
zeitig empfahl er Luther dem Schuß des am Faiferlichen Hofe 
hochangejehenen Ritter Thomas Fuchs!) Und von ba an 
lebte er nur für Luther. Tag und Nacht beichäftigte ihn, wie 
er ſelbſt jagt, feine Angelegenheit. Bon ihm träumte er, nur 
an ihn dachte er. Schon fing er an, in Italien ſelbſt Anhänger 
für ihn zu werben; heimlich, um Gefahr zu vermeiden, janbte 
er Luthers Schriften nach Rom *), in Gejprächen nahm er die 
Sache des deutſchen Mönches in Schub. Sein Eifer wurde 
noch erhöht, als er im folgenden Jahre mit feinem Freunde 
Heſſus einige Zeit in Nom jelbft verweilte und ven „Stuhl 
bed Verderbens“ — fo nannte er ihn freilich erſt einige Monate 
ſpäter — aus der Nähe kennen lernte. Er mußte fih Zwang 
anthun, um die nöthige Borficht zu beobachten. 

Der Aufenthalt in Rom feste ihn in den Stand, dem 
Neformator die erften wichtigen Dienfte zu leiften. Es war 
eben um jene Zeit, als Ecks Bericht über den verhängnißvollen 
Ausgang der Teipziger Disputation einlief. Es Tonnte nicht 
fehlen, daß er einen tiefen Eindrucd machte: Thon jet wurden 
in den hoͤchſten Kreifen Stimmen laut, welche die Anwendung 


ı) Mieg 1. c. 16. Vgl. damit De Wette I, 381. Ob der Brief an 
Luther durch den damals in Augsburg meilenden Hutten beforgt wurde? 
Schon im November hatte Luther einem zweiten Brief von Crotus erhalten. 
De Wette I, 188. 

2) Er befliß ſich dabei ber größten Heimlichfeit: ‚‚Oportebat ista se- 
creto fieri, ut venirent in manus legentium sine nomine mittentis, ne 
quid mali capitikus nostris accerseremus per imprudentiam,‘“ Mieg 
l. c. II, 13, 


— BB — 

der Firchlichen Cenſuren forderten. Dürfen wir den eigenen 
Worten des Crotus glauben, dann ift er es geweien, der damals 
noch die Sreommunifation von Luther abgewandt hat, „damit 
nicht Rom durch einen voretligen Spruch eine Ähnliche Demüthig- 
ung erfahre, wie jo eben bei dem Ausgang ber Katferwahl” '). 

Wie wichtig wäre in diefem Falle die geräufchloje, bisher 
fo ganz unbeachtet gebliebene Thätigkeit dieſes Mannes geweſen! 

Daß Crotus wichtige und weitreichende Verbindungen in 
Rom unterhielt, zeigt. auch der Umſtand, dag er ſich alsbald 
auf geheimem Wege von dem Inhalte bed von EA nach Rom 
eingefandten Berichtes Kenntniß verjchafft Hatte. Keine dringen- 
dere Pflicht gab es für ihn, ald ben gefährdeten Freund in 
vertraulicher Mittheilung davon zu benachrichtigen. Ecks Schrei- 
ben war felbft in Rom erft Wenigen befannt, als Luther durch 
den bejorgten Crotus feinen Inhalt erfuhr 2). Und noch andere 


1) Der Brief, welcher diefe merkwürdige Aeußerung enthält, findet fi 
bei Mieg II, 11—12 fehr fehlerhaft abgebrucdt, ohne Angabe de Bon mem 
und An wen und nit irriger Jahresangabe (1517). Das Jahr der Abfaf 
fung ift 1519, der Verfaffer Crotus, an Luther ift er gerichtet, wie dies bie 
gothaer Abfchrift (Cod. Chart. B. 20) nachweifet. Die Stelle lautet: „„Kckius 
Romae celebratur victor Lipsiacae disputationis, tantum valet pro- 
prium testimonium, ubi populus spe ducitur, in eam partem, in quam 
velit inclinari vietoriam. Ego prohibui praecipitationem sententiae, 
ne id idem iterum pateretur Rhoma, quod paulo ante tulit cum igno- 
minia, quando Gallo designavit Imperium recto sermone ubi printcipes 
nostri dominum Carolum elegerunt.“ 

2) 1. c. II, 11. „Misit Eckius epistolam Romam, praeterquam 
Pontifici et duobus Theologis paucissimis visam, quae dum secretis- 
simis legeretur, furtim subauscultavit quidam medicus amicus noster 
et, quae obiter retinere potuit, mecum communicavit fraterna fide. 
Ego tibi Martine refero eadem fide, ne proferas, quo salvus maneat 
medicus, Erat scripta epistola per multa capita exprimentia ordinem 
disputationis Lipsien., deinde modum, quo progredi debeat summus 
Pontifex ad tuam damnacionem. Designati episcopi. Accusati poetae 
politioris literaturae studiosi, nominatim vero Huttenus meus, cujus 
carmina aliquot citata sunt de fraude florentina, Addita aggravatie 
instantis periculi in Ecclesia ob gliscentia in dies magis nova studia 
graeca et Latina. Denique enixe admonitus summus Pontifex, quo im 








wichtige Nachrichten erhielt er durch diefen Aber den Stand ber 
Dinge in Rom: daß ein neuer Angriff der dominikaniſchen 
Partei bevorjtehe, deren Führer Silvefter Prieriad ſich Großes 
verjpreche von einer neuen Streitfegrift, die er in Kurzem ver: 
öffentlichen werdet), daß aber die Curie rathlos, ohne Ver- 
trauen auf ihre Sache ſei 2). 

Mer den damaligen Gemüthszuſtand Luthers kennt, wird 
den Erfolg folcher Mittheilungen ahnen. | 

Aber Erotus kam der Sache des Freundes noch auf einem 
andern Wege zu Hülfe Es unterliegt feinen Zweifel, daß von 
den zahlreichen anonymen Satiren und Flugjchriften, bie feit 
dem Herbit 1519 zu Gunften Luthers in Umlauf gefet wur: 
den, mehrere von Erotus während feines italieniſchen Aufent⸗ 
haltes verfaßt find’). Er. Fannte den Erfolg, diefer Waffen 
noch pon den Zeiten der veuchlinifchen Fehde ber und zu führen 
verftand er fie, wie Fein Anberer. Indeß müffen wir darauf 
verzichten, feinen Antheil im Einzelnen auszumitteln. Man 
fühlt fich verfucht, jene eben fo gelungene, al giftige Satire 
auf das damalige Inquiſitionsverfahren, bie offenbar einen ber 
Mitarbeiter an den Briefen der Dunfelmänner zum Verfaffer 
bat, für fein Werk zu halten: allein die entgegenjtehende Anficht 


re perioulosa moram tollat atque minis cogat Scolam Parisiensem et 
nostram Erffurdensem ad pronunciacionem scutenciac“ etc. Zu vol. 
Cod. Chart. B. M Herz. Goth. Bibl. 

1) Mieg 1. c. II, 12. Wahrſcheinlich bezieht ſich die Aeußerung duf bie 
Schrift: De jarldien et irrefragibifi verttate Romanae Ecclesize Ro- 
manique Pontificis Ither terfius, index quidem tongisstmus sed bre- 
vissimum Epithoma, bie Luther im Juni 1520 erhielt und mit Ranbglofien 
im Geiſte des Grotus herausgab. 

2) „Stultitia est, simul decernere et dubitare de vletoria“, äußert 
er ffber die Haltung ber Eitrie. 

2) Seit der Veröffentligung der Epistola Anonymt durch Olearius ift 
fo oft und fo nachbruücklich auf Erotng’ geheime ſatiriſche Thätigfeit hinge⸗ 
wiefen ‘worden, daß es eines weiteren Beweiſes für umfere Behauptung nicht 
bedarf. — Nur follte man nicht, wie es jeßt faft Ihfich geworben, Erotus zum 
Autor jedes anonymer Pamphlets, bas bantals erfchien, flempeln. 

Kampichulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 4 


— HD — 


feines vertrauteſien Freundes, des J. Heſſus, muß Bedenken 
erregen !), Ohne ‚Zweifel dagegen iſt er. hinter. dem pſeudo⸗ 
nymen Enbulus Cordatus verborgen, der im Sommer 1519 
von Row aus feinem Freunde Montefins die Schrift des 
Nicolaus von Clemangis über den nerborbenen Zuſtand ber 
Kirche überſendet. Ton und Haltung der beigefügten Vorrede 
über die gegenwärtigen Ausſichten in Rom entiprechen ganz 
der Stimmung, in welcher ſich Crotus damals befand. Noch 
bat er ‚einige Hoffnung, daß Leo X. dem Treiben der Partei 
des Prierias ein Kude machen werbe?). 





. ?) Tractatux ıpeidnm Solennis de Arte et Modo inquirendi quos- 
cunque Haereticos secundum consuetadinem Romanae Curiae emnibus 
Fidelibus praesertim haereticae pravitatis Inquisitoribus scitu utilis- 
simus, compositus a quodam Legali Magistro Nostro Fratre Ordinis 
Praedicatorum dieto. 4%. Am Enbe: Datum Oolonine ex bursa Kneck. 
Fimie, Die Satire erinnert unwillkürlich an die Epp. Obse,, bie fie indeß 
durch vernichtenden, Witz noch übertrifft. Luther. gebenkt derſelben im einem 
Briefe an Spalatin: „»Modum inquirenderum haereticorum Hessus noster 
missurus erat Croto in Haltanı, si remisisses.‘““ (De Wette 1, 337). 
Alto Hielt. weher Lnther noch Heſſus beu Erotus für den VBerfaffer, und Strauß 
(Ulrich von Hutten I, 270) bat wohl biefe Stelle überfehen, wenn er bie 
Schrift umbedenffich dem Crotus zufchreibt. Immerhin mag, wie Strauß 
(1. o. 1,310) vermuthet, der um diefe Zeit erfchienene Pasquillus exul (Opp. 
Hutt. It, 437 sqq.) von Crotus berrühren. 

2) Nicelaus Clemangis Archidiaconus Baiocen. Doctor S. theolo- 
giae Parisiensis De corrupto ecclesiae staty, A. Movenünus Lectori. 
Docebit hic te liber, quibus rationibus res ecclesiastica creverit et 
decreverit pietas. Flebis lector nisi saxaus es, imo (quando nihil 
flendo proficitur) deum .opt. Max, precaberis, ut suam a nebis iram 
avertat, caecas nimirum mentes et pectora caeca‘“ 4°, . Voran geht 
bie Epiftel: Eubulus Cordatus Montesio sua, S. D. d. d. Bemae Cal. 
Jul. 1519. Sowohl die Sprache, wie bie Gefinwmung, bie ſich im ihr aus 
ſpricht, verräth deu Crotus, dex eben um jene Zeit in Rom weilte. Nur eine 
Stelle: „Caeterum spes est, rem christiauam melius habituram sub 
Leone hox X, quandoquidem hic nop desunt, qui huic serie comsulant. 
Primum ut Alvaros, sylvestros, et quicquid est summularum ct sum- 
mulariorum preorsus abolernt, quod per istos mundus seducatur, nos 
ubique evapgelium aut Paulum secutos. Deinde ut edicat ne posthac 
vel Scoto vel Thumae vel cuiquam sententiariorum fidatur, nisi sacrae 





— 5 — 


Indeß Schon einige Monate fpäter hatte er diefe Hoffnung 
volfftändig aufgegeben. Dieß zeigt ber Inhalt jenes denkwür⸗ 
digen Mahnfchreibeng, das er im October desſelben Jahres 
von Bologna aus an Luther richtete. Weberbringer deöjelben 
war fein VBertrauter Johann Heſſus, der um bieje Zeit nach 
Deutichland zurückkehrte. Es tft eins dev wichtigften Schreiben, 
die Luther empfangen hat: eine Aufforderung ar den Erwaͤhlten 
des Heren zu muthigem Vorſchreiten und rückſichtsloſem Kampf 
gegen Rom, den Sit alles Verderbens ). 

Der Verfafſer beginnt mit der Erinnerung am ben freund- 
ſchaftlichen Umgang, der ihn jchon in früher Jugend in Erfurt 
mit Luther verbunden, und knüpft daran die Berfickerung ber 
wärmjten Theilnahme, die dad nunmehrige Auftreten bed che- 
maligen Freundes bei ihm finde; er jchildert die Mühen, bie 
er fih in Stalien, in Rom für die gute Sache gegeben habe. 
Aber ſchon ſei keine Hoffnung mehr auf Rom zu ſetzen. Ein 
Ketzer werde in Rom genannt, wer Luthers Schriften nur leſe. 
Offen huldige man hier dem Grundſatze, daß nuy das chriſtlich 
ſei, was dem Papſte gut ſcheine, moͤge es auch noch ſo ſehr 
mit Paulus und der Bibel in Widerſpruch ſtehen. Es nütze 
deshalb Luther Nichts, daß er ſeine Sache ſiegreich mit dem 
Schwexte ber h. Schrift vertheidige. Einen ſolchen Grab habe 
die Gottloſigkeit in Rom erreicht, daß der Name eines Chriften 
und eines Theologe zum Schimpf "geworben fel. Niemand 
mache einen Hehl daraus, daß der Papit bie erſte, Chriſtus bie 
legte Stelle einnehme. Er jelbft jei jüngjt in Rom geweſen, 


seripturne testimenils agent, non autem rationibus Physicis aut Me- 
taphystets‘‘ etc. Vermuthlich hat Erotus dadurch auf ee einwirken wollen. 
— Mit Recht het ſchon Burkhard (De fatis et merit. Vr. ab. Hutten Im, 
311) in Eibnins den Ersind vermutiet. 

2) Beveremtissims Pair! Martino Luthero, , Angustiofann sncrarum 
literarum Professerl eum Wocto tam sancto amfeo suo antiquissimo. 
d. d. Bonon. 17 Cal. ‘Nov. 1519. In ver andefliärterr handſchriftl. Samm⸗ 
lung; ein Abdruck vol fintftörender Fehler bei Mieg 1. c. I, 12—17. €3 
ift dies das erfte ber drei größern Sendſchreiben des Crotus an Luther. 

. 30 


_ 12 — 


habe gefehen die Denkmäler der Alten, gefehen aber auch den 
Stuhl des Berberbend. Freude habe ihm ber eine, Efel der 
andere Anblick verurſacht)). Nur für das Eine trage man 
Sorge, duch Bullen, Pallien, Andulgenzen Geld zujammen- 
zuraffen, um damit die Werfe der Unzucht zu unterhalten. 
Dentfchland müßte mit Blinpheit gefchlagen fein, wenn es nicht 
gegen folche Frevel feine Stimme erhebe, nicht empört . werde 
über die Beraubungen, die e3 von der Habjucht der ränkevollen 
Florentiner unter dem Deckmantel der Frömmigkeit erfahre. 
Doch ſchon habe fich der Netter, der. Vater des Vaterlandes 
gefunden. Möge Luther nur nicht wanken, möge er vielmehr 
unbefümmert .um den Widerſpruch ftreitfüchtiger Theologen, die 
am beften durch Verachtung vernichtet werden ?), muthig auf 
der eingefchlagenen Bahn vorſchreiten. Das fet feine, ihm vom 


ı) „Haec eo dice, Murtine, ut intelligas quam parum valeat 
Bomac, si dixeris: mirabilia testimonia tua, Doming, ideo scrutata es 
anima mea. Eo enim impietatis progressus est, ut qui vocetur bonus 
Christianus vel Tlieologus, is extremo contemptu spretus esse videatur, 
qui vero salutater e cubiculo vel a mensa Pontifieis idem habeter 
gallinae flius albae. Ut Pontifex in dignitate primum teneat locum, 
Christus postremum, nihil hic fingitur. Cum progreditur Rex sacrik- 
culus, tot Cardihales, tot Prothonotarii, tot Episcopi, lot praepositi, 
tot Legati, tot enasidiei circa ipsum glomerantur, quot famelicae 
aves ad putrida cadavera con@uant, seguitur %otarav. Rucharistin in 
extrema Cuhorte, quam impudicae mulieres ef prestituti pueri con- 
stituunt. Fui nuper Romae cum Hesso nostro, vidi veterum monu- 
menta, vidi cathedram pestilentiae, vidisse juvat, vidisse piget.‘“ 
Mieg.). c. 21, 15. 

3) Daß Luther zu Leipzig ſich zu einer Disputation mit Ed berbeigelafien, 
mißfiel Crotus fehr; er. befhwört ibn, dergleichen Wortgezänf in Zukunft zu 
meiden.. „Per uam: mansuetudinem te rogo, ne posthac descendas ia 
areyaın disputationig publicae, praesertim contra temerarios: Nescisae 
quid pueri ajunt, contra verbosum noli centendere verbis, disputa 
intra tuum ınpnasterium, calamo -quiete exacıissime habetur disputatio, 
quap chartis mandatur, quae verbis citroque fartur, caret Judicie et 
saepe animum disputantis,a.vero perturkat, ne -interim dieam turpe 
esse Theologo ad jungin descondere,“ I, e. I 16. Aehnlich urtheilte 
auch Mofelan. Vgl. Sedendorf I, 91. 





8 — 


Himmel ſelbſt aufgetragene Miffton, dieſe habe die göttliche 
Borjehung andeuten wollen, als ihn, den zweiten Paulus, jener 
Blisftrahl vor den Thoren von Erfurt zu Boden gefchlagen. 
„Fahre fort”, ruft er ihm aufmunternd zu, „wie Du angefangen 
haft, hinterlaß der Nachwelt ein Beifpiel. Zwar bift Du bereits 
ermüdet, haft Schweres erduldet. Aber Großes warb nod nie 
ohne jchwere Mühe erreicht. Biſt Du am Ziele angelangt, 
dann wird die Erinnerung an dad Erduldete Div tröftlich fein, 
und Du wirft ausrufen: dur Waffer und Feuer bin ich 
gejchritten und ich bin gerettet worden. Dann wird Deutich- 
land auf Dich feine Blicke richten und mit Bewunderung Gottes 
Wort von Dir vernehmen!” 

Diefer Brief ift das letzte Zeichen feines Aufenthaltes in 
Italien. Als Luther? und Melanchthons Antwortfchreiben aus 
Wittenberg ankamen, befand er fich bereit auf der Ruͤckreiſe 
nach Deutschland). Mit Ungeduld hatte er ſchon längſt dahin 
ſich zurückgeſehnt: jenſeit der Alpen konnte er ſeine Plane 
offener und mit weniger Gefahr verfolgen 2). Im Frühjahr 
1520 kam er in Deutfchland an, wo die Männer der Bewegung 
ihm mit Spannung entgegenfahen 3). In Nürnberg ſprach er 


ı) Bol. Crotus an Luther d. d. Bamberg 4 Cal, Maj. 1520. ‚‚Epistola 
tua diversam mecum sortita fortunam. Ubi ego redeo in Germaninm, 
intrat illa in Italiam nondum egressa.‘‘ Herz. Goth. Bibl. Cod. Chars. 
A. 20 und Crotus an Luther d. d. Erfurdiae in pervigil. Nicolai 15%. 
„Dum me quaerit (sc, epistola Melanchthonis) una cum tan in Italia 
post semestre spatium me invenit errantem in Germania.“ nid. 
Nachr. Jahrg. 1723 p. 707. Luther hatte ben Brief bed Crotus ſchon im 
December 1519 erhalten. Vgl. De Wette I, 373, 

2) Vol. Crotus an Luther (1519). „Cum ad ver novum in Ger- 
manlam rediero medium digitum estendam pseudoapeontelis, qui nos 
devorant et in saccum reddunt. Hic connivendum est.“ Micg 1. c. 
I, 12. Schon im Anfang 1519 hatte er beabfichtigt, nach Deutichland zurück⸗ 
zufehren. Vgl. Pirkh. Opp. ed. Goldast p. 258. 

s) Mit welcher Spannung man in Wittenberg damals Crotus entgegen: 
fab, erfieht man aus Melanchthons Aeußerungen. Vgl. Corp. Ref. I, 160, 
202, 209. Auch Bernharb Adelmann von Adelmannsfelden hatte dem Crotus 
Wichtiges mitzutbeilen. Heumann Doc. lit. p. 19. _ 


— M — 


bei Pirckheimer an, von da wandte er ſich nach Bamberg, um 
ſeine dortigen Parteigenoſſen, die beiden Edlen von Fuchs zu 
begrüßen. Hier traf ihn um Oſtern ſein alter Herzensfreund 
und Kampfgenoſſe Ulrich von Hutten. 

Auch dieſer war in der Zwiſchenzeit nicht müſſig geweſen. 


II. 


Hatte Crotus ſich unmittelbar aus dem humaniſtiſchen Heer: 
lager unter die Fahne des wittenberger Reformators begeben, 
ſo gelangte Hutten zu dem nämlichen Ziele auf einem Umwege. 
Noch vor Beendigung der reuchliniſchen Fehde hatte Hutten ſich 
in einen neuen Kampf geſtürzt, gegen den ſeine frühere Thätig— 
feit faſt nur wie Spiel erjcheint. 

Ulrich von .Hutten war zu feiner Zeit der ausschließliche 
Eiferer für den Humanismus, den wir in Erotuß kennen gelernt 
haben. Schon durch feine Ahkunft fah er fich auf einen größern 
Kreis des Leben? hingewielen, als fein Freund, der aus ärm⸗ 
lichen VBerhältniffen ſich müheſam zu dem Range eines Gelehrten 
emporgearbeitet hatte!). Hutten vergaß über dem Humaniften 
niemal3 den Ritter). Für ihn hatten auch, bei allem feinen 
Eifer für Reuchlin, die großen politiichen Fragen der Nation 
Smtereffe und Bedeutung. Die Gährung, welche damals alle 
Schichten der Natign durchzog, jenes Ningen und Drängen der 
Geiſter nach einer. neuen Ordnung der Dinge, nad) einer poli- 
tiichen Wiedergeburt Deutſchlands durch Herftellung größerer 
Einheit hatte auch ihn nicht unberührt gelaſſen. Mächtig erregt 
durch die nationalen Strebungen, erfaßt er die neuen Gedauken 
mit der ganzen Heftigfeit feine Weſens und eilt in rückſichts⸗ 


) „„Capras pavi, nunc capellam habeo“‘, fchreibt Crotus einmal an 
Mutian. Vgl. Tentel Supplem. I Histor. Goth. p. 95. — 

2) Man bemerkt, wie er regelmäßig feinen poetifchen Productionen nicht 
nur bed Verfaſſers Namen, fondern auch feinen Stand vorfeßt: Eques Ger- 
manus ober equestris ordinis! 





5 — 


fofer Durchbildung derſelben bald den Kühnften worauß. Er, 
ver bereit? im den wichtigften Punkten mit dem Herkommen 
gebrochen, ficht auch auf dem politiſchen Gebiete das Heil nur 
in einer radiealen Umgeftaltung der beftehenben Verhältniffe. 
Bon großem Einfluß war anf Huttens politiſchen Entwidelungs- 
gang bie revolutionäre Stimmung, welche fich eben damals des 
gefammten Ritterftandes bemächtigt hatte. Sprößling eines ver 
edelften und Alteften Gejchlechter, theilte auch er ben Unmuth 
feiner Standesgenofien über das immer beprohlidyer werdende 
Umjichgreifen der Fürſtenmacht und ihre Sympathien für den 
Kaifer, als ven letzten Hort reichBritterficher Selbftändigkeit 
gegen bie fürjtlichen Bebränger. Indeß waren bie Intereſſen 
feines Stande für Hutlen doch keineswegs die leitenden. Biel 
mehr .erfcheint er von Anfang an voll bed aufrichtigiten Eifers 
für den Ruhm feines Kaiſers, für das Wohl und die Ehre der 
gefammten Nation. Schon feine früheſten Gedichte befunden 
eine unbedingte Verehrung fuͤr dad NeichBoberhaupt, neben einer 
glühenden Baterlandaltebe !). Tief fchmerzt ihn die unwuͤrdige 
Behandlung, die ber edele Marimilian, der erfte Monarch der 
Chrijtenheit ?), von feinen räntevollen Gegnern hinnehmen muß, 
und die Ernievrigung, zu der er die deutfche Nation verurtheilt 
fieht. Sein ganzer Groll gilt den Urhebern dieſes traurigen 
Zuftandes. Als folche erfcheinen ihm die deutſche Fürſtenari⸗ 
ftofratie und bie römtfche Curie. Gegen beide Hatte er ſchon 
frühzeitig eine feindfelige Haltung angenommen. Seinem Un- 
willen gegen die Fürſten machte er zum eriten Mal in der 
würtenbergiihen Fehde Luft: er befämepfte in Ulvich von Wür- 
tenberg nicht bloß den Mörder feines Anverwandten, fondern 








ı) Vgl. Ad isvickissimum priscipem Maximillanum Hom. Imper. 
in Venetos Exhortaterium bei Münch Opp. Hatt. 1, 11538 und Ad 
Caes. Maximilianum Bpigrammntum liber L co. I, 161 — 208, 

2) 1. c. 1, 170. De Caesare: 

Christus habet ooelos, infen rogit oeunia Caesar, 
Nee nisi oeolestem rospicit hie domimum, 


— 56 — 


auch dad Mitglied einer ihm verhaßten Corporation. Noch 
früher befam bie römische Eurie feinen Unwillen zu empfinden. 
In ber Ridytung gegen Rom wurde Hutten namentlich durch 
feine. religiöje Denfart gefördert. Wenn es auch wahr ift, daß 
unter den deutſchen Humaniſten veligiöje Verirrungen nicht fo 
häufig vorgelommen, ald in Stalien, jo liegen boch bei Hutten 
die Wahrzeichen verjelben deutlich vor. Nicht allein feine Sitt- 
lichkeit, deren Verletzung fich jo furchtbar an ihm rächte, aud 
jein Glaube hatte im Sturme des Angriffs gelitten. Er fannte 
deshalb die Mäßigung nicht, die der gläubige Patriot in feiner 
Oppoſition gegen das Firchliche Oberhaupt noch immer beob- 
achtete, noch, weniger jenes Gefühl der Wehmuth, das Frömmere 
Seelen beim Anblicke der römischen Zuſtände empfanden: er 
hatte nur Haß, Sagrimm, Hohn. Seine Epigramme an ben 
Kaiſer Maximilian und an feinen Freund Crotus legen Zeug 
niß davon ab. Rom iſt ibm der Ort, wo der Auswurf der 
Menſchheit regiert, das Papſtthum eine durch Die verabfchen- 
ungswirdigiten Mittel unterbaltene Fremdherrichaft — nicht 
länger darf bie deutſche Nation dieſes jchmähliche Regiment 
ertragen!) 


2) Bgl. z. B. Münd 1. c. I, 227 Ad Caesarem, de Germaniae state: 
Quande erit, ut lumen Germania cupta resumat, 
Hinc Bomam ut videat seque suumque trahi? 
Quando erit, ut bullas auraque parabile plumbum 
Orbe aliquis vendi cernat, emique alio ? 
Aut tua perpetuo, quod nudc Germania Caesar, 
Ludibrium Romae diripientis erit? 
Quin mundi imperium et caput hoc mundi imperiique 
(Naın possum haud aliud dicere) Roma tur est, 
Dber Ad Crotum (I. c. I, 257): 
Vidimus Ausonine semieruta moenin Bomae 
Hic ubi oum sacris venditur ipse Deus 
Ingentum, Grote, Portificem sacrungue senatum, 
Et longo proceres ordine Cardinees. 
Tot sceribas, valgusque hominum nihil utile rebus, 
Quos vagn contecto purpura vestit equo etc. 





Ein zweimaliger Aufenthalt in Italien befeftigte Hutten 
in diefer Richtung. Bon der zweiten italienischen Reife im 
Jahre 1517 nah Deutichland zurüdgelehrt, war er über feine 
Lebensaufgabe entjchieven. Deutjchland zu befreien von der 
Knechtſchaft des römiichen Papites, wie von der Willfür der 
einheimijchen Tyrannen, es dann ſtark und einig feinem Kaifer 
wiederzugeben: bad wurde fortan der leitende Gebanfe feiner 
Seele. Es war am 12. Juli 1517, als ihm ber Kaiſer Mari- 
miltan in Augsburg den Dichterfranz auf's Haupt ſetzte ). 
Diefe Dichterfrönung bildet gleichfam den Abſchluß feiner poe⸗ 
tifchen Laufbahn. Er wird jebt der große pelitifche Agitator 
der Nation. Jacta est alea: id habs gewagt, iſt ſein 
Wahlſpruch ?). 

Und mit der ganzen Gluth ſeiner Seele gab er ih f einein 
neuen Berufe hin. Keine Anſtrengung, keine Gefahr hat er 
geſcheut, wo es die Sache der Freiheit galt. Noch in demſelben 
Jahre führte er zwei Hauptſtreiche. Die fürſtliche Willkür geißelte 
ver „Phalarismus“, ein gegen Ulrich von Würtenberg gerich⸗ 
teter Dialog, verwegener und rüdfichtölofer als Alles, was er 
biäher gegen den Herzog gejchrieben °). Gegen Rom eröffnete 
er den Kampf durch die Herausgabe der Schrift des Laurentius 
Valla über die angeblihe Schenkung Conſtantins, in beren 


Ober Ad Germaneos (I. c. I, 259): 

Quis modus, o cives? Quo se haoo patieatin tandom 
Profert? Haec Romae querimus, atque omimus? 
Sic nes bulla capit? Sie se Germania ueseit? etc. 

ı) Vgl. darüber Hutt. ad Peuting. Münd II, 470 - 72. 

3) Zum erften Mal findet fi berfelbe auf dem Titel des Phalarismus, 
Sein humaniftifher Wahlfprud war: Sinooritor et citra pompam. Der 
Kampf gegen bie Sophiften nimmt bei Hutten von jebt an eine fehr unter: 
georbnete Bedeutung an; bie Sopbiften kommen nur noch als Anhänger ber 
Curie in Betracht. 

®) Phalarisınus dialogus Huttenicus. Jacta est alea. Bei Münd) 
11, 196 - 212. Er erſchien ſchon im März 1517. Bemerkenswerth ift auch 
bie dialogifche Yorm, ‚die .er bier zum erflen Mal anwendet: fie wirb bald 
feine Lieblingaform! — 


— 538 — 


Vorrede er die ganze Reihe von Unbilden und Bedrückungen 
aufzählt, die Deutſchland von den römiſchen „Dieben und Räu— 
bern” habe erfahren müſſen !). Es verauſchaulicht die damalige 
Stimmung gegen Rom, daß ihn einige Zeit darauf der erfte 
Prälat der Nation an feinen Hof zog. Unter dem Schutze des 
Erzbiſchofs Albrecht von Mainz durfte Hutten jeine revolutio⸗ 
naren Blane verfolgen. Im Gefolge desſelben erjcheint er 
1548 in Augsburg, wohin ber Kaifer die Stände des Reiches 
zu einer Beratbung über bie drohende Türfengefahr berufen 
hatte. Bereitd machte er bier den Verſuch, in feinem Sinne 
auf ben verfammelten Reichstag einzuwirken. In einer Rede, 
die er vor der Verfammlung zu halten gebachte, wird nicht jo 
omgelegentlich von den Osmanen, gegen die freilich auch er ben 
Frieg Für nöthig Hält, geſprochen, ald von ber finanziellen 
Ausbeutung Deutfchlands, die fih Nom unter dem Vorwande 
des Türkenkriegs erlaubt habe, und von ver Pflichtvergeffenbeit 
der deutſchen Fürſten. Nicht weniger babe das Reich gegen 
Rom, als gegen Afien auf feiner Hut zu jein?). Den gleid- 


1) Die Vorrede bei Münd II, 41019. Er nennt darin bie früheren 
Päpſte geradezu sceleris commentores, depeculatores, fures, tyrannos, 
latrones (p. 416). Daß er diefe Vorrede an Leo X. richtete und ihm per: 
fünlich "das größte Lob ſpendet, ift eine Tactif, die ber Offenheit be Ritters 
wenig Ehre macht, um fo weniger, ba er fchen vorher in einem Briefe an 
Pirdheimer von der Improbitas sanctissimi Leonis gefproden. Bgl. Münd 
II, 346. — Welchen Eindrud diefe und die vorhergehende Schrift machten, 
erfiehbt man aus ber Aeußerung des Beatus Rhenanus an Zwingli. Opp. 
Zuinglii ed. Schuler et Schulthess VII, 71. 

2) Ulrichi de Hutten, eg. Germ. ad priucipes Germanine, ut bel- 
lum Tureis invehant, Exhertaterin. Abgebiudt bei Münd I, 473—522, 
Del. namentlih p. 476 aqq., 479, 491, 496, 519. Die Rede wurde nicht 
gehalten; in Druck erſchien fie Anfangs verſtümmelt, mit Hinweglaffung 
der heftigften Stellen, bis Hutten jelbft eine vollftändige Ausgabe derfelben 
beforgte mit einer Zufchriit an alle freien Deutfchen. Daß übrigens Hutten 
nicht Berfafler der beiben damals anonym erfhienenen Schriften gegen ben 
Türfenzehnten ift, bat. jüngft Böcking nachgewiefen in: Drei Abhandlungen 
über reformationggefchichtliche Schriften p. 31 ff. 





zeitig in Augöburg anweſenden Mönch von Wittenberg würdigte 
er nur eines verächtlichen Blickes, noch ahnte er nicht, welche 
Bedeutung berjelbe bald für ihn gewinnen werbe '). — Ein neues 
Feld eröffnete fich feiner Thaätigkeit, ala im Anfang 1519 der 
Ichwäbiiche Bund dem landfriedensbrüchigen Herzog von Wür- 
tenberg den Krieg anfündigte. Des Hoflebend überbrüffig, 
förperlich wieberhergejtelt — eben in Augsburg war ihm bie 
Heilung jeiner venerifchen Leiden gelungen — beſchloß er jebt 
die Feder mit dem Degen zu vertauſchen. Er knüpfte an ben 
Krieg bie kühnſten Hoffuungen. „In Kurzem wirft Du”, ſchrieb 
er vor feinem Aufbruche an Erasmus, „ganz Deutichland in 
Verwirrung ſehen. Sollte mich jener Kampf verfchlingen, dann 
echalte Du wenigftens der Nachwelt mein Andenten”?). Wichtig 
wurde dieſer Krieg für ihn nur dadurch, daß er während des⸗ 
jelben die. nähere Belanntichaft Siefingen? machte. Ein Spiegel 
des Adels feiner Zeit im guten wie im böfen Sinne, ganz 
beherrjcht von den unruhigen Gefühlen jeined Standes, dazu 
mächtig und angeſehen, ein durch mehrere glüdliche Fehden 
bewährter Krieger war Franz von Sicingen für Hutten ber 
willkommenſte Genofje; „ein Mann“, ſchrieb er voll Freude 
an Erasmus, „wie Deutichland Lange Feinen’gehabt hat, und 
von dem ich hoffe, daß er dieſer Nation noch zu großem Ruhme 
gereichen werde” ®). In ihm Hatte Hutten den Arm gefunden, 
dejlen er zur Durchführung feiner Entwürfe bedurfte *). 


ı) Vgl. Hutt. ad Pirkh. d. d. Cal. Nov. Augustae. Opp. III, 9. 
Es ift dies un fo bemerfenäwerther, da ihm eben um jene Zeit der Garbinal 
Cajetan ben Stoff zu bem Dialoge Febris I. gab. 

2) Huttenus Erasmo d. d. Mog. prid. Non. Mart. 1519. Opp. 
III, 126, 

2) Huttenus Erasmo d. d, Mog. Nonis Junii 1519. Opp. II, 204. 

*) Die erfte Angelegenheit, in ber er ſich Sidingens bediente, war bie 
reuchliniſche, die Durch dad päpſtliche Mandatum de supersedendo nur nie 
bergeichlagen, nicht aber ausgetragen war. Bol. Strauß Ulrich von Hutten 
N, 19 qq. Indeß bildete dieſer Handel nur mehr eine Epiſode in Huttens 
Wirkſamkeit. 


— 60 — 


Die Hoffnung und der Antrieb zu erneuter Thätigkeit, 
welche Hutten ſchon dadurch empfing, wurden aber auf’3 Höchfte 
gefteigert durdy die beiden wichtigen Entſcheidungen, bie im 
Sommer 1519 auf dem politiichen und religidfen Gebiete fielen. 
Die erite war die Wahl des burgundiſchen Prinzen Karl zum 
römischen Katfer. Es war Hutten, der felbft bei ven Mahl 
verhandlungen von vem Erzbifchof Albrecht gebraucht worden !), 
nicht unbelannt geblieben, daß der römiſche Hof im Anfang 
jener Wahl entgegengearbeitet hatte. Welche Ausfichten eröff 
neten fich, wenn es ihm gelang, den jungen, noch unerfahrenen 
Kaifer für feine Plane zu gewinnen!?) Und war fich doch 
Hatten ſelbſt bewußt, nur das Wohl des Kaiſers befördern zu 
wollen! Schon glaubte er ſich zu Ferdinand, dem jüngern 
Bruder Karls, des Beften verjehen zu bürfen °). 

Die andere, noch wichtigere Entſcheidung brachte die leip⸗ 
ziger Disputation. Nachdem fie jenen verhängnißvollen Aus 
gang genommen, war ed nicht mehr möglich, den Tutherifchen 
Streit für einen bloßen Mönchsſshandel zu nehmen. Hutten 
erfannte in Luther den Bundesgenofien, der der nationalen 
DOppofition gegen Rom einen religiöfen Rückhalt verlieh und 
bei feinem kühnen Auftreten zu den größten Hoffnungen 
berechtigte. Offen fih ihm anzufchließen, hinderte ihn zwar 
einftweilen noch die Rüdficht auf den Erzbilchof von Mainz, 
ber Luther Angriff gegen den Ablaß als einen perjönlich gegen 


ı) Vgl. Joachim von Maltzahn oder Urfundenfommlung zur Geſchichte 
Deutſchlands während der eriten Hälfte bes 16. Jahrhundert? von Dr. Liſch. 
Schwerin 1853. p. 323. 

2) Belehrend über die Wünfche und Erwartungen der Berwegungspartei 
in Bezug auf Carl V. ift ber kurz nad feiner Wahl erſchienene anonyme 
Dialog Carolus (bei Münd VI, 360— 67), der aber wohl nicht Hutten. 
noch weniger aber Erotus zum Berfafler bat. Auch Luther ſetzte große Hoff⸗ 
nungen auf Carl. De Wette J, 292. 

2) Hutt. Erasmo d. d. Mog. Non. Jan. 1519. „Quod svribis de 
Ferdinando mire placet.“ Münd, III, 203. 





— 14 — 


ſich gerichteten anjah *), aber im Geiſte des Ritters war ſchon 
jet der Vertrag mit dem Mönche geſchloſſen. 

Und erſt jeßt fchten Huttens Zeit gefommen, der Gedanke, 
welcher jeine Seele bewegte, Tebenzfähig geworben zu fein. 
Sein Eifer verdoppelt fih. Seine Anftrengungen grenzen an 
dad Uebermenfchliche. Bon dem Spätfommer 1549 bis in ben 
Srühling 1520 finden wir ihn in fieberhafter Aufregung bald 
in Stedfelberg auf feiner väterlichen Burg, bald in Mainz, in 
ber Nähe ſemes Herrn, bald in Fulda, bald auf Landſtuhl bei 
feinem Siefingen, bald bei jeinem Freunde Cochläus in Fran: 
Art, unermüdlich thätig durch Raten, Mahnen, ‚Treiben, 
Drängen, das Vaterland zu nöthigen, daß es feine Schmach 
erkenne und fih ermanne, die alte verlorene Freiheit wieder» 
zuerringen ?). Er fordert wor Allen feine erfurter Freunde 
auf, mit ihm in ben Kampf zu gehen, etwas zu wagen. „Was 
werbet Ihr denn endlich für Deutſchlands Befreiung thun?“ 
ſchrieb er fchon im Auguft 1519 an Eoban und Petrejus, „Du 
Hefius, der Du in Deiner Antwortsepiftel Italiens eine ſo 


1) Huttenus Eobano d. d. Steckelbergk VII Cal. Nov. (1519). 
„Lutherum in communionem hujus rei accipere non audeo propter 
Albertum principem, qui temere persuasus est, aliquid ad se pertinere 
hoc negotium, cum ego secus judicem, quod doleo ob quandam mihi 
interceptam occasionem, qua insigniter ulcisci patriae petui injuriam, 


. etsi nil secius id ipsum facio interim, et rectius forlasse, quam meopte 


instinctu.“ Münch II, 223 zu vergl. mit Strauß 1. c. Il, 25. 

2) Bei Cochläus in Frankfurt war er mehrmals, worüber diefer an 
Pirdheimer fegreibt (& Februar 15%). „Fuis Ms diebus hic nobilis 
Huttenus, et quidem bis. Nuno.in patrinm arcem Stechobperg tendit, 
heri hiac profectus, Multes nunc se in proximis numdinis dialeges 
ait emissurum: secundam Bebrem, Triaden Rom. Fortusam, Iospi- 
cienten, Praedones etc... Invonit . praeteren ia Fuldemsi bibliotheca 
historiam Henrici III (IV), qui Caesarcm 'quogque pugnaram namero 
superasse fertur: addit ipse Apologiam contra Bom. Pontificem. Mira 
home utitur ‚libertase in asserenda Germaniae gloria, rehementissimo 
fagrans odio in Pont. Bam.‘ Heumann Dacum. lit. p. 43. — Sen 
—— Aufenthalt in Mainz, Laudſtuhl u. ſ. w. ergibt dh. aus feinen 

tiefen. 





gewaltige Freiheitäfiebe angekündigt haft, Du ſchweigſt jebt, 
vielleicht durd einen ſchmähſüchtigen Eurtifanen eingefchüchtert? 
Aber fürchte Dich nicht! Es werden der Schriftiteller unferer 
Gattung mehrere auftreten, als Du glaubſt.“ — „Und Du 
Eberbach”, wendet er fich an diefen, „ber Du jelbft in Rom 
warſt und bie Ränke der Betrüger. fennen gelernt Haft, und 
von der Natur mit Anlage zu Spott und Satire ausgerüſtet 
biſt, willft Du Deutfchland. immer die Frucht Deiner Studien 
entbehren laſſen? Schweige nicht immer, ich bitte Dich, brich 
einmal 103"). „Ich bitte Dich“, jehrieb er einige Wochen 
jpäter an Eoban zum zweiten Mal, „ih bitte Dich, unternimm 
doch etwas, und theile mir jofort mit, was es iſt). Er 
iberjendet ihm jene letzte Flugſchrift und kündigt neue an, 
um ihn zur Nachahmung anzufpomen. 

Immer einleuchtender wurde ihm aber Luthers Wichtigkeit 
für feine Sache, von Tag zu Tag überzeugte er ſich mehr von 
der Bortrefflichfeit des neuen Evangeliums. Bald hatte er 
auch Sicingen dafür gewonnen. . Daß Luther ein deutjcher 
Biedermann, ein Anhänger der Freiheit und Gegner der Röm: 
linge fei, wie Hutten ihn lehrte, genügte dem Ritter, der jo 
eben noch ein Franziscanerkloſter Hatte gründen wollen ?), um 
für feine Sache Partei zu ergreifen. Schon im Januar 1520 


1) Hutt. Bobano Hesso et Petrejo Aperbacho d. d. Mogunt. 3 
Non. Aug. 1519. Munch IM, 221, 

2) Hutt. Kobamo Hesse d. d. Steckelb. VII Cal. Nerv. 1519.17. e. 
IH, 228. „Aliquos ante dies quum, quid ego in Nteris ‘elabornrem, 
tibi signifienrem, certior aks te ferl petebami, quid ipse interim nge- 
res: num quid et tu pro gloria patriae et hajus natlonis Tibertate a 
tyraanis Pontiäcibus oppressa recuperandr aliquid anderes. Quaeso 
altquid meltre, mihigee statim, qunle sit hoc, multo ante, quam edes 
adnontia.“ Audian Jonas ſchreibt er. 

2) E. Munch: Kranz von Sichtngens Thaten, Plane, Freunde und Ans: 
gang. I, 166. Münchs kritikloſe und eberflächlidke Arbeit hat übrigens das 
Bedüurfniß eines gründlichen Werkes Über Sickingen und die leßte Erhebung 
der Reichsritterſchaft nur noch dringender gemacht. 





m 68 — 


erlieh Husten im Auftrage Sickingens eine Einladung an Ruther, 
auf die Burgen deö Ritterd zu kommen, wenn ihm in Sachlen 
etwas Widriges begegnen ſollte. Er richtete dad Schreiben an 
Melanchthon, weil er aus KRüdfict auf feinen mainziichen 
Gönner eine offene Verbindung mit Vuther ſelbſt noch immer 
fchente ). Dringlicder wiederholt er die Einladung einige 
Wochen Tpäter von Steckelberg aus. Luther möge fich bei 
etwaiger Gefahr ohne Verzug zu Franziskus begeben... Bei 
diejem würbe ey ficher fein und ohne Gefahr gegen feine Feinde 
auftreten können. Mit Sickingen habe er große und überaus 
wichtige Plane vor. Den Barbaren folle es, hoffe er, ſchlecht 
geben, und Allen, welche das römische Joch über Deutſchland 
bringen. Er laſſe jet einige Dialoge drucken gegen den Papft 
und die Ausſauger Deutſchlands, die Melanchthon richt miß⸗ 
fallen würben ?), 

Eben: dem literariſchen Sampfe wandte Hutten waͤhrend 
dieſer Zeit ſeine Hauptthaͤtgleit zu, Seine wirkſamſte Waffe 
blieb die Feder. Aber jebt kehrte er fie fait nur noch gegen 
Rom und deſſen Anhang; ber Kampf gegen die Fürſten ſchten 
der minder wichtige und feine Fortſetzung in biefem Augenblicke 
nicht einmal. gerathen, da mehrere Fürſten großen Eifer für 
Luthers Sache an den Tag legten. Wie einige Jahre früher 


ı) Hutt, Philinpo Melanchthoni d, d. Mog, 13 Cal. Vabr. N. 
Münd EI, 337. 

2) Hutt. Ph, Melagehthoni d. d, ex aroe Huttenina ‚Sheckelbergk 
2 Cal. Mart. 1520, „Hic salus est, Hic agitur, ut secyrissime possit 
medium digitum ostendere omnihus suis gemulis, Magnae mibi et 
perquam graves cum Francisco ratimıes sunt, Si adesses aliquid 
effutirem. Spero male futurum. harbaris, at Ramagum qui Adferunt 
Jugum, omnibus. Mihi nunc dialagi exchdunturs Trias Romana et 
Inspicientes, mirifice liberi in pontificem praesertim at Germaniae 
depeculatores etc,‘ Gx macht ben Vorſchlag, daß Luther auf, ber Reiſe 
zu Sickingen bei ihm (Hutien) in ve anfpredie, er wolle ihm Meifegeld 
geben. Vgl Münch II, 388. — > Deieigend war der erſſe Buef aicht 
angelommen. — 


— au — 


bie Schrift des Laurentius Valla, fo veröffentlichte er jetzt zu 
gleichem Zwecke bie Apologie des Waltram von Naumburg für 
Heinrich IV., die ihm auf der Bibliothek in Fulda in die Hände 
gefallen war. Er verſah fie mit ‚einer Zueignungsſchrift an 
den Erzherzog Ferdinand, in der er Heinrich IV. al? das Ideal 
eines deutſchen Kaiſers empfahl, und es als die wichtigfte Pflicht 
ded neuen Reichsoberhauptes darftellte, die deutfche Nation der 
Ihimpflichen Tyrannei des Papftes zu entziehen ?). Zu bejon- 
berer Kreude gereichte ihm, daß Telbjt das Mittelalter jo frei: 
müthige Befänpfer päpftlicher Anmaßungen aufzuweifen hatte ?). 
Wichtiger indeß waren feine eigenen Erzeugniſſe. Durch Flug: 
ſchriften und Satiren juchte er die Nation für ſeine Plane zu 
bearbeiten. In Stedlelberg unterhielt er eine eigene Preſſe, 
die nur für diefen Zweck thätig war. Die humaniſtiſche Eleganz 
und Feinheit, die er früher jo hoch gejtellt, wird jebt vernach— 
Kälftgt, da Ste mit der von ihm beabfichtigien Wirkung nicht 
wohl vereinbar iſt. An die Steltiwäber. zierlichen Verſe tritt 
ber volksthümliche Dialog, und ſchon fangen Bibelſprüche die 
elaſfiſchen Reminiscenzen zu verprängen an). Im Apeil 15%0 
trat jene Sammlung von Dialogen an’? Licht, die er bereits 
in dem erwähnten Sqhrelben an Melanchthon angerũundigt hatte *). 


12) Die Zueignungsfchrift beit Münch III, 545--56. — Auf Ferdinand 
hatte es Hutten zunächſt abgeſehen. „Primum conciliandus nobis Ferdi- 
nandus est®, ſchrieb er art Melanchthon, „quo de Franciscus' mereri 
gestit. Post facile erit exagitare improbos.“ Münd III, 337. 

2) Videbis auctorein, fehreibt er am Eoban (Crede mihl), qualem iis 
temporibas vixisse non 'pätasses; Strenue ponliicum tyraniıldem op- 
pugnat, et 'pro’libertate Germanich belligerat is animosissimus. — 
NihH vidi Nibertus; elegantius hoc in genere nihil, ita percellit, Itaque 
proterit ac jugulat Ihpostores; dignum duxi adscribere praefationem, 
quae simul’&detur. Hoc tam Invemum prodest amieis circam omnibus 
et.‘ Mrd III, 22% 

23) Auffällig wird bie: bibliſche Manier zuerft im jener ‚Suegnungsfäri 
an Ferdinand. Eine Beurteilung derſelben bei Strauß I, 5 

*) Bulderichi Hutteni eg. Germani Dialogf. ' Hl a rebris T et 
Il, Trias Romana, Inspicientes, Sie erjhienen bei Schöffer in Maim 








— 65 — 


Sie überbieten Alles, was Hutten bisher für ſeine Sache gethan 
hatte. Der wichtigſte unter ihnen iſt der Vadiscus oder die 
römiſche Dreifaltigkeit), ein Werk, das, wie vielleicht kein 
anderes jener Zeit, dazu beigetragen hat, die Nation in ihrer 
antiroömiſchen Richtung zu befeſtigen?). Alle Vorwürfe, die 
deutfcher Unmuth ſeit Sahren dem Papſte gemacht, alle die 
Untugenden, Laſter und Verruchtheiten, die ded Ritters über- 
reizte Bhantafie in Rom erblichte, waren hier zu einem ſchauder⸗ 
erregenden Gemälde zufammengejtellt. „Sehet da”, ruft er am 
Schluſſe aus, „jehet da die große Scheune des Erdkreiſes, in 
welche zujammengejchleppt wird, was in allen Ländern geraubt 
worden, in deren Mitte jener unerjättliche Kornwurm fitt, der 
ungeheure Haufen Korn verichlingt, umgeben von feinen zahl- 
reichen Mitfrefjern, die und zuerft das Blut ausgeſogen, dann 
das Fleiſch abgenagt haben, jet aber, o Chriſtus, an das Mark 
gelommen find, ung bie inneriten Gebeine zerbrechen und Alle, 
was noch übrig tft, zermalmen. Werben ba die Deutſchen nicht 


im April 1520. (Die Febris I war ſchon im Febr. 1519 einzeln erfchienen). 
Abdrud bei Münd III, 107—114 und 349— 540, Gelungene Auszüge 
daraus bei Strauß I, 350 ff. u. II, 5—46. 

ı) Trias Romana ift die Schrift betitelt, weil bie Beſchuldigungen 
gegen Rom in Triaden zufanmengeftellt find, 3. B. Tribus inprimis rebus 
abundare urben Romam, dicit Vadiscus, antiquitatibus, venenis et 
vastitate,. — Tres sunt, inquit, Romanorum negotiatorum merces: 
Christus, sacerdotia, mulieres. — Tria, inquit, maximo in pretio 
Romae sunt: venustas mulierum, evquorum praestantia, et diplomata 
pontificis. — Addidit, tria esse frequenti in usu Romae, carais vo- 
luptatem, vestium luxuriam et animorum fastum etc. Solcher Drei: 
beiten werden nicht weniger ald 60 aufgezählt! — 

3) Cochläug, der wegen feines Verhältnifies zu Hutten für dieſe Zeit eine 
ſchätzenswerthe, nur zu häufig verfannte Quelle ift, nennt die Trias „‚libel- 
lum quidem parvulum, sed mire festivum et inventionis ingeniosae 
argumento Laicis admodıum plausibilem et acceptum. Quo sane effecit, 
ut nihil aeque invisum esset Germanis complurimis, quum nomen Rom. 
Curine et Curtisanorum.°‘ De actis’ et script. Lutheri ed. Paris, f. 
419 b. — Man begreift die außerordentliche Wirkung diefer Schrijt aus ihrer 
durchaus volksthümlichen, pifanten Faſſung. 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. IE. Theil. 5 


— 6 — 


zu ben Waffen eilen? Nicht mit Feuer und Schwert anftürmen? 
Das find die Plünderer unferes Volkes, die früher mit Gier, 
jet mit Frechheit und Wuth die erſte Nation der Welt berauben, 
von Blut und Schweiß des deutſchen Volkes ſchwelgen, aus 
den Eingeweiden der Armen ihren Wanft füllen, ihre Weppig- 
feit nähren. Ahnen geben wir Gold! Sie halten auf unfere 
Koiten Pferde, Hunde, Maultbiere, und, o der Schmach, Luft: 
dienen und Luſtknaben! — Und biefe müſſen wir noch Tieb 
fofen, dürfen ſie nicht ftechen ober rupfen, ja nicht einmal 
berühren oder antaften! Wachen wir endlich einmal auf, rächen 
wir unſere Schande, den gemeinen Schaden!” 1) 

In diefer Stimmung befand ſich Hutten, als er in Bam- 
berg mit Crotus zujammentraf. 


DL 


Die Zufammenkunft, welche Crotus und Hutten um Oftern 
1520 in Bamberg hielten, gehört zu den wichtigjten Ereignijien 
ber Zeit. Es waren die beiden entjchtedenften Vertreter deö 
Fortſchritts nach der wiflenjchaftlichen und politifchen Seite, 
jeit früheſter Jugend durch die Bande inniger Freundjchaft 
verknüpft, die fich hier nach einer faft dreijährigen Trennung 
wiederjahen. Unabhängig von einander waren in der Zwiſchen⸗ 
zeit beide bei dem nämlichen Nefultate angelangt. Ausgehend 
von dem humaniftiichen Gegenjage hatte der Eine Luther zuerſt 
als einen neuen Kampfgenofien gegen die Finfterlinge begrüft, 
von da alfmählig zu dem Standpunkte vorrüdend, wo er in 
dem gewaltigen Mönche dag augerwählte Werkzeug des Herrn 
erblickte: mit ber ganzen Begeifterung, deren er fähig war, 
hatte er fich ihm hingegeben. Dem Andern war im Gewühle 
feiner weltumwälzenden politiichen Beſtrebungen durch Luthers 
fühne ‚Predigt ein neuer Strahl der Hoffnung aufgegangen: 


1) Münch III, 503, 504. 





— 61 — 


Mind, gab feinen Umfturzplanen bie veligiöfe Grundlage 
d Berechtigung, und der Demagog, fo eben noch antiken 
ſchauungen buldigend, war ein jtürmijcher Apoftel des neuen 
angeliums geworden. So trafen fid) beide tn Bamberg. 
utherd Angelegenheit war es, die fie bejchäftigtee Eben hier 
rhielt Hutten von Erasmus die Berbammungsurtheile, welche 
die Univerfitäten Köln und Löwen in Folge der leipziger Dis— 
putation über Luther auzgefprochen hatten. Wie hätte dieſe 
„Verhöhnung des deutschen Namen?” nicht ihre Entrüftung 
von Neuem hervorrufen jollen! ’) 

Was fie indek in diefen Tagen im Einzelnen mit einander 
verhandelt, welche Plane fte für die Zukunft gefaßt, bleibt ung 
bei der Dunkelheit, die über dem ganzen Vorgange jchwebt, 
verborgen ?). Jedenfalls hat ein wechfeljeitiger Ideenaustauſch 
jtattgefunden. Sch fürchte nicht, zu weit zu gehen, wenn ich 
annehme, daß Hutten, der troß feiner heftigen Parteinahme für 
Luther, ihn bis dahin doch nur aus ber Ferne ald einen revo⸗ 
Intionären Mönch Fannte, erit durch den unterrichteten Crotus 
in den Streit eingeführt, von den Einzelheiten dezfelben, von 
den Bemühungen der Gegner in Rom in Kenntniß geſetzt jet: 
erft jet beginnt er feinen unverfühnlichen Haß auf Eck zu 










ı) Crotuß an Luther d. d. Bamberge 4 Cal. Maj. 1520 Hoſchr. ber 
Herz. Goth. Bibl. Cod. Chart. A. 20. ‚Cum itaque Pascha celebra- 
remus caneremusque Hic (sic) est dies, quam fecit dominus, exultemus 
et letemur in ea, incidit in sacra sacrım sentimentum Lovamiensium 
et Coleniensium Hutheno missum ab Erasmo Botkerodame, ingens sane 
materia et ad ridendum et ad stemachandum. — Non enim ita sumus 
stoici, ut animns nostros ab omni negritudine liberos tueamur, pre- 
sertim cum videmus (sic) eos iusanire indicihili audacia In ludibrkum 
germanici nominis, in contumeliam religionis, in perniciem innocen- 
cine, per quos imprimis illustrari debuit Germania, religioni suus 
stare honos, minime ledi innocentia. — Oftern war 1520 am 8. April. 

2) Richt einmal, baß eine ſolche Zuſammenkunft ſtattgefunden, war befannt. 
Strauß 1. c. 11, 53, 54 vermuthet fie bloß (nach den Neuerungen bes 
Eochläuß bei Heumann Doc. lit. p. 43, 46). Der angeführte Brief fett fie 
außer Zweifel. Vgl. Bb. I, 256, wo ih ben Anfang mitgetheilt habe. 

5% 


— 68 — 


werfen 1). Andrerſeits iſt gewiß, daß Crotus von Hutten in 
ſeine verwegenen Plane eingeweiht, für dieſelben gewonnen 
worden iſt: auch er ſieht fortan in Sickingen die vornehmſte 
Stütze des Evangeliums2). Beide ergänzten ſich gleichſam, 
ſteigerten gegenſeitig ihren Eifer. 

Bald genug traten die Folgen zu Tage. 

Wenige Wochen ſpäter richtete Crotus, noch von Bamberg 
aus, ſein zweites größeres Sendſchreiben an Luther °). Ihn 
noch weiter auf der eingeſchlagenen Bahn fortzudrängen, ihn 
abermals und eindringlicher von der Nothwendigkeit des rück⸗ 
ſichtsloſeſten Verfahrens gegen ſeine Widerſacher zu überzeugen, 
iſt der Zweck desſelben. Eben jenes Verdammungsurtheil der 
kölner und löwener Theologen bildet den Ausgangspunkt. 
Keine Tyrannei, führt der Verfaſſer, daran anknüpfend, weiter 
aus, keine Tyrannei gebe es in der Chriſtenheit, die unmenſch⸗ 
licher ſei, als jene der Theologen und Mönche, die da die Vor: 
bilder und Beichüger chriftlicher Frömmigkeit und Religion fein 
follten. Statt hriftlicher Lauterkeit und Einfalt beherriche fie 
Ihwarzer Neid, ftatt mit dem Lichte der Wahrheit zu Leuchten, 


1) In einem gleich anzuführenden Schreiben an Luther gebenlt er bes 
EL zum erftien Mal als eine? homo impudenter malus, auch daß ihn Ed 
als einen Parteigenofien Luthers benuncirt habe. Münd II, 575 — 76. 
Offenbar hat er die durch Erotus erfahren. 

2) Magnus Dux germanicae nobilitatis nennt er ihn und meint, 
Lutber bürfe fein Anerbieten nicht von ber Hand weifen ‚‚retinendus est 
in officio Franciseus.‘ 

5) Reverendo patri Martino Luthero Augustiniano Sacrarum lite- 
rarum professori tum docto tum sancto amico suo Antiquissimo d. d. 
Bamberge 4 Cal. Maj. 1520. 9. ©. 3. Cod. Chart. A.20. Daß. biefer 
Brief, ber unter allen, die Luther empfangen, ben tiefften Eindrud auf ihn 
gemacht bat, fo lange unbefannt geblieben ift, zeigt allein ſchon, daß troß ber 
150 Biographien Luthers noch immer nicht genug geſchehen ift. — Es freut 
mid, nachträglich berichten zu können, daß Böding feinen Verdienften um bie 
Reformationgliteratur nun dieſes neue hinzugefügt bat, ben wichtigen Brief 
zuerfi der Deffentlichfeit übergeben zu haben: er findet fidh in Böckings neuer 
Ausgabe der Opn. Hutt. I, 337 sqq. Die von mir früher angefünbigte 
Publifation desſelben ift dadurch überflüffig geworben. 





— 69 — 


Tchnauben fie Feuer, ftatt Gottes Wort diene ihnen fopbiftifcher 
Aberwitz, ftatt des Schwertes der heiligen Schrift das Schwert 
des Nachrichterd. Unvergeßlich ſei ihm eine von Hochitraten 
verübte Blutthat, die ihm einft in Köln zu Ohren gekommen. 
Luther möge deshalb vor Allem gegen den Blutdurjt der Mönche 
auf feiner Hut fein, wolle er nicht wie Huß ein Martyrer 
feiner Sache werden. Doch an die Martyrerfrone dürfe er 
nicht denfen. Denn wie, wirft Crotus mit bitterer Jronie ein, 
wolle er auch im Tode Gnade finden vor dem höchſten Richter, 
dem Papſte, deſſen Ablaß er fraftlog gemacht! „O des Unglücks 
ber Ehriftenheit! ruft er aus, bed alten Glauben?! So mußte 
alles Göttliche dem Menjchlichen weichen und beiubelt werben !” 
Chriſtus habe feinem Volle das Wort Racha verboten, jedes 
ftrenge Urtheil unterfagt, und Luther werde, weil er die Schrift 
mit größerer Ehrfurcht behandele, ald Keber gebrandmarfkt ! 
Doch das ſei die Beicheidenheit ver Theologen!!) Aber nicht 
bloß lieblos und tyranniſch feien fie, ſondern in noch höherem 
Grade dumm und unwiſſend. Jeder andere Sterbliche, ſelbſt 
das umvernünftige Thier lerne durch Erfahrung, jene allein 
ſeien unverbeflerlich für alle Zeiten, nur noch fortjchreitend in 
ihrer Verblendung Mit einiger Vorficht hätten fie fich noch 
in Reuchlins Angelegenheit benommen, mit jchamlofer Unwiffen- 
beit verführen fie gegen Luther, den man jebt, unfähig ihn zu 
wiberlegen, durch das übereinftimmende Urtheil Aller verdammt 
fein ließe! Das heiße den Gegner nicht lehrmäßig (doctrinaliter), 
jondern löwenmäßig (Lovanialiter) verdammen — denn neue 
Bezeichnungen müfje man für nene Irrthümer aufbringen“ ?). 


1) Als den erften Repräfentanten biefer Theologen ftellt er ben Silvefter 
Prierias bar, der auch den Spruch der Löwener herbeigeführt habe „Silvester 
prierias hujus tragodie puppis et prorn.“ 

3) „‚Porro si nihil habent diffiduntque suis juribus, judicio omnium 
damnatus es tu non doctrinaliter sed Lovanialiter; quemadmodum et 
multis incutitur Pontificis fulmen Romanaliter, non Christionaliter. 
Sunt enim novis erroribus nova confingenda vocabula.“ — Man fieht, 


— 0 — 


Aber möchten fie doch nur vecht bald, wie fie beabfichtigen, 
durch neue Sentenzen ihre Thorbeit enthüllen, wie leicht würde 
e3 dir fein, wendet er ſich an Luther, die zu vernichten, bie 
da nicht einmal den Gegenftand des Streites begreifen, ihre 
Sophigmen, wie elendes Töpfergejchirr mit dem Schilde der 
h. Schrift zu zerichlagen. Laß die Unfinnigen dich Reber. fchel- 
ten, wiffe nur, daß du in deiner Keberei viele Genoffen baft. 
Ihm felbit, Crotus, ſtehe e3 unzweifelhaft fejt, daß nur der 
durch den Glauben Gerechtfertigte Zutritt zu Gott habe; möch— 
ten jene immerhin pochen auf ihre Verdienſte, ihm genüge ver 
Glaube an den, der den Gottlojen von Schuld und Strafe 
befreie um ſeines Glaubens willen, und ein demüthige® Ge 
ſtändniß ſeiner Mifjethaten; möchten des Papſtes Creaturen 
rühmen und preiſen das unfehlbare Lehramt der Kirche, er 
halte ſich an das Wort: eine Leuchte wirſt du meinen Füßen 
ſein, o Herr, und mir ein Licht auf meinen Wegen. Dieſes 
Lichtes Schutz und Schirm aber möge Luther übernehmen. 
„Zeige, Größter der Theologen, die Tugend“, ruft er ihm zu, 
„die wir an bir verehren, offenbare den Untekrſchied zwiſchen ber 
Sreatur des Papſtes und der Ereatur Gottes. Der König 
hat dich eingeführt in fein Gemach und dich mit Gelehrſamkeit 
ausgerüſtet, damit du wiſſeſt, das Böſe zu verwerfen und das 
Gute zu wählen. Zwar wart du mir fchon längſt bekannt, 
aber von Tage zu Tage erjcheint mir dein Bild heller und 
glängender. Eine Sonne ift ung aufgegangen nach dem Nebel 
der Schulmeinungen. — Ich habe meinen Martin, weil id 
jo viele Jahre feine? Umganges nicht mehr genofjen, nicht ge 
nug zu würdigen gewußt. — Wohlan denn, trefflichiter Polyclet, 
führe und einen Triumphbogen auf über die befiegten Feinde 
au dem Tebendigen Marmor, der ift Jeſus Chriftug. Er 
wolle dich bewahren vor dem Rachen des Löwen (ab ore 


wie ber alte Verfaſſer der Epp. Obso. ſich auch hier nicht verläugnen Fann, 
ttoß feines biblifchen Gewandes! 











— 71 — 


Leonis) und vor den Hörnern der einhörnigen Sophijten in 
alle Zeit” 1). 

Dann folgt das Wichtigfte. Franz von Sidingen, der 
große Führer des deutichen Adels, habe ihn, Luther, nach Aus: 
fage Huttens, zu ſich eingeladen; theologijhe Muße, Sicherheit 
gegen feine Nachjteller, Alles was er wünſche, werde er bei 
Sickingen finden. Ein fo großes Anerbieten jei nicht zu ver: 
ihmähen, denn Nichts Tießen fich die heiligen Väter in folchem 
Grade angelegen fein, als Luther des Schußes feined Chur: 
fürften zu berauben, damit er genöthigt werde, zu den Böhmen 
zu flüchten ?); Ed werde ed in Nom an Bemühungen nicht 
fehlen laſſen. „Daher trage Sorge, ift mein Rath, für bie 
Zukunft, jchreide an Sicingen, erhalte dir fein Wohlwollen. 
Durch einen einzigen für Reuchlin gefchriebenen Brief hat er 
die Dominiciften mehr geſchreckt, als ale Ausſchreiben des 
Kaiſers und Papſtes.“ 

Als Crotus dieſes Schreiben abſandte, war Hutten, wie 
wir aus einer Nachſchrift erfahren, bereits von Bamberg auf: 
gebrochen ). Er beabfichtigte eine Neife in die Niederlande, 


1) Er bedient ſich bier bes Vergleichs mit dem Bildhauer, weil Luther 
in allem Uebrigen ſchon dag Beſte geleiftet. ‚‚Nuper vidi pugilem Entellum 
cum senc Marete congredientem in arena, (geht auf den Streit mit 
Prieriad) deinde prodiisti venator alacer capto sevo capricorne, (auf 
den Streit mit Emfer) nunc graphice judicium theologisticum depingis 
(erfte Schrift gegen Löwener), quem te demum habebimus? In quo arti- 
icio vis palma donari? mihi superesse vidotur statuarius, Age ergo, 
optime Policlete, exprime nobis de victis hostibus arcus triumphales 
de marmore vivo, qui est Christus Jesus, qui te custodiat ab ore 
Leonis et a cornihus unicornium sophistarum per omne scculum,“‘ 

2) „In nulla re tantopere axerrent ingeniym S. Patres, quam 
quod animum Friederici principis abs te alienent, ut, prcsidio omni 
exutus, tandem oogereris (sic) ad Bohemns confugere.‘ Nun veriteht 
man bie Aeußerung Luthers bei De Wette I, 465. 

s) „„Huttenus discedens jussit te salutare, proficiseitur ad Ferdi- 
nandum Careli regis fratrom, in cujus aulica familia, ut speramus, 
locum habebit, non sine tup et ractorym studiorum commodo.‘ 


— 72 — 


an den Hof des Erzherzogs Ferdinand, um hier durch per: 
ſönliche Ueberredung für die Sache der Freiheit zu wirfen *). 
Indeß noch ehe er diefen Plan ind? Werk richtete, führte er 
einen andern aus, mit dem er fich ſchon Längft getragen, und 
in dem er jet durch den Vorgang des ſonſt bedädhtigeren 
Freundes beftärft worden. Er trat mit Luther in offene Ber: 
bindung. Unter dem Rufe „ES Lebe die Freiheit!” richtete er 
von Mainz aus am 4. Juni das erjte Schreiben an Luther ?). 
Er kündigt fich ihm in den Ausdrücken der wärmjten Verehrung 
als feinen Bundesgenoſſen und Mitjtreiter in Chriſto an, bringt 
nochmals Sickingens Wünſche in Erinnerung, ermuntert ihn 
zur Standhaftigkeit, fordert ihn auf, gemeinjfame Sache mit 
ihm, Hutten, zu machen. „Sei feft, ſtark und wanke nicht. An 
mir haft du einen Anhänger für jeden Tal. Darum wage 
eg, mir in Zufunft alle deine Pläne anzuvertrauen. Ber: 
fechten wir die gemeine reiheit, befreien wir dag ſchon Lange 
gefnechtete Vaterland. Gott haben wir auf unſerer Geite. 
Und ift Gott für und, wer mag wider ung fein? — Die Kölner 
und Löwener haben dich verurtheilt. Das find jene teuflifche 
Rotten, die fih gegen die Wahrheit verjchworen. Aber wir 
wollen durchbrechen, mannbaft durchbrechen unter Chrifti 
Beiftand.” | | 

Sp traten die gährenden Elemente des Zeitalter in ihren 
beiden vorgefchrittenften Vertretern im Sahre 1520 an den 
Träger der Firchlichen Oppofition heran. Hat diefer ihnen 
widerjtanden? Hat er das ihm angetragene Bündniß abgelchnt? 


ı) Melanchth. J. Hesso ‚‚Huttenus ad Ferdinandum Caroli fra- 
trem proficiscitur, viam facturus libertati per maximos principes. 
Quid non speramus igitur ?““ 8. Juni 1520. Corp. Ref. I, 201. — Bgl. 
auch Huttenus Martino Luthero d. d. Mog. 2 Non, Jun. 1520. Münd 
III, 576. ‚‚Hodie ad Ferdinandum abeo. Quicquid ibi putero, nostre 
bono, nan cessabe.“ - - 

2) Hutt, Martino Luthero d. d. Mog. 2 Non. Jun. 1520. Ber Brief 
erfchien zu Wittenberg in Drud, abgebrudt bei Münch III, 575—76. 





— 73 — 


IV. 


„Im zwanzigſten Jahr“, ſagt Matheſius, „griff Doctor 
Luther mit großem Ernſt und Eifer nach Gottes Wort des 
Papſtes Hoheit und Kron und ſeinen ſchrecklichen Gewalt an, 
den er mit ſeinem Banne geübt, und fähet an, die alten löb— 
lichen Deutſchen von der römiſchen und babyloniſchen Gefäng— 
niß als der. rechte Samſon zu erlöſen“1). Es iſt das Jahr 
1520, in dem Luther ſeine aufregenden Flugſchriften Von des 
chriſtlichen Standes Beſſerung an den Adel deutſcher Nation, 
Von der Freiheit eines Chriſtenmenſchen, Von der babyloniſchen 
Gefangenſchaft der Kirche ausgehen ließ. Er wendet ſich zum 
erften Mal an die Maſſe: er redet in der Sprache des Volkes, 
er hat den ausschließlich theologischen Standpunkt aufgegeben, 
feine Ideen berühren Kirche und Staat, die großen Fragen ber 
Nation, feine Reformvorfchläge ſtellen im politifchen nicht minder, 
wie im Lirchlichen Leben die durchgreifendften Veränderungen 
in Ausſicht. Rückſichtslos, mit unerhörter Kühnheit trägt er 
fie vor. Selbſt vor Krieg und Aufruhr bebt er nicht zurüd. 
„Ich beichwöre Dich”, jchreibt er an einen Zreund, „wenn Du 
das Evangelium recht verftehft, fo glaube ja nicht, daß deſſen 
Sache ohne Tumult, Aergerniß und Aufruhr geführt werben 
könne. Du wirft aus dem Schwerte Feine Feder, aus dem 
Kriege feinen Frieden machen: das Wort Gottes iſt ein Schwert, 
ift ein Krieg, iſt Zerftörung, ift Aergerniß, iſt Verderben, ift 
Gift, und, wie Amos fagt, wie der Bär auf dem Wege und 
wie die Löwin im Walde, jo tritt e8 den Söhnen Ephraim 
entgegen” ?). 

Es find die Wirkungen des von feinen beiden ftürmifchen 
Freunden ausgegangenen neuen Impulſes, bie fich in dieſer 
leidenfchaftlihen Erhebung des Reformators anfündigen. 


1) Matheſius 1. c. fol. 16 b. 
2) Luther an Spalatin, Februar 1520, De Wette I, 417. 





— 4 — 


Seit der Disputation von Leipzig hatte die Verbindung 
mit Männern, wie Erotus und Hutten, für Luther nichts Be 
denkliche® mehr. In der Aufregung, in welche er durch ben 
Ausgang, jenes Geſprächs verfeßt worden, war er für die ver- 
wegenften Rathfchläge empfänglich. Die inhaltjchweren Mahn: 
ſchreiben des Crotus aus Bologna fanden deshalb feinen ganzen 
Beifall: er Tieß fie im Kreife feiner Freunde verbreiten und 
ſäumte nicht, alsbald dem eifrigen Verfechter feiner Sache jen- 
jeit der Alpen ein Antwortjchreiben entgegenzufenden, obgleich 
Crotus ſelbſt feine Rückkehr als nahe bevorftehend angekündigt 
hatte). Mit Hutten trat Luther fogar noch früher in Ber 
bindung, als dieſer ſelbſt ven legten entfcheidenden Schritt gethan: 
fhon im Mai 1520, als Hutten für feinen Verkehr fich nod 
der Vermittelung Melanchthons bediente, ließ Luther ihm Briefe 
zufommen ?). An Sicingen jchrieb er, wie Crotus gewünfdtt, 
nicht bloß einmal, fondern allem Anjcheine nach wieberholt°). 

Daß Luther eben aus diefem Verkehr den Muth zu jenem 
fühnen, rückſichtsloſen Auftreten geſchöpft hat, ift nach feinen 
eigenen Aeußerungen unzweifelhaft. Bor Allen war es ber 
ihm von Crotus wie von Hutten in Ausſicht geftellte Schub 


1) Bel. Corp. Ref. I, 202; Miey 1. c. 11, 42; Unfch. Nachr. Jahrg. 
1723. p. 707. 

2) Vgl. Luther an Spalatin 5. März 1520: „Hutteno, Fabricio, Pel- 
licano, Erasmo scriptum est ab utroque nostrum et multis aliis.“ 
De Wette I, 445. An denfelben am 31. März: „Mitto literas, mi Spa- 
latine, ad Huttenum, Sicoingen, et Taubenheimum nostrum: tui quaeso 
sit officii, opportune eos curare.“ 1. c. I, 451. Auffallend, wie man 
diefe Stellen bat überfehen Fönnen. 

3) Bol. De Wette I, 451, 460. — Alfe diefe Briefe an Crotus, Hutlen, 
Sidingen find verloren gegangen; nur den Inhalt des einen an Hufen 
gerichteten erfahren wir durch Cochläus: „De quo (scil, Sickingen) scrip- 
serat occulte ad Ulrichum Huttenum suum Lutherus, se plus confi- 
dentiae erga illum gerere, majoremque in eo spem habere, quas 
habeat in ullo sub coelo principe.‘“ De Actis et seriptis Martiei 
Lutheri. fol. 86 b. — Ueber Huttens Verhältnig gu Wittenberg im Som: 
mer 1520 vgl. au) Corp. Ref. I, 201, 263, 264, 


— 


— 75 — 


der Ritterſchaft, der ihn ermuthigte. „Franz von Sickingen“, 
ſchreibt er an einen ſeiner Ordensgenoſſen, „verheißt mir durch 
Hutten ſeinen Schutz gegen alle meine Widerſacher. Das 
Nämliche thut Silveſter von Schauenburg mit einigen fränki⸗ 
ſchen Adligen. Ich habe einen ſchönen Brief von ihm. Nun 
fürchte ich Nichts mehr, ſondern gebe ſchon ein Buch in deutſcher 
Sprache gegen den Papſt heraus von des chriſtlichen Standes 
Beſſerung“ 1). „Silvefter von Schauenburg und Franz von 
Sickingen“, erklärt er mit der größten Offenheit in einem 
Schreiben an Spalatin, „haben mich von der Menichenfurcht 
befreit” 2). Im Vertrauen auf den Schub, den ihm die Her: 
bergen der Gerechtigkeit — wie Hutten die Burgen feines 
Freundes nannte — zur Stunde der Gefahr gewähren würden, 
wagt er es, Fühnlich feinen Gegnern Trog zu bieten, Huttens 
Wahlipruch zu dem feinigen zu machen *), dem römischen Papft, 
deſſen Gunſt und Ungunft er jet verachtet, offen den Fehde: 
handſchuh Hinzumerfen, „va nicht bloß in Böhmen, jondern 
mitten in Deutſchland Männer feien, die fich feiner annehmen 
würden.” 

Aber Luther empfing von diefer Seite nicht bloß den Muth, 
offen und kühn mit feinen Ideen hervorzutreten: Huttens und 
Crotus' Einfluß erſtreckte fich auch auf letztere ſelbſt. Es ift 
bezeichnend, daß die Vorftsllung, der Papſt fei der Antichrift, 
eben durch die Lectüre jener Schrift bei Kuther hervorgerufen 
wurde, mit der Hutten feinen Feldzug gegen Rom eröffnete *). 


1) Luther an Voigt 3. Auguft 15%. De Wette 1, 475. Das Schreiben 
bed Schauenburg d. d. Montag nach Corporis Christi bei Münch, Franz 
von Sidingen I, 173. 

2) De Wette I, 469. „Quia enim jam securum me fecit Silvester 
Schauenberg et Franciscus Siccingen ab hominum timore, succedere 
oportet daemonum quoque furorom.““ 

3) „A me quidem, jacta mihi alea, contemtus est Romauss furor 
et favor: nolo eis reconciliari neo communicari in perpetusm.‘‘ 
Luther an Spalatin 10. Zuli 1520 1. e. I, 466. 

+) Vgl. De Wette I, 420. 


— 66 — 


zu den Waffen eilen? Nicht mit Feuer und Schwert anſtürmen? 
Das ſind die Plünderer unſeres Volkes, die früher mit Gier, 
jetzt mit Frechheit und Wuth die erſte Nation der Welt berauben, 
vom Blut und Schweiß des deutſchen Volkes ſchwelgen, aus 
den Eingeweiden der Armen ihren Wanſt füllen, ihre Ueppig— 
keit nähren. Ihnen geben wir Gold! Sie halten auf unſere 
Koſten Pferde, Hunde, Maulthiere, und, o der Schmach, Luſt— 
dirnen und Luſtknaben! — Und dieſe müſſen wir noch lieb— 
koſen, dürfen ſie nicht ſtechen oder rupfen, ja nicht einmal 
berühren oder antaſten! Wachen wir endlich einmal auf, rächen 
wir unjere Schande, den gemeinen Schaden!” 1) | 

In diefer Stimmung befand fih Hutten, al3 er in Bam- 
berg mit Crotus zufammentraf. 


II. 


Die Zufammenkunft, welche Crotus und Hutten um Oftern 
1520 in Bamberg hielten, gehört zu den wichtigiten Ereigniffen 
der Zeit. Es waren die beiden entjchiebenften Vertreter des 
Fortſchritts nach der wiflenjchaftlichen und politifchen Seite, 
jeit frühefter Jugend durch die Bande inniger Freundfchaft 
verknüpft, die. fich hier nach einer fajt dreijährigen Trennung 
wiederfahen. Unabhängig von einander waren in der Zwiſchen⸗ 
zeit beide bei dem nämlichen Refultate angelangt. Ausgehend 
von dem humaniſtiſchen Gegenſatze hatte der Eine Luther zuerft 
als einen neuen Kampfgenofien gegen die Finſterlinge begrüßt, 
von da allmählig zu dem Standpunkte vorrüdend, wo er in 
dem gewaltigen Mönche das auserwählte Werkzeug des Herrn 
erblickte: mit der ganzen Begeifterung, deren er fähig war, 
hatte er fih ihm hingegeben. Dem Andern war im Gemwühle 
feiner weltumwälzenden polittichen Beitrebungen durch Luthers 
kühne ‚Predigt ei neuer Straht der Hoffnung aufgegangen: 


1) Münch III, 503, 504. 





— 67 — 


ber Mönch gab feinen Umfturzplanen die religiöfe Grundlage 
und Berechtigung, und der Demagog, fo eben noch antiken 
Anſchauungen huldigend, war ein jtürmifcher Apoftel des neuen 
Evangeliums geworden. So trafen fich beide in Bamberg. 
Luthers Angelegenheit war e3, die fie befchäftigte. Eben bier 
erhielt Hutten von Erasmus die Verbammungsurtheile, welche 
die Univerfttäten Köln und Löwen in Folge der Leipziger Dig- 
putation über Luther ausgeſprochen hatten. Wie hätte dieſe 
„Verhöhnung des deutſchen Namen?” nicht ihre Enträftung 
von Nenem hervorrufen jollen!?) 

Was fie indek in diefen Tagen im Einzelnen mit einander 
verhandelt, welche Plane fie für die Zukunft gefaßt, bleibt ung 
bei der Dunkelheit, die über dem ganzen Vorgange ſchwebt, 
verborgen ?). Jedenfalls hat ein wechjeljeitiger Ideenaustauſch 
ftattgefunden. Ich fürchte nicht, zu weit zu gehen, wenn ich 
annehme, daß Hutten, der troß feiner heftigen Parteinahme für 
Luther, ihn bis dahin doch nur aus der Ferne als einen rvevo- 
Iutionären Mönch kannte, erft durch den unterrichteten Crotus 
in den Streit eingeführt, von den Einzelheiten desſelben, von 
den Bemühungen der Gegner in Rom in Kenntniß gefeßt fei: 
erft jegt beginnt er feinen unverjöhnlihen Haß auf Eck zu 


2) Crotuß an Luther d. d. Bamberge 4 Cal. Maj. 1520 Hoſchr. ber 
Herz. Goth. Bibl. Cod. Chart. A. 20. „Cum itaque Pascha celebra- 
remus caneremusgue Hic (sic) est dies, quam fecit dominus, exultemus 
et letemur in ea, incidit in sacra sacrum sentimentum Lovamiensium 
et Coleniensium Hutheao missum ab Erasmo Botherpdamo, ingens sane 
materia et ad ridendum et ad stemwachandum. — Non enim ita sumus 
stoici, ut animos nostros ab omni aegritudine liberos tueamur, pre- 
sertim cum videmus (sic) eos iusanire indicihili audacia in ludibriem 
germanici nominis, in contumeliam religionis, in perniciem innocen- 
ciae, per quos imprimis illustrari debuit Germania, religioni suus 
stare honos, minime ledi innocentia. — Oftern war 1520 am 8. April. 

2) Richt einmal, daß eine ſolche Zuſammenkunft ftattgefunder, war befannt. 
Strauß 1. ec. II, 53, 54 verniuthet fie bloß (nach ben Aeußerungen bes 
Cocläus bei Heumann Doc. 1it. p. 43, 46). Der angeführte Brief fett fie 
außer Zweifel. Vgl. Bd. I, 266, wo ih ben Anfang mitgetheilt habe. 

5% 


— 68 — 


werfen 1). Andrerſeits iſt gewiß, daß Crotus von Hutten in 
ſeine verwegenen Plane eingeweiht, für dieſelben gewonnen 
worden iſt: auch er ſieht fortan in Sickingen die vornehmſte 
Stütze des Evangeliums?). Beide ergänzten ſich gleichſam, 
ſteigerten gegenſeitig ihren Eifer. 

Bald genug traten die Folgen zu Tage. 

Wenige Wochen jpäter richtete Crotus, noch von Bamberg 
aus, fein zweites größeres Sendfchreiben an Luther’). Ihn 
noch weiter auf der eingefchlagenen Bahn fortzubrängen, ihn 
abermals und eindringlicher von ber Nothwendigfeit des rüd: 
ſichtsloſeſten Verfahrens gegen feine Widerfacher zu überzeugen, 
ift der Zweck dezfelben. Eben jened Verdammungsurtheil der 
fülner und löwener Theologen bildet den Ausgangspunkt. 
Keine Tyrannei, führt der Verfaſſer, daran anfnüpfend, weiter 
aus, feine Tyrannei gebe es in der Chriftenheit, Die unmenjd- 
licher ei, al3 jene der Theologen und Mönche, die da die Bor 
bilder und Beſchützer chriftlicher Frömmigkeit und Religion fein 
follten. Statt chriftlicher Lauterkeit und Einfalt beherriche fie 
Schwarzer Neid, ftatt mit dem Lichte der Wahrheit zu Leuchten, 


1) In einem gleich anzuführenden Schreiben an Luther gedenlt er be 
EL zum erfien Mal ald eine? homo impudenter malus, auch bag ihn Ed 
als einen Parteigenofien Luthers denuncirt habe. Münd II, 575 — 76. 
Offenbar hat er die durch Crotus erfahren. 

2) Magnus Dux germanicae nobilitatis nennt er ihn und meint, 
Luther dürfe fein Anerbieten nicht von ber Hanb weifen „‚retinendus est 
in officio Franciseus.‘“ 

s) Reverendo patri Martino Luthero Augustiniano Sacrarum lite- 
rarum professori tum docto tum sancto amico suo antiquissimo d. d. 
Bamberge 4 Cal. Maj. 1520. 9. ©. 8. Cod. Chart. A.20. Daß dieſer 
Brief, der unter allen, bie Luther empfangen, ben tiefften Eindrud auf ihn 
gemacht Bat, fo lange unbekannt geblieben ift, zeigt allein ſchon, daß troß ber 
150 Biographien Luther? noch immer nicht genug gefchehen ift. — Es freut 
mich, nachträglich berichten zu Können, daß Böding feinen Verbienften um bie 
Neformationgliteratur nun diefeß neue hinzugefügt hat, ben wichtigen Brief 
zuerft der Deffentlichfeit übergeben zu haben: ex finbet ſich in Böckings neuer 
Ausgabe der Opp. Hutt. I, 337 sqq. Die von mir früher angefünbigte 
Publikation desſelben ift dadurch überflüffig geworden. 








— 69 — 


fchnauben fie Feuer, ftatt Gottes Wort diene ihnen fopbiftifcher 
Aberwitz, ftatt des Schwertes der heiligen Schrift das Schwert 
des Nachrichters. Unvergeßlich fer ihm eine von Hochftraten 
verübte Blutthat, die ihm einft in Köln zu Ohren gekommen. 
Luther möge deshalb vor Allem gegen ven Blutdurft der Mönche 
auf feiner Hut fein, wolle er nicht wie Huß ein Martyrer 
feiner Sache werden. Doch an die Martyrerfrone dürfe er 
nicht denfen. Denn wie, wirft Crotus mit bitterer Jronie ein, 
wolle er auch im Tode Gnade finden vor dem hödhiten Richter, 
dem Papfte, deſſen Ablaß er kraftlos gemacht! „O des Unglücks 
der Chriſtenheit! ruft er au, o des alten Glauben?! So mußte 
alles Göttliche dem Menjchlihen weichen und befudelt werden!” 
Chriſtus habe feinem Volke dag Wort NRacha verboten, jedes 
ftrenge Urtheil unterfagt, und Luther werde, weil er die Schrift 
mit größerer Ehrfurcht behandele, als Ketzer gebrandmarft ! 
Doc, das fei die Bejcheivenbeit der Theologen!!) Aber nicht 
bloß lieblos und tyrannifch feien fie, ſondern in noch höherem 
Grade dumm und unwifjend. Jeder andere Sterbliche, felbft 
bag unvernünftige Thier lerne durch Erfahrung, jene allein 
feien unverbefjerlich für alle Zeiten, nur noch fortichreitend in 
ihrer Verblendung Mit einiger Vorficht hätten fie fich noch 
in Reuchlind Angelegenheit benommen, mit ſchamloſer Unwiffen- 
heit verführen fie gegen Luther, den man jebt, unfähig ihn zu 
widerlegen, burch das übereinftimmende Urtheil Aller verdammt 
fein Tieße! Das heiße den Gegner nicht lehrmäßig (doctrinaliter), 
fondern löwenmäßig (Lovanialiter) verdammen — denn neue 
Bezeichnungen müſſe man für neue Irrthümer aufbringen” ?). 


ı) Als den erften Repräfentanten diefer Theologen ftellt er den Silvefter 
Prieria bar, ber auch den Spruch der Löwener herbeigeführt habe „Silvester 
prierias hujus tragodie puppis et prora.‘“ 

2) „Porro si nihil habent diffiduntque suis jJuribus, judicio omnium 
damnatus es tu non doctrinaliter sed Lovanialiter; quemadmodum et 
multis incutitur Pountificis fulmen Romanaliter, non Christionaliter. 
Sunt enim novis erroribus nova confingenda vocabula.‘‘ — Man fieht, 





— 70 — 


Aber möchten ſie doch nur recht bald, wie ſie beabſichtigen, 
durch neue Sentenzen ihre Thorheit enthüllen, wie leicht würde 
es dir ſein, wendet er ſich an Luther, die zu vernichten, die 
da nicht einmal den Gegenſtand des Streites begreifen, ihre 
Sophismen, wie elendes Töpfergeſchirr mit dem Schilde der 
h. Schrift zu zerichlagen. Laß die Unſinnigen dich Keber. jchel- 
ten, wiffe nur, daß du in deiner Keberei viele Genoſſen haft. 
Ihm ſelbſt, Crotus, ſtehe es unzweifelhaft jet, daß nur der 
durch den Glauben Gerechtfertigte Zutritt zu Gott habe; möch— 
ten jene immerhin pochen auf ihre Verbienfte, ihm genüge ber 
Glaube an den, ber den Gottlofen von Schuld und Strafe 
befreie um ſeines Glaubens willen, und ein bemüthiges Ge 
ſtändniß feiner Miffethaten,; möchten des Papſtes Creaturen 
rühmen und preifen das unfehlbare Lehramt der Kirche, er 
halte fih an das Wort: eine Leuchte wirft du meinen Füßen 
fein, 9 Herr, und mir ein Licht auf meinen Megen. Dieſes 
Lichtes Schu und Schirm aber möge Luther übernehmen. 
„Zeige, Größter der Theologen, die Tugend”, ruft cr ihm zu, 
„die wir an dir verehren, offenbare den Untetjchted zwiſchen ver 
Creatur des Bapited und der Ereatur Gottes. Der König 
bat dich eingeführt in fein Gemach und dich mit Gelehrſamkeit 
audgerüjtet, damit du wifjeit, das Böſe zu verwerfen und das 
Gute zu wählen. Zwar. warft du mir fchon längſt bekannt, 
aber von Tage zu Tage ericheint mir dein Bild heller und 
glänzender. Eine Sonne ift ung aufgegangen nach dem Nebel 
ber Schulmeinungen. — Ich habe meinen Martin, weil ih 
jo viele Jahre feined Umganges nicht mehr genofjen, nicht ge 
nug zu würdigen gewußt. — Wohlen denn, trefflichiter Polyclet, 
führe und einen Triumphbogen auf über die befiegten Feinde 
aus dem lebendigen Marmor, der ift Jeſus Chriſtus. Er 
wolle dich bewahren vor dem Nachen des Löwen (ab ore 


wie ber alte Verfaſſer der Epp. Obse. ſich auch hier nicht verläugnen Fann, 
trotz feine biblifchen Gewandes! 





— 1 — 


Leonis) und vor ben Hörnern der einhörnigen Sophiften in 
alle Zeit”). 

Dann folgt dad Wichtigſte. Franz von Sickingen, der 
große Führer des deutichen Adels, habe ihn, Luther, nach Aus— 
jage Huttens, zu fich eingeladen; theologijche Muße, Sicherheit 
gegen feine Nachiteller, Alle? was er wünfche, werde er bei 
Sidingen finden. Ein fo großes Anerbieten fei nicht zu ver- 
ſchmähen, denn Nicht? ließen fich Die heiligen Väter in folchem 
Grade angelegen fein, al3 Luther des Schutzes feines Chur: 
fürften zu berauben, damit er gendthigt werde, zu den Böhmen 
zu flüchten ?); Ed werde es in Nom an Bemühungen nicht 
fehlen laſſen. „Daher trage Sorge, tft mein Rath, für bie 
Zukunft, jchreide an Sidingen, erhalte dir fein Wohlwollen. 
Durd einen einzigen für Reuchlin gefchriebenen Brief hat er 
die Dominicisten mehr geſchreckt, als ale Augfchreiben des 
Kaiſers und Papſtes.“ 

Als Crotus dieſes Schreiben abſandte, war Hutten, wie 
wir aus einer Nachſchrift erfahren, bereits von Bamberg auf— 
gebrochen?). Er beabſichtigte eine Reiſe in die Niederlande, 


— — 


1) Er bedient ſich hier des Vergleichs mit dem Bildhauer, weil Luther 
in allem Uebrigen ſchon das Beſte geleiſtet. „Nuper vidi pugilem Entellum 
cum senc Dareto congredientem in arena, (gebt auf den Streit mit 
Prieriad) deinde prodiisti venator alaccr capto sevo cApricorna, (auf 
den Streit mit Emfer) nunc graphice judicium theologisticum depingis 
(erfte Schrift gegen Lömener), quem te demum habebimus? In quo arti- 
ficio vis palma donari? mihi superesse videtur statuarius, Age ergo, 
optime Policlete, exprime nobis de victis hostibus arcus triumphales 
de marmore vivo, qui est Christus Jesus, qui te custodiat ab ore 
Leonis et 3 cornihbus unicornium sopbistarum per omne scculum,‘‘ 

2) „In nulla re tantopere axerrent ingeniym S. Patres, quam 
quod animum Friederici principis abs te alienent, ut, prcsidio omni 
exutus, tandem cogereris (sic) ad Bohemns confugere.‘ Nun verſteht 
man bie Aeuferung Luther? bei De Wette I, 465. 

s) „„Huttenus discedens jussit te salutare, proficisceitur ad Ferdi- 
nandum Careli regis fratrom, in cujus aulica familia, ut speramus, 
locum babebit, non sine tuo et raatorym studiorum commodo.““ 


— 72 — 


an ven Hof des Erzherzogs Ferdinand, um hier durch per: 
fönliche Weberredung für die Sache der Freiheit zu wirken t). 
Indeß noch ehe er diefen Plan ind Werk richtete, führte er 
einen andern aus, mit dem er fich ſchon längſt getragen, und 
in dem er jet durch den Vorgang des ſonſt bevächtigeren 
Freundes beftärkt worden. Er trat mit Luther in offene Ver: 
bindung. Unter dem Rufe „E83 Lebe die Freiheit!” richtete er 
von Mainz aus am 4. Juni das erjte Schreiben an Ruther ?). 
Er Fündigt fich ihm in den Ausdrücken der wärmjten Verehrung 
als feinen Bundesgenoſſen und Mitftreiter in Chrifto an, bringt 
nochmals Sickingens Wünjche in Erinnerung, ermuntert ihn 
zur Stanbhaftigkeit, fordert ihn auf, gemeinſame Cache mit 
ihm, Hutten, zu machen. „Set feft, ſtark und wanke nicht. An 
mir haft du einen Anhänger für jeden Fall. Darum wage 
e3, mir in Zufunft alle deine Pläne anzuvertrauen. Ber: 
fechten wir die gemeine Freiheit, befreien wir das ſchon Tange 
gefnechtete Vaterland. Gott haben wir auf unſerer Seite. 
Und ift Gott für und, wer mag wider ung fein? — Die Kölner 
und Löwener haben dich verurtbeilt. Das find jene teufliiche 
Rotten, die fich gegen die Wahrheit verjchworen. Aber wir 
wollen durchbrechen, mannbaft durchbrechen unter Chrifti 
Beiltand.” | 

So traten die gährenden Elemente des Zeitalters in ihren 
beiden vorgejchrittenften Vertretern im Jahre 1520 an ven 
Träger der Tirchlichen Oppofition heran. Hat diefer ihnen 
widerſtanden? Hat er das ihm angetragene Bünbniß abgelchnt? 


1) Melanchth. J. Hesso ‚‚Huttenus ad Ferdinandum Caroli fra- 
trem proficiscitur, viam facturus libertati per maximos principes. 
Quid non speramus igitur ?““ 8. Juni 1520. Corp. Ref. I, 201. — Bgl. 
auch Huttenus Martino Luthero d. d, Mog. 2 Non. Jun. 1520. Münd 
III, 576. „Hodie ad Ferdinandum abeo. Quicquid ibi putero, nostre 
bono, non cessabe.‘“ - - 

2) Hutt. Martino Luthero d. d. Mog. 2 Non. Jun. 1520. Der Brief 
erichien zu Wittenberg in Drud, abgebrudt bei Münch III, 57576. 





—_ 3 — 


IV. 


„Im zwanzigften Jahr”, fagt Matheſius, „griff Doctor 
Luther mit großem Ernft und Eifer nach Gotted Wort des 
Papite Hoheit und Kron und feinen fchrecklichen Gewalt an, 
den er mit feinem Banne geübt, und fähet an, bie alten [öb- 
lichen Deutjchen von der römiſchen und babylonifchen Gefäng- 
niß als der rechte Samfon zu erloͤſen“!). Es ift das Jahr 
1520, in dem Luther feine aufregenden Tlugjchriften Von des 
hriftlichen Standes Beſſerung an den Adel deutſcher Nation, 
Bon der Freiheit eined Chriftenmenfchen, Bon der babylonifchen 
Gefangenjchaft der Kirche ausgehen ließ. Er wendet fich zum 
erften Mal an die Maſſe: er redet in der Sprache des Volfez, 
er hat den ausſchließlich theologifhen Standpunkt aufgegeben, 
feine Ideen berühren Kirche und Staat, die großen Fragen ber 
Nation, feine Refornwvorfchläge ftellen im politifchen nicht minder, 
wie im Firchlichen Leben die durchgreifendften Veränderungen 
in Ausſicht. Rückſichtslos, mit unerhörter Kühnheit trägt er 
fie vor. Selbſt vor Krieg und Aufruhr bebt er nicht zurüd. 
„Ich beſchwöre Dich”, jchreibt er an einen Freund, „wenn Du 
dag Evangelium recht verftehjt, jo glaube ja nicht, daß deſſen 
Sache ohne Tumult, Aergerniß und Aufruhr geführt werben 
könne. Du wirft aus dem Schwerte feine Feder, au dem 
Kriege feinen Frieden machen: das Wort Gottes ift ein Schwert, 
ift ein Krieg, ift Zerjtörung, ift Aergerniß, ift Verderben, ift 
Gift, und, wie Amos jagt, wie der Bär auf dem Wege und 
wie die Löwin im Walde, fo tritt es den Söhnen Ephraim 
entgegen” 2). 

Es find die Wirkungen des von feinen beiden ftürmifchen 
Freunden ausgegangenen neuen Impulſes, die fich in dieſer 
leivenjchaftlihen Erhebung des. Reformators anfündigen. 


1) Mathefins 1. c. fol. 16 b. 
2) Luther an Spalatin, Februar 1520. De Wette I, 417, 


— 4 — 


Seit der Disputation von Leipzig hatte die Verbindung 
mit Männern, wie Erotus und Hutten, für Luther nichts Be 
denkliched mehr. In der Aufregung, in welche er durch den 
Ausgang, jenes Geſprächs verfeßt worden, war er für die ver 
wegenften Rathichläge empfänglih. Die inhaltfchweren Mahn: 
fhreiden des Crotus aus Bologna fanden deshalb feinen ganzen 
Beifall: er ließ fie im Kreife feiner Freunde verbreiten und 
ſäumte nicht, alsbald dem eifrigen Verfechter feiner Sache jen- 
jeit der Alpen ein Antwortfchreiben entgegenzufenden, obgleich 
Crotus felbit jeine Rückkehr als nahe bevorftehend angekündigt 
hatte !). Mit Hutten trat Luther fogar noch früher in Ber: 
bindung, als diefer felbft ven Teßten entfcheidenden Schritt gethan: 
fhon im Mai 1520, als Hutten für feinen Verkehr ſich noch 
der VBermittelung Melanchthons bediente, Tieß Luther ihn Briefe 
zulommen ?). An Sicingen ſchrieb er, wie Crotus gewünſcht, 
nicht bloß einmal, fondern allem Anfcheine nach wiederholt °). 

Daß Luther eben aus diefem Verkehr den Muth zu jenem 
tühnen, rückſichtsloſen Auftreten geſchöpft hat, ift nach feinen 
eigenen Aeußerungen unzweifelhaft. Bor Allem war es ber 
ihm von Erotuß wie von Hutten in Auzficht geftellte Schuß 


1) Vgl. Corp. Ref. I, 202; Miey 1. c. II, 12; Unſch. Nachr. Jahrg. 
1723. p. 707. 

2) Vgl. Luther an Spalatin 5. März 1520: ‚„„Hutteno, Fabricio, Pel- 
licano, Erasmo scriptum est ab utroque nostrum et multis aliis.“ 
De Wette I, 445. An benfelben am 31. März: ‚Mitte literas, mi Spa- 
latine, ad Huttenum, Siccingen, et Taubenheimum nostrum: tui quaeso 
sit officii, opportune eos curare.‘“ 1. c. I, 451. Auffallend, wie man 
diefe Stellen hat überfehen können. 

s) Bol. De Wette I, 451, 460. — Alle diefe Briefe an Crotus, Hutten, 
Sidingen find verloren gegangen; nur ben Inhalt des einen an Hutten 
gerichteten erfahren wir durch Cochläus: „De quo (scil. Sickingen) scrip- 
serat occulte ad Ulrichum Huttenum suum Lutherus, se plus confi- 
dentiae erga illum gerere, majoremque in eo spem habere, quam 
habeat in ullo sub coelo principe.‘“ De Actis et seriptis Martini 
Lutheri. fol. 86 b. — Ueber Huttens Verhältniß zu Wittenberg im Som: 
mer 1520 vgl. auch Corp. Ref. I, 201, 263, 264, 





— 75 — 


der Ritterſchaft, der ihn ermuthigte. „Franz von Sickingen“, 
ſchreibt er an einen ſeiner Ordensgenoſſen, „verheißt mir durch 
Hutten ſeinen Schutz gegen alle meine Widerſacher. Das 
Nämliche thut Silveſter von Schauenburg mit einigen fränki⸗ 
ſchen Adligen. Ich habe einen ſchönen Brief von ihm. Nun 
fürchte ich Nichts mehr, ſondern gebe jchen ein Buch in deutfcher 
Sprache gegen den Bapft heraus von des chrijtlichen Standes 
Beflerung” 1). „Silvefter von Schauenburg und Franz von 
Sickingen“, erflärt er mit der größten Offenheit im einem 
Schreiben an Spalatin, „haben mich von der Menichenfurcht 
befreit” 2). Im Vertrauen auf den Schub, den ihm die Her: 
bergen der Gerechtigfeit — wie Hutten die Burgen feines 
Freundes nannte — zur Stunde der Gefahr gewähren würden, 
wagt er es, Fühnlich feinen Gegnern Trotz zu bieten, Huttens 
Wahlſpruch zu dem jeinigen zu machen *), dem römifchen Papft, 
deſſen Gunft und Ungunft ex jet verachtet, offen den Fehde⸗ 
handſchuh Hinzuwerfen, „va nicht bloß in Böhmen, jondern 
mitten in Deutſchland Männer feien, die fich feiner annehmen 
würden.” 

Aber Luther empfing von diejer Seite nicht bloß den Muth, 
offen und kühn mit feinen Ideen heroorzutreten: Huttens und 
Crotus' Einfluß erftreckte ſich auch auf letztere ſelbſt. Es ift 
bezeichnend, daß die Vorftellung, der Papſt ſei der Antichrift, 
eben durch die Lectüre jener Schrift bei Luther hervorgerufen 
wurde, mit der Hutten feinen Feldzug gegen Rom eröffnete *). 


ı) Luther an Voigt 3. August 15%. De Wette 1, 475. Das Schreiben 
des Schauenburg d. d. Montag nach Corporis Christi bei Münd, Franz 
von Sidingen I, 173. 

2) De Wette I, 469. „Quia enim jam securum me fecit Silvester 
Schauenberg et Franciscus Siccingen ab hominum timore, succedere 
oportet daemonum quoque furoremn.‘“ 

2) „a me quidem, jacta mihi alea, contemtus est Romauss furor 
et favor: :nolo eis reconciliari neo communicari in perpetuum.‘‘ 
Luther an Spalstin 10. Juli 1520 1. ce. I, 466. 

2) Bol. De Wette I, 420. 


— 76 — 


Jener tiefe, leidenſchaftliche Haß gegen Nom und Papſt Tonnte 
erſt da in ihm aufkommen, als Crotus und Hutten wetteiferten, 
ihm in heimlichen und öffentlichen Schriften die Verſunkenheit 
und Schändlichkeit der Curie zu enthüllen ). — Indeß äußert 
ſich ihr Einfluß noch beſtimmter: es läßt ſich ſogar wahrnehmen, 
wie jeder von beiden in ſeiner eigenthümlichen Weiſe auf Luther 
eingewirkt hat. Es ſind, kann man ſagen, vornehmlich zwei 
Züge, die Luthers Auftreten im Jahre 1520 charakterifiren: 
die mwegwerfende. Verachtung gegen feine tbeologijchen Wider: 
facher und der Patriotismus, den er im feinen Volksſchriften 
zur Schau trägt: mit Geringſchätzung und Verachtung fchreitet 
er gleichjam über die theologifchen Gegner hinweg, um fid 
nunmehr mit feinem Anliegen an die Nation zu wenden. Wir 
fahen bereit, wie eben nach der eriten Richtung bin vorzugs- 
weife Crotus auf ihn einzuwirfen bemüht war, wie er burd 
bie gehäffigiten Schilderungen ihm mit dem Haſſe zugleich bie 
tiefite Verachtung gegen Prierias und feines Gleichen einzu: 
flößen juchte, und wie dem entfprechend die Tactik war, die er 
ihm anrieth. Die Art und Weife, wie Luther 1520 feine 
Gegner zu behandeln anfing, zeigt, daß die Bemühungen bes 
Crotus nicht erfolglos geblieben find. Die verächtliche Abfer: 
tigung des Silvefter Prierias, deſſen dritte Streitfchrift er 
jelbjt, mit einigen jpöttifchen Randgloffen verfeben, von Neuem 
herausgab, die Streitichrift gegen Latomus, den er durch 
wigige Ausfälle und komiſche Wortbildungen im Gefchmad 
der Epistolae obscurorum virorum dem allgemeinen Gefpötte 
preis gibt, laſſen auf das unzweideutigfte den Einfluß de 

Crotus und namentlich die Wirkung des bamberger Schreibens 


1) Die Schilderung, welche Luther in ber Borrebe zu bem liber tertius 
be Prierind von den römiſchen Zuftänden gibt, erinnert ben Leſer unwill⸗ 
fürlih an die früher erwähnte des Crotus. Man vergleiche 3. B. Luthers 
Aeußerung ‚‚Extincta in ea (Roma) jam dudum fides, proscriptum 
evangcelium, exul Christus‘ mit den früher angeführten Weußerungen bed 
Crotus über die römischen Zuſtände. 





— 17 — 


erkennen 1). — Indeß dürfen wir uns nicht darüber wundern, 
daß der Einfluß des Crotus ſo lange überſehen worden: er 
tritt in der That in den Hintergrund gegen die ungleich wich- 
tigere, folgenreichere und auch wahrnehmbarere Einwirkung, 
bie Luther durch Hutten erfuhr. Man muß gejtehen: recht 
eigentlich vom Hauche des Hutten’fchen Geiftes ergriffen, ſchrieb 
Zuther jeine Flugſchrift an den Adel deuticher Nation von des 
riftlihen Standes Beſſerung. Sie iſt jein offenes Kriegs⸗ 
manifeft gegen Nom, obſchon nur wenige Bogen ftark, die 
wichtigste Schrift des Reformatord, nicht bloß wegen der Fülle 
neuer reformatorifcher Gedanken, die fie entwickelt — Gedanken, 
welche die gefammte Hierarchie in ihren Grundlagen erjchüt- 
tern — jondern weil er bier zum erjten Mal jeinen Stanb- 
punkt entjchieden in den nationalen Ideen nimmt ?). „Lafiet 


1) Die Streitfchrift des Prierias: De jJuridica et irrefragabili veri- 
tate Romanae Ecclesiae Bomanique Pentificis liber tertius, index 
quidem longissimus, sed brevissimum epithoma gab Luther gleichzeitig 
mit dem Aufruf an den Adel heraus. In den beigefügten Randgloſſen ver: 
fucht ſich Luther zum erften Mal, nad) bem von Crotus aufgeftellten Satze: 
sunt novis erroribus nova confingenda vecabula, in bem Gebrauch bes 
Colonialiter, Lovanialiter, Sylvestraliter etc. Noch mehr verfällt er in 
diefen Ton in ber Schrift gegen Latomus: Rationis Latomianae pro in- 
cendiariis Lovaniensis Scholae sophistis redditae Lutheriana Confu- 
tatio, die außer den crotiniſchen Wortbilbungen Magistraliter, Latomia- 
liter, Latomaster u. dgl. auch mehrere crotinifche, dem bamberger Schreiben 
entlehnte Gedanken enthält. Der Einfhuß des Crotus ift hier um jo unver⸗ 
Tennbater, da eine frühere, denſelben Gegenftand behandelnde Streitfchrift gegen 
bie Lömener, bie noch vor bem Empfang des bamberger Schreibens verfaßt 
wurde, durchaus ernft und ruhig gehalten if. — Cochläus, dem dieſe Reue: 
rung in Luthers tbeologifher Kampfweife nicht entging, kannte ihre Duelle 
nicht, oder wollte fie nicht verrathen. Vgl. De actis et scriptis ad a. 1520 
fol. 22 b. — Indem Crotus Luther feine Gegner verachten lehrte, gab er 
ihm die Waffen in die Hand, die diefer fpäter gegen ihn ſelbſt Tehrte! 

2) Abgedruckt in der Wittenb. Ausgabe von Luther Werfen Theil VI, 
543 — 68. Die Debication ift datirt vom Abend St. ob. Baptiftä 1520, 
Erſchienen ift fie wohl erfi Anfangs Augufl. Vgl. De Wette I, 475. — Es 
ift bezeichnend für den Stanbpunft der Geſchichtſchreibung des Sleidanus, 
daß er von biefer Schrift fchweigt und Hutten ad a. 1523 mit wenigen 





— 78 — 


uns aufwachen lieben Deutſchen“, ruft er aus, „und Gott mehr 
gehorchen, denn die Menſchen fürchten, daß wir nicht theilhaftig 
werden aller armen Seelen, die ſo kläglich durch das ſchändlich 
teufeliſche Regiment der Roͤmer verloren worden.“ Er will 
die Nation befreien helfen von dem tyranniſchen unchriſtlichen 
Joche der Römer, rathend und ermunternd denen zur Geile 
ftehen, „die da mögen und geneigt find, deutjcher Nation zu 
helfen, wiederum chriftlich und frei zu werden, nach dem elenden, 
heidnifchen und unchriftlichen Regiment bed Papſtes.“ Sein 
Borbild aber ift Hutter. Es gejchieht im Geiſte Huttens, 
wenn er vor Allen den Stumpffinn der tollen und. trunfenen 
Deutichen beklagt, mit dem fie feither alle Erfindungen be} 
römischen „Raubjtuhl3” Hingenommen !). Wie Hutten, ſo iſt 
auch ihm das Papſtthum eine brücende Fremdherrſchaft, eine 
nicht Länger zu duldende politiiche Bevormundung beutjcher 
Nation. Auch er ſucht die alten Faiferlichen Antipathien gegen 
Rom neu zu beleben. Huttens Flugſchriften haben zum größten 
Theile den Stoff geliefert, wenn Ruther, der Mönch, fo berebt 
über die finanzielle Ausbeutung der deutfchen Gutmüthigfeit 
durch Indulgenzen, Annaten, Balliengelver, Türkenzehnten, 
Pfründerverleihungen zu fprechen weiß?). Es ift unmöglid, 


Worten abfertigt; „Inter alios Germaniae viros doctos, qui Luthero 
plurimum favebant, erat Ulrichus Huttenus Francus, nobili gemere 
natas: is huc anno sub exitum Augusti mensis, in Tigurisorum faibus 
mortem obiit. Extant quaedam ejus opuscula, quae magnaam ingenü 
libertatem et acrimoniam ostendunt.‘“ Vgl. J. Sleidani de state relig. 
et reip. comment. ed. Am Ende I, 214. 

ı) Die Dummheit und den Stumpffinn der Deutfihen gegemüber ben 
Betrügereien des Papſtes Lebt Hutten mit befonberer Vorliebe hervor; vgl. 
u. 9. feine Borrede zu der Schrift de Laurentius Valla. Münd IT, 415. 
— Auch die „tollen und vollen Deutſchen“ Luthers verbanfen Hutten ihren 
Urfprung. 

2) Sedenborf 1. c. I, 112 iſt erftaunt über bie außerorbentliche Sad: 
fenntniß, die Luther hier entwidelt. „Deinde remedia expendit adversus 
luxum, avaritiam, Simoniam ecclesiasticam, omnesque Romanae curiae 
defectns, quos longo ordine recenset: ut tantam rerum peritiam, noa 


— 9 — 


ben Einfluß des Ritters zu verfennen, wenn von ber Ser: 
ftörung, die Luthers Reformvorschläge über eine Neihe Firch- 
licher Inſtitutionen verhängen, die Domftifter, als nothwendige 
Berforgungsanftalten für den Adel ausprüdlich ausgenommen 
werden !). Und tritt diefer nicht Schon dadurch deutlich genug 
hervor, daß eben dem Ritterftande, deſſen Organ Hutten in 
diejem Augenblicke war, das Werk der Reformation aufgetragen 
wird? „Gott. gebe und Allen”, fchließt der Aufruf, „einen 
hriftlichen Verſtand und ſonderlich dem chriftlichen Adel deutſcher 
Nation einen rechten geiftlichen Muth, der armen Kirche das 
Beite zu thun!” 

Faſt drei Jahre hatte Ruther feine Sache mit den Waffen 
theologijcher Gelehrſamkeit verfochten, unbeirrt durch Die zu 
feinen Gunften wirffamen Elemente der nationalen Oppojition: 
nun eignet er fie ſich in ihrer radikalſten Geftalt an. Wohl 
erkannte er dag Bebdenfliche eines ſolchen Schrittes, wohlmei- 
nende Freunde warnten ihn, aber Haß und Xeidenjchaft trieb 
ihn dazu, feine theologifchen Ueberzeugungen rechtfertigten ihn. 
„Bir find bier überzeugt”, ſchrieb er in jenen Tagen an Lange 
in Erfurt, dem der Aufruf an den Abel einige Bejorgniß erregte, 
„daß das Papſtthum ver Sit des wahren und wirklichen Anti- 
chriſts tft, und halten dafür, daß und zur Hintergehung und 
zum Verderben desfelben, um des Heiles der Seelen willen, 
Alles erlaubt it” 2). 


nisi cum admiratione ia homine monacho et scholae atque Cathedrag 
addicto cognoscere liceat,“ Kine VBergleihung ber Luther'ſchen Schrift 
mit der Trins Romana würde das Erftaunen einigermaßen vermindert haben. 

1) „Sch rede aber hie mit nichte von den alten Stifften vnd Thümen, 
welche on zweivel darauff find geftifft, das, dieweil nicht ein iglich Kind vom 
adel Erbeſitzer vnd Negierer fein fol, nach deudſcher Nation. jitten in. benjelben 
Stifften möcht verforgt werben, vnd alda Gott frey dienen, ſtudiren und gelert 
Leut werden und machen.” Wittenb. Ausg. VI, 561 b. 

2) Luther an Lange 18. Auguft 1520. De Wette I, 478. 


— 9 — 


V. 


Es hatte im Sommer 1520 den Anſchein, als würden 
Huttens Ideen in der Nation zur Herrſchaft gelangen. Die 
Zuſtände im Reich konnten kaum günſtiger ſein. Das neuge— 
wählte Oberhaupt war noch abweſend und bei dem Mangel 
einer durchgreifenden Reichsregierung fanden demagogiſche Wüh— 
lereien jeder Art ein offenes Feld. Von Karl V. ſelbſt hoffte 
die Bewegungspartei Gutes. Es liefen Gerüchte umher von 
einer Spannung zwiſchen Kaiſer und Papſt, der bald ein of— 
fener Kampf folgen werde‘). Luthers Aufruf an den Adel 
hatte eine ungeheure Wirkung hervorgebracht: in wenigen 
Wochen wurden viertaufend Eremplare vergriffen ?). Sp weit 
ging der Theologe zwar nicht, daß er, wie Hutten gewünjct, 
geradezu jeinen Wohnfig unter der revolutionären Ritterjchaft 
genommen hätte, aber er blieb doch dem Geijte, der fich in dem 
Aufruf an den Adel angefündigt hatte, getreu. Selbſt die ver- 
wegenften Anjchläge des Ritters ſchreckten ihn nicht zurüd°). 
In den Flugichriften, welche er in der nächiten Zeit ausgehen 
Tieß, entwicdelte er eine Kraft und Fülle volfsthümlicher Be: 
redſamkeit, die Alles unmiderjtehlich mit ſich fortriß %). Ge 


1) Vgl. Cochlaeus 1. c. 18 a. ‚‚Inter Carolum et Leonem noa 
arclam fore amicitiam omnes arbitrantur‘‘, jchrieb Hutten noch im Ro: 
vember an Bucer (Zeitſchr. für hiſtor. Theologie Jahrg. 1855 p. 621), und 
an Luther fogar noch im December: ‚‚Futurum, nonnulli arbitrantur, 
magnae Inter utrumque infensionis hoc tempore initium. Münd EI, 
618. So ganz grundlos waren jene Gerüchte nicht. Vgl. Ranke ı, 872. 

2) Vgl. De Wette I, 478, 480. 

3) Billigte er doch fogar Huttend mörderiſche Anſchläge auf das Leben 
des päpftlichen Legater. „Gaudeo Huttenum prodiisse, atque utivam 
Marinum aut Aleandrum intercepisset‘“ an Spalatin 13. Novbr. 15%. 
De Wette I, 523, 

+) Der Abfab feiner Schriften war ungeheuer: ‚„‚Nihil frequentius 
emitur, nihil cupidius legitur, nihil diligentius tractatur‘‘, fchrieb 
Spalatin im September 1520 von Frankfurt aus an Mutian. Bgl. 








— 31 — 


räufchlofer und weniger bemerkt diente Erotuß, der Humanift, 
welcher inzwiihen Banıberg mit Fulda vertaufcht hatte, der 
gemeinfamen Sache: als geheimer Agent. Seine Waffe war 
immer die namenlofe Satire gewelen: fie blieb es auch jetzt ’). 
Der Thätigfte war Hutten felbjt, der Unermüdliche. Nad) 
jenem erſten Schreiben an Luther trat er ungeläumt die Reife 
nad Brabant au, um den jungen Erzherzog für die Sache 
der Freiheit zu gewinnen. Die wenig verjprechende Aufnahme, 
welche er am brüjjeler Hofe fand, entmuthigte ihn nicht. Voll 
von feinen Entwürfen finden wir ihn nach feiner Ruͤckkehr 
auf neuen Kreuz: und Duerzügen in ben Rhein: und Main- 
gegenden. In Tulda hielt er mit Crotus abermals eine Zu- 
jammenfunft 2). Schon im Mai hatte er eine neue Schrift 
für „die gute Sache” veröffentlicht: eine Samınlung von Senb- 
Ichreiben aus der Zeit des großen Schisma's, die ihm in Bop⸗ 
pard in die Hände gefallen war, nebjt einer Vorrede, „an alle 
Freien in Deutſchland“ ?). „Schon ift die Art an die Wurzel 
gelegt”, verkündet er ihnen, „und ausgerottet wird jeder Baum, 
ber nicht gute Frucht bringt, und de Herm Weinberg ge- 


Tertius lib. epp. Rob. C 5a. Ein einziger Buchhändler verkaufte auf einer 
franffurter Meſſe 15% allein 1400 Eremplare von Luthers Schriften. 

ı) Er felbft jagt von ben Jahre 1520: „Fuit mihi is annus incon- 
stantissimus“, weil ed ihm fo wenig Ruhe vergönnt habe. Vgl. Crotus an 
Luther 5. December 1520, abgebr. in Unſch. Nachr. Jahrgang 1723 p. 708. 
ebenfalls kurze Zeit nach dem bamberger Aufenthalt muß er da3 Conei- 
liabulum Theologistarum adversus Germaniac et honnrum Jitterarum 
studiosos Coloniae eelebratum (Münd VI, 377— 89) gefchrieben haben, 
das fih dur Inhalt und Auffaffung als fein Erzeugniß charalterijirt: es 
gibt die Stimmung, in der er fi) in Bamberg befand, trefflich wieder. 

2) „„Sedit meenm (Huttenus) Vuldae V dies, paucos post dies, 
ubi cum Hogstrato fuerat congressus. Crotus an Luther 1 c. p. 707. 

3) De schismate extinguendo et vera ecclesiastica libertate ad- 
serenda epistolae aliquot mirum in modum liberae et veritatis studio 
strenune. Cum Praef, ad liberos in Germania ones, Die Vorrede 
(bei Münch III, 561—64) ift -batirt Inter equitandum VI Cal. Jun. 1520 
und fchliegt mit dem Vive lihertas! Jacta est alen! 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. II Tbeit. 6 


— 82 — 


reinigt werden. Das ſollet ihr nicht mehr hoffen, ſondern in 
Kurzem mit Augen ſehen. Inzwiſchen ſeid guten Muths, ihr 
deutſchen Männer, und muntert euch gegenſeitig auf. Nicht 
unerfahren, nicht ſchwach find eure Führer zur Wiedererlangung 
ber Freiheit“ 1). 

Es war gewiß nicht zu verwundern, wenn man in Rom, 
wie gegen Luther, ſo auch gegen Hutten einſchreiten zu müſſen 
glaubte. Am Sommer 1520 empfing der Erzbiſchof Albrecht 
von Mainz, des Ritter? bisheriger Gönner, ein päpftlichez 
Breve, das ihn, unter Hinweifung auf Huttens kirchenfeind⸗ 
liche Thätigkeit, aufforderte, dem Treiben desſelben ein Ziel zu 
jeßen und nöthigenfall® mit Strenge gegen ihn zu verfahren ?). 
Diefer Vorgang, über den Hutten felbjt die ungeheuerlichften 
Gerüchte in Umlauf jebte?), fteigerte feinen SIngrimm und 
Haß auf's Höchſte. Nun fei es, jchrieb er an einen Freund, 
mit feiner Milde zu Ende, denn er jehe, daß die römischen 
Leuen nach Blut lechzten *). In einer Reihe von Öffentlichen 
Senbichreiben, bie er im Monat Septeniber auf den Burgen 
jeined Sickingen abfaßte, rief er bie gefammte Nation, Kaifer, 





1) Münd It, 563. 

2) Das Breve (batirt vom 12. Juli 1520) ift abgedr. bei Mieg 1. c. Il, 
47—48 und Münch III, 567—68. Die Ausdrüde find mild genug gewählt: 
Hortamur circumspectionem Tuam ... . ut talium compressa teme- 
rFitate, quae in hanc sedem iniquis animis efferuntur, aut ad modestiam 
se convertant, aut ea in maledicos indicia severitatis tuae edantur, 
quae ct ipsos et caeteros possint a tanta petulantia coercere.‘‘ 

3) Vgl. Luther an Spalat. 11. Sept. 1520. ‚‚Hutten literas ad me 
dedit ingenti spiritu aestuantes in Rom. Pontificem, scribens se jam 
et literis et armis in tyrannidem sacerdotalem ruere: motus, quod 
Pontifex sicas et venenum ei intentarit ac Episcopo Moguntino man- 
darit, captum et vinctum Romam mittere.“ De Wette I, 486. Das 
Breve jagt bavon Nichts. Luther war um dieſe Zeit nahe daran, ſich rüd: 
haltlo mit Hutten zu verbinden. 1. c. 

*) Hutt. Capitoni d. d. Gelnhausen 6 Jd. Aug. Zeitfchr. für Hill. 
Theol. 1855 p. 627. — Der ganze „päpftliche Anfchlag auf Huttens Freiheit 
und Leben“ beruht auf Huttens Ausfagen! 





— 83 — 


Fürſten und alle freien deutſchen Männer auf, ihm. gegen 
Roms blutige Anschläge beizuftehen, nun endlich dag entehrende, 
tyrannifche Zoch des Papftes, der nie Anderes, als daS Ber: 
berben der Nation bezwect, abzufchütteln. In dem Send: 
Tchreiben an den Kaifer — dem erſten in der Reihe — ftellt 
er feine Sache als die des Kaiferd dar, den Haß der Roma- 
niften gegen ihn als eine Kolge feiner Faiferlichen Geſinnung, 
bes römifchen Papſtes Herrichaft als eine Schmach deutſcher 
Nation, die auszutilgen Karl V. durch die göttliche Vor: 
jehung berufen jei!). Noch Leivenfchaftlicher ift feine Sprache 
in dem zweiten Sendjchreiben, das an Luthers Gönner, Trieb: 
rich den Weifen, gerichtet iſt. „Kann dieſe Tyrannei noch ärger 
werden”, ruft er ihm zu, „muß fie nicht zufammenjtürzen? 
Aber wer joll dies bewirken? Gott! Freilich Gott, aber doch, 
wie immer, durch menjchlihe Hände. Und wie verhaltet ihr 
euch dabei, ihr Fürſten? — Was gibts Erbärmlicheres für 
unſere Nation, die Königin ‘der Völker, ald einem Fremden 
bienjtbar fein und noch dazu müffigen Pfaffen! Lieber ben 
Türken unterthan fein, bie doch Männer ſind!“ Den Schluß 
bildet das Sendſchreiben „an' die Deutſchen aller Stände“, 
dad er durch öffentlichen Anſchlag bekannt machen ließ 2). 
„hut die Augen auf ihr Deutjchen”, jo faßt er gegen 
dag Ende den Hauptinhalt zufammen, „und ſehet, wer es iſt, 
ber euch daheim beraubt und auswärts in üblen Ruf bringt, 
und von allem Unglüd, allem Elend bei euch die Schuld trägt. 
Es find die nichtöwürdigen Ablaßfrämer, die heillofen Ver: 
faufer von Gnaden, Dispenfationen, Abfolutionen und jeg— 
licher Art von Bullen, die einen Handel mit heiligen Dingen 
in die Kirche Gottes eingeführt haben, während Ehriftug Käufer 
und Verkäufer aus den Tempel hinaustried. Sie find bie 


2) „Te singulari quadam erga patriam hanc misericardia et benig- 
nitate Christus nfisit, Carole Auguste, qui inspicias haec quique 
emendes.“ Münd II, 5%. u 

2) Bol. Münch V, 416. 

6* 


— 84 — 


Werkmeiſter alles Trugs, die Erfinder der Ränke, die Urheber 
der Knechtſchaft und Gefangenſchaft dieſes Volks.“ — „Laſſet 
und zerreiſſen ihre Feſſeln“, ſchließft er mit den Worten des 
Pſalmiſten, „und von und werfen ihr Joch!“) 

ALS Luther diefe Sendfchreiben durch Erotuß "empfing, 
meinte er, nun müſſe das bisher unbefiegte Papſtthum zu- 
jammenftürzen, oder der jüngite Tag ftehe vor der Thür ?). 
Gleichwohl ift außer Trage, daß. er felbjt durch feine letzten 
Flugſchriften mehr zur Erfchütterung desſelben beigetragen, 
als Huttens aufregende Sendjchreiben. Luther ſchrieb deutſch. 
Hutten Hatte fich either ausfchließlich der Tateinifchen Sprade 
bedient: die Wirfung feiner Schriften blieb größtentheil3 auf 
bie Gebildeten beſchränkt. Dies konnte ſich Hutten jelbjt nicht 
verbergen, und fo faßte er im Herbſt 1520 den Entichluß, wie 
er vorher fchon im Geifte Luther? Bibelfprüche und Kirchen 
väter an die Stelle der claſſiſchen Autoren hatte treten Laffen, 
fo nun auch nach Luthers Vorgang, fih an die Nation in 
ihrer eigenen Sprache zu wenden: 


Latein ich vor gefchrieben hab, 
Das was eim jeben nit befannt: 
Jetzt fchrei ich an dag Vaterland, 
Teutſch Nation in ihrer Eprach, 
Zu bringen diefen Dingen Rad °). 


Noch vor Ablauf des Jahres erjchien feine deutſche Klag 
und VBermahnung gegen den unchriftlichen Gewalt des Pap- 
ſtes und der ungeiftlichen Geiftlihen +). Es ift eine Zuſam— 


ı) Die Sammlung biefer Sendfchreiben, zu denen noch zwei Fleinere an 
Albrecht von Mainz und deifen Rath Sebaftian von Rotenhan kommen — 
da8 an Luther ift verloren gegangen — erfchien im October 1520. Abgebr. 
bei Münch 1. c. III, 577—616. 

2) Val. Luther an Spalatin 15. December 15%. De Wette I, 533. 

s) Mitnch V, 66. 

*) lag vnd vormanung gegen bem übermäſſigem undhriftlichen gewalt 
des Bapſis zu Nom vnd ber üungeiftlichen geiftlichen, durch Herren Vlrichen 











— 85 — 


menfaſſung alles deſſen, was er in ſeinen verſchiedenen latei⸗ 
niſchen Schriften zur Aufregung der Nation veröffentlicht hatte, 
vielleicht die heftigſte unter ſeinen Schriften, „ein zorniger 
Spruch“, wie er ſie ſelbſt nannte. Alles, was er jemals über 
Roms Sittenloſigkeit und Tyrannei, über römiſches Curtiſanen⸗ 
weſen und Deutſchlands Erniedrigung geſchrieben hatte, wird 
hier nachträglich auch dem gemeinen Manne in ſeiner Sprache 
vorgelegt, daran aber, ungeſtümer, als je zuvor, die Auf— 
forderung geknüpft, jetzt endlich, nachdem die Sache der Nation 
zwei Sprecher gefunden — Hutten und Luther — ſich zu er- 
mannen und Deutjchland von der Pfaffenherrichaft zu befreien. 
Hutten trägt fein Bedenken, geradezu eine bewaffnete Erhebung 
der Nation zu fordern. Herzu, heißt es gegen Schluß, 
Herzu ihr frommen Teutfchen al, 
Mit Gottes Hilf der Wahrheit Schal! 
Ihr Landsknecht und ihr Reuter gut 
Und al die haben freien Muth! 
Den Aberglauben tilgen wir, 
Die Wahrheit wieberbringen bier, 
Und d’weil das nit mag fein in gut 
So muß «8 Toten aber Blut). 


Eine zweite deutſche Schrift hat den Zwed, den Kaiſer, auf 
deſſen Beiftand er auch jetzt noch hofft ?), über feinen wahren 








von Hutten, Poeten und Drator, der ganken Chriftenheit und zuuorann bem 
vatterland Teutſcher Nation zu nutz vnd gut ꝛc. in Reymens weyß befchriben 
— wahrjeinlih in November 1520 erjchienen. Abgebr. bei Münd 1. c. 
V, 59—101. Ueber die Mißhandlung bes Tertes dur Münch vgl. Strauß 
II, 104. 


ı) Mind V, 8. 
2) So heißt e& in ber Vermahnung 1. c. 76: 
So hoff ih zu Küng Carlus Muth, 
Daß ſey in ihm ein teutfches Blut, 
Und werd mit Ehren üben fi 
Dem Bapft entgegen gewaltiglich 
Und nehmen ab von feinem Fuß 
Die Krone nit; ich hoff’ er thu's u. f. w. 


— 86 — 


Beruf aufzuklären: ihm „aus Chroniken und Hiſtorien“ vor: 
zuführen, wie bie deutſchen Kaiſer von den Päpſten noch nie 
Billiges, fondern immer nur Verrath, Betrug und Undank er- 
fahren haben). Dann begann er feine frühern Yateinifchen 
Schriften in's Deutfche zu überfegen. In Kurzem lag jene 
aufregende Gefprächfammlung vom April in deutfcher Bear: 
beitung dem Volke vor?). Auf dem Titelbilde erblidte man 
Luther und Hutten neben einander, als die beiden Helden der 
Nation. 

Und da waren fie in biefem Augenblide in der That. Schon 
erfchienen fte auch in andern Flugichriften vereint al3 Die beiden 
von Gott erweckten Befreier des deutſchen Volkes?). Ihre Sache 
erichten ald die nämliche. War Luther durch Hutten in bie 
Tendenzen der nationalen Oppofition eingeführt worden, jo trat 
andrerfeit3 bei Hutten der Einfluß der neuen religiöjfen Ideen 


1) „Anzoig Wie allwenen fich die Nömifchen Biſchöff oder Bäpſt aegen 
ben teutfchen Kayßeren gehalten haben“, nach einer fpätern Ausgabe abgebt. 
bi Minh v,10 ff. 

2) Bei Münch V, 157— 365. 

3) Bol. Oratio ad Carulum nıax, Augustum et Germanos Prin- 
cipes pro Ulricho Hutteno eq. G. et Martino Luthero patriae e& 
Christianae libertatis Adsertoribus Authore S. Abydeno Corallo. Ab: 
gebruckt bei Münd, VI, 520—30. „Quum eo prolaberentur res nostrae“‘, 
heißt e8 im Eingang, „ut neque spes esset ultra potiundae libertatis, 
et rapiendi (von den Romaniften) neque modus esset neque finis, pro- 
videntia quadam et dei optimi maximi dispensatione haec aetas duos 
prudentissimos et eloquentissimos viros nobis produxit, Marlinum 
Lxther, praeter insignem eruditinnem mirae pietatis, et alterum Ul- 
richum Hutten, equitem Germanum, militarem hominem, sed qui inter 
militandum etiam optimas literas non neglexerit: ut nescias, cui stre- 
nuius militaverit, bellone an litteris. His indignum simülque intole- 
rabilc visum est, qui diutius serviamus et jugum illud Pharäonicum 
nisi sunt abrumpere etc. 1. c. 520—21. — AB Oreſtes und Pylades 
erihjeinen Luther und Hutten vereint in der Litaneia Germanorum (Bol 
Strauß I, 183); als die „zwen Gottes Botten“ werben fie gemeinfchaftlich 
dem Schutze des Kaiſers empfohlen in der Kläglichen Klag an ben chriftlichen 
römifchen Kaifer Carolum von wegen Doctor Luther vnd Ulrich von Hutten’ 
bei Mündy VI, 592—45, 





— 87 — 


von Tag zu Tag unverkennbarer hervor: ſeine Sprache wurde 
immer bibliſcher, ſeine Freiheitsidern nahmen immer mehr die 
evangeliſche Geſtalt an. Das Erſcheinen der päpftlichen Bulle 
gegen Luther verſetzte dieſen ſelbſt kaum in größere Aufregung, 
als ſeinen geharniichten Bundesgenofjen. Während Luther 
feiner Erbitterung in mehreren heftigen Invectiven gegen „die 
Bulle de Antichriſts“ Luft machte), verfah Hutten den päpft- 
lichen Spruch mit einem Eommentar, der ihn dem allgemeinen 
Hohne preiß gab, und beſchwor die Nation, bie neue, durch 
Luthers VBerdammung, dem deutfchen Namen zugefügte Schmach 
nicht ungerächt zu laſſen?). Da blieb auch der Dritte im 
Bunde, der Humanift, nicht zurück: in einer an Kaifer und 
Reich gerichteten Rede nahm Erotus den Verkünder der evan- 
geliſchen Wahrheit gegen den römischen Löwen in Schuß ?). 
So vereinigten ſich die religiöſe, politiiche und humaniſtiſche 
Dppofition zum gemeinfamen Kampfe gegen Nom. A’ ver 
Zündftoff, der im Laufe des letzten Jahrhunderte in ber 
Kation ſich gejammelt Hatte, loderte jest in einer einzigen 
Flamme empor. Das von Rom unterdrüdte Evangelium war 
die alle oppofitionellen Elemente verbindende Loſung geworden. 
Und immer inniger wurbe das Bundniß. Am 5. Decem- 


1) Widder bie Bullen des Endchriſts. Von den newen Eckiſchen Bullen 
vnd Lugen u. a. Vol. Wittenb. Ausg. VII, 49 ff. 99 fi. 135 ff. 

2) Bulla Decimi Leonis contra errores Mart. Lutheri et sequa- 
cium bei Münd IV, 5-46. — ‚‚Huttenus bullam postulavis salsiesimis 
notis in Papam et varia in hanc rem meditatur‘‘, fehrieb Luther darüber 
an Spalatin. De Wette I, 542. 

3) Oratio Constantini Eubuli Moventini de virtute clavium et 
bulla condemnatoria Leonis Deeimi contra Mart. Lutherum ad Imp. 
Carolum ac Priscipes Germaniae bei Münch VI, 504—18. Schon 
Burfhard (1. c. IH, 312) und Panzer (Ulrich von Hutten in literar. Hinf. 
p. 204) hielten Crotus für den Verfafler diefer Mede. Daß Erotus einer jo 
ernften Sprache, wie fie in diefer Rede vorherrſcht, wohl fähig war, zeigt das 
größere bolognefer Schreiben hinlänglich, und in ber häufigen Hervorhebung 
ber Blindheit ber Theologen, bie Anderen mit ihrem Kichte vorangehen follten, 
erfennen wir den Lieblingdgebanfen bed Crotus wieber. 


— 88 — 


ber 1520 richtete Crotus ſein drittes größeres Sendſchreiben 
an Luther!). In keinem der frühern hatie er die Größe und 
den hohen Sinn des Reformators jo überjchwenglich gepriefen, 
al? es in dieſem gejchieht. Er nennt ihn den „beiligiten Hohen: 
priefter”, „ven Evangeliften, den die himmlische Gnade dieſem 
verdorbenen Zeitalter gejchenft”, betheuert ihm auf's Neue feine- 
unbedingte Anhänglichkeit und Mitwirkung?), nur Ein3 mache 
ihm Sorge: daß nämlich Luther in feinem evangelifchen Eifer 
fich zu jehr den Gefahren auzfege, er ermahne ihn, mehr auf 
feine Sicherheit bedacht zu fein, fein theures Leben der Welt 
zu erhalten, denn eines jolchen Mannes VBerluft würde nicht 
jo bald zu erjeßen fein. — Bier Tage fpäter ſchrieb aud 
Hutten an „den unbefiegbaren Herold des göttlichen Wortes, 
Martin Ruther, feinen theuerften Bruder und Freund” *). Zwar 
jet, eröffnete er ihm, der Aberglaube noch groß, aber ihn ent- 
muthige das nicht. Eine feite Stüte habe ihre Sache in Franz 
von Sickingen gefunden, der entjchloffen fei, Gut und Blut 
für die Wahrheit einzufeßen. Auch jtehe derjelbe bei dem Kaifer 


!) Epistola Croti Rubiani doctissimi ac pientissimi viri ad De- 
ctorem Martiaum Lutherum. Wittenbergae 1521. 8°. (Wahrjcheinlid 
durch) Luther zum Druc befördert — jedenfalls ift der Drud ein Beweis, 
dag man in Wittenberg dag Schreiben für fehr wichtig hielt). Abgedr. in 
den Unfch. Nachr. Jahrg. 1723 p. 704—8. Der Brief ift d. d. Erfurdiae 
in pervigiliis Nicolai 1520. 

2) „„Lusimus quaedam de Brachio domini contra Brachium sae- 
culare, quod invocant, qui nil impium non invocant.‘“ Auf welche 
feiner Satiren er damit anfpielt, it nicht Mar, merfwürdig nur, daß Hutten 
in feinem faft gleichzeitigen Schreiben an Luther (Mündy III, 619) von einer 
ſeiner Schriften in den nämlichen Ausbrüden fpriht: simul saeculare 
brachium tracto. — Uebrigens kann Crotus auch bier im Strome luthe⸗ 
rifher Begeijterung den alten Humaniften nicht verliugnen, ber durch bie 
Hinweifung auf feine in ber reuchlinifchen Fehde gemachten Erfahrungen und 
beſonders durch die gehäffigen Ausfälle gegen die Cölner (Colonienses mei 
nennt er fie, während Ed Eccius taus genannt wird) recht deutlich bervortritt. 

3) Verbi divini praeconi invictissimo, Martino Luthero, fratri et 
amico dilectissimo Ulrichus Huttenus S. Ex Ebernburge V Jd. Dec. 
1520 bei Münd III, 617—20. 





— 9 — 


in hohem Anfehen und babe noch Hoffnung, daß Karl V. 
auf dem nächſten NeichStage die Treulofigkeit der Päpſte ein- 
jeben und fih von ihnen abwenden werde. Möge Luther 
inzwifchen feitftehen und bei der Wahrheit ausharren. Das 
Verbrennen feiner Schriften, womit jüngft päpftliche Legaten 
den Anfang gemacht, Ichade ihm nicht, erböhe vielmehr noch 
den Eifer der Shrigen: in Mainz fei Aleander fait gejteinigt 
worben. Auf der Ebernburg fei der Name Luther Allen ein 
ehrwürbiger. — Zugleich überjendet er ihm feine letzten Schrif- 
ten 1), die er bald durch neue zu vermehren verfpricht, und 
kündigt ihm feinen nahen Beſuch in Wittenberg an, denn nicht 
länger könne er ſich enthalten, einen Mann, ven er fo hoch— 
Ihäße, von Angeficht zu Angeficht kennen zu lernen. 

Sm diefen Tagen that Luther ven lebten entjcheidenden 
Schritt. Es war am 10. December 1520, als er vor dem 
Elſterthor von Wittenberg die päpftliche Bulle nebjt ven De- 
cretalen, „weil fie den Heiligen des Herrn betrübt”, den Flam— 
men übergab. „Hoch vonnöthen wäre es“, äußerte er des 
-andern Tages vor feinen Zuhörern, „daß der Papſt, d. i. der 
römifche Stuhl ſammt allen jeinen Lehren und Gräueln ver- 
brannt würde.” Ä 


vi 


Als Erotug das letzte Schreiben an Luther richtete, war 
in feiner äußern Lage bereit3 eine jehr wichtige Veränderung 
vorgegangen. Im Herbit 1520 Hatte er Fulda verlafien, um 
feine alten, feit mehr als drei Sahre nicht gejehenen Freunde 
in Erfurt zu begrüßen. Es war im October, al3 Crotus hier 


— — — — — — 


1) Hutten hofft, daß Luther ſeine Schriften in Wittenberg neu auflegen 
werde: „Quia suspicatus sum, scripta mer curaturum te denuo istic 
edi, mitto exemplaria emendatiora, unde describantur per notarium.‘“ 
l. c. III, 620. 


— 0 — 


ankam, eben um die Zeit der Nectorwahl: den Neuangelom- 
menen wählte die Univerfität zu ihrem Oberhaupte *). 

Der Vorfall zeigt, daß die Schule hinter ihren Zöglingen 
nicht zurücdgeblieben war?). Immer zu Streit und Kampf 
bereit, war fte ihnen bald auf den neugeöffneten Bahnen gefolgt. 

Wohl Hatten fih Stimmen dagegen erhoben. Gerade bie 
beiden Männer, deren Anjehen bisher in Erfurt entjcheidend 
gewefen war, Mutian und Erasmus, wurden durch die Bor 
gange im Sommer 1520 zurückgeſchreckt und begannen umzu⸗ 
lenken. Mutian zog fi von Crotus, Erasmus von Hutten 
zurück?), beide zeigten ſich unzufrieden über Luthers Teiden- 
Schaftliches Auftreten“). Aber Mutian hatte bereits der Führer: 
Schaft entfagt, und de Erasmus Mahnungen zur Mäpigung 
und Bejonnenheit wurden übertönt von Huttens und Luther 
begeiftertem Freiheitärufe. Wozu Hutten jchon das Jahr zuvor 
aufgefordert hatte: mitzuarbeiten an Deutſchlands Befreiung, 
bazu entichloß man ſich, als Luther diefelbe Sprache führte 








!) Anno 1520 a natali Christiano 15 Cal. Novemb. Rector huic 
augustue Scholae Erphordianae vir humanitate pietateque insignis 
Joannes Crotus Rubianus bonarum artium Magister ac sacrarum 
literarum professor renunciatus est... .. Biduo ante intraverat 
urbem Crotus salutandi veteres amicos ergo, reversus nuper ex Italia, 
quam ob ingenii cultum continuo triennia perlustraverat. Erf. Univ. 
Matr. ad a. 1520. 

3) Es ift bemerkenswerth, daß Crotus in feinen Briefen an Luther bie 
erf. Univ. als „schola nostra“, bie Erfurter als „‚Erffurdenses nostri“ 
bezeichnet. 

3) Vgl. Crotus an Luther 5. Dec. 1520. Unſch. Nachr. 1723 p. 708. 
Hutten an Erasmus 15. Aug. 1520. Zeitfehr. für hiſtor. Theol. 1855 p. 630. 
Mutian hatte fi von Hutten ſchon 1519 zurüdgezogen, wenigftens Hagt 
diefer darüber: „Quid ille istic vero Mutianus? in totum credo ex ami- 
corum suorum albo Hutteni nomen adcmit, ita nil scribit, nihil sig- 
nificatione etiam ulla testatur, quo non iratus mihi sit.“ Huttenus 
Eobano et Petrejo 3 Non. Aug. 1519. Munch III, 220. 

*) Bol. Lauze's Chronik in der Zeitfcheift für heſſ. Geſch. 2 Supkl 
2 Th. I, 122. Erasmus Rectori inolitae Scholne Erphurdiensis d. d. 
Lovan. prid. Cal. Aug. 1520. Erasmi Epp. p. 417. 


— 1 — 


und durd den Aufruf an den Adel, wie Lange fagte, dag 
Signal zum Angriffe gab. Der Eifer für die evangelifche 
Wahrheit wird zum Eifer für die evangelifche Freiheit, der 
Kampf gegen Firchliche Mißftände zum Kampf gegen die römischen 
Eurtifanen und Unterdrücker der deutſchen Nation. Euricius 
Cordus fpricht in feinen Epigrammen aus diefer Zeit über 
Roms Ruchlofigfeit und Sünden gegen Deutjchland in einer 
Weiſe, die an die Hutten’fche erinnert und ihr wenig nachgibt 1). 
Eoban fieht ih den heutigen Römern die wahren Türken, gegen 
die man zuerſt die Waffen ergreifen müffe, in der Gebuld, mit 
der man bisher ihr Auch ertragen, die größte Schmach des 
deutſchen Namens, in Luther aber ven „deutſchen“ Mann, der 
die Nation von diefer Schmach beffeien werde. Luthers Sache 
ift die nationale ?). In diefem patriotiichen Gewande trat bie 








1) So in bem Epigramm an ben in Rom weilenden Ehriftian Schroter: 
„Num dignam rear obtigisse sortem, 
Dum servum stabularius bidentem, 
Et focdum strigilemque furcilemque 
Exercens olidum colis fimetum 
Et scabros miser expolis asellos? 
Aut dum purpureum sequens galerum 
Discissis caligisque calceisque 
Sacrae pone legis cacata mulae? 
Aut dum mille gregi notariorum, 
Hoc est furibus additus cinaedis, 
Romanensis et ipse summisuga 
Istos sacrilegos juvas Simones, 
Qui nos ut rapidi lupi et leones 
Imas excoriant adusque carnes? 
Hoc tu cernere (proh fides) patique 
Germanus potes, imo Christianus?° Opp. Cord. 132. 

Bol. auch De donntione Constantini 1. c. 138 b. u. a. 

2) Man vgl. namentlich feine in die Zeit des wormfer Reichstages fal- 
Ienden Elegien an Jonas und Hutten. Eoh. Farrag. I, 123 syq. — Es 
wäre gar nicht undenkbar, daß ber von einem patriotifchen Humaniften ver- 
faßte Dialog Carolus von Eoban herrührte. — Die Wittenberger bezeichnet 
er um biefe Zeit nur noch als libertatis assertatores und eriwartete mit 
Ungeduld neue Thaten von ihnen. „Quando vero mittis ludum Vuitten- 


— 9 — 


evangeliiche Begeifterung ungleich jtürmijcher auf, als früher: 
mit Hutteng nationalen Ideen jchien auch jein unruhiger Geift 
in Erfurt eingezogen zu fein. In Eoban erwacht von Neuem 
der alte Ungeftüm ber reuchlinifchen Zeit. Er will der frieb- 
lihen Muſe, der er bisher nachgegangen, entjagen, um fich der 
friegerifchen zuzumenden. Eine ungewöhnliche Aufregung be- 
mächtigte fich der Gemüther. Selbſt ruhigere Naturen wie 
Camerarius, Sturz, Draconites widerjtanden nicht. Es entitand 
ein Zuftand wild wogender Begeifterung; die Worte Freiheit, 
Evangelium, Vaterland riffen Alles mit fich fort. Forchheim, 
Eobans Freund, und Lange, durch den Luther fortwährend mit 
den Erfurtern in Verbindung jtand, traten mit aufregenden 
Predigten von der evangelifchen yreiheit vor dad VBolE!). Des 
Jonas Eifer war grenzenlod. Wie ſehr hat Erasmus feine 
früheren Aufmunterungsfchreiben, die vorzugsweife eben an Jonas 
gerichtet waren, zu bereuen gehabt! ?) 

Bei einer folchen Stimmung blieb Crotus für feine Sache 
in Erfurt wenig mehr zu thun übrig Er fah fich wielmehr 
bald veranlaßt, mäßigend und zügelnd aufzutreten. Er dachte 
nicht daran, die Sache ber Nation durch ftudentiiche Unord⸗ 








bergensium? cupio videre, quid effecerint communis libertatis strenwi 
assertatores.‘“ Ad Camerarium. Lib. nov. epp. B 2 b. 

ı) Bon welcher Art diefe Predigten waren, geht aus Lange’3 eigenen 
Aeußerungen hinreichend hervor; um nicht wie ein ſtummer Hund zurüdzu: 
bleiben, fagt er, habe er rückſichtslos und ohne Schmeichelei gepredigt „et ita 
concionibus pracfui, ut placeat multis, displiceat non paucis ... la 
principum aulis tolerari forte assentatio potest, in ecclesiastica CoB- 
cione non debet.‘“ Dgl. Joan. Langi Erphurdiensis Epistola ad excell. 
D. Mart. Margaritanum Erphurdien. Gymnasii Rectorem pro literis 
sacris et seipso. 4°. Erf. 1521. A 2b. — Dem Fordheim widmete 
Eoban bald für feine wadere Verfündigung ber „‚Libertas illa nostra‘ 
die Elegien auf Luthers Einzug in Erfurt. 

2) Vgl. Erasmi Epp. p. 233, 434, 480, 550. Aus dem Briefe bei 
Erotus an Petrejuß Tert. lib. epp. F. 1 b. (vgl. De Wette I, 568) erfieht 
man, daß Jonas um biefe Zeit zu Crotus in einem fehr innigen Verhält⸗ 
niſſe ftand. 











— 983 — 


nungen zu befördern, wie fie jo eben bei der Publikation der 
päpitlichen Bulle vorgefommen: mit Strenge jchritt er dagegen 
ein). Auf ähnliche Weife hatte er früher Luther von dem 
Lärm theologifcher Disputationen abgemahnt: von den Aus— 
brüchen jugendlicher Auzgelaffenheit erwartete er fo wenig Heil, 
als von dem Ausgange eines einzelnen theologischen Wortgefecht3. 
Um fo mehr aber war er darauf bedacht, in der bisherigen 
Weiſe auf die Geſammtheit der Nation einzuwirfen: in Erfurt, 
in der Umgebung von feurigen Anhängern feiner Sache, durfte 
er fi für die Zurückhaltung entjchädigen, die er das Jahr 
zuvor in Stalien wegen der gefährlichen Nähe des Gegners 
hatte beobachten müffen. Wir erfahren durch die Enthüllungen 
des Ungenannten, daß er zu feiner Zeit eifriger bejchäftigt war, 
Durch anonyme Flugſchriften und Briefe, welche er nach allen 
Seiten ausſandte, die Nation im Sinne der Bewegung zu 
bearbeiten, als während feines erfurter Rectorats?). Mit 





1) „‚Statum literarii ordinis, quem perturbatum invenit pro virili 
studuit pacare. €, U M. ad a. 1520. In der Vorrede zu feinem 
Nechenfchaftsbericht fpricht er ausführlich von den Pflichten der acabemifchen 
Obrigfeit: „ita ejusdem prudentiae partes sunt, eam rehus gestis addere 
praemunitionem, ne vel negligentiae error, vel cujuspiam malevolen- 
tia, vel temporis injuria labem dedecoris magistratui unquam possit 
aspergere.‘“ Unter den Ausgaben werden auch bie für ein gehaltene Con⸗ 
ciliun de literis affixis seditiosorum juvenum aufgeführt. Liber ratio- 
nun ad a. 1520. (M. ©.). 


2) Epistola Anonymi ed. Olearius p. 16. „Ibi primum, nescio quam 
expectans praedam, sparsisti varios occultes libros, ibi mittebas Epi- 
stolas et si verum fateri vis, in hoc eras totus, ut quam latissime 
spargeretur doctrina Lutheri. Nullum tunc Lutherani veredarium 
(cf. Opp. Cordi f. 108) meliorem habebant, quam Crotum, et quam- 
quam haec omnia non ideo faciehas, quod serio te afficerent ea, quae 
Lutherus pie ac pure de religione docet, faciebas .tamen et omnino 
Luthcranarum et esse et haberi volehas partium.“ Daß ausſchließlich 
bie Firchliche Seite feiner Thätigfeit hervorgehoben wird, bringt der Standpunkt 
und die Tendenz bed Verfaſſers mit fih. — 


— 4 — 


Luther ftand er in offener, mit Hutten in geheimer Verbindung, 
nur für ihre Sache lebte er?). 


Und aud) dieje ließen es währenddeß an ihrer Thätigkeit 
nicht fehlen. Luther eilte unaufhaltiam auf feinem Wege vor: 
wärts, ſeit er durch die Verbrennung der Bulle die Brücke zur 
Rückkehr hinter fich verbrannt. Hutten aber brütete auf der 
Ehernburg Tag und Nacht über des Volkes Befreiung. Im 
Januar 1521 veröffentlichte er eine neue Sammlung von Gefprü- 
chen von furchtbar aufregenden Inhalt ?). Seine Pläne wurden 
. immer vermwegener, jo daß ſelbſt Luther in einem Augenblicke eine 
Anwandlung von Furcht überlam ). Schon trug er kein Be 
denfen mehr, den Böhmen Ziska als das Vorbild eined Befreierz 
von den Gräueln römischer Pfaffenherrſchaft aufzujtellen *). — 

Es waren die lebten Anstrengungen am Vorabende der Ent: 
ſcheidung. Bereits feit dem October weilte Karl V. auf deutſchem 
Boden. Am 23. October empfing er in Aachen die Krone. Es 
mußte jeßt offenbar werben, ob der Kaiſer, Hutten? Mahnungen?) 


1) Hutten ſchickte die im October veröffentlichten Sendfchreiben an Crotus, 
durch. Crotus empfing fie Luther. De Wette I, 533. Bon bem Briefmechfel 
zwifchen Crotus unb Hutten, überhaupt von allen den Briefen des Crotus, 
bie der Anonymus erwähnt, ift ung Nichts erhalten. 

2) Dialogi Huttenici novi, perquam festivi. Bulla vel Bullicida. 
Monitor primus. Monitor secundus. Pracdones, Abgedr. bei Münch 
IV, O7 - 230. Die auftretenden Perfonen find: die deutiche Freiheit, die Bulle, 
Luther, Hutten, Sidingen u. ſ. w. 

3) „„Nollem vi et caede pro Evangelio certari‘‘, ſchrieb er am 
16. Sanuar an Spalatin, indem er Huttens Brief vom 9. Deceinber beilegte. 
De Wette I, 543. Freilich kömmt auch in Betracht, daß ber durfürklide 
Rath nie mit Huttens Planen einverflanden war, und auf feine Geneigtheit 
in dieſem Augenblide ſehr viel anfam. Einige Wochen fpäter (9. Februar) 
fpricht Luther in einem Briefe an Staupig von Huttens Thätigfeit wieder mit 
vieler Freude. De Wette 1, 558. 

*) Monitor secundus. Münch J. c. IV, p. 144. 

*) Bol. namentlid Münd) 1. c. V, 82: ‚ 

Deß follt ein Hauptmann dit allein 
Anheber auch Vollender fein ꝛc. 


— 95 — 


Gehör gebend, ſich an die Spike der Bewegung ſtellen, Deutfch- 
land von Rom befreien und Luther Sache als die nationale 
zu der feinigen machen werde. Am 28. Januar 1521 eröffnete 
er den Reichdtag von Worms, der über Deutſchlands Zufunft 
entfcheiden mußte. Noch hatte Hutten nicht alle Hoffnung auf: 
gegeben, obgleich des Katjerd Benehmen von Anfang an feinen 
Wünſchen nicht entſprach. O Karl, rief er dem in Worms 
Eingezogenen zu, 

O Garle, Keyßer lobeſam 

Greiff du die ſach zum erſten an, 

Gott würts mit dir on zweyfel han!). 


Es konnte als ein günſtiges Vorzeichen angeſehen werden, 
dag der Kaiſer, im Widerſpruch mit den Forderungen der päpft- 
lichen Legaten, Luther vor dem verfammelten Neichdtag zu 
hören beichloß. 


vu 


In den erften Tagen des April trat Luther, der Tatfer- 
lichen Ladung folgend, feinen Gang nad) Worms an. 

Er glich einem Triumphzuge. Es war, als hätte die Nation 
in biefem Augenblicke noch einmal Alles aufbieten wollen, um 
Luther über feinen Beruf zu vergewiffern. Gewiß haben die 
Huldigungen, welche er vom 2. bis zum 16. April empfing, 
Dazu beigetragen, ihn jenes Selbitvertrauen zu verleihen, mit 
dem er in der entjcheidenden Stunde auftrat. Nirgendwo waren 
fie glänzenber, als in Erfurt ?). 


1) Vorrede zu ber Schrift: Concilia wie man bie halten fol x. Münch 
V, 371. 

3) Bol. die Luther? Einzug in Erfurt verherrlichenden Clegien Eobans 
in ber Sammlung: Habes hic Lector In Evangelici Doctoris Martini 
Lutheri Laudem Defensionemque Elegias III. Ad Jodocum Jonam 
Northusanum cum eodem a Caesare redeuntem Elegiam I. Ad Udal- 
ricum Huttenum Equitem Germanum ac Poctam nobilissimum De causa 


— 4 — 


Zuther ſtand er in offener, mit Hutten in geheimer Verbindung, 
nur für ihre Sache lebte er ?). 


Und auch diefe Tießen ed währenddeß an ihrer Thätigkeit 
nicht fehlen. Luther eilte unaufhaltfam auf feinem Wege vor: 
wärts, ſeit er durch die Verbrennung der Bulle die Brüde zur 
Rückkehr hinter fich verbrannt. Hutten aber brütete auf der 
Ehernburg Tag und Nacht über des Volkes Befreiung. Im 
Januar 1521 veröffentlichte er eine neue Sammlung von Gefprü- 
hen von furchtbar aufregendem Inhalt ?). Seine Pläne wurden 
immer vermwegener, jo daß ſelbſt Luther in einem Augenblicke eine 
Anwandlung von Furcht überlam?). Schon trug er Fein Be 
denken mehr, den Böhmen Ziska als das Vorbild eines Befreiers 
von den Gräueln römischer Pfaffenherrichaft aufzuftellen *). — 

Es waren die lebten Anftrengungen am VBorabende der Ent- 
Icheidung. Bereits feit bem October weilte Karl V. auf deutjchen 
Boden. Am 23. Detober empfing er in Machen die Krone. Es 
mußte jeßt offenbar werben, ob der Kaifer, Hutten? Mahnungen’) 


1) Hutten ſchickte die im Detober veröffentlichten Sendfchreiben an Crotus, 
durch Crotus empfing fie Luther. Te Wette I, 533. Bon bem Bricfmechfel 
zwifchen Crotus und Hutten, überhaupt von allen den Briefen des Crotus, 
bie der Anonymus erwähnt, ift und Nichts erhalten. 

2) Dialogi Huttenici novi, perquam festivi. Bulla vel Bullicida. 
Monitor primus. Monitor secundus. Praudones. Abgedr. bei Munch 
IV, 67—2%. Die auftretenden Perfonen find: die deutjche Freibeit, die Bulle, 
Luther, Hutten, Sidingen u. f. w. 

3) „„Nollem vi et caede pro Evangelio certari‘, fdricb er am 
16. Zanuar an Spalatin, inbem er Huttens Brief vom 9. December beilegte. 
De Wette I, 543. Freilich kömmt aud in Betracht, daß ber churfürſiliche 
Rath nie mit Huttens Planen einverflanden war, und auf feine Geneigtheit 
in diefem Augenblide fehr viel anfam. Einige Wochen fpäter (9. Februar) 
fpricht Luther in einem Briefe an Staupig von Huttens Thätigfeit wieder mit 
vieler Freude. De Wette I, 558. 

*) Monitor secundus. Münd) J. c. IV, p. 144. 

2) Bol. namentlich Münd) 1. c. V, 82: , 

Deß ſollt ein Hauptmann dir allein 
Anheber auch Vollender ſein 2c. 





— 95 — 


Gehör gebend, ſich an die Spike der Bewegung ſtellen, Deutſch⸗ 
land von Rom befreien und Luthers Sache als die nationale 
zu der ſeinigen machen werde. Am 28. Januar 1521 eröffnete 
er den Reichſstag von Worms, der über Deutſchlands Zukunft 
entſcheiden mußte. Noch hatte Hutten nicht alle Hoffnung auf- 
gegeben, obgleich des Kaiferd Benehmen von Anfang an feinen 
Wünſchen nicht entiprad. D Karl, rief er dem in Worms? 
Eingezogenen zu, 

O Carle, Keyßer Tobefam 

Greiff du die ſach zum erſten an, 

Gott würts mit dir on zweyfel han). 


Es konnte als ein günftiges Vorzeichen angefehen werben, 
daß der Kaifer, im Widerfpruch mit den Forderungen der päpft- 
lichen Legaten, Luther vor dem verfammelten Reichstag zu 
hören beichloß. 


vu. 


In den erften Tagen des April trat Luther, der Taifer- 
lichen Ladung folgend, feinen Gang nach Worms an. 

Er glich einem Triumphzuge. Es war, als hätte die Nation 
in biefem Augenblicke noch einmal Alles aufbieten wollen, um 
Luther über feinen Beruf zu vergewiffern. Gewiß haben bie 
Huldigungen, welche er vom 2. bis zum 16. April empfing, 
Dazu beigetragen, ihm jenes Selbitvertrauen zu verleihen, mit 
dem er in der entjcheidenden Stunde auftrat. Nirgendivo waren 
fie glängenter, als in Erfurt ?). 





1) Vorrede zu ber Schrift: Concilia wie man bie halten foll ꝛc. Münch 
V, 371. 

2) Bol. die Lutherd Einzug in Erfurt verberrlichenden Elegien Eobans 
in der Sanımlung: Habes hic Lector In Evangelici, Doctoris Martini 
Lutheri Laudem Defensionemque Elegias III. Ad Jodocum Jonam 
Northusanum cum eodem a Caesare redeuntem Elegiam I. Ad Udal- 
ricum Huttenum Equitem Germanum ac Poctam nobilissimum De causa 


— 96 — 


Es war am 6. April, als er hier ankam. Schon die bloße 
Kunde von ſeiner bevorſtehenden Ankunft — Luther ſetzte ſeinen 
Freund Lange vorher davon in Kenntniß — hatte Alles in 
freudige Aufregung verſetzt. Denn was konnte es für Crotus 
und die Seinigen Froheres geben, als Luther in ihrer Mitte 
zu ſehen! „Nun frohlocke, erhabenes Erfurt“, jubelte Eoban, 
„bekränze mit feſtlichem Laubwerk dein Haupt, denn ſiehe, es 
tömmt, der dich vom Schmutze reinigt, unter dem du fe lange 
gefeufzet” ). Die großartigiten Vorkehrungen wurden für feinen 
Empfang getroffen. Jonas, voll ungebuldigen Eifer, eilte ihm 
ſchon bis Weimar entgegen. Die Univerfität holte in feicrlichem 
Zuge, vierzig Mann zu Pferde, an der Spike Crotus als 
Rector, gefolgt von einer zahlloſen Menge zu Fuß ?), in Nohra, 
an der Grenze des erfurter Gebietes, den Kommenden ein. 
Crotus begrüßte ihn in begeijterter Anrede. Als den Feind 
der Bosheit redete er ihn an, er pried die Stunde glücklich, 


7 


Lutheriana Elegiam I. In Hieronymum Emserum Lutheromastiga 
conviciatorem Invectivam KElegiam I. 4°. (Am Ende: Erphurdiae 
imprimebat Math. Maler mense Majo A. 1521.) Mit einer Debication 
an Forchheim d. d. Vigil. 8. Spirit. Abgebr. in Eob. Farrag. II, f. 116 
bis 128. — Eine etwas feltfame deutfche Bearbeitung der vier erften Elegien 
erfchien von einem Ungenannten: D. Martin Luthers erhabene Reife durch 
Erfurth nah Wormd. Nah alten römifchen Uhrkunden (!) profaifch ge: 
ſchildert. 1775. — Vgl. auch 3. F. Möller, Alte Gefchichten von Erfurt aus 
einer höchſt merkwürdigen Zeit. Erfurt 1820. 
ı)1.c. A2 a; Eob. Farr. II, 116-117. 


2) Nec mora, constratis in equis exire paramus, 

Quadraginta viri, caetera turpe pedes, 

Quis numero referat, velut ad spectacla ruentes, 
Quae soleant vulge non nisi rara dari, 

Ibamus, numeroque pares, cultuque decenti, 
Tunc etiam facti Musica turba cquites: 

Instructo Princeps Crotas ordine duxit euntes, 
Gloria Musarum, deliciaeque Crotus. 


l,ce. A4 a; Noh. Farr. II, 118. 








— 17 — 


die ihm den theuren Freund wieder zugeführt ?). Auch Eoban 
ftammelte einige Worte des Entzücend und der Bewunderung. 
Langſam bewegte fich dann der Zug durch dichtes Volfägebränge 
der Stadt zu. Straßen, Thürme, Dächer und Mauern waren 
mit Menschen befet ?). Jedermann wollte ven gewaltigen Mönch 
fehen. In den ihm wohlbefannten Räumen des Augujtiner: 
kloſters, bei jeinem Freunde Lange, nahm er feine Wohnung). 
Die ganze Stadt war in Aufregung. Alles ftrömte zufammen, 
als ber Gefeierte auf die Bitten feiner Treunde am andern 
Tage — es war ber weiße Sonntag — in der Kirche feine? 
"Ordens die Kanzel beitieg *). Er predigte über den Grumd- 
gebanfen feiner Lehre, von der Rechtfertigung allein durch den 
Slauben, von der Nuplofigkeit der eigenen Werke, von dem 
unerträglichen Soche des Papſtthums und der Pflichtvergefjen- 
heit der Pfaffen, die aus Hirten ihrer Schafe, Peiniger der: 


2) Tum Crotus haec placido pectore verba dedit: 
Unice perfidiae censor, quae plurima nostro 
Pesdidit oppressam tempore pene fidem, 
Hoc coram vidisse tuosque agnoscere vultus, 
Hoc est laetitiae non habuisse modum. 
Et nobis nihil huc venit jucundius unguam 
Vix aliquis superum gratior esse queat. 
Veber feine eigene Rede äußert er: 
Hic cgo nescio quid balba de nare loquutus 
Elinguem plane sum ratus esse nefas, 
1. c. A4 a-b. Eob. Farr. II, 119, 
2) Indeée satis lento repetentes moenia passu 
Jam plenum urbana plebe redimus iter; 
Turba quidem populi promiscua cuncta tenebat 
Strata, viam, turres, moenia, tecta, fores. |]. c. 
2) Vgl. Historia Vnd befchreibunge des ganken Lauffs vnd Lebens, wie 
nemlich id) Daniel Greiser etc. meinen curriculum vitae durch Göttliche 
gnad geführet habe, 4°. Dresden 1537. 8.1 b. 
*) Quam cito de tota,,stupor est, confuxit ab urbe 
Visa magis nullo tempure turba frequens. — 
Nec satis accepit venientes area templi, 
Ante ipsas stabant milia multa fores, 
1. c. Bi a. Eob. Farr. II, 120. 
Kampſchulte, Univerfisät Grfurt. II. Theit. 7 


— 98 — 


ſelben geworden 1). Seine Predigt wurde mit begeiſtertem Bei⸗ 
fall aufgenommen. Weber Dewoſthenes, verkündet der Dichter, 
noch ber Beherricher des römiſchen Forums, noch Paulus, der 
Apoſtel, hat die Gemüther jo ergriffen, als Luther Predigt an 
den Ufern der Gera ?). 

Zwei Tage verweilte Luther in Erfurt, um die Huldigungen 
feiner Verehrer entgegenzunehmen. Stabt und Univerfität wett 
eiferten, feine Anweſenheit zu verherrlichen. Die Univerfität 
veranstaltete ihn zu Ehren ein feitliches Mahl). Der Stabt- 
rath überhäufte ihn, nach Cobans Bericht, mit Ehrenbezeu- 
gungen. *). Das Volk verehrte ihn wie einen Heiligen und’ 
glaubte ihn ſogar im Bei göttlicher Wunderkraft?). Es 


») Ain fermon Doctor Martini Luthers, jo er auf dem hinweg zu K. M. 
gen Wormbs zuziehen, auß bitt fürtreflicher vnd vil gelerter, on vorgenben 
fleiß ober fonderliche ftudierung in der eyl zu Erffurdt gethon. Anno 1521. 
4°, 3.1, et a. Erhard (Meberlieferungen zur vaterl. Geſch. I, 38) führt 
noch zwei andere Ausgaben an, fcheint aber, nach feinen Aeußerungen über 
ben Inhalt zu fchließen, Feine gelefen zu haben: obgleich Luther die Worte bes 
Evangeliums „Habt Friede" zum Borfprud wählte, ift doch vom Frieden 
jehr wenig bie Rede. 

2) I. c. Bi a. Eob. Farr. II, 119. 

:) Vgl. Liber rationum ad rector. Croti. — Aud in der Matrifel 
gedenft Crotus der Hinfahrt Luthers „qui primus post tot snecula ausus 
fuit, gladio sacrae Scripturase Rhomanam licentiam jugulare.‘“ 

*) Eob. Farrag. II, 121. 

s) In Erfurt felbft follte Luther ein Wunder verrichtet baben. Während 
der Predigt, die er bei den Auguftinern hielt, entftanb in der überfüllten Kirche 
ein plötzliches Geräufh. Alles gerieth in Unruhe und Beſtürzung. Nur 
Luther verlor die Geifteögegenwart nit. „Seid ftill*, fprach er, „liebes Bolt, 
es ift ber Teufel, der richtet fo eine Spiegelfechterei an, ſeid ftill, e8 bat Feine 
Noth.“ „Und er bedräuete den Teufel”, berichtet der Chronift weiter, „und 
es warb gar ftille.” „Dieſes ift, feßt ein anderer Chroniſt hinzu, das erſte 
Zeichen, fo Luther that, vnd feine Zünger traten zu ihm und dienten ihm.” 
Auch Greifer 1.c. B1 b und Eoban 1. c. II, 1%0 gedenken dieſes Wunbers. 
Auffallend ift nur, daß bei Luther Predigt in Gotha ein ganz ähnliche 
Wunder geſchah. Vgl. Sagittarii Historia Gothana p. 423 und Tenkel 
Suppl. I hist. Goih p. 714. 





— 99 — 


waren Tage des Jubels und Entzückens: an die dunkele Zu⸗ 
kunft dachten nur Wenige. 

Der achte April war der Tag ſeiner Abreiſe. Unter den 
Segenswünſchen Aller brach er auf. Die Stadt gab ihm den 
lanzenkundigen Stadthauptmann Hermann von Hoff als Be— 
gleiter mit”), die Univerſität den eifrigen Juſtus Jonas, ber 
ſich dieſe Ehre nicht nehmen ließ. Zwei Andere, Euricius 
Cordus und Sturz waren ihm bereits auf die Wahlſtatt vor⸗ 
auzgeeilt 2). Crotus, welcher — zu Huttens größtem Schmerz 
— durch feine amtliche Stellung verhindert wurde, die Reife 
nad) Worms zu unternehmen ®), begleitete den Freund noch 
einige Stunden weit und ermahnte ihn beim Abſchiede nochmals 
zur Ausdauer und Standhaftigkeit ). Das that auch Eoban. 
„Dede du auf”, ruft er dem Scheibenden nach, „bie römifchen 
Ränke, die Schmach des Erbfreifed. Das große Deutjchland 
wird für dich in den heiligen Kampf treten. Ziehe bin und 
fürchte dich nicht. — Iſt dir ſchon das Glück auf deiner Hin- 


2) Bol, Loffius Helius Eoban Heſſus md feine Zeitgenofien- p. 109, 110, 

2) Nach den Angaben von Sedenborf, Strieder, Motſchmann und Erhard 
wären auch fie im Gefolge Luthers nad Worms gezogen. Allein dies iſt 
irrig: beide waren ſchon früher abgereifet. Sturz fchreibt ſchon am 8. April 
von Köln aus (vorher fhon aus Mainz) an Camerarius über Huttens In— 
vectiven gegen Aleanber, über Sobin ꝛc. Bol. Lib. nov. epp. D6 b. 
Auch Cordus fchrieb damals von Köln aus an Camerarius und läßt fi in 
feinem Schreiben fehr bitter über die Fölnifchen Zuftände auß: „Nihil enim 
hic colitur praeter ossa serico, auro et gemmis implicata. Atque 
tam multa, ut omnia cadavera expilasse istos putes. Videres plebem 
supplicem hisce nugis se advulvere. Nihil hic dignum spectatu vidi 
praeter tres reges. Sed quos? Comitem Neuenarium, Caesarium et 
Sobium.‘ 1. c. D 8h. — Als Luther in Wormd anfam, waren beide 
fchon dort anweſend. 

3) Huttenus Jonae d. d. 15 Cal. Mnj. ex Ebernb. ‚‚Crotum autem 
meunı infelix magistratus, quo minus et ipse conjiceret se in opta- 
bile discrimen detinsit. Utinam vobiscum abripuissetis procul dabio 
volentem.‘“ Opp. Hutt IV, 29. 

) Epistola Anonymi ed. Olearius p. 16. 

ze 


— 10 — 


fahrt jo hold, jo wird, ahnt dem Dichter, noch viel glänzender 
der Ruhm deiner Rückkehr fein” *). 

Doc diefed Mal täufchte den Dichter feine Sehergabe. 

Die Hoffnungen, welche die Bewegungspartei, vor Allen 
Franz von Sickingen, bis auf den lebten Augenblick auf den 
Kaifer gejeßt hatte, erwiefen fich als nichtig. Innere Weber: 
zeugungen und äußere Rückſichten vereinigten fich bei Karl X., 
um ihn den Planen dverjelben fern zu halten, und die drohende, 
berausforbernde Haltung, die fie eben während de Reichs⸗ 
tage annahm ?), mußte ihn vollends zurüdftoßen. Die pöbel- 
haften, mit wilden Drohungen gemifchten Schmähungen, womit 
Hutten in diefen Tagen die beiden in der Nähe des Kaiſers 
weilenden päpftlichen Legaten und die in Worms anweſenden 
Kirchenfüriten überjchüttete, jowie die herausfordernde Spradhe, 
welche er in den neuen für Luther, den Vertreter der Freiheit 
und des Vaterlandes °), an ven Kaiſer gerichteten Sendfchreiben 
führte, zeigten diefem den Abgrund, in den ihn dag Bündniß 
mit den renolutionären Elementen ftürzen werde*). Schon 


ı) Elegia ad Martinum Erphurdia abeuntem J. c B3a-4xa Eob. 
Farr. II, 122. Er rechnet noch auf des Kaiſers Beiltand: 
„Fulmina pontificis nil admirabere, nam te 
Jamdudum sensit, quantus in arma ruas, 
Tu modo summorum regum clarissime sanguis, 
Auguste his. coeptis Carole dexter ades.“ 1. c. 

2) Nach Cochläus, der auf dem Reichstage anweſend war, fürdhtete man 
in Worms fogar eine Sprengung des Reichstages durch die Revolutionspartei, 
deren Hauptfig die Eberuburg war. ,‚‚Unde fiebat, ut nihil expectaretur 
certius, quam.gravis et cruenta contra Caesarem omnemque Clerum 
seditio. Sed aetas bonitasque Caesaris ac principum diligentia pro- 
clives in seditionem animos cohibuerunt.“* De actis et scriptis Mart. 
- Lutheri. 

3) „Quid aliud enim habet Lutheri causa, quam et nostrae liber- 
(atis Oppressionem et tui status convulsionem, dignitatis proculca- 
tionem?‘“‘ Ad Carol. Imp. pro Luth. Exhort. Munch IV, 278. 

*) Ulrichi ab Hutten eq. Germ. in Hieronyı. Aleandrum et Mari- 
num Caracciolum Oratores Leonis X apud Vormaciam Invectivae sia- 
gulae. In Cardinales, Episcopos et sacerdotes, Luthcrum Vormaciae 





— 101 — 


hatte er der Bewegungspartet jeine Abneigung unzweibeutig 
zu erfennen gegeben. 

Unter diefen Umftänden war der Ausgang vorauszuſehen. 

Am 16. April kam Luther unter dem Jubel der Seinigen 
in Worms an. Euricius Cordus verherrlichte ſeinen Einzug 
durch ein Feſtgedicht ). Hutten, der auf der nur ſechs Meilen 
entfernten Ebernburg über die Vorgänge in Worms fofort Kunde 
erhielt, begrüßte ſchon des andern Tages in einem Schreiben 
„den unüberwindlichen Evangeliften, den heiligen Freund” :- er 
redet zu ibm nur noch in der Sprache der Bibel, wünfcht ihm 
Standhaftigkeit und verfichert ihn feiner Treue bis zum lebten 


oppugnantes Invectiva. Ad Carolum Imp. pro Luthero Exhortatoria. 
Abgedr. bei Münd IV, 239—88. Ad Carol. Imp. Epistola altera bei 
Burkhard IT, 203. Die letere ift batirt Ex Ebernburgo 6 Jd. April. 
1521. Dem Mleander droht er: omne adhibebo studium, ut qui furore, 
amentia, scelere, iniquitate gravis accessisti, vita inanis hinc effe- 
raris (p. 244), den Marinus redet er an: omnium, qui unquam furati 
sunt hic, furacissime! omnium raptorum violentissime, omnium im- 
postorum vaferrime, astutissime, iniquissime, scelerätissime! (p. 250). 
Die Invective gegen bie Brälaten fchließt mit der Drohung „Certe profecto 
innocentis viri (Lutheri) damnationi capita vestra consecrata sciatis!“ 
(p. 271). In dem erften Sendjchreiben an den Kaifer heißt es: „Spes fuit, 
Romanum te a nobis Jugum ablaturum. Dii faxint meliora sint, quae 
sequentur hoc principium‘“‘ (p. 284). — Luther fpricht mit fichtlicher Freube 
von biefen „‚galeritae upupae.“ De Wette II, 9. 

1) Jubilum M. Luthero Vormatiam ingredienti aeclamatum. 1521. 
4°. Bol. Striever, Heſſ. Gelehrtenler. I1, 291. Gleichzeitig wünfcht er dem 
Kaiſer Süd, macht aber dies, wie Hutten, von ber Behandlung der Tuther. 
Sache abhängig: 

-  „’Hoc fiet, pius ille si Lutherus, 
Coram te modo qui citatus adstat, 
Servetur, quod et orat audiatur, 
Nec des tam faciles benignus aures 
Vafris fraudibus Ausonum Sinonum. 
Quaerunt interitum tuae salutis, 
Et tantum sibi consulunt, videbis. 
Hoc praedicere me tibi memento 
Vatem Laocvonta dive Caesar.‘“ Opp. Cordi 151. 





— 12 — 


Athemzuge!). Auch an Juſtus Jonas jchrieb er voll Freude 
und Anerfennung, daß diefer fih mit Luther in die Gefahr 
begeben 2). Am Abende vezjelben Tages fand Luthers erjtes 
Verhör in ber Reichdverfammlung ftatt, wierundzwanzig Stun: 
den jpäter dag zweite. Luther bewies die Standhaftigfeit, die 
ihm feine Sreunde gewünfjcht hatten: den Aufforderungen zum 
Widerruf, den erniten, wie den freundlichen, jeßte er den beharr⸗ 
lichiten Widerftand entgegen: er vernahm das Wort, daß Kaifer 
und Reich wiffen werden, wie mit einem Ketzer zu verfahren. 

Wie ergrimmte Hutten, als ihn Ruther von dem Vorge 
fallenen in Kenntniß ſetzte! Pfeil und Bogen, Degen. und 
Büchjen hielt er für nothwendig, um der Raferei der teuflifchen 
Rotte ein Ziel zu feßen. „Doch du, beiter Vater”, antwortete 
er ihm auf der Stelle, „wanfe nicht, laß dich nicht erſchüttern. 
Mögen jene jchreien, vufen, vajen. Tritt du furchtlos hin vor 
die Ungeheuer. Es wird bir nicht an Vertheidigern, nicht an 
Rächern fehlen” °). „Bin ich losgebrochen“, fügt er gegen 
Schluß hinzu, „dann ſollſt du jehen, daß auch ich den Geift 
nicht verleugnen werde, den Gott in mir erwedt hat.” 

Noch einmal fehrieb Luther von Worms aus an Hutten, 
gab ihm Kunde von der unwürdigen Behandlung, bie er erfahren, 
von dem Faiferlichen Verbote, auf dem Heimwege zu predigen +), 
dann reilete er ab (26. April). 


!) Martino Luthero, Theologo, Evangelistne invictissimo, amico 
sancto. Ex Eberuburgo 15 Cal. Maj. 1521. ‚‚Exaudiat te Dominus 
in die tribulationis. Protegat te nomen Dei Jacob. Mittat tibi auxilium 
de sancto et de Sion tueatur te etc. etc.“ Nur in ben: Et ne cede 
malis, sed contra audentior ito fommt der alte Humanift wieder zum 
Vorſchein. Münch IV, 297-88. 

2) Hutt. Jodoco Jonae d. d. 15 Cal. Maj. 1521. Münch IV, 293. 
— Beide Briefe Tamen jebenfall3 noch vor dem zweiten Verhör an. 

2) Martino Luthero, Theologo, Evangelistae invictissimo, amico 
S. Ex Ebernb. 12 Cal. Maj. 1521. Münch IV, 299—300. Luthers Brief, 
auf ben ſich Hutten bezieht, ift verloren gegangen. 

*) Vgl. Hutt. ad Hilih. Pirckheimer. d. d. Ebernb. Cal. Maj. 1521. 
Münd IV, 37577. Auch dieſer Brief Luthers ift verloren gegangen. 


— 18 — 


Hutten? und der Seinigen Wuth kannte jett feine Grenzen 
mehr. „O der über alle Maßen verabſcheuungswürdigen Bos⸗ 
heit!" schrieb er am 1. Mai an Pirdheimer, „Das find die 
chriftlichen Fürften! Was werben die fremden Nationen jagen! 
Ich fange an, mich meines Baterlandes zu jhämen“!). Cordus 
hielt den Arm eines neuen Alciden für nothwendig, um die 
Tenne des Herrn zu reinigen?). Eoban war außer ſich vor 
Zorn, als er in Erfurt von dem Gejchehenen erfuhr. „Saget 
an, ihr Großen Deutſchlands“, rief er aus, „einft die Tapfer⸗ 
ften, empfindet ihr feine Scham, daß folches bei und geſchieht. 
Römiſche Teiglinge, des Verderbens Brut, dürfen es wagen, 
auf eurem Boden Recht zu fprehen! Könnt ihr es bulben, 
daß elende Sclaven euch Geſetze vorjchreiben!"?) Auf Hutten 
allein berußten noch feine Hoffnungen. Ihn forderte er jetzt 
auf, den Erwartungen zu entfprechen, die man jo lange von 
ihm gehegt, der Befreier der Nation zu werden, im Bunde mit 
Sickingen für Luther und die deutjche Freiheit zu den Waffen 
zu greifen. Nicht Länger fei zu ertragen das Joch der Papiſten. 
Deutſchlands Ruhm und Freiheit wiederherzuftellen, rufe Hutten 
jett das Schidjal*). 

Und daran dachte Hutten jelbft in dieſem Augenblicke ernft- 
licher, als jemals. „Entweder“, jchrieb er dem mahnenben 


1) I. c. p. 2755-77. 
2) Opp. Cordi 151 b. 
’) Ad Justum Jonam Theologum cum Martino redeuntem a Cae- 
sare. Eob. Farr. Il, 123. 
*) Ad Hulderichum Huttenum Equitem ac Poetam, ut Lutheri 
causam adserät. 
Adsere nunc fortissime eques, doctissime vates, 
Qua debes dextra vindice, quaque potes. 
Adsere germanum juvenis Germane Lutherum! 
Te duce libertas nostra tuenda fuit. 
Libertas strygibus, quae nunc oppressa Papistis, 
Heu nimium longo servit in exilio etc. etc. 
Eob. Farr. 11, 124—126. Abgebr. mit Huttend Antwort bei Münd IV, 
309-317.-— Ein noch heftigered Mahnfchreiben erging an Hutten von Buſch. 


— 14 — 


Freunde zurüd, „wird mein Schwert die Freiheit wiederher⸗ 
ſtellen, oder ich wenigſtens will als Freier ſterben“ 1). 
Aber Huttens Zeit war vorüber. 


VIII. 


Der Reichſtag von Worms bildet in der Geſchichte der 
Reformation einen entjcheidenden Wendepunkt. An eine natio- 
nale Durchführung derſelben, eine religiöfe und politiiche Um⸗ 
gejtaltung Deutſchlands, wie fie den Stimmführern im Jahre 
1520 vorschwebte, war ſeit dem Erlaß des wormjer Edicts nicht 
mehr zu denken. Das Band, welches die gährenden Elemente 
vereinigte, begann fich zu lockern. Evangelium und Freiheit 
deutjcher Nation hören jeit 1524 auf, identiſch zu ſein. Luther 
ehrt auf den rein theologischen Stanbpunft zurüd, den er im 
Sturme ded Angriffs verlafien. Durch die Fürjorge feines 
Landesherrn der VBollftrefung der Reichsacht und damit zugleich 
dem verhängnißvollen Verkehr mit Hutten entzogen, bereitet er 
fi) auf der Wartburg für eine neue Wirkſamkeit vor, bie 
Ichroff genug gegen die frühere abfticht 2). Hutten verliert fi 
von nun an auf den Bahnen eines verwegenen politifchen 
Abenteuererd: Ausſicht auf Erfolg haben feine ‘Plane nicht 


ı) Münd IV, 314. 

2) Am fchroffften, und gewiß übertrieben, ſpricht fih Thomas Münzer 
über Luther? Verhältniß zu. ber revolutionären Reichsritterſchaft aus: „Daß 
bu zu Wormd vor dem Reich geftanden bifl, Dank hab ber. teutfche Adel, 
bem bu dag Maul alfo wol beſtrichen haft und Honig gegeben. Denn er 
wähnte nicht anders, bu würbeft mit deinem Predigen Böhmifche Geſchenke 
geben, Klöſter und Stift, welche du jetzt den Fürſten verheiſſeſt. So du zu 
Worms hätteſt gewankt, wäreſt du ehe erſtochen vom Adel worden, denn los 
gegeben, weiß doch ein Jeder.“ Vgl. Hoch verurſachte Schutzrede vnd antwort 
wider das Geiſtloſe Sanfft lebende fleyſch zu Wittenberg. 1624. Bei Strobel 
Thomas Münzer p. 166. — Auch Erasmus ſpielt auf Luthers Verhältniß 
zur Reichsritterſchaft an, wenn er an Pirckheimer ſchreibt: „Qui sie scri- 
bunt, qui sic minantur, debeant habere paratas Copias, si voltissent 
esse incolumes,‘“ Dgl. Bilib. Pirckheimeri opera ed. Goldast p. 272. 





— 18 — 


mehr. In Wittenberg wirb fein Name nach dem Jahre 1521 
kaum noch genannt !). Crotus aber, der Streiter mit den 
Waffen des Humanismus, erlebte noch während bed wormſer 
Neichdtages in Erfurt den Anfang einer Bewegung, welche 
auch die Illuſion von der Sleichartigkeit der kirchlichen und 
humaniſtiſchen Neuerungsbeftrebungen gründlich zerjtörte ?). 


1) Es ift ein Unrecht, das Hutten von ben meiften Reformationshiſto⸗ 
rifern’angethan wirb — und auch fein neuefter Biögraph hat es nicht ganz 
wieder gut gemacht — daß feine Cinwirkung auf Luther und Gang ber Re 
formation im Jahre 1520 überfehen oder geringſchätzig beurtheilt wird. Bon 
Sleidanus war bereitd die Nede, noch geringfchätiger urtheilt über Huttens 
Thätigkeit Sedenborf 1. c. p. 131. Den richtigen Plab dagegen weiſet ihm 
Cochläus an. Unter den Neuern haben Meinerd (Lebensbeſchr. berühmter 
Männer Bd. II) und Jarke (Studien u. Sfigen p. 134 sqq.), dem Mei: 
ner? dad Material, liefert, Huttens Verhältniß zu Luther nach Gebühr hervor: 
gehoben, doch gehen beide von eininen irrigen Vorausſetzungen aus. 

3) „Benovatur mihi memoria vetus de tragoedia Reverendi Kap- 
nionis‘‘, fehreibt er noch 45%0 an Luther und ſpricht von Hochkiraten, als 
bem „sceleratus.dux Coloniensium.‘‘ Unſch. Nadır. 1723, p. 706, 7. Die 
reuchlinifche und Tutherifche Angelegenheit hingen bei ihm innig zufammen. 





— 16 — 


Drittes Capitel. Das Pfaffenſtürmen. 


„Plebejo tandem victus amore Deus!“ 
Cordus. 


J. 


Während die Univerſität die Sache des Cvangeliums mit 
leidenſchaftlicher Hitze verfocht, hatte dasſelbe auch bei der 
ſtaͤdtiſchen Einwohnerſchaft Anklang und Beifall gefunden 
In Luther war, wie Eoban ſagt, „der von der Stadt erſehnte 
Apoſtel“ erſchienen !). 

Erfurt hatte an der allgemeinen Gährung, welche das 
ſtädtiſche Leben jener Zeit durchzog und allwärts der neuen 
Predigt in den Städten ſo frühzeitig Aufnahme verſchaffte, in 
reichlichem Maße Antheil. Seit mehr als hundert Jahren 
bildete die Auflehnung gegen das bifchöfliche Regiment, der 
Kampf gegen den Erzbiſchof von Mainz die Hauptangelegenheit 
der Stadt. Faft das ganze öffentliche Leben bewegte ſich um 
biefen Kampf, alle Berhältniffe wurden davon berührt. Die 
Chroniken jener Jahre erzählen von Nichts fo häufig, als von 
ben mainzer „Irrungen.“ In den bitterften Ausfällen gegen 
ben Erzbiſchof gab fich die allgemeine Stimmung fund’). 


— 


1) Eob. Farrag. IT, 121. ‚‚Cupidae nam venit Apostolus urbi.“ 

3) Nicolaus von Siegen fchilbert die Stimmung ber Erfurter, indem et 
fie redend einführt: ‚‚Libenter, immo libentissime essemus et facere 
vellemus ut bone oves ct subditi, si haberemus pium atque fidelem 
pastorem. Nunc vero, immo et rerum magistra experiencia docet 
et sepius docuit: esse pastorem et nil solacii nichilque pabuli ovibss 
impendere, ni] nisi aurum et argentum querere, semper lanam capeft 
et a lupis nunquam defendere, frequenter non tantum lanam, sed et 
carnem dirumpere atque devorare, sed parum aut nil conaolacionis, 
parum pietatis impendere; qualis est iste pastor!“ „‚Laus deo“, fügt 
ber fromme Mönd hinzu, „quod sum monachus, neque indigeo negwe 


— 17 — 


Lieber entichloß fi) die Stadt zu wenig ehrenvollen Zuge— 
ſtändniſſen an das Haus Sachlen, als daß fie dem Mainzer 
den gebührenden Gehorfam geleistet hättel Die Annäherung, 
welche durch die Vorgänge von 1509 herbeigeführt wurde, war 
von furzer Dauer; die alte Berbindung mit Sachjen wurbe 
erneuert und wurde inniger, ald je zuvor. Es half Nichts, 
daß der Kaiſer Marimilian 1516 in mehreren ſcharfen Man 
daten !) der erfurter Bürgerjchaft ihre Pflichten gegen Wainz _ 
in Erinnerung brachte und die Berbindung mit Sachſen unterfagte. 

Wer da weiß, wie gerabe die Oppofition der Städte gegen 
die bifchöfliche Gewalt allenthalben der Reformation fo wich: 
tigen Vorſchub geleiftet hat, wird die Bedeutung des mit jo 
großer Heftigkeit und Ausdauer gegen Mainz geführten Kampfes 
zu würdigen wiſſen. ine eigenthümliche Berfnüpfung ver 
Dinge mußte dazu dienen, diefe noch zu erhöhen. Zeitgenofjen 
haben in dem wittenberger Ablaßbefämpfer das Werkzeug fächli- 
cher Eiferfucht gegen den bei den Erträgen des Ablaſſes beihei- 
ligten Ehurfürften von Mainz zu erkennen geglaubt. Nicht zu 
läugnen ift, daß die Irrungen zwiſchen Sachſen und Mainz 
in ber erften Zeit auf den Gang der Bewegung von Einfluß 
gewejen jind. Eben durch die erfurter Angelegenheit waren 
fie herbeigeführt worden: auf das innigfte ſchien das Intereſſe 
der Stadt mit dem Handel des ſächſiſchen Mönches verbündet. 

Aber noch wichtiger und für die Aufnahme ber neuen 


deben esse judex istorum: sed veniet tempus, quando omnes stabimus 
ante tribunal justi judicis et tuno apparebit —. Chronic. Ecclesiast. 
p. 483, 4. Ad a. 14%. 

1) Abgedr. bei Faldenftein Alt:Mittel- und Neue Hiftorie von Erffurth 
1, 568 ff. Crotus empfing in Stalien fogar bie Nachricht, daß die Stabt 
fih fürmlih an Sachſen ergeben. Vgl. Crot. ad Urb. Bonon. 1518. Alt 
lib, epp. K 2 a. — 1521 folgte ein neue? Taiferliched Mandat gegen bie 
Stadt, weil der Rath eigenmächtig, ohne .Wiffen und Bewilligung be Chur⸗ 
fürften von Mainz Steuern ausgefchrieben hatte. Abgebr. bei Yaldenflein 
1. c. I, 580. | 


— 18 — 


Lehre wirkfamer war das Verhältnik, in dem die Bürgerichaft 
zu ber einheimischen Geiſtlichkeit ftand. 

Der anticlericalifche Geiſt, der fi nach Außen in dem 
Kampfe gegen Mainz zu erkennen gab, herrjchte auch im Innern 
der Stadt. Die alte Ehrfurcht vor dem geiftlichen Stande 
war verichwunden. Neibungen zwilchen Rath und Geiftlichkeit 
waren an ber Tagesorbnung. Die Privilegien und Eremtionen 
bed Clerus, einjt der Ausdruck der dem Stande gezollten Ber: 
ehrung, jchienen eine brüdende Laſt, eine Beeinträchtigung der 
ſtaäädtiſchen Wohlfahrt, feine reichen Einkünfte erregten Anſtoß 
und Xerger. Die Abgabenfreiheit. ver Geiftlihen wurbe um 
jo jchwerer empfunden, als bei ven finanziellen Bedrängniſſen 
der Stadt bie Laien mit Steuern überbürbet wurden ’). Man 
rechnete den geiftlihen Herrn ihre Einnahmen nach und war 
empört, daß Nicht3 davon dem verfchuldeten Gemeinweſen zu Gute 
fomme. Schon mehrmals hatte fich der Rath dadurch zu helfen 
gejucht, daß er fie gewaltfam zu den Auflagen herbeizog, ober 


2) Dies namentlich hebt der ungenannte Berfaffer des Gedichtes über 

den Pfaffenfturm hervor: 

Vnd als nun dem zu helffen wer 

mit radt, kunſt, gelt vnd ander meer, 

Solt man bie pfaffen foten Yan 

vnd nit vmb hilff auch finnen an. 

Man ſolt in geben zinß vnd reudt, 

obgleich vergieng, das got abwendt, 

Stat, dörffer, flecken, gmayner nutz, 

dannocht wellen ſy bitten truß, 

Sy wernß bapftes vnderthan, 

ber ſy im ſchutz frey halten fan, 

bes rats gelayt börfften fy nicht, 

ich main es jey Kain falſch gebicht, 

der fchimpff hat ſy geramwen wol, 

in ift geftedit ain ander mol u. |. w. 
Ain nein Gedicht wie die gauftlihait zu Erffort in Dhüringen Geſturmbt if 
worben Turgwenlig zu lefen. Anno 1521. 4°. (Am Ende: Geben onb geendt 
zu Weßel) A 2 b. — lieber den Steuerbrud der Bürger vgl. Falfenflein 
I. c. 1, 425, 444, 448, 572 und Gudenus Hist. Erf. p. 214. — 





— 10 — 


fich geradezu Eingriffe in geiftliche® Eigenthum erlaubte ?). 
Vorzugsweiſe waren bie zahlreichen religidjen Genoſſenſchaften 
Tolchen Anfeindungen ausgeſetzt. Man zählte in der Stabt 
zwölf verfchiedene Orden, acht männliche, vier weibliche ?), ihre 
weitläufigen, zerſtreut Tiegenden Gebäulichkeiten nahmen einen 
guten Theil der Stadt ein: redende Zeugen ber Frömmigkeit 
der früheren Jahrhunderte. Aber mas der fromme Eifer der 
Vorfahren gegründet, war den Nachkommen ein Gegenftand 
des Anſtoßes geworden. Der gemeine Mann murrte über bie 
Neichthümer und die Ueppigkeit der Mönche; Tüftern blickte 
der Rath nad) den ausgedehnten Befiyungen der Klöſter Hin- 
über: in dem Umfichgreifen ver Klöfter glaubte er die Urfichen 
der allgemeinen VBerarmung zu erbliden. Schon hatte er durch 
gefetliche Verordnungen der Vermehrung des Kloftervermögens 
ein Ziel zu ſetzen geſucht. Die neue Negimentdordnung von 
1510 jebte feft, daß der Rath vor Allem beim Papfte darum 
einfommen jolle, daß In Zufunft Erbichaften an Tiegenven 
Gütern den Klöftern nur auf die Lebensdauer des erbenden 
Mitgliedes . verblieben, „weil denn augenjcheinlih am Tage, 
daß die Bürger mit der (bißherigen) Weife die Länge wenig 
Tiegende Güter behalten würben, fondern zu noch mehrer Ver- 
wüftung der Stadt und Zerrüttung der Bürgerjchaft reichet 
und lange.” „Wo aber” fchließt die Verordnung, „folches 
von unſerm heiligften Vater dem Papft nicht erlanget, oder 
von den Klöftern in der Güte nicht zu Wege bracht werben 
möchte, alsdann auf andere Mittel zu trachten, damit der Stabt 
und Bürgerfchaft ferner Nicht? abgehe, noch dieſelben in weiter 
Abnehmen geführt, jondern in Weſen erhalten möge werben“ ?). 


1) Chronic. Eccles. Nicolai de Siegen p. 476, 477, 478. — 1488 
mußten fi das Peteröflofter, das Garthäuferflofter und die beiden Stifter 
jeded zu einer Zahlung von 1000 Gulden an ben Rath verfichen. 

2) Intereſſante Notizen darüber in der Hogel’Ichen Chronik (M. ©.) 
ad a. 1518. 


s) Ordnung, Statuta und Regimentsverbefterung ber Löblichen ubralten, 


— 10 — 


Keine aber unter den geiftlichen Corporationen traf der 
allgemeine Haß in jo hohem Grabe al? die Mitglieder der 
beiden Stifter zu Unferer Lieben Frau und zu St. Ser. 
Da oben um ihre beiden an Pracht mit einander wetteifernden 
Eollegiatkirchen herummohnend, bildeten fie gleichjam eine geift- 
liche Burg inmitten der Stadt. Reiche Einfünfte, ausgebehnte 
Befigungen, Privilegien ficherten ſie gegen die Wechjelfälle des 
ftädtifchen Lebens, dem überbied auch bie Meiften durch ihre 
Abkunft fern ftanden. Kein Wunder, wenn da ber gebrüdte 
Bürger mit Groll im Herzen zu ihnen heraufblickte. Was bie 
Abneigung gegen fie noch erhöhte, waren ihre nahen Beziehungen 
zu dem mainzer Stuhle, von dem bie Gründung ber beiden 
Stifter ausgegangen war !): als Anhänger de Erzbiſchoßs 
galten fie zugleich als deſſen Helfer im Kampfe gegen die Un- 
abhängigkeitäbeftrebungen der Stadt?). Zwiſchen dem Rath 


Stadt Erffurdt ꝛc. So geſchehen nach Chrifti unſers Lieben Erxlöferd und 
Seligmachers Geburt im fünffzehenhunderten und zehenben Jahre. Abgedt. 
bei Taldenftein I, 519 ff. Vgl. p. 539-—-40. Eine alte Abfchr. auf de 
Rathhausbibl. in Erfurt. — Der übermäßige Reichthum der Klöſter wurde 
aud ein Lieblingsthema der Prädicanten. Lange fpricht über „die grofien, 
hoben beufer, tiefe Teller, Föftliche gewelb, die Herren vnd fürften faum 
erbawen on erhalten mochten.” Bon gehorfam der Weltlichen oberfait und den 
außgangen ofterleuten. 1523. C 2 a. ‚‚Concedere etiam nolens co- 
geris’‘, wirft Euelfamer dem Ufingen entgegen, „Monachis et Sacerdo- 
tibus pinguissime a majoribus nostris provisum esse, pauperum vero 
nullam habitam curam.‘“ Adversus Magistri nostri Barptholamei 
Usingi impudentem libellum Jo. Cuelsameri confutacio. 4. 1523, C 1b. 

2) Auch des Severiftiftd. Die Angaben über das Jahr ber Tranzlatien 
der Gebeine bes h. Severus ſchwanken zmifchen 836 und 842. Vgl. Casp 
Sagittarii Antiquitates Ducatus Thuringici. Jena 1688 p. 136. Darin 
ftimmen alle Chronifen überein, daß fie durch Otgar, den fünften Erzbiſchof 
von Mainz, nad) Erfurt getommen feien. Eine gebenft der Webertragung it 
folgender für die Animofität gegen Mainz fehr charakteriftifchen Weiſe: „CH 
bifchoff Ottgar hat die Stadt Erffurt mit S. Severs Gebeinen vereht. 
Solche und bergleihen Sachen hatten die alten Ertz-Biſchoffe mit und zu 
Erffurt zu thun und wußten von feinem dominatu politico.” 

2) Sogar bei Nicolaus von Siegen findet fi die Aeußerung: „‚Becleria 
Moguntina et canonici multas terras, civitates et cnstra obtinehl, 


—- 11 — 


und den beiden Capiteln herrichte fortwährend die größte 
Spannung. Bereit3 mandyen Eingriff in ihre Rechte hatten 
die Stiftäherrn hinnehmen müſſen. Im Jahre 1515 ließ der 
Rath die geſammte Dienerjchaft beider Eapitel einkerkern. 1519 
brad) ein heftiger Streit au3 zwifchen dem Rath und dem Kieb- 
frauenjtift über die Ruckgabe des dem Stift zugehörigen Ortes 
Großrudelſtadt. 1521 kam es zu neuen Mißhelligfeiten mit 
dem Severiftift ?). Es war ein fortwährender Kriegszuftand. 

Auch in diefer Oppofition gegen ven Elerus folgte Erfurt 
der allgemeinen Strömung des ſtädtiſchen Leben; aber nur 
an wenigen Orten ift der oppofitionelle Geift jo allgemein und 
unverholen bhervorgetreten. Geſchlechter und Gemeine, wie 
Tchroff fie ſich auch font entgegenftanden, waren dem Clerus 
gegenüber einig. Der neue, aus ver Gemeine herporgegangene 
Rath, welcher 1510 den alten patrizifchen verbrängte und alle 
Handlungen dezjelben verdammte, nahm fich gleichwohl fein 
feindjelige® Verfahren gegen die Geiftlichleit zum Muſter. — 


Daß es dahin nicht hätte kommen Fönnen, wäre die Geift- 
lichkeit ihrem urjprünglichen Berufe getreu geblieben, Tiegt zu 
Tage. Es mag fein, daß der Dünkel der Humaniften und 
der evangelifche Eifer fpäterer Chroniften die Verſunkenheit 
des damaligen Firchlichen Lebens vielfach übertrieben hat ?), 
fo viel erſehen wir auch aus gleichzeitigen unverbächtigen Zeug- 
nifjen, daß die erfurter Geiftlichkeit in hohem Grade der allge- 
meinen Verderbniß ihres Standes anheimgefallen war. Der 








et tamen indigent, thesaurizant sibi, coram justo judice unusquisque 
videbit.‘“ Chron. Eccles. p. 4%. 

ı) Vgl. Erphurdianus Antiquitatum Variloquus bei Menden Script. 
Ber. German. II, 534. Gudenus Historia Erfurtensis p. 218. Hiftor. 
Relation von Erffurt Hei Falckenſtein 1. c. I, 578. 

2) Die feandaldfen Gefchichten, welche die fpätern Chroniften Hogel und 
Frieſe über einzelne Geiftliche mittheilen und von denen Erhard (Ueberl. zur 
vaterl. Geſch. I, 52, 53) einige gar treuberzig macherzählt, find weiter nichts, 
als Weberfebungen von Epigrammen bed Cordus! ine Vergleihung über: 
zeugt davon auf das fchlagendfte. 


— 12 — 


Geiſtliche trieb bürgerliche Gewerbe und Handel — namentlid 
mit Wein — wie der Laie, dem gegenüber er babet durch die 
Brivilegien feined® Standes im Vortheil war. An die geil: 
lichen Verrichtungen wurde der Maßſtab des äußern Ertrages 
gelegt. An Pflege geistlicher Wiffenfchaft achten die Wenigiten 
Das Predigtamt wurde vernachläffigt, oder in einer Wal 
geübt, die mehr zum Aergerniß, als zur Erbauung biente; fit 
Sebaftian Weinmann hatte bie Stadt feinen namhaften Prediger 
mehr aufzuweifen. Um jo mehr aber wurde Sorge getragen, 
daß Zinfen und Nenten zu gehöriger Zeit einfamen?). Auch 
an fittlihen Unordnungen fehlte es nicht: bei der Anweſenheit 
de3 päpftlichen Legaten Raymund freuten fich die im Eonur 
binat lebenden Geiftlichen nicht minder, al3 die Laien über bie 
Leichtigkeit der Sündenvergebung, die ihnen der verfündel 

Ablaß gewährte). | 

Und nicht beſſer ftand es um: den. Ordensclerus. Was 

einft der Mönch von Prüm in das Güterverzeichnig feme 
Abtei gefehrieben hatte, daß die Neichthümer, der Froͤmmigkeit 
Töchter, zulegt die Mutter aufgezehrt *), bewährte ſich auf 
bei den erfurter Klöftern. Die alte Zucht und Sitte war aus 
den meiften geſchwunden. Die Ordensregel wurde vernach 
läſſigt, die Clauſur nicht geachtet. An allen Tagesereigniſſen 


1) Cordus ſchildert dies nach feiner Weiſe: 
In missarium Sacerdotem. 
Aspicis, ut tristi querulus tibi rusticus ore 
Lachrymet et trepido supplicet üsque genu, 
Et sua differri petat unum debita mensem, 
Dum terat invectas proxima messis opes! 
Tu vehemens tamen exactor nil segnius urges, 
Perque tot exclusum cogis ab aede dies etc. Opp. Cord. 141. 
2) Nic. de Sieg. 1. c. p. 479. „Dixit quidam notabilis predicator 
(Weinmann?): Jam dicunt seculares et clerici concubinarii: jam ve 
Jamus audacter et libere peccare, quia de facile absolvi possamus.“ 
Vgl. Cord. Opp. (In concubinarios Sacerdotes) 122 b. 
2) „‚Religio nobis peperit divitins, sed filla deveoravit matren. 
Vgl. Marx, Geſch. des Erzſtifts Trier J, 264. 











— 13 — . 
fah man Mönche Theil nehmen. Bei jtäbtifchen Feſtlichkeiten 
fehlten. fie nie!), Mit weltlichen Händeln beichäftigten fie fich 
innerhalb der Slojtermauern. „Wollte jemand willen”, berichtet 
ein Chronift, „was fich im römischen Reiche zugetragen hatte, 
der konnte bei den Karthäujern es am eriten erfahren” ?). Man 
trat in's Klofter ein ohne Beruf, um gute Tage zu genießen’); 
fügte man ſich den Saungen des Ordens, jo geſchah es meift 
Außerlich, in handwerksmäßiger Weife, ohne innere Betheiligung. 
Eine tiefere Auffaſſung des Ordenslebens ſuchen wir bei den 
Meiften vergebend. Wie wenig der Geilt der Stifter ihre 
Drodensangehörigen beherrichte, das zeigte auch der rajche Eifer, 
mit dem die meiſten derſelben bald das Mönchdgewand von 
ſich warfen. 

Und aud) die Canoniker der beiden Collegien waren von dem 
allgemeinen Verderben ergriffen. Kaftenartig abgefchloffen, nur 


— — 


1) Ad quendam Monachum: 
Qui vos exclusi mundo monachique videri 
Vultis et insignes relligione viri? 
Qui sic errantes totam percurritis urbem 
Omnibus in plateis, omnibus inque foris, 
Omnibus in ludis, spectaclis conciliisque, 
Fornicibus, thermis, denique dic ubi non? 
Non adeo vagus ardelio, nun scurra prophanus, 
Et tamen in vestra credimus astra munu etc. Cord. 
Opp. 124. „Es mocht in der Stadt vorgehen was da wollte“, bemerft Hogel 
dazu, „da liefſen münd zu und bie gaflen auf und ab.” Ada. 1519. — 
„‚Quidquid agit mundus, monachus vult esse secundus““ war das Sprüd): 
wort der Humaniften. 

2) Gegen Carthäuſer und Franziskaner find die meijlen Angriffe bes 
Cordus gerichtet. — Vgl. Opp. 135 b, 138 a, 133 h, 134 a, 148 b, 149 a. 
Dagegen verfchont er die Benedictiner und Auguftiner. 

2) Wie 3. DB. Ufingen dem Mechler mit nadten Worten vorwirft: Tu 
autem juvenis a partecis, ut vocant, monasterium incurristi ut farcires 
ventrem, quaerens in coenobio quod foris hahere non potuisti. Vgl. 
Lihbellus F, Bartholomei de usingen augustiniani, in quo respondet 
confutationi fratris Kgidii Mechlerii monachi franciscani sed exiticii 
larvati et conjugati. 4%. S 3 a. — 

Kampfchulte, Univerfiiät Erfurt. IT. Tbeil. 8 


— 14 — 


auf die Wahrung ihrer Vorrechte bedacht, brachten fie, unehr 
geben? der alten Vorfchrift, ihre Tage In Unthätigkeit Bin. 
Nicht fo fehr al ein Amt, denn als einen Beſitz, den fie zu 
genießen berechtigt jeien, faßten fie ihre Winde auf. Willen: 
ihaftliche Beftrebungen lagen nicht minder darnieder, als die 
Uebungen ber Frömmigkeit. Das gemeinfame Gebet im Chor 
war zu einer leeren Form, zum äußern Erfennungszeiden 
geworden. Statt, wie es vorzugsweiſe in ihrem Berufe zu 
liegen fchien, fich der neu auffommenden humaniſtiſchen Rid- 
fung anzunehmen und fie im Einklang mit dem Firchlichen Leben 
zu erhalten, traten fie ihr fchroff verneinend entgegen, ver 
dammten und verfolgten, was zu widerlegen fie nicht im 
Stande waren. Nicht einmal der lutheriſche Streit konnte fie 
aus ihrer Unthätigkeit aufweden!). Ueber ihren fittlichen 
Wandel aber waren im Volk die ungünftigiten Gerüchte in 
Umlauf. Man wollte wijjen, daß nirgends die Meppigfeit und 
ber Einfluß der Dirnen größer fei, als in den Wohnungen 
der Canoniker ?). 

Sp allgemein war freilich die Verfunfenheit des Clerus 


— ti 





1) Vgl. Adversus Magistri nostri Barptholomei Usingi impudenten 
libellum Joh. Cuelsameri confutacio. E3Z3 a. 

2) Sehr derb ſpricht ſich die öffentliche Stimmung aus in dem weiter 
unten anzuführenden Gedicht de Gothard Schmalz. Da heißt es z. B. von 
dem NRotendörfer: 

Er hat ein Hur von Würzburg bracht, 
Er ift vierzehn Jahr Thumbher gemwefen 
Und bat noch nie fein Meß gelefen ꝛc. 
Das wefeler Gedicht fpricht fogar von dem öffentlichen prunkvollen Auf: 
treten der Soncubinen: 
„Wie wol fy ver het groſſen g’walt 
geübt und branget mancher g’ftalt 
Thrutz burgerin vnd Edelleut, 
als warn diß gemalte breut 
Zu eeren Priefterlihem ftand 
die alfer böften in dem land.“ 

An new Gedicht ꝛc. B3 b. 


— 15 — 


richt, daß nicht ehrenwerihe Ausnahmen noch an die Yute alte 
Zeit erinnert hätten. Es zählte dad Domftift unter feinen 
Mitgliedern nod Männer, wie den fittenftrengen, gelehrten 
und um bad Wohl der Stadt fo vielfach verdienten Henning 
Gorde. Dem Domftift gehörte auch der gefeierte Prediger Se- 
baftian Weinmann an, der nie müde warb, zur Umkehr und 
Beljerung aufzufordern. Unter den Mitgliedern des Severi- 
ftiftes finden wir den frommen Martin von ber Marthen, der 
noch im hohen Alter fich den Mühſalen einer Wallfahrt nach 
Serufalem unterzog‘). Der Curatclerus hatte noch in dem 
eifrigen und thätigen Pfarrer zu Allenheiligen, Andreas Frowin, 
einen würdigen Bertreter?). Noch gab es in den Klöſtern 
Manche, die in alter Weife dem Gebete, den Studien und der 
Arbeit oblagen. Da war in dem Auguftinerflofter, in dem 
Aberhaupt ein ernſter Geift herrfchte, der Bruder Bartholomäus 
Ufingen ein Muſter ftrenger Frömmigkeit und regen wifjen- 
ſchaftlichen Eiferd. Eine erfreulihe Erjeheinung ift aud) der 
würdige Abt Nicolaus, ber zu Anfang des Jahrhunderts dem 
Schottenflofter vorftand. Vor Allem aber verdient hier eine 
rühmliche Erwähnung das Benedictinerkloſter auf dem Peters- 
berge, dad eben gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts 
unter dem Einfluß der von dem Kloſter Bursfeld ausgegangeiten 
Reformbewegung und unter der Leitung ſeines vortrefflichen 
Abtes Günther einen Auffhmwung nahm, der in feinen Erſchei— 
nungen an bie fchönften Zeiten des Ordenslebens erinnert ?). 

Doch Berdienit und Würbigfeit der Minderzahl war nicht 


1) Vgl. Erf. Univ. Matr. ad a. 1521. 

2) „Pastor vigilantissimus omnium Sanctorum‘‘ wird er in ber 
Univerfitätämatrifel ad a. 1518 genannt. 

s) Das fchönite Denkmal diefer Erhebung ift die Chronik des ganz der 
Reform hingegebenen Nicolaus von Siegen, durch deren Herausgabe ſich jüngft 
Megele ein Verdienft erworben hat. — Wir begegnen darin Beifpielen der 
firengften Asleſe. (Vgl. p. 473). Leider aber ſcheint der Eifer bald nad) 
dem Tode Nicolaus’ (1495) und Günther (1502) nachgelaſſen zu haben. 

8 * 


— 116 — 


im Stande, den Eindruck zu verwifchen, den die Entartung 
der Mehrzahl machte. Der einmal ‚hervorgerufene Unwille 
fehrte fich gegen Würdige und Unwürdige ohne Unterjchie: 
hatte jich doch felbft der Fromme Abt Günther mehr ald ar 
mal über die eigenmächtigen Eingriffe des Rathes in die Ge 
vechtjame feines Kloſters zu beflagen '). 

In ſolchen Zuftänden fand Luthers Predigt einen frudk 
baren Boden. Auch ohne die Einwirfung der Univerfität, au 
ohne das perjönliche Snterefje, dag der „Bruder Martin” wegen 
ſeines fiebenjährigen Aufenthaltes in Erfurt einflößte *), war 
bier dem Evangelium der Erfolg fiher. Daran ift zwar bei 
dem unwiſſenden Haufen noch weniger, al3 bei den Humaniften 
zu denfen, daß er an Luthers theologifchen Weberzeugungen 
innerlichen Antheil genommen habe: nur daß es gegen Pfuffen 
ging, das fühlte man heraus: das genügte, um Luthers Sache 
den Beifall der Menge zu fihern ?). In ihm war der Befreier 
von Druck und Tyrannei der Geistlichen erfchienen. So ſchil— 
derte ihn auch Eoban feinen Mitbürgern, indem er ihn al 
jenen verherrlicht, „der es zuerft unternommen, den Schaafftall 
Chriſti zu reinigen, und an's Licht gebracht, daß die Hirten der 
Schaafe Wölfe feien” +). ALS Bekämpfer der clericalen Au— 


ı) So berichtet Nicolaus ad a. 1487, „Cousulatus Erfurdiensis per 
vim cepit monasterio 8. Petri suas jurisdictiones in lignetis et pratis, 
facientes contra voluntatem domini abbatis venaciones in lignelis 
monasterii montis 8. Petri.‘ 1. c. p. 447. 

2) Hängt es vielleicht damit zufammen, daß bie Rutheraner in Erfurt 
noch 1525 als „Martinianer” erfcheinen ? 

s) „‚Populus odio magis Sacerdotum, Monachorum et Canonica- 
rum legum, quam amore Christi a Rom. Ecclesin defecit‘“ fagt Wicel 
(Retectio Lutherismi A 2 a) von dem Abfall des Volkes im Allgemeinen: 
in Beziehung auf die niedere flädtifche Bevölkerung ift damit ficher nicht zu 
viel gejagt. 

I Qui primus Christi purgare aggressus ovile, 

Pastores ovium prodidit esse lupos, 
Ausus et a summis rationem poscere, furta 
Spem tulit illorum posse latere diu. 





— 17 — 


maßungen und Ungronungen, al3 Zerftörer der drückenden 
Pfaffenherrſchaft war Luther jener Apoftel, nach dem die Stabt 
ſich gejehnt. 

Wir haben bereit gefehen, einen wie glänzenden Triumph 
fie ihm auf der wormjer Fahrt bereitete. Wie aber Luthers 
perjönliche Anmefenheit den Enthufiagmus für ihn auf das 
böchite fteigerte, jo auch den Haß und den Unwillen gegen den 
Clerus. Luther Auftreten war nicht dazu angethan, die auf: 
geregten Gemüther in die Schranken der Mäßigung zurüdzu- 
weijen, und nur zu bald jollten die von Eoban jo überfchweng- 
lich gepriefenen Wirkungen feiner Predigt in verderbenbringenver 
Weiſe ſich Außern. 


Il. 


Der Friede, den dad Evangelium des weißen Sonntag? 
verkündete, hatte nach dem Berichterftatter über die folgenden 
Auftritte zugleich mit Luthers Perſon Erfurt verlaffen !). 








Eob. Farr. 11, 117. Aehnlich 1. c. p. 121, wo von ihm gefagt wird, er 
babe zuerft gelehrt: 
. Haemophagos blandis sub vulpibus ire leones 
Christicolamque avido perdere dente gregem. 
1) Bol. Das Pfaffenftürmen ao. 1521 durch Gothardum Schmalz gemacht, 
in deutſchen Reimen: 
Da er (Martin) zu Erffurth war allda 
Der Friede mit euch war ſein Thema, 
Seindt der Gottes Mann iſt hinweg gezogen 
Iſt der Friede gar mit ihm geflogen 
Da Martinus gen Erffurth kam 
Nichts gut darine richtet au 2c. 
Das Gedicht, deſſen Verfaſſer wahrſcheinlich mit dem 1507 immatrikulirten 
G. Sch. identiſch iſt, iſt noch ungedruckt, exiſtirt aber in vielen Abſchriften 
in den erfurter Chroniken. Der confeſſionelle Standpunkt der Abſchreiber hat 
einzelne Abweichungen herbeigeführt: ſo haben zwei Abſchriften der Münchener 
Hof und Staatbibl. Cod. Germ. 4908 vgl. Cod. Germ. 4010 einen ganz 
veränderten Schluß. — Als Aufzeichnung eines Augenzeugen, unter dem 
friſchen Eindrucke der Ereigniſſe niedergeſchrieben, iſt der Bericht die wichtigſte 


— 18 — 


Schon am achten April traten in der Stadt die Symptome 
einer jehr bedenklichen Gährung gegen die Geiſtlichkeit hervor. 
Luthers hitzige Ausfälle !) nicht minder, als das dumpfe Schwei- 
gen, welches namentlich die beiden Capitel dem allgemeinen 
Jubel entgegenfegten, hatten den alten Antipathien neue Nah— 
rung gegeben. Es bedurfte nur eines geringen Anſtoßes, um 
bie Leidenschaften der erregten Menge zu entfeſſeln. Diejer 
aber wurde von dem Clerus ſelbſt gegeben. 

Ungeachtet der ntgegenftehenden Anficht beider Capitel 
hatten zwei jüngere Mitglieder des Severiſtifts an dem feier 
fihen Empfange Luthers Theil genommen, Es waren bie 


— 


Duelle für dag Folgende. Sch. war felbjt mit unter den Stürmenden („I 
war auch mit im erften afchrei”) und befchreibt deshalb fichtlich erfreut die 
verrichteten Thaten mit aller Umſtändlichkeit, 

„Damit zu gedenden der Pfaffen wefen, 

Hiermit hat dieſes Gedicht ein ende, 

Gott wolle alle Piaffen fchenden 

Und jnen geben den verdienten Lohn, 

Wie fie umb ein jeden verdient bon. Amen. Anıen.” 
Mehr im Allgemeinen hält fid) dag ſchon angeführte, in Weſel (!) gedrudte, 
aber höchſt jeltene Gedicht: Min nero Gedicht, wie die ganftlichait zu Erffordt 
ꝛc. Es behandelt weniger dad Stürmen, als es im moralifirenden Volkston 
die Entartung des Clerus jchildert. Der Verfaſſer ift ebenfalls Augenzeuge 
und fchliegt noch erbaulicher, alö fein Vorgänger: 

Darbey will ichs bleyben Ion, 

got helff ung frid und ainigfayt bon 

Vnd geb vns dort die ewig freyd 

alhye behüt vor ſolchem layd 

Als tragen hat die ſelbig ſtat. 

wer wayß werß recht verſtanden hat. 

1) Aeußerungen wie folgende konnten ihre Wirkung nicht verfehlen: „Da 
kommen vnſer junckherrn vnd ſagen, Pascere heiß leges dare, geſetz geben 
allein mit verfürung. Aa es iſt wol gewaidet, ſy waiden eben die ſchaff, als 
die fleifchbawer am Oſterabent thun.“ Ober: „Es fein wol dreytauſent 
pfaffen, ynder den man vier recht nit vindt, got erbarm den jamer, vn jo 
man ſchon recht prediger hat, fo fagt man das Euangelium veberhin, vnd 
darnach gin fabel vom alten efel oder ain hiſtorie von Dietrich von Bern x. 
Ain ſermon D, Mortin Luthers, fo er x. zu Erffurdt gethon Anno 1521, 
A 3 up A 2 h. 








— 19 — 


beiden, uns ſchon aus Mutians und Eobans Umgebung bin- 
länglich bekannten Humaniften Juſtus Jonas und Johannes 
Draconiteg, die fich kurze Zeit vorher — wir wifjen nicht auf 
welchem Wege — ein Canonicat an der Severifirche zu ver: 
Ichaffen gewußt hatten. So natürlich bei ihnen, als Huma— 
niften, die Betheiligung an den Luther dargebrachten Hul- 
digungen war, fo natürlich auch die Entrüftung, welche ihre 
ältern Amtsbrüder darüber an den Tag legten. In Meberein- 
Stimmung mit. der päpftlichen Bulle, welche unter Strafe der 
Ercommunication den Umgang mit dem Gebannten unterjagte, 
befchloffen die Vorgeſetzten beider Capitel, der Dombechant 
Miedemann und der Dechant de Severiſtifts Doleatoriz, die 
beiden pflichtvergeffenen Canoniker als ercommunicirt zu bes 
trachten und nicht ferner zur Verrichtung ihrer Amtzfunctionen 
zuzulaffen, Diefer Beſchluß wurde bei Draconited — Jonas 
tehrte nicht wieder. in das Stift zurüd — wirflich zur Aus— 
führung gebracht: als er am Tage der Abreife Luthers zur 
gewöhnlichen Stunde im Chor erjchien, wurde er von dem 
Dechant mit dem Namen eines Ketzers empfangen und aus 
der Kirche gewieſen !). 

Schwer jollte diefer Amtzeifer gebüßt werben. Draconites 
beflagte fich bei jeinen Freunden über bie ſchmachvolle Behand: 
Yung unter bittern Ergießungen gegen die Xieblofigkeit und 
Pflichtvergeffenheit der Geiftlichen ?) und rief, wie es ſcheint, 


— — 


1) Schmalz J. c. ſpricht nur von einem „vor die Thor weiſen“, nach 
Luther (an Spalatin, De Wette IT, 5) hätte ihn der Dechant publice appre- 
hensa syndone aus dem Chor gezogen; noch greller malt Erhard (Ueberl. 
zur vater. Geſch. I, 40) die Mißhandlung aus, indeß ohne feine Angaben zu 
beweifen. — Als Anitifter des Verfahrens gegen Draco erſcheint bei Schmalz 
ber Domdechant Wiebemann. „Doctor Wiedemann heute zu.” 1. c. 

2) Draco Eobano ex candida Rota ‚‚Illud video, nullos longius 
a vera pietate abesse, quam eos, qui capita (si diis placet) religionig 
videri gaudent. Charitas in sacerdotibus refrixit, contemnuntar bonae 
literae, negligitur bona seriptura. Qui profitetur Christum hac tem- 
pestate haereticus dieitur.‘‘ Vgl. Beyschlag Sylloge varior. opuscul, 


— 120 — 


bie Hülfe der Univerfität an, deren Mitglied er war. Gein 
Schickſal erwecte die Theilnahme und den Unmwillen jämmt- 
licher Lehrer. Eoban fah in dem Verfahren der Stiftägeift: 
Tichen eine allen Gelehrten angethane Schmad. „Möchte doch 
dieſes Gefchlecht der Müßiggänger von dem Erdboden vertilgt 
werben”, fchrieb er in der erften Aufwallung an Draconites 
zurüd, „hoffentlich würde dann den Guten ihre Auszeichnung, 
der Tugend ihre Belohnung nicht länger vorenthalten werben. 
Du aber ftehe feit und laß den Muth nicht finfen! Das Schid: 
fal wird fchon einen Ausweg finden“ 1). 

Noch an demfelben Tage fand es ihn. Ehe noch von 
Seiten der Univerfität etwa für den Beleidigten gefchehen 
fonnte, wurde dad Vorgefallene unter der ftudirenden Jugend 
ruhbar und rief hier die größte Erbitterung hervor. Ihre 
Neigung zu tumultuarifchen Auftritten war von jeher groß 
und hatte, namentlich jeit die evangelifche Sache die Gemüther 
ergriffen, noch zugenommen 2). Dazu fam die Aufregung ber 


I, 345. Aus dem Briefe, der ohne Zweifel vom 9. April ift, (wie auch die 
gleich anzuführende Antivort Eobanz) erfieht man, daß Draco ſchon vorher 
den Rector der Univerfität von dem Gejchehenen in Kenntniß gefeßt batte. 
Die Beichuldigungen des Heinz von Scharfenftein, als habe Draco den Auf: 
ruhr angeftiftet (vgl. Strobel 3. Draconites p. 21) find grundlog, wenn 
auch erklärlich. — 

!) Eobanus Draconi ‚‚Quod ad tuum nıgotium cum virulentissimo 
Doliatore attinet, tuum non tantum sed et nostrum et doctorum 
omnium commune puta, — Ille profecto, sicut Jam rumusculi incre- 
bescunt, concitabit perniciem. Atque utinam hoc genus ignavissime- 
rum hominum tollatur e medie, futurum utique sperarem, ut et bonis 
sui honores essent, virtutique sua praemia. Tu ne cede malis, sed 
contra audentior ito. Fata viam invenient.‘“ Eob. et amic, epp. 
fam. p. 89, 

2) Dan erfieht dies u. A. auch aus den feit 1518 im Lib. rat. zahlreicher 
werdenden Straffällen; unter Meyger (1518) werden 11, unter Ceratin 10 
(darunter einer ob novum excessum commissum), unter Pla 11 auge: 
führt. Vgl. Lib. rat. ad a. 1518, 19—%0. — Zu einem größern Studenten: 
tumult fam es noch um Faftnacht 1521. — Bemerkenswerth iſt auch, daß 
der Dr. Beyer in dem über den wittenberger Decemberauflauf an den Chur: 





— 21 — 


legten Tage. Sofort wurde beichloffen, für die von den „Eur: 
tifanen” — Schon war diefe Bezeichnung üblich — verübte 
Unthat Rache zu nehmen. Unverzüglid ging man an's MWerf. 
Drohende Haufen fammelten ſich gegen Abend um die Woh- 
nungen der Stift3geiftlichen. Zu den Studenten gefellte fich 
jeßt der unruhige Stabtpöbel, der nur auf ein folches Zeichen 
geharrt hatte, um ſeinen Ingrimm an dem aus „der Armen 
Schweiß und Blut” gefogenen Pfaffengut auszulaſſen. Nach 
eingetretener Dunfelheit begann der Sturm. Mehr ala zwölf: 
hundert Studenten und Proletarier warfen fich wuthentbrannt 
auf die Wohnungen der Canoniker und ließen dieſe jebt in 
der roheften Weile die in der Stadt herrichende Stimmung 
empfinden. In wilden Haufen brachen fie in die Hänfer ein, 
zerichlugen Thüren und Fenfter, zertrümmerten dad Hausge: 
räth und was fte fonft vorfanden, und warfen die vorgefun- 
denen Speifevorräthe auf die Straße!). Die Betten wurden 
in außgelafjenem Muthwillen zerjchnitten und die Federn zu 
den Fenſtern hinaus gefchüttet, daß fie über die ganze Stadt 
binflogen „und es ein Anfehen hatte, al3 wenn es dick ſchneiete.“ 
Auch vergaß man nicht, die wohlverjehenen Keller zu erbrechen, 
„darzu fie nur einen Schlag und dad Wort Ephata gebrauchten”, 
und was von den reichen Weinvorräthen nicht genofjen werden 


— 


fürften eingefandten Berichte die Schuld auf die erfurter Studenten zu wälzen 
ſucht: „In summa e3 follen die Aufruhr etliche Studenten von Erffurth, bie 
an ihnen felbjt empöreriſch feyn, erwect haben.” Corp. Be I, 490. 

1) Bol. Hiftoria und befchreibunge des gantzen Lauffs und Leben, wie 
nemlich ih Daniel Greiser etc. B. 2 a. „Dieweil ich zu Erffurth in bie 
Schule gieng? machten die Studenten einen Auffruhr vnd ſtürmten die Pfaffen- 
häufer vmb die Savata und vnſer lieben Frawen und Severus Kirch berumb, 
ſchlugen alle Fenfter aus, ftieffen in den ftuben die Ofen ein, verterbten allen 
Baurath, ohn Scüffeln vnd Kannen, zerfpalteten die föftlichen vermofirten 
Tiſche, vnd warfen die ftüd alles deſſen fo ſy verterbet hatten auf die Gaffen 
hinaus, fampt allem was zu effen dihnete, als. Potter, Sped ꝛc. Greiſers 
Bericht, der nur von der Plünderung ber Stift3wohnungen fpricht, ift auf 
ben erſten Sturm zu beziehen. — | 





fonnte, wurbe muthwillig verſchüttet. Alles, wa3 den Erbit: 
terten in die Hände fiel, wurde der Zerjtörung preisgegeben. 
Die ganze Nacht hindurch bis in den nächſten Tag hinein 
wurde dieſes Treiben fortgeſetzt. Nur durch eilige Flucht ent 
gingen die Stiftsherrn ſelbſt perjönlihen Mißhandlungen. — 

So raſch folgte auf ven Subel, unter dem Luther einge 
zogen war, ber Triumph der entfefjelten Leidenſchaften und bie 
Herrſchaft zügellofer Willführ. Luther war kaum zwei Tage 
reifen von Erfurt entfernt), als fich der evangelische Eifer 
in jolcher Weiſe entlud. 

Erſt die Ermüdung fcheint dem Treiben der ſtürmenden 
Haufen ein Ziel gejegt zu haben. Wir vernehmen Nicht? von 
einer Dazwiſchenkunft der ſtädtiſchen Obrigkeit. Vielmehr nahm 
der Rath nach dem Borfalle eine Haltung an, die grabezu einer 
Billigung des Gejchehenen gleichfam. und den Clerus mit böfen 
Uhnungen für die Zukunft erfüllen mußte An Beftrafung 
der Mifjethäter war fein Gedanke. Nur Crotus, der auch jetzt 
noch jeinem alten Grundfage getreu blieb, machte den Verſuch, 
gegen die Anftifter des Aufruhrs, joweit fie zur Univerfität 
gehörten, mit Strenge einzufchreiten. Seine legten Amts 
Handlungen waren diefem Zwecke gewidmet ?); aber Die öffent: 
liche Stimmung war gegen ihn. Mißmuthig trat er im Anfang 
Mai von dem NRectorat ab und verließ bald darauf die Stadt, 
um fie nie wieberzufehen. 

Unter diefen Umständen ließ e3 ſich unſchwer vorausſehen, 


daß es bei dem Gefchehenen nicht bleiben werbe. 


1) „Quo tempore nos Isenachum venimus“, jagt er felbft, Habe ber 
Auflauf ftattgefunden d. i. am 9. April. Vgl. De Wette II, 5. 

2) Er hielt fein Ießte$ Secretum cuncilium feria VI. post Marci, 
„„in quo tractatum est de excessibus juvenum seditionem excitantium.“ 
Lib. rat. ad Rect. Crot. 





II. 


Obgleich die Rude in den nächſten Wochen äußerlich nicht 
gejtört wurde, dauerte doch die Gährung in ben Gemüthern 
fort. Der Haß gegen die Geiftlichfeit fteigerte fi) unter dem 
Einfluß de3 Evangeliums von Tag zu Tag. Die Ihlimmften 
Gerüchte wurden über das frühere Leben und Treiben ber: 
felben in Umlauf geſetzt und geglaubt. Lange, der Auguftiner, 
fuhr fort durch aufregende Predigten Haß und Leidenſchaft ber 
Menge anzufachen !). Die Straflofigkeit der frühern Frewel 
wirkte verlodend. Schon in der eriten Hälfte des Mai fprach 
man von einer gemeinjchaftlich von Studenten und Handwerkern 
angezettelten Verſchwoͤrung. Der Clerus ſchwebte in fortwäh- 
vender Angft, ahnend, daß er erft feiner Leiden Anfang erfahren 
habe. Von dem Rathe geſchah Nichts, um dem drohenden 
&Sturme zu begeguen. Immer büfterer 309 ſich der Himmel 
über Erfurt zufammen. Luther, der auf der Wartburg von 
diejen Zuftänden erfuhr, wurbe an das alte prophetifche Sprüch- 
wort Erfordia Praga erinnert und glaubte, die Zeit feiner 
Erfüllung fei gelommen ?). Lange verfündete offen den Grunb- 
faß, daß dad Evangelium in Erfurt der Gewalt des Schwerte? 
bedürfe *). Noch im Laufe de Monat? Mai Fam ed zu neuen 


— 


1) Sein ſtets wieberfehrended Thema war das bisherige Verberben, dag 
fi) nad ihm auf den Clerus beſchränkt zu haben ſcheint. Vgl. J. Langi 
Erph. Epistola ad Exoell, D. Mart. Margaritanum Erph. Gymnasli 
Recterem, 4°, 1524, Zu feiner Entſchuldigung führt er an, daß er bei 
feinen Auzfällen Keinen genannt habe: „In genere de viciis disputavi 
et neminem nuncupatione designavi.“ 1.c.B3a. 

2) Luth. an Spalatin 14. Mai 1521. „‚Interin metuunt (sc. sacer- 
dotes) majora; senatus dissimulat, male audiunt sacerdotes illic, et 
artificum Juventus cum juventute literata conspirare dicitur. Prope 
est, ut prover3io prophetico fortasse satisfaciant, quo dictum est: 
Erphordia Praga.“ De Wette II, 5. 

3) Seine um diefe Zeit erfchienene Ueberfegung des Evangeliums Mathäi 
widmete er dem jtreitbaren Hermann von Hoff, damit diefer es mit dem Schwerte 


— 12 — 


fonnte, wurbe muthwillig verfchütte, Alles, was den Erbit: 
terten in die Hände fiel, wurde ber Zerjtörung preisgegeben. 
Die ganze Nacht hindurch big in den nächſten Tag hinein 
wurde dieſes Treiben fortgefeßt. Nur durch eilige Flucht ent 
gingen die Stiftsherrn ſelbſt perjönlichen Mißhandlungen. — 

Sy raſch folgte auf den Jubel, unter dem Luther einge 
zogen war, der Triumph der entfeljelten Leidvenjchaften und bie 
Herrichaft zügellofer Willführ. Luther war kaum zwei Tage 
reifen von Erfurt entfernt), ala ſich der evangelifche Eifer 
in jolcher Weiſe entlun. | 

Erft die Ermüdung jcheint dem Treiben der ſtürmeunden 
Haufen ein Ziel gejegt zu haben. Wir vernehmen Nichts von 
einer Dazwiſchenkunft der ſtädtiſchen Obrigkeit. Vielmehr nahm 
der Rath nach dem Borfalle eine Haltung an, die grabezu einer 
Billigung des Gefchehenen gleichfam und ven Eleruß mit böfen 
Ahnungen für die Zukunft erfüllen mußte An Beſtrafung 
der Mifjethäter mar fein Gedanke. Nur Erotuß, der auch jet 
noch jeinem alten Grundfage getreu blieb, machte den Verſuch, 
gegen die Anftifter des Aufruhrs, joweit fie zur Univerfität 
gehörten, mit Strenge einzujchreiten. Seine legten Amt 
Handlungen waren biefem Zwecke gewidmet ?); aber die öffent: 
lihe Stimmung war gegen ihn. Mißmuthig trat er im Anfang 
Mai von dem Nectorat ab und verließ bald darauf die Stabt, 
um fie nie wiederzujehen. 

Unter diefen Umftänden Tieß es ſich unſchwer vorausſehen, 
daß es bei dem Gefchehenen nicht bleiben werde. 


1) „Quo tempore nos Isenachum venimus‘‘, fagt er felbft, habe ber 
Auflauf ftattgefunden d. i. am 9. April, Vgl. De Wette II, 5. 

2) Er hielt fein letztes Secretum c,ncilium feria VI. post Marci, 
„„in quo tractatum est de excessibus juvenum seditionem excitantium.“ 
Lib. rat. ad Rect. Crot. 





II. 


Obgleich die Ruhe in den nächſten Wochen äußerlich nicht 
geftört wurde, dauerte doch die Gährung in den Gemüthern 
fort. Der Haß gegen die Geiftlichfeit fteigerte filh unter dem 
Einfluß des Evangeliums von Tag zu Tag. Die Ichlimmften 
Gerüchte wurden über das frühere Leben und Xreiben der: 
ſelben in Umlauf geſetzt und geglaubt. Lange, der Auguftiner, 
fuhr fort durch aufregende Predigten Haß und Leidenſchaft der 
Menge anzufachen !). Die Straflofigkeit der frühern Frewel 
wirkte verlocdend. Schon in der erften Hälfte des Mat fprad) 
man von einer gemeinschaftlich von Studenten und Handwerkern 
angezettelten Verſchwoͤrung. Der Clerus fchwebte in fortwäh- 
render Angft, ahnend, daß er erft jeiner Leiden Anfang erfahren 
babe. Bon dem Rathe geſchah Nichts, um dem brohenden 
Sturme zu begegnen. Immer büfterer 309 ftch der Himmel 
über Erfurt zufammen. Luther, der auf der Wartburg von 
diefen Zuftänden erfuhr, wurde an das alte prophetiiche Sprüch- 
wort Erfordia Praga erinnert und glaubte, die Zeit feiner 
Erfüllung fei gekommen ?). Lange verkündete offen ven Grunb- 
fab, daß das Evangelium in Erfurt der Gewalt des Schwerte? 
bedürfe *). Noch im Kaufe des Monat? Mai kam es zu neuen 


— — 


2) Sein ſtets wiederkehrendes Thema war das bisherige Verderben, das 
ſich nach ihm auf den Clerus beſchränkt zu haben ſcheint. Vgl. J. Langi 
Erph. Epistola ad Rxoell. D. Mart. Margaritanum Erph. Gymnasii 
Rectorem. 4°, 1524, Bu feiner Entſchuldigung führt er an, baß er bei 
feinen Auzfällen Keinen genannt habe: „In genere de viciis disputavi 
et neminem nuncupatione designavi.“ 1.c.B3a. 

3) Luth. an Spalatin 14. Mai 1521. ‚Interim metuunt (sc. sacer- 
dotes) majora; senatus dissimulat, male audiunt sacerdotes illic, et 
artificum Juventus cum juventute literata conspirare dicitur. Prope 
est, ut prover5io prophetico fortasse satisfaciant, quo dictum est: 
Erphordia Praga.“ De Wette II, 5. 

3) Seine um diefe Zeit erjchienene Ueberfegung bes Evangeliums Mathäi 
widmete er bem jtreitbaren Hermann von Hoff, Damit diejer es mit den Schwerte 


— 124 — 


Gemaltthätigfeiten gegen die Geiftlichkeit. Schon begann Luther 
mit ernfter Beforgniß auf Erfurt und den Glaubenseifer feiner 
Einwohner hinzublicken. „Wenn es auch gut iſt“, Jchrieb er 
im Mai an Melanchtbon, „daß jene unbeugfamen Böjewichter 
geftraft werben, jo bereitet doch ein folches Verfahren unjerm 
Evangelium Schande und gerechte Vorwürfe. in Tolches 
Wohlwollen der Menfchen gegen mich betrübt mich jehr. Wir 
jehen daraus deutlich, daß. wir vor Gott noch Feine würdige 
Diener jeined Wortes find, und daß der Teufel über unfere 
Bemühungen lacht und ſpottet“ 2). 

Einen eigenthümlich befremdenden Eindruck machte aud 
auf Luther das Benehmen des erfurter Rathes, der bei allen 
biefen Wirren die Rolle eines müßigen Zufchauers ſpielte und 
nicht einmal durch die Tegten ſtürmiſchen Auftritte fich zu ernft- 
lihem Einfchreiten veranlaßt fand ?). Keine Anftalt wurde 
getroffen, den Clerus gegen die Ausbrüce der Volkswuth zu 
jhüßen, nirgendwo der Verfuh gemacht, den immer gefähr: 
licher werdenden Umtrieben ein Ziel zu jegen. — Es war bie 
Rache, die ver Rath jest für die längft zum Gegenſtande des 
Anſtoßes gewordene Abgabenfreiheit der Geijtlichfeit nahm; 
ſchadenfroh gab er dafür die Wehrlofen jebt der Erbitterung 
des Pobels preis! 

Es iſt aber mehr als wahrfcheinlich, daß der Rath dabei 
nicht ftehen geblieben ift, daß er vielmehr felbjt im Geheimen 
die Gährung thätig befördert Hat. Dur den Einfluß des 
Rathes iſt es ohne Zweifel gefchehen, daß jebt der Unwille 
der Unzufrievenen vor Allen gegen die Privilegien und Erem: 


veriheibige. „Dan muß leider ſchyr das euangelium mit dem ſchwert erhalten.“ 
Vgl. Riederer Nachrichten 2c. I, 253 —4. Daß auch Luther mit feinem ba: 
maligen Auftreten unzufrieden war, erfieht man aus feinem Briefe an Me: 
lanchthon. De Wette I, 7—8. 

1) Bol. De Wette IT, 8. 

2) „Audio Erfurdiae in sacerdotum domus vim fieri; quod mirur 
permitti et dissimulari a senatu.“ ]. c. 11, 7. 








— 15 — 


tionen des Clerus fich Fehrte, während es bei dem Aprilauflauf 
blos auf Befriedigung perjönlicher Rache und der Beutegier 
des Poͤbels abgefehen war). Sin der leivenjchaftlich erregten 
Menge fand der Rath das Werkzeug zur Durchführung feiner 
alten, gegen die Vorrechte und Reichthümer des Clerus — 
zumal des Stiftsclerus — gerichteten Anfchläge, und er trug 
um fo weniger Bedenken, fich dezjelben zu bevienen, als er 
ſchon früher bei Verfolgung feiner Abfichten oft und offen- 
fundig genug den Boden ded Rechtes und Geſetzes verlafjen 
batte?). Es war eine Verbindung zwijchen einer pflichtver- 
geflenen Obrigkeit und dem aufrühreriichen Haufen zun Ber: 
derben des Clerus. — 


Inmitten dieſes gefeßlofen Treiben? nahmen fich allein 
die Univerfitätälehrer dev Sache der Ordnung an. Es war, 
als hätten fie jebt die frühere Schuld fühnen wollen. Die- 
jenigen, welche fo eben noch feurig der Freiheit dad Wort 


ı) Die Chroniken führen alle einftimmig als ben Grund bed Juniauf—⸗ 
ſtandes den Unmillen über die Abgabenfreiheit ber Geiſtlichen an. „Iſt alles 
der Pfaffen fchuldt geweien, denn fie haben bürgerlihe Pflicht nicht thun 
wollen. Darumb ift Inen das Ire genommen worden.“ — Daß Ion 1521 
ber Rath der Anftiftung des zweiten Aufruhrs befhuldigt wurde, erfieht man 
auch daraus, daß ihn der Ungenammte dagegen in Schuß nimmt: 

Auch nicht auß aygnem befelch geichechen 

ains erbarn radts, wie wir veriten. 
Ain nem Gedicht ıc. B 3 a. Das Beuehmen bed Raths während des Auf: 
ruhrs befeitigt jeden Zweifel über feine Stellung zu demfelben. 

2) Etwa? furdtfam — weil unter den Augen des Raths — aber doch 
beutlih genug, drüdt ſich Uſingen über bad Verhalten des Rates aus: 
„Tyranni sunt, qui ob situm bonorum ecclesiae tam monasteria, 
quam ecclesiastica collegia libenter pessum ire viderent: propter 
quod ad insolentiam et perfidiam priapistarum connivent et popularem 
feccem populabundum clericis in doımum irruere permittunt et rident, 
sperantes forsitan per hunc modum tandem ad se venire bona cleri 
et religiosorum.‘“ Sermo de Sancta Cruce. B 1 b. — Guden, der bier 
übrigens einfeitig die clericalen Anterefjen vertbeibigt, fieht geradezu bie ganze 
Bewegung als ein Merk ded Rathes an. „‚Idque instigante Senatu his 
motibus actum est, ut Clerus ad tributa cogeretur.‘“ Hist. Erf. p. 2%, 





— 16 — 


geredet, verftummten jeßt, als fie eine rohe Pöbelherrfchaft in 
bie brohendfte Nähe geftellt fahen, und zogen fich betroffen 
zurüd. Die Leitung der Univerjttät ging in die Hände der 
Gemäßigteren über. Ahnen gehörte auch der nette Nector 
Martin von der Martben an, ber im Anfang Mai an ded 
abgegangenen Crotus Stelle trat. Man hatte ihn gewählt, 
weil ihn Alter, Erfahrung und Geſchäftskenntniß unter ben 
gegenwärtigen Umftänben ald den Geeigtietften zur Verwaltung 
des Nectorat3 erjcheinen Tieß +). Mit Eifer und Umficht trat 
er dem unter der academifchen Jugend berrfchenden Beifte eht- 
gegen. Gegen Range wurde wegen feine demagogiſchen Treiben 
ein ftrenged Verfahren eingeleitet. | 

Aber was vermochte der Pflichteifer Einzelner, mo der Geift 
der Empörung alle Claſſen durchdrungen hatte, und diejenigen, 
in deren Aufgabe es Tag, der herrjchenden Zügellofigfeit zu 
begegnen, fie in Schuß nahmen! Das gegen Lange eingeleitete 
Verfahren blieb ohne Erfolg und diente nur dazu, die allge 
meine Aufregung zu erhöhen. Am vierten Juni richtete Lange 
felbit ein Schreiben an den Rector, in dem er drohend auf 
feine zahlreichen Beſchützer hinwies *)! | 

Wenige Tage fpäter entlud fich diefe Stimmung in einem 
zweiten Sturme gegen die Geijtlichkeit. 


IV. 


Die bisherigen Leiden und Drangjale ded Clerus waren 
nur unbedeutende Vorfpiele zu det Scenen, deren Schauplak 
Erfurt in den Tagen vom zehnten bis zum zwölften uni 
war. Sie führen bei den ftädtifchen Chroniften vorzugsweiſe 


1) Vol. Praef. ad Rect. Mart. Margaritani,. E. U. M. ad a. 1521. 
Er war kurz vorher von felner Reife in das gelobte Land zurückgekehrt. 

2) „Si quis me laeserit, non solum me lacserit, certo sciat, sed 
et veritatem Ipsam et veritatis amatores omnes.‘“ Epist. Joh. Tangi 
ad Mart. Marg. B3 a. 


— 171° — 


den Namen des Pfaffenfturmes !). Urheber derjelben waren 
die verbündeten Studenten und Handwerker, und offenbar 
bangen fte mit jener Verſchwoͤrung zufanmen, die ſchon in ben 
eriten Tagen des Mat gegen den Clerns angezettelt worden 
war. Es war eine Wiederholung der Auftritte im April in 
vergrößertem Maßſtabe. Was damals in Folge einer plöß- 
lichen Aufwallung und planlos gegen einen Theil der Geiſt⸗ 
Vichfett gefchehen war, dad wurde jet nach einem verabredeten 
Plan und mit gefteigerter Leidenfchaft gegen den gejammten 
Stand unternommen. Zwei Tage lang ertönten die Straßen 
der Stadt von dem Klageruf der bevrängten Geiftlichen und 
dent wilden Siegedgefchrei der ftürmenden Menge. Der Rath 
aber beobachtete bei dieſen Vorgängen eine Haltung, die jeden 
Zweifel über feine wahre Geftinnung befeitigte. 

Mit dem Loſungsgeſchrei „Jupiter“ feste Fi am Abende 
des zehnten Juni ein bewaffneter Haufe von Studenten und 
Handwerkern gegen die Pfaffenhäufer in Bewegung Der 
Sturm wurde eröffnet mit dem Angriffe auf die Wohnung 
des Kebey am Roßmarkte, der als „Lofer Fuchs und Eurtifan“ 
zum erften Opfer der Rache auserſehen war. Da er jelbft, 
wie jeine meiften Standesgenofjen, anf die Kunde von ber 
nahenden Gefahr, in eiliger Flucht ſein Heil gefucht hatte, 
entlud ft) der Grimm bed Haufen? in milder Zerftörung 
feiner Habe. Das Nämliche gefchah in ber in der Nähe Tie- 
genden Wohnung des ebenfalls geflüchteten Pfarrers zu St. Bit. 


1) Den Aprilauflauf übergehen die Chroniken mit Schweigen. Ebenſo 
fpreen Guben 1. c. p. 219, Motſchmann Erf. Lit. vierte Samml. p. 483, 
Sinnhold De meritis Mart. Lutheri p. 13 nur von dem Juniaufſtande. 
Auf diefen find auch das weſeler Gedicht und die von Schmalz erzäßften 
Scenen (mit Ausnahme des über Draconites Berichteten) zu beziehen. Die 
von Schmalz erzählten Scenen auf den April und Juni zu vertheilen, wie 
Erhard (Meberl. I, 44) verfucht, ift nach den mir zu Geficht gekommenen, 
zahlreichen Abjchriften nicht zuläffig. Ueberhaupt find die dürftigen Notizen 
bei Erhard 3, c. ungenau, theilweiſe irrig. 


! 


— 18 — 


Dann warf ſich die Rotte auf die Wohnung des vwerhaßten 
Domdechants Wiedemann. Der Knecht desſelben, welcher ven 
Eindringenden zu wehren verfuchte, wurde in die Gera ge 
worfen, drinnen aber die Ärgjte Verwüſtung angerichtet, das 
Hausgeräth zerichlagen, die Bibliothek vernichtet, der „römijche" 
Wein als gute Beute genommen. „Keiner ging ohne Schaden 
heraus“ 1). Dann folgte der Angriff auf den weihbijchöflichen 
Balaft, der in der übelften Weife zugerichtet wurde, und bie 
Erjtürmung der Weinkeller dev Geiftlichen unter der Cavata, 
in denen die Stürmenden unter allerlei Ausfchweifungen bis 
nad Mitternacht haufeten und neuen Muth für die Kortjegung 
des Begonnenen jchöpften. Unaufhaltſam wälzte jich won nun 
an der Strom der Verwüſtung weiter. Es wurde „gejtürmt” 
Friedrich Stein, Hammer, der Notar, Edesheim, Martin Shi, 
Caspar Viehaus, der Dechant zu St. Sever. Mit der Menge 
der verübten Gewaltthätigfeiten wuch die Wuth der Stür— 
menden. In der von zahlreichen Geiltlichen bewohnten Lauen- 
gaffe wurden die fürchterlichjten Verheerungen angerichtet. Nicht 
einmal der unjchuldige, um die Blüthe der Univerfität jo hoch— 
verdiente Maternus fand Gnade?) Erjt der anbrechende 
Morgen machte dem Unwejen ein Ende Ermüdet und mit 
dem Gethanen für jebt zufrieden ging der Haufen gegen Tages: 
anbruch auseinander. Zuvor aber wurde der Beihluß gefakt, 
in der nächſten Nacht abermals mit Waffen verjeben und in 


1) Nach einer Notiz in der Chronif des Nicolaus von Siegen p. 500 
bat der Sturm gegen Wiedemann in der Nacht vor Barnabas (10. auf 11. 
uni) fattgefunden. (Erhard läßt ihn im April flattfinden). Der zweite, 
ungleich beftigere Sturm geſchah in der folgenden Nacht vom 11. auf den 12. 
und wurde den nächſten Tag noch fortgejeßt, daher in dem Klagelibell des 
Clerus ber 12. Juni (Mittwoch nad) Bonifazii) als der Tag de Sturmes 
aufgeführt wird. 
2) „Sie famen in Er Maternd Haus 
Der fiel hinden zum Fenfter naug 
das er lag, als wer er gar tobt 
bie Pfaffen waren in großer not.” — Schmalz 1. c. 


— 19 — 


größerer Anzahl zufammenzutreten, um da3 angefangene Wert 
zu vollenden !). 

Auf den Schreden der Nacht folgte die Ungewißheit de 
Tage. Lärmende Volkshaufen liefen vor den „geftürmten“ 
Pfaffenhäujern zufammen, um zu dem Schaden den Spott hin- 
zuzufügen. Keine Obrigkeit regte fih. Der größte Theil der 
Geiftlichkeit, der Dechant Wiedemann unter den Eriten, flüchtete 
fich noch) vor Sonnenuntergang aus der Stadt. Nach einge: 
tretener Dunkelheit aber traten die Helden der vorigen Nacht, 
wie verabredet worden, „auf der Schul” zufummen. Ihre An- 
zahl wurbe beträchtlich vermehrt durch den hinzukommenden 
ftädtifchen Poͤbel. Sie theilten fich jegt in drei Haufen, um 
fich die Arbeit zu erleichtern, Die geftrige Loſung „Supiter” 
wurde, da die Rateinverftändigen die bei weiten geringere Anzahl 
bildeten, mit der deutichen „R. ©. M. Delberg” vertanfcht. 
Unter Fackelſchein gejchah der Aufbruch ?). Der Sturm begann 
gegen Mitternacht mit dem Angriffe auf dad Haus „zum weißen 
Löwen“, in welchem ber wegen feiner Strenge verhaßte Rector 
Martin von der Marthen wohnte. Es beburfte eines brei- 
maligen Angriffe, bis die Stürmenden dieſes wohlbefejtigten 
Hauſes Meifter wurden: deſto größer aber war ihre Zeritö- 
rungswuth nad) gewonnenen Siege. Dann fam der mainzijche 


1) „Sprach ein Geſell, wolt jr hören: 
Wir müſſen uns ftärfer mehren, 
Morgen zu nacht dünfet mich gut, 
Ir müft auch wiffen wie man jm thut. 
Ir folt nicht reden viel Latein 
R. S. M. fol die Lofung fein 
Bud der Delberg joll fein unfer vath, 
Wer das abftehet der fei tobt. 
Seid gefchidt mit Erten und Barten . 
Auf der Schul wollen wir warten 
Und bringen mandyerlei wehre 
So tretten wir tapfer einhere“ ıc, 1. c. 

2) Yin new Gedicht ꝛc. B3b. 

Kampſchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil, 9 


— 90 — 


Küchenmeifter Engelmann an die Reihe, „ver bat gejchrieben 
gen Mainz die Heimlichkeit eined ehrbaren Rath's.“ Ihm 
gelang es, durch begütigende Worte bie Menge zu bejänftigen; 
um fo fürchterlicher wurde bei den Webrigen gehaujet. Den 
Reigen eröffnete Neidhard, „ver den Namen hat mit der That“, 
dann folgten Peter Juris, Soemering, der Stegelbewahrer, der 
vergeblich den Sturm von fich abzuwenden juchte), Beruhard 
Brüffel, Peter Mußhaus, „der ift der größte Kügener”, Hol- 
vegel, Günther von Heringen, der Notendörfer, dem es nicht? 
half, daß feine Dienerſchaft ihn für „gut martiniich” ausgab, 
Riemann, der Offizial, Nicolaus Roth, Hans Ziegeler, Pfauen- 
tritt, „der kann heucheln, ift ein lang Wann, hat viel Lanzknecht 
gekleidet an”, Hand Koch, Melchior Botelſtedt; und jo ging es 
die Reihe entlang. „Berjchont ift bie Fein Pfaffenhaus.” Wer 
Außerlich ich als pflichtgetreuer Geiftlicher gezeigt Hatte, wie 
Hanz Han, dem wurde heimliche BoSheit vorgeworfen. Nur 
Armuth entjchuldigte. Das erfuhr Magiſter Cappel, „ein 
armer Pfaff“, ver unter Allen am glimpflichiten davon Tam?). 
— Die Gewaltthätigfeiten, von denen diefe Auftritte begleitet 
waren, überboten noch die Frevel der vorigen Nacht. Des 





1) „Ich hört von dem alten Sieglern, 
Dem wollten ſie die Platten ſchern, 
Er bot jhn vil des guten Wort, 
Eſſet vnd trinkt, lieben g'ſelln geht fort. 
Was ihr haben wolt das ſoll ſein, 
Man ſoll euch geben den beſten Wein, 
Geſotten vnd gebraten, 
Das macht, daß fie ihm nichts thaten“ ꝛc. Schmalz. 
Aber er mußte ſich doch nach Sömmerda flüchten und auch da „haben fie ihn 
geſtürmbt.“ 
2) „Magiſter Cappel erbot ſich 
Was wolt jhr geſelln? hie bin ich 
Ein armer Pfaff, hört eben 
Ich will euch einen Gulden geben, 
In dem lieffen ſie fortan 
Vnd haben Ihm gar nichts gethan.“ J. c. 











— 1531 — 


Motendörferd Knecht, ber dad Eigentum feined Herrn zu 
Tchügen verfuchte, wurde erftochen, daß Haus gänzlich unbe 
wohnbar gemacht. Bei Niclas Bötner verjchente bie Zerſtoͤ⸗ 
rungswuth Nicht, als einen Tiſch; denn „auf diefem Tiſch 
Stand geichrieben auch martinifch, darum ift er geblieben unge: 
ſtört.“ Es war auch jet wicht eigentlich auf Beutemachen 
abgejehen, obgleich von Einzelnen bie Gelegenheit Yazu benußt 
wurde: nur vernichten und zerftören wollte man das verhaßte 
Bfaffengut ). Es war eine fchredliche Vergeltung für die 
alten Sünden bed Clerus. 

Auch den folgenden Tag Über wurde dieſes wilde Treiben 
fortgefeßt. Die Haufen der Stürmenden wuchſen von Stunde 
zu Stunde Alles loſe Gefindel der Stadt, auch Bauern aus 
der Umgegend ſchloſſen fic, ihnen an. Als das Werk der Zer⸗ 
ftörung an den Wohnungen der Geiftlihen vollendet war ?), 
zogen die Schaaren vereint vor das erzbiichöfliche Gerichiäge- 


2) Bol. Ain new Gedicht ꝛc. B3 a. 
„Das wil ich darbey laſſen beftan, 
ſy habens tapffer griffen an 
Mit fturmen, ſchlagen, brechen ein, 
kain veflung mocht dafür gefeyn, 
Als man fihd dann verfehen het 
Die thär mit rigeln wol beftet 
Mit flainen, hole und bäumen groß, 
Halff nit es gſchach jo mancher ftoß, 
Müft als zü trimmer fallen bin; 
zerbrechen fchlecht was ir gewin, 
Bon bannen warb getragen nit, 
wie wol man etlich bößwicht 
Hat funden, die rauberlicher art 
zu griffen, wie e8 in aber wart 
.  Berboten, wiſſen fo felber wel ꝛc.“ 
2) Die Anzahl der „geftürmten” Häufer wird verfchieden angegeben ; nad 
ben geringſten Angaben wären «8 44 gewefen, nach ben Ungenamuten find 
m eimer (der Iehten) Nacht 60, nach Eoban über 50 Hänfer erſtürmt. Nach 
den amtlichen Aufzeichnungen der Univ. (Lib. rat. ad Rect. M. Marg.) 
belief fih ihre Anzahl auf mehr ala 60. 
9% 


— 182 — 


bäude. Unter Verwünſchungen der erzbiſchöflichen Tyrannei 
wurden Fenſter und Thüren eingeſchlagen, die Wände einge— 
riſſen, das Dach abgedeckt, alle vorgefundenen Documente, 
Zinsregiſter u. dgl. zerriſſen und zerſtreut. Da endlich wurde 
Halt geboten. 

Schon nach den erſten Scenen hatte die bedrängte Geiſt⸗ 
lichkeit die ftädtifche Obrigkeit um Hülfe angefleht und fie auf 
ihre Pflicht, für Sicjerheit und Ruhe zu forgen, bingewiefen. 
Allein der Nath blieb taub gegen ihre Vorftellungen und ver- 
harrte die ganze Zeit hindurch in feiner Unthätigkeit. Erſt 
nach den letzten Vorgängen, als daS Machegefühl gegen bie 
Geiftlichkeit befriedigt war, und man vielleicht bejorgen mochte, 
daß die Wuth der entfefjelten Menge fich von der geiftlichen 
gegen die weltliche Obrigkeit wenden koͤnne, jah fich ein „ehr: 
barer Rath” zu ernſtlichem Einjchreiten veranlaßt. Es wurden 
Abgeordnete an die jtürmenden Haufen abgejandt, welche ihnen 
die Fortſetzung des Zerſtörungswerkes unterfagten. Nur des 
ernftlich ausgefprochenen Willen? bedurfte e3, um dem wilden 
Treiben ein Ende zu machen. Die Meiften folgten der an fie 
ergangenen Aufforderung und gingen außeinander; die Säu: 
migen, „Lofe Buben, Bauern allerlei”, die erft am Ende hin 
zugefommen waren, wurben mit Gewalt auseinander getrieben. 
Selten wurde ein Aufruhr jo leicht bewältigt! — 

Sp endete dad „Pfaffenftürmen.” Uber Ruhe und Sicher: 
heit war damit noch nicht wieverhergeftellt. Die zurückgefehrten 
Geiftlichen durften faum wagen, fich öffentlich zu zeigen. Die 
beiden Capitel fürdhteten jeden Tag einen neuen Ausbruch der 
Volkswuth. Der Rath Fehrte zu feiner zweifelhaften Neutra- 
lität zurück!). Gegen Ende Juli kam es zu einem neuen Auf: 
laufe, in dem fieben PBfaffenhäufer in Flammen aufgingen ?). 


ı) „Der Rath ſahe“, fagt eine alte Chronik, „durch die Finger, bis fie 
(bie Geiftlichen) fich in besfelben Schuß und eine Verfchreibung über 10,000 
Gulden über ſich gaben.” 

2) Vgl. Kobanus Sturcio postridie Pantaleonis 1521. ‚‚Nobiscum 





— 13 — 


Um endlich den Schutz des Rathes zu erlangen, erklärten fich 
die beiden Stifter, ihre Privilegien zum Opfer bringend, äffent- 
lich zur Uebernahme ber ftäbtlfchen Laſten bereit und verpflich- 
teten fich überdies, dem Rathe ein Schußgeld von 10,000 Gulden 
zu zahlen), „Und das ift“, fügt ein Chronift befriedigt hinzu, 
„eine gute Frucht de reinen Wortes Dr. Martini Lutheri.“ 
Seitdem nahm ſich der Rath mit größerem Eifer der Aufrecht: 
haltung der Ordnung an und nach und: nad gewannen bie 
Zuftände ein frieblicheres Ausſehen. Der Clerus erfreute ſich 
in der nächſten Zeit einer erträglichen Ruhe, bis die weitere 
Entwidelung der Dinge neue Stürme gegen ihn hervorrief. 
ALS Luther auf der Wartburg von diefen Vorgängen hörte, 
fing er an zu Hagen über die Nachitellungen des Teufels, ber 
auf ſolche Weiſe feinem Werke Schmach zu bereiten juche?). 
Der Rector Martin von der Marthen trug Flagend das Ge 
fchehene in die Jahrbücher der Univerfität ein?). Einer ber 


varii tumultus sunt, aedes Canonicorum expugnatae omnes. Supra 
50 domos expugnatae una nocte sunt. Hac nocte, quum haec scri- 
berem, septem aedes sacerdotum conflagrarunt exustae a fundamentis. 
Eob. et amic, epp. fam. p. 82. 

») Die Schuldverfchreibung der Geiftlichen iſt d. d. Montag nad) Jacobi 
(1. Auguft). Bol. Faldenftein 1. c. I, 578. — Libellus F. Barth. de 
Usingen de duabus disputationibus Erphurdianis. N 2 a. Der Bericht 
bes Schmalz ift vor dieſer Zeit abgefaßt, als die Sache noch nicht „vertragen“ 
war. — Jene Summe ift bald darauf wirflih gezahlt worden. Vgl. Falden- 
ftein I, 596. 

2) Bal. Luther an Spalatin. De Wette 11, 31. 

3) „In tantam (quod suspiriis ab imo pectore ductis refero) fe- 
rocitatem atque petulantiam juvenilis impetus eo tempore prolapsus 
est: ut omnis reverentie legum pudoris (?) atque metus oblifus: sub 
noctem (quae etiam meticulosum audacem facit), nescio quo tantae 
cladis autore, cohorte plus quam tricentorum collecta: pro Scripto- 
riis calamis et disciplinarum codicihus, scolasticis armis: Enses, fustes, 
ascias, preferrata pila arripiens: Hostili incursu in clericorum plus 
quam sexaginta edes rueret: Januas vi ferrea effringeret, fenestras 
fornacesque rumperet, Supellectilem aufferret, pecunias diminueret 
ac domos devastaret. Improbitas haec tanta ob delinquentium mul- 


— 134 — 


mißhandelten Geistlichen aber fagte der Stadt eine böſe Zukunft 
voraus !). 

Am traurigiten ſollte ſich diefe Ahnung bei der Univerfität 
bewähren. Ä 


V. 


Der „Pfaffenſturm“ bildet in der Geſchichte der Univer⸗ 
fität einen Wendepunkt. Und keinen erfreulichen. Bei dem 
feierlichen Eınpfonge Luther? am 6. April hatte fie fich zum 
legten Mal in ihrem alten Glanze gezeigt. Unmittelbar darauf 
beginnt der Verfall ?). 

Das Beifpiel, welche Crotus durch feinen fluchtähnlichen 
Aufbruch von Erfurt gegeben hatte, fand nur zu bald Nach- 
ahnung. Wie zwölf Sabre früher die Ereigniffe de „tollen 
Jahres“ in gleicher Weife Freund und Feind aus der Stabt 
getrieben hatten, jo gab auch jetzt die Flucht ber verfolgten 
Canonifer einem großen Theile ihrer Gegier das Signal zum 
Aufbruch. Unter den Erſten, welche die Stadt verließen, war 
Draconited, der wider feinen Willen die nächſte Veranlaffung 
zu den bebauerngwürdigen Auftritten gegeben hatte. Mißmuthig 
begab er ſich fchon in den erjten Wochen nad) dem Aprilauf- 
ſtande nad Norbhaufen, von wo er fih noch im Laufe des 
nämlihen Jahres nach Wittenberg wandte). Hier jchlug 


titudinem quoad hominem transivit inulta.‘“ Strafen wurden überhaupt 
feine über die Stubenten verhängt „nam tum multitudini delinquentium 
parcendum fuerat atque coaditioni temporum. KLib. rat. ad Bect. 
Mart. Marg. 

1) Erfurt tunc doleas nunquam caritura dolore, 

| Cum careas elero, qui te ditavit honore. 
Bol. Falckenfiein, I, 577. 

3) Es ift bezeichmend, daß auch bie amtlichen Aufzeichnungen um biefe 
Zeit anfangen, fewohl in Hinſicht auf Genauigkeit, ald auf äußere Aus⸗ 
ſchmückung nachläffiger zu werben. 

2) Strobels (J. Draconites 2c. p. 23) Angabe, daß er fih unmit⸗ 


auch jein Amts- und Leidendgenoffe Juſtus Jonas feinen 
Wohnſitz auf, der auf Mutian? Empfehlung bie durch Goede's 
Tod erledigte Präpofitur an der Stiftötirche erhielt). Jonas 
jöhnte fich bald mit dem Wechfel aus, ba ihm nun vergännt 
war, in Wittenberg an der Duelle des neuen Lebens felbft zu 
trinken, was ſchon lange fein Herzenswunſch geweien ?). Weber- 
haupt wurde Wittenberg für die Meilten der AZufluchtzert. 
Hier finden wir jchon im Sommer 1521 vie beiden Freunde 
Eobans, Chriftoph Hacus, den Meliter, und Berter Damus 
nebſt mehreren andern erfurter Xehrern ?). Andere zeritreuten 
fich nach verfchievenen Gegenden; Erato und Bonaemilins folgten 
dem Crotus nad Fulda. Hunus wandte fi nad) Norbhaufen, 
Eeratinuß, der fo manches Jahr dem Ruhme der Schule ge- 
dient, erjcheint noch 1521 unter den Lehrern der Univerfität 
Kwen*). - Sie alle, die meiften Humaniſten entzogen fich, 
Flüchtigen gleich, der ſtürmiſchen „Charybdis.“ Außer den: 
jenigen, welche durch ihre amtliche Stellung dazu gendthigt 
wurden °), blieben nur Wenige zurüuͤck. 

Und auch auf die Studirenden blieb die Rüdwirkung nicht 
aus. Die friedlicher Gefinnten folgten den abztehenden Lehrern. 
Die Anzahl der Immatriculationen ſank 1521 auf weniger al? 


telbar von Erfurt na Wittenberg begeben, iſt irrig, wie aus Eob. et amic. 
epp. fam. p. 85, 283 erhellt. 

ı) Bgl. Corp. Bef. I, 391 ff. 

3) „In parvo oppidulo‘‘, fchreibt er an Eoban, ‚‚divitias invoni in- 
credibiles non tantum Iliterarum, sed etiam rerum omnium. Corte 
prae isto ardore studiorum Gymnasium Erphurdiense friget.‘“ Kob. 
et amic, Epp. f. p. 285. So Bat fi indeß fein Anderer über Erfurt? 
Berhältniß zu Wittenberg ausgeſprochen. 

3) Bel. Lib. nov. epp. Bi b, Bob. et amic. f. p. 2%. — Foerste- 
ınann Album Acad. Vuiteb. p. 106, 107. 

«) Vgl. Strobel Reue Beyträge x. V, p. 32. Cr muß indeß jehr 
bald, wie auch Hunus; wieber zurückgekehrt fein. 

s) Nämlich bie wirklich angeftellten und befolbeien Lehrer der Univerſität, 
bie aber den bei weitem geringfien Theil ber Docirenben bildeten. 





— 156 — 


die Hälfte herab !). Die Vorgänge vom April bis Juli brachten 
die Univerfität weit und breit in VBerruf. Eltern riefen, wie 
die Matrikel der philoſophiſchen Facultät Elagt, ihre Söhne von 
Erfurt zurüd, um fie vor „Huffitifcher Anſteckung“ zu be- 
wahren ?). Unter den Zurücgebliebenen aber nahm in Folge 
der Straflofigfeit- der begangenen - Frevel Roheit und Zügel- 
loſigkeit Ueberhand. Augsfchweifungen und Gemwaltthätigfeiten 
jelbft gegen die Smititute der Univerfität 3) waren unter ihnen 
an der Tagesordnung. Unmittelbar fchien der Pfaffenſturm 
den Untergang der Univerfität in feinem Gefolge zu haben. 
Wohl juchten Martin von der Marthen,. deſſen Rectorat 
unter dieſen Berhältniffen wider dag Herfommen auch auf das 
folgende Semejter ausgedehnt wurbe, und die Wenigen, welche 
mit ihm aushielten, nach Kräften dem von allen Seiten herein— 
brechenden Verfall entgegenzuwirfen. Es waren Männer, die 
während der Sturm: und Drangperiode wenig bervorgetreten 
waren: nun, als es galt, fich der verlaflenen Schule anzu- 
nehmen, zeigten fie allein den Muth dazu!) Um der Ber- 
wilderung der academijchen Jugend zu begegnen, wurde ernftlich 
die vollitändige Wiederhberftellung des großen Collegiums in Be- 
dacht genommen. Das neue jächfifche Eolleg, deſſen Gründung 
ſchon längere Zeit betrieben, trat jet wirklich ins Leben *). 





— — 


1) Von Oſtern 1520 bis dahin 1521 wurden 311, das folgende Jahr 
nur 120 immatriculirt. €. U. M. ad a. 1520 u. 21. 

2) „Adeo ut plerosque bonorum hominum filios, ne Hussitico 
lederentur contagio hinc ad patrivos lares avocari contigerit.“ Bgl. 
Matric. facult. artium liberal. stud. Erf. ad Dec. Kob. Draconis (1522). 
M. ©. der Königl. Bibl. in Berlin: 

3) Am 26. Detober wurde ein Concilium secretum gehalten „eo quod 
quidam Nebulones intrassent Collegium majus. Item et Collegium 
Porte celi occupantes Stantias de facto preter Collegarum consensum.““ 
Vgl. Lib. rat. ad Rect. Mart. Marg. (1521). 

+) Heinrich Herebold, Eoban Draco, Heinrich Leonis u. A. 

») Es war eine Stiftung des Hildesheim’fchen Domherrn Tilemann 
Brandes. Die Fundationdurfunde ift ſchon d. d. 25. April 1520, die Sta- 
tuten (in latein. und franzöſ. Sprade) find vom 4. April 1521. Cröffnet 


— 137° — 


Seine Leitung übernahm der für dad Wohl der Univerfität 
unermüdlich thätige Herebold. Aber was vermochte der gute 
Wille und Eifer Weniger, wo Alles ihnen entgegen war, und 
jene, die bisher den Ton angegeben hatten, vathlog und nur 
auf die eigene Sicherheit bedacht, die Schule ihrem eigenen 
Schickſal überliegen! Damit fein Mißgeſchick fehle, kam im 
Sommer noch eine epidemiſche Seuche hinzu, die neue Verhees 
rungen anrichtete und felbft unter ven zurücigebliebenen Lehrern 
mehrere Opfer forderte '). Unaufhaltfam fchien die Schule 
ihrer Auflöfung entgegenzugehen. 

Wie Heinlaut ward da Eoban, der ftürmifche Lobredner 
der Freiheit, der fo eben noch Feuer und Schwert zur Aus 
vottung der Sophiften empfohlen und in dem erjten Sturme 
gegen „das Gefchledht der Müßiggänger“ den Anfang einer 
beffern Zeit, die auch den Gelehrten gerecht werde, erkannt 
hatte! Mie brachte ihn der Anblick ſolcher Zuftände jo raſch 
aus feinem Freiheitstaumel zur Befinnung und verbrängten 
wehmuthsvolle Klagen die huttenfchen Treiheit3ideen!?) Sein 
Dichterbund war gefprengt. Bon feinen nächjten Freunden 
ſah er fi verlaffen. Den Jonas und Draconites hatte Wit- 
tenberg geraubt, Cordus und Sturz waren in Italien abwejend, 
Hunus inte Hülfe juchend umber, Petrejus Tag an einer 


wurde dasfelbe erft nad) den Wirren, bie Beftätigung erfolgte erft 1524. Vgl. 
Dſann Erfordia Literata p. 43. Loeneysen Series Magnificorum Rec- 
torum etc. E 3 a. 

1) „Tres insignes senatorii ordinis philosaphos ac theologos‘‘, 
fagt die philof. Matrife. Vgl. Matric. fac. art. lib. ad a. 1521 u. 22; 
und Eob. et amie. epp. fam. p. 82. Unter den Geftorbenen war aud) 
einer von Eobans Augendfreunden, Laurenz Ufingen, über den zu vgl. De 
recessu Studentum ex Erphordia tempore pestilentiae. Rob. Hessi. 
Francob. Carmen Heroicum. A 3 a. Dieje Seuche hielt auch Luther ab, 
von der Wartburg aus Erfurt zu befuchen, wie er vorhatte. Vgl. De Wette 
II, 32. 

2) Bol. feine Fläglihen Briefe an feine Freunde Eob. et amic. epp. 
fan. p. 82. Tentzel Relig. epp. Mut. p. 110, Lib. nov. epp. Biau.a. 


— 18 — 


Krankheit darnieder. Noch ſtand ihm Camerarius zur Seite: 
Ende Juli verließ auch diefer „die durch Zwietracht und Auf: 
ruhr zerrüttete" Stadt, um fie, nach einem kurzen Aufenthalte 
in jeiner Vaterſtadt Bamberg, mit Wittenberg zu vertaufchen ?). 
Ihm folgte auch Forchheim, der lebte unter Cobans vertrauten 
Freunden. Eoban war untröftlih. „Auch du”, rief er weh- 
müthig dem Scheidenden nach, „weichit dem unbilligen Gefchic 
und verläßt die verödete Schule! Wer wirb in Zukunft mein 
Troſt jein?” 2) Ernſtlich dachte er daran, auch jelbft anderswo 
ein Unterfommen zu fuchen. 

Dahin war es im jo kurzer Zeit gefommen! Wie ſehr 
hatte ſich der Dichter getäufcht, als er am 6. April in Luthers 
Gefolge die Muſen in die Stadt einziehen gejehen!°) 


VI. 


Man hat in der Reformationsbewegung bis zum J. 1525 
drei Perioden unterſchieden, in denen nacheinander die Theo— 
logen, die Humaniſten und die ungebildeten Laien das Wort 








) „Erfordiam reliquimus jam dissidiis et tumultuatione quate- 
factam.“ Camer. Narr. de Eob. Hesso C 3 a. — Narr. de Melauchth. 
ed. Strobel p. 37. Evb. et amic. epp. f. p. 82. Am 14. Sept. wurde 
er mit Forchheim in Wittenberg immatriculirt, Förftemann 1. c. p. 107, 

2) Georgio Pectiv Vorchemio suo Vuittenbergam abeunti: 

Tu quoque, non aeyuo currentibus ordine fatis, 
Deseris heu vacuae nomen inane scholae! 
Quo fugis infractae fidei mihi cognite Pecti? 
Tam subita facta est quae tibi caussa viac? 
Quae mihi nuno aderunt sine te solatia? quorum 
Tum certa potero laetior esse fide? etc. 
Eob. Farr. I, 214 a-b. 
s) Vgl. Elegia I. de Lutheri in urbem Erph. ingressu: 
Et, nisi vana Scholae vicinae fallit imago, 
Aunidas comites auguror isse viro. 
Sic bona spectatum Nyınpharum turba ruebat 
A fluvio, Musas praeteriisse putes. 
Eob. Farr. ı, 118 a. 


— 19 — 


führen. Die Disputation von Leipzig Ichließt die rein theo- 
logiſche Zeit ab; jeit dem Jahre 1519 find dann eine Zeit lang 
die Humaniften bie vornehmften Streiter für das national 
geworbene Evangelium, bis zuleßt der ungebildete Laie, ber 
gemeine Mann in Stabt und Land, angeregt durch den Vor— 
gang des Reichsadels, fich erhebt, um das Wort Gottes nad 
feiner Auffaffung zu „handhaben.“ Im Allgemeinen läßt fich 
das Jahr 1524 als jenes bezeichnen, in dem dieſe Erhebung 
des Bolfes in Maſſe begann. 

Unfere Darftellung zeigte, daß die Bewegung in Erfurt 
ichon 1521 in dieſes letzte Stadium getreten war. Raſch hatte 
hier die eine Welle die andere verfchlungen. Die Theologen 
der freien Richtung genügten nicht mehr und wurden bejeitigt, 
als die Humanifteu auftraten. Diefen gejchah binnen Kurzem 
ein Gleiches von dem nicht ohne ihr Zuthun evangelijch er- 
regten Haufen, und eine wilde Pöbelherrichaft, die Geſetz und 
Ordnung mit Füßen trat, machte den Beichluß. 

Schon ftiegen nach ſolchen Erfahrungen bei Einzelnen 
Zweifel und Bedenken auf über die Rechtmäßigkeit der bisher 
verfochtenen Sache. Zum erften Mal hören wir im Sommer 
1521 den Crotus von dem Anſehen der Kirche fprechen und 
der Achtung, die man ihr fchuldig fer! ') 

Aber der Sturm ging vorüber. Den formlojen Gewalt: 
thätigfeiten der Menge wurde ein Ziel gejebt und es trat für 
Erfurt ein Zuftand ein, ähnlich dem, der nach Beendigung de 
Bauernfrieges für die Gejammtheit des Reiches eintrat. Die 
Anarchie hört auf, die Obrigkeit tritt wieder in ihr Amt ein 
und nimmt jegt mit den übrigen auch die Firchlichen Angele- 
genheiten unter ihre Leitung. 





!) Crotus inclyto duci Petrejo d. d. Calend. Quinctil. 1521. 
Heu scelus est, dominam sanctamque laccssere matrem, 
Quae peperit leges res aliasque bonas. 
Vgl. Tert. libellus epist. Fi a. 


— 10 — 


Als hierdurch auch der Univerfität die Ruhe wieder ge- 
geben worben, kehrte ein großer Theil ihrer geflüchteten Mit- 
glieder zurüd. Schon zu Anfang 1522 ſah Eoban wieder 
mehrere feiner alten Freunde, Hunnd, Ceratinus, Forchheim 
u. U. in feiner Nähe. Auch Cordus und Sturz nahmen nach 
ihrer Rückkehr aus Italien wieder in Erfurt ihren Sit. Es 
war Heffnung vorhanden, daß e3 ihrem vereinten Wirken ge- 
lingen werbe, das alte Anſehen der Schule wieder herzuftellen. 
Allein da trat ihnen der Widerftanb auf einer Seite entgegen, 
wo fie ihn am wenigſten erwartet hatten. 


— 141 — 


Viertes Capitel. Die Prädicanten. 


Magna novos fuerat spes nos jurare prophetas, 
Sed magis infestus non prius hostis erat. 
(Musae queruntur.) 

Cordas. 


L 


Ungeachtet des raſchen Fortgangs der evangelifchen Be— 
wegung blieb bis zum Herbft 1521 die alte Firchliche Ordnung 
in Erfurt unangefochten. Der Unwille der empörten Menge 
traf nur die Diener der Kirche, nicht diefe felbft: ein Bruch 
mit dem überlieferten Kirchenthum Tag außerhalb ihres Ge— 
ſichtskreiſes. Mitten unter den legten ſtürmiſchen Ereigniffen 
wurde der Gottezdienft noch in alter Weile gehalten. Noch 
ſah man 1521 in der Woche nad) Trinitati3 Nat) und Ge 
meine nach Weiſe der Altvordern bie große ſtädtiſche Proceffion 
mit den Gebeinen der dh. Adelarius und Eobanus mit herge- 
brachtem Aufwande feiern !). Daß es das lebte Mal gemefen 
jei, ahnte wohl Niemand. 
Und dennoch war dies der Fall. Nur wenige Monate 
ſpäter begann der Umfturz des altfatholifchen Gottesdienſtes. 

Dieſer ging von den Mönchen aus. 

Schon längere Zeit hatte ſich in den zahlreichen Klöſtern 
der Stadt derjelbe Geift geregt, der draußen die Maffe in Be- 
wegung ſetzte. Nicht nur bei den Auguftinern, wo Lange’3 
Einfluß Alles beherrichte, jondern auch bei ven übrigen Orden 
war Luthers Predigt von der chriftlichen Freiheit mit freudigem 
Beifall der Mehrzahl aufgenommen worden. Mehrere Bene- 
bietinermönd)e des Peteröflofter erließgen jogar eine Einladung 





1) Bol. Faldenftein 1. c. I, 333, mo zugleich eine Beichreibung ber 
Proceffion. — Die neue Regimentsordnung von 1520 enthält noch weitlänfige 
Beltimmungen über das Geremonielle derjelben. 


— 12 — 


an Thomas Münzer, der ſchon damals durch feine radicalen 
Umfturzplane befannt war, bei ihnen das Prebigtamt zu über- 
nehmen’). Ohne Zweifel ift e3 diefem evangelifchen Eifer der 
Mönche zuzujchreiben, daß bei dem Sturme gegen die Geift- 
lichkeit die Klöfter in auffallender Weife Schonung erfuhren. 

Kaum war die Stadt von jener Bewegung zur Ruhe ge 
langt, als fie durch ein neues, unerhörtes Schaufpiel überrascht 
wurde ine Menge von Ordenzgeiftlichen, Augujtiner an ber 
Spitze, verließen mit einem Male die Klöfter, um ihre Woh— 
nung unter den Bürgern zu nehmen. Der Austritt gejchah 
in tumultuarifcher Weile, jo daß Luther }elbft, der auf der 
Wartburg alsbald Kunde von dem Gejchehenen erhielt, feine 
Mipbilligung ausfprach ?). Doch die ftädtifche Obrigkeit, durch 
die Ereigniſſe der letzten Monate ſchon an Ungemwöhnliches 
gewöhnt, Lich auch dies hingehen. Bei dem reichen Patrizier 
Gerlady von der Marthen fanden die Ausgetretenen einjtweilen 
Unterfommen und Verpflegung. 

Diefem erften Austritt folgte bald ein zweiter, faft allgemei— 
ner, unter Einwirkung der gleichartigen Bewegung in Witten: 
berg. Ein Eonvent der Auguftiner aus den Provinzen Meißen 
und Thüringen, der bier gegen Ende 1521 zufammentrat, 
Ichaffte dad Einjammeln von Almojen und die SJahrmefjen ab, 
erklärte die Gelübde für nicht mehr verbindlich und geftattete 
einem jeden den Austritt aug dem Orden). Da zögerte auch 


ı) „Salarium tuum erit triginta florenorum et tutius securius 
Apud nes vivas, quamvis munus exiguum est, tamen accipito benigne,“‘ 
heißt e3 in dem Einladungsfchreiben. Doch Münzer z0g Böhmen vor. Val. 
Seidemann Thomas Münzer p. 18. 

2) Non probo egressum istum tumuliuosum, cum potuissent et 
pacifice et amice ab invicem separari. Tu in comitiis futurus, vide 
ut Evangelii partes foveas. Luther an Lange 18. Deceniber 1521. De 
Wette IT, 115. 

2) Bgl. Corp. Ref. I, 456. Nur ift die Verſammlung nicht im den 
October, jondern nad) ben 18. December zu fegen, wie aus bem oben ange⸗ 
führten Briefe hervorgeht. Schon Sedendorf 1. c. I, 214 ſah bier das Richtige. 


— 143 — 


der Prior Lange, dem bereit vierzehn Mitglieder feines Klofterd 
mit ihrem Beifpiel vorangegangen waren, nicht länger mehr, 
das Ordensgewand abzulegen. Aus jechzehn Gründen, wie er 
in der Rechtfertigungsfchrift an feine Oberen ausführt "), ver: 
ließ er im Anfang 1522 dag Klofter und beeilte fich, in einer 
Disputation zu Weimar gegen Alvedt die Sündhaftigfeit des 
Mönchslebens zu vertheidigen 2). Lange's Austritt gab das 
Signal zur völligen Auflöfung feines Klojters: nur ein einzi- 
ges Mitglied — es war Ufingen — blieb dem Orden getreu ?). 
Das Beilpiel der Augujtiner wirkte auf die übrigen: Orden. 
Man wolle, hieß e3, nicht mehr Auguftiner, noch Franziskaner 
fein, Chrifti Name genüge. Allenthalben öffneten fich die 
Klöfter, und Schaaren von Mönchen jtrömten heraus, um ber 
lange entbehrten Freiheit theilbaftig zu werben. 

ALS Luther dies vernahm, äußerte er große Beſorgniß. 
Er fand den Austritt Lange's voreilig und wollte überhaupt 
bemerken, daß Viele aus unlautern Beweggründen die Klöjter 
verließen. „sch ſehe“, jchrieb er an Lange, „daß unfere Mönche 
zum großen Theil aus feinem andern Grunde austreten, als 
aus welchem fie eingetreten find, nämlich dem Bauche und 
fleijchlicher Freiheit zu fröhnen *). 

Das war aber um jo bebenflicher, da gerade aus ihren 
Reihen die meisten Diener und Verkündiger des neuen Gottez- 
wortes hervorgehen follten. * 


1) Bol. Kappens Kleine Nachlefe II, 529 sqy. Als erften Grund führt 
er an „„quod sit in periculoso statu,‘“ als fechözehnten ‚‚Priores communiter 
sunt asipi et nesciunt, quid sit fides, et tamen volunt imperium habere.““ 

2) Seine fieben Thefen ſ. bei Kapp 1. c. II, 528. Aus der Satire auf 
diefe -Disputation 1. c. 520— 527 erfieht man, daß mehrere Erfurter in 
Weimar anweſend waren. 

2) „Quindecimus enim existi (Lange) a nobis, causa omnibus, 
ut abirent,‘“ Vgl. Sermo de Sancta Cruce praedicatus Erphurdiae a 
F. Bartholomeo de Usingen Augustiniano. Erph. 1524. C 3 h. 


*) Luther am Lange 28. März 1522. Te Wette II, 175. 


— 14 — 


IL 


Unmittelbar nach diefen Vorgängen begann in Erfurt die 
Öffentliche Predigt ded Evangelium. 

Eben die auSgetretenen Mönche übernahmen die Verkün— 
digung desſelben. Johannes Lange, Ichon längſt des Evange- 
liums thätiger Beförderer, gab nach feinem Austritt aus dem 
Orden auch dag Lehramt an der Univerfität auf, um fich von 
nun an augzjchlieglich dem Dienfte der evangeliſchen Predigt zu 
widmen. In der nahe bei dem großen Collegium gelegenen 
Michaeliskirche eröffnete er feine neue Wirffamfeit. Lange's 
Beijpiel fand bald Nachahmung. Wie für ihn, fo beftand für 
alle feine Schickſalsgefährten die Verpflichtung, dem Volke über 
ben gethanen Schritt Rechenschaft zu geben. "Abgefallene Franz 
ziskaner, Dominikaner, vor Allen Auguftiner bemächtigten fich 
in kurzer Zeit der Canzeln. Sn der Bartholomäuskirche trat 
Aegidius Mechler auf, ein ausgetretener Franziskaner, in der 
Predigerfirche der abgefallene Dominikaner Noetelftein, in ber 
Andreasfirche ein Melchior Weidmann aus dem Auguftiner- 
orden; Johann Koel, Nicolaus Fabry, Johann Kiliani, eben— 
fal3 Auguftiner, eröffneten in verjchiedenen andern Kirchen 
evangelifche Vorträge. Zwar ftellte auch der Weltclerug einen 
Forchheim, Eueljamer, Geltner, Welch, aber bei weitem “über: 
wiegend war doch unter den neuen Predigern die Anzahl der 
Mönche: in haftiger Eile drängte fich Alles, was dem Klofter 
entlaufen, .auf die Canzel ?). 

Es war die Zeit gekommen, wo den Mönchen für die 
Yange erfahrene Zurüdfegung und Verachtung Genugthuung 
werden jollte! ?) 


1) Nachrichten über die Meiften ber Genannten finden fi) in Hundorph 
Eucomiam Erfurt. Cont. Erfurt 1651. 4°. B 3% ff. 

2) Der folgenden Darftellung ‚liegt die Prädicantanliteratiur zu Grunde, 
die Schriften Lange's, Cuelſamer's, Mechler's und ihrer Gegner, des Femelius 


— 15 — 


Sie predigen aber von dem Berberben, dag über die Welt 
gefommen fei, und von der gräulichen Finfterniß, die durch 
der Pfaffen Schuld die ganze Chrijtenheit umnachte. Ihre 
Rede wendet ſich an dag Volk und ift feinen Faſſungskräften 
anbequemt. An die Antipathien des gemeinen Mannes an: 
knüpfend, belehren fie ihn, wie jo ſchmählich jeine Vorfahren 
von dem Clerus bintergangen und die göttliche Heilslehre in 
das gerade Gegentheil verkehrt worden, in eine finanzielle Aus— 
beutung der Gutmüthigfeit des armen Laien. Nur dahin jei 
alles Streben des alten Clerus gerichtet, unter dem Deckmantel 
der Religion, dad Bolt mit Abgaben zu überbürden: nur das 
Geld ſuche man, nicht die Seelen 1). Daher jeien die wahren 
hriftlihen Werke in Vergeſſenheit gerathen und faljche, aber 
einträgliche an ihre Stelle getreten, al? da find: „Lehen, Klöfter, 
Vigil, Seelenmeffen ftiften, Gebet, Bruderjchaft kaufen, Opfern 
und Ablaß Löfen, die mit feinem Buchſtaben des Evangeliums 
bewiejen werben mögen” 2); Daher audy dad Unweſen der 








und Uſingen. Am zahlreichſten unb auch am wichtigſten find Ufingens 
Schriften, wichtig find fie beſonders wegen ber vielen Stellen, bie er aus 
den Predigten feiner Gegner mittheilt. 

1) Vgl. 3.8. Libellus F. Barth. de Usingen Augustiniani de merito 
bunorum operum. Erph. 1525. 4°. 5 2b, wo eine jolche Aeußerung aus 
einer ‘Predigt Cuelſamers mitgetheilt wird: „Mi popule noa illi (Usinge), 
neque complicibus ejus, sed nobis fidite, immo non nobis sed CAriste, 
Deo redempturi nostro credite. Non ad hominem, sed ad Dei verbum 
respicite et aliorum venenatam viperatamque astut'am pili facite. 
Non auimas vestras sed marsupia vestra querunt.‘“ Guelfamer felbit 
fagt: „Manete in fide patrum non inepte, nec infideliter interpretatus 
sum: monachis et sacerdotibus opulente providere.“ Bgl. Adversus 
Magistri nostri ®Barptholomei Usingi Iimpudentem libellum Joh. Cuel- 
sameri confutaeio, qua sophistarum revellitur impietar. Erf, 1523. 
4°, Cib. 

2) Vgl. Ein widerlegung Joannis Cullſamer wider etzliche Sermon 
geſchehen zw Erffurth von Doctor Barth. vſingen. 1522. a3 a. — „Dic 
rogo“, redet Uſingen ihn an, „quid hae praedicatione vestra alind 
faciatis, quam quod clerum dicitis populam hactenus decepisse, quo 
illum ei reddatis odibilem. Estne hoc, populum suupte natura clero 

Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 10 


— 146 — 


Klöfter, die Lange einmal geradezu als „freye Raubſchlöſſer“ 
bezeichnet. Der Bettelmönh Sad und Wejen ftehe nur auf 
ein Berücken des unerfahrenen Laien, auf Nehmen, Betteln 
und Betrügen mit Bruderfchaften und fogenannten guten 
Werfen ?), und die übrigen Orden trieben es nicht beffer. — 
Schwer Tafte dieſes Erpreffungsfyften auf dem gemeinen 
Marne, dad weltliche Regiment leide darunter. Dahin habe 
es die Lift der Bfaffen endlich zu bringen gewußt: aus ber 
Religion, die den armen. Mann tröften und aufrichten fol, 
haben ſie ein Mittel zu ihrer Bereicherung gemacht! Wozu 
aber anders, ald um aus dem Gute ded Armen die Werfe 
ihrer Wohlluft und Ausſchweifungen zu unterhalten ? 

Bon Nichts iſt jo häufig die Rede, als von diefer fittlichen 
Verſunkenheit des Clerus. Ste ift das Hauptdogma, dad Lieb⸗ 
lingsthema des evangeliſchen Predigers. „Es iſt unſer Amt”, 
meint Lange, „die Sünden aufzudecken und mit Gottes Wort 
zu jtrafen” 2). Mit ven Schwärzeiten Farben werden ba Geiz, 
Hohmuth und Unzucht der alten Geiftlichfeit ausgemalt. In 
Sodoma und Gomorrha ift, wie Mechler lehrt, das Verderben 


modice propicilum armare in illum et ad persequendum reddere pro- 
pensiorem ‘‘ Vgl. Concertatio haud inelegaus Culsameri Lutheriani 
et F. Barth. Usingen thevlogiae cowsulti. (Am Ende Argentinae 1523). 
4°, D 2 a. | 

1) Bon gehorfam der Weltlichen oberfait und ben außgangen Hlofterleuten, 
ain fchußred, an Doctor Andreas Frowin Doctor Joh. Langen Eeclefiaftes 
zu Erdfurt. 1523. C 2a. 

2) „Ingeminatis ad ravim usque vitia clericorum et religiosorum 
et non curatis Christum dicere, qui sine peceato est prejiciat primum 
lapidem in eam.‘‘ meint Ufingen dagegen. ®gl. Lib; prümus F, Barth. de 
Usingen erdinis Eremitani S, Aug. Quo reoriminationi respendes Cul- 
samerice et confutationi, qua se author Sophistarum impietatem re- 
vellere jactat etc.‘ (Am Ende Erfordie 1523). 4%. C 4 b. ,‚Quid 
sonant frequentius suggesta vestra, quam calumniam pastorum et 
prelatorum, ut populus illis:ebedire recuset!“ fagt er ein andermal. 
Aehnliche Stellen find jehr zahlreich. 


— 1417 — 


nicht größer gewefen, als unter dem Papſtthum 1). In drohen: 
den Scheltworten machte fich die Entrüftung darüber Luft: 
die Schranfen des Anftande® und das Gebot der chriftlichen 
Liebe zu beobachten, fiel ihnen nicht ei, noch bielten fie das 


für Pflicht ?). \ 

Nicht zu hören aber, heißt «3, seien jene, die da meinen, 
man müſſe troß der Gottlofigfeit der Geiftlihen, an ber 
Kirche, als der Mutter, feithalten und in der Religion ber 
Väter verbleiben. Sei doch nun Märlich an den Tag gekom— 
men, wie bie Väter ſchmählich beirogen worden, und fordere 
überdies das Alte Teftament ausdrücklich von uns, die Religion 
der Väter zu verlaffen!®) Eine Mutter fei zwar bie Kirche, 
aber eine „Mutter von Menfchenfakungen, Hoffarth, Geiz, 
Wohlluft, Treulofigkeit und Heuchlern” %); ſchon längſt ſei fie 
in Grund und Weſen verdorben, zu einer Werkitätte ver Lüge 
und alles Böfen geworden! 5) — Daß der Papft der Antichrift 


ı) gl. Libellus F. Barth. de Usingen Augustiniani, in quo res- 
pondet confutationi F. Egidfi Mechleriü. 4°. QAb. 

2) „„Sieut evangelici praedicatoris, bena annunciere homieibus, 
ita etiam eorumdem animos a fulsis praedicatoribus oflcium est aver- 
tere. Nec convenit, ut Paulum Ic mihi ubjiclas:; Omnia in vobis 
honeste et secundum ordinem finnt. — Parum quoque appusite ad- 
duxisti Apostolum ad Galatas: Estote invicem benigni etc.‘“ Adversus 
B. Usingi impudentem libellem Cuelsameri Confutacioe. B2b-3.n. 
Ufingen meint: „‚Erat olim licentia illa pastillophoris in foris, ut libere 
convitin m eos dicerent, in quos vellent, at nostra tempestate in 
templum de foris migravit, in quo evangelicks praedicatoribus nunc 
licet pastillopheros ngere.* Concertatio etc. @ 6 b. 

2) Vgl. Ein widerlegung Joan. Cullſamer x. a 2 b fi. Nichts 
harafterifirt fo die vein Aufßerliche Auffaffung der Bibel durch die Prädican: 
ten, als diefe Stefle, wo die Pflicht, ven Glauben ber Borfahren zu verlaffen, 
aus Gzechiel XX, 18 (in praeceptis patram vestrorum non amnhulahitis) 
bewiefen wird. — 

4) Advers.. Using. impud. libell. C 1 a. 

s) Liber tertins F, B. de Usingen Rremit. S. Aug. In que re- 
spondet nebulis Culsameri, quas eommentus est ille in respensionem 
ad libellum suum vernaculam ete, 1524. 4%. pb3.. 

10* 


— 148 — 


fei, die Bifchöfe feine Apoftel, was Luther erſt nach Tangen 
innern Kämpfen angenommen batte, dad war den Männern, 
bie in Erfurt feine Sache verfochten, in unglaublich furzer Zeit 
einleuchtend geworben, und auch dem gemeinen Manne blieb es 
nun nicht länger vorenthalten. Wurde er doch fogar aufge: 
fordert, ein Kreuz zu jchlagen, fo oft er nur. den Namen der 
fatholifchen Kirche höre’). Maßlos war der Eifer in der 
Brandmarfung der Kirche und alles defjen was mit ihr zuſam⸗ 
menhing. Welche Schonung. wäre auch vor Männern zu 
erwarten gewejen, die eben durch die Losfagung von ben Firch- 
lichen Formen zuerft aus ihrer frühern Dunkelheit heraus: 
getreten waren! Nicht einmal die Kirche der Alteften Zeit blieb 
verſchont. Chriftliche Martyrer, Kirchenväter aus ben eriten 
Sahrhunderten ?) und Heilige des Mittelalterd wurden in ber 
rohejten Weiſe in ven Koth hinabgezogen. Da fielen Aeußerungen, 
wie die, daß Auguftinus vielleicht, Hieronymus auf jeden Fall 
verdammt fei?). Die Keufchheit eines Franzigcug und Domi- 


1) „Praedicavit nuper Apostata quidam AMonachus exiticius ad 
populum: Quoties audieritis ecclesiae Catholicae nomen in concione, 
signate vos siguo crucis.“ Liber tertius etc. A 3 b. 

2) Vgl. Eobani Dialogi tres B 2 a. 

3) „Predicavit enim quidam tunrum nuper publice se multum 
dubitare, Augustinus in celo esset necne.‘‘ Liber primus Bartholomei 
de Us. B3 a. — Ein Beifpiel nody größerer Robheit erzählt Crotus: „Erat 
mibi ex nomine notus apud nos Duringos Theologus magni nominis, 
quondam scotista, postea illustratus spiritu, cencionator vehemens; 
is sibi urgente spiritu temperare non potuit, quin eo usque Canisis 
dentibus laceraret Divum Hieronymum, omnium consensu hactenus 
habitum pro amico Dei, quod proscissum maledictis dejiceret e senatu 
sanctorum, quod nonnulla scripta reliquerit dissidentia a nuper ortis 
opinionibus. Nec melius sensit de Dive Francisco et Dominico, de 
quorum casta vita quando declamaret O supperi quam scurriliter gar- 
riebat; volens aliquando facetus vidori, intonuit in frequentissima 
concione, inquiens sub ridendo, Virginitatis indieia. prependebant e 
naribus Dominici et Francisci tortiles crines, quales a tergo demittere 
solent sacerdotum concubinae, digua, ut scintis, ornamenta ad com- 
mendandam talium patrum vitaın coelibem.‘“ gl. Apologia, qua 


— 149 — 


nicus wird dem Geſpött des Pöbels preis gegeben. Am größten 
aber war der Grimm gegen die nichtäwürdigen Sophiften, bie 
nun vollend® durch die Sophijtereien der heillofen Vernunft 
dad Maß des Verderbens in diefen lebten Zeiten übervoll 
gemacht, durch Menſchenſatzungen ohne Zahl die arınen geäng- 
ftigten Gewiſſen befchwert, des Chriſtenthums tröftliche Kehren 
vollftändig verbunfelt und ftatt der chriftlichen Heilgwahrheiten 
heidniſche Thorheiten aufgebracht hätten. Daß Ariftoteles ein 
gottlofer Betrüger und durchaus zu verbammen fei, erfuhr nun 
auch der gemeine Mann zugleich mit dem Namen beöfelben 
zum eriten Mal). Wie viel Neued befam er dba nicht zu 
hören über die Gottlofigfeit der Bapiften und die Ränke, die 
fie angewandt, ihn über die Wahrheit in Unwiſſenheit zu 
erhalten!- 

Doch nun, vernahm er weiter, fei diefem Unweſen, dieſer 
Finfterniß ein Ende gemacht. Auf die Nacht jet der Tag gefolgt 
und das lange unterdrückte Wort Gottes in diefen Tagen wieber 
erftanden. Nur der Glaube an den Erldfer bringe Rechtfer- 
tigung und Seligfeit, nicht Menſchenſatzungen, nicht gute Werke, 
wie bisher fälfchlich gelehrt, Sünde nur fei wa vom Unglau- 
ben fomme und nicht? Andered. Das ſei der tröftliche Inhalt 
der jo lange und fo fchmählih dem Volke vorentbaltenen hei- 
ligen Schrift. Sie ſei die alleinige Quelle des Glaubens, des 


respondetur temeritati calumniatorum etc. a Joanne Croto Rubeano 
privatim ad quendam amicum conscripta. CAb. 

1) Wingen erzählt von einem Prediger folgendes Gefchichtchen: „Coram 
populi frequentia postquam sua concione bonas risisset artes, tandem 
in Aristotelem nasum strinxit et illum cum suo stercore post forna- 
cem relegandum censuit. Quod e plebe quidam audiens et per Ari- 
stotelem intellexisset plebanum in Stotternhem (Dorf bei Erfurt) hec 
vel similia dieitur retulisse verba: Quid bonus ille dominus fecit, 
quantum piaculum commisit, quod hic tum severe coram populi mul- 
titudine taxatur.‘“ Liber primus etc. B 4 a. Bgl. aud) Liber tertius 
etc. s 2 b, wo biefelben Ausfälle gegen Ariftoteled dem Lange in ben Munb . 
gelegt werben. 


— 150 — 


Chriſten größter und einziger Schab, fein TFreibrief, dev ihn 
frei mache von der Tyrannei des Papſtthums !). Sie zu leſen, 
ſich jelbft von ihrem tröftlichen Snhalte und der Verbammlich- 
feit der frühern Lehrweife zu überzeugen, wirb jedermann auf- 
gefordert, Gebildet und Ungebilbet, Alt und ung, der Greis 
wie dad Kind. Die Prediger jelbit ahmen geflifientlih ven 
bihliichen Ton nach. Ihre Vorträge find voll von biblifchen 
Gleichniſſen und Bildern. In paulinifchen Wendungen wird 
das Uebermaß der göttlichen Gnade gepriefen, mit den zornigen 
Sprüchen ded alten Teſtaments den Papiften das Verderben 
angekündigt. Bei jeder, oft auch ohne jede Gelegenheit, werden 
Norte der Bibel angeführt, und wäre es auch nur ein „Wahr: 
lich, wahrlich fage ich euch” oder der Name Jeſus. 

Es Tiegt in diefem Gebrauch der Bibel etwas, was an das 
Verfahren der Humanijten der eriten Generation erinnert. 
Hier wie dort war die Nachahmung eine Außerliche, ohne inne= 
red Verſtändniß. Und mit derſelben Zuverſicht, mit derjelben 
Selbitgefälligfeit, wit die Einen im antiken, treten bie. Andern 
im biblifchen Gewande auf?). 





1) „Sapienter““, bemerft fingen dagegen, „illum (sc. populum) 
ineantatis, quando scripturam ei adulteratis et illam ad ea, quae ei 
placent criptica obliquitate torguetis, in quo sibi stulidus gratulatur 
populus.‘‘“ De merito bonorum operum G 4 a, womit zu vgl. Liber 
primus E5 b. 

2) Selbſt Mechler fann nicht umhin, dag felbitgefällige, auf den Beifall 
des Haufen berechnete Auftreten mancher Prediger zu rügen. „Ach lieber 
got etlich Prediger werden vil erfarner in ber gejchrift gehalten von jhnen 
ſelbs und von andern, dann fie ſeynd vnd wöllen nit merfen, das nit jn 
worten mebr aber in ber Frafft ift daß reich gottes, vnd ſchwatzen und waſchen 
vil, on allen ernft vnd zittern, von Gottes Wort.” Eyn Chriftliche vnter⸗ 
richtung von gutten werden. Mit eynem nachfolgende Sermon vber das 
Evangelium Luce 6. des vierdten Sontags nah Pfingften. Geprebigt durch 
Egidium Mecheler Pfarrer zu Erffort jun der Pfarrfirden ©. Bartholomei. 
Anno 1524, 4%. C 3b. — Trefflich fehildert auch Wicel dieſes Auftreten 
der Prädikanten: „Deme turgidam loquentiam, praeterer rem eandem 
subinde novis respersam vocabulis, postremo comminationes, gloria- 


— 151 — . 


Reichlich wird da der gemeine Mann für die Entbehrungen, 
die ihm bie papiftifchen Seeljorger durch Borenthaltung der 
Bibel aufgelegt, entſchädigt! Wie tröjtlich nicht nur, jondern 
auch wie faßlich und einfach tritt ihm nun das lange vergra- 
bene Wort Gottes entgegen! Da fällt unter den bibliichen 
Streihen des Prediger raſch eine Menfchenfagung nach ber 
andern: Falten und Gebet, Beicht und Ablaß, Möncherei und 
Meſſe und was fonft noch die Habjucht der „geölten und gefchor- 
nen Pfaffen” zum Schaben des armen Laien aufgebracht hat, 
Populäre Argumente im Gejchmade des großen Haufen? kom— 
men ber Bibel zu Hülfe Wozu — lautet dag gewöhnliche 
Argument gegen bie Heiligenverehrung — die Heiligen verehren 
und anrufen, ijt doch der erite Heilige ohne Yürbitte in den 
Himmel gelommen! !) 

Sn folder Weife verfünbeten die neuen Glaubensboten 
das Evangelium. Ein enthufiasmirtes Publicum aber unıgab 
fie: da Schienen endlih Männer gelommen zu fein, die ein 
Herz hatten für das Wohl und Wehe des Volkes und es ehr- 
ih mit ihm meinten. Die populäre, dem gemeinen Manne 
Schmeichelnde Art ihres Vortrages, der biblifche Nimbus, mit 
dem fie fich umgaben, der tröftliche Anhalt ihrer Lehren: bie 
Emancipation von der Pfaffen Drucd und die Leichtigkeit der 


tiones, affeetatos risus — et proram puppimque, ut dicitur, concionum 
Lutheranarum demeris. Saepe scripturas jactant et nominant nomen 
Christi, at haec illa esca est, qua irretiuntur parum cauti.“ Wic, 
De raptu epistolae privatae in Epp. libr. IV. a3 b-4 a. (1535.) d 2 a-b. 
Noch fchärfer Ufingen; „Conviciis et probris censuram seripturae sibi 
vendicantes, miris tragoediis illam prorsus extinguere moliuntur, 
ınobile et imperitum vulgus concitant: cujus plausu et manu frecti, 
religionem synceram explodunt‘“ etc. Liber tert. u 2 b. 

) Eyn furk Sermon zo die heyligen Gottes belangen. An alle Doc- 
tores tzu Erffurdt, fy ſeynt jung ab’ alt, man ad’ frame Joannes Femelius. 
4%. C 3b. „Eynn gemeiner Handwerksmann“, bemerkt Femelius dazu, 
„ober ley yſt balt mit ſolchen arguntenten gefettigt vnd gleubt vnd plumpt 
yerbin, wie eyner dem hendt vnd fuſſze engangen ſeynt, eyne treppe ynher 
fallet.“ 1. c. 


. — 12 — 


Sündenvergebung: alles dies wirkte mit unwiberftehlicher Kraft 
auf die Gemüther der Menge. Der Bfaffenfturm hatte den 
Boden geebnet. Der gemeine Mann war in Folge der frühern 
Bernachläffigung des Predigtamtes roh und unwiſſend. Den 
firchliden Gebräuchen hatte er fich ohne Verſtändniß, ohne 
innere Betheiligung gefügt, weil es fo das Herkommen mit fich 
brachte, weil e3 die Väter gethban. Nun fiel eg, wie Schuppen, 
von feinen Augen: er erkannte, wie ſchmählich die Väter hin— 
tergangen worden waren. Da folgte der Predigt auch bald 
bie That. Die kirchliche Ordnung Töfete fich auf, die Kirchen- 
gebote verloren ihre Kraft. Die Meſſe wurde nicht mehr befucht, 
das Fajtengebot verachtet, dag Beichten und Wallfahrten veripottet. 
Pfaffen jchelten wurde ein Zeichen befonderer Chriftlichkeit. 

So raſch ging es mit der Befeitigung des Alten, daß bie 
herkömmliche Feier der großen ftäntifchen Proceffionen, in denen 
der Fatholifche Gottesbienft bisher feinen glänzendften Ausdruck 
gefunden, ſchon im Sahre 1522 unterblieb. 


IM. 


Der öffentlichen Predigt dc3 Evangeliums folgte der gelehrte 
Kampf gegen feine Widerjacher. 

Denn fo allgemein war der Eifer für dad Evangelium 
doch nicht, daß nicht auch der alte Glaube noch feine Anhänger 
gehabt hätte, und nicht Alle, die 1521 Luther als den erjehnten 

Apostel begrüßt hatten, blieben feiner Sache getreu. Bei 
Manchen gewann, al3 der erjte QTaumel vorüber war, die 
Macht der Firchlihen Tradition wieder die Oberhand. Die 
Perfönlichkeit und das ganze Auftreten ber neuen Prediger 
mußte Sinficht3vollere mit Bedenken und Mißtrauen gegen ihre 
Sache erfüllen, ihr maßlofer Eifer gegen Alles, was den Vor: 
fahren heilig gegolten, die Bebächtigeren zurückſtoßen. So trat 
neben die evangelifche Mehrzahl eine katholiſche Minderzahl, 


— 13 — 


entfchloffen, an dem Glauben der Väter feitzuhalten 1). Allein 
den Gang der Ereigniffe aufzuhalten, war diefe um jo weniger 
im Stande, ald es ihr längere Zeit an einem entjchloffenen 
und fähigen Führer fehlte. Die alten Geiftlihen waren zum 
Theil noch flüchtig, die zurückgebliebenen beſaßen nicht ven Muth, 
den Kampf mit dent Gegner aufzunehmen ?). Die Canoniker 
der beiden Collegien verblieben, wie fehr fie auch den neuen 
Predigern, als Kebern und Buben grollten, in ihrer gewohnten 
Unthätigleit. Das Einzige, was von ihnen geſchah, war, daß 
fie wegen der 1521 erlittenen Gewaltthätigkeit bei den Reichs⸗ 
gerichten klagbar wurden ?). 

Wie die meiſten Verkünder des Evangeliums aus den 
Kloͤſtern hervorgegangen waren, ſo ſollten auch die Altgeſinnten 
in einem Moͤnche ihren Führer und Vertheidiger finden. Es 
war Bartholomäus Uſingen, Luthers ehemaliger Lehrer und 
Ordensgenoſſe, der einzige dem Orden treu gebliebene Augu— 
ftiner. Wir ſahen, wie auch er einen Augenblid in feinen 
Meberzeugungen gewankt hatte. Indeß ſchon 1521 war er zu 


) Weber das numerifche Verhältniß verbreitet eine Angabe Ufingens 
einiged Licht, der zufolge er bei einer am Mathiasfeſte 1523 im Dome gehal- 
tenen Prebigt beinahe 4000 Zuhörer hatte. Vgl. Liber secundus D. Bar- 
tholomei de Usingen, in quo respondet Culsamerice confutationi, qua 
confutatur epistola, quam premisit responsioni ad libellum vernacu- 
lum a Culsamero contra se emissum. Adjuuctis tribus sermonibus. 
4°, (Am Ende Erf. 1523). B 3 b. Auch im Rathe zählte der alte Glaube 
noch mehrere Anhänger. Vgl. Sermo de Sancta Crucce praedicatus & 
F. Barth. de Usingen. C3 h. 

2) Darüber Magt Ufingen. . „Sed quid faciunt pastores nostri tem- 
poris, qui lupum venientem vident et fugiunt scil. tacendo, nec se 
oppenende, nec prohibendo, Animam nec suan pro ovibus suis ponunt, 
quae ad infidelitatem a lupis perdecuntur‘‘ etc. gl. Barth. Usingen- 
sis Sermo pulcherrimus de Sacerdotio. Lips. 4%. A3b. — Aud 
Euelfamer Hagt darüber. Ein widerlegung Joan. Cullſamer 2. a 1 b. 

3) Ihr Klagelibell ift d. d. 3. Juli 1523. — In Beziehung auf fie hatte 
Lange nicht unrecht, wenn er fagt: „Sr kündt nichts meer, dann buben, ſchälck 
und ketzer rüffen. Wer kan das nit. Die Holhipper vnnd gemeine weyber 
fünnden dag auch wol.” Bon gehorfam der Weltlichen oberfait ꝛc. A An. 


/ 


— 14 — 


jeiner anfänglichen Haltung zurüdgefehrt: in den endloſen 
Jubel, mit dem Luther damald in Erfurt empfangen wurbe, 
ftimmte er nicht mit ein’): und mit wachlender Beſorgniß 
beobachtete er von da an den weitern Gang der Bewegung. 
Nach den lebten Vorgängen gab ed für ihn Teine Wahl mehr. 
Er brach jet dag Tange beobachtete Schweigen und übernahm, 
den Wünjchen feiner Freunde entiprechend, die Öffentliche Ver⸗ 
theibigung des alten Glaubens 2). 

Es war am Feſte des 5. Adelariug (20, April 1522), als 
er zum erjten Mal in der Domfirche auftrat und die firchliche 
Lehre von der Heiligenverehrung in Schu nahın. Auf die 
erite Predigt Tieß er bald eine zweite folgen über den Felſen, 
auf den Ehriftus feine Kirche gebaut. So fuhr er fort und 
behandelte in einer Reihe von Predigten die wichtigften Streit- 
punkte, Rechtfertigung, Abendmahl, Brieitertbum u. |. w.°). 
An die Vertheidigung der kirchlichen Lehren Tnüpfte er die ein- 
dringlichften Ermahnungen, der alten, wahren Kirche, in ber 
bie Väter gelebt und jelig geworden, treu zu bleiben. Er warnte 
vor den neuen falihen Propheten, die unter dem Schein des 
Evangeliums und der Freiheit Religion, Zucht und Ehrbarkeit 
vernichteten, das alte boͤhmiſche Unweſen erneuerten *), Aufruhr 
und Tumult erregten und das chriftliche Volk einer endlojen 
Verwirrung preis gäben. Unläugbar ſei zwar — räumte er 


1) Greifer (Hiſtoria vnd befchreibunge 2. B 1 b) berichtet, daß alle 
Auguftiner Luther in Erfurt freundlich enıpfangen, bis auf Ufingen, der ihn 
„ſauer“ angejeben. Doch ericheint ex nach dem Lih, rat, ad Heck. M. Marg. 
noch 1521 zu Lange in freundlichem Berbältniß. 

2) Daß ‚„honi viri ihn darum gebeten, ſagt er: felbit Lib. de merito 
bonorum onerum H 3 a. und Sermo de-saneta cruce D 3 a. 

+) Eine große Anzahl der von ihm gehaltenen Predigten bat er in latei⸗ 
nifcher Ueberſetzung in feine Streitjchriften anfgenommen, 

*) Diefer Gedanke Fehrt bei Ufingen oft wieber (Vgl. 3. B. Lib, tert. 
s 3 a, Libellus, ia quo respondet Confutationi Mechlerii M3a u. a.) 
und zeigt, in wie lebhafter Erinnerung die huffitifche Bewegung in Erfurt 
geblieben war. 


— 155 — 


ein — das Verderben der Kirche, und eine Reformation aller: _ 
dings vonnöthen, vor Allem aber eben für die, welche jetzt als 
Sittenrichter aufträten, für die zuchtlofen Mönche, die durch 
bözwillige Mebertreibung der kirchlichen Mißbräuche nur ihre 
eigene Schmach zu verbeden fuchten! 

Man kann fich denken, mit welcher Entrüftung die Diener 
des Evangeliums dieſe fchmeidende Sprache vernahmen. Ihre 
Erbitterung über daS frevelhafte Beginnen des ehemaligen Leh— 
rers — denn dad war Ufingen den meiften — war um jo 
größer, je weniger fie nach den erften glänzenden Erfolgen 
noch einen folchen Angriff erwartet hatten. Jetzt galt es, ihm 
raſch umd Fräftig zu begegnen. Sofort nach jener erften ‘Pre: 
digt erhob fi Euelfamer, um den Verſtockten, der Feiner brüs 
derlichen Ermahnung würdig ſei, öffentlich mit dem Worte 
Gottes zu jtrafen ). Dann’ folgten auch die Uebrigen: Lange, 
Mechler, Forchheim, Koel, Weich und wie fie alle hießen. Bald 
donnerte es auf allen Canzeln von den Fallſtricken, durch die 
Satan dag kaum wiedererweckte Evangelium zu verderben trachte. 
Jede Predigt Ufingend rief eine ganze Reihe von Gegenpre- 
digtere hervor. Durch beitellte Zmifchenträger erfuhr man den 
Inhalt derſelben. Wieder und wieder wurde das Volk aufge 
fordert, gegen biefe neuen Anfchläge des Teufels auf feiner 
Hut zu fein, fich das lautere Gotteswort nicht rauben zu laſſen. 
Ufingen, hieß es, fei ein Miethling der Hurenpfaffen ?), der 
um jchnöden Geldgewinn die frühere Finfterniß und Tyrannei 
zurüdzuführen trachte, ein ganz' und gar mit Blindheit gejchla- 
gener Sophift, fagte Lange, der Nichts von dem Evangelium 
verftehe, einer jener hartnädigen Alten, ließ ſich ein Dritter 


1) Bol. Epistola Joh. Culsameri ad D. Barth. Usingen, abgebr. in 
Uſingens erfter Streitſchrift: Aesponsio F. Barıh. de Usingen ad confu- 
tmtionem Cuisumericam, (Am Ende Erf. 1522). 4°. 

2) Died prebigte Cuelfamer: Nebulo ille turpissimus nunc tandem 
Christum ipsum pudefacere conatur ob fornicariorum defensienem: 
idque lucri causa. Vgl. Sermo de sancta cruce D 2 b. 





— 16 — 


vernehmen, die nach dem Zeugniß der h. Schrift zu allen Zei- 
ten der Wahrheit widerjtanden hätten. Lärmende Vollfhaufen 
wurden in feine Predigten gejchiekt, ihn durch Ziſchen und 
lautes Reden in Verwirrung zu bringen; wieberholt mijchten 
ſich ſogar Euelfamer und Forchheim felbft unter feine Zuhörer, 
um fofort die Umſtehenden eines Beſſern zu belehren, oder Stoff 
für ihre nächfte Predigt zu holen '). 

Indeß nicht bloß durch die Predigt fuchte man Uſingens 
Auftreten unschädlich zu machen: ein noch wirffameres Mittel 
dazu bot fich in den theologifchen Disputationen dar. Die- 
leipziger Disputation hatte eine Art ſymboliſcher Vorbedeutung 
für die Wichtigkeit, die der Geiſt der Disputirfucht allwärts 
für die Sache der Reformation gewinnen ſollte. Die Disputir- 
jucht war auch in Erfurt dad Einzige, was aus der fcholafti- 
chen Periode beibehalten wurde. Sofort empfing Ufingen eine 
ganze Reihe von Herausforderungen zu einer Öffentlichen Di3- 
putation. Allein die verlegende Form, in der fie ihm zufamen ?), 
jowie die von vornherein aufgeftellte Bebingung, daß das um⸗ 


ı) Davon fpridt Ufingen mehrmals, 3. B. Liber tertius etc. b 2 a. 
„Et si honestatis ordo servaudus est in contionibus, ne simul plures 
loquantur, ad cavendum tumultum et contentionem, sicut sancte docet 
Apostolus: cur a te (Culsamero) et tuis instituti Jam passim nunc 
ordinem non servanut, qui in faciem praedicantis linguas laxant et 
irreverenter inhonesteque concivnantem interpellant, propter quod 
superivribus diebus, quidam illorum in ayuam fuit projectus, quo 
baptismate et tu dignus esses: quoties me concionanten Audis, non 
ut -tibi sim predicator, sed ut mihi observator sis et calumniator. 
Et quare tu ipse non servas quod Apestolum docere interpretaris, 
qui sub sermonibus meis submurmuras et gircumstantes aliter atque 
ego nraedico doces, quibus scripturas tamquam in me militantes citare 
non erubeseis.““ Noch häufiger als Euelfamer fand fi Forchheim ein. 

2) So Iud ihn Euelfamer mit folgenden Worten zu einer Disputation 
ein: „Quo hydram tricipitem conficias hortor, o Hercules, fac adsis 
Hylne tuo:“ 'Tert. lib. b 4 db, Mechler mit folgenden: ‚‚Disputationem 
hanc von theologis evangelicis sed papisticis et vertiginosis indictam 
esse vulumus.‘‘ 


— 17 — 


ftehende Volk Schiedsrichter fein follte, Tieß ihn im Voraus 
den Erfolg erkennen: er verweigerte bie Annahme Wohl fei 
er, erflärte er, zu einem gelehrten Zweilampfe bereit, wenn, 
wie das Herfommen vorjchreibe, ein ordentlicher Richter ernannt 
würde und die Gegner nicht Ankläger und Richter zugleich fein 
wollten‘). Natürlich, daß dies hr wurde. Die Folge 
war, daß die Evangeliichen jebt, aud) ohne fingen, unter großem 
Zulauf ded Volkes ihre Disputationen hielten, bei denen «3 
dann tumultuarifch genug berging. Da war nun der Sieg 
leicht. So ehr, hieß es, ſeien die Papijten ſich felbit ihres 
Unrecht? bewußt, daß fie den offenen und ehrlichen Kampf 
vermieden und es nicht wagten, ihre Gründe dem nun durch 
göttliche Gnade jehend gewordenen Volfe vorzulegen ?). 
Wichtiger aber, als Prebigt und Disputation, war ber 
daneben geführte Titerarifche Kampf: dieſem wenigitend wich 
Uingen nicht aus. Den Anfang machte auch hier Eueljamer 
durch eine deutſche Streitfchrift, welche er im Sommer 1522 
gegen die erjten von Uſingen gehaltenen Predigten ausgehen 
ließ. Ihm eilten fofort Mechler und Lange zu Hülfe Bald 
war Alles voll von theologischen Streitfgriften. Die Feder zu 
führen, verjtand auch Uſingen. Mit einer Rührigfeit, die bei 
dem faft jechszigjährigen Greife in Erftaunen feßt, veröffent- 
lichte er eine Streitjchrift nach der andern; feinem der Gegner 
blieb er eine Antwort ſchuldig. Schonungslos, mit leidenſchaft⸗ 


1) Was aber nach Cuelſamer nichts Auffallendes hatte: „„Quod autem 
miraris, me simul actorem et judicem agere, non est cur mireris, 
cum Danielis decimo quarto idem habeas, quando ille duos senes pres- 
piteros nequam accusavit, judicavit et damnavit.‘‘“ Adversus Using, 
imp. lib. Bi a. _ 

2) Vgl. Concertatio Culsameri et Barth. de Using. B 3 b aqq. — 
Libellus F. Bartholomaei de Using, August. de duabus disputationibus 
Erphurdianis, quarum prior est Laugi et Mechlerii monachorum exi- 
ticiorum contra ecclesiam Catholicam, posterior est Usingi Aug. pro 
ecclesia catholica priori adversa et contraria, 1527. 3%. — Ein wider: 
legung Io. Eullfamer 20. a 1 b. Kappens Kleine Nachlefe II, 515. 


— 18 — 


Vicher Hite wurde der Kampf auf beiben Seiten geführt. Map 
kannte feine Partei, am wenigften der zornige Eifer der Prä- 
bifanten: noch. ehe Uſingens Schriften öffentlich erichienen 
waren, warnten fie das Volk vor dem darin enthaltenen Gifte. 
Kein Ausdruck ift ihnen zu derb, Fein Ausfall zu roh. Von 
der humaniftifchen Eleganz int ſich in diefer neuen Literatur 
feine Spur mehr. Gegenftand des Streited aber war bie ganze 
Reihe der theologifchen Tagesfragen, Priefterehe und Klojter- 
gelübde an der Spike; dann Rechtfertigung, Primat des Pap— 
fted, Autorität der Kirche, Heiligenverehrung, Fegefeuer, Huf: 
ſitismus, Bibel und endlich die Vernunft, der das neue Gefchlecht 
beſonders gram war. An eine ruhige, würdige Erörterung 
diefer Fragen dachte Niemand: kam es doch nur darauf ar, 
ſich des Beifall3 des großen Haufen? zu verfichern. Dem 
entjprach auch die ganze Art der Polemik. Wie kann, ſo lautet 
Cuelſamers Argument gegen den päpftlichen Primat, der Papſt 
bad Oberhaupt der Kirche fein, da er Doch in Regel der Sohn 
ber Sünde ift ). Die frivgle Aeußerung eines Proletariers 
wird aufgegriffen, um damit die Autorität der Kirche Lächerlich 
zu machen?). Da wird Ufingen wohl angewieſen, ſich bei 


1) Vgl. Adversus Bartholomaei Us. imp. libellum B 4 b. „Tu in 
die Petri locum illam Matthei Tu es Petrus et super hanc petram 
aedificabo ecclesiam menm, perversissime torsisti ad summunm ponti- 
ficem, quem conabaris probare ecclesiae caput, quod diceretur dis- 
pensacionis, nescio an somniandi dixeris, an vigilans tantum delirare 
potueris. Hui Usinge, cui nec totae Antieyrae suffcerent, quo satis 
ellebero purgareris, tune hominem peccati (ut plerumque sunt Ro- 
mani Pontifices) constitues caput super Christi ecelesiam? Si caput 
esse poterit homo peceati et fillas perdicionis, quis prohibebit, quo 
demones et damnati de Christi ecclesia non sint.“ Darin befteht ferne 
ganze Wiederlegung. 

2)1.c. A 2 n. „Eciam indoctae plebi ridendum prostituis. Ba 
quod et tibi dum in monachorum monte satis superciliose et sesqui- 
pedalibus verbis Romani Pontificis, Cardinalium et Episcoporum nucto- 
ritatem immodice extolleres, atque illos esse praedicares, qui sanctam 
matrem ecclesiam representarent, tum e plebe quidam infit: numquam 


— 159 — 


Luther ſelbſt Belehrung zu holen, oder mit der Behauptung 
abgefertigt, daß er als Häretifer Feiner weitern Widerlegung 
würdig ei, fondern gemieben werben müfje, wie Paulus ber 
Apostel Iehre!). Sp offenkundig, heißt es ein andermal, fei 
ber von. den Pfaffen geübte Betrug, daß ihn fogar die Kinder 
einfähen und darüber fpotteten ?), Ein roher, den Faflungs- 
fräften beö gemeinen Mannes anbequemter Syllogismus wird 
zu Hülfe genommen, um. die von Uſingen beſchützte Vernunft 
aus dem Gebiete der Religion zu verweilen. Wer den Geiſt 
Gottes nicht hat, argumentirt Eueljamer, ift dem Geſetze und 
ber Verdammung unterworfen. Die Vernunft aber ijt nicht 
ber Geiſt Gottes, fie kann und deshalb auch nicht von unjern 
Sünden befreien, und mithin haben die Sophiften Unredit, 
wenn fie diefelbe fo jehr empfehlen!) Und jo geht es weiter. 
Das Meifte aber leiſten jederzeit die mit Bibeljtellen unter: 


anten credere posui, menachum mihi matrem esse, cum vero pApA 
mater ecclesiae ac plerumque monackus sit papa, fieri potuit, ut ex 
matre monacho sim genitus, tale fuit illius de sycophanciis tuis judi- 
cium,“ gl. auch Liber primus «te. B1 a. 

2) Vgl. Epistola Egidii Mechlerii ad Using. „Scias me, sicut in 
apologia mea promiseram, aliud nihil facturum, quam ut egregie 
omnia tun et te contemnam, hacreticum enim hominem docuit Pau- 
lus post unam et alteram admonitionem vitandum case.‘“ De duabus 
disputat. Erf. H 1 a.2b. 

2) „‚Dulcibus sermonibus et benedictionibus (ventri Deo vestro 
inservientes) populum dei misere seduxistis. Haec manifestiora sunt, 
quam velis, adeo eeiam, ut jas pueri has vestras imposturas ct nos- 
eant et irridennt.‘“ Advers, Barth. Us. impud, lb. C 3 a. 

s) „Quam nihil raeio humana valeat ad justiciam hoc modo col- 
ligitar. Quetquot spiritu Dei destituti sunt, sub lege sunt et male- 
dictioni obnexil: Ratio autem uon est Dei spiritus. Ob id ratio a pec- 
catis non liberat. Si itaque racio a maledicto non liberat, quid illam 
tantopere commendatis Sophistae?““ Vgl. Tertius liber etc. K2 a, 
und Adv. Using. imp. lib. CA b. — „Die armen Scholaftici“, jagt Semler 
einmal, „haben fich lange genug gar zu fehr müſſen verachten laſſen; und oft 
von Leuten, die fie nicht einmal zum abfehreiben hätten brauchen können.” 
Lebteres Scheint in ber That in Beziehung auf Cuelſaner und feine Genofjen 
der Fall zu fein. 


müchten Schmähungen umd die Androhung des göttlichen Straf: 
gerichtes, da3 nach dem Zeugniß der Bibel allen Gottlofen und 
verſtockten Sündern bevorjteht !). 

Mehr Würde und Ruhe zeigt Ufingen. Maßlofigkeiten 
fehlen freilich auch bei, ihm nicht, wie er denn einmal alle 
Prädifanten, als Falſchmünzer, verbrannt wiflen will. Aber 
nie verfällt er in den Ton eined vohen pöbelhaften Scheltens, 
wie feine Gegner ?). Mitten im Gebränge des Kampfes ver: 
gißt er nicht, auch der altgläubigen Geiftlichkeit in ernfter Rede 
ihre Sünden vorzuhalten, durch welche fie den gegenwärtigen 
Sturm gegen die Kirche hervorgerufen °). Seine Entgegnungen 
find reih an trefflihen umb fchlagenden Bemerkungen. Iſt 
die Bibel die alleinige Duelle des Glaubens, hält er unter 


1) In Cuelſamers Tateinifcher Streitfchrift wird Ufingen angerebet als 
ımniserandus, miserubilis senex, misellus, caput stupidum, dux Sophi- 
starum, excecati cordis homo, cecus, cecorum dux, hypocrita, in 
verbum Dei blasphemus etc. etc. &ine ähnliche Spradye führt Zange. 
„„Tu scabiose senex‘‘, redet er den alten Ordensgenofien at, „eum fugi- 
tivo et exiticio fratre tuo, qui rursus pedem in antiquum contulit 
sterquilinum — vobis igitur judicium dei olim non tardat et perditio 
vestra non dormitat, 2 Petri 2.% Bgl. Sermo de s. cruce. C 44. 

2) Auch die Unfchuld. Nachrichten äußern bei Gelegenheit der Recenfion 
ber Concertatio etc. (Jahrg. 1717 p. 551 ff.), daß Uſingens Entgegnung 
„mit ziemlicher Veſcheidenheit“ abgefapt fei. 

2) Bol. Liber primus ete. Ed b. — Sermo dc sancta erucc. Bi.a. 
Sermo de sacerdotio A 3 b. — Er fpridit ſich da mitunter fehr derb aus: 
„Sed quid dicam de pscudo sacerdotikus, quorum plenus est mundus, 
qui fronte semel perfricta erubescere amıplius nesciunt, in quorum 
manibus pro psalterio luserie cartule cerauntur et tessere, in quorum 
ore non dei nomen resouat et landes, sed jurgin, maledicta ct frau- 
des, audiuntur rixosi, tumultaosi, belligeri, in quorum cubiculis non 
est videre canonicas scripturas, sed gladies, pilas et surissas etc.‘ 
Lib, prim. E 6a. Er rügt fehr ernit, wie fie „more Fucherensium‘‘ nur 
nad Pfrünben jagen. „Papistae zunt, qui sacerdotäis satiari non pos- 
sunt, et per omnin collegia ecclesinstica Monupolium more Fuche- 
rensium exercent in praebendis et beneficiis, ut vocant, qui lahores 
locant, et sudores laborantium vorant feriati.‘“ Sermo de s. cruce 
Bin, 


— 161 — 


Anderm einmal den Gegnern entgegen, wie war es dann zu 
der Apoſtel Zeiten, als es noch Feine Bibel gab? Und ift das 
Verſtändniß der Bibel fo Leicht, fragt er ein andermal, warum — 
Itreiten Luther und Carlſtadt fo heftig über dieſelbe?!) Ein 
Zug aber geht gleichmäßig durch alle feine Schriften hindurch: 
es ift die Entrüftung darüber, daß Menjchen, wie die, welche 
jet in Erfurt das Wort führen, jo eben aus dem Dunkel .des .' 
Klofterß hervorgetreten, roh und unwiffend, und der Reforma— 
tion felbjt mehr, als irgend ein Anderer .bebürftig, nun als 
Reformatoren auftreten, über die Gefammtheit der alten Kirche 
den Stab brechen dürfen. Daß jo Wenige dies anjtößig fan— 
den, feine Obrigkeit fich dagegen ſetzte: darin erblidt er eine - 
Schmad, des deutjchen Namens. „Das iſt der Ruhm unferer 
Zeit”, ruft er einmal aus, „ber uns bei den künftigen Jahr⸗ 
hunderten in Verruf bringen wird.” — Wiederholt Flagt er 
darüber, daß bei den Zeitgenoffen der Sinn für die innige 
Verbindung, in der Deutjchland früher mit der Kirche gejtan- 
den, jo gänzlich eritorben jet. Es ahnet ihm, daß wie in Folge 
des griechiichen Bilderſturms die alte Größe von Eonftantinopel 
und die römijche Kaiferfrone auf die deutfche Nation über: 
gegangen fei, jo der gegenwärtige deutſche Bilderſturm den 
Berfall Deutfchlands und ven Verluſt der alten Grüße herbei- 
führen werde ?). — 

Allein dergleichen Klagen verhalten wirkungslos in einer 
Zeit, wo ideale Beziehungen überall. gemeiner Wirklichkeit 
weichen mußten, und gaben nur Anlaß, von den phantaftiichen 
Träumereien des Findifchen Alten zu ſprechen. Der gemeine 
Dann hatte Fein Verftändnig dafür. Auf das Volk konnten 
Uſingens Schriften überhaupt nur geringen‘ Einfluß ausüben. u 


m 


— 





12) Vgl. Libellus in quo respondet confutationi F. Beidi Mech- 
lerii O 3 b. — De dunbus disput. Erph. D 1b. 

2) Vgl. Liber primus ete. B3 a. — Sermo de sancta cruce ete. 
A4Ah, Ä 
Kampfſchulte, Univerfität Erfurt. IT. Theil. a 


— 162 — 


Er verfchmähte es, das Volk, wie feine Gegner, durch eine 
volksthümliche Darftelung an ſich zu ziehen. AL Mann der 
Schule bedient er fich ausschließlich der Lateinischen Sprache *), 
hberjeßt ſogar deutfche Schriften feiner Gegner in's Rateinifche, 
um ſie dann "mit feinen Gegenbemerkungen zu begleiten. In 
den Formen der Schule bewegt fich auch die ganze Art feiner 
Polemik, troß der zahlreichen Bibelftellen, die er im Geſchmack 
der Zeit an dem Rande feiner Streitfchriften anbringt. Es 
fehlt ihm deshalb die Unmittelbarkeit, die Kraft und das Teuer, 
wodurch fich die Schriften feiner Gegner auszeichnen. Durch 
die Formen der Schule verfperrte auch er fich, wie jo mancher 
Bertheidiger bed alten Glaubens, den Zugang zu ven Gemüthern 
bed Volkes. Kein Wunder, wen da die Euelfamer und Mechler 
trog der Schwäche ihrer Argumente den Sieg davon trugen! 

Indeß wurde auch von FTatholifcher Seite bie Form der 
populären Polemik verfucht. Es gejchah die durch den Huma⸗ 
niften Johann Femelius, der im Herbfte 1522 neben Ufingen 
auf den Kampfplat trat. Noch im Jahre 1520 Luthers feu- 
rigfter Lobredner und Vertheidiger gegen „pie unbeilige Rotte“, 
war Femelius durch das Treiben der Bräbifanten auf andere 
Anfichten gebracht worden. Ein ſo derbe Zufahren, ein jo 
unaufhörläched Verdammen und Boltern fünne unmöglich, meinte 
er, zum Guten dienen und mache das einfältige Volk irre?). 


1) Nicht zu verwundern war ed, wenn die von den Gegnern ausgebeutet 
wurbe. „„Adeo astutus est compilator ille‘‘, verkündet Mechler, „ut li- 
bellum suum latine ederet, ne vulgus suas videret nugas.‘“ Bol. 
Libellus de duabus disp. Erph. N 3 a. 

2) „Das vorfprechen vnn vordammen derer bie Öffentlich vorwerffenn 
vnd vffs höchſte vernichtigen”, äußert er im Eingang der gleich anzuführenden 
Schrift, „die predig on lar, allhie auffgericht yn kurtzer tzeyt gefallet mir gar 
nit vnd ift in der warheyt böß vnd gufitig vnd gelangt faft Bu bößen fachen. 
Wan man leret yo das ewangeliun, ed ſey auch wye es wolle, macht auch 
ſolch vorwerffen das ennfeltig volck vber die maß yrrig vnd ſolt billich nit 
geicheen von feynem nit, Welcyer ber jchrifft erfaren angefehen werden wolt. 
Es fiehet auch worlich ſolchs eynem gelarthen man nit wol an, ban es fan 
ya wol be gleichen thunn, eyn grober, ungelarter menſch.“ 


— 158 — 

Cine Disputation über die Heiligenverehrung, bei der fich Alles 
in der gewöhnlichen tumultuariſchen Weiſe gegen bie Heiligen 
ausſprach, veranlaßte ihn nad) Vorgang Ufingens öffentlich mit 
einer deutfchen Streitfchrift für die altkirchliche Lehre in die 
Schranfen zu treten’). Femel ift kein Mann der Schule: 
feine Schrift. ift für das Volk beftimmt und im Volkstone 
gehalten. Er will den einfältigen Laien „nicht fo faft lange 
Zeit in der Schrift gebt” in den Stand feßen, ſich bei dieſen 
Wirren ein ruhiges und richtigeß Urtheil zu bilden. Er ermahnt 
ihn, „nicht jo muthwillig und freventlich in diefer hoben großen 
Sache zu urtheilen”, wie bisher, und vor Allem ſich nicht durch 
den Kärm der Prädifanten irre machen zu laſſen. Alle Argu: 
mente, welche fie biß auf dieſen Tag im Erfurt vorgebracht 
hätten, ſeien unzulänglich und nur fcheinbar, beſtaäͤnden nur in 
„Pochen, Pultern und Stormen.“ Durch emige gelungene 
Nachbildungen ihrer beliebteften Argumente jucht er dies an- 
Ihaulich zu machen?) Mit St. Paulus, auf ven fie ſich jo 
haufig und gern beriefen, ftimmten fie wie „ein großer Bromm- 
ochſe mit einer jungen Nachtigall” 9). Grobe, finftere. Köpfe 
jeien es, „welche auch das da gamz wahrhaftig ift, in ärgiten 
Verftand wenden und ein närrifches Urtheil fallen in den 
Sachen, die fie gar nicht verftehen” ©). 

Uſingens Beifpiel gab nad) und nad auch noch Andern 


1) Eyn fur Sermon ſzo die Heyligen Gottes belangen. An alle Doc: 
tores Bu Erffurdt, fie feynt jung ab’ alt, man ad’ frame Joannes Femelius. 
Darunter: Bruber es gylt mit leſternß wm vorſprechens Sondern Flarer 
atzeygung auß der fchrifft wer das baß kann ber beſtehe. 4%. =. 1. et a. 
(Am Ende: Hans Knappe). Daß die Schrift Ende 1522 erfchienen ift, 
ergibt fi aus ihrem Inhalte, vgl. aud) Concertatio ete. G.3 a. 

2) 3.8. Mie ber erfte Hellige ohne Fürbitte, ſo ſei auch der reuige 
Schächer ohne Taufe, ohue gute Werke ac. ſelig geworden, lie bedürſe man 
ber Taufe, der gun Werke jo wenig als ber dürbiue der Heiligen u. ſ. w. 
I. c. O 3 4. 

2) I. c. B A a. 

) I. c. A2 h. 

11% 


— 14 — 


den Muth, offen für den alten Glauben aufzutreten. Mater- 
nus Piſtoris nahm öffentlich die Marienverehrung in Schuß "). 
Ein Soanned Eckardi verfocht gegen Euelfamer die Nothwen- 
bigfeit der Firchlichen Tradition und die Unzulänglichleit der 
Bibel als alleiniger Duelle de Glauben3 ?). Andreas Frowin 
trat gar mit der Behauptung auf, daß das Evangelium Auf: 
ruhr errege, und daß Männer, die ihre Laufbahn mit einer 
Auflehnung gegen ihre DOrdendoberen begonnen, nimmer Andere 
zum Gehorfam' gegen die Obrigkeit anleiten koͤnnten. Dagegen 
aber erhob ſich Lange, der in einer neuen Streitichrift ausführte, 
daß nicht das Evangelium, fondern „bie geiftlichen Privilegien 
und Freiheiten der Pfaffen, Mönche und Nonnen” das Anjehen 
der Obrigkeit vernichteten *). Gerade die evangeliichen Predi- 
ger, behauptet er, hätten das größte Verdienſt um die Obrig- 
keit. „Wollt Gott”, jagt er von fich felbit, „ed wäre einem 
ehrbaren Rath zu Erfurt und gemeiner Stadt Niemand jchäd- 
licher geweſen benn ich!” +) 

In der That war Frowins Vorwurf injoweit ungegrünbet, 
als das Anſehen des erfurter Rathes durch dad Evangelium 
nicht litt, und viel eher traf Ufingen das Richtige, der ben 
evangeliichen Prädikanten wiederholt eine ungebührliche Schmei- 
chelei gegen die ftäbtiiche Obrigkeit vorwirft). Eben in dem 
Rathe fanden fie ihre Hauptſtütze. Lange ftand bei ihm in 





1) Vgl. Euricii Cordi Opp. Epigr. Lib. V. De Materno p. 170. 

2) Bol. Erhard Ueberl. 3. vaterl. Geſch. I, 59. 

2) Bon gehorjam der Weltlichen oberfait und den außgangen Fofterleuten, 
am ſchutzred an Doctor Andreas Frowin, Doctor Johannis Langen, Eccle⸗ 
fiaftes zu Erfurt. B2 b. 

) I. c. B1 a. 

2) Vgl. 3. B. Läber primus etc. E 5 b, wo er fie bezeichnet als: 
„Palpones popwli, cui placentia dicitis et aures illius fricatis, nibilque 
aliud quam meri Sophistae, qui veritatis specie simplicibus imponitis 
et tyrannorum favorem vobis conciliatis, quo spirantes et nitentes 
putatis vos ecclesiae eatholicae praevalere posse‘“, womit Wicel's 
Ausſpruch zu vergleichen: Retectio Lntherismi E 3 a. 


— 165 — 


hohen Anfehen, während Ufingen, nachdem er dreißig Jahre 
dem Ruhme der Stadt und ihrer Schule gedient, ſich jebt 
ſchutzlos den Verhöhnungen des Pöbeld preis gegeben fah!). 
Zwar zählte der Rath noch immer einige altgefinnte Mitglie- 


der, wie Goͤrg Tennftädt, Chriftoph Milvis, Michael Moeller, | 


Andrea? zum Propheten, Wilhelm den Stadtichreiber, aber fie 
waren in der Minderzahl und „wenn fie am böfeften waren”, 
berichtet der Chronift, „fo kam der Tod und holte einige). 
Die bei weiten überwiegende Mehrzahl und die, welche an ber 
Spite des Rathes ftanden, waren eifrig der Neuerung zugethan. 
Und wie hätte man auch dem Evangelium gram fein fön- 
nen, welche3 unmittelbar zu einem feit vielen Jahren und mit 
der größten Beharrlichkeit verfolgten Ziele führen zu müffen 
ſchien! Kein wirkſameres Mittel gab es, den Boden ber ver: 
haften mainzifchen Herrichaft zu untergraben, als die Einfüh- 
rung der Reformation. Vorzugsweiſe in diefem Sinne gejchah 
es, daß der Rath ſich der neuen Prediger fo eifrig annahm, 
und jener Vorwurf Frowin's enthält nach diefer Seite hin nur 
zu viel Wahrheit. Es brachte feine Wirkung hervor, daß der 
Kaifer 1524 ein drohende Mandat gegen Rat und Gemeine 
von Erfurt erließ und die Reichsacht über die Stadt verhängte ?). 
Schon jeit dem Anfang 1523 wurde unter dem Schuße des 
Rathes in acht Kirchen evangelifcher Gottesdienſt gehalten. 


1) Vgl. Eob. et amic. epp. f. p. 2. — Libellus Barth. de Us. in 
quo respondet confutationi Eg. Mechlerii T 1 a, wo Ufingen ih in 
rührender Weife darüber beflagt. 

2) Frieſe'ſche Chronif ad a. 45. 

2) Das aus Madrid batirte Faiferliche Mandat ift abgebr. bei Falcken⸗ 
ſtein 1. c. I, 588— 89. Offenbar iſt es auf Betreiben des Churfürſten von 
Mainz erfolgt. — 


IV. 


Sp verlor die Stadt ihren altfatholifchen Charakter. Die 
kirchlichen Zuftände gewannen ein anderes Ausſehen; und Fein 
erfreuliche2. 

- Gefährlicher als die vereinzelten Angriffe der Altgläubigen 
brohten dem Evangelium die Irrungen zu werden, die bald 
unter feinen Anhängern jelbft außbrachen. Die Wahrnehmung, 
daß es Leichter ift, einen alten Bau nieberzureißen, als einen 
neuen aufzuführen, iſt aud in Erfurt früh genug gemacht 
worden. Noch war man mit dem Aufräumen ded Alten nicht 
zu Ende, als es ſchon wegen des Neuen, das an feine Stelle 
treten follte, zu Mißhelligkeiten kam. Die Meſſe, der Mittel- 
punkt des alten Gottesdienste, war ſchon in den erften Mo— 
naten 1522 gefallen. Der neue gotteödienftliche Act, der Statt 
ihrer eingeführt wurde, erregte bei Manchen Unzufriedenheit. 
Ein großer Theil des Bolfe wollte die alten Ceremonien mehr 
geſchont wiffen. Diefen zufrieden zu Stellen, entſchloß ſich Peter 
Geltner, abweichend von feinen Amtsbrüdern, die Elevation 
bed Brodes in alter Weife beizubehalten 2). Weber die Bedeu— 
tung de3 Abendmahls felbft waren Euelfamer und die übrigen 
Prediger getheilter Anfiht ?). Eine ganze Reihe von Fragen 
tauchte auf, über deren Beantwortung man fich nicht einigen 
fonnte. Die meijte Verwirrung brachte die Frage über dic 
Heiligenverehrung hervor. Es wurde geftritten, ob dieſelbe 
den „Schwachen“, welche nicht von ihr ablaffen wollten, nach— 
gefehen werben bürfte, oder ob fie geradezu ſündhaft jet Letzte— 
res war die Anficht der Mehrzahl des Volkes und ber meilten 








1) Loſſius (Helius Eobanus Heſſus p. 130) meldet dies von Guelfamer, 
allein aus einer Notiz in den bandfchriftlichen Collectaneen von Motſchmann 
ergibt fi), daß e8 Geltner war, mit deſſen Charakter eine folche Accommoba- 
tion auch viel eher ftimmt. 

2) Vgl. De duabus disput. Erph. G 2 b. 


— 17 — 


Prädikanten. Der bilderſtürmeriſche Geiſt, der kurz vorher in 


Wittenberg ſeinen Einzug gehalten, begann ſich auch in Erfurt 
zu regen. Lange, deſſen Anſehen ſonſt in den meiſten Fällen 
entſchied, war dieſes Mal ſelbſt rathlos. Luther, welcher an 
Allem, was Erfurt betraf, den lebhafteſten Antheil nahm, und 
für den die erfurter Gemeinde nächſt der wittenberger die wich- 
tigfte war, hatte eine Zeitlang dem rajchen Eifer der Erfurter, 
die jogar ihm felbft woraußgeeilt, lauten Beifall gezollt *), bis 
ihn der weitere Verlauf der Dinge und die Vorgänge in Wit: 
tenberg auf andere Anfichten brachten. In einer Reihe von 
Briefen ermahnte er feit dem April 1522 Lange, dafür Sorge 
zu tragen, daß das Evangelium wit Ruhe und Mäßigung ver- 
fünbet, gewaltfame Neuerung, Zwietracht und Aufruhr vers 
mieden werde ?). Allein indem er gleichzeitig dem rohen Trei- 
ben der Präbifanten gegen Ufingen dad Wort redete, nahm er 
ſelbſt ſeinen Ermahnungen ihre Kraft). Die Wirren und 
Unorönungen danerten fort, jo daß fih Luther veranlaßt ſah, 
im Sommer 1522 ein größere® Sendjchreiben an die ganze 
Gemeinde von Erfurt zu richten *), in dem er über bie Blüthe 


1) Vgl. Luther an Lange 28. März; 1522, „Si tempus, dabitur epi- 
stola ad Erfordienusem Eeclesiam, quanquam video et vos et ndstros 
erevisse in scientin verbi supra mensuram meam et undique impleri 
illad: oportet illos erescere, me autem minui.‘“ De Wette II, 175. 
2) Bol. De Wette 11, 180, 203, 213, 219. 
s) Seine damaligen Aeußerungen über ben einft fo verehrten Lehrer 
machen einen Höchft unangenehmen Eindrud. „Usiagense caput“, fchreibt 


er an Lange, „„scis inveterata pertinacia et .opinione sui esse indura- 
tum, ut adamanta superet. Proinde sic contra ejus insanlas docen- 


dum est, ut ejus rudissima et cnecissima inflatura contemmatur.‘‘ De 
Bette II, 213. Sogar eine unwürdige Entjtellung feine® Namens fcheut er 
nit: „Unsingen insanire lubens audio, ut nota fint sorum insipientia 
jJuxta Paulum.‘“ 1. c. II, 255. 

+) Martinus Luther, Eeclefiaftes zu Wittenberg, allen Ehriften zu Erfurt, 
fampt den Predigern und Dienern, Gnad und Fried in Chriſto unferm Herrn. 
d. d. 40. Juli 1522 bei De Wette II, 220 - 24. In werigen von Luthers 
Briefen ift der paulinifche Ton fo glücklich nachgeahmt. Das Schreiben er: 
ſchien in demfelben Jahre in Wittenberg in Drud. 


—- 


— 168 — 


des Evangeliums in ihrer Stabt und dad Aufhören der Finfter- 
niß des Antichriſts feine Freude ausdrückt, daun aber ernſtlich 
ermahnt, Frieden und Eintracht unter einander zu halten, der 
unnützen; Frage über die Heiligen ſich zu entſchlagen, der 
Schwachen zu jchonen, gewaltfame Neuerung- und Empörung 
zu vermeiden. Den Prebigern wird abermal3 Schonung und 
Mäßigung empfohlen. MS aud) died ohne Erfolg blieb, unter- 
nahm Luther, von Melanchtbon und einigen Andern begleitet, 
im October 1522 jelbjt eine Reife nad) Erfurt, um durch feine 
perfönliche Anwejenbeit die Gläubigen zur Eintracht und Ord— 
nung zurüczuführen. Da gab es wieder freubige Begrüßungen, 
Beifalöbezeugungen, Feſtmatle, aber in der Hauptfache wurde 
wenig ausgerichtet ?). Zwar beftleg Luther einige Mal unter 
großem Zulauf des Volkes die Canzel, predigte von Glauben 
und guten Werfen, von Kreuz und Leiden und fprach nicht 
mehr jo viel von dem Unwejen der Bapiften?), allein den 
Frieden brachte er auch dieſes Mal der Stadt nicht. 

Unterdeß wurde. der Kampf gegen die Reſte des Papſt— 


1) Bol. den Bericht Melanchthons an Spalatin Corp. Ref. I, 579. 
„Divertimus ad aedes Parochi S. Michaelis, neque enim tutum erat, 
ad Monachos divertere. Vespere paene obruti sumus sulutantium 
tumultibus, : Atque hic, ut dicam quid egerimus uno verho, petatum 
est, clamutum est, quod solet. Korum qui litterati dieuntur, practer 
nostros hoc est Kobanum, Cordum, Langun et aliquot magistros 
nemo adfuit etc.“ — Doch war bie Aufnahıne fo glänzend nicht, als das 
Jahr zuvor, denn ein öffentlicher Empfang wurde ihm weder von ber Stabt, 
noch von ber Univerfität zu Theil. ,‚Privatim a civibus in nos omnia 
officia collata sunt. Publice nec Universitas nec Senatus dona vit.“ 
l.c. Vgl. auch Spalat. Annal. in Mencken. Script. rer. Germ. II, 617. 

2) „De rebus papisticis non ita multa dixit‘‘, äußert Melanchtbon 
}. c. Am 24. October trat er in der Michaeliskirche auf, am 23. in ber 
Kaufmannskirche. Beide Predigten erfchienen zu Erfurt inDrud. „Ein Sermon 
zu ©. Michael gethan zu Erfurt auf ben Tag der 11.000 Sungfrauen won 
Glauben und guten Werfen, D. Mart. Luther A. 1522” 4°, und „Ein ſchön 
Sermon zu Erfurt in ber Kaufmanns Kirchen geprediget, von Kreuz und 
Leiden, wie es ein rechter Ehrift | fol, D. Martin Luther. 1522.“ 4°, 
Bol. auch Seckendorf 1. c. I, 224. 


— 19 — 


thums von den Prädifanten mit unveränderten Eifer fortge- 
jeßt: den PBapiften gegenüber wurde der innere Zwilt und 
Hader vergeffen ). Sp groß war nad) diefer Seite bin ihr 
Eifer, daß felbjt der Rath Bedenken äußerte und deshalb von 
Lange der Lauigfeit beichuldigt wurde. Keine Zeit ſei zu 
verlieren, meinte Mechler, denn ſpät genug, um die eilfte 
Stunde, habe der Herr feine Arbeiter in den Weinberg gefandt. 
Mit dem Schwerte, hieß es, müſſe dem Unweſen der noch 
übrigen Pfaffen ein Ende gemacht werden ?). Eueljamer er: 
klärte es im Öffentlicher Rede geradezu für eine Pflicht der 
ſtädtiſchen Obrigkeit, die papiſtiſchen Tagediebe und Berächter 


— 


des göttlichen Wortes, die noch zur Schande und zum Schaden 


des Gemeinwejen? in der Stabt weilten, mit Anwendung der 
Gewalt zu vertreiben). Zwar Tieß fich der Rath dadurch 
nicht beirren, — fo offenbare, formloje Gewaltthätigkeiten fonn- 
ten unmöglich zur Förderung feiner Plane dienen — nicht zu 


verwundern war es aber, wenn durch folche Reden die Wuth _ 


de3 gemeinen Mannes von Neuem aufgejtachelt ward. Schon 
1522 erhob fich eine neue drohende Bewegung, ala Forchheim, 


ı) Daher Ufingen von ihnen fagt: ‚„‚Habent sese ut vulpcculae, 
quibus studium est demeliri vineam domini, quibus etsi facies sint 
diversae, caudis tamen omnes sunt colligatac.‘‘ Bol. Purgatorium, 


Libellus F. Bartholomaei de Usingen Aug. — Contra Lutheranos 
Hussopycardos. Herbipoli 1527. 8°. Aib. 
2) Bgl. Sermo de saucta cruce C 1 a. — Libellus de duabus 


diep. Erph. M 4a. — Libellus Barth. de Us. in quo respondet confu- 
tationi Mechlerii L 2 b. — Der Rath ließ einmal fänmtliche Prediger 
citiren unb ermahnte fie, das Evangelium nicht seditiose zu prebigen. 1. c. 
84b. 

2) „Quocirca magnifici et cousumatissimi viri vestrum est, vestrum 
erit, Christi Evangelium ut oculi vestri pupillam defeudere et nebu- 
lonıs istos verbi dei osores urbe vestra depellere. Nihil enim facient, 
quam quod sudores vestros exugunt, uxores quoque vestras filias et 
ancillas stuprant et devirginant, prurienterque atqye invidiose in 
coenobiis litigant, ac in diem absque commodo proximi vivunt.“ Bal. 
Libellus de merito bonorum operum. Jia, 


— m — 


einer der ungejtümjten Eiferer, auf der Eanzel vom Schlage 
gerührt, plößlich ftarb und ein Gerücht feinen Tod für bie 
Wirkung eined ihm von den Papiſten beigebrachten Giftes 
erklärte 2). Die wenigen dem Orden treu gebliebenen Mönche 
durften fich nicht mehr öffentlich jehen Taffen, ohne ven Muth- 
willen des Poöbels zu erfahren. „Ein Wolf, ein Wolf“ war 
der gewöhnliche Ruf, ſobald ein Mönchsgewand auf ver Straße 
erblict wurbe?). Wfingen war kaum feines Lebens ficher. 
Mehr als einmal, berichtet er jelbft, fei der Verſuch gemacht 
worden, ihn gewaltſam aus dem Wege zu räumen. Gebungene 
Aufpaffer Tauerten ihm auf, wenn er aus der Prebigt heim- 
fehrte 3). Die Rage der Altgkäubigen wurde von Tag zu Tag 
bedenklicher. Nur noch bei verfchloffenen Thüren durften fie 
es wagen, in ben wenigen ihnen verbliebenen Kirchen — den 
beiden Stift3- und einigen Klofterkirchen — ihren Gottesdienſt 
zu halten. 1523 erhob fich ver -evangelifche Pöbel in einem 
neuen Aufruhr). Der Rath, an den fich die bevrängten 
Eoflegien und Kldfter um Hülfe wandten, fagte ihnen feinen 
Schuß erſt da zu, als fie fich zur Entrichtung eines bebeuten- 


ı) Bol. De Weite IT, 234, Eob. et amic. epp. fam. p. 8. Liber 
primus ete. Fda.n. a. 
2) Hogel'ſche Chronit ad a. 1522. 
s) Bol. Liber secundus etc. B3 b. — Libellus, in quo respondet 
confutationi Mechlerii Ti a. — Höhn Chronologia Provinciae Rhene- 
Suevicae Ordinis F. F. Eremitarum S. August. p. 170. — ‚‚Sevitum 


est in me“, klagt er gegen Mechler, „pro cujusque arbitrio, immo pre . 


suggestu predicatum est impune pro mea et expulsione et necatione, 
omnia patienter tuli, et neminem magnifico sehatui nostro deferri 
volui puniendum. Illos meminisse debuisses, mi frater, cum unus ex 
illis esses, qui trucidarios et sicarios in me egerunt.‘“ Doch berichtet 
Lange, daß man auch ihm nach dem Leben ftrebe. Bol. Von gehorfam ber 
Weltlichen 2. B 1a. 

+) „„Hic praeter tumultus videns nihil et hellorum minas“‘, ſchrieb 
damals Eoban an Dracy, „nam undique bella, horrida bella et Gaeram 
multo spumantem sanguine cerno.‘“ Eob. et amic. opp. fam. p. 87. 
Darnach ſcheint e3 fogar zu Blutvergießen gelommen zu fein. 


— 1 — 


den Schubgelde3 verftanden. Um ſchwere Summen mußte bie 
Duldung des alten Gottesvienftes erfauft werden !). 

Daß bei einem folhen Treiben an eine fittliche Hebung 
des Volkes durch dad Evangelium nicht zu denken tft, Liegt zu 
Tage. Dazu war das Auftreten der Prediger am allerwenig- 
ften angethban. Das rohe, pöbelhafte Schelten von den Eanzeln, 
die fortwährenden Ausfälle gegen die Siuben und Gebrechen 
de3 alten Clerus, das ungeftüme Berwerfen und Verdammen 
von Einrichtungen, Gegenftänden, Gebräuchen, die Jahrhunderte 
lang die allgemeine Verehrung genoffen hatten: alles dies Fonnte 
nur von verberblichem Einfluß auf die Sittlichfeit fein. Wie 


—- 


oft hielt Ufingen das nicht feinen Gegnern wor! Wie oft ers ; 


umerte er fie nicht an die chriftliche Liebe und Nachficht, die 
das Wort der Schrift auch gegen den Sünder zur Pflicht 
mache! Wo der Vrevigtftuhl die privilegirte Stätte maßloſer 
Berläfterungen war?) und eher Schadenfreude und behagliche 
Luft an der Aufdeckung ber Blößen des Gegners, als Trauer 
und Wehmuth über feine Fehltritte in den Worten des Red⸗ 
ners fich zu erkennen gab, da konnte der Zuhörer unmöglich 
Nuten und Gewinn für jeine eigene Förderung auf dem Wege 
des Guten fchöpfen ?). Indem die neuen Prediger die frühern 


— | — 





ı) Nach der Hogel’fhen Chronik betrug das Schubgeld für das Liebe 
frauen: und Severiftift 1723 Schod 43 Gr., für das Petersflofter 105 Schod 
und ebenfoviel für das Sarthäuferkiofter. — Selbit Cordus empfand Mitlei- 
den niit der gedrückten Lage der Papiften. „„Actum est de Papistica tyr- 
rannide. Supplices sacti Papistac Senatui suut. Mixeret profecto 
quorumdam, qui adeo exangues a mera tenuitate contrahuntur,‘‘ 
Euric. Cordus Draconi 1523. Vgl. Eob. et amic. epp. f. p. WX. 

2) So bezeichnet ihn Uſingen wieberholt. Vgl. Concertatio G 6 b. 
Liber tertius a 3 a etc. ° 

s) Eine Aeuperung Wicelß möge hier eine Stelle finden: „Furwar weret 
yr aus Got, yr würdet euch ber einigen kyrchen annehmen, fie ber geiftfichen 
wolthaten genießen laffen — jr thun wie fie euch gethan bat, Iren mangel 
und groffe feheben würdet yr vater weis ſtraffen. vnd wicht feinds weiß vnd 
auf haß rugen vd den trunfen Noe entblöffen, glei wie yr auch von den 
ewern nicht wöllet geruget vnd beſchemet ſeyn.“ Bon ber chriftlichen Kyrchen: 





— 12 — 


— Geelforger als Heuchler, ihre ganze Wirkfamfeit ald abjicht- 
fichen Betrug zum Schaden bed gemeinen Mannes barjtellten, 
untergruben fie den Boden unter den eigenen Füßen, machten 
fie fi und Andern auf Lange Zeit hin jede jeeljorgliche Leitung 
unmöglich. Und weder die populäre, dem Volke Tchmeichelnde 
Art ihres Vortrages, noch die Bibel, welde fie ihm in die 
Hand gaben, konnte den angerichteten Schaden wieder gut 
machen. Die vorauszufehende Folge davon war nur, daß jebt 
anch der unerfahrene Laie, geitübt auf feine Bibel, deren Sinn 
ja Har und verjtändlich war, ein Wort über theologifche Sachen 
mitjprechen zu dürfen glaubte. Da theologofirte bald jeber- 
mann, Alt und Jung; Knaben, Männer, Weiber wurden von 
ber theologifchen Sucht ergriffen‘). In Wirthöhäufern und 
auf Märkten wurden theologische Fragen bejprochen: mar kann 
denfen, in welcher Weife. Durch Sauchzen und Zurufen gab 
man in der Kirche dem Prebiger feine Zuftimmung zu. erfen- 
nen ?). An Sinneänderung, an ein evangelifches Leben dachten 
unter dieſem theologischen Lärm nur Wenige. Man koͤnnte 
auch nicht fagen, daß der perſoͤnliche Wandel der Verkünder 
des Evangeliumd beſonders aufmunternd ober anregend gewirkt 
babe. Es geichah nicht ohne Grund, wenn Ufingen einmal 

— einen feiner Gegner fragte, ob nicht auch der evangelifche Pre— 
diger jelbft ein evangelifches Leben zu ‚führen habe?). Einer 
der eriten Schritte, wodurch die neuen Diener bed Wortes ihre 
evangelifche Gefinnung im Leben bethätigten, war in der Regel 
die Losſagung von her Pflicht des Cölibats. War ed doch 





—— 


wider Jodocum Koch, der ſich nennet Juſtum Jonam, durch G. Wicelium. 
s. I. 1534. 4°. B2a-b. 

ı) Nach Femel Eyn kurtz Sermon ꝛc. B 3 a ff. war die theologiſche 
Sucht namentlich bei den Weibern ſehr groß; ſie gebrauchten babei Ausbrüde, 
die man erröthen muß wiederzugeben. 

2) Vogl. Mecheler Eyn chriftliche unterrichtung von guten Herden CA4a. 

s) Vgl. Lib. tert. a 3 a. Daß auch Lange als Reformator fein aske⸗ 
tiſches Leben mehr führte, erfieht man Sermo de s, cruce D 2a — 


— 13 — 


einer der erfurter Prädilanten, der der neuen Kirche zuerit mit 
einer wifjenfchaftlichen Vertheidigung der Prieſterehe zu Hülfe 
kam! 1) Mechler Tieß alsbald auf den Austritt aus dem Orden 
ben Eintritt in den Eheſtand folgen. Lange hatte ſchon im 
Srühjahr 1523 den Berluft einer Gattin zu beklagen. Die 
haftige Eile, mit der die ausgetretenen Mönche zur Ehe fchrit- 
ten, beleidigte in manchen Fällen boch noch die öffentliche 
Moral?). War es da zu verwundern, wenn auch der Laie 
die neue Freiheit fi) zu Nußen zu machen fuchtel Was er 
von der Canzel über die blöden und erjchrodenen Gewiſſen 
hörte, war nicht geeignet, den Geijt ftrenger Sittlichfeit zu 
befördern. Durch die Xehre, daß der Glaube allein rechtfertige 
und der Unglaube bie einzige Sünde fei, Tießen fich fittliche 
Unordnungen jeder Art bejchönigen?). Es ſchien bald eine 
ausgemachte Sache, daB es zu einem evangelifchen Xeben Hin- 
reichend jei, fich der papiftiihen Gebräuche zu enthalten und 


1) Apologia pro M. Barptolemeo Praeposito qui Uxorem iu sacer- 
dotio duxit. A. 1521. Die Vorrede ift d. d. Erph. Lucine. — Sie er: 
ſchien in Erfurt und ihr Verfaffer ift Johann Lange. Von den vier Weber: 
feßungen erſchien ebenfalls eine (von Mechler) in Erfurt. 

2) Selbft Medhler, obgleich er mit feinen Beifpiele Allen vorgegangen, 
Magt darüber: „Wan ein münd oder nun ift drey tag auß bem Flofter ge: 
weſen, faren fie da ber nemen burn vnd buben zu ber ehe, vnbekannt on allen 
götlichen rabt, on gebet, alfo bie pfaffen auch, was yn gefallet, das nenıent 
fie, darnach kompt ein lang Fritjahr nach eynem kurtzen kußmonat ꝛc.“ Eyn 
Chriſtl. onterrihtung ze. B 2 a. — Vgl. auch Rob. et am. ep. f. p. 87, 
wo Eoban fi noch fehärfer, namentlich über den Unfug der entlaufenen 
Nonnen ausſpricht: „Nulla Phyllis nonnis est nostris mammosior.‘“ — 

s) „„Omnia liberius faciunt dicuntque, quod audent, 

Hoc etiam, dempta lege, licere putant. 

Saepius hinc caedes, hinc probra et scandala vulgo 
Spiritui carnis cum dominatur amor. 

? Cumque fidem jactent plus quam apparentibus auctam 

Indiciis, fructus adfluit inde uihil. 

Nempe fides latitat verborum tuta recessu, 
Verba manent rebus dissona, crimen habent. 

Bol. Ecclesiae «fflictne epistola ad Lutherum in Kob. Karr I, 142. 





— 14 — 


diefe zu verachten. Und als 1524 der wadere Eberlin von 
Günzburg in Erfurt anfam und eine ernftere Sprache führte, 
das Inje Treiben der Evangelifchen, ihr „Freſſen, Saufen, 
Huren, Wuchern, Fluchen, Talfchheit, Untreue” vügte, du er: 
regte dies Befremden. „Es war Vielen ſeltſam“, äußerte er 
jelbft über feine damalige Wirkſamkeit, „daß ich lehrte, daß 
mehr zu einem Chriften gehörte, als PBiaffen jchelten, Fleiſch 
ejjen, nicht opfern, nicht beichten“ 1). 

Wie Hagte und jammerte bei dem Anblide folcher Zuftände 
der greife Mfingen! „Das find die Früchte der evangeliichen 
Predigt”, jchreibt er jchon 1523, „daß das Volk, nachdem es 
den Gehorſam der Fatholiichen Kirche abgefchüttelt, unter dem 
Borwande chriftlicher Freiheit fich den Lüften des Fleiſches hin 
gibt, jeden Frevel verübt, wahre Frömmigkeit verachtet und fich 
in einen Abgrund ftürzt, aus dem es kaum jemal3 wird errettet 
werden können.” „Die Eurtifanen feufzen”, heißt es au einer 
andern Stelle, „die Prälaten werden verhöhnt, das Volk jubelt, 
bie Fürften jchweigen, der Magiftrat ift einverjtanden und ums 
gejtraft geht chriftliche Zucht und Ehrbarkfeit zu Grunde” 2). 

Aber ſchon Liegen fih Stimmen der Klage auch von einer 
andern Seite her vernehmen. „Gottes Wort erfchallt bier Taut 
in vielen Kirchen”, jchrieb Euriciug Cordus 1523 an feinen 
Freund Draconites, „aber brächte e3 doch auch in dem Grade 
Frucht, wie es Beifall bei dem Volke findet. Ich fehe nicht, 
dag wir um ein Haar beffer werben. Vielmehr war ber Geiz 
nie größer, und bequemere Gelegenheit zu fleiichlicher Luft ift 
nie vorhanden geweſen. Es müßte denn jein, daß das Wort 
Gottes unjere Augen gejchärft hätte, daß wir jetst mit Schrecken 
al? Sünde kennen Ternen und fehen, wovon wir vorher nicht 


1) Bol. Ein getrewe warnung an de EChriften in der Burgawifchen 
mard, ſich auch füro bin zu hüten vor aufrur vnnd vor faljchen predigeren. 
Johann Eberlein von Günkburg. s. I. et a. 4%. D3b. 

2) Vgl. Liber Primus etc, A 2 a. — Liber Sccundus etc. B 3 a. 


— 15 — 


wußten, daß es Sünde ſei. Alles ift — was ic, jedoch nicht 
mißbillige — voll von den Hochzeiten der Priefter und Mönche. 
Unfere Schule aber, fchließt er bedeutungsvoll, ift verfallen 
und unter den Studirenden herricht eine ſolche Zügellofigkeit, ” 
daß fie unter den Soldaten im Feldlager nicht größer fein kann: 
es verbrießt mich hier zu leben“1). 

Es wird Zeit, daß wir unfere Aufmerkjanffeit auf bie 
Univerfität zurücklenken. 


V. 


Es hatte im Anfang geſchienen, als würden die Predigt 
der neuen Glaubensboten und die Reſtauration der Univerſität — 
Hand in Hand gehen. Mit freudigem Beifall wurde Lange's 
und feiner Genoſſen Auftreten von den meiſten Lehrern der — 
Univerſität begrüßt. War man auch durch die Ereigniſſe von 
1521 von jener überſchwenglichen Begeiſterung für Luther zu— 
rückgekommen, ſo hielt doch die große Mehrzahl der Lehrer an 
feiner Sache feſt?). Die Beſorgniſſe, welche die Perſoͤnlichkeit 
und namentlich die niedrige Bildung der nenen Verkünder des 
Evangeliums hervorrufen mußte, mochten badurd) bejeitigt jchei- 
nen, daß ber wiſſenſchaftlich gebildete Lange an ihrer Spike 
ftand 3). Es machte feinen Eindrud, wenn Ulingen, der Erite, 
der auch nach dieſer Seite hin ein richtiges Vorgefühl der 7 
Zukunft bewährte, die Prädifanten als gefährlich für die Uni- 


ı) Euricius Cordus Draconi d. d. Erf. 1523. Bgl. Eob. et amic. 
epp. f. p. 90. . 

2) Sp wurde noch 1522 ber eifrige Rutheraner Jacob Fuchs von ber 
Nniverfität mit öffentlichen Ehren empfangen. Bol. Lib. rat. ad a. 1522. 

8) Derfelbe hatte ſchon 1515 u. A. einige Briefe des h. Hieronymus 
herausgegeben „contra eos, qui a Christiano profanas litteras prorsus 
interdiotas putabant, immo vero clamabant, qui praeter Guilhelmum, 
Scotum, Capreolum et ceteres cjus farinne scriptores, uihil vel lege- 
bant, vel admittebaut.‘“ — Vgl. Burdharb De Ling. Latin, Il, 531. 


— 16 — 


verjität bezeichnete und auf dag Beifpiel der Huffiten hinwies *). 
Am lauteften äußerten die Humaniften ihre Freude über die 
neue Wendung der Dinge. Eoban? Verhältniß zu Lange wurde 
dag freundſchaftlichſte und innigſte, jeit diefer dag Moͤnchs— 
gewand abgelegt und fich ganz der Bekämpfung der „neidiſchen 
Müffiggänger” widmete. Euricius Cordus, der durch feinen 
Aufenthalt in Stalien, wie dies bei den Humaniften gewöhn- 
lich, in feiner frühern Richtung noch gefördert worden, war 
hocherfreut, daß nunmehr die bereit? „heiferen” Sophijten vol— 
lends zum Schweigen gebradyt wurden ?). Eben als Streit- 
genoſſen gegen das Heer der Sophiſten wurden die Diener des 
Evangeliums vorzugsweiſe angefehen. Bedienten fie fich doch 
in dem Kanıpfe gegen Ufingen mit Vorliebe der Stichwörter 
der humaniſtiſchen Fehde! °) 

Indeß nur zu bald follte diefe Taufchung ſchwinden und 
die anfängliche Bundesgenoſſenſchaft in bittere Feindſchaft ver- 
wandelt werden. Denn der innere Gegenfab war zu groß, 
als daß er lange hätte verborgen bleiben können. Der jchroffe 
Glaubensmonismus, dem jene Männer nach Luthers Vorgang 
dad Wort redeten, der zornige Eifer gegen bie Sophijtereien 
der Vernunft, die erclufive Betonung der Bibel erflärte nicht 
nur der fcholaftifchen, fondern aud) der humaniſtiſchen und jeder 
wiffenjchaftlihen Richtung den Krieg. Lange hatte es ſchon 
1521 verfündet, daß die Philoforhie und die Thorheit der 
Heiden wor Chriſtus vergehen müßte, wie dad Wachs vor der 


ı) Bgl. Adv. Magistri nostri Barth, Usingi imp. libell. J. Cuel- 
sameri confutacio B 4 b. Ufingen beflagt fich über den torpor ber vier 
Tacultäten. 

2) „Ravea sophistarum reticent collegia, quando 

Dectrinam Christus dat rutilare suam. 
Namgque coaxantes nocturno tempore ranae 
Dum matutinus surgit Apollo silent.“ — Opp. Cord. 168. 

2) Uſingen fragt deshalb einmal ben Euelfamer verwundert, wie er fo 
rafh zum Poeten geworden fe. Lib. tert. C 1 a. Sn der That würde 
Cuelſamers Latinität einem Magister noster feine Unehre maden. 


— 117 — 


Sonne!). Mechler erklärt ale Weisheit diefer Welt für Thor- 


beit, weil nad) Zeugniß der Schrift der Herr die Weißheit der 
Weiſen und die Klugheit der Klugen zu vernichten und zu ver- 
dammen bejchloffen habe?). Noch weiter gebt Eueljamer, der 
in dem Streite gegen Ufingen in den jchroffiten Ausdrücken 
den Gebrauch der natürlichen Bernunft verdammt, weil fie nur 
Böfes wollen fünne?), und mit Berufung auf den Apoftel 
Paulus alle und jede Philoſophie für ſündhaft und verberblich 
erklaͤrt“). Mit Eifer trägt er die Bibelitellen zuſammen, bie 
ihm darzuthun jcheinen, daß weltliche Gelehrſamkeit Nichts nüße, 
nur zum Böjen führe. Die finnreichen Allegorten, mit denen 


— 


ein Kirchenvater dad Studium der profanen Wiſſenſchaften 


empfiehlt, werden von ihm verworfen, weil die Bibel entgegen- 
ſtehe und das fünfte Buch Moſes ausdrücklich verordne, daß 
zu dem göttlichen Worte Nichts hinzugeſetzt, noch etwas davon 
genommen werden folle). 


— 


1) VBgl. Joan. Langi Epistola ad Mart. Margaritanum. BIa, 2a. 

2) „Secriptuu est enim perdam sapientiam shpientium et pruden- 
tiam prudentium reprobabe. Ubi sapiens, ubi scriba, ubi inquisitor 
hujus seculi. Nonne stultitiam fecit deus sapientiam hujus mundi ?“ 
Vgl. Libellus in quo respend. conf. Mechl, M 2 a. 

2) „Quod vero bonr naturalia tantopere commendas: more tuo 
facis, quo nihil, nisi ea quae palato tuo sapiuut et Bellal sunt, pro- 
batum suscipis. — Nescis miserande, nescis, omnem humanam pru- 
dentiam et racionem spiritui adversari!“ Advers. Magistri nostri 
Barth. Usiugi imp. libell, @ 4 a. — Cr erflärt fih mit Entrüflung gegen 
die Anficht Ufingens, daß die weltliche Gelehrſamkeit, welche Paulus beſaß, 
diefem bei feinem Apoflelamte geyützt babe. — 

*) „Paulus item ad Coloss. 2 universam philosophiam rejieit in- 
quiens: Videte ne quis vos decipiat per philosophiam et inanem fal- 
laciam secundum elementa mundi, secundum traditionem hominum et 
non secundum Christum. Quis hic' non tam philosophiam quam Ju- 
daicas fabulas et hominum traditianes ab Apestala rejsctas videt?““ 
l.c.D1b. Dep. Lib, tert, 14 b,,wo dig Stelle wiedexabgedauckt ift. 

5) „Allegorias autgm ex Hieronymo de divitiis Kgigti et de vir- 
gine Captiva,de gentihus sumptäs non assuıno oum enMtraricıkur Aperte 
scripturis sanctis; Moses namgque Deutero. 4 et 12 precepit hoc tantum: 

Kampfchulte, Univerfität Grfurt. II. Theil. 12 


— 118 — 


Deutlich genug war damit der Univerftät ihr Schickſal 
angekündigt, und Schonung ließ die Berfönlichkeit der neuen 
Prediger nicht hoffen. Es waren, mit alleiniger Ausnahme 
von Lange, Männer ohne gelehrte Bildung, zum größten Theil 
roh und unwiflend Ihre Vergangenheit gehörte dem Klojter 
an; ohne irgend welche Auszeichnung weder im Guten noch 
im Boͤſen hatten fie ſich dort bisher auf ben gewöhnlichen 
Bahnen bewegt, unbelannt und unbeachtet, bis jetzt Luthers Pre- 
bigt fie auf den Schauplatz des Sffentlichen Handelns führte"). 
Was ließ ſich von Männern erwarten, für bie der prinzipielle 
Gegenſatz gegen bie Wiflenjchaften die allerperjönlichite Bedeu⸗ 
tung hatte? 

In dem eriten Taumel wurde das Alles von jenen, die 
an der Univerſität den Ton angaben, überſehen, nicht beachtet, 
bis die berben Erfahrungen der nächjten Zeit ihnen, zu ſpät, 
über ihre Kurzſichtigkeit die Augen öffneten. — 

Seit dem Herbſt 1522 beginnen in den Jahrbüchern der 
Schule die Klagen über die verderblichen Wirkungen der neuen 
Predigt. Zum erſten Mal wird in dem Rectoratsbericht des 
Henning Blomberg, der im Sommer 1582 der Umiverſttät vor⸗ 
ftand, der klagende Ton bemerklich. Ohne zwar die Prediger 
zu nennen, bejchwert ſich der Nector über gewiffe unmäßige 
„Tadler“, durch deren Gefchrei alle feine Bemühungen, das 


quod ipse jusserit fierl nihilque detrahi de suis doctrinis neque addi 
debere.“ Adv. 'Using. imp. lib. D 1 b. Lib. tert. 1.1. 
ı) Man vgl. die Schilderung, bie Eoban, freilich erſt 1523, von dem 
Auftreten der Prediger gibt Farrag. 1, 206 a. 
„Irrepsere novis studiorum fraudibus hostes, 
Turba satis Scta simplieitate potens. 
Qui quoniam studfs nihil insumpsere Inboris 
Neo ntsi barbarfca garrulitate valent. 
Huctenus abjecti, miserum et sine nomine vulgus, 
Inscitlae in poenam delituere suhe, 
Nunc quaerendi aliquos, ceu 'nacti tempus, honores 
Artibus indicunt bella nefunda bonis.“ 





— 119 — 


geſunkene Anjehen ver Schule wieberherzuftellen, vereitelt wor: 
den ſeien 1). Leiſe drückt fchon bald darauf auch Eoban in 
einem vertraulichen Schreiben an ven heſſiſchen Canzler Fieinus 
jeine Ungufrievenheit über dad Treiben ber neuen Theologen 
aus, „die da theologifitten, ala ob dad Evangelium Chrifti 
nicht? mit der Ordnung der Gefege zu thun habe” ?). Und 
Io ſchien es in der Thät. ‚Lärmende Prädikanten erichtenen 
im Laufe ded Sommers 1522 wieberholt in den Hörſäälen und 
ſtörten in tumultuarifcher Weife die öffentlichen Schuldisputa⸗ 
ttonen ®), Gegen die akademiſchen Auszeichnungen wurde auf 
der Canzel in den hefigften Ausfällen geeifert und bie Jugend - 
von der Erwerbung derjelben abgemahnt. An eine georbnete 
Zeitung . der Umiverſität war da. nicht mehr zu denken. Unter 
ven Studirenden griff eine Rohheit und Zügelloſigkeit um fich, 
die durch Nichts mehr zu bänbigen war; bie Studien wurden 
vernachläffigt ; die. Anzahl der Immatriculationen fant im Som: — 
mer 1532 auf ſechsundvierzig. Im Anfang des folgenden Jah⸗ 
re8 war. der Zuſtand der Wmiverfität bereit3 fo troftlos, daß 
der Decan ber philoſophiſchen Facultät in feinem amtlichen _ 
Berichte nicht Worte genug finden Tann, um das gegenwärtige 
Elend zu ſchildern. „Riemandb würde e2 früher geglaubt haben”, Y 
klagt er, „wenn jemand vorausgeſagt hätte, daß in Kurzem 
unjere Schule jo verfallen werde, daß kaum noch ein Schatten 
des frühern Glanzes zurücdbleibe, wie wir das jebt, o des 
Schmerzes, vor Augen jehen! — So wird ja nun die Sache 
der Univerfität auf den Canzeln behandelt, daß fait Nicht? 
ungefehmaht bleibt, was früher in Ehren fand“ *). Eoban 





: Bd. Erf. U. M. ad a. 1522. 

2) Beb. Ficiao .d. d. Erph. die Lunae a forin omnium manctorum — 
1522. gl. Rob, et amio: opp. fam. p. 4. 

2) Vgl, Concertstio ete. BA a. Lib, tet. c2 u. a. 

*) Vgl. Matrie. facult. ars. liberal. ad Dec. Hear, Merebold. Hoxar. — 
„XAenocratica etiam praestaus file aliqua, cerse olim-»twe Ade habitus 
fuisset, si praedixisset, admodum brevi tempore remp. literariam sic 

12° 


— 10 — 


pries feine abwejenden Freunde glädlih, dag ihnen ein fo 
trauriger Anblick eripart würde „EL erfüllt mich mit dem 
tiefften Schmerz”, jchrieb er um dieje Zeit an Draconited, „daß 
die entlaufenen Mönche, unter dem Vorwande des Evangeliums, 
bier die Wiffenfchaften jo gänzlich unterdrücken. So verderb- 
lich find ihre Predigten; den Wilfenjchaften nehmen fie ihr 
Anſehen — ich will fterben, wenn fie jelbft wiflen, was fie 
behaupten und wovon fie ſprechen — und verkaufen ihre thoͤ⸗ 
richten Einfälle der Welt für Weisheit. So tft nun unfere 
Schule verddet, wir jind verachtet. Haufenweis jtürmen Mönche 
und Nonnen herbei — zum Verberben der Studien” 1). Noch 
Häglicher läßt ſich Eobans gefinnungsnerwanbter Freund, Der 
einst jo frohfinnige Nofjen vernehmen. „O welcher Berfall der 
MWiffenjchaften”, fchrieb er. um die nämliche Zeit. an Draconiteg, 
„it über ung hereingebrochen. Niemand kaun mit trockenen Augen 
jeben, wie hier feit eurer Abweſenheit aller Eifer für Wiffenfchaft 
und Tugend verfchwunden iſt. — Aber, wirft du vielleicht fagen, 
. dem Profanen ift das Heilige gefolgt; ich räume das ein, aber 
ed ift jchwer zu jagen, wie wenig auch bie gewinnt. Sch 
fürchte Nicht? To ſehr, als dag, nachdem das Fundament ver 
Wiſſenſchaften zerftört ift, auch alle Frömmigkeit verfallen und 
eine Barbarei eintreten wird, welche die geringen Ueberbleibjel 
von Religion und Wiſſenſchaft volljtändig vernichtet” 2). 


casuram, ut pristini splendoris vix relinquercntur umbra aliqua, quem- 
admodum nunc, proh dolor, est; conspicere. ®8ed unde tam subita 
ruina! Certum quod non tam promovit rem pestifera clades, qua bis 
intra quadriennium ab Erffordia sumus fugati, quam nova hec factio 
a qua etiam nec vetus religio tuta est, nunc vexat studiosorum reli- 
quias, Ita enim tractatur ex suggestis res gymnasii, ut mihil pene 
eorum non imprebetur, que kactenus recepta fuerunt, et inter cetera 
tam magnum invexeruut honerum titalis contemptum, ut eque nunc 
literarum ipsa studia, atque insiguia honestatis illitia passim a juven- 
tute in maximam Christianismi perniciem negligi videastur.‘“ 

ı) Vgl. Kob. et amic. ep. fam. p. 87. 

2) Vgl. Roh, et amic. ep. fam. p. 2%. 





“rn m‘ An 1 


— 181 — 


Neben dieſen Klagen fehlte es indeß auch nicht an Ver: 
juchen, dem Unweſen der Präbilanten zu fteuern. Zunädift 


jolte Wittenberg Hülfe bringen. In diefem Sinne fehrteb _ 


Eoban im Frühjahr 1523 das „Klagejchreiben der bebrängten 
Kirche.” Wehklagend erjcheint die nicht nur von den Papiften, 
jondern auch von ihren eigenen Bekennern mißhandelte Kirche 
vor dem Reformator, auf dem alfein noch ihre Hoffnungen 
beruhen, um feinen Beiftand anzuflehen ’). In einem befon- 
dern Schreiben eröffnet der Dichter dem Reformator feine Bes 
jorgniffe wegen des zunehmenden Verfalles der Wiffenfchaften. 
Deutſchland, ahnte ihm, werde durch die nene Theokogie in 
eine Barbarei zurückfallen, die noch ärger fer als bie frühere. 
Allein das Antwortjchreiben, welches er von Luther empfing, 
enthielt wenig Tröſtliches für ihn: Luther theilte jene Beſorg— 
niffe nicht und forderte auch Eoban auf, fie fahren zu Yaffen, 
da fie nur eingebilbet ſeien?). Melanchthon, au den er ſich 
ebenfall3 gewandt. hatte, fand zwar feine Klagen nur allzu 
gegründet ?), war aber unvermögend, Hülfe zu fchaffen. Bon 





1) Ecclesine aflietae epistela ad Lutherum. Hagenoae 1523. 4°. 
Abgedr. Eob. Furr. I, 137—145. — Die erfte Hälfte bilden heftige Ausfälle 
gegen das römifche Eurtifanenwefen, noch ganz im Geifte Huttens. Nachdem 
fi der Dichter auf diefe Weife von dem Verdacht römiſcher Gefinnung gereis 
nigt bat, barf er fih auch ein freiereg Wort über das Unweſen be Evange— 
liſchen und bie fchlehten Früchte der Glaubenspredigt erlauben. — Claffifche 
Reminizcenzen fommen übrigen? — ein Beweis, wie fehr Ecban ſelbſt unter 
bem Einfluß bed neuen Geiſtes ftand, — kaum noch in dem Gedichte vor, 
dagegen ift am Schluß von Goliath, Sennadherib und Baal die Rede! 

2) Bol. Luther an Eoban 29. März 1523. „Caeterum timores isti 
vestri te nihil movennt, wbt timetis fore, ut barbariores flanus Ger- 
mani, quam unquam fuerimus casa literarum per theulogiam nostram: 
habent quidam suos quoque timores saepius, ubi rullus est timor. 
Ego persuasus sum, sine literarum peritia prorsus stare non posse 
sinceram theologiam.“ De Bette II, 313. — 

s) „„Nimis verum est, quod scribis, negligi Poeticen a juventute, 
et aut me ommia fallunt, aut presagit huc imminentem litterarum 
rulsam, ut habituri simus indoctiorem posteritatein, quam fuere illa 
Scotorum et Anglorum saecula.‘“ Corp. Bef. I, 575. 2gl. I, 613. 


— 


— 132 — 


Wittenberg hülflos gelaſſen, machte Eoban den Verfuh, ven 
Rath der Stabt zu energiſchem Einfchreiten gegen die Zerftörer 
ber Univerjttät zu bewegen '). Er erinnert ihn an dag Bei— 
fptel der Vorfahren, die die Schule mit ‚großen Opfern gegrün- 
det und unterhalten und in ihr allzeit die worzüglichite Zierde 
ber Stabt gejehen hätten, ‘wie fie das auch in ber That fei. 
Der Rath aber habe vor Allen die Pflicht, diefe der Stadt zu 
erhalten, fi, der bedrängten Schule gegen ihre Widerfacher 
anzunehmen. Dazu fordere ihn ber Ruhm, die Ehre und das 
Wohl ber Stabt auf?). In gleicher Weife ermahnte auch 
Bingen den Rath, dem herrſchenden Unweſen entgegenzutreten 
und bie VUntverfität, „dieſes einzige und größte Kleinod“, Der 
Stabt zu erhalten). Allein die Theilnahme, mit der ehedem 
die Stadt ihre Univerfität betrachtet hatte, war verſchwunden, 
ſeit das Evangelium die Gemüther beichäftigte. Die neuen 
Prediger mit ihren Bibelfprüchen ſtanden dem Bürger näher 
und behaupteten einen größern Einfluß auf ihn, ald Schola- 
ftifer und Humaniften. — Auch das ſchon früher in ähnlichen 
Fällen angewandte Mittel, Männern von einer hervorragenden 
öffentlichen Stellung die Leitung der liniverjiiit zu übertragen, 
um dadurch ihr Anſehen zu erhöhen, wurbe verſucht. In diefer 
Abſicht hatte man bereit3 im Herbit 1522 den Grafen. Dtto von 








ı) Vgl. Ad Senatum KErphurdiensem pro instauranda schola col- 
lapsa exhortatio. Bob. Farr. I, 204—207. | 
2) Vester hic ergo iabor, vestrum opus, urhis honorem, 
Quam colitis, prompta restitaisse manu; 
Quod facilo est, studiis ab iniqua clade redemptis, 
.. Beddere,. praedowes: qued rnpmere, deeus, - 
Ergo ngise ndseriptique. Patres et lecte flenatus 
Vessrae conrwians adserite urbis epes 
Reddite, quem stutii feras abstulit hestis: honerem, 
Reddite Iabentis prodita regna scholae ete. 
Karr. I, 207 4. ’ 
u 3) Er wennt fie „„Clinodium hoc unicum ot .insigne, gymnasium 
 scholastieum, ex quo hkonerem eximism et -emolumentum hakkistis 
maximum,.‘‘ De. merito bon. operum J-i a. ' 


— 183 — 


Henneberg zum Rector gewählt. Noch mehr verſprach man 
ſich von ſeinem Nachfolger, dem reichen und angeſehenen Georg 
Sturz, der im Sommer 1523 das Rectorat verwaltete!). Indeß 
Keiner von Beiden war im Stande, den Berfall der Schule 
aufzuhalten. Traurig beklagt Sturz in feinem Rectoratsberichte 
das hoffnungsloſe Darnieberliegen der gelehrten Studien ?). 
Die Anzahl der Immatriculationen, die unter feinem Vorgänger 
bereit? auf 26 gejunfen war, beitrug unter ihm nur 15. An 
der Rettung der Schule verzweifelnd, entfchloffen ſich damals 
auch mehrere ihrer Lehrer, die Stadt zu verlaſſen; denn wo 
die Canzeln unaufhoͤrlich von Schmähungen gegen weltliche 
Gelehrſamkeit ertänten, die Univerfitäten. von den Wortführern 
des Tages als Hurenhäufer, die Wiflenichaften ala Gift bezeich- 
net wurden ?), da fchienen alle Gegenbemühungen vergebens. 
Roc einen Verſuch machte Eoban. Um die „catilinarijchen” 
Prädifanten zum Schweigen zu bringen, veröffentlichte er im 
Sommer 1523 eine Sammlung von Briefen der angefehenjten 


\ 


reformatoriſchen Autoritäten — Luther an der Spike — worin 


dieſe die Wiſſenſchaften in Schuß nehmen). Allein nicht zu 








1) Bol. Eobanus Georgio Sturc. 1 Cal. Jun, 1523. „Unus ma- 
xime habitus idoneus, tam quod Academiae nostrae amantissimum te 
cognovimus eumque esse judicavimus, qui si volet modo, possit huic 
malo moderi, vel saltem remorari velut in exilium abeuntes Musas 
gratiasque humanorum studiorum conservatrices.‘‘ Eob. ei amic. ep. 
fam. p. 8. Sturz war wie Eoban ber Sache der Reformation zugetban, 
fein Nachfolger im Nectorat ein Gegner derſelben. Es ſcheint, daß ſich bie 
Neu: und Altgläubigen an der Univerfitit um biefe Zeit an Zahl ungefähr 
gleihftanden. — 

2) „„Bonas literas ad ocennum et prope ad ultimos studiorum 
terminos asse prefligatas.““ E. U. M. ad a. 1523. 

2) Dal. & Ik M. ad n. 1523 unb Kob, Farr. I, 205: 

— Japent siudia, ingeniis aus omnis adempta est. 
Non est ingenuis artibus ullus honor, 

Sed velut indnesae sint facta opprahria plebi, 
Dieumssur saorie esse venæna libris,‘“ 

+) Vgl. Be mon oontemnendis studiis humaniorikus futuro Theo- 
loge mazime notossariis Aliquot elaterum virorum ad Rohanum Hes- 


—N 


— 14 — 


verwundern war es, wenn auch dies ohne Erfolg blieb. Konn—⸗ 
ten doch die Angegriffenen zahlreiche Aeußerungen von Luther 
jelbft anführen, die ihr Verfahren zu rechtfertigen fchienen ! 

Es ift eine der ergreifendften Stellen in den Sahrbüchern 
der Univerſität, wo Heinrich Herebold, der Nachfolger des 
Sturz im Rectorat, die troftloje Lage der Univerfität ſchildert. 
Die Zeit Iehre, beginnt er, daß Nichts hienieden von Dauer, 
Ale? vergänglihd und wanbelbar ſei und wie ein Schatten 
vorübergehe. Dieſe Erfahrung babe auch die einft jo angeſehene 
Hochſchule machen müſſen. Wehmuthsvoll blickt er dann auf 
bie Ereigniſſe der letzten Jahre zurüd, die zuerit ihren Verfall 
angebahnt, auf die bürgerlichen Unruhen und bie verheerenden 
Seuchen, aber voll’ ſei das Maß des Unglücks crit gemorden 
und unbeilbar der Schaden durch dad Auftreten der neuen 
Prediger. Bon dem Angriff gegen die Entartungen der Wiſſen⸗ 
Ihaft ſeien fie zum Kampf gegen dieſe jelbft übergegangen. 
Daher daS gegenwärtige Mißgeſchick, die Vernachläffigung der 
Studien, die Berachtung der academischen Ehren, die Zucht: 
Infigfeit der Jugend. „Doch“, unterbricht er ſelbſt feine trau⸗ 
rigen Ergießungen, „doch, wa Wunder, daß folches den Schulen , 
geſchieht, da nicht einmal die Religion, die fo viele Jahrhun⸗ 
berte Verehrung genoß, gegen Schmähungen gefichert if. So 
haben es unfere Sünden verdient, daß es ftreitjüchtigen Men— 
ſchen jetzt geftattet ift, ungeftraft Alles anzutaften,' wie es ihnen 
in den Sinn fommt, daß faſt nur dag gepriefen wird, was 
vordem verachtet wurde” 1). 





— — 


sum Epistolae. (Erph. 1523). Abgedruckt in Beyschlagii Sylloge var. 
opusc. I, 275— 362, Auch das ſchon angeführte Gedicht am den erfurter 
Nath findet fih in dieſer Sammimng nebft einer neuen Querela de con- 
 temptu studiorum. 

1) Vgl. EU. M. ad a, 1523. Hier bie wichtigfte Stelle: „Malorum 
fuit initium collegiorun expugnatio, quam subsoguuta est una et al- 
tera cx metu pestilentias fugn et, no toties jam «ispersa schola in 
pristinum  rediret statum, acoersit ad malorum cumulum, qued simui- 


— 155 — 


Konnte auch Eoban, ber jo eben noch in der „Klage ber 
bedrängten Kirche” die Gräuel des Papſtthums mit den grell- 
jten Farben gefchildert und dadurch gleihjfam fein Glaubens⸗ 
befenntnig von Neuem abgelegt hatte!), in dieſen Ton nicht 
miteinftimmen, jo fing doch auch er jegt au, an ber Tutherifchen 
Sache irre zu werden. immer noch batte er bißher Luther 
jelbft in Schuß genommen und ſogar noch viele unter den Prä- 
bifanten als „gut” bezeichnet ?). Eoban mußte e3 jebt erleben, 
daß gerade ber unter den Berfechtern des Evangeliums, dem 
er das größte Vertrauen gefchenkt, Johann Lange, fein viel 
jähriger Freund, heimlich über ihn die gehäfligiten Berichte 
nad Wittenberg jandte und ihn des Einverftändniffes mit den 
Widerfachern des Evangeliums, den Sophiften, beichulbigte. 
Das war mehr, al? er ertrug. Entrüſtet fragt er den Angeber, 
wann denn endlich dieſer gehäffige Kampf gegen die ſchon längſt 
befiegten und faſt völlig verfchwundenen Sophiften ein Ende 
nehmen werde? — Ob e3 nicht genug fei, zwei Jahre darauf 
verwandt zu haben? Lange möge bedenken, ob ein jo maß- 
und endlojer Haß dem Geifte des Chriftentbung entipreche °). 


tatis interventu sic oppugnata sit Barbaries, qua studia sunt cunspersa, 
ut non cum vitio, sed cum ipsis litteris bellum nunc geri videatur. 
Quo venit, cum et universitates literariae prostibulis ce concione cos- 
ferantur, ut universae paene disciplinne jacennt contemptae, exosi 
fiant tituli, olim juventutis ad honestatem illitia, et extinguatur pror- 
sus oumnia obedientin. — Sed quid mirum haec accidere gymnasiis, 
quando nec religio, per multa jam saccula recepta, non sit tuta a 
calumniis. Sie meruerunt peccata nestra, ut faotiosis hominibus hac 
tempestate impune tentare liceat, quicquid mode libuerit, ut nihil pro- 
pemodum munc ducatur esse honestum, nisi quod untea ut turpe 
despectum.‘ 

1) Freilich war e8 nur das Glaubensbekenntniß von 1520 — daß ber 
Papft und die Nenmniften bie Feinde und Bedrücker der beutfchen Nation 
feien. 

2) Bol. Beyfchlag J. c. I, 0. _ 

2) Bol. Eoban an Lange d. d. Postridie Assumpt. Christi 1523 in 
Evub, et amic. ep. fam. p. 219. ‚‚Ecquis' tandem, mi Lauge, finis 


1 


— 1868 — 


„Wohl weiß ich“, fährt er fort, „wie unwürbig du über mich 
nach Wittenberg berichtet haſt. Schämft du dich nicht, Dich 
joweit zu erniebrigen, da du mir auf heimlichem Wege Nach: 
jtellungen bereiteft? Doch Gottlob Bin ich Stark und mannhaft 
genug, um ſolche Schmähungen zu verachten.“ 

Schon war es fo weit gefdinmen, daß auch die Huma— 
niften den Sophiften beigezähft wurden. Seitdem brach Eoban 
allen Verkehr mit Lange ab; auch fein Vertrauen auf Buther 
war erfchüttert !). Das Lob, dad er ihm bisher gejpenbet, 
verftummte: nur noch Klagen wurden aus ſeinem unbe 
vernommen. 

In den nämlichen Tagen, als der alte fe Freundfchaftsbund 
mit Lange zerriſſen wurde, empfing Eoban aus der Ferne die 
Rachricht von dem Verluſte eines andern Freundes, der ihm 
einft unter allen der theuerſte geweſen. „DO mein Draco!“ 
fchrieb er durfiber wehflagend an diefen, „Ach mein Draco! Ich 
melde dad Schlimmite, einen Verluſt ohne Gleichen — unfer 
Hutten ift nicht mehr”). — Nur felten noch hatte er in ber 
Veßten Zeit im Gebränge des Kampfes mit feiner nächſten 
Umgebung des alten Kampfgenoſſen in der Ferne gedacht. Die 
Nachricht vom Tode desſelben rief jeßt die alten Gefühle wie- 
ber in ihm wach und lenkte noch einmal, in ber ſchmerzlichſten 
Weiſe, feinen Blick in jene erſte Zeit der kühnſten Hoffnungen 


.— 





odiorum in paucos eosgue jem viotos, idque ipsum fassos? puerilis 
est Hin, viro undequague indigna oontentio: satis erat integrum, ut 
minimum dicam, Bienalum in eam rem insumpsisse; quousque rixando 
progredimer ? quos vero oppugnamus? qui sunt ilik Sophistae, tam 
nohts molesti? ubi latent? — Tu verb si vel unius, vel oerte pnueo- 
rum odio insectaris omnes, quid ego tibi nunc dicam? Ebinm atque 
etiam vide, ne non satis. Christiane, odisse fertasse non ita mirum 
fuerat, Anem odiorum fuisse oportuit.‘“ — Schon dad Jahr zuvor hatte 
Lange feinen Freund in Wittenberg benuncirt, aber Luther glaubte damals 
den Verbächtigungen nicht. De Wette II, 214. ‘ 

2) Bol. Epist. Matiani ad Erdkmum im Burschii Spieil. XII, 13. 

2) eb. et; amie. ep. fam. p. 35. 


— 1897 — 


und Entwürfe zurück. Daß ſie vorüber war, davon legte der 
Ausgang, den Hutten genommen, nicht minder ald Eobans 
Erlebniffe in Erfurt, ein unzweifelhaftes Zeugniß ab. 

Wir unterbrechen an diefer Stelle den Gang unjerer Dar: 
ſtellung, um einen Augenblid. bei Huttens legten Lebensjahren 
zu verweilen: dad Bild des jcheibenben Ritter, neben bie 
neuen Zuftände in Erfurt gehalten, veranfchaulicht vecht eigent- 
ih den Umfchwung, welchen bie Reformationsbewegung feit 
dem Sabre 1520 erfahren hatte. 


VI. 


Selten hat ein Menſch ein jo vollſtaͤndiges Scheitern aller 
feiner Entwürfe, eine fo gründliche Vernichtung aller feiner 
Hoffnungen erleben mäflen, als Wri von Hutten. Einft 
hatte er, ver gefeierte VBorkämpfer ber nationalen Sache, daran 
denken können, die Erſten des Volkes um ſich auf Sickingens 
Burgen zu vereinen !), um mit ihrer Hülfe Deutſchland einer 
neuen Zukunft entgegenzuführen: verlaflen, hoffnungslos, ver- 
ftoßen erſcheint er in feinen lebten Lebenzjahren. Die Mög: 
lichkeit einer Firchlich=politifhen Umgeftaltung Deutſchlands, 
wie fie ihm vorgejchmebt, war jeit dem “fahre 1521 verſchwun⸗ 
den. Die beiden Männer, auf die er vor Allen feine Hoffnung 
gefeßt, Karl V. und Luther, hatten fih von ihm abgewandt. 
Der Kaiſer lehnte die ihm angetragene gefährliche Führerſchaft 
ab, Luther entfernte fich immer weiter von den Bahnen, auf 
denen er fich 1520 bewegt: gerade die von Hutten in erjter 
Linie nach den „Romaniften” befämpften „Iyraunen”, die deut: 
ihen Fürften, wurden die wichtigften. Stügen ber lutherijchen 
Sache. Zu unnatürlich war doch auch der Bund zwiſchen dem 


ı) Bgl. Opp. Hutt. III, 620, IV, 49. Reuchlin, Erasmus, Luther 
erwartete er auf der Ebernburg. 


— 18 — 


glaubenslojen Ritter und dem tief gläubigen Myſtiker, als daß 
er bätte von Dauer jein können’). 

So gewährt Huttend Leben feit dem verhängnigvollen 
Reichdtage von Worms ein in jeder Hmficht troſtloſes Bild. 
Aus einem Vorfechter der nationalen Sache wird er ein heimath- 
loſer politiicher Abenteurer ?). Ausſicht auf Erfolg haben jeine 
Bemühungen nicht mehr: ein anderer Geift war über bie Nation 
gelommen. Auf allen Seiten, jelbit in den Reihen feiner 
nächiten Freunde, nahm er Abfall von ven Ideen des Jahres 
15%0 wahr. Sogar an feinem Sickingen Tonnte er irre wer: 
ben, als diefer im Sommer 1521 in Taiferlichen Dienft fich 
begab. Schon konnte er fich nicht mehr verbergen, daß bei der 
neuen Entwidelung der Dinge, bei der zuſehends fteigenden 
Fürjtenmacht ſeines Bleibens in Deutſchland nicht Tange mehr 
fein werde’). In dem neu eingerichteten Neichöregiment zu 
Nürnberg erblickte er die größte Schmach des deutſchen Namenz, 
den Untergang der deutjchen Freiheit *). Ein Zuftand vüftern 
Unmuths und wilder Berzweifelung bemädhtigte fich feiner 
Seele. In folder Stimmung durdirrte er fett dem Herbft 
1521 die Rhein und Maingegenden, begann ein wildes Fehde⸗ 
leben und ließ wehrloſe Mönche und Geiſtliche ſeinen Ingrimm 


) Nach dem 1. Juni 1521 wird Huttens in dem Luther'ſchen Brief⸗ 
wechſel nur noch zweimal beiläufig gedacht. De Wette II, 170, 41. Dan 
verlor ihn in Wittenberg allmählig ganz aus ben Augen. 
3) In einem Schreiben an Bucer d. d. 2 Non. Sept. 1521 (in Nied⸗ 
ner's Zeitfchr. für hift. Theol. 1855 p. 655) nennt er nicht einmal den Ort 
feines Aufenthaltes, aus Furcht vor Nachſtellungen! 
2) Ich weiß, ich werd noch Lands verjagt, 
Um das ich ſolch nit ſchweigen kann 
Und nimm des Dings allein mich an. 
Beklagung ber Freiſtette teutſcher Nation. Münch 1. c. V, 385. 

‘) Ja, fage ih, ſolch unbillich Ding, 
Die unfer Fürſten achten gering, 
Kein Türk, kein Heide ung legt auf; 
Gott nie verwegener Menſchen fchuf, 
Dann feind in dieſem Regement x. 1. c. p. 389. 


— 19 — 


empfinden ?). Zwar bie alten Ziele zu verfolgen, Tieß er auch 
jet noch nicht ab. Hülflos gelaffen von Oben, fuchte er nun 
mehr die niederen Maſſen zu erregen. Ein Aufruf an die 
freien Städte Deutjcglandg, den er im Sommer 1522 veröffent- 
lichte, ‚forderte diefe auf, fih mit dem Adel zum Sturze ber 
fürjtlihen Tyrannet und zur Herftellung der deutſchen Freiheit 
zu verbinden?). Schon trug er fein Bedenken mehr, bem 
einſt verachteten Krämer die Hand zum Bunde zu reichen! ®) 
Aber für des Ritter Ideale war fein Theil der Nation mehr 
eınpfänglich. 

Noch einmal ging für ihn ein Strahl der Hoffnung auf, 
als Sickingen, aus dem kaiſerlichen Lager heimgelehrt, im Spät- 
jommer 1522 ich endlich zu dem längjt erwarteten Hauptjtreiche 
gegen die Fürftenpartei entſchloß. Es war am 7. September, 
als das Mitterheer vor Trier erſchien, um, wie Sickingens 
Manifeit jagte, diefer Stadt die evangelische Freiheit zu bringen. 
Allein der günftige Moment war verfäumt worben. Schon 
nad, einer Woche ſah Sickingen fich genöthigt, den Rückzug 
anzutreten. Richt mit Unrecht ift gejagt worden, daß in jenen 
acht Tagen eine große Wendung der beutichen Gefchicke Tiege *): 


— — — — — — 


1) In dieſe Zeit gehören feine unſaubere Fehde gegen die Karthäuſer in 
Straßburg, die Fehde gegen Peter Meyer in Frankfurt, fein räuberifcher 
Anfall auf drei pfälzifehe Aebte, worliber zu vgl. Strauß II, 198 ff., 203 ff., 
uff. 

2) Abgedr. bei Münch V, 383 — 90. Ton und Haltung bed Gedichts 
laſſen fehr den herabgeſtimmten Stolz bed Ritters erfennen, fo gleich ber Anfang: 

Ihr frummen Städt’ nun habt in Acht 
Des gemeinen teutfchen Adel Macht, 
Zieht den zu euch, vertrauet ihm wohl, 
Sch fterb’ wo e8 euch gereuen foll. 
Ihr feht, daß ihr mit ihm zugleich 
Beſchwert werbt burch der Tyranuen Reich zc. 

2) Wäre, bie gewöhnliche Anficht, welche Hutten auch den Neufarfibang 
zujchreibt, richtig, danıı hätte er fogar die Bauern aufzubieten geſucht. Allein 
Huttens Autorſchaft unterliegt wichtigen Bedenken. 

*) Ranke Deutiche Geſch. I, 89. 


— 10 — 


ſie jeten den Sieg der beutfchen Fürftengewalt iiber bie revo⸗ 
Iutionären Tendenzen des Jahres 1520. endgültig feit?). 
Hutten ſelbſt hatte an dieſem unglücklichen Unternehmen, 
der letzten That des alten Ritterthums, keinen thätigen Antheil 
mehr genommen. Von Neuem waren um dieſe Zeit ſeine alten 
förperlichen. Leiden, die er für immer beſeitigt geglaubt, über 
ihn hereingebrochen. Doch mit dem Mißlingen jener Erhebung 
war auch über ihn, den geiftigen Urheber derſelben, das Loos 
gefallen. Die Verbannung, weiche er vorausgeſehen, trat jebt 
wirflid, für ihn ein. Wie mehrere feiner Unglüddgefährten 
flüchtete ſich Hutten nad) der Schweiz. Kärperli und geiftig 
niedergebeugt fam er im November 15% m Baſel an. Ein 
neuer Schmerz wurde ihm bier. bereitet, da er es erieben 
mußte, dab Erasmus, der in Bafel Lebte, fein alter Lehrer und 
Führer, fein „Socrates“, wie er ihn früher gepriefen, ihn jetzt 
in feinem Unglück theiluahmios' zurückſtieß. Zum lebten Mal 
erwachte da m Ihm bie alte Beibanfchaft .unb in einer ‚heftigen 
Smovectäve .jchüttete er den ganzen Unmuth feiner Seele gegen 
ben Übgefallenen aus?) Bon Bafel; wo ihm der Rath uch 
zwei Monaten feinen Schub aufkündigte, wandte er. ch nach 
Mühlhaufen. Auch von Hier fah er fich bald zur Flucht ge 
nöthigt. In dem troftlofeften Zuſtande, von allen Mitteln 
entblößt, mit zerrüttetem Körper kam. er im Frühjahr 1523 in 
Zürich an. Hier endlich fanb der. von Allen Verftoßene in 
Ulrich Zwingli, dem Reformator, einen theilnehmenden und 
Ihüßenden Freund. Doch nicht Lange bedurfte er. mehr des 
Schutzes. 


— — 


1) Obgleich das frühere Verhalmiß wWwiſchen Luther und der witterſchaft 
ſich längſt aufgelöſet Hatte — wie denn Luther keineswegs mit dem Trier'⸗ 
hen Unternehmen einverſtanden war — fo knüpften die Gegner doch noch 
große Hoffnungen an Sickingens Catafirophe. ‚‚Clamabant adversarii, 
pseudoregem, Franciscum Siccingerum putantes, extinctum, pseudo- 
papam autem s. Lutheram aegrotum, propediem oblturem.“ Annales 
Spalat. bei Menden II, 625. 

2) Vgl. über den Streit mit Erasmus Opp. Hutt. IV, 238 fi. 


— 191 — 


Die Stimmung, in der Hutten fich in diejen lebten trau- 
rigen Tagen befand, läßt un? das Schreiben erfennen, das er 
noch am 241. Juli von Züridy aud an feinen alten Herzens: 
freund Eoban richtete und ‚dag wir gleichſam als feinen Scheide- 
gruß an Erfurt anfehen dürfen. „OD Eoban“, begiumt er, 
„wird es denn endlich Maß und Ziel finden, daß wibrige Ge- 
chic, das ung fo bitter verfolgt! Zwar glaube ich das nicht, 
aber wir werden Muth genug haben, ftandhaft auszubarren.... 
Mic hat die Flucht zu den Schweizern geführt, und einer noch 
weitern Berbannung ſehe ich entgegen, denn Deutjchland kann 
mid) in feinem gegenwärtigen Zuſtande nicht mehr dulden... 
Der Ueberbringer dieſes Briefed hat von mir eine Schrift 
gegen die Tyrannen, die er zum Druck bejorgen fol. Sei ihm 
dabei, ich bitte dich, behülflih.... Sehen und erfenuen follen 
fünftige Jahrhunderte, was für Menjchen diejenigen. gewefen 
find, welche mit Srevel und Verwegenheit gegen Chrbarkeit, 
Geſetz und Recht, Tree und Frömmigkeit gehandelt haben... 
Gar jehr verlangt. mich zu wiſſen, wo Crotus ift und wie es 
ihm geht.... Wöge es ihm gut geben, wo er auch immer jet. 
Sch höre nicht auf zu hoffen, daß Gott noch einmal die Guten 
aus diefer Zerjtreuung wieder ſammeln werde: gebet auch ihr 
dieſe Hoffnung nicht auf” *). 

Der Tod erfparte ihm den Kummer, auch biefe Hoffnung 
volljtändig vernichtet zu Ehen. Wenige Wochen fpäter machte 
die Krankheit, an der er ſeit ſeinem zwanzigſten Jahre gelitten, 
feinem vielbewegten Leben ein Ende. Er ftarb im fechdund- 
dreißigſten Jahre feines Lebens, auf einer einfamen Inſel im 
Züricher See, in Armuth und Dürftigkeit, nur bon wenigen 
theilnehmenden Freunden betrauert 2). 


1) Ulric. ab Hutten Eobano Hesso d. d. Tiguri in Helvetiis 12 
Cal. Aug. 1523 bei Mind Opp. Hutt. IV, 338—9. — Die Schrift gegen 
die „Tyrannen“ (bie Fürften), die Eoban zum Drud befördern ſollte, iſt ver: 
Ioren gegangen 

2) „Nihil reliquit‘“, fchreibt Zwingli, „quod ullius sit precii. Libros 


_ 192 — 


Sp ſehr hatten ſich die Zeiten geändert, daß beinahe ein 
Jahr verging, ehe man in Wittenberg über jeinen Tod beſtimmte 
Kunde hatte, und der ſchmerzliche Klageruf Eobans fat der 
einzige war, der dem Hingefchievenen aus jenen Gegenden nach- 
gefandt wurbe ?). 

Für Luther war Huttend frühzeitiger Tod ein Glüd, da 
bei einer längern Lebensdauer desſelben ein volljtändiger Bruch 
zwijchen ben beiden "alten Verbündeten unvermeidlich gewor⸗ 
den wäre. 


vn. 


Eobans Klagen über das traurige Ende feined Freundes 
wurden indeß bald wieder zurücgebrängt durch den Schmerz, 
den er beim Anblick des eigenen immer wachlenden Elendes 
empfand. Denn von Tag zu Tag geftalteten fich die Dinge 
in Erfurt mißlicher. In ähnlicher Weife, wie Huttend lebte 
Lebensjahre, gewähren auch die Anftrengungen der erfurter 
Schule dad Bild eines fruchtlofen Ringens und Ankämpfens 
gegen die neue Strömung der Zeit. Der fteigende Einfluß der 
Prädifanten und der zunehmende Verfall der Univerjität hielten 
gleichen Schritt. Es brachte auch Feine Aenderung hervor, daß 
der bumaniftifch gebildete Juſtus Menius, früher ein eifriges 
Mitglied der eobanischen Genoſſenſchaft, nach mehrjähriger Ab- 
wejenheit um. diefe Zeit zurückkehrte und in bie Reihe ber 


nullos habuit, supellectilem nullam, praeter calamum.‘‘ Zwinglii Opp. 
ed. Schuler et Schulthess VII, 313. — Sein Todestag war nad) Eras⸗ 
mus (Münd IV, 491) der 29. Auguft. 

1) Melanchthon und Camerarius erfuhren erft im folgenden Sabre in 
Fulda Beſtimmtes über feinen Tod. Bgl. Cameraril Narr. de Melanchth. 
ed. Strobel p. 89. An Wittenberg wurde Hutten nicht mehr vwermißt. 
Luther gedenkt feines Todes gar nicht. — Eoban widmete feinem Freunde 
fpäter ein klagendes Epicebion in Form eined Zwiegeiprächd. eb. Farr. 
ı, 16062. 


— 19 — 


Prädifanten trat’). Lange's Beifpiel zeigte, weſſen auch jolche 
Männer, einmal von dem Strome der neuen Meinungen er- 
griffen, fähig waren. Lange felbit trat zwar 1523 wieder als 
Lehrer an der Univerfität auf, aber Gegenftand jeiner Lehr: 
thätigfeit war nun nicht mehr, wie früher, das Griechiſche, 
jondern die Lehre von der „menfchlihen Schwachheit” und daß 
Niemand aus fich jelbit etwas vermöge. Weltliche Willen: 
Ihaften galten als Menfchenfagungen und Verachtung und 
Dürftigkeit war dag Loos derer, die ihnen noch dad Wort zu 
reden wagten. Buchdrucker weigerten fich, andere als theolo- 
giihe Schriften zum Druck zu befördern. Eoban ſelbſt, defjen 
Name jonft zur Empfehlung eine® Buches hHinreichte 2), jah 
ſich genöthigt, als er eine neue Ausgabe feiner früher mit dem 
größten Beifalle aufgenommenen „Heroiden“ beabfichtigte, 
Melanchthon's Bermittelung in Anfpruch zu nehmen ?). Die 
Anzahl der Lehrer, wie die der Studirenden, ſchmolz immer 


—⸗e 


— 


mehr zuſammen. Kaum fand ſich noch Jemand, der zur Anz: 


nahme eine? akademischen Amtes bereit war *). Bon Eobans 
alten Freunden entfernte fich einer nach dem andern. Euricius 








1) Auch er war durch den Pfaffenfturm aus Erfurt getrieben und dem 
Crotus nad) Fulda gefolgt, unter deffen Rectorate er noch in Erfurt in nahem 
Berfehr mit Petrejus und Camerarius erfcheint; vgl. Lib. alt. epp. A 3b. 
Derjelde Grund, den Böcking (Drei Abhandlungen 2c. p. 77) gegen Juſtus 
Jonas als Verfaſſer der Epistola Anonymi anführt, würde alfo auch Menius 
von Autorfchaft auzfchliegen. Einer Nachricht zufolge (Bol. Bed Johann 
Friedrich der Mittlere IL, 137, Brückner Kirchen und Schulftaat von Gotha 
1, 180) hat Menius noch 1521 feine Reife nach Stalien angetreten. Zurüd- 
gekehrt, wurbe er 1523 Diaconus in dem erfurtifchen Fleden Mühlberg, hielt 
fih aber gewöhnlich in Erfurt felbft auf und wurde hier nächſt Lange der 
eifrigfte Verfünder des Evangelimz. 

») Bol. Cordi Opp. p. 173. 

3) „„Efficiam‘‘, antwortet ihm Melandhtbon, „ut aut hic aut ad Rhe- 
num cudantur: uam Lutheranis quibusdam prelis otium erit post ab- 
solutam äpunvsıav Novi Testamenti.‘“ Corp. Ref. I, 573. So fehr 
war alfenthalben die Prefle für die Theologie in Anfpruch genommen. 

“) Vgl. Eob, Hessi Dialogi tres C 3 a. 

Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. 13 


— 


— 14 — 


Cordus folgte 1593 einem Rufe nach Braunfchweig: längſt 
war ihm das Leben in Erfurt zumider gewejen !). Schon vor 
ihm hatte Micyllus die hoffnungsloſe „aeoniſche Schaar” ver: 
laffen, der er beinahe fünf Jahre angehört hatte?). Das Jahr 
darauf nahm auch Hunus auf längere Zeit Abfchied von ber 
Stadt, um fi bei Erasmus, dem „Camillus der gelehrten 
Srömmigfeit”, Troſt zu holen 3). Petrejus, Eobans treuchter 
Sefährte, zog fich, an dem Wiederaufkommen der Schule ver- 
zweifelnd und durch förperliche Leiden nievergebeugt, mißmuthig 
von aller Lehrthätigkeit zurüd. 

Gern wäre auch Eoban den Scheidenden gefolgt, hätte ſich 
ihm irgendwo eine Ausſicht eröffnet, denn in Erfurt jah er 
einer traurigen Zukunft entgegen. Er fing an Noth zu leiden. 
Schon 1522 hatte er ſich, da ihm die poetifchen Studien, bei 
ber zunehmenden Verachtung derſelben, feinen hinreichenden 
Lebensunterhalt mehr gewährten, nach einem einträglichen Yach- 
ſtudium umgejehen und fih auf den Rath des Petrejus für 
die Rechtswiſſenſchaft entſchieden %). Da aber feine juriftifche 
Thätigfeit den gewünfchten Erfolg nicht hatte, wandte er fich 
jebt der Medicin zu 5). in gelehrtes Gedicht „über die Er- 


— — — 


1) Sein Abſchiedsgedicht ſ. Opp. Cordi 176.. 

») Jac. Micylli Sylv. libri V. p. 59. Sein Abzug fällt wohl in bie 
erſten Monate bed Sahres 1523. 

2) Mutian verfab ihn mit einem Empfehlungsſchreiben an Erasmus: 
Martinus Hunus, Magister Erfordiensis, non vulgaris amicus noster, 
homo probissimus, mihi crede. Odit rem tumultuosam et malos viros, 
quos tu sentis efferatiores. Scit, Lutherum per unum Philippum fieri 
celebriorem etc. 2gl. Bursch. Spieil. XII, 13. Hunus fehrte indeß 
wahrfcheinlich noch vor Ablauf 1524 zurück. -- Doctae pietatis Camillus 
wird Erasmus mehrmald genannt von Stromer; vgl, Heumann Dec. lit. 
213, 214. — Auch Ceratinus und Camerarius finden wir bald darauf bei 
Erasmus. 

*) Vgl. Eoh. et amic. epp. fam. p. 7, 13. 

s) Vol. Camerariuß Narr. de Kob. C 4 a (die Übrigens für diefe Zeit 
eine ſehr dürftige Quelle ift). „Cum Kobant eo ferme tempore admodum 
in angustum cogerentur copiae, ut ait Terentius, et publieus respectus 





— 15 — 


haltung der Geſundheit“, welches er 1524 veröffentlichte, war 
bie erfte Frucht feiner medieinifchen Studien). Allein feine 
Lage wurde auch dadurch wenig gebeffert, und hätten ſich nicht 
Urban und Sturz feiner: angenommen, jo würden Hunger und 
Elend das Loos des gefeierten Dichters geweſen jein. 

Wehmuth und Bitterfeit bemächtigten fich feiner Seele, 
wenn er aus biefem troſtloſen Zuftande auf die frühere Zeit 
zurücblicte. Zerſtreut war der frohe Gelehrtenkreiß, den er 
einſt al3 „König“ beherrſcht hatte?). Unwiſſenheit und Bar- 
barei nahm er wahr, wo wenige Sahre zuvor Alles von Eifer 
für die Wiffenfchaften erglühte. Selbjt in den Sahrhunderten 
ber ſcholaſtiſchen Barbarei war — jo kam es ihm jebt vor — 
dad Verderben nicht größer geweſen, als im diefen „verab- 
ſcheuungswürdigen“ Zeiten 3). 

Eoban hatte acht Jahre früher feine Hülfe geliehen, als Hut- 
ten nnd Crotus den Kampf gegen die Schultbeologen und Mönche 


penitus illi subtraheretur — placuit quaestuosae eum Arti cuipiam ope- 
ram dare, non jam famae „amplificandae causa, sed ne fame laborare 
mox cogeretur. Atque autores illi fuere amici, ut medicinam disceret, 
quoniam priores conatus forenses parum successissent,.‘“ Mutian war 
ſehr unzufrieden darüber. Eob. et amic. ep. fam. p. 8. — Auch Petrejus 
muß um biefe Zeit in fehr bedrängter Lage geweſen fein. Beyfchlag 1. c. 
I, 302. 

ı) De conservanda valetudine: Mediciuae laus, Musaeum Stur- 
tiaaum. Tabula differentiarum omnis generis febrium: Tabula cognos- 
cendorum secnndum communes et planetares horas humorum. Erph. 
45%. 4%. Das Gebicht hat 13 Auflagen erlebt und gehört zu den gelefenften 
des Dichterd. Abgebr. in Eoh. Farr. II, 73 sqgg. 

2) „Tu velut de multis nobls loqueris, quorum cherus ne gra- 
tiarum quidem numerum aequet. Ducem enim et regem dempseris, 
vacuum reliqueris hoc wovsceloy.‘‘“ Koh. Camerario. Lib. nov. epp. 
B7h. 
°) Haec ego praecipuo priscis conferre ruinis 

Nil verebor execranda tempora, 
Quae studiis adimant pietatis Imagine quicgeid 
Heneris ante quicquid et laudis fait. 
De contemptua studiorum querela bei Beyſchlag Syli. I, 349. 
13 ® 


— 16 — 


mit den Waffen der Satire eröffneten ): dieſelben Waffen 
entſchloß er fich jebt, nachdem alle übrigen Mittel erfolglos 
geblieben, gegen die Vertreter der neuen Barbarei zu kehren. 

Dies geſchah durch eine kleine dialogifche Schrift, Die er' 
im Frühjahr 1524 ausgehen Tieß „zu Gunjten der Wiſſenſchaft 
und Wahrheit” ?). Es ift eine Sammlung von drei Gejpräden, 
in denen die Blößen, die der Fanatismus der Präbifanten bot, 
namentlich ihr finnlofes Eifern gegen die Wiffenjchaft in ſcho— 
nungslofer Weife aufgedeckt, fie ſelbſt dem öffentlichen Hohne 
preigegeben werben. 

Am gelungenften ift der erjte Dialog „Melaenus“, der 
uns einen Prädikanten dieſes Namens im Geſpräch mit Hunus 
und Heſſus und dem fpöttifchen Momus vorführt?). Gegen— 
ſtand der Unterhaltung iſt die Arzneiwiſſenſchaft. Melaenus 
beklagt es, daß Hunus und Heſſus ſich mit dieſer profanen 
Wiſſenſchaft beſchäftigen, und ſieht ihr Seelenheil dadurch gefähr— 
det; „denn“, meint er, „ihr vernachläſſiget den Schöpfer und 
hanget der Creatur an.” Nur von Gott dürfe der Menſch 
in Reibesnöthen Hülfe und Heilung erwarten. Hunus jucht 
hierauf das Studium der Medicin durch Gründe der Vernunft 
und Erfahrung zu rechtfertigen und macht dem Gegner, der 








1) Eobans Theilnahme an ber Abfaffung der Epp. Obsc. erhält eine 
Beftätigung durch die mir früher entgangene Schrift De generibus ebrio- 
sorum et ebrietate vitanda (abgedr. bei Zarnde Die beutfchen Univerfitä- 
ten des Mittelalter3 p. 116—155), in ber 3. B. die Grabfchrift auf ben 
Hana Raumthaſch (1. c. 128) die auffallendfte Aehnlichfeit mit mehreren 
Neimereien in ben Epp. zeigt. Daß Eoban der Verfaffer ift, folgt u. X. aus 
einem Epigramm bes Cordus: In libellum Eobani de ebrietate vitanda 
(Cordi opp. 117), das jih nur auf diefe Schrift beziehen Tann. 

2) Robani Hessi Dialogi tres. Melaenus. Misologus. Fugitivi. 
Studiorum et veritatis causa nuper aediti. 4%. (Am Ende: Exc. Erph. 
in offic. M. Maler A. 1524). Die Dedication (d. d. IX Kal. Mart. 1524) 
ift an den Eifterzienferabt Peter zu Porta gerichtet. Diefe Schrift ift fehr 
jelten, daher eine furze Inhaltsangabe um fo eher gerechtfertigt erfcheint. 

s) Melagenus Dialogus Hessiaticus. Interlogutores: Hunus, Hessus, 
Melaenus, Momus . c. Aib—B2%b. 


— 117 — 


nur geringe Faſſungskräfte verräth, an dem Beifpiel einer Rübe 
Har, daß vielen Pflanzen eine befondere heilende Kraft beiwohne, 
die der Menjch nach Gottes weiſer Einrichtung kennen lernen 
und anwenden ſolle. Melaenus aber erflärt dergleichen für 
Phantaftereien und verlangt Bibelftellen für die Zuläffigkeit 
der Medicin. Als Hunus auch folche beibringt, Tpricht jener 
ihm das richtige Verſtändniß derjelben ab und ftellt ein für 
allemal den Sat auf, daß e2 ficherer fet, auf Gott zu vertrauen, 
al3 auf Menſchen. Die Aerzte finden die Ausübung ihrer 
Kunft auch damit vereinbar, erregen aber jeßt den Zorn des 
Theologen, der lange darüber nachfinnt, wie dieſe ungeftümen 
Eindringlinge mit ihrem profanen Treiben) aus der „theolo- 
gischen Burg” zu vertreiben fein möchten, und dann eine glän- 
zende Lobrede auf die neuen theologifchen „Solone“ hält, durch 
deren Verdienſt der durch die heillofe Philofophie verdunfelte 
göttliche Heiland wieder an's Licht gezogen je. Immerhin, 
entgegnet Hunus, auf dag Thema zurüclenfend, möge das 
richtig fein, aber darum ſei es doch nicht gerechtfertigt, alle 
weltliche Wiffenjchaft zu brandmarken und aus den Schulen 
zu verbannen. „Ich wünfchte, daß alle Schulen, die hoben, 
wie die niederen, in Flammen ftänden“, wirft ihm Melaenus 
troßig entgegen und verläßt hierauf zornentbrannt die unheilige 
Geſellſchaft. 

Beſondere Rückſicht auf die erfurter Zuſtände nimmt der 
zweite Dialog, Miſologus betitelt?). — Der Humaniſt Bonae- 


1) Er will nicht mehr antroorten, weil Hunus ihn beim Aesculap um 
eine Antwort gebeten bat: „Per Acsculapium equidem purulentum illum 
latrinarium nihil dicturus sum, sed per Christum si me roges, est 
quod deliberem.“ Worauf Hunus: „Per Christum profecto multo 
rogarim libentius, nisi tantam Majestatem jocis immittere religio esset, 
sed haec praefatus ac ejus pietate confisus, audebo: Dic age per 
Christum te rogo. 1.c., Bi. 

2) Misologus. Eobani Hessi Dialogus. Interloqutores: Strome- 
gerus, Bonaemilius, Misologus I. c..B3a—C3a. 


— 1% — 


milius, nach mehr als zweijähriger Abwejenheit vor Kurzem 
nach Erfurt zurückgekehrt, beklagt fich bei jeinem Freunde Stro- 
megerus über die inzwilchen eingetretene Verödung ber wenige 
Sahre zuvor noch fo blühenden Hodhjhule!). Als Urheber _ 
dieſes traurigen Zuſtandes bezeichnet er anf bie Frage des 
Stromegerud „einige nicht fo jehr boshafte, al3 von übermäßi- 
ger Selbitliebe geplagte Menfchen”, deren ganze Tapferkeit darin 
beitebe, brave und verdiente Männer zu unterbrüden, um dann 
ungeſtört felbft die Herrichaft ausüben zu können. Am wmeiften 
aber, führt er dann weiter aus, ‚befördern dieſelben ihre Ab- 
ſichten dadurch, daß fie ihren Umtrieben gegen die Univerfttät 
den Schein eined Kampfes gegen bie Sophiiten geben, obgleich 
e3 jchon längſt in Erfurt feinen Sophiften mehr gibt. Doc 
willen fie e8 ber unerfahrenen Menge, um deren Gunft fie 
auf die unwürbigite Weiſe buhlen ?), einzureden, daß die So— 
phiften noch immer nicht außgerottet jeien, und übertragen jet 
biefen Namen auf alle Freunde der Wiflenjchaften. Während 
dem nähert fich den Klagenden Mifologus, einer der Präbi- 
fanten. Auch er ift gegen feine Gewohnheit ?) traurig und 
verftimmt, aber gerade aus dem entgegengejeßten Grunde. 
„Es Ichmerzt mich in der Seele”, beginnt er, „daß die ſchmutzi⸗ 
gen Spphiften noch athmen.” Sophiften aber heißen ihm, wie 
er auf weitered Fragen erklärt, alle diejenigen, „bie ftatt des 
Paulus den Ariftoteles, ftatt ded Evangeliums allerlei Rhe— 
toren und Poeten leſen.“ Sofort machen Stromegerud und 
Bonaemiliu den Verſuch, ihn eines Beffern zu belehren. 


1) „BSpes erat optima miki, in eam me Scholam rediturum, quam 
paucos ante annos forentissimam reliqueram, Sed en longe fefellit 
spes, cum pro florente aridam ac jacentem et ipse et omnes videa- 
mus.“ 1.0.B3a, 

2) „Ut sunt mensarum omnium asseclae.““ BA a: 

2) „Soles enim“, redet ibn Stromegenis an, „nom levi de causa 
perturbari, cum tam spaciosam habeas conseientiam, ut Urbes et 
regna capiat, nedum res leviusculas“ BAb, 


— 19 — 


Unrecht ſei es allerdings, meinen ſie, und nicht zu billigen, 
wenn — wie das aber in Erfurt gewiß nicht der Fall ſei — 
das Studium des Ariſtoteles und der Poeten über Gebühr und 
zum Nachtheil des Evangeliums betrieben werde, aber eben ſo 
ungerecht ſei es, alle Beſchaͤftigung mit den Alten aus den 
Schulen verbannen zu wollen. Habe fich doch Paulus felbft 
der Zeugniffe heidniſcher Dichter bedient. Für den Theologen 
insbeſondere jeien die humaniſtiſchen Studien dag wichtigite 
Bildungsmittel, wie dad Eoban Hefe jo oft und jo jchön in 
feinen Schriften dargethban. Aber an dem Starrfinn des Prä- 
difanten fcheitern alle ihre Bekehrungsverſuche. Unfähig, die 
vorgebrachten Gründe zu widerlegen, bricht Miſologus in Ver: 
wünjchungen aus gegen die hohen Schulen, die Nicht? als 
Menſchenſatzungen lehrten, und entfernt fich zulekt mit der 
Behauptung, daß in den Humaniftiichen Studien Gift enthalten 
fei, und die Jugend durch fie verführt, von Chriftug entfernt 
werbe!). 

Eine noch derbere Zeichnung gibt da3 dritte Gefpräd: 
„Die entlaufenen Mönche” 2). Das Satirifche tritt hier zurück: 
es iſt eigentlich nur eine won Ausbrüchen der Entrüftung und 
des Unwillens begleitete Aufzählung aller Gebrehen und 
Sünden der neuen Prediger, wobei fich die revenden Perſonen 
gegenseitig unterftügen und ergänzen. Mit grellen Karben wird 
ausgemalt, wie die Meijten, nachdem fie aus unlautern Beweg- 
gründen das Kloſter verlaffen, nun unter deut Schuße de 
Evangeliums ein fleifchliches Leben führen, das Volk durch 
niedrige Schmeicheleien bethören, auf den Canzeln Albernheiten 


!) „Venenum est in illis, quae tu vocas humnanitatis studie; illis 
ewim lenociniis ac velut Syrenum cantibus Juventus seducitur hae- 
retque implicata dulcibus ludibriis non secus, ac Ulyssis socii apud 
Lothophagos, nec domum hoc est veram et Christianamı philosophiam 
redire cogitant.“ Ci b. 

2) Fugitivi. Interl. Kusebius, Philotimus, Pompomius, Autolyous, 
Fugitivi. C3b—D3b. 


— 0 — 


und Widerfprüche vorbringen, dag Ehrwürdigſte in den Koth 
herabziehen und im Gefühl ver eigenen Unwifjenheit allen 
wiffenjchaftlichen Beitrebungen den Krieg erflären!). „Für— 
wahr”, äußert Philotimus, „es ift traurig, daß Ungethüme, 
wie diefe, die nur zu fchreien, lärmen, poltern, toben wiffen, 
heutzutage Glauben finden koͤnnen.“ 

Dahin war es in wenigen Jahren mit ber einft jo freudig 
begrüßten Bundesgenoſſenſchaft gefommen! 

Erfolg hatte indeſſen auch diefer lebte Schritt Eobans nicht. 
Der Rath konnte oder wollte nicht helfen. Noch ſtanden die 
Diener des Evangeliums feit in der Volksgunſt. Webermuth 
und Rücdfichtslofigkeitt nahmen auf den Eanzeln immer mehr 
Ueberhand. Ernitlicher als je zuvor fing jet Eoban an, ſich 
von Erfurt wegzujehnen. „Wider meinen Willen“, jchrieb er 
bamal3 an Sturz, der einige Zeit vorher ebenfalls die Stabt 
verlafjen hatte, „werde ich bier zurüdigehalten, wo Alles ver- 
Ioren tft. Denn es ift feine Hoffnung mehr übrig, weder auf 
dad Wiederauffommen der Studien, noch auf den Fortbeitand 
des Gemeinwefend. Alles geht zu Grunde Ich ſelbſt werke 


ı) Bol. 3.8. D1h. ‚Video levissimum quemque et indoctissi- 
mum id agere (sc, e monasterio exire), non ut conscientiae suae 
(quamvis, Deum immortalem, quam ubique praetexunt illum titulum!) 
medeatur, sed ut libertati caruis (ut uno verbo dicam omnia) con- 
sulat. Nam quae est taudem ista libertas, nulli obedire ac interim 
Jactare, se Deo obedire, — Videas meros asinos ex suggestis hodie 
concionantes fanda atque nefunda, secum adeo plerumque (nota testa- 
taque loquor) dissentientes, ut ubi vel coeperint nesciant, vel, ubi 
desituri sint, non inveniant, et tamen vulgo habentur, quo sunt stupi- 
diores, eo doctiores et sanctiores.‘“ Oder D 1 a: „Cui non adblan- 
diuntur vel vilissimo de plebe; si invitet ad coenulam? si prandiolo 
nonnihil lautiore Evangelicum ventrem demereatur ac suffarcinet? 
Ut taceam, quam sit hoc genus hominum in Venerem effusae libidinis,‘‘ 
Wegen ihrer Unwiſſenheit werden fie 1. c. bezeichnet als: „‚Indoctissimi 
Idiotae ac bardi declamatores, cum passim ex inscitiae suae latibulis 
emergentes, tum praecipua studiorum pestis, vehementer ac usque 
ad miraculum indocti Fugitivi.‘“ 


— X — 


durch unwiſſende, dem Kloſter entlaufene Mönche bei Allen 
verhaßt gemacht. Traurige Auftritte wüͤrdeſt du ſehen und 
hören, wenn du hieher kämeſt. O armes, o unglückliches 
Erfurt!“ 1) „So tief ſind wir geſunken“, ſchrieb er um die— 
ſelbe Zeit an Camerarius, „daß uns nur noch die Erinnerung 
an unſer früheres Glück übrig geblieben iſt; die Hoffnung, es 
wieder erneuern zu können, iſt völlig verſchwunden“ 2). 

Es war ein trauriges Wiederjehen, als Eobans Freund 
Micyllus, im Herbft 1524 von Wittenberg zurüdfehrend, noch⸗ 
mal3 in Erfurt bei feinen frühern Genoſſen anſprach. Nur 
noch einige wenige fand er Dort von den alten Freunden, Fläg- 
liche „Reliquien“ des ehemals durch ganz Deutjchland angefehe- 
nen Dichterbundes °). Und ſchon war der Sturm im Anzuge, 
ber auch diefe von dem Site des alten Ruhmes verfcheuchen 
jollte. 


1) Eob. et amic. ep. am. p. 84. Sturz kehrte jedoch nach einigen 
Monaten wieder nach Erfurt zurüd. 
2) Libell. nov. epp. B7 a. 
2) Convenere sodales 
Relliquiae veteris, nomina nota, scholae: 
Urbanus, Nossenus, Aperbachus, Mechobachus, 
Cumque Gerungeno (Groeningen?) pars mea magna Procus 
Et quundam priaceps Hessus studiique scholneque, 
Hessus, qui vatum dona tot unus habet,.‘“ 
Jac. Micylli Sylv. libr. V. p. 203. 


— 202 — 


Fünftes Capitel. Gänzlicher Verfall der Univerſität. 


„Nunc studia expulsis siluerunt optinia Musis, 
Nuoc iterum fiet barbarus iste locus,‘* 
Melanchthon, 


L 


Das Jahr 1525 war auch fir Erfurt ein jehr verhäng- 
nißvolles ?). 

Die Gährung, welche Luther Predigt burch das ganze 
Reich hin unter dem Bauernftande hervorrief, hatte das Land⸗ 
volk des erfurtifchen Gebietes ?) nicht unberührt gelaffen. Alte 
Klagen über Druck und Mebergriffe der ſtädtiſchen Ariftofratie 
empfingen auch hier durch bie Predigt von der evangelifchen 
Treiheit neues Leben und eine religiöſe Weihe’). Schon feit 








1) Die Chroniften, welche es als ein neued „tolle® Jahr“ bezeichnen, 
bieten für die Gefchichte des erfurtifchen Bauernaufftandes manches Material, 
doch ohne inneres Verſtändniß ber Greigniffe. Wichtiger find bie Verhörs⸗ 
protofolle, von denen einige Herrmann mitgetheilt bat in: Anecdotorum ad 
Historiam Erfurtensem pertinentium particula prima Erf. 18%. Höchſt 
oberflächlich find die fpäteren Darftellungen von Loſſius (Hel. Eob. Heſſus 2c.), 
Talekenftein I. c., Erhard (Meberlief. 3. vat. Gel.) Unter den Späteren ift 
Gudenus ber Einzige, der den wahren Zufammenhang ber Greigniffe in der 
Hauptfache geahnt hat. Die Vorgänge in Erfurt eröffnen und einen inter- 
effanten Blick in das Getriebe ber damaligen ſtädtiſchen Factionen. 

2) Das erfurtifche Gebiet umfaßte, mit Augfchluß der Hauptftadt, neun 
Aemter (Mühlberg, Bargula, Vippach, Sömmerda, Gispersleben, Alach, 
Tonndorf, Azmannsdorf und dag Stadtamt), mit 1 Stadt (Sömmerba), 
3 Fleden, 72 Dörfern, und? — gegen Ende des vorigen Jahrh. — 24,000 
Einwohnern. Die Anzahl ber letztern ift inbeß für bag 16. Jahrh. jedenfalls 
viel höher anzufeßen. Eben im J. 1524 ließ der Rath zum erften Dal das 
ftädtifche Gebiet genau aufnehmen, feine Gerechtfame und die Leiftungen der 
einzelnen Dorffchaften feitfeßen, was auf bie Stimmung de Landvolks wohl 
nicht ohne Einfluß geblieben ift. Vgl. Dominikus, Erfurt und das erfurtifche 
Gebiet, Gotha 1793. HI, p. WU. 

°) Vgl. Hermann Anecdota p. 17. Die durch die Wirren feit 1509 


— 0 — 


dent Sahre 1521 hatte fich in den der Stadt benachbarten Dorf: 
Ichaften ein unruhiger Geift gezeigt. An dem Sturme auf 
die ſtädtiſche Geiftlichfeit in jenem Jahre ſah man zahlreiche 
Zandleute aud der Umgegend Theil nehmen. Der weitere 
ftürmifche Verlauf, den die Bewegung in Erfurt jelbft nahm, 
erhöhte die Aufregung auch auf dem Lande. Zu den Predigten 
und öffentlichen Diöputationen ſtrömten die Bauern aus ben 
umliegenden Ortfchaften in großer Menge herbei. Man vers 
nahm begierig, was der Diener des Evangeliums über hrift- 
liche Freiheit und papiftifche Knechtſchaft vortrug, und kehrte 
in aufgeregter Stimmung in die Heimath zurüd. Der Rath 
fuchte zwar zuweilen dem Andrang des Landoolfed Einhalt zu 
thun), aber, wie es fcheint, one großen Erfolg, Die Prä- 
bifanten waren den Landleuten ‚gewogen. Mechler erblidte in 
ihnen die wichtigfte Stüße des Evangeliums. In öffentlicher 
Predigt Tieß er fich einmal vernehmen, daß, wenn dad Wort 
des Prediger allein nicht genüge, Spaten und Hacke bes 
Landmann? dem Evangelium zu Hülfe fommen müßten ?). 


nothwendig gewordenen neuen Auflagen hatten namentlich auch das Landvoll 
hart getroffen. Bol. Dominifus 1. c. I, 384. Auch einer der erfurter Hus 
maniften, Cordus, beflagt das traurige Loos der Bauern: 
Flebilius nihil est isto, quaın rusticus, acvo, 
Qui sur ceu servus non sibi rura colit, 
Cum riguit totum miser et sudavit in annum 
Milleque sollicito dura labore tulit, 
Et tot vix quantum rursus serat accipit agris, 
Quod superest deses vendicat ara suum, 
Opp. Cordi p. 130 a. 

1) Der Rath verbietet einmal eine von Mechler angefündigte Disputa⸗ 
tion, als fi das Landvolk wieder in zu großer Anzahl eingefunden hatte, 
Bgl. De dunb. disput. H 2 b. 

2) „‚Quid praetenderas““, ſtellt ihn deshalb Ufingen zu Rebe, „quaudo 
de suggesto et vernaculis intimationibus plebem rudem ad illam (dis- 
putationem) citaveras! Quid denique dum eo loci ad populum clama- 
veras, necesse esse, ut vel pastino, sarculis et ligonibus suburbanis 
evangelio comsuleretur, quamdo nec tua, nec tuprum proficerent verba! 
Meministine rusticae inselentine, qua jam passim zubditi in deminos 


— WM — 


> Bergeblich war es, daß Uſingen, der auch hier feinen richtigen 
Blick bewährte, in Schrift und Predigt ven Gegnern da3 Be 
denkliche jolcher Neußerungen vorbielt und einen Bauernauf- 
uhr, als nothwendige Folge ihres aufregenden Treibenz, vor- 
berfagte ). Unter den beraufchenden Erfolgen des Augenblicks 
wurde der Zukunft nicht gebacht. 

Was Ufingen warnend vorhergefagt, ging im Frühjahre 
1525 in Erfüllung. Kaum war die Kunde von der Erhebung 
der Bauern in Schwaben und Franken nach Thüringen ge= 
brungen, als die Bewegung auch das erfurtifche Gebiet ergriff. 

Auf einer Bauernverfammlung in Kirchheim, unweit Erfurt, 
wurden Artikel entworfen, welche die Befchwerben ber Auf- 
jtändifchen gegen den Stadtrath enthielten und auf Grund des 

Evangeliums eine jofortige Befeitigung derjelben verlangten. 

Sämmtliche Dorfichaften gaben ihre Zuftimmung. Zu Daber- 

ftabt, in der unmittelbaren Nähe von Erfurt, fand hierauf 
zwifchen den Hauptanführern eine letzte Verabredung ftatt. 

E3 wurde beichloffen, das gejammte Landvolk bewaffnet in die 

Stadt einrüden zu laſſen, den alten Rath zu ftürzen, einen 

neuen „ewigen” an deſſen Stelle zu fegen und die Annahme 

der Artikel zu bewerfftelligen, im Falle aber, daß die „Herrn“ 

Widerſtand verfuchen würden, ſämmtliche Mitglieder des alten 

Rathes zu ermorden und die Häufer der Reichen zu plündern 2). 
— Es war an einem Donnerſtag Abend (27. April), als der 

Stabtrath die Nachricht erhielt, daß fünftaufenb bewaffnete 


suos tumultuantes et insurgunt contra fidelitatem, quam illis promi- 
serunt et juraverunt!‘“ De duab. disp. H 2 b. 

1) Vgl. Hoehn Chronologia etc, 1. c. „Nescitis““, jchrieb er ſchon 
1523, „‚populum esse bestiam multorum capitum, bestiam cruentam, 
quae sanguinem sitit, vosne ergo rem vestram sanguinariis perficietis!““ 
Liber primus etc. C 4 b. 

2) Bol. bie Verhörsprotokolle der vier Haupträbelsführer: Hand Bed, 
Hana Hayder, Hand Schroeter und Peter Schmitt bei Herrmann Anecdota 
p. 9 aqgq. Die Chroniken übergehen biefe Borgänge. 


Bauern vor den Thoren jtänden und ungeſtüm Einlaß in die 
Stadt verlangten. Schreden bemächtigte fich des wohlhaben⸗ 
deren Theile der Bürgerichaft ). Eilends wurde bejchlojfen, 
um die Gefahr eined nächtlichen Weberfall3 von der Stadt 
abzuwenden, durch Herausfendung von Speije und Trank die 
bewaffneten Bittfteller einftweilen zu bejänftigen und auf den 
nächjten Morgen zu vertröften. Das geſchah. Am folgenden 
Morgen aber wiederholten die Haufen mit noch größeren Un- 
geſtüm die geftrige Forderung. Einer Gefandtjchaft des Rathes, 
welche zu vermitteln juchte, wurde erklärt, daß man nicht mit 
dem Rathe, jondern bloß mit der Gemeine unterhandeln wolle: 
wer aus dem Rathe ed noch wagen würde, bei ihnen zu erjchei- 
nen, werde des Todes jein?). Der Rath befand ſich in der 
peinlichften Lage. Noch war er zu feinem Entfchluffe gefom- 
men, als auf dem Rathhauſe Boten mit der neuen Meldung 
erjchienen, daß bereit3 auch im nern der Stadt der Aufruhr 
ausbreche: die Gemeine rotte fich auf der Augftbrüde zufam- 
men und drohe unter Schmähungen gegen den Rath, die Thore 
gewaltjfam zu öffnen und mit den Bauern gemeinfchaftliche 
Sache zu machen. 

In der That verhielt es fich jo. — Auch die Vorgänge in 
Erfurt offenbaren jenes geheime Bündniß zwifchen dem aufftän- 
bifchen Landvolke und der jtäbtischen Demokratie, welches ſchon 
von ſcharfblickenden Staatsmännern jener Zeit wahrgenommen 
worden it !). Noch unvergeffen war bier der alte Streit zwiſchen 


2) Vgl. den Bericht des Joh. Elliger an Joh. Hecht, mitgetheilt von 
Jörg: Deutichland in der Nevolutionsperiode von 1522—26 p. 127—8, 
Elliger, den wir als Mitglied ber Univerfität im Mai 1525 bei ber Rector⸗ 
wahl thätig finden, erzählt das Ereigniß als Augenzeuge. 

2) „Liegen fih bören, hätten etwas an die Vormunder und Gemeinde 
anzutragen und nicht an ben Rath, wollten mit den Bluthunden nicht? zu 
Ihaffen haben; wenn auch ein Rathsherr zu ihnen heraußreiten wollte, möch⸗ 
ten fie ihn nicht hören, wollten fie (ihn) ermorden.“ Elligers Bericht 1. c. 

2) Vgl. Sörg 1. c. p. 112, 133. Tenkel Rel. epp. Mut. p. 75. 


— 206 — 


Rath und Gemeine. Die Art und Weiſe, wie die Rathspartei den 
gewonnenen Steg benutzt und die neue Regimentsordnung von 1520 
alle Errungenſchaften des „tollen Jahres“ der Gemeine wieder 
entrifjen hatte, war am wenigjten geeignet, die in den Gemüthern 
zurüdgebliebene Mißſtimmung zu bejeitigen. Der gegenwärtige 
Augenblict wurbe von ber Gemeine benust, um mit Hülfe ber 
Bauern zu ertrogen, was fte, bejchränft auf ihre eigenen Kräfte, 
vergeblich angejtrebt hatte. Mehr ala wahrſcheinlich iſt es jogar, 
daß fie, fchon vorber von dem Vorhaben der Bauern unter- 
richtet, fie darin insgeheim beftärkt, ihnen Hülfe und Beiſtand 
in Ausſicht gejtelt hat. Die genaue Kenntniß ſtädtiſcher Ver⸗ 
hältniffe und BVerfönlichkeiten, jowie die Sympathien für bie 
Borjteher ver Gemeine, welche die Aufftändifchen von vornherein 
an den Tag legen, weilen deutlich auf eine vorbergegangene 
Verſtändigung mit der jtädtiichen Volkspartei hin !). 

Die Lage ded Rathes war verzweifelt. Die Stunde der 
Vergeltung fchien gekommen für die Gewiffenlofigfeit, womit 
er früher jelbit die Leivenjchaften der eutfeſſelten Menge zur 
Durchführung feiner Abfichten benußt hatte. Verſuche, den 
verfammelten Stabtpöbel durch friedliche VBorftellungen umzu—⸗ 
ftimmen, blieben ohne Erfolg Die Präbilanten, welche auf 
das Rathhaus beichieven wurden, um mit Rath und Hülfe zu 
dienen, waren jelbft hülf- und rathlos. Bittere Aeußerungen 
fielen da über ihr bißheriges Benehneen 2). Sie hatten es wohl 
verstanden, die Leidenſchaften des Volkes zu entfefleln, es aber 
wieder in die Schranken der Ordnung zu bannen, waren fie 
nicht im Stande. 

Nur Einen gab es unter den Dienern ded Wortes, der 


1) Die Mitglieber des neuen NRathe waren theilweife von den Bauern 
fon namhaft gemacht. Die Supplik follte nicht an ben Rath, fondern an 
bie Vorſteher ver Gemeine gerichtet werben, „weil fie fi von biefen leiten 
Hülfe verfprechen Fünnten.” Herrmann 1. c. p. 15. 

2) „Liebe Herren“, hielt ihnen unmuthig der alte Rathsmeifter Friederaun 
vor, „habt ihr's wohl angerichtet, jo führt's wohl hinaus.“ Klliger I. c. 


| 


— 0 — 


Hoffnung und Muth nicht verlor und der wegen feiner unge 
wöhnlichen Popularität auch helfen zu koͤnnen jchien. Es war 
Hans Eberlin von Günzburg). Erſt das Jahr zuvor war diejer 
merkwürdige Mann nad Erfurt gefommen, wo er Anfangs 
burch den Ernft, womit er, abweichend von feinen Amtsbrüdern, 
das loſe evangelifche Leben rügte, Befremden und Mißfallen 
erregt hatte?), bald aber als freimüthiger Vertheibiger ber 
Bolkzintereflen dem Rathe gegenüber ver erflärte Liebling des 
Volkes geworden war. An Eberlin, den er bisher verjchmähet, 
wandte fich jebt dev geängftigte Rath. „O Herr”, bat ihn 
Hans Koch, „thut an ung als ein Biedermann, ihr möget wohl 
helfen!” Uneingevent der vom Rathe erfahrenen Kränfungen, ?) 
ſagte Eberlin bereitwillig feine Hülfe zu, begab fich alsbald, 
von einigen Rathsherren und Prädikanten begleitet, an ven 
Ort, wo ſich der ftäbtifche Pobel zufammengersttet hatte, und 
fing an, den Aufftändifchen in's Herz zu reden. Er ſprach 
von der Strafbarkeit ihres Beginnend, von der Schmad, bie 
dent Evangelium bereitet werde, und ermahnte fie einbringlich, 
zu dem jchuldigen Gehorſam zurüdzufehren. „O lieben Freunde“, 
rief er aus, „bedenket euch eines Beflern, folget mir, habt ihr 
mid) doch allweg getreu erfunden in enern Röthen. Ich will 


— — — — — — 


1) Die Chroniſten übergehen Eberlin's Verdienſt um Erfurt mit Still⸗ 
ſchweigen, wohl deshalb, weil ihr Patriotismus einem Fremden das Lob nicht 
gönnte, das die Feigheit der Einheimiſchen in ein um ſo grelleres Licht geſtellt 
haben würde. Eberlin ſelbſt gibt einen intereſſanten, wenn auch nicht ganz 
unbefangenen Bericht über den erfurter Aufſtand in der Schrift: Ein getrewe 
warnung an die Chriſten in der Burgawiſchen marck ſich auch füro hin zu 
hüten vor aufrur vnnd falſchen predigeren. Johan Eberlein von Güntzburg. 
40. s. J. et a. D 35 fi. — Außerdem gab er eine ber in Erfurt gehalte⸗ 
nen Predigten in Drud: Eyn Sermon zu den Ghriften ynn Erffurt gepredigt 
auf den Sontag ber Kreuzwoche 1524, die mir aber leider nicht zu Geficht 
gekommen ift. 

2) Ein getreme warnung 2. D 3 b. 

2) Der Rath hatte ihm fogar die Canzel verboten „um ber Käfterung 
Willen.“ Elliger 1. c. 


— 210 — 


folgenden Ereigniſſe unzweifelhaft. Alle Berichte find einjtim- 
mig in dem Lobe der friedlichen Gejinnung, welche die Bauern 
gegen die Bürgerichaft an den Tag gelegt. „In der Stabt”, 
erzählt Eberlin, „waren die Bauern jo friedlich, daß einer fich 
barob verwundern möchte, feinem Bürger geſchah etwas Leides 
von ihnen”). Auch Eoban rühmt ihre Mäßigung. „Während 
in Thüringen Alles von Mord erfüllt ift“, jchrieb er am 
10. Mai an Sturz, „herricht hier in Erfurt die größte Sicher: 
heit, nicht einmal ein Kind ift verlegt worden — nur gegen 
dag Eigenthum der Geiftlihen und des Erzbiichofes hat man 
gewüthet” 2). 

Gegen den Erzbiſchof und die altgläubige Cleriſei entlud 
fich der ganze Unwille der Bauern. Noch am erften Tage 
begann der Sturm auf die mainzifchen Gebäude; die Gericht2- 
häufer wurden niebergeriffen, dad Zollhaus zerjtört, die main: 
ziihen Wappen zerichlagen. Der mainzische Vicedom Fonnte 
nur durch eilige Flucht fein Leben retten. Abends nahmen bie 
Haufen nach einer, wie es fcheint, vom Stadthauptmann em- 
pfangenen Weifung ?) ihr Quartier in den Moͤnchsklöſtern, 


auch verbengt und zugeben, daß fie Kirchen, Klöfter und laufen, auch ben 
Erzbifchöflihen Hof, Gerichts, Zoll und Henkers Haus, die Salt Kräme und 
fürderd indgemein faft alle Geiftliche und Häufer geftürmt unb geplünbert. 
Darüber auch der Nath fich vieler Kirchen, auch der Auguftiner Kirchen und 
Carmeliter Clöſter gemächtiget und guten Theil der Kirchen Schäße und 
Zierrath zu fi genommen ꝛc. und hat alfo der Ohngehorfam in der Stadt 
“Hegen ihre rechte Ober und Erbherrm je länger je mehr zugenommen. — 
Deutliche Anfpielungen auf die Schuld des Rathes enthält endlih auch 
Eoban's Klagedicht über jene Vorgänge (Farr, I, 50-5), wie an folgender 
Stelle, wo er den Rath für die flattgefundenen Berheerungen verantwort: 
lih macht: 
Viderit hoc, cui sunt urbis commissa regendae 
Munera, nos isti est odiosum insistere curae, 
Forsitan ille suo se jure tuebitur ordo etc. 1. c. 52. 
ı) Ein getrewe warnung ꝛc. D 5 a. 
2) Eob. et amic. ep. fam. p. 110. 
:) Vgl. Belenntniß bes Dalentin Töberitſch. Herrmann 1. c. p. 14. 


— 211 — 


während ein Ausſchuß in dem mainzer Hof feinen Sig auf- 
Ihlug. Am nächſten Tage kehrte ſich der Angriff der neuen 
Klojterbewohner gegen die katholiſche Geiſtlichkeit. Naubluftige 
Banden durchftreiften die Straßen, juchten die geiftlichen Woh— 
nungen auf, vertrieben ihre Einwohner und begannen zu plün- 
dern. Was der ſtädtiſche Pöbel früher noch verjchont, traf 
jet die vernichtende Gewalt der Bauern. Wieder waren es 
die Wohnungen der Canonifer, die vorzugsweile ald® Opfer 


augerjehen wurden. Mehrere Tage dauerte das Unweſen. Was 


man an Lebensmitteln und Wein erbeutete, wurde. in dem 
mainzer Hofe zufammengefchleppt und dort von den Bauern 
in wilden Gelage verpraßt. Auch die Kirchen blieben nicht 
verichont. Man beraubte fie ihres papiftiichen Schmuckes, zer: - 
trümmerte Bilder und Altäre, nahm werthvolle Kirchengeräthe 
ala Beute: aus dem Domjtift allein wurden hundert goldene 
und filberne Kelche geraubt. In der ganzen Stadt umher 
wurden die Zeichen des alten Cultus vernichtet: nicht einmal 
dag Bild des h. Martin, des alten Stabtpatrong, fand Gnabe. 
Gleichzeitig fielen die Zeichen der mainzifchen Herrfchaft und 
bie letzten Symbole des Fatholifchen Cultus 1). 

Alles dies geichah unter den Augen des Rathes, ohne daß 
von demjelben irgend ein Verſuch gemacht worben wäre, ber 
Zerjtörungswuth der Haufen Einhalt zu thun. Aber nicht 
genug, daß der Rath gejchehen Tieß, was zu verhindern bie 
Pflicht der Obrigkeit gebot: er machte aus feiner Gefinnung 
jo wenig Hehl, daß er ſich ſogar nicht fcheute, ſelbſt an der 
Plünderung Theil zu nehmen. Während die Bauern im Dome 


ı) Detail geben außer ben Chronifen: Eob. et amic. epp. f. p. 110, 
112, 117, die Rectoratsberichte von Remberti und Leuffer (E. U. M. ad a. 
1524 u. 25), Eberlin Ein getrewe warnung 2c., Eobani Farrag. I, 50-5, 
(eine poetifche Schilderung der angerichteten Verwüſtung) Faldenftein 1. c., 
Loſſius 1. c. 1, 147, Guden Hist. Erf. p. 223, Erhard Ueberl. I, 62 20. — 
Man erjieht übrigens, daß es in Erfurt nicht fo unſchuldig herging, wie 
Zimmermann Geſch. des Bauernkrieges III, 628 meint. 

14 * 





— 212 — 


— Kelchlefe hielten, nahm er für fich den filbernen Sarg, Der die 
Gebeine der Hl, Eobanus und Adelarius barg. Die von den 
Bauern erftürmten Fatholifchen Kirchen wurden von ihm fofort 
den Evangelifchen überwiefen und der Dom für den evange— 
iichen Hauptgottesdienſt beftinmt !). Er freute fich, Durch 
den Drang der Umftände entjchuldigen zu Finnen, was auf 
eigene Gefahr auszuführen er vorher nicht den Muth gehabt. 

Das Yang eritrebte Ziel, die Befreiung der Stadt von 
Erzbischof und Papſt ſchien mit Hülfe der Bauern erreicht. 

Eine merkwürdige Wendung der Dinge, daß eine Be 
wegung, deren erflärter Zweck der Sturz des biäherigen Regi— 
ment? war, gerade dem Plane der jtädtilichen Machthaber 
dienſtbar wurde, ihre Abftchten beförderte! Es gehörte die ganze 
Schlauheit und Gewandtheit des damaligen Patriciat3 dazu, 
um ein folches Refultat herbeizuführen. Indeß war es ein 
gefährliches Spiel, dad der Rath trieb. Dies follte er bald 
erfahren. 

Beinahe vierzehn Tage hatten die Bauern in der Stadt 
gelegen und zum Nuben und Frommen des Rathes ihr Un— 
wejer getrieben, als fich bei ihnen eine bevenfliche Stimmung 
gegen den Rath jelbft kundgab. Keineswegs Hatten fie, wie e3 
ih im Anfange anließ, ihre alten Befchwerden vergefien: 
nachdem der evangelifche Eifer in der Verfolgung der „Bifcho- 
fiſchen“ fich abgekühlt, traten jene wieder in ben Vordergrund. 
Loſe Buben, Hagt Eberlin, mifchten fich unter die Haufen und 
erhöhten die Aufregung burch dag Vorgeben, „die Herrn wären 
untreu.” Einige hundert Bauern, die im Peteröklofter Lagen, 
jtellten abermals ihre Forderungen in Artikeln zufammen. 
Eherlin, der überall zur Mäßigung rieth, machte Gegenvor- 
jtelungen, prebigte aber jeßt tauben Ohren. Hans Becke, einer 
ver Rottenmeifter, meinte jogar, man bebürfe gar feiner Inter: 


1) Lange wurde Domprediger, nachdem Cherlin das Ihm angetragene 
Amt abgelehnt hatte. Mob, et amic, ep. f. p. 112, 


— 213 — 


Handlungen mit den Rathöherren, man müffe „ihnen allen bie 
Köpfe hinweg jpringen laſſen“, wie fie es längſt verdient. 
Diefen Augenblid benußend, erhob ſich auch die Gemeine, 
welche die Annäherung des Landvolks an den Rath ungern 
gejehen hatte und indgeheim die Bauern aufgehebt zu haben 
fcheint. Handwerker und Landvolk vereinigten ſich zu einer 
gemeinjamen Eingabe ihrer Beſchwerden. Am 9. Mai rüdten 
Bürger und Bauern vor dad Rathhaus und verlangten unter 
Drohungen die Annahme von 28 Artikeln, welche ihre gemein- 
famen Wünfche und Beſchwerden enthielten). Abermals 
ergriff der Rath ein geſchicktes Auskunftsmittel, indem er, in 
ber Verzögerung dag Heil erblickend, Luther und Melandhthon 
nebft andern hochgelehrten, gottesfürcchtigen und chriftlichen 
Männern nad Erfurt einzuladen verfprach, um durch dieſe bie 
eingereichten Artifel mit Zuziehung der Gemeine prüfen und 
bewilligen zu Yaffen. Wirklich jchienen die Gemüther beruhigt, 
als der Rath, um alles Miktrauen zu entfernen, über feine 
Zufagen eine förmliche Urkunde ausftellte?). Schon am fol- 








ı) Die 28 Artikel, die nicht, wie Erbarb meint, erſt nad Beendigung 
bed Bauernkrieges eingereicht wurden, find zugleich mit Luthers Antwort 
mehrmals gedruckt, bei Loſſius 1. c. p. 305, Unfchuld. Nachr. Jahrg. 1723 
p. 1025 ff., zulegt De Wette-Seidemann VI, 61 ff. Aus ihrem Inhalt erficht 
man, baß die Abfaffung von der Gemeine ausgegangen if, denn hauptſäch⸗ 
lich find e3 die Beſchwerden ber Gemeine, die berüdfichtigt werden. — Die 
„loſen Buben“, welche Eberlin erwähnt, waren auch wohl nur Aufbeker aus 
der Gemeine. 

2) „Wir Rathsmeifter und Rath der Stadt Erffurtb befennen und thun 
fund Öffentlich mit diefem Brieffe: Nachdem fich bie Unfern in allen unfern 
Boigteyen, Pflegen, Dorffchafften und Landichaften zufammen gefammelet und 
fammt ber Gemein von Vierten und Handwerfern der Stadt Erffurth Uns 
etliche Articul, die Frohn, Dienft, Geſchoß, Ungeld, Weidgeld, Hols, Wende, 
Wildbahn, Fiſchweſen und anderes belangend, behänbigt und abzuthun, auch 
aufzurichten begehrt haben, daß wir biefelbe von ihnen angenommen, zuge: 
faget und vermwilliget, die Würbdigen, Hochgelahrten und Wellberübmten Doct. 
Martin von Wittenberg und Philippfen von Melanchthon, aud) anbere 
hochgelahrte und fonft Gottesfürchtige, fromme, redliche und chriftlide Män- 
ner darzuforbern und ſammt den verorbneten von Vierteln, Handwerkern unb 





— 214 — 


genden Tage erging eine Öffentliche Einladung an die beiden 
Häupter der wittenberger Kirche, jchleunigft nah Erfurt zu 
fommen und die neue Ordnung der Dinge gründen zu helfen ). 
Brivatichreiben von Eoban und Lange unterftügten dag öffent- 
fihe Geſuch?). Indeß bald genügte auch dies nicht mehr. 
Das Benehmen des Rathes wurde verdächtigt. Es kam zu 
einem neuen Tumulte, in dem der alte Rath völlig geftürzt 
und ein neuer, aus Volksmännern beftehend, an jeine Stelle 
gejebt wurde). Ein Zuftand völliger Anarchie trat jebt ein. 
Der neue Rath fcehritt zu den revolutionärſten Maßregeln. 
Die wenigen noch zurückgebliebenen Geiftlichen mußten flüchten. 
Auch die bisher ald unschädlich noch verfchonten Nonnenkflöfter 
traf jetzt das Schieffal der Plünderung. Vergebens erhob ber 
wacere Eberlin feine Stimme zu Gunften der Ordnung und 
Mäpigung®). Bon Münzer kam eine aufregende Einladung, 
an dem Vernichtungskampf gegen die Fürften Theil zu nehmen. 
Der Bauern Mebermuth kannte feine Grenzen. Es gab feine 
Sicherheit des Eigenthums und der Perſonen mehr. Da end- 
ih traf die Nachricht von der Niederlage des Bauernheeres 
bei Frankenhauſen ein und brachte ver Stadt Rettung. 

Die Nachricht von der Schlacht bei Franfenhaufen wirkte 
wie ein Donnerihlag In wilder Flucht brachen auf die 
jchredlihe Kunde die Bauern noch an demſelben Tage von 


gantzer Gemeine auf forderlichft folches fein mag, dieſelben Articul fürzu- 
nehmen, mit Fleiß beratbfchlagen, zu bewilligen 2.” D. D. Dienftag nad 
Aubilate (9. Mai). Bol. Motihmann Erf. Lit. 5. Samml. p. 709. 

1) Abgedruckt bei Sinnholb: De meritis Martini Lutheri etc. p. 18. 
Bel. Corp. Ref. I, 744. 

2) Vgl. Eob, et amic. ep. fam. p. 111. 

2) Die Einſetzung des neuen revolutionären Rathes muß am 13. ober 
14. Mai erfolgt fein, da nach den Chroniften fein Regiment nur brei Tage 
gebauert hat und gleich nach ber Schlacht von Franfenhaufen fein Sturz 
erfolgte. 

*) Er muß in diefen Tagen, noch vor ber Gataftrophe, die Stadt ver: 
lafſen haben, da fein Bericht ber letzteren nicht mehr gedenkt. 


— 215 — 


Erfurt auf. Der neue Rath verſchwand — nur drei Tage 
hatte fein Regiment gedauert — der alte trat von felbft wieder 
in fein Amt ein. Dann folgte die Reaction. Wie allenthalben 
hatte audy in Erfurt dad Mißlingen der Bauernerhebung eine 
Erjtarfung der obrigkeitlihen Gewalt zur Folge. Schwer mußte 
jet der Landmann für die furze Zeit ausgelaſſener Luſt büßen. 
Eine ftrenge Unterfuhung über dad Vorgefallene wurde ange- 
ordnet. Bald füllten ich die Kerfer mit Schuldigen und Ber: 
dächtigen. Manche vetteten ſich durch Flucht. Die vier Haupt. 
räbelsführer wurden nach mehrmaligem Verhör im Auguft auf 
der Wagt öffentlich enthaupte. Den ganzen Sommer und 
Herbit dauerten die Verhaftungen, Verhöre und Berurtheiluns 
gen fort. Da befam der Rath freilich auch Manches zu hören, 
über daS er Tieber den Schleier gebecft hätte. „Er habe nie 
anders gewußt”, befannte Meifter Joſt aus Tiefengruben, einer 
der Rotterrmeifter, „denn daß er durch fein Hereinziehen nad 
Erfurt, feinen Herrn, dem dafiegen Stabtrathe zu Dienften 
gezogen wäre!" ) Indeß ließ fich der Rath durch dergleichen 
Mahnungen in feinem Verfahren nicht beirren. Weber Er- 
barmen noch Schonung wurde jebt gegen die geübt, welche 
man eben noch als Werkzeuge zu benußen fein Bedenken 
getragen. Noch im Laufe der nächjten Sahre erlitten einige 
der Unglüdlichen die Todeöftrafe ?). 

Und auch für die Gemeine blieben die nachtheiligen Folgen 
nicht lange aus. An die Bewilligung der 28 Artikel war jebt 
nicht mehr zu denken. Der Rath erachtete fich durch feine 
früheren Zufagen nicht mehr gebunden, und machte jest auch 
der entmuthigten Volkspartei gegenüber fein Anjehen mit größe- 





— — — 


1) Herrmann Anecdota p. 21. 

2) Das Benehmen des Rathes, der als Richter über ſeine Mitſchuldigen 
auftritt, wird indeß dadurch erklärlicher, daß es in demſelben eine Minorität 
gab — Adelarius Hüttener, der erſte Rathsmeiſter, und Georg Friederaun 
gehörten zu ihr — die von Anfang an dem Bauernweſen feind geweſen. 
Möglich, daß jetzt die Minorität auf ſtrenge Beſtrafung drang. 


— 216 — 


rem Nachruf geltend, als jeit langer Zeit. Die wichtigften 
Dienfte leiftete ihm dabei Luther in Wittenberg. Verhin— 
dert, der an ihn ergangenen Einladung nad Erfurt Folge 
zu leiten, jandte Luther einige Monate jpäter — im Sep— 
tember — ein fchriftlicheg Gutachten über die ihm zuge— 
ſchickten Artikel, in dem er nicht nur entjchieden für den Rath 
Partei nimmt, jondern auch das ganze Benehmen der Gemeine 
in den jchroffiten Augdrüden verdammt. „E83 jcheint”, heißt es 
gleih im Eingang feines Schreibens, „als feien die Artikel 
von denen geftellt, denen zu wohl ift und (bie) ſich gebäucht 
haben, e3 ſei Niemand im Himmel und auf Erden, der ſich 
nicht vor ihnen fürchte, und wo ich in Erfurt gewaltig wäre, 
wolf’ ich der Artikel feinen laſſen gut fein, obgleich etliche gut 
darinnen wären, jondern müßten mir, zur Strafe ſolcher uner- 
hörter Vermeſſenheit und Frevel, aller folcher Artikel Wider: 
ipiel leiden und tragen”). In gleichem Geiſte find die dann 
folgenden Bemerkungen über die einzelnen Artikel gehalten. 
Einige werben jchlechtweg verworfen, andern jpöttifche Rand: 
gloſſen beigefügt, nur wenige finden Billigung, alle aber wer: 
den dem Gutdünfen des Rathes überwiefen?). „stem ein 
Artikel ift vergejfen”, mit diefer bitter ironiſchen Bemerkung 
Ichließt das Gutachten, „daß ein ehrbar Rath nicht? thue, Feine 
Macht habe, ihm nichts vertrauet werde, jondern fihe da wie 
ein Götze und Zyfra und laß ihm fürfauen von der Gemeine, 


1) Bal, De Wette- Seidemann I. c. VI, p. 60. Das Schreiben ift 
datirt Donnerſtag nach Lamberti (21. September) 1525. 

2) Nur einige Proben. Die im erften Artikel verlangte freie Setzung 
und Entfegung der Pfarrer durch die Gemeine wird ſchon im Eingang als 
aufrührerifch bezeichnet — freilich nicht ganz im Einflang mit dem früber von 
Luther jelbft (Walch X, 1860) den Pragern gegebenen Rathe —, ber vierte 
Artikel über „Holz, Wafler ꝛc.“ wird fchlechtweg verneint; zu dem fiebenten 
Artikel, „Daß der jetzige Rath Nechenfchaft gebe von aller Ausgabe und Ein: 
nahmen” febt Luther fpöttifh Hinzu: „Und daß ja ber Rath nicht Rath ſei, 
fondern ber Pöbel Alles regiere.“ Gebilligt aber werben die Artikel über die 
Abſchaffung des Frauenhauſes und die Wiederherftelung der Univerfität. — 


— 17 — 


wie einem Kinde, und regiere alfo mit gebundenen Händen und 
Füßen, und der Wage die Pferde führe und bie Pferde den 
Fuhrmann zäumen und treiben. So wird’3 denn fein gehen 
nach dem Töblichen Vorbild diefer Artikel). 

Diefe Antwort des Neformatord nahm den Bittitellern 
ihre Teste Hoffnung, vollendete und befeitigte den Sieg be 
Rathes auch Über die Gemeine. Luther hat es bewirkt, — 
fchließt der ſtädtiſche Chronift feinen Bericht über diefe Vor— 
gange — daß die Gemeine unterlag und bie alte Ordnung in 
Erfurt wieberhergeftellt wurde ?). 

Doch war die Wiederherftellung des alten Zuſtandes Feine 
vollftändige. Indem der Rath mit unnachfichtiger Strenge 
gegen Bauern und Bürger einfchritt und beide in das alte 
Abhängigkeitsverhältnig zurüchrachte, Tieß er nach einer andern 
Seite hin dad Reſultat der Bewegung vollftändig beſtehen. 
Nicht? von dem, was gegen die erzbifchöflichen Beamten, die 
altgläubige Geiftlichfeit und die katholiſchen Kirchen geſchehen 
war, wurde geahndet, Feine der an diefen verübten Gewalt: 
thätigfeiten wieder gut gemacht. Die vertriebenen Beamten, 
Canoniker und Mönche durften nicht zurückkehren, und taub 
war der Rath für ihre Vorjtelungen °). Weder in dem Dome, 
noch in einer andern der geplünderten Kirchen wurde der katho— 
liſche Gottesdienst wieder hergeſtellt. Die geraubten Kirchen: 
ichäße blieben, joweit fie nicht von den Bauern verjchleudert 
worden waren, im Befibe des Rathes: aus dem filbernen 
Sarge des Eobanus und Adelarius wurde Flingende Münze 
gejchlagen *). 


1) De Mette-Seidemann VI, 68. Loſſius 1. c. 318. 

2) Vgl. Hogel ad a. 1525. 

3) Val. Eob. ad Sturc. d. d. Idib. Aug. 1525. ,‚‚Canonici et mo- 
nachi adhuc omnes exulant, quamvis cogitent et sperent de reditu.‘“ 
Eob. et amic. ep. fam. p. 106. — Noch im Auguft war alfo Keiner ber 
vertriebenen Geiftlihen zurückgekehrt. 

+) Sogenannte Sargpfennige, bie noch Tange im Umlauf waren. Bol. 
Taldenftein I, 590, auch I, 59. 





— 218 — 


Man fieht: vollftändig eignete fich hier der Rath die Früchte 
der Revolution an. Er ging noch weiter. Nachdem eine lebte 
Nachleſe alles geistliche Geräth und überflüffigen Schmud aus 
den Kirchen entfernt und dem gemeinen Beften überwiejen hatte, 
verordnete ein Rathsbeſchluß fürmlich die Abſchaffung des alten 
Cultus in Erfurt und Entjeßung aller Fatholifchen Pfarrer. 
Ein neue? Pfarrſyſtem wurde eingeführt, dem zufolge mehrere 
Kloſterkirchen in evangelifche Pfarrkirchen umgewandelt wurden "). 
Es ergab fich, daß die Anzahl der vorhandenen Gotteshäufer 
die Firchlichen Bebürfniffe der Stadt bei weitem überftieg. Eine 
ganze Menge, neunzehn an der Zahl, wurden gejchloffen und 
ftanden leer. Eine neue, von Lange, dem nunmehrigen Doms 
prebiger, entworfene, von Luther beftätigte Kirchenordnung 
befiegelte die gejchehene Umwandlung ?). 

Im Herbſt 1525 erjchten Erfurt als eine unabhängige und 
rein evangelifche Stadt. Der Rath hatte Urjache, mit den 
errungenen Erfolgen zufrieden zu fein. Auch die Gemeine fing 
an, fih mit dem neuen Zuftande zu befreunven. Klagend aber 
ließ fi) Eine Stimme vernehmen: jchwere Anklagen erhob gegen 
die Stadt Eoban, al3 Sprecher der Univerfttät °). 








1) Schon zu Anfang Juni war dieſe Aenderung vorgenommen, da Eoban 
ihrer bereit8 in einem Schreiben d.d. Pfingften gedenft. ‚„‚Templa Mariae 
(Dom) Praedicatorum, Minorum, Scotorum, Regularium, Mercatorum, 
Augustinianorum, Andreae in parochias sunt redacta. Horae Cano- 
nicae prorsus nullae celebrantur, Missarum ritus aboliti, novi insti- 
tuti, Culsamerus mortuus est. Verbum strenue praedicatur.‘“ EKob. 
et amic. ep. f. p. 118. — Hiedurch geſchah wenigitend einem Wunſche der 
Gemeine Genüge, bie in dem erſten Artikel auch eine Aenderung der Pfarren 
verlangt hatte. 

2) Sinnhold De meritis M. Lutheri p. 18. De Wette I, 36. — 
Gleichzeitig ſchrieb Menius „Einen kurzen vnd eunfeltigen Unterricht” über 
Taufe und Abendmahl, weil darin „nicht alleyn mit groſſen vnd groben 
Vnvorſtandt, ſondern auch mit erſchrecklicher Vnachtſamkeit vnd Vnordnung 
gefahren“ worden. 

2) Vgl. Idyli. XVII. Erphurdia. De collapso Scholae et Reip. 
statu colloquuntur Erysiptolis, Nympha et Hieras fluvius. — Farrag. 


II. 


Nächſt der altgläubigen Geiſtlichkeit wurde die Univerſität 
durch die Ereigniſſe von 1525 am haͤrteſten getroffen. 

Wir jahen, wie tief fie bereit? bi zum Sahre 1524 ge- 
ſunken war. Vernachläffigt von ihren ehemaligen Gönnern, 
auf den Ganzeln verläftert, durch den Abgang von Lehrern 
und Lernenden verödet !), war fie faum noch ein Schatten von 
dem, was fie einft geweſen, ein Bild, wie Hagend ihre Annalen 
ausführen, der VBergänglichkeit irdifcher Größe. Die alten 
gefeterten Namen, an die fich vornehmlich ihr Ruhm knüpfte, 
waren bis auf wenige verſchwunden. Schon ging in der Terne 
dad Gerücht von einer gejchehenen Auflöfung der alten Uni- 
verfität Erfurt ?). 

Es Hatte eine Weile den Anfchein, als würde der Bauern- 
aufruhr dieg Gerücht zur Wahrheit machen und durch raſchen 
Tod das traurige Siehthum beendigen. Iſt dies auch nicht 
gefchehen, jo wurde doch durch die Vorgänge von 1525 die 
Univerfität ihres letzten Zaubers entkleivet und die Hoffnung 


nn — — — 


1, 50 s4q. Die Abfaſſung dieſes Gedichts fällt aller Wahrſcheinlichkeit nach 
in die letzten Monate des Jahres 1525. 

1) Die Abnahme der jährlichen Ammatriculationen veranfchaulicht fol- 
gende Weberficht : 

E3 wurden immatriculirt vom 1. Mai 1520 613 1. Mai 1521 — 311. 


» m „ n „ 121 _ „ 4922 — 1%0. 
„m " n „ 192 „ „ 13— 7. 
„ 1523, „ 14 — 34. 
„ n » „ „ 12 „ „ 195 — 4. 
„on „ „ „ 185, „ 126 — 21. 

" 1526 „ 1527 — 14. 


s) Dal. Heumann Doe. lit. p. 303. Jacob Montanus empfiehlt im 
März 1525 dem Pirfheimer einen Züngling, ber bisher in Erfurt ſtudirt, 
dort aber wegen ber Abrogatio Gymnasi feine Studien nicht mehr fort- 
feken könne. — 


— 





— 220 — 


vollſtändig vernichtet, ſte jemals wieder zu ihrer alten Bedeu— 
tung erheben zu können 1). 

Es wiederholten fich nach dem Einzuge der Bauern zunächſt 
die Scenen von 1510 und 15241. Angriffe auf Berjonen und 
Eigenthum der. Univerfität gingen, mit den Gewaltthätigfeiten 
gegen den Clerus Hand in Hand: fie mußten jchon dadurch 
herbeigeführt werden, daß ein großer Theil der Lehrer dem 
geiftlichen Stande angehörte, oder als altgefinnt verhaßt war. 
Die amtlichen Aufzeichnungen aus diefer Zeit enthalten Nicht?, 
als Klagen und wehmüthige Betrachtungen über die von den 
aufrühreriichen Bauern verübten Zrevel?). Unſicherheit und 
” Verwirrung waren fo groß, daß ſogar die herfömmliche, auf 
den 2. Mai fallende Rectorwahl unterblieb.. Eine große Anzahl 
Zehrer flüchtete fi aus der Stadt; ihnen folgte der geringe 
Reſt von auswärtigen Stubirenden, der ſich noch an der Uni- 
verjität befand. Auch Ufingen, der unter allen bisherigen 
Angriffen jo mannhaft ausgehalten, wurde in diefen Tagen 
feinem Verſprechen, nie in Erfurt den Feinden das Feld räu- 
men zu wollen, untreu: nie hat er die damals verlaſſene Stabt 
wiedergefehen. — Dad Sturmläuten der Bauern Klang wie 
Grabesgeläut für die Univerfität. — 

Aber der Sturm währte nicht lange genug, um dad Werk 
ver Zerftörung zu vollenden. Der Tag von Franfenhaufen 
befreite auch die Univerfität von ihren Bebrängern. Von den 
Geflüchteten Tehrten Einige nach hergeftellter Sicherheit alsbald 
zurüf. Am 22. Mai jchritt man nachträglich zur Wahl eines 
neuen Rectors — aber wohl noch nie war eine Rectorwahl 
unter jo geringer Theilnabme gejchehen. An die Spite der 


1) Bezeichnend genug hören auch um dieſe Zeit die Halbjährlichen Nector- 
wahlen auf. Rembert Remberti war ber Erfte, der das Rectorat während 
zwei Semefter verwaltete. Mangel an Bewerbern um bie crite alademiſche 
Würbe feheint der Hauptgrund diefer Aenderung geweſen zu fein. 

2) Die beiden Rectoratäberichte von Remberti und Leuffer befchäftigen 
fich ausfchließlich mit dem Bauernaufftande E. U. M. ada. 1624 u. 1525. 


— 221 — 


Univerſität trat Anton Leuffer, ein alter, erfahrener Rechts⸗ 
gelehrter, den indeß weder Alter noch Gelehrſamkeit gegen die 
Gewaltthätigfeiten der Bauern geſchützt hatte!). Man fchöpfte 
neue Hoffnung: gegen den früheren Zuftand wenigſtens jchien 
eine VBerfchlimmerung kaum noch möglich. Namentlich verſprach 
man fich Vortheilhaftes für die Univerfität von der Energie, 
mit welcher der Rath gegen die Empdrer verfuhr. Allein in 
diefer Hoffnung jah man ſich bald bitter getäuscht. 

Denn der Reftaurationgeifer des Rathes erftreckte ſich mit 
nichten auf die Univerfität und ihre Angehörigen. Vielmehr 
jollte auch für fie, wie wir Gleiches bereitß bei dem Klerus 
wahrnahmen, die Reaction noch gefährlicher werden, als jelbit 
die Revolution. Wie verderblich letztere auch gewirkt haben 
mochte, die Abfichten ihrer Leiter waren doch, wie bald zu Tage 
trat, keineswegs feindfelig gegen die Univerfität gerichtet, Einer 
der am 9. Mai eingereichten Artifel — der dreiundzwanzigſte 
in der Reihe — verlangt fogar ausprüdlich, daß „eine Löbliche 
Univerfität” wieder in den alten Stand geſetzt werde?). Auf 


. 2) „Immodicum ab rusticis passus‘“ heißt e8 von ihm in dem Liber 
rationum ad a. 1525. — Seiner Wahl gebenft der Rectoratzbericht (E. U. 
M. ad a. 1525) mit folgenden Worten: ‚‚Posteaque paucula pax mem- 
bris gymnasii reddita fuerat, non revera postridie divorum Aposto- 
lorum Philippi et Jacobi, ut ab antiquo mos erat, sed vicesima se- 
cunda Maji anni MDXXV congregatis reliquiis gymnasil in auditorio 
celebri B. Mariae Virginis pro eligendo novo Rectore... in annuum 
Gymnasiarcham designatus est venerabilis et doctus magister Antho- 
nius Leuffer Erfordianus juris utriusque Bacularius, Collega Scholae 
Jureconsultorum, Sacerdos Severianus etc.“ Seine Wähler waren 
Schoenemann, Ceratinus und Joh. Elliger. 

2) „tem, unfere Bitte ift, fürberlih darnach zu trachten, bamit eine 
löbliche Univerfität, wie bievor gehalten, aufgerichtet möchte werden.“ De 
Mette-Seidemann VI, 66. — Eoban fehreibt deshalb am 10. Mai an Sturz: 
„Scholae nostrae Erphurdianae summo conatu omniumque vetis con- 
sultum cupit et vult populus et quasi cogit senatum in ea re jam 
dudum desidem et cessantem adhibere operam et impensas, ut deso- 
lata schola instauretur,““ 


— m — 


ben gemeinen Mann wirkte in ruhigeren Augenbliden immer 
noch die Erinnerung an den alten Glanz der Univerfität und 
den Ruhm, welchen Erfurt wegen feiner Schule einft im ganzen 
Vaterlande genojjen hatte ). Anders dachte die Rathspartei. 
Luthers anerfennende Bemerkung zu jenem Artikel — er bezeich- 
nete denjelben als den „allerbeiten” — fand bei ihr feine 
Beachtung. Was einſt Gegenftand des patriciichen Ehrgeizes 
geweſen, wurde jetzt mit mißtrauiſchem Auge betrachtet, ſogar 
Acte entſchiedener Feindſeligkeit traten an die Stelle des Wohl- 
wollens, welches durch das Beiſpiel der Vorfahren gegen die 
Univerſität zur Pflicht gemacht wurde. Klagend berichtet, erſt 
einige Tage nach Beendigung des Aufſtandes, Eoban ſeinem 
Freunde Sturz, daß er durch den Rath ſeiner bisherigen Ein— 
fünfte beraubt worden! ?) 
Es war wieder die gegen Mainz gerichtete Unabhängig- 
> feitöpolitit des Rathes, der auch dieſes Verhalten gegen die 
Univerfität entfprang. Obgleich durch ihre Gründung ber Stadt 
angehörig und von dem Nath gefliffentlich immer als „feine“ 
— Schule bezeichnet, ftand die Univerfität in jenem Kampfe gegen 
Mainz doch keineswegs auf Seite ded Rathes. Die Würde 
eines „ewigen Canzler3”, welche ihre Statuten dem Erzbifchofe 
jicherten, hielten fie immer in einer gewiffen Abhängigkeit von 
dem mainzer Stuhle, die in früherer Zeit namentlich durch den 
Einfluß der beiden Stifter gefördert worden war ?). Erzbifchof 


1) Spuren ber weitverbreiteten Popularität der erfinter Schule finden 
wir auch in den VBollsbüchern jener Zeit, wie 3. B. im Reineke Vos. — Wie 
4525 fo Hatte das Bolt auch bei der Revolution ded „tollen Jahres“ feine 
Sympathien für die Univerfität an den Tag gelegt, indem die neue Regi⸗ 
mentzorbnung fie in der forgfamften Weife in Schuß nimmt. Bol. Falcken⸗ 
ftein 1, 535. 

2) Eob. et amic, epp. f. p. 118. Natürlich fonnte der Rath Eoban 
nur ben Theil des Gehaltes entziehen, den derjelbe von der Stabt bezog. 

3) Vgl. Motſchmann Erf, Lit. Zweite Samml. p. 184 fi. Erſte Fortſ. 
p. 41. Die beiden Stifter befeßten mehrere Profejiuren, indem Bonifaz VIII. 
ſchon 1396 vier Canonicate als Loctoralpräbenden der Univerfität incorporirt hatte. 


— 228 — 


Albrecht Hatte ſich überdies, als eifriger Beförberer der neuen 
Studien, den Danf aller Humaniften verdient). Dazu kam 
jest noch das kirchliche AInterefje, welches den Lehrern der Uni⸗ 
verfität, die größtentheilß dem alten Glauben fich wieder zuge- 
wandt hatten, die Aufrechthaltung der frühern Verbindung mit 
Mainz gebot. Bedurfte ed noch weiterer Gründe für ven Rath, 
um gegen die Univerfität feindfelig gu verfahren! 

Unter diefen Umftänden mußte erfolgen, was erfolgt tft. 
Erſt durch die Reaction erreichten die Mißgefchiefe der Unis . 
verfität ihr volles Maß und die lebten Dinge wurden ärger, 
als die eriten. Im Herbit 1525 gewährte die einft jo blühende 
Schule den traurigiten Anblick. Der größte Theil ihrer Lehrer 
lebte im Eril. Die Anftrengungen der Zurücgebliebenen waren 
fruchtlog geblieben. Die Wiedereröffnung ded großen Colle- 
giums, welche der eben von feinen Srrfahrten wieder heimge- 
fehrte Ceratinus vornahm ?), konnte wohl die alten Zeiten 
noch einmal in’? Gedächtniß zurückrufen, fie aber nicht zurück⸗ 
führen. Verödet und verlaflen ftanden die Hörſääle. Eoban 
war faſt der Einzige, der noch regelmäßige Vorleſungen bielt ?). 
Magifterpromptionen fanden das ganze Sahr hindurch nicht 


— — 


1) Coban's Sympathien für Mainz bat bereits Loſſius 1. c. p. 182 
wahrgenommen. — Dieſe Verwickelung der Univerſität in die politiſchen Hän⸗ 
del der Stadt vollendet ihre Erniedrigung: ihre fernere Geſchichte bildet nur 
einen Theil der Geſchichte der ſtädtiſchen Parteiungen. 

2). Vgl. Loeneysen Series Magnificorum Rectorum continua suc- 
cessione ab a. 1392 ad a. 1614. Erf. 1614. E3 a. Die Wiedereröffnung 
geſchah ‚‚sundentibus hoc Collegis‘“ am 15. October 1525. Die verfchie: 
denen Nachrichten über Geratinus und feine Schidjale im Jahre 1525 (Vgl. 
Epp. Erasmi ed. Basil. p. 721. 722, € U. M. ad Rect. Remberti 1525, 
Eob. et amic. ep. fam. p. 42, Heumann Doc. lit. 213. 214, Loeneysen 
1. e.) find ſchwer in Einflang zu bringen, fo daß man faft verfucht wird, 
an ber Sdentität der Perfon zu zweifeln, wogegen ſich indeß eben fo wichtige 
Gründe von anderer Seite erheben. 

s) „Schola quidem nostra vix meam ei eam valde languidam 
vocem trahit.“ Eoban an Sturz. Eob. et amic. ep. fam. p. 106. 


— 94 — 


mehr ftatt!). Einſt war die Anzahl der Lehrer größer geweſen, 
als zu Ende 1525 die Zahl der Studirenden! 

Welch' ſchmerzliches Wiederſehen war es, als Camerarius, 
damals auf kurze Zeit nach Erfurt zurückkehrend, ſeinen Eoban 
in dieſer traurigen Verlaſſenheit fand!?) Traurig verweilten 
die beiden Freunde bei der Betrachtung vergangener Zeiten, 
die ihnen günſtiger geweſen. Selbſt des Cordus harter Sinn 
wurde zur Wehmuth geſtimmt, wenn er aus der Ferne auf 
die kläglichen „Reliquien“ der alten Genoſſenſchaft hinblickte *). 

Es war in Erfurt feine Stätte mehr für fie. In den 
legten Monaten 1525 und in den erften des folgenden Jahres 
jehen wir die legten Glieder de3 alten Bundes die Stabt ver: 
laffen. Schon im Detober 1525 ſchied Hunus, erſt vor einigen 
Monaten von feiner frühern Wanderung zurüdgefehrt, um nie 
wieder zurüdzufehren *). Es ſchied Sturz, den es immer \wie- 
der nach Erfurt zurücgezogen hatte, zum dritten Mal: die 
legten traurigen Ehrfahrungen hatten feine alte Vorliebe fir 
die Stadt grünblid) zeritört °). Auch Bonaemiliug, der eifrige 
Streiter für die Wiffenjchaft, dem Eoban in feinen Dialogen 
ein ehrendes Denfmal geſetzt bat, räumte damals das Feld, 
um im fernen Norden, bei Erotu in Preußen fein Glück zu 








1) Vgl. Matric, facult, art. ad a. 1525. — ‚‚Roga lector‘‘, flieht 
ber fromme Rector Leuffer feinen traurigen Bericht, ‚„„elementissimum deum, 
indignitatem nostram mutet omniaque bene vertat, si non in utriusque, 
quod discupimus, attamen in interioris hominis salutem.“ EU M. 
ad a. 1525. 

2) Vgl. Lib. alter epp. Eoh. C3 bh. 

s) Vgl. Cord. Opp. 202. Er bezeichnet Lange, von befien Abfall er in 
ber Ferne nicht? wußte, Eoban, Petrejus und Hunus als „Nostrae reli- 
quiae sodalitatis, postquam cetera dissipata turba est,‘ 

*) Vgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 107. Auch Hunus war fein Gehalt 
entzogen worden. Er unternahm in den nächften Jahren eine Reife nach 
Italien und erjcheint fpäter ala Arzt von bedeutendem Ruf in Graz. — 

5) Vgl. Eob. et amic, ep. f. p. 6. Er zog fih nad Joachimsthal 
auf feine Güter zurüd, 


— 225 — 


verſuchen ). Endlich verließ auch Eoban's älteſter Genoſſe 
Petrejus, durch die letzten Erfahrungen tief gebeugt, die undank⸗ 
bare Vaterſtadt: wo er ſeine neue Heimath gefunden, wußten 
nicht einmal feine nächſten Freunde ?). 

Am längiten widerjtand Eoban. Doch endlich brach aud) 
fein Muth zufammen. | 

Eoban hatte trotz der bitteren Erfahrungen noch längere 
Zeit die Hoffnung genährt, daß der Reſtaurationseifer des 
Rathes fih am Ende doch auch der Univerfität zuwenden werde. 
Um fo größer war fein Unmuth, als er zulegt feine Täufchung 
inne wurde’). Mit ganzer Seele hatte er an der Schule 
gehangen, deren Ruhm mit dem feinigen innig verfnüpft war: 
nun, da fie von ihren natürlichen Beſchützern völlig preisgegeben 
wurde, gab auch er fie auf. Die Stadt war ihm fchon längſt 
verleidet; die Tumulte des Poͤbels, die Räuke des Raths ver- 
legten die Seele des harmlojen Gelehrten auf’3 tiefite ): jebt 
wurde ihm dag Leben in Erfurt. vollends unerträglih. Bon 
feinen treueiten Freunden ſah er fich verlaffen. Armuth und 





1) Schon im März 1526 erjcheint er bei Crotus in Königeberg. Tert. 
lib. epp. F 3 a. — Bon ihm fagt Eoban (Epp. fam. p. 233), daß er 
geweſen fei: Armatus in amusos, dentatus adversus ineruditos decla- 
matores. 

2) Eoban vermuthete ihn im Herbſt 1526 in Würzburg, im Dienſte des 
Biſchofes. Lib. nov. epp. CA b. 

2) „Satis video“, ſchrieb er am 23. October an Sturz, „quorsum 
attineat ista tam praeclara instauratio, eo scilicet, ut nihil demum 
sit, quod instaurari possit amplius. A nobis incoeptum est Sturciade,- 
nam, ut scis, excidimus et ipsi salario praetoriano.‘‘“ Eob. et anıic. 
ep. p. 9. 

*) Klagen darüber finden fich ‚namentlich in der ſiebeniehnten Idylle, 
aus der hier nur eine Stelle: 

Et memini et meminisse dolet, quia nulla supersunt 
Temporibus nostris priscae vestigia laudis, 
Usque adeo concessit amor probitatis et aequi, 
Inque locum subiere nefas, dolus, arma, libido, 
Insidine et victae expultrix discordia pacis, - 
Eob. Farr. I, 51. 
Kampfchulte, Univerfität Erfurt. IL Theil. 15 


Dürftigfeit waren fein 2008 und wurden von Tag zu Tag 
drüdender *). Sein Entſchluß war gefaßt: nicht länger mehr 
an dieſem Drte des Jammers zu verbleiben. 

Schon gegen Camerarius hatte er, bei deſſen Anweſenheit, 
den Wunſch geäußert, ein Lehramt in Nürnberg zu übernehmen, 
wo eben damals der Rath eine höhere Stabtichule zu gründen 
beabfichtigte. Sein Wunſch blieb nicht lange unerfüllt. Vor⸗ 
nehmlih durch Melanchthon's weitreichenden Einfluß geſchah 
es, daß die Wahl des nürnberger Rathes auf Eoban fiel. 
Unterhandlungen wurden mit ihm angefnüpft und führten raſch 
zum Ziel. Noch vor Ablauf des Jahres 1525 erklärte ſich 
Eoban zur Annahme des ihm unter jehr günftigen Bebin- 
gungen augetragenen Lehramtes bereit?). Bon Seite des 
erfurter Rath geſchah Nichts, um den ehemals gefeierten Leh— 
ver zurüdzuhalten. — Am erften Mai de folgenden Jahres 
verließ Eoban nicht ohne Wehmuth die Stabt, an die ihn die 
theuerften Erinnerungen fnüpften. Doc die Theilnahmlofigfeit 
und Kälte derer, von denen er fchied, und die Augficht auf eine 
befjere Zukunft halfen ihm den Abſchied erleichtern °). 

Mit Eoban’3 Abgang war die lette Hoffnung der Uni- 
verjität geichwunden. Nur mit Mühe bewahrten die wenigen 
zurücdbleibenden älteren Lehrer fie vor völliger Auflöfung, und 


ı) Vgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 121, 115. Lib. alt. epp. C5 a. 
Er lebte faft ganz von der Mildthätigfeit des Sturz. Nachdem ihm der 
Math feinen Gehalt entzogen hatte, reichten feine übrigen Einkünfte, feiner 
eigenen Angabe zufolge, kaum für Waſſer und Brob Bin. 

2) Er nehme die Stelle an, erflärt er in dem Schreiben an den nürn⸗ 

berger Rath, „‚quoniam et ego tota vita nullis aliis in rebus praeter 
litterarum studils versatus sum et in hac nostra civitate fatali (opi- 
nor) horum temporum tumultu minus florent.‘“ Eeb. et amic. epp. 
fam. p. 38. 

3) Wie fehr indeß auch jebt noch fein Herz an Erfurt hing, zeigt ber 
Brief, den er ſchon am Tage nad) feiner Abreife, von Arnftabt aus, an ben 
zurüdgebliebenen Gröningen ſchrieb. Kaum habe er fich, gefeht er dem 
Freunde, geftern ber Thränen erwehren fönnen. Vgl. Narratio de Eob. et 
epistolae P A b. 


— 9 — 


pflanzten noch Maternus, Groͤningen und Herebold die alten 
Traditionen fort ?). 


DL 


Mar es ein Spiel des Schickſals, daß faft in den nämlichen 
Tagen, als Eoban von Erfurt aufbrach, der Mann, mit befien 
Namen der nun völlig zu Grabe getragene Ruhm der Univerfität 
auf das innigfte verfnüpft war, aus dieſem Leben abgerufen wurde? 

Wenige Wochen vor Eoban's Abreiſe ftarb Conrad Mutian, 
der Vater des erfurtiihen Humanismus. Bitter und kummer⸗ 

- vol waren feine Ichten Tage: wohl Keiner hat den herben 
Wechſel fchinerzlicher empfunden, als er. Widmen wir ihm 
an diefer Stelle noch einen Augenblick unjere Aufmerkſamkeit. 

Unfere Erzählung verlieh ihn, als noch die Tutherifche 
Bewegung unmwiderftehlic, Alles mit fich fortriß. Auch Mutian 
war nicht zurückgeblieben. Jene merkwürdige, innere Umwand⸗ 
lung, die noch während ber reuchliniichen Fehde mit ihm vor— 
gegangen, hatte zwar feinen frühern gehäfligen Ausfällen gegen 
Kirche und Elerus ein Ziel gejeßt, feine Seele milder und 
ruhiger gejtimmt?), aber ihn keineswegs zu einem Freunde 
der alten Kirche gemacht. Luther? Auftreten begrüßte er als 
bie Morgenröthe einer Firchlichen Wiedergeburt und mit Teb- 


ı) Eoban's engerem Kreife gehörten die Genannten nit an. — Coban 
Draco, der am Tage nad) Eoban's Abreife zum Rector gewählt wurde, war 
kaum zu bewegen, biefe Würbe anzunehmen. Ueber feine Amtsführung 
berichtet er felbft: „„Hanc Monarchiam inter haee longe horrendiss. 
Christianae reipublicae pericula perpetuo anno ita ut potuit, dum 
quod maxime vellet minime liceret, administravit, ut animum saltem 
suum in remp. litterariam Aequum et amicissimum et minime ignavum 
testaretur.‘“ €. U. M. ad a. 1526. 

2) Doch tritt die alte Spottjucht auch nach jener Umkehr noch einigemal 
bervor, fo in bem von Förſtemann mitgetheilten Briefe an Jonas d. d. 
Quintil. 1517 (Vgl. Neue Mittheil, des thür. ſächſ. Vereins Bd. II. H. IV. 
©. 162) und noch mehr in den noch ungebrudten (auf ber Königl. Bid. in 
Münden befindl.) Briefen an Lange, mit bem er 1517—%0 in lebhaften 
Briefwechfel fand. — 0 


‚15° 


— 228 — 


haftem Beifall verfolgte er ſeine erſten Schritte. Luther wurde 
der Mann ſeines Herzens, wie einſt Reuchlin. Daß ſich dem 
Myſtiker der humaniſtiſch gebildete Melanchthon — der es nicht 
verſäumt hatte, dem gefeierten gothaiſchen Canoniker alsbald 
ſeine Huldigung darzubringen — als Gehülfe beigeſellte, erhöhte 
noch ſeine Theilnahme, ſteigerte ſeine Hoffnung !). Wir haben 
bereits erfahren, von welchem Einfluß ſeine Geſinnung auf die 
Haltung feiner Schüler war. Er ſah es gern, wenn Jünglinge 
aus feiner Umgebung nach Wittenberg gingen, um dort an der 
Duelle des neuen Leben? jelbft zu trinken ?). Freudig vernahm 
er die Nachrichten, welche ihm jein treuergebener Spalatin vom 
hurfürftlichen Hofe über den Fortgang der guten Sache zufome 
men ließ ?). Und al Friedrich der Weife im Anfang 1521 
bei Wiederbejegung der durch Goede's Tod erledigten Präpo— 
fitur am Allerheiligenftift Mutian's Rath einholte, va empfahl 
diejer gerade denjenigen unter feinen Schülern, der fich vor 
Allen durch feinen Eifer für Lurher bervorthat, den jungen 
Juſtus Jonas; als Luthers Liebling, als ein zweiter Luther 
ſchien Jonas ihm der Würdigſte +). 

Indeß auch Mutian's Lob ſollte bald verſtummen und 
Bitterer Unmuth der anfänglichen Begeifterung folgen. Schon 
im Laufe des J. 1520 waren Bedenken- in ihm aufgeftiegen °), 








1) Wie fehr ihn Melanchthon eingenommen, unb wie große Hoffnungen 
er auf benfelben fette, zeigt fein Brief an Menius d. d. 8 Id. April 1519. 
„Scripsit (Melanchthon) ad me nuper dissertissime, et quod summae 
voluptati mihi fuit amicissime, Vidi, vidi, vera esse, quae in annota- 
tionibus Evangelicis de hoc juvene Suevo Erasmus praedicat: Nihil tam 
abditum in litteris, quod hunc praetereat.‘“ Xenbel Bel. epp. Mut. p. 36. 

2) Vgl. Mut. ad Men.1. c. p. 37. 

2) Bol. Tert. lib. epp. D2a,C5au.a. 

*) Bol. Mutian’3 Empfehlungsfchreiben an den Churfürften d. d. Cal. 
Mart. 1521 im Corp, Bef. I, 391, wo aud fein Gratulationzichreiben an 
Jonas, ber die von Mutian felbft abgelehnte Stelle wirklich erhielt. Der 
Ehurfürft Hatte ihn Schon am 12. Febr. dringend gebeten, Goede's (F 21. San.) 
Stelle felbft zu übernehmen. Tentzel Rel. epp. Mut. p. 36. 

*) Vol, Epist. Croti ad Luth. d. d. Erf.w. Dec. 1520. Unfdulb, 


— 9 — 


ſie mehrten ſich im folgenden und ſteigerten ſich noch vor 
Ablauf dezjelben bis zu einer vollftändigen Verwerfung des 
Zutherihen Unternehmens. Luther? Angriffe jchienen ihm zu 
verwegen, die ganze Bewegung zu revolutionär, zu radical. 
Statt der gehofften Reformation fand er gewaltfamen Umfturz, 
unabjehbare Verwirrung. Er mißbilligte das Heraufbejchwören 
ver Keidenjchaften des großen Haufen? und fand, daß wahre 
firchliche Neformatoren noch niemals eine jo Teidenjchaftliche 
Sprache geführt hätten, als Luther; er war keineswegs über- 
zeugt von der Nothwendigfeit eines  vollftändigen Umfturzes 
der alten Kirchenverfaffung, wie ihn Luther lehrte. Erſchreckt 
durch den Abgrund, den die Zerjtörungzluft der Neuerer vor 
ihm eröffnete, zog er fich zurüd. Noch nie zuvor war ihm bie 
alte Kirche, die Religion der Bäter jo ehrwürdig erichienen, als 
ießt, wo fich Alles zu ihrem Sturze vereinigte Er brach mit 
Crotus und Lange, wie er früher ſchon mit Hutten gebrochen. Er 
wandte jich ab von Luther, deſſen Berirrungen er beflagte. Sein 
Entſchluß Stand feft: troß ihrer Mängel bei ver Mutterfirche zu 
verharren, gegen die er früher jo wenig findlichen Sinn gezeigt"). 


Nachr. Jahrg. 1723 p. 708. Doch erflärt er noch einige Monate fpäter in 
einem Briefe an Lange die Gerüchte über feinen Abfall von Luther, unter 
Hinweifung auf feine bisherige Haltung, für falih. ‚‚Adeone umgo0opoı 
sunt molitores isti rerum novarum, ut credant Lutheranis inimicum 
esse Rufum? — Ego sum vester.‘‘ (M. ©. ver Kgl. Bibl. in Münden.) — 

1) Sehr naiv fpricht fich fein Landsmann, der heſſiſche Chronift Lanze, 
über feine Firchliche Haltung aus: „Vnd boruber ſich wol zu verwundern 
were, ob er gleich die gnadenreiche zeit neben vielen andern auch erlebet, in 
welcher Gott der Herr fein heyfiges und allein feligmachenbes Euangelium 
ben Teutſchen offenbaret, und er borzu auch one das etlicher mafen verſtan⸗ 
den, das ber rechte Gottesdienft gefallen, und er derwegen folichem eingerifje- 
nen falfchen Gottesdienft und Aberglauben fpinnen feind geweſen zc. (folgen 
einige Beifpiele). So hat er erzaltö unangefehen doch folcher Iere nicht gant 
wollen beifallen, fondern wenn er ven andern deßhalb angefprocdhen vnd befragt 
worden, bat er nihe anders geantwortet, wider Tu videbis, du wirft es ſelbs 
fehen vnd erfahren, dorbey hat er’& bleiben laſſen. So babe ih auch in fei- 
nem Ambrofio fouiel gefunden, das Ime das erfte heftige fchreiben D. M. 
Luthers mipfallen. Den wo fich ber angezogene Biſchoff gelinder vnd mefliger 


— 0 —. 


Seitdem aber verlebte er traurige und fummervolle Tage. 
Diefe letzte herbe Enttäufhung ſchien Muth und Kraft voll: 
ftändig in ihm gebrochen zu haben. Seine eigene VBergangen:- 
heit Yaftete jchwer auf ihm. Blickte er auf fein früheres Leben 
zurüd, dann mußte er fich gejtehen, daß er jelbjt die gegen: 
wärtigen Sreigniffe hatte vorbereiten helfen. Dieſer Gebante 
verbitterte feine Tage und vaubte ihm die Zuverficht und Freu— 
digkeit, womit Gefinnungdgenofjen von ihm damals für die alte 
Kirche in die Schranken traten. Einſt hatte er bloß aus grund: 
Iofer Scheu ſchriftſtelleriſches Auftreten gemieben: jet ſah er ſich 
auch durch die Frucht feiner Thaten zum Schweigen verurtheilt. 

Zwar verließ fein hoher Gönner, Friedrich der Weife, ihn 
auch jeßt noch nicht. Ebenſo blieb Spalatin, des Churfürften 
vertrauter Rathgeber, ſeinem Lehrer in unveränderter Liebe 
zugethan. Uber Mutian wich ängitlich allem Verkehr mit 
Wittenberg aus. Spalatin’3 freundliche Briefe ließ er unbe- 
antwortet und gleiches Schweigen beobachtete er gegen den 
Churfürften ſelbſt. „Fortwährend quält und böjer Argwohn“, 
Ichreibt ihm Spalatin einmal, fichtlich betrübt, „jo lange du 
bei diefem Schweigen gegen unſern gütigen Fürſten verharreit, 
der von ſolchem Wohlwollen gegen dich durchdrungen ift, daß 
er dir Alles, wa3 du nur wünjcheft, gewähren würde. — Du 
glaubft es kaum, wie gern der Churfürft von dir Tpricht, wie 


wort gebraucht, da hat er mit feiner hand allenthalben binbeigezeichnet, Uti- 
pam sic fecisses Lutherus Doraus fteht wohl abzunemen, was Inen 
aufgehalten vnd verhindert habe. Ob er aber darzu fug vnd recht gehabt, 
befehle ich mehr wifjenden zu vribeilen.” Vgl. Lauze's Chronik in der Zeit: 
ſchrift des Vereins für Hell. Geld. 2. Suppl. 2. Theil, J. p. 121— 22. 
Etwas anders urtheilt ein zweiter, ebenfalls Mutian naheftebender Zeitgenoffe, 
Georg Wicel, ber ihn (in der: Apologia das ift ein vertedigungsrede Georgii 
Wicelii widder feine affterreber die Lutheriften. Leipzig 1533) zu den großen 
Männern rechnet, bie wie früher Tauler, Gerjon, Alliaco, Wefel und fpäter 
Reuchlin, Erasmus, Beatus Rhenanus 2c. zwar bie Mängel ber Kirche erkannt 
und gerügt, aber um bed Mißbrauchs Willen ben Brauch nicht aufgegeben 
hätten. Vgl. auch Sedendorf 1, c. p. 57, 231, 


— 2831 — 


ſehr er dir gewogen ift” *). Aber Spalatin's Vorſtellungen blieben 
fruchtlos. Selbft, daß der Churfürft ein eigenhändiges Schreiben 
an ihn richtete und um Antwort bat, hatte feine Wirkung ?). 

Auch von der wittenberger Univerſität wurde Mutian 
troß feines Abfall3 Anfangs mit fchonender Rückſicht behandelt. 
Dean Hütete fich, unnöthigerweile einen Mann herauzzufordern, 
bejfen Anfehen noch immer groß war. Luther hatte mit Eras⸗ 
mus, Mutian's Genofjen im humaniſtiſchen Triumvirat, bin- 
länglich zu thun. Melanchthon, ven die perjönliche Hochachtung 
gegen Mutian nie verließ, wagte einmal jogar noch die Bitte 
an ihn, mit feinen archäologiſchen Kenntniffen Luther’ Bibel- 
werke zu Hülfe zu kommen ?). 

-Daran: war indeß nicht zu denken. Denn der Gang, den 
bie Reformation der Wittenberger nahm, entſprach jeinen Wün- 
jchen immer weniger. Er ſah auf den Canzeln robe, unwiſſende 
Mönche, daS Volk mit blinden Fanatismus gegen die Gegen: 
ftände früherer Verehrung erfüllt, die Bande der Ordnung. und 
Sittlichfeit zerriffen. Eine neue Barbarei glaubte er im An- 
zuge, noch ſchlimmer, al3 die überwundene, Mit tiefem Schmerz 


1) Spalatinus eruditissimo viro D. C. Mutiano Rufo Doctori et 
Canonico Gothensi suo patronv et praeceptori colendo, d. d. prid, 
feriar. Paschal. 1523 ex arce Coldensi. — Tert. lib. epp. D3 a-b. 

2) „Saepe miramur, KEximie Doctor, singulariter nobis. dilecte, 
quid causae sit, quod tam diu nihil prorsus ad nos dederis literarum. 
Neque enim latere te potest, quam praecipua semper in te voluntate 
fuerimus. Quapropter gratum nobis feceris, si nihil veritus, postkac 
ad nos crebrius scripseris, atque aliquandiu hactenus feoisti. — 
Reverendo nobis singulariter dilecto devoto D. C. Mutiano Doct, 
Canonico. Gothensi d. d. ex arce Colditz vigil. resurr, Dom. 1523. — 
Tert. lib. epp. C 3 a. 

2) Vgl. Corp. Ref. I, 570, 571. — Er erbat fi, (Mai 1522) von 
Mutian Auffchlüffe Über bibliſche Numismatik. — Auch Mutian bat ben 
Melanchthon immer geſchätzt: er meinte, daß Luther feine Berühmtheit guten: 
theils dieſem verdanke. Die Art und Weife, wie er Melanchthon über Luther 
ftellte, hatte, wie man aus bem Briefwechfel mit Lange erfieht, fchon früh in 
Wittenberg Anſtoß erregt. — 


_ 282 — 


erfüllte ihn vor Allem der Anblid de traurigen Verfalls in 
Erfurt, an welcher Stadt er auch jebt noch mit ganzer Seele 
hing. Zerftört waren bort bie Früchte jeines vieljährigen Wir- 
tens, Tärmende Prädikanten herrſchten als die Helden bed Tages, 
feine alte Jüngerfchaft war zerjtreut, zum Theil jelbjt von dem 
Strome der neuen Meinungen mit fortgeriffen. Das beugte 
ihn tief. Wohl richtete er noch an Eoban Worte bed Troſtes 
und ermahnte ihn, wie den umherirrenden Camerarius, mit 
ungebrochenem Muthe an den alten Beftrebungen feftzubalten "). 
Aber er ſelbſt beburfte des Troſtes am meiften. 

Den ganzen Kummer feiner Seele jchättete er in einem 
Schreiben an Erasmus aus, welches diefem im Frühjahr 1524 
durch Martin Hunus überbracht wurde. „Wohin“, ruft er 
aus, „wohin bie Verwegenheit und der unfelige Düntel noch 
führen werden, ich fehe es nit. — Möge ung geitattet fein, 
nach Weiſe unferer Väter Chriftum zu vwerehren und und rein 
zu bewahren. Weiteres darüber kann dir Hunus mittheilen, 
mein Freund und ein Mann von guter Gefinnung — Er 
haßt die Sache des Aufruhrs und jene Böfen, deren Stachel 
du jet fühlt. Er weiß, daß Luther Ruhm einzig durch 
Melanchthon fteigt. Er kennt Huttens VBerwegenheit. — Jonas, 
Schalbus, Draco, Crotus find von unferm Bunde abgefallen 
und zu den Lutheranern übergegangen. Eoban iſt durch meine 
Ermahnung wieder zur Einficht gefommen. — Mögen Andere 
fih ein Geſchäft daraus machen, Menſchen zu verleben. Ich 
fann dieje fanatifchen Steiniger nicht lieben. Vergebens wer: 
den fie ermahnt. Ihre Wuth gleicht jener der Raſenden“ ?). 








1) Tert. lib. epp. D 8 a. „Sane horror quidam ingruit alterius 
tempestatis. Sed non est temporis istud vitium, hominum est.‘ 

2) Mut. ad Erasın. d. d. Gothae instant. Cal. Mart. 1524. Algebr. 
bei Bursch. Spicil. XIII p. 12 sqq. Leider nicht ganz volftändig. — Statt 
Crotus findet fi im Tert Crocus, offenbar ein Irrthum, der durch die Achn: 
lichfeit beider Namen entftanden iſt. Crocus gehörte nie zu ber Erfurter 
Sodalitas. von der hier Mutian fpricht, und war um biefe Zeit nicht einmal 
mehr in Deutfchland. 


— 3 — 


Zu allen andern Schmerzen fügten feine lebten Lebens⸗ 
jahre noch den Drud ungewohnter Armuth. Schon feit dem 
Sahre 1521 waren feine ohnehin nur mäßigen Einfünfte un- 
volitändig eingefommen 1). Das zahlungspflichtige Landvolk 
verfagte auch ihm unter dem Schuße der evangelifchen Freiheit 
bie bisherigen Leiftungen. Es ſchützte Mutian nicht vor dem 
Schiefjal feines Standes, daß er bei Erhebung feines Einkom⸗ 
men? biöher immer mit Milde und Nachjicht verfahren ?). 
Seit dem Ende de J. 1522 fing er an, Mangel zu leiden. 
Seine Lage wurde noch mißlicher, als auch der Stabtrath in 
Gotha alte Feindjeligkeiten gegen das Stift wieder auffrijchte. 
Zwar enthielt der unter churfürftlicher Vermittelung im Früh—⸗ 
jahr 1523 zwiſchen Rath und Capitel abgejchloffene Vertrag, 
ber dem letteren großen Abbruch that, gerade in Beziehung 
auf Mutian’eine mildernde Elaufel*), aber feiner Noth war 
damit nicht abgeholfen. In diefer traurigen Lage brach er 
endlich das jo lange gegen den Ehurfürften beobachtete Schwei⸗ 
gen, um dieſem feine Noth zu Elagen. Der theilnehmende Fürft 
verfprach Hülfe und Beiltand, fandte eine Geldunterftübung 
“ und fuhte nach Kräften die Reiven des tief gebeugten Greiſes 
zu lindern). Allein neue Trübfal brachte dad Sahr 1524, 
als der gothaifehe Pöbel, aufgeftachelt von den Prädikanten, 
die Wohnungen der Stiftögeiftlihen erftürmte und plünderte, 
wie brei Jahre zuvor die Erfurter ’). Seitdem geftaltete ſich 








) Bol. Tentzel Rel. epp. Mut. p. 77. . 

2) Det dimidium et liber erit fagte er wohl von einem Schuldner. 
M. B. ©. f. 266 b. Sein Grundfaß war Vitae necessaria habere sat 
est. 1.c.f3 a. 

2) Der Vergleich findet fich abgebr. in Tentzel Suppl. histor. Goth. II. 
p. 715--21. Neben Mutian erhielt auch der Stiftäbechant Gerhard Marichalt 
diejelben Vergünftigungen „in anfehung bed fie Ir weßen bey Inen wol 
berbracht und vnnſere Diener ſeindt.“ 1. c. p. 719. 

*) Bgl. Tert. lib. epp. C 2 a. 

>) Tentzel Suppl. hist. Goth. II. p. 732. „Anno 1524 cresoente 
Sacrificulorum impurissime concubinatu Concionatores quidam Evan- 


— 234 — 


ſeine Lage immer trauriger. Seine Habe hatte er zum größten 
Theil eingebüßt. Seine Einkünfte reichten nicht mehr zu dem 
Allernothwendigſten hin. Die churfürſtliche Unterſtützung blieb 
aus. Ein Mißgeſchick folgte dem andern, bis endlich während 
des Banernfrieges Noth und Elend ven höchiten Grad erreichten. 

Mitten unter den Stürmen des Bauernkrieges, in den 
legten Tagen ded Monat? April, richtete er jenes weheklagende 
Schreiben an den Ehurfürften, das den vollftändig gebrochenen 
Muth des Greiſes erkennen läpt!). „Mein Herr und mein 
König”, beginnt fein Schmerzendruf, „meine Seele ift betrübt 
43 in den Tod. Sp gewaltfam, fo unmenfchlich, fo graufam 
verheert und verwüſtet die rohe Bauernrotte Gottes heilige 
Tempel, ohne Zucht, ohne Geſetz, ohne Gottesfurdt. — Ein 
klägliches Schaufpiel gewähren die umherirrenden Nonnen, die 
obdachlofen Priefter, durch die Furcht vor den tempelräuberifchen 
Rotten aus ihren geheiligten Wohnungen vertrieben. Ich ſelbſt, 
elend und dürftig, muß jeßt im Greifenalter mein Brod betteln. 
Kummer und Noth werden mich in's Grab bringen.” Doch 
nicht auf ihn und den geiftlichen Stand, fährt er, höchft merf- 
würdig, fort, werde ſich das Verderben bejchränten, auch die 
weltliche Obrigkeit werde es erreichen. Denn durch glaubwür⸗ 
dige Mittheilungen wiffe er, daß die, welche ven Aufruhr ins⸗ 
geheim leiteten, die Reich3ftädte, unter Mitwirkung der Juden, 
auf einen völligen Umsturz des ganzen Reiches hinarbeiteten 
und, nach Bejeitigung der Fürften, Republit und Volksherrſchaft 
einzuführen trachteten ?). Schwere Zeiten, ahnt ihm, werden 


gelici Gothae in sermonibus sacris dixerant: incipiendum esse a ınonte, 
ubi Canonici habitahant, et omnes meretrices evertendas urbeque pel- 
lendas. Plebs haec sici dicta putahat etc.“ Sagittarius (Hist. Goth. 
p. 51. 423) jeßt den Vorgang irrig in das Jahr 1522. 

1) Zuerft abgebr. bei Hekelius Manipulus primus epist. sing. p. 71 
sqq. Dann bei Tentel Bel. epp. Mut. p. 75 sqg. Das Schreiben ift datirt 
Donnerftag nad) Quasimodogeniti (27. April) 1525. 

2) „Men ingenua simplicitas studiis tranquillimis dedita non po- 








— 235 — 


über Deutſchland hereinbrechen und kaum werde der Ruin fei- 
ner alten Verfaſſung abzuwenden fein. So habe aber Alles hie 
nieden, tröftet er fich, feine Dauer und fein Ende!!) — Be 
dieſem düftern Blicke in die Zukunft hat er für fich nur noch 
den Wunfch, daß es ihm vergönnt werde, den geringen Reit 
feiner Tage in befcheidener Ruhe und zurücdgezogen von dem 
wirren Treiben der Zeit an dem Orte feiner „Ruhe“ zu ver: 
leben. Gern will er mit dem Allernötbigften zufrieden fein. 
„Ich Liege zu deinen Füßen“, fleht er den Fürften an, „und 
rufe deine Barmherzigkeit anı In deiner Hand iſt mein Heil. 
Sch will ein Denkmal meines Dankes ſetzen, der Nachwelt will 
ich. es verkünden, daß ich die Unterftügung des frommen Friebrid) 
genoſſen habe.“ 

Es ſcheint nicht, da Mutian’3 Klageruf noch zu dem Ohr 
des fterbenden Fürften gebrungen ift. Friedrich der Weiſe ver: 
ließ wenige Tage fpäter, amd. Mai, das Zeitliche. Sein eifrig 
lutheriſcher Nachfolger hatte Mutian nie große Theilnahme 
bewiefen. Sp bfieb dieſer Hülflos, der bitterften Noth preiz- 
gegeben ?). Noch fait ein volle® Jahr Hatte er fein hartes 
Geſchick zu tragen. Von feinen alten Freunden fah er damals 
noch Urban, den treu gebliebenen Eifterzienfer, der, durch den 
Bauernaufruhr aus feinem Klofter Genrgenthal vertrieben ?), 


tuit aliquid mali suspicari, etsi ex litteris et sermone prudentissimo- 
rum cognoscerem, Imperii civitates occultis insidiis et dolis per spe- 
ciem Kvangelii instigare rusticam multitudinem, et miris artibus, ad- 
Juvantibus Judaeis, conari extinguere principaleis et illustreis familias 
et una cum Kpiscopis opprimere velle non solum Episcopatus, sed etiam 
Principatus .omnes, ut scilicet exemplo Venetorum et antiquorum Grae- 
corum popularis status ei democratia praevaleret.‘“ Tentell. c. p. 75. 76: 

!) „Neque enim vis imperitae multitudinis semel excitata cohiberi 
facile poterit. Novi rerum humanarum vicissitudines, Novi incursus 
fortunae variantis. Ompnia habent suum circulum, suum fatem, suum 
interitum.‘“ 1. c. p. 76. 

2) „„Mutianus misere eget, Urbanus incerto rerum statu fluctuat.‘‘ 
ſchreibt Eoban an Sturz 2. December 1525. Eob. et amic. ep. fam. p. 121. 

2) Vgl. Thuringia sacra. Fref. 1737. p. 548. Das Jahr zuvor (1524) 


— 236 — 


nun dem ſchwer Heimgeſuchten als ein willkommner Tröſter 
erſchien. Mit Urban hatte er vor dreiundzwanzig Jahren jene 
wichtige Annäherung an Erfurt begonnen: der Erſte und Ael— 
tefte jeine® Bundes, jollte Urban auch der Letzte fein, ver ihm 
zur Seite ftand. — 

Schon feit Tängerer Zeit war Mutian’3 Geſundheit ange- 
griffen. Sein fchwächlicher Körper!) war fo fchweren Heim- 
ſuchungen nicht gewachfen. Die Iebten traurigen Creigniffe 


x 


hatten vollends feine Kraft gebrochen. Im Frühjahr 1526 


befreite ihn der Tod von allen feinen Leiden. Der Todestag 
bed Herrn, der zuleßt jein einziger Troft geblieben, war auch 
der feinige: er ftarb Charfreitag, ven 30. März, in chriftlicher 
Ergebung. „Chriftus blicke gnädig herab auf Deinen Diener“ 
waren bie lebten Worte, welche man von ihm vernommen hat ?). 


-. 


hatte außer Micyllus (vgl. Sylv. libr. V. p. 209) aud noch Camerariug 
mit Melanchthon u. X. Mutian befucht. Damals ſchon lebte Mutian in fo 
bürftiger Lage, daß er die Befuchenden nicht mehr aufnehmen konnte. Val. 
Tert. lib. epp. D7b. 

1) Er litt faft fein ganzes Leben an einem fehr ſchmerzlichen Magenübel, 
gegen das alle ärztliche Hülfe vergeblih war. Vgl. M. B. ©. fol. 262 a, 
273 b. Xentel Suppl. I, p. 29. 

2) Vgl. Amoenitates literariae Tom. IV, p. 430. „Haec ultima 
hominis vox fuit: „O Jhesu respice famulum.‘‘ So Spalatin nad) dem 
Bericht eines Augenzeugen. Aehnlich Crotus: „Ingravescente infirmitate 
nedum diem sed ferme mortis horam praedixit. Quo appetente jussit, 
recitari Psalmos aliquot consolatorios, nunc aliquid ex epistolis Pauli 
de Christi beneficio, nunc de resurrectione mortuorum. Precabatur 
quandoque constantiam, mertis contemtum, cessante lectore, nulla 
audiebatur aoxietas, nulla fiebat corporis hinc inde jactatio. Divino 
auxilio domuit acerbitatem moriendi. Fertur dixisse: ‚‚Christe mise- 
rator respice ad servum tuum‘ et paulo post ‚‚Fiat voluntas tua‘‘ 
atque haec ultima vox fuit. Dein obdormivit habitu corporis com- 
posito in modum sopiti, non mortui.“ — Crot. ad Camerar. in Tert. 
libell. epp. F 4 b. — Daß in Wittenberg baneben aber noch andere Ge: 
rüdte über Mutian’3 Ende in Umlauf gefebt wurben, erfieht man Corp. 
Ref. I, 912 und ohne Zweifel hat Crotus die Wittenberger im Auge, wenn 
er 1. c. jagt: „Ad uuntium mortis ejus quidam gravissimi scilicet ho- 
mines suspenso naso suhriserunt.“‘ 


_ 37 — 


Die Nachricht von Mutian’3 Tode machte in dem ganzen 
gelehrien Deutichland einen tiefen Eindruck. Untröftlich waren 
feine treuen Schüler. Seit dem Tode jeiner Eltern, klagt 
Crotus, den die Trauerbotichaft am fernen Gejtade der Ojtjee 
traf, habe ihn Fein Todesfall fo fchmerzlich ergriffen, als dieſer 2). 
Micyllus jucht Troft in dem Gedanken, daß die Gottheit dem 
Heimgegangenen den Anblick der folgenden Trübſale erjpart 
babe, und in dem Ruhme, der Mutian’3 Namen durch alle 
Sahrhunderte tragen. werde. „Mögen Städte untergehen”, ruft 
er aus, „Reiche zufammenjtürzen, hohe Mauern im Laufe ber 
Zeit verfallen: Dein Ruf bleibt und wird ewig fortleben” 2). 
Eoban widmet von Nürnberg aus dem Hingefchiedenen einen 
klagenden Nachruf, in dem er die lange Reihe deutſcher Ge- 
lehrten vorführt, die Elagend und weinend bad Grab des großen 
Mannes im Geifte umringen?). Aber am größten ift des 
Dichter eigener Schmerz. Seine Klage über Mutian's Tod 
gehört zu dem Rührendften und Gefühlvollſten, was er jemals 
gefchrieben. Immer will er bed Mannes gebenfen, der ihn 
unter allen Sterblichen der theuerfte geweſen, nie aufhören, 
den Hingang des verehrten Lehrers zu betrauern, mit dem 
der Ruhm der vaterländifchen Dichtlunft zu Grabe getragen 
worden. 


!) Crot. ad Camer. „Mutiani mors, de qua nunc etiam scribis, 
post parentum fuit mihi acerbissima. — Doleo non illius sortem, sed 
meam ipsius, tanto amico privati. Terminavit ille vitam mortalem 
immortalitate, procul dubio exceptus in aeternam felicitatem, pro 
Cnjus spe vitam suam piis moribus instituit.‘ Tert. lib. F 4 b. 

2) Heu noster sic te superi voluere peremptum 

Et tutum a nostri temporis ire malis, 
. Nec tua foelicis quae sunt post fata secuta 
Cernere fraterna praelia serta manu. 
Dia tamen restant multos quaesita per annos 
Gloria et e studiis fama parata bonis etc. 
Micylli Sylv. p. 209. 

s) In funere doctissimi viri Mwtinni Ruf Epicedion. Abgedr. Eob. 

Farr. 1, 15566. | 


— 288 — 


Wo immer nur Mitglieder des zerſtreuten mutianiſchen 
Bundes ſich fanden, ertönte die Stimme der Klage. Nur dort, 
wo derſelbe ſeine Heimath gehabt, in Erfurt, herrſchte Theil- 
nahmlofigfeit. Aller Aufmerkjamkeit war hier dem weitern 
Berlauf der innern ftäbtifchen Wirren zugewandt. 


IV. 


Die Zuftände, welche bad Jahr 1525 in Erfurt gefchaffer 
hatte, waren auf die Dauer unhaltbar. In der fchnödeften 
Weile waren Berträge gebrochen, unzweifelbafte Nechte mit 
Füßen getreten worden. Rohe Gewalt Hatte rechtlod die Alte 
ften Körperfchaften der Stadt aus vielhundertjährigem Beſitz 
vertrieben. Das Berbot ded alten Gottesdienjteg war ein 
fchreiendes Unrecht gegen einen noch immer beträchtlichen, katho— 
liſch gebliebenen, Theil der Bürgerſchaft ſelbſt. Vollends ent- 
behrte das Verfahren des Rathes gegen den EChurfürften von 
Mainz des rechtlishen Grunde: es war eine Ufjurpation und 
— blickt man auf die angewandten Mittel — eine der gewilfen- 
loſeſten, die jemals jtattgefunden. 

Bei ruhiger Erwägung des Geſchehenen Eonnte ſich der 
Rath ſelbſt das Bedenkliche feiner Tage nicht verhehlen. Die 
Nechtzverlegungen waren zu offenfundig, als daß die höheren 
Gewalten im Reich nicht dagegen hätten einfchreiten follen. 
Albrecht von Mainz, ver Getroffene, ſäumte nicht, Kaiſer und 
Reich um Hülfe anzurufen). Das gefteigerte Selbftbewußt- 


2) Die mainzifche an Kaifer und Stände gerichtete Klagefchrift enthielt, 
wie Guben nach mir nicht zugänglich gewordenen archival. Quellen mittheilt, 
folgente Hauptanflagepunfte: „Senatum undecim millia subditorum in 
Urbem recepisse, hos in electoralem Curiam, tabernas, telonium, in 
Canonicorum familias, in ipsa templa, salva ceterum Urbe, rabiem 
vertisse. Hacc omnia dolum Senatus arguere, nulla de raptoribus 
sun pta supplicia, continuata a Senatu spolia, et er peracta, qyuae 
mali incentorem manifeste convincant. Eo jam Erfurtensium inso- 
lentias excrevisse, ut non in suam tantum et electoratus, verum in 








— 19 — 


ſein, welches die Reichsfürſten überhaupt nach der Bewältigung 
des Bauernaufſtandes an den Tag legten, konnte bie Beſorg⸗ 
niffe der Schulpbewußten nur erhöhen. — Zeitige Nachgiebig- 
feit jchien unter diefen Umftänden das einzige Mittel, Härteres 
von der Stadt abzuwenden. Und der Rath entjchloß fich dazu. 
Noch in demfelden Sabre wurde der Anfang gemacht. 
Dad Allererite war, daß man ed nachſah, als der muthige 
Franziskanerguardian Konrad Kling, der einzige Ordensmann, 
der in jenen jtürmijchen Tagen außgehalten hatte, unter zahl: 
reicher Betheiligung der Altgläubigen in der verlaffenen Spital- 
firche wieder Tatholifchen Gottesdienst hielt’). Bald folgte ein 
zweites, wichtigeres Zugeftänoniß: noch vor Ablauf des Jahres 
durften die vertriebenen Canoniker und Mönche zurückkehren 
und von ihren übel zugerichteten Wohnungen wieder Beſitz 
nehmen ; Benedictiner und Carthäufer erhielten gegen Entrich- 
tung eines Schutzgeldes an den Rath die Erlaubniß, bei ver: 
ſchloſſenen Thüren in ihren Klöftern den gewohnten Gottesdienft 
zu halten ?). Noch weiter ging der Rath im folgenden Jahre, 
indem er den Katholischen auch öffentlichen Pfarrgottesdienft 
zugeftand und ihnen wieder vier Pfarrficchen einräumte®). 
Zuletzt folgte, ebenfalls noch 1526, dag wichtigjte und merf- 
würdigſte Zugeſtändniß: jene Entſchließung, der zufolge die 
Hauptlirche der Stadt, der Dom, der gemeinjamen Benugung 
beider Glaubensparteien überlaffen wurde *). 


universi Imperii injuriam tendant, si impune in Rep. Romana sic pec- 
care liceat.‘‘ Hist. Erf. p. 226. 

1) „Da ward“, jagt der Ehronift ad a. 15%, „die Kirche, der Kirchhof, 
dad Steinhaus alle vol Volckes.“ Man fieht daraus, daß bie Zahl der 
fatholifhen Bürger noch immer beträchtlich war. 

2) VBgl. Frieſe'ſche Chronik ad a. 1525 u. a, Diefelbe Erlaubniß erhielt 
das Severiftift, ohne daß hier die Chroniken ber Entrichtung eines Schutz⸗ 
geldes gedenken, ber Dom aber blieb lutheriſch. 

2) Die Kirhen zu St. Nicolaus, St. Lorenz, St. Veit und bie Aller: 
heiligenfirche. 

4) Der evangelifche Hauptgottesdienft „die Neunprebigt” wurbe auch jebt 


\ 


Bundes fich fanden, ertönte die Stimme der Klage. Nur dort, 
wo derjelbe feine Heimath gehabt, in Erfurt, herrſchte Theil 
nabmlofigkeit. Aller. Aufmerkfamkteit war bier dem weitern 
Berlauf der innern ftädtifchen Wirren zugewandt. 


| 
— 288 — 
Wo immer nur Mitglieder des zerſtreuten mutianiſchen 
| 
| 


IV. 


Die Zuftände, welche dad Jahr 1525 in Erfurt geſchaffen 
hatte, waren auf die Dauer unhaltbar. In der ſchnödeſten 
Weiſe waren Berträge gebrochen, unzweifelhafte Rechte mit 
Füßen getreten worden. Rohe Gewalt hatte rechtlos die älte— 
sten Körperfchaften der Stadt aus vielhundertfährigem Beſitz 
vertrieben. Das Berbot des alten Gottesdienſtes war ein 
fchreiendes Unrecht gegen einen nod) immer beträchtlichen, katho— 
liſch gebliebenen, Theil der Bürgerſchaft ſelbſt. Vollends ent- 
behrte dad Verfahren des Rathes gegen den Churfürjten von 
Mainz des rechtlichen Grundes: es war eine Ujurpation und 
— blickt man auf die angewandten Mittel — eine der gewiffen- 
Iofeften, die jemals ftattgefunden. 

Bei ruhiger Erwägung des Gejchehenen konnte fich der 
Rath ſelbſt das Bedenkliche feiner Lage nicht verhehlen. Die 
Nechtöverlegungen waren zu offenkundig, ald daß die höheren 
Gewalten im Reich nicht dagegen hätten einjchreiten follen. 
Albrecht von Mainz, ver Getroffene, faumte nicht, Kaifer und 
Reich um Hülfe anzurufen‘). Das gefteigerte Selbjtbewußt- 


1) Die mainziiche an Kaifer und Stände gerichtete Klagefchrift enthielt, 
wie Guden nach mir nicht zugänglich gewordenen archival. Quellen mittbeilt, 
folgente Hauptanflagepunfte: „Senatam undecim millia subditerum ia 
Urbem recepisse, hos in electoralem Curiam, tabernas, telonium, in 
Canonicorum familias, in ipsa templa, salva ceterum Urbe, rabiem 
vertisse. Haec omnia dolum Senatus arguere, nulla de raptoribus 
sunpta supplicia, continuata a Senatu spolia, et ea peracta, quae 
mali incentorem manifeste convincant. Eo jam Erfurtensium inso- 
lentias excrevisse, ut non in suam tantum et electoratus, verum in 


— 99 — 


fein, welches die Reichsfürſten überhaupt nach der Bewältigung 
des Bauernaufftandes an den Tag legten, fonnte die Bejorg- 
nifje der Schuldbewußten nur erhöhen. — Zeitige Nachgiebig- 
keit fchien unter diefen Umftänden das einzige Mittel, Härtered 
von der Stadt abzuwenden. Und der Rath entſchloß jich dazu. 

Noch in demfelden Jahre wurde der Anfang gemacht. 
Dad Allererfte war, daß man ed nachſah, als der muthige 
Tranzisfanerguardian Konrad Kling, der einzige Ordendmann, __ 
der in jenen ſtürmiſchen Tagen außgehalten hatte, unter zahl- 
reicher Betheiligung der Altgläubigen in der verlaffenen Spital- 
firche wieder Fatholifchen Gottezdienit hielt). Bald folgte ein 
zweites, wichtigere Zugeftändniß: noch vor Ablauf des Jahres 
durften die vertriebenen Canoniker und Mönche zurückkehren 
und von ihren übel zugerichteten Wohnungen wieder Befik 
nehmen; Benedictiner und Sarthäufer erhielten gegen Entrich- 
tung eines Schutzgeldes an den Rath die Erlaubniß, bei ver- 
Ihlofienen Thüren in ihren Klöftern den gewohnten Gottesdienst 
zu halten ?). Noch weiter ging der Rath im folgenden Sabre, 
indem er den Katholifchen auch öffentlichen Pfarrgottespienft — 
zugeftand und ihnen wieder vier Pfarrkirchen einräumte?). 
Zuletzt folgte, ebenfalls noch 1526, das wichtigfte und merk— 
würdigte Zugeſtändniß: jene Entſchließung, der zufolge die 
Hauptlicche der Stabt, der Dom, der gemeinfamen Benutung 
beider Glaubensparteien überlafjen wurde *). 


— 


universi Imperii injuriam tendant, si impune in Rep, Romana sic pec- 
care liceat.‘‘ Hist. Erf. p. 226. 

ı) „Da ward“, fagt der Chronift ad a. 15%, „die Kirche, der Kirchhof, 
dag Steinhaus ale vol Volckes.“ Man fieht daraus, daß bie Zahl der 
Tatholifhen Bürger noch immer beträchtlich war. 

2) Vgl. Frieſe'ſche Chronik ad a. 1525 u. a. Diefelbe Erlaubniß erhielt 
das Severiftift, ohne daß bier die Chroniken ber Entrichtung eines Schutz⸗ 
geldes gedenken, der Dom aber blieb lutheriſch. 

2) Die Kirchen zu St. Nicolaus, St. Lorenz, St. Veit und die Aller⸗ 
heiligenfirche. 

*) Der evangelifche Hauptgottesdienft „die Neunprebigt” wurbe auch jeht 





— 40 — 


Diefe außerorbentliche Nachgiebigkeit hatte indeß nicht bloß 
in der Bejorgniß vor dem Eingreifen der Reichdgewalt ihren 
Grund: fie empfahl fich dem Rathe auch och von einer andern 
Seite. — Wie die fatholiiche Sache mit Mainz verbündet war 
und ein Sieg ded Katholicismus die Wiederherſtellung der 
mainzijchen Herrjchaft zur Folge gehabt haben würde, jo drohte 
eine-volljtändige Evangeliſirung die Stadt dem alten Rivalen 
von Mainz, dem Churfürften von Sachjen, zu überliefern. 
Nicht ohne Sorge hatte man wahrgenommen, daß mit. der 
Zunahme des ſächſiſchen Evangeliumd auch Sachſens politifcher 
Einfluß in Erfurt jtieg, und daß der „Schußherr” an Macht 
gewann, was ber „Erbherr” verlor. Die Gemeine, bei ber 
noch feit dem tollen Sahre die Antipathien gegen Sachien 
lebendig waren, hatte ſchon 1525 ihre Unzufriedenheit deutlich 
genug zu erkennen gegeben, indem fie in ihrem vierzehnten 
Artikel die „Nachlaffung” des ſächſiſchen Schubgelves in An- 
trag brachte — wa ihr freilich von Luther, der hier die Sache 
feine® Herrn vertrat, eine derbe ZJurechtweilung zuzog !). — 
Der außergewöhnliche Eifer, den Johann der Beſtändige für 
den Fortgang der Kirchenverbefferung in Erfurt an den Tag 
legte, erregte auch bei dem Nathe Verdacht. Einer Jächfiichen 
Geſandtſchaft, die in Erfurt erichien, um entſchiedeneres Ein- 
[ohreiten gegen noch vorhandene Reſte des Papſtthums zu ver: 
langen, wurde entgegriet, daß man wohl guten Rath, nicht aber 
Befehle von Sachſen anzunehmen gejonnen fei?). Die Ahnung 
ftieg auf, daß der ſächſiſche „Schußherr” der Freiheit der Stadt 
gefährlicher werden fönne, als ihr rechtmäßiger Oberherr, der 
Erzbifchof von Mainz. — 


noch im Dome (durch Lange) gehalten, die übrige Zeit aber war er ben 
Ratholifen. Es war wohl das erfte förmlich eingeführte Simultaneum in 
Deutſchland. — Daß die Befchlüfle des Reichstags von Speier 1526 auf diefe 
Berhältniffe eingewirft, wie Loffiuß 1. c. p. 175 angibt, kann ich nicht finden. — 
1) Vgl. Te Wette-Seidemann VI, 64—5. 
2) Vgl. Gudenus Hist. Erf. p. 225. 


— 4l — 


Merktwürdig, daß dasfelbe Streben nad Unabhängigkeit, 
welches bigher der Glaubengneuerung fo wichtigen Vorſchub 
geleiftet, nun zulebt dem alten Glauben Hülfe brachte! Es 
ist unverfennbar, daß die Eonceffionen, zu denen fich der Kath 
1526 entjchloß, zum großen Theil durch fein Mißtrauen gegen 
Sachſen herbeigeführt worden find. Man mochte hoffen, durch 
ein folches Duldungsſyſtem fich nach beiden Seiten bin zu 
jihern: den Zorn des Mainzer zu bejänftigen und damit zu— 
gleich des gefährlichen ſächſiſchen Schutzes ledig zu werden. 

Sp begannen feit vem Jahre 1526 die Katholiken in Erfurt 
wieder aufzuathinen. 1527 erhielten fie jogar die Genugthuung, 
daß einer der Shrigen, der alte Georg von Denftet, in den 
Rath gewählt wurde, was von da an Negel geworden zu fein 
Iheint !). In Nürnberg erzählte man fich bereit, daß Erfurt 
unter dad Papſtthum zurücgefehrt fei?). Oeffentlich durfte 
jegt Konrad Kling, der beharrliche Franziskaner, feinen Glau— 
ben, deſſen Sache in Erfurt jchon verloren gefchienen, befennen 
und vertheidigen. Sn ihm fand die Fatholifche Bartei den 
Führer, deſſen fie feit Uſingens Entweichung entbehrt hatte. 
Und der neue Führer erjegte feinen Vorgänger reihlih. Ben 
eben jo ftrengen Sitten, wie Ufingen, von gleicher Glaubens⸗ 
treue und Ausdauer, aber auch von gleichem Freimuth, wo es 
galt, Firchliche Mißbräuche zu rügen, übertraf Kling jenen 
durch Gewandtheit ver Rede und namentlich durch größere Be- 
kanntſchaft mit den Bebürfniffen des Volkes. Der lebte in 
Erfurt promovirte Doctor der Theologie, machte er der Schule 
Ehre durch fein treue Feithalten an ihren alten Grund- 


ı) Das folgende Jahr 1528 ſaß Michael Moeller im Rathe, 1529 wieber 
Georg von Tenftet, 1530 Chriſtoph Milwitz, 1531 wieder Michael Moeller. 
Alle drei werden von den Chroniften al3 „der Papiſterei anhangend“ bezeich- 
net. Ein Verzeichniß der Rathsmeiſter und Vierherrn für diefe Zeit gibt 
ob. Hundorph Encomium Erfurtinum A 3 a fi. 

2) Vgl. Eob. ad Lang. d. d. Norimb. prid. Id. Octobr. 15%. — 
Eob. et amic. epp. fam. p. 221. 

Kampfchulte, Univerfität Erfurt. II. Theil. ’ 16 





— 242 — 


fägen !). Unter der Führung eines ſolchen Mannes nahm die 
fchon vernichtet geglaubte Fatholifche Partei bald wieder eine 
Haltung an, die wohl geeignet war, dem Gegner Beforgniffe 


einzuflößen. 

Und auch der Univerfität eröffneten ſich mit diefer neuen 
Wendung der Dinge wieder günſtigere Ausſichten. Diefelbe 
Eombination, welche den Katholiken Hülfe gebracht, jchien auch 
ihr zu Gute kommen zu müſſen. Mehrere Mitglieder des 
Rathes zeigten ernftlichen Willen, der tief gefunfenen Schule 
wieder aufzubelfen. Ihre Lehrer gaben ſich bereit3 ben frohe- 
ften Hoffnungen bin und verboppelten ihre Thätigfeit. Das 
Rectorat erhielt 1527 der ehrwürdige Maternus, an deſſen 
Namen fih für die Univerfitäit jo ruhmreiche Erinnerungen 
nüpften. Auch er hatte in den vorhergehenden Jahren wegen 
feiner Anhänglichfeit an Mainz manches Herbe erfahren müfjen, 
bis in Folge des neuesten Wechſels feine Lage fich wieder Freund 


ı) Es mag genügen, einige Aeußerungen aus feinen Loci communes 
theologici pro ecclesia catholica anzuführen, z. B. über den Ablaß: 
„MNecessarium est, ut concessores indulgentiarum suas concessiones 
ita moderentur, ut nec divinae justitiae per nimium derogetur: et ne 
scandalum maxime pusillorum in multiplicandis indulgentiis ex levi 
causa praebeatur.‘“ p. 168; oder über die Pflichtvergeffenbeit der Geift: 
lien: „Pauci sunt, vel de episcopis, sacerdotihus et clero, qui darent 
operam literis, vel etiam hodie inciperent studere, Satis putant con- 
tigisse, si Praebendam possederint; sed non cessahunt haereses, 
donec vitam in melius et mores composuerimus.‘ p. 180 und p. 323 
„Faciles sunt et impetrantur dispensationes per Papam et Praelutos, 
super juramentis debitis, super votis rationabilihus, super immensa 
beneficiorum pluralitate, super generalium conciliorum conclusionibus 
ete.“ Aeußerungen, bie den Zögling ber alten Univerfität binlänglich erfen: 
nen laflen. Wie Ufingen fehreibt auch er das gegenwärtige Elend den abtrün- 
nigen Mönchen zu: „Et hnec omnia, quibus debet populus, nisi exi- 
tieiis Monachis, quos Deus tradidit in reprobum sensum? p. 213. — 
Im Sabre 1518 immatrikulirt, wurde er 1520 Doctor der Theologie. Bon 
da ab fand 110 Jahre Tang Feine theologifche Promotion mehr ſtatt. Die 
Sage bringt ihn auch mit Zauft in Verbindung, den er zu befehren gefucht 
haben fol. Motſchmann 3. Fortſ. p. 374. 


243 .,— 
— — ⸗ 
ande: 


licher geftaltete. Mit umfichtigem Eifer erfüllte er jebt die 
Pflichten deS ihm zum zweiten Mal anvertrauten Amtes und 
wirklich zeichnete fich fein Rectorat durch eine erfreuliche Zu⸗ 
nahme der Studirenden aus). Doch blieb der Erfolg weit 
hinter den Erwartungen zurück. Maternus jchied im nächſten 
Sahre aus jeinem Amte mit der traurigen Üeberzeugung, die 
Ichon fein Vorgänger ausgefprochen, daß die Wiederherftellung 
der Univerjität eine Aufgabe fei, welche menjchliche Kräfte 
überjteige 2). 

Veberhaupt erfuhr der Rath in diefen Tagen, wie jchwer 
es ift, gethanes Unrecht wieder gut zu machen, und dem Gejebe, 
dem man ſelbſt Hohn gefprochen, bei Andern Achtung zu ver: 
Ihaffen. Seine gegenwärtige Haltung erfuhr von den verfchie- 
denjten Seiten Anfeindung und Widerſpruch. Niemand aber 
zeigte fich mehr. entrüftet darüber, als die Prädifanten. Sie 
fonnten e3 nicht verjchmerzen, daß ihnen der bereitß errungente 
Sieg wieder verfümmert wurde, und daß dies durch dieſelbe 
Macht gefchah, die fie bisher geſtützt, deren Intereſſen fie gebiet. 
Bald vernahm man auf den Canzeln bittere Klagen über die 
eingetretene Erfaltung des Glaubens, neben verftärkten Aus— 
fällen gegen die Gräuel des Papſtthums. Der Eifrigfte unter 
den Dienern des Evangelium war damals Juſtus Menius, 
der den 1525 heimgegangenen Eueljamer in ähnlicher Weile 
erjegte, wie Kling an Ufingen’® Stelle getreten war. Wir 


ı) Die Zahl der Immatrikulationen ftieg unter ihm von 14 auf 36, 
ſank aber ſchon im nächften Jahre wieder auf 28, dann 1529 auf 20. E. U. M. 

2) „Erat etiam‘‘, beißt es in feinem Nectoratzbericht, „multis piis 
sub idem tempus viris spes reparandae revelandaeque jacentis uni- 
versitutis, sed quum id humanarum virium non sit, rogandus est id 
benignissimus Deus, ut rarsus in Israelem suum iatendat Josephumque 
velut oveın in adeo morbosa Aegypto ad desiderabileın portum de- 
ducat.““ Bor den Bericht findet fidy das Bild der h. Maria mit der Unter- 
fhrift „Virgo roga prolem, quo clerum servet et urbem!“ EU M. 
ad a. 1527. 

16 * 


— Mm — 


fägen !). Unter der Führung eines ſolchen Mannes nahm die 
Schon vernichtet geglaubte Tatholifche Partei bald wieder eine 
Haltung an, die wohl geeignet war, dem Gegner Bejorgniffe 


einzuflößen. 

Und auch der Univerfität eröffneten ſich mit diefer neuen 
Wendung der Dinge wieder günftigere Ausfichten. Diefelbe 
Combination, welche ben Katholiken Hülfe gebracht, ſchien auch 
ihr zu Gute fommen zu müſſen. Mehrere Mitglieder des 
Rathes zeigten ernftlichen Willen, der tief gefunfenen Schule 
wieder aufzubelfen. Ihre Lehrer gaben fich bereit3 den frobe- 
ften Hoffnungen bin und verboppelten ihre Thätigkeit. Das 
Rectorat erhielt 1527 der ehrwürdige Maternug, an beffen 
Namen fich für die Univerfität jo ruhmreiche Erinnerungen 
fnüpften. Auch er hatte in den vorhergehenden Sahren wegen 
feiner Anhänglichfeit an Mainz manches Herbe erfahren müffen, 
bis in Folge des neueſten Wechſels feine Lage fich wieder freund: 


ı) Es mag genügen, einige Aeußerungen aus ſeinen Loci communes 
theologici pro ecclesia catholica anzuführen, 3. B. über den Ablaß: 
„MNecessarium est, ut concessores indulgentiarum suas concessiones 
ita moderentur, ut nec divinae justitiae per nimium derogetur; et ne 
scandalum maxime pusillorum in multiplicandis indulgentiis ex levi 
causa praebeatur.‘‘“ p. 168; oder über die Pflichtvergeffenheit der Geift: 
lien: „Pauci sunt, vel de episcopis, sacerdotibus et clere, qui darent 
operam literis, vel etiam hodie inciperent studere. Satis putans con- 
tigisse, si Praebendam possederint: sed non cessahunt haereses, 
donec vitam in melius et mores composuerimus.‘‘ p. 180 und p. 323 
„Faciles sunt et impetrantur dispensationes per Papam et Praelatos, 
super juramentis debitis, super votis rationabilihus, super immensa 
beneficiorum pluralitate, super generalium conciliorum conclusionibus 
etc.‘ Aeußerungen, bie den Zögling ber alten Univerfität binlänglich erfen- 
nen lafien. Wie Ufingen fchreibt auch er das gegenwärtige Elend den abtrün: 
nigen Mönden zu: „Et haec omnia, quibus debet populus, nisi exi- 
ticiis Monachis, quos Deus tradidit in reprobum sensum? p. 213. — 
Im Sabre 1518 immatritulirt, wurde er 1520 Toctor ber Theologie. Von 
da ab fand 110 Jahre Tang Feine theologifche Promotion mehr ſtatt. Die 
Sage bringt ihn auch mit Fauſt in Verbindung, den er zu befehren gefucht 
haben fol. Motſchmann 3. Fortf. p. 374. 





243. — 
—— a 


licher geſtaltete. Mit umſichtigem Eifer erfüllte er jetzt die 
Pflichten des ihm zum zweiten Mal anvertrauten Amtes und 
wirklich zeichnete ſich ſein Rectorat durch eine erfreuliche Zu— 
nahme der Studirenden aus !). Doch blieb der Erfolg weit 
hinter den Erwartungen zurück. Maternus jchied im nächſten 
Jahre aus ſeinem Amte mit der traurigen Ueberzeugung, die 
ſchon ſein Vorgänger ausgeſprochen, daß die Wiederherſtellung 
der Univerſität eine Aufgabe ſei, welche menſchliche Kräfte 
überjteige ?). 

Meberhaupt erfuhr der Rath in diefen Tagen, wie jchwer 
e3 ijt, gethanes Unrecht wieder gut zu machen, und dem Gejebe, 
dem man felbjt Hohn gefprochen, bei Andern Achtung zu ver: 
Ihaffen. Seine gegenwärtige Haltung erfuhr von den verjchies 
denften Seiten Anfeindung und Widerſpruch. Niemand aber 
zeigte fich mehr entrüftet darüber, al3 die Prädifanten. Sie 
fonnten es nicht verjchmerzen, daß ihnen der bereits errungene 
Sieg wieder verkümmert wurde, und daß die durch biefelbe 
Macht geichah, die fie bisher geſtützt, deren Sutereffen fie gedient. 
Bald vernahm man auf den Canzeln bittere Klagen über die 
eingetretene Erfaltung ded Glaubens, neben verjtärkten Aus— 
fällen gegen die Gräuel des Papſtthums. Der Eifrigfte unter 
den Dienern des Evangelium war damals Juſtus Menius, 
der den 1525 heimgegangenen Cuelſamer in ähnlicher Weife 
erjeßte, wie Kling an Ufingen’3 Stelle getreten war. Wir 
befigen von ihm noch eine gegen Kling gerichtete Predigt über 

ı) Die Zahl ber Immatrikulationen ftieg unter ihm von 14 auf 36, 
fanf aber fchon im nächſten Jahre wieder auf 28, dann 1529 auf 20. E. U. M. 

2) „„Erat etiam‘‘, beißt es in feinem Rectoratsbericht, „multis piis 
sub idem tempus viris spes reparandae revelamdaeque jacentis uni- 
versitutis, sed quum id humanarum virieum non sit, rogandus est id 
benignissimus Deus, ut rarsus in Israelem suum iatendat Josephumque 
velut oveın in adeo morbosa Aegypto ad desiderabilen portum de- 
ducat.‘“ Bor dem Bericht findet fidy das Bild der h. Maria mit ber Unter- 
fhrift „Virgo roga prolem, quo clerum servet et urhem!“ E. U. M. 
ad a. 1527. 

16* 


— 24 — 


die papiſtiſche Meſſe, die uns den Groll und die Erbitterung 
veranſchaulicht, womit er und die Seinigen auf die jüngſten 
Ereigniffe hinblickten ). „Unfere Pfaffen und Mönche”, heit 
es gleich im Eingang derjelben ?), „des Widerchrift3 und Teu— 
fels Hofgefind, Hat fich nun allhie wiederumb zufammengefuget 
und gezichtet, nachdem fie eine Zeitlang von Gott gejchwächet 
und verjaget gewefen, wiewohl fie meinen und follen audy (al? 
verſtockt fie find) auf der Meinung bleiben, es jet nicht Gott, 
fondern ein Strobuß geweſen, der fie aljo "geicheuchet bat, 
jchreien und fchreiben überlaut in Stadt und Dorf, wie es bie 
zu Erfurt aljo fein wiederumb in das alte Wejen fomme, und 
jagen, e8 gehe, Gottlob, der alte, ehrliche, heilige und Löbliche 
Gottesdienst (alfo nennen fie ihren Gräuel und Gottesläſterung) 
wieder an, und die neue verdamınte huffitifche und Tutherifche 
Keberei (jo nennen fie die reine und göttliche Kehre de3 Evan- 
gelit) nehme täglich ab.” — Demungeachtet will er Hoffnung 
und Muth nicht ſinken laffen und dem „theuren Mefjeritter” 
gegenüber, — wie er Kling nennt — der fi auf die Bibel 
veritehe, wie ein Ejel auf die Harfe, um fo treuer an Luthers 
gnadenreichem Evangelium feithalten und imnterfort deffen Lob 
in Erfurt verfünden ?). 





ı) Etliher Gottlofen vnd widderchriftifchen Tere von der Papiftifchen 
Meilen, fo ber Barfuffer zu Erfurt D. Conrad Kling gethan, Berlegung 
durch Juſtum Menium am Sontag Reminiscere geprebiget 1527. 4°. (Am 
Ende: Wittenberg). 

»)1.c.A2h. 

s) „Ob es gleich (das Evangelium) von ech bluthunden und Chriſten⸗ 
mördern verbampt wird“, mit biefen Worten fchließt Menius, „fol ed vns 
dennoch darumb nichts befter vnwerder fein, Ja es fol un? eben darumb 
recht hertzlich lieb feyn, das es euch gottlefen tyrannen vnd feelenmördern 
nicht gefellet. Weiftu nicht dad Ehriſtus ym Euangelio vom Teuffel eben 
nichts wil gepreifet fein? — So wollen wir vnſers Gottes namen vnd ehre 
widber bein leftern mit munt vnd febbern bekennen vnd rhümen wider dich 
deinen Satan, vnd bie bellifchen pforten. Dazu fol vns Gott feine grade 
geben. Amen.“ oc. E da. 


— 45 — 


Nicht minder war Luther jelbft über das Duldungsſyſtem 
de Rathes aufgebracht. Er ſprach von dem Zorne Gottes, 
der über Erfurt gefommen, und von pharaonifcher Verſtockt⸗ 
heit ). Er zollte dem Auftreten des Menius vollen Beifall 
und Tieß deſſen Teidenfchaftliche Predigt, mit einem Vorworte 
verfehen, in Wittenberg zum Druc befördern. Einer zweiten 
Streitſchrift desfelben fügte er ein Sendſchreiben „an alle 
frommen Chriften” in Erfurt bei, in dem er feinen Unwillen 
über die gegenwärtige Haltung der Stadt in den ftärfften Au3- 
drücken kundgibt?). Er erinnert an die großen Gnaden, die 
Gott Erfurt vor fo vielen Städten erwiefen, und vergleicht die 
papiftifche Finfterniß, in der die Vorfahren gefchmachtet, mit 
dem Kichte des Evangeliums, das jett Allen leuchte, Schwer 
fei deshalb, Iehrt er, auf Capernaum und Chorazin hinweiſend, 
die Verantwortung, welche Erfurt jebt durch feine Undankbar⸗ 
feit und Sleichgültigkeit gegen fo hohe Gnaden auf fich lade. 
Der Rath wird ermahnt, eitele Furcht fahren zu laſſen und 
das Unmwefen der Papiften und ihres Führers Conrad Kling 
nicht ferner zu geftatten. „Es ſollt ein Theil weichen“, fügt 
der Reformator drohend Hinzu, „ed wären bie Evangelifchen 
oder die Päpftifchen, wie Chriftus Yehrt Mathäi am zehnten 
Kapitel: An welcher Stadt fie euch nicht hören wollen, ba 
weichet von und fehüttelt den Staub eurer Schuhe über fie. — 
Wer und nicht hören will, von dem find wir leicht und bald 
geſchieden“ *). 


1) Bol. Te Wette II1, 168. „Erfordia tua est Erſordia: tam cito 
sequitur ira de coelo, ut simulac coeperit gratia lucere, statim con- 
currat et furor Dei excaecantis et gravantis cor Pharaonis.‘“ Ad 
Menium (9. April 1527), 

2) Abgedr. bei De Wette III, 227—9. 

3) De Wette ITI, 229. — E83 fcheint, daß ber Streit zwifchen den bei: 
ben Olaubensparteien von den Wichertäufern benußt wurde, um für ibre 
Secte in Erfurt Anhang zu gewinnen, wie Aehnliches fich in mehreren 
Städten wahrnehmen läßt. Vermuthlich fand der fchiwärmerifche Valentin 
Ickelſamer mit jener Secte in Verbindung. in Wiedertäufer, „der ftolze 


— 246 — 


Indeß der Rath ließ ſich durch Luthers Drohungen auf 
ſeinem Wege nicht beirren und hörte noch weniger auf das 
Schelten der Prädikanten. Der Einfluß der letzteren war bereits 
völlig dahin. Nicht ohne Grund hatte ihnen Uſingen einſt 
zugerufen, ihren Siegesjubel zu mäßigen, da er nicht von 
Dauer fein werde). Daß ſich das Evangelinm dem Rathe 
als das wirkſamſte Beförderungsmittel ſeiner politiſchen Plane 
empfahl, hatte bisher den Argumenten ſeiner Verkünder einen 
großen Theil ihrer Beweiskraft verliehen, fie ſelbſt mit ſtolzer 
Zuverficht erfüllt: mit dem MWechfel der politiihen Tendenzen 
im J. 1526 war es um ihren. alten Einfluß gejchehen. Der 
Eifer des gemeinen Mannes war fchon erfaltet, feit ihre Pre— 
bigt den Reiz der Neuheit verloren hatte. Zurückſetzungen, 
jelbjt Kränfungen traten jebt an die Stelle des frühern Bei— 
fals und. wurden um fo härter empfunden, je weniger man 
an fie gewöhnt war?). Menius drohte unwillig,. die undank— 
bare Stadt zu verlaffen, und bat Luther, ihm anderwärt3 ein 
Unterfommen zu verfchaffen. Luther ſelbſt aber ſprach, als er 
alle feine Ermahnungen fruchtlos ſah, nur noch in den Aus— 
brüden der Entrüftung von dem heillofen Erfurt, deſſen Ver: 
jtocftheit er einem Fluche des Himmels zuzujchreiben geneigt 
war 3). 


Nicol“ wurde 1528 geviertheilt, weil er die Stadt habe anzünden und ben 
Täufern überliefern wollen! Vgl. Faldenftein ı, 591. 

1) Vgl. Liber secundus D. Barth. de Using. E 4 a. ‚‚Superbia 
vestra, qua caecamini, periodum suam habet.‘“ —- 

3) Ein von Motſchmann in feinen handſchriftl. Collectaneen angeführter 
Ghronift gebenft ausführlich der bittern Erfahrungen, welche die Prädifanten 
feit diefer Zeit haben machen müſſen, wie fie „viel und mehr ald ihnen Tieb 
gewefen, de papiftifchen Sauerteigd haben unausgefegt müſſen bleiben laſſen“ 
und in ber Öffentlihen Meinung fehr tief geftanden, weil man gewußt, daß 
es meiften? alte, verlebte Ordensleute feiern. — 

2) „„Erfordia est Erfordia, Erfordia crit Erfordia, Erfordia fuit 
Erfordia‘“ fchreibt er am 1. Mai 1528 an Menius. De Wette II, 308. 
Auf jenes Geſuch des Menius antwortete er am 23. Mai: „Ego uon 
onittam, quin, ut Occasio sese quaeque prima obtulerit, te ex isto 


— UT — 


Biel eher, als dag Drängen der Theglogen, war die Hal- 
tung des Erzbiſchofs von Mainz geeignet,. ven Rath wieder 
wanfend zu- machen. Nicht zufrieden gejtellt durch die Zuge- 
ftändniffe des Rathes, hatte Albrecht fein Recht bei Kaifer und 
und Neid) weiter verfolgt. Unter dem 18. September 1527 
erichien ein Faiferliche® Mandat, welches dem Rath, unter An- 
drohung Faiferlicher Ungnade, befahl, fortan feinen lutheriſchen 
Prediger mehr zu dulden). Treilih wußte man in ‚Erfurt 
aus Erfahrung, daß Ungehorfan gegen des Kaiſers Man 
date nicht gefährlich fei, und Tieß deshalb auch das gegen- 
wärtige unbeachtet ?). Allein der beharrliche Eifer, womit ber 
Erzbifchof in der nächſten Zeit feine Sache betrieb, erweckte 
doch ernftliche Beſorgniſſe und verichaffte endlich der Weber: 
zeugung den Sieg, daß der 1526 eingejchlagene Weg zu dem 
gewünschten Ziele nicht führe. Und nun erfolgte wirklich, was 
früher den theologifchen Eiferern verfagt worden war. Man 
fing abermal3 an, fih Sachſen zu nähern; fogar mit Philipp 
von Heffen wurden Verhandlungen angefnüpft, um deſſen Hülfe 
gegen Mainz zu gewinnen. Die Altgläubigen erfuhren neue 
Beſchränkungen; ihrem Vorkämpfer Konrad Kling wurbe 1529 
vom Rath die Eanzel verboten. Luther erwied in bemfelben 
Sahre der Stadt wieder die Ehre eines Bejuches?). Die Ber 
jühnung war vollitändig, Von Neuem jchien es, als würde 
dag Evangelium in Erfurt die Alleinherrichaft behaupten. 

Diejen unaufhörlichen Schwankungen machte endlich der 
Bertrag von Hammelburg im Anfang des Jahres 1530 ein 


— 


bestiarum crudelium et ingratissimarum lustro evocem: ita me habet 
pessime istins urbis abominatio, quid enim aliud dicam?“ 1. c. III, 325. 

) Vgl. Hundorph Euc. Erf. Mi. 

2) Bol, übrigens das Schreiben des Syndikus Wolfgang Plid an Pirf- 
heimer (d. d. 8. Februar 1528), worin jener fi Auskunft darüber erbittet, 
wie fih Nürnberg in gleihen Falle verhalten habe. Heumann Doc. lit. 
p. 254. 
2) Vgl. Erhard Ueberl. 3. vaterl. Geſch. I, 76. 


— 248 — 


Ende. — Die letzten Vorgänge hatten den Erzbiſchof Albrecht 
von der Unmöglichkeit überzeugt, feine Forderungen in ihrem 
ganzen Umfange durchzufeßen. Er entjchloß fih, Opfer zu 
bringen. Unter Bermittelung des ſchwäbiſchen Bundes, der 
ſchon zwei Sahre vorher in Augsburg eine Ausſöhnung der 
Streitenden verſucht hatte, traten am Feſte Mariä Lichtmeß 
1530 Abgeoronete von Mainz und Erfurt zu Hammelburg, im 
Gebiete des Abtes von Fulda, zufammen, um den Streit end 
gültig zu erledigen. Bon beiden Seiten wurden Zugeſtändniſſe 
gemacht. Der Erzbilchof gewährt eine allgemeine Amnejtie für 
alles Borgefallene. Die Stadt dagegen verjpricht, den Erz- 
bifchof wieder als ihren rechtmäßigen Oberherrn anzuerkennen. 
Sie verpflichtet fich ferner, ihm für den erlittenen Schaben 
Erfab zu leiften, die zerftörten Gebäude wieder aufzurichten, 
die geraubten Kirchenfchäbe, foweit fie noch vorhanden, herauz- 
zugeben, für das, was abhanden gekommen oder zu ftäbtijchen 
Zweden verwandt it, eine Entihädigungsfumme zu zahlen. 
Nur die beiden Capitel haben auf die Nüderftattung des ihnen 
Genommenen für immer zu verzichten und follen die ihnen 
1521 abgebrungene Summe von 10,000 Gulden „gütlih und 
freundlich nachjehen”, auch in billigen Dingen den Anorbnungen 
des Rathes Gehorſam leiſten. — Was endlich den wichtigsten 
Punkt, die kirchlichen Verhältniffe, angeht, jo wird in dem Ber: 
trage ſtillſchweigend das Nebeneinanverbeftehen der beiden Reli: 
gionsparteien anerfannt. Nur für die beiden Stiftäfirchen und 
bad WBeteröflojter wird ausdrücklich katholiſcher Gottesdienſt 
„nach altem Herkommen und chriftlicher alter Ordnung” vor: 
behalten. Hinfichtlid der übrigen Kirchen blieb es bei dem 
Beitehenden, d. i. fie blieben zwischen beide Confeſſionen getheilt 2). 


1) Der Hammelb. Vertrag findet ſich abgedr. bei Faldenftein ı, 592— 97, 
im Auszuge bet Guden I. c. p. 227. — Der evangelifhe Hauptgottesdienft 
wurde nach Rückgabe des Domes an die Katholifchen in die Predigerfirche 
verlegt. — 


_ 249 — 


Am Samftag nad) Marias Lichtmeß wurde der Verfrag 
von Hammelburg von beiden Parteien unterzeichnet — wohl 
ver erfte in Deutjchland, in welchem Alt: und Neugläubige 
jich zu gegenfeitiger Duldung verftanden. 


V. 


Es iſt die außerordentliche, dem allgemeinen Gange der 
Ereigniſſe vorauseilende Raſchheit der Entwickelung, welche die 
reformatoriſche Bewegung in Erfurt auszeichnet und merf- 
würdig macht. 

Unter den Erften, welche die Fahne der Bewegung auf: 
gepflanzt, war Erfurt, wie im ftürmifchen Lauf, auf den neu- 
geöffneten Bahnen vorausgeeilt. In rafcher Folge gelangten 
die einzelnen Richtungen, welche nacheinander die Reformations- 
bewegung beherrſcht und ihren Gang beitimmt haben, hier zur 
Herrſchaft. In kürzeſter Friſt wurden bie verjchiedenen Ent- 
wicelungsftufen zurüdgelegt. Noch kaum hatten im Reiche die 
Barteien des alten und neuen Glaubens fich zu gruppiren 
angefangen, als in Erfurt bereit3 an ihrer Ausgleichung gear: 
beitet wurde. Und noch ehe der Reichdtag von Augsburg die 
Spaltung Deutſchlands jeinem Kaiſer als vollendet zeigte, war 
in Erfurt Schon der Friede aufgerichtet, den zu gewinnen bag 
Reich erft langer und blutiger Kämpfe beburft hat. 

Aber es zeigte fich bald, wie wenig damit einftweilen 
gewonnen war. 

Der Friede von Hammelburg war fo wenig, al3 der Augs⸗ 
burger Religionsfrjede, deſſen Stelle er für Erfurt vertritt, 
die Frucht berichtigter Ideen über Religion und Religionzfrei- 
heit, jondern ein Werk der Politik, unter dem Drange äußerer 
Berhältniffe zu Stande gefommen. Er machte wohl der bi3- 
herigen Unficherheit des öffentlichen Zuftandes ein Ende, aber 
in den Gemüthern dauerte die Gährung fort. Der innere 
Gegenjag war nicht ausgeföhnt: an ein aufrichtiges friedliches 


— 0 — 


Zufammenleben war auch jebt noch nicht zu denfen. Der 
Standpunkt de Raths, der von nun an regelmäßig cinige 
Katholiken unter feinen Mitgliedern zählte und die hammel— 
burger Zufagen aufrecht zu halten entjchloffen war, wurde von 
den Wenigſten getheilt. Der Vertrag erfuhr von beiden Seiten 
Anfeindungen. Bon fatholifcher Seite legten die Canoniker 
der beiden Stifter Proteſt ein, weil fie die ihnen auferlegte 
Berzichtleiftung unbillig fanden !). Indeß ihre Widerſpruch 
blieb ohne Wirkung und offenbarte nur ihre Ohnmacht. Beuns 
rubigender waren die Anfeindungen von der entgegengefeßten 
Seite. Zunächſt erhob ſich Sachen, die Schußmacht des erfur- 
tiſchen Proteſtantismus. Erfurt hatte ſich nicht jo bald mit 
feinem rechtmäßigen Oberherrn ausgejöhnt, als der ſächſiſche 
Ehurfürft feinen Unwillen auf die Stadt warf und, aufgejtachelt 
von einigen unzufriebenen, Bürgern, Feindſeligkeiten gegen jie 
eröffnete ?). Gründe der Religion und Politik vereinigten fich 
bei Sohann dem Beitändigen und jeinem Nachfolger, um ihnen 
den hammelburger Bertrag ald einen Abfall won der guten 
Sache ericheinen zu laſſen. Die Feindſeligkeiten zwiſchen Sachen 
und Erfurt nahmen einen jo bebenflichen Charakter an, daß 
Melanchthon Schon in ihnen den Keim eines allgemeinen Reli- 
gionskrieges erblidte”). Erſt durch die Dazwiſchenkunft der 
beiden katholiſchen Höfe von Mainz und Dresden kam gegen 
Ende 1533 ein Vertrag zu Stande, welcher der Stadt vor den 
ſächſiſchen Anfeindungen Sicherheit verjchaffte *). 


ı) Guben Hist. Erf. p. 228. 

2) Bol. außer den Ehroniften Faldenftein 1. c. I, 599 ff. Guden 1. c. 
p. 228. — Die Eröfinung der Feindfeligfeiten geſchah durch Wiederauf: 
frifhung des Geleitsrechts. Die Bedrängniß der Stadt wurde fehr groß: Bürger 
durften ſich kaum noch vor den Thoren fehen lafien, da ſächſiſche Reiter die 
ganze Umgegend unficher machten und Wehrloie gefangen nahmen. — Unter 
den „Aufhetzern“ des fächfifchen Hofes, welche die Chroniſten namhaft machen, 
finden ſich mehrere Erfurter, namentlich jener Hermann von Hoff, der alte 
Gönner Lange’3 und Borreiter der Bauern im Sabre 15251 

s) Val. Corp. Bef. II, 676, 685, 688, 6%. 

*) Der Vertrag ift abgedr. bei Faldenftein I, 601—4. 


— 251 — 


Den bartnädigften Gegner aber fund das Friedenswerk 
“in den Prädifanten. Ihnen war die Duldung des Fatholiichen 
Gottesdienstes neben dem ewangelifchen ein Aergerniß, ein Frevel 
gegen dag Evangelium jelbit, und Luther, an den fie fih um 
Rath und Hülfe wandten, theilte ihre Anficht: ihm erinnerte 
Erfurt an Sodoma und Kapernaum!). Dem Rathe Fonnten 
fie e8 nimmer verzeihen, daß er die Sache des Glaubens welt- 
fihen Rücfichten aufgeopfert. Das Verhältniß zwijchen der 
ſtädtiſchen Obrigkeit und der neuen Cleriſei wurde.noch gejpann- 
ter, als die Fathelifchen Mitglieder des Rath fogar die Recht: 
mäßigfeit der Vocation der evangelischen Geiftlichen anzufcchten 
wagten. Luther, wieder um feinen Beiſtand angegangen, antiwor: 
tete feinen erfurtifchen Amtsbrüdern mit einem Troftjchreiben, in 
dem er ihnen einjtweilen Geduld anempfahl und bie Hülfe des 
Ehurfürften in Ausſicht ftellte?). Allein die ſächſiſche Hülfe 
blieb aus. Da eine Aenderung feiner Haltung von dem Rathe 
nicht zu erwarten war, machten die Prädikanten ven Verſuch, 
ſich völlig von feinem Anfehen zu emancipiren. Es fam darü- 
ber zu bittern Streitigfeiten im Schooße der neuen Kirche felbft. 
Der Rath wur nicht gejonnen, eine neue Hierarchie auffonmen 
zu laſſen, einer Macht, die er ſelbſt geichaffen, eine ſelbſtändige 
Stellung neben ſich einzuräumen, und trat den Anfprüchen der 
Prediger mit Entjchiedenheit entgegen. Aber auch das Bolt 
war ihnen zum großen Theil entgegen 3). Es Half Nichts, 
daß Luther mit den angefehenften Häuptern der neuen Kirche 
in einem ſehr energiichen Gutachten die Selbjtändigfeit der 


— — — — — —24 


) De Wette IV, 582. 

2) Bol. Te Wette IV, 477 ff. Das Schreiben iſt auch yon Jonas und 
Melanchthon unterzeichnet. Das Schreiben des Mechler, worin er Luther 
von den Anfeindungen des Rathes in Kenntuiß feßt, ift verloren gegangen. 

3) Meber die Haltung des Volkes fchrieb Wicel ſchon im Sahre 1532, 
„Qui sunt e populo sanieris judicii, ii imposturas intelligere coepe- 
runt et magna pars Erphurdiae resiliit a Catilina, major in ambigue 
haeret.“ Wicel. epp. X 2b. 


— 22 — 


Prädikanten dem Rathe gegenüber in Schuß nahm und ſogar 
die geiftlihe Gewalt, als die erfte, über vie weltliche erhob ?). 
Das Anfehen des Rathes trug zulegt den Sieg davon, und bie 
Diener ded Evangeliums mußten fid) der neuen Oronung ber 
Dinge fügen, — im Herzen freilich immer noch von der Ver— 
werflichkeit derjelben überzeugt 2). — Reibungen und Streitig- 
feiten zwiſchen der tolerant gefinnten Rathspartei und den 
theologischen Eiferern blieben in Erfurt noch lange an der 
Tagesordnung ?). 

Vor Allem betrafen diefelben die Univerſität. Um die 
Univerfität hatte fich jchon feit dem Jahre 1530 vorzugsweiſe 


— — — — — — — 


1) Das Gutachten, unterzeichnet von Luther, Melanchthon, Pomeranus, 
Konad und Myconius, findet fi abgedruckt in den Unſchuld. Nachr. 1715 
p. 380 — 92. 3 ift merfwürdig durch die entfchiedene Vertheidigung ber 
geiftlichen Principien. „Verbum Dei constituit magistratum‘‘ Tautet ber 
oben erwähnte Sak, „„et non magistratus verhum aut verbi ministerium.‘“ 
Auch die Ernennung und Wahl der Geiftlichen wird dem Rath abgefprochen: 
„Vocatio et electio ministrorum praedicationis purae non est proprie 
et principaliter magistratus, sed ecclesiae“ ]. c. p. 383. — Zwei Dinge, 
wird dann p. 385 ausgeführt, gäbe es in Erfurt, bie wohl auseinandergehal⸗ 
ten werden müßen: Bespublica und Ecclesin. 


2) Ihr Ummuth und Grol tritt und in ben noch erhaltenen fpäteren 
Briefen von Mechler und Lange entgegen. So fchreibt Mechler über ben 
Tod Luther? an Myconiuß: „Video, Dei arcano consilio Ecclesiam tantis 
viris et rectoribus orbari et nos in perpetua pugna hic cum Satana 
et suis dentatissimis satellitibus adhuc relinqui.‘“ Vgl. Tenzelii Suppl. 
reliqua Hist. Goth. cum praef. Cypriani p. 106. Aehnlih Lange an 
benjelben; ‚„‚Utinam Evangelium apud nos promoveret, quod nunc, heu 
nobis, Mantrabuli more procedit. Gratulor vobis et gaudeo, quod 
sub Christiane principe degitis, qui non literarum modo, sed et pie- 
tatis Mecaenas dici debeat. Nobis multi sunt priacipes, multae leges 
etc.‘ 1. c. 126. Bol. Verpoortennii Annlecta rev. sup. p. 119. 


3) So unterzeichnete Lange gegen ben Willen des Rathes bie ſchmalkald. 
Artifel; 1543 kam es zu Mißhelligfeiten zwifchen Rath und PBrüdifanten über 
die Abfchaffung Fathelifcher Geremonien, mozu die Prädifanten eigenmächtig 
fhritten. Auch das Interim, welches die Prädifanten „auf eigene Fauſt“ 
verwwarfen, gab Anlaß zu Streitigkeiten. 


— 253 — 


der Kampf der Parteien bewegt. Gerade hier traten ſich die 
Gegenſätze am ſchroffſten entgegen. 

Mit dem Frieden von Hammelburg war der Univerfität 
noch einmal ein Strahl der Hoffnnng aufgegangen. Durd) 
die Ausfähnung mit dem mainzischen Stuhle war der Grund 
des frühern Mißtrauens gegen fie befeitigt. Der Nath dachte 
jeßt ernitlich daran, eine alte Schuld zu fühnen und den fchon 
drei Jahre zuvor angeregten Plan zur Ausführung zu bringen. 
In Öffentlichen Berfammlungen wurde über die „Reſtauration“ 
der Univerjität berathen. Faſt allgemein gab fi) daS Ber- 
langen Fund, die ehemalige Hauptzierde der Stadt wiederher: 
gejtellt zu jehen'). Sogar aus der Ferne kamen Aufmunte- 
rungsſchreiben, welche den Wunsch und die Hoffnung ausfprachen, 
dag „das erlauchte Erfurt fein Haupt wiedererhebe und dag 
verlorene Anjehen wiedergewinne” ?). 

Aber die Herjtelung der Univerfität war ein Werk, das 
die Kraft des Rathes überſtieg. Der kirchliche Riß, der bie 
Stadt in zwei feindliche Heerlager theilte, machte dad MWieder- 
aufblühen ihrer Schule unmöglich, Die zurücdgebliebenen Leh— 
rer jelbit waren zwijchen beide Bekenntniſſe getheilt: neben der 
fatholifchen Majorität gab es eine evangelifche Minorität, aus 
der während der beiden vorhergehenden Sahre (1528 — 30) 
jogar der Nector hervorgegangen war). 3 Tonnte nicht die 
Abſicht des überwiegend evangelifchen Nathes fein, die lebtere 
von der wiederherzujtellenden Anjtalt auszuſchließen, obgleich 
der hammelburger Vertrag den katholiſchen Charakter berjelben 


1) Vgl. Wicelii epist. libr. IV, 8 44. 

2) „„Civitas literariis rebus veluti condita existimari possit‘‘, 
fchrieb damals Wicel aus Fach an den Syndikus H. ©. „adeo nihil in ea 
non ad eas habile est. — Tu satage, ut Erphurdia inciyta caput re- 
levet et amissam dignitatem recuperet.‘‘ I, c. 

2) Heinrich Eberbach, der von 1528— 30 das Rectorat bekleidete. €. 
UM. Doch war die evangelifche Minorität jehr ſchwach. 


— mM — 


anzuerfennen jchien '). Die Abficht des Rathes ſcheint viel- 
mehr gemwejen zu fein, die Univerjität zu einem gemeinjamen 
Eigenthum beider Confeſſionen zu machen, wie Achnliches früher 
binfichtlich de Domes von ihm verjucht worden war. Allein 
feine Partei fand fich dadurch befriedigt. Die Prädikanten, 
welche von Anfang an wenig Eifer für die Wiederheritellung 
der Schule gezeigt hatten, fürchteten, daß das Porhaben des 
Rathes bloß dem Papſtthum zum Vortheil gereichen möchte 2). 
Als bald darauf ſich daS Gerücht verbreitete, der Rath beab- 
fichtige, fogar einem abgefallenen Lutheraner, dem gelehrten 
Georg Wicel, ein Lehramt zu übertragen, erhob ſich in der 
evangelifchen Geiftlichkeit ein allgemeiner Sturm Bon den 
Canzeln wurde die Gefahr des evangeliichen Glauben? verfündet 
und Alles in Bewegung gejeßt, um die Berufung des Abtrün— 
nigen, der dem Volke als ein Ungeheuer gejchilvert wurde, zu 
verhindern ?). Von Wittenberg eilte Juſtus Jonas herbei, um 
durch einen gehäffigen, theils ſogar unmwahren Bericht über 
Wicel's Leben und Charakter den Rath von feinem Vorhaben 
abzujchreden und die Gefahr von der Stadt abzuwenden. Der 
Rath beſaß nicht den Muth, dem allgemeinen Sturme zu trogen, 


— — — — —— 


1) Die Wiederanerkennung des Erzbiſchofs in allen feinen Rechten ſchloß 
auch ſeine Anerkennung als Canzler der Univerſität in ſich. — Die theolog. 
Facultät war ſchon durch den damals zugeſtandenen Fortbeſtand der beiden 
Stifter, welche die meiſten theol. Lehrſtellen beſetzten, den Katholiken geſichert. 
— Es fällt auf, daß ſeit dem J. 1531 eine ganze Reihe von Jahren hindurch 
nur Canoniker das Rectorat bekleiden. 

2) Auf ſie bezieht ſich Wicel's Aeußerung: „Sunt homines quidam, 
quibus instauratio scholae istius non usquequaque placere videatur. 
Nam factioni suae misere metuunt.“ Wic. epp. S4 a. 


2) „Cathedrae templares“ ſchreibt Wicel felbft an einen Freund, 
„Aclassatae sunt crebris clamoribus et furiis non referendis in me, 
quem non noverunt. Intoxicati sunt civium animi tot vociferationibus, 
tot sihilis, tot delationibus, tot vituperiis, tot calumniis suorum con- 
cionatorum, ut nihil supra.‘“ Wic. ad J. L. d. d. Erph. Joan. Bapt. 
15322. 1.c. V 3 a. 


— 2355 — 


und ließ den Angefeindeten, der fich bereit3 in Erfurt einge 
funden hatte, fallen '). 

Und auf der Fatholifchen Seite gab fich ein ähnlicher Geiſt 
fund. Sie ſetzte ſich mit Entjchiedenheit dagegen, als der Rath 
in der nächſten Zeit den Wunjch äußerte, zwei Lehrer von 
Wittenberg zu berufen, und wußte den Plan zu vereiteln. 
Die Eifrigften, wozu allezeit die aus den beiden Capiteln her: 
dorgegangenen Lehrer - gehörten, gingen in der Unduldſamkeit 
jo weit, daß fie Allen, die in Wittenberg den Studien obge— 
legen, die Ertheilung der afademifchen Grade vermeigerten ?). 

Bei diefer Teidenfchaftlichen Erregtheit der Gemüther auf 
beiden Seiten war an ein Wiederaufblühen der Univerjität um 
jo weniger zu denken, als die gelehrten Studien ſelbſt jeit dem 
Anfang der kirchlichen Bewegung immer mehr in Verachtung 
gerathen waren. Schon 1529 wird in den afademijchen An— 
nalen über den zunehmenden Materialismus der Seit Klage 
geführt und mit Bedauern auf die Erfcheinung hingewieſen, 
daß Alles, was noch Talent befite, jebt die unfruchtbare Wiffen- 
Tchaft verlaffe, um dem einträglichen Gewerbe oder dem Handel 
ſich zuzuwenden!“) Fürwahr, der jegige Hader der Parteien 


—— — — —— — — 


1) Ueber die gegen Wicel angezettelten Umtriebe vergl. man Wicelii 
epp. Q3a—R25, V2a—3b, X 2 a—3 b, c 3a sqq. De Wette 
IV, 385. Wicel batte fich um die bebräifche Profeffur beworben, die er jo 
ficher erwartete, daß er bereits feine Antrittsrede ausgearbeitet hatte. 

2) So berichten wenigſtens einzelne Chroniften und fügen hinzu, daß die 
Papiſten fpäter auch den für illegitim erflärten Söhnen der Präbifanten die 
akademiſchen Grabe verfagt hätten. — Vgl. Narr. de Eob. Hesso et Epi- 
stolae L 2 a. 

3) Vgl. Philoſoph. Matrifel ad a. 1529. „Inter hujus seculi innu- 
mera mala unice dolenadum, quod bone litere saluberrimaque bonarum 
arcium studia, quibusvis fedissimis questibus posthabentur. Omaia 
ingenia liberaliora, quibusque divina henignitate contigit, ut optimis 
literarum studiis incumbere possent, ilico aut mercature aut alis 
artibus questuosioribus mancipantur. Antea dum sacerdociorum spes 
essct, aliquantum literarum racio habita est: en spes cum alibi sublata 
sit, alibi nutet, nemo est, qui liberos suos erudiri solide alicujus 


— 256 — 


war nicht geeignet, die frühere Begeiſterung für gelehrte Stu- 
dien zurückzurufen! 

Nur Ein Mittel ſchien noch übrig, der darnieberliegenden 
Schule wieberaufzuhelfen und Erfurt3 alten Ruhm zu erneuern: 
die Zurückberufung des gefeierten Dichters, der vor Allen den 
frühern Ruhm der Schule vertrat. Auf Eoban Hefe richteten 
ſich die Blicke aller redlichen Freunde der Univerfität. _ Sein 
anerkannter Ruhm, feine milden religiöjen Anfichten Tießen ihn 
in gleicher Weile als den einzigen nod) möglichen Netter der- 
jelben erjcheinen. Noch vor Ende 1532 empfing er die Ein- 
ladung, nach Erfurt zurüdzufehren. 

Und Eoban war dazu bereit. Er hatte fich in der vor: 
nehmen Handelsſtadt an der Pegnitz, troß der Auszeichnung, 
womit er dort behandelt wurde, nie recht heimiſch gefunden. 
Sein Herz hing an Erfurt, an der Schule, welcher der größte 
Theil feines Reben? gewidmet geweſen. Mit lebhafter Freude hatte 
er von den Bemühungen des erfurter Rathes vernommen, und 
gen war er jett bereit, ihm zu Hülfe zu eilen. Mehr al? 
die Hälfte feiner Einfünfte brachte er zum Opfer, fchlug gleich: 
zeitig an ihn ergangene ehrenvolle Einladungen nah Witten: 
berg und Marburg aus, um dem Drange feine? Herzen? nad) 
Erfurt zu folgen. Sieben Sahre war er abweſend gewejen, 
als er im Frühjahr 1533 wieder bei feinen alten Mitbürgern 
eintraf "). 


faciat. Tum qui sacerdocia adhuc aucupantur plerique perditis fere 
adeo ingeniis sunt, ut et ipsi literas tamquam veritatis ministras et 
imposturarum hostes pessime odiant et; detestentur.‘‘ — Ganz ähnlich 
lautet Wicel’8 lage: ‚‚Parentes et cognati saepe vel invitos filios e- 
ludis exturbatos ad officinas propellunt, sive quia contemptissimum 
sacerdotium, sive quia non habent, unde ocii literarii sumptus susti- 
neant. Quaestio nunc est, non quantum quis sciat, sed quantum ha- 
bent. Expers sui honoris est scientin, abdomen vero et tumor et 
opulentia mirifice colitur. Scholae deseruntur, ad aulas, ad emporia, 
ad Alchumiam ad metallariam strenue curritur.‘“ Wic. cpp. Ee la. 

ı) Bgl. Eob. et amic. ep. fam. p. 50, 65, 135, 138, 155, 219, 267. 


— 297 — 


Großer Jubel herrſchte in Erfurt über Eoban’d Rückkehr. 
Es fchien, als ob aller confeſſioneller Hader vergeſſen ſei. Als 
der endliche Wiederherſteller der Univerſität wurde der Ange— 
kommene von ſeinen alten Bekannten beider Parteien begrüßt. 
„Ich freue mich“, ſchrieb Wicel damals, „über das Glück, das 
unſerm Erfurt zu Theil geworden, daß ihm endlich ſein Eoban 
zurückgegeben worden iſt. Dieſer wird, was immer mein ſehn⸗ 
lichſter Wunſch war, das erloſchene Licht der Wiſſenſchaft wieder 
anzünden. Es werden jetzt wieder frohlocken die traurigen 
Muſen, nachdem ſie ſo lange verachtet und nackt am Boden 
gelegen” 1). Und dies hoffte zuverſichtlich auch Eoban ſelbſt. 
Durch öffentlihen Anſchlag verkündete er, daß Erfurt feinen 
alten Ruhm, als Stadt der Mufen, mwiebergewinnen und den 
Wiſſenſchaften nicht Länger die gebührende Ehre vorenthalten 
werde. Auf die Opfer hinweiſend, die er jelbjt gebracht, for: 
derte er Alle auf, jeinem Beifpiele zu folgen, ihre Bemühungen 
mit den feinigen zu vereinigen, damit durch vereintes Wirken 
bald dag alte Erfurt wieder erjtehe 2). 


Narrat. de Eob. et ep. R 2 a sqq. Libell. alt. epp. C 6 b. Libell. 
nov. epp. C 8 a. Corp. Ref. II, 624. — Männer von beiden Belennt- 
niffen wie ber Fatholifche Canoniker Groeningen und ber inzwifchen wieder 
mit Eoban ausgefühnte Lange hatten fich zu einer Zurücdberufung bie Hand 
geboten. — Statt der 150 Gulden, die er in Nürnberg bezog, konnte ihm 
Erfurt mur 60 Gulden bieten, trotzdem und troß ber glänzenden Anerbietungen, 
die ihm ber Churfürft von Sachſen machte, zog er Erfurt vor. Vgl. Narr. 
de Eob. Q 8 b. Epp. fam. p. 239. 
1) Wicel, ad W. L. d. d. 21. Maj. 1533. — Wic. Epp. Ji3b. 
2) Vgl. Eob. Farr. I, 337. In foribus scholae Erphordianae cum 
e Norico reversus esset. 
Nunc age, qui reduces posteras sperare Camoenas, 
Me duce Musarum limina rursus adil 
Me nisi versa retro fati vis certa fefellit 
Jam suus ingeniis restituetur honor, 
Jam studia amissum decus et detracta resument 
Praemia, jam virtus nulla jacebit iners etc, 
Daß aber daneben auch fofort wieder die alten Gelagereien begannen, erjieht 
man Narr. de Eob, et Epp. K7 au. a. 
Kampſchulte, Univerfirät Erfurt. II. Theil. 17 


— ass — 


Allein die großen Erfolge, die fich Eoban jo zuverſichtlich 
veriprach, blieben aus, und bald genug hatte er Urſache, den 
gethanen Schritt zu bereuen. Bei dem Rathe fand er zwar 
guten Willen, aber nicht immer die gewünfchte Unterftüsung; 
die Menge verhielt ich theilnahmlos und gleichgültig; allent- 
halben trat ihm der Firchliche Zwift heinmend entgegen. „Mit 
unferm Schulwejen”, ſchrieb er ſchon im folgenden Sabre an 
Camerarius, „geht es in der gewohnten Weife, d. i. ſchlecht. 
Dieſe Stadt ift die Uneinigkeit jelbft” 2). Alle feine Bemühun: 
gen und Anftrengungen blieben fruchtlos. Die Frequenz der 
Schule fteigerte ih nur unbedentend. Eoban's Name hatte 
jeine alte Anziehungskraft verloren). Dazu fam, daß ihm 
von den übrigen Lehrern nur wenig Hülfe geleiftet wurde. 
Maternus Piſtorius, fein alter Xehrer, der ihn als Vicecanzler 
der Univerfität im erften Jahre nach Kräften unterftügt Hatte, 
ſtarb ſchon das Jahr darauf 1534 — er war der Einzige 
geweſen, der in böſen, wie in guten Tagen an ber Stätte des 
alten Ruhmes audgehalten. Ein Verſuch, Camerarius und 
Micyllus zur Rückkehr nach Erfurt zu bewegen *), hatte Teinen 
Erfolg. Da verlor auch Eoban, in allen feinen Erwartungen 
getäufcht, Muth und Freudigkeit und gewann jeßt die Weber: 
zeugung, daß der alte Ruhm der vielbefungenen Stadt unwie 
derbringlich dahin ſei. Gegen feinen Willen zurückgehalten, 
verlebte er noch einige traurige Jahre in Erfurt, bis 1536 ein 
ehrenvoller Ruf nach Marburg ihn dem troſtloſen Wirkungs⸗ 
kreiſe für immer entrückte ). 


1) „De nostris rebus scholasticis nostro more omnia i. e. male. 
Haec ciwitas eat ipsa discordia.‘“ Am 6. Juli 1534. Narr. de Eob. 
et epp. L 4 b. 

2) Im erſten Jahre ſeiner Anweſenheit ſtieg zwar die Zahl der Inſcriptionen 
wieder auf 76, ſie ſank aber ſchon in den nächſten Jahren wieder; 1534 wurden 
nur 68, 1535 zwar wieder 74, 1536 aber nur 50 immatrikulirt. E. U. M. 

3) Vgl. Eob. et amic. ep. f. p. 50. Narr, de Bob. et ep. K7 a. 

*) Vgl. Narr. de Eeb. et epist. M 7 b. — Eob. et amic. ep. f. 
p. 179, 181, 1%. 


— 19 — 


„Run tft e8 um die Studien in Erfurt gefchehen”, klagte 
Melanchthon, als er von Eoban’3 Abzug hörte, „Barbarei 
wird, nachdem die Muſen verftummt, die Oberhand gewinnen“ ?). 
Der legte Schimmer von Hoffnung war geichwunden. Der 
Rath 309 ſich mißmuthig von der hoffnungsloſen Anftalt zurüd. 
Der Streit der firchlichen Parteien, der während Eoban's An- 
wejenheit etwas geruhet hatte, entbrannte mit neuer Heftigfeit. 
Noch einmal beftieg der greife Lange 1539 den theologijchen 
Lehrſtuhl, um feiner Erbitterung gegen das Papftthum Luft 
zu macen?). Die Katholifchen rächten fich, indem fie, ihr 
Uebergewicht benutzend, die Gegner von allen afademijchen 
Würden ausſchloſſen. Mäßigung wurde von Feiner Partei 
geübt. Als endlich der Fathofifche Theil die Hand zum Frieden 
bot und durch die Wahl eined evangelifchen Geiftlichen zum 
Rector ein anerfennendwerthes Beijpiel von Duldſamkeit gab, 
da geſchah e8, daß die Amtsgenoſſen des Gewählten biefem die 
Annahme des dargebotenen Geſchenkes aus den Händen ber 
Geber unterfagten: nicht Dulbung wollten fie, fondern Allein- 
herrſchaft °). 


ı) Vol. Eob. et amic. cp. f. p. 205. 

2) Lange Icheint von da ab bie thenlogifche Lehrthätigfeit bis an ſeinen 
Tod (1548) fortgeſetzt zu haben. Achtzehn Jahre nach ſeinem Tode (1566) 
wurde von dem Rathe eine förmliche Profeſſur für die augsburgiſche Con⸗ 
feſſion gegründet (vgl. Motſchmann 5. Fortſetzung p. 569). Da auch das 
Collegium Saxonicum bald in proteſtantiſchen Beſitz kam und in den drei 
niedern Facultäten immer einige proteſtantiſche Docenten blieben, ſo erhielt 
die Univerſität in der That, wie es der Rath gewünſcht, einen paritätiſchen 
Charakter, der im vorigen Jahrh. noch mehr ausgebildet wurde, indem der 
Erzbiſchof Emmerich Joſeph (1767) ein vollſtändiges Lehrercollegium für die 
evangel. Theologie errichtete, das aber freilich keine Facultätsrechte erhielt. — 

3) Der Gewählte war Joh. Gallus, Prediger an der Reglerkirche. Das 
evangeliſche Miniſterium erklärte, „es ſey ein öffentlicher Umgang mit denen 
katholiſchen Geiſtlichen bey dem gemeynen Manne ärgerlich und alſo ſollte er 
(Gallus) entweder das Rectorat abſchlagen oder durch Hülfe des Rathes aus⸗ 
wirken, daß es ihm in Collegio majori ohne Beiſein jener übergeben werde.“ 
Sie beriefen ſich auf die Stellen ber Bibel, welche ausfagen, daß man einen 
Teßerifchen Menfchen meiden müffe, um nicht feiner Verbrechen theilhaftig zu 

17% 


— 0 — 


Doch was den Haß der Parteien entflammte, war nur 
noch ein Schattenbild. In trauriger Verlafienbeit fand Me: 
lanchthon 1540 bei feiner Anwesenheit in Erfurt den einft 
gefeierten Muſenſitz!). VBerödet Itanden um die Mitte des 
Jahrhunderts die Hörfääle, in denen ein Jahrhundert früher 
der rührigite Theil der deutſchen Jugend ſich zufammengefun- 
den, in denen vor einem Menfchenalter der Ruf nach Deutſch⸗ 
lands Befreiung am lauteſten erjchollen. Mehr und mehr tritt 
jeitvem die Erinnerung an die große Vergangenheit der Schule 
bei denen, welche fie noch vertreten, zurüd. In den afabemi- 
ſchen Annalen werben die Klagen über die hingeſchwundene 
Größe immer feltener: die Zeit lehrte nach und nach die erlit- 
tene Erniedrigung verſchmerzen. Nur in der Ferne beklagten 
noch Eoban’3 zerftreute Genofjen eine Zeitlang das traurige Ge 
ſchick, das die erfte der deutfchen Schulen getroffen — und fie jelbft. 


** LS 


Wir Finnen von dem Gegenjtande unferer Darftelung 
nicht fcheiden, ohne zuvor noch einen Blick gu werfen auf bie 
legten Schieffale jener kühnen, jugendlich feurigen Gelehrten- 
fhaar, die Mutian’3 Anfehen und Eoban’3 Dichterruhm in 
Erfurt vereinigt hatte, und an die fich vor Allem der Ruhm 
der erfurtifhen Schule Fnüpfte, 

Traurig, wie das Geſchick der Univerfität, deren Ruhme 
fie gedient, war auch das ihrige. Luthers Triumpbzug am 
6. April 1521 hatte fie zum letzten Mal vereinigt gezeigt. 


werben. Indeß ber Rath war anderer Anficht und bewirkte bie Annahme. 
Der Vorfall fällt in das Jahr 1569. Pol. Motſchmann Dritte Sammlung 
p. 414, Hundorph Encom, Erf, BAb—Cib. 

ı) Corp. Ref, III, 1016. 


— 211 — 


Der erften Zerftreuung durch den „Pfaffenfturm” folgte eine 
zweite, noch vollftändigere, durch die neu auffommende Macht 
der Prädikanten. Die Wiedervereinigung, auf die Hutten noch 
in feinen legten Tagen gehofft, trat nicht ein. Vielmehr ver: 
trieben die ftürmifchen Ereigniſſe des Jahres 1525 auch bie 
Zebten von der theuer gewordenen Stätte. 

Seitdem fehen wir Eoban's Genofjen, Flüchtlingen gleich, 
über ganz Deutfchland, nach den werjchiedenften Richtungen hin 
zerftreut 2), zum Theil hülf- und obdachlos umberirren, im 
Kampf mit Noth und Entbehrung. Derſelbe Geift, dem fie 
in Erfurt hatten weichen müffen, trat ihnen auch in der Ferne 
entgegen. Nur Wenigen war ein fo milde Loos bejchieden, 
als Eoban, der nad) feinem zweiten Abzuge von Erfurt in dem 
Zandgrafen Philipp von Heffen einen theilnehmenden und groß: 
müthigen Gönner fand, und als Lehrer der claffiichen Literatur 
an der Univerfität Marburg den alten Frohfinn wiedergewann, 
ben er in Erfurt vollftändig eingebüßt. Doch erft vier Jahre 
hatte er feined neuen Glückes genoffen, als der Tod ihn abrief: 
er ftarb im vierundfünfzigften Jahre feines Alters, am 3. De 
tober 15402). Biel unfreundlicher waren die leßten Lebens⸗ 


1) „„Dissipatio ista tam multorum amicorum‘‘, ſchreibt Eoban 1526 
an Cordus, „qui aliquando una viventes familiaritate et humanitate 
mutua suavissime fruebamur, non potest mihi non tristissima accidere, 
divolanlibus nobis, sicut aviculae dispulsae solent. Sed fercndum 
etiam hoc incommodum est.“ gl. Libell, nov. epp. C 4 a. 

2) Irrig wurde bisher al? fein Todesjahr 1541 angenommen. Ferrarius 
Montanus, ber 1540 das Nectorat befleidete, gebenft im Album der Univer: 
fität feined® Todes mit folgenden Worten: „‚Flete Musae! Helius Eobanus 
Hecssus, poetarum nostrae aetatis facile princeps, dum scholasticum 
hunc magistratum sustineremus, anno Christianne salutis supra ses- 
quimilesimum quadragesimo IV Non. Octobr. diem supremum obiit, 
non sine magno eruditorum desiderio, cui postero die in coemeterium 
monasterii divae Elisabethae elato justa faciebamus, perorante D. 
Joanne Draconite sacrae theol.- doctore Professore et Ecclesiaste.“‘ 
Nach einer Mittheilung ded Herrn Prof. Heppe in Marburg. Vgl. übrigens 
3b. I, p. 60. 


— m — 


jahre ſeines Freundes und Landsmanns Euricius Cordus, der, 
nachdem er ſeit dem J. 1522 ſeinen Aufenthalt unſtät zwiſchen 
Erfurt, Braunſchweig, Emden, Marburg gewechſelt, in Straß⸗ 
burg vergeblich eine Anſtellung geſucht Hatte!), 1535 als 
Lehrer und Stadtarzt in Bremen in büfterer Stimmung fein 
Leben beſchloß. Glücklicher als er, fanden Micyllug und Ca— 
merarius nach manchem vorhergegangenen Wechfel, jener in 
Heidelberg, diefer in Leipzig, als Lehrer der claffiichen Sprachen 
einen erwünſchten Wirkungskreis: noch heute lebt das Andenken 
an die langjährige, verdienſtvolle Thätigkeit, die fie dort als die 
legten Träger hHumaniftifcher Bildung in einem Zeitalter zuneh- 
mender Barbarei entfaltet haben ?). Bewegter war das Leben 
der meiften Webrigen. Erſt nach vieljährigen Srrfahrten und 
harten Kämpfen konnte Martin Hunus, Eoban's treuejter 
Freund, zu einer feiten Lebenzftellung gelangen, welche ihm 
zulegt Graz in Steiermark gewährte. Joh. Draconites finden 
wir faft fein ganzes Leben hindurch auf unruhigen Wanderungen 
und von Mißgeſchicken jeder Art verfolgt, bald in Norbhaufen, 
bald in Eifenach, bald in Marburg, bald in Xübed, bald in 
Roſtock, zu drei verfchiedenen Malen in Wittenberg, wo im 
%. 1566 der Tod ihm endlich Ruhe brachte. Ein Leben voll 
harter Entbehrungen und Anfeindungen war auch Wicel’3 Loos, 


1) Diefer von den Biograpben übergangene Umftand erhellt aus einem 
noch ungedrudten, an Sturm und Bucer gerichteten Schreiben des heſſiſchen 
Rathes Meyer d. d. 1. Mart. 1532, der den Corduß „quem hic in sen- 
tina et inter aulicas simultates, ubi assentatio, quam non didicimus, 
integritati praefertur, latere nolui‘ dem Straßb. Rath als Stadtarzt 
empfiehlt. Mittheilung von Herrn Prof. Cornelius aus dem proteftantifchen 
Kirchenardhiv zu Straßburg. 

3) Micyll ftarb 1558, nachdem er dad Jahr vorher in Gemeinfchaft mit 
Melanchthon die Univerfitätsftatuten veformirt hatte. Eine forgfältige Bio: 
graphie Micyll's bat jüngft nach der Fürzern Arbeit von Hautz Hr. Director 
Glaffen geliefert. Camerariuß dagegen (} 1574) harrt noch feines Biogra- 
pben. Die vorhandenen ältern biographifchen Darftellungen, Reden 2c. von 
Drefler, Edard, Fifcher, Bezzel find meiſtens oberflächlich oder erſchöpfen den 
Gegenftand nur theilmeife. 


— 263 — 


den wir bis in ſein Greiſenalter flüchtig von Ort zu Ort 
waandern ſehen, bis er in feinen lebten Lebensjahren in Mainz 
ber gewünjchten Ruhe theilhaftig wird. In ähnlicher Weife 
gewährt der fpätere Lebenslauf eines Niger, Ceratinus, Urban, 
Petrejus u. U. das Bild einer unftäten Wanderung, eines 
Suchen? und Ringen? nach einer feiten Lebenzftellung, bie 
nicht Allen zu Theil wurde). Xeichter zwar gelangten bie 
jenigen zum Ziel, welche jich unter Wittenberge Schuß ftellten 
und als Diener der neuen Predigt ein Unterfommen fanden, 
wie Juſtus Jonas, der im Beſitz einer reichen Pfründe in 
Wittenberg den erfahrenen Wechjel Leicht verjchmerzte 2); indeß 
die Streitigkeiten, welche bald innerhalb ver neuen Kirche aus⸗ 
brachen, machten auch ihre Stellung ſchwierig und unficher. — 
Andere verjchwinden nach der Auflöjung des Bundes völlig in 
dem Getümmel der Zeit und Nichts gibt und noch von ihrem 
Dafein Kunde, ald der Ausdruck der Wehmuth, womit Eoban 
und Camerarius in ihren Briefen zuweilen noch der Vermißten 
gedenken. So ruht völlige? Dunkel über den lebten Lebens⸗ 
jahren des Crotus Rubianus, der einjt neben Luther und 
Hutten ald Wortführer an der Spite der nationalen Bewegung 
gejtanden hatte: nicht einmal dad Jahr feines Todes ift und 
befannt °). 


1) Anton Niger ftarb 1555 nach einem äußert ‚bewegten Leben als 
Stadtphyſikus in Braunſchweig, Ceratin, ber ſchon 1526 in fein Vaterland 
zurüdgefehrt war, 1530 in Löwen, Urban's Todezjahr ift ungewiß, zum letzten 
Mal wird fein Name im %. 1538 genannt. Petrejus farb ſchon 1531 in 
großer Verlaſſenheit in Erfurt, wohin er ſich kurz vorher zurüdbegeben hatte. 
Das Leben des Yebtgenannten Gelehrten, befien Kenntniffe im Lateinifchen, 
Griechiſchen und Hebräifchen Spalatin nicht genug zu rühmen weiß, ben 
Eoban den beutfchen Gatull, Mojellanus die Wonne bed Humanismus, 
Mutian eine Zierde bed Zeitalterd nennt, und den letterer ald ben tieffin- 
nigften unter feinen Schülern bezeichnet, verdiente wohl, in ein helleres Licht 
gejtellt zu werben. 

3) Vgl. Eob. et; amic. ep. fam. p. 285. 
2) Daß er 1539 noch Iebte, erhellt auß Kob. Farrag. 7, 35 a. Auch 
führt ihn Henning Pyrgallus in dem 1539 erfchienenen Genvoorızov de 


— 264 — 


Es war eine harte und rauhe Zeit. Andere Fragen 
beſchäftigten jetzt die Gemüther, als die des Humanismus. 
„Deutſchland iſt nicht mehr das frühere“, ſchrieb ſchon im 
Jahre 1530 der Humaniſt Metzler an Crotus Rubianus, als 
dieſer nach ſiebenjährigem Aufenthalte in Preußen nach Deutſch— 
land zurückkehren wollte, „Alles iſt verändert. Die Wiſſenſchaft 
findet keine Anerkennung mehr. Ueberwinde dich und gib der 
Unbill der Zeit nah”). Fürwahr, Eoban's und feiner zer- 
ftreuten Genoſſen Schieffal Tegte Zeugniß davon ab, daß eine 
andere Zeit begonnen. 

Aber größer noch, als die Außere, war die innere Tren⸗ 
nung, welche durch die kirchliche Bewegung unter den Mitglie- 
dern unfered Kreifed herbeigeführt wurde. Der überfchwengliche 
Enthuſiasmus, womit Alles in Erfurt den Ausbruch der Be 
wegung begrüßt hatte, war nicht von Dauer. Auf den Jubel, 
unter dem Luther, als der erjehnte Apoftel der Freiheit, feinen 
Einzug in Erfurt gehalten, waren die Wehetage des Pfaffen: 
ſturms gefolgt. Die erfte Begeifterung fühlte fih ab. Das 
feparatijtifche Kirchenwefen, das dann Luther feit dem J. 1522 
in Wittenberg aufzurichten begann, entjprach nicht dem Ideal, 
das feinen Verehrern in Erfurt vorgefchwebt. Viele zogen ich 
mißmuthig von ihm zurücd und fuchten wieder in den Studien 
Troſt. Andere traten offen ihren Rüdzug in die alte Kirche 
an, bitter die Täufchung beflagend, die man ihnen bereitet ?). 


jacturis 88, religionis Christianae noch unter den Streitern für bie 
fathol. Sache auf. Indeß muß er bald darauf geftorben fein. Sicher hat 
Juſtus Sonas, ber 1541 als Reformator nah Halle fam, wo Crotus ſich feit 
1531 aufhielt, ihn dort nicht mehr getroffen. — 

1) Bol. Tert. libell. epp. R 4 a. — „‚Verum ista rerum huma- 
narum est conditio‘‘, trüftet fi Camerariuß, „Nihil ut perpetuum sit 
in terris, sed vicissitudine quadam fluctuent universa. Quemadmodum 
singulis annis variantur tempora, ita aetatibus aliis alia in precio 
sunt et magnifiunt atque expetuntur.“ 1.c.S6b. 

2) „Primum positum est bonum vinum, sed inebriatis nobis, id 
quod est deterius. Panem in dextra vidimus ostendi, lapidem in si- 
nistra latentem non vidimus.‘“ Wic. Epp. Q 2 a. 


— 6 — 


Nur ein Theil blieb Luther getreu und folgte ihm auch auf 
feine neuen Pfade. Sy traten jich innerhalb Eoban's Genoffen- 
Ichaft drei größere Parteien feindlich entgegen: die Parteien 
der Alt: und Neugläubigen und die humaniſtiſche — und mehr, 
al? alle äußern Mißgeſchicke, hat diefer innere Zwift zu ihrer 
Auflöfung beigetragen. | 

Ein Gutachten der wittenberger Theologen ber die evan- 
geliichen Zuftände in Erfurt aus dem Sahre 1536 hebt es als 
ein beſonderes Verdienſt diefer Stadt hervor, daß fie der neuen 
Kirche mehrere ihrer Hauptzierden gegeben !). Aber mit dem— 
jelben Rechte konnte die alte Kirche auf eine nicht unbeträcht- 
liche Anzahl von Bertheibigern des alten Glaubens hinweifen, 
die in Erfurt ihre Bildung empfangen hatten. Aus Eoban’3 
Umgebung gingen Männer hervor wie Femelius, Kling, Wicel, 
unermüdliche Streiter im Kampfe gegen Luthers Reformation- 
werk, dejjen Anfänge freilich auch fie einjt mit lautem Jubel 
begrüßt hatten. Andere, die nicht gleichen Muth zum Kampfe 
befagen, Ließen fich wenigſtens durch feine Rückſicht abhalten, 
fi) wieder ald Anhänger des alten Glaubens zu befennen. 
Als eine merfwürdige Erfcheinung verdient es hervorgehoben 
zu werden, daß namentlich diejenigen, welche zu Mutian's 
engerem Kreife gehörten, dem alten Kirchenwejen ven Vorzug 
gaben. Bon Betrejuß erfahren wir, daß er während feiner 
legten Jahre wegen feiner fatholifchen Haltung von den Luthe— 
rifchen harte Anfeindungen erlitt, Urban erfcheint in naher 
Verbindung mit den Wortführern der Fatholifhen Sache in 
Erfurt ?). Ja fogar Crotus Rubianus, den begeifterten Sprecher 
der Univerfität bei Luthers feierlihem Empfange in Erfurt, 
jehen wir zehn Jahre fpäter den Rückzug in die alte Kirche 
nehmen. Es Tag fein Widerfpruch darin, daß der Main, ber 
im %. 1520 neben Luther und Hutten Yeivenfchaftlich einer 








1) Bol. Uni. Nachr. Sahrg. 1715. p. 385. 
2) Bol. Wicelii Epp. O 4a, S2a,Yia,o3b. 


— 266 — 


nationalen Erhebung das Wort geredet hatte, ſich von der Be— 
wegung losſagte, als dieſelbe die damals verfolgten großen Ziele 
aufgab und ihr Ziel in der Gründung einer Sonderkirche fand, 
die ihm durch Herrſchſucht, Willkühr, unerträglichen Glaubens⸗ 
druck die Uebelſtände ver alten Kirche noch zu vermehren ſchien 1). 
Aber ſchwer mußte es ihm doch fallen, wie feinem Andern, 
fh von einer Sache loszuſagen, der er ſich mit der ganzen 
Leivenichaft feiner Seele hingegeben hatte, mit der fein Ruhm 
ftand und fiel, und ein Act außerorventlicher Selbftüberwindung 
war e3, al? er die Wiederaufnahme in die Gemeinjchaft jener 
Kirche juchte, die er Jahre Yang mit den fchärfften Waffen des 
Spotte® und Hohnes befämpft hatte! Erſt nach einem zehn: 
jährigen innern Kampfe bat er fich dazu entjchließen können. 
Eritaunt jahen die Einen, entrüftet die Andern im Herbft 1531 
Lutherd alten Streitgenoffen, den Berfaffer zahlloſer Flug: 
Ihriften gegen Papſt und Geiftlichkeit, als Vertheidiger der 
kirchlichen Ordnung für den Erzbifchof Albrecht von Mainz 
auf den Kampfplatz treten! ?) 








ı) Den Beiftesdrud und die Glaubenspolizei, welche die neuen firchlichen 
Machthaber ausübten, rügt er namentlich in ber Apologie für den Erzbifchof 
Albreht von Mainz. ‚‚Habent leges hae (sc. evangelicae) nudiustertius 
e coelo missne suos Coricaeos, suos vigiles Argos, qui transgressores 
ad judices deferant, nec item reliquarum legum more circumscribuntur 
terminis, inter quos natae sunt, procul sequuntur cives suos quocun- 
que negotiorum causa proficiscuntur. Quod commiseris Neapoli con- 
tra tam bona psephismata, peregre profectus, ejus rei poenam luis 
Parthenopoli domum reversus etc.‘“ Vgl. Apologia, qua respondetur 
temeritati calumnistorum non verentium confictis criminibus in popu- 
lare odium protrahere Rever. Albertum Archiep. Mog. a Joanne 
Croto Rubeano privatim ad quendam Amicum conscripta. (Am Ende: 
Lips. 1531). R3b--4a. Noch 1521 hatte er al3 Grund feiner Anhäng⸗ 
lichkeit an Luther angeführt, daß L. das Volk aus ber Knechtfchaft befreit habe. 
Erotus an Lange 9. Auguft 1521. (M. ©. der Königl. Bibl. in Münden). 

2) Die Gründe feines ſchon feit 1521 vorbereiteten Rücktritts entwidelt 
Crotus felbft in feinen Briefen an den Herzog Albrecht von Preußen, bie 
mir durch freundlihe Mittbeilung bed Herm ©. R. Profefior Boigt in 
Königsberg in einer Abfchrift des Originals vorliegen unb die. ihrem weſent⸗ 


— 1 — 


Indeß zahlreicher ſind doch die Streiter für das Evange⸗ 
lium, die aus unſerm Kreiſe hervorgingen. Gar mancher ent- 
ſagte den kühnen Entwürfen der Jugendzeit, der alten Frei— 
heitsluſt und ordnete ſich willig dem gewaltigen Mönche in 
Wittenberg unter, der es, wie ſelten ein Sterblicher, verſtanden 
hat, die Geiſter zu beherrſchen und ſich dienſtbar zu machen. 
Aus Schwärmern für des Vaterlands Befreiung werden Eiferer 


- 


lichen Inhalte nad ſich abgebrudt finden in Voigt's Briefmechfel der berühm: 
teften Gelehrten des Zeitalter der Ref. mit Herzog Albrecht von Preußen 
p. 160 ff. Erotus betont Hier namentlich die Uneinigleit in ber neuen Kirche 
und die maßlofe Verdammungsſucht der Lutherifchen, „das man nicht? wolt 
laſſen onzeriffen, onbefubelt, obs glei von ber Zceit der Apofteln vnd von 
der apofteln Dizcipeln uff ons bracht, und bag iko mehr ein fect aus ber 
andern wuchs.“ Zwar leide auch die alte Kirche an großen Mängeln, aber 
es fei doch bei ihr niehr Ausſicht vorhanden, baß fie gebeifert werde, als bei 
ber neuen „durch kurtze Zar in fo vil ſtück zeriſſen.“ „Sch wil”, ſchreibt er 
4532 an den Herzog, „mit ber Hülfe Gotes in der gemeinfchaft ber heyligen 
riftlichen Kirchen bleiben und alle Novitet laſſen für über mwehen, wie ein 
fawern rau und vff? Ende trachten. In kurtz müffen wir alle fterben, 
Jungk und alt. €. f. g. wollen das auch betrachten vnd wandern im wege, 
der vns von der Zeit ber Apofteln bis bieher durch die Lerer der fchrifft 
geweift if.” — So fpricht nicht der glaubenslofe, um fchnöden Geldgewinn 
zum &onvertiten gewordene Heuchler, ald welchen ihn bie übliche Auffaſſung 
darftellt, und ben auch Strauß 1. c. IL, 357, ber faft nur das Zerrbild be 
Anonymus wiedergibt, in Crotus zu erbliden geneigt ift. Die Behauptung, 
Crotus fei fatholifch geworben, lediglich um eine Verforgung zu erhalten — 
auch Strauß ſpricht von einem „ſich anwerben laſſen“ — ift geradezu lächer: 
fi, da ein Mann von den PVerdienften und dem Anfehen bed Erotus auch 
wohl noch in der neuen Kirche eine Verforgung hätte erhalten können — 
hätte er fie gewünfdht. Sein Verhältniß zu Wicel, der Freimuth, womit er 
jelbft in der erwähnten Apologie noch die Mängel ber alten Kirche rügt 
(‚„Possum vere dicere: Iliacos intra muros peccatur et extra’C Apo- 
logia etc. B 2 a) zeigt, daß er fi nicht bat „anmwerben“ Yaflen. Sein 
innigfter Wunſch ift, daß eine Vereinigung ber beiden Neligionsparteien zu 
Stande Fommen möge. Vgl. Voigt 1. c. p. 162; Apologia C 1b. — 
Freilich bat Crotus nicht immer fo gebadht, aber der Anonymus, Juſtus 
Jonas, war am menigiten berechtigt, ihn als einen „Abtrünnigen” vor feinen 
Richterſtuhl zu ziehen, da fein eigener Abfall von ber Sache der Freiheit größer 
war und die Entrüſtung Huttens (defien Schatten er heraufbeſchwört) in 
höherem Grade hervorgerufen haben würde, als ber des Crotus. 


— 268 — 


für die Rechtfertigung durch den Glauben allein und die Lehre 
von der Unfreiheit des Willens. Mehrere der eifrigſten und 
leidenſchaftlichſten Vertheidiger der lutheriſchen Sache verdanken 
der Univerſität Erfurt ihre Bildung und gehörten einſt Eoban's 
nächſter Umgebung an. Keinen leidenſchaftlichern Verehrer hat 
Luther gefunden, als Juſtus Jonas, der in ſolchem Grade von 
Bewunderung für den Reformator hingeriſſen war, daß er ſelbſt 
in den menſchlichſten Handlungen desſelben Wunder der gött- 
lichen Allmacht erblickte), und gornentbrannt auffuhr, wo irgend 
ein Widerfpruch gegen Luthers Autorität jich erhob, deffen Wille 
ihm unverbrüchliche® Gefeß, deſſen Ausſpruch ihm unfehlbar 
war?). Aehnlichen Eifer nahmen wir bereitß früher bei Luthers 
ebemaligem Ordensgenoſſen Johann Lange wahr, dem Führer 
ber zornigen Präbifantenjchaar in Erfurt. Auch Juſtus Me 
nius erjcheint ganz von dem Eindruck beherricht, den Luther 
gewaltige Berfönlichkeit auf ihn gemacht. Luther ift ihn der 
erite und einzige dem deutfchen Volke von Gott gejandte Apo- 
jtel, der alleinige VBerfünder ver Wahrheit, deſſen Ausſprüchen 


1) „‚Rei insigniter novae nuncia Tibi venit haec mer Epistola, mi 
Spalatine‘‘, fchreibt er an Spalatin 3. B. über Luthers Verbeirathung, 
„Lutherus noster duxit uxorem Catharinam de Bora. Heri adfui rei 
et vidi sponsum in thalamo jJacentem. Non potui me continere, astans 
huic spectaculo, quin illachrymarem, nescio quo affectu animum per- 
cellente, quandoquidem sic nostra res cecidit et Deus voluit, Precor 
optimo et sincerissimo Viro charissimoque in Domino parenti pluri- 
mam felicitatem. Mirabilis Deus in consiliis et operibus suis. — Haec 
significavi Tibi ad hanc rem solam conducto tabellario!“ Vgl. Schel- 
born Amuenitätes IV, 423. — 

3) Vgl. Contra tres pagellas Agric. Phagi Georgii Witzel, quibus 
pene Lutheranismus prostratus et voratus esset, J. Jonae Responsio. 
8°. (Am Ende: Wittenb. 1532). A 6 a, E 1 a. Seine Streitfhrift gegen 
Latomus und die beiden Streitfchriften gegen Wicel gehören zu dem Heftigſten 
und Roheften, was die polemifche Kiteratur jener Zeit bietet. Wicel empfängt 
in einer Schrift nicht weniger ald 200 Schimpfnamen. Selbſt Knapp, ber 
Lobredner des Jonas, weiß ihn nicht anders zu entjchulbigen, als durch die 
Annahme ‚‚multo saepo sensisse mitius, quam scripsisse.‘‘ Narratio 
de J. Jonae p. W. . 


— 269 — 


er ſich blindlings unterwirft, dem er bereitwillig die Cenſur 
über feine eigenen Schriften zugeſteht ‘). Auf felbjtändige 
Erforſchung der h. Schrift macht er feinen Anfpruch mehr: 
ihm genügt e3, fich mit Luther im Einklang zu wiffen und 
feinen Gegnern Ausſprüche Luthers entgegenhalten zu fönnen ?). 
— Doc nicht Alle, die fih um Luthers Fahne jchaarten, gaben 
fih ihm jo blindlings bin, noch auch nahm bei Allen der evan— 
gelifche Eifer jenen verfolgungsfüchtigen Charakter an. Dra- 
conites hat nie den freiern bumaniftiichen Geift verläugnet 
und erregte durch feinen häufigen Umgang mit Anbersbenfen- 
den bei den Eiferern Anftoß und Verdacht). Crato findet 
mit feiner evangelifchen Ueberzeugung aud) ein mildes Urtheil 
über katholiſche Einrichtungen vereinbar *). Und wie jehr.auch 
Spalatin überzeugt erjcheint von Luthers göttlicher Sendung 
und durchdrungen von feiner Rechtfertigungslehre, die vielleicht 
von Keinem jo überjchwenglich gepriejen worden ift, al3 von 
ihm 5), entſchieden mißbilligt er doch die maß- und Tieblofe 


1) Vgl. u. U. Etlicher Gottlofen vnd widderchriſtiſchen lere von ber 
Papiſtiſchen Meffen ꝛc. durch Juſtum Meniun. C 1 a. Bon ber Gerechtig- 
feit, die für Gott gilt. Wider die newe Alcumiftifhe Theologiam Andrei 
Dfiandri. Juſtus Menius 1552. 8% 3 Hp ff. — Er fenbet felbit feine Schrif: 
ten, ehe er fie in Drud gibt, zur Approbation nad Wittenberg! 

2) Namentlich machen feine letzten theolog. Streitjchriften gegen Oftander, 
Flacius, Amsdorf diefen Eindrud. 

3) Bol. Wic. Epp. 0438,03 b, Z1b. Inter denen, die ihn ver: 
bächtigten, war auch Jonas. — 

*) Vgl. Striever 1. c. II, 382. Ein anerfennendes Urtheil über ihn 
fällt auch Cordus. Cordi Op. 234. 

5) Die Wirfungen der Sola fides preijet er namentlich in einem Gedicht, 
das fih vor Eoban's Yateinifcher Pfalmenüberfebung findet: 

Sola fides hominem coelesti donat honore, 
Sola fides superis conciliare potest. 
Sola fides hominem peccato liberat omni, 
Sola fides mortem et pessima quaeque premit. 
Sola fides Christi fratres sociosque potentes 
Efficit et in coelis inserit una fides. 
Sola fides animos tetrico moerore jacentes 
Erigit et in miseris pectora laeta facit. 





— 20 — 


Verdammungsſucht eines Jonas: er findet es unchriftlich, Die 
Gebrechen der Papiften jehadenfroh aufzudecken, ftatt fie zu 
bemitleiden 2). — 

Ein ganz anderes Bild, als bie beiden erften, gewahrt bie 
dritte Gruppe, die wir innerhalb unſeres Kreifes wahrnehmen. 
Erjchienen jene ganz den großen Firchlichen Fragen zugewandt, 
mit völliger Vernachläffigung deſſen, was fie einft erftrebt, fo 
fehen wir diefe getreu den alten Beftrebungen, unbeirrt durd) 
die theologiſchen Streitigfeiten, unter die Fahne des Humanig- 
mus zurückkehren. Ihr Führer ift Eoban, ihr berebtefter 
Sprecher Camerarius; Hunus, Micyllug, Cordus, Niger, Ce: 
ratinus, Stibarus und viele Andere gehören ihr an. Die 
Erinnerung an die gemeinfam in Erfurt verlebten Jahre erhält 
troß der Zerjtreuung, die über fie verhängt worden, eine innige 
Verbindung unter ihnen. Den Freiheitsideen des Jahres 1520 
haben auch biefe Männer entjagt, von dem alten Ungeftüm 
zeigt fich bei ihnen Feine Spur mehr, ihre Anfprüche find fehr 
bejcheiden: bloß die Erhaltung der von allen Seiten angefein- 
beten Wiſſenſchaft ift ihr Streben ?). Der neuen Kirche bleiben 
fie innerlich fremd, obgleich äußere Lebensſtellung die Meiſten 
von ihnen als Mitglieder derſelben erſcheinen läßt. Der von 
Wittenberg jeit dem J. 1525 ausgeübte Geiftegdrud, der von 
Jahr zu Jahr jchroffer ich gejtaltende Dogmatismus der neuen 


Sola fides Satanam subigit stygiasque paludes, 
Clavibus his solis sydera summa patent, 
Sola fides vivis morientibus omnia donat, 
Sola fides regit atque omnia sola potest. 
Vgl. Psalterium Davidis carmine redditum per Eoh. Hessum. Cum 
annot. V. Theodori. Frcf. s. a. p. 13—14. 

ı) Vgl. Corp. Reform, T, 481, 486. 

2) „Nos certe‘, ſchreibt Camerarius 1536 an Niger, „quo minus 
vulgo nostrae fitterae amantur atque in precio sunt, eo vehewentius 
misericordia illarum et oura tangimur.“ gl. Joach. Camerarii Ba- 
penb. epistolarum fam. Libri VI. Frof. 1583 p. 365. — Ihr Vorbild 
ift wieder Erasmus. 





— 1 — 


Kirche!) widerſprach ihrem Weſen eben fo fehr, als dag Trei- 
ben Hochſtraten's und feiner Genofien?). Verſuche, Einzelne 
von ihnen für ein Lehramt in Wittenberg zu gewinnen, find 
deshalb immer gefcheitert °). Wengftlich gehen fie den theolo- 
giſchen Streitigkeiten aus dem Wege. Während die Einen bie 
vorhandene Spaltung beklagen, fuchen die Andern fie zu igno- 
riren. Micyllus, obgleich Vorfteher einer lutheriſchen Stabt- 
fchule, tritt nachdrücklich der Meinung entgegen, „baß er ber 
lutherifchen Secte anhängig jei.” Er habe fich niemals mit 
ber Theologie befaßt, meldet er dem pfälzifchen Churfürften, 
auch mit feiner Secte Umgang gehabt, fondern nur mit ven 
ſchönen Wifjenjchaften und gedenke es jo auch in Zukunft zu 
halten *). Camerarius jtellt einmal das Nebeneinanderbeitehen 
von zwei verjchtebenen Kirchen geradezu in Abrede. „Wenn bu 
die verjchiedenen Richtungen und Beftrebungen, die beiden ab- 
weichenden Geſellſchaften gleichlam als zweit Secten einführft”, 
Ichreibt er an den Fatholifchen Vitus Amerbach, „dann geitehe 








1) Selbft einem Menius wurbe e3 zu arg, als Amsdorf behauptete, daß 
Nichts ber Kirche Chrifti gefährlicher fei, als Gelehrſamkeit. „Da mag man 
aber mit auffjehen, wohin das wol geraten und verfianden werben mög, das 
der Herr Biſchoff (Amsdorf) fchreibet, es habe zu allen zeiten niemand ber 
firhen Ehrifti gröffern ſchaden gethan, denn hochgelarte Leute, barumb hab 
Chriſtus auch nicht hochgelarte Keute, fondern albere ond ein: 
feltige Fiſcher zu Apofteln erwelet.“ Vgl. Bericht der bittern Wahr: 
beit Justi Menii. Wittenb. 1558. 4%. S 3 a, 

2) Eine merkwürdige Aeußerung findet fi in einem Briefe des zwar 
nicht unferm Kreife angehörigen Humaniften Bannißis an Pirdheimer, worin 
Luther Schon 1524 zu den Obfcuren gerechnet wird. „V. D. quam enixius 
obsecro, ut abactis in maximam malam crucem Eckiis, Hochstratis, 
Lutheris et iis similibus, continuo insistat suo optimo et pulcherrimo 
instituto et studiis et eruditione sua et viventibus et posteris con- 
sulat.‘“ gl. Heumann Doc. lit. p. 144. Der Brief, I, c. irrig in das 
%. 1514 gefebt, gehört offenbar in das J. 1524. 

s) Eoban, Cordus, Micyllus, Niger, wie auch Erotus und Petrejus hat 
man zu verfchiebenen Zeiten nach Wittenberg zu ziehen gejucht. Vgl. Eob, 
et amie, opp. f. p. 239, Corp. Ref. I, 547, 782, 813 ꝛc. 

“) Vgl. Hauß Jacobus Micyllus p. 14—15. 


— 22 — 


ich, daß ich zu Feiner gehöre. Mber die Sache verhält ſich 
anderd. Meine Anficht ift, daß es nur Eine chriftliche Gemein: 
ſchaft gibt und immerfort geben wird, und dies ift bie Kirche 
Ehrifti, die nicht in Theile zerriffen werben kann. In dieſer 
bin ich geboren und getauft, in dieſer habe ich fpäter gelebt 
und in diefer glaube ich mich auch jeßt noch zu befinden” 1). — 
Auch Eoban theilte bei aller Verehrung für Luthers Perſon 
deſſen erclufiven Sinu jo wenig, daß man wegen feine? haufi- 
gen Verkehr? mit Anhängern der alten Kirche fogar feine Rück— 
fehr zum Papſtthum beforgte 2). Seine Freundfchaft mit dem 
Carthäuferprior Jodocus Hefe?) und dem Fatholifchen Groe— 
ningen war eben jo innig, al3 fein Umgang mit den nürnber: 
ger Stadtreformatoren. Als er 1538 feine beiden Söhne zu 
ihrer Ausbildung nad Erfurt fandte, übertrug er die Sorge 
für fie ebenfowohl feinen katholiſchen, als Tutherifchen Freun- 
den). Sein altes freundichaftliches Verhältniß zu Erotus 
erlitt durch deſſen Rücktritt zum Katholicismus feine Aende— 
rung’). Unbehaglich fühlte er fich unter den glaubenzeifrigen 
Theologen zu Schmalkalden, wohin er. 1537 feinen Landes— 
herren begleiten mußte‘). Und als 1539 fich die Nachricht 


ı) „Ego hoc Christum oro cotidie“, fügt er in bemfelben Schreiben 
hinzu, „ne sinat me excidere Ecclesia tua, sed in hac ipsa ut qua- 
cunque conditione etiam infima me retineat.‘“ Vgl. Epist. Camer. ad 
Vit. Amerbachium d. d. Lips. prid. Id. April. 1548. Mieg. Monum. 
piet. et lit. vir. II, 48 — 60. Doch ift Camerarius unter den Humaniften 
unſeres Kreiſes derjenige, der die größte Anbänglichfeit an Luther zeigt. 

2) Bol. Narr, de Eob. et epist. L7 a. 

s) Vgl. Eob. Farrag. I, 306, 307, 308. 

“) Eob. et am. ep. f. p. 150, 222. Narr, de Eob. et epist. S3a. 

s) „Quo (Croto) tum ut nunc quoque amico familiarissime ute- 
batur‘“ heißt es in ber 1539 erjchienenen Ausgabe der Farragines I, 35 a. 

e) Er bittet den Landgrafen dringend, ihn wieder nach Haus zu fchiden: 

‚„‚Redde meis natum studiis me, redde quieti 
Hic nihil est, tibi quod commoditatis agam.““ 
Principi Philippv pro discessu a Smala Chalcide, Farr, I, 316. Bal. 
Eob, et amic. ep. fam. p. 147, 


— 273 — 


verbreitete, daß neue Verjuche zur Wiedervereinigung ber ftrei- 
tenden Parteien gemacht werden jollten, da war Niemand froher, 
als Eoban, der feinen Freunden bereit3 zuverfichtlich bie Bei- 
legung des „verberblichiten Haders“ anfünbigte '). 

In dieſer Zerrifienheit zeigt und Eoban's Dichterbund ein 
traurige Abbild des großen Zwiejpaltes der Zeit. Diejelben 
Gegenfäbe, welche dag beutiche Volk in feindfelige Heerlager 
theilen, es feiner alten Bedeutung beraubt haben, treten fich 
bier in engerem Kreife entgegen und führen zu gleichem Re⸗ 
fultat. Die alte Eintracht ift verſchwunden. Freundſchafts⸗ 
bünbniffe, in jugendlicher Begeifterung „für ewige Zeit” 
gejchlojfen, werden vergefjen. Alte Freunde werden zu bittern 
Teinden, kehren die Waffen, mit denen fie einit unter dem 
nämlichen Führer gefochten, gegeneinander. Lange fchreitet zum 
Angriff gegen Eoban, Menius gegen Kling, Jonas gegen 
Crotus, gegen Wicel, gegen Draconited. Die Junigfeit des 
frühern Verhältniſſes wird benußt, um dem jebigen Gegner 
jeine verborgen gebliebenen Sünden vorzuhalten, feine Bloͤßen 
aufzudecken, ihn zu vernichten! ?) 


2) Bol. Eoban an Groeningen 1. April 1539. ,‚Bona spes est, pa- 
cem et tranquillitatem ubivis gentium esse futuram, praecipue vero 
concordiam inter partes, id quod summo cum gaudio nebis omnibus 
est accipiendum et gratine agendae Dco immortali, qui tandem istas 
perniciosissimas dissensiones finire et componere sit dignatus; nam 
ita certo ingtitutum est, ut a tribus utrinque tota res in unum con- 
sensum componatur, ad hoc dictus est locus Noriberga nostra.‘“ 
Narr. de Kob. et epist. Ti b. 

2) Ich denke hierbei namentlich an die gegen Crotus gerichtete Epistola 
Anonymi, von einem ehemaligen Freunde besfelben zu dem Zwecke gefchries 
ben, ihn durch Aufdelung feines frühern Treibens moralifch zu vernichten. 
Daß zu jenen Zwecke aber auch Vebertreibungen, Entftellungen, Unwahrbeiten 
angewandt worden find, hat Strauß überſehen. — Als Verfaffer bes Send⸗ 
ſchreibens muß ich auch nach ber fcharffinnigen Abhandlung von Böding, der 
Menius als ſolchen anfieht,; (Drei Abhandlungen über reformationsgefchichtl. 
Schriften p. 67 ff.) noch Juſtus Jonas feſthalten. Daraus, dag Menius 
von Luther den Auftrag erhielt, gegen Crotus zu fchreiben (De Wette IV, 

Kampſchulte, Univerfirät Erfurt. II. Theil. 18 


— 1 — 


Aber wie ſehr auch Haß und Leidenſchaft die Gemüther 
entzweien, wie feindfelig und jchroff fich auch die verfchiebenen 
Richtungen entgegentreten, in Einem herrſcht doch bei Allen 
Uebereinſtimmung. Es tft die Klage über den feit dem Beginn 
der Religiondwirren eingetretenen allgemeinen Verfall. Daß 
Alles ſeit demfelben fich trauriger geftaltet habe, daß Zucht 
und Sitte, Frömmigkeit und Bildung abgenommen und dag 
Berberben von Jahr zu Jahr fich fteigere, daß ein ſchweres 
Berhängniß auf Deutſchland Lafte, darin ftimmen Freund und 
Feind überein. ine düftere Meltanfchauung, die fich nicht 
jelten biß zur Vorftelung von der Nähe des Weltunterganges 


311) folgt nicht, daß er ihn ausgeführt. Solche Aufträge von Wittenberg 
waren nicht jelten, wurden aber nicht immer befolgt, wie denn berfelbe Menius 
neben Andern von Melandython den Auftrag erhielt, die „Geſchichte Wicel's“ 
zu fchreiben, ohne denſelben auszuführen (Corp. Ref. It, 678, 709). Daß 
der Hauptgrund, den Böcking 1. c. gegen Jonas’ Autorſchaft geltend macht 
— feine Anweſenheit bei Luther’3 Einzuge in Erfurt — auch den Menius von 
der Autorfchaft ausſchließen würde, ift bereit? oben (S. 193) bemerkt worden. 
Uber nicht dieg, fondern Anderes fchließt ihn von der Autorfchaft aus. Der 
Ungenannte erinnert den Erotuß an eine Zeit, wo biefer noch nicht mit Me: 
nius, wohl aber mit Jonas befannt war. (Vgl. Epist. Anom. ed. Olearius 
p. 12; „Ante Moriam tllam Erasmi“ etc.) Menius war zur Zeit ber 
Converſion des Crotus ganz durch feine Fehde gegen bie Wiebertäufer in 
Anfprud genommen; er fchrieb faft nur deutſch, feine beiden Fleinen Iateini- 
[hen Schriften Iaffen am menigften ben Xerfajfer der Epistola Anonymi 
erfennen. BDahingegen finden wir Jonas eben um jene Zeit mit Wicel, dem 
vertrauten Freunde und Gefinnungsgenofien des Crotus, in Fehde, und wer 
feine lateiniſche Streitfchrift gegen Wicel (Contra tres pagellas Agric. 
Phagi ete.) mit unferem Sendfchreiben vergleicht, wird eine große Aehnlich- 
feit in ber Auffaffung des Charakter des Crotus (der auch in der Streit: 
fchrift gegen W. „durchgekämmt“ wird), in ber Tactif, ſelbſt in einzelnen ora= 
torifhen Wendungen (auffallend häufiger Gebrauch des ille tuus und iste 
taus!) nicht verfennen Tonnen. Daß Jonas Ereigniffe, die er felbft miterlept, 
mit einem „Man fagt” und feinen Aufenthaltsort Wittenberg als dla urbs 
erwähnt, findet darin feine Erflärung, daß der Ungenannte unerkannt bleiben 
wollte. — Endlich bleibt noch zu erwähnen, baß auch eine alte, wahrſcheinlich 
aus dem 16. Jahrh. ſtammende handichriftliche Notiz in bem auf der Königl. 
Bibl. in München befindlichen Cremplar des Originalabdrudes Jonas als 
ben Berfaffer bezeichnet. 


— 275 — 


fteigert, wird bei den Meiften herrſchend. Diejenigen, welche 
zur alten Kirche zurüdgefehrt, die Crotus, Wicel, Kling, Fe 
melius erheben jchwere Anklagen gegen Luther und jein Refor- 
mationdwerf. Ihr Muth, ihre Freudigkeit ift hin. Mit tiefem 
Schmerz fehen fie die alte Einheit der Chriftenbeit zerriffen, 
das Andenken der Vorfahren verläftert, verhöhnt, die laut ver- 
Eiindete Reformation vernachläffigt. Die Webelftände der noch 
unverbefierten alten Kirche finden fie in noch höherem Grabe 
in Luthers Kirche wieder: dad Volk frech und ſittenlos, die 
Prediger ohne Würde, unwiſſend und roh, dag Oberhaupt 
herrſchſüchtig, deöpotifch, einen Geiſtesdruck ausübend, wie er 
unter dem Papſtthum zu feiner Zeit bejtanden !). Es werben 
Stimmen unter ihnen laut, welche Luther als den Zerftörer 
der deutjchen Nation, feine Reformation al3 Deutſchlands Ruin 
bezeichnen! ?) 

Konnten auch Luther? treue Anhänger und Verehrer in 
diefen Ton nicht mit einftimmen, jo find doch die Klagen über 
den traurigen Verfall des öffentlichen Zuftandes bei ihnen eben 
jo häufig, und der Zukunft blicken fie noch hoffnungsloſer ent- 
gegen, als ihre Gegner. Johannes Yange, der früher fo zu= 
verfichtlich die Vorzüge des neuen Evangeliums gepriefen und 
Uſingen's Schilderungen von dem zunehmenden Sittenverberb- 
niß als Einbilbungen des thörichten Alten verachtet hatte, läßt 
und zwanzig Jahre ſpäter die nämlichen Klagen vernehmen, 


1) „Ante exstructum Lutherismum licebat de jure divino cuivis 
io publico in Romana Ecclesia vociferari, et qui nos impediebat, is 
erat Antichristus. At nunc, ludo ex sententia confecto, verentur 
ruinam, male quippe sibi conscii. Imo dux factionis vetuit, ne pri- 
vatim etiam a quoque doceatur, Id quod si ante Octennium fecisset, 
non staret Jam Lutherismus.“ Vgl. Retectio Lutherismi Authore 
Georgio Wicelio. Lips. 1538. 6 1 a. (Gefchrieben 1532). 

3) Zahlreiche Belege f. in der Apologie und ben Briefen des Crotus, in 
ben Schriften Kling’3, namentlich aber in Wicel’3 ‚Briefen, in jeiner Querela 
Evangelii, Reteotio Lutherismi u, |. w. 


— 216 — 


die er fingen zum Vorwurfe gemaht‘). Bitter beffagt fich 
Jonas über bie Verjtoctheit der Welt, welche das größte 
Geſchenk des Himmeld, das reine Evangelium, mit ſchnödem 
Undank vergelte und nur als ein Mittel zu einem bequemen, 
lajterhaften Leben benuge?). Nie war, hören wir ihn ſchon 
1530 Tagen, fleifchliche Freiheit, Nuchlofigkeit, Verachtung der 
Wiſſenſchaft und aller guten Sitte größer, al3 in diefer Zeit 
des gnadenreihen Evangeliums. Er glaubt den Untergang der 
Welt nahe und fieht in der herrſchenden Sittenlofigfeit vie 
Erfüllung der Prophezeiungen, die Chriftud und die Apoitel 
von den lebten Zeiten gethan ?®) Luther ift ihm der Vorläufer 
der großen Cataſtrophe, ven Gott al3 feinen Vorboten voraus: 
gefandt hat, um zuvor bie wenigen Guten zu vetten!*) Bon 
ähnlichen düſtern Vorſtellungen erſcheinen auch die Mebrigen 
beherrſcht. Menius nimmt, Angeficht® der herrichenvden Ver- 
wirrung, zum Gebet feine Zuflucht: auch er glaubt an die 
Nähe des jüngiten Tages 3). Spalatin endlich verfiel während 
feiner letzten Lebensjahre in einen Zuſtand düjterer Schwer: 
muth: er jehnte fich fort aus diefer Welt des Haders, der 
Treuloſigkeit, der Heuchelet. „Das goldene und alle beffern 


ı) Qgl. Verpoortennii Sacra superioris aevi Analecta. Cob. 1708 
p. 115116. Er wiederholt dort im Weſentlichen Uſingen's Klagen. 

2) Bol. da fibend Gapittel Danielis, Von des Türden Oottezlefterung 
vnd fjchredlicher mörderey mit vnterricht Juſti Zone. Wittenb. 1530. 4°. 
a3b—4a. 

2) 1. c. a 2 h. — Daher bat auch nach Jonas Gott den Satan bie 
Türken ermweden laſſen, deren „vrſprung vnd anfang der laydig wütend teuffel 
vnd kain ander geyſt iſt. — b 2 a. 

2) „Sch Halt, das got darumb in Teutſchen landen hat das Euangelium 
laſſen auffgehen, das ſolche ſtraff iſt vorhanden geweſen, denn wenn Gott hat 
wolt ein volck ſtraffen, hat er alle zeyt zuvor Propheten geſchickt, das erſt 
ettlich errettet, damit ſie nicht alle verdürben.“ 1. c. a 3h. — Zuweilen 
ſpricht er ſich aus, als würde das göttliche Strafgericht bloß das deutſche 
Bolt treffen. 

2) Vgl. von der Notwehr unterricht: Nütlich zu leſen. Dur Juſſum 
Menium. Wittenb. 1547. 4%, WU 1b. — Verpoort. 1, c. 170. 





— 27 — 


Zeitalter find worüber”, fchrieb er zwei Jahre vor feinem Tobe 
an Weneeslaus Link, „das fchlechtejte ijt gefolgt, und ich hoffe, 
daß das Ende nicht mehr fern fein wird” 2). 

Am lauteſten aber ertönt die Klage der fchwergeprüften 
Humaniften, die unter Allen die Trübfal der Zeit am härtejten 
empfanden. Faſt nur noch zu Klagen öffnen fie ihren Mund; 
fie Flagen über die zunehmende Zuchtloſigkeit des Volkes, über 
den unchriftlichen Hader der Theologen, über die Abnahme des 
Nationalfinns, über den traurigen Religiondfrieg, der Deutich- 
lands Anfehen und Wohlſtand untergrabe, am meilten aber 
über den fortjchreitenden Berfall wifjenjchaftlicher Bildung, 
Mit Wehmuth blickt Micyllus auf die gute alte Zeit zurüc, 
als noch Ein Glaube Alle vereinigt, ald Tugend, Frömmigkeit 
und Treue noch etwas gegolten und Gelehriamkeit Anerkennung 
gefunden, als Deutjchland durch Eintracht noch ſtark geweſen 
und der Bruderfampf dem Nationalfeinde noch nicht ven Weg 
in dad innere de Reiches gebahnt?). Ohne Hoffnung fieht 
er der Zufunft entgegen. Erſt jest, klagt Eoban, fei das letzte, 
das eiſerne Zeitalter, wovon die alten Dichter geiprochen, in 
Wahrheit angefommen ?). Euriciud Cordus kehrt in düſterm 
Unmuth feinen epigrammatischen Stachel gegen die „Apojtaten”, 


ı) Verpoort. 1. c. p. 141. — 2gl. p. 77, 143, Heumann, Doc. lit. 
p. 237. 
2) Vgl. Micylli Sylv. p. 20, 21, 22, 27, 297, 2%, 426, 503, 506. 
Es genügt, die letzte Stelle (aus ber Precatio ad Christum) anzuführen: 
Ah bene sub priscis currebant patribus anni, 
Cum genus in verbo credidit omne tuo. 
Tuno neque divitine neque amor regnabat habendi, 
Parebant uni pectora sancta Deo. — 
Nunc male cum longis perierunt omnia saeclis, 
Spreta jJacet pietas, spreta jacetque fides, 
Nunc pudet esse bonos, nunc est Mile vivere virtus, 
Nunc quidquid facias turpiter, omne decet. 
Scilicet haec rerum series, ea gloria mundi, 
Hei mihi, quis finis temporis hujus erit! 1. c. 506. 
; °) Vgl. De tumultibus horum temporum Querela. Norimb. 1528. 
Ada, 


— m — 


bie ihren Klöftern entlaufenen Mönche, welche er als die Haupt: 
urheber alles Elendes anfieht. Mit derfelben rückſichtsloſen 
Bitterfeit, womit er einft Mönche und Schultheologen befämpft, 
wendet er jich jetzt gegen die Härte, Unduldſamkeit, Verfolgungs— 
jucht der neuen theologijchen Machthaber, denen er nun fogar 
dad mildere Verfahren der papiftifchen Biſchöfe ala nachzu— 
ahmendes Beifpiel entgegenhält *). Klagend führt er einmal 
die Wiſſenſchaft ſelbſt ein, Elagend über den Irrthum, in dem 
fie befangen gewefen, ald fie won den „neuen Bropheten“ Hülfe 
erwartete! ?) 

Rührender hat aber wohl Keiner den Berfall beflagt, als 
Joachim Camerarius, dem es befchieden war, ben traurigen 
Anblick dezfelben am längſten zu ertragen und alle feine Freunde 
vor ſich hinſcheiden zu fehen. Länger als die Mebrigen hatte 
er feinen Schmerz über den Gang der Ereigniſſe unterdrüdt; 
er hatte fi) mit der Hoffnung auf eine befjere Zukunft getrö- 
ftet und die frühen Klagen Anderer fogar al3 unmännlich 
getadelt *), bis er fi von der Nichtigkeit feiner Hoffnungen 
überzeugte. Seitdem hatte der trauernde Humanismus feinen 
berebteren Sprecher, ala Camerarius. Zahllos find die Klagen, 
in denen er ſich ergeht über die Verachtung von Religion und 
Sitte, über den Verfall der Schulen, über die Rohheit und 
Zügellofigfeit der heranwachjenden Generation *). Bor Allem 


ı) Quanto evangelici distent discrimine dicam 
Papisticis ab Kpiscopis, 
Non phas est, nisi quod rerum potientibus illis 
Bonae cadant jam literae, 
Quarum magna sub his tamen emolumenta fuerunt 
Dignumque juxta praemium. 
Opp. Cordi 278; vgl. 223, 238, 248, 265, 270, 277, 280, wo zum Theil 
noch viel ftärfere Angriffe. 
2) I. c. 278. 
3) Vgl. Tert. lib, epp. S8 a—h. 
«) Ich verweiſe auf bie Stellen, welche Döllinger Die Reformation ꝛc. 
1, 524 ff. u. 11, 584 zum Theil nach noch ungebrudten Quellen zuſammen⸗ 
geftellt hat, die fich aber noch Durch viele andere vermehren ließen. 


— 279 — 


aber find es die nad) dem Tode Luthers in der neuen Kirche 
ausbrechenden endloſen theologijchen Streitigkeiten, die ihn mit 
tiefem Schmerz erfüllen und feinen Bli in die Zufunft ver- 
düftern. Man fehe es klar, jchreibt er fchon 1550 an Fabri- 
cius, daß Alles ſich zum Untergange Deutſchlands vereinige, 
dag Religion, Wiffenjchaft, Zucht und Ehrbarkeit untergehen 
müßten‘). „Was werben bie andern Nationen jagen”, ruft 
er wehmuthsvoll aus, „oder vielmehr, was jagen fie jebt Schon! 
Doch umſonſt ift unfer Mühen und Nicht? richten Klagen 
aus” 2). Tief gebeugt durch den Anblick der Gegenwart, an⸗ 
gefeindet von den Theologen, gegen die er vergeblich Luther's 
Schatten zu Hülfe ruft 3), flüchtet ev fich zuletzt in die Ber: 
gangenheit und fucht feinen Troft in der Erinnerung an jene 
Ihönen Jahre, die er einjt in Erfurt im Dienfte der Wiſſen— 
Ichaft verlebt. Doppelt ehrwürdig erjcheinen ihm jebt Mutian 
und Eoban. „Seid mir gegrüßt, edle Seelen!” wendet er fich 
an fie, „Euern Ruhm will ich verfünden, jo lange meine Glie- 
der jich noch regen Fünnen. Süß wird es mir fein, Euern 
Namen zu nennen”). In dem geiftigen Verkehr mit feinen 
hingefchiebenen Freunden, in der Erinnerung an bie glückliche 
Jugendzeit fucht er Entichädigung für die Leiven der Gegen- 
wart, Mutian's und Eoban's Lob zu verkünden, das Andenken 
des erfurter Kreifed der Nachwelt zu erhalten, gilt ihm als 
Aufgabe, ſoll fein Troſt fein in einer Zeit, wo Haß, Neid, 
Leidenfchaft die Gemüther beherriche, wo die Tugenden ber 








ı) Vgl. Joach, Camerarii Bap. ep. fam. p. 49. 

2) ]. c. p. 52. 

3) Wie früher Eoban in der „lage ber Kirche” fich an den Tebenden Luther 
um Hilfe gewandt hatte, fo ruft Camerarius in der 1553 erſchienenen „Klage 
Luthers“ (Querela M. Lutheri seu Somnium) bie Manen bed Reformatorg 
zu Hülfe, den er redend einführt und das Verdammungsurtheil über da 
Treiben ber Theologen ausſprechen läßt. Der Erfolg war aber fein anderer, 
al? daß Camerarius neue und heftigere Anfeindungen erfuhr. 

*) Vgl. Tert. lib. epp. A 2b. 


— 30 — 


Vorfahren, Frömmigkeit, Redlichkeit und Treue zugleich mit 
ber Bildung völlig verſchwunden ſeien). 

Was Camerariud zum Troſte gereichte, verpflichtet un? 
demfelben zum Danke. Eben ven wehmuthsvollen Ergiegungen, 
in denen Camerarius feinem Kummer Luft machte, verdanfen 
wir zum großen Theil unfere genaue Kunde von dem reichen 
geijtigen Leben, das einft in Erfurt feinen Sit hatte, und dem 
bedeutſamen Einfluß, der von hier im ſechszehnten Jahrhundert 
auf das folgenreichite Ereigniß unjerer vaterlãndiſchen Geſchichte 
ausgeübt worden iſt. 





1) So beſchreibt er ſelbſt die Entſtehung der vier nacheinander (1553, 
1558, 1561 u. 1568) von ihm veröffentlichten Briefſammlungen, an deren 
Spite die meifterbafte Biographie Eoban's ſteht, und die wir gleichſam al? 
ein Urkundenbuch zur Gefchichte des erfurter Gelehrtenfreifeg anzufchen haben. 
In ben vorausgefchicdten Einleitungen kehrt immer ber Gedanfe wieder, daß 
er in der Erinnerung an das ehemalige Leben in Erfurt Troft ſuche: 

Quae saepe recordans, 

Ac animo rediens in consuetudinis usum 

Sentio laetitine veteris nova gaudia, et illa 

Tempora tam bona mox haud absque dolore requiro, 

Et mirabiliter miscentur tristia laetis 

In corde et memore et frustra reputante priora etc. 
Vgl. Lib. tert. epp. A 2 b. Aehnlich in den Einleitungen zu der erften, 
zweiten und vierten Sammlung, unter denen namentlic, die zweite eine fehr 
anmuthige Schilderung des frühern wiffenfchaftlichen Treibens in Erfurt gibt.