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Full text of "Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung"

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981467 
Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung, 


Von 


Paul Mentz. 
(Schluss.) 


XI. Die willkürliche Aufmerksamkeit. 


Dekon früher haben wir gesehen, dass bei unwillkürlicher Auf- 
merksamkeit Pulsverlängerung und bei willkürlicher Pulsverkür- 
zung auftritt. Ist dies wirklich der Fall, so muss es auch möglich 
sein, bei einem und demselben Reiz je nach Anweisung des Reagenten 
bald die eine, bald die andere Erscheinung hervorzubringen, und 
dies gelang in der That schon beim ersten Versuch, ohne dass dem 
Reagenten mehr gesagt wurde, als dass das erste Mal »starke Auf- 
merksamkeit« anzuwenden, beim zweiten Male aber, wenn derselbe 
Reiz wiederkehrte, nur insoweit aufzumerken sei, »als der Reiz 
selbst dazu veranlasse«. 

Beispiel 60. Reagent: H. Gale, Geschwindigkeit: V. Reiz: 
Metronomschläge mit der Geschwindigkeit MM. 156, zwei Mal 
wiederholt, das eine Mal 24, das andere Mal 22 Secunden lang an- 
dauernd. Dazwischen eine Pause von 12 Secunden. Der Anfangs- 
puls war: Min. — 2,1, Max. = 2,6, Mw. = 2.4. 

Die Pulsänderungen waren: zuerst bei willkürlicher Aufmerksam- 
keit Pulsverkürzung um — 0,3, — 0,3, — 0,3; darauf bei unwill- 
kürlicher Aufmerksamkeit eine Pulsverlängerung um + 0,1, + 0,2, 


02. 


564 Paul Mentz, ! 


Gerade, dass hier die Geschwindigkeit des Metronoms ein 
ziemlich große war (MM. 156), setzt die Sache ins rechte Licht 
denn sonst könnte man vermuthen, es sei etwa die Lust die Ursac 
der Pulswirkung beim zweiten Male, falls nämlich die Geschwindi 
keit nahe dem Lustmaximum gewesen wäre, oder aber lediglich di 
Ruhe, wie man vielleicht aus den Affeetversuchen folgern könn 
Aber es fand ja auch schon in Bsp]. 27 bei MM. 165 zweimal eine Ve 
längerung statt, was ebenfalls für einen andern Sachverhalt sprich 

Um nun aber auch die willkürliche Aufmerksamkeit, soweit die 
Pulswirkung es erlaubt, näher verfolgen zu können, wurden noch 
folgende weitere Versuche angestellt. 

Beispiel 61. Reagent: G. Funk, Geschwindigkeit: II. Reiz: 
»Vergleichung« je zweier durch Metronomschläge derselben Ge- 
schwindigkeit ausgefüllten Zeitstrecken. Diese Geschwindigkeiten 
waren: MM. 120 und gegen Schluss der Trommel MM. 174. Die 
Zeitstrecken enthielten 10—35 Schläge und waren jedes Mal um 
2 bis höchstens 5 Schläge verschieden. Es erfolgte die Anweisung, 
nicht etwa die Schläge zu zählen. Die Ausmessung zeigte: Während 
der ersten Strecke jedesmal Pulsverlängerung, während der zweiten 
Pulsverkürzung. Waren z. B. die normalen Längen: Min. — 5,2, 
Max. — 6,2, Mw. — 5,7, so fand sich bei der ersten Strecke eine Ver- 
längerung um + 0,2, + 0,1, —+ 0,5, bei der zweiten eine Verkürzung 
um — 0,5, — 0,4, — 0,9, während die reizlose Zwischenzeit von 
15 Secunden den normalen Puls zeigte. 

Dieses Ergebniss wird verständlich, wenn man sich die psycho- 
logische Aufgabe des Reagenten vergegenwärtigt. Da dieser näm- 
lich nach jedem Versuch auszusagen hatte, welche Zeitstrecke die 
längere gewesen sei, so hatte er zunächst den ersten Reiz auf sich 
wirken zu lassen, daher die Verlängerung der »unwillkürlichen Auf- 
merksamkeit«. Wührend der reizlosen Zwischenzeit konnte er sich 
erholen, wenn er wollte, musste aber während der zweiten Zeitstrecke 
die Aufmerksamkeit »willkürlich« anspannen, um mittels irgend 
welcher Merkzeichen, wie sie ja auch beim räumlichen Vergleichen 
und Auffassen vorhanden sind, die Reproduction des ersten Reizes 
und dadurch die weitere eines »lünger« oder »kürzer« in sich ent- 
stehen zu lassen. Ein solches Merkzeichen konnte z. B. die Inner- 
vation gewisser Muskeln durch den Reiz sein, SB der Stirnmuskeln, 


Eye 
7 | 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 565 


der zum Hören oder Sprechen gebrauchten oder am Rhythmus be- 
theiligten wie der Sprach- und Athmungsmuskeln. Wie dem auch 
sein mag, jedenfalls findet hier, wie auch die Ausmessung zeigte, 
die das eigentliche Vergleichen ausmachende willkürliche An- 
strengung der Aufmerksamkeit statt. 

Ist jedoch der Gegenstand des Vergleichens ein schwieriger, 
so findet schon jedes Mal beim ersten Reiz, und unter Umständen 
auch in der reizfreien Pause die Anstrengung willkürlicher Auf- 
merksamkeit statt, wie schon die Erfahrung des gewöhnlichen 
Lebens beim Vergleichen z. B. zweier optischer oder räumlich- 
plastischer Gegenstände zeigt. 

Beispiel 62. Reiz: »Vergleichung« je zweier durch den Ap- 
punn’schen Tonmesser gegebenen Tonhöhen. Diese Tonhöhen 
dauerten je 6 Secunden und waren jedes Mal um nur 2 oder 
4 Doppelschwingungen verschieden. Die Ausmessung ergab: Während 
beider Reize jedes Mal Pulsverkürzung, die jedoch gegen Ende der 
Trommel in Folge der Uebung in solchem Vergleichen oder auch 
wegen stetiger Anspannung der Aufmerksamkeit geringer wurde. 


So z. B.: 
Reagent: G. Funk. Geschwindigkeit: I. 


Reiz Min. Ma= | Mw: 7 A022 °7 | mP ma 
| | 
7,0 82: 176 42/| ı8 I1342|75  |327 
240 alte Ana 
176 Dopp.-Schw. {| 5,8 6,7 6,2 12/,| 71/a | 46,4 16,2 23 
5,7 6,3 5.9 73/4 | 331, 1198,9 | 5,9 26* | 


Min. Max. 


566 Paul Mentz. 


Da die Töne als nicht in musikalischen Verhältnissen stehende 
Zungenpfeifentöne dem Reagenten ungewohnt sein mussten, so war 
hier das Festhalten der ersten Tonhöhe ein ziemlich anstrengendes, 
wie auch die beträchtliche Verkürzung beweist. Auch beim Auf- 
treten des zweiten Reizes war die Anstrengung der Aufmerksamkeit 
nicht gering, um mittels irgend welcher helfender Merkzeichen 
eine Reproduction des ersten Reizes und dadurch die weitere eines 
»höher« oder »tiefer« in sich entstehen zu lassen. Ein solches 
Merkzeichen konnte z. B. die Innervation von Muskeln durch den 
Reiz sein, etwa der zum Hören oder zum Singen dienenden. So 
verbirgt sich auch hier wieder unter demselben Wort, nämlich 
» Vergleichen«, ein verschiedener psychologischer Thatbestand: nur bei 
der ersten Tonhöhe der ganzen Trommel, als der Reiz noch neu 
war, fand sich hier eine Verlängerung, sonst aber durchweg eine 
auf willkürliche Aufmerksamkeit hinweisende Pulsverkürzung. 

In weiteren Beispielen wurde als Aufgabe »Kopfrechnen« ge- 
nommen, um bei dem Reagenten »willkürliche Aufmerksamkeit: 
herbeizuführen. Schon vielfach wurde dasselbe bereits von Physio- 
logen als Aufgabe gewählt, doch hat es nicht an Einwänden 
gefehlt, welche die dabei auftretende Verkürzung oder sonstige Puls- 
änderung auf Nebenaffecte zurückführen wollten, die mit der Sache 
eigentlich nichts zu thun hätten. Wenn diese Einwände einigen 
Grund gehabt zu haben scheinen, so lag dies jedoch an der bisher 
meist angewandten Sorglosigkeit bei der Anstellung solcher Versuche 
und der Nichtberücksichtigung etwaiger aus der Lust, Unlust und den 
Affecten entstehender Fehlerquellen, wie wir schon bei den Pupillen- 
versuchen von Schiff und Foä zu bemerken Gelegenheit hatten. - 

Will man z. B. bei der Aufforderung zum »Multiplieiren« beim 
Reagenten ungehörige Nebenaflecte vermeiden, so muss vor allem 
diese Aufforderung in ruhigem Tone geschehen. Es muss ferner 
der Reagent bereits an Versuche einfacherer Art gewöhnt und dem- 
nach im Stande sein, sowohl vor als nach den Reizen durchaus 
»indifferent« zu sein. Es wird ferner bei derartigen Versuchen von 
Nutzen sein, wenn das Verhültniss des Reagenten zum Experimen- 
tirenden nicht etwa das des Schülers zum Lehrenden ist, da sonst 
zu leicht Ehrgeiz und dergleichen beim Reagenten auftritt, sondern 
mehr ein Verhältnis der Gleichstellung, bei dem die Furcht vor 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 567 


einem »Sichblamiren« und dergleichen ausgeschlossen ist. Aus 
diesem Grunde ist es auch gut, dem Reagenten bereits vor dem 
Versuche zu sagen, dass es auf die Richtigkeit des Resultates 
nicht wesentlich ankäme, sondern vor allem darauf, dass eben ein 
»Multipliciren« stattfände. 

Alle diese Vorsichtsmaßregeln wurden bei unseren Versuchen 
angewandt und waren von gutem Erfolge begleitet. Das Ergebniss 
war, wie bei den auch sonst so vorzüglich angestellten Versuchen 
Mosso’s, eine mit dem Verlauf des Rechnens und der sich dabei 
häufenden Schwierigkeit zunehmende Pulsverkürzung. 

Beispiel 63. Reiz: Zuerst Multipliciren von 15 mit 15, dann 
19 mit 19 (also Quadriren), unter den bereits angeführten Vorsichts- 
maßregeln. Ergebniss: 


Reagent: Dr. J. Cohn. Geschwindigkeit: I. 


mP | 


Reiz | Min. | Max. | Mw. 


05 +0 


6,8 7,6 1,2 51/,|113/4| 83,4 | 7,1 15* 


52,6 | 6,6 15* 


72 7,9 75  1|52%1121/4| 92,0 |7,6 15 
| 


nA .r| L mP | mA 


51/4 | 161/ 1111,2 


16/4) 71/2| 42,3 


All 1 1367 


7 


Wundt, Philos. Studien. XI. 38 


568 Paul Mentz. 


Dies Ergebniss wird verständlich, wenn man sich wieder die 
psychologische Aufgabe vergegenwärtigt. Soll z. B. 15 mit 15 mul- 
tiplieirt werden, so sind zunächst die geläufigen Reproduetionen 
aus dem gelernten kleinen Einmaleins zu vollziehen, z. B. 10 x 15 
— 150 und 5x 5 =5x1+5x5=50-+25. Die jeweiligen 
Ergebnisse sind im Gedüchtniss »festzuhalten«e und darauf in ge- 
wohnter Weise die Schlussaddition, (50 + 25) + 150, also noch eine 
weitere Reproduction mit willkürlicher Aufmerksamkeit zu voll- 
ziehen. Es wird sich demnach im Verlaufe der Rechnung, weil 
sich die zu merkenden Zahlen häufen, die Schwierigkeit steigern, 
und das stimmt mit den Ergebnissen der Ausmessung genau überein. 

Beispiel 64. Um eine solche Schwierigkeit auch einmal 
künstlich herbeizuführen, wurde bei demselben Reagenten im Ver- 
laufe der Rechnung absichtlich mit einem Bleistifte erst 3, dann 
2 Mal auf den Tisch geklopft, jedoch so, dass es ganz wie zufällig 
erscheinen musste. Dies ergab denn auch eine vorübergehende 
beträchtliche Verkürzung (— 0,6 beim Minimum, statt — 0,2 — 0,1 
— 0,2, bei der Geschwindigkeit : I). Aerger fand, wie der Reagent 
später aussagte, hierbei keineswegs statt, es war nur eine »größere 
Aufmerksamkeitsanstrengung nöthig«, um trotz des Geräusches im 
Geleise der Rechnung zu bleiben. 

Auch als Pupillenwirkung zeigt sich die willkürliche Aufmerk- 
samkeit beim Rechnen: 

Beispiel 65. Reiz: Zuerst eine Reihe von Metronomschlägen 
von der Geschwindigkeit 152, bei welchen gut aufgemerkt werden 
sollte, so dass »kein Schlag für das Bewusstsein verloren geht«, und 
dann Multiplication von 7 mit 16 und 9 mit 18, also eigentlich 
Aufgaben leichterer Art. Ergebniss: 


Reagent: Dr. Th. Elsenhans. 


i 
I 


Reiz Pupillenweiten | arith. Mittel 


1,8111 1,911 2,21 | 


| 
I 
| 


MM. 152{| 2,01 2,1 2,2117 2,311 


Multipl. N 2,01 2,211 2,31 


| 1,91 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 569 


Diese Werthe sind wieder mit 2 zu multipliciren, um die ge- 
messenen Distanzen in mm zu erhalten. 

Weitere Beispiele für die Verkürzung des Pulses beim Rechnen 
ergibt die Ausmessung der Curven Mosso’s: so, außer den Bei- 
spielen zweier älterer Veröffentliehungen !), in der »Diagnostik des 
Pulses« TafelI Reihe 1 und im »Kreislauf des Blutes« Fig. 19, 20, 
46 und Tafel III 5, IV 7, VIII 30 (hierunter auch Hirnpulse). 
Ferner findet sich diese Verkürzung beim Rechnen in den Curven 
von Thanhoffer?, und Gley?). 

Bei leichteren Multiplicationsaufgaben ist natürlich die Ver- 
kürzung eine geringere und dann findet auch keine Zunahme der- 
selben im Verlauf der Rechnung statt, da eben die Aufgabe rasch 
abgethan wird. So bei Mosso in Fig. 19 und Taf. IV 7 (Aufgaben: 
8 mal 12 und 9 mal 13). Ebenso wird in Folge von Wiederholung 
und Uebung die Verkürzung eine geringere. 

Nach Aufhören des Rechnens tritt oft eine geringe Pulsver- 
längerung ein, theils aus rein physiologischen Gründen, theils als 
Lust an der Erholung und Vollendung. So auch bei Mosso. 
Fig. 19, Tafel IV 7 und VIII 30. Bei den Versuchen Than- 
hoffer’s tritt zuweilen auch statt dessen eine Verkürzung auf, die 
wohl als Unlust an der Unthätigkeit oder Langeweile zu deuten ist. 
Je einwurfsfreier die Versuchsbedingungen sind, um so weniger wird 
natürlich dergleichen auftreten, ist jedoch nicht immer ganz zu 
vermeiden. 

Als weitere Versuche wurden willkürliche Reproductionen auch 
aus anderen Gebieten den Reagenten als Aufgabe gestellt, um zu 
sehen, ob auch bei solchen complicirteren Aufgaben dieselben Puls- 
änderungen zu finden sind: 

Beispiel 66. Der Reagent erhielt die Anweisung, auf den 
Zuruf »jetzt« hin jedesmal in einem gewählten Stoffgebiet »mehr 
zwanglos reproductiv« zu verfahren, auf den Zuruf »genau sachlich« 
jedoch »ganz apperceptiv, ohne jede Lücke und auch in guter Dar- 


1) Mosso, Sopra un nuovo metodo per scrivere movimenti dei vasi san- 
guigni, Torini 1875, Fig. 2, 3,4, und Archives de physiologie norm. et pathol. 
Bd. 12, 1875, S. 178, Fig. 3. 

2) a.a.0. 

31.2.8..0, 

38* 


570 Paul Mentz. 


stellung« den betreffenden Gegenstand zu verfolgen, alles natürlich 
ohne irgend ein Wort zu äußern. 

Der Reagent nahm, wie er nachher aussagte, als Stoffgebiet zu- 
nächst »Geschichte der Pädagogik« (ganz allgemein), und sodann 
»Darstellung der Lehre Descartes’«. Das besonders Charakte- 
ristische der erfolgenden Pulsänderungen sei als Auszug mitge- 
theilt: 


Reagent: G. Funk. Geschwindigkeit: I. 


dueiren 


genau 


sachliches 
Repro- 
dueiren 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 571 


Der genauere Verlauf war: Zuerst »mehr zwangloses Reprodu- 
eiren« (Pulsverkürzung, dann geringe Pulsverlängerung), nach einer 
Pause dasselbe. Die Traube’schen Schwankungen bleiben ziemlich 
während dieser Zeit bestehen. Darauf nach einer Pause »genau 
sachliches Reprodueiren« (größere Pulsverkürzung, dann immer noch 
etwas Pulsverlängerung), nach einer Pause dasselbe (lediglich Puls- 
verkürzung und zunehmend). Die Traube’schen Schwankungen 
werden hier fast ganz unterdrückt. Es findet also bei dem »genau 
sachlichen Reproduciren« die größere Wirkung auf den Puls statt. 

Auch die absoluten Pulslängen zeigen dies. Zu Anfang war 
der Puls: Min. = 7,3, Max. = 8,2, Mw. = 7,5. Zu Ende des ersten 
mehr zwanglosen Reproducirens: 6,8 7,8 7,6. Zu Ende des zweiten: 
6,9 7,4 7,1. Zu Ende des »genau sachlichen Reproducirens « 
schon: 6,3 6,8 6,4. Zu Ende des zweiten: 4,9 5,1 5,0. Es hat 
also infolge der willkürlichen Aufmerksamkeit die Pulslänge ganz 
bedeutend abgenommen. 

Auch Folgendes zeigt den Unterschied. Während des »mehr zwang- 
losen Reprodueirens« traten ab und zu aus den übrigen herausfallende 
Pulsverlängerungen auf, nämlich: 8,0, 8,7, 8,5 und 8,6, 8,9, 8,3, 
9,3, 8,3, entsprechend den hier ganz natürlich ab und zu auftreten- 
den Ruhepausen oder auch wegen Lust über diesen oder jenen Ein- 
fall. Bei dem »genau sachlichen Reproduciren« dagegen ab und 
zu aus dem Uebrigen herausfallende Pulsverkürzungen, nämlich: 
5,4, 5,3, 5,7 und: 5,7 4,7, 5,4, entsprechend den größeren Anstren- 
gungen der willkürlichen Aufmerksamkeit, die hier ab und zu nöthig 
sind, um gerade dieses und nichts anderes zu finden, und vielleicht 
auch wegen Unlust, dass sich ein Gesuchtes nicht einstellen will. 

Im Ganzen zeigt sich also hier, dass bei dem »mehr zwanglosen 
Reproduciren« willkürliche Aufmerksamkeit auftritt, dass sie aber 
bei dem »genau sachlichen Reproduciren« vorwiegend ist. Wesent- 
lich war hierbei die Schwierigkeit der beiden gewählten Stoffgebiete. 

Auch bei Mosso findet bei Fig. 18, Reihe 3 wahrscheinlich 
ein Grübeln des Reagenten und daher bedeutende (8 Pulse lange) 
und dann etwas nachlassende (14 Pulse lange) Verkürzung bei 
Arm- und Hirnpuls statt. Er fragte nämlich seinen Reagenten 
Bertino einige Zeit, nachdem das schon erwähnte Läuten der 
Kirchenglocken stattgefunden hatte, ob er sonst um diese Zeit ein 


572 Paul Mentz. 


‚Ave Maria« bete. Dies hat wahrscheinlich Bertino zu einem 
Nachgrübeln veranlasst (entsprechend seinem sonstigen etwas miss- 
trauischen Charakter), was mit dieser Frage eigentlich beabsichtigt 
sei, und vielleicht auch noch, was denn überhaupt solche Experimente 
für einen besonderen Zweck hätten. 

Auch bei Beobachtung der Pupille ergibt sich eine dem Obigen 
entsprechende, reciproke Wirkung: 

Beispiel 67. Reiz: Reproduction und Nachdenken üher ein 
kürzlich gelesenes Capitel aus Descartes. Ergebniss: 


Reagent: G. Funk. 


arith. Mittel 


1,8111 1,9ıv 2,011 2,1 1:9 


+ 0,3 
Nachdenken | 21ı 22 23n 24 | 22 


| 1,811: 1,911 2,01 110 


Beispiel 68. Reiz: Lesen mehrerer Seiten aus Fechner’s 
»Zendavesta«, Vorher und nachher Pupillenbeobachtung: im letz- 
teren Falle Weiternachdenken über das Gelesene, bis ein >»halt« 
zugerufen wurde. 

Reagent: H. Gale. 


Pupillenweiten arith. Mittel 


1,21 1,3 1,417 1,6 | 1,4 . 
+ 0,2 


Nachdenken | 1,5 1,6 1,7 1,8 | 1,6 


1,21 1,3v 1,41 1,6 1,3 
| 


Nebenaffecte waren dabei ausgeschlossen. 

Wenn demnach, wie aus allem Bisherigen hervorgeht, willkür- 
liche Aufmerksamkeit eine ihrer Stärke entsprechende Pulsverkürzung 
hervorruft, so muss es auch möglich sein, sie entweder durch ge- 
eignete Anordnung der Versuchsumstände oder rein willkürlich, 
wie bei den Affeceten, graduell zu steigern. Es sei hier zunächst 
das Erstere behandelt: 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 573 


Beispiel 69. Reiz: In der Höhe des Ohres des sitzenden 
Reagenten wird eine Taschenuhr in der Entfernung von je 1, 2, 3, 
4 m angebracht, in der Zwischenzeit aber jedes Mal durch ein den 
Schall schlecht leitendes Material verhüllt. Der Reagent erhält An- 
weisung, immer das Uhrticken zu hören, wobei übrigens 3 m die 
Grenze der eben merklichen Hörbarkeit bildete und bei 4 m nichts 
mehr zu hören war. So tritt denn auch bei 4 m eine sehr bedeu- 
tende Verkürzung auf. Ergebniss: 


Reagent: Dr. A. Wenzel. Geschwindigkeit: IV. 


Reiz | Min. Max. Mw. 


2,4 
Kr: 
m:3 {]1,8 


1,9 


Auch der erste Reiz zeigte hier eine große Verkürzung, wegen 
der Ungewohntheit der Umstände und der anstrengenden Neuheit 
des Versuchs, während später das Tiktak durch Reproduction dem 


574 Paul Mentz. 


Reize schon gleichsam entgegengebracht wird. In der durch punk- 
tirte Linie bezeichneten Zwischenpause trat Besuch ein, und hier- 
von blieb denn auch eine Pulsverlängerung beim Wiederbeginn der 
Versuche zurück. Bei der gewählten Entfernung 1 m tritt, weil 
hier das Tiktak sehr laut und daher gut wahrnehmbar war, die 
Verlängerung der unwillkürlichen Aufmerksamkeit ein, vielleicht 
kam auch noch Lust an der Leichtigkeit hinzu. Erst die Ent- 
fernungen über I m erfordern die Anstrengung der willkürlichen 
Aufmerksamkeit. 

Ferner kann man rein subjectiv diese Aufmerksamkeitssteige- 
rungen herstellen, während der Reiz immer derselbe bleibt: 

Beispiel 70. Reiz: Metronomschläge von angenehmer Ge- 
schwindigkeit (MM. 128). Der Reagent wird angewiesen, die Auf- 
merksamkeit willkürlich und in möglichst gleichen Abstufungen zu 
steigern und nachher jedes Mal anzugeben, welcher Grad es gewesen 
sei. Dass wir die Stärke der Aufmerksamkeit nach der Intensität 
der Spannungsempfindungen messen, bemerkt bereits Wundt!). Je 
weniger Stufen genommen werden, desto rascher geht natürlich die 
Steigerung vor sich. Je mehr Stufen aber man nimmt, desto weniger 


gleichmäßig werden dieselben sein. 


Reagent: Dr. ©. Ayer. Geschwindigkeit: IV. 


Max. | Mw. nA up. L mP mA 


| 
| 
| i 


samkeit 


| 
Aufmerk- Min 
Au 
| 3,4 2,9 31/14 [40,7 |2,9 11 


2,8 
{17 ' = 0,0 + 0,0 + 0,0 z0 

Stufe 0 12,8 3,4 2,9 2/9112 |34,7|29 11 

2,2 2,9 2,7 217/11 [29,1 2,7 I12* 
—01) —0j1 — 01 | — 0,2 —3 

I 12,1 2,8 2,6 5 lıs [451125 9 

| 
2,3 31 2,7 aa 37,2 [2,7 10 


81/4132 


13, 3,0 |32/, 114 
— (0,5 — 05 —04| 
i 8. | 64/41 31'/2 | 95,8 


I) Wundt, System der Philosophie. Leipzig 1889. 8. 100. 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 575 


Die Stufe 0 zeigt gar keine Pulswirkung. Diejenige der höchst- 
möglichen Stufe (im angeführten Beispiel :3) war bei den verschie- 
denen Reagenten bei derselben Geschwindigkeit fast immer gleich. 
Es ist dies durchaus verständlich, da die Reagenten hier durchweg 
von fast derselben Befähigung und Bildungsstufe waren. 

Es sei noch ein Beispiel angeführt, welches dadurch interessant 
ist, weil hier zuweilen bei den höheren Stufen der Aufmerksam- 
keit Verlängerungen, statt der sonstigen Verkürzung, auftraten: 

Beispiel 71. Reiz: Steigerung der Aufmerksamkeit in 5 Stufen 
bis zur höchstmöglichen hinauf. Metronomgeschwindigkeit: 85. 
Nach dieser Steigerung wieder allmähliches Zurückgehen auf die 
Stufe 0. 


Reagent: Dr. A. Wenzel. Geschwindigkeit: II. 


Aufmerk- = 
samkeit Fe is 


Min | Max. | Mw. 


nA|inP | mP | mA 


2 4,2 3,7 5 126 1921 3,6 18 
+ 0,0 +0,0 0,0 N. — 0,1 eg 
Stufe 0 {13,2 4,2 3,7 4 |1% 158,41|3,5 15* 
3,3 4,3 3,8 33/4119 | 66,6 13,5 18 
=0,0 — 0,4 —0,1 — 0,1 —1 
1.133 3,9 3,7 14/4\10 | 34,7|3,4 17 
3,3 4,2 3,4 24/4114 | 47,1|3,4 16* 
—01| —04 — 0,1 — 0,3 +3 


ZAl 38 3,8 8:37 1 [EN 9 19* 


576 Paul Mentz. 


| 
m h L | mP | mA 


[er [al 
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Aufmerk- | yyin, Max. 
samkeit 


21% „ 14 | 4,8 |3,3 
— 01 
#2 1752132 
»,|l14 | 397128 
be 2 
32,123 | 658129 
31/420 58,220 


33/, | 211% u 
37,4|2,8 


Bei der Wiederholung treten also dieselben Pulswirkungen auf, 
nur infolge der Abstumpfung oder Uebung geringer. 

Was die Pulsverlängerung betrifft, die bier 3 Mal bei den 
Stufen 3 und 4 statt der Verkürzung auftritt, so rührt sie wahr- 
scheinlich daher, dass der Reagent, um eine Steigerung der Auf- 
merksamkeit möglich zu machen, sich, zumal da er sehr musikalisch 
ist, etwas Lustvolles in die Metronomschläge hineingedacht hat. 
Er selbst vermochte einen Tag später keine bestimmte Auskunft 
mehr zu geben, sagte aber, dass gerade die Steigerung bei den 
höheren Graden etwas schwer Herzustellendes gewesen sei. 

Dies führt denn auf die Frage nach dem Wesen dieser Puls- 
wirkungen überhaupt. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit (oder 
passive) ist zunächst nichts anderes als das durch den Reiz 
veranlasste Bewusstsein desselben, dabei aber noch mit einiger 
Innervation verbunden. Aus ersterem Grunde tritt wahrscheinlich 
man vergleiche die Wirkung der Intensitäten eines Tones, Ge- 
räusches u. s. w. an sich) die in dieser Arbeit beobachtete Puls- 
verlängerung auf. Auch Lust und Unlust können natürlich die 
Ursachen dieser Veränderung bei der unwillkürlichen Aufmerksam- 
keit sein, und etwas wird die erstere wahrscheinlich {als Lust an 
der 'Thätigkeit) bei diesen Versuchen mitgewirkt haben. 

Ist die Innervation, psychisch das Sichzusammennehmen des 
Individuums stärker, wozu Lust und Unlust oder Affecte die 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 577 


vorzüglichsten Anlässe sein werden, so geht die unwillkürliche 
Aufmerksamkeit, bei der ja auch sicherlich schon Innervationen 
stattfinden, in die willkürliche (oder active) über. Dass hier 
keine scharfe Grenzlinie besteht, hat bereits Wundt nachdrück- 
lichst hervorgehoben. Vielfach hat man die Aufmerksamkeit mit 
»Interesse« identificirtt, so z. B. Ribot, und in der That werden 
Lust oder sich ihr anschließende Affecte vielfach die Anlässe 
von activer Aufmerksamkeit sein. So war auch z. B. bei den 
Pulsverlängerungen des vorhergehenden Beispiels Lust, wenn auch 
nur hineingedacht, als Mithilfe mit im Spiel. Vielfach jedoch 
auch werden Unlust oder sich ihr anschließende Affecte, wie Sorge, 
Zwang und dergl. die Anlässe der activen Aufmerksamkeit sein, 
oder auch bloß die Vorstellung, dass es nöthig sei, hier aufzu- 
merken. Dieser Selbstzwang, den das Individuum im letzteren 
Falle auf sich selber ausübt, muss natürlich die in dem Vorher- 
gehenden so vielfach beobachtete Pulsverkürzung herbeiführen, und 
es wird so bei sich steigerndem Selbstzwang oder auch nur einer 
durch äußeren Anlass herbeigeführten Steigerung (wie in Beispiel 69) 
diese Pulsverkürzung zunehmen. So wird active Aufmerksamkeit 
mit ihrer Richtung auf die betreffenden Sinnesorgane, einer all- 
gemeinen Innervation der Muskeln und insbesondere mehr oder 
minder der Stirnmuskeln bei an und für sich interesselosen Gegen- 
ständen vorhanden sein, wie es ja vielfach diese Reize an sich, 
z. B. als bloße Reihenfolge von Metronomschlägen, waren. Oder 
aber der Reiz war ursprünglich angenehm, so wird doch die ein- 
tretende Abstumpfung einen Selbstzwang veranlassen. Oder aber 
die äußeren Schwierigkeiten nehmen zu, wie in Beispiel 67 und 
bei dem Klopfen während des Multiplicirens (Beispiel 64), oder es 
wird eine mehr oder minder :große Genauigkeit gefordert, wie in 
Beispiel 65 in Bezug auf das Auffassen aller Einzelschläge des 
Metronoms, oder aber beim Multipliciren, bei dem man bestrebt 
ist, nur richtige Reproductionen und nicht etwa falsche (nicht etwa 
ein Verrechnen, ähnlich dem »Verschreiben«) zu liefern. In allen 
diesen Fällen wird mehr oder minder der Selbstzwang willkürlicher 
Aufmerksamkeit vorhanden sein. 

Soviel über unwillkürliche und willkürliche (passive und active) 
Aufmerksamkeit, soweit eben die Versuche dieser Arbeit dazu 


578 Paul Mentz. 


Anlass geben. Jedenfalls erklären sich so die an und für sich 
zuweilen etwas sonderbaren Erscheinungen der genaueren Messung. 

Während z. B. bei den Beispielen der Abstumpfung (Cap. I) die 
unwillkürliche Aufmerksamkeit mit ihrer Verlängerung in > 
willkürliche übergeht, wie wir so vielfach gesehen haben, um 
eben die Abstumpfung zu compensiren, tritt der umgekehrte Ueber- 
gang in Beispiel 15 auf, in welchem der zeitliche Eintritt der Ab- 
stumpfung untersucht wurde. Denn wie die zweite der dortigen 
Tabellen zeigt, trat gegen Ende der Trommel wegen Ermüdung 
nach dem zweiten »jetzt« Verlängerung statt Verkürzung auf und 
ebenso in der dritten der dortigen "Tabellen, weil der Reagent an- 
gewiesen wurde, dem Reize gegenüber »mehr passiv« zu sein. Hier 
ist also die willkürliche Aufmerksamkeit in die unwillkürliche 
übergegangen. Genau dasselbe zeigte sich in dem folgenden 
Beispiel, ebenfalls wegen Ermüdung: 

Beispiel 72. Dieser Versuch fand ausnahmsweise spät Abends, 
nämlich zwischen 8 und 9 Uhr statt, nachdem der Reagent auch 
schon vorher an anderen Versuchen im Institut Theil genommen 
hatte. Infolge dessen und anstrengender Tagesarbeit war der Rea- 
gent ziemlich ermüdet, wünschte jedoch, als Verf. dies bemerkte, 
ein unentwegtes Weiterführen des Versuchs. Anweisung war, »gut 
auf die Reihen Metronomschläge aufzumerken«. Ergebniss: | 


Reagent: H. Gale. Geschwindigkeit: II. 


| Min. | Max. | Mw. nd|nP| 2. mP mA 
Ten ee! a Wr a 


5,3 6,4 5,8 5  |221/, |129,8 | 5,8 26 
00270 | — 02 —3 
MM. 67 | 5,2 62 5,6 5 | 201% 1113,1 | 5,6 23 
a —023| Te 
N 4,8 15,8 5,4 3 Jıı 589154 20 
£ | —02| —02 — 0,4], — 0,4 —i 
'8 114,6 5,6 5,0 41/5 |169%/,| 80,1 | 5,0 19 
| 031 AS — 04 ii 
4,4 5,4 14,7 123/,| 914] 44,214,8 ı7 7 
02 — 02) —01 | — 0,2 z0 
| 12 5,2 14,6 5121 1959/46 17 
84; + 0,2 +0,2| + 0,1 
| 4, ‚A 4,7 213, 1103,24, 
+ 0,2 F 0,2 | + 0,2 
j . \ KR ‚9 > v, r 
| | 
| +03) 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 579 


Es ist hier also zuerst durchweg der Anweisung entsprechend 
Pulsverkürzung vorhanden als Zeichen der willkürlichen Aufmerk- 
samkeit, bei den letzten beiden Geschwindigkeiten jedoch nur 
Anfangs, worauf jedes Mal, sicherlich in Folge der großen Er- 
müdung des Reagenten, Pulsverlängerung eintrat, weil eben die 
willkürliche Aufmerksamkeit versagte, und nur der Eintritt eines 
neuen Reizes wieder die Kraft zu erneutem Aufraffen gab. Auch 
dass beim Beginn des letzten Reizes die Pulsverkürzung so groß 
ist (— 0,4 — 0,4 — 0,2), ist ein Beweis dafür, dass es hier gegen 
Schluss der Trommel sehr viel Anstrengung erforderte, willkürliche 
Aufmerksamkeit anzuwenden. 

In noch einem weiteren Falle trat das Gleiche auf, aber dieses 
Mal aus anderer Ursache: 

Beispiel 73. Reiz: Wieder Reihen von Metronomschlägen 
mit verschiedener Geschwindigkeit. Reagent: Dr. W. Weygandt. 
Es war dies der erste Versuch, den der Reagent in Bezug auf 
Metronomgeschwindigkeiten mitmachte. Es war Anweisung gegeben, 
»dem Reize gegenüber mehr passiv zu sein«, absichtlich ohne jede 
weitere Angabe. Auf die nach Schluss der Versuche übliche Frage 
sagte Reagent aus, er habe eigentlich »nur beim Beginn jedes neuen 
Reizes« aufgepasst. Auch hier fand sich durchweg nur zu Anfang der 
verschiedenen Geschwindigkeiten Pulsverkürzung, nachher jedoch 
jedes Mal die bekannte Verlängerung. Es spricht dies für die oben er- 
örterte Auffassung willkürlicher und unwillkürlicher Aufmerksamkeit. 

Erwähnt seien noch die Versuche Delabarre’s!) über die 
bei Aufmerksamkeit eintretenden Athemänderungen. Nach ihm 
soll bei der Aufmerksamkeit auf »Sinnesreize« der Athem an Häufig- 
keit und Tiefe zunehmen, bei »geistiger« Thätigkeit jedoch an Häufig- 
keit zunehmen und an Tiefe abnehmen. Es stimmt dies zwar viel- 
fach, jedoch keineswegs immer und ist auch ohne exacte Messung 
gar nicht sicher feststellbar. In dieser Beziehung sagt Mosso 
bereits 11 Jahre früher?) viel exacter, dass er bei seinen Versuchen 
über die »Athemänderungen bei geistiger T'hätigkeit« trotz aller 
Bemühungen zu keinem »befriedigenden« Ergebniss gekommen sei. 


1) Revue philosophique. Bd. 33. 1892. S. 639. 
2) Mosso, Kreislauf des Blutes u. s. w. S. 70. 


550 Paul Mentz. 


Es kann dies ja auch gar nicht ohne eingehendste Analyse aller in 
Betracht kommenden Factoren möglich sein. 


XII. Anhören ganzer Compositionen. 


Um eine Art Nachprüfung für alles Bisherige zu erhalten, 
wurden schließlich ganze Compositionen zu Gehör gebracht. 
Sie wurden auf dem Harmonium und zwar, wo nicht etwas anderes 
gesagt ist, stets mit strengster Einhaltung des Taktes vorgespielt. 
Es wurden auch nur solche Stücke gewählt, welche auf dem Har- 
monium zu einiger Wirkung kommen können, oder aber, wie dies 
in einem Falle (Serbischer Volkstanz) geschah, solche, welche durch 
Contrast mit der Eigenart des Harmoniums in ihrer eigenthümlichen 
Wirkung noch gesteigert werden. 


a. Die Wirkung des Anhörens im Ganzen. 


Was die Wirkung des Anhörens im Ganzen betrifit, so 
zeigte sich ein großer Unterschied in der Puls- und Athemwirkung, 
je nachdem, sei es in Folge der äußeren und inneren Umstände, 
oder aber in Folge besonderer Anweisung nur unwillkürliche 
oder willkürliche Aufmerksamkeit in Bezug auf das Zuhören 
vorhanden war. 

Zunächst erhielt der Reagent nur die Anweisung, sich »so zu 
verhalten, als wenn er im Concertsaale wäre«, ohne jeden weiteren 
Zusatz, um ihn nicht von vornherein irgendwie zu beeinflussen. 

Das Ergebniss war, dass bei unwillkürlicher Aufmerksam- 
keit Pulsverlängerung beim Zuhören vorhanden war, jedoch ging 
diese vielfach in Folge der allmählich eintretenden Abstumpfung und 
dadurch nöthig werdenden willkürlichen Aufmerksamkeit in Puls- 
verkürzung über. Fand jedoch, wie die spätere Aussage ergab, 
ein Analysiren statt, zum Zwecke eingehenderen Genusses, so 
war gleich von Anfang an Pulsverkürzung vorhanden. Es ist 
dies um so erklürlicher, als die Reagenten meist musikalisch waren, 
der Musikalische aber vielfach gern die Compositionen in Bezug auf 
die Schönheit und Feinheit des Rhythmus, der Melodie und Harmonie 
mit willkürlicher Aufmerksamkeit verfolgt, genau so wie es der 
Kunstkenner bei einem Gemälde oder anderen Erzeugnisse der bil- 
denden Kunst thut. 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung, 581 


Die Compositionen, bei denen dies eintrat, waren sowohl ernster 
als auch trauriger und heiterer Art, so dass ein Einfluss der Stim- 
mung im Ganzen nicht sehr dabei vorhanden gewesen sein kann: 

Beispiel 74. Reagent: H. Gale, Geschwindigkeit III. Reiz: 
Präsentir- und Parademarsch aus dem Jahre 1806 vor Friedrich 
Wilhelm III. Der Charakter der Composition ist fest und sicher, 
schon nach ihrem Rhythmus. Ergebniss: Beim Eintritt des Reizes 
geht der Puls sofort von den Längen Min. — 4,2, Max. —= 5,4, Mw. 
— 4,6 auf die größeren Werthe: Min. = 4,4, Max. = 5,7, Mw. — 
4,8 über und bleibt auch dabei. Also eine Verlängerung um + 0,2 
1.03 +02. 

Beispiel 75. Reagent: Derselbe. Geschwindigkeit: III. 
Reiz: Trio des »Marche funebre« aus Sonate Op. 35 von Chopin. 
Der Charakter dieses Trios ist sanfte Wehmuth, was möglicher- 
weise auch etwas mitgewirkt haben könnte. Ergebniss: Es tritt 
sofort Pulsverlängerung ein, nämlich von 4,2 5,4 4,6 zu 4,3 5,6 4,5, 
also um + 0,1 + 0,2 + 0,2. 

Beispiel 76. Reagent: Derselbe. .Geschwindigkeit: II b. 
Reiz: »Serbischer Volkstanz«. Charakter desselben: leicht, lustig, 
fast hüpfend, durch Contrast mit der Eigenart des Harmoniums in 
dieser Wirkung geradezu bis ins Komische gesteigert. Ergebniss: 
Es tritt sofort Pulsverlängerung ein, nämlich von 4,2 5,3 4,8 zu 4,6 
5,7 5,2, also um + 0,4 + 0,4 + 0,4. An dieser starken Wirkung 
mag wieder die Lust ihren Antheil haben. Alle diese Stücke haben 
aber eine große Leichtigkeit in der Schreibweise gemeinsam, und 
dies wird die Hauptursache für die Entstehung von nur »unwill- 
kürlicher«e Aufmerksamkeit und der ihr entsprechenden Pulsver- 
längerung gewesen sein. 

Beispiel 77. BReagent: Derselbe.e Geschwindigkeit: III 
Reiz: Der eben erwähnte Serbische Volkstanz, jedoch 8 Wochen 
später. Nach Aussage des Reagenten nach Schluss des Versuches 
hatte er jedoch dieses Mal »stärkere Aufmerksamkeit« angewandt. 
Ergebniss: Es tritt sofort Pulsverkürzung ein, nämlich von 3,6 4,1 
3,8 auf 3,2 3,7 3,4, also um — 0,4 — 0,4 — 0,4. Diese Pulsver- 
kürzung steigert sich sogar noch zu 3,1 3,6 3,3. Als nur 8 Tage 
später dasselbe Stück wiederholt wurde, war, wie bei aller in kür- 
zerer Zeit erfolgenden Wiederholung, die Wirkung geringer. Es 


532 Paul Mentz. 


trat nämlich nur eine Pulsverkürzung ein von: 3,7 4,3 3,8 auf 3,6 
4,2 3,7, und schließlich auf 3,3 4,1 3,6. 

Beispiel 78. Reagent: Derselbe. Geschwindigkeit: III. Reiz: 
»Marcia funebre« /auf den Tod eines Helden) aus Sonate Op. 26 
von Beethoven. Auch hier trat nach Aussage des Reagenten 
stärkere Aufmerksamkeit ein. Ergebniss: Pulsverkürzung von 3,7 
4,4 4,1 auf 3,6 4,3 3,8, also um — 0,1 — 0,1 — 0,3, und später 
auf 3,3 3,9 3,6, ja am Schlusse auf 3,2 3,6 3,4: 


Reagent: H. Gale. Geschwindigkeit: III. 


Reiz | Min. 


Beethoven, 
Mareia 
funebre 4 02) 
3,4 ı123/, 146,6 


3,4 43), | 161/,| 56,4 
| | 


Als auch hier nur $ Tage später dies Stück wiederholt wurde, 
dies Mal im Sinne des von Liszt und Wagner geforderten voll- 
kommensten Ausdruckes!), war ebenfalls die Wirkung in Folge 
des abstumpfenden Einflusses der Wiederholung geringer. Es trat 
nämlich nur eine Pulsverkürzung ein: von 3,9 4,7 4,3 auf 3,6 4,5 
4,2 und später auf 3,4 4,2 3,7, ja wegen der vielfachen Wieder- 
holung innerhalb des Stückes selber trat bei derselben von Takt 
Il an nur noch die geringere Verkürzung 3,6 4,2 3,9 und von Takt 
20 an sogar nur 3,6 4,3 4,0 auf. Der Auftakt ist übrigens bei dieser 
Zählung als Takt 1 mitgerechnet. 

Beispiel 79. Reagent: G. Tawney. Geschwindigkeit: II. 
Reiz: Amerikanisches Nationallied »Yankee-Doodle«e. Ergebniss: 
Pulsverlängerung, nämlich von 4,1 4,6 4,3 auf 4,3 5,6 4,7, also um 
+ 0,2 + 1,0 +0,41. Wegen Abstumpfung der unwillkürlichen und 


I) Pohl, Ges. Schriften, Bd. 2: Liszt. Leipzig 1883. S. 47 ff, 114. Rich. 
Wagner, Ges. Schriften u. Diehtungen. Leipzig 1873. Bd. 8, S. 359. 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 583 


der dadurch nöthig werdenden willkürlichen Aufmerksamkeit später 
Rückgang der Pulsverlängerung und schließlich sogar die Puls- 
verkürzung 4,0 4,5 4,2, also gegenüber dem Anfang um — 0,1 
nor 

Nach Aussage des Reagenten war »später« bei ihm »etwas 
Analyse« in musikalischer Hinsicht aufgetreten. 

Beispiel 80. Reagent: Derselbe. Geschwindigkeit: IIb. Reiz: 
Die ersten 18 Takte aus Liszt’s symphonischer Dichtung »Prome- 
theus« (Klavierauszug). Ergebniss: Pulsverkürzung, nämlich von 
5,6 6,3 5,8 auf 5,3 6,0 5,6, also um — 0,3 — 0,3 — 0,2, und später 
sogar auf 5,1 5,7 5,4, also um weitere — 0,2 — 0,3 — 0,2. Nach 
Aussage des Reagenten war »Analyse« vorhanden, 

Beispiel 81. Reagent: Derselbe. Geschwindigkeit: IIb. Reiz: 
Die ersten 10 Takte des Theiles »Molto espressivo« aus Liszt's 
symphonischer Dichtung »Die Ideale« (Klavierauszug). Ergebniss: 
Pulsverkürzung, nämlich von 4,6 5,4 5,1 auf 4,6 5,2 4,7, dann so- 
gar 4,2 4,7 4,6. Aussage wieder: Analyse. 

Beispiel S2. Reagent: Derselbe. Gesehwindigkeit: III. Reiz: 
Die ersten 13 Takte aus Liszt’s symphonischer Dichtung »Les 
Preludes«e nach Lamartine. Das Ergebniss zeigt die folgende 
Tabelle: 


Reagent: G. Tawney. Geschwindigkeit II. 


I: 
Reiz | Min. | Max. | Mw. nA\nP| _L mP 
| 
3,7 4,8 4,2 22/4 | 161/2| 67,7 
03 +01 1703 
3,5 4,7 4,0 34/, | 241/ | 98,8 
Liszt, | TEEN N 
Les Pre- /| 3,4 4,3 3,6 33/4| 24 | 88,7 
ae 
Iudes | an 13,9 3,3 2. | 12 | 46,8 


Aussage: Analyse: entsprechend zunehmende Pulsverkürzung. 
Aus allen diesen Versuchen geht hervor, dass auch hier bei 


unwillkürlicher Aufmerksamkeit Pulsverlängerung auftritt, na- 
mentlich eben bei leichteren oder bekannteren Stücken und bei 
Wiederholungen, sei es eines ganzen Stückes, was oben nicht weiter 


angegeben ist, oder innerhalb eines und desselben Stückes. Ist 
Wundt, Philos. Studien. XI. 39 


84 Paul Mentz. 


jedoch, um die Einzelheiten musikalisch zu verfolgen, willkürliche 
Aufmerksamkeit vorhanden, so tritt die uns schon bekannte Puls- 
verkürzung ein, so auch z. B. im Verlaufe eines sonst wegen der 
erfolgenden Abstumpfung mit unwillkürlicher Aufmerksamkeit auf- 
gefassten Stückes. 

Man kann sogar dem Reagenten direct die Anweisungen geben, 
in diesem Falle stärker und bis in die Einzelheiten, und in jenem 
nur im Ganzen und soweit das Stück selbst Anlass geben würde, 
aufzumerken, und es zeigen sich dann dieselben Gesetzmäßigkeiten. 

Beispiel $3. Reagent: H. Gale. Geschwindigkeit: IIb. 
Reiz: Mareia funebre (auf den Tod eines Helden) aus Beethoven’s 
Sonate Op. 26. Anweisung an den Reagenten, sich jedes specielleren 
Eingehens auf das Stück zu enthalten, es vielmehr nur als Ganzes 
aufzufassen und zu genießen. Ergebniss: Pulsverlängerung, näm- 
lich von 4,4 5,4 4,5 zu 4,6 5,6 5,0, also um + 0,2 +0,2 + 0,2. 
Nachdem darauf noch einige andere Stücke, ebenfalls bei nur un- 
willkürlicher Aufmerksamkeit und mit derselben Pulswirkung ge- 
geben waren, trat die andere Anweisung ein, die folgenden Stücke 
im Einzelnen zu genießen. Es wurde aber nur noch derselbe Beet- 
hoven’sche Trauermarsch gegeben, da die Trommel sich dem 
Ende näherte. Ergebniss: Pulsverkürzung von 4,2 5,4 4,7 auf 3,7 
5,2 4,5, also um — 0,5 — 0,2 — 0,2. 


b. Die Wirkungen des Anhörens im Einzelnen. 


Um den Verlauf der Pulswirkung auch im Einzelnen verfolgen 
zu können, wurde |schon bei den obigen Stücken) eine Copie der 
betreffenden Composition mit Taktzahlen versehen neben die Trommel 
gelegt und nach ihr und dem Gehörten selber der Verlauf der Com- 
position im Einzelnen durch kurze Zeichen auf der Trommel fest- 
gehalten. Es ergaben sich so folgende Pulswirkungen im Einzelnen: 

Beispiel 54. Reagent: G. Tawney. Geschwindigkeit: II. 
Reiz: Beginn von Liszt's symphonischer Dichtung »Les Preludes« 
nach Lamartine, schon als Beispiel 82 oben angeführt. 

Um die Pulswirkungen hier verstehen zu können, ist es nöthig, 
auf den Aufbau der Composition etwas näher einzugehen, ohne uns 
jedoch an die gebräuchlichen musikalischen Ausdrücke zu binden, 
wenn der Sachverhalt auf andere Weise in klareres Licht gestellt 


0 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Atmung. 585 


werden kann. Bass und Sopran gehen hier fast denselben Gang, 
nämlich: 

Takt 1—2 zweimaliges e ec’ die Grundstimmung angebend; 

Takt 3—6 in Arpeggio auslaufende Melodie, mit reichem Accord 
abschließend (a’ c”’ e”’ a’ c’”); 

Takt 6—9 die gleiche Melodie, nur harmonisch reicher ge- 
staltet und zwei Mal gegeben mit fast dem gleichen Accord 
abschließend; 

Takt 10—11 zweimaliges dd’ die Grundstimmung angebend; 

Takt 12—13 in Arpeggio auslaufende Melodie, ähnlich Takt 
3—6, mit dem Accord b’ d’f”’ d”’ abschließend u. s. w. 

Dementsprechend traten gegenüber der allgemeinen Pulswirkung, 
wie sie in Beisp. 82 besprochen wurde, folgende gleichsam heraus- 
fallende Pulsverlängerungen auf: 

Takt 1 bei dem Klang ce’, als Anfang, in Folge unwillkürlicher 

Aufmerksamkeit. 

Takt 6 bei dem erwähnten abschließenden Accord als Zeichen 
einer Lust an der Vollendung. 

Takt S—9 bei dem erwähnten abschließenden und ihm vorher- 
gehenden, bereits vorbereitenden Accord, wieder als Zeichen 
einer Lust an der Vollendung. 

Takt 10 als Anfang der um eine Stufe höher liegenden Wieder- 
holung. 

Takt 12 als weitere, ebenfalls höher liegende Wiederholung, 
nämlich die Melodie von Takt 3—6 u. s. w. 

Sonst aber zeigte der Puls die bereits als Beisp. S2 gegebene 

Verkürzung der willkürlichen Aufmerksamkeit. 

Beispiel 85. Reagent: Derselbe. Geschwindigkeit: IIb. Reiz: 
Beginn des Theiles »Molto espressivo« aus Liszt's symphonischer 
Dichtung »Die Ideale«, schon als Beispiel S1 besprochen. 

Während der Bass im Klavierauszug ein fortwährendes, die 
Grundstimmung angebendes Arpeggio zeigt, aufgebaut auf dem an- 
genehmen Accorde fac’f’ (vergl. das oben über Verschmelzung 
Gesagte), ist im Sopran, auf dem Accord f’ a’ c” aufgebaut, wieder- 
kehrende Melodie vorhanden, nämlich: 

Takt 1—2 Klang a’ (lange ausgehalten), die Grundstimmung 

angebend; 

39 * 


556 


Paul Mentz. 


Takt 2—3 Melodie a’ c” Y’ a’, auf dem Accord (f') a’ c” aufge- 
baut, mit der Abwechslung gebenden Zwischenote ®; 

Takt 4—5 geringe Abänderung der Melodie, auf dem Accord 
f a’ (c”) aufgebaut, mit der Abwechslung gebenden Zwischen- 
note #; 

Takt 6—7 Melodie a’ c”’ ” a’, genau so wie in Takt 2—3; 

Takt 7 dasselbe, nur etwas abgeändert und weit schneller, 
und dies Mal mit der Zwischennote ®®, und mit e” schließend. 

Takt 7—S dasselbe, nur etwas abgeändert, nämlich dies Mal 
in höherer Lage (von d’ ausgehend, mit der Zwischennote 
eis und mit a” abschließend); 

Takt S—9 stimmungsvoller arpeggioartiger Triolenlauf (von a” 
heruntergehend, und mit f abschließend); 

Takt 9—10 stimmungsvoller, arpeggioartiger Triolenlauf (noch 
einmal Aufschwung gebend von a’ heruntergehend, und mit g 
abschließend) ; 

Takt 10. Abschluss durch zweimaliges ege’g’ und Zuende- 
führen des Laufes im Basse (in Octavengang) und dann ein- 
tretendes Aaa’, um zur Erhöhung der ersten Melodie auf b’ 
überleiten zu können (Takt 11—20) u. s. f. 


Dementsprechend traten bei allen Motivschlüssen beim Pulse 


Verlängerungen auf, wieder als Zeichen der Lust am Abschluss d. h. 


der Vollendung: 


weg 


Takt i bei dem Klang a’, als Anfang, nämlich: 6,2. 

Takt 3 bei dem Abschluss a’, nämlich: 6,1; 7,3. 

Takt 5 bei dem Abschluss a’, nämlich: 6,6; 7,2. 

Takt 6 bei dem Abschluss a’, nämlich: 5,3. 

Takt 7 bei dem Abschluss e”, nämlich: 5,1; 5,1. 

Takt $ bei dem vorübergehenden Abschluss a”, nämlich: 5,6; 
6,7; 5,6. 

Takt 9 bei dem vorübergehenden Abschluss f’, nämlich: 6,2. 
Takt 10 bei dem vorübergehenden Abschluss g, eg e’ g’, näm- 
lich: 6,2; 6,3; 6,4. 


, 
Sonst zeigte der Puls, wie schon früher erwähnt wurde, durch- 
die Verkürzung 4,6 5,2 4,7 und später sogar, entsprechend der 


Zunahme der willkürlichen Aufmerksamkeit, 4,2 4,7 4,6. Auch 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 587 


dem normalen Puls von Beginn des Stückes gegenüber, 4,6 5,4 
5,1, sind diese Pulsänderungen bei den Schlüssen Verlängerungen, 
und dies spricht auch dafür, dass hier deutliche Lust an den Ab- 
schlüssen vorhanden war, zumal da ja auch bei denjenigen später 
besprochenen Stücken, bei denen die Melodie durchaus continuirlich 
war, ebenfalls bei den Abschlüssen solche sicheren Pulsverlängerungen 
auftraten. 

Wenn diese Pulswirkungen im Einzelnen dabei aber nicht 
durchaus gleichmäßig erscheinen, so liegt dies daran, dass sie auf 
verschiedene Stellen der Athemphasen des Pulses aufgesetzt sind 
und dazu noch andere Factoren hinzukommen, nämlich in Takt 7 
statt des bloßen a’ der Accord f’ a’ e”, in Takt 8 der Accord a’ d’’ a”, 
ın Takt 10 der Accord ege’g’, was die Lust am Abschluss noch 
erhöhen und gegenüber der fortschreitenden Pulsverkürzung der 
willkürlichen Aufmerksamkeit doch wieder so große Längen hervor- 
bringen muss, wie es 6,7; 6,2; 6,3; 6,4 sind. Das Schließen mit 
Accorden ist ja überhaupt eins von den Mitteln, einen festeren Ab- 
schluss zu gewähren. 

Beispiel 86. Reagent: Derselbe. Geschwindigkeit: III. Reiz: 
Amerikanische Nationalhymne »Yankee-Doodle«, als Beispiel 79 
schon vorhin angeführt. Der Aufbau ist in der Satzart, die vorlag, 
folgender: Bass und Sopran zeigen meist ein Miteinander, vielfach 
jedoch auch ein Gegeneinander, doch sei hier nur die Grundmelo- 
die berücksichtigt, der Auftakt als Takt 1 mitgerechnet: 

Takt 1—5 Melodie mit dem Klang a’ als Auftakt beginnend, 
auf dem Accord (a’) d’ fis’ (a’) aufgebaut, aufsteigend, mit den Ab- 
wechslung gewährenden accordfremden Zwischennoten ®', ©" und 
mit dem ähnlich wie Arpeggio auseinandergezogenen Accord (a) d 
fis ad” abschließend; 

Takt 5—9 dasselbe, nur etwas abgeändert und dies Mal mit 
dem Accord d fis’ d’ und dad’ fis’ a’ d” fest abschließend; 

Takt 10—13 Melodie, mit dem zum vorigen Accord gehörigen 
Klang d” beginnend, zunächst Zwischenmelodie, dann auf dem 
Accord fis’ a’ d’ aufgebaut, weit höher liegend, theils auf-, theils 
heruntersteigend, mit den Zwischennoten © und ®, €, mit dem 
ähnlich wie Arpeggio auseinandergezogenen Accord d (fis) a d’a” 
abschließend; 


588 Pan! Mentz. 


Takt 14—17 dasselbe, nur etwas abgeändert und dies Mal mit 
dem Accord d fis ad” und d fis a fis’ a’ d’ fest abschließend; 

Takt 18-25 Wiederholung der Melodie Takt 1—5 und dann 
5—9 in ausschmückender Art mittelst Octavenlegatos; 

Takt 26-33 Wiederholung der Melodie Takt 10—13 und dann 
14—17 in ausschmückender Art mittelst Octavenlegatos. 

Dementsprechend traten beim Pulse folgende Pulsverlängerungen 
als Zeichen der Lust an den Abschlüssen, d. h. der Vollendung 
auf: Takt 5 bei (d fis a) d”, 9 bei (d fis’ a’) d”, 13 bei (d fis’ d’) a’, 
17 bei (d fis’ a’) d”, 25 bei (d d” fis” a”) d’’, 33 bei (d d” fis” a”) d’”. 

Ferner trat Pulsverlängerung beim Beginn von Takt 10 beim 
Eintritt der höheren Tonlage ein, welche eine Art Zwischenmodu- 
lation darstellt, wegen Lust an der dadurch hervorgebrachten Ab- 
wechslung. Schließlich trat auch noch Pulsverlängerung ein 
beim Beginn der Takte 18 und 26 beim Beginn der Octavenlegatos 
‘d” d’”’ und d” d’””). Wäre hier die Wiederholung allein die Ursache 
der Pulsänderung, so müsste sie anhaltend sein, so aber ist sie nur 
am Beginn beider Takte vorhanden, als Zeichen der Lust an der Ab- 
wechslung, als eines hinzukommenden Factors. 


Wenn die früheren Beispiele eine mehr unterbrochene Melodie 
darstellten und demnach die Deutung der Pulsverlängerung an den 
Schlüssen wegen der eintretenden Pausen nicht so sicher war, ob- 
gleich oft im Bass dabei keine Unterbrechung stattfand, so ist hier 
vor allem in Takt 5 und 13 keine Unterbrechung oder Pause vor- 
handen und gleichwohl zeigte sich jene Pulsverlängerung als Zeichen 
einer Lust an der Vollendung. Auch haben wir dieselbe ja schon 
in Beisp. 28 und 29 gegen Schluss der dort als Reiz angewandten 
Tonleitern beobachtet. Wenn hier schließlich in Takt 21 und 29 
keine solche Verlängerung auftrat, so liegt dies daran, dass hier in 
der That die Melodie durchaus continuirlich weitergeht. 

Beispiel 57. Reagent: H. Gale, Geschwindigkeit: III. Reiz: 
»Marcia funebre« (auf den Tod eines Helden) aus Sonate Op. 26 
von Beethoven, schon als Beispiel 78 angeführt. Der Aufbau der 
Composition ist folgender: 

Rhythmisch liegt ein langsames, dreimalig wiederholtes 3 J 
zu Grunde, welches mit einer halben Note oder drei Viertelnoten 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 589 


der gleichen Art jedes Mal abschließt und mit seiner festen Be- 
tonung des ersten und dritten Viertels im #4 Takt einen langsamen 
feierlichen Marsch darstellt. 

Harmonisch liegt der nicht immer ganz ausgeführte und da- 
durch Abwechslung bietende Accord As’ As ces esas ces’ es’ zu 
Grunde, welcher auch den Schluss (Takt 31) bildet. 

Melodisch ist, wenn man wieder den Auftakt als Takt I mit- 
rechnet, folgender Aufbau vorhanden: 

Takt 1—3 Melodie es’ “ es’, es’ ® es’, es’ es’, es’, in den 
+4 Takt eingeordnet, mit arpeggioartigem, von Es ausgehendem, in 
Es abschließendem Lauf im Bass zu Weiterem überleitend; 

Takt 3—5 ebenso, nur dies Mal mit den drei Viertelnoten es’ 
es’ es’ (statt mit einer halben und dem Lauf) abschließend; 

Takt 5—7 ebenso, mit arpeggioartigem, von Es ausgehendem, 
in es abschließendem Lauf im Bass zu Weiterem überleitend; 

Takt 7—9 ebenso, nur dies Mal durch das naheliegende des 
des" des’ zu ces’ heruntergehend, wie zunehmende Düsterheit und 
größere Gliederschwere, und mit den naheliegenden drei Viertelnoten 
ces’ ces’ ces’ abschließend; 

Takt 9—11 Melodie fis’ fs fis’, fis &' fis‘, fis’ f' fis’, fis’, also 
höhere Lage, wie eine ferner liegende, etwas frohere Erinnerung, 
etwa an das Leben des Helden, wieder mit arpeggioartigem, von 
Fis ausgehendem, mit fis’ abschließendem Lauf im Bass zu Weiterem 
überleitend; 

Takt 11—13 ebenso, nur mit einiger Veränderung und dies Mal 
mit den drei Viertelnoten fis’ fis’ fis’ abschließend; 

Takt 13—15 ebenso, nur dies Mal durch e’ und fis’ zu dem 
naheliegenden Klang e’g’ übergehend, wieder mit arpeggioartigem 
von E ausgehendem, mit e abschließendem Lauf im Bass zu Weiterem 


überleitend ; 

Takt 15—17 g’® fis’, fis@® e’, a’ ® d’, @ d, also heruntersinkend, 
wie wieder zur Gegenwart zurückkehrend und zu deren Trauer, da- 
durch aber etwas ruhiger, dass hier das feste Dur eintritt; 

Takt 17—19 ces” ©" ces”, b’ # g’, also wieder heruntersinkend, 
dadurch aber, dass während dessen an f’ hier immer festgehalten 
wird und wegen der dadurch entstehenden zunehmenden Accord- 
verengerung wie ein Zusammensinken des Lebensmuthes wirkend; 


90 Paul Mentz, 


Takt 19—20 dasselbe, also Zusammensinken oder Zusammen- 
gepresstwerden der Brust, nur hier an Stärke zunehmend (sforzando 
und fortissimo); 

Takt 20-—21 dasselbe, Zusammensinken oder Zusammengepresst- 
werden der Brust (ganz in fortissimo); 

Takt 21—22 heruntersinkender Lauf, von fes’ zur Grundstim- 
mung als As’ Asas wieder zurückführend, wie als Wiederzurück- 
kehren zur traurigen Gegenwart, welche durch das Fortissimo hier 
wie als unabänderlich vorhanden hingestellt ist; 

Takt 22—23 dasselbe wie Takt 2—3, also wieder der feierliche 
langsame 'Trauermarsch selbst; 

Takt 23—25 dasselbe wie Takt 3—5, Trauermarsch selbst; 

Takt 25—27 dasselbe, wie Takt 5—7, Trauermarsch selbst, 
durch das naheliegende des’ und es’ zu fes’ übergehend, um das 
Folgende vorzubereiten; 

Takt 28 nach nochmaligem fes’, Forteaccord des’ fes’ bb’ des’, 
hochliegend, wie ein plötzliches Hinausschreienwollen des Schmerzes 
und ein Hinaufschreienwollen gen Himmel, vielleicht als Scene am 
Grabe selber zu denken; 

Takt 29 nach demselben nochmals gegebenen Accord die noch 
höhere und schrille Fortissimodissonanz b’ des” es” b’ als der eigent- 
liche, schrille, sich gleichsam über Alles hinwegsetzende Schmerz- 
schrei hinauf in die Luft; 

Takt 29—30 nach derselben nochmals gegebenen Dissonanz Hin- 
aufsteigen zu dem etwas beruhigteren, etwas lichteren ces” es”, wie 
ein geringes Sichfassen ; 

Takt 30—31 darauf von dem nahe gelegenen b’b” durch «« 
und as’ as’, wie ein letztmaliges Schwanken, zu dem abschließenden 
As’ Asas’ as”, dann As’ Asesas und dem gleichsam verklingenden 
As’ As, als wäre nun alles vorüber. 

Zwar trägt auch die harmonische Ausgestaltung manches Weitere 
zu dem zu erweckenden Vorstellungs- und Affeetverlauf bei, doch 
soll hierauf, als für unseren Zweck weniger wesentlich, nicht näher 
eingegangen werden. 

Dem obigen Aufbau entsprechend zeigten sich nun Pulsver- 
längerungen bei allen Abschlüssen, der Lust an der Vollen- 
dung entsprechend, ferner bei plötzlich zunehmender Tonstärke 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 591 


und bei vollkommenen Consonanzen; eine Pulsverkürzung aber bei 
jener schrillen starken Dissonanz, die wie ein Aufschrei des Schmer- 
zes wirkt. Die aus der sonstigen Pulsverkürzung (vergl. Beisp. 78) 
herausfallenden Pulsveränderungen waren nämlich folgende: 

Takt 3 Anfang und Mitte Pulsverlängerung, einmal als Ab- 
schluss, sodann weil wegen des langen Aushaltens als halbe Note 
der Accord als eine etwas stärkere Intensität erscheint, als er in 
Wirklichkeit ist, ja sicherlich auch schon so gespielt wird. Dem 
gegenüber tritt die Unlustseite dieses Accordes (Septimaccord) zu- 
rück. 

Dazu kommt noch, dass während des Aushaltens des Accordes 
im Sopran, im Bass der arpeggioartig ausgezogene Esduraccord er- 
scheint: einmal ist er als Dreiklang lustvoll, gegenüber dem vor- 
hergehenden Septimaccord (Contrast), sodann als Dur lustvoll 
gegenüber dem bisherigen schweren Moll (wenigstens nach unserem 
europäischen Gefühl), sodann auch spielend leicht und darum Er- 
leichterung der Aufmerksamkeit mit Lust bewirkend, gegenüber den 
bisherigen schwerfälligen vier- bis sechsstimmigen Accorden. Auch 
alles dies muss Verlängerung des Pulses bewirken. 

Takt 7 Anfang und Mitte Pulsverlängerung, aus den gleichen 
Gründen, wie eben, nur dass hier der Accord Es moll statt Es dur 
vorhanden ist. 

Takt 9 Ende Pulsverlängerung einmal wegen Lust am Ueber- 
gang zur höheren Terz (Modulation), da ja jedes Aufsteigen der 
Stimme in die Höhe productiv vor allem bei Lust geschieht und . 
daher auch reproductiv für den Organismus lustvoll ist und wie 
eine Erhebung, Befreiung, Freude u. dergl. wirkt, sodann als Wieder- 
holung und zudem noch Abwechslung. 

Takt 11 Anfang und Mitte Pulsverlängerung wegen der ganz 
ähnlichen Verhältnisse, wie Takt 3 und 7. Dazu kommt noch, dass 
hier der Fisduraccord vorhanden und ein forte vorgeschrieben ist. 

Takt 13 Anfang und Mitte Pulsverlängerung einmal wegen 
Lust an der Vollendung, sodann als drei Mal wiederholter Fisdur- 
accord, gegenüber dem Vorigen, auch schon wegen der höheren 
Terzlage, wie eine Erinnerung, vielleicht an den früheren schönen 
Zustand des Lebens des Helden erscheinend, gleichsam als em 
schöner Traum. 


599 Paul Mentz, 


Takt 15 Anfang bis Ende Pulsverlängerung, wegen ganz ähn- 
licher Verhältnisse wie schon in Takt 3, sodann aber auch noch 
wegen des hier eintretenden Dur und des am Schluss auftretenden 
Urescendos. 

Takt 17 Anfang und Mitte Pulsverlängerung, einmal wegen 
Lust an der Vollendung, sodann weil der hier drei Mal wiederholte 
Accord D dd’ wegen seiner Einfachheit und seines Dur-Charakters 
etwas Erleichterung bewirkt. 

Takt 23 Anfang und Mitte Pulsverlängerung, wegen ganz ähn- 
licher Verhältnisse wie schon in Takt 3, sodann wegen der größeren 
Tonstürke f#')), was hier noch begünstigend hinzukommt. 

Takt 27 dagegen zeigt trotz ähnlicher Verhältnisse beim Pulse 
nichts Besonderes, weil hier durch das Hinaufgehen der Melodie 
im Sopran auf fes und des dies Mal auf Des liegenden und arpeggio- 
artigen Bassaccordes kein eigentlicher Abschluss vorhanden ist, viel- 
mehr, wie auch noch ein hinzukommendes Crescendo zeigt, etwas 
Weiteres und Besonderes hier angekündigt wird. 

Takt 28 Anfang Pulsverlängerung wegen des nun eintretenden 
Forteaccordes, der dazu noch höher hinaufgeht, als hier je zuvor 
ein Klang. 

Takt 29 Anfang Pulsverkürzung, einmal wegen der sehr starken 
Dissonanz, sodann weil letztere nach all dem Vorhergehenden repro- 
duetiv wie ein schriller Schmerzaufschrei erscheint, wozu auch 
noch die sehr hohe, gegenüber dem vorigen nur im höchsten Affeet 
zu erreichende Klanglage mitwirkt. Das Fortissimo, hier weit da- 
von entfernt, Verlängerung zu bewirken, trägt im Gegentheil zur 
Verkürzung bei, weil den Aufschrei noch schneidender machend. 

Takt 30 Anfang und Takt 31 Anfang schließlich wieder Puls- 
verlängerungen, einmal weil hier harmonisch eine vollständige Auf- 
hellung eintritt, sodann weil beide Accorde Abschlüsse gewähren 
(As as ces‘ ces und As As as’ ces’ as”), also Lust an der Vollendung 
eintritt, wozu noch das einmalige Fortissimo bei dem ersten der 


beiden Accorde beiträgt. 


Besonders erwähnt sei noch, dass alle diese Pulsveränderungen 


I} Vebrigens ist die dynamische Bezeichnung hier in den verschiedenen 
Ausgaben Beethoven’s etwas verschieden. 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 593 


sowohl auftraten, als diese Composition mit strengem Einhalten des 
Taktes vorgespielt wurde, wie alle vorigen, als auch dann, wenn 
sie acht Tage später nach der Forderung Liszt’s und Wagner’s!) im 
Sinne des »vollkommensten Ausdruckes« gespielt wurde. Ja es waren 
sogar im zweiten Falle die Pulsänderungen durchweg geringer, weil 
ein solches Spielen für unsere Zwecke der Pulsmessung alles zu 
sehr in Stimmung und Affect auflöst und demnach gleichsam das 
Normale innerhalb des Stückes fehlt, von dem aus sich die Puls- 
änderungen erst deutlich abzeichnen. 

Dasselbe ließ sich auch bei dem zweimaligen Spielen des Ser- 
bischen Volkstanzes, schon als Beispiel 77 angeführt, bei den ge- 
nannten zwei Arten des Vortrags erkennen. Es braucht wohl kaum 
erwähnt zu werden, dass auch hier die Pulswirkungen dieselben 
waren, wie in den weiter ausgeführten Beispielen. So war z. B. 
Pulsverlängerung vorhanden bei einer ansprechenden vorschlagähn- 
lichen Wendung, sodann beim Beginn einer Wiederholung inner- 
halb der Composition, sodann beim Beginn einer Modulation in der 
höheren Quinte, sodann beim Schlussaccord und schließlich noch 
bei einem auf den Anfang der Composition wiederum überleitenden, 
Abwechslung und Erholung darbietenden leichten Lauf. 

Was schließlich die Wirkung auf den Athem betrifft, so war 
dieser in allen diesen Fällen, selbst als im Sinne des vollkommen- 
sten Ausdruckes gespielt wurde, erstaunlich regelmäßig durch die 
ganzen Compositionen hindurch, entsprechend dem gleichmäßigen 
Genusse und der gleichmäßigen Aufmerksamkeit der Reagenten. 
Nur bei dem Beethoven ’schen Trauermarsch zeigte sich ganz gegen 
den Schluss hin in beiden Fällen eine deutliche, schräg nach oben 
zu steigende Niveauerhöhung des Athems als einzige Unregelmäßig- 
keit, welche nach so viel Schwerem sicherlich als eine innerliche 
Erleichterung und sehr lebhafte Lust an der schließlichen Vollen- 
dung zu deuten ist. 

Demnach waren folgende Einzelwirkungen auf den Puls 
vorhanden: 

1. Bei bedeutenden Intensitätsänderungen, nämlich bei 
crescendo, sforzando, forte, fortissimo Pulsverlängerung. 


1) a.2a. 0. 


59 Paul Mentz. 


2. Bei ausgesprochener Lust oder Unlust an der Quali- 
tät Pulsverlängerung bei vollkommenen Consonanzen, namentlich 
wenn noch Lust am Abschluss hinzukam, und Pulsverkürzung bei 
starken plötzlichen Dissonanzen. 

\ Beim Uebergang der willkürlichen Aufmerksamkeit 
in unwillkürliche abnehmende Pulsverkürzung oder gar Puls- 
verlängerung, bei leichten Uebergängen, bei Wiederholungen inner- 
halb der Compositionen selbst, z. B. als Modulation in der Quinte, 
wozu dann noch die Lust an der Leichtigkeit kommt, und überhaupt 
bei Wiederholung von ganzen Compositionen in kurzer Zwischenzeit 
x. B. nach einigen Minuten. 

Bei der Auffassung selber zeigte sich ferner die Lust an der 
Abwechslung und, schon früher in zwei Fällen gefunden (Bei- 
spiel 285 und 29), die Lust am Abschluss. Es wirft dies ein 
Licht auf ein noch unklares Gebiet der Aesthetik, für die ja über- 
haupt diese Ausdrucksmethode von Wichtigkeit werden kann. Bis- 
her hat man immer von der Forderung der »Einheit und Mannig- 
faltigkeit« bei Kunstwerken gesprochen, ohne sich klar zu werden, 
wie zusammengesetzt sie eigentlich ist. Zunächst setzt diese Forde- 
rung nümlich voraus, dass überhaupt etwas da sei, was in uns Er- 
lebniss wird oder Thätigkeit ist, und dem entspricht die Lust an 
der Thätigkeit oder dem Erlebniss, die sicherlich zum Theil 
bei der durch einfache Geräusche, Töne und Klänge (Capitel III) 
hervorgebrachten Pulsverlängerung mitwirkt. Es geht namentlich 
aus den Geschmacksversuchen hervor, dass, wenn nur die Intensi- 
tät eine gut gewählte ist, zunächst mit einer Empfindung immer 
Lust verbunden ist, und dies entspricht auch der Grant Allen- 
Lehmann schen Auffassung'!). Auf der anderen Seite entspricht 
ıhr die Unlust bei gezwungener Unthätigkeit oder der durch zu 
lange Dauer hervorgebrachten Eintönigkeit eines Reizes, die oben 
auch als Pulsverkürzung beobachtet wurde. 

Dazu kommt die Lust am Wechseloderan der Abwech selung, 
welche aus dem Vorigen mit Hinzunahme der eben geschilderten 
Uhatsache der Abstu mpfung hervorgeht. Ein Wechsel bringt 


I Grant Allen, Physiological Aestheties. London 1877. $. 21. Lehmann, 
2.0 8150 ff 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 595 


eberi immer ein stärkeres Erleben mit sich und demnach Lust, die 
oben als Pulsverlängerung mehrfach beobachtet wurde. Auf der 
anderen Seite entspricht ihr die Unlust der Uebermüdung oder Zer- 
splitterung durch eine zu große Abwechslung. Natürlich wird dies 
bei den verschiedenen Individuen, verschiedenen Ständen und Cul- 
turstufen verschieden sein. 

Schließlich tritt noch Lust beim Vollenden, dem Abschluss 
oder dem Vollendetsein auf, die ebenfalls aus der ersten Art 
Lust mit Hinzunahme der zweiten hervorgeht. Sie setzt nämlich 
voraus, dass alles Störende bei der Thätigkeit oder dem Erleben 
ferngehalten ist, und ein passender Abschluss stattfindet, der Er- 
holung ermöglicht. Auch hier also spielt die Abstumpfung als 
bedingendes Moment sehr wesentlich mit. Auf der andern Seite 
ist wieder Unlust bei der Nichtvollendung oder der Unfertigkeit 
vorhanden. 

Weil schon nervenphysiologisch begründet, spielen diese Lust- 
und Unlustarten sowohl im Leben wie in der Kunst eine sehr 
große Rolle. Sie bestimmen im Kunstwerk in letzter Linie die An- 
ordnung, wie auch aus den obigen musikalischen Analysen zur Ge- 
nüge hervorgehen dürfte. Aus ihnen allen zusammen geht die Lust 
an der richtigen Einheit und Mannigfaltigkeit hervor, die demnach 
ein Prineip höherer Ordnung ist und also mit Unrecht noch von 
Fechner an den Anfang seiner »Aesthetik von unten« gestellt 
wurde. Wie beim Vorspielen mit »vollkommenstem Ausdrucks, 
so tritt unter Umständen die Wirkung der Stimmungen und Af- 
fecte besonders in den Vordergrund, vor allem bei Hauptstellen 
aus Musikdramen. So fand Warthin!) an Hypnotisirten Puls- 
beschleunigung beim Anhören des Walkürenritts und des Feuer- 
zaubers von Wagner (was excitirende Affecte zur Folge hatte), 
Pulsverlangsamung aber bei langangehaltenen, beängstigend wir- 
kenden Mollaccorden, besonders dem B-Mollaccord und bei der 
Todesverkündigung an Sigmund (Affect großer Bangigkeit mit Vor- 
stellung des nahenden Todes auch bei dem hypnotisirten Reagenten): 
Ergebnisse, die mit den Untersuchungen über die Pulswirkung der 
Affecte (Capitel X) im Einzelnen gut übereinstimmen. 


1) Medical News (amerik. Zeitschr.) 1894. 


596 Paul Mentz. 


XIII. Schlusserörterung. 


Bei einer Erörterung der Ergebnisse dieser Arbeit in physio- 
logischer und psychologischer Hinsicht ist es zunächst nöthig auf 
die Frage näher einzugehen, ob nicht vielleicht alle in den obigen 
Versuchen festgestellten Pulsänderungen nur eine Folge der 
Athmungsänderungen seien; denn dies würde dem ganzen 
Sachverhalt ein anderes Ansehen geben. 

Wenn man nun, ähnlich wie es Dogiel that, dieselben Ver- 
suche noch ein Mal machen würde, indem man dies Mal den Rea- 
genten veranlasste, die Athmung anzuhalten, so würde dies doch, 
falls sich wie bei Dogiel dieselben Erscheinungen, nur etwas 
geschwächt, vorfinden sollten, wenig zur Entscheidung der Frage 
beitragen. Durch das FERTR der Athmung werden ja die Vor- 
gänge im Großhirn und verlängerten Mark nur sehr unwesentlich 
beeinflusst, vielmehr wird dadurch lediglich eine der Wirkungs- 
äußerungen dieser Vorgänge durch willkürliches Anhalten der 
Thorax- und sonstigen Athmungsmuskeln beseitigt, während die 
centralen Wirkungen höchst wahrscheinlich ungestört fortdauern. 

Viel wichtiger ist die Thatsache, dass die Pulswirkungen auch 
dann vorhanden sind, wenn die Athmung keinerlei Veränderung 
in ihrer Form, sondern höchstens in ihrer zeitlichen Vertheilung 
erleidet, und dies wurde in der That bei den obigen Versuchen 
über die Intensitäten (vergleiche Beispiel 20 A und B) und bei 
dem Anhören von Compositionen beobachtet. Gerade beim Anhören 
von Compositionen ist, wie dort besonders hervorgehoben wurde, 
der Athem erstaunlich regelmäßig, und gleichwohl finden sich Puls- 
wirkungen der verschiedensten Art und, wie auch bei den Inten- 
sitätsversuchen, an den verschiedensten Stellen der Athemphasen. 
Einen dergestalt sehr regelmäßigen Athem kann man vielfach auch 
an sich selbst beim Anhören von Musik im Concertsaal beobachten, 
und gleichwohl findet man sich in diesem Falle wieder in der 
mannigfaltigsten Weise ergriffen. Auch die Herzwirkungen bei den 
Affeeten, namentlich das starke Herzklopfen bei Furcht, während 
der Athem durchaus nicht so starke Veränderungen erleidet, sprechen 
für ein bloßes Nebeneinandergehen der Wirkung auf die 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung, 597 


Gefäße und auf die Athmung. Schließlich ist noch in einer 
großen Reihe anderer Fälle, die man fast in jedem der obigen 
Beispiele, oft sogar mehrmals beobachten kann, die gewöhnliche 
Pulswirkung vorhanden, während der Athem ihr nicht entsprechende, 
andere Wege geht. Es sind dies nämlich alle in den obigen 
Tabellen bereits mit einem (*) bezeichneten Fälle. Verfolgt man 
nämlich diese Fälle näher, so findet man, dass diese auffallenden 
Abweichungen daher rühren, dass der Athem in viel selbständigerer 
Weise noch als der Puls ein Zu- und Abnehmen in seiner Dauer 
und Tiefe zeigt. Man verfolge nur die Tabellen jedes Mal durch 
die Columne m A und man wird ein überraschend regelmäßiges 
Zunehmen, Abnehmen und Wiederzunehmen u. s. f. schon allein 
in den Athemlängen finden. So hat man z. B. in Beispiel 25 fol- 
gende Aenderungen: 


13,17, 16 (statt, der Pulsänderung entsprechend, 18)*, 12, 15, 17, 15 (statt 17) *, 
15, 13, 16, 14 (statt 16)*, 11, 12, 


und in Beispiel 36 folgende: 


18, 19, 19, 18 (statt, der Pulsänderung entsprechend, 19) *, 19, 19 (statt 21)*, 
19 (statt 17)*, 20, 18 (statt 20)*, 16, 17, 19, 20, 19 (statt 20)*, 21, 20, 19 (statt 20) *, 
20, 20 (statt 17)*, 24, 20, 23, 21 (statt 25) *, 


und ebenso in allen übrigen Fällen. Es wurde diese Regelmäßig- 
keit auch schon in Beispiel 20 A und B und in Beispiel 34 be- 
sonders hervorgehoben (vergleiche die dortigen Zahlenauszüge). Es 
sind dies, wenn man so sagen darf, die Traube-Hering’schen 
Schwankungen der Athmung, veranlasst jedenfalls durch eine 
Summation rein physiologischer Impulse im verlängerten Mark, 
ohne dass man sonst darüber schon genaueres sagen könnte. 
Während aber der Puls sich in seinen Schwankungen von den 
sonstigen Reizen in erster Linie beeinflussen lässt, wenigstens 
im Ganzen genommen als »Pulslänge«, ja diese Beeinflussung die 
Schwankungen, wie wir bei der willkürlichen Aufmerksamkeit sahen, 
sogar mehr oder minder zu unterdrücken im Stande ist, verhält 
sich die Athmung in dieser Beziehung viel selbständiger, was man 
sich aus der größeren Anzahl ihrer Centren, ihrer zweckmäßigen 
Anpassung an die Bedürfnisse des Organismus oder sonst einer 
Ursache erklären mag. Wenn, wie oben auseinandergesetzt, der 


598 Paul Mentz. 


Puls bei Sinnes- und sonstigen Reizen seine gewohnten Ver- 
änderungen zeigt, während die Athmung theilweise ihre eigenen 
Wege geht, so muss man hieraus als ziemlich sicher folgern, dass 
die Pulsänderungen bei den Sinnes- und den sonst in 
dieser Arbeit angewendeten Reizen den Athemänderungen 
eigentlich nur parallel gehen, aber ihnen nicht ihren 
Ursprung verdanken. Pr 

Auch sonst noch liegen in diesen Versuchen Pulsänderungen 
vor, die nur so kurze Zeit dauern, dass sie nur einen geringen 
Bruchtheil der Athemphase einnehmen und deren Anlässe genau 
so wie beim Anhören der Compositionen sehr verschiedenartige 
sind: so in den Beispielen 3, 15, 25, 28, 29, 32, 35, 44 und 63. 
Auch sie sprechen für die Richtigkeit der obigen Annahme. 

Für die Frage, in welcher Weise die Pulsänderungen 
eigentlich vor sich gehen, liefern nun, außer den Versuchen 
Mosso’s!), noch besonders die folgenden dankenswerthes Material: 

Istomanow und Tarchanoff?) fanden am Menschen, dass 
bei unangenehmen Gerüchen und bitteren und saueren Geschmäcken 
eine Abnahme des Volumens der Extremitäten und eine Erweiterung 
der Hirngefäße eintritt. Bei angenehmen Gerüchen und süßem 
Geschmack jedoch tritt das Entgegengesetzte ein. Es handelt sich 
hier also vor allem um die Lust- und Unlustwirkung von Reizen, 
Wenn nach diesen beiden Forschern aber auch bei optischen und 
akustischen Eindrücken das Erstere eintritt, so müssen wir be- 
zweifeln, ob die psychologische Analyse genügend war, denn selbst 
bei den saueren und bitteren Geschmäcken erfolgt ja keineswegs 
immer dieselbe Wirkung, vielmehr sind sie in geringeren Concen- 
trationen von Lustwirkung begleitet. 

Aus Couty und Charpentier's®) Versuchen am Thier mit 
Eingriffen in den Organismus geht hervor, dass die von ihnen 
beobachteten Blutdruckänderungen bei Einwirkung von Sinnesreizen 
physiologisch vom Großhirn ausgehen. Nach Cauterisation, nach 
Zusammendrücken desselben, nach Unwegsammachen seiner Ge- 
füße durch Lycopodiumembolie, wobei jedoch jedes Mal das ver- 
längerte Mark intact gelassen wurde, blieb nämlich die Wirkung 


1) a. a. OÖ. (Siehe oben 8. 61.) 2) a.a. 0. 3) a... O0. 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung, 599 


auf den Blutdruck aus, während die Faradisation eines peripheren 
Nerven noch die gewöhnliche Wirkung hatte. Ferner sind nach 
diesen Forschern diese Blutdruckänderungen nur vorhanden, wenn 
der Verlauf der Processe des Großhirns überhaupt ungestört ist 
(einschließlich der Bewusstseinsvorgänge), denn nach schwachen 
Chloraldosen blieben diese Blutdruckänderungen aus, während wie- 
e»rum die Faradisation ihre gewöhnliche Wirkung hatte. Es ent- 
spricht dies durchaus der in Beispiel 13 erwähnten Beobachtung, 
nach der bei nebensächlichen Schallreizen die entsprechende Puls- 
wirkung nur dann vorhanden war, wenn der Reiz beim Reagenten 
bis zum Bewusstsein vorgedrungen war. Also auch hier war ein 
regelrechter Ablauf der psychophysischen Processe des Großhirns 
nöthig. 

Es ist hiermit durchaus nicht im Widerspruch, wenn wir aus 
Mosso’s Versuchen fanden, dass die plethysmographische Wirkung 
im Schlafe gleichwohl bei seinen Reagenten eintrat; denn bei nicht 
sehr tiefem Schlafe sind ja vielfach Bewusstseinsvorgänge, wenn 
auch in geringerem Maße vorhanden, zumal wenn man einen 
Fremden in demselben Zimmer weiß. Es braucht dies jedoch nicht 
immer nothwendig der Fall zu sein, wie ja auch die hypnotische 
Anästhesirung und die tiefere Chloroformnarcose zeigen, und dem 
entsprechen denn auch die bereits (S. 88) angeführten Pupillen- 
beobachtungen von Sander, Hirschberg u. A., die hierdurch 
erst erklärt werden. 

Ferner aber fanden Couty und Charpentier, dass die Wir- 
kung auf die Gefäße bei Sinnesreizen die primäre ist und die 
Wirkung auf das Herz erst secundär durch den Vagus erfolgt, 
denn als dieser durchschnitten wurde, fand eben die Herzwirkung 
nicht mehr statt. Es scheint hiernach der psychophysische Process 
im Großhirn das Gefäß- und das Athmungscentrum des verlängerten 
Marks, welche ja nahe bei einander liegen, und zugleich mehr oder 
minder die herzhemmenden oder beschleunigenden Nerven in Mit- 
leidenschaft zu ziehen. Letzteres besonders stark bei den 
Affecten. Ferner aber, und darauf sei besonders aufmerksam ge- 
macht, liegen ja im verlängerten Mark außer mehreren centripetal 
erregbaren Centren auch diejenigen des Lidschlusses, der Schweib- 
absonderung und der Reflexcoordination. Es ist nicht unmöglich, 

Wundt, Philos. Studien. XI. 40 


600 Paul Mentz. 


dass sie bei ihrer nahen räumlichen Beziehung bald in dieser, bald 
in jener Weise zusammen erregt werden. 

So findet nach allem Obigen bei Intensitäten im allgemeinen 
und bei Lust normaler Weise eine Gefäßerweiterung statt. Fere 
fand durch seine dynamometrischen Untersuchungen!) in diesen 
Fällen auch eine Verstärkung der Innervation der Muskeln, Tar- 
chanoff schließlich eine Verstärkung der Schweißsecretion ?), und 
dass nicht nur das Herz indirect beeinflusst wird, sondern auch der 
Vagus wirkt, geht aus den Mittheilungen von Couty und Char- 
pentier®) hervor. Bei der Unlust ist eine Gefäßverengerung, 
eine Herabsetzung der Innervation der Muskeln (Fer£) und jeden- 
falls auch directe Herzwirkung durch den Accelerans vorhanden ; 
über die Schweißsecretion aber ist in diesem Falle bis jetzt nichts 
Näheres bekannt. 

Bei den Affecten wurden die verschiedensten Gefäß- und 
Herzwirkungen beobachtet, man denke nur an die Herzhemmung 
bei Schreck, die Beschleunigung bei Furcht, Freude, Zorn; ebenso 
verschiedenartige Innervationsänderungen, nämlich eine Verstärkung 
der Innervation bei Freude, Zorn, Wuth, eine Schwächung bei 
Trauer, Aufhebung der richtigen Coordination bei Verlegenheit, 
Verwirrung, stark vermehrte Schweißsecretion bei Furcht, Angst, 
sowie unwillkürlicher Lidschluss bei mehr passiven Affecten, wie 
Schreck, Ertapptwerden auf Unwahrheit, Scham. Leider ist das 
Material hier noch sehr unvollständig. 

Bei der willkürlichen Aufmerksamkeit schließlich ist 
Gefäß- und Herzbeschleunigung vorhanden, bei Uebertreibung leicht 
zu sog. Herzklopfen führend, ferner starke Schweißsecretion (Tar- 
chanoff), wie man auch namentlich an Stirn und Scheitel an sich 
selbst nach längerer geistiger Arbeit beobachten kann. 

Auch noch andere Muskeln, wie die der Vesica, werden nach 
Mosso und Pellacani*') bei Affecten und Aufmerksamkeit stark 


1) a... ©. 

2) Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 46. 1889. S. 46, 

3) a.a. 0. 

4) R. Accad. dei Lincei. Bd. 12. 1881. Aufsatz: Sulle funzioni della ve- 
scica. Auszug davon bei Hofmann und Schwalbe, Jahresberichte Bd. 10, 1881. 
8. 93 (Physiolog. Theil). 


Die Wirkung akustischer Sinnesreize auf Puls und Athmung. 601 


in Mitleidenschaft gezogen. Selbst über Bewegungen des Foetus 
liegen bei Fer&!) mehrere Mittheilungen vor, und ist dieselbe bei 
stärkeren Affecten den Aerzten bereits lange bekannt. Schließlich 
sei noch an die Pupillenwirkungen in den verschiedenartigen Fällen 
erinnert, doch gehen diese sehr wahrscheinlich zum Theil erst in- 
direct durch Vermittlung der Gefäßinnervation vor sich. 

Jedenfalls geht aus allem diesem hervor, dass man mit Fere?) 
die Wirkungen von Empfindungen, Lust, Unlust, Affecten, 
willkürlicher Aufmerksamkeit sich im Organismus viel 
weiter verbreitet vorstellen muss, als man bisher geneigt 
war. Leider ist aber das Material in dieser Beziehung noch sehr 
lückenhaft und zum Theil auch wegen des Mangels an psychologi- 
scher Analyse der Beobachtungen unzuverlässig. 

Wenn nun auch bei weiterer Sammlung der hierhergehörigen 
Thatsachen einerseits die Masse des zu Erklärenden für die Phy- 
siologie und Psychologie wächst, so wird doch andererseits durch 
solche Untersuchungen die Aussicht eröffnet, mit der Zeit ein 
eingehenderes und einheitlicheres Verständniss der Vorgänge zu 
gewinnen, als es bis jetzt möglich gewesen ist. Hierzu stehen aber 
im Ganzen noch folgende Wege offen: Im Gebiet der Kreis- 
laufsversuche sind, wie es in vorliegender Arbeit in Bezug 
auf das akustische Gebiet versucht worden ist, auch die 
anderen Sinnesgebiete möglichst gründlich durchzuarbeiten. Da- 
bei wird es sich empfehlen, die von Benedict, v. Kries und 
v. Frey empfohlene multiple Pulsschreibung anzuwenden, d.h. das 
Ansetzen mehrerer Instrumente an passenden Körperstellen, weil nur 
so umfassende Auskunft über den Zustand des ganzen Kreislauf- 
systems gewonnen werden kann. Auch multiple Athemschreibung 
ist wünschenswerth, z. B. außer mit dem Pneumatographen mit dem 
Bert’schen Zirkelstethographen oder Kronecker's und Marck- 
wald’s Zwerchfellhebel, da ja, wie jeder Gesangs- und Decla- 
mationslehrer weiß, beim Athmen, entsprechend der großen Zahl 
der verwerthbaren Muskeln, große individuelle Verschiedenheiten 
vorhanden sind. 


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Unbedingt nöthig bei diesen Versuchen ist es, wie | ai 
stets geschah, ein ganz geräuschlos laufendes Kymograph 
RE. zuwenden. Als Verf. mit einem neuen, nicht ganz geräu 
x "laufenden einige Controllversuche anstellte, fand sich, Pre 

Wirkungen z.B. bei Intensitäten zwar noch regelmäßig vorl 
aber weit geringer als sonst waren, weil das Uhrwerkgeräusch scl 
NE an sich selbst Reiz ist. 


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QP Mentz, Paul 
356 Die Wirkung akustischer 
MA Sinnesreize auf Puls und 


Biological Athmung 


& Medical 


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