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Full text of "Die wissenschaftliche Ausbildung des Apothekerlehrlings und seine Vorbereitung zum Gehülfenexamen : mit Rücksicht auf die neuesten Anforderungen"

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Dr.  Bennett  F.  Davenpcrt 

^SJ  TÄEMONT  8T 
BOSTON,    -    -   MAsS: 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

Open  Knowledge  Commons  and  Harvard  Medical  School 


http://www.archive.org/details/diewissenschaftlOOschl 


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Die  wissenschaftliche  Ausbildung 

des 

Apothekerlehrlings 

und  seine 

Vorbereitung  zum  Oehilfenexamen. 

Mit  Eücksickt  auf  die  neuesten  Anforderungen 

bearbeitet  von 

0.  Schlickum, 

Apotheker. 

Dritte  verbesserte  und  stark  vermehrte  Auflage. 
Erste  Hälfte  (Bog-.  1—22  inel.) 


V 


Leipzig 

Ernst    Grünther's   Verlag 

1884. 


Preis  des  (Ms  Ende  1883)  vollständigen  Werkes:  10  Mark. 


Vor  kurzem  erschien  in  demselben  Verlage: 

Schlickums  Kommentar  zur  Pharm ac.  Germ.  Ed.  IIa-  Mit  vollständiger 

Text-Übersetzung  und  einer  Anleitungzur Massanalyse.  M.10. — ,eleg.Halbfzbd.M.12. — 


Snppleilientlbaild  zu  vorigem  Werk:    Bereitung  und  Prüfung    der    in    der  Pharm. 
Germ.    Bd.    II     nicht     enthaltnen    Arzneimittel.      Bearbeitet    von    0.    Schlickum. 

(In  5  Lieferungen  ä  2  Mark.) 


Apothekerkalender  für  das  deutsche  Reich,  herausgegeben  von  o.  Schlickum. 

III.  Jahrgang.     1884.     In  eleg.  Leinwandband.  M  2. — 

Der  reichhaltige,  gediegene  Inhalt,  sowie  die  elegante  und  praktische  Ausstattung,  in  Verbindung 
mit  dem  massigen  Preise,  wird  unsern  Kalender,  wie  wir  hoffen,  bald  als  ein  notwendiges  Requisit  für 
jeden  Pharmazeuten  erscheinen  lassen. 

Der  neue  Jahrgang  1884  enthält  u.  a. : 

Übersichts-Kalender.  —  Notiz-Kalender.  —  Kassabuch.  —  Die  Münzen  aller  Länder.  —  Übersicht  der 
Briefportosätze.  —  Gebührentarif  für  Telegramme.  —  Sammel-  und  Arbeits -Kalender.  —  Ferner:  I.  Die 
Arzneistoffe  nach  Darstellung  (Ph.  Germ.  Ed.  II)  und  Verordnungs weise.  —  II.  Die  Aufbewahrung  der 
Arzneistoffe.  —  III.  Gifte  und  Gegengifte.  —  IV.  Formeln  und  Molekular -Gewichte  der  pharmazeutisch- 
chem.  Präparate.  —  V.  Die  wichtigsten  chemischen  Elemente  mit  Zeichen  und  Atomgewichten.  — 
VI  Löslichkeitstabelle.  —  VII.  Saturationstabelle.  —  VIII.  Tropfentabelle.  —  IX.  Mass  und  Gewicht.  — 
X.  Abkürzungen  und  Rezeptformeln.  —  XI.  Vergleichung  der  Thermometerskalen.  —  XII.  Tabellen  über 
den  Prozentgehalt  verschiedener  Lösungen  bei  15°  C.  —  XIII.  Die  Verdünnungsgleiebung.  —  XIV.  Tabelle 
über  die  Veränderungen  der  spez.  Gewichte  offizineller  Flüssigkeiten.  —  XV.  Prüfung  der  Arzneistoffe 
nach  der  Ph.  Germ.  Ed.  II.  —  XVI.  Reaktionstabellen  der  chemischen  Präparate.  —  XVII.  Verzeichnis 
der  Apotheker  des  deutschen  Reiches.  —  XVIII.  Namens-Register  der  Apotheker  Deutschlands.  — 

Inserate.  — 

SchreibtafeL    —    Centralstift   (halb    Schiefer   halb   Blei). 


Im  Erscheinen  begriffen  sind: 

Hagers  Untersuchungen.  Ein  Handbuch  der  Untersuchung,  Prüfung  und  Wert- 
bestimmung aller  Handelswaren,  Natur-  und  Kunsterzeugnisse,  Gifte,  Lebensmittel, 
Geheimmittel  etc.  etc.  Mit  zahlr.  Holzschnitten.  Zweite  umgearbeitete,  stark 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage  von  Dr.  H.  Haffer  u.  A.  Gawalovski. 


Vollständig  in  15  Lieferungen  zu  2  Mark. 


Der  Name  der  Verfasser  u.  die  Aufnahme,  welche  die  erste  Autlage  gefunden  hat7 
lassen  wohl  jede  Empfehlung  als  überflüssig  erscheinen.  Durch  Kooptierung  des  Herrn 
A.  Gawalovski  hat  Herr  Dr.  Hager.es  überdies  verstanden,  dem  Werke  einen 
auch  über  die  pharmazeut.  Kreise  hinausgehenden  Wert  für  jeden  Chemiker  und  ge- 
bildeten Laien  zu  sichern  und  es  damit  auf  die  Höhe  der  betr.  Wissenschaft  zu  bringen. 


In  Vorbereitung  befindet  sich: 

Die  neueren  in-  und  aussereuropäischen  Pharmakopoen,  verglichen  mit 

derDeutschenReichs-PharmakopÖe,  herausgegeben  von  Dr.  B.Hirsch. 
^^^^   Zugleich  als  Supplement  zu  Hagers  Manuale.  ^^^ 


Die  wissenschaftliche  Ausbildung 

des 

Apothekerlehrlings 

und  seine 


Vorbereitung  zum  ßehilfenexamen. 


Mit  Rücksicht  auf  die  neuesten  Anforderungen 

bearbeitet  von 

0.  Sclilickinn, 

Apotheker. 

Dritte  umgearbeitete  und  verbesserte  Auflage. 
Mit  560  Holzschnitten. 


Leipzig 

Ernst    Grünther's   Verlag* 

1884. 


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Ein  Wort  zum  Unterrichtsplan. 

(Vorrede  zur  ersten  Auflage,) 

Wenn  ein  neues  Lehrbuch  dem  pharmazeutischen  Publikum 
geboten  wird,  bedarf  es  wohl  keiner  Rechtfertigung,  zunächst  aus 
dem  allgemeinen  Grunde,  weil  eine  Bereicherung  an  Lehrmitteln 
dem  Lernenden  stets  vorteilhaft  ist,  sodann  aus  dem  besonderen 
Bedürfnis,  welches  sich  in  den  letzten  Jahren,  nach  der  be- 
deutenden Verschärfung  der  Anforderungen,  dem  Lehrling  fühlbar 
gemacht.  Es  ist  vor  allem  ein  Lehrbuch  notwendig,  welches, 
unter  Ausscheidung  des  Fernerliegenden,  dem  Eleven  nur  dasjenige 
bietet,  was  er  zunächst  wissen  muss  —  und  dies  in  möglichst 
prägnanter  Kürze, -um  ihn  nicht  durch  Dickleibigkeit  des  Buches 
und  langatmige  Abhandlungen  abzuschrecken.  In  wie  weit  es 
mir  gelungen  sei,  dieser  Aufgabe  gerecht  zu  werden,  wird  die  Be- 
urteilung ergeben;  für  jetzt  will  ich  mich  darauf  beschränken, 
die  näheren  Ziele,  sowie  den  einzuschlagenden  Unterrichtsplan 
nach  meiner  Ansicht  in  Kürze  darzulegen. 

Die  Lehrzeit  des  Pharmazeuten  ist  jetzt  auf  drei,  für  die 
Abiturienten  auf  zwei  Jahre  festgestellt,  —  eine  scheinbar  lange, 
aber  angesichts  der  Fülle  des  zu  bewältigenden  Stoffes  dennoch 
kurze  Frist;  zumal,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  erste  Zeit  dem 
Eleven  verstreicht  über  der  Umschau  in  dem  Arzneischatze  und 
der  Geschäftspraxis,  der  Erlernung  der  Handgriffe  u.  s.  f.  Es  geht 
daraus  klar  hervor,  dass  man  nicht  zeitig  genug  mit  dem  Unter- 
richte in  den  pharmazeutischen  Wissenschaften  beginnen  kann, 
keineswegs  aber  damit  bis  kurz  vor  dem  Gehilfenexamen  warten 
darf,  in  welchem  Falle  nur  elende  Stümperei  erzielt  Avürde. 

Unsere  Fachwissenschaften  zerfallen  in  folgende  fünf:  Physik, 
Chemie,  Botanik,  Pharmakognosie  und  spezielle  Pharmazie  (Rezeptur 
und  Defektur). 

Nach  diesen  Pachtungen  hin  ist  die  Ausbildung  des  angehenden 
Apothekers  zu  verfolgen.  Es  erwächst  uns  nun  die  erste  Frage: 
Welches  Ziel  hat  der  Eleve  bis  zum  Gehilfenexamen  zu 
erreichen,  wenn  letzteres  weder  mit  einer  übermässigen  Nach- 
sicht, noch  mit  einer  inhumanen  Strenge  gehandhabt  werden  soll? 

Die  Aufgabe  der  Lehrzeit  lässt  sich  dahin  präzisieren, 
dass  in  den  verschiedenen  Hilfswissenschaften  die  allgemeine 
Grundlage  gewonnen,  die  Kenntnis  der  wichtigsten  Naturgesetze, 
sowie  eine  Überschau  über  die  Naturreiche  erworben  werden  muss, 
dagegen  in  allen  Fragen  und  Gegenständen,  welche  in  unserem 
Fache  ein  direktes  Interesse  beanspruchen,  speziell  und  eingehend 
zu  verfahren  ist. 

Treten  wir  nun  an  die  einzelnen  Wissenschaften  heran  und 
untersuchen ,    in   wie   weit   sie   Gegenstand   des  Lehr- Unterrichts 


—     IV     — 

und  in  welcher  Weise  der  letztere  am  besten  einzurichten  sei, 
so  möchte  ich  zunächst  darauf  hinweisen,  dass  ich  hierbei  nur 
meine  unmassgeblichen,  aber  in  der  Praxis  bewährten  Anschauungen 
wiederzugeben  in  der  Lage  bin. 

Für  den  ersten  Winter  der  Lehrzeit  eignet  sich  vor  allem 
das  Studium  der  Physik,  die  mehr  oder  weniger  die  Vorschule 
der  Chemie  bildet  und  nur  geringe  Schwierigkeiten  darbietet. 
Sie  kann  deshalb  auch  recht  wohl  in  einem  halben  Jahre  ihrem 
Hauptumrisse  nach  durchgearbeitet  werden,  während  Ode  Chemie, 
zugleich  mit  ihr  beginnend,  sich  durch  die  ganze  Lehrzeit  hinzieht. 
In  jener  Wissenschaft  sei  das  Studium  vorzugsweise  auf  die 
Kenntnis  der  allgemeinen  Naturgesetze,  sodann  auf  die 
gebräuchlichsten  Instrumente,  wie  Barometer,  Luftpumpe, 
Hebel,  Thermometer,  Dampfmaschine,  Lupe  und  Mikroskop, 
galvanische  Batterie  u.  a.  m.,  beschränkt.  Man  erstrebe  eine 
klare  Anschauung,  worauf  die  Naturerscheinungen,  die  uns  täglich 
vor  Augen  treten,  und  worauf  die  Nutzanwendungen,  die  wir  von 
den  Naturkräften  ziehen,  sich  gründen.  Nur  in  wenigen  Partien, 
wesentlich  bei  der  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes,  bei 
der  Wage  u.  dgl.,  ist  ein  spezielleres  Eingehen  geboten,  da  hieraus 
die  praktische  Pharmazie  besonders  Nutzanwendungen  zieht. 

In  vorliegendem  Buche  wurden  die  physikalischen  Artikel 
nach  dieser  Richtung  hin  ausgewählt  und  bearbeitet;  am  Schlüsse 
derselben  nahm  ich  leicht  ausführbare  „Versuche"  auf,  fügte  auch 
„Fragen  und  Aufgaben"  hinzu,  wodurch  ich  das  Interesse  der 
jungen  Fachgenossen  zu  erregen,  sowie  auf  einzelne  Punkte  der 
vorausgeschickten  Abhandlung  näher  einzugehen  beabsichtigte. 

Wenden  wir  uns  von  der  Physik  zur  Chemie,  so  treten 
wir  gewisserm assen  aus  der  Vorhalle  des  Tempels  in  dessen  Inneres 
ein.  Neben  den  allgemeinen  sind  hier  sehr  spezielle  und  ein- 
gehende Kenntnisse  zu  erwerben,  neben  dem  Wissen  praktische 
Fertigkeiten  in  erweitertem  Masse. 

Zunächst  hat  der  Lehrling  die  chemischen  Elemente  mit 
ihren  Verbindungen  —  Säuren,  Basen,  Salzen  —  sich  anzu- 
eignen ,  er  lernt  den  chemischen  Prozess  in  seinen  haupt- 
sächlichsten und  häufigsten  Formen  kennen,  studiert  die  Rolle 
des  Sauerstoffs,  des  Schwefels,  der  Salzbildner  — 
und  dies  alles  an  der  Hand  der  Formeln,  welche  seinem  Wissen 
erst  die  sichere  Grundlage  gewähren.  Ich  wählte  im  vorliegenden 
Buche  die  (neuen)  Molekularformeln,  nicht  in  der  Meinung,  die 
(älteren)  Äquivalentformeln  seien  überlebt  und  nicht  mehr  passend, 
sondern  in  der  Erwägung,  dass  beim  steten  Fortschreiten  der 
Wissenschaft  Stillstand  Rückgang  sei. 

Um  die  Formeln  recht  handhaben  zu  lehren  und  den  Anfänger 
in  das  wichtige  Kapitel  der  Stöchiometrie  praktisch  einzuführen, 


—    Y    — 

wurden  auch    den   chemischen  Artikeln  „Fragen  und  Aufgaben" 
angefügt. 

Neben  der  Bereicherung  seines  Wissens  soll  der  Lehrling 
auch  seine  Fertigkeiten  ausbilden;  daher  hat  das  Studium 
der  ChemieHand  in  Hand  zu  gehen  mit  praktischen 
Übungen.  Am  Schlüsse  jedes  Artikels  folgen  einige  instruktive 
Experimente,  welche  so  gewählt  und  durchgeführt  wurden,  dass 
der  Anfänger  sie  selbst  in  einem  weniger  reichlich  ausgestatteten 
pharmazeutischen  Laboratorium  anzustellen  imstande  ist.  Auch 
aus  dem  Gebiete  der  pharmazeutisch-chemischen  Technik  wurden 
„praktische  Übungen"  ausgesucht,  um  dem  Lehrlinge  die  leider 
gar  häufig  mangelnde  Gelegenheit  zu  geben,  sich  in  chemischen 
Arbeiten  eine  gewisse  Fertigkeit  zu  erwerben.  Ich  halte  es  für 
dringende  Pflicht  des  Apothekers,  seinem  Lehrlinge  die  zu  solchen 
Arbeiten  nötige  Zeit  und  Hilfe  zu  gewähren.  Die  Führung  des 
Elaborationsjournals  lässt  sich  damit  aufs  beste  verbinden 
und  gewährt  eine  schöne  Gelegenheit  zu  selbständiger  Wiedergabe 
des  Ausgefährten,  wodurch  sich  nicht  allein  manche  zu  Tage 
tretende  Lücken  ausfüllen,  sondern  auch  das  Ganze  dem  Gedächt- 
nisse tiefer  einprägen  wird. 

Wie  bereits  oben  bemerkt,  begleitet  das  Studium  der  Chemie 
den  Eleven  vom  Beginn  seiner  Lehrzeit  bis  zu  deren  Ende.  Es 
lässt  sich  füglich  derart  einteilen,  dass  mit  der  Hälfte  der  Lehr- 
zeit die  unorganische  Chemie  zur  Beendigung  gelangt,  das  darauf 
folgende  Jahre  alsdann  der  organischen  Chemie  und  dem  ana- 
lytischen Teile  vorbehalten  bleibt,  welcher  dem  Buche  bei- 
gefügt ist.  In  demselben  wurde  vornehmlich  auf  die  Erkennung 
und  Reinheits-Prüfung  der  Arzneimittel,  sowie  auf  die  vo- 
lumetrische  Analyse  Bezug  genommen,  wie  solche  unsere  deutsche 
Pharmacopöe  vorschreibt.  Dabei  gab  ich  durch  Aufnahme  eines 
gedrängten  „analytischen  Ganges"  dem  strebsamen  Schüler  das 
Mittel,  durch  einfache,  leicht  ausführbare  Reaktionen  die  Chemi- 
kalien erkennen  zu  lernen.  Ein  tieferes  Eingehen  in  die  chemische 
Analyse  kann  einem  späteren  Studium  vorbehalten  bleiben. 

Gehen  wir  über  zur  Besprechung  des  botanischen  Unter- 
richtes, so  leuchtet  ein,  dass  derselbe  vorzugsweise  ein  Sommer- 
studium ist,  da  nur  in  dieser  Jahreszeit  lebende  Pflanzen  als 
Material  dazu  sich  bieten.  Fleissiges  Botanisieren  zum  Zwecke 
der  Herbeischaffang  derselben  ist  notwendige  Bedingung,  aber  es 
müssen  die  eingesammelten  Pflanzen  auch  studiert  und  vollstän- 
dige Exemplare  zu  einem  Herbarium  getrocknet  werden. 

Nächste  Aufgabe  des  jungen  Pharmazeuten  ist,  ein  Gewächs 
terminologisch  bestimmen  zu  lernen:  den  Stengel,  die 
Blätter  und  Blüten  mit  den  richtigen  Ausdrücken  zu  beschreiben. 
Zu  diesem  Behufe  dient  im  ersten  Sommer  das  Studium  der  all- 


—     VI     — 

gemeinen  Pflanzen -Organograp hie  und  Terminologie7 
wie  es  im  ersten  Teile  des  III.  Abschnittes  dieses  Buches  sich 
findet.  Am  Schlüsse  eines  jeden  Kapitels  folgen  „terminologische 
Bestimmungen",  worin  die  notwendigste  Anzahl  terminologischer 
Ausdrücke  ihre  Erklärung  und  Zeichnung  erhalten  hat.  Solche 
Ausdrücke  muss  der  Lehrling  nicht  allein  nach  Form  und  Be- 
schreibung sich  einprägen,  sondern  auch  neben  den  deutschen 
die  lateinischen  termini  memorieren,  da  er  sie  allenthalben  in  der 
Pharmacopöe  antrifft. 

Hat  der  Eleve  einen  Sommer  mit  diesen  botanischen  Yorbe- 
reitungsstudien  verbracht,  so  ist  er  im  darauffolgenden  Sommer 
befähigt,  einen  Schritt  weiter  zu  gehen  zur  botanischen  Syste- 
matik, und  zwar  zunächst  zum  Linneschen  Systeme.  Da- 
bei wird  durch  ein  fortgesetztes  Einsammeln  einheimischer 
Gewächse  und  Durchstreifen  der  Umgegend  eine  Übersicht  über 
die  Gewächse  der  eigenen  Umgebung  gewonnen.  War  der  Lehr- 
ling bisher  darauf  angewiesen,  sich  die  ihm  unbekannten  Gewächse 
von  kundiger  Seite  benennen  zu  lassen,  so  vermag  er  nun  bald, 
sie  an  der  Hand  einer  Lokalflora  selber  zu  bestimmen.  Läuft 
dabei  anfänglich  auch  mancher  Irrtum  mit  unter,  so  reguliert  sich 
derselbe  doch  im  "Weiterschreiten  der  Kenntnisse  bald  von  selbst 

Bei  der  Frage,  welches  System  der  Anfänger  benutzen  soll 
—  ob  das  Linnesche,  ob  das  Jussieusche  oder  de  Candollesche  — , 
fasst  sich  mancherlei  pro  et  contra  sagen;  jedoch  haben  sich 
die  Ansichten  dahin  abgeklärt,  dass  das  Linnesche  System 
unübertrefflich  sich  eignet  zur  Bestimmung  unbekannter  Gewächse, 
das  natürliche  System  dagegen  ausschliesslich  einen  richtigen 
Überblick  über  die  Pflanzenwelt  und  die  stufenweise  Entwick- 
lung derselben  gewährt.  Daraus  geht  hervor,  dass  man  beider 
Systeme  mächtig  sein  muss,  des  Linneschen,  um  es  auf  botanischen 
Exkursionen  zu  benutzen ,  des  natürlichen  für  das  Studium  der 
Familien.  Wegen  des  leichteren  Erlernens  und  des  direkten 
Nutzens  beim  Botanisieren  hat  der  Eleve  zunächst  sich  die  Kennt- 
nis des  Linneschen  Systems  zu  verschaffen.  Erst  wenn  eine 
gewisse  Anzahl  Gewächse  gekannt  ist,  wird  das  Studium  des 
natürlichen  Systems  möglich  sein.*) 

Im  vorliegenden  Buche  folgte  ich  nicht  ausschliesslich  dem 
Jussieuschen,  de  Candolleschen  oder  Endlicherschen  Systeme,  son- 
dern fasste  das  ihnen  Gemeinsame  zusammen  und  beschrieb  die 
grösseren  Familien   eingehend,   die   kleineren   nur  anhangsweise. 


*)  Vgl.  meine  Exkursions  flora  für  Deutschland.  Kurze  Charak- 
teristik der  im  Deutschen  Reiche  wildwachsenden  und  häufiger  kultivierten 
C4efässpflanzen  nebst  Anhang:  Bestimmung  der  Gattungen  nach  leicht  er- 
kennbaren Merkmalen.  1881.  Mit  zahlr.  Holzschn.  In  Taschenform.  M.  5 
in  Lwdbd.  M  6. 


—     VII     — 

Grossen  "Wert  lege  ich  auf  die  beigegebenen  Illustrationen 
sämtlicher  einheimischer  offiz  ine  Her  Gewächse,  sie  ge- 
währen ein  besseres  Bild  des  Gegenstandes  als  die  gelungenste 
Beschreibung. 

Die  Anlegung  eines  Herbars  gehört,  wie  die  Führung 
des  Elaborationsjournals,  zu  den  vom  Lehrling  verlangten  behörd- 
lichen Erfordernissen,  und  beides  mit  grossem  Rechte,  trotz  aller 
Kontroversen.  Wie  das  Journal  den  Eleven  zwingt,  die  Anfertigung 
der  Präparate  nach  eigenem  Konzepte  auszuarbeiten  und  dabei 
der  Einzelheiten  um  so  klarer,  des  Ganzen  um  so  mächtiger  zu 
werden,  so  zwingt  ihn  die  Anlegung  eines  eigenen  Herbars  zum 
Einsammeln,  Bestimmen,  Trocknen  und  Ordnen  von  Gewächsen, 
wobei  sein  Geist  längere  Zeit  bei  dem  Lehrstoffe  verweilt  und  ihn 
besser  erfasst.  Zum  Einlegen  einer  Pflanze  muss  ein  vollständiges 
Exemplar  (d.  i.  mit  Blüten  und  möglichst  auch  mit  Frucht)  ge- 
wählt und  zwischen  Fliesspapier  gepresst  werden,  welches  mehr- 
mals zu  wechseln  ist.  Nachdem  es  getrocknet,  klebt  man  es  mit 
Streifen  von  Gummipapier  in  einen  weissen  Papierbogen  und 
beschreibt  denselben  mit  der  Etikette.  Letztere  enthalte  den  latei- 
nischen wie  deutschen  Namen  der  Pflanze ,  ihren  Standort  und 
ihre  Sammelzeit.  Auf  die  Yorderseite  dieses  Bogens  notiert  man 
in  der  Mitte  nochmals  den  lateinischen  Namen  der  Spezies ,  an 
der  oberen  Ecke  denjenigen  der  Familie.  Schliesslich  werden  die 
zur  nämlichen  Familie  gehörigen  Spezies  in  einen  Bogen  farbigen 
Papiers  geschlagen,  betitelt  und  eine  oder  mehrere  Familien,  je 
nach  ihrer  Grösse,  in  Mappen  gebracht. 

An  die  terminologische  und  organographische  Botanik  schliesst 
sich  die  Pharmakognosie  enge  an,  sie  kann  nur  durch  sie 
richtig  verstanden  werden.  Wenn  ich  für  den  Lehrling  von  einem 
tieferen  Eindringen  in  diese  Wissenschaft  absehe,  wozu  auch  ein 
sehr  eingehendes  Studium  der  Pflanzen  an  atomie  erforderlich  ist, 
so  muss  von  dem  angehenden  Apothekergehilfen  verlangt  werden  : 
1.  dass  er  die  verschiedenen  Droguen  richtig  zu  erkennen  und 
von  einander  zu  unterscheiden  weiss,  2.  dass  er  ihre  Abstammung 
und  Heimat,  3.  die  hauptsächlichsten  Handelssorten  und  häufiger 
vorkommenden  Verwechslungen  kennt  und  4.  ihre  Verwendung 
in  der  Pharmazie  anzugeben  vermag.  Die  Pharmakognosie  kann 
schon  im  zweiten  Lehrjahre  begonnen  und  im  dritten  vollendet 
werden.  Notwendig  ist  für  den  Anfänger,  aus  den  Geschäftsvor- 
räten eine  kleine  Droguen  Sammlung  zusammenzustellen,  um  daran 
die  angegebene  Charakteristik  zur  Anschauung  zu  bringen.  Dem 
Studium  der  Droguen  muss  die  Beschäftigung  mit  der  Pflanzen  - 
anatomie  vorausgehen,  welche  aber  für  die  nächsten  Zwecke 
nur  eine  kurze  zu  sein  braucht.  Zur  besseren  Anschauung  habe 
ich  für  denjenigen,  dem  ein  Mikroskop  zur  Verfügung  steht,  „mikro- 


—     VIII     — 

skopische    Übungen"    beigefügt,    welche    wenig    Schwierigkeiten 
bieten  dürften. 

Der  letzte  Abschnitt  des  Buches  behandelt  die  Rezeptur  und 
Defektur,  welche  nicht  allein  praktisch  gehandhabt  sein  wollen, 
sondern  auch  der  Eegeln  und  Erklärungen  bedürfen.  Es  sollen 
die  angegebenen  Regeln  das  bisher  praktisch  Erlernte  und  Ge-" 
übte  befestigen  und  vervollständigen.  Daher  eignet  sich  dieser 
Abschnitt  für  die  zweite  Hälfte  der  Lehrzeit  und  fasst  zum  Examen 
das  zerstreut  Erlernte  zusammen. 

Eine  Repetition  des  gesamten  Lehrmaterials  vor  dem  Examen 
lässt  sich  sehr  gut  verbinden  mit  einer  Übung  im  Anfertigen  von 
Aufsätzen,  wie  solche  im  Gehilfenexamen  verlangt  werden. 
Als  allgemeine  Disposition  mag  gelten 

a)  für  die  physikalischen  Aufsätze:  1.  Erklärung  des 
obwaltenden  Naturgesetzes,  2.  dessen  Äusserungen,  3.  die  sich 
darauf  gründenden  Instrumente,  4.  ihre  Nutzanwendung. 

b)  Für  die  chemischen  Aufsätze:  1.  Zusammensetzung 
und  Formel,  2.  Vorkommen  resp.  Bereitung,  nebst  Erklärung  des 
chemischen  Prozesses,  3.  physikalische  und  chemische  Eigenschaften, 
4.  häufiger  vorkommende  Verunreinigungen  und  ihr  Nachweis. 

c)  Für  die  botanisch-pharmakognostischen  Auf- 
sätze: 1.  Stammpflanze,  ihre  Familie  und  Heimat,  2.  Charakte- 
ristik, 3.  Unterscheidung  ähnlicher  Droguen  resp.  Gewächse.  4.  An- 
wendung in  der  Pharmazie  und  wirksame  Bestandteile. 

Was  nun  den  Unterricht  selbst  betrifft,  so  ist  Verfasser 
weit  davon  entfernt,  vorliegendes  Buch  für  allein  ausreichend  und 
grössere  Werke  für  unnötig  zu  halten ;  vielmehr  erachtet  derselbe 
den  Nutzen  des  Studiums  ausführlicher  Werke  zur  Unterstützung 
des  Unterichts  für  ungemein  und  rät  den  Lehrherren  dringend  an, 
ihren  Eleven  die  Gelegenheit  zu  bieten,  einzelne  wichtige  Partien 
in  grösseren  Werken  nachzulesen.  Hierzu  liefert  unsere  Fach- 
literatur eine  Reihe  ausgezeichneter  Bücher  und  Atlanten. 

Ausserdem  halte  jeder  Prinzipal  für  seine  Pflicht,  dem  Lehr- 
linge durch  mündliche  Unterweisung  unter  die  Arme  zu  greifen. 
Für  die  Fälle,  dass  dieselbe  unmöglich  ist,  soll  vorliegendes  Buch 
den  Unterricht  nach  Thunlichkeit  ersetzen,  und  hat  Verfasser  sich 
bemüht,  durch  klare  Diktion  und  methodischen  Aufbau  der  Wissen- 
schaften das  Buch  zum  Selbstunterrichte  geeignet  zu  machen. 

So  wandere  denn  das  Werk  zu  den  Fachgenossen,  bittend 
um  günstige  Aufnahme  und  billige  Beurteilung.  Wie  ich  es  mit 
Lust  und  Liebe  ausgearbeitet  habe,  so  möge  es  seinerseits  gleiche 
Lust  und  Liebe  zur  Wissenschaft  in  den  Herzen  derer  erwecken, 
für  die  es  bestimmt  ist. 

Winningen  a,  d.  Mosel.     Weihnachten  1876. 

Der  Verfasser. 


Vorrede 

zur  dritten  Auflage. 

Nachdem  in  wenigen  Jahren  bereits  zwei  Auflagen  vor- 
liegenden Lehrbuches  vergriffen  wurden,  konnte  ich  bei  der  dritten 
Auflage  die  durch  die  zweite  Auflage  der  deutschen 
Pharmakopoe  eingetretenen  Veränderungen  berücksichtigen, 
sodass  das  Werk  wieder  völlig  auf  das  Niveau  der  Gegenwart 
gerückt  ist.  Ausserdem  hat  das  Buch  mancherlei  Bereicherung 
erfahren.  In  der  Physik  sind  einzelne  Partien  eingehender 
behandelt  und  mit  Illustrationen  bereichert  worden.  Der  die 
Chemie  behandelnde  Abschnitt  hat  zum  Eingang  eine  Um- 
arbeitung erfahren,  welche  die  Übersichtlichkeit  erhöhen  möchte. 
Bei  den  einzelnen  Präparaten  wurden  die  Prüfungsmethoden  der 
neuen  deutschen  Pharmakopoe  berücksichtigt,  auch  im  analytischen 
Teile  die  Massanalyse  herangezogen.  In  der  Botanik  erfreut 
sich  der  zweite,  die  Pflanzenanatomie  behandelnde  Abschnitt  einer 
eingehenderen  Darlegung,  während  die  übrigen  Abschnitte,  wie 
auch  der  pharmakognostische  Teil  im  ganzen  wenig  ver- 
ändert wurden;  desgleichen  die  spezielle  Pharmazie.  Die  statt- 
gefundenen Veränderungen  beschränken  sich  hier  auf  die  gesetzlich 
notwendigen. 

So  möge  denn  das  Buch  im  gewohnten  Rahmen  zum  dritten 
Male  vor  die  Fachgenossen  treten  und  zu  den  alten  Freunden 
neue  hinzugewinnen ! 

Winningen,  im  Dezember  1883. 

Der  Verfasser. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

I.  Abteilung:  Physik. 

A.  Die  Kräfte  der  Materie 1 

B.  Erscheinungen  des  Gleichgewichtes  und  der  Bewegung     .  15 

C.  Erscheinungen  der  Wärme 36 

D.  Erscheinungen  der  Schwingung 48 

E.  Elektrische  Erscheinungen 68 

II.  Abteilung:  Chemie. 

Allgemeines 88 

A.  Unorganische  Chemie 116 

a)  Nichtmetalle.     .     .     .- 116 

b)  Mefalle 163 

B.  Organische  Chemie 246 

Erkennung  und  Prüfung  der  chemischen  Präparate: 

A.  Qualitative  Analyse 302 

B.  Massanalyse 340 

III.  Abteilung:  Botanik. 

I.  Organographie  und  Terminologie 349 

IL  Pflanzenanatomie 408 

III.  Botanische  Systematik 433 

Die  offizineilen  Gewächse  nach  dem  natürl.  System      .     .     .  447 

IV.  Abteilung:  Pharmakognosie. 

A.  Die  Droguen  des  Pflanzenreichs 543 

B.  Die  Droguen  des  Tierreichs 630 

V.  Abteilung:  Spezielle  Pharmazie. 

A.  Die  pharmazeutischen  Zubereitungen  (Defektur)   ....  636 

B.  Bereitung  der  Arzneien 651 

Tl.  Abteilung:  Amtliche  Bestimmungen. 

1.  Vorbildung,  Lehrzeit  und  Prüfung  der  Lehrlinge       .     .     .  674 

2.  Über  den  Geschäftsbetrieb  in  der  Apotheke 680 


Verbesserungen. 


Seite 


35 

Zeile 

2 

von 

unten  lies: 

;  7853,15  statt  314. 

35 

1 

unten      „ 

31415  statt  1256. 

94 

)l 

20 

n 

unten      „ 

10,9  statt  10,6. 

132 

9 

oben       „ 

thönemen  statt  eisernen. 

141 

12 

M 

unten      „ 

H,PO,  statt  HPO. 

141 

V 

o 

o 

ji 

unten      „ 

3(KHÖ  -f-  HoO)  statt  3KHO. 
3KH.,P09  statt  3KPO. 

142 

21 

oben       „ 

3HoPO,  statt  3HPO,. 

168 

17 

unten  schalte  nach  den  Worten:  „schwimmt  es" 

ein:  (spez.  C4.  0,86). 

181 

71 

11 

" 

oben    lies 

:  12  statt  6. 
587  statt  590. 

187 

1) 

12 

3) 

oben       „ 

(14  +  3)  statt  (14  +  4), 

208 

M 

2 

M 

oben       „ 

Fe2Cl6  statt  Fe6Clfi. 

212 

n 

2 

J) 

unten     ,, 

1  kq  stat  1  (f. 

212 

1 

unten     ,, 

4415  statt  4261. 

213 

1 

oben       „ 

1  ha  statt  1  g. 

218 

" 

19 

» 

unten     ,, 

2H,'S04  statt  HS04. 
2H.0  statt  HoO. 

221 

M 

20 

;j 

oben       ,, 

3929  statt  390"5. 

222 

„ 

3 

„ 

oben       ,, 

Wismutsalz  statt  Wismutmetall. 

240 

17 

,. 

oben       „ 

166  statt  266. 

240 

)j 

21 

„ 

oben       „ 

271  statt  272. 

251 

23 

oben       „ 

459  statt  429. 

266 

J5 

15 

)j 

unten     ,, 

gefüllten  statt  versetzten. 

281 

?) 

6 

?* 

unten     ,, 

260  statt  248;  150  statt  138; 
577  statt  556. 

281 

)5 

4 

>! 

unten 

260  statt  248;  377  statt  395. 

514 

?J 

17 

j; 

oben       „ 

Baccae  statt  Syrupus. 

541 

Fig. 

461 

ist  umzudrehen. 

558 

Zeile 

11 

von 

i  unten  lies 

:  Cyperaceae  statt  Cyperacea. 

560 

Fig. 

497  a  ist  umzudrehen. 

574 

Zeile 

11 

VC)]] 

unten  lies 

:  Solaneae  für  Solanae. 

576 

?) 

4 

unten     ,, 

439  statt  440. 

577 

5 

unten     ,, 

albus  statt  alba. 

623 

,, 

3 

J 

unten     „ 

Chokolade  statt  Schokolade. 

654 

11 

)) 

oben       „ 

Natrii  statt  Natri. 

655 

9 

oben       „ 

Kalii  statt  Kali. 

656 

}1 

12 

?) 

oben       „ 

Natrii  statt  Natri. 

659 

., 

20 

)? 

oben       „ 

Magnesiae  statt  Magnesia. 

664 

672 

» 

15 

5 

" 

unten  \ 
oben    /  " 

Natrii  statt  Natri. 

ORUCK   VON    EMIL    HERRMANN    SEN.,    LEIPZII 


APR  30  1917 


I.  Abteilung. 

Physik.*) 


Die  Physik  ist  der  Teil  der  Naturlehre,  welcher  über  diejenigen  Vorgänge 
in  der  Körperwelt  handelt,   bei  denen  nicht  zugleich  eine  stoffliche  Ver- 
änderung stattfindet. 


A.   Die   Kräfte  der  Materie. 

1.  Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Körper.  Mass  und  Gewicht. 

§  1.  Welches  sind  die  allgemeinen  Eigenschaften?  In  der  gesam- 
ten Körperwelt  finden  wir  gewisse  Eigenschaften,  welche  ein  jeder 
Körper  besitzt,  die  also  zu  seiner  Wesenheit  gehören.  Sie  heissen : 
Ausdehnung,  Undurchdringlichkeit,  Porosität,  Teil- 
barkeit, Beharrungsvermögen,  Schwere. 

1.  Ein  jeder  Körper  nimmt  einen  bestimmten  Raum  ein,  den 
zur  selben  Zeit  kein  anderer  erfüllen  kann. 

In  diesem  Satze  vereinigen  wir  die  beiden  erstgenannten  all- 
gemeinen Eigenschaften.  Ein  jeder  Körper  nimmt  einen  bestimm- 
ten Raum  ein  —  hierdurch  charkterisiert  er  sich  als  etwas  im 
Räume  Bestehendes,  als  etwas  Materielles;  fehlte  ihm  diese  Eigen- 
schaft, so  gehörte  er  nicht  mehr  in  das  Reich  des  Körperlichen. 
Es  kann  aber  ein  Raum  nicht  von  zwei  verschiedenen  Körpern 
zugleich  erfüllt  sein  (Undurchdringlichkeit).  Wir  sehen 
zwar,  dass  in  einem  Badeschwamme  auch  Luft  enthalten  ist;  aber 
hier  ist  die  Luft  neben  und  zwischen  der  Materie  des  Schwammes, 
nicht  mit  derselben  gleichzeitig  in  denselben  Raumteilen. 

2.  Ein  jeder  Körper    besitzt  Poren,   d.  i.  leere  Zwischenräume. 
Dieselben  sind  nicht  von  der  Materie   des  Körpers ,   sondern 

von  dem  ihn  umgebenden  Medium  (Luft,  Wasser  u.  a.)  erfüllt. 
Biese  Poren  sind  häufig  mit  blossen  Augen  sichtbar,  wie  beim 
Brot,  Badeschwamm;  in  anderen  Eällen  überzeugen  wir  uns  von 
ihrer  Gegenwart   durch   gewisse  Erscheinungen :    so    dringt  z.  B. 

*)  Physik  =  Naturlehre,  von  epuais  (Natur). 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  1 


—     2     - 

eine  Flüssigkeit  beim  Filtrieren  durch  die  Poren  des  Papiers.  Wir 
können  durch  die  unsichtbaren  Poren  des  Leders  Quecksilber 
pressen;  auch  tierische  und  pflanzliche  Membrane  (Häute)  sind 
für  Flüssigkeiten  durchdringlich,  z.  B.  Pergamentpapier,  Schweins- 
blase. (Endosmose.)  Diese  Durchdringbarkeit  gilt  für  Salz- 
lösungen, nicht  aber  für  leimige  und  gummöse  Flüssigkeiten. 
Man  kann  daher  die  krystallisierbaren  Stoffe  durch  Tierblase  oder 
Pergamentpapier  von  den  amorphen  Substanzen  trennen;  jene 
gehen  durch  die  Membran  hindurch,  diese  werden  von  ihr  zurück- 
gehalten.    (Dialyse.) 

Eine  Folge  der  Porosität  ist  die  Z  usammen  drückbar  - 
keit  und  Ausdehnbarkeit  der  Körper,  welche  freilich  sehr 
verschieden  gross  ist  Flüssigkeiten  besitzen  diese  Eigenschaft 
in  höchst  geringem  Grade;  Wasser  lässt  sich  kaum  zusammen- 
pressen Ist  ein  Körper  bestrebt,  nach  erlittener  Ausdehnung  oder 
Zusammendrückung  seine  ursprüngliche  Grösse  wiederzuerlangen, 
so  nennen  wir  ihn  elastisch.  Während  Kautschuk,  Stahl  u.  a. 
diese  Eigenschaft  in  hohem  Grade  besitzen,  die  Gase  sogar  jeder 
Veränderung  des  Raumes  folgen,  finden  wir  auch  die  Elastizität 
bei  den  Flüssigkeiten  nur  sehr  gering. 

3.  Die  Körper  sind  einer  fortgesetzten  Teilung  fähig. 

Durch  mechanische  Hilfsmittel  sind  wir  imstande,  einen 
Körper  stetig  zu  verkleinern.  Die  neuere  Wissenschaft  hat  der 
Teilbarkeit  jedoch  eine  Grenze  gesetzt,  indem  sie  annimmt,  dass 
ein  jeder  Körper  aus  kleinsten  Masseteilchen ,  die  man  Mole- 
küle*) nennt,  und  welche  mechanisch  nicht  mehr  teilbar  seien, 
bestehe.  Wir  sind  freilich  noch  niemals  durch  Teilung  zu  solchen 
Molekülen  gelangt;  durch  ihre  Kleinheit  entziehen  sie  sich  jeder 
menschlichen  Beobachtung  und  Behandlung. 

4.  Ein  Körper  verharrt  in  seinem  Zustande,  sei  es  Ruhe  oder 
Bewegung,  bis  eine  äussere  Kraft  denselben  ändert. 

Dieses  Beharrungsvermögen  erklärt  uns  die  ewige  Be- 
wegung der  Erde  um  sich  selbst,  wie  um  die  Sonne.  Dass  ein 
ruhender  Körper  so  lange  in  Ruhe  bleibt,  bis  eine  Kraft  ihn  in 
Bewegung  versetzt,  ist  uns  nach  allen  irdischen  Yorgängen  klar; 
dass  aber  ein  bewegter  Körper  auf  der  Erde  nicht  immerwährend 
sich  fortbewegen  kann,  vielmehr  über  kurz  oder  lang  von  selbst 
zum  Stillstand  kommt,  liegt  in  der  Eeibung,  die  der  bewegte 
Körper  mit  seiner  Umgebung,  Unterlage  u.  dgl.  ausführt.  Eine 
abgeschossene  Kugel  reibt  sich  mit  der  Luft,  ein  rollendes  Rad 
mit  der  Bodenfläche.  Je  glatter  die  Oberflächen,  um  so 
geringer  die  Reibung.  Darauf  beruht  das  Schmieren  der 
Axen,  wobei  aber  zu  beachten  ist,  dass  Schmiermittel,  die  in  den 


*)  molecula,  Masseteilchen. 


_     3     — 

Körper  einziehen,  die  Reibung  nicht  mindern;  daher  schmiert  man 
Holz  mit  Talg  oder  harter  Seife,  nicht  mit  Öl. 

Das  Beharrungsvermögen  verursacht,  dass  ein  an  einem 
Faden  geschwungener  Stein  diesen  Faden  straff  anzieht,  weil  er 
stetig  gezwungen  wird ,  seine  Richtung  zu  ändern  und  sich  im 
Kreise  zu  drehen.  Diesen  Widerstand,  den  das  Beharrungsvermögen 
eines  rotierenden  Körpers  äussert,  um  ihn  in  gerader  Richtung 
fortzubewegen,  nennt  man  Centrifugalkraft.  Man  bedient 
sich  ihrer  in  der  Technik,  um  feuchte  Körper  zu  trocknen,  indem 
man  sie  auf  einer  Kreisplatte,  sog.  Cen tri fugalm aschine, 
rotieren  lässt ;  die  leichter  bewegliche  Flüssigkeit  trennt  sich  dabei, 
zufolge  der  Centrifugalkraft,  von  den  festen  Teilen  und  fliesst  am 
Rande  ab. 

5.  Ein  jeder  Körper  besitzt  Schwere. 

Absolut  gewichtslose  Materie  giebt  es  nicht.  Wir  bezeichnen 
das  Verhältnis  des  Gewichtes  zur  Masse  eines  Körpers  als  seine 
Dichte.  Je  grösser  das  Gewicht  eines  Gegenstandes  bei  gleicher 
räumlichen  Ausdehnung,  je  schwerer  also  der  Körper,  um  so 
grösser  ist  seine  Dichte.  Je  mehr  Raum  ein  Pfund  einnimmt, 
um  so  weniger  dicht  ist  der  betreffende  Körper. 

§  2.  Vom  Mass  der  Körper.  Wir  messen  einen  Körper  nach 
drei  Richtungen  :  nach  seiner  Linear-,  Flächen-  und  Körper- 
ausdehnung, je  nachdem  wir  nur  eine  oder  zwei  oder  alle  drei 
Ausdehnungen  zugleich  zur  Geltung  bringen. 

Bei  der  grossen  Mannigfaltigkeit  der  gebräuchlichen  Masse  hat 
zuerst  die  Wissenschaft,  später  auch  die  deutsche  Gesetzgebung  als 
Einheit  des  Längenmasses  das  französische  Meter*)  angenommen. 

Das  Meter  ist   der  zehnmillionste  Teil  eines  Erdquadranten**). 

Man  teilt  das  Meter  nach  der  Zehnteilung  ein  in  10  Deci- 
meter,  100  Centimeter,  1000  Millimeter. 

Das  Meter  ist  gleich  38  V4  rheinischen  Zollen. 

Als  Flächenraum  bildet  das  Quadratmeter,  als  Körper- 
mass  das  Kubikmeter  die  Einheit.  Für  Flüssigkeiten  bedient 
man  sich  der  Hohl masse,  deren  Einheit  das  Liter***)  darstellt. 

Das  Liter  ist  gleich  einem  Kubikdecimeter.oder  1000  Kubikcentimeter. 

§  3.  Vorn  Gewicht  der  Körper.  Den  Druck,  den  ein  Körper 
auf  seine  Unterlage  ausübt,  nennen  wir  sein  Gewicht  und  zwar 
sein  absolutes  Gewicht,  im  Gegensatz  zum  spezifischen 
Gewichte.  Letztere  Bezeichnung  drückt  die  Dichte  eines  Körpers 
aus,  d.  i.  das  Verhältnis  seiner  Schwere  zu   seiner  Ausdehnung. 

*)  (jti-cppv,  Massstab. 
**)  Erdquadrant  =  der  4.  Teil  e.  Meridians  (Entfern,  des  Pols  vomÄquator). 
***)  Xnrpa  (Pfund),  ein  Mass  der  Griechen. 

1* 


-     4 


Bas  absolute  Gewicht  ist  der  Druck  des  Körpers  auf  seine 
Unterlage;  das  spezifische  Gewicht  zeigt  an,  wieviel  schiverer  oder 
leichter  er  ist,  als  eine  gleich  grosse  Menge  eines  anderen,  zur  Ver- 
gleichung  dienenden  Körpers. 

Bei  festen  und  flüssigen  Körpern  nimmt  man  zur  Bestimmung 
des  spezifischen  Gewichtes  das  Wasser  zum  Vergleich  und  be- 
zeichnet dessen  Dichte  mit  1,00.  Bei  den  Gasen  dient  die  at- 
mosphärische Luft  als  Einheit.  Hiernach  besagt  also  das 
spezifische  Gewicht  des  Quecksilbers  =  13,5,  dass  das  Queck- 
silber 13,5  mal  schwerer  sei  als  eine  gleichgrosse  Wassermenge. 
Als  Einheit  des  absoluten  Gewichtes  hat  man  an  Stelle  des 
früher  gebräuchlichen  Pfundes,  in  Übereinstimmung  mit  dem 
Hohlmass,  das  Gramm  angenommen. 

Bas  Gramm  ist  das  Geioicht  eines  Kubtkcentimeters  Wasser  im 
Zustande  seiner  grössten  Bichte  (bei  -f-  4°). 

Da  nun  1000  ccm  ein  Liter  bilden,  so  geht 
hieraus  hervor,  dass  ein  Liter  Wasser  bei  -j-  4° 
genau  1000  g  d.  i.  ein  Kilogramm  wiegt. 

Ein  Pfund  beträgt  ein  halbes  Kilogramm 
=  500  g. 

Früher  bediente  man  sich  eines  besonderen 
Medizinalgewichtes,  dessen  Pfund  (libra)  in 
12  Unzen  (iincia),  die  Unze  in  8  Drachmen 
(drachma),  die  Drachme  in  3  Skrupel  (scru- 
pidus),  der  Skrupel  in  20  Gran  (granum)  zerfiel. 

1  Skrupel  =    20  Gran. 

1  Drachme  =  3  Skrupel  =    60  Gran. 

1  Unze=8  Drachmen=24  Skrupel  =  480  Gran. 

Das  Gramm  beträgt  etwa  163/4  Gran. 

Nach  der  amtlich  festgestellten  Reduktion  beträgt 

eine  Unze  (3i) 30,00  g 

eine  Drachme  (3i) 3,75  „ 

ein  Skrupel  (91) 1,25  „ 

ein  Gran  (gr.  i) 0,06  „ 


Versuche. 


Fig.  1. 


1.  Endosniose.  (Fig.  1.)  Ein  Medizinglas  mit 
abgesprengtem  Boden  (b)  oder  einen  Lampencylinder 
verschliesse  man  unten  mit  feuchter  Schweinsblase  oder  Pergamentpapier 
und  verbinde  die  obere  Öffnung  mittelst  eines  durchbohrten  Korkes  luft- 
dicht mit  einer  offenen  Glasröhre  (a).  Man  fülle  das  Glas  mit  einer  Kupfer- 
yitriollösung  bis  zum  Halse  an,  hänge  es  in  der  Weise,  wie  die  Figur  zeigt, 
in  ein  grösseres  Gefäss  (Becherglas)  und  fülle  letzteres  mit  Wasser  (bis  n) 
an,  sodass  beide  Flüssigkeitsschichten  gleich  hoch  stehen.  Nach  Verlauf 
eines  Tages  findet  man  die  Kupferlösung  (bis  r)  in  die  Glasröhre  gestiegen, 
andrerseits    auch  das  äussere   Wasser    bläulich  gefärbt.     Es  hat  also   ein 


—     ö    — 

wechselseitiger  Austausch  stattgefunden,   aber  mehr  in  der  Richtung  nach 
der  dichteren  Kupfervitriollösung  zu,  weshalb  diese  an  Menge  zunahm. 

2.  Dialyse.  Man  überbinde  die  eine  Öffnung  eines  Lampencylinders 
mit  feuchter  Schweinsblase  oder  Pergamentpapier,  fülle  ihn  dann  mit  einer 
ZuckerlösuDg  teilweise  an,  gebe  Gummischleim  hinzu  und  hänge  ihn  so  in 
ein  Gefäss  mit  reinem  Wasser,  dass  beide  Flüssigkeiten  gleichhoch  stehen. 
Allmählich  geht  der  Zucker  in  das  äussere  Wasser  über  und  erteilt  demselben 
einen  süssen  Geschmack,  während  die  Flüssigkeit  im  Cylinder  ihre  Süssig- 
keit  verliert,  aber  schleimig  bleibt. 

Fragen. 

1.  Wieviel  wiegt  ein  Liter  Quecksilber,  welches  13,5  mal  schwerer  als 
das  Wasser  ist?  —  Antw.  13,5  kg. 

2.  Woher  kommt  es,  dass  ein  umgekehrt  in  Wasser  eingetauchtes  leeres 
Medizinglas  sich  nicht  mit  Wasser  anfüllt?  —  Antw.  Weil  die  im  Glase 
eingeschlossene  Luft  es  verhindert;  erst  beim  Neigen  desselben  entweicht 
die  Luft  in  Blasen  und  macht  dem  Wasser  Platz. 

3.  Weshalb  wird  eine  Ast  am  Stiele  befestigt,  wenn  man  denselben 
aufschlägt?  —  Antw.  Beim  Aufschlagen  stösst  der  plötzlich  in  Ruhe  ge- 
brachte Stiel  sich  in  die  Axt  ein,  welche  sich  noch  in  Bewegung  befindet. 

4.  Woher  kommt  es,  dass  beim  Anlanden  eines  Kahnes  die  Insassen 
einen  Ruck  nach  vorn  erhalten?  —  Antw.  Die  Insassen,  welche  die  Be- 
wegung des  Kahnes  teilen,  befinden  sich  noch  in  Bewegung,  während  der 
Kahn  zur  Ruhe  gelangt. 


2,  Die  Anziehungskräfte, 
Kohäsion,  Adhäsion,  Schwerkraft. 

§  4.  Was  nennt  man  Kohäsion?  Die  Ursache  des  Zusammen- 
haltens  der  einzelnen  Teilchen  eines  Körpers  führt  man  auf  eine 
Kraft  zurück,  die  Kohäsion,  welche  zwischen  den  Molekülen 
anziehend  wirkt.  Ihr  steht  eine  andere  Kraft  entgegen,  welche 
die  Moleküle  von  einander  zu  entfernen  strebt  und  Repulsiv- 
kraft  genannt  wird. 

Kohäsion  und  Repulsivkraft  heissen ,  da  sie  zwischen  den 
Molekülen  eines  und  desselben  Körpers  wirken,  Molekular- 
kräfte. Je  nach  der  Stärke  der  beiden  besitzt  ein  Körper  die 
feste,  flüssige  oder  Gas-Form.  Man  nennt  diese  drei  Formen  die 
Aggregatzustände  und  definiert  sie  folgenderweise: 

1.  Ein  fester  Körper  besitzt  ein  bestimmtes  Volumen  und  eine 
bestimmte   Form,  die  er  nicht  freiwillig  verändert. 

Wir  vermögen  die  Teilchen  eines  festen  Körpers  nur  durch 
äussere  Gewalt  von  einander  zu  trennen;  die  Kohäsion  herrscht 
in  ihnen  vor  und  verhindert  möglichst  jeden  Zerfall  der  Moleküle, 
auch  jede  Verschiebung  und  Änderung  der  Form. 

Wir  nennen  einen  Körper,  je  nachdem  er  äusserem  Drucke 
nachgiebt,  weich  oder  hart.  Lässt  er  sich  leicht  ausdehnen, 
ohne  dabei  zu  zerreissen,  so  ist  er  dehnbar,  wie  z.  B.  die 
Metalle;  den  Gegensatz  dazu  bildet  ein  spröder  Körper,  wie 
das  Glas,  welcher  bei  äusserer  Gewalt  leicht  zerbricht.    Elastisch 


>_     6     — 

nennen  wir  solche  Körper,  welche  ihre  frühere  Form  wieder  an- 
nehmen ,  sobald  diese  durch  äussere  Kraft  verändert  worden  ist. 
Die  Festigkeit  eines  Körpers  beurteilen  wir  nach  dem  Wider- 
stände, den  er  leistet  a)  beim  Zerreissen  (absolute  Festigkeit), 
b)  beim  Zerbrechen  (relative  Festigkeit),  c)  beim  Zerdrücken, 
(rückwirkende  Festigkeit),  d)  beim  Zerdrehen  (Torsions-Festigkeit). 

2.  Ein  tropfbar  flüssiger  Körper  besitzt  ein  bestimmtes 
Volumen,  aber  unbestimmte  Form,  die  er  dem  Gefässe  anpasst. 

Die  Teilchen  einer  tropfbaren  Flüssigkeit  lassen  sich  mit 
Leichtigkeit  verschieben,  sodass  dieselbe  stets  die  Form  des 
Gefässes  annimmt,  worin  sie  sich  befindet.  Kohäsion  und  Re- 
pulsivkraft  halten  sich  hier  das  Gleichgewicht;  letztere  macht  die 
Teilchen  leicht  trennbar,  erstere  verhütet  ihren  Zerfall.  An  der 
Tropfenbildung  lässt  sich  erkennen,  dass  die  Flüssigkeiten 
noch  Kohäsion  besitzen. 

3.  Ein  gasförmiger  Körper  besitzt  unbestimmte  Form  und 
Volumen,  den  ihm  gestatteten  Baum  völlig  ausfüllend. 

Die  Teilchen  der  Gase  lassen  sich  nicht  allein  mit  grösster 
Leichtigkeit  verschieben,  sondern  fliehen  einander  geradezu.  Die 
Repulsivkraft  ist  bei  den  Gasen  übermächtig  und  lässt  dieselben 
jeden  Raum,  in  dem  sie  sich  befinden,  ausfüllen.  Nur  äusserer 
Druck  hält  die  Gase  zusammen  und  giebt  ihnen  Form.  Man  hat 
sie  deshalb  auch  elastische  Flüssigkeiten  genannt,  weil 
sie  in  hohem  Grade  elastisch  und  jederzeit  bemüht  sind,  ihr  Vo- 
lumen zu  vergrössern.  Dieses  Bestreben,  Tension  (Spannung) 
genannt,  wird  in  demselben  Masse  grösser,  in  welchem  man  das 
Volumen  vermindert  (Mariottesches  Gesetz).  Drückt  man 
ein  Gas  auf  ein  halbes  Volumen  zusammen,  so  verstärkt  sich  die 
Tension  d.  i.  der  Druck  auf  die  Gefässwandung  aufs  Doppelte; 
bei  einer  Zusammenpressung  auf  den  vierten  Teil  des  Volumens 
erhöht  sich  die  Tension  auf  das  Vierfache  u.  s.  f. 

Gase,  welche  durch  starken  Druck  resp.  Volumverminderung, 
oder  durch  starke  Abkühlung  tropfbarflüssig  werden,  nennt  man 
coercibile*)  Gase;  die  übrigen,  bei  denen  dies  noch  nicht  ge- 
lungen ist,  permanente  Gase.  Zu  den  coercibilen  gehört  z.  B. 
die  Kohlensäure ,  das  Chlor ;  zu  den  permanenten  zählte  man 
bisher  die  atmosphärische  Luft,  Sauerstoff,  Stickstoff,  Wasserstoff. 
Seitdem  es  jedoch  neuerdings  gelungen  ist,  Sauerstoff-,  Wasserstoff- 
und  Stickstoffgas  durch  gleichzeitige  Anwendung  von  Druck  und 
Kälte  zu  verflüssigen,  lässt  sich  die  Ansicht  nicht  mehr  abweisen, 
dass  es  wirklich  permanente  Gase  gar  nicht  gebe. 

Solche  Gase,  welche  erst  durch  Erhitzung  aus  Flüssigkeiten 
der  festen  Körpern  entstehen  und  durch  Abkühlung  zur  gewöhn- 


*)  Bezwingbar,  von  coerceo  bezwingen. 


_      7     — 

liehen  Temperatur  wieder  fest  oder  flüssig  werden ,  nennt  man 
Dämpfe.  Sie  gehorchen  nicht  dem  Mariotte sehen  Gesetz; 
drückt  man  sie  zusammen ,  so  verdichtet  sich  ein  Teil ,  während 
der  gasförmig  bleibende  Rest  die  frühere  Spannung  bewahrt. 

§  5.  Was  ist  Adhäsion?  Bei  der  Berührung  zweier  Körper  findet 
Anziehung  statt,  zufolge  deren  sie  aneinander  haften  bleiben. 
Diese  Äusserung  der  Anziehungskraft  nennt  man  Adhäsion.  Sie 
ist  um  so  stärker,  je  glatter  die  sich  berührenden  Flächen  sind, 
je  mehr  Berührungspunkte  sie  sich  also  bieten.  Zwei  polierte 
Glasscheiben  (Spiegelscheiben) ,  frische  Schnittflächen  von  Kaut- 
schuk ,  haften  so  stark  an  einander,  dass  sie  sich  oft  kaum  mehr 
trennen  lassen.  Da  durch  Benetzen,  Ölen  u.  dgl.  die  Berührung 
inniger  wird,  so  vermehrt  sich  dadurch  die  Adhäsion. 

"Wenn  Flüssigkeiten  an  festen  Körpern  adhärieren,  so  tritt  Be- 
il e  t  z  u  n  g  ein ;  wir  bemerken  hierbei  eine  Hebung  des  Flüssig- 
keitsniveaus am  festen  Körper.  Tauchen  wir  einen  Stab  in  Wasser, 
so  zieht  sich  dasselbe  etwas  an  dem  Stabe  in  die  Höhe.  In 
einer  Bohre  bildet  das  Wasser  eine  konkave  Kurve.  Man  versteht 
unter  Kapillarität,  Haarröhrchen -Anziehung,  die  Kraft, 
mit  welcher  sehr  enge  Glasröhrchen  das  Wasser  hoch  in  sich 
emporsteigen  lassen  und  zwar  um  so  höher,  je  enger  sie  sind. 
Diese  Eigenschaft  feiner  Röhrchen  äussert  sich  bei  vielen  be- 
kannten Erscheinungen,  z.  B.  beim  Aufsaugen  von  Flüssigkeiten 
durch  einen  Badeschwamm ,  durch  ein  Stückchen  Zucker ,  durch 
Fliesspapier ,  einen  Lampendocht  u.  s.  f. ,  Stoffe ,  deren  Teilchen 
feinste  Porengänge  besitzen,  welche  als  Haarröhrchen  wirken. 

Zwischen  Quecksilber  und  Glas  findet  keine  Benetzung  statt, 
d.  h.  die  Kohäsion  des  Quecksilbers  übertrifft  seine  Adhäsion 
gegen  feste  Körper.  Daher  bildet  dieses  Material  überall,  wo  es 
die  Gefässwand  berührt,  Tropfenform  und  in  einer  Glasröhre  eine 
konvexe  Kurve;  wir  nennen  diese  Erscheinung,  zufolge  deren  das 
Quecksilber  an  der  Gefässwand  niedriger  steht,  seine  Depression; 
wir  sehen  sie  sehr  deutlich  beim  Barometer.  Aus  demselben  Grunde 
steigt  das  Quecksilber  auch  nicht  in  die  Haarröhrchen  empor, 
steht  sogar  darin  tiefer,  wie  ausserhalb. 

Zwischen  zwei  Flüssigkeiten  bewirkt  die  Adhäsion  allmähliche 
Mischung,  wenn  sie  auch  vorsichtig  übereinander  geschichtet  werden. 
Dasselbe  beobachten  wir  bei  Gasen  (Diffusion  der  Gase), 
welche  sich  in  kurzer  Zeit  gleichmässig  durchdringen  und  mischen. 
Nicht  alle  Flüssigkeiten  adhärieren  an  einander ;  so  ist  die  Adhäsion 
zwischen  fettem  Öle  und  Wasser  sehr  gering ,  erhöht  sich  aber 
durch  Zusatz  eines  schleimigen  Stoffes.  Wird  Öl  mit  einer  Lö- 
sung arabischen  Gummis  zusammengeschüttelt  oder  anhaltend 
gerührt,   so   zerteilt   es   sich   in  sehr  feine  Tröpfchen,   welche  sich 


—    8    — 

in  der  wässerigen  Flüssigkeit  gleichmässig  verteilen  und  eine 
milchähnliche  Mischung,  Emulsion,  geben.  Die  Milch  ist  eine 
derartige  Emulsion  des  Butterfettes. 

Auf  der  Adhäsion  beruht  auch  die  Auflösung  fester  Stoffe 
in  Flüssigkeiten,  sowie  die  Absorption  der  Gase  durch  Flüssig- 
keiten und  poröse  Körper.  Holzkohle,  Platinschwamm  u.  a.  ver- 
dichten viele  Gase  an  ihrer  Oberfläche  zum  vielfachen  (oft  hunder- 
fachen)  Volumen.  Die  Auflöslichkeit  der  Gase  in  Flüssigkeiten 
wird  durch  erhöhten  Druck  verstärkt,  durch  Erhitzen  aber  ver- 
mindert. Wasser  verschluckt  bei  gewöhnlicher  Temperatur  etwa 
sein  gleiches  Yolum  Kohlensäure,  bei  doppeltem  Atmosphärendruck 
sein  doppeltes ,  bei  fünffachem  Drucke  sein  fünffaches  Yolum ;  in 
der  Siedhitze  verliert  es  aber  alles  gelöste  Gas.  Den  Luftgehalt 
des  Wassers  erkennt  man  an  den  Gasbläschen,  welche  beim  Ver- 
mischen desselben  mit  Weingeist  entweichen. 

§  6.  Wie  äussert  sich  die  Schwerkraft?  Der  Erdkörper  übt  auf 
alle  in  seinem  Bereiche  befindlichen  Gegenstände  Anziehung  aus, 
zufolge  deren  sie  auf  ihre  Unterlage  drücken  und,  im  Falle  ihnen 
diese  Unterlage  entzogen  wird ,  fallen.  Der  Angriffspunkt  der 
Schwerkraft  wird  der  Schwerpunkt  des  Körpers  genannt. 

Der  SchiverpunM  eines  Körpers  ist  derjenige  Punkt,  bei  dessen 
Unterstützung  er  vor  dem  Fallen  bcioahrt  wird. 

Wir  finden  den  Schwerpunkt  eines  Körpers,  wenn  wir  ihn 
nacheinander  an  zwei  verschiedenen  Punkten  seiner  Masse  auf- 
hängen und  jedesmal  die  Vertikallinie  ziehen;  wo  beide  Linien 
sich  schneiden,  liegt  der  Schwerpunkt.  Regelmässige  Körper  von 
gleichmässiger  Beschaffenheit  (Kugel,  Scheibe  etc.)  haben  ihren 
Schwerpunkt  im  mathematischen  Mittelpunkte. 

Je  nachdem  wir  den  Schwerpunkt  eines  Körpers  unterstützen, 
befindet  sich  derselbe  im  stabilen,  labilen  oder  indiffe- 
renten Gleichgewichte.  Hängen  wir  einen  Körper  auf,  so 
liegt  der  Schwerpunkt  unterhalb  des  Unterstützungspunktes  und 
nimmt,  aus  seiner  Lage  gebracht,  nach  einigen  Pendelschwingungen 
leicht  wieder  seine  frühere  Stellung  ein  —  das  Gleichgewicht  ist 
stabil.  Stellen  wir  aber  den  Körper  auf  eine  Unterlage,  so 
liegt  sein  Schwerpunkt  über  dem  Unterstützungspunkt  und  er 
kann  durch  geeignetes  Neigen  dauernd  aus  seiner  Lage  gebracht 
werden  (umfallen) ;  ein  solches  Gleichgewicht  wird  daher  labil 
genannt.  Je  breiter  die  Grundfläche  des  stehenden  Körpers,  um 
so  geringer  ist  die  Gefahr  des  Umfallens.  Unterstützen  wir  aber 
den  Körper  in  seinem  Schwerpunkt  selbst,  wie  das  Wagenrad  in 
seiner  Axe,  so  befindet  er  sich  im  indifferenten  Gleichgewichte, 
da  dasselbe  niemals  gestört  werden  kann. 

Bei  den  tropfbarflüssigen  Körpern  äussert  sich  die  Schwerkraft 


—    9     — 

im  gleichen  Niveau;  wenn  eine  Flüssigkeit  sich  inzweikom- 
muni  zier  enden  Röhren  befindet,  so  ist  auch  hierin  ihr  Niveau 
gleich  hoch,  bei  ungleichartigen  Flüssigkeiten  aber  für  die  schwerere 
Flüssigkeit  um  so  tiefer,  je  schwerer  sie  ist,  wie  die  andere. 
Die  Höhen  der  Flüssigkeitssäulen  verhalten  sich  umgekehrt  wie  ihre 
spezifischen  Gewichte.  Auf  diesem  Gesetze  des  gleichen  Niveaus 
beruht  der  Springbrunnen;  jedoch  erreicht  der  springende  Wasser- 
strahl niemals  die  Höhe  des  anderen  Schenkels,  sowohl  wegen  der  Rei- 
bung mit  der  Gefässwand,  als  auch  wegen  des  Widerstands  der  Luft. 

Versuche. 

1.  Tropfenbildung.  In  einem  Becherglase  schichte  man  gleiche 
Volumen  Weingeist  und  Wasser  mit  der  Vorsicht  über  einander,  dass  sie 
sich  nicht  sofort  mischen;  darauflasse  man  einige  Tropfen  Olivenöl  langsam 
einfallen.  Das  Ol  wird  in  der  Mitte  der  Flüssigkeit  in  kugeligen  Tropfen 
schwimmen.  —  Spritzt  man  Wasser  auf  eine  mit  Bärlapp  bestreute  Glas- 
scheibe, so  bildet  es  kuglige  Tropfen  auf  derselben. 

2.  Stabiles  Gleichgewicht.  In  einen  Korkstopfen  steche  man  zwei 
Gabeln  unter  schiefen  Winkeln  einander  gegenüber:  alsdann  kann  man 
ziemlich  sicher  den  Kork  auf  einer  Nadelspitze  balancieren  lassen,  da  der 
Schwerpunkt  unterhalb  des  Unterstützungspunktes  fällt. 

3.  Kommunizierende  Röhren.  In  einen  mit  Wasser  gefüllten  Glas- 
cylinder  stelle  man  eine  offene  Glasröhre:  sie  wird  sich  gleichhoch  mit 
Wasser  anfüllen.  Giesst  man  dann  Äther  in  die  innere  Glasröhre,  so  drückt 
derselbe  das  Wasser  so  tief  in  ihr  herab,  dass  die  Höhe  der  ganzen  Äther- 
schicht sich  zur  Differenz  des  Wasserniveaus  in  und  ausser  der  Röhre 
verhält,  wie  11:8,  d.  i.  umgekehrt  wie  das  spezifische  Gewicht  des  Äthers 
(0,72)  zu  dem  des  Wassers  (1,00). 

Fragen. 

1.  Worauf  beruht  das  Leimen  und  Kitten?  —  Antw.  Darauf,  dass 
man  durch  eine  flüssige  Materie  die  Adhäsion  zwischen  zwei  festen  Körpern 
verstärkt,  welche  Materie  durch  nachfolgendes  Erhärten  die  Flächen  dauernd 
verbindet. 

2.  Wie  verhalten  sich  zwei  Flüssigkeiten,  welche  keine  Adhäsion  zu 
einander  besitzen,  z.  B.  Äther  und  Wasser?  —  Antw.  Die  schwerere 
Flüssigkeit  (Wasser)  bildet  eine  Schicht  unter  der  leichteren  (Äther);  nach 
dem  Schütteln  trennen  sie  sich  alsbald  wieder. 

3.  Welches  Niveau  zeigt  das  Wasser,  welches  dagegen  das  Quecksilber 
in  einer  Glasröhre?  —  Antw.  Wasser  zeigt  ein  konkaves  Niveau,  Queck- 
silber ein  konvexes. 

4.  Woher  rührt  das  starke  Aufschäumen,  wenn  man  Zuckerpulver  in 
kohlensäurehaltigem  Wasser  auflöst?  —  Antw.  Von  der  Adhäsion  des  auf- 
gelösten kohlensauren  Gases  an  die  Zuckerpartikel,  bei  deren  Schmelzen 
es  in  Bläschen  entweicht. 

5.  Wo  liegt  der  Schwerpunkt  einer  Kugel,  einer  Walze,  eines  Ringes? 
—  Antw.  Im  Centrum  der  Kugel,  im  Mittelpunkt  des  die  Walze  halbierenden 
Querschnitts,  im  Mittelpunkte  des  Kreises,  dessen  Peripherie  der  betreffende 
Ring  darstellt. 

6.  Wie  hoch  stellen  sich  in  einer  zweischenkligen  Röhre  Wasser 
und  Quecksilber?  —  Antw.  Das  Quecksilber  steht  in  dem  einen  Schenkel 
13  mal  niedriger  als  das  Wasser  in  dem  andern  Schenkel. 


—     10     - 


3.  Krystallbildung  und  Krystallformen. 

§  7.  Was  ist  ein  Krystall?*)  Wenn  ein  Körper  aus  dem  flüssigen 
oder  dampfförmigen  Zustande  in  den  festen  übergeht ,  so  nimmt 
er  entweder  bestimmte  Formen  an,  er  krystallisiert,  oder  er 
scheidet  sich  formlos ,  amorph,  aus.  Ersteres  thun  die  meisten 
Salze,  letzteres  die  leimartigen,  gummösen,  gallertigen  Körper. 

Ein  Krystall  ist  ein  von  ebenen  Flächen  und  geraden  Kanten 
begrenzter  Körper. 

An  jedem  Krystalle  lassen  sich  mehrere  Richtungen  erkennen, 
nach  denen  er  jedesmal  in  zwei  symmetrische  Hälften  zerteilt 
werden  kann;  alsdann  liegt  jeder  Fläche,  Kante  und  Ecke  eine 
entsprechend  gestaltete  Fläche,  Kante  und  Ecke  gegenüber.  Diese 
Richtungen  nennt  man  die  Axen  des  Krystalls.  In  der  Regel 
zeigt  jeder  Krystall  drei  Axen  :  eine  Höhen-,  Längen-  und  Breiten- 
axe.  Stellen  wir  ihn  aufrecht  vor  uns ,  so  verlaufen  die  beiden 
letzteren  Axen  in  einer  Horizontalebene,  auf  der  die  Höhenaxe 
vertikal  steht.  Dieser  horizontale  Schnitt,  in  welchem  die  Längen- 
und  Breitenaxe    verläuft,  heisst    die  Grundfläche    des   Krystalls. 

Die  Flächen,  welche  einen  Krystall  begrenzen,  sind  bald  Drei- 
ecke, bald  Quadrate,  Rhomben ,  Parallelogramme,  auch  wohl  Tra- 
peze, Fünfecke  (Pentagone)  und  Sechsecke  (Hexagone). 

§  8.  Wann  bilden  sich  die  Krystalle?  Es  giebt  zwei  Wege  der 
Krystallbildung : 

1.  durch  Verdampfung  aufgelöster  Körper, 

2.  durch  Erstarrung  flüssiger  oder  dampfförmiger  Körper. 
Während  die  Schneebildung  ein  Beispiel   des   zweiten  Falles 

ist,  begegnen  wir  dem  ersten  Falle  ungemein  häufig,  zumal  bei 
chemischen  Operationen  in  den  Laboratorien. 

Jedes  Lösungsmittel  kann  bei  einer  und  derselben  Tempe- 
ratur nur  eine  gewisse  Menge  des  festen  Körpers  lösen ;  ist  diese 
Grenze  erreicht,  so  nennt  man  die  Lösung  eine  gesättigte.  In 
den  meisten  Fällen  nimmt  ein  Lösungsmittel  in  der  Wärme  mehr 
von  dem  Körper  auf,  als  in  der  Kälte;  in  diesem  Falle  scheidet 
eine  heissgesättigte  Lösung  beim  Abkühlen  einen  Teil  des  Körpers 
in  Krystallen  ab. 

Ein  wesentliches  Moment  zur  Erzielung  grösserer,  schön  aus- 
gebildeter Krystalle  ist  Ruhe;  je  langsamer  die  Lauge  erkaltet, 
je  weniger  sie  dabei  bewegt  wird,  um  so  grösser  und  regelmässiger 
fallen  die  Krystalle  aus.  Bewegt  man  dagegen  die  erkaltende 
Lauge  lebhaft  durch  Quirlen  mit  einem  Stabe ,  so  entsteht  ein 
Hauienwerk  kleinster  Kry ställchen,  sogenanntes  Kry stallmehl. 

*)  xpuaraXXos,  der  Krystall,  d.  i.  das  durchsichtig  Gefrorene. 


—   11   — 

In  der  Zusammensetzung  und  Form  stimmen  beide  völlig  überein, 
das  Krystallmehl  ist  aber  in  der  Regel  reiner,  da  es  weniger  von  dem 
Lösungsmittel  (Mutterlauge)  einschliesst,  als  die  grösseren  Krystalle. 

Körper,  welche  sich  in  der  Wärme  kaum  leichter  lösen,  wie 
in  der  Kälte,  z.  B.  das  Kochsalz,  lassen  sich  nicht  durch  Abkühlen 
krystallisieren,  sondern  nur  durch  Abdampfen  der  Lösung. 

Viele  Krystalle  besitzen  Krystallwasser  d.  i.  Wasser, 
welches  in  die  Krystallgestalt  mit  eingegangen  ist.  Dieses  Krystall- 
wasser entweicht  in  vielen  Fällen  schon  an  trockner  Luft  in  ge- 
wöhnlicher Temperatur,  was  aber  stets  mit  dem  Zerfalle  der  Kry- 
stalle verbunden  ist — die  Krystalle  verwittern.  So  verwittert 
die  Soda,  das  Glaubersalz,  das  Bittersalz,  unter  Verlust  ihres  halben 
Gewichtes  zu  einem  weissen  Pulver.  In  der  Siedhitze  des  Was- 
sers verlieren  die  meisten  Krystalle  ihr  Krystallwasser,  in  einigen 
Fällen  wird  aber  ein  Rest  festgehalten  und  erst  in  schwacher  Glüh- 
hitze fahren  gelassen,  z.  B.  beim  Alaun,  Zink-  und  Eisenvitriol. 

Auch  finden  wir  den  Fall  nicht  selten ,  dass  der  Krystall- 
wassergehalt  verschieden  ist,  je  nach  der  Temperatur,  in  welcher 
die  Krystallisation  stattfindet.  So  krystallisiert  das  Glaubersalz  bei 
-+-  10°  mit  10  Molekülen  Krystallwasser,  bei  +  33°  ohne  Wasser. 

§  9.  Wie  teilt  man  die  Krystalle  ein?  Als  Hauptformen,  welche 
in  allen  Systemen  wiederkehren,  betrachtet  man: 

1.  die  Doppelpyramide  oder  die  Oktaederform,  aus 
zwei  mit  ihren  Grundflächen  auf  einander  gestellten  Pyramiden 
gebildet  und  durch  Dreiecksflächen  begrenzt; 

2.  die  Säulenforrn  oder  das  Prisma,  aus  Parallelogramm- 
flachen  zusammengesetzt,  von  denen  je  zwei  einander  parallel  laufen. 

Die  verschiedenen  Doppelpyramiden  und  Prismen  lassen  sich 
nach  der  Stellung  und  Länge  ihrer  Axen  unterscheiden.  So  ist 
der  Würfel  eine  vierseitige  Säule  mit  senkrecht  sich  kreuzenden 
und  gleichlangen  Axen;  durch  Verkürzung  oder  Verlängerung 
seiner  Höhenaxe  wird  er  zur  quadratischen  Säule,  welche  im 
ersteren  Falle  tafelförmig,  im  letzteren  langgestreckt  erscheint. 
Kreuzen  sich  die  horizontalen  Axen  in  schräger  Richtung,  so  wird 
die  Grundfläche  zum  Rhombus,  der  Würfel  zur  rhombischen  Säule; 
verläuft  alsdann  die  Höhenaxe  geneigt,  so  entsteht  daraus  die 
schiefe  rhombische  Säule. 

Beim  Oktaeder  endigen  die  Axen  in  den  Ecken,  bei  der  Säule 
in  den  Mittelpunkten  der  beiden  Endflächen  und  der  Längskanten. 

Sämtliche  Krystallformen  lassen  sich  in  sechs  Krystall- 
sy steine  ordnen,  welche  sich  durch  die  Stellung  und  Länge 
ihrer  Axen  unterscheiden.  Bezeichnen  wir  nach  §  7  den  Quer- 
schnitt* durch  den  Kry stall  als  Grundfläche,  so  stellen  Längen- 
und  Breitenaxe  deren  Diagonallinien  vor. 


—     12     — 

A.  Drei  Axen  vorhanden :  eine  vertikale  Hauptaxe  und  zwei 
horizontale  Nebenaxen. 

a)  Grundfläche  ein  Quadrat,  dessen  Diagonalen  (die 
beiden  Nebenaxen)  sich  rechtwinklig  schneiden 
und  gleich  lang  sind. 

a)  Die  Hauptaxe  steht  senkrecht  und  ist  mit  den  Neben- 
axen gleich  lang     .     .     .     /.  regulären  System. 

ß)  Die   Hauptaxe    steht    senkrecht,    ist    aber    länger 
oder  kürzer  als  die  Nebenaxen: 

II.  quadratisches  System. 

b)  Die  Grundfläche  ist  ein  Rhombus,  dessen  Dia- 
gonalen (die  beiden  Nebenaxen)  sich  rechtwinklig 
schneiden,  aber  von  ungleicher  Länge  sind. 

«)  Die  Hauptaxe   steht   senkrecht  auf  den    Neben- 
axen    III.  rhombisches  System. 

ß)  Die  Hauptaxe  steht  geneigt  auf  den  Nebenaxen: 

IV.  Jclinorhombisches  System. 

c)  Die  Grundfläche  ist  ein  geschobenes  Recht- 

eck (Rhomboid),  dessen  Diagonalen  (die  beiden 
Nebenaxen)  ungleich  lang  und  schiefwinklig 
zu  einander  sind.  Die  Hauptaxe  steht  ebenfalls 
geneigt  zur  Grundfläche:  V.  rhomboidisches  System. 

B.  Yier  Axen  vorhanden:    eine  vertikale  Hauptaxe  und  drei 
horizontale  Nebenaxen. 

Grundfläche  ein  regelmässiges  Sechseck 
(Hexagon),  dessen  drei  Diagonalen  die  drei  gleich- 
langen, sich  unter  gleichem  Winkel  (60°)  schnei- 
denden Nebenaxen  vorstellen.  Die  Hauptaxe  steht 
senkrecht  zur  Grundfläche.  VI.  Hexagonalsystem. 
Die  Hauptformen  des  regulären  Systems  sind: 

1.  das   reguläre  Oktaeder   oder   der  Achtflächner 
(Fig.  2).  aus  acht  gleichseitigen  Dreiecksflächen  gebildet; 

2.  der  Würfel,   Kubus   oder  Hexaeder  (Fig.  3),   aus 
sechs  Quadratflächen  gebildet. 

Ihnen  schliessen  sich  an:  der  Rhombendodekaeder  mit 
zwölf  rhombischen  Flächen,  der  Pentagondodekaeder  mit 
zwölf  fünfseitigen  Flächen  u.  a.  m. 

Da  im  regulären  System  alle  drei  Axen  gleichlang  und  senk- 
recht zu  einander  sind ,  so  besitzen  diese  Formen  gleiche  Höhe, 
Länge  und  Breite,  sodass  man  eine  Kugelfläche  um  sie  be- 
schreiben kann.  Das  Oktaeder  finden  wir  beim  Alaun ,  den 
Würfel  beim  Kochsalz,  Jodkalium  u.  a. 

Die  Oktaeder  und  Säulen  (Prismen)  der  übrigen  Systeme : 
Vom  regulären  Oktaeder  und  Würfel  weicht  das  quadratische 
Oktaeder    und    die    quadratische    Säule    nur    durch    die 


13 


ungleichlange  Vertikalaxe  (Hauptaxe)  ab;  ist  dieselbe  länger  als 
die  Nebenaxen ,  so  erscheint  das  Oktaeder  resp.  die  Säule  ver- 
längert, ist  sie  kürzer,  so  wird  die  Form  verkürzt,  die  Säule  zur 
Tafel.  Die  (gerade)  rhombische  Säule  unterscheidet  sich 
von  der  quadratischen  Säule  durch  die  rhombische  Grundfläche; 
die  klinorhombische  oder  schiefe  rhombische  Säule 
(Fig.  4)  ausserdem  durch  die  schiefgestellte  Hauptaxe.  In  jener 
krystallisiert  das  Bittersalz,  in  dieser  die  Soda,  das  Glaubersalz, 
der  Zucker.  Die  rhomboidale  Säule  ähnelt  der  schiefen 
rhombischen  Säule,  unterscheidet  sich  aber  durch  die  Grundfläche, 
welche  kein  Rhombus,  sondern  ein  Rhomboid  (gestreckter  Rhom- 
bus) darstellt      Wir  finden  sie  beim  Kupfervitriol. 


Fisr.  2. 


Fisr  3. 


Fisr.  4. 


Fisr.  6. 


Fig.  5. 


Im  Hexagonalsystem  finden  wir  als  Hauptformen:  1.  die 
sechsseitige  Doppel pyramide  (Fig.  5)  mit  zwölf  Dreiecks- 
flächen, sowie  2.  die  hexagonale  oder  sechsseitige  Säule 
(Fig.  6)  mit  sechs  Rechtecks-  und  zwei  Hexagonal-Flächen.  In 
diesen  Formen  krystallisiert  der  Quarz  (Bergkry stall). 

Die  Ery  stalle  zeigen  häufig  Abstumpfungen  von  Kanten 
und  Ecken  durch  Flächen,  Zuschärfungen  und  Zuspitzungen 
von  Flächen  durch  dachförmige  Flächen.  Diese  Abänderungen 
finden  an  den  gegenüberliegenden  Stellen  gleichzeitig  und  gleich- 
massig  statt.  Die  Säulen  erhalten  in  dieser  Weise  oben  und 
unten  sehr  häufig  pyramidale  Zuspitzungen  oder  an  je  zwei 
Kanten  Flächen-Abstumpfungen.    So  sehen  wir  beim  Salpeter  die 


-    14    — 

rhombische  Säule  durch  Abstumpfimg  zweier  Längskanten  in  eine 
sechsseitige  verwandelt,  welche  sich  jedoch  leicht  von  der  hexa- 
gonalen  Säule  unterscheidet,  da  ihre  Erdflächen  keine  regulären 
Sechsecke  sind. 

Besondere  Formen  sind  die  Halb  flächner  (Hernieder), 
welche  aus  der  Oktaederform  dadurch  entstehen  ,  dass  die  Hälfte 
ihrer  Flächen  auswächst,  die  zwischenliegenden  verschwinden. 
So  entsteht  aus  dem  achtflächigen  Oktaeder  (Fig.  7)  das  vier- 
flächige Tetraeder  (Fig.  8),  aus  der  zwölfflächigen  Doppelpyra- 
mide (Fig.  9)  das. sechsflächige  Rhomboeder  (Fig.  10),  dessen 
sämtliche  Flächen  Rhomben  darstellen.*)  Als  Tetraeder  kristalli- 
siert der  Brechweinstein,  als  Rhomboeder  der  Chilisalpeter. 


Fig.  7.  Fig.  8. 


Fig.  9.  Fig.  10. 

Man  giebt  daher  dem  Tetraeder  die  senkrechte  Lage,  indem 
man  ihn  auf  eine  Kante  stellt,  dem  Rhomboeder  dadurch,  dass 
man  ihn  auf  eine  der  beiden  Ecken  stellt,  welche  der  sechsseitigen 
Doppelpyramide  entlehnt  sind.  Im  Tetraeder  verbinden  die  Axen 
die  Mitten  der  Kanten;  im  Rhomboeder  thun  dies  nur  die 
Nebenaxen.  " 

§  10.  Wie  lautet  das  Erystallisationsgesetz  ?  Der  krystallierende 
Körper  kann  sämtliche  Formen  annehmen ,  welche  dem  System 
angehören,  worin  er  krystallisiert.  Im  allgemeinen  lässt  sich  der 
Satz  aufstellen : 


*)  In  Fig.  7  wachsen  die  Flächen  o,  n  und  eine  auf  der  anderen  Seite, 
die  übrigen  verschwinden;  in  Fig.  8  wachsen  r,  t,  u  und  drei  auf  der  anderen 
Seite,  die  nicht  mit  ihnen  zusammenstossen. 


-     15    — 

Ein  jeder  Körper  krystallisiert  nur  in  den  Formen  eines  vnd 
desselben  Systems. 

Ausnahmen  sind  nicht  häufig.  Vermag1  ein  Körper  in  zwei 
verschiedenen  Systemen  zu  krystallisieren ,  so  nennt  man  ihn 
dimorph.  Der  Schwefel  krystallisiert  z.  B.  im  rhombischen  und 
klinorhombischen  System ,  die  Kohle  als  Diamant  im  regelmässi- 
gen, als  Graphit  im  Hexagonalsystem. 

Es  giebt  Reihen  von  Körpern,  die  im  gleichen  Systeme  kry- 
stallisieren und  sich  gegenseitig  in  ihren  Verbindungen  vertreten, 
ohne  die  Kry stallform  zu  ändern.  Solche  heissen  isomorph. 
Beispiele:  die  Alaune  von  Thonerde,  Chromoxyd  und  Eisenoxyd; 
die  Salze  von  Zinkoxyd,  Eisenoxydul  und  Magnesia,  die  der  Phos- 
phorsäure und  Arsensäure.  Thonerdealaun ,  Chromalaun  und 
Eisenalaun  krystallisieren  als  reguläre  Oktaeder  und  können  sich 
gegenseitig  auswechseln  und  mischen,  ohne  die  äussere  Form  zu 
ändern. 

Fragen. 

1.  Wie  bestimmt  man  das  System,  zu  welchem  ein  vorliegender 
Kry  stall  gehört? 

Antw.  Man  halte  den  Krystall  so  vor  sich  hin,  dass  sein  Querschnitt 
resp.  seine  Grundfläche  genau  in  die  Horizontale  zu  liegen  kommt;  dann 
konstruiere  man  die  Form  dieser  Grundfläche,  wobei  etwaige  Abstumpfungen 
von  Ecken  und  Zuschärfungen  von  Seiten  zu  berücksichtigen  sind,  und  sehe 
zu,  ob  die  Vertikalaxe  senkrecht  oder  schief  auf  ihr  stehe. 

A.  Die  Vertikalaxe  steht  senkrecht  auf  der  Grundfläche; 

a)  Grundfläche  quadratisch: 

a)  Vertikalaxe  mit  den  Horizontalaxen  gleichlang;  alle  Dimensionen 
des  Krystalls  sind  sich  gleich:  .     .     .     .     Reguläres  System. 

ß)  Vertikalaxe  verkürzt  oder  verlängert;  die  Krystalle  sind  nieder- 
gedrükt  oder  langgezogen:      .     .     .     Quadratisches  System. 

b)  Grundfläche  rhombisch: Rhombisches  System. 

c)  Grundfläche  ein  reguläres  Sechseck:    .     .     Hexagonales   System. 

B.  Die  Vertikalaxe  steht  schief  auf  der  Grundfläche; 

a)  Grundfläche  eingeschobenes  Quadrat:  Klino rhombisches  System. 

b)  Grundfläche  ein  geschobenes  Rechteck:    Rhomboidales  System. 

2.  Wie  unterscheiden  sich  die  Flächen  des  Rhomboeders  von  denen 
des  Würfels? 

Antw.  Die  Flächen  des  Rhomboeders  sind  6  Rhomben,  die  des 
Würfels  sind  6  Quadrate. 


B.  Erscheinungen   des  Gleichgewichts  und   der 
Bewegung. 

4.  Hebel  und  Wage. 

§  11.  Was  nennt  man  einen  Hebel?  Unter  einem  Hebel  ver- 
steht man  jede  unbiegsame  Stange,  an  welcher  zwei  entgegenge- 
setzte Kräfte,  Kraft  und  Last,  wirken,  während  jene  an  einem 


—     16     — 

Punkte  unterstützt  ist.  Je  nachdem  die  beiden  Kräfte  auf  zwei 
verschiedenen  oder  auf  derselben  Seite  vom  Stützungspunkte  an- 
greifen, unterscheiden  wir  zwei  Arten  Hebel: 

a)  Beim  zweiarmigen  Hebel  liegt  der  Stützpunkt  zwi- 
schen Kraft  und  Last.  Liegt  er  genau  in  der  Mitte  zwischen 
beiden ,  sodass  die  sog.  Hebelarme  gleich  lang  sind ,  wird  der 
Hebel  ein  gleicharmiger  genannt;  wir  finden  ihn  bei  der 
gewöhnlichen  Wage.  Befindet  sich  der  Stützpunkt  nicht  in  der 
Mitte  zwischen  Kraft  und  Last,  so  ist  der  Hebel  ein  ungleich- 
armiger. Einen  solchen,  an  welchem  der  eine  Arm  zehnmal 
länger  ist  als  der  andere,  finden  wir  bei  der  Dezimalwage. 

b)  Beim  einarmigen  Hebel  liegt  der  Stützpunkt  auf  der 
einen  Seite ,  Kraft  und  Last  auf  der  anderen.  Suchen  wir  mit 
dem  Hebebaum  oder  Brecheisen  etwas  zu  heben,  mit  dem 
Schneidemesser  etwas  durchzuschneiden,  so  wenden  wir  einarmige 
Hebel  an. 

m 

~~*  jg  §  12.  Wie  lautet  das  Gesetz  des  Hebels?   Fig. 

I      11  stellt  einen  ungleicharmigen  Hebel  hg  vor, 
ni|    dessen  Stützpunkt  in  m  liegt;    am  längeren 
™    Hebelarm  mg  wirkt  die  kleinere  Kraft  p,  am 
p     kürzeren  Arm  mh  hängt  die  grössere  Last  P. 
Der  Hebel  befindet  sich  alsdann  im  Gleich- 
Fig.  11.  gewicht,  wenn  die  Last  P  um  so  viel  grösser 

ist  als  die  Kraft  p,  wie  der  Hebelarm  mg  länger  ist  als  der  Arm  mh. 
Wir  drücken  dies  aus  durch  die  Proportion  p  :  P  =  mh  :  mg; 
daraus  folgt  ,die  Gleichung :  p  .  mg.  =  P  .  mh,  was  wir  folgender- 
weise in  Worte  fassen : 

Der  Hebel  befindet  sich  im  G-leichgeivicht,  wenn  das  Produkt  der 
Kraft  mit  ihrem  Hebelarm  gleich  ist  dem  Produkt  der  Last  mit 
ihrem  Hebelarm. 

Die  Produkte  der  Kraft  resp.  Last  mit  ihren  Hebelarmen 
nennt  man  auch  wohl  die  statistischen*)  Momente.  Der 
Hebel  befindet  sich  also  dann  im  Gleichgewicht,  wenn  seine 
statistischen  Momente  einander  gleich  sind. 

An  einem  längeren  Hebelarm  bedarf  man  einer  kleineren 
Kraft ,  an  einem  kürzeren  Arm  einer  grösseren  Kraft ,  um  eine 
gewisse  Last  zu  heben.  Diese  Kraft ersparnis  ist  aber  mit 
einem  grösseren  Zeitaufwand  verbunden,  da  ein  längerer  Hebel- 
arm grössere  Räume  durchwandern  muss.  »Was  beim  Hebel  an 
Kraft  gewonnen  wird,  geht  an  Zeit  verloren.«  Wir  sehen  dies 
sehr  deutlich  am  Wellrade,  mit  dem  wir  bedeutende  Lasten, 
welche  an  einer  Walze  hangen,  mittelst  geringer  Kraftäusserungen 


crcams,  das  Stillstehen,  Gleichgewicht. 


17     — 


an  einem  grösseren  Bade  oder  nur  an  dessen  Speichen  zu  heben 
vermögen.  Je  mehr  der  Halbmesser  des  Rades  (resp.  die  Länge 
der  Speichen)  denjenigen  der  "Walze  übertrifft,  eine  um  so  ge- 
ringere Kraft  genügt  zur  Hebung  der  Last ,  aber  auch  um  so 
mehr  Zeit  ist  dazu  erforderlich. 

Zrl  gßG 
§13.  Gleicharmige  Wage.  Die  gewöhnliche  Wage  ist 
ein  gleicharmiger  Hebel,  bestehend  aus  dem  Wage  balken 
mit  der  Zunge;  sie  ruht  mit  dem  Zapfen  auf  den  Pfannen, 
welche  wie  jener  aus  poliertem  Stahl  gearbeitet  sind.  An  den 
Enden  des  Wagebalkens  hängen  die  Bügel  mit  den  Wage- 
schalen.   Die  einzelnen  Teile  müssen  folgende  Bedingungen  er- 


füllen, wenn  die  Wage  brauchbar,  und  gut  sein  soll:. 


1.  Die  Arme  des  Balkens  müssen  genau  gleiche  Länge  besitzen. 

2.  Zapfen  und  Bügel  müssen  in  einer  geraden  Linie  liegen. 
o.  Der  Ruhepunkt   soll    etwas    über    dem  Schwerpunkt  der 

ganzen  Wage  sich  befinden.  Wenn  der  Schwerpunkt  in  den 
Unterstützungspunkt  hinein  fällt,  so  herrscht  indifferentes  Gleich- 
gewicht; liegt  er  über  ihm,  so  ist  das  Gleichgewicht  ein  labiles. 
Es  muss  aber  stabiles  Gleichgewicht  herrschen,  d.  i.  die 
Wage  muss  aufgehängt  sein.  Je  tiefer  der  Schwerpunkt  unter 
den  Stützpunkt  rückt,  um  so  weniger  empfindlich  wird  die  Wage, 
was  man  bei  stärkerer  Belastung  beobachten  kann,  denn: 

Je  mehr  die  Wage  -  belastet  ivirä ,  um  so  toeniger  empfindlich 
ist  sie. 

Man  bestimmt  die  Empfindlichkeit  einer  Wage  nach  dem 
kleinsten  Gewichte,  womit  sie  bei  völliger  Belastung  einen  merk- 
baren Ausschlag  giebt. -*)  In  den  Apotheken  dürfen  nur ,  sog. 
Präz isions wagen  zur  Anwendung  gelangen,  welche  bei  20  g 
Maximalbelastung  noch  mit  0,08  >g^  bei  200  g  Maximalbelastung 
noch  mit  0,4  g  einen  deutlichen  Ausschlag  geben. 


§  14.  Ungleich.- 
armige  Wagen. 
Die  Dezimal- 
wage,  welche 
man  auch  als 
Brückenwage 
gebraucht      fe- 


'  ■  ■  ■    ,  ■ 

B    ;  Ivb   :     c 


i e — frf~  '  1 

§  I  '.rieh  as  89 

\  I 

\  a  .  r  _  . 

I  f~~ rIfp~4l 


-(-, 


3-  Q 

sitzt  einen  un- 


a' 


gleicharm  "gen  Fig.  12. 

Wagebalken;   der  Arm,   woran  die  Gewichte  wirken,   ist  zehn- 

— - ; -  :    ujim  fiihq  9i 

*)  Ist  dieses  kleinste  Gewicht  p,  die  volle  Belastung  Q,  so  drückt  man 
den  Grad  der  Empfindlichkeit  durch  den  Bruch  p/2Q  aus. 

S ch-lic kum,  Apothekerlehrling.  2 


—    18     —    L< 

mal  länger  als  derjenige,  woran  die  Last  hängt;  Ki=10Kb/ 
(Fig.  12).  Die  auf  ab  ruhende  Last  wirkt  sowohl  durch  den  Punkt 
b  auf  V,  als  durch  den  Punkt  a  auf  c  resp.  c' ;  da  nun  a'  d :  cd 
=  KV  :  Kc',  so  wird  der  bei  a  resp.  c'  drückende  Teil  der 
Last  durch  den  einarmigen  Hebel  D  wirken,  als  ob  er  auch  in  b' 
angriffe.  Das  Resultat  dieser  Verbindung  der  drei  Hebel  A,  B, 
D  ist  also,  dass  die  gesamte  Last  in  V  angreifend  gedacht  werden 
kann  d.  i.  zehnmal  schwächer  wirkt,  als  die  Kraft  C. 

Ähnlich  ist  die  Anwendung  des  ungleicharmigen  Hebels  bei 
der  sog.  Schnellwage,  an  deren  kürzerem  Balken  die  zur  Auf- 
nahme der  Last  bestimmte  Schale  hängt,  während  am  längeren 
Balken  ein  Gewichtstück,  der  sog.  Läufer,  wirkt  und  durch  seine 
Entfernung  vom  Ruhepunkt  der  Wage  das  Gewicht  der  Last  an- 
zeigt. Übereinstimmend  hiermit  ist  die,  jedoch  gleicharmige, 
Sattelwage,  deren  Sattel  auf  den  verschiedenen  Teilstrichen 
des  Balkens  Decigramme  anzeigt,  wenn  er  selbst  1  g  schwer  ist. 

Praktische  Regeln  beim  Gebrauche|der  Rezepturwagen. 

1 .  Man  beachte  vor  dem  Wägen,  dass  die  Schalen  richtig  mit  dem  Bügel 
einhangen.  Es  trifft  sich  nicht  selten,  dass  die  Schnüre  der  Handwagen 
sich  am  Bügel  verstricken,  oder  dass  die  Bügel  der  Tarierwagen  ausgehakt 
u.  dgl.  sind. 

2.  Man  halte  die  Handwagen  mit  der  linken  Hand  so,  dass  die  Zunge 
zwischen  zwei  Fingern  spielt;  bei  der  Tarierwage  lege  man  den  Zeigefinger 
der  linken  Hand  sanft  auf  die  schwebende  Wageschale;  alsdann  fühlt  man 
das  Herannahen  des  Gleichgewichts  und  kann  sich  vor  zu  starkem  Über- 
gewicht hüten. 

3.  Bei  genauen  Wägungen  arretiere  man  die  Wage  vor  der  Beurteilung. 
Handwagen  senke  man  zu  diesem  Behufe  mit  ihren  Schalen  auf  die  Tischplatte. 

4.  Gefässe  tariere  man  nie  mit  Gewichtstücken.  Auch  ist  der  Ge- 
brauch der  Reiter  hierzu  nicht  zu  empfehlen. 

Versuche. 

1.  Man  teile  die  linke  Balkenseite  einer  Wage  von  dem  Zapfen  bis 
zum  Bügel  genau  in  zehn  gleiche  Teile,  dann  nehme  man  ein  Stück  Messing- 
draht von  genau  1  g  Schwere,  biege  es  an  einem  Ende  um  und  hänge 
es  an  dem  geteilten  Balken  auf.  Hängt  der  Haken  am  ersten  Teilstriche, 
so  genügt  die  Belastung  der  rechten  Wagschale  mit  0,1  g,  hängt  er  am 
fünften  resp.  siebenten  Teilstrich,  so  genügt  links  die  Belastung  mit  0,5  resp. 
0,7  g,  um  die  Wage  ins  Gleichgewicht  zu  bringen.  In  dieser  Weise  kann 
man  mit  Häkchen  von  1  ^jSchwere  cg  wiegen. 

:  Fragen. 

1.  Wie  prüft  man^eine  Wage  auf  ihre  Richtigkeit?  —  Antw.  Man 
setze  einen  Gegenstand  gegen  Gewichtsstücke  genau  ins  Gleichgewicht, 
alsdann  vertausche  man  beide  mit  einander;  es  muss  die  Wage  im  Gleich- 
gewicht bleiben.  Neigt  sich^dagegen  eine  Seite  nieder,  so  ist  dieser  Arm 
etwas  länger  als  der  andere. 

2.  Wie  prüft  man  eine  Wage  auf  ihre  Genauigkeit?  —  Antw.  Man 
gebe  der  Wage  ihre  Maximalbelastung,  stelle  sie  genau  ein  und  sehe  zu, 
welches  kleinste  Gewichtsstück  sie  zum  bemerkbaren  Ausschlag  veranlasst. 


—     19     — 

3.  Wie  kann  man  auf  einer  Wage  mit  ungleichem  Balken  dennoch 
richtig  wiegen?  —  Antw.  Man  tariere  den  Gegenstand  genau  mit  Schrot 
u.  dgl.  und  ersetze  ihn  dann  durch  Gewichtsstücke;  diese  geben  das  rich- 
tige Gewicht  des  Gegenstandes  an. 

4.  Wenn  auf  einer  Wage  100  g  einerseits  und  99  g  andrerseits  sich 
das  Gleichgewicht  halten,  um  wie  viel  ist  jener  Arm  kürzer  als  dieser?  — 
Antw.     Um  yioo  des  längeren  Armes. 


5.  Das  spezifische  Gewicht  und  seine  Bestimmung. 

§  15.  Worauf  gründet  sich  die  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes  ? 
Das  spezifische  Gewicht  ist  die  Zahl,  welche  angiebt,  um 
wie  viel  leichter  oder  schwerer  ein  Körper  ist  als  die  gleiche 
Masse  eines  andern  Körpers.  Zur  Yergleichung  nimmt  man  für 
die  festen  und  flüssigen  Stoffe  das  Wasser,  für  die  Gase  die 
atmosphärische  Luft  als  Einheit  an.  Wenn  also  das  spezi- 
fische Gewicht  des  Quecksilbers  —  13,5  ist,  so  will  das  sagen, 
dass  das  Quecksilber  13,5  mal  mehr  wiegt  als  ein  gleiches  Quan- 
tum Wasser ;  ist  das  spezifische  Gewicht  des  Weingeistes  =  0,83, 
so  bedeutet  dies  soviel,  als  dass  der  Weingeist  nur  83/ioo  so  viel 
wiegt  als  ein  gleiches  Yolumen  Wasser. 

Die  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes  vergleicht  also 
die  Gewichte  gleicher  Yolum-Mengen  des  fraglichen  Körpers  und 
des  Wassers  resp.  der  Luft.  Für  die  Pharmazie  hat  die  Be- 
stimmung für  Flüssigkeiten  hohen  praktischen  Werth ,  und  soll 
daher  im  folgenden  vorzugsweise  berücksichtigt  werden. 

Will  man  das  spezifische  Gewicht  einer  Flüssigkeit  be- 
stimmen, so  muss  man  also  zunächst  feststellen,  wie  viel 
gleiche  Yolumquantitäten  Wassers  und  der  fraglicnen  Flüssigkeit 
wiegen,  und  alsdann  das  Gewicht  des  Wassers  in  das  der  Flüssig- 
keit dividieren. 

Die  verschiedenen  Bestimmungsmethoden  unterscheiden  sich 
durch  die  Art  und  Weise,  das  Gewicht  gleicher  Yolumquanta 
Wassers    und   der   Flüssigkeit   zu  rinden.  ffl 

Einer  jeden  muss  aber  eine  gewisse  Tem-  jff 

peratur  zu  Grunde  liegen :  12°  R  =  15°  C,  Jj| 

weil  die  Wärme  verändernd  auf  die  Dichte  Jgf 

einwirkt.  j§* 


§  16.  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes 
der  Flüssigkeiten;  1)  durch  das  Pyknometer. 
Die  der  Theorie  nach  einfachste  und 
sicherste  Bestimmung  des  spezifischen  Ge- 
wichtes der  Flüssigkeiten  geschieht  durch 
ein  Glas,  welches  bei  15°  C  genau  10  resp.  Fig.  13. 


—     20     - 

100  g  destilliertes  "Wasser  fasst  und  Pyknometer  genannt 
wird.  (Fig.  13.)  Entweder  fasst  das  Glas  die  betreffende  Wasser- 
menge bis  zu  einer  Marke  im  Halse  oder  bei  völliger  Anfüllung. 
Füllt  man  das  genau  tarierte  oder  in  seiner  Tara  bekannte  Glas  mit 
der  zu  prüfenden  Flüssigkeit  an  und  wägt  dieselbe  genau,  so 
erhält  man  mittelst  Division  des  gefundenen  Gewichtes  durch  10 
resp.  100  das  gewünschte  spezifische  Gewicht. 

Beispiel.  Fasst  ein  Pyknometer  bei  15 ÜC  10  g  Wasser, 
dagegen  8,3  g  Weingeist,  so  ist  das  spezifische  Gewicht  des 
letzteren  =  0,83. 

Sehr  bequem  sind  Pyknometer  mit  einem  Thermometer  am 
Stöpsel. 

2)  Bestimmung  durch  Mohrs  hydrostatische  Wage.  An  eine  Tarier- 
wage,  deren  rechte  Wagebalkenhälfte  genau  in  zehn  gleiche  Teile 
eingeteilt  ist,  hängt  mittelst  Platindraht  ein  kleines,  mit  Queck- 
silber oder  Schrot  beschwertes  Senkgläschen.  Wird  es  in  Wasser 
untergetaucht ,  so  kommt  die  Wage  aus  dem  Gleichgewicht,  in- 
dem die  Seite,  woran  das  Senkglas  hängt,  gehoben  wird.  Die 
Ursache  beruht  in  dem  von  Archimedes  (250  v.  Chr.  in  Syra- 
kus)  gefundenen  und  nach  ihm  benannten  Satze: 

Ein  in  eine  Flüssigkeit  untergetauchter  Körper  verliert  so  viel  an 
seinem  Gewichte,  als  die  verdrängte  Flüssigheitsmenge  schwer  ist. 

Wenn  wir  also  das  Senkgläschen  in  Wasser  untertauchen, 
so  wird  es  um  so  viel  leichter,  als  das  verdrängte  Wasser  wiegt. 
Um  die  Wage  wieder  ins  Gleichgewicht  zu  bringen,  müssen  wir 
die  Seite,  woran  das  Senkglas  hängt,  mit  einem  Stück  Messing- 
draht beschweren,  und  dieses  Stück  besitzt  dann  genau  das  Ge- 
wicht des  durch  das  Glas  verdrängten  Wassers. 

Lassen  wir  das  Senkgläschen  in  eine  andere  Flüssigkeit 
untertauchen  ,  so  haben  wir  abermals  eine  Belastung  nötig,  um 
das  gestörte  Gleichgewicht  herzustellen.  Ist  die  Flüssigkeit 
leichter  als  Wasser,  so  genügt  eine  geringere  Belastung;  ist  sie 
schwerer,  so  wird  eine  grössere  Belastung  erforderlich. 

Bei  leichteren  Flüssigkeiten  stellen  wir  das  Gleichgewicht 
wieder  her,  indem  wir  den  Messinghaken  auf  einen  der  Teil- 
striche des  Balkens  aufhängen,  und  erhalten  alsdann  die  erste 
Dezimalstelle;  die  zweite  Stelle  finden  wir  durch  ein  zehnmal 
leichteres,  die  dritte  durch  ein  hundertfach  leichteres  Häkchen. 
Beim  Weingeist,  dessen  spezifisches  Gewicht  =  0,883  ist,  hängt 
also  der  erste  Haken  auf  dem  achten  Teilstrich,  die  beiden  leich-/ 
teren  Häkchen  auf  dem  dritten  Teilstrich. 

Bei  schwereren  Flüssigkeiten  verfährt  man  ebenso,  nur  dass 
ein  zweiter,  dem  ersten  gleich  schwerer  Haken  am  Bügel  neben 
dem  Senkglase  aufgehängt  werden  muss.  Beim  Chloroform, 
dessen  spezifisches  Gewicht  =  1,486  ist,  wird  also  der  eine  Haupt- 


—    21     - 


haken  am  Bügel,  der  andere  am  vierten  Teilstrich,  die  leichteren 
Häkchen  am  achten  und  sechsten  Teilstrich  aufgehängt. 

Während  Dr.  Mohr  zu  seiner  Wage  eine  gewöhnliche  Tarier- 
wage benutzte,  deren  rechte  Wageschale  durch  das  Senkgläschen 
ersetzt  wird,  weicht  die  Westphalsche  Wage,  die  im  übrigen 
auf  den  nämlichen  Prinzipien  beruht,  dadurch  ab,  dass  der  linke 
Wagebalken  keine  Schale  trägt  und  gegen  eine  Spitze  spielt, 
dadurch  die  Gleichgewichtslage  anzeigend.  Bei  ihr  fehlt  darum 
auch  die  Zunge. 

3)  Bestimmung  durch  das  Aräometer.  Der  Gebrauch  des  Aräo- 
meters oder  der  Senkwage  gründet  sich  ebenfalls  auf  das 
Archimedische  Gesetz.  Ist  ein  Körper  leichter  als  Wasser,  so 
schwimmt  er  und  taucht  dabei  so  weit  unter,  dass  die  verdrängte 
Wassermenge  genau  so  viel  wiegt  wie  der  ganze  Körper. 

Ein  schivimmender  Körper  verdrängt  soviel  Flüssigkeit,  als  er 
selber  wiegt. 

Senkt  man  einen  schwimmenden  Körper  in 
eine  schwerere  Flüssigkeit,  so  taucht  er  darin 
weniger  tief  ein  wie  in  eine  leichtere ,  weil  er 
immer  nur  so  viel  Flüssigkeit  verdrängt,  als  sein 
eigenes  Gewicht  beträgt.  Hierauf  beruht  das 
Aräometer,  eine  gläserne,  hohle  Spindel,  unten 
mit  Quecksilber  oder  Schrot  beschwert  und  in 
Flüssigkeiten  schwimmend.  Wie  tief  es  in  eine 
Flüssigkeit  eintaucht,  erkennt  man  an  einer  Skala, 
welche  das  spezifische  Gewicht  direkt  anzeigt. 
Für  den  Weingeist  gebraucht  man  häufig  sog. 
Alkoholometer,  d.  h.  Aräometer  mit  direkter 
Angabe  des  Weingeistgehaltes.  Ist  das  Aräo- 
meter nicht  mit  einer  Skala  verbunden,  sondern 
wird  es  durch  Gewichte  beschwert,  dass  es  bis 
zu  einer  gewissen  Marke  eintaucht,  so  stellt  es 
das  sog.  Nicholsonsche  Aräometer  (Fig.  14) 
dar.  Man  legt  die  Gewichtsstücke  auf  einen  Teller 
(A),  den  das  Instrument  (B)  oben  trägt.  Je 
spezifisch   schwerer   die  Flüssigkeit,   um  so   mehr 

Gewicht  muss  aufgelegtwerden. 

Fig.  14. 

§  17.  Wie  bestimmt  man  das  spezifische  Gewicht  fester  Körper  und 
der  Gase?  Für  feste  Körper  bedient  man  sich  der  hydrosta- 
tischen Wage,  einer  Tarier  wage,  an  welcher  der  zu  prüfende  Körper 
aufgehängt  wird.  Zuerst  wägt  man  ihn  in  der  Luft  genau  ab,  dann 
lässt  man  ihn  in  untergestelltes  Wasser  völlig  untertauchen  und 
gleicht  den  entstehenden  Gewichtsverlust  durch  Auflegen  von 
Gewichtsstücken  aus.    Dieser  Gewichtsverlust  ist  das  Gewicht  des 


vom  Körper  verdrängten  Wassers  (nach  dem  oben  angegebenen 
Archimedischen  Gesetz);  dividiert  man  denselben  in  das  absolute 
Gewicht  des  Körpers,  so  erhält  man  dessen  spezifisches  Gewicht. 
Man  hat  also  nur  nötig ,  festzustellen  ,  wie  viel  der  Körper 
unter  Wasser  leichter  wird,  um  das  Gewicht  der  ihm  gleich  grossen 
Wassermenge  zu  finden.  Letzteres,  in  das  absolute  Gewicht  des 
Körpers  dividiert,  ergiebt  dessen  spezifisches  Gewicht.  Ein  50  g 
schweres  Stück  Blei  verliert  unter  Wasser  4,5  #,  also  ist  das 
spezifische  Gewicht  des  Bleies  =  5/4;5  =  11. 

Man  kann  sich  zur  Bestimmung  des  spez.  Gew.  fester  Körper  auch  mit 
Vorteil  des  Nicholsonschen  Aräometers  (Fig.  14)  bedienen.  Man  legt  den 
Körper  zuerst  oben  auf  den  Teller  und  beschwert  denselben  dann  noch  so 
stark,  dass  das  Instrument  bis  zur  Marke  untertaucht;  nimmt  man  ihn  dann 
weg  und  ersetzt  ihn  durch  Gewicht,  so  zeigt  letzteres  das  absolute  Ge- 
wicht desselben  an.  Dann  legt  man  den  Körper  unten  in  das  Körbchen 
und  sieht  zu,  wie  viel  Gewicht  man  nun  auflegen  muss;  es  wird  weniger 
sein.  Diese  Differenz  ist  das  Gewicht  des  verdrängten  Wassers;  dividiert  man 
sie  in  das  absolute  Gewicht  des  Körpers,  so  resultiert  daraus  dessen  spezi- 
fisches Gewicht. 

Das  spezifische  Gewicht  der  Gase  wird  bestimmt,  indem  man 
einen  luftleer  tarierten  Ballon  zuerst  mit  Luft  erfüllt  wägt,  dann 
mit  dem  Gas  anfüllt  und  abermals  wägt;  schliesslich  dividiert 
man  das  Gewicht  der  Luft  in  das  des  Gases. 

Versuche. 

1.  Man  hänge  ein  Zwanziggrammstück  mit  einem  Faden  an  eine 
Wageschale  und  lasse  es  in  ein  mit  Wasser  gefülltes  Becherglas  unter- 
tauchen; man  wird  bemerken,  dass  es  alsdann  nur  noch  17,6  g  wiegt.  — 
Dass  das  Gewichtsstück  genau  2,4  g  Wasser  verdrängt,  erkennt,  man  durch 
folgenden  Versuch: 

Einen  in  Zehntel-Kubikcentimer  abgeteilten  Glascylinder  fülle  man 
bis  zu  einer  bestimmten  Höhe  mit  Wasser.  Lässt  man  das  Zwanziggramm- 
stück in  letzteres  hineinfallen,  so  steigt  das  Wasser  genau  um  2,4  ccm. 

2.  Tariert  man  ein  mit  Wasser  teilweise  gefülltes  Becherglas  genau 
auf  einer  Wage,  und  taucht  an  einem  Faden  ein  Zwanziggrammstück  in 
dasselbe  unter,  so  senkt  sich  der  Wagebalken.  Es  tritt  erst  dann  wieder 
Gleichgewicht  ein,  wenn  auf  der  anderen  Seite  2,4  g  aufgelegt  werden.  Wasdas 
Gewichtsstück,  selbst  an  Schwere  verliert,  erhöht  das  Gewicht  des  Wassers. 

3.  Man  fülle  einen  weiten  Reagiercylinder  mit  Weingeist,  tauche  einen 
schmalen  Reagiercylinder  in  denselben  ein  und  beschwere  ihn  mit  so  viel 
Schrot,  dass  er  gerade  bis  zum  Halse  untertauche.  Wechselt  man  dann  den 
Weingeist  mit  Wasser,  so  taucht  der  enge  Cylinder  nur  zu  4/5  seiner 
Länge  darin  unter.  In  einer  Kochsalzlösung  oder  in  Zuckerwasser  taucht  er 
noch  weniger  tief  ein. 

Aufgaben. 
1.  Welches   spezifische   Gewicht  besitzt   eine  Flüssigkeit,   von  welcher 
100  g  den  Raum  von    120  q  Wasser  einnehmen,  also  in  einem  graduierten 
Cylinder  120  ccm  Raum  füllen?  —  Antw.  100/120  =  0,833. 

2.  Welches  spezifische  Gewicht  besitzt  ein  fester  Körper,  von  welchem 
ein  20  g  wiegendes  Stück,  in  einen  graduierten  und  mit  Wasser  gefüllten 
Cylinder  gebracht,  das  Wasser  um  8  ccm  steigen  macht?  —  Antw.  20/s  =  2,5. 


—      23*L— 

3.  Wenn  das  spezifische  Gewicht  des  Goldes  =  19,  das  des  Silbers  =  10 
angenommen  wird,  wieviel  verliert  eine  aus  reinem  Golde,  wieviel  eine 
halb  aus  Gold,  halb  aus  Silber  gefertigte  Krone  unter  Wasser?*)  —  Antw. 
Eine  Krone  aus  reinem  Golde  verliert  1/19  ihres  Gewichtes,  eine  solche  halb 
aus   Gold,  halb  aus  Silber  verliert  i/.2  (1/19  -|-  ^io)  —  29/W 

4.  Mischt  man  50  Volumteile  Weingeist,  dessen  spezifisches  Gewicht 
0,79  ist,  mit  50  Volumteilen  Wasser,  so  verdichtet  sich  die  Mischung  zu 
96  Volumteilen.  Wie  gross  ist  das  spezifische  Gewicht  dieses  50  volum- 
prozentigen Branntweins?  —    .  50  +  (50  X  0,79)      „  nn 

r  &  Antw. no  '=0,93. 

9o 


6,  Vom  Fall  der  Körper. 

§  18.  Der  freie  Fall.  Wird  einem  ruhenden  Körper  seine 
Unterstützung  entzogen,  so  fällt  er.  Die  dabei  innegehaltene 
Richtung  hat  den  Erdmittelpunkt  zum  Ziel.  Im  luftleeren 
Raum  fallen  alle  Körper  gleich  schnell;  in  der  Luft 
finden  sie  aber  durch  die  stattfindende  Reibung  und  Überwindung 
des  Luftwiderstandes  eine  Verzögerung,  die  um  so  grösser  ist, 
je  voluminöser  und  leichter  der  fallende  Körper. 

1.  Die  Fallbewegung  ist  eine  gleichmässig  beschleunigte. 

Ein  fallender  Körper  fällt  mit  jedem  Zeitabschnitt  schneller, 
so  dass  seine  Geschwindigkeit  am  Ende  der  zweiten  Sekunde 
zweimal  so  gross,  am  Ende  der  dritten  dreimal  so  gross  ist,  wie 
nach  der  ersten  Fall  Sekunde. 

Der  Raum,  den  ein  fallender  Körper  in  der  ersten  Sekunde 
zurücklegt,  d.  i.  der  Fallraum  der  ersten'Sekunde,  be- 
trägt 4,9  Meter  (155/8  rhein.  Fuss);  er  wächst  im  weiteren  Ver- 
lauf des  Falles,  sodass  er  am  Schluss  der  zweiten  Sekunde  4mal 
4,9  »m,  am  Schluss  der  dritten  Sekunde  9mal  4,9  m,  am  Schluss 
der  vierten  Sekunde  16mal  4,9  m  beträgt.  Allgemein  ausgedrückt 
lautet  das  zweite  Fallgesetz : 

2.  Die  Fallräume  'wachsen  mit  den  Quadratsahlen  der  Sekunden. 
Man  findet    daher   den  Fallraum    für  n    Sekunden  Fallzeit, 

wenn  man  den  Fallraum  der  ersten  Sekunde  (4,9  m)  mit  dem 
Quadrate  von  n  multipliziert.  Daraus  ergiebt  sich  die  Fallzeit, 
wenn  man  den  gesamten  Fallraum  durch  den  Fallraum  der  ersten 
Sekunde  (4,9  w?)  dividiert  und  aus  dem  Quotienten  die  Quadrat- 
wurzel zieht. 

Die  Anfangsgeschwindigkeit  der  ersten  Sekunde  ist  =  o,  die 
Endgeschwindigkeit  derselben  ==  2  g ,  wenn  g  den  Fallraum  der 


*)  König  Hiero  in  Syrakus  liess  eine  Krone  aus  Gold  anfertigen  und 
übergab  sie  Archimedes  zur  Untersuchung.  Da  sie  unter  Wasser  1/ii 
ihres  Gewichtes  verlor,  so  wurde  sie  von  Archimedes  als  eine  Legierung 
aus  11  Teilen  Gold  und  9  Teilen  Silber  erkannt.  (Erste  Anwendung  des 
„Archimedischen  Prinzips"). 


—     24     — 

«ersten ;  Sekunde  (4,9  m)  bezeichnet,  denn  der  Fallraurn  ist  das 
arithmetische  Mittel  zwischen  der  Anfangs-  und  der  Endgeschwin- 
digkeit. Da  nun  die  Endgeschwindigkeit  der  zweiten  Fallsekunde 
doppelt  so  gross  ist  als  die  der  ersten  Sekunde,  so  beträgt  sie 
4  g,  daraus  folgt  der  Fallraum  der  zweiten  Sekunde  —  3  g  d.  i. 
das  Mittel  zwischen  Anfangs-  (2  g)  und  Endgeschwindigkeit  (4  g). 
Da  die  Endgeschwindigkeit  der  dritten  Fallsekunde  6  g,  die  An- 
fangsgeschwindigkeit 4  g  ist,  so  ist  der  Fallraum  derselben  —  5  g. 
"Wir  finden  den  Fallraum  der  vierten  Sekunde  ==  7  g,  den  der 
fünften  Sekunde  9  g  u.  s.  f.     Daraus  formulieren  wir  das  Gesetz : 

I.  Die  Fallräume  der  einzelnen  Sekunden  wachsen  wie  die  un- 
geraden Zahlen:   1  g\  3  #,  o-p,   7  g,  9  g,  11  g,  u.  s.   f. 

Addieren  wir,  um  die  gesamten  Fallräume  am  Schlüsse  der 
Sekunden  zu  finden,  so  ist: 

Der  Fallraum  der  ersten  Sekunde g 

der  ersten  zwei  Sekunden  g  -\-  3  g  = 4g 

der  ersten  drei  Sekunden  g  +  2g  +  5g=  .  .  8g 
der  ersten  .vier  Sekunden  g  -(-  3  g  +  5  g  +  7  g  =  16g 
nach  n  Sekunden n2g 

Hieraus  folgt  das  zweite  Gesetz : 

II.  Die  gesamten  Fallräume  wachsen  mit  den  Quadratzahlen 
der  Fallsekunden. 

Bezeichnet  h  den  gesamten  Fallraum  in  Sekunden,  so  ist 
demnach : 

1.  h  =  g.  n2; 
und  hieraus  folgt:  i /'  h 

2.  n  = 

§  19.  Der  Fall  auf  der  schiefen  Ebene.  Rollt  ein  Körper  auf 
einer  gegen  den  Horizont  geneigten  Ebene  herab ,  so  erlangt-  er 
nicht  dieselbe  Geschwindigkeit  wie  beim  freien  Fall.  Je  kleiner 
der  Neigungswinkel  der  Ebene,  um  so  langsamer  die  Bewegung, 
aber  um  so  grösser  der  Druck  des  rollenden  Körpers  auf  die 
Ebene  selbst,  Bewegung  und  Druck  stehen  also  im  entgegen- 
gesetzten Verhältnis  zu  einander,  und  zwar,  genauer  ausgedrückt, 
verhält  sich  die  Fallgeschwindigkeit  zum  Drucke  wie  die  Höhe 
der  schiefen  Ebene  zu  ihrer  Basis. 

Die  Fallgeschwindigkeit  auf  der  schiefen  Ebene  ist  gleich 
dem  Produkte  aus  der  Fallgeschwindigkeit  beim  freien  Fall  mit 
dem  Sinus  des  Neigungswinkels;  der  Druck  auf  die  schiefe  Ebene 
ist  gleich  dem  Produkt  aus  dem  Gewicht  des  Körpers  mit  dem 
Cosinus  des  Neigungswinkels.  Der  Sinus  verhält  sich  zum  Co- 
sinus wie  die  Höhe  der  schiefen  Ebene  zu  ihrer  Basis. 

Das  Gesetz  der  schiefen  Ebene  finden  wir  beim  Keil  und 
der  Schraube.     Der  Keil  stellt  eine  zweifache   schiefe  Ebene 


—     25     — 

dar,  deren  Höhe  dem  halben  Rücken,  und  deren  Länge  einer 
Seitenfläche  gleich  ist.  Treibt  man  einen  Keil  ein,  so  zwingt  man 
den  Gegenstand,  die  schiefe  Ebene  desselben  emporzusteigen.  Je 
schmaler  der  Keil,  um  so  kleiner  der  Neigungswinkel,  um  so 
geringer  die  Kraft,  die  zu  seiner  Handhabung  nötig  ist. 

Die  Schraube  lässt  sich  betrachten  als  eine  um  eine  "Walze  ge- 
zogene schiefe  Ebene,  deren  Länge  der  Umfang  der  Walze,  deren  Höhe 
die  Entfernung  zweier  Schraubengäuge  ist.  Je  näher  die  letzteren 
bei  einander  stehen,  um  so  geringere  Kraftäusserung  ist  nötig, 
die  Last  die  Schraubenlinie  hinaufzuwinden.  Daraus  folgt,  dass 
eine  Schraube  um  so  leichter  sich  anziehen  lässt,  je  enger  ihre 
Windungen  und  je  grösser  ihr  Durchmesser  ist,  aber  zugleich  er- 
fordert auch  ihre  Arbeitsleistung  mehr  Zeit. 

§  20.  Das  Pendel.  Das  Pendel  ist  ein  um  seinen  Aufhänge- 
punkt schwingender  schwerer  Punkt  (mathematisches  Pendel);  in 
der  Wirklichkeit  existieren  nur  physische  Pendel  d.  i.  an  einem 
Faden  oder  einer  Stange  aufgehängte  Körper,  deren  Schwerpunkt 
den  obengenannten  Schwingungspunkt  darstellt.  Ein  Pendel, 
dessen  Schwingung  genau  eine  Sekunde  währt,  heisst  ein  Se- 
kundenpendel; es  misst  in  Europa,  am  Meeresnfer ,  nahezu 
ein  Meter.  Da  die  Schwingungsdauer  von  der  Fallgeschwindig- 
keit abhängt,  und  diese  eine  Folge  der  Anziehungskraft  der  Erde 
ist,  so  wird  ein  Pendel  um  so  langsamer  schwingen,  je  entfernter 
es  vom  Erdmittelpunkt  ist  (auf  hohen  Bergen).  Man  benutzt 
daher  ein  Sekundenpendel  zu  Höhenbestimmungen  der  Gebirge, 
wie  man  auch  durch  die  Verschiedenheit  seiner  Schwingungs- 
dauer wahrgenommen  hat,  dass  der  Erdkörper  an  den  Polen  ab- 
geplattet ist. 

Für  das  Pendel  gelten  folgende  Gesetze*): 

1)  Kleine  Schwingungen  eines  Pendels  besitzen  gleiche  Bauer. 
Das  in  Bewegung  gesetzte  Pendel  vollzieht  seine  ersten  Schwing- 
ungen in  derselben  Zeit,  wie  die  späteren,  schwächer  werdenden. 

2)  Mit  der  Länge  des  Pendels  nimmt  die  Schtvingungsdauer  zu. 
Ein  viermal  längeres  Pendel  schwingt  doppelt  langsam,  ein  neun- 
mal längeres  dreimal  so  langsam.  Die  Schwingungszeiten  wachsen 
wie  die  Quadratwurzeln  aus  den  Pendellängen.  Man  reguliert 
eine  Pendeluhr,  deren  Gang  zu  sehr  beschleunigt  ist,  durch  Ver- 
längerung des  Pendels. 

Versuche. 
1.  Alle  Körper  fallen  gleich  schnell.    Man  schneide  eine  Scheibe 
aus  Papier,   etwas  kleiner  als   eine  Münze,  lege   sie  auf  dieses  Geldstück 
und  lasse  beide  wagerecht  auf  den  Tisch  fallen;  das  Papier  kommt  mit  der 

*)  Die  Gesetze  des  freien  Falles  und  des  Pendels  wurden  von  Galilei, 
Professor  in  Florenz,  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  entdeckt. 


—    26     — 

Münze  zugleich  auf  der  Tischplatte  an,  da  der  Luftwiderstand  durch  estere 
überwunden  ist. 

2.  Fallmaschine.  Einen  über  eine  Rolle  laufenden  Bindfaden  belaste 
man  beiderseitig  mit  Gewichtsstücken  oder  dgl.,  sodass  das  eine  bei  gelindem 
Anstoss  herunter  sinkt  urjd  das  andere  emporhebt.  Lässt  man  nun  das  erstere 
an  einem  längeren  Massstabe  herablaufen,  während  man  gleichzeitig  zu 
zählen  beginnt,  so  nimmt  man  wahr,  dass,  wenn  der  sinkende  Körper  zur 
Zurücklegung  des  ersten  Decimeters  eine  Sekunde  gebraucht,  er  in  der 
zweiten  Sekunde  drei  Decimeter,  in  der  dritten  Sekunde  deren  fünf  zurücklegt. 

Aufgaben. 

1.  Wie  tief  steht  das  Wasser  eines  Brunnens  unter  dessen  Rande,  wenn 
man  einen  herabgefallenen  Stein  erst  nach  3  Sekunden  ins  Wasser  fallen  hört? 
—  Antw.  4,9X9  =  44,1  m. 

2.  In  wieviel  Sekunden  fällt  ein  Stein  von  einer  78  m  hohen  Felswand 

herab?    —   Antw.      1/ ttt  —  4  Sekunden. 


'■VS- 


3.  Wie  verhalten  sich  die  Geschwindigkeiten,  mit  denen  ein  und  derselbe 
Körper  zwei  verschieden  geneigte,  aber  gleichhohe  schiefe  Ebenen  herabrollt? 
—  Antw.  Umgekehrt  wie  die  Längen  derselben. 

4.  Wenn  ein  Sekundenpendel  1  m  misst,  wie  lang  muss  ein  Pendel  sein, 
dessen  Schwingung  eine  halbe  Sekunde  währen  soll?  —  Antw.  1fi  m. 


7.  Der  Luftdruck  und  das  Barometer. 

§  21.  Wie  äussert  sich  die  Schwere  der  Luft?  Wie  jeder  irdische 
Körper,  so  besitzt  auch  die  atmosphärische  Luft  Gewicht.  Mit 
Luft  gefüllt  wiegt  ein  Ballon  schwerer  als  im  luftleeren  Zustande. 
Infolge  dieser  Schwere  übt  die  Luft  auf  jeden  Quadratcenti- 
meter  einen  Druck  von  1  leg  (auf  einen  Quadratzoll  etwalö  Pfund) 
aus.  Dieser  Druck  kommt  aber  nur  dort  zu  sichtbarer  Wirk- 
samkeit, wo  er  ein  sei tig  wirkt.  Yermöge  des  einseitigen  Luft- 
drucks sind  wir  imstande,  mit  dem  Stechheber  aus  einem 
Gfefässe  Flüssigkeit  herauszuziehen ;  wir  tauchen  ihn  völlig  darin 
unter  oder  saugen  ihn  voll,  verschliessen  alsdann  die  obere  Öff- 
nung mit  dem  Finger  und  heben  ihn  heraus.  Die  von  unten 
drückende  Luft  verhindert  das  Auslaufen ;  beim  Wegnehmen  des 
Fingers  fliesst  der  Inhalt  aus,  weil  der  von  unten  wirkende  Luft- 
druck durch  den  nun  auch  von  oben  wirkenden  ausgeglichen 
wird.  Aus  demselben  Grunde  vermag  sich  ein  Medizinglas,  wel- 
ches wir  mit  Wasser  völlig  anfüllen  und  verschlossen  in  um- 
gekehrter Lage  unter  Wasser  öffnen ,  nicht  zu  entleeren ,  da  der 
auf  das  äussere  Wasser  wirkende  Luftdruck  den  Druck  der  im 
Glase  befindlichen  Flüssigkeit  überwindet. 

Wie  müssen  wir  uns  die  Wirkung  des  Luftdruckes  vorstellen?  Die 
Luft  drückt  vermöge  ihrer  Spannkraft  (Tension)  von  allen  Seiten 
auf  einen  Körper ;  sie  findet  daher,  wenn  sie  allerseits  Zugang  zu 
demselben  hat,  in  der  eigenen  Festigkeit  des  Körpers  den  nötigen 


I-     27     - 

Widerstand,  um  ihn  nicht  zusammenzudrücken,  und  vermag  ihn 
wegen  ihres  allseitigen  Angriffes  auch  nicht  von  der  Stelle  zu 
rücken.  Hat  die  Luft  aber  nur  von  einer  Seite  her  Zugang  zu 
einem  Körper,  so  nimmt  man  ihren  Druck  wahr;  ruht  die  Luft 
von  oben  auf  dem  Körper,  so  vereinigt  sich  ihr  Druck  mit  der 
Wirkung  der  Schwerkraft;  drückt  sie  aber  von  der  Seite  oder  von 
unten  her  auf  den  Körper,  so  wirkt  sie  der  Schwerkraft  entgegen 
und  hebt  sie  mehr  oder  weniger  auf. 

§  22.  Was  ist  das  Barometer?  Das  Barometer*)  ist  ein  Instru- 
ment, womit  man  den  Luftdruck  misst ;  eine  zweischenklige  Glas- 
röhre, deren  längerer  Schenkel  gegen  1  m  lang  und  oben  ver- 
schlossen ,  deren  kurzer  Schenkel  dagegen  offen  ist.  Neben 
diesem  Heberbarometer  benutzte  man  früher  auch  Gefässbaro- 
meter,  bei  welchen  eine  meterlange,  oben  geschlossene  Glasröhre 
in  ein  mit  Quecksilber  gefülltes  Gefäss  eintaucht. 

Das  Barometer  wird  mit  Quecksilber  völlig  angefüllt,  welches 
beim  Umwenden  der  Röhre  durch  den  Luftdruck  am  Ausfliessen 
gehindert  wird.  Das  Quecksilber  steht  in  dem  Instru- 
mente nur  760  Millimeter  (28  Pariser  Zoll)  über  dem 
Niveau  des  andern  Schenkels  (oder  des  Gefässes);  somit  vermag 
die  Luftsäule  einer  760  mm  hohen  Quecksilbersäule  das  Gleichge- 
wicht zu  halten.  Über  dem  Quecksilber  befindet  sich  im  Baro- 
meter ein  völlig  luftleerer  Raum,  die  sog.  Toricellische  Leere.**) 

Der  Luftdruck  ist  gleich  dem  Geivichte  einer  760  mm  hohen 
Quecksilbersäule. 

Man  benutzt  das  Barometer  als  Messer  des  Atmosphären- 
drucks. Da  derselbe  je  nach  dem  Wasserdampfgehalt  und  der 
Erwärmung  des  Luftmeers  schwankt,  so  ist  auch  der  Stand  des 
Q.uecksilbers  nie  konstant.  Je  kälter  die  Luft  ist,  je  weniger 
Wasserdampf  sie  enthält,  um  so  stärker  ist  der  Druck  auf  das 
Quecksilber,  um  so  höher  der  Stand  des  Barometers.  Wir  finden 
ihn  in  unseren  Gegenden  am  höchsten ,  wenn  der  kältere  und 
trocknere  Nordostwind  weht;  er  ist  am  niedrigsten  beim  wär- 
meren ,  feuchten  Südwestwind.  Daher  dient  das  Barometer  zur 
Wetterbeobachtung.  Hat  die  Luft  sich  mit  Wasserdampf  gesättigt, 
und  das  Barometer  seinen  tiefsten  Stand  erreicht,  so  ist  baldiger 
Regen  in  Aussiebt;  nach  stattgefundener  Verdichtung  des  Wasser- 
dampfes zu  Regenwolken  steigt  aber  das  Quecksilber  im  Barometer. 

Da  mit  der  örtlichen  Erhebung  über  den  Meeresspiegel  der 
Luftdruck   abnimmt,    so   zeigt  das  Barometer  in  höher  gelegenen 

*)  Schweremesser,  von  ßapu?  (schwer)  und  (xerpov  (Mass). 
**)  Toricelli  in  Bologna  konstruierte  1644  das  erste  Barometer  und 
erklärte    die  Erscheinungen    des    Luftdrucks,    die    man  vordem   auf  einen 
.horror  vacui"  (Abneigung  vor  der  Leere)  zurückgeführt  hatte. 


28 


Fig.  15. 


Gegenden  sowie  beim  Empor- 
steigen im  Luftballon  ein  um  so 
stärkeres  Fallen,  in  je  höhere 
Luftschichten  man  sich  begiebt. 
Das  Barometer  dient  daher  auch 
allgemein  zu  Höhenmessungen. 
Das  Anero'idbarometer*)  (Fig. 
15)  besitzt  eine  kreisförmig  gebogene, 
luftleere  Metallröhre  (A  B  C),  welche 
bei  stärkerem  Druck  der  äusseren  Luft 
sich  mehr  streckt,  bei  schwächerem 
Drucke  sich  mehr  krümmt.  Diese  Be- 
wegung überträgt  die  Röhre  durch 
einen  Hebel  (E  D)  und  ein  Zahnrad 
(ik)  auf  einen  Zeiger,  der  an  einer 
Skala  den  Atmosphärendruck  anzeigt 
Der  Skala  giebt  man  die  Einteilung 
des  gewöhnlich enBarometers.  Solange 
die  Metallröhre  völlig  luftleer  bleibt, 
bewahrt  das  Anero'idbarometer  seine 
Empfindlichkeit.  Es  lässt  sich  durch 
seine  handliche  Form  sehr  bequem  zu 
Höhemnessunffen  verwenden. 


§  23.  Wie  benutzt  man  den  Luftdruck?  Man  benutzt  den  Luft- 
druck zu  einer  Reihe  von  Instrumenten,  von  denen  folgende  Er- 
wähnung verdienen : 

1.  Der  Saugheber,  eine  zweischenklige  Röhre,  deren  kür- 
zerer Schenkel  in  eine  Flüssigkeit  eingetaucht  wird,  während  man 
an  dem  längeren  saugt.  Sowie  sich  der  Heber  völlig  mit  der 
Flüssigkeit  angefüllt  hat,  lässt  er  sie  so  lange  ununterbrochen  aus 
dem  längeren  Schenkel  ausfliessen,  bis  ihr  Niveau  an  beiden  Schenkeln 
gleich  steht  oder  der  kürzere  Schenkel  nicht  mehr  in  sie  ein- 
taucht. Diese  Wirkung  des  Instrumentes  gründet  sich  darauf, 
dass  die  Flüssigkeitssäule  des  längeren  Schenkels,  als  die  schwerere, 
den  Luftdruck  überwindet  und  die  Flüssigkeit  des  kürzeren  Schen- 
kels sich  nachzieht. 

2.  Die  Saug-  und  die  Druckpumpe.  Sie  beruhen  auf  dem 
Emporheben  einer  Wassersäule  mittelst  des  Luftdrucks.  Da  das 
Wasser  13,5  mal  leichter  ist  als  das  Quecksilber,  so  vermag  der 
Atmosphärendruck  einer  Wassersäule  von  10  Meter 
(32  Fuss)  das  Gleichgewicht  zu  halten.  Auf  eine  grössere 
Höhe   kann   daher  eine  einfache  Pumpe  das  Wasser  nicht  heben. 

Die  Saugpumpe  besteht  aus  einem  (eisernen)  Cylinder, 
dem  sog.  Stiefel,  in  welchem  sich  ein  durchbohrter  Kolben  luft- 
dicht auf-  und  abbewegt.  Sowohl  der  Kolben,  als  auch  die  Basis 
des  Stiefels,    welche   durch   ein  Leitungsrohr   mit   einem  Wasser- 

*)  avaspaeiSifjs  =  luftleer. 


29 


behälter  in  Verbindung  steht,  besitzen  eine  nach  oben  bewegliche 
Klappe.  Beim  Emporziehen  des  Kolbens  steigt  das  Wasser  aus 
dem  Behälter  in  den  Stiefel ,  die  Klappe  hebend ,  um  den  im 
Stiefel  entstehenden  luftleeren  Raum  auszufüllen,  da  die  über  dem 
Kolben  befindliche  Luft  durch  die  Kolbenklappe,  welche  sich  nur 
nach  oben  öffnen  kann,  abgesperrt  ist.  Beim  Niederdrücken  presst 
sich  das  im  Stiefel  vorhandene  Wasser,  da  die  an  seinem  Grunde 
befindliche  Klappe  mittlerweile  sich  wieder  geschlossen  hat,  durch 
den  Kolben  und  dessen  Klappe  hindurch,  steigt  über  den  Kolben 
und  wird  beim  nächsten  Hube  bis  zur  Ausflussröhre  gehoben. 

Die  Druckpumpe  unterscheidet  sich  von  der  Saugpumpe 
dadurch,  dass  der  Kolben  nicht  durchbohrt,  der  Stiefel  aber  an 
seinem  unteren  Teile  mit  einer  seitlichen,  durch  eine  Klappe  ab- 
geschlossenen Steigröhre  versehen  ist,  in  welche  das  Wasser  beim 
Niederdrücken  des  Kolbens  gehoben  wird. 

Auf  der  Erscheinung  des  Saugens  beruht  auch  der  Inhala- 
tion sapparat.  Zwei  fein  ausgezogene  Glasröhren  stossen  in 
einem  rechten  Winkel  mit  ihren  Spitzen  auf  einander;  während 
die  senkrecht  stehende  Bohre  in  eine  Flüssigkeit  eintaucht,  wird 
durch  die  wagerecht  laufende  Röhre  aus  einem  Wasserkessel 
Wasserdampf  oder  aus  einem  Kautschukballon  ein  anhaltender  Luft- 
strom geleitet.  Durch  letzteren  wird  der  auf  der  senkrecht  stehen- 
den Röhre  lastende  Atmosphärendruck  geschwächt,  infolge  dessen 
die  Flüssigkeit  durch  dieselbe  emporgesogen  und  durch  den  an- 
haltenden Dampfstrom  in  einen  Sprühregen  verwandelt  wird. 

Einen  künstlich  erzeugten  Luftdruck  benutzt  man  bei  der  Spritz- 
flasche (Fig.  16).  Sie  ist  eine  gewöhnliche 
Glasflasche   mit   doppelt  durchbohrtem 
Stopfen,  durch  welchen  zwei  gebogene 


Glasröhren  geführt  sind.   Die  eine  der- 


selben endigt  dicht  unter  dem  Stopfen 
und  dient  dazu,  Luft  in  die  Flasche  zu 
blasen  ;  die  andere  reicht  bis  gegen  den 
Boden  der  Flasche,  in  die  darin  befind- 
liche Flüssigkeit.  Bläst  man  nun  in 
die  erstere  Röhre,  so  steigt  die  Flüssig- 
keit in  der  letzteren  empor  und  fliesst 
daraus  im  Strahle  aus.  Man  benutzt 
die  Spritzflasche  zum  Abspülen  von 
Krystallen,  zum  Sammeln  und  Aus- 
waschen eines  Niederschlages  auf  dem 
Filter  u.  a.  m. 


Fig.  16. 


Yersiiche. 

1.  Man  gebe  in  eine  zweischenkbge  Glasröhre  Wasser;  es  wird,  sofern 
beide  Schenkel   offen  sind,  in  beiden  gleichhoch  stehen.    Verschliesst  man 


—     30    — 

dann  den  einen  Schenkel  mit  dem  Finger  und  neigt  denselben  derartig,  dass 
alles  Wasser  in  ihn  eintritt,  so  wird  bei  aufrechter  Stellung  das  Wasser  in 
dem  Schenkel  zurückgehalten,  sofort  aber  wieder  in  den  leeren  Schenkel 
übertreten,  wenn  man  den  Finger  wegzieht.  Man  kann  denselben  Versuch 
mit  Quecksilber  wiederholen;  wendet  man  dann  aber  eine  meterlange  Röhre 
an,  so  sinkt  das  Metall  in  dem  verschlossenen  Schenkel  bis  zur  Höhe  von 
760  mm  und  lässt  über  sich  einen  luftleeren  Raum. 

2.  In  ein  200  g  fassendes  Medizinglas  gebe  man  1  g  Äther,  schwenke 
ihn  darin  um,  damit  sein  Dampf  das  Glas  ganz  erfülle,  füge  dann  10  bis 
15  g  Wasser  hinzu  und  schüttele  wohl  um,  das  Glas  mit  dem  Daumen 
fest  verschliessend;  öffnet  man  es  alsdann  in  umgewendeter  Lage  unter 
Wasser,  so  stürzt  dasselbe  geradezu  hinein  und  füllt  es  zum  grossen 
Teile  an.  (Das  Wasser  hatte  den  Atherdampf  absorbiert  und  einen  luft- 
verdünnten Raum  geschaffen,  der  darauf  vom  eindringenden  Wasser 
eingenommen  wurde.) 

Fragen. 

1.  Warum  fühlen  wir  an  unserem  Körper  den  Luftdruck  nicht?  — 
Antw.  Weil  die  in  unserem  Körper  allenthalben  vorhandene  Luft  die- 
selbe Spannung  hat  wie  die  äussere  Luft  und  ihr  das  Gleichgewicht 
hält.  —  Auf  sehr  hohen  Bergen,  wo  die  äussere  Luft  verdünnter  ist,  drängt 
die  im  Körper  befindliche  Luft  das  Blut  aus  Mund,  Nase  und  Haut. 

2.  Worauf  beruht  das  Atmen  und  Saugen?  —  Antw.  Beim  Ein- 
atmen erweitern  wir  den  Brustkorb  und  verdünnen  dadurch  die  in  der 
Brusthöhlung  befindliche  Luft,  infolge  dessen  die  äussere  Luft  durch  Mund 
und  Nase  hereindringt;  beim  Ausatmen  pressen  wir  einen  Teil  der  einge- 
schlossenen Luft  aus  der  Brusthöhlung,  indem  wir  das  Zwerchfell  und  die 
Rippen  emporziehen.  —  Beim  Saugen  verdünnen  wir  die  Luft  im  Munde, 
wodurch  der  äussere  Luftdruck  zur  Geltung  gelangt. 

3.  Wenn  bei  gewöhnlichem  Druck  (einem  Atmosphärendruck)  1  l 
Luft  1,2  g  wiegt,  wie  viel  wiegt  dasselbe  Quantum  unter  fünffachem  At- 
mosphärendruck; ?  —  Antw.  Da  unter  fünffachem  Druck  die  Dichte  fünf- 
mal grösser  ist,  so  wiegt  1  /  Luft  unter  solchem  Druck  5X1,2  =  6^. 

4.  Worauf  hat  man  bei  genauen  Barometermessungen  stets  Rücksicht 
zu  nehmen?  —  Antw.  Dass  sich  mit  der  Veränderung  des  Quecksilber- 
standes auch  das  untere  Niveau  ändert,  von  dem  ab  die  Höhe  der  Queck- 
silbersäule gemessen  wird. 


8.  Die  Luftpumpe. 

§  24.  Welches  sind  die  Teile  der  Luftpumpe?  Die  Luftpumpe, 
im  17.  Jahrhundert  von  Otto  v.  Gruerike,  Bürgermeister  von 
Magdeburg,  zuerst  konstruiert,  beruht  auf  dem  Prinzipe,  in  einem 
geschlossenen  Räume  nach  Art  des  Saugens  die  Luft  nach  und 
nach  zu  verdünnen.  Es  gelingt  aber  mit  ihr  nicht,  einen  Raum 
vollständig  luftleer  zu  machen.  Ihre  wesentlichen  Teile  sind 
folgende:  1.  der  Stiefel,  ein  metallener  Oylinder,  in  welchem 
sich  luftdicht  ein  durchbohrter  Kolben  auf-  und  abbewegt,  der 
mit  einer  nach  oben  sich  öffnenden  Klappe  geschlossen  ist; 
2.  die   Verbindungsröhre,   welche  den  Stiefel   verbindet  mit 


31 


3.  dem  Teller,  auf  welchem  der  Rezipient,   eine  Glasglocke, 
steht,  dessen  Luft  ausgepumpt  werden  soll. 

Je  nachdem  die  Yerbindungsröhre  mit  dem  Stiefel  durch  ein 
sich  nach  oben  öffnendes  Ventil  oder  durch  einen  drehbaren  Hahn 
verbunden  ist,  bezeichnet  man  die  Luftpumpe  als  eine  Ventil- 
oder  als  eine  Hahnenluftpumpe. 


Fig.  17 


Fig.  17  stellt  eine  doppelstiefelige  Ventilpumpe  vor.  D  und  S 
sind  ihre  beiden  Stiefel,  deren  Kolben  beim  Hin-  und  Herdrehen 
der  Handhaben  abwechselnd  auf-  und  niederbewegt  werden;  F 
ist  ein  Hahn,  welcher  die  Yerbindungsröhre  öffnet  und  schliesst, 
sie  auch  mit  der  äusseren  Luft  in  Kommunikation  setzen  kann; 
R  der  Rezipient  und  g  ein  eingeschaltetes  Barometer,  zur  Be- 
obachtung des  Yerdünnungsgrades  der  Luft. 

§  25.  "Wie  wird  die  Luftpumpe  gehandhabt?  Nachdem  der  Rezi- 
pient fest  auf  den  Teller  aufgesetzt  worden,  hebt  und^senkt  man 


—     32     — 

abwechselnd  den  Kolben.  Beim  Emporziehen  desselben  entsteht 
unter  ihm  im  Stiefel  ein  luftleerer  Raum,  so  dass  die  im  Rezi- 
pienten  befindliche  Luft  die  Klappe  der  Verbindungsröhre  hebt; 
nachdem  sie  eingetreten,  senkt  sich  diese  Klappe  wieder  durch 
ihr  eigenes  Gewicht.  Bei  der  Hahnenluftpumpe  hat  man  nach 
jedem  Kolbenhube  den  Hahn  so  zu  stellen,  dass  zwischen  Ver- 
bindungsröhre und  Stiefel  Kommunikation  stattfindet,  darauf  aber 
wieder  den  Hahn  zu  schliessen.  "Wird  nun  der  Kolben  wieder 
gesenkt,  so  zwingt  er  die  unter  ihm  im  Stiefel  eingeschlossene 
Luft,  durch  Öffnen  der  Kolbenklappe  zu  entweichen.  Bei  Wieder- 
holung dieses  Spieles  verdünnt  sich  die  Luft  des  Rezipienten 
immer  mehr^  was  man  am  Sinken  des  Quecksilbers  im  einge- 
schalteten Barometer  wahrnehmen  kann. 

§  26.  Welche  Versuche  kann  man  mit  der  Luftpumpe  anstellen? 
In  dem  möglichst  ausgepumpten  Rezipienten  verlöscht  eine 
brennende  Kerze,  da  ihr  der  zum  Yerbrennen  notwendige  Sauer- 
stoff entzogen  ist;  eine  Vogelfeder  fällt  darin  ebenso  schnell  zu 
Boden  wie  ein  Stück  Blei,  da  der  Luftwiderstand  fehlt;  Tiere 
(Vögel,  Mäuse)  sterben  in  kurzer  Zeit  durch  Erstickung;  eine 
bewegte  Schelle  tönt  nicht,  da  ihre  Schwingungen  nicht  fortge- 
leitet werden  können ;  lauwarmes  Wasser  siedet,  weil  kein  Druck 
mehr  auf  ihm  lastet,  der  die  Dampf bildung  zurückhält.  Der 
Rezipient  selbst  ist  durch  den  Druck  der  äusseren  Luft  auf  den 
Teller  fest  gepresst. 

§  27.  Was  ist  eine  Kompressionspumpe?  Die  Luftpumpe  in  etwas 
veränderter  Form  dient  als  Kompressjonspumpe,  um  Luft 
oder  andere  Gase  in  einen  geschlossenen  Raum  bis  zur  möglich- 
sten Verdichtung  hineinzupumpen.  Bei  einer  Hahnenluftpumpe 
mit  un durchbohrtem  Kolben  braucht  man  nur  den  Hahn  so  zu 
stellen,  dass  er  beim  Niedergänge  des  Kolbens  die  Kommunikation 
zwischen  Stiefel  und  Verbindungsröhre  herstellt;  beim  Aufgange 
schliesst  man  diese  Verbindung  und  setzt  den  Stiefel  mit  der 
äusseren  Luft  in  Kommunikation.  Dadurch  wird  beim  Empor- 
ziehen des  Kolbens  von  aussen  Luft  aufgesogen  und  diese  beim 
Niedergange  desselben  in  den  Rezipienten  gedrückt  —  Eine 
Ventilkompressionspumpe  unterscheidet  sich  von  der  Ventilluft- 
pumpe durch  entgegengesetzte  Richtung  der  Klappen,  sodass  beim 
Emporziehen  des  Kolbens  die  äussere  Luft  in  denselben  eintritt',, 
beim  Niedergange  in  den  Rezipienten  gedrückt  wird. 

Fragen. 

1.  Warum  vermag  man  nicht  den  Rezipienten  der  Luftpumpe  völlig 
luftleer  zu  machen?  —  Antw.  Weil  in  der  Durchbohrung  des  Kolbens 
beim  tiefsten    Stande  desselben  immerhin  noch  etwas  Luft  von  der  Dichte 


—     33     - 

der  Atmosphäre  zurückbleibt ,  sodass  sich  diese  beim  Emporziehen  des 
Kolbens  im  Stiefel  verbreitet.  Über  diesen  Grad  der  Verdünnung  lässt 
sich  auch  für  den  Rezipienten  nicht  hinausgehen.  In  einem  gut  ausge- 
pumpten Rezipienten  bleibt   etwa  fünfhundertfach  verdünnte  Luft  zurück. 

2.  Wieweit  kann  eine  Ventilluftpumpe  die  Luft  im  Rezipienten  ver- 
dünnen? —  Antw.  Bis  zu  dem  Grade,  dass  die  Spannung  der  Luft 
nicht  mehr  hinreicht,  die  Ventile  zu  heben.  Daher  leistet  eine  Hahnenluft- 
pumpe mehr. 

3.  Mit  welcher  Kraft  werden  zwei  Halbkugeln,  deren  Durchmesser  1  dem 
beträgt,  zusammengehalten,  nachdem  sie  luftleer  gemacht  wurden?*)  — 
—  Antw.  Die  Oberfläche  beider  Halbkugeln  ist  (nach  der  Formel  4  k  r2) 
=  31,25  qcm;  daher  der  Luftdruck  auf  beide  =  31,25  kg. 


9.  Die  Dampfmaschine. 

§28.  Worauf  gründet  sich  die  Dampfmaschine?  Durch  den  Druck 
erhöht  sich  die  Spannkraft  der  Dämpfe  nicht,  da  sie  unter  Druck 
sich  zum  Teil  verdichten,  wobei  der  restierende  Dampf  die  Span- 
nung wie  zuvor  behält;  aber  durch  Erhitzung  vermehrt  sich  ihre 
Tension  und  zwar  in  zunehmender  Progression.  Der  Wasser- 
dampf, welcher  bei  100°  C  die  Spannung  eines  Atmosphären- 
drucks besitzt,  erlangt  schon  bei  121°  die  doppelte  (von  zwei 
Atmosphären),  bei  135°  bereits  die  dreifache  (von  drei  Atmo- 
sphären), bei  145°  C  die  vierfache  Spannung  (von  vier  Atmosphären). 

Eine  grossartige  Anwendung  dieser  Dampfspannung  macht 
man  bei  der  Dampfmaschine.  Man  entwickelt  Wasserdampf, 
dem  man  durch  Erhitzung  in  einem  geschlossenen  Kessel  eine 
höhere  Temperatur  und  dadurch  eine  erhöhte  Tension  giebt,  und 
leitet  diesen  erhitzten  Wasserdampf  bald  über,  bald  unter  einen 
sich  auf-  und  niederbewegenden  Kolben,  dessen  Bewegung  man 
in  geeigneter  Weise  auf  ein  Rad  überträgt. 

§  29.     Welches  sind    die  wesentlichen  Teile   einer  Dampfmaschine? 

1.  Der  Dampfkessel, -in  welchem  das  Wasser  zum  Sieden 
erhitzt  wird.  Da  derselbe  völlig  geschlossen  ist,  so  erhöht  sich 
der  Druck  des  entwickelten  Dampfes,  und  das  Sieden  findet  in 
einer  1003  C  übersteigenden  Temperatur  statt.  Zur  Sicherheit  ist 
der  Kessel  mit  einem  Sicherheitsventil  versehen,  einer  Öff- 
nung, welche  durch  einen  einarmigen,  am  Ende  stark  beschwerten 
Hebel  geschlossen  gehalten  wird.  Die  Beschwerung  ist  derartig 
bemessen,  dass  sie  gehoben  wird,  wenn  der  eingeschlossene  Dampf 
eine  dem  Kessel  bedrohliche  Spannung  annehmen  würde. 

*)  Otto  v.  Guerike  maehte  auf  dem  Regensburger  Reichstag  1654 
zwei  kupferne  Halbkugeln  von  20  Zoll  Durchmesser  (bekannt  als  Magde- 
burger Halbkugeln)  luftleer,  welche  alsdann  von  8  Paar  Pferden  nicht  aus- 
einander gerissen  werden  konnten,  da  die  Luft  sie  mit  einer  Kraft  von 
50  Centnern  zusammenhielt. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  3 


—     34     — 

Durch  den  Dampfkessel  der  Lokomobilen  und  Lokomotiven 
führt  eine  Anzahl  wagerechter  Röhren,  welche  die  von  der  Feuerung 
erhitzte  Luft  empfangen  und  das  sie  umspülende  Wasser  zum 
Sieden  bringen. 

2.  Der  Cylinder  mit  dem  Kolben,  welcher  sich  in  jenem 
luftdicht  auf-  und  niederbewegt.  Bevor  der  Dampf  in  den  Cylinder 
eintritt,  passiert  er  das  Schieberventil,  um  abwechselnd  über  und 
unter  den  Kolben  zu  gelangen  und  diesen  dadurch  bald  herauf-, 
bald  herabzudrücken.  Der  Schieber  dieses  Yentils  wird  von  der 
Maschine  selber  geführt,  in  der  "Weise,  dass  er  den  oberen  Zu- 
gang zum  Cylinder  gerade  beim  höchsten  Stande  des  Kolbens 
öffnet,  ihn  aber  wieder  verschliesst ,  wenn  der  Kolben  unten  an- 
langt, und  zugleich  den  unteren  Zugang  öffnet,  um  nun  den 
Dampf  unter  den  Kolben  treten  zu  lassen. 

3.  Die  Übertragung  der  geradlinigen  Bewegung  des  Kolbens 
auf  die  Kurbel,  welche  ein  Rad  umdreht,  ist  verschieden.  Bei 
den  Dampfboten  und  stehenden  Dampfmaschinen  geschieht  sie 
durch  einen  zweiarmigen  Hebel,  den  sog.  Balancier. 

§  30.  Wie  unterscheidet  man  die  Dampfmaschinen?  Man  konstru- 
ierte die  ersten  Dampfmaschinen*)  in  der  Weise,  dass  man  den 
Dampf  unter  den  Kolben  treten  liess  und  nach  dessen  Hebung 
kaltes  Wasser  einspritzte,  wodurch  eine  Yerdichtung  des  Dampfes 
und  ein  verdünnter  Raum  im  Cylinder  entstand,  infolge  dessen 
der  Atmosphärendruck  den  Kolben  hinabschob.  (Diese  Maschine 
wird  die  atmosphärische  Dampfmaschine  genannt.)  Später 
verbesserte  man  sie  durch  abwechselnde  Dampfleitung,  bald  über, 
bald  unter  den  Kolben.  Je  nachdem  der  verbrauchte  Dampf  in 
einen  besonderen  Behälter,  den  Kondensator,  abgeleitet  und 
daselbst  verdichtet,  oder  in  die  Atmosphäre  abgelassen  wird,  unter- 
scheidet man  Niederdruck-  und  Hochdruckmaschinen. 
Erstere  besitzen  einen  Kondensator,  einen  kalten  Raum,  worin 
der  verbrauchte  Dampf  zu  Wasser  abgekühlt  wird;  sie  bedürfen 
keiner  so  hohen  Spannung  des  Dampfes ,  da  durch  die  Konden- 
sation dessen  Widerstand  mehr  aufgehoben  wird,  als  bei  den 
Hochdruckmaschinen,  wo  die  atmosphärische  Luft,  in  die  man 
den  verbrauchten  Dampf  leitet,  der  Kolbenbewegung  entgegen- 
wirkt. Dagegen  beanspruchen  letztere  Maschinen  weniger  Raum 
und  werden  deshalb  bei  den  Lokomotiven  benutzt. 

§  31.  Wie  misst  man  die  Spannung  des  Dampfes?  Man  misst  die 
Dampfspannung  mittelst  des  Manometers,  welcher  verschieden 

*)  Savari  baute  1688  die  erste  Dampfmaschine,  später  konstruierte 
Newkomen  die  atmosphärische  Maschine,  James  Watt  verbesserte  sie  1763 
zur  Niederdruckmaschine  und  übertrug  die  Kolbenbewegung  auf  eine  Kurbel. 


—      ÖD      — 

konstruiert  sein  kann.  Die  Metallmanometer  besitzen  eine  ge- 
bogene und  luftleere  Röhre,  welche  bei  stärkerem  Dampfdruck  sich 
streckt,  bei  geringerem  Drucke  sich  mehr  krümmt.  Ein  Zeiger, 
der  mit  den  beiden  Enden  der  Röhre  in  Kommunikation  steht, 
zeigt  den  Druck  an.  Auch  benutzt  man  als  Metallmanometer 
elastische  Metallplatten,  die  durch  den  Dampfdruck  emporgehoben 
werden  und  durch  einen  Hebel  mit  einem  Zeiger  in  Verbindung 
stehen.  —  Die  Quecksilbermanometer  sind  doppelt  gebogene, 
einerseits  geschlossene  und  mit  Quecksilber  versehene  Glasröhren, 
die  mit  ihrem  offenen  Ende  mit  dem  Dampfkessel  in  Yerbindung 
stehen;  ohne  Druck  steht  das  Quecksilber  in  beiden  Schenkeln 
gleichhoch,  es  steigt  aber  in  dem  geschlossenen  Schenkel  um  so 
höher,  je  stärker  der  Dampfdruck  auf  es  einwirkt. 

Man  berechnet  den  Dampfdruck  nach  dem  Drucke  der  At- 
mosphäre, und  redet  von  einem  zweifachen  u.  s.  w.  Atmo- 
sphärendrucke. Die  Leistung  der  Dampfmaschine  drückt  man 
gewöhnlich  in  Pferdekräften  aus;  eine  Pferdekraft  gilt  gleich 
500  Fusspfund  =  75  Kilogrammmeter  (kgm)  d.  i.  der  Kraft,  welche 
500  Pfund  1  Fuss  resp.  75  kg  1  m  hoch  in  der  Sekunde  zu 
heben  vermag. 

Man  erteilt  den  Bewegungen  der  Dampfmaschine  Gleich- 
mässigkeit  teils  durch  ein  Schwungrad,  teils  durch  Vereinigung 
zweier  Cylinder  an  derselben  Kurbel,  in  denen  die  Kolben  einen 
verschiedenen  Stand  haben. 

Um  durch  eine  zu  schnelle  Dampfen twicklung  den  Gang  der 
Maschine  nicht  ungleichmässig  zu  beschleunigen,  bringt  man  im 
Zuleitungsrohr  eine  Klappe  an,  durch  deren  teilweises  Schliessen 
weniger  Dampf  in  den  Cylinder  eintritt.  Man  lässt  die  Maschine 
selbst  diese  Klappe  handhaben ,  indem  man  mit  der  Hauptaxe 
eine  Centrifugalmaschine  verbindet,  deren  Schenkel  um  so  weiter 
auseinanderweichen,  je  schneller  die  Umdrehung  stattfindet,  und 
in  diesem  Masse  die  Klappe  schliessen. 

Fragen. 

1.  Wonach  berechnet  man  die  Leistung  einer  Dampfmaschine?  — 
Antw.  Nach  dem  Durchmesser  und  der  Höhe  des  Cylinders,  wodurch  die 
Grösse  der  der  Dampfspannung  ausgesetzten  Kplbenfläche,  sowie  dessen  Hub 
bedingt  ist. 

2.  Wie  gross  ist  der  Dampfdruck  auf  den  Kolben,  wenn  die  Spannung 
4-  Atmosphären  und  der  Durchmesser  des  Kolbens  1  in  beträgt?  —  Antw. 
Die  Kolbenfläche  beträgt  314  qcm,  der  Druck  des  Dampfes  auf  1  qcm 
=  4  kg,   also  der  Gesamtdruck  auf  den  Kolben  =   1256  kg. 


—    36     — 

C.  Erscheinungen  der  Wärme. 

10.  Von  der  Wärme. 

§  32.    Wie  entsteht  die  Wärme?   Die  Quellen  der  Wärme  sind: 

1.  Das  Sonnenlicht.  Das  Licht  besitzt  Wärmestrahlen, 
welche  um  so  mehr  von  den  Körpern  verschluckt  werden,  je 
senkrechter  sie  auffallen,  und  je  dunkler  und  unebener  die  Ober- 
fläche der  Körper  ist.  Auf  dem  Neigungswinkel  beruht  eine  der 
Hauptursachen  der  Wärmedifferenz  der  Jahreszeiten,  nächst  der 
Dauer  der  Bescheinung.  Wie  sehr  die  Farbe  Einfluss  auf  die 
"Wärmeabsorption  besitzt,  erkennen  wir  bald  daran,  dass  unter 
schwarzem  Tuche  sich  im  Sonnenlichte  die  Körper  schneller  und 
stärker  erhitzen  als  unter  weissem. 

2.  Mechanische  Kraftäusserungen.  Überall,  wo  eine 
Kraft  verbraucht  wird,  zumal  bei  der  Reibung,  beim  Zusammen- 
pressen, oder  wenn  eine  Bewegung  gestört  wird,  wie  beim  An- 
prall eines  fortbewegten  Körpers  —  entsteht  ein  entsprechendes 
Quantum  Wärme.  Bekanntlich  erzeugen  wilde  Völkerschaften  ihr 
Feuer  durch  Zusammenreiben  von  Hölzern.  Wasser  kann  man 
zum  Sieden  erhitzen,  wenn  darin  eine  Kurbel  längere  Zeit  rasch 
umgedreht  wird.  Auf  der  Erhitzung  zusammengepresster  Luft 
beruht  das  pneumatische  Feuerzeug. 

Genaue  Untersuchungen  haben  das  "Verhältnis  des  Kräfte - 
Verbrauchs  zur  Wärmebildung  —  das  sogenannte  Wärmeäqui- 
valent —  festgestellt.  Als  Wärmeäquivalent  gilt  425  hgm 
d.  h.  die  Kraft,  welche  425  hg  1  m  hoch  hebt,  vermag  sich  in  die- 
jenige "Wärmemenge  überzusetzen,  welche  1  leg  Wasser  um  1°0 
höher  erhitzt.    Eine  solche  Wärmemenge  nennt  man  eine  K  al  o  rie. 

3.  Chemische  Vereinigung.  Verbinden  sich  zwei  Kör- 
per chemisch  miteinander,  so  tritt  Erwärmung  ein,  deren  Grad 
abhängig  ist  von  der  Verwandtschaft  der  Körper  zu  einander.. 
Wir  finden  diesen  Vorgang  bei  der  Verbrennung,  welche  in  den 
meisten  Fällen  eine  feurige  Verbindung  der  Körper  mit  dem  Sauer- 
stoff der  Luft  ist.  Jedoch  kann  auch  eine  Verbrennung  der  anderen 
Medien  stattfinden,  z.  B.  feingepulvertes  Antimon  verbrennt  im 
Chlorgase,  Kupferblech  im  Schwefeldampf.  Wärmeentwicklung 
durch  chemische  Vereinigung  erzeugt  sich  auch  beim  Kalklöschen, 
wobei  der  Kalk  sich  mit  Wasser  zu  Kalkhydrat  verbindet. 

4.  Elektrizität.  Sowohl  bei  der  Vereinigung  der  beiden 
entgegengesetzten  Elektrizitäten  (beim  Blitz,  elektrischen  Funken), 
als  bei  der  Störung  der  elektrischen  Leitung  wird  Wärme  frei. 
Je  schlechter  ein  Metall  den  elektrischen  Strom  leitet,  um  so 
stärker  erhitzt  es  sich;  die  verschwundene  Elektrizität  geht  in 
Wärme  über. 


—     37     — 

§  33.  Welches  sind  die  Wirkungen  der  Wärme?  Die  Wärme  äussert 
sich  in  zweifacher  "Weise:  a)  durch  räumliche  Ausdehnung, 
b)  durch  Veränderung  des  Aggregatzustandes. 

a)  Je  mehr  ein  Körper  sich  erhitzt,  um  so  mehr  dehnt  sich 
sein  Volumen  aus ;  bei  Wärmeabnahme  verringert  es  sich  wieder. 
Diese  Ausdehnung  ist  nicht  bei  allen  Körpern  gleich;  sie  findet 
sich  am  schwächsten  bei  den  festen,  am  stärksten  bei  den  gas- 
förmigen. Die  Yergrösserung,  die  ein  Körper  bei  Zunahme  seiner 
Temperatur  um  1°  erleidet,  nennt  man  seinen  Ausdehnungs- 
co effizient.  (So  ist  der  lineare  Ausdehnungscoeffizient  des 
Eisens  =  0,0000123,  d.  i.  eine  eiserne  Stange  verlängert  sich  um 
V123000  beim  Erwärmen  um  1°.  Der  kubische  Ausdehnungs- 
coeffizient des  Olivenöls  ist  =  0,0008,  der  Luft  =  0,0036).  Die 
Ausdehnung  des  Wassers  wird  von  der  der  weingeistigen  und 
ätherischen  Flüssigkeiten  bedeutend  übertroffen.  So  zeichnen  sich 
der  Äther,  Schwefelkohlenstoff,  namentlich  aber  das  Petroleum, 
Benzin  und  der  Petroleumäther  durch  grosse  Volumvermehrung 
beim  Erwärmen  aus.  Daraus  geht  die  für  den  Apotheker  sehr 
wichtige  Kegel  hervor,  die  Standgefässe  mit  solchen  Flüssigkeiten 
nur  au  4/5  anzufüllen,  andernfalls  bei  einem  Temperaturwechsel 
Gefahr  des  Zerspringens  naheliegt. 

Mit  der  Zunahme  der  Temperatur  hält  die  Abnahme  des 
spezifischen  Gewichtes  gleichen  Schritt;  der  Körper  behält  bei 
erhöhter  Wärme  sein  Gewicht,  nimmt  aber  an  Volumen  zu,  wird 
also  relativ  leichter. 

Je  mehr  ein  Körper  sich  erwärmt,  um  so  spezifisch  leichter 
ivird  er. 

Die  Abnahme  des  spezifischen  Gewichtes  beim  Erwärmen 
sehen  wir  deutlich  am  Aufsteigen  der  unteren  Schichten  von 
Flüssigkeiten,  welche  wir  über  eine  Flamme  halten,  am  Empor- 
steigen des  Bauches  in  den  Kaminen  u.  s.  f.  Eine  Kerzen- 
flamme, in  die  schwach  geöffnete  Thür  einer  geheizten  Stube 
gehalten,  neigt  sich  dicht  über  dem  Fussboden  nach  der  Stube 
hin,  weiter  oben  aber  nach  aussen,  indem  die  kalte  Luft  unten 
herein-,  die  warme  oben  hinausgeht. 

Eine  Ausnahme  von  dieser  allgemeinen  Regel  bildet  eigen- 
tümlicherweise das  Wasser,  dessen  grösste  Dichte  bei  nahe  4° 
Wärme  liegt.  Sowohl  unter,  wie  über  dieser  Temperatur  nimmt 
das  spezifische  Gewicht  des  Wassers  ab.  Folge  davon  ist,  dass 
es  beim  Gefrieren  völlig  damit  angefüllte  Gefässe  sprengt;  dass 
ferner,  wenn  Wasser  erkaltet,  der  stetige  Wechsel  in  der  Lagerung 
der  sich  abkühlenden  Schichten  eine  Grenze  findet,  sobald  die 
unterste  Schicht  4°  Wärme  erlangt  hat.  Wir  finden  daher  diese 
Temperatur  auf  dem  Grunde   tiefer  Gewässer,   welcher  Umstand 


—    38     — 

dieselben  vor  dem  vollständigen  Gefrieren  sichert.  Eis  schwimmt 
stets  auf  kaltem  Wasser. 

b)  Bekanntlich  werden  die  festen  Körper  bei  zunehmender 
Wärme  flüssig,  d.  h.  sie  schmelzen.  Der  Schmelzpunkt 
ist  für  jeden  Körper  ein  bestimmter,  sich  stets 
gleich b<l ei bender.  Bei  weiterem  Erhitzen  geraten  die  Flüssig- 
keiten ins  Sieden,  d.  i.  sie  werden  gasförmig.  Da  beim  Sieden 
der  Luftdruck  überwunden  werden  muss ,  so  folgt  daraus ,  dass 
bei  vermindertem  Luftdruck  (auf  hohen  Gebirgen,  unter  dem 
Eezipienten  der  Luftpumpe)  das  Sieden  früher  eintritt.*) 

Eine  Flüssigkeit  siedet  in  der  Temperatur,  in  welcher  ihr  Dampf 
den  Druck  der  über  ihr  tastenden  Luft  überwindet. 

Daher  tritt  das  Sieden  viel  später  in  einem  festverschlossenen 
Kessel  ein  ,  z.  B.  im  Dampfkessel  der  Dampfmaschine ,  oder  im 
sog.  Papinschen  Topf,    worin  man  Knochen  gar  kochen  kann. 

Der  Übergang  in  Gasform  findet  übrigens  in  Gestalt  der 
Verdunstung  bei  jeglicher  Temperatur,  sogar  in  der  Kälte  statt. 
Eis  und  Schnee  verdunsten  wie  das  flüssige  Wasser.  Das  Mass 
dieser  Erscheinung  hängt  von  der  Grösse  der  Oberfläche,  sowie 
von  dem  Grade  der  Sättigung  der  darüber  liegenden  Luftschicht 
ab.  Je  mehr  wir  die  Oberfläche  einer  Flüssigkeit  vergrössern,  und 
je  weniger  gesättigt  die  über  ihr  lagernde  Luftschicht  ist  ,  eine 
um  so  stärkere  Verdunstung  findet  statt. 

.  §  34.  Was  nennt  man  latente  "Wärme?  Soll  ein  fester  Körper 
schmelzen ,  ein  flüssiger  sieden  oder  verdampfen ,  so  ist  dazu 
Wärme  notwendig.  Diese  Wärme  verschwindet  für  das  Gefühl, 
wie  für  das  Thermometer,  man  nennt  sie  daher  latente  oder 
gebundene  Wärme. 

1.  Beim  Übergange  in  einen  weniger  dichten  Aggregatsustand 
tvird   Warme  gebunden  (latent). 

Eis  beansprucht  zum  Schmelzen  soviel  Wärme,  wie  hinreichen 
würde,  eine  gleiche  Wassermenge  von  0°  auf  80°  zu  erhitzen. 

Zum  Sieden  erfordert  das  Wasser  eine  siebenmal  grössere 
Wärmemenge  als  zum  Schmelzen. 

Diejenige  Wärme ,  welche  beim  Verdunsten  gebunden  wird, 
entzieht  sich  der  Umgebung  und  kühlt  sie  ab.  Man  nennt  diese 
durch  Verdunstung  eintretende  Temperaturerniedrigung  Ver- 
dunstungskälte. Man  nimmt  sie  wahr  beim  Besprengen  der 
Strassen,  nach  einem  Hegen ,  beim  Heraussteigen  aus  dem  Bade 
u.  a.  m.  Sehr  flüchtige  Körper,  z.  B.  Äther,  rufen  ein  so  starkes 
Erkalten   hervor,    dass  die  Gefässe  sich  wie  mit  Tau  beschlagen. 

Wenn   man   lösliche    Substanzen,    z.  B.    Kochsalz,   Salpeter, 

*)  Auf  dem  St.  Bernhardhospiz,  bei  einem  Barometerstande  von  504  mm 
(20  par.  Zoll)  siedet  das  Wasser  schon  bei  92°. 


—    39    — 

Salmiak,  in  Wasser  auflöst,  so  tritt  ebenfalls  Abkühlung  ein; 
dieselbe  wird  noch  grösser,  wenn  man  statt  des  "Wassers  Schnee 
oder  Eis  anwendet,  da  diese  alsdann  beim  Schmelzen  ebenfalls 
Warme  binden.  Solche  Kältemischungen  sind  z.  B.  1  Teil 
Kochsalz  und  3  Teile  Schnee,  welche  von  0°  bis  — 17°  erkalten; 
5  Teile  Salmiak,  ebensoviel  Salpeter  und  19  Teile  Wasser,  welche 
sich  um  22  Grade  abkühlen.  Auch  Glaubersalz  mit  Salzsäure 
ruft  eine  grosse  Kälte  hervor.  Man  muss  übrigens  grössere 
Mengen  Substanzen  anwenden ,  um  die  Ausgleichung  der  Tem- 
peratur mit  der  Umgebung  möglichst  zu  verzögern. 

2.  Beim  Übergang  in  einen  dichteren  Aggregatzustand  ivird 
Wärme  frei. 

Wenn  der  Dampf  sich  wieder  verdichtet,  so  tritt  dieselbe 
Wärmemenge,  welche  zur  Dampf  bildung  verwendet  wurde,  wieder 
frei  auf.  Daher  die  Erhitzung  des  Kühlwassers  bei  der  Destillation. 
Das  nämliche  findet  beim  Gefrieren  nnd  Krystallisieren  statt;  da 
aber  zum  Schmelzen  nicht  soviel  Wärme  verbraucht  wurde  als 
zum  Sieden,  so  ist  auch  die  beim  Erstarren  frei  auftretende 
Wärme  geringer  als  bei  der  Verflüssigung  des  Dampfes. 

§  35.  Was  nennt  man  spezifische  Wärme?  Zur  Erwärmung  um 
einen  Grad  bedürfen  die  verschiedenen  Stoffe  verschiedener  Wärme- 
mengen. Man  nennt  dies  die  Wärmekapazität  oder  spezi- 
fische Wärme  der  Körper  und  nimmt  die  des  Wassers  zur 
Einheit,  welche  =  1  gesetzt  wird.  Hiernach  wurde  gefunden : 
die  spezifische  Wärme  des  Quecksilbers  =  0,03,  des  Eises  =  0,50, 
des  Wasserdampfes  =  0,47,  der  Luft  =  0,24  u.  s.  f.  Es  will  dies 
also  besagen :  Wenn  man  gleiche  Gewichtsmengen  Wasser  und 
Quecksilber  um  1°  höher  erwärmt,  so  bedarf  man  dazu  beim 
Quecksilber  nur  3/100  =  0,03  so  viel  Wärme  als  beim  Wasser; 
oder  was  dasselbe  ist,  man  kann  mit  derselben  Wärmemenge 
100  g  Quecksilber  ebenso  hoch  erhitzen  als  3  g  Wasser.  Das 
Wasser  besitzt  die  grösste  Wärmekapazität. 

Die  Bestimmung  der  spezifischen  Wärme  geschieht  mit  Hülfe 
des  Kalorimeters,  entweder  in  der  Weise,  dass  man  eine  be- 
stimmte Menge  des  zu  prüfenden  Körpers ,  von  bestimmter  Tem- 
peratur, mit  einer  gewissen  Menge  Wasser  mischt  und  dessen 
Wärmez unahine  beobachtet;  oder  dass  man  die  Menge  Wasser 
bestimmt,  welche  eine  gewisse  Quantität  Eis  liefert,  nachdem  es 
mit  dem  erwärmten  Körper  zusammengebracht  worden. 

Je  grösser  die  spezifische  Wärme  eines  Körpers,  um  so  lang- 
samer erkaltet  er  und  giebt  ein  um  so  grösseres  Quantum  Wärme 
beim  Verkühlen  ab.  Daher  erhitzt  sich  bei  der  Destillation  von 
Wasser  das  Kühlfass  viel  stärker  als  bei  derjenigen  von  Wein- 
geist oder  Äther. 


—     40    — 

§  36.  Wie  pflanzt  sich  die  Wärme  fort?  Die  Fortpflanzung  der 
Wärme  geschieht  auf  zweifache  Weise: 

1.  Durch  Leitung  von  einem  wärmeren  Körper  zu  kälte- 
ren, die  er  berührt.  Es  tritt  ein  Austausch  zwischen  beiden  ein, 
bis  in  ihnen  ein  gleicher  Wärmegrad  herrscht. 

Die  Leitung  ist  verschieden  nach  den  einzelnen  Stoffen.  Es 
giebt  gute  und  schlechte  Wärmeleiter;  zu  den  ersten  ge- 
hören vornehmlich  die  Metalle,  zu  den  letzteren  Glas,  Holz,  Seide, 
Stroh,  Papier,  Federn,  Wasser,  Luft  u.  a.  m.  Bringen  wir  einen 
guten  Wärmeleiter,  z.  B.  einen  eisernen  Draht,  an  einem  Ende  in 
eine  Flamme,  so  vermögen  wir  ihn  nicht  lange  in  der  Hand  zu 
halten,  da  er  sich  auch  auf  grössere  Entfernung  hin  erhitzt;  um- 
wickeln wir  ihn  aber  mit  Papier,  Stroh  u.  dgl. ,  oder  geben  wir 
ihm  einen  hölzernen  Griff,  so  empfinden  wir  keine  Erwärmung. 
Eine  andere  Nutzanwendung  der  schlechten  Wärmeleiter  besteht 
in  dem  Schutze  der  Eiskeller  durch  Stroh,  sowie  in  der  Beklei- 
dung unseres  Körpers,  wozu  wir  Wolle,  Baumwolle,  Seide  ge- 
brauchen und  dadurch  den  Haar-  und  Wollpelz  der  Tiere  ersetzen. 
Das  spröde  Glas  macht  durch  seine  schlechte  Wärmeleitung  in 
der  Erhitzung  besondere  Vorsicht  nötig.  Giessen  wir  siedendes 
Wasser  in  eine  leere,  kalte  Glasflasche,  so  zerspringt  sie,  wärmen 
wir  sie  aber  zuvor  durch  lauwarmes  Wasser  an,  so  beugen  wir 
der  Gefahr  des  Zerspringens  vor;  auch  darf  man  die  Flasche,  in 
welche  man  heisse  Flüssigkeiten  giessen  will,  nicht  auf  eine  Un- 
terlage von  Stein  u.  dgl. ,  sondern  auf  einen  schlechten  Wärme- 
leiter (Holz)  stellen.  Beim  Erhitzen  gläserner  Gefässe  über  direkter 
Flamme  ist  aus  demselben  Grunde  grosse  Vorsicht  geboten.  Je 
dünner  die  Glaswandung,  um  so  geringer  die  Gefahr;  Ungleich- 
heiten in  der  Dicke  sind  gewöhnlich  Ursachen  des  Zerspringens 
beim  Erwärmen.  Um  die  Erhitzung  durch  direktes  Feuer  gleich- 
massiger  zu  verteilen ,  stellt  man  das  Glasgefäss  auf  ein  Draht- 
netz oder  in  heissen  Sand  (Sandbad).  Glas-  und  Porzellangefässe 
zerspringen  aber  nicht  allein,  wenn  ohne  Vorwärmung  heisse 
Flüssigkeiten  eingegossen  werden,  sondern  auch,  wenn  sie  erhitzt 
plötzlich  mit  einer  kalten  Flüssigkeit  gefüllt  werden.  —  Poröse 
Körper,  wie  Asche,  sind  vermöge  der  vielen  Luft,  die  sie  ein- 
schliessen,  sehr  schlechte  Wärmeleiter.  Der  schlechteste  Wärme- 
leiter ist  eine  ruhige  Luftschicht  (Nutzanwendung  bei  den  Doppel- 
fenstern). 

2.  Durch  Strahlung.  Dieser  Weg  ist  ein  unmittelbarer 
Übergang  der  Wärme  auf  entfernte  Körper;  ein  in  den  Weg 
gestelltes  Hindernis  hält  die  Wärmestrahlen  ab.  Nähern  wir  uns 
einem  geheizten  Ofen,  so  fühlen  wir  dessen  Strahlung  nicht  mehr, 
wenn  wir  einen  Schirm  dazwischen  schieben. 

Die   Wärmestrahlen   pflanzen    sich    geradlinig    fort.      Glatte 


—    41     — 

Flächen  absorbieren  sie  zum  kleineren  Teil  und  reflektieren  sie 
zumeist;  rauhe,  unebene  Flächen  verschlucken  aber  mehr  "Wärme, 
als  sie  reflektieren.  In  gleichem  Masse  strahlen  nun  auch  warme 
Flächen  die  Wärme  um  so  weniger  leicht  aus,  je  glätter  sie  sind. 
(Geschliffene  Öfen  heizen  nicht  so  gut  wie  rauhe.)  Russ  und  be- 
russte  Flächen  nehmen  die  "Wärmestrahlen  am  leichtesten  an 
und  geben  sie  auch  am  leichtesten  wieder  ab. 

Versuche. 

1.  Ausdehnung  durch  die  Wärme,  a)  Eine  kleine  Retorte 
spanne  man,  mit  dem  Halse  abwärts  gerichtet  und  einige  Linien  tief  in 
ein  Schälchen  mit  Wasser  mündend,  in  einen  Retortenhalter  und  erwärme 
den  bauchigen  Teil  durch  eine  Weingeistflamme;  die  Luft  dehnt  sich  so 
stark  aus,  dass  ein  Teil  derselben  in  Blasen  entweicht.  Nach  der  Ent- 
fernung der  Flamme  zieht  sie  sich  wieder  zusammen,  das  Wasser  wird 
durch  den  äusseren  Luftdruck  in  den  Retortenhals  getrieben  und  nimmt 
den  Raum  der  entwichenen  Luft  ein. 

b)  Von  zwei  Probiercylindern,  welche  in  ccm  eingeteilt  sind,  fülle  man 
genau  10  ccm  Wasser  in  den  einen,  Weingeist  in  den  anderen,  und  bringe 
beide  in  erwärmtes  Wasser.  Beträgt  dessen  Temperatur  20°  mehr  als  die 
ursprüngliche  der  Flüssigkeiten,  ist  jene  z.  B.  40°,  diese  20°,  so  steigt  das 
Volumen  des  Wassers  um  0,1  ccm,  das  des  Weingeistes,  um  0,2  ccm.  Benzin 
dehnt  sich  dabei  um  0,3  ccm  aus. 

2.  Dichte  des  Wassers.  Ein  grösseres  Glas  fülle  man  halb  mit 
Wasser,  die  obere  Hälfte  mit  kleinzerschlagenem  Eis,  und  halte  zwei  Ther- 
mometer hinein,  den  einen  bis  zum  Boden,  den  andern  nur  bis  zur  Mitte 
des  Eises;  nach  kurzer  Zeit  zeigt  jenes  -j-  4°,  dieses  0°. 

3.  Sieden  unter  vermindertem  Druck.  Ein  Kölbchen  fülle 
man  zum  Drittel  mit  Wasser,  lasse  sieden  und  verschliesse  es  während 
des  Siedens  fest  mit  einem  Kork.  Kehrt  man  dann  das  Kölbchen  um  und 
giebt  kaltes  Wasser  oder  einen  nassen  Schwamm  auf  die  Bodenfläche,  so 
beginnt  das  Sieden  wieder  (infolge  der  durch  die  teilweise  Kondensation 
des  Wasserdampfes  eingetretenen  Druckverminderung.) 

4.  Verdunstungskälte.  In  ein  Becherglas  gebe  man  Äther,  stelle 
ein  Thermometer  hinein  und  blase  durch  eine  rechtwinklig  gebogene  Glas- 
röhre kräftig  und  anhaltend  in  die  Flüssigkeit  hinein.  Man  sieht  das 
Thermometer  sehr  schnell  sinken,  sogar  bis  unter  0°;  zugleich  beschlägt 
sich  das  Glas  aussen  stark  mit  Feuchtigkeit. 

5.  Schlechte  Wärmeleitung  des  Wassers.  Einen  ziemlich  langen 
Reagiercylinder  fülle  man  bis  gegen  den  oberen  Rand  mit  Wasser  an, 
lasse  ein  Stückchen  Eis,  welches  durch  Umwickeln  mit  Draht  schwer  ge- 
macht ist,  auf  den  Boden  gleiten  und  erwärme  nun  durch  eine  kleine 
Flamme  den  oberen  Teil  des  Wassers;  dieser  wird  ins  Sieden  geraten, 
während  das  Eis  noch  ungeschmolzen  bleibt. 

6.  Gute  Wärmeleitung  der  Metalle.  In  eine  Flamme  halte 
man  der  Quere  nach  ein  freies  eisernes  Drahtnetz;  jene  wird  wie  abge- 
schnitten erscheinen,  indem  sie  sich  durch  das  Netz  nicht  fortzusetzen 
vermag,  zufolge  der  starken  Wärmeableitung  desselben. 

Fragen. 

1.  Worauf  gründet  sich  die  Methode,  einen  festsitzenden  Glasstöpsel 
durch  Erwärmen    oder  Reiben   des  Flaschenhalses   zu  lockern?   —    Antw. 


—     42     — 

Auf  der  dabei  stattfindenden  Ausdehnung  des  Flaschenhalses,  während  der 
Stöpsel  noch  kalt  bleibt. 

2.  Warum  gelangt  ein  auf  eine  glühende  Metallplatte  gespritzter 
Wassertropfen  nicht  sofort  zur  Verdampfung,  sondern  fährt  lebhaft  zischend 
umher?  (Leydenfr ostscher  Tropfen.)  —  Antw.  Weil  er  sich  sofort 
durch  eine  Dampfschicht  von  der  Platte  trennt  und  dadurch  deren  Wärme 
nur  langsam  annimmt. 

3.  Woher  stammt  der  Tau  und  Reif?  —  Antw.  Aus  dem  in  der 
Luft  enthaltenen  Wasserdampf,  der  sich  bei  allmählicher  Abkühlung  der 
Luft  an  die  festen  Körper  der  Erdoberfläche  in  Tropfen  oder  Eisnadeln 
ansetzt.  Bei  bewölktem  Himmel  ist  die  Abkühlung  der  Luft  geringer,  es 
findet  daher  keine  Taubildung  statt. 

4.  Warum  fassen  sich  metallische  Gegenstände  stets  kalt  an?  — 
Antw.    Weil  sie  die  Wärme  der  Hand  schnell  wegleiten. 

5.  Wenn  man  1  kg  Wasser  von  30°  mit  3  kg  Wasser  von  10°  mischt, 
welche  Temperatur  besitzt  die  Mischung?  —  Antw.    15°. 


11.  Das  Thermometer. 

§  37.  Worauf  gründet  sich  das  Thermometer?  Die  Eigenschaft 
der  Körper,  beim  Erwärmen  sich  auszudehnen ,  benutzt  man  zur 
Messung  der  Wärme,  und  bedient  sich  zu  diesem  Zwecke  des 
Thermometers*).  An  der  Ausdehnung  einer  in  einer 
Glasröhre  eingeschlossenen  Flüssigkeit  misst  man 
denG-rad  der  Erwärmung.  Dabei  ist  vorzüglich  dafür  Sorge 
zu  tragen,  dass  die  zu  wählende  Flüssigkeit  eine  gleichmässige 
Ausdehnung  zeige.  Dies  thun  nun  nicht  alle  Körper,  zumal 
nicht  Flüssigkeiten  in  der  Nähe  ihres  Siedepunktes.  Die  gleich- 
massigste  Ausdehnung  besitzt  die  Luft,  daher  ist  das  Luft- 
thermometer der  genaueste  Wärmemesser,  aber  weniger  prak- 
tisch. Es  besteht  aus  einem  lufterfüllten  Kolben,  dessen  mit 
einer  engen  Glasröhre  verbundener  Hals  in  ein  mit  gefärbter 
Flüssigkeit  gefälltes  Gefäss  eintaucht  und  mit  einer  Skala  ver- 
sehen ist. 

Das  gewöhnlich  gebrauchte  Thermometer  stellt  eine  feine 
gläserne  Köhre  dar,  beiderseits  geschlossen  und  unten  in  eine 
Kugel  ausgeblasen,  zum  Teil  mit  Quecksilber  oder  rotgefärbtem 
Weingeist  gefüllt  und  darüber  luftleer**).  Sie  muss  kalibriert  d.  h. 
überall  von  gleicher  Weite  sein.  Das  Quecksilberthermo- 
meter eignet  sich  sehr  gut  zur  Messung  der  Wärme  zwischen 
dem  Gefrierpunkt  und  Siedepunkt  des  Wassers,  da  in  diesen 
Temperaturen  die  Ausdehnung  des  Quecksilbers  sehr  gleichmässig 
verläuft.     Für  den  Weingeist   stimmt   dies   nur  in  den  niedrigen 

*)  Wärmemesser,  von  d-sp[j.6c,  (warm)  und  pirpov  (Mass). 
**)  Man  bewirkt  dies,  indem  man  die  Röhre  nach  dem  Füllen  soweit 
erhitzt,  dass  der  Inhalt  überläuft,  worauf  man  sie  dann  schnell  zuschmilzt. 


—     43     — 

Temperaturen,   daher   das   Weingeistthermometer   vorzugs- 
weise zum  Messen  der  Kältegrade  dient. 

§  38.  Wie  ist  das  Thermometer  eingeteilt?  Die  älteste  Eintei- 
lung des  Thermometers  rührt  vom  Erfinder  desselben,  Fahren- 
heit  in  Danzig  (1715),  her,  welcher  sein  Instrument  in  eine 
Mischung  von  (3  T.)  Kochsalz  und  (1  T.)  Schnee  stellte  und  diesen 
Stand  zum  Nullpunkt  der  Einteilung  machte ,  während  er  den 
Siedepunkt  des  Wassers  mit  212  bezeichnete.  Das  Fahren- 
heitsche  Thermometer  ist  jetzt  noch  in  England  ausschliesslich 
im  Gebrauch. 

In  Deutschland  und  Frankreich  bedient  man  sich  noch  sehr 
häufig  des  Reaumurschen  Thermometers.  Der  Franzose  Reau  - 
mur  (gestorben  1757)  nahm  den  Punkt,  welchen  das  in  schmelzen- 
des Eis  gestellte  Instrument  zeigt,  also  den  G-efri erpunkt  des 
Wassers,  zum  Nullpunkt  und  bezeichnete  den  Siedepunkt  des 
Wassers  mit  80°,  weil  er  die  Ausdehnung  des  Weingeistes,  dessen 
er  sich  bediente ,  von  1000  Teilen  auf  1080  Teile  bestimmte. 
Gleiche  Grade  brachte  er  unter  0°  an,  nannte  sie  „Kältegrade" 
und  unterschied  sie  durch  Yorsetzung  des  Zeichens  ( — )  von  den 
„Wärmegraden"  über  0°,  mit  dem  Zeichen  (+). 

In  der  Wissenschaft  bedient  man  sich  jetzt  der  Einteilung 
nach  dem  Schweden  Celsius,  welcher  gleichfalls  den  Gefrier- 
punkt des  Wassers  zum  Nullpunkt  machte,  den  Abstand  zwischen 
dem  Gefrier-  und  Siedepunkt  aber  in  100  Grade  einteilte.  Diese 
Centesimaleinteilung  wurde  in  allen  wissenschaftlichen  Werken 
angenommen,  und  gilt  auch  für  die  Angaben  der  Pharmacopoea. 

Will  man  bezeichnen,  welche  Gradeinteilung  man  gebraucht, 
so  setzt  man  hinter  die  Zahl  das  Zeichen  F  für  Fahre nheitsche, 
R  für  Reau  mur  sehe,  C  für  Celsius  sehe  Grade.  Die  Umrech- 
nung derselben  ist  nicht  schwierig,  wenn  man  bedenkt,  dass  4 
Reau  mur  sehe  Grade  =  5  Celsius  sehen  sind,  da  80°  R 
=  100°  C.     Daraus  gehen  die  Regeln  hervor: 

1.  Man  verivandelt  Beaumursche  Grade  in  Celsiiissche,  tvenn 
man  sie  mit  5  multipliziert  und  durch  4  dividiert. 

2.  Man  verivandelt  Celsiussche  Grade  in  Beaumursche ,  wenn 
man  sie  mit  4  multipliziert  und  durch  5  dividiert. 

Die  Umrechnung  der  Fahrenheitschen  Grade  erfordert  weitere 
Rerücksichtigungen ,  da  der  Nullpunkt  des  Fahrenheit- 
schen Thermometers  nicht  mit  dem  Nullpunkte  des 
Reaumurschen  und  Celsiusschen  zusammenfällt.  Der 
Nullpunkt  Fahrenheits  liegt  bei  —  14°  R  oder  — 17,5°  C; 
der  Nullpunkt  von  Reaumur  und  Celsius  bei  32°  F.  Ton 
da  ab  giebt  es  bis  zum  Siedepunkt  des  Wassers  (212°  F)  180 
Grade  nach  Fahrenheit.     Es  sind  also  9  Fahrenheitsche 


—    44     — 

Grade  gleich  5  Celsius  sehen  und  4  ßeaumur  sehen. 
Will  man  daher  Fahr en hei tsche  Grade  umrechnen,  so  gilt  fol- 
gende Regel: 

3.  Man  verwandelt  Fahrenheitsche  Grade  in  Celsiussche  resp. 
JReaiimursche,  indem  man  von  jenen  32  subtrahiert  und  den  Best  mit 
5/9  resp.  4/9  multipliziert.  - —  Man  verwandelt  Celsiussche  resp.  Re- 
aumursche  Grade  in  Fahrenheitsche,  indem  man  sie  mit  9/5  resp. 
%  multipliziert  und  schliesslich  32  dazu  addiert. 
Vergleichende  Tabelle. 
Reaumur  Celsius  Fahrenheit 

—  32  o  —     40  °  — 

-  14°  —     17,5°  0° 

0  °                                       0  °  32  ° 

+     8°  +10°  50° 

-f  16°  +20°  68° 

+  24°  +30°  86° 

+  32°  +40°  104° 

4-40°  +50°  122° 

+  80  °  -f-  100  °  212  ° 

§  39.  Wie  bestimmt  man  hohe  Hitzegrade?  Wahrend  man  sehr 
niedrige  Temperaturen  durch  das  Weingeistthermometer  richtig  be- 
stimmen kann,  da  der  Weingeist  noch  nicht  zum  Gefrieren  ge- 
bracht wurde  (das  Quecksilber  gefriert  bei  —  40  °  C  =  32  °  R), 
ist  es  dagegen  äusserst  schwierig,  sehr  hohe  Hitzegrade  annähernd 
genau  zu  bestimmen.  Weil  das  Quecksilber  bei  +  360°  C  siedet, 
kann  man  das  Quecksilberthermometer  nur  bis  300°  mit  Sicher- 
heit gebrauchen.  Für  höhere  Temperaturen  ist  man  auf  das  Luft- 
thermometer angewiesen.  Auch  bedient  man  sich  der  Platinstangen, 
deren  lineare  Ausdehnung  die  Hitze  abschätzt,  da  das  Platin 
erst  in  sehr  hoher  Temperatur  schmilzt.  Wedgwood  hatte  ein 
sog.  Pyrometer  konstruiert,  indem  er  Thonstückchen  zwischen 
zwei  nach  unten  sich  nähernden  Linealen  hinabgleiten  liess.  Der 
Thon  sintert  nämlich  in  der  Hitze  zusammen  und  gleitet  um  so 
tiefer  herab,  je  höher  die  Temperatur  steigt.  (1  °  W  ist  anfangendes 
Glühen,  etwa  500°  C;  5°  W  ist  Rotglühhitze,  9°  W  Weissglüh- 
hitze.)    Dieses  Instrument  giebt  aber  nur  unsichere  Resultate. 

Nach    der  Farbe    des   glühenden   Eisens   unterscheidet  man: 

1.  dunkle  Rotglühhitze  (Kirschrotglühhitze),  etwa  bei  500°; 

2.  helle  Rotglühhitze  und  3)  Weissglühhitze,  etwa  bei 
1000°  C. 

Versuche. 
Luftthermometer.  Durch  den  Korkstopfen  einer  zur  Hälfte  mit 
Glycerin  gefüllten  Flasche  werde  eine  beiderseits  offene  Glasröhre  luftdicht 
bis  nahe  zum  Boden  geführt.  Der  Stopfen  werde  dann  mit  Siegellack 
überzogen,  sodass  die  Flasche  luftdicht  verschlossen  ist.  Bei  steigender 
Temperatur  dehnt  sich  die  in  ihr  eingeschlossene  Luft  aus  und  drückt  das 
Grlycerin  in  die  Glasröhre  empor.     Die  Erwärmung   durch  die  Hand  reicht 


—    45    — 

schon  hin,  dasselbe  weit  emporzutreiben.     (Man  färbe   das  Glycerin  durch, 
etwas  Kupferlösung  blau,  um  seinen  Stand  besser  beobachten  zu  können.) 

Aufgaben. 

1.  Wie  lange  zeigt  das  Thermometer  0°,  wenn  man  es  in  schmelzen- 
des Eis  resp.  Schnee  bringt?  —  Antw.  So  lange,  bis  alles  Eis  ge- 
schmolzen ist. 

2.  Wieviel  Celsius  sehe  Grade  besitzen  die  heissen  Quellen  v»n 
Gastein  und  Ems,  wenn  erstere  38°  R,  letztere  45  °  R  zeigen?  —  Antw. 
Erstere  47,5  °  C,  letztere  56,25  °  C. 

3.  Wieviel  Reaumursche  Grade  besitzen  die  heissen  Quellen  von 
Wiesbaden  und  Wildbad,  wenn  erstere  70  °  C,  letztere  37  °  C  zeigen?  — 
Antw.  Erstere  56°  R,  letztere  29,6°  R. 

4.  Wieviel  Reaumursche  Grade  sind  59°  F?  -  Antw.  (59—32) 
%  =  +  12  o  R. 

5.  Wieviel  Celsiussche  Grade  sind  12°  F?  —  Antw.  (12—32) 
s/9  =  —  10  °  C. 


12.  Destillation  und  Sublimation. 

§  40.  Destillation  und  Sublimation.  Lassen  wir  die  Yerflüch- 
tigung  eines  Körpers  in  geschlossenen  Gefässen  vor  sich  gehen, 
welche  die  Dämpfe  desselben  ableiten  nnd  durch  Abkühlung 
wieder  verdichten,  so  nehmen  wir  eine  Destillation  vor,  so- 
fern die  Dämpfe  sich  zu  einer  Flüssigkeit  verdichten,  —  dagegen 
eine  Sublimation,  wenn  die  Dämpfe  in  den  festen  Aggregat- 
zustand übergehen. 

Man  vollzieht  die  Destillation  zur  Abscheidung  flüchtiger 
Flüssigkeiten  von  nichtflüchtigen;  häufig  wird  zum  Zwecke  der 
Reinigung  die  destillierte  Flüssigkeit  nochmals  der  Destillation 
unterworfen.  Man  nennt  alsdann  diese  zweite  Destillation  eine 
Rektifikation  und  spricht  von  einer  rektifizierten  Flüssigkeit. 

Bei  jeder  Destillation  kommen  folgende  Gerätschaften  in  An- 
wendung : 

1.  Ein  Gefäss,  worin  die  Flüssigkeit  zum  Sieden  erhitzt  wird. 
Bei  metallenen  Geräten  bedient  man  sich  der  sog.  Destillier- 
blase (vesica),  deren  Mündung  mit  dem  sog.  Hut  oder  Helm 
(alembicus)  verschlossen  wird;  jene  besteht  aus  Kupfer,  wenn  die 
Destillation  über  freiem  Feuer  stattfindet;  sonst  ist  Zinn  das  für 
Blase  und  Helm  angewandte  Metall.  Bei  gläsernen  Geräten  ver- 
wendet man  Retorten  (retortae),  gläserne  Ballons  mit  seitlich 
zurückgebogenem  Rohr ;  ist  der  Ballon  mit  einer  verschliessbaren 
Öffnung  (tubulus)  versehen ,  so  nennt  man  die  Retorte  eine 
tubulierte.  (Fig.  18r). 

2.  Eine  Röhre,  in  welcher  sich  der  Dampf  durch  Abkühlung 
verdichtet  —  das  sog.  Kühlrohr.  Dasselbe  verläuft  durch  einen 
mit  kaltem  Wasser  gefüllten  Behälter,  das  Kühlfass.  Retorten 
verbindet  man  mit  dem  nach  Lieb  ig  benannten  Kühler  (Fig.  18b), 


-     46     - 


Fig.  18. 

der  unten  mit  einer  Zuflussröhre  (d)  für  kaltes  Wasser,  oben  mit 
einer  Abflussröhre  (c)  für  das  erhitzte  "Wasser  versehen  ist  und 
dadurch  einen  anhaltenden  Strom  kalten  Wassers  erlaubt.  Leicht 
verdichtbare  Dämpfe  gestatten  den  Wegfall  des  Kühlgefässes,  in- 
dem man  die  Retorte 
direkt  mit  einem  Kol- 
ben (Cucurbita)  ver- 
bindet, jedoch  so,  dass 
zwischen  der  Retorten- 
röhre und  dem  Kolben- 
halse ein  luftdichter 
Verschluss  stattfindet. 
Fig.  19.  (Fig.  19.) 

3.  Ein  Gefäss  zur  Aufnahme  der  verdichteten  Flüssigkeit, 
die  sog.  Vorlage  (ex&'pulum)  (Fig.  18f).  Wird  im  Laufe  der 
Destillation  die  Vorlage  gewechselt,  um  eine  Trennung  des 
Destillates  zu  bewerkstelligen,  so  heisst  die  Destillation  eine 
faktionierte. 

Die  Erhitzung  des  Destillationsgefässes  kann  geschehen: 
a)  Über  freiem  Feuer,  unbedenklich  bei  kupfernen  Destil- 


—     47     — 

lierblasen,  gefährlich  bei  Retorten.  Man  vermindert  die  Gefahr  des 
Zerspringens  indem  man  die  Retorte  auf  ein  Drahtnetz  setzt,  welches 
die  Wärme  gleichmässig  verteilt.  Übrigens  dürfen  die  Re- 
torten nur  dann  über  freiem  Feuer  erhitzt  werden, 
wenn  ihr  Inhalt  keine  festen  Substanzen  besitzt. 

b)  Aus  dem  Sandbade,  d.  i.  aus  einer  Schicht  erhitzten 
Sandes,  in  welche  man  die  Retorte  teilweise  einsenkt.  Stets  die 
sicherste,  wennschon  zeitraubendere  Methode.     (Fig.  18  d.) 

c)  Aus  dem  Wasser-  oder  Dampfbade,  d.  i.  aus  oder 
über  siedendem  Wasser,  worin  resp.  worüber  die  Retorte,  Destil- 
lierblase oder  der  Kolben  gehängt  ist.  Hierbei  kann  die  Erhitzung 
den  Siedepunkt  des  Wassers  nicht  übersteigen ,  daher  nur  die- 
jenigen Flüssigkeiten,  welche  leichter  flüchtig  sind  als  Wasser, 
aus  dem  Wasserbade  sich  destillieren  lassen,  z.  B.  Weingeist,  Äther. 

Der  in  pharmazeutischen  Laboratorien  gebräuchliche  Bein- 
dorfsche  Dampfapparat  besteht  aus  einem  grösseren  Wasser- 
kessel von  Kupferblech,  unter  welchem  die  Feuerstätte  sich  befin- 
det, die  das  Wasser  in  ihm  zum  Sieden  bringt.  In  diesem  Wasser- 
kessel hängt  eine  zinnerne  Destillierblase,  die  mit  jenem  durch  ein 
Dampfleitungsrohr  in  Yerbindung  gesetzt  werden  kann.  Dieses 
Dampfrohr  endigt  dicht  über  dem  Boden  der  Blase,  unter  einem 
perforierten  Zwischenboden ,  auf  welchen  bei  der  Bereitung  der 
destillierten  Wässer  die  Substanzen  gebracht  werden.  Die  im 
kupfernen  Kessel  entwickelten  Wasserdämpfe  gelangen  durch  das 
Rohr  auf  den  Boden  der  Blase  und  sind  gezwungen,  die  auf  dem 
Zwischenboden  lagernden  Substanzen  zu  durchdringen  und  deren 
flüchtige  Teile  aufzunehmen.  Der  Blase  ist  ein  zinnerner  Helm 
aufgesetzt,  der  in  das  Kühlrohr  leitet.  Wendet  man  das  Dampf- 
leitungsrohr  und  den  Zwischenboden  nicht  an ,  so  kann  man  die 
Blase  zur  Destillation  von  Flüssigkeiten  aus  dem  Wasserbade  be- 
nutzen; alsdann  öffnet  man  eine  besondere  Ableitungsröhre,  für 
die  Dämpfe  des  äusseren  Wasserkessels ,  zur  gleichzeitigen  Ge- 
winnung destillierten  Wassers. 

Zur  Sublimation  benutzt  man,  wie  beim  Jod,  eine  Re- 
torte nebst  Yorlage,  an  deren  Wände  das  Sublimat  sich  ansetzt; 
oder,  wie  beim  Kampfer  und  Salmiak,  einen  Kessel  mit  gewölbtem 
Deckel,  an  dessen  Unterseite  ein  kompakter  Kuchen  ansublimiert. 
Beim  Schwefel  werden  die  in  einem  Kessel  entwickelten  Dämpfe 
seitwärts  in  eine  grosse ,  kalte  Kammer  geleitet ,  an  deren  Wan- 
dungen sie  sich  als  feiner  Staub  (Schwefelblumen)  absetzen. 

Versuche. 

1.  In  eine  kleine  Glasretorte  bringe  man  eine  Mischung  von  20  g 
Spiritus  aethereus  und  30  g  Wasser  und  verbinde  sie  lose  mit  einem  kleinen 
Kolben  nacb  Art  der  Fig.  19.  Während  man  den  Kolben  mit  einem  nassen 
Tuche  bedeckt,   senke  man  die  Retorte  in  lauwarmes  Wasser;   es  wird 


-    48     — 

eine  kleine  Quantität  Äther  überdestillieren  und  sich  im  Kolben  verdichten. 
Wenn  keine  Tropfen  mehr  übergehen,  entleere  man  den  im  Kolben  ange- 
sammelten Äther  und  erneuere  die  Destillation,  jedoch  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  man  nun  die  Retorte  in  oder  über  siedendes  Wasser  hänge. 
Es  werden  nun  neue  Quantitäten  übergehen,  die  sich  als  Weingeist  er- 
weisen. Nach  einiger  Zeit  hört  die  Destillation  wieder  auf  und  in  der 
Retorte  finden  wir  reines  Wasser  als  Rückstand  vor. 

2.  In  einem  trocknen  Kölbchen  erhitze  man  eine  Messerspitze 
Schwefelblumen  gelinde.  Der  Schwefel  gerät  zuerst  in  Fluss,  dann  ver- 
dampft er  und  beschlägt  die  obere  Kolbenwandung  mit  einem  gelben, 
feinen  Sublimate.  Wiederholt  man  den  Versuch  mit  Jod,  so  bemerkt  man, 
wie  der  violette  Joddampf  im  kälteren  Teile  des  Kölbchens  sich  in  dunklen 
Kryställchen  ansublimiert. 

Fragen. 

1.  Was  bezwecken  Destillation  und  Sublimation?  —  Antw.  Die  Rein- 
darstellung eines  flüchtigen  Körpers.  Somit  lassen  sich  Destillation  und 
Sublimation  mit  der  Krystallisation  vergleichen,  jene  bewirken  bei  den 
flüchtigen  Stoffen  dasselbe,  was  die  letztere  bei  den  krystallisierbaren. 

2.  Wie  trennt  man  zwei  Flüssigkeiten  von  verschiedener  Flüchtig- 
tigkeit?  —  Antw.  Man  erhitzt  die  Retorte  resp.  Destillierbla.se  vorsichtig 
in  der  Weise,  dass  die  leichter  flüchtige  Flüssigkeit  vollständig  abdestilliert, 
bevor  die  schwerer  flüchtige  zum  Sieden  gelangt.  Aus  dem  Wasserbad 
kann  man  z.  B.  vom  Weine  den  Weingeist  vollständig  abdestillieren, 
während  die  wässerigen  Teile  in  der  Blase  zurückbleiben. 

3.  Ist  aber  diese  Scheidung  eine  vollständige  und  wie  kann  sie  zu 
einer  vollständigen  gemacht  werden?  —  Antw.  Da  beim  Übergehen  der 
leichter  flüchtigen  Flüssigkeit  stets  ein  Teil  der  schwerer  flüchtigen  zu- 
gleich verdampft,  so  enthält  das  Destillat  stets  mehr  oder  weniger  von 
der  schwerer  flüchtigen  Flüssigkeit.  Nur  durch  eine  (oft  mehrfach)  wieder- 
holte Destillation  (Rektifikation)  kann  letztere  abgetrennt  werden. 


D.  Erscheinungen  der  Schwingung. 

13.  Vom  Schall. 

§  41.  Wodurch  entsteht  der  Schall?  Die  Ursache  des  Schalles 
liegt  in  der  Schwingung  der  Körper;  um  aber  einen  Schall 
hervorzurufen,  muss  die  schwingende  Bewegung  einen  gewissen 
Grad  von  Geschwindigkeit  besitzen.  Zur  Erzeugung  eines  Tones 
ist  erforderlich ,  dass  der  tönende  Körper  in  der  Sekunde  minde- 
stens 15  Schwingungen  macht. 

Die  Schwingungen  eines  Körpers  verbreiten  sich  nach  Art 
von  Wellen;  die  Schallschwingungen  nennt  man  Schallwellen. 
Sie  pflanzen  sich  teils  wie  die  Wellen  des  bewegten  Wassers 
fort  (transversale  Schwingungen) ,  wobei  wir  Wellenberge  und 
Wellenthäler  unterscheiden ,  teils  schwingen  die  Teilchen  in  der 
Schallrichtung  selber  hin  und  her  (longitudinale  Schwingungen). 
Ersterer  Art  sind  die  Schallwellen  bei  den  festen  und  flüssigen 
Körpern,  letzterer  Art  die  der  Luft.     Bei  dieser  finden  wir  daher 


-     49    — 

keine  Wellenberge  und  Wellenthäler,  sondern  abwechselnde  Ver- 
dichtungen und  Verdünnungen  (der  Luft). 

Die  Wellenbewegung  ist  an  sich  keine  fortschreitende, 
sondern  scheint  nur  fortzuschreiten ;  die  einzelnen  Körperteilchen 
schwingen  hin  und  her ,  vollziehen  dabei  einen  Kreis  oder  eine 
Ellipse,  bei  den  transversalen  Schwingungen  senkrecht  zur  Schall- 
richtung, bei  den  longitudinalen  dagegen  in  dieser  Richtung 
selbst.  Jedes  schwingende  Teilchen  versetzt  das  nächstfolgende 
durch  Anstoss  ebenfalls  in  Schwingung,  letzteres  befindet  sich 
aber  wegen  des  späteren  Beginnes  nicht  in  demselben  Schwingungs- 
stadium wie  das  vorhergehende,  sondern  sein  Schwingungsstadium 
folgt  ihm  etwas  nach.  Das  geht  so  fort  von  Teilchen  zu  Teilchen, 
sodass  in  gewissen  Abständen  die  schwingenden  Teilchen  im 
entgegengesetzten  Stadium  stehen,  d,  i.  die  einen  am  höchsten 
über  der  Schalllinie,  die  anderen  am  tiefsten  unter  derselben. 
Jene  bilden  dann  den  Wellenberg,  diese  das  Wellenthal.  Indem 
nun  jedes  Teilchen  bald  über,  bald  unter  die  Schalllinie  gelangt, 
folgen  sich  die  Wellenberge  und  Wellenthäler,  wodurch  das  schein- 
bare Fortschreiten  der  Wellenbewegung  entsteht;  sie  schreitet 
also  an  sich  nicht  fort,  wovon  man  sich  auch  leicht  dadurch 
überzeugt,  dass  ein  Stock,  der  in  Wellen  schlagendem  Wasser 
schwimmt,  kaum  von  der  Stelle  kommt,  aber  teilweise  gehoben 
und  gesenkt  wird.  —  Bei  den  longitudinalen  Schwingungen 
schallender  Luft  bewegen  sich  die  Luftteilchen  in  der  Schalllinie 
abwechselnd  hin  und  her  und  erzeugen,  wenn  dieselbe  aufeinander 
zukommen,  Luftverdichtungen ;  wenn  sie  sich  aber  von  einander 
entfernen,  Luftverdünnungen.  Jene  entsprechen  den  Wellenbergen, 
diese  den  Wellenthälern. 

§  42.  Wovon  hängt  die  Höhe  des  Tones  ab?  Die  Dauer  der  ein- 
zelnen Schwingungen  bedingt  die  Tonhöhe. 

1.  Je  schneller  die  Teilchen  schivingen,    um  so  höher  tönen  sie. 
Wir  können  uns  davon  leicht   überzeugen ,  wenn  wir  über 

eine  gespannte  Yiolinseite  streichen.  Je  gespannter  die  Seite,  je 
dünner  und  leichter  sie  ist,  um  so  höher  klingt  der  Ton,  weil  ihre 
Teilchen  dann  vermöge  grösserer  Elasticität  schneller  die  Schwing- 
ungen vollziehen.  Desgleichen  giebt  eine  Trompete  einen  um  so 
höhern  Ton,  je  kräftiger  in  sie  hineingeblasen  wird. 

2.  Jeder  Ton  besitzt  die  doppelte  Schwingungszahl  seiner  tieferen 
Oktave. 

Das  Verhältnis  der  Schwingungszahlen  in  den  Tönen  der 
Tonleiter  ist  folgendes :  Nehmen  wir  an ,  der  Ton  C  mache  40 
Schwingungen  in  einem  gewissen  Zeitabschnitt,  so  machen  die 
Töne;  E  50,  G  60  und  C  80  Schwingungen  in  der  nämlichen  Zeit. 
Die  Terz  macht  mithin   den   vierten  Teil ,   die  Quinte   die  Hälfte 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  4 


—     50     - 

der  Schwingungen  mehr  als  der  Grundton,   und  die  Octave  die 
doppelte  Zahl. 

§  43.  Wie  wirken  die  verschiedenen  Instrumente?  Wir  unter- 
scheiden : 

1.  Saiteninstrumente,  z.  B.  Violine,  Guitarre,  Laute, 
Zither,  Harfe,  Pianoforte.  Bei  ihnen  wird  der  Ton  hervorgerufen 
durch  die  transversalen  Schwingungen  der  Saiten  und  fortgeleitet 
durch  die  longitudinalen  Schwingungen  der  Luft. 

2)  Scheibeninstrumente,  z.  B.  Glocke,  Schelle,  Trommel. 
Der  Ton  entsteht  durch  die  transversalen  Schwingungen  von  Flächen 
und  wird  fortgeleitet  durch  die  longitudinalen  Luftschwingungen. 

3.  Blasinstrumente,  z.  B.  Flöte,  Trompete,  Klarinette, 
Orgel.  Der  Ton  entsteht  durch  die  longitudinalen  Schwingungen 
der  Luft,  die  man  teils  als  schmalen  Strom  einbläst,  wie  bei  der 
Flöte  und  Trompete,  teils  durch  ein  elastisches  Metallplättchen, 
wie  bei  der  Clarinette,  ins  Schwingen  versetzt,  der  eingeblasene 
Luftstrom  wird  infolge  der  Schwingungen  des  Plättchens  ab- 
wechselnd unterbrochen.  Bei  der  Orgel  wirken  die  Lippenpfeifen 
nach  ersterer,  die  Zungenpfeifen  nach  letzterer  Art. 

Die  menschliche  Stimme  lässt  sich  auf  die  Zungenpfeifen 
zurückführen  und  entsteht  durch  die  Schwingungen  der  ausge- 
atmeten Luft,  welche  zwischen  den  in  der  Stimmritze  straff  an- 
gezogenen, elastischen  Stimmbändern  durchgeht.  Die  Artikulation 
der  Sprache  geschieht  dann  durch  den  Gaumen,  die  Zunge,  Zähne 
und  Lippen. 

Zur  Verstärkung  des  Tones  sind  die  meisten  Instrumente  mit 
einem  Resonanzboden  versehen,  dessen  Mittönen  die  den 
Schall  fortleitenden  Luftschwingungen  verstärkt.  Bei  den  Saiten- 
instrumenten dient  der  elastische  Holzkasten  als  Besonanzboden, 
bei  der  Trommel  das  Gestell,  bei  den  Blasinstrumenten  die  Holz- 
resp.  Metallröhre,  bei  den  Kirchenglocken  der  Glockenturm. 

§  44.  Wie  wird  der  Schall  fortgepflanzt?  Der  durch  Schwing- 
ungen von  Saiten,  Flächen  oder  Luftschichten  erzeugte  Ton  pflanzt 
sich  in  geradliniger  Richtung  durch  die  Luft  fort.  Ein  luftleerer 
Raum  leitet  daher  den  Schall  nicht.  Die  Schallwellen  verbreiten 
sich  vom  tönenden  Körper  nach  allen  Seiten  hin,  aber  mit  stetig 
abnehmender  Kraft,  infolge  der  Zerstreuung.*) 

Je  dichter  die  Körper  sind,  um  so  besser  leiten  sie  den  Schall 
fort ;  am  stärksten  also  thun  dies  die  festen  Körper,  im  geringeren 
Masse  die  Flüssigkeiten ,  am  schlechtesten  die  Luft.  Man  kann 
sich  hiervon  durch  einen   einfachen  Versuch   überzeugen  ,  indem 

*)  Die  Intensität  nimmt  im  quadratischen  Verhältnis  der  Entfernung 
ab;  ein  Ton  Wird  in  doppelter  Entfernung  nur  in  Viertelstärke  vernommen, 

APR  30  1917 


—     51     - 

man  einen  eisernen  Stab  an  dem  einen  Ende  mit  zwei  Fäden 
versieht,  die  man  mit  dem  Finger  ins  Ohr  führt;  wenn  man  den 
Stab  durch  Anstossen  an  eine  Metallfläche  ins  Tönen  versetzt, 
vernimmt  man  einen  Ton  wie  von  einer  Glocke. 

Der  Schall  legt  in  der  Luft  338  Meter  (1080  Fuss)  in  der 
Sekunde  zurück. 

Da  das  Licht  die  irdischen  Entfernungen  in  kaum  messbarer 
Geschwindigkeit  zurücklegt,  so  lässt  sich  die  Entfernung  einer 
abgefeuerten  Kanone,  eines  Blitzes  u.  dgl.  leicht  an  der  Zeit- 
differenz berechnen  zwischen  dem  Aufleuchten  und  dem  Ver- 
nehmen des  Donners. 

Durch  das  Mittönen  von  Flächen,  gegen  welche  die  Schall- 
wellen anschlagen,  entsteht  der  Nachhall  und  der  Wied er- 
hall. Ist  nämlich  die  getroffene  Fläche  weniger  als  19  m 
(60  Fuss)  vom  tönenden  Körper  und  unserem  Ohre  entfernt,  so 
vermischt  sich  der  von  ihr  reflektierte  Schall  mit  dem  direkt  vom 
tönenden  Körper  in  unser  Ohr  gelangenden  —  es  geht  daraus 
eine  Verstärkung  des  Tones,  der  sog.  Nachhall,  hervor.  Be- 
findet sich  die  reflektierende  Fläche  aber  weiter  als  19  m  vom 
tönenden  Körper  und  unserem  Ohre  entfernt ,  so  vernehmen  wir 
den  reflektierten  Ton  gesondert  und  nennen  ihn  Wiederhall, 
Echo.  Liegen  mehrere  Flächen  an  verschiedenen,  je  19  m 
von  einander  entfernten  Orten,  so  wiederholt  sich  das  Echo.  Je 
nach  der  Silbenzahl,  welche  das  Echo  wiedergiebt,  unterscheiden 
wir  ein  einsilbiges  und  mehrsilbiges  Echo;  grössere 
Entfernungen  verursachen  ein  mehrsilbiges  Echo. 

Zur  Direktion  des  Schalles  nach  einer  bestimmten  Richtung, 
um  ihn  daselbst  stärker  wirken  zu  lassen,  bedient  man  sich  des 
Sprachrohrs,  einer  geraden,  kegelig  sich  erweiternden  Röhre. 

§  45.  Wie  hört  man  den  Schall?  Das  Hören  der  Schallwellen 
ist  ein  Akt  der  Gehörnerven  und  geschieht  im  Ohre.  Die  wesent- 
lichen Teile  des  menschlichen  Ohres  sind: 

1.  Das  äussere  Ohr,  bestehend  aus  der  Ohrmuschel  und 
dem  Hörgange,  welcher  kurz  und  gewunden  ist. 

2.  Das  innere  Ohr,  vom  äusseren  durch  eine  elastische,  ge- 
spannte Haut,  das  Trommelfell,  geschieden.  In  seiner  Höhlung 
(Trommelhöhle)  liegen  drei  mit  einander  und  dem  Trommelfell 
verbundene  Knöchelchen,  genannt  Hammer,  Ambos  und 
Steigbügel.  Die  Innenseite  der  Höhlung  nimmt  das  sogenannte 
Labyrinth  ein,  dessen  Teile  Vorhof  und  Schnecke  heissen. 
Der  Vorhof  besteht  aus  drei  Bogengängen  und  einer  fensterähn- 
lichen Öffnung,  dem  ovalen  Fenster,  an  welches  sich  der 
Steigbügel  anlehnt.  Die  Schnecke  ist  ein  gewundener  Kanal, 
dessen    Innenfläche   der    Hörnerv    überkleidet.     Das  Labyrinth 

4* 


—    -52  — 

findet  sich  mit  einer  Flüssigkeit  erfüllt,  welche  die  Schallwellen, 
die  durch  Trommelfell  und  Gehörknöchelchen  zu  ihr  fortgeleitet 
werden,  auf  den  Gehörnerven  überträgt. 

Schwerhörige  Menschen  bedienen  sich  des  Höhrrohrs, 
einer  ohrmuschelförmigen  Köhre,  zur  besseren  Auffangung  der 
Schallwellen. 

Aufgaben. 

1.  Wenn  G  anderthalbmal  so  viele  Schwingungen  in  der  Sekunde  macht 

als  C,  welcher  Ton  macht  dreimal  so  viele  Schwingungen  als  C?  —  Antw.  Gf'. 

2.  Wenn  der  tiefste  musikalische  Ton  (des  Contrabasses)  41,  der  höchste 

(der  Piccoloflöte)    4752  Schwingungen    in    der  Sekunde    macht,    wie    viele 

Oktaven  liegen  dazwischen?  —  Antw.  41  X  2  X   =  4752;  x  =    log  116  __ 
nahezu  7.  log  2 

3.  Wieweit  ist  ein  Gewitter  von  uns  entfernt,  dessen  Blitz  16  Sekunden 
vor  dem  Donner  gesehen  wird?  —  Antw.  16  X  338  =  5,4  km  (1  Wegstunde.) 

4.  Nach  wieviel  Sekunden  wird  der  Knall  einer  2  km  von  uns  entfernten 
Kanone  nach  dem  Aufblitzen  gehört?  —  Antw.  Nach  nahezu  6  Sekunden. 

5.  Wieviel  Zeit  gebraucht  das  Echo  einer  19  m  entfernten 
Wand,  um  nach  dem  ursprünglichen  Tone  gehört  zu  werden?    —    Antw. 

-^~  =  Va  Sekunde. 

14.  Das  Licht. 

§  46.  Was  ist  das  Licht?  Früher  hielt  man,  nach  Isaac 
Newton  (1701),  das  Licht  für  eine  äusserst  feine,  unwägbare 
(imponderabile)  Materie  (Emanationstheorie);  später  wurde  es  von 
Euler  als  Schwingungserscheinung,  analog  dem  Schalle  erkannt 
(Vibrationstheorie).  Die  Schwingungen  des  Lichtes  sind  aber 
nicht,  wie  die  des  Schalles,  Schwingungen  der  wägbaren  Moleküle 
der  Materie,  sondern  solche  eines,  das  ganze  Weltall  erfüllenden 
und  alle  Körper  durchdringenden,  unwägbaren  Stoffes,  den  man 
den  Äther  genannt  hat.  Dieser  sog.  Weltäther  umgiebt  die 
Moleküle  der  Körperwelt  wie  das  Meer  die  Inseln ;  er  durchsetzt 
selbst  die  dichtesten  Stoffe  und  ist  an  sich  ein  integrierender 
Bestandteil  der  Materie,  deren  feinste  Verteilung. 

Bas  Licht  besteht  in  den  {transversalen)  Schwingungen  des  die 
Moleküle  umgebenden  Äthers. 

Da  der  Äther  auch  den  leeren  Weltraum  durchsetzt,  so  ver- 
mag das  Licht  sich  in  demselben  fortzupflanzen.  Die  Ge- 
schwindigkeit des  Lichtes  ist  eine  ungeheure,  da  es  in 
der  Sekunde  einen  Weg  von  42000  Meilen  durchläuft.  Seine 
.Fortpflanzung  ist  geradlinig,  seine  Stärke  nimmt  aber,  wie  die 
des  Schalles,  mit  der  Entfernung  ab.*) 

*)  Die  Lichtstärke  nimmt  ab  mit  den  Quadraten  der  Entfernungen. 
Eine  Fläche  empfängt  in  der  doppelten  Entfernung  von  der  Lichtquelle 
nur  jj4  so  viel  Licht. 


-     53     - 

§  47.  Wie  verbalten  sich  die  Körper  zum  Lichte?  Trifft  das  Licht 
auf  einen  Körper,  so  tritt  ein  Dreifaches  ein :  ein  Teil  des  Lichtes 
wird  durchgelassen,  ein  zweiter  Teil  zurückgeworfen,  das  übrige 
verschluckt  (absorbiert). 

Je  nachdem  das  eine  oder  andere  in  hervorragenderem 
Masse  geschieht,  bezeichnen  wir  die  Körper  als  durchsichtig 
oder  undurchsichtig,  als  spiegelnd  oder  nicht  spiegelnd. 
Alle  Materien  strahlen  mehr  oder  weniger  Licht  zurück  —  wodurch 
sie  erst  sichtbar  werden.  "Was  kein  Licht  reflektiert,  wie  die 
Luft,  ist  unsichtbar.  Je  öfter  ein  Lichtstrahl  verschiedene 
Medien  passieren  muss,  um  so  mehr  wird  er  durch  stattfindende 
Absorption  geschwächt,  bis  er  völlig  verschwindet.  Daher  er- 
scheint der  Schnee  oder  zerstossenes  Bis  undurchsichtig,  weil 
zwischen  seinen  einzelnen  Partikeln  Luftschichten  sich  befinden, 
sodass  das  Licht  bei  seinem  Durchgange  durch  den  Körper  wieder- 
holt aus  Luft  in  Eis  und  wieder  aus  Eis  in  Luft  treten  muss, 
dabei  aber  immer  mehr  absorbiert  wird. 

§  48.  Wie  geschieht  die  Reflexion  des  Lichtes?  Je  ebener  die 
Oberfläche  eines  Körpers  ist,  um  so  mehr  Licht  wird  von  ihr 
reflektiert;  polierte  Flächen,  die  ruhige  Oberfläche  des  Wassers, 
besonders  aber  des  Quecksilbers,  stellen  daher  gute  Spiegel  vor. 
Das  Zurückwerfen  des  Lichtes  geschieht  nach  folgendem  Gesetz : 
Das  Licht  wird  unter  demselben  Winkel  reflektiert,  unter  welchem 
es  auffällt. 

Errichtet  man  in  dem  Punkte  n  |p 

(Fig.  20),  wo  der  Lichtstrahl  f  n  die 

Spiegelfläche  ss'  trifft,  den  Perpen-  A 

dikelpn,  so  nennt  man  den  Winkel       N>. 
i  den  Einfallwinkel,  den  Win-  \s 

kel  r,  welchen  der  reflektierte  Strahl  \ 

n  d  mit  der  Lotrechten  bildet,  den  \ 

Au  sf all  winkel.     Nach   obigem  B 

Gesetze  müssen  beide  Winkel  ein-  1 
ander  gleich  sein.  ~"_  ~-  -.— - — ::-=^=^zz°=zZ^g=S; 

Aus  diesem  Reflexionsgesetz  geht 
hervor,  dass  ein  senkrecht  auffallen-  Fig.  20. 

der  Lichtstrahl  in  sich  selbst  zurückgeworfen  wird;  schräg  auf- 
fallende Strahlen  reflektieren  sich  unter  gleicher  Neigung  nach  der 
anderen  Seite  der  Lotrechten. 

Auf  die  Spiegelung  eines  leuchtenden  Gegenstandes  übt  die 
Form  der  Spiegelfläche  den  grössten  Einfluss  aus.  Ebene  Spie- 
gelflächen geben  ein  Bild  des  Gegenstandes,  welches  denselben 
höchst  übereinstimmend  kopiert.  Der  leuchtende  Körper  erscheint 
in   getreuer  Form  und  scheinbar   ebensoweit  hinter  dem  Spiegel, 


-     54 


wie  er  sich  in  der  Wirklich- 
keit vor  demselben  befindet. 
Anders  reflektieren  kon- 
kave und  konvexe  Spiegel- 
flächen. Konkave  oder 
Hohlspiegel  brechen  die 
parallel  mit  der  Krümmungs- 
axe  einfallenden  Strahlen  in 
Fig.  21.  einen  einzigen  Punkt,  in  den 

sog.  Brennpunkt  (Focus,  F  in  Fig.  21)  zusammen,  welcher 
Punkt  in  der  Axe  selbst  und  zwar  in  der  Mitte  zwischen  dem 
Krümmungsmittelpunkt  (C)  und  der  Spiegelfläche  liegt. 

Hält  man  einen  Hohlspiegel  gegen  die  Sonnenstrahlen,  so 
lässt  sich  in  seinem  Brennpunkte  Zunder  entzünden. 

Konvexe  Spiegel  lassen  alle  Gegenstände  verkleinert  er- 
scheinen, wie  man  dies  an  hohlen,  innen  schwarz  lackierten  Glas- 
kugeln sehr  gut  sehen  kann. 

§  49.  Was  nennt  man  die  Brechung  des  Lichtes?  Beim  Ein- 
tritt des  Lichtes  in  einen  durchsichtigen  Körper  erleidet  es  eine 
Ablenkung  von  seiner  Richtung,  die  man  Brechung  nennt; 
nur  senkrecht  auffallende  Strahlen  gehen  ungebrochen  durch. 

Bezeichnet  in  Fig.  22  pP  die  Lot- 
rechte, das  sog.  Einfallslot,  In  den 
,!  auffallenden,  n  s  den  durchgehenden  Licht- 
strahl, so  wird  der  Winkel  i  der  Ein- 
fallswinkel, r  der  Brechungswinkel 
genannt. 

Im  Falle  der  Lichtstrahl  In  aus  der 
Luft  in  Wasser  oder  Glas  übergeht,  ist 
der  Brechungswinkel  (r)  kleiner  als 
der  Einfallswinkel  (i) ;  geht  aber  der  Strahl 
umgekehrt  aus  dem  Wasser  oder  Glas 
in  die  Luft,  s  n  in  n  1  über,  dann  ist  r  der 
Einfallwinkel  und  grösser  als  der  Brech- 
ungswinkel i.  Allgemein  ausgedrückt: 
1.  Geht  der  Lichtstrahl  aus  einem 
dünneren  in  ein  dichteres  Medium  über, 
so  wird  er  nach  dem  Einfallslote  hin  gebrochen. 

2.  Geht  der  Lichtstrahl  aus  einem  dichteren  in  ein  dünneres 
Medium   über,  so  ivird  er  vom  Einfallslote  ab  gebrochen. 

Ein  durch  ein  offenes  Fenster  ins  Zimmer  dringender  Licht- 
strahl erlangt  sofort  eine  etwas  veränderte  Richtung,  wenn  das 
Fenster  geschlossen  wird.  Ein  halb  unter  Wasser  getauchter 
Stab   erscheint  wie  gebrochen,   und  zwar  unter  der  Wasserfläche 


Fig.  22. 


00 


emporgebogen,  weil  das  von  diesem  Teile  kommende  Licht  beim 
Austritt  aus  dem  Wasser  in  die  Luft  von  der  Lotrechten  ab,  nach 
der  Horizontallinie  hin  gebrochen  wird,  wir  aber  den  unterge- 
tauchten Teil  des  Stabes  in  der  Richtung  des  gebrochenen 
Strahles,  also  in  mehr  wagerechter  Linie  erblicken. 

Das  Licht  wird  von  den  verschiedenen  Medien  nicht  in  glei- 
cher Stärke  gebrochen.  Das  Yerhältnis  vom  Einfall-  zum  Brech- 
ungswinkel nennt  man  den  Brechungsexponenten.  Er  ist 
für  Luft  und  Wasser  4/3,  für  Luft  und  Glas  3/2. 

Der  Brechungsexponent  ist  gleich  dem  Quotient  aus  dem 
Sinus  des  Einfallswinkels  durch  den  Sinus  des  Brechungswinkels. 

Ist  der  Winkel,  den  ein  Lichtstrahl  beim  Austritt  aus  einem 
dichteren  Medium,  z.  B.  aus  Glas  oder  Wasser  in  Luft,  bildet, 
so  gross,  dass  der  aus- 
tretende Strahl  in  der 
Richtung  der  Horizon- 
talebene verläuft,  also 
der  Ausfallwinkel  = 
90°  ist,  so  nennt  man 
ihnden„Grenzwinkelu, 
weil  bei  einem  noch 
grösseren  Einfalls- 

auszutreten  vermögen, 
wie  Fig.  23  zeigt,  son-  |[ 
dern  nach  innen  reflek- 
tiert werden:    totale 

Reflexion,  eine  Re-  „.     2o 

flexion ,     welche     an  lg' 

Vollständigkeit  jede  Reflexion  auf  Spiegelflächen  übertrifft. 


§  50.  Was  ist  polarisiertes  Licht?  Während  ein  gewöhnlicher 
Lichtstrahl  seine  Schwingungen  in  den  verschiedensten  Ebenen, 
die  sich  durch  seine  Richtung  legen  lassen,  vollzieht,  schwingt 
das  polarisierte  Licht  nur  in  einer  einzigen  Ebene. 
Das  Licht  von  glühenden  festen  Körpern  (nicht  von  flammenden 
Gasen)  ist  polarisiert. 

Gewöhnliches  Licht  kann  auf  zweierlei  Weise  in  polarisiertes 
verwandelt  werden:  a)  durch  Brechung,  b)  durch  Reflexion. 

a)  Alle  Krystalle,  welche  nicht  zum  regelmässigen  System 
gehören,  brechen  das  Licht  doppelt.  Wenn  man  einen  Punkt, 
eine  Linie  u.  dgl.  durch  einen  Kalkspatkrystall  (isländischen 
Doppelspat)  betrachtet,  so  erblickt  man  sie  doppelt.  Trifft  ein 
Lichtstrahl    einen    solchen  Krystall,    so    spaltet   er  sich   in   zwei 


—    56     — 

Strahlen ,  von  denen  einer  der  gewöhnlichen  Brechung  folgt 
(ordinärer  Strahl),  während  der  andere  (der  extraordinäre  Strahl) 
abweicht.     Beide  Strahlen  sind  polarisiert. 

Gewöhnlich  benutzt  man  zur  Polarisation  die  Turrnalin- 
zange,  welche  aus  zwei  parallel  mit  der  Hauptaxe  geschnittenen 
Turmalm-Plättchen  besteht.  Das  durch  eines  der  Plättchen  ge- 
gegangene Licht  ist  polarisiert  und  vermag  nur  dann  das  zweite 
Plättchen  zu  durchdringen,  wenn  ihre  Axen  parallel  verlaufen; 
dreht  man  letzteres  aber  derartig,  dass  sich  ihre  Axen  kreuzen, 
so  lässt  es  das  polarisierte  Licht  nicht  durch.  —  Man  bedient  sich 
zu  grösseren  Polarisationsap  paraten  zweier  eigentümlich 
geschliffenen  Kalkspatprismen  (Nicoischer  Prismen),  welche 
nur  den  extraordinären  Strahl  durchlassen.  Das  erstere  Prisma 
(Fig.  24  bei  p),  welches  den  Lichtstrahl  polarisiert,  heisst  Polari- 
sator, das  zweite  (bei  a)  Analysator. 


Fig.  24. 


Viele  Substanzen  besitzen  die  Eigenschaft,  das  polarisierte 
Licht  in  farbige  Strahlen  aufzulösen  und  zugleich  zu  drehen 
d.  i.  seine  Richtung  zu  verändern.  Man  unterscheidet  rechts- 
und  linksdrehende  Stoffe;  zu  ersteren  gehört  z.  B.  der  Rohrzucker, 
zu  letzteren  der  Traubenzucker.  Schaltet  man  ihre  Lösungen  in 
das  Rohr  (r)  zwischen  die  beiden  Nicoischen  Prismen  des 
Polarisationsapparates  ein,  so  muss  man,  um  die  volle  Stärke  des 
polarisierten  Lichtes  zu  erlangen ,  das  analysierende  Prisma  (a) 
drehen,    welches    mit    einem  Zeiger  (z)  verbunden  ist,    der   den 


—    57     - 

Grad  der  Drehung  an  einer  Scheibe  mit  Kreiseinteilung'  anzeigt. 
Die  Grösse  dieser  Drehung  zeigt  dann  die  Stärke  der  Lösung  an. 
Da  zugleich  mit  der  Drehung  das  polarisierte  Licht  in  farbige  Strahlen 
aufgelöst  wird ,   nimmt  mau  das  blaue  Licht  als  massgebend  an. 

b)  Lässt  man  einen  Lichtstrahl  unter  einem  gewissen  Winkel*)  auf 
eine  spiegelnde  Fläche  auffallen,  so  wird  er  als  polarisiertes  Licht  zurück- 
geworfen und,  auf  einem  zweiten  Spiegel  auffallend,  je  nach  dessen  Stel- 
lung, von  demselben  bald  reflektiert,  bald  verschluckt  (daher  der  Name: 
polarisiert).  Hält  man  nämlich  den  zweiten  Spiegel  (Analysator)  dem 
ersten  (Polarisator)  parallel,  so  reflektiert  er  den  polarisierten  Strahl  und 
erscheint  daher  bell;  dreht  man  ihn  um  90°,  so  verschluckt  er  das  pola- 
risierte Licht  und  wird  dunkel;  bei  der  Drehung  auf  180°  erleuchtet  er 
sich  wieder,  um  bei  weiterer  Umdrehung  auf  270°  abermals  dunkel,  bei 
Rückkehr  zur  ersten  Stellung  wieder  hell  zu  werden. 

Alles  von  festen  Körpern  reflektierte  Licht  ist  unvollkommen  pola- 
risiert, d.  i.  es  enthält  mehr  oder  weniger  viel  polarisierte  Strahlen. 

Versuche. 

1.  Photometer.  Ein  mit  einem  Fettfleck  versehenes  Blatt  Papier 
halte  man  in  einem  dunklen  Zimmer  zwischen  zwei  verschieden  starke 
Flammen,  und  suche  die  Stellung,  worin  der  Fettfleck  nicht  mehr  gesehen 
wird.  Dann  verhalten  sich  die  Flammen  in  ihrer  Lichtstärke  wie  die 
Quadrate  ihrer  Entfernungen  vom  Papier.  Stellt  man  einerseits  eine, 
andrerseits  vier  brennende  Kerzen,  so  verschwindet  der  Fettfleck  dann, 
wenn  die  vier  Kerzen  in  doppelter  Entfernung  vom  Papier  stehen  wie  die 
andere  Kerze.  —  Der  Fettfleck  wird  dann  unsichtbar,  wenn  er  genau 
soviel  Licht    durchlässt,    als  seine  Umgebung  zurückstrahlt.) 

2.  Doppelte  Spiegelung  einer  Glastafel.  Hält  man  zur  Seite 
einer  Kerzenflamme  eine  blanke  Glastafel  in  der  Richtung  eines  halben 
rechten  Winkels,  so  erblickt  man  deutlich  zwei  Flammen  scheinbar  hinter 
der  Tafel.  Das  eine  Bild  rührt  von  der  Spiegelung  der  vorderen,  das 
andere  von  derjenigen  der  hinteren  Fläche  der  Glastafel  her.  Da  man 
durch  dieselbe  zugleich  hindurchsehen  kann,  so  erblickt  man  das  Flammen- 
bild in  einem  dahintergestellten  Gegenstande ,  beispielsweise  in  einer 
mit  Wasser  gefüllten  Flasche,  an  der  Spitze  einer  nicht  angezündeten 
Kerze  u.  dgl. 

3.  Brechung  des  Lichtes.  Auf  den  Boden  einer  Schüssel  lege 
man  ein  Geldstück  und  halte  das  Auge  so,  dass  die  Gefässwand  es  gerade 
verdeckt;  wird  dann  Wasser  in  die  Schüssel  gefüllt,  so  tritt  das  Geldstück 
wieder  sichtbar  hervor,  scheint  aber  höher  zu  liegen.  (Der  beim  Austritt 
aus  dem  Wasser  mehr  horizontal  gerichtete  ,  vom  Geldstück  kommende 
Lichtstrahl  trifft  alsdann  das  Auge,  verlegt  den  Gegenstand  aber  scheinbar 
in  seine  Verlängerung  nach  rückwärts.) 

4.  Totale   Reflexion.     Taucht  man   einen  leeren  Reagiercy linder 


*)  Dieser  Winkel  (Polarisationswinke])  ist  für  jeden  Körper  verschieden, 
für  Glas  muss  der  Einfallwinkel  56"  betragen.  Bei  der  Polarisation  durch 
Reflexion  wird  das  in  allen  Ebenen  schwingende  gewöhnliche  Licht  beim 
Auffallen  auf  die  Spiegelfläche  in  zwei  Strahlen  zerlegt,  welche  beide  po- 
larisiert d.  i.  in  einer  einzigen  Ebene  schwingend  sind;  der  eine  dieser 
Strahlen  wird  reflektiert;  der  andere  geht  gebrochen  durch  die  Spiegel- 
fläche hindurch.  Diese  Polarisation  tritt  dann  ein,  wenn  der  re- 
flektierte Strahl  auf  dem  gebrochenen  senkrecht  steht. 


-     58    — 

in  "Wasser  und  blickt  von  oben  herab,  so  erscheint  der  untergetauchte 
Teil  glänzend,  wie  mit  Quecksilber  gefüllt.  Bringt  man  etwas  Wasser  in 
den  Cylinder,  so  erstreckt  sich  diese  Erscheinung  nicht  mehr  auf  den 
untersten,  das  Wasser  enthaltenden  Teil,  welcher  durchsichtig  geworden 
ist.  (Das  vom  äusseren  Wasser  in  den  Cylinder  eintretende  Licht  erleidet 
zum  Teil  totale  Reflexion,  wird  in  aufwärtsgehender  Richtung  wieder  re- 
flektiert und  gelangt  in  unser  Auge.) 

Fragen  und  Aufgaben. 

1.  In  wie  viel  Zeit  gelangt  das  Sonnenlicht  zu  der  20  Millionen 
Meilen  entfernten  Erde?  —  Antw.    In  nahezu  8  Minuten. 

2.  Wie  lang  ist  der  Kernschatten  der  Erde,  wenn  der  Sonnenhalb- 
messer 112  mal  grösser  als  der  Erdhalbmesser  ist?  —  Antw.  180180  Meilen. 

3.  Weshalb  erscheint  ein  Fettfleck  auf  Papier  beim  Daraufblicken 
dunkel,  gegen  ein  Licht  gehalten  aber  hell?  —  Antw.  Weil  er  weniger 
Licht  reflektiert  als  er  durchlässt,  das  nichtgeölte  Papier  aber  das  Licht 
zumeist  reflektiert  und  kaum  durchlässt. 

4.  Wenn  man  zwei  Spiegel  unter  einem  Winkel  zusammenstellt,  wie 
oft  sieht  man  dann  einen  zwischen  ihnen  befindlichen  Gegenstand?  — 
Antw.  So  oft,  als  der  Neigungswinkel  der  beiden  Spiegel  in  360°  ent- 
halten ist.  Beträgt  dieser  Winkel  l/.2  R,  so  sieht  man  den  Gegenstand 
8  mal,  d.  i.  ausser  ihm  selbst  noch  7  Bilder;  dieselben  bilden  ein  regel- 
mässiges Achteck. 

5.  a.  Woher  rührt  es,  dass  wir  den  Boden  eines  Wasserbehälters 
weniger  tief  erblicken,  als  er  wirklich  liegt?  —  Antw.  Wir  erblicken  die 
Bodenfläche  in  der  Richtung  des  beim  Austritt  in  die  Luft  mehr  horizontal 
gebrochenen  Lichtstrahles. 

b.  Wie  verhält  sich  die  scheinbare  Tiefe  zur  wirklichen?  —  Antw. 
Umgekehrt  wie  der  Brechungsexponent,  also  beim  Wasser  wie  3  :  4. 


15.  Die  Farben. 

Aus  welchen  Farben  besteht  das  Sonnenlicht?      Das  weisse 

Licht  der  Sonne 
ist  aus  sieben  far- 
bigen Strahlen  zu- 
sammengesetzt, 
was  man  erkennt, 
wenn  man  es  durch 

ein  dreiseitiges 
Glasprisma  gehen 
lässt. 

Tritt  durch  eine 
runde  Öffnung  b 
(Fig.  25),  die  im 
Fensterladen  einer 
dunklen  Stube  an- 
gebracht ist,  ein 
Fig.  25.  Sonnenstrahl  in 


-     59     — 

dieselbe,  so  kann  man  ihn  auf  der  entgegenstehenden  Wand  als 
weisses,  rundes  Sonnen bild  d  (Spektrum)  auffangen.  Sowie 
man  aber  hinter  die  Öffnung  ein  dreiseitiges  Glasprisma  anbringt, 
dann  verlängert  sich  das  Spektrum  (rv)  und  erscheint  nicht  mehr 
weiss,  sondern  in  sieben  Farben,  von  oben  nach  unten  in  folgen- 
der Eeihenfolge:  rot,  orange,  gelb,  grün,  blau,  indigo,  violett. 

Da  diese  Farben  auch  den  Regenbogen  zusammensetzen,  so 
nennt  man  sie  die  sieben  Regen  bogenfarben.  Lässt  man  ein 
solches  Spektrum  abermals  durch  ein  Prisma  treten,  welches  um- 
gekehrt wie  das  erste  gerichtet  ist,  so  vereinigen  sich  die  Regen- 
bogenfarben wieder  zu  weissem  Lichte  und  bilden  ein  rundes  Spektrum. 

Man  nennt  diese  Farbenzerstreuung  die  Dispersion  des 
Lichtes.  Sie  beruht  darauf,  dass  das  Sonnenlicht  aus  Strahlen 
von  verschiedener  Brechbarkeit  zusammengesetzt  ist.  Das  rote 
Licht  ist  das  wenigst-brechbare,  das  violette  das  brechbarste.  Je 
brechbarer  ein  Lichtstrahl ,  um  so  geringer  seine  Schwingungs- 
dauer. Wir  erkennen  hieraus,  dass  je  nach  der  Schwingungs- 
geschwindigkeit und  dadurch  bedingten  Brechbarkeit  die  Licht- 
strahlen in  unserm  Auge  den  Farbeneindruck  hervorrufen.  Die  am 
schnellsten  schwingenden  und  brechbarsten  Strahlen  erscheinen 
uns  violett,  die  am  wenigsten  brechbaren  und  weniger  schnell 
schwingenden  rot;  zwischen  beiden  liegen  die  übrigen  Farben. 

Nicht  allein  ein  Glasprisma  zerstreut  das  Sonnenlicht;  wir 
vermögen  die  Dispersion  durch  viele  andere  Medien  hervorzu- 
rufen. Wasser  bewirkt  nur  eine  schwache,  Benzin,  Anisöl 
Schwefelkohlenstoff  dagegen  eine  kräftige  Farbenzerstreuung.  Füllt 
man  ein  Glaskästchen  in  Gestalt  eines  dreiseitigen  Prismas  mit 
Schwefelkohlenstoff,  so  kann  man  sehr  schöne  Spektra  herstellen. 
Auch  an  vierseitigen  Glasflaschen ,  die  Benzin  oder  Schwefel- 
kohlenstoff enthalten,  bemerkt  man  eine  starke  Farbenzerstreuung; 
ebenso  am  Diamant. 

Die  Entstehung  des  Regenbogens  erklärt  sich  durch  die 
Dispersion  der  Sonnenstrahlen  beim  Durchgange  durch  die  in 
der  Luft  schwebenden  Dunstbläschen,  deren  hintere  Wand  sie 
reflektiert.  Die  Sonne  befindet  sich  dabei  stets  hinter  dem  Be- 
obachter. 

§  52.  Woher  rührt  die  Färbung  der  Körper?  Wenn  ein  Körper 
das  auf  ihn  fallende  Sonnenlicht  gleichmässig  reflektiert,  so  er- 
scheint er  weiss;  reflektiert  er  wenig  Licht,  sondern  verschluckt 
es,  so  ist  er  schwarz.  Daher  sind  Weiss  und  Schwarz  keine 
eigentlichen  Farben. 

Farbig  erscheint  der  Körper,  welcher  nur  gewisse  Licht- 
strahlen reflektiert,  die  übrigen  verschluckt.  Ein  roter  Körper 
strahlt  nur    die  roten  Strahlen,   ein    blauer    nur  die  blauen  zu- 


—     60     — 

rück.     Wir   sehen  einen  Körper   in    der  Farbe   des   von 
ihm  reflektierten  Lichtes. 

Das  Wasser  ist  zwar  in  kleineren  Quantitäten  farblos,  in 
grossen  Massen  aber  wirft  es  das  blaue  Licht  etwas  mehr  zurück 
wie  die  übrigen  Strahlen;  daher  erscheint  das  Meer  blau.  Die 
Bläue  des  Himmels  kommt  nicht  etwa  von  einer  Färbung  der 
Luft,  sondern  ist  Folge  der  Reflexion  der  blauen  Lichtstrahlen 
an  dem  Wasserdunst  der  Atmosphäre.  In  hohen  Luftregionen, 
welche  wenig  Dünste  enthalten,  sieht  man  daher  den  Himmel 
nicht  blau,  sondern  fast  schwarz. 

§  53.  Was  ist  Fluorescenz?  Es  giebt  gewisse  Flüssigkeiten, 
welche  bei  auffallendem  Lichte  eine  andere  Färbung  zeigen  wie 
bei  durchgehendem.  Man  nennt  sie  schillernd,  fluores- 
cierend.  Eine  farblose,  wässerige  Lösung  des  schwefelsauren 
Chinins  erscheint  beim  Daraufblicken  bläulich,  ebenso  das  Petro- 
leum. Stark  schillernd  ist  Wasser,  worin  frischgeschälte  Ross- 
kastanienrinde wenige  Minuten  gelegen  hat. 

Da  im  allgemeinen  alle  gefärbten  durchsichtigen  Körper  das- 
selbe Licht  reflektieren,  wie  durchlassen,  daher  die  nämliche  Fär- 
bung beim  Daraufsehen  wie  beim  Hin  durchsehen  zeigen,  so  leitet 
man  die  Fluorescenz  von  der  Eigenschaft  der  schillernden  Körper 
her,  das  reflektierte  Licht  in  seiner  Schwingungsdauer  zu  ver- 
ändern und  dadurch  dessen  Farbe  zu  wechseln. 

§  54.  Spektralanalyse.  Untersuchen  wir  die  Spektra  verschie- 
dener Flammen,    so   nehmen  wir  drei  Arten   von  Spektra  wahr: 

1.  Feste  und  flüssige  Körper  geben  ein  zusammenhängendes 
Spektrum,  ohne  Unterbrechung  durch  dunkle  Linien. 

2.  Glühende  Gase  liefern  nur  verschieden  gefärbte  helle 
Partien,  welche  durch  dunkle  Zwischenräume  getrennt  sind. 

3.  Das  Sonnenspektrum  ist  ein  kontinuierliches,  aber  mit 
feinen  dunklen  Linien  quer  durchsetztes  Bild.  Man  nennt  diese 
dunklen  Linien  nach  dem  Entdecker  Frauenhofersche  Linien. 
Sie  sind  konstant  und  werden  mit  den  Buchstaben  des  Alphabets 
bezeichnet*).  An  den  Stellen  ihres  Yerlaufs  fehlen  also  dem 
Spektrum  die  betreffende  Strahlen. 

Wir  vermögen  ein  dem  Sonnenspektrum  ähnliches,  mit  dunklen 
Linien  durchsetztes  Spektrum  hervorzurufen,  wenn  wir  vor  einen  glühenden 
festen  Körper  die  Flamme  eines  Gases  oder  Dampfes  einschieben;  das 
vorher  kontinuirliche  Spektrum  des  festen  Körpers  erhält  alsdann  an  der 
Stelle,  wo  das  Spektrum  des  Dampfes  hinfällt,  eine  dunkle  Linie.  Die 
Flamme  des  letzteren  absorbiert  daher  die  Lichtstrahlen,  die  er  selber  aus- 
sendet,   die    eigenen    zugleich    vernichtend,    bleibt    aber    für    die    übrigen 

*)  A,  B,  C  liegen  im  Rot,  D  im  Orange,  E  im  Grün,  F  im  Blau,  G 
im  Indigo,  H  im  Violett. 


—    61     — 

Strahlen  des  glühenden  festen  Körpers  durchsichtig.  Schiebt  man  zwischen 
das  Drummondsche  Kalklicht  oder  elektrische  Licht  und  das  Glasprisma 
eine  Kochsalzflamme  ein,  so  tritt  eine  dunkle  Linie  (D)  dort  auf,  wo  die 
Kochsalzflamme  für  sich  allein  einen  gelben  (Natrium-)  Streifen  hinwirft. 
Daraus  schliesst  man,  dass  die  Frauenhof  er  sehen  Linien  im  Sonnen- 
spektrum daher  rühren,  dass  der  feste  oder  flüssige,  leuchtende  Sonnen- 
kern von  einer  Dampfatmosphäre  umgeben  sei,  welcher  solche  Stoffe  ange- 
hören, die  an  den  Stellen  jener  Linien  eigene  helle,  farbige  Streifen 
liefern.  D  in  Orange  gehört  beispielsweise  dem  Natrium  an;  mithin  ist 
dieses  Metall  in  der  Sonnen- Atmosphäre  vorhanden. 


Fig.  26. 

Die  irdischen  Körper  besitzen  im  glühenden  Zustande  sämt- 
lich ihr  bestimmtes  Spektrum.  So  zeigt  die  durch  Kochsalz  gelb 
gefärbte  Gasflamme  an  Stelle  der  Frauenhof  er  sehen  Linie  D  zwei 
gelbe  Linien;  die  durch  Kalisalze  violett  gefärbte  Gasflamme  zeigt 
eine  rote  (in  der  Nähe  der  Linie  A)  und  eine  blaue  Linie. 
Höchst  geringe  Mengen  dieser  Elemente  und  ihrer  Yerbindungen 
genügen,  um  die  betreffenden  Spektra  hervortreten  zu  lassen,  und 
verraten  dadurch  ihre  Gegenwart. 

Den  gewöhnlich  gebrauchten  Spektralapparat  zeigt  Fig.  26. 
Die  von  den  Flammen  F,  f  durch  einen  feinen  Spalt  in  die  Röhre 
A  gelangenden  Lichtstrahlen  erleiden  durch  das  Glasprisma  P  eine 
Farbenzerstreuung  und  werden  durch  das  Fernrohr  B  wahrge- 
nommen. Die  Rühre  C  führt  eine  Skala,  das  Sonnenspektrum 
vorstellend,  zur  Yergleichung  und  Bestimmung  der  Lage  der  be- 
obachteten Spektrallinien. 

§  55.     Was  nennt  man  komplementäre  Farben?     Da  die  Mischung 


—     62     — 

der  sieben  Regenbogenfarben  weisses  Licht  giebt,  dem  eine  mittlere 
Schwingungsgeschwindigkeit  zukommt,  so  müssen  auch  je  zwei 
Farben,  deren  mittlere  Schwingungsdauer  die  nämliche  ist,  weisses 
Licht  geben.  Solche  Farben  nennt  man  komplementäre  (d.  i. 
sich  ergänzende);  z.  B.  Rot  und  Grün,  Orange  und  Blau,  Gelb 
und  Indigo. 

Yon  der  komplementären  Farbe  überzeugt  man  sich ,  wenn 
man  einige  Zeit  anhaltend  auf  einen  Gegenstand  von  intensiver 
Färbung  geblickt  hat  und  darauf  das  Auge  auf  eine  weisse 
Fläche  wendet ;  der  im  Gedächtnis  haftende  Eindruck  lässt  uns 
denselben  Gegenstand  auf  dieser  Fläche  wieder  erscheinen,  aber 
in  seiner  komplementären  Farbe.  Einen  blauen  Gegenstand  sieht 
man  alsdann  orangegelb,  einen  grünen  rot  u.  s.  f.,  weil  das  Auge 
für  einige  Zeit  unempfindlich  geworden  ist  für  die  zuerst  ange- 
schaute Farbe. 

Betrachtet  man  einen  farbigen  Körper  durch  ein  anders  ge- 
färbtes Glas,  so  erblickt  man  ihn  nicht  in  seiner  wirklichen, 
sondern  in  der  Mischfarbe;  besitzt  jener  die  Komplementärfarbe 
des  Glases,  so  erscheint  er  weiss.  Gold  sieht,  durch  ein  blaues 
Glas  gesehen,  weiss  aus,  eine  Silbermünze  aber  blau. 

Versuche. 

Flamme nfärbun gen.  In  eine  Weingeistflamme  halte  man  das  zu 
einer  Öse  umgebogene  Ende  eines  Platindrahtes,  das  man  vorher  befeuchtet 
in  gepulverten  Kalisalpeter  eingetaucht  hatte.  Die  Flamme  nimmt  als- 
dann eine  violette  Färbung  an.  In  gleicher  "Weise  verfahre  man  mit  Koch- 
salz, welches  die  Flamme  hochgelb  färbt,  mit  Chlorbaryum  oder  Borsäure, 
welche  sie  grün  färben,  endlich  mit  salpetersaurem  Strontian,  welches  sie 
schön  karminrot  macht. 

Fragen. 

1.  Warum  können  wir  beim  Kerzenlicht  Grün  von  Blau  nur  sehr 
schwierig  unterscheiden?  —  Antw.  Da  das  Kerzenlicht  nicht  weiss, 
sondern  gelblich  ist,  mischt  sich  dem  Blau  das  Gelbe  des  Lichtes  bei  und 
nähert  es  dem  Grün. 

2.  Warum  werden  farbige  Körper  in  pulverisierter  Gestalt  heller? 
—  Antw.  Die  vom  Pulver  eingeschlossene  Luft  absorbiert  das  Licht  und 
macht  den  Körper  undurchsichtig- weisslich. 


16.  Das  Mikroskop. 

§  56.  Wie  wird  das  Licht  durch  Glaslinsen  gebrochen?  Die  Linsen 
sind  geschliffene  Gläser  mit  ein  oder  zwei  gekrümmten  Flächen; 
ist  die  Krümmung  konkav,  so  nennt  man  sie  Zerstreuungs- 
linsen, ist  sie  konvex,  so  heissen  sie  Sammellinsen.  "Wir 
unterscheiden,  je  nachdem  beide  Flächen  gekrümmt  oder  die  eine 
von  ihnen  eben  ist,  bikonkave,  bikonvexe,  plankonkave  und  plan- 


63 


konvexe  Linsen.     Die  Sammellinsen   sind   stets   in   der  Mitte  am 
dicksten,  die  Zerstreuungslinsen  daselbst  am  dünnsten. 

Das  Licht  wird  beim  Durchgang  durch  eine  Linse  gebrochen, 
nur  der  Axenstrahl  d.  h.  der  in  der  Krümmungsaxe  auffallende 
Lichtstrahl  geht  ungebrochen  durch.  Die  Brechung  durch  Sammel- 
linsen ist  eine  durchaus  verschiedene  von  der  durch  Zerstreu- 
ungslinsen ,  jene  machen  die  Lichtstrahlen  konvergierend,  letztere 
divergierend. 

1.  Sammellinsen  brechen  die  Lichtstrahlen  nach  der  Axe  zu. 

2.  Zerstreuungslinsen  brechen  das  Licht  von  der  Axe  ab. 

Betrachten  wir  zuerst  die  Lichtbrechung  durch  die  Sammel- 
linsen ,  so  sehen  wir  die  Strahlen  hinter  der  Linse  sich  nach  der 
Axe  zu  vereinigen  —  die  Linse  sammelt  die  Strahlen. 

Strahlen,  welche  parallel  mit  der  Axe  einfallen,  vereinigen 
sich  hinter  der  Linse  in  einem  Punkte,  dem  Brennpunkte 
(Foeus,  Fin 
Fig.  27).  Der- 
selbe befindet 
sich  in  der  Axe 
selbst  u.  fällt 
bei  bikonve- 
xen Linsen 
beiderseits  m 
dem  Krüm- 
mungscentrum zusammen.  Die  Entfernung  des  Brennpunktes 
hinter  der  Linse  wird  die  Brennweite  genannt  und  beträgt  bei 
bikonvexen  Linsen  nahezu  den  einfachen,  bei  plankonvexen  Linsen 
den  doppelten  Krümmungshalbmesser. 

Beim  Durchgang  der  Strahlen  durch  Zerstreuungslinsen  (Fig  28) 
werden  sie  hinter  den  Linsen 
auseinanderweichen.  Parallel 
mit  der  Axe  einfallendes  Licht 
wird  derartig  divergent,  dass 

seine  Verlängerung  nach 
rückwärts   einen   Punkt  (F) 
ergiebt,     von    welchem    es 
auszugehen  scheint,  den  sog. 
uegativenBrennpunkt. 


Fig.  28. 


§  57.  Wie  erblickt  man  einen  Gegenstand  durch  eine  Sammellinse? 
Das  Bild  eines  durch  eine  Sammellinse  gesehenen  Gegenstandes 
hängt  ganz  von  seiner  Entfernung  von  der  Linse  ab.  Es  lassen 
sich  hier  drei  Fälle  unterscheiden: 

1.  Der  Gegenstand  befindet   sich   zwischen   Brenn- 
punkt und  Linse,   in   der  Brennweite   (Fig.   29    AB);    seine 


64 


sehr  divergie- 
rend auf  die 
Linse  fallen- 
den Strahlen 
werden  weni- 
ger divergent; 
ihre  Verlänge- 
rungen nach 
rückwärts 

Fig.  29.  konstruieren 

ein  weiter  entferntes  Bild  (ab),  welches  den  Gegenstand  ver- 
grössert,  im  übrigen  aber  in  seiner  natürlichen  Stellung  er- 
scheinen lässt. 

2.  Der  Gegenstand  liegt  im  Brennpunkt  der  Linse; 
alsdann  werden  seine  Strahlen  durch  die  Linse  parallel  (Fig.  27} 
und  vereinigen  sich  gar  nicht;  es  entsteht  kein  Bild. 


Fig.  30. 


3.  Der  Gegenstand  befindet  sich  vor  dem  Brenn- 
punkte (Fig.  30  AB);  die  Strahlen  vereinigen  sich  hinter  der 
Linse  zu  einem  Bilde  (ab),  welches  umgekehrt  erscheint  und 
auf  einer  Wand ,  Glastafel  u.  dgl.  aufgefangen  werden  kann. 
Liegt  ein  Gegenstand  nicht  weit  vom  Brennpunkt  entfernt,  so  ist 
das  Bild  vergrössert,  wie  Fig.  30  zeigt;  bei  doppelter  Brenn- 
weite ist  das  Bild  mit  dem  Gegenstande  gleichgross,  bei  weiterer 
Entfernung  verkleinert. 

§58.  Was  ist  ein  Mikroskop*)?  Wir  unterscheiden  ein  ein- 
faches und  ein  zusammengesetztes  Mikroskop.  Das  erstere,. 
auch  Lupe  genannt,  ist  eine  Sammellinse,  die  einen  Gegen- 
stand zwei-  bis  dreimal  vergrössert,  wenn  er  sich  in  ihrer  Brenn- 
weite befindet. 

Das  zusammengesetzte  Mikroskop  erlaubt  eine  bedeutend 
stärkere,    oft    vielhundertfache   Vergrösserung.     Es   besteht    aus 

*)  Von  fjuxpo?  (klein)  und  axo^e'to  (sehen).  —  Das  erste  Mikroskop  wurde 
1646  von  Galilei  konstruiert. 


65    — 


zwei  Teilen,  der  Objektivlinse  und  der  Okularlinse. 
Beide  sind  bikonvexe  Sammellinsen,  von  denen  die  erstere  (Fig  31 
ab)  das  Objekt  in  ihr  Gesichtsfeld  fasst,  während  die  Okularlinse 
(c  d)  dazu  dient,  das  von  jener  entworfene  Bild  für  das  Auge  des 
Beschauers  nochmals  zu  vergrössern.  Man  stellt  die  Objektiv- 
linse so  ein,  dass  der  Gegenstand  (rs)  etwas  über  den  Brenn- 
punkt hinaus  zu  liegen  kommt;  dann  entwirft  jene  ein  um- 
gekehrtes, vergrössertes  Bild  (SR),  welches  in  die  Brennweite  der 
Okularlinse  (cd)  fällt  und  durch 
diese  (als  Lupe)  vergrössert  (S'R') 
geschaut  wird.  Wir  erblicken 
daher  den  Gegenstand  ver- 
grössert, aber  umgekehrt.  Ob- 
j  ektivund  Okular  sind  durch  Röhren 
fest  mit  einander  verbunden.  Bei 
vollständigeren  Instrumenten  ist 
zwischen  beiden  eine  dritte  Sam- 
mellinse, die  Kollektivlinse, 
eingeschaltet,  welche  die  im  Ob- 
jektiv gebrochenen  Strahlen  kon- 
vergenter macht,  das  Bild  näher 
bringt  und  dadurch  die  Entfernung 
des  Okulars  verringert. 

Unter  der  Platte,  auf  welcher 
der  Gegenstand  liegt,  befindet  sich 
ein  Spiegel,  um  das  Objekt  von 
unten  zu  beleuchten.  Man  bringt  s'*-- 
den  zu  vergrössernden  Gegenstand 
mit  etwas  Wasser  auf  ein  Glas- 
plättchen  ,  deckt  ein  zweites  da- 
rauf und  betrachtet  ihn  bei  durch- 
gehendem Lichte,  wenn  er  durch- 
sichtig ist,  andernfalls  bei  auf- 
fallendem Lichte.  FlS-  3L 


§  59.  Das  Fernrohr.  Um  weit  entfernte  Gegenstände  deutlich 
sichtbar  zu  machen ,  hat  man  Fernrohre,  Teleskope,  aus 
optischen  Linsen  konstruiert,  welche  in  ähnlicher  Weise  wie  beim 
Mikroskop  wirken,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  in  den  Fällen, 
wofür  man  das  Fernrohr  gebraucht,  das  Objekt  weit  hinter  dem 
Brennpunkt  der  Objektivlinse  sich  befindet,  daher  ein  verklei- 
nertes, umgekehrtes  Bild  des  Gegenstandes  durch  die  bikonvexe 
Objektivlinse  entworfen  wird ,  welches  nun  durch  die  Okularlinse 
zur  Vergrösserung  und  näheren  Betrachtung  gelangt.  Wir  finden 
also    beim   Fernrohr    die    nämlichen  Teile   wie   beim   Mikroskop, 

Sohlickum,  Apothekerlehrling-  5 


—  m   — 

jedoch  mit  verstellbarem  Okular,  dessen  Entfernung  von  der  Ob- 
jektivlinse  sich  nach  der  Entfernung  des  gesehenen  Gegenstandes 
richten  muss. 

Ein  aus  zwei  bikonvexen  Linsen  bestehendes  Fernrohr  lässt, 
wie  das  Mikroskop ,  die  Gegenstände  verkehrt  erscheinen  und 
eignet  sich  daher  nur  als  astronomisches  Fernrohr.  Für 
die  irdischen  Gegenstände  ist  eine  Umkehr ung  des  Bildes  nötig 
und  wird  bald  durch  Einschaltung  einer  dritten  bikonvexen  Linse 
zwischen  Objektiv-  und  Okularlinse,  bald  durch  Anwendung 
einer  konkaven  Okularlinse  bewirkt. 

Das  älteste  Fernrohr  ist  das  holländische  oder  Galileische 
Fernrohr,  fast  gleichzeitig  von  holländischen  Physikern  und 
Galilei  (1609)  konstruiert.  Es  besteht  aus  einer  bikonvexen  Ob- 
jektivlinse und  einer  bikonkaven  Okularlinse;  letztere  befindet 
sich  in  der  Brennweite  der  Objektivlinse  und  fängt  die  Strahlen, 
welche  sich  zu  einem  umgekehrten  verkleinerten  Bilde  vereinigen 
würden,  zuvor  auf,  sie  zur  Divergenz  bringend,  so  dass  das  Bild 
aufrecht  und  vergrössert  gesehen  wird.  Dieses  Instrument  eignet 
sich  für  Taschenteleskope   und  Operngucker. 

Das  Erdfernrohr  ist  aus  drei  bikonvexen  Linsen  zusammen- 
gesetzt; das  von  der  Objektivlinse  entworfene  umgekehrte,  verklei- 
nerte Bild  wird  von  einer  Mittellinse,  ähnlich  wie  vom  Objektiv 
eines  Mikroskops,  aufgefasst,  dadurch  wieder  umgewendet  und 
nun  vom  Okular  in  der  natürlichen  Lage  erblickt. 

Zu  den  Mikroskopen  und  Teleskopen  benutzt  man  zur 
Yermeidung  der  Farbenzerstreung  sog.  achromatische  Linsen. 
Bei  gewöhnlichen  Linsen  erscheinen  die  gesehenen  Gegenstände 
mit  farbigen  Bändern  umgeben.  Die  achromatischen  Linsen 
werden  aus  zwei  verschiedenen  Glassorten,  aus  Flintglas  und 
Crownglas  zusammengesetzt;  das  erstere  Glas  zerstreut  nämlich 
das  Licht  doppelt  so  stark  als  das  Crownglas.  Man  kombiniert 
also  zwei  entgegengesetzte  Linsen,  diejenige  aus  Crownglas  aber 
in  doppelter  Dicke.  Dann  wird  die  Farbenzerstreuung  der  Crown- 
glaslinse  durch  die  dünne  Flintglaslinse  gänzlich  ausgeglichen, 
ihre  Strahlenbrechung   zwar  geschwächt,   aber  nicht  aufgehoben. 


Vom  Sehen. 


§  60.  Das  Auge.  Das  Auge  ist  eine  aus  mehreren  Häuten 
gebildete,  mit  einer  gallertigen  Flüssigkeit  gefüllte  Kapsel.  Die 
äusserste  Haut  (Hornhaut)  ist  am  vorderen  Teile  durchsichtig 
und  lässt  daselbst  die  farbige,  sehr  reizbare  Begenbogenhaut 
(Iris)  durchblicken,  welche  in  der  Mitte  ein  rundes  Loch,  die 
Pupille,  hat.     Durch  Zusammenziehen  der  Regenbogenhaut  er- 


—     67     - 

weitert  sich  die  Pupille,  mehr  Licht  ins  Auge  einlassend ;  bei  zu 
starker  Beleuchtung  verengt  sich  die  Pupille,  indem  die  Regen- 
bogenhaut etwas  erschlafft. 

Dicht  hinter  der  Pupille  liegt  ein  kleiner ,  ünsenförmiger, 
durchsichtiger  Körper,  die  Krystalllinse,  welche  das  ein- 
dringende Licht  ganz  analog  einer  Glaslinse  bricht.  Im  Innern 
des  Auges  ruht  auf  der  Hornhaut  zunächst  eine  mit  schwarzem 
Pigment  versehene  Schicht  (Aderhaut),  welche  jede  Lichtreflexion 
verhindert  und  das  Auge  zu  einer  dunklen  Kammer  macht;  auf  ihr 
breitet  sich  der  von  hinten  eintretende  Sehnerv  als  Netzhaut 
aus  und  empfängt  das  Bild  der  äusseren  Gegenstände.  Die  Augen- 
höhlung ist  erfüllt  mit  einer  durchsichtigen  Gallerte  (Glaskörper), 
welche  sich  ebenfalls  an  der  Brechung  des  Lichtes  beteiligt. 

Die  Hornhaut  sowohl  wie  die  Krystalllinse  wirken  als  Sammel- 
linsen und  werfen  ein  verkleinertes ,  umgekehrtes  Bild  der  ge- 
sehenen Gegenstände  auf  die  Netzhaut,  welche  den  Eindruck  des- 
selben dem  Gehirn  übermittelt. 

§  61.  Wann  findet  deutliches  Sehen  statt?  Will  man  einen  Ge- 
genstand deutlich  sehen,  so  muss  er  sich  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung befinden ,  sodass  sein  Bild  genau  auf  die  Netzhaut  fällt. 
Diese  Entfernung  wird  die  Sehweite  genannt  und  beträgt  für 
ein  gesundes  Auge  30 — 40  com.  Ist  sie  kürzer,  so  leidet  der 
der  Mensch  an  Kurzsichtigkeit,  da  das  Auge  eine  zu  starke 
Brechung  verursacht  und  das  Bild  nicht  auf,  sondern  vor  die 
Netzhaut  wirft.  Solche  Leute  bedienen  sich  konkaver  Linsen  als 
Brillen,  um  die  Konvergenz  der  Lichtstrahlen  zu  mindern.  — 
Bei  zu  grosser  Sehweite  leidet  man  an  Weitsichtigkeit,  da 
die  Augenhaut  durch  eine  zu  schwache  Wölbung  das  Licht  nicht 
stark  genug  bricht,  sodass  das  Bild  hinter  die  Netzhaut  fällt. 
Solche  Leute  bedienen  sich  konvexer  Linsen  als  Brillen,  um  die 
Konvergez  der  Strahlen  zu  vermehren. 

Die  scheinbare  Grösse  eines  Gegenstandes  hängt  von  der 
Sehweite  ab.  Man  nennt  den  Winkel,  welchen  die  vom  Auge 
nach  den  Endpunkten  des  Gegenstandes  gezogenen  Linien  bilden, 
den  Sehwinkel.  Je  weiter  der  Gegenstand  entfernt  ist,  um  so 
kleiner  wird1  offenbar  dieser  Winkel;  er  giebt  das  Mass  der  schein- 
baren Grösse  an. 

Versuche. 

Brechung  durch  eine  Lupe.  1.  Man  lege  eine  Lupe  auf  ein  be- 
schriebenes Blatt  Papier  und  hebe  sie  langsam  senkrecht  in  die  Höhe;  an- 
fänglich sieht  man  die  Schrift  in  natürlicher  Lage,  aber  vergrössert  (so- 
lange sie  sich  noch  in  der  Brennweite  befindet);  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung verschwindet  sie  aber  vollständig  (wenn  sie  gerade  im  Brenn- 
punkte liegt),  kehrt  dann  bei  zunehmender  Entfernung  der  Lupe  ver- 
grössert, aber  in  umgekehrter  Lage,  wieder,  bis  sie  endlich  immer  kleiner 

5* 


—    68     — 

wird,  in  der  umgekehrten  Lage   verharrend.      Dabei    hat    man  aber  stetig 
das  Auge  zugleich  mit  der  Lupe  zu  erheben. 

2.  In  einem  verfinsterten  Zimmer  halte  man  eine  Lupe  seitlich  neben 
eine  Kerzenflamme  und  bewege  sie  langsam  von  ihr  fort,  mit  einem  Blatt 
dunkelfarbigem  Papier  das  Flammenbild  auffangend.  Anfangs  entsteht 
kein  Bild,  sondern  nur  ein  erleuchteter  Kreis,  bis  endlich  die  umgekehrte 
Flamme  auf  dem  Papier  sichtbar  wird,  zuerst  vergrössert,  bei  zunehmender 
Entfernung  sich  verkleinernd.  Auch  hier  hat  man  das  Papier  beim  Fort- 
rücken der  Lupe  in  grössere  Entfernung  zu  bringen. 

3.  Man  halte  eine  Lupe  in  direktes  Sonnenlicht  und  hinter  ihr  einen 
dunklen  Hintergrund; ,  man  findet  ihren  Brennpunkt,  wenn  ein  kleines, 
kräftiges  Sonnenbild  auf  dem  Hintergrunde  erscheint. 

Fragen. 

1.  Um  wieviel  vergrössert  eine  Lupe,  wenn  man  sie  dicht  an  das 
Auge  hält  und  den  Gegenstand  in  die  Nähe  des  Brennpunktes  bringt  (wo 
die  Vergrösserung  am  stärksten  ist?)  —  Antw.  Da  das  Auge  das  Bild  in 
seiner  Sehweite  erblickt,  so  verhält  sich  der  Gegenstand  zu  seinem  Bilde, 
wie  die  Brennweite  der  Lupe  zur  Sehweite  des  Auges.  Die  Vergrösserung 
ist  gleich  dem  Quotient  aus  der  Brennweite  in  die  Sehweite. 

2.  In  welchem  Verhältnisse  steht  die  Vergrösserung  zweier  Lupen 
von  verschiedener  Krümmung?  —  Antw.  Im  umgekehrten  Verhältnisse 
ihrer  Brennweiten,  resp.  ihrer  Krümmungshalbmesser.  Eine  Linse  von 
halb  so  grossem  Krümmungshalbmesser  vergrössert  um  das  Doppelte. 


E.  Elektrische  Erscheinungen. 

17.  Die  Eeibungs-Elektrizität. 

§  62.  Was  ist  die  Elektrizität?  Die  Elektrizität  ist  eine  an 
der  Oberfläche  der  Körper  haftende  Kraft,  welche  durch  gewisse 
Ursachen  erregt  wird  und  sich  in  Erscheinungen  der  Anziehung 
und  Abstossung  äussert.  Franklin  erklärte  diese  Erscheinungen 
aus  dem  örtlichen  Mangel  resp.  Überschuss  einer  einzigen,  un- 
wägbaren elektrischen  Materie  (unitäre  Theorie).  Jetzt  nimmt  man 
aber  zwei  entgegengesetzte  Elektrizitäten  an,  eine  po- 
sitive (4-  E)  und  eine  negative  ( —  E).*)  Nach  dieser  dua- 
listischen Theorie  (von  Symmer)  sind  beide  Elektrizitäten  im 
gewöhnlichen  Zustande  der  Körper  gegenseitig  gebunden 
(o  E=±E),  in  erregtem,  elektrischem  Zustande  aber  frei.  Im 
letzteren  Falle  nennt  man  die  Körper  elektrisch  geladen. 

1.  Gleichnamige  Elektrizitäten  stossen  sich  ab,  ungleichnamige 
ziehen  sich  an. 


*)  Die  beiden  Elektrizitäten  lassen  sich  unterscheiden  durch  die  sog. 
Lichtenberg  sehen  Figuren,  welche  entstehen,  wenn  man  eine  elektrisch 
geladene  Fläche  mit  einem  leichten  Pulver  (Bärlappsamen,  Schwefelblumen) 
bestreut;  -\~  E  ruft  eine  sternförmig  strahlige  Figur,  —  E  konzentrische 
Ringe  hervor. 


—    69    — 

Alle  elektrischen  Erscheinungen  beruhen  auf  dem  Bestreben 
freier  ungleichnamiger  Elektrizitäten,  sich  zu  +  E  zu  vereinigen. 
Daher  die  Anziehung  von  +  E  zu  —  E,  die  Abstossung  von 
+  E  und  +  E  oder  von  —  E  und  —  E. 

2.  Die  Vereinigung  entgegengesetzter  Elektrizitäten  geschieht  durch 
einen  Funken,  wenn  die  Leitung  unterbrochen  ist. 

Die  freie  Elektrizität  strömt  leicht  aus  spitzen,  dagegen  schwer 
aus  stumpfen,  abgerundeten  Enden  elektrisch  geladener  Körper; 
letztere  geben  daher  Funken. 

§  63.  Wie  entsteht  freie  Elektrizität?  Fast  jede  körperliche 
Aktion  ist  vun  einer  grösseren  oder  geringeren  elektrischen  Er- 
regung begleitet.  Vorzugs  weise  wird  aber  freie  Elektrizität  erzeugt : 

1.  durch  Reibung  (zweier  Nichtleiter), 

2.  durch  Berührung  (zweier  Leiter). 

Beide  Methoden  liefern  aber  die  Elektrizität  in  verschiedener 
Beschaffenheit,  die  Reibung  erzeugt  Elektrizität  von 
hoher  Spannung,  die  Berührung  einen  elektrischen 
Strom  von  kontinuierlicher  Dauer,  aber  geringer  Spannung. 

Bei  jeder  Elektrizitätserregung  spaltet  sich  +  E  beider  Körper, 
die  —  E  tritt  in  den  einen,  die  -f-  E  in  den  andern  über,  so  dass 
wir  nun  einen  negativ  und  einen  positiv  geladenen  Körper  naben. 

Die  Elektrizität  wurde  zuerst  als  Reibungselektrizität  beim 
Reiben  des  Bernsteins  mit  Wolle  u.  dgl.  erkannt  und  führt  vom 
Bernstein  (griechisch  y\lsMQov)  ihren  Namen.  Geriebener  Bern- 
stein ,  Siegellack  und  andere  Harze  laden  sich  beim  Reiben  mit 
—  E,  die  man  deshalb  auch  Harzelektrizität  genannt  hat; 
geriebenes  Glas  nimmt  +  E,  sog.  Glaselektrizität,  an. 

§  64.  Elektrische  Leitung.  Gute  Leiter  der  Elektrizität  laden 
sich  bei  der  Berührung  mit  einem  elektrisierten  Körper  sofort 
über  ihre  ganze  Oberfläche ,  verlieren  aber  auch  ihre  freie  Elek- 
trizität bei  der  Berührung  mit  einem  ungeladenen  Leiter  voll- 
ständig. Sämtliche  Metalle,  dichte  Kohle,  Wasser  und  alle  feuchten 
Materien  (feuchte  Erde,  der  menschliche  Körper,  feuchte  Luft) 
leiten  die  Elektrizität. 

Nichtleiter  nehmen  bei  Berührung  mit  einem  geladenen 
Körper  nur  an  der  Berührungsstelle  selbst  eine  geringe  Menge 
Elektrizität  an,  verlieren  im  elektrisierten  Zustande  ihre  Elektrizi- 
täten aber  dem  entsprechend  auch  nur  sehr  langsam.  Hierhin 
gehören  Harz,  Glas,  Seide,  Wolle,  Haare,  Schwefel,  trockne  Luft. 
Man  nennt  sie  Isolatoren,  weil  man  einen  geladenen  Körper 
durch  Umgebung  mit  Nichtleitern  im  elektrischen  Zustande 
dauernd  erhalten  kann.  Zum  Isolieren  gebraucht  man  Glas-  oder 
Porzellanfüsse,  seidene  Schnüre  u.  dgl.  Nichtleiter  bedürfen  im 
elektrisierten  Zustande  keiner  Isolierung. 


—     70     - 

Zwischen  den  Leitern  und  Nichtleitern  halten  die  Halb- 
leiter die  Mitte,  z.  B.  trockne  Erde,  Papier,  Stein. 

Die  Geschwind  ig  keit  der  Elektrizität  in  einem  guten 
Leiter  beträgt  60000  Meilen  in  der  Sekunde,  die  grösste  uns  be- 
kannte Geschwindigkeit. 

§  65.  Elektrische  Verteilung  und  Mitteilung.  Nähert  man  einen 
isolierten  Metallstab  einem  elektrisch  geladenen  Leiter ,  z.  B.  dem 
positiv  geladenen  Konduktor  der  Elektrisiermaschine,  so  spaltet  sich 
+  E  im  Metallstabe  derartig,  dass  die  gleichnamige  positive 
Elektrizität  nach  dem  entferntesten  Ende  des  Stabes  abgestossen, 
die  ungleichnamige  negative  Elektrizität  nach  der  dem  Konduktor 
genäherten  Seite  des  Stabes  angezogen  wird.  Man  nennt  diesen 
Vorgang  elektrische  Vertheilung  (Influenz).  Die  angezogene 
entgegengesetzte  Elektrizität  wird  vom  Konduktor  gebunden  ge- 
halten, die  gleichnamige  dagegen  äussert  sich  frei.  Daraus  folgt, 
dass  in  der  Nähe  eines  geladenen  Leiters  ein  zweiter 
Leiter  mit  gleichnamiger  Elektrizität  geladen  auftritt. 
Entfernt  man  den  Stab  (isoliert) ,  so  hört  die  Verteilung  auf, 
und  jener  erscheint  durch  Vereinigung  seiner  Elektrizitäten  wieder 
unelektrisch. 

Berührt  man  aber  den  Metallstab ,  so  lange  er  sich  in  der 
„elektrischen  Atmosphäre"  des  Konduktors  befindet,  mit  der  Hand, 
so  entziehen  wir  ihm  die  gleichnamige  (positive)  Elektrizität,  wor- 
auf er,  vom  Konduktor  entfernt,  nun  mit  freier  ungleichnamiger 
(negativer)  Elektrizität  geladen  auftritt.  Bedingung  dafür  ist,  dass 
wir  die  Berührung  aufheben,  so  lange  sich  noch  der  Stab  in  der 
Nähe  des  Conduktors  befindet.     Hieraus  folgt: 

1.  Man  ladet  einen  isolierten  Leiter  mit  der  ungleichnamigen  Elek- 
tricität,  wenn  man  ihn  in  der  Nähe  eines  geladenen  Leiters  berührt 
und  nach  Aufhebung  der  Berührung  wieder  entfernt. 

Bringt  man  den  Metallstab  aber  noch  näher  an  den  (positiv) 
geladenen  Konduktor,  so  gelangt  er  in  dessen  „Schlagweite",  worin 
durch  Überspringen  eines  elektrischen  Funkens  die  Elek- 
trizität des  Konduktors  mit  der  ungleichnamigen  (negativen)  des 
Stabes  sich  vereinigt,  sodass  in  letzterem  die  gleichnamige  (positive) 
Elektrizität  übrig  bleibt.     Hieraus  folgt: 

2.  Wir  laden  durch  Mitteilung  einen  Körper  mit  der  gleich- 
namigen Elektrizität. 

Die  Grösse  der  Schlagweite  richtet  sich  nach  der  Stärke  der  elek- 
trischen Ladung ;  bei  schwacher  Ladung  ist  Berührung  erforderlich. 

§  66.  Was  ist  das  Gewitter?  Die  Gewitterwolken  sind  mit  freier 
Elektrizität  geladen  und  wirken  auf  den  unter  ihnen  befindlichen 
Erdboden  verteilend  ein,  sodass  die  ihnen  entgegengesetzte  Elek- 


—     71     — 

trizität  an   der  Oberfläche  desselben  sich  ansammelt.     Sobald  ein 
irdischer  Gegenstand  in  die  Schlagweite  der  Wetterwolken  gelangt, 


Fig.  32. 

tritt  durch  einen  Blitz  eine  örtliche  Entladung  und  Vereinigung 
Ton  +  E  und  —  E  ein.  Der  Blitz  ist  also  ein  elektrischer  Funken, 
der  durch  die  hohe  Erhitzung  der  Luftschichten  eine  Erschütterung 
derselben  erzeugt,  deren  Ton  und  Echo  als  Donner  gehört  wird. 


_     72     — 

Zur  Ableitung  des  Blitzes  wendet  man  eiserne  Drähte  mit 
vergoldeter  Spitze,  sog.  Blitzableiter  an,  die  in  das  feuchte 
Erdreich  hinabgeführt  sind.  Ihre  Wirkung  beruht  in  der  guten 
Leitung  des  Metalles,  welches  die  Blitze  gefahrlos  in  die  Erde 
leitet,  besteht  aber  zugleich  in  einer  allmählichen,  äusserlich 
nicht  wahrnehmbaren  Ausgleichung  der  entgegengesetzten  Elek- 
trizitäten der  "Wetterwolken  einerseits,  des  Erdbodens  andrerseits, 
begünstigt  durch  das  leichte  Ausströmen  der  Elektrizität  aus 
feinen  Spitzen. 

§  67.     Welches  sind  die  -wichtigsten  elektrischen  Apparate? 
1.  Die  Elektrisiermaschine.*)  (Fig.  32.)  Sie  beruht  auf 
der  Elektrizitätserregung   durch  Eeibung   zweier  Nichtleiter  und 
Ansammlung  derselben  auf  einem  isolierten  Leiter. 

Ihre  wesentlichen  Teile  sind:  a)  Eine  gläserne  Scheibe 
oder  Walze,  durch  eine  gläserne  Axe  (e  i) ,  die  auf  einem  Grlas- 
fusse  (s)  ruht,  drehbar  und  sich  am  Reibzeug  (p),  einem  ledernen, 
mit  Zinnzinkamalgam  überzogenen  Kissen,  reibend. 

b)  Der  metallene  Konduktor  (a),  eine  hohle  Messingkugel,  die 
mit  einer  metallenen,  ringförmigen,  in  eine  der  Scheibe  zugewen- 
deten Spitze  auslaufenden  Saugvorrichtung  (d)  verbunden  ist 
und  gleichfalls  auf  einem  Glasfusse  (g)  ruht. 

Bei  Handhabung  der  Maschine  setzt  man  das  Reibzeug  durch 
eine  eiserne  Kette  mit  dem  Erdboden  in  leitende  Verbindung,  um 
dessen  Elektrizität  abzuleiten  ,  und  dreht  die  Scheibe.     Letztere 

ladet  sich  mit  +  E,  das 
Reibzeug  mit  —  E ;  jene 
wird  von  der  Saugvor- 
richtung aufgenommen 
und  im  Konduktor  ge- 
sammelt. 

2.  Das  Elektro- 
phor**)  (Fig.  33),  eine 
Elektrisiermaschine  ein- 
fachster Konstruktion, 
bestehend  aus  einer 
metallenen  Platte  oder 
Schüssel  (c),  die  mit 
Fl=-  3S-  einem   Harzkuchen    (a) 

überdeckt  ist;  auf  letzteren  passt  eine  metallene  Scheibe,  der 
Deckel  (b),  mit  gläsernem  Isoliergriff  oder  an  drei  seidenen 
Schnüren  aufgehangen. 

*)  Die  erste  Elektrisiermaschine  wurde  von  Otto  von  Guerike,  dem 
Erfinder  der  Luftpumpe  konstruiert  (1670), 

**)  Elektrizitätsti  äger,  von  fjXExtpov  und  epopo?  (tragend). 


-     73     — 


Fig.  34. 


Das  Elektrophor  wird  geladen,  indem  man  den  Harzkuchen 
mit  einem  Pelze  peitscht ;  er  wird  dabei  negativ  elektrisch.  Setzt 
man  dann  darauf  den  Deckel  auf  und  hebt  ihn  nach  einmaliger  Be- 
rübrung  mit  dem  Finger  wieder  isoliert  ab,  so  ist  er  durch  „Ver- 
teilung1' positiv  elektrisch  geworden.  Beim  Annähern  an  die  negativ 
elektrische,  metallene  Unterlage  (Schüssel) 
springt  ein  Funken  über. 

3.  Die  Ver Stärkung s f lasche,  auch 
Leidener  oder  Kleistsche  Flasche*) 
genannt.  (Fig.  34.)  Ein  gläsernes  G-efäss, 
aussen  und  innen  bis  zu  2/3  Höhe  mit  Stanniol 
belegt,  sodass  der  obere  Rand  frei  bleibt. 
Die  Öffnung  ist  mit  einem  Metalldraht  ver- 
sehen, der  bis  zum  inneren  Belege  führt  und 
oben  in  einen  Knopf  endigt. 

Diese  Flasche  dient  zur  Ansammlung 
grösserer  Elektrizitätsmengen.  Mau  fasst 
das  äussere  Beleg  •  mit  der  Hand  an  und 
nähert  den  Knopf  einem  geladenen  Konduktor  oder  dem  Deckel 
des  Elektrophors ,  wobei  ein  Funken  überspringt.  Dadurch  dass 
das  äussere  Beleg  mit  dem  Erdboden  in  leitende  Verbindung  ge- 
setzt wurde,  vermag  die  in  das  innere  Beleg  übergeführte  Elek- 
trizität eine  gleiche  Menge  entgegengesetzter  Elektrizität  am 
äusseren  Beleg  anzusammeln  und  zu  binden.  Dadurch  tritt  eine 
elektrische  Spannung  zwischen  beiden  Lagen  ein ,  welche  bei  zu 
starker  Ladung  die  Flasche  zertrümmern  kann. 

Man  entladet  die  geladene  Flasche  durch  gleichzeitiges  Be- 
rühren des  äusseren  Überzugs  und  des  Knopfes ;  dabei  nimmt 
man  ein  Zucken  der  Muskeln  wahr.  Bilden  mehrere  Personen 
eine  Reihe,  deren  erstes  Glied  das  äussere  Beleg,  das  letzte  den 
Knopf  berührt,  so  geht  die  Entladung  mit  der  Muskelerschütterung 
durch  sämtliche  Glieder. 

4.  Das  Elektroskop  (Elektrometer),  zur  Prüfung  eines 
Körpers  auf  freie  Elektrizität.  Das  gebräuchlichste  Instrument 
ist  das  Goldblatt  elektroskop,  zwei  nebeneinander  an  einer 
Metallplatte  aufgehängte  Goldblättchen,  zum  Schutze  in  einem 
Glase  eingeschlossen.  Wird  die  Platte  einerseits  mit  einer  ge- 
riebenen Siegellackstange,  andrerseits  einmal  mit  dem  Finger  be- 
rührt, so  wird  die  —  E  abgeleitet,  die  Goldblättchen  behalten  ihre 
+  E  und  weichen,  nach  Aufhebung  der  Berührung,  der  Abstossung 
gleichnamiger  Elektrizitäten  folgend,  auseinander.  Nähert  man 
nun    der  Platte    einen    negativ  geladenen  Körper,   so    fallen   die 


*)  Sie  wurde  1745  vom  Domherrn  v.  Kleist  erfunden  und  darauf  von 
Muschenbroek  zu  Leiden  angewendet. 


-     74     — 

Blättchen  zusammen,  da  ihre  +  E  von  der  —  E  des  genäherten 
Körpers  angezogen  und  in  der  Platte  angesammelt  wird.  Besitzt 
der  genäherte  Körper  -f-  E,  so  weichen  die  Blättchen  infolge  ver- 
mehrter Abstossung,  noch  weiter  auseinander.  Ein  nicht  elek- 
trischer Körper  wirkt  auf  die  spreizenden  Blättchen  kaum  ein. 

Statt  der  Goldblättchen  wendet  man  auch  Korkkü gel- 
chen an. 

Versuche. 

1.  Elektrische  Anziehung  und  Abstossung.  Man  reibe  ejne 
Siegellackstange  eine  kurze  Weile  mit  einem  wollenen  Lappen  und  halte 
sie  dicht  über  ein  Häufchen  kleinster  Papierschnitzel:  dieselben  werden 
lebhaft  angezogen  und  nach  einigen  Momenten  wieder  abgestossen  werden. 
Den  Versuch  wiederhole  man  mit  einem  geriebenen  Glasstabe;  er  wird 
das  Nämliche  ergeben. 

Ein  kleines,  aus  Kork  (besser  noch  Hollundermark)  geschnittenes 
rundes  Kügelchen  hänge  man  an  einem  Zwirnfaden  auf  (elektrisches  Pendel) 
und  nähere  ihm  eine  geriebene  Siegellackstange-,  es  wird  lebhaft  ange- 
zogen. Eine  geriebene  Glasstange  bewirkt  ein  Gleiches.  Hält  man  zur 
einen  Seite  die  Siegellack-,  zur  anderen  die  Glasstange,  so  kann  man  das 
Kügelchen  abwechselnd  hin  und  her  pendeln  lassen. 

Die  Siegellackstange,  noch  mehr  aber  die  Glasstange,  verlieren,  zumal 
bei  feuchter  Luft,  ihre  Elektrizität  sehr  schnell. 

2.  Elektroskop.  Man  wähle  ein  kurzhalsiges  Kochfläschchen  oder 
ein  Opodeldokglas,  dessen  Öffnung  man  mit  einem  Kork  verschliesst,  durch 
welchen  man  einen  mehrzölligen  Messingdraht  steckt.  Der  letztere  muss 
aber  zuvor  mit  Schellack  zur  Isolierung  gegen  den  Kork  dick  überzogen 
werden.  Das  obere  Ende  des  Drahtes  versehe  man  mit  einer  kleinen  glatt- 
geschnittenen Bleikugel  oder  löte  ein  kleines  Messingplättchen  auf;  das 
untere  Ende  werde  plattgeschlagen  und  mittelst  Gummilösung  zwei 
Streifen  echtes  Blattgold  angeklebt.  Vorsichtig,  unter  Vermeidung  jeden 
Luftzuges,  bringe  man  schliesslich  an  dem  so  behandelten  Korkstopfen 
die  Goldblättchen  in  das  völlig  ausgetrocknete  Glas. 

Berührt  man  den  Knopf  (die  Platte)  des  Elektroskops  mit  einer  ge- 
riebenen Siegellackstange  ( —  E),  so  weichen  die  Blättchen  auseinander, 
infolge  Ansammlung  von  —  E,  während  die  -f-  E  im  Knopfe  von  der 
—  E  der  Stange  gebunden  gehalten  wird.  Nach  Entfernung  des  Siegel- 
lacks vereinigen  sich  die  beiden  Elektrizitäten  im  Elektroskop  wieder,  und 
dessen  Blättchen  fallen  zusammen. 

Berührt  man  den  Knopf  mit  der  geriebenen  Siegellackstange  und 
zugleich  mit  dem  Finger,  so  leitet  man  die  gleichnamige  —  E  ab;  wird 
der  Finger  weggezogen  und  dann  erst  der  Siegellack  entfernt,  so  bleibt 
das  Elektroskop  mit  -f-  E  geladen,  diese  wird  frei  und  treibt  (beim  Ent- 
fernen der  Stange)  die  Goldblättchen  auseinander.  In  dieser  Weise  erteilt 
man  dem  Elektroskop  die  entgegengesetzte,  nämlich  -f-  E. 

Nähert  man  einem  so  geladenen  Elektroskope  einen  gleichnamig 
(positiv)  elektrischen  Körper,  z.  B.  eine  geriebene  Glasstange,  so  weichen 
die  Blättchen  noch  weiter  auseinander;  ein  ungleichnamig  (negativ)  elek- 
trisierter Körper,  z.  B.  eine  geriebene  Siegellackstange  (Schwefel,  Harz),, 
bewirkt  beim  Annähern  ein  Zusammenfallen  der  Blättchen.  Bei  sehr_ 
starker  Ladung  kann  im  letzteren  Falle  ein  abermaliges  Auseinanderfahren 
eintreten,  wenn  der  elektrische  Körper  zu  schnell  oder  zu  nahe  herange- 
bracht wird. 


—     75     — 

3.  Elektrophor.  Eine  flache,  kreisrunde  Blechschüssel  (Form)  von 
etwa  20  cm  Durchmesser  und  1,5 — 2  cm  hohem  Rande  giesse  man  mit  einer 
Harzmasse  aus  gleichen  Teilen  Kolophonium  und  schwarzem  Pech  nahezu 
voll.  Es  ist  dabei  vorzugsweise  darauf  zu  achten,  dass  die  Form  ganz 
horizontal  stehe  und  nach  dem  Erkalten  die  Harzfläche  völlig  eben  sei. 
(Etwa  entstehende  Blasen  entferne  man  durch  Darüberhalten  eines  heissen 
Eisens.)  Auf  die  letztere  passe  man  eine  Blechscheibe  von  etwas  kleinerem 
Durchmesser,  deren  Rand  um  einen  Draht  herumgebogen  ist.  Man  löte 
auf  diesen  Deckel  entweder  einen  Glasstab  mit  Siegellack,  oder  hänge  ihn  an 
drei  seidenen  Schnüren  auf,  die  oben  an  seinem  Rande  befestigt  und  durch 
einen  gemeinsamen  Knoten  verbunden  sind.  Vor  allem  sei  der  Deckel  eben. 

Man  ladet  den  Elektrophor  durch  Peitschen  des  Kuchens  mit  einem 
Fuchsschwanz  oder  Katzenfell,  wobei  weniger  stark,  als  schnell  geschlagen 
werde.     Bei  trockener  Witterung  behält  er  seine  Ladung  tagelang. 

Setzt  man  den  Deckel  auf,  berührt  ihn  kurz  mit  dem  Finger  und  hebt 
ihn  ab,  so  hat  er  freie  (entgegengesetzte)  -j-  E.  Nähert  man  ihn  dem  Rande 
der  Form  oder  dem  Fingerknöchel,  so  springt  ein  kleiner  Funke  über. 

4.  Leidener  Flasche.  Man  wähle  ein  mittelgrosses  sog.  Zucker- 
glas (Einmachglas),  beklebe  es  innen  und  aussen  bis  zu  2/3  Höhe,  sowie  auch 
den  innern  Boden  mit  Stanniol,  den  man  in  Streifen  geschnitten  und  mit 
Stärkekleister  bestrichen  hat;  den  oberen  Teil  des  Glases  überziehe  man 
mit  einer  Schellacklösung.  Dann  löte  man  einem  ziemlich  dicken  Messing- 
draht (etwa  7.3  länger,  als  die  Höhe  des  Glases  beträgt)  eine  glattge- 
schnittene Bleikugel,  besser  noch  einen  Messingknopf  an,  stecke  ihn  durch 
einen  Kork  oder  eine  dicke  Pappscheibe,  welche  auf  die  Öffnung  des 
Glases  passt,  und  bringe  ihn  am  untern  Ende  durch  ein  kurzes  metallenes 
Kettchen  mit  dem  Boden  des  Gefässes  in  leitende  Verbindung.  Schliess- 
lich befestige  man  den  Kork  oder  die  Pappscheibe  mit  Siegellack  am 
Glasrande  und  überziehe  sie  mit  Schellackfirniss. 

Zum  Laden  der  Flasche  genügen  50 — 100  Funken  aus  dem  Elektro- 
phordeckel.  Zur  Entladung  der  Flasche  dient  der  sog.  Auslader,  in 
einfachster  Konstruktion  ein  gebogener  Messingdraht  mit  zwei  Messing- 
knöpfen am  Ende,  in  der  Mitte  mit  einem  isolierenden  Glas-  oder  Holz- 
griff. Legt  man  den  einen  Knopf  an  die  äussere  Belegung  und  nähert 
dann  den  andern  dem  Knopfe  der  Flasche,  so  schlägt  ein  Funke  über, 
der  die  Flasche  entladet.  Bringt  man  zuvor  zwischen  die  äussere  Belegung 
und  den  Auslader  ein  Stückchen  Briefpapier,  so  findet  man  dasselbe  vom 
Funken  durchbohrt. 

Fragen. 

1.  Weshalb  laden  sich  zwei  Metaüstücke  beim  Reiben  nicht  mit 
Elektrizität?  —  Antw.  Weil  sie,  als  gute  Leiter,   letztere  sofort  ableiten. 

2.  Weshalb  ruhen  bei  der  Elektrisiermaschine  Konduktor  und  Scheibe 
auf  Glasfüssen?  —  Antw.  Um  sie  zu  isolieren,  damit  sie  ihre  Elektrizität 
nicht  alsbald  wieder  verlieren. 

3.  Weshalb  muss  beim  Laden  der  Deckel  des  Elektrophors,  nach- 
dem er  auf  den  Harzkuchen  gesetzt  ist,  berührt  werden?  —  Antw.  Die 
Berührung  leitet  die  —  E  des  Deckels  ab ;  fände  sie  nicht  statt,  so  würde 
der  Deckel  nach  dem  Abheben  wieder  unelektrisch  werden. 

4.  Welchen  Gegenständen  folgt  der  Blitz  vorzugsweise?  —  Antw. 
Zunächst  den  hervorragenden  Spitzen,  z.  B.  Bäumen,  Türmen  u.  dgl.  So- 
dann guten  Leitern,  z.  B.  Metallstangen,  auch  Wassermassen. 


—     76     — 
18,  Der  Gralvanismus,*) 

§  68.  Was  ist  eine  galvanische  Kette?  Wenn  zwei  Leiter  der  Elek- 
trizität sich  auf  der  einen  Seite  direkt  berühren,  auf  der  andern 
Seite  durch  Wasser  oder  eine  angefeuchtete  Pappscheibe  u.  dgl. 
miteinander  in  Verbindung  gesetzt  sind,  so  wird  die  +  E  der 
beiden  Leiter  zerteilt,  freie  -f-  E  geht  in  den  einen  derselben, 
—  E  in  den  anderen  über;  durch  den  feuchten  Zwischenleiter 
findet  zwar  darauf  ein  Ausgleich  statt,  da  aber  die  Zerteilung  eine 
andauernde  ist,  so  entstehen  kontinuierliche  elektrische 
Ströme,  ein  positiver  und  ein  negativer,  von  entgegengesetzter 
Richtung.  So  lange  die  Berührung  der  beiden  Leiter  in  obiger 
Weise  stattfindet,  gehen  diese  Ströme  von  denselben  aus  und 
durch  den  Zwischenleiter  wieder  zu  ihnen  zurück. 

Als  Erreger  —  Elektromotoren  —  wendet  man  gewöhnlich 
zwei  Metalle  an  und  nennt  ihre  Yerbindung  mit  dem  feuchten 
Zwischenleiter  ein  galvanisches  Element  oder  eine  ein- 
fache galvanische  Kette,  die  erregte  Elektrizität  einen  gal- 
vanischen Strom. 

Wird  ein  Kupferstreifen  an  einen  Zinkstreifen  gelötet  und 
die  beiden  umgebogenen  Enden  in  Wasser  getaucht,  welches 
durch  einige  Tropfen  Säure  oder  etwas  Kochsalz  besser  leitend 
gemacht  ist,  so  geht  die  +  E  an  der  Lötstelle  vom  Kupfer  zum 
Zink,  im  Zwischenleiter  vom  Zink  zum  Kupfer  zurück;  die  —  E 
beschreibt  den  umgekehrten  Weg,  vom  Zink  zum  Kupfer  und 
durch  den  Zwischenleiter  vom  Kupfer  zum  Zink  zurück.  Man  sagt : 
>-f-  E  geht  mit  dem  Alphabet  d.  i.  von  K  (Kupfer)  zu  Z  (Zink).« 

Die  galvanische  Elektrizität,  welche  bei  Berührung  der  Elek- 
tromotoren entsteht,  unterscheidet  sich  von  der  mittelst  Reibung 
erzeugten  durch  geringere  Spannung,  aber  kontinuierliche  Dauer. 

Indem  man  den  Zinkstreifen  einer  Kette  mit  dem  Kupfer- 
streifen einer  anderen  Kette  in  ein  Glas  mit  Wasser  eintaucht, 
lässt  sich  eine  grössere  Anzahl  von  Ketten  zu  einer  galva- 
nischen Batterie  verbinden.  Die  Endglieder  derselben  ver- 
sieht man  mit  Metalldrähten,  den  sog.  Schliessungsdrähten. 
Werden  die  letzteren  miteinander  direkt  oder  durch  einen  feuchten 
Zwischenleiter  verbunden,  so  schliesst  man  die  Batterie,  und  die 
elektrischen  Ströme  treten  auf;  trennt  man  die  Drähte,  so  öffnet 


*)  Galvanismus ,  galvanische  Elektrizität,  abgeleitet  von 
Galvani,  Professor  der  Medizin  in  Bologna.  Derselbe  fand  1789,  dass 
präparierte  Froschschenkel,  die  mittelst  kupferner  Haken  an  einem  eisernen 
Geländer  hingen,  in  Zuckungen  gerieten,  wenn  sie  zufällig  das  Geländer 
berührten.  Galvani  erklärte  diese  auffallende  Erscheinung  durch  tierischen 
Magnetismus,  bis  Volta  die  Elektrizität  als  Ursache  erkannte  und  durch 
Versuche  konstatierte. 


—     77     - 

sich  die  Batterie,  und  die  elektrischen  Ströme  verschwinden.  Die 
Endpunkte  der  beiden  Schliessungsdrähte  heissen  die  Pole,  und 
zwar  ist  der  Zinkpol  der  negative,  der  Kupferpol  der 
positive  Pol,  da  an  der  Berührungsstelle  beider  Leiter  die  —  E 
vom  Zink  zum  Kupfer,  die  +  E  vom  Kupfer  zum  Zink  übertritt. 

Wendet  man  als  Zwischenleiter ,  statt  reines  Wasser ,  eine 
Salzlösung  oder  verdünnte  Säure  an,  so  verstärkt  sich  der  elek- 
trische Strom  bedeutend.  (Elektrochemische  Kette.)  Im 
übrigen  wächst  die  Stromstärke  mit  der  Anzahl  der  Glieder  und 
der  Grösse  der  Metallplatten.  Die  einzelnen  Metalle  sind  nicht 
gleich  in  der  elektrischen  Spannung.  Es  lässt  sich  folgende  Reihe 
aufstellen : 

-f-  E  Zink,  Blei,  Zinn,  Eisen,  Kupfer,  Silber,  Gold,  Platin, 
Kohle  —  E. 

In  dieser  Reihe  ladet  sich  jedes  Glied  elektropositiv  gegen 
die  nachfolgenden,  elektronegativ  gegen  die  vorhergehenden  Glieder. 
Je  weiter  zwei  Metalle  in  obiger  Spannungsreihe  auseinander 
stehen,  um  so  grössere  Elektrizitätsmengen  liefern  sie  bei  ihrer 
Verbindung  zu  einer  Kette. 

§  69.  Was  ist  eine  konstante  Kette?  Die  aus  Zink  und  Kupfer 
konstruierten  Ketten  haben  den  Nachteil,  in  kurzer  Zeit  ihre 
Wirksamkeit  zu  schwächen  und  endlich  ganz  einzustellen.  Die 
Ursache  hiervon  liegt  in  der  zugleich  vor  sich  gehenden  che- 
mischen Wasserzersetzung,  infolge  deren  das  Kupfer  sich  mit  einer 
dünnen  Wasserstoffschicht  überzieht  und  allmählich  ausser  Be- 
rührung mit  dem  Zwischenleiter  kommt.  Diesem  Übelstande  hilft 
man  dadurch  ab,  dass  eine  Flüssigkeit  als  Zwischenleiter  angewendet 
wird,  welche  auf  den  entwickelten  Wasserstoff  oxydierend  wirkt 
(Kupfervitriollösung,  Salpetersäure  u.  a.).  Zugleich  muss  das  Zink, 
um  nicht  zu  stark  aufgelöst  zu  werden,  von  diesem  oxydierenden 
Zwischenleiter  räumlich  abgetrennt  werden,  ohne  jedoch  ausser 
Leitung  mit  dem  Kupfer  zu  gelangen,  —  Bedingungen,  welche 
durch  porösen  Thon  erfüllt  werden.  Man  konstruiert  hiernach 
sogenannte  konstante  Ketten,  indem  man  den  Kupfercylinder 
(Fig.  35  K)  in  ein  Glas  mit  Kupfervitriollösung,  den  Zinkcylinder 
(Z)  in  einen  Thonbecher  (T)  mit  verdünnter  Schwefelsäure  eintaucht. 
Diese  Kette  aus  Zink  und  Kupfer  nennt  man  nach  ihrem  Erfinder 
Daniel  Ische  Kette.  Der  Kupfercylinder  trägt  einen  kupfernen 
Streifen  (p)  mit  Klemmschraube  (s),  welche  dazu  dient,  den  an 
den  Zinkcylinder  angelöteten  Metallstreifen  (m)  des  nächsten  Be- 
chers anzuschrauben.  Solcherweise  verbindet  man  eine  beliebige 
Zahl  von  Bechern  miteinander. 

Die  Meidingersche  Kette  ist  eine  Zink -Kupferkette  ohne  Thon- 
cylinder.     Der    Zinkcylinder    taucht   in  eine  Bittersalzlösung,    der    Kupfer- 


—     78     - 

cylinder  in  eine  Kupfervitriollösung,  beide  Salzlösungen  mischen  sich  zu- 
folge ihres  verschiedenen  spez.  Gewichtes  nur  wenig.  Diese  Kette  ist  zwar 
nur  schwach,  aber  von  jahrelanger  Wirksamkeit,  da  die  Metallcylinder  nur 
unbedeutend  angegriffen  werden. 


lliliMlJiiill 


Fig.  35.  Fig.  36. 

Wendet  man  statt  des  Kupfers  dichte  Kohle  an,  so  erhält 
man  die  sog.  Bunsensche  Kette  (1842  von  Bunsen  konstruiert.) 
Jeder  Becher  besteht  aus  einem  Glase  (Fig.  36),  in  welchem  ein 
Zinkcylinder  in  verdünnte  Schwefelsäure  eintaucht;  innerhalb 
desselben  steht  ein  Thoncylinder  mit  Salpetersäure,  worin  ein 
Stück  kompakte  Kohle  gesetzt  ist.  Mittelst  Schrauben  lassen  sich 
diese  Becher  durch  Metalldraht  verbinden ,  und  zwar  der  Zink- 
cylinder  des   einen  Bechers  mit  der  Kohle  des   nächstfolgenden. 

Der  vom  Zink  kommende  Schliessungsdraht  bildet  den  negativen, 
der  vom  Kupfer  resp.  der  Kohle  kommende  Draht  den  positiven  Pol. 

Der  positiv  elektrische  Strom  wandert  also  vom  Kupfer  zum 
Zink,  alsdann  durch  den  Zwischenleiter  wieder  zum  Kupfer;  der 
negative  Strom  beschreibt  den  entgegengesetzten  Weg. 

§  70.  Was  ist  die  Volt asche  Säule?  Volta  konstruierte  (1800) 
eine  galvanische  Kette  in  Säulenform,  indem  er  Zink-  und  Kupfer- 
platten aufeinander  schichtete  und  nach  jedem  Plattenpaare  eine 
mit  Kochsalzlösung  getränkte  Pappscheibe  folgen  liess.  Es  muss 
streng  dieselbe  Ordnung  beibehalten  werden :  Kupfer,  Zink,  Papp- 


79    — 


scheibe  u.  s.  f.  An  dem  einen  Ende  liegt 
eine  einfache  Kupferplatte ,  am  andern 
eine  einfache  Zinkplatte,  an  denen  die 
beiden  Schliessungsdrähte  angelötet  sind. 
Hiernach  ist  die  Säule  wie  folgt  aufgebaut: 
—  E  Zink 

Pappscheibe 

Kupfer 

Zink 

Pappscheibe 

Kupfer 

Zink 

Pappscheibe 

Kupfer 

Zink 

Pappscheibe 
-f-  E  Kupfer. 
Auch  hier  ist  der  yom  Kupfer 
kommende  Draht  der  positive,  der 
vom  Zink  kommende  der  negative 
Pol,  da  die  +  E  von  oben  nach  unten, 
uie  —  E  von  unten  nach  oben  die  Säule 
durchläuft. 


§  71.  Welche   "Wirkungen  äussert  der  elek-  £•       • 

trische  Strom?     Die   Wirkungen   des  Stromes  sind  dreifacher  Art: 

a)  Physiologische  Wirkungen:  Muskelzucken,  welches 
eintritt,  sowie  man  mit  angefeuchteten  Fingern  die  beiden  Pol- 
enden anfasst ;  beim  Loslassen  bemerkt  man  abermals  ein  Zucken. 
Während  des  Yerlaufs  wirkt  der  elektrische  Strom  auf  die  Nerven 
nicht  ein,  sondern  nur  beim  Schliessen  und  Öffnen  der  Kette. 

b)  Physikalische  Wirkungen:  Erzeugung  von  Licht  und 
Wärme.  An  den  Polen  einer  kräftigen  Batterie  bemerkt  man 
beim  Schliessen  wie  beim  Öffnen  einen  Funken.  Der  Schliess- 
ungsdraht erleidet  eine  um  so  höhere  Erhitzung,  je  stärker  der 
Strom,  je  dünner  der  Draht  und  je  schlechter  leitend  sein  Metall 
ist.     Man  kann  ihn  zum  Glühen,  sogar  zum  Schmelzen  bringen. 

Zwischen  den  auf  einige  Millimeter  genäherten  Polenden  be- 
merkt man  einen  Lichtbogen  —  elektrisches  Licht,  indem 
die  schlecht  leitende  Luft  ins  Glühen  kommt.  Die  Farbe  dieses 
Lichtes  hängt  ab  von  der  Natur  der  Polenden.  Bewaffnet  man 
die  Polenden  mit  Kohlenspitzen,  so  gelangen  diese  selbst  in  ein 
höchst  intensives  Glühen  —  elektrisches  Kohlen-Licht. 
Zu  seiner  Erzeugung  sind  jedoch  Batterien  aus  80—100  Ele- 
menten nötig. 


—     80     - 

c)  Chemische  Wirkungen:  Zersetzung  des  Zwischen- 
leiters.  Das  Wasser  zerlegt  sich  in  Wasserstoffgas,  welches  am 
negativen  Elemente  (Kupfer)  entwickelt  wird,  und  Sauerstoff, 
welches  an  das  positive  Element  (Zink)  tritt  und  dasselbe  oxydiert. 
Metalle  werden  aus  ihren  Salzlösungen  metallisch  ausgeschieden, 
und  zwar  am  negativen  Pole.  Aus  den  geschmolzenen  Salzen 
der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  kann  man  in  dieser  Weise 
ebenfalls  ihre  Metalle  gewinnen ;  wenn  aber  Wasser  zugegen  ist,, 
zerfallen  sie  in  Säure  und  Metalloxyd. 

Die  chemische  Zerlegung  durch  den  elektrischen  Strom  nennt 
man  Elektrolyse,  das  vom  Kupfer  kommende  (positive)  Pol- 
ende wurde  von  Farad ay  als  Anode,  das  vom  Zink  kommende 
(negative)  Polende  als  Kathode*)  bezeichnet.  Man  versieht 
beide  mit  Platinplättchen ,  welche  von  den  bei  der  Elektrolyse 
auftretenden  Stoffen  nicht  angegriffen  werden. 

§  72.  Galvanoplastik.  Man  benutzt  die  elektrolytische  Metall- 
ausscheidung am  negativen  Pole  (Kathode)  zur  Nachbildung  von 
Figuren.  Bei  langsamer  Ausscheidung  von  Kupfer  aus  einer  Kupfer- 
vitriollösung entsteht  nämlich  eine  dichte,  zusammenhängende 
Kupferschicht,  welche  genau  die  Form  der  Kathode  besitzt,  nur 
im  entgegengesetzten  Sinne,  da  die  erhabenen  Teile  der  Kathode 
vertieft,  ihre  vertieften  Teile  erhaben  erscheinen.  Diesen  nega- 
tiven Abdruck  wendet  man  wieder  als  Kathode  an  und  gewinnt 
dann  einen  zweiten  Abdruck,  der  den  ursprünglichen  Gegenstand 
völlig  getreu  wiedergiebt.  Metallische  Körper,  wie  gestochene 
Kupferplatten ,  lassen  sich  direkt  als  Kathode  benutzen  und  mit 
dem  vom  Zink  kommenden  Schliessungsdraht  verbinden.  Holz- 
schnitte müssen  zuvor  durch  Bepinseln  mit  Graphitpulver  leitend 
gemacht  werden. 

Wendet  man  statt  der  Kupferlösung  eine  Gold-  oder  Silber- 
lösung an,  so  überzieht  sich  die  Kathode  mit  einer  dünnen  Gold- 
resp.  Silberschicht  —  galvanische  Vergoldung  und  Ver- 
silberung. Vorzugsweise  sind  die  Cyanverbindungen  genannter 
Edelmetalle**)  dazu  am  tauglichsten,  weil  sie  am  leichtesten  durch 
den  elektrischen  Strom  zersetzt  werden.  An  der  Kathode  scheidet 
sich  das  edle  Metall,  an  der  Anode  Cyangas  aus. 

Versuche. 

1.     Aufbau    einer  Voltaschen   Säule.     Kreisrunde,! — 2  mm  dicke 


*)  Anode  von  avooo?  Aufgang,  weil  am  -\-  Pol  Sauerstoffgas  ent- 
wickelt wird;  Kathode  von  xaö-oöog  Hinabgang,  weil  sich  am  —  Pol  die 
Metalle  ausscheiden. 

**)  Die  Goldlösung  gewinnt  man  aus  1  Teil  Chlorgold,  6  Teilen 
Ferro cyankalium  und  200  Teilen  Wasser;  die  Silberlösung  aus  Silber- 
salpeter, dessen  wässerige  Lösung  mit  soviel  Cyankalium  versetzt  wird,, 
dass  der  entstehende  weisse  Niederschlag  wieder  aufgelöst  ist. 


-      81     — 

Platten  von  Zink  und  Kupfer,  in  gleicher  Grösse,  putze  man  blank  und 
tränke  ebenso  viele  und  gleich  grosse  Scheiben  dicken  Pappdeckels  mit 
einer  Kochsalzlösung.  Auf  eine  Glastafel  lege  man  zunächst  eine  Kupfer- 
scheibe, woran  ein  Kupferdraht  angelötet  ist,  darauf  eine  Pappscheibe 
und  schichte  nun  die  übrigen  Platten,  stets  in  der  Ordnung:  Zink,  Kupfer, 
Pappe.  Oben  endige  man  mit  einer  Zinkscheibe,  an  der  ein  Kupferdraht 
angelötet  ist.  —  Man  schliesst  die  Säule,  indem  man  beide  Pole  mit  an- 
gefeuchteten Händen  berührt.  In  demselben  Momente  bemerkt  man  ein 
leichtes  Zucken  der  Muskel;  ebenso  beim  Öffnen  der  Säule. 

Die  Säule  verliert  nach  einigen  Stunden  an  "Wirksamkeit.  Nach  dem 
Auseinandernehmen  scheure  man  die  Metallplatten  mit  Wasser  und  Sand  blank. 

2.  Bau  einer  galvanischen  Kette.  Eine  höchst  einfache,  wenn- 
gleich stromschwache  Kette  stellt  man  aus  6 — 10  schmalen  Streifen  aus 
Zink-  und  Kupferblech  her,  die  man  zu  je  zwei  an  einem  Ende  zusammen- 
lötet und  daselbst  umbiegt.  Ein  Kupfer-  und  ein  Zinkstreifen  bleiben 
getrennt,  an  jeden  wird  aber  ein  längerer  Kupferdraht  angelötet.  Die 
verbundenen  Streifen  setze  man  in  genäherte  Glas-  oder  Porzellannäpfchen 
oder  in  Probiercylinder,  die  mit  Kochsalzlösung  gefüllt  sind:  die  einzelnen 
Streifen  bilden  den  Anfang  und  das  Ende.  Ein  jedes  Gefäss  muss  einen 
Zink-  und  einen  Kupferstreifen  erhalten;  es  ist  aber  darauf  zu  sehen,  dass 
dieselben  im  Gef  ässe  sich  nicht  berühren,  —  was  durch  zwischengeschobene 
Korke  verhütet  werden  kann. 

3.  Versuche  mit  dem  galvanischen  Strome.  Mit  einer 
Voltaschen  Säule  (aus  etwa  20  Plattenpaaren)  oder  mehreren  Bun sen- 
schen resp.  Daniel! sehen  Bechern,  auch  wohl  mit  der  eben  angegebenen 
galvanischen  Kette,  lassen  sich  folgende  Versuche  anstellen: 

a)  Geschmacksempfindung.  Den  einen  Draht  lege  man  quer 
über  die  Mitte  der  Zunge,  den  andern  an  die  Zungenspitze;  an  letzterer 
nimmt  man  dann  einen  beissenden  Geschmack  wahr,  der  säuerlich  ist  beim 
negativen,  brennend  scharf  beim  positiven  Poldraht. 

b)  Elektrolyse.  Eine  nicht  zu  enge  Glasröhre  biege  man  in  der 
Mitte  knieförrnig  um,  fülle  sie  mit  einer  Glaubersalzlösung,  die  man  durch 
etwas  Lackmustinktur  (wässerigen  Auszug  von  Lackmus)  gefärbt  hat,  und 
lasse  zu  beiden  Seiten  die  mit  Platin  streifen  (auch  wohl  Platindraht)  be- 
setzten Poldrähte  eintauchen.  Am  -j-  Poldraht  färbt  sich  die  Flüssigkeit 
rot,  am  —  Poldraht  blau. 

Lässt  man  die  mit  Platinstreifen  versehenen  Poldrähte  in  eine  Kupfer- 
vitriollösung eintauchen,  so  dass  sie  noch  1 — 2  cm  von  einander  entfernt 
stehen,  so  überzieht  sich  das  Platin  der  Kathode  mit  einer  dünnen  Kupfer- 
schicht, die  man  beim  Herausnehmen  aus  der  Lösung  wahrnimmt.  Ver- 
tauscht man  später  die  Platinstreifen,  sodass  das  verkupferte  Stück  nun 
mit  dem  positiven  (vom  Kupfer  kommenden)  Poldraht  in  Verbindung  ge- 
setzt wird,  so  verschwindet  das  niedergeschlagene  Kupfer,  und  der  andere 
Platinstreifen  überzieht  sich  damit. 

c)  Versilberung.  Einen  Messingknopf  oder  andern  metallischen 
Gegenstand  verbinde  man  mit  dem  negativen  Poldrahte  und  tauche  ihn 
in  eine  Lösung  von  Höllenstein  unter,  während  man  in  einiger  Entfernung 
den  andern  Poldraht  eintauchen  lässt.  Nach  kurzer  Zeit  hat  sich  der 
Knopf  versilbert.  Man  kann  statt  dessen  auch  jeden  andern  Gegenstand 
verwenden,  wenn  man  ihn  mit  Graphitpulver  bestäubt. 

4.  Galvanoplastik.  Einen  etwa  10  cm  langen,  dicken  Zinkstreifen 
löte  man  an  einen  dreimal  längeren  Kupferblechstreifen,  biege  letzteren 
nahe  der  Lötstelle  hakig  gegen  den  Zinkstreifen  und  gegen  sein  anderes 
Ende   abermals   rechtwinklig  um.     Alsdann   verschliesse  man    einen   Glas- 

Schlickuin,  Apothekerlehiling.  Q 


—     82    — 

cylinder  einerseits  mit  feuchter  Blase  und  hänge  ihn  aufrecht  in  ein 
grösseres,  eine  gesättigte  Kupfervitriollösung  enthaltendes  Glasgefäss, 
während  man  in  den  Cylinder  sehr  verdünnte  Schwefelsäure  (1  :  16)  giesst. 
Der  Metallstreifen  wird  so  über  den  Rand  des  Cylinders  gehängt,  dass 
das  Zink  in  die  Säure,  das  Kupfer  in  die  Vitriollösung  eintaucht.  Legt 
man  auf  das  umgebogene  Ende  des  Kupferstreifens  eine  zuvor  mit  Ol  ein- 
geriebene und  wieder  abgetrocknete  Münze,  so  überzieht  sie  sich  in  einigen 
Tagen  mit  einem  negativen  Kupferabdruck.  In  die  Vitriollösung  sind 
einige  Kupfervitriolkrystalle  zu  legen,  auch  ist  die  Säure  zu  erneuern, 
sobald  sie  nicht  mehr  auf  das  Zink  wirkt. 

Fragen. 

1.  Wo  liegt  der  positive  Pol  einer  galvanischen  Batterie  resp. 
Volta sehen  Säule  aus  Kupfer  und  Zink? —  Antw.  Im  Schliessungsdraht, 
der  vom  Kupfer  kommt;  im  Zwischenleiter  befindet  er  sich  dagegen  am  Zink. 

2.  Weshalb  verliert  die  Voltasche  Säule  nach  einiger  Zeit  ihre 
Wirksamkeit?  —  Antw.  Weil  durch  das  Gewicht  der  Metallplatten  die 
Pappscheiben  trocken  gepresst  werden. 

3.  Was  schliessen  wir  daraus,  dass  der  Strom  der  elektrochemischen 
Kette  stärker  ist  als  bei  der  einfach  galvanischen,  welche  reines  Wasser 
als  Zwischenleiter  besitzt?  —  Antw.  Dass  der  Galvanisnius  nicht  an  der 
Berührungsstelle  der  beiden  Metalle,  sondern  an  der  Berührungsfläche  der 
Metalle  mit  dem  Zwischenleiter  entsteht  und  ein  Produkt  des  daselbst 
waltenden  chemischen  Prozesses  ist. 


19.  Der  Magnetismus. 

§  73.  Was  ist  ein  Magnet?*)  Seit  alten  Zeiten  kannte  man  ge- 
wisse Eisenerze  (Magneteisenstein,  Magnetkies),  welche  die  Fähig- 
keit besitzen,  Eisenstücke  in  geringer  Entfernung  anzuziehen. 
Mit  solchen  natürlichen  Magneten  war  man  imstande,  Stahl  durch 
Bestreichen  künstlich  magnetisch  zu  machen. 

Der  Magnet  zeigt  zwei  Stellen,  wo  die  Anziehungskraft  am 
stärksten  waltet  —  man  nennt  sie  seine  Pole.  Zwischen  ihnen 
giebt  es  eine  Stelle  ohne  magnetische  Kraft,  den  sog.  Indifferenz- 
punkt. Die  Pole  eines  stabförmigen  Magneten  liegen  an  dessen 
Enden,  der  Indifferenzpunkt  in  der  Mitte.  Ein  freischwebender 
Magnetstab  nimmt  eine  konstante  Richtung  an:  von  Norden 
nach  Süden.  Hiernach  bezeichnet  man  seine  Pole  als  Nord- 
pol und  Südpol.  Ein  eigentümliches  Verhalten  zeigen  zwei 
freischwebende  Magnete  zu  einander;  nähert  man  sie  mit  ihren 
Nordpolen,  so  stossen  sie  sich  ab,  ebenso  an  ihren  Südpolen; 
dagegen  zieht  der  Nordpol  des  einen  Magneten  den  Südpol  des 
anderen  an.     Daraus  resultiert  das  Gesetz: 

Gleichnamige  Pole  stossen  einander  ab,  ungleichnamige  ziehen  sich  an. 

Die  Anziehungskraft  eines  Magneten  beschränkt  sich  nicht 
auf  Eisen,    sondern    äussert   sich   auch,    wenngleich    schwächer, 

*)  XtO-o;  [i.ayvr]?,  der  Magnetstein  (natürlicher  Magnet). 


—     83     - 

auf  Kobalt  und  Nickel.    Sie  findet  auch  statt,  wenn  der  Magnet  vom 
Eisen  durch  eine  Zwischenwand,  z.  B.  ein  Blatt  Papier,  getrennt  ist. 

§  74.  Erdmagnetismus.  Die  konstante  nordsüdliche  Lage  eines 
frei  aufgehängten  Magneten ,  in  welche  er  nach  jeder  Ablenkung 
wieder  zurückkehrt,  lässt  schliessen,  dass  die  Erde  selbst 
magnetische  Kraft  besitze  und  als  ein  grosser  Magnet 
anzusehen  sei,  dessen  Pole  mit  den  geographischen  Polen  zu- 
sammenstimmen. Zur  Beobachtung  des  Erdmagnetismus  bedient 
man  sich  einer  feinen,  magnetisierten  Stahlnadel,  der  sog.  Mag- 
netnadel, die,  in  ihrem  Schwerpunkte  unterstützt,  frei  schwebt. 
Je  nachdem  man  sie  aufhängt,  unterscheidet  man: 

a)  Die  Deklinationsnadel,  eine  wagerecht  aufliegende 
Magnetnadel,  welche  die  Eichtung  von  Norden  nach  Süden  be- 
hauptet. Man  nennt  sie  Deklinationsnadel,  weil  sie  die  Abweichung 
(Deklination)  der  magnetischen  Pole  von  den  geographischen  Polen 
anzeigt.  Beiderlei  Pole  fallen  nämlich  nicht  zusammen.  Der 
magnetische  Nordpol  liegt  im  hohen  Norden  Amerikas  (70°  n. 
Br.,  97°  w.  L.);  daher  weicht  bei  uns  die  Magnetnadel  westlich 
ab.  Der  ^magnetische  Südpol  befindet  sich  im  südöstlichen 
Australien,  mithin  jenem  Nordpole  nicht  diametral  gegenüber. 

Man  gebraucht  die  Deklinationsnadel  allgemein  als  Kompass. 

b)  Die  Inklinationsnadel,  eine  im  Schwerpunkt  aufge- 
hängte Magnetnadel,  welche  ausser  der  nordsüdlichen  Richtung 
noch  die  stärkere  Einwirkung  eines  Erdpols  durch  ihre  geneigte 
Lage  (Inklination)  angiebt.  Sie  hängt  nämlich  nur  im  magnetischen 
Äquator,  d.  i.  gleich  weit  von  den  Polen  entfernt,  völlig  wage- 
recht; auf  der  nördlichen  Halbkugel  senkt  sie  dagegen  ihr  Nord- 
ende, auf  der  südlichen  ihr  Südende  herab,  da  der  näher  gelegene 
Pol  stärker  auf  sie  einwirkt  als  der  entferntere.  Am  magnetischen 
Erdpole  selbst  hängt  die  Nadel  senkrecht  herab. 

§  75.  Wie  wird  Eisen  magnetisch?  Man  kennt  zwei  Mittel,  ein 
Stück  Eisen  magnetisch  zu  machen : 

1.  Durch  Magnetisierung  mittelst  eines  Magneten. 
Der  Stahl  erlangt,  wenn  man  ihn  mit  einem  Magneten  bestreicht, 
selbst  magnetische  Kraft  und  hält  diese  mit  Zähigkeit  fest;  Stab- 
eisen besitzt  diese  Fälligkeit  nicht,  es  bleibt  nur  so  lange  mag- 
netisch, als  es  in  Berührung  mit  dem  Magneten  sich  befindet. 

Man  unterscheidet  den  einfachen  und  den  doppelten 
Strich;  zu  ersterem  benutzt  man  einen  geraden  Magnetstab,  mit 
dessen  einem  Pole  man  die  eine  Hälfte  des  zu  magnetisierenden 
Stahles,  mit  dessen  anderem  Pol  man  die  andere  Hälfte  desselben 
bestreicht.  Das  Streichen  muss  stets  in  gleicher  Weise  geschehen : 
Man  setzt  den  Pol  auf  die  Mitte  des  Stahles  und  fährt  nach  dessen 
Ende  zu;  dies  wiederholt  man  öfters. 

6* 


—    84     — 

Der  doppelte  Strich  geschieht  mit  einem  Hufeisenmagnet, 
d.  i.  einem  hufeisenförmig  gebogenen  Magnetstabe;  man  setzt  den- 
selben auf  die  Mitte  des  Stahlstücks  auf,  fährt  wiederholt  über 
dasselbe  hin  und  her  und  hebt  schliesslich  in  der  Mitte  ab. 

Ein  Hufeisenmagnet  wird  mit  einem  eisernen  Anker  ver- 
sehen und  mit  Gewichten  behängt.  Durch  allmählich  verstärkte 
Belastung  (Armatur)  erhöht  man  seine  magnetische  Kraft.  Man 
darf  jedoch  den  Anker  niemals  abreissen ,  sondern  schiebe  ihn 
seitlich  ab.  —  Glühhitze  hebt  den  Magnetismus  dauernd  auf. 

2.  Durch  den  elektrischen  Strom.  Wenn  man  den 
elektrischen  Strom  spiralig  um  ein  Stück  Eisen  führt,  so  wird 
dasselbe  magnetisch. 

Ist  der  (behufs  Isolierung)  mit  Seide  umsponnene  Leitungsdraht 
einer  galvanischen  Kette  in  dicht  genäherten  Windungen  um 
ein  hufeisenförmiges  Stück  Stabeisen  gewunden,  so  wird  letzteres 
magnetisch ,  sobald  man  die  Kette  scbliesst ,  verliert  seinen 
Magnetismus  aber  wieder  beim  Öffnen  der  Kette.  Eine  solche 
Vorrichtung  wird  ein  Elektromagnet  genannt.  Würde  man 
statt  Stabeisen  Stahl  verwenden,  so  behielte  dieser  den  erzeugten 
Magnetismus  längere  Zeit,  auch  nach  dem  Öffnen  der  Kette. 

Diese  Verhältnisse  lassen  uns  jeden  Magneten  als  einen  Körper  er- 
scheinen, um  dessen  Teilchen  nach  ein  und  derselben  Richtung  elektrische 
Ströme  kreisen.  Hieraus  erklärt  sich  die  magnetische  Anziehung  und  Ab- 
stossung  als  Folge  der  elektrischen  Anziehung  und  Abstossung;  auch 
stimmt  damit  die  Thatsache  überein,  dass  ein  elektrischer  Strom  eine  in 
seiner  Nähe  befindliche  Magnetnadel  aus  ihrer  nordsüdlichen  Richtung 
ablenkt.  Auf  dieser  Ablenkung  beruht  das  Galvanometer  oder  der 
Multiplikator,  ein  Instrument,  mittelst  dessen  selbst  die  kleinsten  Mengen 
galvanischer  Elektrizität  sich  nachweisen  lassen  (Fig.  38  M).  Für  die  Ab- 
lenkung gilt  die  Amperesche  Regel:  Denkt  man  sich  so  in  den -j- Strom 
gelegt,  dass  er  von  den  Füssen  zum  Kopfe  geht  und  man  der  Magnetnadel 
das  Gesicht  zuwendet,  so  wendet  sich  das  Nordende  derselben  nach  links  ab. 

§  76.  Elektrischer  Telegraph.  Die  wesentlichen  Punkte  der  elek- 
trischen Telegraphie  beruhen  in  Folgendem: 

Zwei  Stationen  (A,  B)  stehen  durch  einen  isolierten  Eisen- 
draht mit  einander  in  leitender  Verbindung,  deren  Endungen  zur 
Herstellung  der  Rückleitung  in  das  feuchte  Erdreich  hinabgeführt 
sind.  Auf  der  Station  A  befindet  sich  eine  konstante  Batterie, 
in  B  ein  Elektromagnet  in  jene  Drahtleitung  eingeschaltet.  Sobald 
man  nun  in  A  die  Kette  geschlossen  hat,  wird  in  B  der  Elektro- 
magnet magnetisch  und  zieht  einen  eisernen  Anker  an,  der  durch 
einen  passenden  Mechanismus  mit  dem  Zeiger  eines  Zifferblattes 
oder  mit  einem  Druckapparate  in  Verbindung  steht.  Wird  in  A 
die  Kette  geöffnet,  so  verliert  der  Elektromagnet  in  B  seine  Kraft 
und  lässt  den  Anker  fallen.  Durch  beliebig  wiederholtes  Öffnen 
und  Schliessen   der  Batterie  in  A  wird   mithin   in  B  nach  dem- 


—    85    — 

selben  Tempo  der  Anker  angezogen  und  gesenkt,  welche  Bewegung 
sich  auf  den  Zeiger  oder  den  Druckapparat  überträgt. 

Die  ältesten  elektrischen  Telegraphen  waren  Zeigertele- 
graphen, deren  Zeiger  an  einem  Zifferblatte  herumgeführt  wurde, 
an  welchem  die  Buchstaben  des  Alphabetes,  sowie  die  Zahlen  von 
1 — 10  verzeichnet  standen.  Jetzt  bedient  man  sich  vorzugsweise 
des  Morseschen  Drucktelegraphen,  welcher  mit  einem  Stifte 
auf  einen  sich  abrollenden  Papierstreifen  Punkte  und  Striche,  als 
Symbole  der  Buchstaben,  aufdruckt. 

Zum  Schliessen  und  Unterbrechen  des  Stromes  dient  der  Morsesche 
Schlüssel  oder  Taster,  ein  zweiarmiger  Hebel  aus  Metall,  welcher  in 
die  elektrische  Leitung  eingeschaltet  ist.  Im  ruhenden  Zustande  (Ruhe- 
kontakt) berührt  er  mit  seinem  einen  Ende  einen  Metallknopf  und  stellt 
die  Verbindung  mit  der  Erdleitung  her;  drückt  man  aber  auf  das  andere 
Ende,  so  wird  jene  Verbindung  gehoben,  der  Schlüssel  berührt  dann  einen 
zweiten  Metallknopf  (Arbeitskontakt)  und  stellt  die  Verbindung  mit  der 
Batterie  her  d.  h.  öffnet  den  Strom,  der  sofort  geschlossen  wird,  wenn 
man  den  Schlüssel  wieder  in  den  Ruhekontakt  versetzt. 

Der  galvanische  Strom  pflanzt  sich,  vermöge  seiner  geringeren 
Spannung,  viel  weniger  schnell  fort,  als  die  Reibungselektrizität; 
er  legt  in  der  Sekunde  3700  Meilen  zurück. 

Eine  andere  passende  Verwendung  findet  der  Elektromagnet 
beim  Haustelegraphen  (elektrische  Klingel),  dessen  Anker  an 
eine  Glocke  schlägt,  aber  so  eingerichtet  ist,  dass  er  in  demselben 
Momente  die  elektrische  Leitung  aufhebt  und  sich  dadurch  vom 
Elektromagneten  wieder  entfernt.  Es  entsteht  also  ein  einzelner 
Glockenschlag,  der  sich  aber  stets  wiederholt,  so  lange  man  mit- 
telst eines  Tasters  den  Strom  geöffnet  hält. 

Zum  Haustelegraphen  erzeugt  man  den  elektrischen  Strom,  der  nur 
schwach  zu  sein  braucht,  mittelst  einer  Meidinger sehen  Kette.  Dagegen 
benutzt  man  zur  Telegraphie  eine  Batterie  aus  Dan  i  eil  sehen  Ketten. 

Das  Telephon  nach  Bell  besteht  aus  einem  Magneten  und  einer  sehr 
dünnen,  höchst  elastischen  Metallplatte.  Man  verbindet  die  Stationen, 
deren  jede  ein  solches  Instrument  besitzt,  ähnlich  dem  Telegraphen  mit 
einem  Leitungsdraht.  Spricht  man  an  der  einen  Station  in  das  Telephon, 
so  gerät  die  Metallplatte  desselben  durch  die  Schallschwingungen  in  eine 
zitternde  Bewegung,  welche  die  Intensität  des  nahen  Magnetes  beeinflusst; 
da  derselbe  mit  dem  Telephon  der  anderen  Station  in  leitender  Verbindung 
steht,  so  erteilt  er  dem  Magnete  desselben  die  gleichen  Veränderungen, 
welche  dieser  der  ihm  zugehörigen  Platte  mitteilt,  worauf  die  letztere  in 
gleiche  Schwingungen  gerät,  wie  sie  durch  das  Sprechen  in  der  Platte  der 
ersten  Station  entstehen.  Daher  vernimmt  das  Ohr  an  der  zweiten  Station 
dieselben  Töne  und  Worte,  welche  die  erste  Station  empfangen  hat. 

§  77.  Induktion.  Umgiebt  man  eine  Drahtspirale  (Fig.  38  B) 
mit  einer  zweiten  Spirale  (A)  —  beide  durch  Umspinnen  mit 
Seide  isoliert  und  jede  für  sich  geschlossen  —  und  leitet  durch  die 
innere  Spirale  (B)  einen  elektrischen  Strom  (aus  der  Kette  E),  so 
entsteht  in  der  äusseren  Spirale  (A)  ein  zweiter  elektrischer,  sog. 


induzierter  Strom,  als  Folge  stattgefundener  elektrischer  Ver- 
teilung. Der  induzierte  Strom  besitzt  eine  dem  Hauptstrom  ent- 
gegengesetzte Richtung  und  nur  eine  momentane  Dauer, 
da  er  lediglich  beim  Öffnen  und  Schliessen  der  Kette  entsteht.  Er 
giebt  sich  durch  die  momentane  Ablenkung  der  Magnetnadel  eines 
damit  verbundenen  Galvanometers  (M)  zu  erkennen. 


Fig.  38. 

Da  dem  induzierten  Strome  vorzügliche  physiologische  Wir- 
kungen auf  Nerven-  und  Muskelsystem  zukommen,  hat  man  zu 
diesem  Zwecke  sog.  Induktionsapparate  konstruiert.  Die 
Enden  der  äusseren  Drahtspirale  sind  bei  ihnen  mit  messingenen 
Handhaben  versehen,  die  man  anfasst,  um  den  Strom  durch  den 
Körper  zu  leiten.  Damit  der  induzierte  Strom  anhaltende  Dauer 
erlange,  wird  der  Hauptstrom  rasch  hinter  einander  wiederholt 
geöffnet  und  geschlossen,  was  man  durch  eine  sinnreiche  Vorricht- 
ung (den  Hammer)  bewerkstelligt.  Durch  das  wiederholte  Öffnen 
und  Schliessen  des  Hauptstromes  bilden  sich  nun  rasch  aufeinander- 
folgende induzierte  Ströme. 

§  78.  Magneto-Elektrizität.  Man  kann  auch  durch  Annäherung 
und  Entfernen  eines  kräftigen  Magneten  in  einer  geschlossenen 
Drahtspirale  einen  induzierten  elektrischen  Strom  erzeugen.  Hie- 
rauf gründet  sich  der  magneto-elektriche  Eotationsapparat, 
in  welchem  eine  Drahtspirale  um  ein  hufeisenförmiges  Stück  weichen 


-     87     — 

Eisens  gewunden  ist,  dem  ein  Hufeisenmagnet  gegenübersteht. 
Durch  Umdrehen  des  letzteren  wird  das  weiche  Eisen  abwechselnd 
magnetisch  und  unmagnetisch ,  erzeugt  daher  in  der  Drahtspirale 
rasch  hintereinander  induzierte  Ströme, 

Indem  man  die  Umdrehung  des  Magneten  durch  eine  Dampfmaschine 
oder  einen  anderen  Motor  bewirkt,  ist  man  imstande,  einen  recht  kräftigen 
elektrischen  Strom  hervorzurufen,  wobei  man  die  aufeinanderfolgenden, 
entgegengesetzten  Ströme  durch  einen  sog.  Stromwender  in  eine  gleiche 
Richtung  bringt.  Mittelst  eines  solchen  magneto-elektrischen  Stromes 
kann  man  die  Wagen  einer  elektrischen  Eisenbahn  in  Bewegung 
setzen;  auch  benutzt  man  ihn  neuerdings  zum  elektrischen  Lichte. 
Von  Eddison  werden  luftleere  Glasglocken  konstruiert,  in  denen  eine  Bast- 
faser eingeschlossen  ist.  Leitet  man  den  Strom  durch  letztere,  so  gerät 
sie  ins  Glühen,  ohne  jedoch  zu  verbrennen  (wegen  des  Luftmangels). 

Versuche. 

1.  Magnetische  Anziehung.  Einen  geraden  Magnetstab  lege 
man  in  Eisenfeile;  er  bedeckt  sich  mit  derselben  und  hält  sie  auch  beim 
Herausheben  fest.  Am  dichtesten  bedeckt  er  sich  an  den  Enden  (Polen), 
wenig  in  der  Mitte. 

Man  lege  eine  Stahlnadel  auf  ein  Blatt  Papier  und  fahre  mit  einem 
Magneten  unter  demselben  her:   die  Nadel  folgt  allen  seinen  Bewegungen. 

2.  Anziehung  und  Abstossung.  Man  hänge  eine  Magnetnadel, 
die  man  sich  leicht  durch  regelrechtes  Bestreichen  einer  Stahlnadel  mit 
einem  Magneten  herstellen  kann,  frei  auf  und  nähere  ihr  einen  geraden 
Magnetstab  oder  eine  zweite  Magnetnadel;  es  findet  Anziehung  der  ungleich- 
namigen, Abstossung  der  gleichnamigen  Pole  statt. 

3.  Inklinationsnadel.  Eine  Stricknadel  hänge  man  genau  in 
ihrer  Mitte  (Schwerpunkt)  an  einem  dünnen  Zwirnfaden  auf,  sodass  sie 
wagerecht  hängt.  Magnetisiert  man  sie  dann  durch  Bestreichen  mit  einem 
Magneten,  so  nimmt  sie  nicht  allein  eine  nordsüdliche  Richtung  an,  sondern 
neigt  sich  mit  ihrem  Nordende  stark  zur  Erde. 

4.  Ablenkung  durch  den  elektrischen  Strom.  Nähert  man 
eine  Magnetnadel  dem  Leitungsdraht  einer  geschlossenen  galvanischen  Kette, 
so  erleidet  sie  eine  Ablenkung.  Läuft  der  -f-  Strom  von  Nord  nach  Süd,  und 
über  die  Nadel  hin,  so  wird  ihr  Nordende  östlich  abgelenkt;  hält  man 
dann  die  Nadel  über  den  Strom,  so  findet  eine  westliche  Ablenkung  statt. 

Fragen. 

1.  Wie  kann  man  eine  Magnetnadel  unabhängig  vom  Erdmagnetismus 
machen?  —  Antw.  Indem  man  unter  oder  über  ihr  eine  zweite,  ihr  gleiche 
Magnetnadel  anbringt,  jedoch  mit  entgegengesetzten  Enden.  (A statische 
Nadel.)  Daher  ist  das  Nordende  der  unteren  Nadel  durch  das  über  ihr 
befindliche  Südende  der  oberen  Nadel  gebunden  und  gehorcht  nicht  mehr 
dem  Erdmagnetismus. 

2.  Worauf  beruht  die  stete  Stromunterbrechung  durch  den  Hammer 
des  Induktionsapparates?  —  Antw.  Der  Hammer  ist  der  zum  Elektro- 
magneten gehörige  Anker  und  zugleich  in  die  Stromleitung  eingeschaltet. 
Bei  auftretender  Wirksamkeit  des  Stromes  reisst  der  Elektromagnet  den 
Anker  an  sich  und  aus  der  Leitung  heraus,  sodass  sich  dadurch  der  Strom 
selbst  unterbricht.  Alsdann  aber  hört  die  Wirksamkeit  des  Elektromagneten 
wieder  auf,  der  Anker  fällt  ab  und  tritt  in  die  Stromleitung  zurück.  Hier- 
durch beginnt  der  Strom  wieder  und  das  Spiel  geht  von  neuem  von  statten. 


II.  Abteilung. 

Chemie.*) 


Die  Chemie  ist  derjenige  Teil  der  Naturlehre,   welcher  die  Vorgänge  der 
Körperwelt  behandelt,  die  mit  einer  stofflichen  Veränderung  verbunden  sind. 


1.  Die  chemischen  Elemente, 

§  79.  Was  nennt  man  ein  Element?  Die  Wissenschaft  versteht 
unter  einem  Elemente  einen  einfachen  Körper,  den  sie  nicht 
weiter  in  verschiedenartige  Bestandteile  zerlegen  kann.  Die 
Philosophen  des  Altertums  nahmen  vier  Grundstoffe  oder 
Elemente  an,  aus  denen  alles  auf  der  Erde  zusammengesetzt  sei, 
und  zwar  rechneten  sie  hierzu:  die  Luft,  das  Wasser,  die 
Erde  und  das  Feuer.  Aber  gerade  von  diesen  Stoffen  wissen 
wir  jetzt,  dass  sie  keine  Grundstoffe  sind.  Wir  haben  gelernt, 
die  Luft  in  zwei  Gasarten  zu  scheiden,  deren  Gemenge  sie  ist, 
und  deren  eine  (das  Sauerstoffgas)  wir  täglich  zum  Atmen  ge- 
brauchen ;  wir  haben  das  Wasser  als  die  Verbindung  zweier  Gase, 
des  Wasserstoffs  und  Sauerstoffs,  erkannt;  die  Erde  als  das 
mannigfaltigste  Gemenge  der  verschiedensten  Materien,  und  end- 
lich das  Feuer  als  gar  keinen  Stoff,  sondern  nur  als  einen  Zu- 
stand ,  in  den  alle  irdischen  Körper  geraten  können ,  wenn  sie 
nämlich  Licht  und  Wärme  ausstrahlen. 

Die  chemischen  Elemente  sind  einfache  Körper,  welche  sich  nicht 
in  verschiedene  Bestandteile  zerlegen  lassen. 

Von  denjenigen  Stoffen ,  welche  wir  jetzt  als  Elemente  an- 
sehen ,  geben  sich  vielleicht  bei  fortschreitender  Naturforschung 
manche  als  zusammengesetzt  zu  erkennen,  wie  bisher  öfters  der 
Fall  eingetreten ,  dass  sich  das ,  was  man  früher  für  einen  ein- 
fachen Körper  gehalten ,  infolge  verbesserter  Untersuchungsme- 
thoden als  zusammengesetzt  erwies. 

§  80.  Zahl  und  Vorkommen  der  Elemente.  Die  Zahl  der  bis  jetzt 
bekannten   Elemente   beträgt   63.     Ihr  grösster   Teil   findet    sich 

*)  Chemie  von  yiw  giessen,  flüssig  machen,  auflösen. 


—    89    — 

in  der  Natur  nur  spärlich  und  sehr  zerstreut ;  die  kleinere  Hälfte 
dagegen  ist  allenthalben  verbreitet.  Während  der  Sauerstoff  den 
fünften  Teil  des  Luftmeeres  und  dazu  8/9  alles  Wassers  ausmacht, 
treffen  wir  die  seit  alters  bekannten  Metalle  meist  nur  an  ge- 
wissen Orten ,  und  über  30  Elemente  als  seltene  Vorkommnisse. 
In  neuester  Zeit  haben  wir  vier  Metalle  (Rubidium,  Cäsium, 
Thallium,  Indium)  durch  die  Spektralanalyse  entdeckt,  da  sie  in 
der  Natur  nur  in  kleinsten  Mengen  verteilt  sind. 

Mit  dem  häufigeren  Vorkommen  läuft  die  Zeit  ihrer  Bekannt- 
schaft nicht  parallel.  Die  Mehrzahl  der  Schwermetalle  wurde  be- 
reits im  Altertum  benutzt,  dagegen  entdeckte  man  die  allgemein 
verbreiteten  Elemente :  Sauerstoff,  Wasserstoff,  Chlor,  Kiesel,  Ka- 
lium ,  Natrium ,  Calcium ,  Aluminium  u.  a.  m.  erst  in  neuerer 
Zeit,  meist  in  diesem  Jahrhundert. 

§  81.  Wie  teilt  man  gewöhnlich  die  Elemente  ein?  Die  gewöhn- 
liche Einteilung  der  chemischen  Elemente  scheidet  sie  in  Metalle 
undNichtmetalle  (Metalloide).  Wenngleich  diese  Unterscheidung 
mehr  auf  ihrem  physikalischen  Charakter,  als  auf  chemischen  Unter- 
schieden beruht,  so  hat  man  sie  doch  vieler  Vorteile  wegen  bis- 
her allgemein  beibehalten«  Wegen  der  unbestimmten  Grenzen 
beider  Abteilungen  zählt  man  häufig  gewisse  Metalle  trotz  ihres 
metallischen  Aussehens  zu  den  Metalloiden,  z.  B.  das  Selen  und 
Tellur  zur  Seite  des  Schwefels,  auch  wohl  das  Arsen  zur  Seite 
des  Phosphors. 

Der  Gesamtcharakter  der  Metalle  beruht  auf  folgenden  phy- 
sikalischen Eigenschaften:  Undurchsichtigkeit,  Metallglanz, 
Schmelzbarkeit,  Geschmeidigkeit,  gute  Leitungsfähig- 
keit für  Wärme  und  Elektrizität.  Die  Nichtmetalle  besitzen 
keinen  solchen  Gesamtcharakter,  sind  teils  durchsichtige  Gase, 
teils  spröde,  feste  Körper,  teils  Flüssigkeiten. 

Die  Metalle  teilt  man  nach  ihrem  spez.  Gewicht  in  Leicht- 
und  Schwermetalle  ein,  je  nachdem  das  spez.  Gewicht  unter 
oder  über  5  ist.  Bei  den  Schwermetallen  unterscheidet  man  un- 
edle und  edle  Metalle,  je  nachdem  sie  an  der  Luft  ihren  Glanz 
verlieren  oder  behalten. 

Jedes  Element  besitzt  ein  chemisches  Zeichen,  gemeinlich 
die  Anfangsbuchstaben  seines  lateinischen  Namens.  Im  folgen- 
den sind  diese  Zeichen  den  Elementen  beigesetzt. 

Aufzählung  der  chemischen  Elemente. 
A.  Nichtmetalle  {Metalloide). 


1.  Sauerstoff   (Oxygenium)     O 

2.  Wasserstoff  (Hydrogen. )     H 

3.  Stickstoff  (Nitrogenium)     N 


4.  Schwefel  (Sulfur)    .     .     .      S 

5.  Selen  (Selenium)      .     .     .     .    Se 

6.  Tellur  (Tellurium)    .     .     .     .    Te 


90 


7. 

8. 

9. 

10. 


15. 
16. 
17. 
18. 
19. 
20. 
21. 
22. 


30. 
31. 
32. 
33. 
34. 
35. 
36. 
37. 
38. 
39. 
40. 
41. 
42. 


55. 

56. 

57. 
58. 


Phosphor  (Phosphorus) 

Chlor  (Chlorum)       .     .     .  Cl 

Brom  (Bromum)    .     .     .     .  Br 

Jod  (Jodurn) J 

B.  Metalle. 


P    11.  Fluor  (Fluorum) 

12.  Bor  (Borum)      . 

13.  Kohle  (Carho)  . 

14.  Kiesel  (Silicium) 


a.  Leichtmetalle  {spez.  Gew.  unter  5,0). 


Kalium K    23.  Magnesium      .... 

Natrium Na     24.  Aluminium      .... 

Lithium Li    25.  Beryllium 

Rubidium Rb     26.  Yttrium 

Cäsium        Cs     27.  Erbium 

Baryum Ba  |  28.  Thorium 

Strontium Sr    29.  Zirconium 

Calcium Ca  | 

b.  Schwermetalle  (spez.  Gew.  über  5,0). 

a.  Unedle  Metalle. 

Ce  I  43.  Indium 

La  I  44.  Kupfer  (Cuprum)  .  . 
Di  |  45.  Wismut  (Bismuthum) 
U  !  46.  Antimon  (Stibium)     . 


Cer  (Cerium)       .     .     , 
Lanthan  (Lanthanum) 
Didym  (Didymum) 
Uran  (Uranum)   .     . 
Mangan  (Manganum) 
Eisen  (Ferrum)  .     . 
Kobalt  (Cobaltum) 
Nickel  (Niccolum) 
Zink  (Zincum)     .     . 
Kadmium  (Cadmium 
Zinn  (Stannum) 
Blei  (Plumbum) 
Thallium   ..... 


Mn 
Fe 
Co 
Ni 
Zn 
Cd 
Sn 
Pb 
Tl 


47.  Arsen  (Arsenium) 

48.  Titan  (Titanum)      .     .     . 

49.  Tantal  (Tantalum)       .     . 

50.  Niob  (Niobium)       .     .     . 

51.  Wolfram  (Wolframium) 

52.  Molybdän  (Molybdaenium) 

53.  Vanadin  (Vanadium)  .     . 

54.  Chrom  (Chromium)   . 


Quecksilber  (Hydrar 

gyrum) 

Silber  (Argentum) 
Gold  (Aurum)  .  . 
Platin  (Platinum) 


Edle  Metalle. 

59.  Iridium  .     . 

60.  Rhodium    . 

61.  Ruthenium 

62.  Palladium 

63.  Osmium 


Hg 
Ag 
Au 
Pt 


F 
B 
C 
Si 


Mg 
AI 
Be 
T 
E 
Th 
Zr 


In 

Cu 

Bi 

Sb 

As 

Ti 

Ta 

Nb 

W 

Mo 

V 

Cr 


Ir 
Rh 
Re 
Pd 
Os 


Wie  wurden  die  Elemente  im  Laufe  der  Zeit  entdeckt? 


Die  Beantwortung  dieser  Frage  begreift  zugleich  einen  kurzen  Abriss 
der  Geschichte  der  Chemie  in  sich. 

Bereits  im  grauen  Altertume  kannte  man  eine  Anzahl  von  Schwer- 
metallen, teils  solche,  welche  die  Natur  gediegen  liefert,  wie  das  Gold, 
Silber,  Quecksilber,  teils  solche,  deren  Reduktion  man  frühe  lernte, 
wie  das  Eisen,  Kupfer,  Zinn  und  Blei;  von  den  Nichtmetallen  war 
der  Schwefel  und  der  Kohlenstoff  bekannt. 

Seit  dem  Untergange  des  römischen  Reiches  flüchtete  die  Natur- 
wissenschaft zu,  den  Arabern.  Der  berühmte  Geber,  ein  Mesopotamier, 
lehrte  im  8.  Jahrh.  zu  Sevilla;  er  besass  eine  Menge  empirischer  Kennt- 
nisse, z.  B.  der  Alkalien  und  Säuren,  und  huldigte  dem  Glauben  an  eine 
Umwandlung  der  unedlen  Metalle  in  edle.  Derselbe  ward  verhängnisvoll 
für  die  sich  nun  ausbildende  „Alchemie".  Durch  das  ganze  Mittelalter 
suchte  man  die  Goldmacherkunst,  den  Stein  der  Weisen,  das  Lebenselixier. 


—     91     — 

In  diesem  vergeblichen  Bemühen  war  auch  der  kenntnisreiche  Paracel aus 
(im  16.  Jahrhundert)  befangen.  Während  dessen  hatte  man  kennen  gelernt: 
Arsen,  Wismut,  Antimon  und  Zink. 

Gegen  Schluss  des  17.  Jahrhunderts  zeigte  endlich  Boyle,  dass  die 
Alchemie  vom  Pfade  wahrer  Naturwissenschaft  ablenke,  und  wurde,  nach 
dem  Wesen  der  Gase  und  Verbrennung  forschend,  der  Begründer  der 
neueren  Wissenschaft.  In  diese  Zeit  fiel  die  Entdeckung  des  Phosphors 
durch  den  Alchymisten  Brand  (1670). 

Im  18.  Jahrhundert  herrschte  die  Phlogistontheorie  Stahls.  Indem 
dieser  Gelehrte  den  Prozess  der  Verbrennung  zu  erklären  suchte,  nahm  er 
einen  unwägbaren  Stoff,  das  Phlogiston,  an,  welcher  aus  dem  ver- 
brennenden Körper  entweichen  sollte.  In  dieser  Zeit  wurden  die  Metalle 
Kobalt,  Nickel  und  Mangan,  von  Cavendish  1766  der  Wasserstoff, 
vom  grossen  schwedischen  Chemiker  Scheele  das  Chlor,  der  Stickstoff 
und  Sauerstoff,  letzterer  gleichzeitig  auch  von  Priestley  1774  in  England 
entdeckt.  Ihnen  schlössen  sich  zu  Ende  des  Jahrhunderts  mehrere  seltenere 
Metalle  an:  Platin  mit  Iridium,  Rhodium,  Palladium  und  Osmium, 
svwie  Uran,  Chrom,  Molybdän,  Wolfram,  Titan,  Tantal,  Tellur, 
an  deren  Entdeckung  die  Chemiker  Elaproth,  Wbllaston  und  Scheele 
partizipieren. 

Der  wichtigste  Zeitabschnitt  in  der  Geschichte  der  Chemie  fällt  in 
das  Ende  des  18.  Jahrhunderts,  als  1787  Lavoisier  (zu  Paris)  durch  eine 
Reihe  glänzender  Versuche  im  Sauerstoff  den  Hauptfaktor  bei  der  Ver- 
brennung kennen  lehrte  und  dadurch  die  Phlogistontheorie  stürzte.  Durch 
seine  Methode  der  Untersuchung  brach  sich  der  richtige  Gebrauch  der 
Wage  und  damit  die  analytische  Chemie  Bahn. 

Im  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  führte  der  neuentdeckte  Galvanismus 
den  berühmten  Engländer  Davy  zur  Isolierung  von  Kalium  und  Natrium 
(1807),  sowie  des  Bor.  Zwei  Jahre  später  (1809)  wies  er  die  elementare 
Natur  des  Chlors  nach,  welches  Scheele  für  oxydierte  Salzsäure  gehalten 
hatte;  zugleich  wurde  das  Magnesium  entdeckt.  Courtois  fand  (1811) 
das  Jod,  15  Jahre  später  Baiard  das  Brom.  Berzelius  isolierte  (1823) 
das  Silicium  und  entdeckte  (1817)  das  Selen  und  Lithium. 

Mit  der  künstlichen  Darstellung  des  Harnstoffs  durch  Wähler  (1828) 
wurde  die  organische  Chemie  das  Feld  zahlreicher  Entdeckungen,  zumal 
da  Liehig  die  Elementaranalyse  der  organischen  Körper  zu  einem  hohen 
Grade  der  Vervollkommnung  brachte.  Währenddessen  gelang  die  Isolierung 
des  Calcium,  Aluminium  und  Baryum. 

Der  neuesten  Zeit  endlich  war  es  vorbehalten,  mittelst  der  durch 
Bunsen  und  Kirchhof  eingeführten  Spektralanalyse  noch  vier  Metalle  zu 
entdecken:  Caesium,  Rubidium,  Thallium  und  Indium,  welche  in 
fib  minimalen  Mengen  durch  die  Natur  verbreitet  sind,  dass  ihre  Gegen- 
wart sich  bisher  aller  Wahrnehmung  entzogen  hatte  und  erst  durch» 
Spektrum  erkannt  wurde. 


2.  Atom  und  Äquivalent. 

§  82.     Was  ist  ein  Atom?      Die    Moleküle*)    der    Körper, 
welche  durch  physikalische  Kräfte  unteilbar  sind,  lassen  sich  je- 

*)  molecula,  kleine  Masse. 


—     92     - 

doch  durch  chemische  Vorgänge  in  Atome  zerlegen.  Atom*) 
nennt  man  nämlich  das  kleinste  Teilchen  eines  Ele- 
mentes, welches  in  einem  Molekül  enthalten  sein  kann.  Be- 
zeichnen wir  mit  Molekül  die  kleinste  Menge  eines  Körpers, 
welche  im  Eaume  frei  für  sich  existieren  kann,  so  sind  die 
Atome  die  Bestandteile  der  Moleküle.  Die  Moleküle  der  Elemente 
werden  demgemäss  aus  (zwei)  gleichartigen  Atomen  bestehend  an- 
gesehen ,  z.  B.  ein  Schwefelmolekül  aus  zwei  Schwefelatomen, 
ein  Sauerstoffmolekül  aus  zwei  Sauersoffatomen,  ein  Kohlemolekül 
aus  zwei  Kohleatomen;  die  Moleküle  der  chemischen  Yerbindungen 
bestehen  aber  aus  verschiedenartigen  Atomen,  z.  B.  ein  Schwefel- 
kohlenstoffmolekül aus  Schwefelatomen  und  Kohleatomen,  ein 
Wassermolekül  aus  Wasserstoffatomen  und  Sauerstoffatomen. 

Bei  der  chemischen  Vereinigung  zweier  Elemente 
verändern  sich  ihre  Moleküle  durch  Umtausch  der 
Atome.  Mischen  wir  Kohle  mit  Schwefel,  so  bleiben  die  Kohle- 
moleküle und  Schwefelmoleküle  nach  wie  vor,  jene  aus  Kohle- 
atomen, diese  aus  Schwefelatomen  zusammengesetzt;  verbinden 
sich  aber  beide  Elemente  zu  Schwefelkohlenstoff,  so  lösen  sich 
ihre  Moleküle  auf  und  gruppieren  ihre  Atome  zu  Schwefelkohlen- 
stoffmolekülen,  indem  ein  Kohleatom  (C)  mit  zwei  Schwefel- 
atomen (S)  sich  verbindet. 

(CC)  +  2  (SS)  =  (CS2)  +  (CS2). 

In  jedem  chemischen  Prozesse,  sei  es  eine  Vereinigung 
oder  Trennung,  spalten  sich  demnach  die  Moleküle  der  betreffen- 
den Körper  in  ihre  Atome,  welche  sich  dann  anders  gruppieren 
und  dadurch  andere  Körper  erzeugen. 

§  83.  Was  nennt  man  Atomgewichte?  Die  Atome  eines  Ele- 
mentes besitzen  ein  bestimmtes  Gewicht,  welches  bei  den  ein- 
zelnen Elementen  verschieden  ist.  So  wiegt  ein  Schwefelatom 
das  Doppelte  eines  Sauerstoffatoms.  Am  leichtesten  ist  das 
Wasserstoffatom;  man  nimmt  es  deshalb  als  Einheit  an,  um 
damit  das  Gewicht  der  übrigen  Elementatome  zu  vergleichen. 
Die  resultierenden  Zahlen  nennt  man  Atomgewichte;  selbst- 
redend sind  es  keine  absoluten,  sondern  relative  Zahlen.  Wenn 
es  z.  B.  heisst,  das  Atomgewicht  des  Sauerstoffs  sei  ==  16,  das- 
jenige des  Schwefels  =  32,  so  bedeutet  dies,  dass  das  Sauerstoff- 
atom 16  mal ,  das  Schwefelatom  32  mal  so  viel  wiegt  als  das 
Wasserstoffatom,  dessen  Atomgewicht  =  1  ist. 

Wissen  wir,  aus  wie  viel  Atomen  ein  Molekül  zusammen- 
gesetzt ist,  so  erhalten  wir  durch  Addition  der  betreffenden  Atom- 
gewichte  das  Gewicht   dieses  Moleküls  —  sein   Molekularge- 


*)  Atom  von  aTojj.0?  (unteilbar). 


-     93    — 

wicht.  Besteht  das  Chlorwasserstoffmolekül  aus  1  Atom  Chlor 
(Cl)  und  1  Atom  Wasserstoff  (H),  so  ist  das  Molekulargewicht 
des  Chlorwasserstoffs  =  35,5  +  1  =  36,5,  da  das  Atomgewicht 
des  Chlors  =  35,5  ist.  Besteht  das  Wassermolekül  aus  2  Atomen 
Wasserstoff  (H)  und  1  Atom  Sauerstoff  (0),  so  ist  das  Molekular- 
gewicht des  Wassers  =  2  x  1  -f  16=1 8. 

H  =    1  2H  =    2 

Cl  =  35,5  0  =  16 

HCl  =  36,5  H?0  =  18. 

Die  Atomgewichte  gebraucht  man  bei  jedweder  chemischen 
Operation,  um  die  obwaltenden  chemischen  Gewichtsverhältnisse 
zu  berechnen.  Man  nennt  diesen  Teil  der  chemischen  Wissen- 
schaft die  Stöchiometrie  und  legt  ihr  hohen  Wert  bei.  Will 
man  eine  Verbindung  herstellen,  so  lehrt  sie  uns,  wie  viel  von 
jedem  der  Anteil  nehmenden  Stoffe  zugegen  sein  muss,  wie  sie 
uns  auch  von  vornherein  berechnen  lässt,  wieviel  das  Produkt 
betragen  wird.  Bildet  Chlor  mit  Wasserstoff  H  Cl,  so  wissen  wir 
aus  der  Stöchiometrie,  dass  H  =  1,  Cl  =  35,5,  also  1  Gewichtsteil 
Wasserstoff  sich  mit  35,5  Gewicbtsteilen  Chlor  verbindet  und 
1  -j-  35,5  =  36,5  Gewichtsteile  Chlorwasserstoff  erzeugt. 

§  84.  Was  versteht  man  unter  Äquivalent?  Die  Mengen,  in  denen 
zwei  Körper  gleichen  Wert  besitzen,  sind  äquivalent  (gleich- 
wertig). Legt  man  Eisen  in  eine  Kupferlösung,  so  scheiden  56 
Teile  Eisen ,  indem  sie  sich  auflösen ,  63,5  Teile  Kupfer  metal- 
lisch aus.  Das  Eisen  tritt  an  die  Stelle  des  Kupfers  und  zwar 
sind  56  Teile  Eisen  63,5  Teilen  Kupfer  äquivalent, 

Äquivalente  Mengen  sind  solche,  die  sich-  gegenseitig  vertreten 
können. 

Geht  man  die  Reihe  der  Elemente  durch,  wie  sie  sich  gegen- 
seitig in  ihren  Verbindungen  vertreten,  so  nimmt  man  wahr,  dass 
bei  vielen  1  Atom  des  einen  1  Atom  eines  anderen  Elementes 
äquivalent  ist.  1  Atom  Chlor  ist  äquivalent  1  Atom  Jod,  1  Atom 
Brom,  1  Atom  Kalium,  1  Atom  Wasserstoff  u.  a.  Man  nennt 
daher  das  Chlor,  Brom,  Jod,  Kalium,  Wasserstoff  einwertige, 
Univalente  Elemente. 

Andererseits  giebt  es  Elemente,  von  denen  1  Atom  2  Atomen 
Wasserstoff,  Chlor  oder  eines  andern  einwertigen  Elementes 
äquivalent  ist;  dahin  gehört  der  Sauerstoff,  Schwefel  u.  a.  Man 
nennt  sie  daher  zweiwertige,  bivalente  Elemente. 

1  Atom  Stickstoff,  Phosphor  u.  a.  vermag  drei  Atome  Wasser- 
stoff zu  vertreten,  es  sind  dies  daher  dreiwertige,  trivalente 
Elemente;  die  Kohle,  der  Kiesel  u.  a.  sind  4  Atomen  Wasser- 
stoff äquivalent,  mithin  vierwertige,  quadrivalente  Ele- 
mente.    Nicht   selten    kommt    es  vor,    dass   Elemente  in   zwei 


94 


verschiedenen  Werten  auftreten.  So  erhöht  der  Stickstoff,  Phos- 
phor u.  a.  ihre  Dreiwertigkeit  häufig  zu  Fünf  Wertigkeit ;  das  Eisen 
und  Mangan  ihre  Zweiwertigkeit  zu  Yierwertigkeit. 

Die  Unterscheidung  der  Elemente  nach  ihrer  Valenz  gehört  der  Neu- 
zeit an.  Yor  zwei  Jahrzehnten  noch  bediente  man  sich  der  Äquivalent- 
gewichte, statt  der  Atomgewichte.  Damals  waren  die  letzteren  bei  den 
zwei-  und  vierwertigen  Elementen  nur  halb  so  gross,  also  für  Sauerstoff  8 
(statt  16),  für  Schwefel  16  (statt  32),  für  Kohlenstoff  6  (statt  12). 

Die  Atomgewichte  der  wichtigsten  Elemente. 

A.  Einwertige  Elemente. 

Kalium  (K) 39 

Natrium  (Na) 23 

Lithium  (Li) 7 

Silber  (Ag) 108 


Wasserstoff  (H)     .     .     .         1 

Chlor  (Cl) 35,5 

Brom  (Br) 80 


Jod  (J) 127 


B.  Zweiwertige  Elemente. 


Sauerstoff  (0)      ....  16 

Schwefel  (S) 32 

Baryum  (Ba) 137 

Calcium  (Ca) 40 


Magnesium  (Mg) 
Zink  (Zn)     .     . 
Kupfer  (Cu) 
Quecksilber  (Hg) 


Kohle  (C) 12 

Kiesel  (Si) 28 

Zinn  (Sn) 118 


24 
65 
63,5 
200 


Zwei-  und  vierwertige  Elemente. 

Mangan  (Mn) 55  I  Blei  (Pb) 207 

Eisen  (Fe) 56  | 

C.  Dreiwertige  Elemente. 

Wismut  (Bi)     ....     210        Bor  (B) 10,6 

Gold  (Au) 196,5 

Drei-  und  fünfwertige  Elemente. 

Stickstoff  (N) 14  |  Arsen  (As) 75 

Phosphor  (P) 31  |  Antimon  (Sb) 122 

.  D.   Vierwertige  Elemente. 


Platin  (Pt) 197 

Chrom  (Cr) 52,5 

Aluminium  (AI)    .     .     .       27,5 


Die  Molekulartheorie. 

Die  heutige  Anschauung  der  Chemie  gründet  sich  auf  die  sogen. 
Molekulartheorie.     Dieselbe  stellt  folgende  Sätze  auf: 

1.  Die  im  Räume  frei  existierenden  kleinsten  Teilchen  —  die  Moleküle 
—  sind  chemisch  aus  Element- Atomen  zusammengesetzt. 

Nicht  allein  die  Moleküle  der  Verbindungen  bestehen  aus  den  Atomen 
ihrer  Bestandteile,  sondern  auch  die  Moleküle  der  freien  Elemente  bestehen 
aus  Atomen,  jedoch  aus  gleichartigen  Atomen.     Beispiele: 

1  Mol.  Wasserstoff  (HH)     '       1  Mol.  Chlorwasserstoff  (HCl) 
1      .,     Chlor  (C1C1)  1      „     Wasser  (H00) 

1      „     Sauerstoff  (OO)  1      „     Ammoniak  (NH3) 


—    95     - 

2.  Im  Molekül  halten  sich  die  Atome  in  gegenseitiger  Bindung. 
In  der  Salzsäure   bindet    sich   1   einwertiges  Chlornatron   mit  1  ein- 
wertigen Wasserstoffatome ;  im  Kalk  bindet  sich  1  zweiwertiges  Sauerstoff  - 
atom  mit  1  zweiwertigen  Calciumatome : 

Chlorwasserstoff  H — Cl  Kalk  Ca — 0 

Dagegen  bindet  im  Wassermolekül  1  zweiwertiges  Sauerstoffatom 
2  einwertige  Wasserstoffatome ;  im  Ammoniak  bindet  1  dreiwertiges  Stick- 
stoffatom 3  einwertige  Wasserstoffatome: 

Hx                                                    H^ 
Wasser  )0  Ammoniak    H N 

3.  Die  Moleküle  besitzen  im  gasförmigen  Zustande  (bei  gleichen  Wärme- 
und  Druckverhältnissen)  ein  gleiches  Volumen  d.  i.  sie  sind  in  Gasform 
gleichgross. 

1  Molekül  Wasserstoffgas  besitzt  unter  gleichen  äusseren  Verhältnissen 
dieselbe  Grösse  wie  1  Molekül  Wassergas,  1  Molekül  Chlorwasserstoffgas 
und  1  Molekül  Ammoniakgas.  Man  kann  diesem  Satz  auch  folgende 
Fassung  geben: 

1  /  Wasserstoffgas  enthält  bei  gleicher  Temperatur  und  unter  gleichem 
Drucke  ebenso  viele  Moleküle,  wie  1  l  Sauerstoffgas,  1  l  Wassergas,  1  l 
Chlorwasserstoffglas,  1  /  Ammoniakgas. 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  die  Molekulargewichte  des  Sauerstoffs,  Chlor- 
wasserstoffs, Wassers,  Ammoniaks  sich  zu  dem  des  Wasserstoffs  genau 
ebenso  verhalten,  wie  die  spezifischen  Gewichte  der  genannten  Gase  zu 
dem  des  Wasserstoffgases.     Nämlich: 

Molekülformel    Molekular-Gewicht     spez.  Gew. 
Wasserstoffgas  (HH)  2  0,069 

Sauerstoffgas  (0  0)  32  1,100 

Chlorwasserstoffgas  (HCl)  36,5  1,250 

Wassergas  (H20)  18  0,620 

Ammoniakgas  (H3N)  17  0,590 

Nun  verhalten  sich  aber  die  Zahlen  32  :  2  wie  1,100  :  0,069,  18  :  2 
wie  0,620  :  0,069  u.  s.  f.,  sodass,  wenn  wir  das  spez.  Gew.  des  Wasserstoffs, 
statt  desjenigen  der  atmosphärischen  Luft,  zur  Einheit  nehmen,  die  darauf- 
hin umgerechneten  spez.  Gew.  der  Gase  mit  deren  Molekulargewichten 
geradezu  übereinstimmen.  Ein  Gas  ist  um  so  viel  schwerer  als  das  Wasser- 
stoffgas, als  sein  Molekulargewicht  dasjenige  des  Wasserstoffs  (HH  =  2) 
übertrifft. 

4.  Bei  der  Vereinigung  zweier  Elemente  findet  keine  Verdichtung 
statt,  wenn  beide  gleichwertig  sind;  ist  aber  das  eine  Element  mehrwertig 
wie  das  andere,  so  tritt  bei  ihrer   Verbindung   Volumverminderung  ein. 

Dieser    Satz    wird    vom    Experiment   bewahrheitet.      Vereinigt    sich 
1  Molekül  Chlor  mit  1  Molekül  Wasserstoff,   so  entstehen  daraus  2  Mole- 
küle Chlorwasserstoff,  ohne  Veränderung  des  Volumens; 
(HH)  -f  (C1C1)  =  (HCl)  +  (HCl). 

Verbindet  sich  aber  1  Molekül  Sauerstoffgas  mit  2  Molekülen  Wasser- 
stoffgas, so  entstehen  2  Moleküle  Wassergas: 

(HH)  +  (HH)  +  (00)  =  (HaO)  +  (H20) 

Hier  resultieren  aus  der  Vereinigung  von  3  Molekülen  elementarer 
Stoffe  nur  2  Moleküle  der  Verbindung;  es  findet  mithin  eine  Volumver- 
minderung  (Verdichtung,  Kondensation)  und  zwar  von  3  :  2  statt. 

5.  Werden  solche  Verbindungen,  welche  mehr  als  2  Atome  enthalten, 
in  ihre  Bestandteile  zerlegt,  so  findet  Volumvermehrung  [Ausdehnung)  statt. 

Zerlegt  man  Wassergas  (H20)  in  seine  beiden  Bestandteile:  Wasser- 


—     96     — 

stoff-  und  Sauerstoffgas,  so  liefern  je  2  Volumina  Wassergas  3  Gasvolumina 
(2  Volumina  H  und  1  Volumen  0)  wobei  also  Ausdehnung  von  2  :  3  eintritt. 
Ammoniakgas  (NH3)  dehnt  sich  bei  seiner  Zerlegung  in  Stickstoff 
und  Wasserstoff  aufs  doppelte  aus,  indem  2  Volumina  NH3  in  1  Volumen 
Stickstoff-  und  3  Volumina  Wasserstoffgas  zerfallen: 

(NH3)  +  (NH3)  =  (NN)  +  (HH)  +  (HH)  +  (HH) 


3,  Die  chemischen  Verbindungen. 

§  85.  Unterschied  zwischen  einer  chemischen  Verbindung  und  mecha- 
nischen Mischung.  Vereinigt  man  zwei  verschiedene  Körper  mit 
einander,  so  resultiert  daraus  entweder  eine  mechanische 
Mischung-,  oder  eine  chemische  Verbindung.  Mischt  man 
Schwefel  mit  Zucker,  so  erhält  man  ein  Gemenge  beider,  verbrennt 
man  Schwefel  im  Sauerstoff  der  Luft,  so  entseht  eine  chemische  Ver- 
bindung, schwefligsaures  Gas  mit  dem  bekannten  erstickenden  Geruch. 

Worin  beruht  der  Unterschied? 

In  einem  mechanischen  Gemenge  lassen  sich  die  einzelnen 
Bestandteile  durch  unsere  Sinne  oder  andere  einfache  Mittel 
äusserlich  wahrnehmen.  Obwohl  eine  feingepulverte  Mischung  aus 
Schwefel  und  Zucker  wie  ein  einheitlicher  Körper  aussieht,  lässt 
sie  sich  doch  durch  Wasser  scheiden,  welches  den  Zucker  auflöst 
und  den  Schwefel  zurücklässt.  Unser  Geschmacksorgan  findet 
aus  dem  Gemenge  den  Zucker,  unser  Auge  den  Schwefel  heraus. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  schwefligsauren  Gase,  das 
wir  durch  Verbrennen  des  Schwefels  an  der  Luft  erhalten.  Es 
ist  ein  völlig  veränderter  Körper,  in  welchem  wir  weder  den 
Schwefel,  noch  den  Sauerstoff  wiederfinden.  Bei  der  chemischen 
Vereinigung  von  Schwefel  mit  Sauerstoff  ist  ein  ganz  neuer  Kör- 
per entstanden,  ein  farbloses,  stechend  riechendes  Gas. 

1.  Eine  chemische  Verbindung  unterscheidet  sich  von  einer  mecha- 
nischen Mischung  zunächst  dadurch,  dass  ihre  Bestandteile  die  frühe- 
ren Eigenschaften  eingebüsst  haben  und  einen  neuen  Körper  bilden. 

Ein  zweiter  Unterschied  liegt  darin ,  dass  mechanische  Ge- 
menge sich  in  allen  Gewichtsverhältnissen  anfertigen  lassen,  aber 
chemische  Verbindungen  stets  an  gewisse,  bestimmte  Gewichts- 
und Volumverhältnisse  gebunden  sind.  Schwefel  und  Zucker 
können  wir  in  beliebigen  Mengen  mischen;  verbrennen  wir  aber 
Schwefel  an  der  Luft,  so  vereinigt  sich  stets  1  Teil  Schwefel 
mit  1  Teil  Sauerstoffgas  zu  zwei  Teilen  schwefligsaurem  Gase. 
War  mehr  Sauerstoff  zugegen,  so  geht  der  Überschuss  nicht  mit 
in  die  Verbindung  ein;  genügt  die  Sauerstoffmenge  nicht,  so 
verbrennt  der  Schwefel  nicht  völlig. 

2.  Wenn  sich  zwei  Elemente  chemisch  mit  einander  verbinden, 
so  geschieht  dies  in  fest  bestimmten  Verhältnissen. 


—     97     - 

Den  Grund  hierzu  finden  wir  in  der  Thatsache,  dass  die  Ele- 
mente sich  nach  Atomen  verbinden.  Beim  Y  erbrennen  des 
Schwefels  an  der  Luft  vereinigt  sich  je  1  Atom  Schwefel  mit  2  Atomen 
Sauerstoff  zu  1  Mol.  schwefligsaurem  Gase  (S02).  Der  Schwefel 
hat  das  Atomgewicht  32,  der  Sauerstoff  16,  also  vereinigen  sich 
stets  32  Gewichtsteile  Schwefel  mit  2  x  16  =  32  Teilen  Sauerstoff, 
d.  i.  es  verbinden  sich  gleiche  Gewichtsteile  Schwefel  und  Sauer- 
stoff zu  schwefligsaurem  Gase. 

Es  können  sich  zwei  Elemente  auch  in  mehr  als  in  einem 
Yerhältnisse  vereinigen ;  so  bildet  der  Schwefel  mit  dem  Sauer- 
stoff nicht  nur  die  schweflige  Säure ,  sondern  auch  einen  sauer- 
stoffreicheren Körper,  die  Schwefelsäure.  In  letzterem  verhält  sich 
die  Menge  des  Schwefels  zu  der  des  Sauerstoffs  wie  1  :  1,5. 
Dal  ton  drückte  dies  durch  folgendes  Gesetz  aus: 
3.  Verbinden  sich  zwei  Elemente  in  mehr  als  in  einem  Verhält- 
nisse, so  stellen  die  Gewichtsmengen  der  höheren  Verbindungen  Mul- 
tipla  der  niedrigsten  dar.     (Gesetz  der  multiplen  Proportionen.) 

Ein  schönes  Beispiel  hierzu  liefert  der  Stickstoff,  welcher  mit 
dem  Sauerstoff  folgende  fünf  Yerbindungen  eingeht: 

28  Teile  Stickstoff  mit  1x16=16  Teilen  Sauerstoff 
,,       „  ,,  ,,    ^Xlo  =  o2        ,,  ,, 

„       „  ,,  ,,    oxlo  =  4o        ,,  ,, 

,,        ,,  ,,  ,,    4xlo  — b4        ,,  „ 

,,        ,,  ,,  „    OXlb— ol)        „  ,, 

Da  nun  das  Atomgewicht  des  Stickstoffs  =  14,  das  des  Sauer- 
stoffs =  16  ist ,   so    erhalten   wir  für   obige    Gewichtsverhältnisse 
folgende  Atomverhältnisse : 
2  At.  N  (2x14  =  28  Teile)  +  1  At.  0  (=16  Teile)  zu   N20 
ri    ii     ii  »  ii       ~H  2    ,,    ,,   (=32      „   )     „  JNoU2 

ii    ii      ii  ii  n+3    „    „   (=48     „  )     „  N2O3 

„    „     „  „  „       +  4    „    „   (=64     „   )     „  N204 

ii    ii     ii  ii  „       +  5    „    „   (-=80     „   )     „  N205 

§  86.  Wie  unterscheidet  man  die  Verbindungen?  Nach  ihrem 
physikalischen  Charakter  sind  die  chemischen  Yerbindungen  sehr 
von  einander  verschieden.  Jedoch  lassen  sich  aus  ihrer  grossen 
Zahl  einige  Gruppen  herausheben,  ausgezeichnet  durch  gemeinsane 
Eigenschaften  sowohl  physikalischer,  wie  chemischer  Art.  Dies  sind : 

1.  Die  Säuren.  Eine  Reihe  von  Yerbindungen  saurer 
Natur;  sie  zeigen  in  dem  Masse,  wie  sie  sich  in  Wasser  zu  lösen 
vermögen ,  einen  sauren  Geschmack  und  mehr  oder  weniger 
ätzende  Wirkung  auf  die  Haut.  Sie  vermögen  verschiedene  Earbe- 
stoffe  zu  röten,  vornehmlich  das  blaue  Lackmus,  die  blauen 
Yeilchenblumen,  den  Saft  der  Kreuzdornbeeren;  Kochenilletinktur 
färben  sie  gelbrot. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  7 


—    98     — 

Die  Säuren  besitzen  sämtlich  ein  oder  mehrere  Atome  Wasser- 
stoff, weicher  sich  leicht  durch  Metalle  umtauschen  lässt,  wodurch 
Salze  entstehen. 

Säuren  nennt  man  solche  Wasserstoff-Verbindungen,  welche  durch 
Aufnahme  von  Metall  an  Stelle  des  Wasserstoffs  Salze  bilden, 

Bsp.  Die  Verbindung  des  Chlors  mit  dem  Wasserstoff,  HCl, 
ist  eine  starke  Säure,  die  sog.  Salzsäure.  Bringt  man  Zink 
mit  derselben  zusammen ,  so  treibt  dieses  Metall  den  Wasserstoff 
gasförmig  aus  und  erzeugt  ein  Salz,  das  Chlorzink. 

2.  Die  Basen.  Hierhin  zählen  Yerbindungen  der  Metalle 
mit  Sauerstoff  oder  Schwefel.  Sie  zeichnen  sich  durch  einen 
laugenhaften  Geschmack  aus,  sofern  sie  sich  in  Wasser  auf- 
zulösen vermögen,  und  machen  dann  die  Haut  schlüpfrig  (ähnlich 
der  Seife).  Auf  Farbstoffe  wirken  sie  gerade  den  Säuren  entgegen- 
gesetzt, stellen  das  von  letzteren  gerötete  Lackmusblau 
wieder  her,  färben  die  Yeilchenblumen  und  den  Saft  der  Kreuz- 
dornbeeren grün,  den  gelben  Farbstoff  der  Kurkuma  braun, 
Kochenilletinktur  violett  und  Phenolphtaleinlösung  intensiv  rot. 
Mit  den  Säuren  erzeugen  die  Basen  Salze,  indem  sie  zugleich 
Wasser  oder  Schwefelwasserstoff  (aus  dem  Wasserstoff  der  Säure 
und  dem  Sauerstoff  resp.  Schwefel  der  Base)  bilden. 

Basen  nennt  man  Metallverbindungen  des  Sauerstoffs  resp. 
Schtvefels ,  welche  mit  den  Säuren  Salze  zu  bilden  vermögen,  unter 
Abscheidung  von  Wasser  resp.  Schwefelwasserstoff. 

Zu  den  stärksten  Basen  zählt  das  Kaliumoxyd  (K20)  und 
Schwefelkalium  (K2S),  welche  mit  der  Salzsäure  (HCl)  ein  Salz 
das  Chlorkalium  (KCl)  bilden,  nebenbei  Wasser  resp.  Schwefelwasser- 
stoff erzeugend  aus  dem  Wasserstoff  der  Salzsäure  und  dem  Sauer- 
stoff resp.  Schwefel  der  Base.  Basischen  Charakter  und  die  Fähig- 
keit, mit  Säuren  Salze  zu  bilden,  besitzt  auch  das  Ammoniak  (NH3). 
3.  Die  Salze.  Sie  entstehen  durch  »Sättigung«  einer  Säure 
mit  einer  Base  d.  i.  durch  Aufnahme  von  Metallatomen  an  Stelle 
des  Wasserstoffs  der  Säuren. 

Die  Salze  bilden  sich  aus  den  Säuren  durch  Vertauschung  ihres 
Wasserstoffs  mit  einem  Metalle. 

Die  in  Wasser  löslichen  Salze  zeichnen  sich  durch  Krystalli- 
sierbarkeit  und  einen  Salzgeschmack  aus;  die  grosse  Zahl  der 
unlöslichen  Salze  entbehrt  dieselben.  Gegen  Pflanz enfarben  ver- 
halten sich  die  meisten  Salze  indifferent,  d.  i.  sie  besitzen  neu- 
trale Reaktion.  Ausnahmen  hiervon  bilden  die  Salze,  welche 
aus  schwachen  Säuren,  z.  B.  der  Kohlensäure,  mit  sehr  kräftigen 
Basen,  z.  B.  von  Kalium  und  Natrium,  hervorgehen;  diese  Salze 
verhalten  sich  gegen  Pflanzenfarben  wie  Basen,  d.  i.  sie  bläuen 
das  gerötete  Lackmus ,  röten  Phenolphtalei'n  u.  s.  f.  Umgekehrt 
reagieren  die  Salze  aus  starken  Säuren ,  wie  die  Schwefelsäure, 
und  schwachen  Basen ,   wie  die  Oxyde  der  Schwermetalle ,  sauer. 


—     99     - 

Verbindungen ,  welche  weder  zu  den  Säuren ,  noch  zu  den 
Basen  und  Salzen  gehören,  sind  indifferente  Körper. 

Versuche. 

1.  Man  wäge  genau  4  g  Quecksilber  und  5  g  Jod  ab  und  verreibe  sie 
in  einem  Porzellanmörser,  unter  Befeuchten  mit  einigen  Tropfen  Weingeist, 
kräftig  zusammen:  es  entsteht  ein  karminrotes  Pulver,  das  rote  Jod- 
quecksilber.  Fügt  man  zu  demselben  nochmals  4  q  Quecksilber  und  fährt 
mit  dem  Verreiben  fort,  so  verwandelt  sich  das  rote  Pulver  in  ein  grün- 
lichgelbes, in  das  gelbe  Jodquecksilber. 

Das  rote  Jodquecksilber  enthält  4  Teile  Quecksilber  auf  5  Teile  Jod, 
das  gelbe  Jodquecksilber  enthält  8  Teile  Quecksilber,  also  die  doppelte 
Menge,  auf  das  gleiche  Quantum  Jod. 

2.  Man  wäge  15  g  offizinelle  reine  (30prozentige)  Salpetersäure  in 
ein  Becherglas;  ein  Streifen  blaues  Lackmuspapier  wird  beim  Eintauchen 
stark  gerötet ;  Kurkumapapier  aber  bleibt  dabei  unverändert.  Ihr  Geschmack 
ist  scharf  sauer. 

Andrerseits  wäge  man  2  g  weissen,  gebrannten  Kalk,  der  durchs 
Lagern  noch  nicht  mürbe  geworden,  sondern  noch  steinhart  ist,  bringe  ihn 
in  ein  Porzellanschälchen  und  tröpfele  16 — 20  Tropfen  Wasser  darauf;  in 
kurzer  Zeit  beginnt  der  Kalk  zu  rauchen  und  zerfällt  unter  Zischen  zu 
einem  lockeren,  weissen  Pulver.  Man  füge  nun  noch  soviel  Wasser  hinzu, 
dass  ein  dünner  Brei  entsteht:  taucht  man  einen  Streifen  rotes  Lackmus- 
papier hinein,  so  bläut  sich  derselbe  stark;  Kurkumapapier  färbt  sich 
braun.     Sein  Geschmack  ist  scharf  laugenhaft. 

Alsdann  giebt  man  die  abgewogene  Säure  portionenweise  zu  dem  Kalk- 
brei, wodurch  eine  allmähliche  Auflösung  des  gelöschten  Kalkes  unter 
starker  Erwärmung  erfolgt.  Ist  die  Säure  bis  auf  2 — 3  g  eingetragen, 
so  tauche  man  nach  jedem  Zusätze  rotes  Lackmuspapier  ein,  um  dessen 
Bläuung  zu  konstatieren.  Wenn  die  Flüssigkeit  klar  geworden  und  das 
rote  Lackmuspapier  nicht  mehr  gebläut  wird,  tauche  man  blaues  Lackmus- 
papier ein,  welches  nun  auch  unverändert  bleiben  muss.  War  der  Kalk 
ganz  rein,  so  wird  das  abgewogene  Quantum  der  Salpetersäure  zur  Sättigung 
verbraucht  werden. 

Die  resultierende  Flüssigkeit  schmeckt  stark  salzig.  Dampft  man  sie 
zur  Trockne,  so  hinterlässt  sie  ein  weisses  Salz  —  salpetersauren 
Kalk  — ,  dessen  Gewicht  gegen  6  g  beträgt. 


4,  Die  Konstitution  der  chemischen  Verbindungen, 

§  87.  Verbindungsgesetz.  Im  allgemeinen  lässt  sich  der  Satz 
aufstellen,  dass  sich  die  Elemente  nach  ihrer  Yalenz  mitein- 
ander vereinigen.  Im  Molekül  müssen  die  verschiedenen  Atome 
sich  in  gegenseitiger  Bindung  halten ;  nur  wenige  chemische  Ver- 
bindungen existieren,  die  hiervon  eine  Ausnahme  machen  und 
ungesättigte  Verbindungen  darstellen,  z.  B.  das  Kohlenoxydgas  (CO). 

1.  Gleichwertige  Elemente  vereinigen  sich  zu  je  1  Atom. 
Bsp.:     Chlorwasserstoff  (HCl);  Jodkalium  (KJ);  Kalk  (CaO). 

2.  Ungleichwertige  Elemente  vereinigen  sich  im  umgehehrten  Ver- 
hältnisse ihrer  Valenz. 


—     100     — 

1  zweiwertiges  Atom  verbindet  sich  mit  2  einwertigen  Atomen. 
1  dreiwertiges       „  „  „       „     3  „  „ 

1  vierwertiges       „  „  „       „     4  „  „ 

Bsp.:     Wasser  (H20);     Ammoniak  (NH3);     Kohlenwasserstoffgas  (CH4) 

2  dreiwertige  Atome  verbinden  sich  mit  3  zweiwertigen  Atomen. 
1   vierwertiges  Atom  verbindet  sich  mit  2  ,,  „ 

Bsp.:     Thonerde  (A1203);     Kohlensäure  (C02).     Arsenik  (As203); 
Schwefelkohlenstoff  (CS2). 

Charakteristik  der  Verbindungen  nach  ihren  Bestandteilen, 

§  88.  Die  Verbindungen  der  Salzbildner.  Zu  den  Salzbildnern 
zählen  folgende  einwertige  .Nichtmetalle :  Chlor,  Brom,  Jod, 
und  Fluor.    Sie  zeichnen  sich  durch  die  beiden  Eigenschaften  aus: 

1.  Die  Sahbildner  vereinigen  sich  mit  den  Metallen  zu  Sahen 
(sog.  Haloidsalzen). 

Im  allgemeinen  bezeichnet  man  die  Verbindungen  des  Chlors 
als  Chloride,  die  des  Broms  als  Bromide,  die  des  Jods  als 
Jodide,  die  des  Fluors  als  Fluoride.  Metalle  mit  doppelter 
Valenz  bilden  zwei  Reihen  von  Haloidsalzen ;  die  an  Chlor,  Brom, 
Jod,  Fluor  ärmeren  Verbindungen  werden  dann  als  Chlorüre, 
Bromüre,  Jodüre,  Fluorüre  unterschieden. 

Bsp.:     Kaliumchlorid  KCl  Kaliumjodid  KJ 

Calciumchlorid  CaCl2  Calciumüuorid  CaF2 

Eisenchlorür  FeCl2  Zinnchlorür  SnCl2 

Eisen  chlorid  Fe2Cl6*)  Zinnchlorid  SnCl4 

Quecksilberchlorür    Hg2Cl2**)       Quecksilber) odür     Hg2J2 
Quecksilberchlorid    HgCl0  Quecksilber  Jodid      HgJ0 

Goldchlorid  AuCl3  Platinchlorid  PtCl4 

In  den  Haloidsalzen  enthält  jedes  Molekül  soviel  Atome  des 
Salzbildners,  als  das  Metallatom  "Werte  besitzt. 

2.  Die  Salzbildner  vereinigen  sich  mit  dem  Wasserstoff  zu  (gas- 
förmigen) Säuren. 

Chlorwasserstoffsäure    (Salzsäuregas)  HCl 

Bromwasserstoffsäure  HBr 

Jodwasserstoffsäure  HJ 

Fluorwasserstoffsäure  (Flusssäure)  HF 

§  89.  Die  Verbindungen  des  Sauerstoffs.  Der  Sauerstoff  bildet 
mit  den  übrigen  Elementen  Oxyde.  Dieselben  sind  nach  der 
Valenz  zusammengesetzt,  indem  das  zweiwertige  Sauerstoff- 
atom 2  einwertige  resp.  1  zweiwertiges  Element-Atom  zu  binden 
vermag.  Mehrwertige  Elemente  beanspruchen  mehr  als  1  Sauer- 
stoffatom ,   und  zwar  vermag   der  Sauerstoff  mit  ein  -  und  zwei- 

**)        Hg  —  Cl 
Hg-  Cl 


—     101     — 

wertigen  Elementen,  z.  B.  mit  Chlor,  Schwefel  u.  a.,  sich  in  mehr- 
fachen Verhältnissen  zu  verbinden,  wobei  man  eine  gegenseitige 
Bindung  von  Sauerstoffatomen,  vielleicht  auch  eine  Erhöhung  der 
Yalenz  des  anderen  Elementes  annehmen  muss. 
Es  können  nun  folgende  Fälle  eintreten : 
1.  Der  Sauerstoff  ist  nur  mit  1  Elemente  verbun- 
den —  die  Verbindung  ist  ein  Oxyd. 

Bsp.:     Wasserstoffoxyd  (Wasser)         H20*) 
Kaliumoxyd  (Kali)  K20 

Natriumoxyd  (Natron)  Na20 

Calciumoxyd  (Kalk)  CaÖ 

Zinkoxyd  ZnO 

Aluminiurnoxyd  (Thonerde)     A1.,03**) 
Platinoxyd  PtÖ2 

Im  Falle  das  mit  dem  Sauerstoff  verbundene  Element  mehrere 
Werte  hat  und  mithin  mehrere  Oxyde  bildet,  nennt  man  das  sauerstoff- 
ärmere derselben  0  xy dul,  das  sauerstoffreichere  Oxyd.  Besitzt  das 
betreffende  Element  ausserdem  eine  ungesättigte  Sauerstoffverbin- 
dung ,  so  heisst  dieselbe  S  u  b  o  x  y  d ;  übersättigte  Verbindungen 
heissen  Superoxyde.  Suboxyde  und  Superoxyde  besitzen  keine 
basischen  resp.  sauren  Eigenschaften.  Ausserdem  bezeichnet  man 
mehrfache  Oxyde  auch  wohl  mit  der  vorgesetzten  Silbe  prot-,  di- 
(deut-),  tri-,  tetr-,  pent-,  je  nach  der  Zahl  der  Sauerstoffatome. 
Bsp. 


Eisenoxydul 

FeO 

Schwefeldioxyd 

so,t) 

Eisenoxyd 

Fe,03 

Schwefeltrioxyd 

so3tt) 

Quecksilberoxydul 

Hg9Ö***) 

Pbospbortrioxyd 

P2Q3 

Quecksilberoxyd 

HgÖ 

Phospborpentoxyd 

p2o5 

Zinnoxydul 

SnO 

Stickstofftrioxyd 

N203 

Zinnoxyd 

Sn09 

Stickstoffpentoxyd 

N205 

Bleisuboxyd 

Pb,Ö 

Manganoxydul 

MnO 

Bleioxyd 

PbO 

Manganoxyd 

Mn203 

Bleisuperoxyd 

PbO, 

Mangansuperoxyd 

Mn<% 

2.  Der  Sauerstoff  ist  teilweise  mit  Wasserstoff,  teil- 
weise mit  einem  anderen  Element  verbunden  —  die  Ver- 
bindung ist  bald  eine  Säure,  bald  eine  B  a  s  e ,  je  nachdem  das  dritte 
Element  einen  elektronegativen  (nichtmetallischen),  oder  einen  elektro- 
positiven  (metallischen)  Charakter  besitzt.  Die  hierhin  gehörigen  Körper 
lassen  sich  mithin  als  HO-  Verbindungen,  d.  i.  als  Hydroxyde 
eines  nichtmetallischen  oder  eines  metallischen  Elementes  ansehen. 

1.  Die  Sauerstoffsäuren  sind  Verbindungen  des  Sauerstoffs  mit 
Wasserstoff  und   einem    elektronegativen  (nichtmetallischen)  Elemente. 

Bildet  ein  Element  mehrere  Säuren,  so  nennt  man  die  sauer- 
stoffärmere —  ige  oder  Unter  —  säure,  unter  Umständen  unter- 
—  ige  Säure,  sehr  sauerstoffreiche  Säuren  Über  —  Säuren. 

*)    EL  n     **)    A1=0    ***)    Hg  t)  0     ft)  0\ 

AL=0  Hg^  0  ~  U/ 


102 


Unterchlorige  Säure    HCIO 
Chlorige  Säure 


Chlorsäure 
Überchlorsäure  *) 


HC102      = 
HCIO,      = 


HCIO,      = 


Schweflige  Säure  H2S03      = 


Schwefelsäure 
Phosphorige  Säure 
Phosphorsäure  **) 


H,S04 
H3PO3 
H3P04     = 


H    \o 

Cl     /  u 
CIO/  u 

cioj  u 

C103}  ° 

SO    /Ü2 
SO,  /  Ui 

P         f  U3 
PO    /  U3 

Je  nach  dem  Gehalte  an  Wasserstoffatomen  bezeichnet  man  die 
Säure  als  ein-,  zwei-,  dreibasisch;  so  sind  die  Säuren  des 
Chlors  einbasisch,  die  des  Schwefels  zweibasisch,  die  des  Phosphors 
dreibasisch.  Die  Säuren  sind  als  die  Verbindungen  von  1,  2  oder 
3  HO  mit  einem  Nichtmetalle  oder  einer  negativen  Atomgruppe, 
d.  i.  als  Hydro xy de  derselben  zu  betrachten. 

2.  Die  Sauer sto ff b äsen  sind  Verbindungen  des  Sauerstoffs  mit 
Wasserstoff  und  einem  eleJctropositiven  (metallischen)  Elemente. 

Man  betrachtete  früher  diese  Metallhydroxyde  als  Oxyd- 
hydrate, d.  i.  Verbindungen  der  Metalloxyde  mit  "Wasser,  wie 
man  auch  die  Säuren  für  Hydrate  der  Mchtmetalloxycle  ansah,  z.  B. 
die  Schwefelsäure  (H2S04)  für  das  Hydrat  des  Schwefeltrioxyds 
(der  sog.  wasserfreien  Schwefelsäure)  mit  der  Formel  (S03  +  H20). 
So  nannte  man  das  Calciumhydroxyd  (Ca2H0)  in  gleicher  Weise 
Kalkhydrat  und  gab  ihm  die  Formel  (CaO-f-H20). 

Solche  Formeln  widerstreiten  aber  den  Anschauungen  der 
Molekulartheorie ,  welche  zwischen  den  einzelnen  Atomen  des 
Moleküls  eine  gleichmässige  Bindung,  jedoch  keine  Scheidung  in 
,,nähereu  Bestandteile  zulässt. 

Kaliumhydroxyd    (Kalihydrat)  KHO 


Ca2H0        = 


Calciumhydroxyd    (Kalkhydrat) 
Aluminiumhydroxyd  (Thonerdehydrat)  ***)  Al26HO 


% }  o= 


*)      H 


>0 


Cl'  _ 
Unterchlorige  S. 
**)  H    Q 

(s-O)Gd 

H>u 


Schweflige  S. 

H-   u 

Kalmmhy  dr  oxy  d 


(Cl— 0)>u       (Cl— 0— 0)^u 
Chlorige  S.  Chlorsäure 

H— 0\ 
H— 0— P 
H—  Of 
Phosphorige  S 
H0N 


H 


(S- 


Schwefelsäure 
H 


Ca 

H 


>0 
>0 


Al,\ 
H6/ 

H^-o 
(Cl—  0— 0— 0)<u 

Üherchlorsäure 

H— 0. 

H— 0-P  =  0 

H— 0  ' 

Phosphorsäure 

/HO 


Calciumhydroxyd 


HO— AI— AI— HO 

HO'  XH0 

Aluminiumh  y  droxyd 


—     103     — 

Man  findet  meist  die  Formel  der  Hydroxyde,  indem  man  dem 
Metallatom  so  viele  HO  beigiebt,  als  es  Werte  besitzt.  Sie  tragen 
alle  einen  basischen  Charakter. 

3.  Die  Sauerstoffsalze  sind  Verbindungen  des  Sauerstoffs  mit 
zwei  Elementen,  einem,  nichtmetallischen  und  einem  metallischen,  ent- 
standen durch  Eintritt  eines  Metalles  an  die  Stelle  des  Wasserstoffs 
in  einer  Sauerstoffsäure. 

Wird  eine  Sauerstoffsäure  mit  dem  Oxyd  oder  Hydroxyd 
eines  Metalles  versetzt,  so  nimmt  sie  dessen  Metallatom  an  Stelle 
ihres  Wasserstoffs  an  ;  letzterer  vereinigt  sich  dabei  mit  dem  Sauer- 
stoff des  Metalloxyds  zu  Wasser. 

HNO3  +  KHO  =  KN03  +  H20 

Salpetersäure  Kaliumhydroxyd  Kaliumnitrat  Wasser 

EL^SO^  H-  ZnO  =  ZnS04  -f-  H20 

Schwefelsäure  Zinkoxyd  Zinksulfat  Wasser 

Früher  betrachtete  man  die  Sauerstoffsalze  als  bestehend  aus 
Säure  und  Base;  man  gab  ihren  Formeln  einen  dualistischen 
Ausdruck  und  drückte  die  Trennung  in  zwei  Bestandteile  auch 
im  Namen  aus.  So  bezeichnete  man  das  aus  dem  Zinkoxyd  und 
der  Schwefelsäure  entstandene  Satz  als  „schwefelsaures  Zinkoxyd" 
mit  der  Formel:  (ZnO  +  S03).  Hierbei  lag  die  Anschauung  zu 
Grunde,  dass  das  Schwefeltrioxyd  (S03)  eine  Säure  sei.  Yon  dieser 
Betrachtungsweise  ist  die  neuere  Chemie  abgekommen,  und  es  gilt 
für  die  Salze  das  Nämliche,  was  oben  über  die  Hydroxyde  gesagt 
wurde.  Demgemäss  bezeichnet  man  neuerdings  die  Salze 
der  Salpetersäure  (HN03)     als  Nitrate 

„    salpetrigen  Säure       (HN02)      ,,    Nitrite 
„    Chlorsäure  (HC103)      „  Chlorate 

,,    chlorigen  Säure         (HC102)      „    Chlorite 
„    unterchlorigen  Säure  (HC10)       „   Hypochlorite 
„    Schwefelsäure  (H2S04)      „   Sulfate 

,,    schwefligen  Säure      (H2S03)      „   Sulfite 
„    Kohlensäure  (H2C03)     „   Karbonate 

„    Phosphorsäure  (H3P04)      „   Phosphate. 

Man  findet  die  Formel  der  Salze  leicht,  wenn  man  in  die  Formel 
der  Säure  das  Metall  einsetzt  für  H.   Bei  einwertigen  Metallen  treten 
so  viele  Metallatome  ein,  als  H- Atome  in  der  Säure  sind: 
Kaliumnitrat  (salpetersaures  Kali)  KN03 

Kaliumsulfat  (schwefelsaures  Kali)         K2SO4 

Kaliumphosphat    (phosphorsaures  Kali)        K3P04 

Bei  mehrwertigen  Metallen  und  einbasischen  Säuren  verlangt 
das  Metallatom  so  viel  Säuremoleküle,  als  es  Werte  besitzt,  z.  B. 


104 


Calciurnnitrat  (salpetersaurer  Kalk)  Ca2N03 

Calciumsulfat  (schwefelsaurer  Kalk)  CaS04 

Calciurnphosphat  (phosphorsaurer  Kalk)  Ca32P04 

Wismutnitrat  (salpetersaures  Wismutoxyd)  Bi3N03 

Wismutsulfat  (schwefelsaures  Wismutoxyd)  Bi23S04 

Wismutphosphat  (phosphorsaures  Wismutoxyd)  BiP04 

Zwei-  und  dreibasische  Säuren  vermögen  mehrere  Salze  zu 
bilden,  je  nachdem  sie  ihre  Wasserstoffatome  ganz  oder  nur  teil- 
weise durch  Metallatome  ersetzen.  Bei  vollständiger  Substitution 
entstehen  die  neutralen  oder  normalen  Salze,  wie  sie  zuvor 
betrachtet  wurden.  Bei  teilweiser  Substitution  entstehen  saure 
Salze,  welche  mithin  noch  vertretbaren  Wasserstoff  enthalten  und 
sich  durch  sauren  Geschmack  und  saure  Beaktion  auf  Pflanzen- 
farben von  den  neutralen  Salzen  unterscheiden.  Findet  eine  Säure 
so  viel  Base  vor,  dass  sie  mit  ihr  ein  neutrales  Salz  bilden  kann, 
so  spricht  man  von  einer  Sättigung  (Saturation)  der  Säure.  Bei 
der  Bildung  saurer  Salze  findet  demnach  keine  völlige  Sättigung  statt 
Man  bezeichnet  sie  durch  Yorsetzung  der  Silbe  bi—  resp.  tri  — : 


Kaliumsulfat 

Kaliumbisulfat 

Natriumphosphat 


Natriumsesquiphosphat  n  2/P04    (anderthalb- 


Natriumtriphosphat 


K2S04       (neutrales  schwefelsaures  Kali) 

tt   /  S04   (saures  schwefelsaures  Kali) 

NaaPO,!     (neutrales 

phosphorsaures 
Natron) 


Na\po 
H2  /^ 


(dreifach- 


[ 


Mehrwertige  Metallhydroxyde  vermögen  auch ,  neben  voll- 
ständiger Sättigung  mit  einer  Säure,  nur  teilweise  sich  mit  Säure 
zu  sättigen,  teilweise  im  Zustande  des  Hydroxyds  d.  i.  verbunden 
mit  HO,  zu  bleiben.  Es  entstehen  dann  sog.  basische  Salze, 
die  man  durch  die  Yorsilbe  sub —  bezeichnet. 
Wismutnitrat         Bi3N03         (neutrales    ") 


\N03 


Wismutsubnitrat  Bi   >  n-nf)    (basisches     ( 


salpetersaures  Wismutoxyd). 


§  90.  Die  Verbindungen  des  Schwefels.  Der  Schwefel  ist,  gleich 
dem  Sauerstoff,  ein  zweiwertiges  Element,  welches  mit  den 
übrigen  Elementen  sich  zu  Sulfiden  verbindet,  deren  Zusammen- 
setzung den  Oxyden  entspricht.  Folgende  Gegenüberstellung  diene 
zur  Erläuterung: 

Oxyde  Sulfide 

H.,0  Schwefelwasserstoff 

Kaliumsulfid 


Wasser 
Kaliumoxyd 


K?0 


Calciumoxyd  (Kalk)    CaO 
Kohlendioxyd  C02 


Calcium  sulfid 
Kohlensulfid 


H2S 
K2S 

CaS 
CS, 


—     105    — 

Die  Elemente  mit  wechselnder  Valenz  bilden  mehrere  Sulfide, 
deren  schwefelärmere  als  — ige  Sulfide  oder  Sulfüre  unter- 
schieden werden,     z.  B. 

Antimoniges  Sulfid    .     .     .     Sb2S3         Antimonsulfid  .     .     .     Sb2S5 

( Antimo  nsulfür) 
Arseniges  Sulfid     ....     As2S3         Arsensulfid  ....     As2S5 

(Arsensulfür) 
Zinnsulfür SnS  Zinnsulfid     ....     SnS2 

Den  Hydroxyden  (Oxydhydraten)  entsprechen  die  Hydro- 
sulfide  (Sulfhydrate),  welche  basischen  Charakter  tragen  und 
Sulfobasen  darstellen;     z.  B. 

Kaliumhydrosulfid  K   (  q  Natriumhydrosulfid  Na   I   „ 

(Kaliumsulfhydrat)     |   '"  (Natriumsulfhydrat)  H     ) 

Den  Sauerstoffsalzen  entsprechen  die  Sulfosalze,  Yer- 
bindungen  basischer  mit  sauren  Sulfiden,  in  denen  der  Schwefel 
teilweise  mit  einem  positiven  Metalle,  teilweise  mit  einem  Nicht- 
metalle oder  negativen  Metalle  verbunden  ist;     z.  B. 

Sauerstoffsalze  Sulfosalze 

Kaliumkarbonat  K2C03         Kaliumsulfokarbonat  KCS3 

(kohlensaures  Kali)  (kohlenschwefliges  Schwefelkalium) 

Kaliumarsenit  K3As03  Kalium  sulfarsenit  K3AsS3 

(arsenigsaures  Kali)  (arsenigschwefliges  Schwefelkalium). 

§  91.  Verbindungen  des  Stickstoffs.  Der  Stickstoff  bildet  mit 
dem  Wasserstoff  verbunden  das  Ammoniak  (NH3),  ein  Gas  mit 
stechendem  Geruch,  stark  basischen  Eigenschaften  und  dem  Ver- 
mögen ,  Säuren  zu  sättigen  und  mit  ihnen  krystallisierbare  Salze 
zu  erzeugen.    Es  löst  sich  reichlich  in  Wasser  auf  (Salmiakgeist). 

Die  Sättigung  der  Säuren  durch  das  Ammoniak  vergleicht  sich 
aber  nicht  mit  der  Sättigung  der  Säuren  durch  Metalloxyde;  sie 
besteht  nämlich  nicht  im  Austausch  des  Wasserstoffs  der  Säure 
durch  ein  Metall,  sondern  in  der  Addition  der  Säure  zum  Am- 
moniak, indem  das  Wasserstoffatom  der  Säure  zu  den  3  Atomen  H 
des  Ammoniaks  hinzutritt,  damit  ein  einwertiges  Radikal,  das  sog. 
Ammonium  (NH4)  bildet,  dessen  Bestehen  aber  ein  hypothe- 
tisches ist.  Somit  entsteht  aus  dem  Ammoniak  und  einer  Säure 
das  betreffende  Salz  des  Ammoniums.  Dieses  letztere  spielt  mit- 
hin die  Rolle  eines  Metalles. 

Das  Ammoniak  verbindet  sich  mit  den  Säuren  zu  Ammonium- 
salzen, in  denen  das  Radikal  (NH^)  angenommen  wird. 

1.  Ammoniak  -f-  Chlorwasserstoff  =  Chlorammonium 
NH3        +  HCl  (NH4)C1 


—     106     — 

2.  Ammoniak  -f-      Salpetersäure   =  Ammoniunmitrat 
NH3        +  HN03  =      (NH4)N03 

Mit  Wasser  bildet  das  Ammoniak  Ammoniumoxydhydrat,  mit 
Schwefelwasserstoff  Ammoniumsulfhvdrat ;  nämlich : 

NH3   +  H20  =  NH4  \  n        NH3  +  K>S   =  NH4  \  Q 
H  /U  H  /b 

Das  Ammonium  ist  kein  für  sich  bestehender  Körper, 
sondern  ein  einwertiger  Atomenkomplex,  der  die  Solle  eines  metal- 
lischen Elementes  spielt  und  daher  ein  zusammengesetztes 
Eadikal  genannt  wird. 

Das  Ammoniak  verdankt  die  Fähigkeit ,  sich  mit  Säuren, 
"Wasser  und  Schwefelwasserstoff  zu  verbinden,  der  Eigenschaft  des 
Stickstoffs,  fünfwertig  aufzutreten  zu  können.  Wenn  sich  bei- 
spielsweise das  Ammoniak,  in  welchem  das  Stickstoffatom  drei- 
wertig ist,  mit  Chlorwasserstoff  zu  Chlorammonium*)  vereinigt,  so 
erhöht  sich  die  Yalenz  des  Stickstoffs,  zur  Bindung  von  4  Atomen 
Wasserstoff  und  1  Atom  Chlor. 

§  92.  Verbindungen  des  Kohlenstoffs.  Die  Kohle  ist  ein  vier- 
wertiges  Element,  dessen  normale  Wasserstoffverbindung 
das  Grubengas  oder  Sumpfgas,  auch  leichtes  Kohlen- 
wasserstoffgas genannt,  mit  der  Formel  (CH4)  ist.  Da  in 
dieser  Verbindung  1  Atom  H  durch  Chlor ,  Brom ,  Jod ,  sowie 
andere  einwertige  Atomgruppen  vertretbar  ist,  woraus  Verbin- 
dungen eines  zusammengesetzteu  Radikals  (CH3),  des  sog.  Methyls, 
hervorgehen ,  bezeichnet  man  CH4  mit  dem  wissenschaftlichen 
Namen  Methylwasserstoff  oder  Methan. 

Methylwasserstoff  CH4  =       (CH3)H 
Chlormethyl  (CH3)C1 

Methylhydroxyd  (Holzgeist)  (CH3)HO 

Durch  gegenseitige  Bindung  von  Kohlenatomen  unter  sich 
entsteht  eine  grosse  Zahl  von  Kohleverbindungen  und  darin  ent- 
haltenen Radikalen;  die  Kohlenatome  sind  meistens  mit  1  oder 
2  Valenzen  kettenartig  unter  sich  verbunden,  seltener  (wie  im 
Benzol)  zu  einem  geschlossenen  Ringe. 

Äthylwasserstoff  C9H6**)   =  (C2H5)H         Äthylen  (Olgas)  C,H4***); 
Chloräthyl  (C2H5)C1        Propylen  C3H6 

Äthylhydroxyd  (Weingeist)     (C2H5)HO 
Phenylwasserstoff  (Benzol)  C6H6t)  =  (C6H5)H 
Phenylhydroxyd  (Phenol)  (C6Hs)HO 


*) 

N= 

=H4 

^Cl 

**) 

C: 

I 

c 

=  H3 

***\ 

C  = 

II 

c  = 

t) 

H- 

H 

^C 

-c 

H 

=  C 

^C- 

-H 

H  H 


—     107     - 

Hierhin  gehören  auch  die  organischen  Säuren,  Hydroxyde 
sauerstoffhaltiger  Kohleradikale;    z.  B. 

Ameisensäure  C  H90.,  =  (CHO)HO 

Essigsäure  C2H4(X  =        (C,H30)HO 

Oxalsäure  CoH,0T4  =        (Cf,02)2HO 

Weinsäure  C4H(t06  =  (C4H4Ö4)2HO 

Citronensäure  C6Hs07  =  (C6H504)3HO 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  das  Cyan  (CN) ,  die  Ver- 
bindung von  Kohle  mit  Stickstoff,  welche  als  ein  einwertiges 
Radikal  die  Rolle  der  Salzbildner  (Chlor,  Brom,  Jod,  Fluor)  nach- 
ahmt und  mit  Wasserstoff,  sowie  mit  den  Metallen  analoge  Ver- 
bindungen, sog.  Cyanide,  schliesst;  z.  B. 

Cyanwasserstoffsäure  (Blausäure)  HCN*) 
Cyankalium  KCN 

Durch  Aufnahme  von  Schwefel  geht  das  Cyan  in  Sulfocyan 
oder  Rhodan  (CISTS)  über. 

Sulfo cyankalium  (Rhodankalium)  KONS. 

§  93.  Isomerie.  Man  trifft  nicht  selten  Verbindungen  an,  deren 
prozentische  Zusammensetzung  völlig  gleich  ist,  obschon  ihre 
physikalischen  Eigenschaften  gänzlich  von  einander  abweichen. 
Solche  Körper  nennt  man  isomer,**)  und  das  Sachverhältnis 
Isomerie.  In  der  unorganischen  Chemie  giebt  es  solcher  Fälle 
nur  wenige,  bei  denen  wir  denn  auch  den  Grund  der  Verschieden- 
heit in  einem  verschiedenen  Krystallisationsverhältnis  finden,  z.  B. 
die  glasige  (amorphe)  und  porzellanartige  (krystallinische)  arsenige 
Säure,  das  schwarze  (amorphe)  und  rote  (krystallisierte)  Schwefel- 
quecksilber, das  schwarze  (krystallisierte)  und  orangerote  Antimon- 
sulfür  u.  a.  m.  Bei  den  organischen  Körpern  treffen  wir  zahlreichere 
Fälle,  bei  denen  wir  keinen  Grund  für  die  äussere  Verschieden- 
heit kennen;  so  sind  z.  B.  Holzfaser  (Cellulose),  Stärke  und  Gummi 
isomere  Verbindungen  mit  der  Formel  (C12H2001C). 

In  häufigen  Fällen  lässt  sich  die  Verschiedenheit  organischer 
Körper  bei  gleicher  Zusammensetzung  in  einer  anderen  Grup- 
pierung der  Atome  erkennen;  solche  Körper  heissen  metamer, 
und  dieses  Sach Verhältnis  Metamerie. 

Bsp.:  prozentische  Formel         rationelle  Formel 

Methylessigäther  C3H602  (CH3)C2H302 

Äthylameisenäther  C3H602  (C2H5)CHO, 

Wenn  bei  Elementen  Verschiedenheiten  in  der  äusseren  Er- 
scheinung vorkommen,  z.  B.  beim  Phosphor,  Schwefel,  Kohlenstoff, 
so  spricht  man  von  allo tropischen***)  Zuständen. 

*)  isomer  =  aus  gleichen  Teilen  zusammengesetzt,  von  hoc  (gleich) 
und  p'po;  (Teil).  **)  P=N 

***)  ätiotrop  =  äXXoxpo-oc  andersgeartet. 


—     108     - 

Die  elektrochemische  Theorie. 

Der  berühmte  schwedische  Chemiker  Berzelius  hatte  zu  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts,  gestützt  auf  die  grossen  Entdeckungen  im  Gebiete  der 
galvanischen  Elektrizität,  namentlich  auf  die  Elektrolyse  und  die  zumal 
durch  Davy  so  glücklich  ausgeführte  Isolierung  der  Alkalimetalle,  seine 
sog.  elektrochemische  Theorie  aufgestellt,  welche  er  auf  den  elektri- 
schen Gegensatz  der  Elemente  und  Verbindungen  gründete.  Die  Atome 
der  Elemente  glaubte  er  mit  verschiedenen  Mengen  -f-  E  und  —  E  beladen, 
so  dass  die  einen  vorwiegend  positiv,  die  anderen  mehr  negativ  elektrisch  an- 
zusehen seien.  Er  teilte  demgemäss  die  sämtlichen  Elemente  in  zwei  Gruppen: 

a)  Elektropositive  Elemente,  welche  bei  der  Elektrolyse  am 
negativen  Pole  frei  werden. 

Hierhin  gehören  die  Mehrzahl  der  Metalle.  Unter  ihnen  lässt  sich 
folgende  Spannungsreihe  aufstellen,  anhebend  mit  dem  am  stärksten  posi- 
tiven Kalium: 

-(-E  Kalium,  Natrium,  Calcium,  Magnesium,  Zink,  Eisen,  Blei, 
Kupfer,  Silber,  Gold  —  E. 

b)  Elektronegative  Elemente,  welche  bei  der  Elektrolyse  am 
positiven  Pole  frei  werden. 

Hierhin  gehören  die  Nichtmetalle  und  einige  Metalle.    Ihre  Span- 
nungsreihe lautet,  anhebend  mit  dem  am  meisten  negativen  Sauerstoff: 
—  E  Sauerstoff,  Chlor,  Schwefel,  Stickstoff,  Phosphor,  Arsen, 
Antimon,  Wasserstoff,  Kohle  -|-  E. 

Je  elektronegativer  ein  Element,  um  so  grösser  ist  seine  chemische 
Verwandtschaft  zu  den  elektropositiven  Metallen;  je  positiver  ein  Metall, 
um  so  grösser  seine  Verwandtschaft  zum  Sauerstoff,  Chlor,  Schwefel.  Da- 
her scheiden  die  Alkalimetalle  (Kalium,  Natrium)  sämtliche  Schwermetalle 
aus  ihren  Verbindungen,  desgleichen  der  Sauerstoff  den  Schwefel. 

Denselben  Gegensatz,  wie  ihn  die  Elemente  bieten,  fand  Berzelius 
auch  in  ihren  Verbindungen  wieder.  Er  unterschied  zwei  besonders  kräftig 
wirkende  Gruppen  nichtmetallischer,  höchst  elektronegativer  Elemente: 

1.  Die  Gruppe  der  Salzbiidner:  Chlor,  Brom,  Jod  und  Fluor. 
Ihre    Verbindungen    mit    Wasserstoff   sind    die    sog.     Wasserstoff- 

stoffsäuren,  z.  B.  Chlorwasserstoff  (Salzsäure),  Brom-,  Jod-,  Fluorwasser- 
stoff (Flusssäure).  Mit  den  Metallen  bilden  sie  direkt  Salze,  z.  B.  Chlor- 
kalium, Chlornatrium,  Fluorcalcium  u.  a.  Diesen  Salzen  wohnt  keine 
elektrische  Spannung  mehr  inne,  vielmehr  sind  sie  als  elektrisch  neutrale 
Körper  anzusehen. 

2.  Die  Gruppe  der  Basenbildner:  Sauerstoff  und  Schwefel  (mit 
Selen  und  Tellur). 

Sie  verbinden  sich  mit  den  elektronegativen  Elementen  (Nichtmetallen 
und  wenigen  Metallen,  wie  Antimon,  Arsen)  zu  elektronegativen  Oxyden 
und  Sulfiden,  sog.  Säuren,  z.  B.  Schwefelsäure,  Salpetersäure,  Phosphor- 
säure; mit  den  elektropositiven  Elementen  (Metallen)  vereinigen  sie  sich  zu 
elektropositiven  Oxyden  und  Sulfiden,  sog.  Basen,  z.  B.  Kali,  Natron, 
Kalk,  Schwefelkalium. 

Säuren  und  Basen  vereinigen  sich  mit  einander  zu  Sau  er  st  off  salzen 
resp.  Schwefelsalzen,  welche  also  zwei  elektrisch  entgegengesetzte  Be- 
standteile aufweisen:  eine  Säure  und  eine  Base.  So  besteht  nach  der 
elektrochemischen  Theorie  der  Salpeter  aus  Salpetersäure  und  Kali,  ist  also 
salpetersaures  Kali;  der  Eisenvitriol  besteht  aus  Schwefelsäure  und  Eisen- 
oxydul, ist  also  schwefelsaures  Eisenoxydul.  Diese  Bezeichnungsweise  ist, 
wenngleich  auf  die  neuere  Anschauungsweise  der  Molekulartheorie  nicht 
mehr  passend,  doch  noch  gangbar  geblieben. 


-     109    — 

Dieser  dualistischen  Befrachtung  entsprechen  auch  die  von  Berzelius 
eingeführten  Formeln,  welche  die  näheren  Bestandteile,  Base  und  Säure, 
dualistisch  sondern.  Der  Eisenvitriol  (FeS04)  erhielt  als  schwefelsaures 
Bisenoxydul  die  Formel  (FeO,SO;j),  d.  h.  FeO  =  Eisenoxydul,  S03  = 
Schwefelsäure. 

Die  Typentheorie. 

Gegenüber  der  elektrochemischen  Theorie  vollzog  sich  nach  der  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  eine  Wandlung  der  Ansichten  über  die  Konstitution 
der  chemischen  Verbindungen,  hauptsächlich  durch  den  französischen  Che- 
miker Gerhardt,  den  Schöpfer  der  sog.  Typentheorie.  Derselbe  nahm 
für  alle  zusammengesetzten  Körper  einige  einfache  Verbindungen  als  Muster, 
Typen,  an  und  stellte  drei  solcher  Typen  auf,  denen  man  später  einen 
vierten  zugesellte.     Diese  Typen  sind: 

1.  Der  Chlorwasserstoff-Typus   tt   \ 

Durch  Substituierung  des  Chlors  mit  den  analogen  Elementen  Brom, 
Jod  und  Fluor  erhält  man  die  Säuren: 

Bromwasserstoff    „    \  Jodwasserstoff    T   > 

Durch  Substituierung  des  Wasserstoffs  mit  Metallen  entstehen  die 
Salze  des  Chlors,  Broms,  Jod,  Fluors. 

Kl  TT   \  Kl 

Chlorkalium  p,  >  Bromkalium  R    >  Jodkalium  T   > 

Bei  mehrwertigen  Metallen    ist   ein  mehrfacher  Typus   anzuwenden: 
Chlorcalcium    ™    \  Fluorcalcium    ^    \ 

2.  Der  Wasser-Typus   ^  |   0 

Durch  vollständige  Substitution  des  Wasserstoffs  mit  einem  anderen 

Elemente  entstehen  die  Oxyde,  z.  B. 

K  I  ( 

Kaliumoxyd    tt-  >  0,  Calciumoxyd  (Kalk)   Ca   j  0 

Durch  teilweise  Substitution  des  Wasserstoffs  mit  einem  anderen 
Elemente  entstehen  die  Oxydhydrate,  welche  bei  eintretendem  elektro- 
negativen  Elemente  (resp.  Atomgruppe)  Säuren,  bei  eintretendem  positiven 
Elemente  Basen  vorstellen,  z.  B. 

TT         |  TT      I 

Salpetersäure         ,™    >  0  Kalihydrat  tt}0 

Schwefelsäure        <w  \  02  Kalkhydrat  J^  \  02 

Phosphorsäure         pk  >  03  Eisenoxydhydrat  tt    \  03 

Durch  doppelte  Substitution  des  Wasserstoffs  einerseits  mit  einem 
negativen,  andrerseits  mit  einem  positiven  Elemente  (resp.  Atomgruppe) 
entstehen  die  Sauerstoffsalze,  z.  B. 

Salpetersaures  Kali      ^^    >  0 

Schwefelsaurer  Kalk     q^    >  02 

Wird  im  Wassertypus  der  hinter  der  Klammer  stehende  Sauerstoff 
durch  den  ihm  analogen  Schwefel  vertreten,  so  entsteht  der 

TT    I 

Nebentypus  des  Schwefelwasserstoffs      tt  >  S, 


110    — 

woraus  in  ähnlicher  Weise    die    verschiedenen   Schwefelverbindungen    sich 
ableiten  lassen,  z.  B. 

TT  I  i 

Schwefelkalium     ^  J   S  Schwefelcalciurn     Ca  >   S 

3.  Der  Ammoniak-Typus     N  |  H3 

Wird  der  Wasserstoff  durch  Chlor,  Brom,  Jod  vertreten,  so  entstehen 
die  Stickstoffverbindungen  dieser  Elemente,  z.  B. 

Chlorstickstoff    N  \  Cl3  Jodstickstoff      N  }  J3 

Infolge  Substitution  des  Stickstoffs  durch  Phosphor,  Arsen,  Antimon 
gehen  die  Wasserstoffverbindungen  dieser  Elemente  hervor,  z.  B. 

Phosphorwasserstoff     P  I  H3  Arsenwasserstoff     As  i  H3 

4.  Der  Kohlenwasserstoff-Typus       C  i  H4 

Durch  Vertretung  des  Wasserstoffs  entstehen  daraus  zahlreiche 
organische  Körper,  z.  B. 

Chlormethyl         C  1  ^f 

Aus  dieser  Typentheorie  entwickelte  sich  die  Lehre  von  der  Valenz 
der  Elemente,  welche  sie  später  verdrängte,  da  der  Rahmen  der  4  Typen 
zu  enge  wurde  für  die  zahlreichen  chemischen  Verbindungen.  Die  Lehre 
von  der  Valenz  ist  aber  ein  Eckstein  der  jetzt  geltenden  Molekulartheorie. 


5,  Der  chemische  Prozess. 

§  94.  Wie  bilden  sich  chemische  Verbindungen?  Die  erste  Be- 
dingung zur  Vereinigung  zweier  Elemente  ist,  dass  sie  Verwandt- 
schaft (Affinität)  zu  einander  haben.  Dieselbe  Anziehungs- 
kraft, welche  die  Erde  gegen  die  irdischen  Körper  als  Schwerkraft 
(Attraktion)  äussert,  welche  zwischen  zwei  sich  berührenden 
Körpern  als  Adhäsion,  zwischen  den  einzelnen  Molekülen  eines  und 
desselben  Körpers  als  Kohäsion  sich  äussert,  tritt  als  chemische 
Affinität  zwischen  den  Atomen  verschiedener  Elemente  auf. 
Diese  Affinität  ist  je  nach  der  Wahl  der  Elemente  von  verschiedener 
Stärke,  fehlt  auch  wohl  gänzlich ;  so  vereinigt  sich  der  Sauerstoff 
mit  grosser  Begierde  mit  Phosphor ,  Kalium  u.  a. ,  nur  auf  in- 
direktem Wege  mit  den  edlen  Metallen  Silber,  Gold,  Platin,  und 
gar  nicht  mit  dem  Fluor. 

Die  zweite  Bedingung  zur  Vereinigung  ist  eine  möglichst 
innige  Berührung,  wie  sie  gewöhnlich  nur  im  flüssigen  und 
gasförmigen  Zustande  möglich  wird.    Daher  der  alte  Lehrsatz: 

Corpora  non  agunt  nisi  fluida.  —  Nur  flüssige  Körper  wirken 
aufeinander. 

Wir  drücken  diesen  Satz  jetzt  in  folgender  Weise  aus: 

Um  einen  chemischen  Prozess  eintreten  zu  lassen,  muss  wenigstens^ 
der  eine  Körper  flüssig  oder  gasförmig  sein. 


—   111   — 

Schwefel  und  Kohle  können  sich  im  gewöhnlichen  Zustande 
nicht  mit  einander  verbinden,  da  dies  ihr  fester  Aggregatzustand 
verhindert ;  leitet  man  aber  Schwefeldampf  durch  glühende  Kohlen, 
so  verbinden  sich  beide  Elemente  mit  einander  und  zwar  je 
64  Teile  Schwefel  (2  Atome)  mit  12  Teilen  Kohle  (1  Atom)  zu 
76  Teilen  Schwefelkohlenstoff  (CS2).  Ein  anderes  Beispiel  bietet 
uns  das  bekannte  Brausepulver,  dessen  Bestandteile  nur  dann  auf 
einander  wirken,  wenn  Wasser  hinzukommt. 

Daher  sind  Erhitzen  und  Auflösen  die  vorzüglichsten  und 
häufigst  angeordneten  Operationen  in  der  Chemie ;  durch  Erhitzen 
bewirken  wir  einen  feuerflüssigen,  oft  auch  gasförmigen  Zustand, 
durch  Auflösen  in  gleicher  Weise  eine  Verflüssigung. 

In  den  meisten  Fällen  besitzt  die  geschlossene  Verbindung 
einen  dichteren  Aggregatzustand  als  ihre  Bestandteile  im  Mittel 
haben;  alsdann  nimmt  man  bei  der  chemischen  Vereinigung  eine 
Erhitzung,  d.  i.  das  Freiwerden  von  Wärme  wahr.  So 
verbrennt  der  Phosphor  leicht,  unter  starker  Erhitzung,  zu  (fester) 
Phosphorsäure,  deren  Aggregatzustand  dichter  ist,  als  der  des 
Phosphors  und  Sauerstoffgases.  Den  höchsten  Hitzegrad  erreicht 
die  Verbrennung  von  Wasserstoffgas  im  Sauerstoffgase,  wobei  sich 
beide  Gase  zum  (tropfbarflüssigen)  Wasser  vereinigen. 

In  selteneren  Fällen  ist  das  Produkt  flüchtiger  resp.  weniger 
dicht  als  seine  Komponenten,  wie  wir  beim  (flüssigen)  Schwefel- 
kohlenstoff sehen ,  der  aus  zwei  festen  Körpern ,  Schwefel  und 
Kohle,  gebildet  wird;  alsdann  ist  eine  Zufuhr  von  Wärme  nötig. 

§  95.  Worin  besteht  der  chemische  Prozess?  Bei  jedem  chemischen 
Prozesse  werden  neue  Körper  geschaffen. 

Die  hierbei  stattfindenden  Vorgänge  können  sein : 

a)  Vereinigung  zweier  Körper  zu  einem  dritten; 

b)  Umbildung  zweier  Körper  in  zwei  neue  Verbindungen. 
Der  erste  Vorgang  besteht  also  in    einer  Addition    zweier 

Stoffe  zur  Bildung  eines  neuen  Körpers ;  der  zweite  Vorgang  be- 
steht im  Umtausch  der  Bestandteile,  wodurch  aus  zwei  Körpern 
zwei   andersgeartete   Stoffe   hervorgehen. 

Addition  finden  wir  1.  bei  der  Vereinigung  zweier  Elemente 
zu  einer  Verbindung,   2.  bei   der  Aufnahme   eines  Elementes  in 
eine  niedere    Verbindung  zur  Erzielung  einer  höheren  Verbindung. 
Bsp. :  Wasserstoff  und  Chlor  vereinigen  sich  zu  Chlorwasser- 
stoff, Wasserstoff  und  Sauerstoff  zu  Wasser: 

(HH)  +  (C1C1)  =  2  (HCl) 
2(HH)  +  (00)  =  2  (H20) 
Chlor  wird  von  Eisenchlorür  aufgenommen  zum  Eisenchlorid : 
2(FeCl,)  -j-  (C1C1)  =  Fe2Cl6 


—     112     - 

Ammoniak  verbindet  sich  mit  Chlorwasserstoff  zu  Chloram- 
monium : 

(NH3)  +  (HCl)  =  (NH4C1). 

Umtausch  der  Atome  finden  wir  1.  bei  der  Zerlegung  einer 
Verbindung  durch  ein  Element  —  sog.  Zersetzung  durch  ein- 
fache Wahlverwandtschaft;  2.  bei  der  gegenseitigen  Zerlegung 
zweier  Verbindungen  —  sog.  Zersetzung  durch  doppelte  Wahl- 
verwandtschaft. 

Bei  der  Zersetzung  durch  einfache  Wahlverwandtschaft  wird 

die  Verbindung  AB  durch  das  Element  C  zerlegt;  es  bildet  sich 

die  Verbindung  AC    und  das  Element  B  wird  ausgeschieden.   Chlor 

scheidet  z.  B.  aus  dem  Jodkalium  Jod  aus  und  bildet  Chlorkalium: 

KJ  +  Cl  =  KCl  +  J. 

Bei  der  Zerlegung  durch  doppelte  Wahlverwandtschaft  zer- 
setzen sich  die  Verbindungen  AB  und  CD  durch  gegenseitigen 
Umtausch  in  die  Verbindungen  AC  und  BD.  Eisensulfat  und 
Kaliumkarbonat  zerlegen  sich  gegenseitig  in  Eisenkarbonat  und 
Kaliumsulfat : 

FeSO-4  +  K2C03  ==  PeC03  +  K2S04. 

Bei  jedem  chemischen  Prozesse  spielt  die  Valenz  der  Elemente 
eine  wichtige  Bolle ,  da  sich  in  den  Verbindungen  die  Element- 
atome in  gegenseitiger  Bindung  halten  und  hierbei  die  Valenz 
derselben  massgebend  ist.  Wenn  sich  daher  zwei  Elemente  (durch 
Addition)  mit  einander  vereinigen,  so  geschieht  dies  in  äquivalenten 
Mengen:  1  Atom  Chlor  verbindet  sich  mit  1  Atom  Wasserstoff 
zu  1  Molekül  Chlorwasserstoff';  1  Atom  Sauerstoff  verbindet  sich  mit 
2  Atomen  Wasserstoff  zu  1  Mol.  Wasser.  Wenn  zwei  Körper  gegen- 
seitig sich  zersetzen ,  so  tauschen  sich  ihre  Atome  gemäss  ihrer 
Valenz  um;  so  vermag  1  Atom  Chlor  an  die  Stelle  von  1  Atom 
Jod  zu  treten,  wenn  es  dasselbe  aus  dem  Jodkalium  frei  macht; 
zerlegt  sich  ein  Eisensalz  gegen  ein  Kaliumsalz,  so  tauscht  sich 
das  zweiwertige  Eisenatom  gegen  2  einwertige  Kaliumatome 
aus.  Löst  man  Eisen  in  Chlorwasserstoffsäure  auf,  so  scheidet 
1  Atom  Eisen  2  Atome  Wasserstoff  aus  derselben  aus: 
Fe  +  2(HC1)  ==  PeCl,  +  2H. 

Die  Hauptformen  des  chemischen  Prozesses. 
1.     Die  Elemente    vereinigen  sich  bei  der   Verbrennung    an  der  Lufl 
mit  dem  Sauerstoff  derselben  zu   Oxyden. 

Entzündet  man  den  Schwefel,  den  Phosphor,  die  Kohle,  das  Wasser- 
stoffgas an  der  Luft,  so  verbrennen  sie  zu  Schwefeldioxyd  (wasserfreie 
schweflige  Säure),  Phosphorpentoxyd  (wasserfreie  Phosphorsäure),  Kohlen- 
dioxyd (wasserfreie  Kohlensäure)  resp.  Wasser. 

S     -f     20     =     SO,  C     +     20     =     C02 

2P  +     5  0     =     P2Ö5  2H    -|-      O      =     H20 

Die  Metalle  verbrennen  in  der  Glühhitze  zu  Oxyden,  mit  Ausschluss 


—     113     — 

der  edlen  Metalle,  welche  nebst  den  Salzbildnern  (Chlor,  Brom,  Jod,  Fluor) 
nicht  brennbar  sind,  d.  i.  nicht  direkt  mit  Sauerstoff  sich  verbinden  können. 

2.  Die  Oxyde  der  nichtmelaUischen  Elemente  vereinigen  sich  unter 
geeigneten  Umständen  mit  Wasser  zu  Säuren,  die  Oxyde  der  Metalle  zu 
basischen  Hydroxyden. 

Das  Schwefeldioxyd  verbindet  sich  mit  Wasser  zu  schwefliger  Säure, 
das  Schwefeltrioxyd  zu  Schwefelsäure,  das  Phosphorpentoxyd  zu  Phos- 
phorsäure ; 

SO.,       +     H.,0       =     HoSOo 

SO3    +  h.;o    =  h.;so4 

P205     -\-     3H20    =     2(H3P04) 
Das    Calciumoxyd    verbindet    sich    mit    Wasser    unter    Erhitzung    zu 
Calciumhydroxyd  (Kalkhydrat) : 

CaO     +     H20     =     Ca2HO. 
In  vielen  anderen  Fällen  lassen  sich  die  Säuren  und  Metallhydroxyde 
nicht  durch  direkte  Vereinigung  des  entsprechenden  Oxyds  mit  Wasser  ge- 
winnen, sondern  nur  indirekt  durch  Zerlegung  der  Salz  Verbindungen  herstellen. 
Die  Alkalimetalle  haben  eine  so   starke  Verwandtschaft  zum  Sauer- 
stoff, dass  sie  sogar  das  Wasser  zersetzen  und  den  Wasserstoff  frei  machen ; 
das  Produkt  dieser  Zersetzung  ist  das  betreffende  Hydroxyd: 
K     -|-    H20     =     KHO     +     H. 

3.  Eine  indirekte  Oxyuation  geschieht  durch  die  Salpetersäure, 
welche  sich  dabei  zu  Stickstoff oxyd  reduziert. 

Erhitzt  man  ein  Element  mit  Salpetersäure  (HN03),  so  oxydiert  es 
sich,  der  Säure  die  Hälfte  ihres  Sauerstoffs  entreissend  und  sie  zu  Stick- 
stoffoxyd (NO)  reduzierend,  welches  dabei  gasförmig  entweicht.  Die  Salpeter- 
säure zerfällt  in  Wasser,  Stickoxyd  und  Sauerstoff,  letzteres  oxydiert 
das  Element: 

2  (HNO3)     =     H20     -f     2  (NO)     +3  0. 
So    wird    Schwefel    zu    Schwefelsäure,     Phosphor    zu    Phosphorsäure, 
Antimon  zu  Antimonoxyd,  nämlich: 

S     +     2(HN03)      =     H.,S04     +     2  (NO) 
2  Sb  +     2  (HN03)      =     Sb203      +     H20     +     2  (NO) 
Niedrigere  Oxyde  werden  durch  die  Salpetersäure  in  ähnlicher  Weise 
höher  oxydiert,  z.  B.  Eisenoxydul  in  Eisenoxyd  übergeführt: 

6FeO     +     2HN03      =     3Fe203     -j-     H20     -f     2  NO. 

4.  Erhitzt  man  die  Oxyde  mit  Kohle,  so  geben  sie  an  dieselbe  ihren 
Sauerstoff  ab  und  werden  zu  Elementen  reduziert. 

In  der  Glühhitze  reduziert  die  Kohle  alle  Oxyde,  indem  sie  sich  mit 
deren  Sauerstoff  zu  Kohlenoxydgas  (CO)  resp.  Kohlendioxydgas  (C02)  ver- 
bindet und  als  solches  entweicht.  Die  Phosphorsäure  liefert  bei  diesem 
Keduktionsprozesse  Phosphor,  das  Kaliumoxyd  metallisches  Kalium,  Eisen- 
oxyd metallisches  Eisen,  Zinkoxyd  Zink  u.  s.  f. 

K,0       +     C       =     2K       -f     CO 

ZnO       +     C       =     Zn        +     CO 

Fe203   +     2C     =     2Fe  CO       +     C02 

P205     -f     3C     =     2P       -f     2C02  4     co- 

5.  Der  Schwefel  verbindet  sich  beim  Zusammenschmelzen  mit  den 
meisten  übrigen  Elementen  direkt  zu  Sulfiden. 

Schmilzt  man  Eisen  mit  Schwefel  zusammen,  so  erhält  man  Schwefel- 
eisen, ebenso    beim  Antimon;    Quecksilber    verbindet   sich  schon  beim  an- 
haltenden Verreiben  mit  Schwefel  zu  schwarzem  Schwefelquecksilber. 
Fe     -f     S       =     FeS 
2Sb     -f     3S     =     Sb2S3 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  3 


—     114    — 

Mit  dem  Kohlenstoff  vereinigt  sich  der  Schwefel  in  der  Glühhitze  zu 
Kohlensulfid  (CS2) ,  einer  stark  lichtbrechenden  Flüssigkeit.  Mit  dem  Wasser- 
stoff verbindet  sich  der  Schwefel  nur  indirekt  zu  Schwefelwasserstoffgas  (H2S). 

6.  Die  Sahbildner:  Chlor,  Brom,  Jod,  Fluor  vereinigen  sich  mit  den 
Metallen  direkt  zu  Salzen  (Haloid salzen). 

Das  Chlor  bildet  beim  Zusammentreffen  mit  Kalium  und  Natrium 
sofort  Chlorkalium  resp.  Chlornatrium;  das  Jod  verbindet  sich,  bei  Gegen- 
wart von  Wasser,  direkt  mit  Zink,  Eisen  u.  a.  zu  Jodzink,  Jodeisen  u.  a., 
beim  Verreiben  mit  Quecksilber  bildet  es,  je  nach  der  angewendeten 
Menge,  gelbes  Quecksilberjodür  und  rotes  Quecksilberjodid: 

Fe-j-2J  =  FeJ2. 

7.  Die  Säuren  verbinden  sich  mit  den  basischen  Oxyden  zu  Salzen, 
wobei  zugleich    Wasser  entsteht. 

Die  Sauerstoffsäuren  sättigen  sich  mit  den  basischen  Oxyden  zu 
Sauerstoffsalzen  und  Wasser;  z.  B.  die  Salpetersäure  mit  Kalihydrat  zu 
Kaliumnitrat  Zinksulfat,  und  Wasser: 

KHO     +    HN03      =     KN03     +     H20 
ZnO       +     H2S04     =     ZnS04     +     H20 
Die  Wasserstoffsäuren  der  Salzbildner  sättigen  sich  mit  den  basischen 
Oxyden  zu  Haloidsalzen  und  Wasser;  z.  B.  Chlorwasserstoffsäure  (Salzsäure) 
mit  Kalihydrat  zu  Chlorkalium,   mit  Zinkoxyd  zu   Chlorzink  und  Wasser: 
KHO     +     HCl     =     KCl        -|-    H,0 
ZnO       +     2HC1  =     ZnCL,      +     H20 
Hierbei  tauscht  sich  das  Metall  des  Oxyds  mit  dem  Wasserstoff  der 
Säure  um. 

8.  Die  Schwefelsäure,  als  die  stärkste  Säure,  zerlegt  die  Salze  der 
übrigen  Säuren,  unter  Abscheidung  der  betreffenden  Säure  und  Bildung 
eines  schwefelsauren  Salzes  f Sulfates). 

Die  Sauerstoffsalze  und  Haloidsalze  werden  von  der  Schwefelsäure 
zerlegt;  das  Metall  des  Salzes  tritt  an  die  Stelle  des  Wasserstoffs  in  die 
Schwefelsäure  und  bildet  damit  das  entsprechende  Sulfat,  während  durchEintritt 
des  Wasserstoffs  die  andere  Säure  entsteht.  Das  Kaliumnitrat  (Salpeter)  ver- 
wandelt die  Schwefelsäure  in  Kaliumsulfat  und  scheidet  Salpetersäure  aus : 
2KN03     +    H2S04     =     2HN03     +    K.2S04 

Das  Chlornatrium  bildet  mit  ihr  Natriumsulfat  und  scheidet  Chlor- 
wasserstoffsäure aus: 

2NaCl    -f    H2S04     =     2  HCl     -f     Na2S04 

Aus  den  kohlensauren  Salzen,  z.  B.  Calciumkarbonat,  entwickelt 
die  Schwefelsäure  Kohlensäure  Gas  und  bildet  Calciumsulfat: 

CaC03     -f     H2S04     =     C02     4-     CaS04     -f-    H20 

Die  kohlensauren  Salze  werden  in  gleicher  Weise  auch  von  den 
anderen  Säuren  z.  B.  von  Salpetersäure,  Essigsäure,  Weinsäure  zersetzt, 
wobei  das  kohlensaure  Gas  unter  Auf  brausen  entweicht.  (Vgl.  Brausepulver!) 

9.  Die  Hydroxyde  (  Oxydhydrale)  der  Alkalimetalle,  als  die  stärksten 
Basen,  zerlegen  die  Salze  der  übrigen  Metalle,  unter  Abscheidung  des  be- 
treffenden Metallhydroxyds  und  Bildung  des  Alkalisalzes. 

Kaliumhydroxyd  (Kalihydrat,  Atzkali)   scheidet  aus  dem  Kupfersulfat 
Kupferhydroxyd  (Kupferoxydhydrat)  aus,   unter  Bildung   von  Kaliumsulfat: 
2  KHO      +     CuS04     =     Cu2HO     +    K2S04 
Das  Eisenchlorid    zerlegt    sich    mit  Kaliumhydroxyd  in  Chlorkalium 
und  scheidet  Eisenoxydhydrat  ab: 

Fe2Cl6    +     6  KHO      =     6  KCl     4-     Fe2  6  HO. 

10.  Das  Ammoniak  vereinigt  sich  mit  den  Säuren  zu  Salzen,  wobei 
kein    Wasser  entsteht. 


—     115    — 

Mit  Chlorwasserstoff  verbindet  sich  das  Ammoniak  zu  Chlorammonium, 
mit  Salpetersäure  zu  Ammoniumnitrat,  mit  Schwefelsäure  zu  Ammoniumsulfat: 
NH3     +    HCl         =     NH4C1 
NH3     +    HN03      =     NH4NO, 
2NH3    +     H2SÖ4     =     (NH4)2S04 
Ahnlich    den    Alkalihydroxyden    scheidet    das    Ammoniak    aus    den 
Salzen  der  Schwermetalle    deren  Oxydhydrate   aus,   unter  Bildung  des  be- 
treffenden Ammoniumsalzes;  dabei  nimmt  Wasser  Anteil  an  der  Zersetzung: 
Fe2Cl6     -j-     6NH3     +     6H20     ==     Fe26HO     -f-     6  NH4C1. 

11.  Die  Schwefelmetalle  lösen  sich  in  Säuren  auf,  unter  Knibindung 
von  Schwefelwasserstoffgas  und  Bildimg  eines  Salzes  der  betreffenden  Säure. 

Schwefeleisen  löst  sich  in  verdünnter  Schwefelsäure,  unter  Entwick- 
lung von  Schwefelwasserstoffgas,  zu  Eisensulfat  auf,  Schwefelantimon  in 
gleicher  Weise  in  Chlorwasserstoff  zu  Chlorantimon: 

FeS        +      H,S04     =     H2S       -j-    FeS04 
Sb2S3  _  -f    6HC1        =  3H2S       +  2SbCl3 
Hierbei    findet    ein    gegenseitiger    Umtausch    des/  Metalles    mit    dem 
Wasserstoff  der  Säure  statt. 

12.  Das  Schwefelwasserstoffgas  bildet  mit  den  Metalloxyden  Schwefel- 
metall (Sulfid)  und   Wasser. 

Leitet  man  Schwefelwasserstoffgas  über  QuecksilberoxjTl,  so  entsteht 
Schwefelquecksilber;  in  Kaliumhydroxyd  eingeleitet,  bildet  es  Kaliumsulfid 
resp.  Kaliumsulf hydrat,  je  nach  seiner  Quantität: 

HgO        +     H2S     =     HgS     +    H>0 
2KHO        +     H9S     =     K9S      -j-  2H20 
KHO        -4-    H^S     =     KHS     -4-    H20. 
Mit    Ammoniak    bildet    der    Schwefelwasserstoff  in    ähnlicher  Weise 
Schwefelammonium  resp.  Ammoniumsulf  hydrat: 

2NH3        -j-     H2S     =     (NH4)2S 
NH3        +    H2S     =     NH4HS 

13.  Die  den  basischen  Oxyden  entsprechenden  Schwefelmetalle  (Sulfo- 
basen)  verbinden  sich  mit  den  den  Säuren  entsprechenden  Sulfiden  (Sulfo- 
säuren)  zu  Salzen  (Sulfo salzen). 

Zu  den  Sulfobasen  zählen  in  erster  Reihe  die  Sulfide  der  Alkali- 
metalle, z.  B.  Schwefelkaliurn,  Schwefelnatrium;  zu  den  Sulfosäuren  ge- 
hören die  Sulfide  des  Arsens,  Antimons  u.  a.  Das  bekannteste  Sulfosalz 
ist  das  Natriumsulfantimoniat  (Na3SbS4),  aus  Natriumsulfid  (Na2S)  und 
Antimonsulfid  (Sb.2S5)  gebildet.  Säuren  zerlegen  die  Sulfosalze  unter  Ab- 
scheidung der  Sulfosäure  und  Entbindung  von  Schwefelwasserstoffgas: 
2Na3SbS4    +     6  HCl     =;   6  NaCl    -4-     Sb2S5    +     3H2S 

14.  Zwei  Salze  zerlegen  sich  gegenseitig ,  unter  Umtausch  ihrer 
Metalle,  wenn  eine  unlösliche   Verbindung  sich  ausscheiden  kann. 

Da  die  kohlensauren  Salze  der  Schwermetalle,  und  alkalischen  Erden 
in  Wasser  unlöslich  sind,  so  werden  sie  ausgeschieden,  wenn  man  die 
kohlensauren  Alkalien  (Kalium-,  Natriumkarbonat)  zu  den  Salzlösungen 
der  Schwermetalle  fügt;  aus  Natriumkarbonat  und  Kupfersulfat  entstehen 
Natriumsulfat  und  Kupferkarbonat,  ersteres  bleibt  in  Lösung,  letzteres 
scheidet  sich  aus: 

Na2C03     +     CuS04      =  _  Na2S04     -f     CuC03  _ 

In    ähnlicher  Weise    scheiden    die    kohlensauren    Alkalien    aus    dem 
Kalkhydrat  Calciumkarbonat  aus  und  verwandeln  sich  dabei  in  Hydroxyde: 
Na2C03     -4-     Ca  2  HO     =     CaC03    +     2NaHO. 


8* 


116 


A.  Unorganische  Chemie. 

a)   Nichtmetalle. 

6.  Die  atmosphärische  Luft  und  der  Sauerstoff. 

§1,96.  Woraus  besteht  die  atmosphärische  Luft?  Die  atmosphärische 
Luft  ist  ein  permanentes  Gas,  ohne  Geschmack,  Geruch  und  Farbe; 
1  l  wiegt  bei  0°  nahezu  1,3  g.  Sie  ist  ein  Gemenge  zweier 
Gase:  des  Sauerstoffs  und  des  Stickstoffs.  Zahl- 
reiche Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  allenthalben  die 
Gemengteile  der  Luft  gleichmässig  gemischt  sind,  sowohl  in  den 
tiefsten,  wie  in  den  höchsten  Regionen.  Man  schloss  früher  hier- 
aus, dass  die  Luft  eine  chemische  Verbindung  beider  Elemente 
sei ;  aber  hiergegen  spricht  nicht  allein  der  Umstand ,  dass  wir 
beim  Atmen,  durch  Verbrennung  u.  a.  m.  ihr  den  Sauerstoff  zu 
entziehen  vermögen,  sondern  vorzugsweise  auch  die  Thatsache, 
dass  die  vom  Wasser  aufgenommene  Luft  viel  reicher  ist  an  Sauer- 
stoffgas —  für  das  Leben  der  Fische  von  grösster  Bedeutung. 
Die  allenthalben  gleiche  Mischung  der  Luft  ist  Folge  der  Diffusion 
der  Gase,  durch  welche  in  kurzer  Zeit  zwei  Gase,  die  man  mit- 
einander in  Berührung  bringt,  sich  innigst  mischen. 
Die  atmosphärische  Luft  ist  ein  Gemenge  von 

21   Volumprozenten  oder  23  Gewichtsprozenten  Sauerstoff 

79  „  77  „  Stickstoff. 

Die  Verschiedenheit  der  Zahlen  für  Volum-  und  Gewichts- 
prozente rührt  daher,  dass  das  Sauerstoffgas  etwas  schwerer  ist 
als  das  Stickstoffgas. 

Ausser  diesen  beiden  integrierenden  Bestandteilen  enthält  die 
Luft  stets  etwas  Kohlensäure  (0,04—0,30%),  sowie  wechselnde 
Mengen  Wasserdampf  ('/2 — 1°/0) ,  weshalb  hygroskopische  Körper 
(wie  die  Pottasche)  an  der  Luft  allmählich  feucht  werden. 

§  97.  Was  ist  die  Verbrennung?  Wird  ein  Körper  an  der  Luft 
verbrannt,  so  verbindet  er  sich  mit  dem  Sauerstoffgase  derselben 
und  zwar  unter  Licht-  und  Wärmentwicklung.  Man  nennt  die 
Vereinigung  mit  Sauerstoff  eine  Oxydation,  und  das  Produkt 
derselben ,  die  Sauerstoffverbindung ,  ein  Oxyd.*)  Mithin  lässt 
sich  sagen: 

Die  Verbrennung  eines  Körpers  an  der  Luft  ist  eine  feurige 
Oxydation. 

Früher  betrachtete  man  das  Feuer  als  eine  höchst  feine  Materie, 
und  noch  im  vorigen  Jahrhundert  (1730)  stellte  Stahl  seine  berühmte 
Theorie  vom  Phlogiston  (von  epXo£  Flamme)  auf,  welches  ein  brennbarer 

*)  Oxyd  von  o?u?  sauer. 


—     117     — 

Körper  besässe  und  das  er  beim  Verbrennen  verliere;  sei  ein  Körper  ver- 
brannt, so  sei  er  seines  Phlogistons  beraubt,  depblogistisiert.  (Hiernach 
spielte  das  Phlogiston  die  entgegengesetzte  Rolle  des  Sauerstoffs).  Erst 
die  Entdeckung  des  Sauerstoffs  durch  Priestley  (1774)  und  Lavoisiers 
Grundversuche  brachen  der  jetzigen  Wissenschaft  Bahn. 

Lavoisier  zeigte  1789  durch  exakte  Versuche ,  dass  das 
rote  Quecksilberoxyd  beim  Erhitzen  in  Quecksilber  und  Sauer- 
stoffgas zerfällt,  welche  zusammen  genau  soviel  wiegen,  wie  das 
angewendete  Quecksilberoxyd;  ferner  dass  man,  wenn  das  daraus 
gewonnene  Metall  abermals  durch  geeignete  Mittel  in  Oxyd  ver- 
wandelt wird,  genau  die  ursprünglich  angewendete  Oxydmenge 
wieder  erhält.  Hierdurch  hatte  Lavoisier  bewiesen,  dass  ein 
Körper  beim  Yerbrennen  Sauerstoff  aus  der  Luft  aufnimmt  und 
um  dessen  Gewicht  schwerer  wird. 

Wenn  ein  verbrennender  Körper  den  festen  Aggregatzustand 
bewahrt,  wie  z.  B.  die  Kohle,  so  glüht  er  nur;  ist  er  aber  gas- 
förmig, wie  das  Wasserstoffgas,  oder  nimmt  er  in  der  Verbrennungs- 
hitze  Dampfform  an,  wie  der  Phosphor  und  Schwefel,  so  brennt 
er  mit  Flamme,  denn  die  Flamme  ist  brennendes  (leuch- 
tendes) Gas. 

Die  Lichtstärke  einer  Flamme  hängt  von  der  Menge  der 
in  ihr  schwebenden  glühenden  festen  Partikel  ab;  brennendes 
Wasserstoffgas,  welches  gar  keine  festen  Stoffe  enthält,  leuchtet 
nur  sehr  schwach;  auch  die  Weingeistflamme  besitzt  nur  eine 
geringe  Lichtstärke.  Das  Leuchtgas,  die  Flamme  des  Steinöls, 
der  Kerzen,  des  Holzes  u.  a.  scheiden  in  der  Verbrennung  feine 
Kohleteilchen  ab,  die  sich  an  kalte,  in  die  Flamme  gehaltene 
Gegenstände  als  Russ  ansetzen;  diese  aber  leuchten  in  der 
Flamme  stark  und  erteilen  ihr  hohe  Helligkeit. 

Zur  Entzündung  ist  eine  gewisse  Temperatur  notwendig. 
Nur  sehr  wenige  brennbare  Körper  entzünden  sich  in  gewöhn- 
licher Temperatur  an  der  Luft,  wie  das  Phosphorwasserstoffgas. 
Die  grosse  Mehrzahl  erfordert  eine  höhere  Temperatur  zur  Ent- 
zündung. So  gerät  der  Phosphor  schon  bei  60°,  der  Schwefel 
erst  bei  300°  von  selbst  in  Entzündung.  In  der  Mitteilung  der 
hierzu  nötigen  Temperatur  besteht  das  sog.  Anzünden,  schein- 
bar eine  Übertragung  der  Flamme.  —  Je  unverdünnter  das  Sauer- 
stoffgas ist,  um  so  leichter  und  intensiver  findet  die  Verbrennung 
statt;  daher  verbrennen  die  Körper  im  reinen  Sauerstoffgase  viel 
leuchtender  als  in  der  Luft. 

Nicht  alle  Oxydationen  treten  als  Verbrennungen  auf;  es 
giebt  auch  langsame,  nicht  feurige  Oxydationen,  bei 
denen  nur  eine  schwache  Temperaturerhöhung  wahrzunehmen  ist. 
So  zerfliesst  der  Phosphor  beim  Liegen  an  der  Luft,  sich  lang- 
sam oxydierend.  Organische  Materien  unterliegen  bei  der  Ver- 
moderung und  Verwesung  einer  allmählichen  Oxydation  und 


—     118     — 

verwandeln  sich  in  Humus.  Im  allgemeinen  sind  die  Produkte 
der  langsamen  Oxydation  sauerstoffärmer  als  die  der  Yerbrennung. 

Mit  Sauerstoff  gesättigte  Körper  sind  nicht  mehr 
brennbar,  wenn  sie  auch  ihren  Sauerstoff  nicht  durch  Verbrennung 
erhalten  haben,  sondern  durch  indirekte  oder  langsame  Oxydation. 

Nicht  brennbar  sind  ferner:  der  Stickstoff,  das  Chlor, 
Brom,  Jod,  Fluor,  sowie  die  edlen  Metalle;  sie  vereinigen  sich  in 
keiner  Temperatur  direkt  mit  Sauerstoff.  Indirekt  kann  man 
sie  aber  oxydieren  (mit  Ausschluss  des  Fluor). 

§  98.  Wie  gewinnt  man  reines  Sauerstofigas '?  Die  verschiedenen 
Darstellungsmethoden  des  reinen  Sauerstoffs  gehen  alle  davon 
aus,  dieses  Element  aus  einem  Oxyde  auszutreiben ;  man  gewinnt 
das  Sauerstoffgas: 

1.  Durch  Glühen  des  roten  Quecksilberoxyds 
(HgO),  welches  dabei  in  seine  Bestandteile:  Quecksilber  und 
Sauerstoff,  zerfällt;  beide  verflüchtigen  sich,  das  Quecksilber  ver- 
dichtet sich  aber,  während  der  Sauerstoff  gasförmig  bleibt. 

2.  Durch  Glühen  des  Braunsteins.  Derselbe  ist 
Mangansuperoxyd  (Mn02)  und  verliert  in  der  Glühhitze  den 
dritten  Teil  seines  Sauerstoffs.  Erhitzt  man  ihn  mit  Schwefel- 
säure, so  verliert  er  die  Hälfte  seines  Sauerstoffs,  schwefelsaures 
Manganoxydul  hinterlassend. 

3.  Durch  Schmelzen  des  chlorsauren  Kalis  (KC103) 
welches  bei  fortgesetztem  Erhitzen  seinen  ganzen  Sauerstoffgehalt 
verliert  und  Chlorkalium  (KCl)  zurücklässt. 

Der  reine  Sauerstoff  (Oxygenium*))  ist  ein  färb-, 
geruch-  und  geschmackloses  Gas,  etwas  schwerer  als  die  Luft 
(spez.  Gew.  1,10).  In  ihm  verbrennen  selbst  Körper,  die  an  der 
Luft  nur  sehr  schwierig  zur  Verbrennung  gelangen.  Er  ist  der 
Unterhalter  des  tierischen  Lebens,  insofern  er  beim  Atmen  vom 
Blute  in  den  Lungen  aufgenommen  und  zum  Stoffwechsel  benutzt 
wird.  Der  Stoffwechsel  im  Tierkörper  ist  im  allgemeinen  ein 
Oxydationsprozess.  Atmosphärische  Luft,  welcher  der  Sauerstoff 
entzogen  worden,  ist  weder  zum  Atmen  dienlich,  noch  vermag 
sie  die  Verbrennung  unterhalten. 

Es  glückte  den  Chemikern  Pictet  zu  Genf  und  Cailletet 
zu  Paris,  durch  starken  Druck  (550  Atmosphären)  bei  grosser 
Kälte  (-  140°)  das  Sauerstoffgas  tropfbarflüssig  zu  machen  (1877). 

Versuche. 

1.  Sauerstoffabsorption  durch  Verbrennung.  (Fig.  39.) 
Man  stürze  eine  Glasglocke  vorsichtig  über  ein  brennendes  Kerzchen, 
welches  in  einer  Schale  auf  Wasser  schwimmt.  Bald  darauf  brennt  das 
Licht  trübe  und  erlischt,  beim  Abkühlen  steigt  das  Wasser  innerhalb  der 

*)  Oxygeniurn,   Säurebildner,   von  o?u?   (sauer)  und  ysvvaw  (erzeugen). 


119 


Fig.  40. 


Glocke  empor,  um  den  Raum  des  verzehrten  Sauerstoffs 
einzunehmen.  (Die  Glocke  muss  geräumig  sein;  als  Licht 
kann  man  ein  Kerzchen  oder  Nachtlicht  auf  einer  Nussschale 
oder  dgl.  benutzen.) 

2.  Sauer  stoffabsorption  durch  Phosphor. 
Ein  erbsengrosses  Stückchen  Phosphor  bringe  man  in  einen 
längeren  Glascylinder,  den  man  durch  Ritzen  mit  Feuerstein 
oder  angeklebte  Papierstreifen  in  5  gleiche  Teile  eingeteilt 
hat.  Nachdem  man  darauf  den  Cylinder  mit  einem  gut  schliessenden  Stopfen 
verschlossen,  stelle  man  ihn  einen  Tag  bei  Seite.  Um  den  Posphor  nimmt 
man  die  Bildung  weisser  Nebel  (phosphorige  Säure)  wahr.  Schliesslich  öffne 
man  den  Cylinder  unter  Wasser,  die  Mündung  in  dasselbe  eintauchend; 
dann  steigt  das  Wasser  in  den  Cylinder  hinein  und  füllt  gerade  den 
fünften  Teil  an,  sofern  man  ihn  so  tief  eintaucht,  dass  das  Wasser  innen 
und  aussen  gleichhoch  steht. 

3.  Sauerstoffentbindung  aus  Quecksilber- 
oxyd (Fig.  40).  In  einem  Probiercy linder  erhitze 
man  eine  Messerspitze  voll  rotes  Quecksilberosj^d 
über  der  Lampe,  die  Öffnung  mit  dem  Daumen  lose 
verschliessend.  Führt  man  nach  einer  Weile  ein 
glimmendes  Holzspänehen  in  den  Cylinder  ein,  so 
leuchtet  es  hell  auf,  bricht  auch  wohl  in  Flamme 
aus.  Im  oberen  Röhrenteil  nimmt  man  einen  grauen 
Anflug  feinster  Quecksilberkügelchen  wahr. 

4.  Sauerstoffentbindung  aus  chlorsaurem 
Kali.  (Fig.  41).  Etwa  10  Gramm  chlorsaures  Kali  erhitze  man  in  einem 
kleinen  Kölbchen  oder  Retörtchen  über  der  Gasflamme  oder  der  Weingeist- 
lampe mit  doppeltem  Luftzug.  Das  Gefäss  verbinde  man  durch  einen  luft- 
dichten Kautschuk-  oder  Korkstopfen,  mit  einer  Glasröhre,  deren  anderes 
Ende  in  eine  Wanne 
mit  Wasser  —  sog. 
pneumatischeWanne 
—  untertaucht.  Sowie 
das  chlorsaure  Kali  ge- 
schmolzen ist ,  stürze 
man  über  das  Ende  der 
Röhre  einen  mit  Wasser 
voll  angefüllten  Glas- 
cylinder oder  eine 
Flasche.  (Man  fülle  das 
Gefäss  zuerst  mit  Wasser 
bis  zum  Überlaufen,  ver- 
schliesse  es  dann,  kehre 
um  und  öffne  es  unter 
dem  Wasserspiegel  der 
Wanne).        Das       ent-  ^  41- 

wickelte  Sauerstoffgas  steigt  in  Blasen  in  das  Glasgefäss  und  drängt  das 
Wasser  heraus.  Ist  es  mit  Gas  angefüllt,  so  verschliesse  man  es  noch 
unter  Wasser  und  ersetze  es  durch  ein  anderes  bereit  gehaltenes,  mit 
Wasser  gefülltes  Glas. 

Beim  Nachlassen  der  Gasentbindung  hebe  man  die  Glasröhre  aus 
dem  Wasser  heraus,  bevor  man  die  Lampe  löscht,  damit  nicht  das  Wasser 
der  Wanne  in  die  Retorte  zurücksteige.  Der  Salzrückstand  lässt  sich  durch 
heisses  Wasser  entfernen. 


—     120    — 

Rascher  und  reichlicher  geht  die  Grasentbindung  von  statten,  wenn 
man  das  chlorsaure  Kali  mit  gleichviel  grobgepulvertem  Braunstein  ver- 
mischt anwendet. 

5.  Versuche  mit  dem  Sauerstoffgase,  a)  Am  Ende  eines  Drahtes 
führe  man  einen  glimmenden  Holzspan  in  ein  mit  Sauerstoffgas  ge- 
fülltes Glas  ein;  er  bricht  in  Flammen  aus.  Ein  Stückchen  Holzkohle 
verbreDnt  mit  starkem  Glänze.  —  b)  Einen  spiralig  gedrehten  feinen 
Eisendraht  versehe  man  mit  etwas  glimmendem  Zunder  und  führe  ihn 
in  eine  mit  Sauerstoffgas  gefüllte  Flasche,  deren  Boden  mit  etwas  Wasser 
bedeckt  ist;  das  Eisen  verbrennt  mit  heftigem  Funkensprühen.  —  c)  Ein 
linsengrosses  Stückchen  Phosphor  führe  man  in  einer  kleinen  eisernen 
Schale  mit  langem  Drahte  in  Sauerstoff  ein,  nachdem  man  es  durch  Be- 
rühren mit  einem  heissen  Drahte  zuvor  entzündet  hat;  der  Phosphor  ver- 
brennt   mit    ausgezeichnetem  Glänze    zu  weissem  Rauche   (Phosphorsäure). 

Fragen  und  stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Ist  der  Sauerstoff  selbst  brennbar?  —  Antw.  Nein,  er  dient 
nur  zur  Verbrennung  anderer  Körper. 

2.  Wann  erlischt  ein  brennender  Körper?  —  Antw.  Wenn  ihm 
die  Sauerstoffzufuhr  entzogen  oder  er  unter  die  zum  Verbrennen  erforder- 
liche Temperatur  abgekühlt  wird. 

3.  Wenn  man  einen  Körper  mit  der  Flamme  eines  anderen  brennenden 
Körpers  anzündet,  empfängt  er  dann  die  Flamme  desselben?  —  Antw. 
Nein,  er  empfängt  nur  die  Erhitzung,  die  zu  seiner  Entzündung  nötig  ist. 
Hält  man  Papier  in  einen  sehr  heissen  Raum,  so  entzündet  es  sich,  ohne 
eine  Flamme  berührt  zu  haben. 

4.  Wie  viel  g  Sauerstoffgas  liefern  10  q  Quecksilberoxyd  bei  voll- 
ständiger Zersetzung?  —  Antw.  HgO  =  216  (da  Hg  =  200,  0  =  16); 
216  HgO   liefern  16  0,  also  10  g  HgO   Hefern  0,74  g  0. 

5.  Wieviel  ccm  Raum  nimmt  der  aus  10  g  Quecksilberoxyd  ge- 
wonnene Sauerstoff  ein,  wenn  1  /  dieses  Gases  1,44  g  wiegt?  —  Antw. 
514  ccm,  da  0,74  g  Gas  gewonnen  werden. 


7.  Das  Wasser  und  der  Wasserstoff, 

§  99.  Wie  findet  sich  das  Wasser  in  der  Natur?  Das  Wasser  ge- 
hört zu  den  am  weitesten  verbreiteten  Stoffen  in  der  Natur ;  nicht 
allein  dass  es  2/3  der  Erdoberfläche  bedeckt,  auch  die  Länder- 
komplexe sind  vielfach  mit  Strömen,  Flüssen  und  Bächen  durch- 
zogen, und  das  Luftmeer  enthält  stets  Wasserdampf  und  Wolken. 
Je  nach  Abstammung  und  Reinheit  unterscheidet  man: 

1.  Regenwasser,  das  reinste  aller  natürlich  vorkommen- 
den Wässer,  frei  von  Salzen,  arm  an  Kohlensäure. 

2.  Quell-  und  Brunnenwasser,  stets  kohlensaure-  und 
kalkhaltig.  Der  kohlensaure  Kalk  scheidet  sich  beim  Kochen  als 
Kesselstein  oder  Pfannenstein  aus,  da  sein  Lösungsmittel, 
die  freie  Kohlensäure,  beim  Sieden  aus  dem  Wasser  entweicht. 
Bei  grösserem  Kalkgehalt  wird  das  Wasser  hart,  bei  geringerem 
weich  genannt;  man  unterscheidet  es  schon  durch  den  Ge- 
schmack.    Da  hartes ,   kalk-  und   zumal  gipshaltiges    Wasser  die 


—     121     — 

Seife  zersetzt,  erkennt  man  es  leicht  daran,  dass  ein  kleiner  Zu- 
satz von  Seifenspiritus  eine  Trübung  und  Abscheidung  von  Kalk- 
seife hervorruft.  Darum  eignet  sich  hartes  Wasser  nicht  zur 
Wäsche.  Übelriechendes  Wasser  wird  mittelst  Filtration  durch 
Kohle  und  Sand  geruchlos  gemacht. 

3.  Flusswasser,  weniger  reich  an  Kohlensäure  und  Kalk, 
als  das  Quellwasser,  daher  ein  „weiches"  Wasser,  aber  stets  durch 
organische  Moderstoffe  verunreinigt. 

4.  Meerwasser,  mit  einem  Gehalte  von  über  3°/0  Salzen, 
mit  etwa  2%  Chlornatrium  (Kochsalz),  ausserdem  schwefelsaurer 
Magnesia  (Bittersalz),  deswegen  von  bitterlich  salzigem  Geschmack. 

5.  Mineralwasser,  besondere  Quellen,  ausgezeichnet  durch 
gewisse  Salze,  Kohlensäure  u.  a.  —  a)  Kohlensäurereiche  Wässer 
nennt  man  Säuerlinge,  Sauerwasser:  enthalten  sie  daneben 
kohlensaures  Eisenoxydul,  so  heissen  sie  Eisensäuerlinge 
und  setzen  an  ihren  Abflüssen  rostfarbiges  Eisenoxydul  ab. 
Säuerlinge  mit  kohlensaurem  Natron  sind  alkalische  Säuer- 
linge (wie  das  Selterser  Wasser);  führen  sie  schwefelsaures 
Natron  oder  Chlornatrium,  so  heissen  sie  salinische  Säuer- 
linge (wie  das  Kissinger,  Marienbader  und  Karlsbader  Wasser); 
enthalten  sie  schwefelsaure  Magnesia  (Bittersalz),  so  besitzen  sie 
einen  bittersalzigen  Geschmack  und  heissen  Bitterwässer 
(z.  B.  das  Hunyadi-Janos ,  Friedrichshaller  Wasser),  b)  Mineral- 
wässer mit  Schwefelwasserstoff  riechen  und  schmecken  nach  faulen 
Eiern;  man  nennt  sie  Schwefel wässer  (wie  das  Mineralwasser 
von  Aachen,  Teplitz,  Warmbrunn  u.  a.) 

Chemisch  reines  Wasser  wird,  als  destilliertes  Wasser, 
Aqua  destillata,  durch  Destillation  des  gemeinen  Wassers  ge- 
wonnen. Dasselbe  ist  färb-,  geschmack-  und  geruchlos,  und  hinter- 
lässt  beim  Verdampfen  keinen  Kückstand. 

Das  destillierte  Wasser  muss  frei  sein  von  Ammoniak  (Quecksüber- 
chlorid  trübt  weiss),  Chlornatrium  (Silbernitrat  trübt  weiss),  Kohlensäure 
(giebt  weisse  Trübung  mit  Kalkwasser). 

§  100.  Wie  ist  das  Wasser  zusammengesetzt?  Erst  im  Jahre  1800 
glückte  es,*)  das  Wasser  direkt  in  seine  chemischen  Bestandteile 
zu  zerlegen  und  zwar  durch  die  Voltasche  Säule.  Leitet  man 
nämlich  den  galvanischen  Strom  durch  Wasser,  indem  man  die 
beiden  Pole  mit  Platinplättchen  armiert  und,  wie  Fig.  42  zeigt, 
gefüllte  Glascylinder  über  sie  stürzt,  so  entwickeln  sich  an  ihnen 
zwei  farblose  Gase  und  zwar  am  negativen  Pole  stets  die  doppelte 
Volummenge  wie  am  positiven  Pole.  Bei  näherer  Untersuchung 
dieser  Gase  stellt  sich  eine  grosse  Verschiedenheit  zwischen  ihnen 

*)  Das  Wasserstoffgas  war  schon  im  16.  Jahrhundert  Paracelsus  be- 
kannt und  1766  von  Cavendish  näher  erforscht. 


-     122 


heraus:  Das  am  negativen  Pole  in  doppelter  Menge  entwickelte 
Gas  lässt  sich  entzünden  und  verbrennt  mit  schwach  leuchtender 
Flamme  —  es  ist  Wasserstoffgas;  das  am  positiven  Pole 
entwickelte  Gas  brennt  selbst  nicht,  erhöht  aber  das  Brennen 
anderer  Körper  —  es  ist  Säuerst  off  gas. 

1.  Das  Wasser  zerlegt  sich  durch 
den  elektrischen  Strom  in  zwei 
Volumteile  Wassersto  ff gasund  einen 
Volumteil  Sauerstoffgas. 

Da  das  "Wasserstoffgas 
16  mal  leichter  ist  als  das 
Sauerstoffgas,  so  zerlegt 
sich  das  Wasser  in  1  Ge- 
wicht steil  Wasser  stoffgas 
und  8  Gewichtsteile  Säuer- 
st off  gas. 

Was  die  Analyse  des  Wassers 
lehrt,  bestätigt  seine  Synthese. 
Entzündet  man  Wasserstoffgas  an 
der  Luft,  so  verbrennt  es  zu 
Wasser,  wovon  man  sich  leicht 
überzeugt,  wenn  man  eine  kalte 
Glasplatte  über  die  Flamme  hält 
—  sie  beschlägt  sich  mit  Wasser- 
dunst. 

2.  Ein  Teil  Wasserstoffgas  liefert 
beim  Verbrennen  neun  Teile  Wasser. 

Entzündet  man  ein  Gemenge 
aus  2  Volumteilen  Wasserstoff- 
und  1  Volumteil  Sauerstoff- 
gas, so  entsteht  Wasserdampf, 
welcher  sich  beim  Abkühlen  zur 


Fig.  42. 


Flüssigkeit  verdichtet.  Die  Vereinigung  beider  Elemente  ist  aber 
mit  so  grosser  Wärmeentbindung  verbunden  und  eine  so  plötzliche, 
dass  eine  Verpuffung  (Detonation)  stattfindet,  infolge  deren  Glas- 
gefässe  zersprengt  werden.  Man  nennt  daher  ein  Gemenge  von 
Wasserstoffgas  mit  Sauerstoffgas  (oder  auch  atmosphärischer  Luft) 
Knallgas.  Vereinigt  man  aber  beide  Gase  erst  im  Momente  der 
Entzündung,  indem  man  sie  aus  getrennten  Behältern  in  eine  feine 
Spitze  leitet  und  anzündet,  so  nimmt  die  Verbrennung  einen 
ruhigen  Verlauf.  Wegen  der  höchst  intensiven ,  bis  jetzt  noch 
unübertroffenen  Hitze"  verwendet  man  dieses  sog.  Knallgas- 
gebläse zum  Schmelzen  von  Platin  und  anderer  äusserst 
schwerflüssiger  Stoffe.    Ein  in  die  Flamme  gehaltenes  Stück  Kreide 


—     123     — 

oder  Kalk  gerät  in  lebhaftes  Glühen  und  dient  (Drummonds 
Kalklicht)  zur  Beleuchtung  grosser  Mikroskope  u.  a.  m. 

3.  Bas  Wassermolekül  besteht  aus  2  Atomen  Wasserstoff  und 
1  Atom  Sauerstoff.     Seine  Formel  ist  daher  H20. 

Wenn  zwei  Yolumteile  Wasserstoffgas  sich  mit  einem  Voluin- 
teil  Sauerstoffgas  zu  Wasser  vereinigen,  so  entspricht  dies  den 
Gewichtsverhältnissen  von  2  Wasserstoff  und  16  Sauerstoff.  Hieraus 
geht  die  Formel  des  Wassers  (H20)  hervor,  da  das  Atomgewicht 
des  Wasserstoffs  =  1,  das  des  Sauerstoffs  ==  16  ist.*) 

§  101.  Wie  gewinnt  man  reines  Wasserstoffgas?  Bringt  man  zum 
Wasser  ein  Element,  welches  grössere  Verwandtschaft  zum  Sauer- 
stoff besitzt,  als  der  Wasserstoff,  so  wird  der  letztere  aus  dem 
Wasser  abgeschieden ,  und  es  bildet  sich  das  Oxyd  des  andern 
Elements.  Yor  allem  sind  es  die  Alkalimetalle  (Kalium,  Natrium), 
welche  das  Wasser  zersetzen;  beim  Kalium  findet  dabei  eine 
solche  Erhitzung  statt,  dass  das  entweichende  Wasserstoffgas  sich 
entzündet.  In  der  Rotglühhitze  vermag  auch  das  Eisen  Wasser- 
dampf zu  zersetzen;  leitet  man  solchen  durch  ein  rotglühendes 
eisernes  Rohr,  so  entweicht  Wasserstoffgas,  und  das  Rohr  über- 
zieht sich  mit  Eisenoxyd. 

Die    gewöhnliche   Darstellungsweise    des  Wasserstoffs   ist   die 
Entbindung   aus   Zink   und   verdünnter   Schwefelsäure, 
wobei  das  Zink  sich  in  der  Säure  zu  Zinksulfat  auflöst.    Die  statt- 
findende Zersetzung  lässt  sich  durch  folgende  Gleichung  darstellen: 
Zn       +       HaS04  ZnS04  +        2H 

Zink  Schwefelsäure  Zinksulfat  Wasserstoff. 

Statt  des  Zinkes  kann  man    sich  auch  des  Eisens  bedienen. 

Das  reine  Wasserstoffgas  (H.ydrogenium**))  ist  ein  ge- 
ruch-,  geschmack-  und  farbloses,  brennbares  Gas  und  der  leich- 
teste Körper  (spez.  Gew.  =  0,069).  Aus  einer  feinen  Spitze 
ausströmend  verbrennt  es,  angezündet,  mit  ruhiger,  sehr  heisser, 
aber  schwach  leuchtender  Flamme ;  mit  Luft  oder  Sauerstoffgas 
gemengt  (Knallgas)  detoniert  es  beim  Anzünden  sehr  heftig,  da 
durch  die  starke  Erhitzung  und  Gleichzeitigkeit  der  Vereinigung 
an  allen  Punkten  eine  plötzliche,  gewaltsame  Ausdehnung  des 
gebildeten  Wasserdampfes  erfolgt. 

Durch  starken  Druck  bei  sehr  grosser  Kälte  gelang  es  1878, 
das  Wasserstoffgas  zu  verflüssigen  und  teilweise  fest  zu  machen 
(durch  die  eigene  Verdunstung). 


*)  In  graphischer  Darstellung  ist  die  Formel  des  Wassers:  H — 0 — H, 

in  typischer  Schreibweise  tt  }  0.     Die  ältere  Formel  des  Wassers  (die  Aqui- 

valentformel,  nach  welcher  0  =  8)  war:  HO. 

**)  Hydrogenium,  Wasserbildner,  von  uowp  (Wasser)  und  ysvvaw  (erzeugen). 


124 


Versuche. 

1.      Wasserstoffentbindung    aus    Zink    und    Schwefelsäure. 
(Fig.  43).     Man    fülle    ein    Kölbchen    halb    mit    verdünnter    Schwefelsäure 
(5  Teile  Wasser,    in    welche    1  Teil  englischer   Schwefelsäure  langsam,    in 
dünnem  Strahle  und  unter  Umschwenken   eingegossen  wird,)   füge   einige 
Schnitzel  Zinkblech,  Zinkstückchen  oder  Eisenfeile  hinzu,  und 
verschliesse  es  mit  einem  Kork  oder  Kautschukstopfen,  durch 
welchen  eine  feine,   enge,   in   eine  feine  Spitze   auslaufende 
Glasröhre    luftdicht    geführt    ist.     Das    entwickelte  Wasser- 
stoffgas lasse  man  so  lange  entweichen,  bis  es  alle  Luft  aus 
dem  Gefässe    verdrängt  hat,    dann    erst  entzünde  man  es. 
(Ein  zu  frühzeitiges  Anzünden  hat  eine  Zerschmetterung  des 
Entwicklungsgefässes    zur   Folge;    man    warte    daher  etwas 
länger  mit  dem  Entzünden.)  Ein  über  die  Flamme  gehaltener 
Porzellandeckel  beschlägt  sich  mit  Wassertröpfchen. 

2.  Versuche  mit  dem  Wasserstoffgas.  a)  Man  halte 
über  das  ausströmende  (nicht  angezündete)  Gas  wenige  Se- 
kunden einen  umgekehrten  Probiercylinder,  damit  er  sich 
1§'  "  zur  Hälfte  mit  dem  Gase  fülle;  nähert  man  ihn  dann  schnell 
einer  Flamme,  so  entsteht  ein  schwacher  Knall  —  infolge  der  Verpuffüng 
des  im  Cylinder  entstandenen  Knallgases.  —  b)  Man  halte  über  die  Flamme 
des  Gases  einen  LampencyKnder;  es  entsteht  ein  scharfer,  gellender  Ton, 
dessen  Höhe  zunimmt,  je  weiter  man  die  Flamme  im  Cylinder  hinaufrücken 
lässt.  (Chemische  Harmonika.)  —  c)  Die  Entwicklungsflasche  versehe  man 
mit  einer  nicht  zu  engen  Glasröhre,  in  deren  Ende  ein  Strohhalm  einge- 
führt ist,  dessen  überstehenden  Teil  man  in  vier  kurze  Streifen  zerschneide 
und  sternförmig  ausbreite.  Betupft  man  diese  Öffnung  mit  Tropfen  gequirlten 
Seifenwassers,  so  entstehen  mit  Knallgas  gefüllte  Seifenblasen,  welche  bei 
Annäherung  eines  brennenden  Fidibus  mit  schwachem  Knalle  detonieren. 
3.  Döbereinersche  Zündmaschine.  (Fig. 
44.)  Vor  der  Einführung  der  Streichzündhölzchen 
diente  sie  als  Feuerzeug.  Sie  gründet  sich  auf  die 
Entzündung  von  Wasserstoffgas  durch  Platinschwamm 
(schwammförmig  lockeres  Platin),  welcher  sich  durch 
die  Fähigkeit  auszeichnet,  in  seinen  Poren  Gase  zu 
verdichten.  Die  dabei  eintretende  Erhitzung  —  zu- 
folge der  Verdichtung  —  entzündet  das  Wasserstoffgas. 
Die  Zündmaschine  besteht  aus  einem  grösseren,  gerad- 
wandigen  Glasgefässe  (a),  an  dessen  Messingdeckel 
ein  beiderseits  offener  Glascylinder  (b)  angekittet 
*ig.  44.  -gj.^   worjn  an   einem  Haken   ein  Stück  Zink  hängt. 

Im  äusseren  Gefässe  befindet  sich  verdünnte  Schwefelsäure,  deren  Zutritt 
zum  Zink  Wasserstoffgas  im  Cylinder  entwickelt.  Durch  einen  Druck  auf 
die  Feder  e  wird  dem  Gase  ein  Ausweg  nach  oben  gegeben ;  es  strömt 
durch  eine  feine  Öffnung  des  Deckels  seitlich  zum  Platinschwamm  in  d, 
sich  daran  entzündend.  Beim  Nachlassen  des  Druckes  auf  die  Feder 
schliesst  sich  die  Öffnung  wieder,  das  Gas  sammelt  sich  im  Cylinder  und 
drückt  die  Säure  nach  unten,  bis  sie  ausser  Berührung  mit  dem  Zink  ge- 
kommen ist.  Ein  erneuter  Druck  auf  die  Feder  setzt  den  ganzen  Vorgang 
abermals  in  Aktion. 

Fragen  und  stöchioinetrische  Aufgaben. 

1.     Woran  erkennt  man  hartes  Wasser?  —  Antw.  Es  trübt  sich  mit 
Seifenspiritus  stark. 


—     125     — 

2.  Wie  unterscheidet  man  Brunnenwasser  von  destilliertem  oder 
Regenwasser?  —  Antw.  Salpeter  saures  Silberoxyd  trübt  das  Brunnenwasser 
wegen  seines  Kochsalzgehaltes,  nicht  aber  das  destillierte  oder  Regenwasser. 
^  3.  Wie  muss  man  einen  mit  Wasserstofferas  gefüllten  Glascylinder 
halten,  damit  das  Gas  nicht  entweiche?  —  Antw.  Mit  der  Öffnung  nach 
unten,  da  das  Gas  14  mal  leichter  ist  als  die  Luft. 

4.  Wieviel  g  Wasserstoffgas  und  Sauerstoffgas  liefert  1  g  Wasser  bei 
der  galvanischen  Zersetzung?  —  Antw.  H.,0  =  18  zerfällt  in  2H  =  2 
und  0  =  16;  mithin  zerlallt  1  g  H20  in  0,11  g  H  und  0,89  g  0. 

5.  Wieviel  ccm  betragen  beide  Gase,  wenn  1  l  Sauerstoffgas  1,44  g. 
\1  Wasserstoffgas  0,09  g  wiegt?  —  Antw.  H  =  1222  ccm.     0  =  618  ccm. 

6.  Wieviel  Wasser  liefert  1  /  Wasserstoffgas  bei  der  Verbrennung? 
-  Antw.  1  /  H  wiegt  0,09  g;  2  H  :  H,0  oder  2  :  18  =  0,09  :  x;  x  =  0,81  g, 


8,  Der  Schwefel. 

§  102.  Eigenschaften  des  Schwefels.  Der  Schwefel  (Sulfur), 
ein  altbekanntes,  nichtmetallisches  Element,  kann  in  drei  Formen 
(allotropischen  Zuständen)  auftreten: 

a)  Als  gewöhnlicher  Schwefel  (S  a),  in  hellgelben 
rhombischen  Oktaedern  kristallisiert,  doppelt  so  schwer  als 
das  Wasser,  bei  111°  zu  einer  blassgelben,  dünnen  Flüssigkeit 
schmelzend,  bei  420°  siedend,  nicht  in  Wasser,  Weingeist,  leicht 
in  Schwefelkohlenstoff  löslich. 

6)  Lässt  man  geschmolzenen  Schwefel  ruhig  erkalten,  so 
krystallisiert  er  (als  S  ß)  in  gelben,  schiefen  rhombischen 
Säulen,  welche  ein  etwas  geringeres  spezifisches  Gewicht  haben 
als  der  oktaedrische  Schwefel.  Er  geht  mit  der  Zeit  allmählich 
in  letzteren  über. 

c)  Als  amorpher  Schwrefel  (Sy),  eine  zähe,  braune  Masse, 
worin  sich  der  geschmolzene  Schwefel  verwandelt,  wenn  man  ihn 
bis  260  °  erhitzt.  Beim  Erkalten  geht  er  allmählich  in  S  ß  über 
und  wird  wieder  gelb ;  kühlt  man  ihn  aber  plötzlich  ab  (durch 
Eingiessen  in  kaltes  Wasser),  so  bewahrt  er  seine  zähe  Be- 
schaffenheit und  braune  Farbe.  Er  ist  gelöst  in  Oleum  Lini 
sulfuratum.     Schwefelkohlenstoff  nimmt  ihn  nicht  auf. 

§  103.  Wie  gewinnt  man  den  Schwefel?  Ein  sehr  bedeutender 
Teil  des  Schwefels  findet  sich  gediegen  in  der  Natur,  zumal  in 
Sizilien*),  als  Produkt  früherer  vulkanischer  Thätigkeit.  Er  wird 
daselbst  in  gusseisernen  Kesseln  oder  Schachtöfen  geschmolzen, 
von  den  sich  absetzenden  erdigen  Yerunreinigungen  abgeschöpft 
und   als  Rohschwefel   in   den  Handel   gebracht.     Seine  weitere 

*)  Die  reichsten  Schwefellager  finden  sich  auf  Sizilien  in  der  Gegend 
von  Girgenti;  die  Insel  führt  jährlich  anderthalb  Millionen  Centner 
Schwefel  aus. 


—     126    — 

Reinigung  geschieht  durch  Sublimation  aus  gusseisernen 
Kesseln,  aus  welchen  sein  Dampf  in  grosse  gemauerte  Kammern 
geleitet  wird,  an  deren  Wänden  er  sich  dann  als  Schwefel- 
blumen  ansetzt.  Bei  fortgesetztem  Betriebe  erwärmen  sich  die 
Wände,  der  sublimierte  Schwefel  schmilzt  und  wird  in  hölzerne 
Formen  gegossen  —  Stangenschwefel. 

Man  gewinnt  den  Schwefel  bei  uns  häufig  aus  dem  Schwefel- 
kies, einem  Mineral,  welches  aus  einem  Atom  Eisen  und  zwei 
Atomen  Schwefel  besteht  (FeS2)  und  in  Böhmen,  Schlesien  u.  a.  0. 
in  grossen  Massen  gefunden  wird.  Der  Schwefelkies  giebt  beim 
Erhitzen  die  Hälfte  seines  Schwefels  ab  und  reduziert  sich  zu 
FeS.  Man  nimmt  die  Operation  gewöhnlich  in  Thonröhren  vor, 
die  in  einem  Ofen  liegen  und  in  einen  eisernen  Kasten  mit  Wasser 
einmünden,  worin  der  Schwefeldampf  sich  verdichtet.  Im  Schwefel- 
kies findet  sich  häufig  Arsen  (als  Arsenkies),  dann  zeigen  die 
daraus  gewonnenen  Schwefelblumen  einen  Arsengehalt ;  in  geringen 
Mengen  ist  der  in  Schweden  vorkommende  Schwefelkies  von 
Selen  begleitet. 

Das  Selen  ist  ein  metallglänzendes,  schwärzliches,  in  fein- 
verteiltem Zustande  rotes,  seltenes  Nichtmetall,  das  sich  in  seinen 
Eigenschaften  und  chemischem  Verhalten  dem  Schwefel  enge 
anschliesst. 

§  104.  Wie  reinigt  man  den  Schwefel  zum  medizinischen  Gebrauch? 
Die  käuflichen  Schwefelblumen,  Sulfur  suhlimatum  (Flores 
Sulfuris)  sind  durchgängig  mit  anhaftender  Schwefelsäure  ver- 
unreinigt, daher  von  schwach  säuerlichem  Geschmack  und  Lack- 
muspapier rötend;  zuweilen  enthalten  sie  auch  etwas  Arsen. 
Zum  innerlichen  Gebrauche  reinigt  man  sie  durch  Abwaschen 
mit  Wasser;  um  etwa  vorhandenes  Schwefelarsen  zu  entfernen, 
digeriert  man  sie  zuvor  mit  verdünntem  Salmiakgeist,  worin  sich 
jenes  löst.  Das  ausgewaschene  und  getrocknete  Präparat  ist  der 
gereinigte  Schwefel,  Sulfur  depuratuni  (Sulfur  lotum), 
von  den  gewöhnlichen  Schwefelblumen  durch  völlige  Trockenheit, 
neutrale  Eeaktion  und  Geschmacklosigkeit  unterschieden.  Prüfung 
wie  beim  präzipitierten  Schwefel  (vgl.  §  106). 

§  105.  Chemisches  Verhalten  des  Schwefels.  Die  grosse  Mehrzahl 
der  Elemente  vermag  sich  mit  dem  Schwefel  direkt  zu  Sulfiden 
zu  vereinigen.  Phosphor,  Jod,  die  Metalle  lassen  sich  mit  ihm 
zusammenschmelzen,  wobei  zuweilen  Feuererscheinung  eintritt. 
So  verbrennt  feingewalztes  Kupferblech  im  Schwefeldampf  mit 
grossem  Glänze  zu  Schwefelkupfer  —  also  eine  Verbrennung 
ohne  Sauerstoff!  Eisenfeile  erglüht  in  schmelzendem  Schwefel 
zu  Schwefeleisen. 

Die    gewöhnliche    Methode    der    Gewinnung    von    Schwefel- 


—     127     — 

alkalien  ist,  Schwefel  und  Ätzalkali  zusammen  zu  kochen 
oder  zu  schmelzen.  Beim  Zusammenschmelzen  kann  man  auch 
die  kohlensauren  Alkalien  anwenden,  da  in  der  höheren  Tem- 
peratur der  geschmolzene  Schwefel  die  Kohlensäure  austreibt. 
Je  nach  der  angewendeten  Schwefelmenge  erhalten  wir  ein  höheres 
oder  niedrigeres  Sulfid.  Da  aber  das  Alkalimetall  mit  Sauerstoff 
verbunden  ist,  so  entsteht  neben  dem  Sulfide  auch  ein  Alkalisalz 
der  unterschwefligen  Säure  resp.  Schwefelsäure,  denn  der  Schwefel 
vermag  den  Sauerstoff  wohl  in  eine  andere  Verbindung  zu  bringen, 
nicht  aber  auszutreiben. 

Der  Schwefel  bildet  in  der  Schmelzhitze  mit  den  Alkalien  ein 
Mehr fach- Schwefelkali  neben  unterschivef 'ligsaurem ,  in  der  Gühhitze 
neben  schwefelsaurem  Alkali. 

a)  Kocht  man  Schwefel  mit  Kalkmilch  (gelöschtem,  mit  Wasser 
angerührtem  Kalk),  so  erhält  man  Mehrfach-Schwefelcalciuui  und 
unterschwefligsauren  Kalk. 


CaO 
CaO 
CaO 

+ 

12  8 

=      Ca  S.2  03      +      CaS5 

CaSä 

Kalk 

Schwefel 

unterschwef  ligsaurer               Fünffach- 

Kalk                       Schwefelcalcium 

b)  Schmilzt  man  Schwefel  mit  kohlensaurem  Kali  (K2C03) 
zusammen,  so  entweicht  kohlensaures  Gas  (C02),  und  das  Kali 
(K2  0)  bildet  Mehrfach-Schwefelkalium  neben  schwefelsaurem  Kali. 
Solche  zusammengeschmolzene  Gemenge  von  Schwefelalkalien 
nennt  man,  da  sie  in  der  Hitze  eine  leberbraune  Farbe  besitzen, 
Schwefelleber  (Hepar  Sulfuris). 

Eine  eigene  Darstellung  der  Alkalisulfide  gründet  sich,  auf  die  Ent- 
sauerstofiung  (Reduktion)  der  schwefelsauren  Alkalien  durch  Glühen 
mit  Kohle.  Letztere  nimmt  allen  Sauerstoff  an  sich  und  entweicht,  je 
nach  der  Menge  der  Kohle,  als  Kohlendioxyd  (C02)  oder  Kohlenoxyd  (CO) 
gasförmig,  Schwelelmetall  zurücklassend. 

K2S04  -j-  2  C  =  K2S  +  2  C02 

schwefelsaures  Kali  Kohle  Kaliumsulfid  Kohlenoxyd. 

Durch  Kohle  reduziert  sich  das  schwefelsaure  Natron  zu  Natrium- 
sulfid, der  schwefelsaure  Kalk  zu  Galciumsulfid,  der  schwefelsaure  Baryt  zu 
Baryumsulfid.  Wird  ein  Üherschuss  an  Kohle  angewendet,  so  bleibt  das 
Schwefelmetall  mit  Kohle  gemengt  als  sog.  Pyrophor  zurück,  mit  der 
Eigenschaft,  sich  an  der  Kuft  von  selbst  zu  entzünden. 

§  106.  Was  ist  die  Schwefelmilch?  Wenn  man  die  Lösung 
eines  Mehrfach-Schwefelalkalis  durch  eine  Säure  zersetzt, 
so  wird  Schwefel  gefällt,  während  das  Alkalisalz  der  Säure  in 
Lösung  bleibt  und  Schwefelwasserstoffgas  entweicht;  aller  Schwefel, 
der  mehr  vorhanden  ist,  als  im  einfachen  Sulfide,  wird  mit 
weisslichgelber  Farbe,  in  feinstverteiltem  Zustande,  als  sogenannte 
Schwefelmilch  (Lac  Sulfuris)  präzipitiert. 


-     128     — 

I)ie  Supersulfide  der  Metalle  scheiden  bei  der  Zersetzung  mit 
Säuren  Schwefel  ab. 

Zur  Darstellung  des  offizinellen  präzipitierten  Schwefels, 
Sulfur  praecipitatam,  wird  der  Schwefel  mit  Kalkmilch  bis  zur 
Auflösung  gekocht  und  zur  Flüssigkeit,  welche  neben  unter- 
schwefligsaurem  Kalke  Calciumquintisulfid  enthält  so  viel  Chlor- 
wasserstoffsäure hinzugefügt,  dass  nur  das  Calciumquintisulfid  zur 
Zersetzung  gelangt.  Es  entweicht  dabei  Schwefelwasserstoffgas,  und 
4  Atome  Schwefel  fallen  von  jedem  Molekül  CaS5  nieder. 
CaS5        +      2  H  Cl      =.      Ca  Cl2      +      H2  S      -f-      4  S 

Calciumquinti-  Chlorwasser-  Chlorcalcium  Schwefel-  Schwefel- 

sulfid.  Stoff  Wasserstoff.  milch. 

Der  Schwefel  wird  wohl  ausgewaschen  und  getrocknet.  Die 
Schwefelmilch  unterscheidet  sich  durch  die  hellere  Farbe  und 
grössere  Feinheit  von  den  Schwefelblumen. 

Prüfung:  Der  präcipitierte  Schwefel  darf  blaues  Lackmuspapier  nicht 
röten  {Schwefelsäure),  auch  an  Ammoniak  kein  Arsen  abgeben,  welches 
nach  Ansäuern  mit  Chlorwasserstoff  sich  als  gelbes  Schwefelarsen  wieder 
ausscheiden  würde ;  war  das  Arsen  als  arsenige  Säure  im  Schwefel,  so  entsteht 
in  dem  übersäuerten  ammoniakalischen  Auszuge  erst  auf  Zusatz  von  Schwefel- 
wasserstoffwasser ein  gelber  Niederschlag  von  Schwefelarsen.  (Das  Schwefel- 
arsen ist  zwar  in  Ammoniak  löslich,  nicht  aber  in  sauren  Flüssigkeiten.)  Beim 
Verbrennen  darf  der  Schwefel  keinen  Rückstand  {erdige  Beimengungen) 
hinterlassen. 

§  107.  Wie  entsteht  der  Schwefelwasserstoff?  Der  Schwefel- 
wasserstoff (H2S)*)  ist  ein  Gas  mit  dem  Geruch  nach  faulen 
Eiern,  angezündet  mit  blauer  Flamme  zu  Wasser  und  Schwefel- 
oxyd verbrennend ,  etwas  schwerer  als  die  Luft ,  nicht  atembar 
und  in  Wasser  löslich.  Die  wässerige  Lösung,  Schwefel- 
wasserstoffwasser, Aqua  hydrosulfurata,  besitzt  den 
Geruch  des  Gases  und  schwach  saure  Reaktion.  Man  verwendet 
dasselbe  sehr  häufig  als  Reagens  zur  Ermittlung  von  Schwer- 
metallen, die  es  aus  ihrer  Lösung  als  Schwefelmetalle  ausscheidet; 
man  muss  es  aber  in  wohlverschlossenen  Gefässen  aufbewahren,  am 
besten  in  liegenden  oder  umgewendeten  Gläsern ,  da  es  aus  der 
Luft  begierig  Sauerstoff  anzieht,  seinen  Geruch  allmählich  verliert 
und  (weisslichen)  Schwefel  absetzt.  Die  Oxydation  beschränkt 
sich  hierbei  auf  den  Wasserstoff.     (H2S  +  0  ==  H20  +  S.) 

Das  Schwefelwasserstoffgas  entsteht  nicht  durch  direkte  Ver- 
einigung der  beiden  Elemente,  sondern  nur  bei  der  Zerlegung 
eines  Schwefelmetalles  durch  eine  Säure.  Dabei  verbindet  sich 
der  Schwefel  mit  dem  Wasserstoff  der  Säure,  während  das  Metall 
an  dessen  Stelle  in  die  Säure  eintritt. 


*)  Die  ältere  Formel  war  HS,    da  das  Atomgewicht  von  S  =  16  an- 
genommen wurde. 


—     129     — 

Die  Schwefelmetalle  werden  durch  Säuren  zersetzt;  es  entsteht  ein 
Sah  der  Satire    und  Schwefelwasserstoff  gas  entweicht. 

Eisensulfid  (Einfach-Schwefeleisen)  löst  sich  in  verdünnter 
Schwefelsäure  zu  schwefelsaurem  Eisenoxydul ,  unter  Schwefel- 
wasserstoffentbindung, auf.     Nämlich: 

FeS       +       H2S04  FeS04        +      H2S 

Schwefeleisen  Schwefelsäure  schwefelsaures  Schwefel- 

Eisenoxydul  Wasserstoff. 

§  108.  Wie  verhält  sich  der  Schwefelwasserstoff  zu  den  Metalloxyden? 
Mit  den  Metalloxyden  bildet  der  Schwefelwasserstoff  Schwefel- 
metall und  "Wasser,  indem  sich  der  Schwefel  mit  dem  Metalle, 
der  "Wasserstoff  mit  dem  Sauerstoff  des  Oxydes  vereinigt.  Man 
kann  auf  trocknem,  wie  auf  nassem  "Wege  verfahren.  Leitet  man 
Schwefelwasserstoffgas  über  Antimonoxyd,  Kupferoxyd,  Zinkoxyd 
u.  dgl.,  so  gehen  sie  in  die  entsprechenden  Sulfide  über.  Nämlich: 
Sb203        H-       3H2S       =      SbaSafc.rj-       3H20 

Antimonoxyd  Schwefel-  Schwefelantimon  Wasser. 

Wasserstoff 

Leitet  man  Schwefelwasserstoffgas  in  Kalilauge,  so  entsteht 
Schwefelkalium ,  bei  fortgesetztem  Einleiten  Kaliumhydrosulfid, 
nämlich : 

I.     2KHO         +    H2S      =    K2S        +        2H20 

Kaliumhydroxyd  Kaliumsulfid  Wasser. 

IL        KaS         +    H2S      =      2KHS 

Kaliumsulfid    Schwefelwasserstoff  Kaliumhydrosulfid. 

Leitet  man  Schwefelwasserstoff  in  die  Lösungen  der  Schwer- 
metalle, so  scheiden  sich  nur  solche  Schwefelmetalle  aus,  welche 
in  verdünnten  Säuren  unlöslich  sind,  da  bei  der  Umsetzung  von 
H2S  mit  den  Salzen  neben  dem  Schwefelmetall  freie  Säure  ent- 
steht. Daher  können  die  Eisensalze  durch  Schwefelwasserstoff  nicht 
zerlegt,  werden,  weil  die  frei  werdende  Säure  das  Schwefeleisen  so- 
fort wieder  auflösen  würde ;  Kupfer-,  Blei-,  Silber-,  Quecksilber- 
salze scheiden  aber  Schwefelmetalle  ab. 

CuS04        +      H2S       ==      CuS       +       H02S4 

schwefelsaures  Schwefel-  Schwefel-  Schwefelsäure. 

Kupferoxyd  Wasserstoff  Kupfer 

Fügt  man  zu  schwefelsaurem  Eisenoxydul  aber  ein  Schwefel - 
alkali,  so  entsteht  schwefelsaures  Alkali,  und  Schwefeleisen  scheidet 
sich  zufolge  doppelter  "Wahlverwandtschaft  ab. 

Man  verwendet  daher  das  Schwefelwasserstoffwasser 
als  allgemeines  Reagens  auf  die  Schwermetalle.  Es  scheidet  die 
Sulfide  aus  ihren  Salzlösungen,  und  zwar: 

1.  aus  saurer  Lösung  2.    aus  neutraler  od.  alkal.  Lösung 


schwarz              gelb        orange 

schwarz 

fleischfarbig 

weiss 

Blei                   Arsen     Antimon 

Eisen 

Mangan 

Zink 

Kupfer              Zinn 

Kobalt 

Wismut            Kadmium 

Nickel 

die  Edelmetalle 

Schlickum,  Apothekerlehrimg. 


-     130    — 


Versuche. 

Versuche  mit  dem  Schwefel,  a)  Man  schmelze  in  einem  Glas- 
kölbchen  über  der  Weingeistflamme  etwas  Schwefel;  die  anfangs  hellgelbe 
und  dünne  Flüssigkeit  wird  bald  braun  und  zähe,  sodass  man  das  Gefäss 
umwenden  kann,  ohne  dass  sie  ausfliesst.  Siedet  der  Schwefel,  so  wird 
man  den  Kolbeninhalt  mit  einem  dunkelgelben  Dampfe  erfüllt  und  den 
Kolbenhals  innen  mit  einem  feinen  gelben  Anflug  (sublimiertem  Schwefel) 
bedeckt  sehen.  —  b)  Schüttelt  man  in  einem  Glase  einige  g  Schwefelkohlen- 
stoff mit  einer  Messerspitze  Schwefelblumen,  giesst  die  klare  Lösung  in  eine 
Porzellanschale  und  lässt  sie  an  freier  Luft  verdunsten,  so  bleibt  ein  Haufen- 
werk kleinster  Schwefel- Oktaeder  zurück.  —  c)  Einen  kleinen  Porzellan  - 
tiegel  fülle  man  nahezu  mit  Schwefelblumen  an,  erhitze  ihn  bedeckt  über 
der  Lampe,  bis  der  Schwefel  völlig  geschmolzen  ist,  lasse  ihn  dann  langsam 
erkalten  und  durchsteche  die  Oberfläche,  sobald  sie  erhärtet  ist,  mit  einem 
Glasstabe,  worauf  man  das  noch  flüssige  Innere  ausgiesst.  Die  Innenwände  des 
Tiegels  zeigen  sich  dann  mit  gelben,  säulenförmigen  Krystallen  (S  ß)  bekleidet. 

Praktische  Übungen. 

1.  Bereitung  von  Schwefeleisen.  In  einer  eisernen  Pfanne 
erhitze  man  ein  inniges  Gemenge  von  3  Teilen  Eisenpulver  mit  2  Teilen 
Schwefelblumen.  Sobald  der  Schwefel  völlig  geschmolzen  ist,  beginnt  die 
ganze  Masse  von  einem  Punkte  aus  zu  erglühen;  alsdann  entferne  man 
die  Lampe  und  bedecke  die  Pfanne.  Die  aus  Schwefeleisen  bestehende 
Masse  steche  man  noch  heiss  mit  dem  Spatel  los  und  bringe  sie  erkaltet 
in  ein  Glasgefäss. 

2.  Darstellung  des  Schwefelwasserstoffwassers  (Fig.  45).  In 
eine  weithalsige  Glasflasche  (A)  bringe  man  etwa  20  g  grobgepulvertes 
Schwefeleisen  und  100  g  Wasser,  verschliesse  sie  mit  einem  Kork  (resp. 
Kautschukstopfen),   durch  welchen  luftdicht  eine  Trichterröhre  (D),   sowie 

das  Ende  einer  rechtwinklig  gebogenen  Glas- 
röhre (c)  geführt  ist,  deren  anderes  Ende  in 
ein  etwa  1  Pfd.  ausgekochtes  und  wieder  ab- 
gekühltes Wasser  enthaltendes  Glas  (B)  hinab- 
reicht. Ist  die  ganze  Vorrichtung  zusammen- 
gesetzt, so  giesse  man  20  g  engl.  Schwefelsäure 
durch  die  Trichterröhre,  worauf  die  Gasent- 
wicklung beginnt.  Wegen  der  Belästigung, 
die  das  nicht  absorbierte  Schwefelwasserstoffgas 
in  der  Umgebung  bereitet,  nehme  man  die 
Operation  im  Freien  vor.  Man  schüttele  häufig 
das  Auffanggefäss  (B),  mit  dem  Daumen  ver- 
schliessend,  kräftig  um,  damit  das  über  dem 
Wasser  befindliche  Gas  zur  Absorption  gelange. 
Ob  das  Wasser  gesättigt  sei,  nimmt  man  daran 
wahr,  dass  nachsolchem Umschütteln derDaumen 
nicht  mehr  eingezogen  wird. 

Aus  der  im  Entwicklungsgef  äss  restierenden 
Flüssigkeit  krystallisiert  schwefelsaures  Eisenoxydul  (Eisenvitriol)  in  blau- 
grünen Krystallen  aus. 

3.  Versuche  mit  dem  Schwefelwasserstoff.  Man  löse  folgende 
Salze,  jedes  für  sich,  in  kleinen  Mengen  in  destilliertem  Wasser  auf:  essig- 
saures Bleioxyd,  schwefelsaures  Kupferoxyd,  Brechweinstein,  schwefelsaures 
Zmkoxyd  und  schwefelsaures  Eisenoxydul.  Zu  jeder  Lösung  setze  man 
Schwefelwasserstoffwasser;  in   den  beiden  ersten  Salzen  nimmt  man  dann 


—     131     — 

einen  schwarzen  Niederschlag  (Schwefelblei,  Schwefelkupfer)  wahr,  die 
übrigen  Lösungen  bleiben  klar.  Fügt  man  nun  zum  Brechweinstein  etwas 
verdünnte  Schwefelsäure,  so  fällt  orangerotes  Schwefelantimon;  setzt  man 
zur  Zink-  und  Eisenlösung  Kalilauge,  so  scheidet  erstere  weisses  Schwefel- 
zink, letztere  schwarzes  Schwefeleisen  aus. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

a)  Wieviel   g    Schwefelwasserstofi'gas    liefern    20  g    Schwefeleisen? 

b)  Wieviel  /  betragen  sie,  wenn  ein  l  des  Gases  1,55  g  wiegt? 

c)  Wieviel  Wasser  kann  man  damit  sättigen,  wenn  letzteres  sein  2I/o- 
faches  Volum  Gas  verschluckt? 

Antw.     d)  FeS  :  H.,S  =  88  :  34;   also  88  :  34  =  20  :  x;  x  =  7,72  q. 
7  79 

b)  *  =.  '-Tf.  =  h  l  —  c)  x  =  2  kg. 
1,55 


9,  Die  Schwefelsäure. 

§  109.  Die  Sauerstofi'verbindungen  des  Schwefels.  Beim  Verbrennen 
bildet  der  Schwefel  das  Schwefeldioxyd  (S02) ,  ein  farbloses 
Gas  von  sehr  stechendem  Gerüche,  das  zweimal  so  schwer  als  die 
Luft,  in  der  Kälte  flüssig  ist  und  vom  Wasser  begierig  verschluckt 
wird.  Diese  wässerige  Lösung  enthält  nun  schweflige  Säure, 
in  die  das  Schwefeldioxydgas  bei  seinem  Zusammentreffen  mit 
Wasser  übergegangen  ist.  Daher  nennt  man  auch  wohl  das  Gas 
wasserfreie  schweflige  Säure. 

S02    +    H2  0  =  H2  S03 

Schweleldioxyd        Wasser        schweflige  Säure. 

Die  Auflösung  der  schwefligen  Säure  besitzt  saure  Eigen- 
schaften ,  riecht  wie  das  Gas  und  verbindet  sich  mit  basischen 
Oxyden  zu  schwefelsauren  Salzen,  Sulfiten.  Man  benutzt 
die  schweflige  Säure  zum  Bleichen  von  Strohgeflechten,  Gespinsten 
u.  dgl.,  da  sie  sich  mit  vielen  Farbestoffen  verbindet. 

An   der  Luft  verliert   die  wässerige  Lösung   der  schwefligen 
Säure   allmählich  ihren   Geruch,  indem    sie   Sauerstoff   aufnimmt 
und  sich  in  Schwefelsäure  (H2S04)  verwandelt. 
H2S03  +  0  =  H2S04. 

Ausser  diesen  beiden  Säuren  giebt  es  noch  fünf  andere  Säuren 
des  Schwefels,  in  denen  zwei  bis  fünf  Atome  Schwefel  enthalten  sind : 

Unterschweflige  Säure  (dithionige  Säure)      .  H2S203 

Unterschwefelsäure  (Dithionsäure)    ....  H2S206 

Trithionsäure       . H2S306 

Tetrathionsäure H2S406 

Pentathionsäure H2S506 

Die  wichtigste  dieser  letzteren  Säuren  ist  die  unterschwef- 
lige Säure,  welche  nur  in  Salz  verbin  düngen  (Hypo  Sulfiten 
oder  Th io Sulfaten) ,  nicht  aber  isoliert  bekannt  ist.  Zerlegt 
man  nämlich  die  unterschwefligsauren  Salze  durch  eine   stärkere 

9* 


132 


Säure,  so  zerfällt  die  unterschwellige  Säure  im  Momente  des  Frei- 
werdens in  schweflige  Säure  und  abscheidenden  Schwefel. 
H2S203  =  H2S03   +  S. 

§  110.  Wie  gewinnt  man  die  Schwefelsäure?  In  früherer  Zeit 
gewann  man  die  Schwefelsäure  aus  dem  Eisenvitriol  (schwefel- 
saurem Eisenoxydul).  Dieses  Salz  liess  man  verwittern ,  um  das 
Krystallwasser  zu  entfernen ,  röstete  es,  um  das  Eisenoxydulsalz 
durch  Sauerstoffaufnahme  aus  der  Luft  in  Oxydsalz  überzuführen 
(da  dieses  sich  leichter  zersetzt  als  jenes)  und  glühte  es  in  eisernen 
Betorten.  Schwefelsäure  destilliert  über  und  rotes  Eisenoxyd  bleibt 
in  der  Retorte  zurück,  als  Totenkopf  (Colcothar,  caput  mortuum) 
ein  gebräuchliches  Farbmittel. 

Diese  aus  dem  Vitriol  dargestellte  Schwefelsäure ,  das  sog. 
Vitriolöl  (Oleum  Yitrioli),  auch  Nordhäuser  Schwefel- 
säure genannt  (wegen  der  ersten  Fabrikation  in  Nordhausen), 
ist  Acidum  sulfuricum  fumans,  eine  bräunliche,  ölig  flies- 
sende Flüssigkeit,  mit  dem  spez.  Gew.  1,90.  Sie  enthält  wasser- 
freie Schwefelsäure  (Schwefeltrioxyd  S03)  aufgelöst, 
welche  bei  gelindem  Erhitzen  abdestilliert  werden  kann  und  eine 
weisse,  schneeähnliche,  mit  Wasser  stark  zischende  Masse  darstellt. 


Fig.  46. 

Gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  führte  man,  zuerst  in 
England,  die  Darstellung  der  Schwefelsäure  aus  Schwefel  ein. 
Die  Bildung  derselben  gründet  sich  auf  die  Oxydation  der  schwef- 
ligen Säure  durch  Untersalpetersäure  (N02),  welche  zu  Stickoxyd 
(NO)  reduciert  wird,  nach  folgender  Gleichung: 


H9S0, 


L2kJV/3 

schweflige 
Säure 


NO.,       =       H9S0< 


Schwefelsäure 


+  —2 

Untersalpeter- 
säure. 

Bedingung   dazu   ist  Gegenwart   von  "Wasser, 
den  Durchschnitt  einer  Schwefelsäurefabrik. 


NO 

Stickoxyd. 

Fig.  46  giebt 
Man  verbrennt 


-     133    — 

im  Ofen  a  den  Schwefel,  leitet  das  S  0^  durch  das  Rohr  b  in  die 
Bleikammer  c  und  d,  worin  es  sich  mit  Wasserdampf  mischt  und 
zu  schwefliger  Säure  wird.  In  d  fliesst  aus  y  Salpetersäure  in 
staffeiförmig  gestellte  Gefässe  z  herab  und  wird  sofort  zu  Unter- 
salpetersäure reduziert.  Das  Gasgemenge  aus  schwefliger  und 
Untersalpetersäure  tritt  nun  in  die  Bleikammern  e,  f,  g,  wohin 
aus  dem  Kessel  o  durch  die  Röhren  r,  t,  u  Wasserdampf  einströmt. 
Hier  geht  die  Oxydation  der  schwefligen  Säure  durch  die  Unter- 
salpetersäure von  statten.  Durch  Zufuhr  atmosphärischer  Luft 
wird  das  entstandene  Stickoxydgas  sofort  wieder  zu  Untersalpeter- 
säure (NO  +  0  =  NOo),  sodass  neue  Mengen  schwefliger  Säure 
in  Schwefelsäure  übergeführt  werden  können.  Bei  fortgesetzter 
Zuleitung  frischer  Luft,  Wasserdampf  und  schwefliger  Säure  unter- 
hält eine  beschränkte  Menge  Untersalpetersäure  den  ganzen  Pro- 
zess  ununterbrochen,  den  aus  der  Luft  ausgenommenen  Sauerstoff 
auf  die  schweflige  Säure  übertragend. 

I.        NO  +  0        =        N02 

StickBtoffoxyd  Sauerstoff  Untersalpetersäure. 

IL     H2S03        +      N02      =      H2S04       -f      NO 

schweflige  Säure         Untersalpetersäure        Schwefelsäure  Stickoxyd. 

Die  in  den  Kammern  sich  ansammelnde  Schwefelsäure  wird 
in  Bleipfannen,  später  in  Platingefässen  eingedampft,  bis  Schwefel- 
säuredämpfe zu  entweichen  beginnen.  Diese  Säure  ist  Acidum 
snlfuricum  crudum,  gewöhnlich  englische  Schwefelsäure 
genannt,  ein  farbloses,  ölig  füessendes,  schweres  Liquidum  vom 
spec.  Gew.  1,83,  welches  stets  etwas  schwefelsaures  Bleioxyd, 
häufig  auch  Salpetersäure  und ,  im  Falle  arsenhaltiger  Schwefel 
benutzt  wurde,  arsenige  Säure  (Arsenik)  enthält.  Beim  Verdünnen 
mit  Wasser  oder  Weingeist  wird  das  Bleisalz  als  weisses  Pulver 
abgeschieden,  weil  dieses  in  der  verdünnten  Säure  nicht  löslich  ist. 

Durch  Rektifikation  aus  Glasretorten  reinigt  man  die  englische 
Schwefelsäure,  wobei  das  Bleisalz  zurückbleibt  und  die  Salpeter- 
säure, zu  Anfang  übergehend,  durch  Wechseln  der  Vorlage  ent- 
fernt wird.  Die  so  gewonnene  reine  Schwefelsäure,  Acidum 
snlfuricum  (purum),  hat  das  spez.  Gew.  ],840,  während  die  rohe 
Säure   etwas    wasserhaltig   und   leichter  ist.     Bei  0°   erstarrt  sie. 

§  111.  Eigenschaften  der  Schwefelsäure.  Die  Schwefelsäure  ist  eine 
stark  ätzende,  giftige,  geruch-  und  farblose,  organische  Materien 
(z.  B.  Zucker,  Kork)  unter  Schwärzung  (Verkohlung)  zerstörende 
Flüssigkeit,  die  man  in  Flaschen  mit  Glasstopfen  aufbewahrt.  Sie 
siedet  bei  326°  in  weissen  Dämpfen.  An  der  Luft  verdunstet  sie 
nicht,  sondern  zieht  begierig  den  Wasserdampf  derselben  an ,  ihr 
Volumen  dabei  stark  vermehrend  und  sich  verdünnend ;  überhaupt 
ist  die  Säure  ausgezeichnet  durch  ihre  hygroskopischen  Eigen- 
schaften ,   dient   daher  häufig   zum  Austrocknen  von  Gasen  oder 


—     134    — 

anderer  feuchter  Körper ;  jene  leitet  man  über  mit  Schwefelsäure 
befeuchtete  Bimsstein  stücke ,  diese  stellt  man  unter  einer  Glas- 
glocke einige  Zeit  neben  ein  Glas  mit  Schwefelsäure  auf. 

Erhitzt  man  die  Schwefelsäure  mit  Metallen  oder  Kohle,  so 
giebt  sie  an  dieselben  Sauerstoff  ab  und  reduziert  sich  zu  Schwefel- 
dioxydgas. Es  beruht  darauf  eine  bequeme  Darstellung  des- 
selben, indem  man  englische  Schwefelsäure  in  einer  Retorte  mit 
Holzkohlenstückchen  erhitzt  und  die  entweichenden  Gase — Schwefel- 
dioxyd und  Kohlendioxyd  (Kohlensäuregas)  —  in  Wasser  leitet; 
ersteres  wird  davon  verschluckt,  letzteres  entweicht: 

2H2S04       +      C    =     2S0a      +      C02     +      2H20 

Schwefelsäure  Kohle  Schwefeldioxyd  Kohlendioxyd  Wasser. 

Mit  Wasser  mischt  sich  die  Schwefelsäure,  unter  starker  Er- 
hitzung zu  einem  zweiten  Hydrate  (H2S04  +  2H20)  sich  ver- 
dichtend. Da  es  gefährlich  ist ,  Wasser  einer  grösseren  Säure- 
menge zuzumischen,  so  merke  man  sich  die  Regel: 

Bei  der  Verdünnung  der  Schwefelsäure  ist  stets  die  Säure  in 
Meinen  Portionen  dem  Wasser,  aber  niemals  timgeJcehrt  das  Wasser 
der  Säure  zuzusetzen  ! 

Mit  der  fünffachen  Menge  Wassers  vermischt,  bildet  die 
Schwefelsäure  die  officinelle  verdünnte  Schwefelsäure, 
Acidum  sulfuricura  dilutum. 

Die  Schwefelsäure  ist  die  stärkste  Säure  in  gewöhnlicher 
Temperatur.  Sie  bildet  meist  lösliche  Salze  (Sulfate);  durch 
Schwerlöslichkeit  ausgezeichnet  sind  ihre  Yerbindungen  mit  Baryt, 
Strontian,  Kalk  und  Bleioxyd.  Der  schwefelsaure  Kalk  findet 
sich  als  Gips  vielfach   in  der  Natur  vor. 

Erkennung  der  Schwefelsäure.  Auf  der  Unlöslichkeit  des  schwefel- 
sauren Baryts  beruht  die  Erkennung  der  Schwefelsäure.  Man 
benutzt  daher  die  Barytsalze,  namentlich  den  salpetersauren  Baryt, 
um  sowohl  die  freie  Säure,  als  ihre  Salze  nachzuweisen;  sie 
rufen  einen  weissen  Niederschlag  (schwefelsauren  Baryt)  hervor, 
der  sich  weder  in  Wasser,  noch  in  Säuren  auflöst. 

Prüfung  der  Schwefelsäure:  Sie  darf  sich  mit  Weingeist  nicht 
trüben  (weisser  Bodensatz:  Bleisulfat),  in  wässeriger  Verdünnung  Kalium- 
permanganat nicht  entfärben  (schweflige  Säure),  weder  durch  Schwefelwasser- 
stoff sich  verändern  (schwärzliche  Trübung:  Bleisulfat),  noch  durch  Silber- 
nitrat (weiss:  Chlorwasserstoff),  noch,  nach  Übersättigung  mit  Ammoniak, 
durch  Schwefelammonium  (schwarz:  Eisen);  sie  darf  beim  Überschichten 
mit  Eisenvitriollösung  keine  braune  Mittelzone bi\äeTa.(Salpetersäure),  schliess- 
lich muss  sie  mit  Zink  ein  Wasserstoffgas  entwickeln,  welches  konz.  Silber- 
lösung nicht  gelb  oder  schwarz  färben  darf  (Arsen,  vgl.  beim  Arsen!). 

Praktische  Übungen. 

1.  Acidum  sulfuricum  dilutum.  In  5  Teile  Wasser  tröpfle  man,  unter 
Abkühlung  des  Mischgefässes  und  Umrühren  mit  einem  Glasstabe,  1  Teil 
konzentr.  Schwefelsäure.   Die  Mischung  erhitzt  sich  sehr  merklich.    Grössere 


—     135     — 

Mengen  mische  man,  indem  man  die  Säure  langsam  durch  einen  Trichter  ein- 
tropfen lässt,  der  durch  einen  passenden  Glasstab  nahezu  verstopft  wurde. 
2.  Mixtura  sulfurica  acida.  In  derselben  Weise  werde  1  Teil 
konzentr.  Schwefelsäure  in  3  Teile  Weingeist  getröpfelt;  es  erfolgt  eben- 
falls eine  starke  Erhitzung. 

Fragen  und  stöchioinetrische  Aufgaben. 

1.  (i)  Wieviel  schwefligsaures  Gas  liefert  1  kg  Schwefel  beim  Ver- 
brennen? b)  Wieviel  /beträgt  dasselbe,  wenn  1  /des  Gases  2,75  g  wiegt? 
—  Antw.  a)  S  :  SO.,  =  32  :  64;  also  x  =  2  kg.  b)  2,75  :  2000  =  1  :  x; 
x  =  727  /. 

2.  Wieviel  Schwefelsäure  liefert  ein  kg  Schwefel?  —  Antw. 
S  :  H2S04  =  32  :  98;  also  x  =  3  kg. 

3.  Wodurch  erkennt  man  die  verdünnte  Schwefelsäure?  —  Antw. 
Dadurch,  dass  eine  Lösung  von  salpetersaurem  Baryt  einen  weissen  Nieder- 
schlag in  ihr  hervorruft. 


10.  Der  Stickstoff  und  die  Salpetersäure. 

§  112.  Der  Stickstofi'.  Der  Stickstoff  (NU rogeniu m*))  ist 
ein  färb- ,  geruch-  und  geschmackloses  Gas ,  welches  weder  für 
sich  brennbar,  noch  imstande  ist,  die  Verbrennung  anderer  Körper 
zu  unterhalten  (daher  sein  Name.)  Er  macht  77%  der  atmo- 
sphärischen Luft  aus,  als  deren  Bestandteil  er  zuerst  von  Priestley 
und  Scheele  1774  erkannt  wurde  (»verdorbene  Luft«).  Er  zählte 
bisher  zu  den  permanenten  Gasen,  jedoch  gelang  es  in  neuester 
Zeit,  unter  Anwendung  hohen  Druckes  (200  Atmosphären),  gleich- 
zeitig bei  starker  Kälte  ( — 300°),  den  Stickstoff  tropfbarflüssig  zu 
machen. 

Um  den  Stickstoff  darzustellen ,  entzieht  man  einem  abge- 
schlossenen Quantum  atmosphärischer  Luft  den  Sauerstoff,  was 
durch  Phosphor,  rotglühendes  Kupfer  u.  a.  geschehen  kann. 
Reines  Stickgas  gewinnt  man  durch  Erhitzen  des  salpetrigsauren 
Ammoniaks  (Ammoniumnitrit,  NH4N02),  welches  dabei  in  Wasser 
und  Stickstoff  zerfällt, 

NB^NOa        =       2H20      =     2N 

Ammoniumnitrit  Wasser  Stickstoff. 

In  chemischer  Beziehung  zeichnet  sich  der  Stickstoff  durch 
grosse  Passivität  aus;  er  verbindet  sich  direkt  mit  keinem  anderen 
Elemente,  ist  auch  in  keiner  Temperatur  brennbar.  Bemerkens- 
wert ist  die  Erzeugung  geringer  Mengen  Ammoniumnitrits  (sal- 
petrigsauren Ammoniaks)  in  der  atmosphärischen  Luft  nach  starken 
Blitzschlägen.  (Dasselbe  bildet  sich  aus  dem  Stickstoff  und  den 
Elementen  des  Wassers.)  Jedoch  spielt  der  Stickstoff  in  den 
organischen  Körpern  eine  grosse  Rolle,  da  er  von  den  zum  Leben 
wichtigsten  Materien   einen   nötigen  Bestandteil  ausmacht.     Beim 

*)  Nitrogenium  von  nitrum  (vixpov),  Salpeter. 


—     136     — 

Faulen  und  Verwesen  dieser  organischen  Stoffe  entsteht  die  Wasser- 
stoffverbindung des  Stickstoffs,  das  Ammoniak  (NH3),  welches 
in  seinem  Verhalten  dergestalt  den  Alkalien  sich  anscbliesst,  dass 
man  es  „flüchtiges  Alkali"  genannt  hat.  (Es  findet  daher  auch 
bei  den  Alkalien  seine  nähere  Erörterung.) 

In  seinen  chemischen  Verbindungen  zeigt  sich  der  Stickstoff 
vorzugsweise  als  drei-  und  fünfwertiges  Element.  Im  Am- 
moniak tritt  er  dreiwertig,  in  den  Ammoniumverbindungen  fünf- 
wertig  auf.  Mit  dem  Sauerstoff  bildet  er  indirekt  5  Oxyde  und 
2  Säuren,  nämlich: 

N.,0 

NO 

N.,03  Salpetrige  Säure  HNO., 

NÖo 

N.2Ö5  Salpetersäure        HN03 


Stick(stofl')oxydul 

Stick(stofi)oxyd 

Stickstofftrioxyd 

Stickstofftetroxyd 

Stickstoffpentoxyd 


§113.  Die  Salpetersäure.  Die  Salpetersäure  (HN03*))  kommt 
in  der  Natur  nicht  frei,  aber  vielfach  in  Salz  verbin  düngen  vor 
—  Nitrate.  In  der  Nähe  der  Düngergruben  bildet  sich  durch 
langsame  Oxydation  des  von  denselben  ausdünstenden  Ammoniak- 
gases (NH3)  an  kalkhaltigen  Mauern  salpetersaurer  Kalk  (Calcium- 
nitrat)  als  sog.  Mauersalpeter.  In  analoger  Weise  findet  sich  das 
salpetersaure  Kali,  gewöhnlich  Salpeter  (Nitrum)  genannt,  in  Ost- 
indien, und  das  salpetersaure  Natron,  der  Chilisalpeter,  in  den 
westlichen  Küstenländern  Südamerikas. 


Fig.  47. 
Darstellung  der  Salpetersäure.   Man  stellt  die  Salpetersäure  aus  dem 
Salpeter  durch  Destillation  mit  Schwefelsäure  dar. 

Im  Grossen  führt  man  diese  Destillation  in  Glasretorten  aus, 
die  —  wie  Fig.  47  zeigt  —  in  einem  sog.  Galeerenofen  im  Sand- 
bade ,  oder  in  gusseisernen  Cy lindern  mit  Thonröhren  stehen, 
welche    die  Dämnfe   der   Säure    zur  Verdichtung   in   Glasballons 


*)  Die  ältere  Formel  der  Salpetersäure  war:  (HO,N05)0=8. 


—     137     — 

oder  Steinzeuggefässe  leiten.   Gewöhnlich  wendet  man,  um  eine  zu 

grosse  Erhitzung  zu  vermeiden,  so  viel  Schwefelsäure  an,  dass  saures 

schwefelsaures  Kali  (Kaliumbisulfat)  im  Rückstande  bleibt.  Nämlich  : 

KN03        4-       H2S04       =       KHS04        +      HN03 

Kaliumnitrat  Schwefelsäure  Kaliumbisulf'at  Salpetersäure. 

Das  Destillat  ist  die  rohe  Salpetersäure,  Acidum  nitri- 
cum  crudum ,  auch  Scheidewasser  (Aqua  fortis)  genannt 
(weil  sie  Gold  von  Silber  scheidet),  eine  starksaure  und  ätzende, 
rauchende,  wegen  des  selten  im  Salpeter  fehlenden  Kochsalzgehalts 
meist  mit  Salzsäure  verunreinigte,  schwachgefärbte  Flüssigkeit  mit 
etwa  50Proz.  Salpetersäure.  Verwendet  man  reine  Materialien  und 
gläserne  Destilliergefässe,  oder  rektifiziert  man  die  rohe  Säure  und 
verwirft  die  zuerst  übergehende,  salzsäurehaltige  Partie,  so  ge- 
winnt man  die  reine  Salpetersäure,  Acidum  nitricum 
(purum),  welche  bis  zum  spez.  Gew.  1,185  mit  "Wasser  verdünnt 
wird  und  30  Proz.  Säure  enthält.  Alsdann  bildet  sie  eine  farblose, 
nicht  rauchende,  sehr  saure  Flüssigkeit,  welche  man  in  Gefässen 
mit  Glasstopfen  aufbewahrt. 

Prüfung  der  Salpetersäure:  Salpetersaurer  Baryt  zeigt  durch, 
weisse  Trübung  einen  Gehalt  an  Schwefelsäure,  salpetersaures  Silberoxyd 
in  gleicher  Weise  Chlorwasserstoff  (Salzsäure),  Schwefelwasserstoffwasser 
durch  dunkle  Trübung  Kupfer  oder  Blei  an;  Schwefelammonium  trübt  die 
mit  Ammoniak  übersättigte  Säure  schwärzlich,  wenn  sie  Eisen  enthält; 
Chloroform  wird  beim  Schütteln  mit  einer  jodhaltigen  Salpetersäure  (von 
Jodnatrium  im  Chilisalpeter)  violettrot  gefärbt;  ist  Jodsäure  zugegen,  so 
tritt  diese  Färbung  erst  beim  Erwärmen  mit  etwas  Zinnfeile  ein,  wodurch 
die  Jodsäure  reduziert  wird. 

Unverdünnt  stellt  die  Salpetersäure  eine  rauchende,  stark 
ätzend  saure  Flüssigkeit  dar,  anderthalb  mal  so  schwer  wie  Wasser 
und  noch  unter  dessen  Siedepunkt  flüchtig  (kocht  bei  85°).  Mit 
Wasser  verdünnt  steigt  ihr  Kochpunkt  bis  zu  120°.  Sie  ist  sehr 
empfindlich  gegen  das  Sonnenlicht,  in  welchem  sie  sich  unter 
Sauerstoffentbindung  teilweise  reduziert  und  gelb  färbt. 

Erkennung  der  Salpetersäure.  Die  Salpetersäure  ist  besonders 
ausgezeichnet  durch  ihre  oxydierende  Kraft,  die  sie  gegen  alle 
oxydierbaren  Körper  äussert;  sie  löst  die  meisten  Metalle  auf, 
ätzt  und  färbt  die  tierischen  Gewebe  gelb,  entfärbt  den  Indigo 
u.  s.  w.  Man  erkennt  die  Salpetersäure  an  diesen  Zersetzungen 
und  weist  sie  dadurch  nach ,  dass  man  sie  mit  Kupferspänen  er- 
wärmt, welche  sie  unter  Entbindung  gelbroter  Dämpfe  (Untersal- 
petersäure) zu  einer  blauen  Flüssigkeit  (Kupfernitrat)  auflöst. 
Auch  benutzt  man  Eisenvitriol  (schwefelsaures  Eisenoxydul)  als 
Reagens  auf  Salpetersäure  und  deren  Salze;  indem  jenes 
Salz  zu  Eisen oxyd salz  sich  oxydiert,  reduziert  es  die  Salpeter- 
säure zu  Stickoxyd,  durch  welches  Gas  die  Eisen vitriollösung 
dunkelbraun  gefärbt  wird. 


—     138     — 

Diese  Reaktion  gelingt  nur  bei  grösster  Konzentration,  weshalb  man 
die  zu  prüfende  Flüssigkeit  mit  lj2  Vol.  konzentr.  Schwefelsäure  versetzt 
und  dann  die  konzentr.  Eisen  vitriollösung  vorsichtig  überschichtet;  an  der 
Berührungsstelle  beider  Flüssigkeiten  tritt  dann  eine  dunkelbraune  Mittel- 
zone auf.     (Auch  kann  man  einen  Eisenvitriolkrystall  beigeben). 

§  114.  Die  Untersalpetersäure.  Bei  ihren  Oxydationen  wird  die 
Salpetersäure  zu  den  niederen  Stickstoffoxyden  reduziert  und  zwar 
meistens  zu  Stickoxydgas  (NO),  einem  farblosen,  erstickend 
riechenden  Gras,  welches  an  der  Luft  sofort  Sauerstoff  aufnimmt 
und  sich  zunächst  in  Stickstofftrioxyd  (N203),  bei  genügendem 
Luftzutritt  in  Stickstofftetroxyd  (N02),  zwei  gelbrote,  er- 
stickend riechende  Gase,  verwandelt.  Das  Sticktsofftrioxyd  wird 
salpetrigsaures  Gas  genannt,  weil  es  mit  basischen  Oxyden 
salpetrigsaure  Salze  (Nitrite)  erzeugt.  Das  Stickstofftetroxyd 
führt  gewöhnlich  den  Namen  Untersalpetersäure,  aber  fälsch- 
lich, da  sie  keine  Salze  zu  bilden  vermag. 

Die  Salpetersäure  wirkt  oxydierend,  zu  farblosem  Stickoxydgas 
sich  reduzierend,  welches  an  der  Luft  sofort  in  rotgelbe  Untersalpeter- 
säure übergeht. 

Bei  der  Reduktion  zu  Stickoxyd  (NO)  geben  2  Moleküle  Sal- 
petersäure 3  Atome  Sauerstoff  ab ,  liefern  1  Molekül  Wasser  und 
entwickeln  2  Moleküle  Stickoxydgas ;    nämlich : 

!hno3  zerfallen  in  m  +  H*°  +  30  • 

Die  Dämpfe  der  Untersalpetersäure  (N02)  lösen  sich  leicht 
in  Salpetersäure  auf,  werden  durch  Wasser  aber  zersetzt  (in  Stick- 
oxydgas und  Salpetersäure).  Eine  Untersalpetersäure  enthaltende 
Salpetersäure  ist  die  sog.  rauchende  Salpetersäure,  Acidum 
nitricum  fumans,  eine  dunkelbraunrote  Flüssigkeit,  welche 
erstickende ,  rotgelbe  Dämpfe  ausstösst.  Durch  Verdünnung  mit 
Wasser  wird  sie  erst  grün,  dann  farblos,  infolge  der  Zersetzung  der 
Untersalpetersäure.  —  Man  gewinnt  die  rauchende  Salpetersäure, 
indem  man  Untersalpetersäure-Dämpfe  durch  Erwärmen  von  Salpeter- 
säure mit  Stärkemehl  entwickelt  und  in  starke  Salpetersäure  einleitet. 

Früher  gewann  man  die  „rauchende  Salpetersäure"  durch  Destillation 
aus  dem  Salpeter,  indem  man  demselben  nur  soviel  Schwefelsäure  zugab, 
dass  neutrales  schwefelsaures  Kali  zurückblieb.  Dabei  muss,  um  sämtliche 
Salpetersäure  auszutreiben,  eine  so  hohe  Erhitzung  angewendet  werden, 
dass  die  letzten  Partieen  der  überdestillierenden  Säure  in  Untersalpetersäure 
und  freien  Sauerstoff  zerfallen ;  erstere  löst  sich  in  der  zuvor  übergegangenen 
Säure  auf,  letzterer  entweicht. 

Das  Stickoxydulgas  (N20)  ist  farblos,  ohne  Geruch,  atembar, 
aber  berauschend  (daher  Lustgas  genannt)  und  wird  an  der  Luft 
nicht  höher  oxydiert.  Rein  gewinnt  man  es  durch  vorsichtiges 
Erhitzen  von  salpetersaurem  Ammoniak,  welches  dabei  geradezu 
in  Wasser  und  Stickoxydul  zerfällt.    (NH4N03  =  2H20  +  N20.) 


—     139    — 

Versuche. 

1.  Reduktion  der  Salpetersäure  zu  Stickoxyd.  (Fi 
Man  übergiesse  in  einem  Glasgefässe, 
dessen  Öffnung  mit  einem  durchbohrten 
Kork-  oder  Kautschukstopfen  verschlossen 
wird,  Kupferdrehspäne  mit  Salpetersäure. 
Durch  den  Stopfen  ist  eine  rechtwinklig 
gebogene  Glasröhre  luftdicht  geführt, 
deren  Ende  man  in  einer  Wanne  unter 
Wasser  münden  lässt.  Aus  der  Säure 
steigt  lebhaft  Stickoxydgas  empor,  dessen 
Blasen  man  nach  Art  eines  früheren 
Versuches  (siehe Entwicklung  von  gauer-  °' 

stoffgas)  in  einer  mit  Wasser  gefüllten  Flasche  auffange. 

Das  farblose  Stickoxydgas  wird  sofort  gelbrot,  wenn  man  mittelst 
einer  Glasröhre  Luft  in  das  Glas  bläst;  schüttelt  man  dann  das  Gas  mit 
Wasser,  so  zerlegt  sich  die  gebildete  salpetrige  Säure  und  es  reduziert  sich 
wieder  zu  farblosem  Stickoxydgas. 

Stöchiometrisclie  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Salpetersäure  liefert  1  kg  salpetersaures  Kali  bei  seiner 
Zersetzung  durch  Schwefelsäure?  —  Antw.  KN03  :  HN03  =  (39  +  14  -f 
48)  :  (1  -4-  14  +  48);  daraus  101  :  63  =  10C0  g  :  x;  x  —  623,7  g. 

2.  Wieviel  offizinelle  30prozentige  Salpetersäure  giebt  diese  Menge? 
—  Antw.  30  :  100  =  623,7  :  x;  x  =  2079  g. 


11.  Der  Phosphor  und  die  Phosphorsäure. 

§  115.  Eigenschaften  des  Phosphors.  Der  Phosphor,  Phos- 
phor u  s  *) ,  ist  ein  festes  Nichtmetall ,  welches  man  in  mehreren 
allotropischen  Zuständen  kennt. 

1.  Der  gewöhnliche  Phosphor,  offizineil  als  Phos- 
phorits, erscheint  im  Handel  in  farblosen,  anfangs  durchscheinen- 
den ,  später  oberflächlich  undurchsitigen  Stangen ,  die  sich  mit 
dem  Messer  schneiden  lassen.  (Dieses  Schneiden  geschehe  jedoch 
stets  unter  "Wasser!)  Er  schmilzt  in  lauwarmem  Wasser  (bei 
44°  C),  entzündet  sich  beim  Erhitzen  an  der  Luft,  sowie  durch 
Keibung  und  wird  deshalb  zu  Streichzündhölzchen  verwendet. 
(Man  überzieht  die  Köpfchen  der  geschwefelten  Hölzchen  mit 
einem  flüssigen  Brei  aus  Phosphor  mit  Mennige  oder  Braunstein. 
Will  man  den  Phosphor  pulvern  ,  so  schmilzt  man  ihn  in  einer 
mit  heissem  Wasser  völlig  angefüllten  Flasche  und  schüttelt  die- 
selbe anhaltend  bis  zum  Erkalten.  Feinzerteilter  Phosphor  leuchtet 
im  Dunkeln  mit  bläulichem  Scheine.  Beim  Liegen  an  der  Luft 
stösst  er  weisse,  nach  Knoblauch  riechende**)  JSTebel  (phosphorige 

*)  oojatpopo;,  Lichtträger. 
**)  Der  Geruch  des  Phosphors   ist  weder  ihm,   noch   der  entstehenden 
phosphorigen  Säure    eigentümlich,    sondern    dem    sich  nebenbei  bildenden 


—     140     - 

Säure)  aus  und  zerfliesst  endlich  zu  einer  sauren  Flüssigkeit  (Phos- 
phorsäure). Man  bewahrt  daher  den  Phosphor  stets 
unter  Wasser  auf,  worin  er  sich  wenig  verändert.  Er  löst 
sich  nicht  in  Weingeist,  nur  unbedeutend  in  Äther,  etwas  mehr 
in  fetten  Ölen,  sehr  leicht  und  reichlich  in  Schwefelkohlenstoff. 
Er  ist  ein  starkes  Gift  und  wird  im  Keller  gesondert  in  einem 
verschlossenen  Wandschränkchen  aufbewahrt:  er  befindet  sich  in 
einem  Glase  mit  Wasser,  welches  wieder  in  einem  Blechgefässe  steht. 

Man  benutzt  den  Phosphor  zu  Phosphor  öl  und  Phosphorpasta.  Hier- 
bei ist  jede  Berührung  desselben  mit  blossen  Händen  zu  ver- 
meiden! Zu  Oleum  phosphoratum  wird  ein  Teil  Phosphor  durch 
Betupfen  mit  Fliesspapier  wohl  abgetrocknet,  dann  in  einem  Glase  mit 
80  Teilen  Mandelöl  übergössen,  durch  Eintauchen  in  heisses  Wasser  ge- 
schmolzen und  bis  zum  Erkalten  wiederholt  geschüttelt.  Vom  restierenden 
erhärteten  Phosphor  wird  schliesslich  das  Öl  abgegossen.  —  Die  Phos- 
phorpasta,  ein  bekanntes  Rattengift,  wird  aus  1  Teil  Phosphor  bereitet, 
den  man  unter  50  Teilen  heissem  Wasser  schmilzt  und  dann  mit  40  Teilen 
Weizenmehl  mischt. 

2.  Der  amorphe  Phosphor  ist  ein  rotes,  schwer  ent- 
zündliches, geruchloses,  an  der  Luft  unveränderliches  Pulver,  ohne 
giftige  Eigenschaften.  Man  gewinnt  ihn  durch  längeres  Erhitzen 
des  gewöhnlichen  Phosphors  in  einer  mit  Kohlensäuregas  gefüllten 
Retorte.  Dem  direkten  Sonnenlichte  ausgesetzt,  geht  der  ge- 
wöhnliche Phosphor,  wenn  er  in  violetten  Gläsern  aufbewahrt 
wird,  in  amorphen  über.  Durch  Destillation  verwandelt  sich  der 
amorphe  Phosphor  wieder  in  gewöhnlichen 

§"116.  Wie  gewinnt  man  den  Phosphor?  Der  Phosphor  findet  sich 
nicht  frei  in  der  Natur,  jedoch  weitverbreitet  in  phosphorsauren 
Salzen.  So  macht  der  phosphorsaure  Kalk  2/3  der  Knochen  aus 
und  bleibt  bei  deren  Einäscherung  —  als  Knoche nasche  — 
zurück.  Auch  im  Urin*)  sind  phosphorsaure  Salze  enthalten,  die 
beim  Faulen  desselben  sich  (als  pbosphorsaure  Ammoniak  -  Mag- 
nesia) ausscheiden. 

Man  gewinnt  den  Phosphor  aus  der  Knochenasche  (phosphor- 
saurem Kalk)  durch  Reduktion  mittelst  Kohle ,  nachdem  man  die 
Phosphorsäure  durch  Schwefelsäure  vom  Kalke  getrennt  hat.  Zu- 
nächst wird  die  Knochenasche  mit  Schwefelsäure  gemischt,  die 
Phosphorsäurelösung  von  dem  sich  abscheidenden  schwefelsauren 

Ozon.  Letzteres  nimmt  man  auch  wahr,  wenn  ein  Blitz  oder  anhaltend 
elektrische  Funken  durch  die  Luft  fahren,  wenn  die  Elektrisiermaschine 
gedreht  wird  u.  s.  f.  Das  Ozon  ist  verdichteter  Sauerstoff.  Nach 
Gewittern  ist  die  Luft  ozonreicher,  ebenso  die  Waldluft  und  die  über 
weite  Schneefelder  hinstreichende  Luft.  Dem  Ozon  kommen  erhöhte 
oxydierende  Kräfte  zu,  es  bläut  Jodkaliumstärkepapier  und  färbt  mit 
Guajaktinktur  befeuchtetes  Papier  blaugrün. 

*)  Im  Urin  entdeckte  der  Alchymist  Brand  in  Hamburg  1670  den 
Phosphor  zufällig,  als  er  den  Stein  der  Weisen  suchte. 


-     141     — 

Kalke  abgegossen,  für  sich  eingekocht  und  dann,  mit  Kohle  ge- 
mischt, in  thönernen  Retorten  der  Glühhitze  ausgesetzt.  Die 
Kohle  entzieht  der  Phosphorsäure  den  Sauerstoff  und  entweicht 
als  Kohlenoxydgas ;  der  reduzierte  Phosphor  destilliert  über,  da  er 
bei  290°  siedet,  und  verdichtet  sich  in  der  Vorlage,  die  man  mit 
Wasser  gefüllt  hält.  Noch  flüssig  giesst  man  ihn  unter  Wasser 
in  Stangenformen. 

2H3P04      +    5C     =    2P      +     3HaO     +     5CO 

Phosphorsäure  Kohle  Phosphor  "Wasser  Kohlenoxyd. 

§  117.  Verbindungen  des  Phosphors.  Der  Phosphor  ist,  analog 
dem  Stickstoff,  ein  dreiwertiges  Element,  welches  aber  auch 
fünf  wertig  auftreten  kann.  Mit  Wasserstoff  bildet  er  das,  dem 
Ammoniakgase  analog  zusammengesetzte  Phosphorwasser- 
stoffgas (PH3),  ausserdem  aber  noch  einen  flüssigen  und 
festen  Phosphorwasserstoff. 

Kocht  man  Phosphor  mit  Ätzalkalien  (Kalilauge,  Natronlauge,  Kalk- 
milch), so  löst  er  sich  teilweise  zu  unterphosphorigsaurem  Salze  auf*'), 
teilweise  entweicht  er  als  Phosphorwasserstoffgas,  welches  an  der  Luft 
sich  von  selbst  entzündet  und  zu  weissen  Nebeln  (Phosphorsäure)  verbrennt. 
Diese  Selbstentzündung  rührt  von  einer  kleinen  Beimischung  flüssigen 
Phosphorwasserstoffs  her  und  kann  dem  Gase  entzogen  werden,  wenn  man. 
es  durch  Terpentinöl  leitet.  Das  Phosphorwasserstoffgas  riecht  nach  faulen 
Fischen  und  wirkt,  selbst  zu  lj.2  Proz.  der  Luft  beigemischt,  tötlich. 

Verbrennt  der  Phosphor  bei  ungenügendem  Sauerstoffzutritt,, 
so  bildet  er  weisses,  festes  Phosphortrioxyd  (P203),  auch. 
,, wasserfreie"  phosphorige  Säure  genannt,  welche  mit  Wasser 
krystallisierbare  phosphorige  Säure  (H3P03)  erzeugt. 

Verbrennt    der    Phosphor  bei   genügendem    Sauerstoffzutritt,. 
z.  B.  an  offener  Luft ,   so   bildet  er  weisses ,   festes  Phos  p  hör - 
pentoxyd  (P205) ,    „wasserfreie  Phosphorsäure"  genannt,  da  es. 
mit  Wasser  Phosphor  säure  (H3PO/J  erzeugt: 
P205   +  3H.20  =  2H3P04. 

Demnach  kennen  wir  drei  Säuren  des  Phosphors: 
unterphosphorige  Säure  H  P  0 
phosphorige  Säure  H3  P  03 

Phosphorsäure  H3P04. 

§118.  Die  Modifikationen  der  Phosphorsäure.  Man  kennt  die  Phos-, 
p  hör  säure  in  drei  Formen,  die  sich  durch  verschiedenen  Wasser- 
stoffgehalt und  Basicität  unterscheiden,  nämlich: 

a)  Die  dreibasische  (gewöhnliche)  Phosphorsäure 
(H3P04),  eine  starksaure,  aber  nicht  ätzende,  syrupartige,  krystal- 
lisierbare Flüssigkeit. 


4P       -f       3  KHO 

=         3  KPO 

+         PH3 

Phosphor          Kalihydrat 

unterphosphorig- 

Phosphorwasser 

saures  Kali 

stoffgas. 

—     142     — 

h)  Die  zweibasische  oder  Pyrophosphorsäure*)  (H3P04 
-f-  HP03  =  H4P207),  eine  zerfliessliche,  farblose  Krystallmasse,  worin 
die  gewöhnliche  Säure  übergeht,  wenn  sie  bis  200°  erhitzt  wird. 

c)  Die  einbasische  oder  Metaphosphorsäure**)  (HP03), 
eine  zerfliessliche,  eisartige  Masse  —  daher  auch  Eisphosphor- 
säure genannt  — ,  durch  schwaches  Glühen  der  Phosphorsäure 
gewonnen;  sie  fällt  Eiweisslösung. 

Die  wässerigen  Lösungen  der  Pyro-  und  Metaphosphorsäure 
gehen  allmählich,  beim  Kochen  schnell,  in  gewöhnliche  Phosphor- 
säure über.  Diese  drei  Phosphorsäuren  unterscheiden  sich  auch 
durch  ihre  Silbersalze;  phosphorsaures  Silberoxyd  (Ag3P04)  ist 
ein  gelber  Niederschlag,  welchen  phosphorsaures  Natron  mit 
salpetersaurem  Silberoxyd  hervorbringt.  Pyro-  und  metaphosphor- 
saures  Silberoxyd   sind  dagegen  weisse  Niederschläge. 

§  119.  Die  offizinelle  Phosphorsäure.  Die  offizineile  Phosphor- 
säure, Acidum  phosphoricum,  ist  eine  farblose,  geruchlose, 
saure ,  aber  nicht  ätzende  Flüssigkeit ,  mit  dem  spez.  Gew.  = 
1,120,  und  einem  Gehalte  an  20  Proz.  (H3P04).  Man  gewinnt  sie 
durch  Auflösen  des  Phosphors  in  Salpetersäure,  wobei  Stickoxyd- 
gas entweicht. 
3P     +     5HN03       +      2H20      =      3HP04     +     5NO 

Phosphor  Salpetersäure  Wasser  Phosphorsäure  Stickoxyd. 

Da  nun  der  Phosphor  sehr  häufig  Arsen  beigemischt  enthält, 
welches  hierbei  zu  Arsensäure  oxydiert  wird ,  so  muss  man  die 
Phosphorsäure,  nachdem  man  die  überschüssige  Salpetersäure 
durch  Eindampfen  verjagt  hat,  mit  Schwefelwasserstoff  sättigen 
und  einige  Zeit  in  die  Wärme  stellen,  wodurch  die  Arsensäure 
sich  als  Schwefelarsen  niederschlägt.  Nachdem  durch  Erhitzen 
der  Schwefelwasserstoff  verjagt  ist,  filtriert  man  und  verdünnt 
mit  Wasser  zum  spez.  Gew.  1,120. 

Erkennung  der  Phosphorsäure.  Man  erkennt  die  (gewöhnliche) 
Phosphorsäure  daran,  dass  ihre  Alkalisalze  mit  Silbernitrat  gelbes 
Silberphosphat  abscheiden,  welches  sowohl  bei  Zusatz  von  Salpeter- 
säure, wie  von  Ammoniak  sich  wieder  auflöst. 

Prüfung  der  Phosphorsäure:  Schwefelwasserstoffwasser,  mit  der 
Säure  längere  Zeit  digeriert,  zeigt  durch  gelbe  Trübung  einen  Gehalt  an 
Arsensäure  an;  trübt  salpetersaurer  Baryt,  so  ist  Schwefelsäure  zugegen. 
Silbernitrat    verrät    durch    eine    weisse  Trübung    Salzsäure,  durch  eine 

*)  Abgeleitet  von  t.\j?  (Feuer). 
**)  Abgeleitet  von   [j.e-ca,   welches   in  der  Zusammensetzung   eine  Ver- 
änderung anzeigt.  —  Die  älteren  Formeln  der  drei  Phosphorsäuren  lauteten 
zur  Zeit,  da  das  Atomgewicht  des  Sauerstoffs  =  8  angenommen  wurde: 
einbasische  Phosphorsäure  HO,P05 
zweibasische  „  (HO)2P05 

dreibasische  „  (HO)3P05. 


-     143    — 

schwärzliche  Trübung  beim  Erhitzen  phosphorige  Säure.  Die  Gegenwart 
von  Salpetersäure  erkennt  man  an  einer  dunklen  Mittelzone,  die  beim 
Überschichten  der  mit  konzentr.  Schwefelsäure  versetzten  Phosphorsäure 
mit  Eisenvitriollösung  entsteht.  Übersättigt  man  die  Säure  mit  Ammoniak 
und  fügt  oxalsaures  Ammoniak  hinzu,  so  verrät  sich  Kalk  durch  weisse 
Trübung.  (Eine  aus  der  Knochenasche  durch  verd.  Schwefelsäure  dargestellte 
Phosphorsäure  ist  stets  kalkhaltig.)  Auf  Arsen  prüft  man  speziell  durch  Zink 
und  Schwefelsäure  nach  der  Weise,  wie  beim  Arsen  angegeben  werden  wird. 

Versuche. 

Versuche  mit  dem  Phosphor,  a)  Man  löse  ein  sehr  kleines 
Phosphorstückchen  in  einigen  g  Schwefelkohlenstoff  auf,  tränke  damit 
Fliesspapier  und  lasse  dies  an  der  Luft  liegen.  Nach  dem  Abdunsten  des 
Schwefelkohlenstoffs  entzündet  sich  der  restierende,  höchst  feinverteilte 
Phosphor  von  selber.  —  b)  Man  bringe  ein  kleines  Phosphorstückchen  in 
ein  Kölbchen  mit  Wasser,  verschliesse  dasselbe  durch  einen  durchbohrten 
Stopfen,  der  mit  einer  doppelt  gebogenen  Glasröhre  verbunden  ist,  deren 
längeren  Schenkel  man  durch  ein  gläsernes  Kühlrohr  (etwa  eine  umge- 
stürzte Medizinflasche  mit  abgesprengtem  Boden)  hindurchgehen  und  in 
ein  daruntergestelltes  Glasgefäss  als  Vorlage  hineinreichen  lasse.  Bringt 
man  nun  das  im  Kolben  befindliche  Wasser  zum  lebhaften  Sieden,  während 
man  das  Kühlrohr  mit  kaltem  Wasser  füllt,  so  destilliert  der  Phosphor 
mit  den  Wasserdämpfen  über  und  verdichtet  sich  in  der  Vorlage  zu  feinen 
Kügelchen.  Dort,  wo  die  Glasröhre  in  das  Kühlwasser  eintritt,  bildet  sich 
ein  im  Finstern  leuchtender  Ring.  (Mitscherlichs  Phosphorermitt- 
lung.) —  c)  Ein  linsengrosses ,  mit  Fliesspapier  wohl  abgetrocknetes 
Stückchen  Phosphor  werde,  in  einer  Schale  liegend,  durch  Berührung  mit 
einem  heissen  Drahte  entzündet,  darauf  ein  weiter  Glastrichter  darüber 
gehalten:  der  aufsteigende  Rauch  beschlägt  die  Innenfläche  des  Trichters 
als  weisser  Anflug  (P205),  der  sehr  bald  Feuchtigkeit  anzieht  und  sich  durch 
etwas  Wasser  als  saure  Flüssigkeit  (Phosphorsäure)  entfernen  lässt. 

Praktische  Übungen. 

Acidum  phosphoricum.  In  einem  langhalsigen  Kolben,  den  man 
in  heisses  Wasser  oder  in  heissen  Sand  gestellt,  erwärme  man  12  Teile 
reine  Salpetersäure  mit  1  Teil  Phosphor,  ohne  jedoch  die  Säure  sieden  zu 
lassen.  Der  Phosphor  schmilzt  und  löst  sich  allmählich  zu  Phosphorsäure 
auf,  unter  Entbindung  von  gelbroter  salpetriger  Säure,  für  deren  Abzug 
man  Sorge  trage.  Ist  der  Phosphor  nahezu  aufgelöst,  so  lasse  man  erkalten, 
giesse  die  Flüssigkeit  vom  Phosphorrückstand  in  eine  Porzellanschale  ab 
und  dampfe  sie  an  einem  luftigen  Orte  über  der  Lampe  ein,  bis  keine 
sauren  Dämpfe  mehr  entweichen,  von  Zeit  zu  Zeit  etwas  Salpetersäure  in 
die  Mitte  der  Flüssigkeit  tröpfelnd,  so  lange  dadurch  rote  Blasen  entstehen. 
Die  rückständige  Säure  verdünne  man  mit  Schwefelwasserstoffwasser,  stelle 
sie  längere  Zeit  an  einen  warmen  Ort  (zur  Abscheidung  vorhandenen 
Schwefelarsens)  und  filtriere  sie  schliesslich,  worauf  man  durch  abermaliges 
Erhitzen  den  Schwefelwasserstoff  entferne  und  die  geruchlose  Flüssigkeit 
mit  dest.  Wasser  zum  spez.  Gew.  1,12  verdünne. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  20  prozentige  Phosphorsäure  gewinnt  man  aus  1  Pfd.  Phos- 
phor? -  Antw.  P  :  H3P04  =  31  :  (3  +  31  +  64)  =  500  :  x;    x  =  1580; 

^X   1580  =  790°- 


144 


12.  Das  Chlor. 

§  120.  Wie  gewinnt  man  das  Chlor?  Das  Chlor  findet  sich  nirgends 
frei  in  der  Natur,  aber  sehr  verbreitet  in  Chlorrnetallen,  zumal  als 
Chlornatrium  (Kochsalz,  Steinsalz,  Seesalz).  Aus  dem  letzteren 
gewinnt  man  durch  Erhitzen  mit  Schwefelsäure  die  Chlorwasser- 
stoffsäure, sog.  Salzsäure,  aus  der  man  gewöhnlich  das  Chlor  durch 
Behandlung  mit  Braunstein  (Mangan superoxyd)  darstellt.  "Wirkt 
nämlich  Salzsäure  (HCl)  auf  Mangansuperoxyd  (Mn02)  in  gelinder 
Wärme  ein,  so  erzeugt  dasselbe  Chlormangan  (MnCl.2)  und  Wasser, 
der  freiwerdende  Sauerstoff  oxydiert  eine  andere  Partie  Salzsäure 
zu  Wasser  und  macht  das  Chlor  frei.     Nämlich : 

1.  Mn02     +     2HC1      =     MnCl2    +     H20    -j-    0 

Braunstein         Chlorwasserstoff  Chlormangan  Wasser  Sauerstoff. 

2.  0        +    2HC1     =      H20     +     2C1 

Sauerstoff     Chlorwasserstoff  Wasser  Chlorgas. 

Im  Ganzen  zerlegt  1  Molekül  Braunstein  4  Moleküle  Salzsäure,  die 
eine  Hälfte  oxydierend,   mit  der  andern  Hälfte  ein  Salz  bildend. 
Die  älteste  Chlorbereitung  geschah  aus  Kochsalz,  Braunstein  und 
Schwefelsäure.   Durch  die  letztere  wird  das  Kochsalz  zerlegt  in  schwefel- 
saures Natron  und  Salzsäure  und  diese  durch  den  Braunstein  oxydiert. 
2NaCl  4-  Mn02  4-  2H2S04  =  Na2S04  4-  MnS04  4-  2H20  +  2C1 
Man  nimmt  die  Operation  in  einem  mit  Braun  stein  Stückchen 
angefüllten  Kolben   vor,   den  man   bis   zur  Hälfte  mit  Salzsäure 
füllt  und  im  Sandbade  gelinde  erhitzt.     Das  entwickelte  Chiorgas 
wird  durch  eine  luftdicht  angepasste  Glasröhre  abgeleitet. 

§  121.  Eigenschaften  des  Chlors.  Das  Chlor*),  Chlorum,  ist 
ein  nicht  brennbares,  grünlich  gelbes  Gas,  von  erstickendem  Geruch 
und  höchst  gefährlich  einzuatmen,  da  nur  wenige  Blasen  unver- 
dünnten Gases  hinreichen,  einen  Menschen  zu  töten.  (Gegengift: 
weingeistige  Ammoniaklösung !)  Unter  starkem  Druck,  sowie  bei 
der  Temperatur  des  gefrierenden  Quecksilbers  verdichtet  es  sich 
zu  einer  tiefgelben  Flüssigkeit.  Es  ist  2'/2  mal  schwerer  als  die 
atmosphärische  Luft  (spez.  Gew.  =  2,46;,  sinkt  darin  also  unter. 
Mit  kaltem  Wasser  (unter  +  4°)  bildet  es  eine  feste  krystallinische 
Verbindung,  gelbes  Chlorhydrat  (Cl  4-  5H20) ;  in  Wasser  von 
mittlerer  Temperatur  löst  sich  das  Chlorgas  auf  zu  Chlorwasser, 
welches  Farbe,  Geruch  und  Eigenschaften  des  Gases  besitzt. 

§  122.  Das  Chlorwasser.  Man  bereitet  das  Chlorwasser, 
Aqua  chlor  ata  (Aqua  oxy  muri  atica*)),  durch  Einleiten  von 

*)  yXwpöc,  grünlich  gelb. 
**)  Aqua    oxymuriatica    =    oxydiertsalzsaures    Wasser.     —    Scheele, 
welcher  1774  das  Chlor  entdeckte,  hielt  dasselbe  für  oxydierte  Salzsäure.  Erst. 
1809  wurde  durch  H.  Davy  die  elementare  Natur  desselben  festgestellt. 


—     145     - 

Chlorgas  in  Wasser  bis  zur  vollständigen  Sättigung.  Da  ein  Ge- 
halt an  Luft  der  Absorption  des  Chlorgases  hinderlich  ist,  so  muss 
das  zu  sättigende  Wasser  durch  Auskochen  luftfrei  gemacht  und 
verschlossen  bis  zur  mittleren  Temperatur  (15°  C)  abgekühlt  werden. 
Wegen  der  grossen  Belästigung  des  entweichenden  Chlorgases 
nehme  man  die  Operation  im  Freien  vor,  aber  nicht  im  direkten 
Sonnenlichte,  da  hierin  das  Chlor  zur  Wasserzersetzung  disponiert 
wird  (infolge  deren  Salzsäure  und  freies  Sauerstoffgas  entsteht). 
Deshalb  dispensiert  man  auch  Chlorwasser  in  geschwärzten  Gläsern. 
Das  Chlor wasser  ist  eine  grünlichgelbe,  stark  nach  Chlor 
riechende  Flüssigkeit,  welche  Lackmuspapier  sofort  bleicht  und  bei 
15°  C  ihr  doppeltes  Volumen  Chlorgas  gelöst  enthält.  Um  es  gut 
zu  erhalten,  bewahrt  man  es  in  ganz  angefüllten  Flaschen,  deren 
Glasstöpseln  aufs  beste  schliessen  (Kork  wird  vom  Chlor  sehr 
schnell  zerstört),  sowie  vom  Lichte  entfernt  auf.  In  halbgefüllten 
kleineren  Gefässen  wird  es  bald  färb-  und  geruchlos,  indem  das 
Chlor  Salzsäure  bildet  und  Sauerstoffgas  frei  macht.  Ein  solches 
Wasser  reagiert  sauer.  Beim  Schütteln  des  Wassers  mit  Queck- 
silber wird  das  Chlor  gebunden  (zu  unlöslichem  Quecksilberchlorür), 
und  ein  Gehalt  an  Salzsäure  lässt  sich  durch  die  Rötung  des 
Lackmus  nachweisen. 

Prüfung  des  Chlorwassers  auf  seinen  Chlorgehalt:  Das  Chlor 
macht  aus  JodkaHum  eine  äquivalente  Menge  Jod  frei ,  Chlorkaliuni 
bildend;  man  fügt  also  eine  bestimmte  Quantität,  z.  B.  25  g  Chlorwasser, 
zu  einer  Jodkaliumlösung,  giebt  Stärkelösung  hinzu  und  bestimmt  das  frei 
gewordene,  die  Stärke  bläuende  Jod  massanalytisch  durch  Zehntelnormal- 
Natriumthiosulfatlösung.  (Vgl.  die  massanalytischen  Operationen.)  Die 
Pharm.  Germ,  fordert  mindestens  0,4  Proz.  Chlor. 

§123.  Verbindungen  des  Chlors.  Das  Chlor  ist  ein  einwertiges 
Element,  ausgezeichnet  durch  die  Fähigkeit,  direkt 
mit  Metallen  salzartige  Verbindungen  einzugehen 
und.  mit  Wasserstoff  eine  Säure  zu  erzeugen.  Man 
nennt  es  daher  auch  ein  Halogen  oder  einen  Salzbildner. 
Alle  Metalle  und  metallischen  Gerätschaften  werden  vom  Chlor 
heftig  angegriffen,  worauf  beim  Arbeiten  mit  Chlor  sehr  zu  achten 
ist!  Die  Chlorverbindungen  der  Metalle  sind  nach  der  Valenz  der 
letzteren  zusammengesetzt,  entsprechen  daher  auch  den  Oxyden 
und  Sulfiden,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  2  Atome  Chlor  für 
1  Atom  0  resp.  S  in  ihnen  enthalten  sind.  Man  nennt  die  chlor- 
ärmeren derselben  Chlor üre,  die  chlorreicheren  Chloride, 
wenn  nämlich  ein  Metall  zwei  Chlorverbindungen  besitzt. 

Mit  Wasserstoffgas  vereinigt  sich  das  Chlor  ebenfalls  direkt, 
im  Sonnenlicht  sogar  unter  Explosion,  zu  salzsaurem  Gase.  Auf 
seiner  Verwandtschaft  zum  Wasserstoff  beruht  seine  Bleichkraft, 
die  sich  bei  allen  Geweben  und  Pflanzenfarben  äussert,  und  zur 

Schi  ickum,  Apothekerlehrling.  10 


—     146    — 

Schnellbleiche  technisch  benutzt  wird,  sowie  seine  desinfi- 
zierende Kraft,  durch  die  es  Miasmen  und  Eontagien  (die  An- 
steckungsstoffe epidemischer  Krankheiten)  zerstört.  Man  gebraucht 
zur  Desinfektion  Chlorräucherungen,  Fumigationes 
Chlori,  deren  es  zwei  giebt:  eine  stärkere,  aus  gleichen  Teilen 
Kochsalz  und  Braunstein,  die  mit  2  Teilen  engl.  Schwefelsäure 
und  1  Teil  Wasser  übergössen  werden;  eine  schwächere,  aus 
Chlorkalk  und  Essig. 

Mit  dem  Sauerstoff  vermag  sich  das  Chlor  nur  indirekt  zu 
vereinigen  und  bildet  dann  4  Säuren: 

unterchlorige  Säure  HCIO  Chlorsäure  HC103 

chlorige  Säure  HC102  Überchlorsäure  HC104 

Da  in  diesen  Yerbindungen  das  Chlor  nur  sehr  schwach  an  den 
Sauerstoff  geknüpft  ist,  besitzen  dieselben  im  hohen  Grade  ex- 
plosive Eigenschaften.  Die  unterchlorige  und  chlorige 
Säure  bilden  Gase  von  dunkelgelber  Farbe,  ebenso  die  sog. 
Unterchlorsäure  (C102),  Euchlorine.  Die  Chlorsäure  ist 
eine  Flüssigkeit,  welche  beim  Erhitzen  explodiert. 
Praktische  Übungen. 
1.  Darstellung  von  Chlorgas  (Fig.  49).  Man  fülle  einen  (kleinen) 
Kolben  mit  erbsengrossen  Braunsteinstücken, 
gebe  bis  zur  Hälfte  Salzsäure  hinzu  und  ver- 
schliesse  ihn  mit  einem  Kautschukstopfen,  durch 
welchen  eine  doppeltgebogene  Glasröhre  luft- 
dicht geführt  ist.  Diese  Leitungsröhre  reiche  in 
eine  mehr  hohe  als  weite,  leere  Flasche  bis 
nahe  zum  Boden.  Erwärmt  man  nun  den  Kolben 
im  Sandbade  oder  über  der  Lampe  auf  einem 
Drahtnetz,  so  füllt  sich  die  Vorlage  mit  dem 
Chlorgase. 

2.      Zur    Bereitung    von    Chlorwasser 
big.  4y.  fülle   man  die   Vorlage  zur  Hälfte   mit  Wasser 

an,  welches  zuvor  durch  Aufkochen  luftleer  gemacht  und  wieder  erkaltet 
ist.  Sobald  der  Raum  über  dem  Wasser  grüngelb  erscheint,  wechsle  man 
die  Vorlage  mit  einer  ähnlichen  und  schüttle  die  erstere  verschlossen 
kräftig  um.  Dieses  Verfahren  setze  man  mit  beiden  Flaschen  abwechselnd 
fort,  bis  bei  beiden  kein  Gas  mehr  absorbiert  wird,  was  am  Emporheben 
des  Stöpsels  nach  dem  Schütteln  erkannt  wird. 

Versuche. 
1.  Versuche  mit  Chlorgas.  a)  In  eine  mit  Chlorgas  gefüllte 
Flasche  bringe  man  nach  und  nach  einen  Streifen  Kattun,  blaues  Lackmus- 
papier, farbige  Blumen,  z.  B.  Rosen,  und  verschliesse  die  Flasche.  Bald 
sind  sämtliche  Gegenstände  gebleicht.  —  b)  In  eine  mit  Chlorgas  gefüllte 
Weinflasche  schütte  man  eine  kleine  Menge  feingepulvertes  Antimon;  das- 
selbe verbrennt  mit  Sprühregen  zu  weissen  Chlorantimondämpfen.  — 
c)  In  eine  mit  Chlorgas  gefüllte  Weinflasche  führe  man  an  einem  feinen 
Messingdraht  etwas  zusammengefaltetes  unechtes  Blattgold  (Messingblech) 
oder  unechtes  Blattsilber  (Stanniol) ;  sie  verbrennen  unter  Funkensprühen 
zu  Chlormetall.   —   d)  Füllt  man   eine  weisse  Flasche  halb   mit  Chlorgas, 


—     147     — 

halb  mit  Wasserstofl'gas,  bei  Abhaltung  des  Lichtes  durch  einen  Schirm, 
und  stellt  sie  wohlverschlossen  einen  Tag  ins  zerstreute  Tageslicht,  so 
findet  man  nachher  salzsaures  Gas  in  ihr.  Wirft  man  sie  aber  aus  einem 
Pappfutteral  zur  Mittagszeit  hoch  in  die  von  der  Sonne  hellerleuchtete 
Luft,  so  wird  sie  mit  heftigem  Knall  zertrümmert. 

2.  Mischt  man  Chlorwasser  mit  Schwefelwasserstoffwasser,  so  trübt 
sich  die  Flüssigkeit  durch  ausgeschiedenen  Schwefel,  wird  geruchlos  und 
reagiert  sauer  (durch  entstandene  Salzsäure). 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  /  Chlorgas  gewinnt  man  aus  1  Pfd.  30prozentiger  Salzsäure 
mittelst  Braunsteins,  wenn  das  l  Chlorgas  3  g  wiegt?  —  Antw.  MnP  -j- 
4HC1  geben  2C1,  also  2HC1  :  Cl  =  2  X  36,5  :  35,5;  x  =  73  g  =  24  /. 

2.  Wieviel  Prozente  Chlor  enthält  vollständig  gesättigtes  Chlorwasser 
(bei  15°  um  sein  doppeltes  Volum  chlorhaltig)?  —  Antw.  0,6  Proz. 


13,  Die  Salzsäure. 

§  124.  Was  ist  die  Salzsäure?  Eine  gewisse  Reihe  von  Salzen, 
von  denen  das  Kochsalz  am  bekanntesten  und  verbreitetsten  ist, 
liefert  beim  Zersetzen  mit  Schwefelsäure  eine  eigentümliche,  gas- 
förmige Säure,  die  man,  weil  aus  dem  Kochsalz  entstanden,  Salz- 
säure, Acidum  muriaticum,  genannt  hat.  Als  man  noch  mit 
Lavoisier  alle  Säuren  für  Sauerstoffverbindungen  hielt,  glaubte 
man,  dass  auch  die  Salzsäure  sauerstoffhaltig  sei,  und  nannte  das 
Kochsalz,  die  Natrium  verbin  düng  derselben,  salzsaures  Natron 
(Natrum  muriaticum).  In  diesem  Jahrhundert  wurde  dann 
die  Wahrnehmung  gemacht,  dass  weder  in  der  Salzsäure,  noch  im 
Kochsalz  Sauerstoff  vorhanden,  dass  vielmehr  die  Salzsäure 
aus  Wasserstoff  und  Chlor,  und  das  Kochsalz  aus 
Natrium  und  Chlor  besteht. 

Die  Formel  der  Salzsäure  ist  (HCl),  die  des  Kochsalzes  (Na  Cl). 

Die  Salzsäure  oder  Chlorwasser  st  off  säure  stellt  ein 
saures,  farbloses  Gas  dar,  von  stechendem  Geruch,  nicht  brennbar, 
unter  starkem  Drucke  sich  verflüssigend.  Vom  Wasser  wird 
es  mit  grösster  Begierde  verschluckt;  dasselbe  nimmt 
nahezu  sein  öOOfaches  Volum  auf,  was  etwa  4/5  seines  Gewichtes 
beträgt,  weil  das  spez.  Gew.  des  Gases  ===  1,27  ist.  Eine  solche 
gesättigte  Lösung  raucht  an  der  Luft  und  giebt  beim  Erhitzen 
einen  Teil  ihres  Gases  ab,  darauf  destilliert  eine  verdünnte  salzsaure 
Flüssigkeit  (etwa  von  der  Stärke  der  offizineilen  reinen  Säure)  über. 

§  125.  Wie  gewinnt  man  die  Salzsäure?  Bei  der  Sodafabrikation 
ist  die  Salzsäure  Nebenprodukt,  indem  man  das  Kochsalz  mit  Schwefel- 
säure zerlegt  und  den  freiwerdenden  Chlorwasserstoff  in  Wasser  leitet. 

2NaCl        +        H2S04       =       Na2S0,        +       2HC1 

Chlornatrium  Schwefelsäure  schwefelsaures  Chlorwasserstoff 

(Kochsalz)  Natron  (Salzsäure). 

10* 


—     148     — 

Man  nimmt  die  Zersetzung  in  eisernen  Cylindern  oder  ge- 
mauerten Flammenöfen  vor  und  leitet  die  salzsauren  Dämpfe  in 
thönerne  Vorlagen  oder  gemauerte  Bassins,  worin  sich  Wasser 
befindet.  Schwefelsaures  Natron  (Glaubersalz)  bleibt  zurück.  Die 
vom  Gase  gesättigte  Lösung  kommt  als  rohe  Salzsäure,  Aci- 
dum  hydrochloricum  crudum,  in  den  Handel.  Sie  ist  eine 
rauchende,  meist  gelbliche,  sehr  saure  Flüssigkeit,  die  meist 
durch  Eisen,  Schwefelsäure,  auch  wohl  Chlorarsen  verunreinigt  ist. 
(Das  Arsen  rührt  aus  arsenhaltiger  Schwefelsäure  her.)  Ihr  spez. 
Gew.  schwankt  zwischen  1,16  und  1,17  ihr  Gasgehalt  zwischen 
30  und  33  %. 

Die  rohe  Salzsäure  wird  auf  Arsen  geprüft,  indem  man  sie  mit  etwas 
Zinnchlorür  erhitzt,  es  wird  dem  Chlorarsen  das  Chlor  entzogen  und  Arsen 
als  braunes  Pulver  ausgeschieden. 

Zerlegt  man  das  Kochsalz  durch  Schwefelsäure  in  gläsernen 
Retorten  oder  Kolben,  oder  rektifiziert  man  die  rohe  Salzsäure, 
so  erhält  man  die  reine  Salzsäure,  Acidum  hydrochloricum 
(purum) ,  welche  mit  Wasser  zum  spez.  Gew.  1,125  verdünnt 
wird,  wobei  sie  25  Proz.  salzsaures  Gas  enthält  und  eine  farblose, 
nicht  rauchende,  saure  Flüssigkeit  darstellt. 

Prüfung  der  Salzsäure  auf  Reinheit:  Schwefelwasserstoffwasser 
zeigt  durch  eine  gelbe  Trübung  Arsen,  durch  eine  schwarze  Trübung  Blei 
und  Rupfer,  Schwefelammonium  in  der  mit  Ammoniak  übersättigten  Säure 
durch  dunkle  Trübung  Eisen  an.  Baryumnitrat  scheidet  etwa  vorhandene 
Schwefelsäure  als  weissen  Niederschlag  (schwefelsauren  Baryt)  aus.  Ent- 
hält die  Salzsäure  freies  Chlor  so  entsteht  durch  Jodzinkstärkelösung  freies 
Jod,  welches  die  Stärkelösung  blau  färbt.  Das  durch  ein  Stückchen  reines 
Zink  aus  der  Säure  entwickelte  Wasserstoffgas  darf  ein  mit  konzentr. 
Silberlösung  befeuchtetes  Papier  nicht  gelb  färben  noch  schwärzen,  in 
welchem  Falle  arsenige  Säure  (welche  als  Arsenwasserstoff  entweicht  und 
aue  der  Silberlösung  arsenigsaures  Silber  resp.  metallisches  Silber  aus- 
scheidet) zugegen  wäre. 

§  126.  Verhalten  der  Salzsäure  zu  den  Metallen.  Die  Leichtmetalle, 
sowie  von  den  Schwermetallen  das  Eisen,  Zink  u.  a.  lösen  sich 
mit  Leichtigkeit  selbst  in  verdünnter  Salzsäure  auf,  indem  sie  den 
Wasserstoff  derselben  frei  machen.  Wie  sich  also  Zink  und  Eisen 
in  verdünnter  Schwefelsäure,  unter  Wasserstoffentbindung,  zu 
schwefelsauren  Salzen  auflösen,  so  bilden  sie  mit  verdünnter  Salz- 
säure, unter  gleichem  Prozesse,  Chlormetalle. 

Zn    +  2HC1    =  ZnCL      +     2H 

Zink  Salzsäure  Zinkchlorid  Wasserstoff. 

Zinn  löst  sich  ebenfalls  unter  Wasserstoffentbindung  in  heisser 
konzentrierter  Salzsäure  zu  Zinnchlorür. 

Solche  Metalle,  welche  die  Salzsäure  nicht  zu  zersetzen  ver- 
mögen ,  z.  B.  Antimon ,  Gold ,  Platin  u.  a. ,  lösen  sich  in  einer 
Mischung  aus  3  Teilen  Salzsäure  und  1  Teil  Salpetersäure,  welche 


—     149     - 

Salpeter-Salzsäure  oder  Königswasser  (Acidum  chloro- 
nitrosum,  Aqua  regia)  genannt  wird,  weil  sie  das  Gold,  denKönig 
der  Metalle,  aufzulösen  imstande  ist.  Der  Prozess  ist  folgen- 
der: Die  Salpetersäure  reduziert  sich  zu  Stickoxyd,  welches  ent- 
weicht, und  oxydiert  dabei  die  Salzsäure  zu  Wasser  und  freiem 
Chlor.  Die  "Wirkung  des  Königswassers  ist  also  die- 
jenige des  freien  Chlors. 

3HC1    +   HN03    =  3C1   +    2H20    +  NO 

Salzsäure  Salpetersäure  Chlor  Wasser  Stickoxyd. 

§  127.  Verhalten  der  Salzsäure  zu  den  Metalloxyden.  Eine  der 
häufigst  angewendeten  Methoden,  Chlormetalle  darzustellen,  ist  die 
Auflösung  eines  Metalloxydes  in  Salzsäure ;  der  Sauerstoff  des  Oxyds 
bildet  mit  dem  Wasserstoff  der  Salzsäure  Wasser,  das  Metall  mit 
dem  Chlor  ein  Chlorid.  Lösen  wir  Eisenoxyd  in  Salzsäure,  so  er- 
halten wir  Eisenchlorid  und  Wasser.     Nämlich: 

Ee203    +   6HC1   =   Fe2Cle  +    3H20 

Eisenoxyd  Salzsäure  Eisenchlorid  Wasser. 

Statt  der  reinen  Oxyde  kann  man  auch  die  kohlensauren 
Salze  anwenden,  wobei  kohlensaures  Gas  entweicht. 

CaC03      +     2HC1   =    CaCl2  +  H20      +     C02 

kohlensaurer  Kalk  Salzsäure  Chlorcalium         Wasser  .         Kohlensäuregas. 

§  128.  Verhalten  der  Salzsäure  zu  den  Sulfiden.  Die  Zerlegung 
der  Schwefelmetalle  durch  Salzsäure  ist  von  der  Entbindung  von 
Schwefelwasserstoffgas  begleitet.  Der  Vorgang  hierbei  ist  dem  im 
vorigen  §  analog,  mit  dem  Unterschiede,  dass  nicht  Wasser,  sondern 
Schwefelwasserstoff  gebildet  wird.  Ein  Schwefelmetall  löst 
sich  in  Salzsäure  zu  Chlormetall  auf,  unter  Entbindung 
von  Schwefelwasserstoffgas. 

Sb2S3     +      6HC1   =   2SbCl3    +   3H2S 

Antimon-  Salzsäure  Antimon-     Schwefelwasserstoff, 

sulfür  chlorür 

§  129.  Erkennung  der  Salzsäure  und  Chlormetalle.  Die  Chlormetalle 
lösen  sich  fast  sämtlich  in  Wasser  auf;  in  kaltem  Wasser  schwer-, 
aber  in  heissem  Wasser  leichtlöslich  ist  das  Chlorblei,  unlöslich 
in  Wasser  wie  in  verdünnten  Säuren  das  Chlorsilber  und  Queck- 
silberchlorür.  Hierauf  gründet  sich  die  Erkennung  der  Chloride; 
sowohl  die  Salzsäure,  wie  die  Chlormetalle  werden  dadurch  nach- 
gewiesen, dass  Lösungen  mit  Silbernitrat  einen  weissen  Nieder- 
schlag (Chlorsilber)  abscheiden,  der  sich  nicht  in  verdünnter  Sal- 
petersäure, aber  mit  Leichtigkeit  in  Ammoniakflüssigkeit  auflöst 
(Unterschied  vom  Brom-  und  Jodsilber). 

Versuche. 

1.  Direkte  Bildung  der  Salzsäure.  Man  entwickele  nach  Art 
'des  früheren  Versuches  in  einem  Kölbchen  (Fig.  50,  a)  aus  Braunstein  und 


150 


Fig.  50. 


Salzsäure  durch  schwa- 
ches Erhitzen  Chlorgas 
und  leite  dasselbe  durch 
die  Glasröhre  c  in  einen 
mit  Wasser  völlig  an- 
gefüllten und  in  umge- 
kehrter Lage  in  der 
pneumatischen  Wanne 
stehenden  Cylinder  oder 
Glasflasche,  bis  das  Gas 
die  Flasche  zur  Hälfte 
gefüllt  hat.  Damit  nicht 
zuviel  Chlorgas  vom 
Wasser  verschluckt 
werde ,  benutze  man 
lauwarmes  Wasser  zur 
Füllung  von  Cylinder 
und  Wanne. 


Ist  der  Cylinder  zur  Hälfte  mit  Chlor  gefüllt,  so  wechsele  man  die 
Chlor-Entwicklungsflasche  mit  einer  solchen,  worin  aus  verdünnter  Schwefel- 
säure und  Zink  Wasserstoffgas  entwickelt  wird  (wobei  eine  Erhitzung  nicht 
nötig  ist),  und  fülle  die  untere  Hälfte  des  Cylinders  mit  Wasserstoffgas, 
mit  dem  Bedacht,  dass  noch  etwas  Wasser  im  Cylinder  bleibe.  Dann 
kehrt  man  den  Cylinder,  nachdem  man  seine  Öffnung  noch  unter  Wasser 
mit  einem  Stöpsel  oder  einer  passenden  Glastafel  verschlossen,  wieder 
aufrecht  und  stellt  ihn  einen  Tag  ins  zerstreute  Tageslicht.'  Öffnet  man 
später  den  Cylinder,  so  findet  man  keines  der  beiden  Gase  mehr  vor, 
sondern  Salzsäuregas,  welches  sich  in  dem  wenigen  Wasser,  das  im  Cylinder 
geblieben,  aufgelöst  hat  und  dasselbe  stark  sauer  macht.  Bei  direkter 
Bescheinung  durch  das  Sonnenlicht  würde  die  Vereinigung  beider  Gase 
plötzlich,  unter  Explosion  stattfinden. 

Wenn  der  Cylinder  gut  verschlossen  gehalten  war,  so  dass  keine 
Luft  von  aussen  eintreten  konnte,  während  die  beiden  Gase  sich  ver- 
einigten, kann  man  die  Absorption  des  entstandenen  Salzsäuregases  durch 
das  wenige  Wasser  sehr  schön  dadurch  konstatieren,  dass  man  den  Cylinder 
in  umgewendeter  Lage  unter  Wasser  öffnet,  worauf  das  letztere  mit  Vehe- 
menz in  das  Gefäss  eindringt  und  dessen  leeren  Raum  ausfüllt. 

Stöchioinetrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  /  Salzsäuregas  liefert  1  kg  Kochsalz  bei  seiner  Zersetzung 
mit  Schwefelsäure,  wenn  das  /  des  Gases  1,63  g  wiegt?  —  Antw.  NaCl  : 
HCl  ==  (23  -j-  35,5)  :  (1  -f-  35,5);  x  =  624  g  =  382  l 

2.  a)  Wieviel  25prozentige  Salzsäure  lässt  sich  damit  herstellen? 
b)  wieviel  Wasser  ist  dazu  nötig?  —  Antw.  a)  x  =  4  X  624  =  2496  g, 
b)  x  =  3  X  624  =  1872  g. 


14.  Brom,  Jod,  Fluor. 

§  130.  Was  sind  Brom,  Jod  und  Fluor?  Zu  den  Salzbildnem, 
deren  Musterbild  das  Chlor  ist,  rechnen  sich  noch  drei  andere 
nichtmetallische  Elemente:  das  Brom,  Jod  und  Fluor.  Sie 
bilden  mit  den  Metallen  Salzverbindungen :  Bromide,  Jodide 


151     — 

und  Fluoride,  welche  den  Chloriden  analog  zusammengesetzt 
sind;  die  Wasserstoffverbindungen  stellen  drei,  dem  Chlorwasser- 
stoff entsprechende  Säuren  vor. 

Das  Brom,  Bromum*),  eine  rote,  starkrauchende,  erstickende, 
gefährlich  einzuatmende  Flüssigkeit,  ist  dreimal  so  schwer  wie 
Wasser,  worin  es  untersinkt  und  eine  gesättigte,  2 1/2 prozentige 
wässerige  Lösung  (Bromwasser,  Aqua  bromata)  über  sich 
bildet,  es  siedet  bei  63°  und  erstarrt  in  der  Kälte  (bei  — 8°)  zu 
einer  blaugrauen  Masse.  Mit  Äther,  Chloroform  und  Schwefel- 
kohlenstoff mischt  es  sich  leicht  zu  gelbgefärbten,  bei  grösserem 
Gehalte  gelbroten  Lösungen.  Da  es  Kork  und  andere  organische 
Materien,  ähnlich  dem  Chlor,  zerstört,  bewahrt  man  das  Brom  in 
Gefässen  mit  Glasstopfen  und  stellt  zur  grösseren  Vorsicht  das 
Gefäss  in  ein  grösseres  hinein. 

Das  Jod,  Jodum**),  bildet  dunkel  stahlglänzende  Krystall- 
tafeln,  welche  5  mal  schwerer  als  Wasser  sind,  sich  beim  Erhitzen 
in  violetten  Dämpfen  verflüchtigen  und  sublimieren.  In  Äther, 
Chloroform  und  Schwefelkohlenstoff  löst  es  sich  leicht  zu  violett- 
roten Flüssigkeiten ;  Weingeist  löst  Vm  J°d  mit  dunkelbraunroter 
Farbe  zu  Jodtinktur,  Tinctura  Jodi.  Wasser  nimmt  es  kaum 
auf,  bekoüimt  jedoch  eine  gelbliche  Färbung;  enthält  das  Wasser 
aber  Jodmetalle,  so  nimmt  es  reichlicher  Jod  auf.  (1  Teil  Jod- 
kalium löst  3/4  Teil  Jod!)  Mit  Stärkekleister  verteilt  sich  das  Jod 
sehr  fein  zur  tiefblauen  Jodstärke  —  bestes  Erkennungs- 
mittel freien  Jodes. 

Man  gebraucht  die  Jodtinktur  äusserlich  zum  Pinseln ;  inner- 
lich wirkt  sie  giftig. 

Das  Fluor,  isoliert  noch  unbekannt,  da  seine  starken  Affini- 
täten es  sofort  mit  der  Gefässsubstanz  verbindet,  ist  wahrschein- 
lich ein  Gas. 

§  131.  Wie  gewinnt  man  Brom  und  Jod?  Beide  Elemente  finden 
sich  nicht  frei  in  der  Natur.  Das  Brom  ist  als  Bromnatrium  im 
Meerwasser  und  gewissen  Mineralquellen  (z.  B.  von  Kreuznach), 
vorzugsweise  auch  im  Toten  Meer  enthalten;  das  Jod  begleitet 
das  Brom,  wird  aber  vorzugsweise  von  den  Tangen  und  Meeralgen 
aufgenommen,  aus  deren  Asche  man  es  gewinnt. 

Die  Mutterlauge   des    Meerwassers   liefert    uns   das    Brom, 

nachdem  das  Chlornatrium   auskrystallisiert  ist.     Man  unterwirft 

sie  der  Destillation  mit  Schwefelsäure  und  Braunstein,  wobei  die 

er stere  das  Bromnatrium  zerlegt,  Bromwasserstoffsäure  frei  machend : 

2NaBr       +      H2S04     ==    Na2S04        +       2HBr 

Bromnatrium  Schwefelsäure  Natriumsulfat  Bromwasserstoff. 

*)  Brom,  von  ßpwjj-o;  (Gestank),  wurde  1826  von  Baiard  entdeckt. 
**)  Jod,  von    ftSSss    (veilchenblau),   wurde   1881  von  Courtois,  einem 
Sodafabrikanten  in  Paris,  entdeckt. 


—     152     — 

Die    Bromwasserstoffsäure  wird    vom  Braunstein   zu  Wasser 
oxydiert  und  das  Brom  frei  gemacht,  welches  überdestilliert. 
2HBr        +        0        +        H20  +        2Br 

Bromwasserstoff.  Sauerstoff  Wasser  Brom 

Zur  Jodgewinnung  benutzt  man  die  Asche  der  Seetange 
und  Badeschwämme  (in  Schottland  Kelp,  in  der  Norman  die 
Yarech  genannt),  welche  durch  ihren  Gehalt  an  kohlensaurem 
Natron  früher  als  natürliche  Soda  hohen  Wert  hatte.  Man 
lässt  dieses  Salz  mit  dem  Chlornatrium  auskrystallisieren  und 
unterwirft  die  Mutterlauge  der  Destillation' mit 
Schwefelsäure  und  Braunstein.  Der  Yorgang  ist 
derselbe  wie  bei  der  Bromgewinnung.  Die  Jod- 
dämpfe treten  aus  der,  in  einer  Sandkapelle 
(Fig.  51  k)  befindlichen  Retorte  (r)  in  eine  Yor- 
lage  (v) ,  welche  über  dem  Boden  einen  Sieb- 
boden zum  Durchlassen  des  kondensierten 
Wassers  und  zur  Seite  einen  Ausgang  (t)  zum 
Flg-  pl-  Entweichen  des  dampfförmigen  Wassers  besitzt. 

Auch  benutzt  man  als  Yorlage  birnförmige  Glasballons  (sog. 
Aludeln)  in  der  Anordnung,  dass  der  hintere  mit  dem  Halse 
in  die  Bodenöffnung  des  vorderen  hineinreicht.  Das  in  der  Yor- 
lage verdichtete  Jod  wird  zur  Reinigung  nochmals  sublimiert. 

In  Frankreich  scheidet  man  das  Jod  aus  der,  das  Jodnatrium 
enthaltenden  Mutterlauge  mittelst  Chlorgas  ab,  welches  man  in 
jene  einleitet.  Dem  Chlor  kommen  stärkere  Affinitäten  zu  als 
dem  Brom  und  Jod,  weshalb  es  dieselben  aus  ihren  Salzverbin- 
dungen verdrängt: 

NaJ     +     Cl  =   NaCl     +     J 

Jodnatrium  Chlor     Chlornatrium  Jod. 

Hierbei  ist  aber  ein  Überschuss  von  Chlor  sorgfältig  zu  ver- 
meiden, da  derselbe  das  ausgeschiedene  Jod  zu  leichtlöslichem 
Chlorjod  auflösen  würde. 

§  132.  Erkennung  von  Brom  und  Jod.  Auf  der  Ausscheidung  von 
Brom  und  Jod  durch  Chlor  beruht  ihr  Nachweis.  Man  setzt 
zu  der  fraglichen  Flüssigkeit  etwas  Chlorwasser,  jedoch  nicht  im 
Überschuss  (da  ein  solcher  das  ausgeschiedene  Brom  resp.  Jod  in 
Chlorbrom  und  Chlorjod  überführen  würde),  und  schüttelt  mit 
einigen  Tropfen  Chloroform  oder  Schwefelkohlenstoff:  Brom  giebt 
sich  durch  eine  gelbe,  Jod  durch  eine  violette  Fär- 
bung desselben  zu  erkennen.  Jod  kann  man  statt  dessen 
auch  durch  die  Bläuung  mit  etwas  Stärke  kl  ei  st  er  nachweisen. 
An  Stelle  des  Chlorwassers  lässt  sich  auch  die  rauchende  Salpeter- 
säure, und  für  das  Jod  (nicht  aber  für  das  Brom)  Eisenchlorid- 
lösung anwenden. 


—    153    — 

§  133.  Verbindungen  von  Brom  und  Jod.  Brom  lind  Jod  ahmen 
in  allen  Stücken  dem  Chlor  nach,  nur  mit  schwächeren  Verwandt- 
schaften. Mit  den  Metallen  verbinden  sie  sich  direkt  zu  Bromiden 
und  Jodiden.  Kalium  und  Natrium  verbrennen  im  Joddampfe 
zu  Jodkalium  resp.  Jodnatrium;  Quecksilber  vereinigt  sich  mit 
dem  Jod  beim  Zusammenreiben;  Eisen  oder  Zink  werden  von  Brom 
und  Jod,  bei  Gegenwart  von  Wasser,  unter  Erhitzung  aufgelöst. 

Die  meisten  Brom-  und  Jodmetalle  lösen  sich  in  Wasser  auf; 
ausgenommen  sind  das  Brom-  und  Jodsilber,  welche  dem  Chlor- 
silber analog  als  gelblichweisse  Niederschläge  entstehen,  wenn  die 
Lösung  eines  Bromids  und  Jodids  mit  salpetersaurem  Silber- 
oxyd versetzt  wird.  Bromsilber  und  Jodsilber  unterscheiden  sich 
aber  vom  Chlorsilber  nicht  nur  durch  ihre  gelbliche  Färbung, 
sondern  auch  durch  ihr  Verhalten  zu  Salmiakgeist;  während  der- 
selbe das  Chlorsilber  mit  Leichtigkeit  auflöst,  nimmt  er  das  Brom- 
silber nur  sehr  schwierig,  das  Jodsilber  gar  nicht  auf.  Übergiesst 
man  daher  ein  Gemenge  von  Chlorsilber  und  Jodsilber  mit  Sal- 
miakgeist, so  löst  sich  nur  das  Chlorsilber  auf  und  kann  aus 
dem  Filtrate  durch  Ansäuerung  (mit  Salpetersäure)  wieder  aus- 
geschieden werden.    (Nachweis  des  Chlors  neben  dem  Jod.) 

Mit  Ätzalkalien  vereinigen  sich  Brom  und  Jod  zu  einem 
Gemenge  von  Brom-  resp.  Jodmetall  mit  bromsaurem  resp. 
jodsaurem  Alkali.     Nämlich : 

6J   +  6KHO  ===   5KJ   +    KJ03     -f-  3H20 

Jod  Kalihydrat        Jodkalium        jodsaures  Kali  Wasser. 

Mit  dem  Wasserstoff  vermögen  sich  Brom  und  Jod  nicht 
direkt,  sondern  nur  indirekt  zu  verbinden.  Bromwasserstoff 
(HBr)  wie  Jodwasserstoff  (HJ)  sind  dem  Chlorwasserstoff  sehr 
ähnliche  Gase ,  lösen  sich ,  wie  dieses ,  reichlich  in  Wasser  auf, 
zeigen  aber  ein  starkes  Bestreben ,  Sauerstoff  aus  der  Luft  anzu- 
ziehen, und  ihre  Lösungen  werden  schon  in  kurzer  Zeit  an  der 
Luft  braunrot,  zufolge  freien  Broms  oder  Jods.  Auch  lassen  sie 
sich  nicht  unzersetzt  aus  den  Brom-  und  Jodmetallen  durch 
Destillation  mit  konzentrierter  Schwefelsäure  destillieren ,  da  sie 
auf  die  letztere  reduzierend  (zu  S02)  einwirken  und  sich  selbst 
zu  Wasser  und  Brom  oder  Jod  oxydieren. 

Die  gewöhnliche  Darstellungsweise  von  wässeriger  Brom- 
resp.  Jodwasserstoffsäure  besteht  darin,  in  Wasser,  worin 
sich  Brom  oder  Jod  befinden,  Schwefelwasserstoffgas  einzuleiten.  Jene 
scheiden  den  Schwefel  ab  und  verbinden  sich  mit  dem  Wassertoff. 
Durch  Abdampfen  lassen  sich  dann  die  Lösungen  konzentrieren. 
H2S        +        2J     =    2HJ         +        S 

Schwefelwasserstoff  Jod  Jodwasserstoff  Schwefel. 

Mit  dem  Schwefel  lässt  sich  das  Jod  zu  Jodschwefel,  Sulfur 
jodatum  (SJ),  zusammenschmelzen;  eine  krystallinische,  stahlgraue  Masse, 


-     154     — 

welche  schon  beim  Liegen  an  der  Luft  Jod  abdunstet,  an  Weingeist  alles 
Jod  abgiebt  und  den  Schwefel  zurücklässt. 

§  134.  Verhalten  des  Jods  gegen  Natriumthiosulfat.  Ton  beson- 
derem Interesse  und  für  die  Massanalyse  von  grosser  Wichtigkeit 
ist  die  Zersetzung  des  Natriumthiosuifats  (auch  Natriumhypo- 
sulfit oder  unterschwefligsaures  Natron  genannt)  durch 
freies  Jod.  Beide  Körper  geben  bei  ihrem  Zusammentreffen  so- 
fort eine  farblose  Lösung  von  Jodnatrium  und  tetrathionsaurem 
Natron.     Nämlich : 

2Na?S203     +    2J     =     2NaJ     +     Na2S406 

unterschwefligsaures  Natron     Jod  Jodnatrium      tetrathionsaures  Natron. 

§  135.  Verbindungen  des  Fluors.  Das  Fluor  kommt  in  der  Natur 
vorzugsweise  als  Pluorcalcium  vor,  ein  unter  dem  Namen  Fluss- 
spat bekanntes  und  nicht  seltenes  Mineral.  Man  verwendet  das- 
selbe bei  verschiedenen  Glüh-  und  Schmelzprozessen  wegen  seiner 
Leichtschmelzbarkeit  als  Flussmittel. 

Mit  konzentrierter  Schwefelsäure  zerlegt  sich  das  Fluorcalcium 
in  schwefelsauren  Kalk  und  Fluorwasserstoff  (HF),  ein  farb- 
loses, äusserst  ätzendes  Gas,  dessen  wässerige  Lösung  Fluss- 
säure genannt  wird. 

CaF.2    +  H.2S04     ■+-     CaS04      +      2HF 

Fluorcalcium      Schwefelsäure     schwefelsaurer  Kalk    Fluorwasserstoff. 

Man  kann  deren  Darstellung  nur  in  Blei-  oder  Platingefässen 
vornehmen,  da  alle  anderen  Materien,  vorzugsweise  das  Glas,  von 
der  Fluorwasserstoffsäure  stark  angegriffen  werden.  Man  benutzt 
die  Flusssäure  (oder  auch  ein  Gemenge  von  gepulvertem  Fluss- 
spat mit  englischer  Schwefelsäure)  zum  Ätzen  von  Glas,  um 
auf  demselben  Zeichnungen,  Schriftzüge  u.  s.  w.  anzubringen, 
wobei  man  die  übrigen  Teile  durch  Überziehen  mit  Wachs  vor 
der  Säure  schützen  muss. 

Mit  Sauerstoff  lässt  sich  das  Fluor  weder  direkt  noch  indirekt 
verbinden. 

Versuche. 

1.  Ausscheidung  von  Brom  und  Jod  durch  Chlor.  Einige 
Bromkalium-  und  Jodkaliumkry stalle  löse  man,  jedes  für  sich,  in  Wasser, 
füge  einige  Tropfen  Schwefelkohlenstoff  oder  Chloroform  hinzu  und  dann 
portionenweise  Chlorwasser.  Nach  jedesmaligem  Zusätze  desselben  gut 
umschüttelnd,  bemerkt  man  eine  starke  gelbrote  resp.  violettrote  Färbung 
der  unteren  Schicht,  bis  sie  bei  starkem  Vorwalten  des  Chlors  wieder 
farblos  wird. 

2.  Ätzen  mit  Flusssäure  auf  Glas.  Man  übergiesse  in  einem 
Bleinäpfchen  oder  Platintiegel  feingepulverten  Flussspat  mit  soviel  engl. 
Schwefelsäure,  dass  ein  Brei  entsteht;  denselben  streiche  man  auf  eine 
Glasfläche,  die  man  zuvor  dünn  mit  geschmolzenem  Wachs  überzogen,  in 
das  man  die  gewünschte  Schrift  oder  Zeichnung  hinein  radierte.  Nach 
einigen  Stunden  wasche  man  die  Fläche  ab  und  reinige  sie  vom  Wachs; 
die  radierten  Züge  treten  dann  sichtbar  hervor. 


-     155     - 

Stöchioinetrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Chlorgas  erfordert  1  kg  Jodnatriurn  zur  Jodausscheidung 
—  Antw.  NaJ  :  Cl  =  (23  +  127)  :  35,5;  x  ==  250  g. 

2.  Wieviel  Jod  wird  dabei  ausgeschieden?    —    Antw.    NaJ  :  J  = 
(23  +  127)  :  127;  x  =  8462/3  g. 

3.  Wieviel  Brom  ist  in  1  Pfd.  Bromnatrium   enthalten?    —    Antw. 
NaBr  :  Br  =  (23  +  80)  :  80;  x  =  388V3  g. 


15.  Die  Kohle  und  Kohlensäure. 

§  136.  Eigenschaften  der  Kohle.  Die  Kohle  ist  ein  Element, 
welches  in  drei  allotropischen  Zuständen  auftritt,  nämlich: 

1.  Als  Diamant  (Ca),  kristallisiert  in  farblosen,  durchsich- 
tigen, regelmässigen  Oktaedern,  der  härteste  Körper,  stark  licht- 
brechend, unlöslich  in  allen  Lösungsmitteln,  unschmelzbar,  in  sehr 
hohen  Hitzegraden  zu  Kohlensäure  verbrennlich.*)  Er  findet  sich 
in  Brasilien,  Südafrika,  Ostindien;  künstlich  wurde  er  noch  nicht 
dargestellt.     Spez.  Gew.  =  3,5. 

2.  Als  Graphit  (Cß),  krystallisiert  in  bleigrauen,  metall- 
glänzenden sechsseitigen  Tafeln,  unlöslich,  noch  schwerer  ver- 
brennlich als  der  Diamant,  Leiter  der  Elektrizität.  Er  findet  sich 
in  grossen  Lagern  natürlich ;  künstlicher  Graphit  schwitzt  aus  ge- 
schmolzenem Gusseisen  beim  Erstarren  aus  (Hochofengraphit). 
Spez.  Gew.  =  2. 

3.  Als  amorphe  Kohle  (Cy),  durch  Yerkohlung  organischer 
Materien  entstanden,  nach  denen  man  sie  bezeichnet  als  Kien- 
russ,  Holzkohle,  Tierkohle  (Knochenkohle),  Fleisch- 
kohle u.  s.  f.  Der  Kienruss  (Fuligo)  ist,  wenn  nochmals 
geglüht,  die  reinste  amorphe  Kohle,  leicht  brennbar,  porös  und 
leicht.  Die  Holzkohle  (Carbo  vegetabilis)  bildet  das  Produkt 
der  Verkohlung  des  Holzes  (vorzugsweise  des  Kiefernholzes)  in 
Meilern,  d.  i.  in  Haufen,  die  angezündet  und  mit  Rasen  bedeckt 
werden ,  sodass  bei  geringem  Luftzutritt  (durch  einige  offene 
Stellen)  das  Holz  langsam  verkohlt.  Die  gepulverte  Holz- 
kohle, Carbo  pulveratus,  ist  die  nach  nochmaligem  Glühen 
gepulverte  Holzkohle.  Die  Knochenkohle  (Ebur  ustum 
nigrum),  auch  Spodium  genannt,  enthält  neben  der  Kohle  den 
ganzen  Gehalt  der  Knochen  an  phosphorsaurem  Kalk.  Kocht 
man  sie  mit  sehr  verdünnter  Salzsäure,  so  bleibt  die  gereinigte 
Knochenkohle  zurück.  Die  Fleischkohle,  Carbo  ani- 
malis,  resultiert  durch  Yerkohlen  von  Kalbfleisch,  dem  man  die 
Kalbsknochen    zufügt;    Blut    liefert    die    Blutkohle,    Brot    die 

*)  1694  verbrannte  man  zuerst  den  Diamant  in  Florenz  im  Brenn- 
punkt grosser  Brennspiegel. 


—     156    — 

Brotkohle,  Badeschwämme  die  jodhaltige  Schwammkohle 
(Carbo  Spongiae).  Amorphe  Kohle  ist  ferner  Hauptbestandteil 
der  Steinkohlen  und  Braunkohlen,  die  man  als  Heizmaterial 
benutzt.     Ausgeglühte  Steinkohlen  sind  die  Coaks. 

Die  amorphe  Kohle  ist  durch  zwei  Eigenschaften  besonders 
ausgezeichnet:  1.  Gase  in  ihren  Poren  zu  verdichten, 
2.  Farbstoffe  und  trübende  Materien  aus  Flüssigkeiten 
auf  sich  niederzuschlagen.  Die  Absorption  von  Gasen  ist 
am  stärksten  bei  der  porösen  Holzkohle,  welche  ihr  neunfaches 
Volum  Sauerstoffgas,  sogar  ihr  neunzigfaches  Yolum  Salzsäuregas 
oder  Ammoniakgas  verschluckt.  Das  Entfärbungs-  und  Klärungs- 
vermögen finden  wir  am  stärksten  bei  der  Knochenkohle;  man 
bedient  sich  daher  ihrer  zur  Verbesserung  verdorbenen,  stehenden 
Wassers,  zur  Entfuselung  des  "Weingeistes,  Entfärbung  und  Klärung 
des  Zuckersaftes  und  der  Alkaloide,  wobei  aber  nicht  geringe 
Mengen  der  letzteren  von  der  Kohle  zurückgehalten  werden. 
(Durch  Kohle  filtriertes  fauliges  Wasser  ist  zwar  geruchlos  ge- 
worden, aber  nicht  frei  von  Zersetzungs-  und  Ansteckungsstoffen 
niederen  Organismen).   * 

§  137.  Verbindungen  der  Kohle.  1.  Die  Kohle  ist  ein  vier- 
wertiges  Element,  welches  bei  Luftmangel  zu  einer  ungesättig- 
ten Verbindung,  dem  Kohlenoxydgas  (CO),  bei  genügendem 
Luftzutritt  zu  Kohlendioxyd  gas  (C02)  verbrennt*  Letzteres 
nennt  man  gewöhnlich  kohlensaures  Gas.  Das  Kohlenoxydgas 
ist,  wie  das  Kohlendioxyd,  färb-  und  geruchlos,  unterscheidet  sich 
aber  von  letzterem  durch  seine  Brennbarkeit,  indem  es  beim  An- 
zünden mit  blauer  Flamme  zu  Kohlensäuregas  verbrennt.  Es 
ist  ferner  ein  sehr  giftiges  Gas,  welches  selbst  verdünnt  einge- 
atmet lähmend  und  tötlich  wirkt.  Da  sich  dieses  Gas  überall 
bildet,  wo  Kohlen  bei  ungenügendem  Luftzutritt  verbrennen,  wie 
z.  B.  beim  Schliessen  der  Klappe  eines  brennenden  Ofens,  so  ist 
seine  Giftigkeit  sehr  zu  beachten. 

2.  Mit  dem  Wasserstoff  vermag  sich  die  Kohle  nicht  direkt 
zu  verbinden.  Wir  kennen  aber  eine  grosse  Zahl  Kohlenwasser- 
stoffverbindungen, die  freilich  zumeist  dem  organischen  Keiche 
angehören,  von  denen  aber  zwei  hier  erwähnt  werden  sollen:  das 
leichte  und  das  schwere  Kohlenwassersto f f g a s ,  CH4 
und  C2H4.  Ersteres,  ein  farbloses  Gas,  halb  so  schwer  wie  die 
Luft,  bildet  sich  in  Sümpfen  und  findet  sich  häufig  in  Kohlen- 
gruben, worin  es  durch  zufällige  Entzündung  Explosionen  (schla- 
gende Wetter)  hervorruft.  Man  nennt  daher  dieses  leichte  Kohlen- 
wasserstoffgas (CH4)  Sumpf luft  oder  Grubengas.  Seine  Ex- 
plosion findet  nur  statt,  wenn  es  mit  Luft  gemischt  entzündet 
wird,  ähnlich   dem  Knallgase.     Zum  Schutze  der  Bergleute  kon- 


—     157     — 

struierte  H.  Davy  die  Sicherheitslampe,  deren  Grubenlicht 
mit  einem  Cylinder  von  feinem  Drahtnetz  umgeben  ist.*) 

Das  schwere  Kohlenwasserstoffgas  (C2H4)  ist  farb- 
los, von  unangenehmem  Geruch,  fast  gleich  schwer  mit  der  Luft, 
Hauptbestandteil  des  Leuchtgases,  dessen  hellleuchtende,  weisse 
Flamme  von  ihm  herstammt.  Diesem  Gase  verdanken  alle  unsere 
Beleuchtungsflammen  ihre  Leuchtkraft.  Man  nennt  das  Gas  ge- 
wöhnlich Olgas,  weil  es  sich  mit  Chlorgas  zu  einer  ätherischen 
Flüssigkeit,  dem  Äthylenchlorid  (C2H4C12,  dem  sog.  Öl  der 
holländischen  Chemiker)  verbindet. 

3.  Mit  dem  Schwefel  verbindet  sich  die  Kohle  zu  Schwefel- 
kohlenstoff (Kohlensulfid),  Carboneum  sulfuratum 
(CS2) ,  einer  farblosen ,  stark  lichtbrechenden  und  äusserst  brenn- 
baren, feuergefährlichen,  ätherischen  Flüssigkeit,  mit  dem  Gerüche 
nach  faulem  Kohl,  bei  46  °  siedend,  mischbar  mit  Weingeist,  Äther 
und  Ölen,  in  Wasser  untersinkend  (spez.  Gew.  1,27)  und  darin 
unlöslich.  Mari  gewinnt  ihn  durch  Destillation ,  indem  man 
Schwefeldämpfe  durch  glühende  Kohlen  leitet.  Seine  ältere  Be- 
zeichnung war  Schwefelalkohol  (Alcohol  Sulfuris). 

Man  gebraucht  ihn  in  der  Technik  zum  Vulkanisieren  des 
Kautschuks,  zum  Entfetten  der  Wolle  u.  a.  m.  In  der  Analyse 
dient  er  beim  Nachweise  des  Broms  und  Jods  (vgl.  §  134). 

§  138.  Eigenschaften  der  Kohlensäure.  Die  Kohlensäure**) 
(C02)  ist  ein  färb-  und  geruchloses,  nicht  brennbares  Gas,  andert- 
halbmal so  schwer  wie  die  Luft  (spez.  Gew.  1,529),  nicht  tauglich 
zum  Atmen,  erstickend,  wenngleich  nicht  eigentlich  giftig.  Unter 
starkem  Drucke  verflüchtigt  sie  sich  und  erstarrt  dann  durch 
eigene  Verdunstung  zu  einer  schneeähnlichen  Masse,  eine  Kälte 
von  — 79  °  erzeugend. 

In  Wasser  löst  sich  das  Gas  wenig  auf,  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  nur  zum  gleichen  Volumen,  in  der  Wärme  noch 
weniger,  dagegen  unter  Druck  bedeutend  mehr,  z.  B.  unter 
3  Atmosphärendruck  zum  dreifachen ,  unter  5  Atm.  zum  fünf- 
fachen Volumen.  Alles  tellurische  Wasser  enthält  mehr  oder 
weniger  Kohlensäure  gelöst;  beträgt  der  Gehalt  mehr,  so  nennt 
man  die  Quelle  einen  Säuerling.  Solches  Wasser  lässt  beim 
Hineinbringen  pulveriger  Gegenstände  (z.  B.  Zuckerpulver)  ver- 
möge der  Adhäsion  sein  Gas  unter  Schäumen  entweichen.    Künst- 

*)  Wenn  sich  eingedrungenes  Grubengas  an  der  Flamme  entzündet, 
so  verhindert  das  Drahtnetz,  durch  seine  Wärmeableitung,  die  Fortpflanzung 
der  Entzündung  nach  aussen,  ähnlich,  wie  man  eine  Weingeistflamme  durch 
ein  quer  hineingehaltenes  Drahtnetz  gleichsam  abbrechen  kann. 

**)  Die  Kohlensäure,  früher  Luft  säure,  fixe  Luft  genannt,  wurde 
von  Black  und  Scheele  in  ihrer  Eigentümlichkeit  erkannt  (1772)  und 
von  Lavoisier  (1774)  ihrer  Natur  nach  festgestellt. 


—     158     — 

liches  Sauerwasser  stellt  man  durch  Einpumpen  von  Kohlen- 
säuregas in  Wasser  unter  mehrfachem  Atmosphärendrucke  dar. 
Das  mit  dem  Grase  gesättigte  Wasser  kennzeichnet  sich  durch 
säuerlichen,  prickelnden  Geschmack  und  rötet  vorübergehend  Lack- 
muspapier. 

Man  unterscheidet  hauptsächlich  zwei  Arten  von  Mineralwasser- 
apparaten,  nämlich  Pumpenapparate  und  Selbstentwickler.  Die 
Pumpenapparate  sammeln  das  im  sog.  Generator  aus  Magnesit  oder  Marmor 
und  Schwefelsäure  entwickelte  kohlensaure  Gas,  nachdem  es  durch  mehrere 
mit  Wasser  gefüllte  Waschgefässe  geleitet  und  gewaschen  (geruchlos  ge- 
macht) worden  ist,  in  einem  Gasometer  über  Wasser  und  pumpen  es  aus 
demselben  mittelst  einer  Druck-  und  Saugpumpe  in  den  Mischcylinder, 
worin  sich  das  zu  sättigende  Wasser  befindet  und  durch  Umrühren  mit 
einer  Rührwelle  mit  dem  Gase  in  Berührung  gebracht  wird.  Ein  Manometer 
zeigt  den  Gasdruck  im  Mischcylinder  an.  Nach  der  Sättigung  wird  das 
Wasser  mittelst  einer  besonderen  Vorrichtung  auf  Flaschen  abgefüllt,  die 
mit  der  Maschine  verkorkt  werden.  —  Bei  einem  „Selbstentwickler"  fehlt  der 
Gasometer  und  die  Pumpe.  Das  im  Generator  entwickelte  kohlensaure  Gas 
wird  direkt  in  den  Mischcylinder  geleitet  zur  Absorption  durch  das  darin 
befindliche  Wasser.  Bei  diesen  Apparaten  müssen  daher  sämtliche  Ge- 
fässe  so  stark  sein,  dass  sie  einen  mehrfachen  Atmosphärendruck  aus- 
zuhalten vermögen.  Die  Selbstentwickler  sind  niemals  so  leistungfähig, 
wie  die  Pumpenapparate. 

§  139.  Chemisches  Verhalten  der  Kohlensäure  und  ihre  Erkennung. 
Die  Kohlensäure  wird  von  basischen  Oxyden  begierig  verschluckt, 
kohlensaure  Salze,  Karbonate,  mit  ihnen  bildend.  In 
Wasser  lösen  sich  nur  die  kohlensauren  Alkalien,  die  übrigen 
Karbonate  n  icht.  (Kohlensaurer  Kalk,  kohlensaures  Magnesia  und 
kohlensaures  Eisenoxydul  lösen  sich  etwas  in  kohlensäurehaltigem 
Wasser  auf.) 

Man  erkennt  die  kohlensauren  Salze  leicht  am  Aufbrausen 
beim  Übergiessen  mit  einer  Säure ;  das  dabei  entweichende,  farb- 
und  geruchlose  Gas  rötet  befeuchtetes  Lackmuspapier  schwach  und 
vorübergehend.  In  wässeriger  Lösung  befindliche  kohlensaure 
Alkalien  erzeugen  mit  Kalkwasser  einen  weissen  Niederschlag 
(kohlensauren  Kalk). 

§  140.  Wie  gewinnt  man  die  Kohlensäure?  Die  Kohlensäure,  das 
Yerbrennungsprodukt  der  Kohle  und  kohlehaltiger  organischer 
Materien,  bildet  sich  bei  den  vielfachen  Yerbrennungsprozessen 
in  der  Natur,  bei  der  Atmung  der  Tiere  und  Menschen  (in  der 
ausgeatmeten  Luft  zu  3,5  Proz.),  bei  der  Gährung  von  Bier  und 
Wein,  bei  der  Verwesung  und  Vermoderung  u.  s.  f.  Daher  ist 
sie  ein  konstanter  Bestandteil  der  Atmosphäre  (im  Mittel  darin 
zu  0,03  Proz.  enthalten). 

Künstlich  gewinnt  man  sie  aus  ihren  Salzen  durch  Zersetzung 
derselben  mit   Schwefelsäure  oder  einer  andern   stärkeren  Säure, 


—     159 


denn  sie  gehört  zu  den  schwächsten  Säuren,  entweicht  auch  aus 
den  Karbonaten  der  Schwermetalle  durch  blosses  Erhitzen.  Der 
kohlensaure  Kalk  selbst  verliert  in  der  Glühhitze  die  Säure  und 
lässt  Kalk  zurück.     (CaC03  =  CaO  +  C02). 

Das  gewöhnliche  Material  zur  Darstellung  der  Kohlensäure  ist 
der  kohlensaure  Kalk  (Kalkstein,  Kreide,  Marmor)  oder  die  kohlen- 
saure Magnesia  (Magnesit)  mit  Schwefelsäure,  seltener  Salzsäure. 
MgCO,     +    H2S04   =  MgS04    +    H20    +    C0.2 

kohlensaure  Schwefelsäure     schwefelsaures  Wasser  Kohlensäure 

Magnesia  Magnesia 

CaC03    +    2HC1   =     CaClg    +    H20    +    CO, 

kohlensaurer  Kalk      Salzsäure         Chlorcalcium  Wasser         Kohlensäure. 

Das  kohlensaure  Gas  entweicht  unter  Aufbrausen,  besitzt 
aber  häufig  einen  üblen  Geruch,  zumal  bei  Anwendung  von 
Kreide.  Man  befreit  es  von  demselben,  indem  man  es  durch 
Wasser  streichen  lässt. 

Versuche. 

1.  Kohlensäureentwicklung  aus  kohlensaurem  Kalk  (Fig.  52.) 
Man  übergiesse  in  einem  Glaskolben 
oder  Medizinglase  Marmorstückchen  oder 
zerbröckelte  Kreide  mit  sehr  verdünn- 
ter Salzsäure,  die  Mündung  sofort  mit 
einem  Stopfen  verschliessend,  durch 
welchen  eine  doppelt  gebogene  Glasröhre 
luftdicht  geführt  ist,  deren  anderes  Ende 
man  in  eine  Wanne  mit  Wasser  tauche, 
eine  mit  Wasser  gefüllte  Flasche  dar- 

überhaltend.     Das   entwickelte  kohlen-  -p-      ^ 

saure    Gas    sammelt    sich    in    letzterer 

an.  Ist  sie  grösstenteüs  davon  angefüllt,  so  wechsele  man  sie  mit  einer 
anderen,  bereit  gehaltenen. 

Eine  in  das  Gas  getauchte  Flamme  erlischt  sofort.  Das  unter  ihm 
befindliche  Wasser  schmeckt  säuerlich  prickelnd  und  rötet  blaues  Lack- 
muspapier vorübergehend;  mit  Kalkwasser  gemischt,  verursacht  es  eine 
starke  Ausscheidung  weissen  kohlensauren  Kalkes. 

2.  Verbrennung  von  Schwefelkohlenstoff  inüntersalpeter- 
säure dampf.  Man  entwickele  nach  früher  angegebener  Weise  Stickoxyd- 
gas aus  Kupferspänen  und  Salpetersäure,  leite  dasselbe  in  einen  aufrecht- 
stehenden Glascylinder,  worin  es  sich  durch  die  vorhandene  Luft  zu  Unter- 
salpetersäure oxydiert.  Ist  der  Cylinder  völlig  mit  rotgelbem  Gase  ange- 
füllt, so  bringe  man  wenige  Tropfen  Schwefelkohlenstoff  mittelst  eines 
kleinen  Löffels  (nicht  aus  der  Vorratflasche!)  hinein;  sie  verbrennen  sofort 
mit  starker  Flamme,  die  Gefässwand  mit  ausgeschiedenem  Schwefel  bedeckend 

Stöcliiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  /  Kohlensäure  liefert  1  k  kohlensaurer  _  Kalk  bei  seiner 
Zersetzung  durch  Säure,  wenn  das  /  des  Gases  2  g  wiegt?  —  Antw. 
CaC03  :  C02  =  (40  -j-  12  +  48)  :  (12  +  32);  x  =  440  g  =  220  l. 

2.  Wieviel  Schwefelkohlenstoff  liefert  1  kg  Schwefel?  —  Antw.  2S: 
CS2  =  (2  X  32)  :  (12  +  64);  x  =  1187  g. 


160 


16.  Kiesel  und  Bor. 

§  141.  Eigenschaften  von  Kiesel  und  Bor.  Kiesel  (Silicium*) 
und  Bor  (Borain  **)  sind  zwei,  der  Kohle  sich  enge  anschliessende, 
nichtmetallische  Elemente  und,  wie  jene,  in  drei  allotropischen 
Zuständen  bekannt:  diamantartig, graphitähnlich  und  amorph 
(pulverig).  Beide  Elemente  kommen  nicht  frei  in  der  Natur  vor, 
sondern  werden  künstlich  gewonnen  durch  Reduktion  ihrer  Sauer- 
stoffverbindungen  ,  besser  noch  ihrer  Pluorkaliumverbindungen 
mittelst  Kalium  oder  Natrium ,  welche  den  Kiesel  resp.  das  Bor 
abscheiden  und  sich  an  ihre  Stelle  setzen. 

Bor  wurde  zuerst  von  Davy(1807),  Kiesel  von  Berzelius 
(1823)  isoliert. 

Der  Kiesel    ist,   wie   die   Kohle,   vierwertig,   das   Bor 
dreiwertig.     Beide  verbinden  sich  mit   dem  Sauerstoff  nur  in 
einem  Yerhältnisse  zu  Oxyden,   denen  je  eine  Säure  entspricht: 
Kieseldioxyd  Si02  Kieselsäure  H4Si04 

wasserfreie  Borsäure  B203  Borsäure  H.,B03. 

§  142.  Wie  kommt  die  Kieselsäure  vor?  Die  Kieselsäure  ist 
in  Yerbindung  mit  Basen  als  Silikat  (kieselsaure  Salze)  unge- 
mein verbreitet  in  der  Natur.  In  den  in  Wasser  löslichen  kiesel- 
sauren Alkalien  tritt  sie  zweibasisch  auf,  analog  der  Kohlensäure: 

kieselsaures  Kali  (sog.  Kieselfeuchtigkeit)  K2Si03. 
Sie  bildet  aber  vorzugsweise  saure  Salze:  Bisilikate,  Trisili- 
kate,  in  denen  kein  Wasserstoff  enthalten  ist,  welche  vielmehr 
als  Yerbindungen  des  neutralen  Salzes  mit  1,3  Mol.  wasserfreier 
Kieselsäure  dastehen  —  ein  Verhalten,  welches  wir  bei  der  Bor- 
säure und  Chromsäure  wiederfinden.     Hiernach  sind: 

Vierfach  kieselsaures  Natron  (Wasserglas)      qc-(-\3  /  =  Na2Si409 

Doppelkieselsaurer  Kali-Kalk  (Crownglas)    rt2o-rf  \  2Si02  =  K2CaSi4O10 


'vi 


Kieselsaures  Kali-Bleioxyd  (Flintglas)  pgfjo3  f  3Si02  =  K2PbSi5°i 

Kieselsaure  Kali-Thonerde  (Feldspat)        A?Üi03   \  2Si02=K2Al2Si6016***) 

Scheidet  man  die  Kieselsäure  aus  den  löslichen  Silikaten 
durch  eine  Säure  ab,  so  stellt  sie  eine  gallertige  Masse,  Kiesel- 
gallerte (H4Si04),  dar,  welche  man  durch  Dialyse  rein  gewinnen 
kann.    In  diesem  hydratischen  Zustande  löst  sie  sich  in  100  Th. 

*)  Silicium  von  silex,  Kieselstein. 
**)  Borum  von  Borax. 
***)  Die  ältere  Formel  des  Feldspats  war  (KO,Si03  +  A1033Si03)  dem 
Alaun  analog.      Damals    hatte    man  das  Atomgewicht  des  Kiesels  =  22,3 
angenommen,  sodass  die  Formel  der  wasserfreien  Kieselsäure  Si03  war. 


—     161     — 

Wasser  auf ,  verliert  aber  schon  beim  Eintrocknen  Wasser ,  wird 
zu  (H2Si03)  und  schwer  löslich.  Beim  Verdampfen  zur  Trockne 
geht  sie  in  Kieseldioxyd  oder  „wasserfreie  Kieselsäure", 
auch  Kieselerde  genannt  (Si0.2),  über,  welche  in  Wasser  unlös- 
lich ist,  von  heissen  Ätzalkalien  jedoch  leicht  aufgelöst  wird. 
Diese  Kieselerde  ist  feuerbeständig,  schmilzt  nur  im  Knallgasge- 
bläse und  treibt  in  der  Glühhitze  aus  fast  allen  Salzen  die  Säuren 
aus,  Silikate  bildend. 

In  der  Natur  findet  sich  die  Kieselerde  (Si02)  krystallisiert 
(in  Hexagonalsäulen) ,  im  reinsten  Zustande  als  Bergkrystall, 
weniger  rein  als  Quarz,  der  sich  in  Form  von  Sand  aus  dem 
niessenden  Wasser  absetzt;  durch  verschiedene  Metalloxyde  gefärbt 
als  Amethyst,  Chalcedon.  Amorphe  Kieselerde  stellt  der 
Feuerstein  und  Achat  dar.  Diese  Mineralien  zeichnen  sich 
durch  grosse  Härte  aus,  worin  sie  nur  von  den  Edelsteinen  über- 
troffen werden ;  daher  giebt  z.  B.  der  Stahl  am  Feuerstein  Funken. 

§  143.  Was  ist  das  Glas?  Glas  ist  ein  Doppelsilikat, 
künstlich  zusammengeschmolzen  einerseits  aus  Kieselerde,  anderer- 
seits aus  Salzen  von  Alkalien  und  Erden,  auch  Schwermetalloxyden. 
Wenn  die  alten  Phönizier  zufällig  Entdecker  des  Glases  wurden, 
als  sie  Salpeter  und  Sand  zusammenschmolzen,  so  hatten  sie  im 
Salpeter  die  alkalische  Base  (Kali) ,  im  Sand  die  Kieselerde ,  mit 
kalkigen  und  thonigen  Beimengungen.  Auch  jetzt  noch  bestehen 
die  Hauptingredienzen  des  „Glassatzes"  aus  Sand,  Kalk-,  Magnesia- 
und  Thonerde-Gestein,  teils  mit  Pottasche,  teils  mit  Soda. 

Wir  unterscheiden  zwei  Glassorten:  Kaliglas,  welches  mit 
Pottasche  oder  Chlorkalium  bereitet  ist,  und  Natronglas,  wozu 
man  Soda  oder  Kochsalz  benutzt.  Das  weisse  französische  Glas 
ist  Natronglas  und  ausgezeichnet  durch  seine  leichte  Schmelz- 
barkeit; Kaliglas  schmilzt  schwieriger.  Das  schöne  Krystallglas 
ist  ein  Kaliglas  .mit  Bleisilikat,  ebenso  das  zu  optischen  Zwecken 
dienende  Flintglas,  das  zu  gleichem  Zweck  gebrauchte  Crownglas 
dagegen  Kaliglas  mit  Kalksilikat. 

Farbige  Glassorten  entstehen  durch  Beimischung  gewisser 
Metalloxyde ;  so  ist  Eisenoxydul  im  grünen  Flaschenglas,  Eisenoxyd 
im  braunroten,  Kupferoxydul  im  rubinroten,  Kupferoxyd  oder  Chrom- 
oxyd im  grünen,  Kobaltoxyd  im  blauen  Glase  enthalten.  Milch- 
glas besitzt  beigemengte  Knochenasche  oder  Zinnoxyd. 

§  144.  Wie  gewinnt  man  die  Borsäure?  Die  Borsäure  kommt 
natürlich  vor  und  wird  in  Toskana  an  gewissen  Orten  gewonnen, 
wo  sie  von  Wasserdämpfen  (sog.  Fumarolen)  aus  der  Erde  geführt 
wird ;  diese  Dämpfe  brechen  aus  künstlich  angelegten  kleinen 
Seeen  (sog.  Lagoni)  hervor  und  schleudern  deren  Wassermassen  in 

Schliokum,  Ap  othe  kerlehr  ling.  1] 


—     162    — 

Strahlen  empor.  Man  legt  diese  Lagoni  als  terrassenförmig  über- 
einander gemauerte  Wasserbehälter  an ,  in  deren  "Wasser  die 
Borsäure  zurückgehalten  wird.  Durch  Abdampfen  der  Lösung 
gewinnt  man  sie  krystallisiert  und  verarbeitet  sie  mit  Soda  zu 
Borax  (doppeltborsaurem  Natron). 

Die  medizinisch  als  antiseptisches  (fäulniswidriges)  Mittel 
angewendete  Borsäure,  Acidum  boricum  (H3B03),  stellt  man 
durch  Zerlegung  des  Borax  mit  Salpetersäure  dar;  salpeter- 
saures Natron  bleibt  in  Lösung,  die  Borsäure  krystallisiert  aus. 
Sie  erscheint  in  durchsichtigen,  farblosen,  perlmutterglänzenden, 
sechsseitigen  Tafeln,  löst  sich  ziemlich  schwer  in  kaltem,  leicht 
in  heissem  Wasser  und  verflüchtigt  sich  teilweise  mit  den  Wasser- 
dämpfen, obgleich  sie,  für  sich  geschmolzen,  feuerbeständig  ist 
Ihre  wässerige  Lösung  rötet  Lackmuspapier  und  färbt  Curcuma- 
papier  (erst  nach  dem  Trocknen)  braunrot. 

Prüfung:  Die  wässerige  Lösung  der  Borsäure  darf  nicht  durch 
Baryumnitrat  oder  Silbernitrat  getrübt  (weiss:  Schwefelsäure  resp.  Salz- 
säure), noch  durch  H2S  verändert  (dunkle  Trübung:  Schwermetalle),  noch 
durch  Schwefelcyankalium  gerötet  (Eisen),  noch  durch  überschüssiges  Am- 
moniak gebläuet  (Kupfer)  werden. 

Schmilzt  man  die  Borsäure  für  sich,  so  bläht  sie  sich  unter 
Wasserverlust  stark  auf  zu  Metaborsäure  (HB02)  und  hinterlässt 
endlich  in  der  Rotglühhitze  wasserfreie  (anhydrische)  Bor- 
säure (B203)  als  farbloses  Glas*).  Freie  Borsäure  erteilt  der 
Weingeistflamme  eine  eigene,  gelbgrüne  Färbung  —  ihr  bestes 
Erkennungsmittel ! 

Mit  den  basischen  Oxyden  bildet  sie  bor  saure  (Borate), 

vorzugsweise  doppeltborsaure  (Biborate)  Salze,  die,  den 

Bisilikaten  analog,  aus  normalem  Salze  und  wasserfreier  Borsäure 

bestehen.     So  ist  der  Borax  doppeltborsaures  Natron: 

Na2B204    I    _/  w    E  Q 
B  0     (  ~  i-Na2.D4<j7. 

§  145.  Fluorverbindungen  von  Kiesel  und  Bor.  Die  Fluorwasser- 
stoffsäure ist  ein  sehr  gutes  Lösungsmittel  für  Kieselsäure  und  Borsäure, 
sowie  deren  Salze,  damit  zwei  gasförmige  Verbindungen  eingehend,  Fluor- 
kiesel (SiF4)  und  Fluorbor  (BF3).  Übergiesst  man  feingepulverten  Fluss- 
spat (Fluorcalcium)  und  Quarz  (oder  zerstossenes  Glas)  mit  konzentr. 
Schwefelsäure,   so  entweicht  Fluorkieselgas. 

Si02       +     2CaF2         2H2S04       =      SiF4     -f     2CaS04     +     2H20 
Kiesel-       Fluorcalcium  Schwefel-      Fluorkiesel    schwefelsaurer     Wasser, 
säure  säure  Kalk 


_0-H  _Q 

*)     1.   B— 0— H    =  B=n     w  +  H»°- 

2-  B-g_H=B+g_H     =    |>0     +     H20. 


—     163     - 

Dieses  Gas  ist  farblos,  raucht  an  der  Luft  (durch  Wasserdampfanziehung) 
und  zersetzt  sich  mit  Wasser  in  Kieselsäure  (welche  sich  abscheidet)  und 
Kieselfluorwasserstoffsäure  (2 HF  -|-  SiF4),  eine  saure  Flüssigkeit, 
welche  mit  Basen  eigene  Salze  bildet,  z.  B.  mit  Kali  Kieselfluorkalium 
(2KF  +  SiF4). 

3SiF4      +      4H20       =       H4Si04      +       (2  HF    +    SiF4) 
Fluorkiesel  "Wasser  Kieselsäure      Kieselfluorwasserstoffsäure. 

Das  Fluorbor  verhält  sich  völlig  analog  und  erzeugt  mit  Wasser  die  Bor- 
fluorwasserstoffsäure  (HF  -j-  BF3). 

Praktische  Übungen. 

Acidum  boricum.  Man  löse  5  Teile  Borax  in  15  Teilen  heissem 
Wasser  und  füge  6  Teile  reine  Salpetersäure  hinzu.  Beim  Erkalten  kry- 
stallisiert  die  Borsäure  in  Schuppen  aus.  Man  sammle  sie  auf  einem  locker 
verstopften  Trichter  und  trockne  auf  Fliesspapier. 

Stöchiometrische  Aufgabe. 

Wieviel  Borsäure  gewinnt  man  aus  1  Pfd.  Borax  (Na2B407  -j- 
10H2O)?  —  Antw.  (Na,B407  +  10H,O)  :  4  (H3B03)  =  (46  +  43,6  + 
112  +  180)  :  4  (3  +  10,9  +  48);  x  =  325  g. 


b)  Metalle. 

17.  Eigenschaften  und  Einteilung  der  Metalle. 

§146.  Was  versteht  man  unter  einem  Metalle?  Im  gewöhnlichen 
Leben  versteht  man  unter  einem  Metalle  einen  dichten,  schweren, 
undurchsichtigen,  glänzenden,  unlöslichen,  schmelzbaren,  unter 
dem  Hammer  dehnbaren  und  geschmeidigen,  die  Wärme  gut  fort- 
leitenden Körper.  Yon  dieser  Definition  müssen  wir,  seit  der 
Entdeckung  der  Leichtmetalle,  manchen  Punkt  streichen,  da  die 
letzteren  weder  in  der  Schwere ,  noch  in  der  Unlöslichkeit  mit 
den  altbekannten  Schwermetallen  übereinstimmen. 

So  bleiben  uns  noch  folgende  allgemeine  Eigenschaften 
der  Metalle  übrig: 

1.  Die  Metalle  sind  undurchsichtig  und  metallglänzend. 

Die  Metalle  sind  nicht  allein  im  festen  Aggregatzustande, 
sondern  auch  im  flüssigen,  geschmolzenen  Zustande  undurch- 
sichtig, wie  dies  das  Quecksilber  zeigt.  Feingeschlagenes  Gold 
(Blattgold)  schimmert  übrigens  mit  grünem  Lichte  durch,  wenn 
man  es  gegen  die  Sonne  hält. 

Der  Metallglanz  ist  vorzugsweise  den  polierten  Metall- 
flächen eigen  und  fehlt  dem  pulverigen  Metalle.  Reibt  man  aber 
ein  gepulvertes  Metall  unter  starkem  Drucke,  so  nimmt  es  wieder 
Glanz  an.  Der  Metallglanz  ist  wesentlich  an  die  Eigenschaft  der 
völligen  Undurch sichtigkeit  gebunden;  bei  durchsichtigen  oder 
auch  nur  durchscheinenden  Körpern  bezeichnet  man  den  Glanz 
als  Glasglanz,  Fettglanz  u.  s.  w. 

11* 


—     164    — 

2.  Die  Metalle  sind  schmelzbar. 

Während  das  Quecksilber  in  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig 
ist.  und  nur  unter  — 40°  fest  wird,  kommen  die  meisten  Metalle 
erst  in  der  Glühhitze  zum  Schmelzen.  Am  leichtflüssigsten  unter 
den  bekannteren  Schwermetallen  ist  das  Zinn ,  dessen  Schmelz- 
punkt bei  200  °  liegt ;  dann  folgen  das  Wismut ,  Blei  und  Zink. 
In  der  Weissglühhitze  (bei  1000°)  schmelzen  Kupfer,  Silber,  Gold; 
in  höherer  Temperatur  das  Eisen;  das  Platin  erst  im  Knall- 
gasgebläse Beim  Abkühlen  krystallisieren  viele  Metalle  im 
regulären  System. 

3.  Die  Metalle  sind  dehnbar  und  geschmeidig. 

Die  Metalle  besitzen  sehr  verschiedene  Geschmeidigkeit, 
Kupfer  und  Eisen  setzen  dem  Ziehen  und  Zerreissen  den  grössten 
Widerstand  entgegen,  sie  sind  am  zähesten,  Zink  und  Blei  da- 
gegen wenig  zähe,  aber  weich.  In  gewöhnlicher  Temperatur  lassen 
sich  die  Metalle  durch  Hämmern  dehnen,  wobei  sie  dichter  und 
spezifisch  schwerer  werden.  Dagegen  giebt  es  einige  Metalle  — 
Antimon,  Wismut,  Arsen  — ,  welche  unter  dem  Hammer  zer- 
springen und  sich  pulvern  lassen;  man  hatte  sie  deswegen  früher 
Halbmetalle  genannt.  Eisen  und  Platin  sind  ausgezeichnet 
durch  das  Vermögen,  in  der  Glühhitze  weich  zu  werden  und  sich 
dann  zusammen  seh  weissen  zu  lassen. 

4.  Die  Metalle  sind  gute  Leiter  für  Wärme  und  Elektrizität. 

Wenngleich  die  kompakte  Kohle  auch  die  Elektrizität  fort- 
leitet, so  geschieht  dies  doch  mehrere  tausendmal  schlechter  als 
beim  Eisen,  welches  seinerseits  zu  den  schlechteren  Elektrizitäts- 
leitern unter  den  Metallen  zählt.  Das  beste  Leitungsvermögen 
für  die  Elektrizität  besitzt  das  Silber,  nächstdem  Zink,  Gold  und 
Kupfer.    Die  Wärme  wird  von  keinem  Nichtmetalle  fortgeleitet. 

§  147.  Wie  teilt  man  die  Metalle  ein?  Man  teilt  die  Metalle 
zunächst  nach  ihrer  spezifischen  Schwere  in  zwei  grosse  Ab- 
teilungen : 

A.  Leichtmetalle,  deren  spez.  Gew.  unter  5  liegt, 

B.  Schwermetalle,  deren  spez.  Gew.  über  5  liegt. 
Während  Kalium  und  Natrium  auf  dem  Wasser  schwimmen, 

das  Aluminium  nur  2llimal  schwer  als  Wasser  ist,  übersteigt  das 
Gewicht  des  Eisens  und  Zinks  dasjenige  des  Wassers  7 mal,  das 
des  Silbers  und  Bleies  11  mal,  das  des  Quecksilbers  13 mal,  das 
des  Goldes  19  mal. 

A.  Die  Leichtmetalle  vermögen  alle  das  Wasser  zu  zer- 
setzen, den  Sauerstoff  an  sich  nehmend  und  den  Wasserstoff  frei 
machend.  Kalium  entwickelt  dabei  eine  solche  Wärme,  dass  das 
Wasserstoffgas  zur  Entzündung  gelangt  und  verbrennt.  Alumi- 
nium zersetzt   dagegen  nur  siedendes  Wasser  und  langsam.     Die 


—     165     — 

dabei  entstehenden  Oxydhydrate  (Hydroxyde)  lassen  eine   Unter- 
scheidung der  Leichtmetalle  in  drei  Gruppen  zu: 

a)  Alkalimetalle.   Ihre  Oxydhydrate,  Alkalien  genannt, 
lösen  sich  sehr  leicht  im  Wasser,  zerfliessen  sogar  an  der 
Luft;  auch  ihre  kohlensauren  Salze  sind  im  Wasser  löslich. 
Hierhin  Kalium,  Natrium,  Lithium. . 
Ihre  Oxyde  heissen:  Kali,  Natron,  Lithion. 

h)  Alkalische  Erdmetalle.  Ihre  Oxydhydrate,  alka- 
lische Erden  genannt,  lösen  sich  nur  schwierig  in 
Wasser,  erteilen  demselben  aber  alkalische  Reaktion  ;'y  ihre 
kohlensauren  Salze  lösen  sich  in  reinem  Wasser  nicht  auf. 

Hierhin :  Baryum ,  Strontium ,  Calcium ,  Magnesium.  Ihre 
Oxyde  heissen:  Baryt,  Strontian,  Kalk,  Magnesia. 

c)  Erdmetalle.  Ihre  Oxydhydrate,  Erden  genannt, 
lösen  sich  in  Wasser  nicht  auf. 

Hierhin:  Aluminium.  Sein  Oxyd  heisst  Thonerde. 
B.  Die  Schwerin etalle  vermögen  weder  in  gewöhnlicher 
Temperatur,  noch  in  der  Siedhitze  das  Wasser  zu  zerlegen.  Man 
teilt  sie  nach  der  Oxydierbarkeit  an  der  Luft  in  zwei  Gruppen: 
a)  Die  unedlen  Metalle  überziehen  sich  an  feuchter 
Luft  allmählich  mit  einer  Oxydschicht,  die  man  beim 
Eisen  Rost,  beim  Kupfer  Grünspan  nennt.  Ihre  Oxydhydrate 
lösen  sich  in  Wasser  nicht  auf.  —  Man  teilt  ihre  grosse  Zahl  in 
folgende  Untergruppen  ein: 

a)  Metalle,  welche  sich  in  verdünnten  Säuren  unter 
Wasserstoffentbindung  auflösen.  Sie  zersetzen  den 
Wasserdampf  in  der  Glühhitze. 

Hierhin :  Eisen,  Kobalt,  Nickel,  Mangan,  Chrom,  Zink,  Kadmium. 

ß)  Metalle,  welche  sich  nicht  in  verdünnten  Säuren  lösen, 
aber  von  der  Salpetersäure  unter  Stickoxy  dentbin- 
dung  zu  salpetersauren  Salzen  aufgelöst  werden. 

Hierhin:  Kupfer,  Blei,  Wismut. 

y)  Metalle,  welche  von  Salpetersäure,  unter  Stick- 
oxy dentbindung,  zwar  oxydiert,  aber  nicht  als  sal- 
petersaure Salze  aufgelöst  werden. 

Hierhin :  Zinn,  Antimon,  Arsen. 

b)  Die  edlen  Metalle  überziehen  sich  an  der  Luft 
mit  keiner  Oxydschicht,  sondern  bewahren  ihren  Glanz. 

Hierhin:  Quecksilber,  Silber,  Gold,  Platin. 

Yon  diesen  lösen  sich  die  ersteren  beiden  leicht  in  Salpeter- 
säure, unter  Stickoxydentbindung,  zu  salpetersauren  Salzen  auf. 
Gold  und  Platin  werden  aber  nur  von  Königswasser  (3  Teile 
Salzsäure    und    1  Teil   Salpetersäure)   zu  Chlormetallen  aufgelöst. 


166 


18.  Gewinnung  der  Metalle. 

§  148.  Wie  kommen  die  Metalle  in  der  Natur  vor?  Die  wenigsten 
Metalle  finden  sich  gediegen  in  der  Natur,  wie  das  Gold,  Pla- 
tin, Quecksilber  und  Wismut.  Die  grosse  Mehrzahl  kommt  ver- 
erzt,  teils  oxydisch,  teils  geschwefelt,  teils  in  Salz-Ver- 
bindung vor.  Die  Erze  bedürfen  daher  der  Reduktion,  um 
metallisch  zu  werden.  Je  nachdem  man  die  Metalle  gebraucht, 
ist  eine  solche  Reduktion  Gegenstand  eines  hüttenmännischen 
Betriebes  oder  wird  nur  in  den  Laboratorien  der  Chemiker  vor- 
genommen. 

Die  hüttenmännische  Metallgewinnung  benutzt  in  der  Regel 
die  Kohle,  seltener  ein  anderes  Metall,  wie  z.  B.  Eisen,  zur 
Reduktion.  In  den  chemischen  Laboratorien  kommen  zur  An- 
wendung: Alkalimetalle,  Oxydulsalze,  Wasserstoff- 
gas, der  elektrische  Strom.  Über  letzteren  wurde  das 
Nötige  schon  im  §  71  mitgeteilt. 

§  149.  Reduktion  der  Metalle  durch  Kohle.  Man  reduziert  alle 
oxydischen  Erze  im  hüttenmännischen  Betrieb  durch  Kohle, 
wobei  Kohlenoxydgas  oder  Kohlensäure  entweicht,  während  das 
reduzierte  Metall  zusammenschmilzt  zum  Metallkönig  (Regu- 
1  u  s),  wie  man  es  früher  nannte  —  woher  noch  jetzt  der  Ausdruck 
regulinisches  Metall  stammt.  Um  dieses  geschmolzene  Metall 
vor  dem  oxydierenden  Einflüsse  der  Luft  zu  schützen,  sorgt  man 
für  die  Bildung  einer  Schlacke,  die  auf  ihm  schwimmt.  Bedingung 
eines  guten  Verlaufs  des  Prozesses  ist  Leichtschmelzbarkeit  der 
Schlacke,  wodurch  ein  Zusammengehen  der  Metallpartikel  ermög- 
licht wird.  Die  Schlacke  ist  stets  eine  Art  Glas,  aus  den  sandigen  und 
erdig-kalkigen  Teilen  der  sog.  Gangart  gebildet.  Da  häufig  schwer- 
flüssige, erdige  Stoffe  zugegen  sind,  so  benutzt  man  in  den  meisten 
Eällen  einen  sog.  Zuschlag  zum  Erze,  indem  man  ihm  bald  Kalk, 
bald  Sand  beigiebt,  je  nachdem  die  Gangart  vorzugsweise  reich  an 
Quarz  oder  alkalischen  resp.  erdigen  Bestandteilen  ist.  Besondere 
sog.  Flussmittel,  die  bei  Arbeiten  im  kleinen  zur  Anwendung 
gelangen  (wobei  man  sich  der  Tiegel  bedient),  sind :  Borax,  Fluss- 
spat, Glas. 

Die  Reduktion  mit  Kohle  wird  im  kleinen  in  hessischen 
Tiegeln  vorgenommen,  worin  man  die  mit  Kohlenpulver  ge- 
mischten Oxyde  glüht;  oder  man  erhitzt  die  Oxyde  in  Graphit- 
tiegeln (Passauer  Tiegel). 

Die  hüttenmännische  Reduktion  geschieht  in  besonderen  Öfen, 
in  mehr  hohen  als  weiten  Schachtöfen,  in  denen  die  mit  Kohle 
gemischten  Erze  niedergeschmolzen  werden.  Bei  der  Eisengewinnung 
trägt  man  in  den  sog.  Hochofen  schichtweise  Erz  und  Kohle  ein ; 


.      —     167     — 

das  geschmolzene  Metall  sammelt  sich  im  unteren  Teile  und  wird 
von  Zeit  zu  Zeit  abgelassen. 

Bei  den  flüchtigen  Metallen,  Kalium,  Natrium  und  Zink,  ge- 
staltet sich  der  Prozess  zu  einer  Destillation.  Die  mit  Kohle  ge- 
mengten Erze  werden  in  Röhren  oder  Cylindern  geglüht,  aus 
denen  durch  seitlich  angebrachte  Abzüge  die  Metalldämpfe  in  die 
Vorlage  entweichen. 

Gelangen  Schwefelmetalle,  z.  B.  Grauspiessglanzerz 
(Sb2S3),  Blende  (ZnS),  Bleiglanz  (PbS),  zur  Verhüttung  mit  Kohle, 
so  müssen  sie  zuyor  entschwefelt  und  in  oxydische  Erze  verwan- 
delt werden.  Man  nennt  diesen  Prozess  Rösten  und  führt  ihn 
entweder  in  Flammenöfen  oder  in  Rösthaufen  (Stadeln)  aus.  Das 
Rösten  besteht  im  Abbrennen  des  Schwefels  durch  den  Sauerstoff 
der  Luft,  wobei  schweflige  Säure  entweicht,  während  das  Metall 
sich  oxydiert.  In  Flammen  Öfen  setzt  man  die  schwefelhaltigen 
Erze  der  Einwirkung  der  Flamme  aus;  die  Rösthaufen  formiert 
man  in  Form  abgestumpfter  Pyramiden  aus  abwechselnden  Schichten 
von  Erz  und  Brennmaterial,  welches  man  entzündet.  Dabei  darf 
die  Erhitzung  nicht  bis  zum  Schmelzen  der  Masse  gesteigert 
werden.  Das  geröstete,  oxydische  Erz  schmilzt  man  schliesslich 
mit  Kohle  im  Schachtofen  nieder. 

§  150.  Reduktion  durch  ein  anderes  Metall.  Wenn  man  einer  Me- 
tallverbindung ein  anderes  Metall  zusetzt,  welches  mit  grösserer 
Affinität  ausgerüstet  ist,  so  setzt  sich  das  letztere  in  äquivalenter 
Menge  an  die  Stelle  des  ersteren,  es  metallisch  ausscheidend.  So 
vermögen  Zink  und  Eisen  alle  übrigen  Schwermetalle  aus  ihren 
Salzen  zu  verdrängen.  Legt  man  einen  Eisenstab  oder  Zinkblech 
in  eine  Kupferlösung,  so  wird  Kupfer  darauf  abgeschieden  und 
eine  äquivalente  Menge  Eisen  resp.  Zink  aufgelöst. 
CuS04      +    Fe    =    Cu      +       FeS04 

schwefelsaures  Eisen  Kupfer  schwefelsaures 

Kupferoxyd  Eisenoxydul. 

Man  kann  die  Schwermetalle  nach  folgender  Reihe  ordnen, 
in  der  jedes  Glied  die  nachfolgenden  aus  ihren  Verbindungen  aus- 
scheidet, durch  die  vorhergehenden  aber  selbst  ausgeschieden  wird: 

Zink  und  Eisen,  Zinn,  Kupfer,  Wismut,  Antimon,  Queck- 
silber, Silber,  Gold. 

Legt  man  eine  Kupfermünze  in  eine  Quecksilber-  oder  Silber- 
lösung, so  überzieht  sie  sich  bald  mit  einer  weissen  Metallschicht. 

Hüttenmännisch  wird  diese  Methode  beispielweise  beim  Blei- 
glanz, Spiessglanz  und  anderen  Schwefelmetallen  benutzt,  welche 
man  mit  Eisen  zusammenschmilzt.  Über  dem  regulinischen  Blei, 
Antimon  u.  a.  schwimmt  das  gebildete  Schwefeleisen  als  Schlacke. 
PbS     +    Fe    =    Pb    +    FeS 

Schwefelblei  Eisen  Blei  Schwefeleisen. 


—     168     - 

Die  Metalle  der  Erden,  z.  B.  das  Aluminium  und  Magnesium, 
gewinnt  man  durch  Schmelzen  ihrer  Chloride  oder  Fluoride  mit- 
telst Natriums,  wobei  Chlor-  resp.  Fluornatrium  das  regulinische 
Metall  als  Schlacke  bedeckt. 

§  151.  Reduktion  durch  Wasserstoffgas.  Sämmtliche  Schwermetalle 
werden  in  höherer  Temperatur  durch  »Wasserstoffgas  reduziert; 
die  Oxyde  liefern  dabei  Wasser,  die  Schwefelmetalle  Schwefel- 
wasserstoffgas : 

Fe203      +     6H    =    2Fe     +     3H20 

Eisenoxyd  Wasserstoff  Eisen  Wasser 

Sb2S3      +     6H     =    2Sb     +     3H2S 

Schwefelantimon  Wasserstoff  Antimon        Schwefelwasserstoff 

Man  leitet  das  Wasserstoffgas  über  die  erhitzte  Metallverbind- 
ung. Pulveriges  Metall  bleibt  zurück.  Bei  den  oxydischen  Ver- 
bindungen gelingt  diese  Reduktion  noch  beim  Eisen  und  Zink, 
aber  weder  beim  Mangan ,  noch  bei  den  Leichtmetallen ,  welche 
in  umgekehrter  Weise  mit  Leichtigkeit  das  Wasser  zersetzen.  Bei 
den  Schwefelmetallen  ist  die  Reduktion  durch  Wasserstoffgas  nicht 
in  dem  Umfange  statthaft  wie  bei  den  Oxyden  und  gelingt  schon 
beim  Schwefelkupfer,  Schwefeleisen  und  Schwefelzink  nicht  mehr. 


19.  Kalium  und  seine  Verbindung. 

§  152.  Eigenschaften  und  Gewinnung  des  Kaliums.  Das  Kalium*) 
ist  ein  weiches,  mit  dem  Messer  schneidbares,  auf  frischer  Schnitt- 
fläche glänzendes  Matall,  welches  sich  an  der  Luft  sehr  schnell 
oxydiert  und  deshalb  unter  Steinöl  aufbewahrt  wird.  Auf  dem 
Wasser  schwimmt  es,  zischend  hin  und  her  fahrend  und  das  ent- 
wickelte Wasserstoffgas  infolge  der  starken  Erhitzung  entzündend ; 
dabei  löst  sich  Kaliumhydroxyd  (Kalihydrat)  im  Wasser  auf. 
K    +    H20     =     KHO      +    H 

Kalium  Wasser  Kaliumhydroxyd      Wasserstoff. 

Beim  Erhitzen  schmilzt  das  Kalium  (bei  62°)  zu  einer  queck- 
silberähnlichen Flüssigkeit,  welche  sich  in  noch  höherer  Temperatur 
verflüchtigt ;  bei  Luftzutritt  verbrennen  seine  Dämpfe  mit  violetter 
Flamme  zu  Kaliumoxyd  (Kali).  Mit  derselben  violetten  Flamme 
verflüchtigen  sich  alle  Kaliumsalze. 

Das  Kalium  wurde  nebst  dem  Natrium  zuerst  1807  von 
H.  Davy  mittelst  galvanischer  Zersetzung  des  Kali's  isoliert;  es 
findet  sich  nicht  frei  in  der  Natur,  aber  vielfach  in  Salzverbind- 
ungen, zumal  mit  Kieselsäure  und  Thonerde  als  Feldspat 
(Doppelsilikat    von    Kali    und    Thonerde),    ein   wesentlicher   Ge- 

*)  „Kali"  ist  arabischen  Ursprungs  (Aschensalz) ;  „Alkali"  heisst 
„das  Kali". 


—     169     - 

mengteil  im  Granit  (Urgebirge);  bei  dessen  Verwitterung  ge- 
langt das  Kali,  mit  der  Kohlensäure  der  Atmosphäre  sich  ver- 
bindend, im  Quellwasser  zur  Lösung,  wird  von  der  Pflanzenwelt 
aufgenommen  und  im  Pflanzenkörper  an  organische  Säuren  ge- 
bunden. Durch  Einäschern  der  Pflanzen  gewinnen  wir  es  wieder 
als  kohlensaures  Kali,  wesentlichsten  Bestandteil  der  Holzasche. 
Man  nannte  deshalb  das  Kali  in  früherer  Zeit  vegetabilisches 
Alkali.  Erhitzt  man  ein  inniges  Gemenge  von  kohlensaurem 
Kali  mit  Kohle  (wozu  man  den  verkohlten  Weinstein  benutzt)  in 
einer  eisernen  Flasche,  die  mit  seitlichem  Abzugsrohr  versehen 
ist,  so  reduziert  sich  das  Kalium,  seine  grünen  Dämpfe  verdichten 
sich  in  der  mit  Steinöl  versehenen  kupfernen  Vorlage  zu  Tropfen 
und  erstarren  darin. 

Das  Kalium  ist  ein  einwertiges  Metall,  welches  sich 
mit  den  Salzbildnern  zu  Haloi'dsalzen ,  mit  Sauerstoff  zu  einem 
Suboxyd,  Oxyd  und  Superoxyd  verbindet,  von  denen  nur  das 
Oxyd,  gewöhnlich  Kali  genannt  (K20)  und  dessen  Hydrat,  das 
Kaliumhydroxyd  (HKO)  für  uns  wichtig  sind.  Seine  Ver- 
bindungen bewirken  eine  Verstärkung  des  Herzschlags,  sind  da- 
her in  grossen  Gaben   gesundheitsgefährlich. 

Zut-  Darlegung  der  Kaliumverbindungen  diene  folgende  Zu- 
sammenstellung einiger  derselben*): 

KCl    Chlorkalium         K20    Kaliumoxyd         KHO    Kaliumhydroxyd 

KBr    Bromkalium        K2S     Kaliumsulfid        KHS    Kaliumhydrosulfid 

KJ      Jodkalium 

KN03    Kaliumnitrat  K2C03  Kaliumkarbonat 

KCIO3  Kaliumchlorat  K2S04  Kaliumsulfat. 

Erkennung  der  Kaliumverbindungen:  Von  den  Kalisalzen  zeichnen 
sich  durch  Schwerlöslichkeit  das  doppeltweinsaure  Kali  und  Kalium- 
platinchlorid aus,  daher  dienen  Weinsäure  und  Platinchlorid  als 
Reagentien  auf  Kali;  jene  erzeugt  einen  weissen,  dieses  einen 
gelben  Niederschlag,  im  Falle  die  Lösungen  nicht  zu  sehr  ver- 
dünnt sind.  Andererseits  erkennt  man  Kaliumverbindung  an 
der  violetten  Färbung,  welche  sie  der  Weingeistflamme  erteilen, 
wenn  man  sie  am  Öhr  des  Platin  drahts  in  dieselbe  einführt. 

§  153.  SauerstoflVerbindungen  des  Kaliums,  a)  Das  in  der  Holz- 
asche enthaltene  Kaliumkarbonat  oder  kohlensaure  Kali 
(K2C03)  wird  mit  Wasser  ausgelaugt,  zur  Trockne  eingedampft 
und  als  Pottasche  (Cineres  clavellati)  in  den  Handel  gebracht. 
Es  bildet  dann  eine  weisse,  oft  bläuliche,  stark  laugenhafte,  an 
der  Luft  feucht  werdende,   krümliche  Masse,   welche  mit  Säuren 

*)  Die  frühere  Äquivalentformel  war  für  das  Kali  (KO),  für  das  Kali- 
hydrat (KO,HO);  für  das  salpetersaure  Kali  (KO,N05),  für  das  schwefelsaure 
Kali  (KO,S03);  für  das  kohlensaure  Kali  (KO,C02);  für  das  doppeltkohlen- 
saure Kali  (KO,2C02). 


—     170     — 

stark  aufbraust  und  (nicht  selten  bis  zu)  J/3  —  i/b  schwefelsaures 
und  kieselsaures  Kali  sowie  Chlorkalium  enthält. 

Zur  Keinigung  davon  wird  das  rohe  kohlensaure  Kali  mit  gleich- 
viel "Wasser  zwölf  Stunden  stehen  gelassen,  die  klare  Lösung  von 
dem  Bodensatz  (schwefelsaurem  Kali)  abgegossen  und  in  einem 
eisernen  Kessel  zur  Trockne  verdampft.  Diese  gereinigte  Pott- 
asche ist  das  rohe  kohlensaureKali,  Kalium  carbonicum 
crudum  der  Pharm.  Germ.  II,  mit  noch  kleinen  Mengen  kieselsaurem 
Kali  und  Chlorkalium,  und  klarlöslich  in  gleichviel  Wasser.  Die  Pharm. 
Germ,  verlangt  mindestens  90%  K2C03  und  bestimmt  diesen  Ge- 
halt durch  massanalytische  Sättigung  mit  Normalsalzsäure. 

b)  Leitet  man  Kohlensäuregas  in  eine  klare  Pottaschelösung, 
so  krystallisiert  das  Kaliumbikarbonat  oder  doppeltkohlen- 
saure Kali,  Kalium  bicarbonicum  (KHC03),  aus;  die  Verun- 
reinigungen der  Pottasche  (Chlorkalium  u.  a.)  bleiben  in  der 
Mutterlauge. 

K\ro      -uro     -j-^ln   —   KHC03 
K/    tUs     +    t0a    +    H/   U   —   KHCO3 

Kaliumkarbonat  Kohlensäuregas        Wasser  Kaliunibikarbonat. 

Das  doppeltkohlensaure  Kali  stellt  farblose,  luftbeständige 
Prismen  dar.  Es  wird  bei  Bereitung  vieler  Kalipräparate  an  Stelle 
des  reinen  kohlensauren  Kalis  (welches  aus  ihm  erst  gebildet  wird) 
angewendet,  und  darf  in  ihm  (nach  Übersättigung  mit  Säure) 
weder  durch  Barytsalze  ein  Gehalt  an  schwefelsaurem  Kali,  noch 
durch  Silbersalze  Chlorkalium  nachgewiesen  werden;  auch  sei  es 
frei  von  Kaliumkarbonat. 

c)  Aus  dem  doppeltkohlensauren  Kali  gewinnt  man  durch  Er- 
hitzen in  einem  eisernen  Kessel  reines  kohlensaures  Kali, 
Kalium  carbonicum  (purum)  (K2C03),  wobei  Kohlensäuregas 
und  "Wasserdampf  entweichen.  Früher  bereitete  man  dieses  Salz 
durch  Verpuffen  von  "Weinstein  mit  Salpeter  und  nannte  es  Wein- 
steinsalz (Sal  Tartari,  Kali  carbonicum  e  Tartaro).  Eine 
33%  ige  wässerige  Lösung  des  reinen  kohlensauren  Kalis  ist  der 
Liquor  Kalii  carbonici,  mit  dem  spez.  Gew.  =  1,33. 

Prüfung  des  Kaliumkarbonats:  Die  wässerige  Lösung  darf  sich 
nicht  verändern  mit  Schwefelammonium  (dunkle  Färbung:  Eisen)  und 
kohlensaurem  Ammoniak  (weisse  Trübung:  Magnesia),  sie  muss  rein  weiss 
gefällt  werden  durch  Silbernitrat  (Bräunung  beim  Erwärmen:  unter- 
schweflig  säur  es  Kali);  die  angesäuerte  Lösung  darf  nicht  getrübt  werden 
durch  H2S  (schwarz:  Kupfer,  Blei),  Baryumnitrat  (weiss:  schwefelsaures 
Kali),  Silbernitrat  (weiss:  Chlorkalium);  ausserdem  wird  es  geprüft  auf 
Cyankalium  und  Salpeter  durch  Eisensalze. 

d)  Wird  in  eine  siedende  Pottaschelösung  gelöschter  Kalk  ein- 
getragen, so  scheidet  sich  kohlensaurer  Kalk  aus,  während  Kali- 
hydrat (KHO)  in  Lösung  bleibt: 

K03C2     +     Ca2HO     =     CaC03     -+-    2KHO 

kohlensaures  Kali        Kalkhydrat  kohlensaurer  Kalk        Kalihydrat. 


—     171     - 

Man  dampft  die  klar  abgegossene  Flüssigkeit  bis  zum  spez. 
Gew.  1,144  ein,  wo  sie  nahezu  15%  KHO  enthält  und  die  Kali- 
lauge, Liquor  Kali  caustici,  darstellt.  Dampft  man  sie  in 
silbernen  Schalen  soweit  ein,  dass  die  Masse  ruhig  schmilzt,  und 
giesst  sie  in  Stangenformen,  so  erhält  man  das  geschmolzene 
Ätzkali,  Kalium  causticum  fusum ,  in  Form  weisser,  stark 
ätzender,  an  der  Luft  zerfliessender  Stängelchen. 

Beide  Präparate  dürfen,  mit  Säure  übersättigt,  nicht  gefällt  werden 
durch  Silbernitrat  (weiss:  Chlorkalium)  oder  Baryuinnitrat  (weiss:  schwefel- 
saures Kali);  sie  dürfen  nur  so  wenig  Kohlensäure  enthalten,  dass  nach 
dem  Kochen  mit  der  4  resp.  15  fachen  Menge  Kalkwasser  das  Filtrat  mit 
Säure  nicht  mehr  aufbrause.  Auf  Salpeter  werden  sie  mit  Eisenvitriol- 
lösung geprüft. 

e)  Das  Kaliumnitrat  oder  salpetersaure  Kali,  Kalium 
nitricum  (KN03),  gewöhnlich  Salpeter  (Nitrum)  genannt,  findet 
sich  fertig  gebildet  in  der  Natur,  zumal  in  Ostindien.  Ein  farb- 
loses ,  leicht  in  Wasser ,  nicht  in  Weingeist  lösliches  Salz ,  von 
kühlend  salzigem  Geschmack,  krystallisiert  in  sechsseitigen,  ge- 
streiften und  zugespitzten  Säulen,  deren  Grundfläche  ein  Rhom- 
bus ist.  Es  ist  ein  wesentlicher  Gemengteil  des  Schiesspulvers 
(75%  Salpeter,  12%  Schwefel,  13%  Kohle),  bei  dessen  Yerpuffung 
die  Kohle  zu  Kohlensäure  oxydiert  wird ;  der  Schwefel  bleibt  mit 
dem  Kalium  als  Schwefelkaüum  zurück,  der  Stickstoff  entweicht 
gasförmig.  Auf  glühende  Kohlen  gestreut,  ruft  der  Salpeter  eine 
ähnliche  Verpuffung  unter  Funkensprühen  hervor.  Für  sich  ge- 
glüht, verliert  er  Sauerstoff,  wird  erst  zu  salpetrigsaurem  Kali, 
schliesslich  zu  Kali  (K20) ;  sein  Glührückstand  besitzt  daher  stark- 
alkalische Eigenschaften.     (Unterschied  vom  chlorsauren  Kali). 

Prüfung  des  Salpeters:  Seine  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  durch 
H2S  (dunkel:  Kupfer,  Blei),  Silbernitrat  (weiss:  Chlornatrium,  die  gewöhn- 
lichste Verunreinigung  des  Salpeters),  Baryumnitrat  (weiss:  schwefel- 
saures Kali), 

f)  Das  Kaliumsulfat  oder  schwefelsaure  Kali,  Kalium 
sulfuricum  (K2S04),  früher  Doppelsalz  (Sal  duplicatum), 
auch  Tartarus  vitriolatus  genannt,  ist  ein  Nebenprodukt  bei 
der  Pottaschereinigung,  bei  der  Destillation  der  Salpetersäure  und 
anderen  Operationen.  Ein  hartes ,  luftbeständiges,  farbloses  Salz 
in  rhombischen  Säulen,  welches  sich  in  Wasser  ziemlich  schwer  löst. 

Prüfung  des  Kaliumsulfats:  Die  Lösung  darf  sich  nicht  trüben 
durch  Schwefelammonium  (schwarz:  Eisen,  Blei,  Kupfer),  noch  durch  Am- 
moniumoxalat  (weiss:  Kalk),  noch  durch  Silbernitrat  (weiss:  Chlorkalium); 
auch  wird  sie  mit  Eisenvitriol  auf  Salpeter  geprüft. 

g)  Das  Kaliumchlorat  oder  chlorsaure  Kali,  Kalium 
chloricum  (KC103),  krystallisiert  in  weissen,  glänzenden  Blättchen 
oder  Tafeln,  welche  sich  in  kaltem  Wasser  etwas  schwer  lösen.  Es 
bildet  sich  beim  Einleiten  von  Chlorgas  in  heisse  Kalilauge ;  dabei 


-     172     — 

entstehen  chlorsaures  Kali  und  Chlorkaliuni;  ersteres  krystallisiert 

als   schwerlösliches  Salz  aus,   letzteres  bleibt  in  der  Mutterlauge. 

6KHO     +    6C1    ==    KCIO3     +    5KC1    +    3H20 

Kalihydrat  Chlor  Kaliumchlorat         Chlorkalium  Wasser. 

Das  chlorsaure  Kali  giebt  beim  Erhitzen  seinen  ganzen  Sauer- 
stoffgehalt ab-,  sich  in  Chlorkalium  verwandelnd;  wenn  es  mit 
brennbaren  Körpern  (Schwefel,  Kohle,  Phosphor,  Schwefel  metallen, 
Zucker,  Stärkemehl  u.  dgl.)  zusammengerieben  oder  geschlagen 
wird,  geschieht  dies  unter  heftiger  Explosion,  so  dass  man  solche 
Mischungen  nur  mit  äusserster  Vorsicht  anfertigen  darf.  Man 
zerreibe  stets  das  chlorsaure  Kali  für  sich  und  mische  es 
dem  übrigen  Gemenge  leichthin  mit  dem  Löffel  (!)  bei.  Auf 
glühende  Kohlen  geworfen,  verpufft  es  mit  violetter  Flamme  unter 
Funkensprühen  wie  der  Salpeter.  Man  benutzt  es  zu  bengalischem 
Feuer*),  sowie  zu  den  schwedischen  Zündhölzchen,  deren  mit  chlor- 
saurem Kali  und  Schwefelantimon  bestrichene  Köpfe  an  einer 
amorphen  Phosphor   enthaltenden    Reibfläche  gestrichen   werden. 

Prüfung  des  Kaliumchlorats:  Seine  Lösung  darf  nicht  getrübt 
werden  durch  H2S  (dunkel:  Kupfer,  Blei),  oxalsaures  Ammoniak  (weiss: 
Kalk),  Silbernitrat  (weiss;  Chlor kalium);  geglüht  darf  es  keinen  alkalisch 
reagierenden  Rückstand  hinterlassen  {Salpeter). 

h)  Das  essigsaure  Kali  oder  Kaliumacetat,  Kalium  ace- 
ticum  (KC2H302),  ist  ein  weisses,  sehr  leicht  zerfliessliches  Salz, 
dessen  33%  wässerige  Lösung  den  Liquor  Ealii  acetici  dar- 
stellt. Sowohl  das  trockne  Salz  wie  seine  Lösung  wird  durch 
Sättigung  des  doppeltkohlensauren  Kalis  mit  verdünnter  Essig- 
säure gewonnen,  wobei  die  Kohlensäure  entweicht. 

KHCO3  +  H(CH302)  =  K(CH302)  +  H,0   +   CO, 

Kaliumbikarbonat      Essigsäure  Kaliumacetat  Wasser        Kohlensäure 

Prüfung:  Die  wässerige  Lösung  des  Kaliumacetats  darf  sich  nicht 
trüben  durch  H2S  (schwarz:  Blei,  Kupfer)  oder  Schwefelammonium  (schwarz: 
Eisen);  die  angesäuerte  Lösung  desgleichen  nicht  durch  Baryum-  und 
Silbernitrat  (weiss:  Kaliumsulf at  resp.   C/^örkalium). 

§  154.  Haloidsalze  des  Kaliums.  Löst  man  Brom  resp.  Jod  in 
Kalilauge  auf,  so  entsteht  Brom-  resp.  Jodkalium,  neben  brom- 
saurem oder  jodsaurem  Kali;  wird  die  gewonnene  Lösung  zur 
Trockne  verdampft  und  mit  etwas  Holzkohlenpulver  schwach  ge- 
glüht, so  reduziert  sich  das  bromsaure  resp.  jodsaure  Kali  zu  Brom- 
resp.  Jodkalium.  Beim  Auflösen  des  Glührückstandes  resultiert 
dann  eine  reine  Bromkalium-  resp.  Jodkaliumlösung,  aus  der  das 
Salz  durch  Krystallisation  gewonnen  wird. 

*)  Rotfeuer  aus  662/3°/o  salpetersaurem  Strontian,  22°/0  Schwefel, 
3°/0  Kohle,  8^3  0/0  chlorsaurem  Kali. 

Weissfeuer  aus  69 °/0  Salpeter,  21  °/0  Schwefel,  10°/0  Schwefelantimon. 

Grünfeuer  aus  57%  salpetersaurem  Baryt,  1 9  °/0  Schwefel,  24°/0 
chlorsaurem  Kali. 


-     173     — 


I.     6KH0     +    6J 

=    5KJ    +    KJO3     + 

3H2C 

Kalihydrut                 Jod 

Jodkalium          jodsaures  Kali 

Wasser 

II.     KJÖ3      -j-    3C 

=     KJ     +     3C0 

jodsaures  Kali             Kohle 

Jodkalium        Kohlenoxydgas. 

Das  Bromkalium,  Kalium  bromatum  (KBr),  sowie  das 
Jodkalium,  Kalium  jodatum  (KJ),  stellen  einander  sehr  ähnliche, 
weisse,  kubische  Kry stalle  dar,  die  sich  leicht  in  Wasser,  schwie- 
riger in  Weingeist  auflösen. 

Prüfung  von  Brom-  und  Jodkalium:  Das  Salz  darf  befeuchtetes 
Lackmuspapier  nickt  bläuen  (kohlensaures  Kali),  am  Ökr  eines  Platin- 
drahts erhitzt  die  Flamme  nicht  gelb  färben  (Natrium),  noch  durch  verd. 
Schwefelsäure  sich  gelb  färben  resp.  Stärkelösung  bläuen  (Rückhalt  an 
bromsaurem  resp.  jodsaurem  Kali,  durch  welche  Brom  resp.  Jod  frei  ge- 
macht und  die  Flüssigkeit  färben  würde).  Man  prüft  das  Bromkalium 
auf  einen  Gehalt  1.  an  Chlorkalium  durch  Titrieren  mit  Zehntelnormal- 
Silberlösung;  ein  grösserer  Gebrauch  derselben  zeigt  nämlich  Chlor  an, 
weil  dieses  wegen  seines  bedeutend  kleineren  Atomgewichtes  mehr  Silber- 
nitrat zur  Fällung  beansprucht,  als  das  Brom  mit  seinem  doppelt  so  hohen 
Atomgewicht  (Cl  =  35,5;  Br  =  80;  also  KCl  =  74,5;  KBr  =  119.  Mithin 
erfordert  KCl  anderthalb  soviel  AgN03  wie  KBr).  2.  An  Jodkalium  durch 
Versetzen  der  Lösung  mit  einigen  Tropfen  Eisenchlorid  und  Chloroform; 
letzteres  färbt  sich  bei  Gegenwart  von  Jod  violett.  —  Das  Jodkalium 
wird  auf  beigemischtes  Chlorkaltum  geprüft,  indem  man  seine  Lösung  in 
Ammoniak  durch  Silbersalpeter  ausfällt,  wobei  etwa  entstandenes  Chlor- 
silber im  Ammoniak  gelöst  bleibt,  nicht  aber  das  Jodsilber.  Säuert  man 
das  Filtrat  mit  Salpetersäure  an,  so  scheidet  sich  das  aufgenommene  Chlor- 
silber wieder  aus. 

§  155.  Schwefelverbindungen  des  Kaliums.  Das  Kalium  bildet  mit 
dem  Schwefel  ein  Monosulfid:  Einf ach-Schwefelkalium 
(K.2S),  und  4  Supersulfide :  Zweifach-,  Dreifach-,  Vierfach- 
und  Fünf f ach-Schwefelkalium  (K2S2,  K283,  K2S4,  K2S5,). 
Offizinell  sind  nur  Gemenge  dieser  Supersulfide  mit  schwefelsaurem 
Kali,  wie  man  sie  durch  Zusammenschmelzen  von  2  Teilen  Pott- 
asche mit  1  Teil  Schwefel  gewinnt.  Wegen  der  leberbraunen  Farbe 
der  geschmolzenen  Masse  wurde   sie  Schwefelleber  genannt. 

4K2C03     +     10S    =    K2S04     -f-    3K2S3     +    4C02 

Kaliumkarbonat  Schwefel  Kaliumsultat  Kaliumtrisulfid         Kohlensäure. 

Die  gewöhnliche  Schwefelleber  Kalium  sulfuratum  (ad 

balneum),  aus  roher  Pottasche  und  sublimiertem  Schwefel  bereitet, 
ist  zu  Waschwasser  und  Schwefelbädern  bestimmt. 

Das  reine  Kalium  sulfuratum,  aus  reinem  kohlensauren 
Kali  und  gereinigten  Schwefelblumen  bereitet,  dient  zum  inner- 
lichen Gebrauch. 

Sie  stellen  grünlich  gelbe,  an  der  Luft  zerfliessliche  und  nach 
Schwefelwasserstoff  riechende,  in  Wasser  völlig  lösliche  Stücke  dar. 
Weingeist  nimmt  nur  das  Dreifach -Schwefelkalium  mit  gelbroter 
Farbe  auf.  Unter  schlechtem  Verschluss  oxydiert  sich  die  Schwefel- 
leber allmählich  zu  geruchlosem,  weisslichem,  unterschwefligsaurem 
Kali  (K2S3  +  30  =  K2S203  +  S.) 


174 


Versuche. 

1.  Wasserzersetzung  durch  Kalium.  Man  werfe  ein  erbsen- 
grosses  Stückchen  Kalium  in  eine  Wanne  mit  Wasser;  es  fährt  zischend 
auf  dessen  Oberfläche  umher,  das  entweichende  Wasserstoffgas  entzündend 
und  die  Flamme  durch  sein  eigenes  Verdampfen  violett  färbend.  Schliess- 
lich zergeht  es  unter  Dekrepitation,  wogegen  man  sich  durch  eine  Glas- 
tafel  schützen  muss,  wenn  man  sich  nicht  in  gewisser  Entfernung  halten 
will.  Das  Wasser,  worin  sich  das  Kali  gelöst  hat,  bläuet  rotes  Lackmuspapier. 

2.  Verbrennung  von  Kalium.  Ein  kleines  Stück  Kalium  schmelze 
man  in  einem  eisernen  Pfännchen  über  der  Lampe;  es  entzündet  sich  bald 
nach  dem  Flüssigwerden  und  verbrennt  mit  violetter  Flamme  zu  Kali 
(K20),  einer  festen  Masse,  die  sich  in  wenig  Wasser  zu  einer  laugenhaften 
Flüssigkeit  auflöst. 

3.  Versuche  mit  chlorsaurem  Kali,  a)  Ein  linsengrosses  Stück- 
chen Phosphor  trockne  man  mit  Fliesspapier  ab  und  bedecke  es  an  einem 
feuersicheren  Orte  im  direkten  Sonnenlichte  mit  einer  Messerspitze  voll 
chlorsaurem  Kali ;  unter  starkem  Knall  wird  sich  der  Phosphor  entzünden. 
—  b)  In  ein  Champagnerglas  gebe  man  eine  Messerspitze  voll  chlorsaures 
Kali,  darauf  Wasser  und  ein  linsengrosses  Phospborstückchen;  nun  lasse 
man  aus  einer  Pipette  vorsichtig  englische  Schwefelsäure  zum  Salz  herab- 
fliessen,  es  entwickelt  sich  gelbes  Unterchlorsäuregas,  worin  der  Phosphor 
unter  Wasser  verbrennt. 

Praktische  Übungen. 

1.  Kali  carbonicum  purum.  Grobgepulvertes  doppeltkohlensaures 
Kali  erhitze  man  in  einem  (tarierten)  blanken  eisernen  Kessel,  unter  Um- 
rühren, so  lange  noch  Wasserdämpfe  entweichen,  bis  69  Proz.  restieren; 
den  Rückstand  bringe  man  noch  heiss  in  das  wohl  zu  verschliessende 
Standgefäss. 

2.  Liquor  Kali  caustici.  Man  lasse  2  Teile  Pottasche  mit  gleich- 
viel Wasser  über  Nacht  stehen,  giesse  dann  klar  ab,  koliere  den  Rest  und 
bringe  die  Flüssigkeit  in  einem  blanken  eisernen  Kessel  zum  Sieden,  nach- 
dem sie  mit  20  Teilen  Wasser  verdünnt  worden.  In  die  siedende  Lauge 
trage  man  1  Teil  gebrannten,  zuvor  mit  4  Teilen  Wasser  zum  Brei  ge- 
löschten Kalk  portionenweise  ein,  bis  eine  filtrierte  Probe  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  nicht  mehr  aufbraust.  Alsdann  hebe  man  den  Kessel  vom 
Feuer,  lasse  bedeckt  absetzen,  giesse  die  klare  Lauge  ab  (am  besten  mit 
einem  Heber),  rühre  den  Bodensatz  nochmals  mit  4  Teilen  Wasser  an  und 
dekantiere  ihn  nach  einiger  Zeit.  Die  vereinigten  Flüssigkeiten  koche 
man  in  dem  gereinigten  Kessel  bis  auf  etwa  4  Teile  ein,  sodass  ihr  spez. 
Gewicht  1,33  betrage. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Prozent  kohlensaures  Kali  hinterlässt  doppeltkohlensaures 
Kali  beim  Erhitzen?  —  Antw.  2KHC03  :  K,C03  =  2  (39  +  1  +  12  + 
48)  :  (78  -4-  12  -+-  48);  x  =  69  Prozent. 

2.  Weshalb  vermag  der  Kalk  dem  kohlensauren  Kali  die  Kohlen- 
säure zu  entreissen,  da  doch  das  Kali  die  stärkste  Base  ist?  —  Antw. 
Weil  der  kohlensaure  Kalk  unlöslich  in  der  Flüssigkeit  ist. 


—     175    - 

20.  Das  Natrium  und  seine  Verbindungen. 

§  156.  Was  ist  das  Natrium?  Das  Natrium*)  ist  ein  weisses, 
in  allen  Dingen  dem  Kalium  ähnliches  Metall,  aber  etwas  schwerer 
(spez.  Gew.  0,97) ,  mit  etwas  höherem  Schmelzpunkte  und  gelber 
Färbung  seiner  Dämpfe.  Man  gewinnt  es,  wie  das  Kalium,  durch 
Destillation  eines  Gemenges  aus  kohlensaurem  Natron  mit  Kohle. 
Kaltes  Wasser  wird  zwar  vom  Natrium  zersetzt ,  jedoch  gelangt 
dabei  das  entwickelte  Wasserstoffgas  nicht  zur  Entzündung;  bei 
Anwendung  heissen  "Wassers  tritt  Entzündung  ein,  und  das  Gas 
brennt  mit  der  gelben  Flamme  des  Natriums. 

Das  Natrium  ist,  gleich  dem  Kalium,  ein  einwertiges 
Metall,  dessen  Yerbindungen  mit  Sauerstoff:  Natron  (Na20,**), 
sowie  die  mit  Schwefel  (1  Monosulfid  und  4  Supersulfide)  und  den 
Salzbildnern  denen  des  Kaliums  entsprechen.  In  der  Natur  kommt 
es  vorzugsweise  an  Chlor  gebunden  —  Chlornatrium,  NaCl  —  vor, 
ausserdem  als  salpetersaures,  doppelt  borsaures  und  anderthalb 
kohlensaures  Salz.  Sein  Vorkommen  ist  also  vornehmlich  ein 
mineralisches,  während  das  Kali  dem  vegetabilischen  Reiche  an- 
gehört. In  früherer  Zeit  hiess  daher  das  Natron  Alkali  minerale. 

Erkennung  der  Natriumverbindungen :  Man  unterscheidet  die 
Natriumverbindungen  von  denen  des  Kaliums:  1.  durch  die  gelbe 
Färbung,  welche  sie  der  Weingeistflamme  erteilen;  2.  durch  ihre 
Leichtlöslichkeit  in  Wasser,  selbst  bei  dem  sauren  weinsauren  Natron. 

§  157.  Haloidsalze  des  Natriums.  1.  Das  Chlornatrium,  Na- 
trium chloratum  (NaCl),  findet  sich  a)  als  Steinsalz  in  oft 
mächtigen  Lagern  z.  B.  bei  Wieliczka  (bei  Krakau),  wo  es  berg- 
männisch in  grossen,  durchscheinenden,  farblosen  oder  rötlichen 
Stücken  gewonnen  wird;  b)  als  Seesalz  im  Meerwasser  (zu  2,5%), 
woraus  es  beim  Eindunsten  in  abgeschlossenen  Bassins  (an  der 
spanischen  und  französischen  Küste)  auskrystallisiert ;  c)  als  Koch- 
salz, gewonnen  aus  den  S alz  s ölen  (Solquellen)  durch  Ein- 
kochen. Letzteres  enthält  stets  mechanisch  eingeschlossenes  Wasser, 
sog.  Decrepitationswasser,  welches  beim  Erhitzen  ein  Yerknistern 
der  Salzkrystalle  verursacht. 

Gewinnung  des  Kochsalzes.  Salzsolen  von  höherem 
Gehalte  gelangen  sofort  zum  Versieden;  geringhaltige  unterwirft 
man  zuvor  einer  Konzentration,  indem  man  sie  wiederholt  durch 
hochaufgeschichtetes  Dornreisig  —  sog.  Gradierwerke  —  herab- 
träufeln  lässt,  wobei   die   durchstreifende  Luft   eine   bedeutende 

*)  Natrium  von  Trona,  dem  natürlich  vorkommenden  kohlensauren 
Natron. 

**)  Die  ältere  Äquivalentformel  war  für  Natron  (NaO),  für  Natronhydrat 
(NaO,HO),  kohlensaures  Natron  (NaO,C02),  schwefelsaures  Natron  (NaO,S03). 


—     176     — 

Verdunstung  veranlasst.  Der  in  der  Sole  enthaltene  kohlensaure 
Kalk  setzt  sich  dabei  fest  auf  das  Reisig  an.  Ist  der  Salzgehalt 
auf  15—20%  gestiegen,  so  ist  die  Sole  siedwürdig  und  kommt 
zum  Yersieden.  Das  Salz  krystallisiert  dabei  in  kleinen,  treppen- 
förmig  gehäuften  Würfeln. 

Das  Steinsalz  ist  das  reinste  der  genannten  Sorten.  Das  Koch- 
salz, noch  mehr  das  Seesalz,  führen  meistens  Chlormagnesium  und 
bekunden  dies  durch  ihr  Feuchtwerden  an  der  Luft.  Man  reinigt 
das  Kochsalz  durch  Versetzen  seiner  Lösung  mit  etwas  Soda, 
worauf  die  von  der  abgeschiedenen  kohlensauren  Magnesia  ab- 
filtrierte Flüssigkeit  zur  Trockne  verdampft  wird. 

Prüfung:  Die  Lösung  des  Chlornatriurns,  mit  Ammoniak  versetzt, 
darf  weder  mit  phosphorsaurem  Natron,  noch  mit  oxalsaurem  Ammoniak 
eine  Trübung  geben  {Magnesium,  Calcium);  sie  muss  auf  Zusatz  von 
Schwefelwasserstoffwasser  sowi.e  von  Scbwefelammonium  klar  bleiben 
(Trübung :  Schwermetalle !) . 

"Wasser  löst  etwa  seinen  dritten  Teil  Chlornatrium  auf  und 
zwar  —  was  bemerkenswert  ist  —  in  der  Siedhitze  nur  wenig 
mehr  als  in  gewöhnlicher  Temperatur.  Eine  heissgesättigte  Lösung 
lässt  daher  beim  Abkühlen  kein  Salz  auskrystallisieren. 

2.  Das  Bromnatrium,  Natrium  bromatum  (Na  Br),  ist 
ein  in  Wasser ,  auch  in  Weingeist  lösliches ,  weisses  Salzpulver, 
welches  analog  dem  Bromkalium  dargestellt  und  in  ähnlicher  Weise 
auf  seine  Reinheit  geprüft  wird. 

3.  Das  Jodnatrium,  Natrium  jodatum  (NaJ),  stellt  ein 
weisses,  an  der  Luft  leicht  feucht  werdendes,  in  Wasser  und  in 
Weingeist  leicht  lösliches  Salzpulver  dar.  Seine  Darstellung  und 
Prüfung  stimmt  mit  derjenigen  des  Jodkaliums  vollständig  über- 
ein. Man  kann  das  Jodnatrium  auch  in  ausgebildeten  Krystallen 
erhalten ;  dieselben  enthalten  2  Moleküle  Krystallwasser  und  ver- 
wittern sehr  schnell. 

§  158.  Sauerstofiverbindungen  des  Natriums,  a)  Aus  dem  Koch- 
salz bereitet  man  zunächst  durch  Zersetzung  mit  Schwefelsäure 
in  Flammenöfen  das  Natriunisulfat  oder  schwefelsaure 
Natron,  Natrium  sulfuricum  (NaäS04  +  10  aq.),  gewöhnlich 
nach  seinem  Entdecker,  dem  Arzte  Glaub  er  (1604 — 1670), 
Glaubersalz  (Sal  mirabile  Glauberi),  genannt.  Dieses 
Salz  krystallisiert  in  wasserhellen,  schiefen  rhombischen  Säulen 
mit  10  Molekül  Krystallwasser. 

2NaCl     +     H2S04    =    Na2S04    +     2HC1 

Chlornatrium  Schwefel-  schwefelsaures  Chlor- 

säure Natron  Wasserstoff. 

Die  Glaubersalzkrystalle  lösen  sich  im  Wasser  leicht  auf,  am 
meisten  bei  lauer  Wärme,  worin  das  Wasser  sein  drei- 
faches  Gewicht  von   dem  Salze  löst;  von  Weingeist   werden 


-     177     — 

sie  nicht  aufgenommen.  Um  beigemengtes  Chlornatrium  völlig  zu 
entfernen,  reinigt  man  das  rohe  Glaubersalz  durch  Umkry- 
stallisierung  aus  heissgesättigter  Lösung. 

Prüfung:  Die  Lösung  des  Natriumsulfates  darf  weder  getrübt  werden 
durch  H2S  resp.  Schwefelammonium  (dunkle  Trübung:  Kupfer  und  Blei, 
resp.  Eisen),  noch  durch  oxalsaures  Ammoniak  (weiss:  Kalk);  mit  Ammoniak 
versetzt  auch  nicht  durch  phosphorsaures  Natron  (weiss :  Magnesia).  Silber- 
nitrat darf  sie  höchstens  etwas  trüben  (weiss:  Chlornatrium). 

Beim  Erhitzen  schmilzt  das  Glaubersalz  leicht  in  seinem  Kry- 
stallwasser  und  wird  nach  dessen  Yerjagung  bei  100  °  wieder  fest 
(zu  wasserfreiem  schwefelsauren  Natron). 

An  trockener  Luft  verwittert  das  Glaubersalz,  unter  Verlust 
seines  Krystallwassers  (56%),  und  zerfällt  schliesslich  zu  einem 
weissen,  nur  das  halbe  Gewicht  betragenden  Pulver,  dem  ge- 
trockneten Glaubersalz,  Natrium  sulfuricum  siccum 
(Na2S04).     Man  gebraucht  dasselbe  zu  Pulvermischungen. 

b)  Das  Natriumkarbonat  oder  kohlensaure  Natron 
(Na2C03  -f- 10  aq.),  gemeinlich  Soda  genannt,  wurde  früher  aus- 
schliesslich aus  der  Asche  von  Seetangen  (Varech)  und  gewisser 
Strandpflanzen  z.  B.  Salsola-  und  Salicornia-Arten  (Barilla  in 
Spanien,  Salicor  und  Blanquette  in  Frankreich)  gewonnen;  es 
findet  sich  als  anderthalbkohlensaures  Salz  (sog.  T  r  o  n  a)  in  einigen 
Seeen  der  Berberei.  Die  grosse  Menge  der  Soda,  welche  jetzt 
gebraucht  wird,  bereitet  man  künstlich  aus  dem  Glaubersalz,  nach 
folgender,  1791  von  Le  Blanc  erfundener  Methode: 

Sodafabrikation.  Das  aus  Kochsalz  und  Schwefelsäure 
erzielte  schwefelsaure  Natron  wird  mit  Kohle  und  kohlensaurem 
Kalk  (Kalkstein,  Kreide)  innig  gemengt  und  in  Flammöfen  ge- 
glüht. Dabei  wirkt  die  Kohle  reduzierend  auf  das  schwefelsaure 
Natron,  es  entsteht  Kohlenoxydgas  und  Schwefelnatrium;  letzteres 
setzt  sich  mit  dem  kohlensauren  Kalk  um  in  kohlensaures  Natron 
und  Schwefelcalcium : 
I.        Na2S04         +         4C  = 

Natxiumsulfat  Kohle 

IL         Na,S  +       CaC03      = 

Schwefelnatriuin  Calciumkarbonat 

Das  Schwefelcalcium  findet  noch  überschüssigen  kohlensauren 
Kalk  vor  und  verwandelt  sich  in  Calciumoxysulfid  (2CaS-|-CaO), 
welches  bei  der  nachfolgenden  Behandlung  der  Schmelzmasse  mit 
Wasser  ungelöst  bleibt,  während  das  kohlensaure  Natron  davon 
aufgenommen   wird   und   nach  dem  Eindampfen  auskrystallisiert. 

Die  im  Handel  vorkommende  Soda,  das  rohe  kohlensaure 
Natron,  Natrium  carbouicum  crudum,  ist  noch  mit  schwefel- 
saurem Natron  und  Chlornatrium  verunreinigt.  Durch  Um- 
krystallisierung  aus  heissgesättigter  Lösung  gewinnt  man  das 
reine  Natrium  carbonicum,  wobei  jene  Verunreinigungen  in  der 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  12 


Na2S         + 

4CÜ 

S  ch  we  f elnatrium 

Kohlenoxyd 

Na2C03       + 

CaS 

Natriumkarbonat 

Schwefelcalcium. 

—     178    — 

Mutterlauge  bleiben.  Die  Soda  erscheint,  wie  das  Glaubersalz, 
in  wasserhellen,  schiefen  rhombischen  Säulen,  welche  sich  in  lau- 
warmem Wasser  ebenso  leicht  wie  jenes  auflösen;  sie  unterscheidet 
sich  von  ihm  durch  ihren  langenhaften  Geschmack,  stark  alkalische 
Eeaktion  und  Aufbrausen  mit  Säuren. 

Prüfung:  Die  gereinigte  Soda  muss  frei  sein  von  Schwermetallen, 
darf  daher  mit  H2S-wasser  und  Schwefelammonium  keine  Trübung  geben; 
die  angesäuerte  Lösung  darf  weder  durch  Silber-,  noch  durch  Barytsalze 
getrübt  werden  (weiss:  Chlornatrium  resp.  schwefelsaures  Natron).  Die  nötige 
Alkalität  wird  durch  Sättigung  mit  Normalsalzsäure  festgestellt. 

An  trockner  Luft  verwittert  die  Soda,  unter  Yerlust  von 
Krystallwasser  (63%),  und  zerfällt  schliesslich  zu  einem,  das 
halbe  Gewicht  betragenden  weissen  Pulver,  der  trocknen  Soda, 
Natrium  carbonicum  siccum  (Na2C03+aq.).  Ganz  wasserfrei 
erhält  man  sie  nur  durch  stärkeres  Erhitzen.  Die  krystallisierte 
Soda  schmilzt  in  lauer  Wärme  in  ihrem  Krystallwasser ,  welches 
in  höherer  Temperatur  wegkocht  und  die  sog.  kalcinierte 
Soda  zurücklässt. 

c)  Leitet  man  Kohlensäuregas  in  eine  konz.  Sodalösung,  so 
krystallisiert  das  Natriumbikarbonat  oder  doppeltkohlen- 
saure Natron,  Natrium  bicarbonicum  (NaHC03),  in  Krusten  aus. 
Na2C03        +        H,0        -f        C02        =        2NaHC03 

Natriumkarbonat  Wasser  Kohlenoxyd  Natriumbikarbonat. 

Es  stellt  ein  weisses,  in  14  Teilen  Wasser  lösliches  Salz 
dar,  welches  beim  Erhitzen  Kohlensäure  verliert  und  wieder  zu 
neutralem  kohlensauren  Natron  wird. 

Das  sog.  englische  doppeltkohlensaure  Natron  ist  ein  lockeres 
Pulver,  welches  aus  verwitterter  Soda  gewonnen  wird,  indem 
man  dieselbe  in  Räumen,  wo  Wein,  Bier  u.  dgl.  gähren,  der 
Einwirkung  der  Kohlensäure  aussetzt.  Es  besitzt  stets  einen 
Rückhalt  an  einfach  kohlensaurem  Natron,  giebt  deshalb  mit 
Quecksilberchlorid  einen  ziegelroten  Niederschlag. 

Prüfung  des  Natriumbikarbonats:  Es  darf  mit  Natronlauge  kein 
Ammoniak  entwickeln;  die  übersäuerte  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  mit 
Silbernitrat  (weiss:  Chlornatrium),  Baryumnitrat  (weiss:  schwefelsaures 
Natron)  und  H2S  (dunkel:  Schwermetalle);  die  wässerige  Lösung  darf  sich 
durch  Quecksilberchlorid  nicht  rot  trüben  (einfach  kohlensaures  Natron). 
Wird  Kalkmilch  in  eine  siedende  Sodalösung  eingetragen, 
so  scheidet  sich  kohlensaurer  Kalk  aus,  und  das  Natron  wird  zu 
Ätznatron  oder  Natronhydrat  (NaHO): 

Na2C03         +       Ca2HO       =        2NaHO        +        CaC03 

kohlensaures  Natron  Kalkhydrat  Natronhydrat  kohlensaurer  Kalk. 

Die  vom  Bodensatz  abgegossene  und  zum  spezif.  Gew.  1,16 
eingedampfte  Flüssigkeit  ist  die  Ätznatronlauge,  Liquor  Natri 
caustici,  ein  der  Kalilauge  ähnliches,  ätzendes,  stark  alkalisches, 
schweres  Liquidum  mit  15  Proz.  NaHO. 

Man  prüft  die  Natronlauge  in  ähnlicher  Weise  wie  die  Kalilauge. 


—     179     — 

e)  Das  Natriumnitrat  oder  Salpetersäure  Natron, 
Natrium  nitricnm  (NaN03),  findet  sich  in  bedeutenden  Mengen 
in  Chili  und  Peru  natürlich,  unter  Thon  lagernd ;  daher  nennt  man 
das  Salz  Chilisalpeter  oder,  wegen  seiner  dem  Würfel  ähnlichen 
Krystallform  (Rhomboeder)  Nitrum  cubicum.  Man  reinigt  das 
sehr  unreine  rohe  Salz  durch  Umkrystalüsieren.  Die  wasserhellen 
Krystalle  lösen  sich  leicht  in  Wasser  und  schmecken  kühlend-salzig. 

Prüfung:  Die  wässerige  Lösung  des  Natriurnnitrats  darf  sich  nicht 
trüben  durch  Schwefelwasserstoffwasser  (dunkel:  Schwermetalle),  oxalsaures 
Ammoniak  (weiss:  Kalk),  Baryum  resp.  Silbernitrat,  (weiss:  schwefelsaures 
Natron  resp.  Chlornatrium);  mit  etwas  Zinnfeile  und  Salpetersäure  versetzt 
und  mit  Chloroform  geschüttelt,  darf  sich  letzteres  nicht  violett  färben, 
(jodsaures  Natron,  das  durch  das  Zinn  zu  Jodnatrium  reduziert  wird). 

f)  Leitet  man  schwefligsaures  Gas  in  eine  Sodalösung,  so 
entweicht  die  Kohlensäure  und  Natriumsulfit  oder  schweflig- 
saures Natron  (Na2S03)  wird  gebildet,  welches  man  beim  Ein- 
dampfen in  weissen  Krystallen  gewinnt.  Durch  Kochen  der  Lösung 
mit  Schwefelblumen  entsteht  Natriumthiosulfat  (Natriumhypo- 
sulfit) oder  unterschwefligsaures  Natron  (Na2S203),  welches 
in  grossen,  wasserhellen  Krystallen  mit  5H20  krystallisiert.  Beide 
Salze  gebraucht  man  in  der  Analyse. 

g)  Das  Natriumphosphat  oder  phosphorsaure  Natron, 
Natrium  phosphoricum  (Na2HP04  +  12  aq.),  wird  durch  Sätti- 
gung der  Soda  mit  Phosphorsäure  in  farblosen ,  leichtlöslichen 
und  leichtver witterbaren  Krystallen  erhalten  und  ist  ein  neutrales 
Salz ,  trotzdem  es  schwach  alkalisch  reagiert.  Es  wird  durch 
Silbernitrat  gelb  (Silberphosphat)  gefällt. 

Na2C03      +      H3P04      =      Na2HP04    +  H20     +    C02 

kohlensaures  Natron  ■     Phosphorsäure  phosphorsaures  Natron     Wasser        Kohlendioxyd. 

Prüfung:  Die  angesäuerte  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  durch  H2S 
(schwarz:  Kupfer,  gelb:  Arsen),  Baryumnitrat  (weiss:  schwefelsaures  Natron), 
Silbernitrat  (weiss :  Chlornatrium) ;  die  mit  Ammoniak  versetzte  Lösung  darf 
sich  nicht  trüben  durch  Schwefelammonium  (schwarz :  Eisen)  und  oxalsaures 
Ammoniak  (weiss:  Kalk);  auf  Arsen  wird  noch  besonders  durch  Zink  und 
Schwefelsäure  geprüft. 

Beim  Glühen  verliert  das  phosphorsaure  Natron  nicht  sowohl 
sein  Kry stallwasser,  sondern  auch  noch  ein  weiteres  halbes  Mol. 
ILO,  wodurch  es  in  pyrophosphorsaures  Natron,  Natrium 
pyrophosphoricum  (Na4P307)  übergeht.  (2Na2HP04  zerfallen 
in  Na4P207  und  H20.)  Dieses  Salz  krystallisiert  aus  seiner  Lösung 
in  luftbeständigen  Säulen  mit  10  Mol.  Wasser.  Es  wird  durch 
Silbernitrat  weiss  (Silberpyrophosphat)  gefällt. 

h)  Der  Borax,  Borax,  ist  doppeltborsaures  Natron 
(Na2B407  -j- 10  aq.).  Er  findet  sich  natürlich  (sog.  Tinkal)  in 
einigen  Seeen  Hochasiens ,  wird  aber  gewöhnlich  durch  Sättigung 
von  Soda  mit  Borsäure  bereitet,  da  er  als  Flussmittel  und  zum 
Löten   grosse  Verwendung  findet.     Seine  Krystalle   sind  farblos, 

12* 


—     180    — 

in  Wasser  ziemlich  schwierig,  in  Zuckersäften  leicht  löslich,  ober- 
flächlich verwitternd  und  von  alkalischer  Reaktion.  Beim  Erhitzen 
verlieren  sie  ihr  Wasser,  blähen  dabei  stark  auf  und  schmelzen 
schliesslich  zu  farblosem  Glase. 

Prüfung  des  Borax:  Die  wässerige  Lösung  darf  sich  nicht  trüben 
durch  H0S  (dunkel:  Schwermetalle)  und  kohlensaures  Ammoniak  (weiss: 
Kalk,  Magnesia) ;  die  angesäuerte  Lösung  desgleichen  nicht  durch  Baryum- 
nitrat  (weiss:  schwefelsaures  Natron)  und  Silbernitrat  (weiss:  Chlornatrium); 
auch  darf  die  Lösung  beim  Ansäuern  nicht  aufbrausen  {kohlensaures  Natron). 

i)  Das  Natronwasserglas,   Liquor   Natrii  silicici,  ist 

eine  dickflüssige  Lösung  von  kieselsaurem  Natron  (Natriumsilikat). 
Man  schmilzt  Quarz  mit  kalcinierter  Soda  zusammen,  wobei  die 
Kohlensäure  entweicht,  und  kocht  die  Schmelzmasse  mit  Wasser  aus. 
k)  Das  essigsaure  Natron,  Natriumacetat,  Natrium 
aceticum,  (NaC2H302-f-3aq.)  ist  ein  Salz  in  wasserhellen,  ver- 
witternden Säulen,  welche  sich  in  Wasser  leicht  lösen.  Man  stellt 
dieses  Salz,  welches  in  der  Färberei  in  grosser  Menge  zur  Beize 
gebraucht  wird  (unter  dem  Namen  Rotsalz),  durch  Sättigen  von 
Holzessig  mit  Soda  dar  und  reinigt  es  von  den  brenzlichen  Be- 
standteilen des  Holzessigs  durch  Erhitzen  und  wiederholtes  Um- 
krystallisieren. 

Prüfung:  Die  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  mit  Schwefelwasserstoff 
und  Schwefelammonium  (dunkel:  bchwermetalle),  Baryum-  und  Silbernitrat 
(weiss:  Natriums«//^  und  CA/ornatrium)  und  oxalsaurem  Ammoniak  (weiss: 
Äal&salze) . 

Versuche. 
Wasserzersetzung  durch  Natrium.  Man  werfe  ein  Stückchen 
Natrium  auf  Wasser ;  es  tährt  zischend  hin  und  her  und 
löst  sich  allmählich  auf,  schliesslich  dekrepitierend. 
Wendet  man  heisses  Wasser  an,  so  kommt  das  ent- 
wickelte Wasserstoffgas  zur  Entzündung  und  brennt 
durch  das  mit  verdampfende  Natrium  mit  gelber 
Flamme.  — ■  Um  das  Wasserstoffgas  aufzufangen, 
ä0&       |l!flIIP§^J  bringe   man   ein   Stückchen   Natrium   in    einen   um- 

\^BB^gBBjjr  gestürzten,    mit  kaltem  Wasser   völlig  angefüllten 

\%       - 1  Glascy linder  (Fig.   53),   am  besten    mit  Hilfe   eines 

gebogenen  Drahtes;    das  Metall    steigt    empor  und 
füllt    den    Cylinder    mit    Wasserstoffgas    an.     (Sehr 
p-      ro  darauf  zu  achten  ist,  dass  keine  atmosphärische  Luft 

°'  '  in  den  Cylinder  gelange!)  Beim  Neigen  des  Gefässes 

tritt  das  Gas  in  Blasen  heraus,    die  man  beim  Zerplatzen  auf  der  Wasser- 
fläche mit  einem  brennenden  Fidibus  anzünden  kann. 

Praktische  Übungen. 

1.  Liquor  Natri  caustici.  Man  bereitet  sie  nach  Art  der  Atz- 
kalilauge aus  4  Teilen  Soda,  1  Teil  Kalk  und  18  Teilen  Wasser. 

2.  Natrum  carbonicum  purum.  Man  löse  1  Teil  Soda  in 
1^2  Teilen  lauwarmem  Wasser,  filtriere  und  stelle  es  an  einen  kühlen  Ort 
zur  Krystallisation  hin.  Die  Krystalle  lasse  man  auf  einem  Trichter  ab- 
tropfen und  trockne  sie  auf  Fliesspapier,  ohne  Wärme  anzuwenden. 


—    181     - 

3.  Natrium  chloratum  purum.  Feingepulvertes  Kochsalz  uber- 
giesse  man  in  einem  locker  verstopften  Trichter  wiederholt  mit  kleinen 
Mengen  Wassers,  bis  das  Ablaufende  durch  Sodalösung  nicht  mehr  getrübt 
wird;  alsdann  trockne  man  es  in  einer  Porzellan  schale  im  Wasserbad. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Glaubersalz  liefert  1  kq  Kochsalz  mit  Schwefelsäure?  — 
Antw.  2NaCl  :  (Na,S04  +  10H2O)  =  2  (23  +  35,5)  :  (46  -f-  32  +  64  + 
180) ;  x  =  2752  g.  " 

2.  Wieviel  doppeltkohlensaures  Natron  erhalten  wir  aus  1  kg  Soda 
durch  Einleiten  von  Kohlensäuregas?  —  Antw.  (Na,C03  -j-  1ÖH90)  : 
2(NaHC03)  =  (46  +  6  -f-  48  -f  180)  :  2(23  -j-  1  +  12  +  48);  x  =  590  g. 

3.  Wieviel  Soda  ist  erforderlich  zur  Sättigung  von  1  kg  20prozentiger 
Phosphorsäure?  —  Antw.  10%0  H3P04  :  (Na,C04  +  10H,O)  =  10%0  (3  + 
31  -f  64)  :  286;  x  =  583.?. 

5.  Wie  unterscheidet  sich  der  Chilisalpeter  vom  Kalisalpeter?  — 
Antw.  Der  Chilisalpeter  krystallisiert  würfelförmig,  der  Kalisalpeter 
säulenförmig;  jener  verpufft  auf  glühenden  Kohlen  mit  gelber,  dieser  mit 
violetter  Flamme. 


21.  Das  Ammoniak  und  seine  Verbindungen. 

§  159.  Eigenschaften  des  Ammoniaks.  Das  Ammoniak  (NH3) 
ist  ein  an  der  Luft  nicht  brennbares,  farbloses,  stechend  riechen- 
des Gas,  fast  halb  so  leicht  als  die  Luft  (spez.  Gew.  0,59),  in 
grosser  Kälte  oder  unter  starkem  Drucke  flüssig  werdend,  sogar 
erstarrend.  Es  löst  sich  ungemein  reichlich  in  Wasser  auf,  wel- 
ches sein  700faches  Yolum  Ammoniakgas  verschluckt  und  den 
Geruch  sowie  die  Eigenschaften  desselben  annimmt. 

In  chemischer  Beziehung  besteht  das  Charakteristicam  des 
Ammoniaks  in  seinen  basischen  Eigenschaften.  Es  reagiert 
stark,  aber  vorübergehend  alkalisch,  wirkt  laugenhaft  ätzend  auf 
die  tierische  Haut  und  sättigt  Säuren,  ähnlich  den  Alkalien. 
Man  hat  es  deshalb  flüchtiges  Alkali  (Alkali  volatile) 
genannt.  Seine  Affinitäten  stehen  denen  der  Alkalien  jedoch 
nach,  selbst  denen  des  Calciums,  übertreffen  aber  die  der  Schwer- 
metalle; daher  zersetzt  das  Ammoniak  die  Yerbindungen  der 
letzteren  ebenso  wie  Kali  und  Natron,  wird  aber  aus  seinen  eigenen 
Yerbindungen  durch  Kali,  Natron,  sowie  Kalk  ausgeschieden. 

Das  Ammoniak  vereinigt  sich  mit  den  Säuren  zu  sahartigen 
Verbindungen  und  zwar  durch  Addition. 

Während  die  basischen  Oxyde  und  Hydroxyde  ihr  Metall- 
atom gegen  den  Wasserstoff  der  Säure  austauschen  und  neben 
einem  Salze  auch  Wasser  erzeugen,  vereinigt  sich  das  Ammoniak 
direkt  mit  den  Säuren ,  den  Wasserstoff  derselben  zu  seinen 
3  Atomen  Wasserstoff  hinzu  addierend.  Es  geht  daraus  die  Ver- 
bindung NH4  hervor,   die  man  Ammonium  genannt  hat,   mit 


-     182    — 

dem  Zeichen  Am.    Die  Ammoniaksalze  ähneln  den  Metall- 
salzen, mit  dem  Unterschied,  dass  dort  d  a  s  Ammonium,  eine 
einwertige  Atonigruppe,  an  Stelle  des  Metalles  steht. 
I.        NH?     +    HCl     =     NH4C1 

Ammoniak       Chlorwasserstoff    Chloramomnium. 

IL      NH3\      .       tt  Qn  NH4)    on 

NH3}     +     HsS0*     =    NHj  S0* 

Ammoniak  Schwefelsäure  Ammoniumsulfat. 

§  160.  Wie  gewinnt  man  das  Ammoniak?  Das  Ammoniak  ent- 
wickelt sich  aus  stickstoffhaltigen  organischen  Materien  bei  ihrer 
Fäulnis  und  Verwesung;  wir  finden  es  daher  reichlich  an 
allen  Aborten,  in  der  Mistjauche,  in  Düngerhaufen  u.  dgl. ,  teils 
frei,  teils  an  Schwefelwasserstoff  und  Kohlensäure  gebunden.  Das 
aus  dem  Dünger  stammende  Ammoniak  wird  begierig  von  der 
Ackererde  (Humusboden)  aufgesogen  und  den  Gewächsen  zugeführt, 
welche  dasselbe  zum  Aufbau  ihrer  wichtigsten  Organe  verwenden 
und  mit  seiner  Hilfe  ihre  stickstoffhaltigen  Bestandteile  (Eiweiss- 
stoffe  u.  a.)  bereiten.  Bei  der  Verwesung  geben  sie  es  dann 
später  wieder  als  Ammoniak  der  Natur  zurück. 

Eine  zweite,  für  die  chemische  Technik  vorzugsweise  wichtige 
Ammoniakquelle  liefert  die  Leuchtgasfabrikation,  bei  welcher 
Steinkohlen  der  trocknen  Destillation  ausgesetzt  werden.  Hier 
finden  wir  freies  und  kohlensaures  Ammoniak  im  wässerigen 
Destillate,  dem  sog.  Gaswasser,  wie  auch  im  Leuchtgase  selber, 
wo  es  freilich  als  Verunreinigung  betrachtet  wird.  Man  gewinnt 
zunächst  schwefelsaures  Ammoniak,  (]SiH4)2S04,  indem  man  das 
Leuchtgas  durch  verdünnte  Schwefelsäure  streichen  lässt,  oder 
das  Gaswasser  damit  sättigt. 

Das  reine  Ammoniak  wird  aus  dem  Chlorammonium  (NH4C1) 
durch  Zersetzung  mit  Ätzkalk  (Ca2HO)  gewonnen.   Es  entweicht 
Ammoniakgas,  und  Chlorcalcium  bleibt  zurück.     Nämlich: 
NH4Ci  r      fHO  _    NH3      ,     CaC]     H20 

NH4C1    +    ua    \HO  ~    NH3    +    ua012    H20 

Chlorammonium  Kalkhydrat    Ammoniak      Chlorcalcium  Wasser. 

Man  leitet  das  entwickelte  Ammoniakgas  zur  Absorption  in  Wasser 
und  erzielt  eine  wässerige  Lösung  derselben,  die  Ätzammoniak- 
flüssigkeit,  Liquor  Animonii  caustici,  den  sog.  Salmiak- 
geist (Spiritus  Salis  ammoniaci),  eine  farblose,  starklaugen- 
hafte  und  stechend  riechende,  völlig  flüchtige  Flüssigkeit.  Ihr  Ge- 
halt wird  auf  10  °/o  Ammoniakgas  gestellt;  alsdann  besitzt  sie  das 
spez.  Gew.  0,960.  Im  Handel  kommt  auch  ein  Salmiakgeist  von 
doppelter  Stärke  vor,  der  vor  dem  Gebrauche  mit  gleichviel  "Wasser 
zu  verdünnen  ist.  Beim  Erhitzen  giebt  dieser  doppelte  Salmiak- 
geist zuerst  die  Hälfte  seines  Ammoniakgeistes  gasförmig  ab,  dann 
destilliert  der  Rest  mit  10  %  Ammoniak  gieichmässig  über. 


—     183     — 

Prüfung  des  Salmiakgeistes  auf  Reinheit:  Trübung  beim  Zu- 
satz von  Kalkwasser  konstatiert  Kohlensäure.  Der  mit  Salpetersäure  genau 
gesättigte  Salmiakgeist  darf  weder  durch  Schwefelwasserstoffwasser,  noch 
Schwefel ammonium  getrübt  werden  (Abwesenheit  von  Schwermetallen),  auch 
durch  oxalsaures  Ammoniak  (zeigt  Kalk  an),  sowie  durch  salpetersaures 
Silberoxyd  (weisse  Trübung:  Chlorammonium)  nicht  oder  nur  höchst  unbe- 
deutende Trübung  erleiden.  Brenzliche  Stoffe  machen  sich  nach  der 
Sättigung  mit  Salpetersäure  durch  den  Geruch  bemerklich. 

Eine  weingeistige  lOprozentige  Lösung  des  Ammoniakgases  ist 
der  Liquor  Ammonii  caustici  spirituosus,  nach  seinem 
ersten  Darsteller  Spiritus  Ammonii  Dzondii  genannt. 

§  161.  Charakter  und  Erkennung  der  Ammoniakverbindungen.  Alle 
Ammoniakverbindungen  sind  beim  Erhitzen  flüchtig,  durch  einen 
stechenden  Geschmack  ausgezeichnet  und  entwickeln  mit  ätzendem 
Alkali  oder  Ätzkalk  freies  Ammoüiak,  kenntlich  am  Geruch, 
sowie  an  der  Bläuung  des  darübergehaltenen  roten  Lackmuspapiers 
und  an  den  weissen  Nebeln,  die  ein  mit  etwas  Salzsäure  be- 
feuchteter Glasstab  beim  Darüb erhalten  erzeugt. 

§  162.  Die  Ammoniaksalze,  a)  Das  Chlorammonium,  Ammo- 
nium chloratum  (NH4C1),  gewöhnlich  Salmiak  (Sal  ammo- 
niacum)*)  genannt,  wird  aus  dem  schwefelsauren  Ammoniak 
mittelst  Kochsalz  teils  durch  Sublimation  in  durchscheinenden, 
faserig  kristallinischen,  konvexen  Kuchen,  teils  durch  Krystalli- 
sation  in  weissen  Nadeln  gewonnen. 

NH4  \  «n  '    ,     NaCl  NH4C1      ,      XT    Qn 

NH4  J   ÖU4    "*"   NaCl    —    NH4C1    "+"    iNa^u* 

Ammoniumsulfat  Chlornatrium      Chlorammonium        Natriumsulfat. 

Der  Salmiak  löst  sich  leicht  in  "Wasser,  nicht  in  Weingeist 
und  schmeckt  stechend  salzig. 

Prüfung  des  Chlorammoniums:  Seine  wässerige  Lösung  darf  sich 
weder  trüben  durch  H2S  (schwarz:  Kupfer,  Blei),  Baryumnitrat  (weiss: 
schwefelsaures  Ammoniak),  verdünnte  Schwefelsäure  (weiss:  Ghloxbaryum), 
Schwefelammonium  (schwarz:  Eisen),  noch  röten  mit  Eisenchlorid  (Schwefel- 
cj/«?«ammonium).     Das  Salz  muss  beim  Erhitzen  völlig  flüchtig  sein. 

b)  Das  Bromammonium,  Ammonium  bromatum  (NH4Br), 
ist  ein  dem  Chlorammonium  ähnliches,  grobes  Salzpulver,  welches 
entweder  durch  Sublimation  des  schwefelsauren  Ammoniaks  mit 
Bromkalium  oder  durch  direkte  Einwirkung  von  Brom  auf  Atz- 
ammoniakflüssigkeit gewonnen  wird.  Bei  letzterem  Vorgange 
entweicht  Stickstoff,  nämlich: 

4NH3      +     3Br      =      3NH4Br      +     N 

Ammoniak  Brom  Bromammonium  Stickstoff. 

Prüfung  auf  Reinheit  in  ähnlicher  Weise  wie  beim  Bromkalium. 

*)  So  benannt  nach  dem  Tempel  des  Juppiter  A m m o n  in  der  liby- 
schen Wüste,  wo  man  in  uralten  Zeiten  durch  Verbrennen  von  Kamelmist 
Salmiak  bereitete. 


—     184    — 

Wie  verhält  sich  Ammoniak  zu  den  Salzbildnern? 

Leitet  man  Chlorgas  in  Salmiakgeist,  so  entstehen  Salzsäure  und 
Stickstoff;  nämlich: 

4NH3  +  3C1  =  3HC1  +  N. 

Die  Salzsäure  bildet  mit  dem  überschüssigen  Ammoniak  Chlorammo- 
nium; der  Stickstoff  entweicht  gasförmig.  Bei  Überschuss  an  Chlor  ent- 
steht aber  Chlorstickstoff  (NC13),  eine  ölartige,  höchst  explosive  und 
sehr  gefährliche  Flüssigkeit,  welche  bei  der  geringsten  Veranlassung,  selbst 
unter  Wasser,  mit  furchtbarer  Gewalt  in  ihre  Elemente  zerfällt. 
NH3  +  6C1  =  3  HCl  -f-  NC13. 

Ein  ähnliches  Verhalten  zeigt  überschüssiges  Brom;  dasselbe  erzeugt 
den  sehr  explosiven  Bromstickstoff  (NBr3). 

Jod  bildet  mit  Ammoniak,  selbst  wenn  letzteres  im  Überschuss  ist, 
den  gefährlichen,  explosiven  Jodstickstoff  (NJ3),  ein  schwärzliches  Pulver. 
Man  hüte  sich  daher  vor  Mischungen  von  Jodtinktur  mit 
wässerigem  Salmiakgeist! 

c)  Das  kohlensaure  Ammoniak,  Ammoniumkar- 
bonat, Ammonium  carbonicuiii,  auch  flüchtiges  Laugen- 
salz (Sal  volatile)  genannt,  ist  kein  neutrales,  sondern  andert- 
halbkohlensaures Salz  =  (NH4)3H2C03.  Das  neutrale  Salz 
existiert  nicht  in  fester  Gestalt. 

Man  gewinnt  es  aus  dem  schwefelsauren  Ammoniak  durch 
Sublimation  mit  kohlensaurem  Kalk  (Kreide),  in  Form  durch- 
scheinender, weisser,  faserig  -  krystallinischer ,  konvexer  Kuchen, 
welche  stark  nach  Ammoniak  riechen  und  an  der  Luft,  unter 
Ammoniakverlust,  zu  einem  weissen,  geruchlosen  Pulver,  dop- 
peltkohlensaurem Ammoniak,  verwittern.*)  Das  andert- 
halbkohlensaure Salz  löst  sich  leicht  in  Wasser  (Liquor  Am- 
monii  carbonici),  das  doppeltkohlensaure  Salz  ist  aber  in 
"Wasser  schwer  löslich. 

Prüfung:  Die  angesäuerte  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  durch 
H2S  (schwarz:  Schwermetalle),  Baryumnitrat  (weiss:  schwefelsaures  Ammo- 
niak), oxalsaures  Ammoniak  (weiss:  Kalk),  Silbernitrat  (weiss:  Chlorammo- 
nium) ;  mit  Chlorwasser  und  Chlorform  geschüttelt,  darf  sich  letzteres  nicht 
violett  färben  (Jodammonium). 

Das  früher  durch  trockne  Destillation  von  Hörn ,  Knorpeln 
u.  dgl.  gewonnene ,  mit  brenzlichem  Öle  getränkte  kohlensaure 
Ammoniak,  sog.  Hirschornsalz  (Sal  cornu  Cervi)  und  dessen 
Lösung,  das  wässerige  Destillat  jener  Operation,  den  Hirsch- 
horngeist (Liquor  cornu  Cervi),  hat  man  jetzt  unter  der 
Bezeichnung  brenzlich  kohlensaures  Ammoniak,  Ammo- 
nium carbonicum  pyrooleosum,  resp.  Liquor  Am- 
monii  carbonici  pyrooleosi,  durch  Gemenge  aus  kohlen- 
saurem Ammoniak  mit  V32  Teil  ätherischem  Tieröle  ersetzt. 

d)  Das  phosphorsaure  Ammoniak,  Ammoniumphos- 

*)  (NH4)3H2C03  giebt  NH3  ab  und  hinterlässt  2NH4HC03. 


—     185    — 

phat,  Ammonium  phosphoricum  (NH4)2HP04,  dem  phos- 
phorsauren Natron  analog  zusammengesetzt,  krystallisiert  aus  dem 
mit  Phosphorsäure  gesättigten  Salmiakgeiste  beim  Abdampfen  in 
farblosen,  neutralen  Ery  stallen. 

Ein  Doppelsalz  desselben  mit  dem  Natriumphosphat,  das  sog. 
Phosphorsalz  (Na,  NH4,  HP04  +  4  aq.) ,  ein  in  der  pyrochemi- 
schen  Analyse  gebräuchliches  Salz,  krystallisiert,  wenn  eine  Lösung 
von  phosphorsaurem  Natron  mit  Chlorammonium  versetzt  wird, 
wobei  Chlornatrium  in  Lösung  bleibt.  (Na,HP04  +  NH4C1  = 
NaNH4HP04  +  NaCl). 

e)  Das  essigsaure  Ammoniak,  Ammoniumacetat 
(NH2C0H3O2),  nur  in  Lösung  als  Liquor  Ammonii  acetici 
offizinell,  wird  durch  Sättigung  von  Salmiakgeist  mit  verdünnter 
Essigsäure  gewonnen.  Das  feste  Salz  lässt  sich  durch  Ein- 
dampfen derselben  nicht  darstellen,  da  es  sich  mit  den  Wasser- 
dämpfen verflüchtigt.  Beim  spez.  Gew.  1,032 — 1,034  besitzt  der 
Liquor   15  %  Salzgehalt. 

Prüfung:  Der  Liquor  darf  sich  weder  trüben  mit  H2S  (dunkel: 
Schrvermetalle),  noch  mit  Baryum-  oder  Silbernitrat  (weiss:  schwefelsaures 
Ammoniak  resp.  67?forammonium). 

§  163.     Schwefelverbindungen  des  Ammoniums.       Das  Ammonium 
verbindet  sich   leicht  mit  Schwefelwasserstoff  zu  Ammonium- 
sulfhydrat   (Hydrothionammoniak),    einem    stark    nach 
Mistjauche  riechenden,  flüchtigen  Körper  (NH4HS). 
I.  NH3       +      H.2S      =       NH4HS 

Ammoniak         Schwefelwasserstoff    Ammoniumsulfhydrat. 

Man  gewinnt  es  in  Lösung,  wenn  man  Salmiakgeist  mit  Schwefel- 
wasserstoffgas völlig  sättigt.  Setzt  man  diesem  Sulfhydrate  ein 
gleiches  Quantum  Ammoniakflüssigkeit  zu,  so  resultiert  Schwefel- 
ammonium, (NH4).2S,  als  Liquor  Ammonii  sulfurati  in 
der  Analyse  gebräuchlich,  um  Eisen,  Mangan,  Zink  als  Schwefel- 
metalle aus  ihren  Lösungen  auszuscheiden. 

IL         NH4HS      +      NH3     =    2(NH4)2S 

Ammoniumsulf  hydrat         Ammoniak  Ammoniumsulfid. 

Die  Schwefelammoniumlösung  zieht  begierig  Sauerstoff  aus 
der  Luft  an,  verliert  zugleich  Ammoniak  und  verwandelt  sich  in 
gelbesAmrnoniumbisulfid*);  bei  fortschreiten  der  Oxydation 
scheidet  die  Flüssigkeit  allen  Schwefel  ab,  riecht  dann  rein 
ammoniakalisch  und  erscheint  wieder  farblos**),  ist  aber  als  Eeagens 
verdorben. 


*]  (NH4);S    +  °  =  (NH4)2S2  +  2NH3  +  H20. 
*)  (NHjäo  +  0  =  2NH3  +  H20  +  2S. 


—     186     — 

Praktische  Übungen  und  Versuche. 

1.  Liquor  Ammonii  caustici  (Fig.  54).  Man  lösche  3  Teile  Kalk 
mit  5  Teilen  Wasser,  bringe  den  Brei  in  einen  geräumigen  Kolben  (a), 
der  davon  noch  kaum  zur  Hälfte  gefüllt  werden  darf,  füge  dann  3  Teile 
Salmiak  in  kleinen  Stückchen  hinzu  und  verschliesse  durch  einen  Stopfen, 
durch  welchen  eine  doppelt  gebogene  Glasröhre  (e)  luftdicht  geführt  ist, 
deren  anderes  Ende  man  in  eine  mit  5  Teilen  Wasser  versehene  Flasche 
bis  nahe  zum  Boden  reichen  lasse.  Der  Kolben  werde  im  Sandbade  ge- 
linde erwärmt  und  zwar  möglich  gleichmässig,  damit  das  Wasser  der 
Vorlage  nicht  in  den  Kolben  zurücksteige.  Um  dies  unschädlich  zu  machen 
und  zugleich  das  Ammoniakgas  zu  waschen,  schiebt  man  auch  wohl  eine 
halb  mit  Wasser  angefüllte  dreihalsige  sog.  Woulfsche  Waschflasche  (b) 
zwischen  Kolben  (a)  und  Vorlage  (c),  durch  deren  mittlere  Öffnung  die 
offene  Sicherheitsröhre  (f)  tief  eingeführt  ist.  Lässt  der  Gasdruck  nach, 
so  dringt  die  äussere  Luft  durch  f  und  b  und  aus  dieser  Waschflüssigkeit 
in  den  Kolben  (e  und  f  reichen  in  das  Wasser  von  b  hinein).  Bei  schwach 
werdender  Gasentbindung  nehme  man  die  Vorlage  weg  und  verdünne  die 
in  ihr  befindliche,  auf  8  Teile  vermehrte  Ammoniaklösung  mit  (1  Teil) 
Wasser  bis  zum  spez.  Gew.  0,960. 


Fig.  54. 

2.  Versuche  mit  Salmiakgeist,  a)  Man  bringe  etwa  1  g  Sal- 
miakgeist in  ein  Arzneiglas,  schwenke  dasselbe  um  und  führe  dann  einen 
mit  Salzsäure  angefeuchteten  Glasstab  in  den  leeren  Raum  des  Gases  ein: 
er  wird  sich  mit  weissem  Nebel  (Chlorammonium)  füllen.  Giebt  man  dann 
Wasser  in  das  Glas  und  schüttelt  gut  um,  so  löst  dies  den  Nebel  auf,  und 
der  Raum  über  dem  Wasser  erscheint  wieder  hell.  —  b)  Man  fülle  einen 
Probiercylinder  zum  dritten  Teile  mit  Salmiakgeist,  den  übrigen  Raum 
mit  gutem  Chlorwasser,  verschliesse  ihn  sofort  mit  dem  Daumen  und 
öffne  ihn  umgestürzt  unter  Wasser.  Es  sammelt  sich  im  oberen  Teile  ein 
farbloses  Gas  (Stickgas),  während  die  Flüssigkeit  durch  Salmiakgehalt 
stechend  salzig  schmeckt.  —  c)  Man  bringe  etwas  Salmiakgeist  in  einen 
Probiercylinder,  dazu  3 — 4  Tropfen  (!)  Jodtinktur  und  die  mehrfache  Menge 
Wasser;  den  sich  ausscheidenden  Jodstickstoff  sammle  man  auf  einen 
kleinen  Filter   und   lasse    ihn  auf   demselben    trocken  werden.     Legt  man 


—     187     — 

das  trockene  Filter  alsdann  in  den  Sonnenschein  oder  betupft  es  mit  einem 
mit  Schwefelsäure  benetzten  Glasstabe,  so  verpufft  es  mit  Knall. 

3.  Liquor  Ammonii  sulfurati.  •  Man  entwickele  (Fig.  45)  aus 
Schwefeleisen  und  verdünnter  Schwefelsäure  Schwefelwasserstoffgas,  welches 
man  in  Salmiakgeist  bis  zur  Sättigung  einleite,  wiederholt  umschüttelnd, 
bis  dabei  der  Daumen  resp.  Stöpsel  nicht  mehr  eingezogen  wird.  Schliess- 
lich verdünne  man  die  Flüssigkeit  (Ammoniumsulfhydrat)  mit  einer  gleichen 
Menge  Salmiakgeist. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  a)  Wieviel  l  Ammoniakgas  liefert  1  kg  Salmiak,  wenn  das  l  0,77  g 
wiegt?  b)  Wieviel  Salmiakgeist  erhält  man  daraus?  —  Antw.  a)  (14  -j- 
4  -f  35,5)  :  (14  +  4)  =  1000  :  x;  x  =  317  g  =  11  /.   b)  x  =  317  X  10  g. 


§  164.  Lithium.  Zu  den  Alkalimetallen  gehört  noch  das 
Lithium,  nebst  den  mittelst  der  Spektralanalyse  1860  und  1861 
von  Bunsen  und  Kirchhof  entdeckten  und  nach  der  Farbe 
ihrer  Linien  benannten  Metallen  Cäsium  und  Bubidium.*) 

Das  Lithium**)  ist  dem  Kalium  und  Natrium  ähnlich,  aber 
leichter  und  mit  karminroter  Flamme  verbrennend.  Es  findet 
sich  in  sehr  geringen  Mengen  im  Lithionglimmer  (Lepidolith), 
Petalith  und  wenigen  anderen  seltenen  Mineralien,  sowie  in  ge- 
wissen Mineralquellen  (z.  B.  von  Kissingen,  Franzensbad,  Karls- 
bad, Kreuznach). 

Mit  Sauerstoff  verbindet  es  sich  zu  Lithion  (Li20),  dessen 
Hydrat  (LiHC)  schwerer  löslich  ist  als  Kali-  und  ISTatronhydrat. 
Oifizinell  ist  das  Lithiumkarbonat  oder  kohlensaure 
Lithion,  Lithium  carbonicum  (Li2C03),  ein  weisses  Pulver 
von  alkalischer  Beaktion,  welches  sich  nur  schwierig  in  "Wasser 
löst  (!).  Hierdurch  bildet  das  Lithion  den  Übergang  der  Alkalien 
zu  den  alkalischen  Erden. 

Prüfung  des  kohlensauren  Lithions  auf  Reinheit:  Das  durch 
etwas  verdünnte  Schwefelsäure  in  schwefelsaures  Salz  übergeführte  Präparat 
muss  sich  in  Weingeist  völlig  auflösen  (Rückstand:  Kalium-  und  Natrium- 
sulfat).  In  der  salpetersauren  Lösung  desselben  erzeuge  weder  Baryum, 
noch  Silbernitrat  eine  Trübung  (weiss:  schwelelsaures  Salz  resp.  Chlorid), 
nach  Übersättigung  mit  Ammoniak  auch  nicht  Schwefelammonium  (schwarz : 
Eisen),  noch  oxalsaures  Ammoniak  (weiss:  Kalk). 


22,  Der  Kalk  und  seine  Salze. 

§  165.  Was  ist  der  Kalk?  Der  Kalk,  Calcaria  usta  (CaO), 
eine  harte,  poröse,  weisse  oder  weissliche  Masse,  ist  das  Oxyd  des 
schwierig  darstellbaren,  zuerst  1845  isolierten  Metalles  Calcium. 

*)  caesius,  graublau;  rubidus,  dunkelrot. 
**)  Entdeckt  1817  von    Arfvedson    und    benannt  nach    seinem  Vor- 
kommen im  Steinreich  (Xifro?  Stein). 


188 


Fig.  55. 


Der  Kalk,  in  der  Natur  nicht  frei,  aber  in  grossen  Mengen 
gebunden  an  Kohlensäure,  Schwefelsäure,  Phosphorsäure  und 
Kieselsäure  vorkommend,  wird  aus  dem  kohlensauren  Kalke,  wie 
er  als  „Kalkstein"  sich  findet,  durch  Glühen  gewonnen.  Dabei 
entweicht  die  Kohlensäure  als  Gas  und  hinterlässt  das  reine  Oxyd. 

CaC03    =    CaO     +     C02 

kohlensaurer  Kalk        Kalk  Kohlensäuregas. 

Das  Kalkbrennen  wird  in  besonders  ge- 
mauerten Öfen  vorgenommen.  Fig.  55  stellt 
einen  solchen  Kalkofen  mit  unterbrochenem 
Gange  dar;  sein  Inneres  g  wird  mit  dem  Kalk- 
stein derartig  angefüllt,  dass  man  über  dem  Feuer- 
raume  a  eine  Art  Gewölbe  aus  grösseren  Kalk- 
steinstücken aufbaut  und  durch  die  Gicht  h  die 
kleineren  Stücke  daraufschüttet.  Fig.  56  stellt 
einen  Ofen  mit  ununterbrochenem  Gange  dar; 
a  b  d  sind  die  Teile  des  Feuerraums,  g  der 
Schacht,  h  die  Gicht,  wo  man  den  Kalkstein  ein- 
füllt, e  f  untere  Öffnung  zum  Herausnehmen  des 
gebrannten  Kalkes. 

Beim  Kalkbrennen  ist  auf  die  Temperatur 
zu  achten ;  steigt  sie  im  Anfang  zu  hoch,  so 
tritt  teilweise  Schmelzung  und  bei  vorhandener 
Kieselerde  (Quarz)  Silikatbildung  ein.  Ein  solcher 
Kalk  heisst  totgebrannt,  weil  er  sich  mit 
Wasser  nicht  löscht.  Mager  nennt  man  den 
mit  Thon  verunreinigten  Kalk,  welcher  sich 
weniger  gut  löscht,  als  der  fette  Kalk. 

Der  Kalk  zieht  beim  Liegen  an  der  Luft 
allmählich  Kohlensäure  und  Wasserdampf  an 
und  zerfällt  zu  Pulver  —  zerfallener  Kalk  (Kalkhydrat  mit 
kohlensaurem  Kalk).  Man  muss  ihn  deshalb  in  verkorkten  Krügen 
oder  Flaschen  aufbewahren. 

Mit  Wasser  „löscht  sich"  der  Kalk,  d.  i.  er  vereinigt  sich 
mit  demselben*)  unter  starker  Wärmeentbindung  zu  Kalkhydrat, 
sog.  Ätz  kalk  (Ca2HO),  einem  Pulver,  welches  mit  wenig 
Wasser  den  Kalkbrei,  mit  mehr  Wasser  die  Kalkmilch,  mit 
5 — 600  Teilen  Wasser  das  Kalkwasser,  Aqua  Calcariae, 
bildet,  eine  klare  Lösung  von  stark  alkalischer  Eeaktion  und 
schrumpfend  laugenhaftem  Geschmacke.  Da  das  Kalkhydrat  in 
heissem  Wasser  schwerer  löslich  ist  als  in  kaltem,  so  trübt  sich 
ein  gutes  Kalkwasser  beim  Aufkochen.  Aus  der  Luft  zieht  das 
Kalkwasser   begierig   Kohlensäure    an    und  setzt    bei   schlechtem 


Fig.  56. 


*)  CaO     + 


£}°  = 


P     \  HO 
Ca  /  HO. 


—    189    — 

Verschlusse  allmählich  seinen  ganzen  Kalkgehalt  als  weissen, 
kohlensauren  Kalk  ab.  Aus  demselben  Grunde  trübt  es  sich  mit 
dem  kohlensäurehaltigen  Brunnenwasser. 

Man  prüft  das  Kalkwasser  auf  einen  Minimalgehalt  an  Kalkhydrat, 
indem  man  100  g  mit  3,5 — 4  cc  Normalsalzsäure  versetzt  und  blaues  Lack- 
muspapier eintaucht:  dieses  darf  sich  nicht  röten. 

§  166.  Die  Kalksalze.  Der  Kalk  bildet  mit  Schwefelsäure  ein 
schwerlösliches,  mit  Kohlensäure,  Oxalsäure  und  Phosphorsäure  in 
reinem  Wasser  unlösliche,  in  Säuren  lösliche  Salze;  der  salpeter- 
saure Kalk,  das  Chlorcalcium  u.  a.  lösen  sich  dagegen  in  Wasser 
sehr  leicht  auf. 

Nachweis  des  Kalks.  Man  erkennt  die  Anwesenheit  von 
Kalksalzen  durch  die  weissen  Niederschläge,  welche  kohlensaures 
und  phosphorsaures  Natron,  zumal  aber  oxalsaures  Ammoniak 
in  neutralen  (nicht  sauren!)  Flüssigkeiten  erzeugt.  Essigsäure  löst 
den  Oxalsäuren  Kalk  nicht  auf,  Mineralsäuren  dagegen  sofort. 
Aus  nicht  zu  verdünnten  Lösungen  wird  der  Kalk  in  gleicher 
Weise  durch  verdünnte  Schwefelsäure  ausgeschieden. 

a)  Der  kohlensaure  Kalk,  das  Calciumkarbonat 
(CaC03),  findet  in  der  Natur  sehr  bedeutende  Yerbreitung;  nicht 
allein,  dass  er  in  jedem  Quellwasser,  zufolge  der  darin  vorhan- 
denen freien  Kohlensäure,  in  geringen  Mengen  aufgelöst  ist,  wor- 
aus er  sich  beim  Abkochen  als  Kesselstein  absetzt;  er  bildet 
auch  grosse  Lager,  sogar  ganze  Gebirge,  und  zwar  im  dichten 
Z ustande  als  Kalkstein,  erdig  als  Kreide,  körnig  kry  stal- 
linisch  als  Marmor.  Er  krystallisiert  aus  heissen  Flüssigkeiten 
als  Arragonit  in  rhombischen  Säulen,  aus  kalten  Flüssigkeiten 
als  Kalkspat  in  Rhomboedern.  (Der  kohlensaure  Kalk 
ist  also  dimorph!)  Auch  das  Tierreich  liefert  ihn  bei  seinen 
niederen  Organismen  als  Muscheln,  Korallen,  Krebssteine, 
Schneckenhäuser  und  dgl.;  die  Yögel  bilden  aus  ihm  die  Eier- 
schalen. Die  Austerschalen,  Conchae,  sind  kohlensaurer 
Kalk  mit  etwas  phosphorsaurem  Kalke. 

Löst  man  den  natürlichen  kohlensauren  Kalk  in  verdünnter 
Salzsäure  und  versetzt  die  entstandene  Chlorcalciumlösung  mit 
Soda,  so  scheidet  sich  reiner,  sog.  präzipitierter  kohlen- 
saurer Kalk,  Calcium  carbonicum  praecipitatum  (Ca  C  03), 
als  weisses  feines  Pulver  aus. 

I.  CaC03    +      2HC1      ==    CaCl2     +     H20     +     C02 

IL  CaCla     +  Na2C03    =  CaC03     +  2NaCl. 

Beim  Auflösen  des  natürlichen  Kalksteins  in  Salzsäure  bleiben 
die  erdigen  Verunreinigungen  ungelöst,  auch  vorhandenes  Eisen- 
oxyd, sofern  man  den  kohlensauren  Kalk  im  Überschuss  anwendet. 

Prüfung.  Das  Calciumkarbonat  darf  nicht  alkalisch  reagieren  (Rück- 
halt an  kohlensaurem  Natron) ;  die  essigsaure  Lösung  darf  sich  nicht  trüben 


—     190    — 

mit  Baryunmitrat  {schwefelsaurer  Kalk),  noch  Silbemitrat  [Chlor calcium)', 
die  salzsaure  Lösung  darf  sich  beim  Übersättigen  mit  Ammoniak  nicht 
trüben  (weiss:  Thonerde),  auch  nicht  bei  Zusatz  von  Schwefelammonium 
(schwarz:  Eisen). 

b)  Der  schwefelsaure  Kalk  (CaS04)  findet  sich,  selbst 
Gebirge  bildend,  vielfach  in  der  Natur  als  Gips,  mit  2  Mol. 
Krystall wasser ,  welche  beim  Erhitzen  entweichen.  Der  ge- 
brannte Gips,  Calcium  sulfuricum  ustum,  ein  weissliches 
Pulver,  zieht,  wenn  man  ihn  mit  Wasser  anrührt,  sein  Krystall- 
wasser  wieder  an  und  erhärtet.  Man  benutzt  ihn  deswegen  zu 
Verbänden,  Abdrücken,  Gipsfiguren,  Stuckatur.  "War  die  Er- 
hitzung zur  Rotglühhitze  vorgeschritten ,  so  ist  der  Gips  totge- 
brannt, d.  i.  er  erhärtet  mit  Wasser  nicht  mehr. 

Der  schwefelsaure  Kalk  löst  sich  im  Wasser  nur  sehr  wenig 
auf  (etwa  in  500  Teilen)  zu  sog.  Gipswasser,  welches  für 
Baryt-  und  Strontiansalze  als  Reagens  gebraucht  wird,  da  es  in 
deren  Lösungen  noch  Niederschläge  erzeugt.  —  Alabaster  ist 
schneeweisser,  feinkörniger  Gips.  — 

c)  Mit  Phosphorsäure  geht  der  Kalk  mehrere  Verbindungen 
ein.  Der  normale  phosphorsaure  Kalk  (Ca32P04)  bildet  die 
Hauptmasse  der  Wirbeltier- Knochen,  bei  deren  Einäscherung  er 
als  Knochenasche  (Ebur  ustum  album)  zurückbleibt.  Ein 
weisses,  in  Wasser  unlösliches,  in  Säuren  lösliches  Pulver,  welches 
als  Calcium  phosphoricum  crudum  offizineil  ist.  Es  findet 
sich  auch  als  Phosphorit  natürlich,  in  Verbindung  mit  Fluor- 
calcium. 

Der  anderthalb  phosphorsaure  Kalk  ist  offizinell  als 
Calcium  phosphoricum  (CaHP04);  seine  Zusammensetzung 
entspricht  dem  phosphorsauren  Natron.  Er  ist  ein  weisses,  in 
Salpetersäure  ohne  Aufbrausen  lösliches  Pulver  (Unterschied  von 
kohlensaurem  Kalk)  und  wird  aus  einer  Chlorcalciumlösung  auf 
Zusatz  von  phosphorsaurem  Natron  ausgeschieden: 

CaCl2        +      Na2HP04      =       CaHP04       +      2NaCl 

Chlorcalcium  Natriumphosphat  Calciumphosphat  Chlornatrium. 

Durch  Glühen  geht  der  phosphorsaure  Kalk  über  in  pyro- 
phosphorsauren  Kalk;  daher  färbt  sich  das  Präparat  mit  Silber- 
nitratlösung gelb  (phosphorsaures  Silber),  nach  dem  Glühen  aber 
bleibt  es  weiss  (pyrophosphorsaures  Silber). 

2CaHP04     =        Ca2Pa07        -f    H20 

Phosphors.  Kalk  pyrophosphors.  Kalk  "Wasser. 

Das  Präparat  wird  auf  seine  Reinheit  in  ähnlicher  Weise  geprüft  wie 
das  Calciumkarbonat. 

§  167.  Was  ist  der  Chlorkalk?  Unter  der  Bezeichnung  Chlor- 
kalk, Calcaria  chlprata,  kommt  im  Handel  ein  Präparat  vor, 
welches  man  durch  Überleiten  von  Chlorgas  über  gelöschten  Kalk 
gewinnt,  der  in  dünner  Schicht  den  Boden  steinerner  Kisten  be- 


—     191     — 

deckt.  Bei  der  Absorption  des  Chlors  verwandelt  sich  das  Kalk- 
hydrat in  ein  Gemenge  von  Calciumhypochlorit  oder 
unterchlorigsaurem  Kalke  (Ca2C10)  und  Chlorcalcium 
(Ca  Cl2),  zum  Teil  bleibt  es  hydratisch  diesem  Gemenge  beigemischt. 

Ca2HO      +     4C1    =      Ca2C1°       +     CaC1*     h!0 

Kalkhydrat  unterchlorigsaurer  Chlor-        "Wasser. 

Kalk  calcium 

Daher  besteht  der  Chlorkalk  des  Handels  aus  drei  Gemeng- 
teilen: unterchlorigsaurem  Kalk  (Ca2C10),  Chlorcalcium  (CaCl2)  und 
Kalkhydrat  (Ca2HO).  Je  mehr  von  ersterem  Bestandteil  vorhanden 
ist,  um  so  besser  ist  der  Chlorkalk,  denn  nur  im  unterchlorigsauren 
Kalke  beruht  seine  Wirksamkeit  als  Bleichmittel.  Vernachlässigen 
wir  das  im  Chlorkalk  enthaltene  Kalkhydrat,  so  können  wir  dem- 
selben die  Formel  geben:  (Ca2C10  +  CaCla)  oder  kürzer:  (CaCl20)*). 

Das  Sonnenlicht  schädigt  den  Chlorkalk,  indem  es  seinen  unter- 
chlorigsauren Kalk,  unter  Sauerstoffentwicklung,  zu  Chlorcalcium 
reduziert;  Erwärmung  beeinträchtigt  ihn  gleichfalls,  indem  der 
unterchlorigsaure  Kalk  dadurch  in  chlorsauren  Kalk  und  Chlor- 
calcium, zwei  Körper  ohne  Bleichkraft,  verwandelt  wird.  (3Ca2C10 
=  Ca2C103  +  2CaCl2.) 

Säuren  entwickeln  aus  dem  Chlorkalke  Chlorgas,  nämlich: 
(Ca2C10  +  CaCl2)    +     2H2S04  ==   2CaS04     +  2H20   +   4C1 

Chlorkalk  Schwefelsäure  schwefelsaurer  Wasser  Chlor. 

Kalk 

Der  Chlorkalk  ist  ein  weisses,  leicht  feucht  werdendes  und 
schwach  nach  Chlor  riechendes  Pulver,  von  starkem  Bleichver- 
mögen, welches  sich  nur  teilweise  in  Wasser  (unter  Zurücklassung 
des  Kalkhydrats)  auflöst.  Wegen  des  Gehaltes  an  Kalkhydrat 
trübt  sich  eine  klare  Chlorkalklösung  mit  Brunnenwasser,  infolge 
Ausscheidung  von  kohlensaurem  Kalke.  Völlig  gesättigter  Chlor- 
kalk enthält  32%  wirksames  Chlor;  die  Pharm.  Germ,  verlangt 
mindestens  20%. 

Die  Prüfung  des  Chlorkalkes  auf  seinen  Gehalt  an  wirksarnern 
Chlor  geschieht  nach  der  Ph.  Gr.  II  dadurch,  dass  man  durch  Zusatz  von 
Jodkaliurn  und  Salzsäure  eine  dem  Chlor  äquivalente  Menge  Jod  frei  macht 
und  dieses  Jod  durch  unterschwefiigsaures  Natron  bestimmt.  0,5  Chlorkalk 
muss  28,5  ccm  Zehntelnormal-Natriumthiosulfat  verbrauchen. 

Das  reine  Chlorcalcium  —  nicht  zu  verwechseln  mit  dem 
Chlorkalke  —  stellt  eine  Salzmasse  dar,  welche  in  ausgezeichnetem 
Grade  Wasser  anzieht  und  zerfliesst.  Man  gebraucht  daher  das 
geschmolzene  Chlorcalcium  zum  Austrocknen  von  Gasen  Ent- 
wässern weingeistiger  und  ätherischer  Flüssigkeiten  u.  s.  f. 

Praktische  Übungen. 

1.  Calcaria  carbonica  praecipitata.     Man  löse  soviel  Kreide-, 

*)  In  graphischer  Darstellung:    Ca~/-v     pi 


—     192    — 

Marmor-  oder  Kalksteinstückchen  in  Salzsäure,  welche  mit  gleichviel  Wasser 
verdünnt  worden,  dass  noch  ein  Teil  ungelöst  bleibe.  Lässt  man  dann 
einige  Stunden  stehen,  so  scheidet  der  überschüssige  kohlensaure  Kalk  alles 
etwa  vorhandene  Eisenoxyd  aus.  Der  klar  abgegossenen  Chlorcalciumlösung 
gebe  man  dann  soviel  Sodalösung  (11  Teile  Soda  auf  10  Teile  reine  Salzsäure) 
bei,  dass  rotes  Lackmuspapier  schwach  gebläut  wird.  Man  wäscht  den  ge- 
fällten kohlensauren  Kalk  wiederholt  mit  Wasser  aus,  indem  man  nach 
dem  Absetzen  klar  abgiesst,  schliesslich  ihn  auf  einen  Filter  bringt  und 
so  lange  destilliertes  Wasser  aufgiebt,  bis  es  geschmacklos  abläuft:  dann 
trockne  man  ihn  in  der  Wärme. 

2.  Calcaria  phosphorica.  Man  verfährt  ebenso,  fällt  jedoch  mit 
phosphorsaurem  Natron. 

Fragen  und  stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Womit  ist  das  Zerfallen  des  Kalkes  an  der  Luft  begleitet?  — 
Antw.  Mit  einer  bedeutenden  Vermehrung  der  Masse. 

2.  Wieviel  kohlensauren  Kalk  liefert  1  kg  Kalk,  wenn  er  durch 
Kohlensäure-Aufnahme  darin  übergeht?  —  Antw.  CaO  :  CaC03  =(40  +  16): 
(40+12+48);  x  =  1785  g. 

3.  Woher  rührt  die  starke  Wärmeentbindung  beim  Kalklöschen?  — 
Antw.  Durch  die  eintretende  Verdichtung,  weil  das  flüssige  Wasser  mit 
dem  Kalke  festes  Kalkhydrat  liefert. 


23.  Die  Magnesia  und  ihre  Salze. 

§  168.  Was  ist  die  Magnesia?  Die  Magnesia  (MgO)  ist  das 
Oxyd  des  Magnesiums*),  eines  silberweissen,  leichten  Metalles, 
welches  an  trockner  Luft  unverändert  bleibt  und  nur  heisses 
Wasser  langsam  zerlegt.  Es  wurde  zuerst  1808  von  Davy  isoliert. 
Das  Magnesium  findet  sich,  wie  das  Calcium,  in  der  Natur  viel- 
fach verbreitet,  in  Verbindung  mit  Chlor  im  Meerwasser,  sodann 
als  kohlensaure,  schwefelsaure  und  kieselsaure  Magnesia;  letztere 
kommt  als  Asbest,  Talk,  Meerschaum,  Speckstein,  Ser- 
pentin u.  a.  vor. 

Die  gebrannte  Magnesia,  Magnesia  usta  (MgO),  wird, 
ähnlich  dem  Kalke,  durch  Erhitzen  der  kohlensauren  Magnesia 
gewonnen,  wobei  Kohlensäuregas  entweicht.  Die  Erhitzung  ge- 
schieht in  Tiegeln  und  braucht  weniger  stark  als  anhaltend  zu 
sein,  da  die  Substanz  zu  den  schlechten  Wärmeleitern  gehört; 
sie  wird  so  lange  fortgesetzt ,  bis  eine  herausgenommene 
Probe  mit  verdünnter  Schwefelsäure  nicht  mehr  aufbraust.  Man 
nennt  sie  auch  Bittererde,  da  ihre  Salze  einen  bittersalzigen 
Geschmack  zeigen.  Sie  stellt  ein  sehr  voluminöses,  weisses, 
erdiges,  geschmackloses  Pulver  dar,  welches  mit  Säuren  nicht 
aufbrausen  darf,  an  der  Luft  begierig  Kohlensäure  anzieht  und 
in   wohlverschlossenen   Gefässen    aufbewahrt   werden  muss.     Mit 

*)  Magnesium  von  [j.ayvrj?,  womit  man  den  Braunstein  bezeichnete, 
der  für  ein  Magnesiumerz  galt. 


—     193    — 

"Wasser  in  Berührung  verwandelt  sie  sich  allmählich,  ohne  Tem- 
peraturerhöhung, in  Magnesiahydrat  (Mg2HO),  welches 
alkalisch  reagiert  und  sich  nur  sehr  wenig  in  Wasser  auflöst.  — 
Mit  "Wasser  angerührt  ist  dasselbe  als  Eeagens  bei  der  Prüfung 
des  Bittermandelwassers  gebräuchlich  (Magnesium  hydricum 
pultiforme). 

Prüfung:  Die  gebrannte  Magnesia  darf  mit  Säuren  nicht  aufbrausen 
(Rückhalt  an  Kuhlensäure);  im  übrigen  wird  sie  geprüft  wie  die  kohlen- 
saure Magnesia. 

§  169.  Magnesiasalze.  Charakter  und  Erkennung-  Die  Magnesium- 
verbindungen  verhalten  sich  ähnlich  den  Kalksalzen;  wie  diese 
werden  sie  durch  kohlensaures  und  phosphorsaures  Natron  nieder- 
geschlagen, unterscheiden  sich  aber  von  ihnen  durch  die  Löslich- 
keit der  schwefelsauren  Magnesia  und  dadurch,  dass  ihre  Lösungen 
durch  kohlensaures  Ammoniak  nicht  gefällt  werden ,  da  sie  mit 
Ammoniak  leichtlösliche  Doppelsalze  bilden.  Daher  erzeugt  auch 
Ammoniak  in  den  Magnesialösungen  keinen  Niederschlag,  wenn 
sie  mit  einer  hinreichenden  Menge  Chlorammonium  versetzt  sind. 
Fügt  man  nun  zu  dieser  ammoniakalischen  Flüssigkeit  phosphor- 
saures Natron ,  so  entsteht  ein  weisser  Niederschlag  von  phos- 
phorsaurer Ammoniak-Magnesia.  (Mg,NH4,P04-j-ÖH20); 
derselbe  wird  aber  von  Säuren  aufgelöst. 

a)  Die  schwefelsaure  Magnesia,  das  Magnesium- 
sulfat, Magnesium  sulfuricum  (MgS04  -+-  7aq.),  wegen  des 
bitterlichen  Geschmackes  B  i 1 1  e r  s a  1  z  (Sal  amarum)  und  wegen 
des  Yorkommens  in  einigen  englischen  Mineralwässern  (von  Epsom 
u.  a.)  englisches  Salz  (Sal  anglicum)  genannt,  findet  sich 
auch  in  deutschen  und  ungarischen  Mineralquellen,  den  sog  Bitter- 
wässern (z.  B.  von  Seidlitz,  Friedrichshall,  Hunyadi-Janos),  au^elöst. 
Ausserdem  gewinnt  man  das  Salz  aus  Chlormagnesium  führenden 
Salzsolen,  deren  Mutterlauge  man  mit  Glaubersalz  versetzt,  wo- 
bei Bittersalz  auskrystallisiert  und  Chlornatrium  in  Lösung  bleibt. 
Auch  erzeugt  die  künstliche  Mineralwasserfabrikation,  welche 
die  Kohlensäure  aus  Magnesit  und  Schwefelsäure  darstellt,  das 
Bittersalz  als  Nebenprodukt. 

Das  Magnesiumsulfat  erscheint  in  farblosen,  rhombischen 
Säulen  krystallisiert,  welche  sich  leicht  in  Wasser,  nicht  in  Wein- 
geist auflösen.  An  trockner,  warmer  Luft  verwittern  sie,  unter 
teilweisem  Yerlust  ihres  Krystallwassers,  und  zerfallen  zu  einem 
weissen  Pulver,  dem  getro  ckneten  Bittersalz  e ,  Magnesium 
sulfuricum  siccum.  Von  den  7  Mol.  Krystallwasser  bleibt  da- 
rin 1  Mol.  zurück  und  entweicht  erst  in  der  Glühhitze.  Ein 
ähnliches  Y erhalten  zeigen  die  isomorphen  schwefelsauren  Salze 
von  Zink  und  Eisen.  Dieses  1  Mol.  Wasser  begleitet  diese  Sul- 
fate auch  in  ihre  Doppelsalze. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  \Q 


—     194     — 

Prüfung:  Die  wässerige  Lösung  der  schwefelsauren  Magnesia  darf 
weder  getrübt  werden  durch  Schwefelwasserstoffwasser  (dunkle  Trübung: 
Kupfer,  Blei),  noch  durch  Schwefelammonium  (dunkle  Trübung:  Eisen), 
noch  durch  Silberlösung  (weisse  Trübung:  Chloride).  Das  Salz  darf  die 
Weingeistflamme  nicht  gelb  färben  {Natriumsulfat). 

b)  Die  kohlensaure  Magnesia,  das  Magnesiumkar- 
bonat,  kommt  in  der  Natur  als  Magnesit  (MgC03),  in  Ver- 
bindung mit  kohlensaurem  Kalk  als  Dolomit  (MgC03  -f-  CaC03) 
vor ,  den  man  auch  Bitterspat  nennt.  Dagegen  erhält  man 
bei  der  Fällung  der  Magnesiasalze  durch  kohlensaure  Alkalien 
nicht  neutrale,  sondern  nur  basisch  kohlensaure  Magnesia.  Letztere 
ist  als  weisse  Magnesia,  Magnesium  carbonicum  offizinell 

und  hat  die  Formel:  Mg5  <  9x1  q3  i  sodass  sie  angesehen  wer- 
den kann  als  Doppelverbindung  von  4MgC03  mit  Mg2HO 
(Magnesiahydrat).  Man  gewinnt  sie  durch  Fällung  einer  heissen 
Bittersalz-  oder  Chlormagnesiumlösung  mit  Soda  und  bringt  sie 
als  weisse,  sehr  leichte,  geschmacklose,  vierkantige  Stücke  in  den 
Handel.  In  reinem  Wasser  löst  sie  sich  nicht  auf,  jedoch  zu  1% 
in  kohlensäurehaltigem  Wasser  (zu  Aqua  Magnesiae  carbouicae). 
Prüfung  der  kohlensauren  Magnesia:  Sie  darf  beim  Schütteln 
mit  Wasser  nichts  Lösliches  an  dasselbe  abgeben  (kohlensaure  Alkalien), 
die  essigsaure  Lösung  trübe  sich  weder  mit  Schwefelwasserstoffwasser  (Kupfer, 
Blei),  noch  mit  Schwefelammonium  (dunkle  Trübung:  Eisen),  auch  nur 
unbedeutend  mit  Baryt-  und  Silbersalzen  (schwefelsaure  Salze  und  Chloride). 
Die  ammoniakalisch  gemachte  salzsaure  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  mit 
oxalsaurem  Ammoniak  (Kalkkarbon ai). 

Praktische  Übungen. 

Magnesia  usta.  Man  fülle  einen  hessischen  Tigel,  den  man  zwischen 
glühe^  ien  Holzkohlen  (in  einem  Windofen)  aufgestellt ,  mit  kohlensaurer 
Magnesia  und  glühe  ihn,  bedeckt,  bis  eine  (mit  einem  Spatel  heraus- 
genommene) Probe  mit  verdünnter  Schwefelsäure  nicht  mehr  aufbrause. 
Auch  kann  man  sich  eines  eisernen  Grapens  über  dem  Herdfeuer  bedienen ; 
alsdann  muss  die  Erhitzung  etwas  länger  andauern.  Schliesslich  entleere 
man  den  Inhalt  mit  einem  eisernen  Löffel  und  fülle  den  Tiegel  mit  einer 
neuen  Portion  kohlensauren  Magnesia,  womit  man  fortfahre,  bis  die  ganze 
Menge  der  letzteren  gebrannt  ist. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Prozente  Magnesia  hinterlässt  die  kohlensaure  Magnesia 
(Mg54C03,  2HO  +  4H20)  beim  Glühen?  —  Antw.  (Mg5  4C03,  2HO+4H20): 
5MgO  =  466 : 5  X  40 ;  x  =  42,9%. 

2.  Wieviel  Prozente  Krystallwasser  enthält  das  Bittersalz?  —  Antw. 
(MgS04  +  7H20) :  7H20  =  246  :  126 ;  x  =  51%. 


§  170.  Baryum  und  Strontium.  Zu  den  Metallen,  deren  Oxyde 
alkalische  Erden  genannt  werden,  zählen  ausser  dem  Calcium 
und  Magnesium  noch  Baryum  und  Strontium,  zwei  analog 
sich  verhaltende  Metalle  von  viel  geringerer  Yerbreitung  als  Cal- 


—     195    — 

cium  und  Magnesium.  Ihre  Oxyde  heissen  Baryt  (BaO)  und 
Strontian  (Sr  0). 

Das  Baryum  kommt  am  häufigsten  vor  als  Schwerspat*), 
schwefelsaurer  Baryt  (BaS04),  ein  nicht  seltenes  Mineral  von 
ziemlicher  Schwere  und  Glasglanz,  in  Wasser  und  Säuren  unlös- 
lich. Man  reduziert  es,  mit  Kohle  gemengt,  in  der  Weissglühhitze 
zu  Schwefelbaryum  (BaS),  aus  welchem  man  die  übrigen  Ba- 
ryumverbindungen  gewinnt.  Seltener  findet  sich  der  kohlensaure 
Baryt  als  Witherit  (BaC03),  welcher  ebenfalls  zur  Darstellung 
der  Baryumsalze  dient;  er  ist,  wie  alle  löslichen  Baryumsalze,  giftig. 

Der  salpetersaure  Baryt,  Baryum  nitricum 
(Ba2N03),  als  Reagens  auf  Schwefelsäure  gebräuchlich,  wird  durch 
Auflösen  von  Schwefelbaryum  oder  kohlensaurem  Baryt  in  Sal- 
petersäure, in  farblosen  Krystallen  gewonnen.  In  starker  Glüh- 
hitze verliert  er  seine  Säure  und  hinterlässt  Baryt  (BaO)  als 
grauweisses  Pulver,  das  mit  Wasser  ein  Hydrat  giebt  und  sich 
zu  einer  stark  alkalischen  Flüssigkeit,  dem  Barytwasser,  auf- 
löst. Dasselbe  zieht,  ähnlich  dem  Kalkwasser,  begierig  Kohlen- 
säure aus  der  Luft  an  und  trübt  sich  alsdann. 

Das  Chlorbaryum,  Baryum  chloratum  (BaCl2  -\~2  aq.), 
krystallisiert  in  farblosen,  luftbeständigen,  leichtlöslichen  Säulen, 
welches  man  aus  Schwefelbaryum  oder  aus  kohlensaurem  Baryt 
durch  Auflösen  in  Salzsäure  und  Abdampfen  der  Lösung  gewinnt. 
In  Weingeist  ist  es  nicht  löslich. 

Das  Strontium  ähnelt  in  seinen  Verbindungen  völlig  dem 
Baryum,  von  welchem  es  sich  durch  die  karminrote  Färbung 
unterscheidet,  die  seine  Yerbindungen  der  Flamme  erteilen.  Es 
findet  sich  teils  als  Strontianit  (kohlensaurer  Strontian),  teils 
als  Cölestin  (schwefelsaurer  Strontian).  Man  gebraucht  den 
salpetersauren  Strontian  (Sr2jST03 )  zu  bengalischem  Rotfeuer. 

Erkennung  von  Baryt  und  Strontian:  Die  Baryt-  und  Strontian- 
salze  werden  aus  ihren  Lösungen  durch  verdünnte  Schwefelsäure 
oder  schwefelsaure  Salze  gefällt.  Da  der  schwefelsaure  Baryt  und 
Strontian  viel  weniger  löslich  ist,  als  der  schwefelsaure  Kalk,  so 
erzeugt  selbst  Gipslösung  in  den  Baryt-  und  Strontianlösungen 
weisse  Trübungen.  Kohlensaure  Alkalien  scheiden  aus  ihnen  weisse 
Karbonate  ab. 


24.  Thonerde  und  Alaun. 

§  171.    Was  ist  die  Thonerde?     Die  Thonerde  (A1203)  ist  das 
Oxyd  des  Aluminiums,   eines  silberweissen ,  leichten ,  luftbe- 

*)  Daher  der  Name  Baryum  (ßapug,  schwer). 


—     196     — 

ständigen  Metalles,  welches  das  Wasser  in  gewöhnlicher  Tem- 
peratur nicht  zersetzt. 

Man  gewinnt  das  Aluminium  aus  dem  Kryolith  (Fluoralumi- 
nium mit  Fluornatriuin)  durch  Schmelzen  mit  Natrium.  Es  wurde 
zuerst  von  Wo  hier  (1827)  isoliert. 

Die  Thonerde  kommt  in  der  Natur  unrein  vor  als  Smirgel 
(Lapis  Smiridis),  rein  und  krystallisiert  als  Korund,  ein  wert- 
voller Edelstein,  dessen  blaue  Varietät  Saphir,  dessen  rote 
Kubin  genannt  wird.  Diese  Mineralien  übertreffen  selbst  den 
Quarz  an  Härte,  weshalb  man  den  Smirgel  als  Schleif-  und 
Poliermittel  für  Glas  benutzt. 

In  Verbindung  mit  Kieselsäure  ist  die  Thonerde  ein  fast  nie 
fehlender  Bestandteil  der  Silikatgesteine.  Der  Feldspat,  ein 
wesentlicher  Gemengteil  des  Granits  und  Syenits  (sog.  Urge- 
birge) ,  stellt  ein  Doppelsilikat  des  Kaliums  und  Aluminiums  dar 
(K20,Al203,6Si02).  Durch  seine  Verwitterung  entsteht  der  T h  o  n ; 
das  Kali  wird  nämlich  durch  die  Kohlensäure  der  Luft  und  des 
Wassers  im  Laufe  der  Zeit  als  kohlensaures  Kali  der  Pflanzenwelt 
zugeführt,  während  die  kieselsaure  Thonerde  liegen  bleibt.  Der 
Thon  ist  unreine,  wasserhaltige,  kieselsaure  Thon- 
erde. Lagert  er  am  Orte  seiner  Entstehung,  so  stellt  er  eine 
weisse,  erdige  Masse,  die  Porzellanerde,  dar,  aus  der  man  das 
echte  Porzellan  bereitet.  Dasselbe  zeichnet  sich  dadurch 
aus,  dass  es  infolge  einer  beim  Brennen  beginnenden  Schmelzung 
im  Bruche  glasartig  und  durchscheinend  geworden  ist.  Man  er- 
teilt ihm  gewöhnlich  eine  Glasur  aus  feinpräpariertem  Feldspat. 
Unglasiertes  Porzellan  heisst  Bisquit-Porzellan. 

Wird  der  Thon  aber  vom  Orte  seiner  Bildung  fortgeschwemmt, 
so  vermengt  er  sich  mit  erdigen  Teilen  und  wird  unrein.  Er 
stellt  dann  den  gewöhnlichen  Thon  dar  und,  mit  Sand  ge- 
mengt, den  Lehm.  Aus  dem  gemeinen  Thone  bereitet  man 
durch  Brennen  die  verschiedenen  Thonwaren,  mit  porösem, 
erdigem,  nicht  durchscheinendem  Bruch  und  einer  Glasur  not- 
wendig bedürfend.  Die  beste  Sorte  ist  die  aus  eisenfreiem,  weissem 
Thon  bereitete  Fayence,  welche  aus  Quarz  und  Mennige  eine 
Bleiglasur  erhält.  Das  Töpfergeschirr,  aus  rotem,  eisenhaltigem 
Thone,  bekommt  ebenfalls  Bleiglasur.  Das  Steingut  wird  nicht 
glasiert,  da  der  zur  Verwendung  gelangende  Thon  beim  Glühen 
eine  dichte,  glasige  Masse  bildet.  Dagegen  erteilt  man  den  ge- 
ringeren   Steinzeugwaren   eine  Natronglasur  mittelst   Kochsalz. 

Weisser,  ziemlich  reiner  Thon  ist  als  weisser  Bolus,  Ar- 
gilla  oder  Bolus  alba  officinell,  eine  abfärbende,  an  der  Zunge 
haftende,  angefeuchtet  plastische,  erdige  Masse.  Mit  braunrotem 
Eisenoxyd  gemengter  Thon  ist  der  rote  Bolus  (Bolus  rubra). 


—     197     - 

§  172.  Alaun  und  Aluminiumsulfat,  a)  Unter  AI  aun,  AllllilUH, 
versteht  man  zunächst  ein  Doppelsalz  aus  Kalium  und  Aluminium- 
sulfat, schwefelsaure  Kali-Thonerde  (K2A124S04  +  24  aq.),  in 
wasserhellen,  regelmässigen  Oktaedern  krystallisiert,  von  säuerlich 
herbem  Geschmack,  in  kaltem  Wasser  schwer-,  in  heissem  leichtlöslich. 

Der  Alaun  findet  sich  nicht  natürlich.  Man  fabriziert  ihn  in 
Deutschland  auf  eigenen  Hütten  aus  den  sog.  Alaunerzen, 
die  man  je  nach  ihrer  schieferigen  oder  erdigen  Struktur  als 
Alaunschiefer  oder  Alaunerde  bezeichnet.  Diese  Erze 
stimmen  darin  überein,  dass  sie  Gemenge  aus  Thon,  Schwefelkies 
(EeS2)  und  Braunkohle  sind.  Der  Thon  liefert  bei  der  Alaun- 
fabrikation die  Thonerde,  der  Schwefelkies  die  Schwefelsäure,  die 
Braunkohle  das  Brennmaterial;   das  Kali  muss  zugesetzt  werden. 

Die  Hauptzüge  der  Alaunfabrikation  sind  folgende:  Die 
Alaunerze  werden  zu  Haufen  geschichtet  und  geröstet,  wozu  sie 
in  der  Braunkohle  das  Brennmaterial  mitbringen.  Bei  der  Röstung 
oxydiert  sich  der  Schwefelkies  (Zweifach-Schwefeleisen)  in  schwefel- 
saures Eisenoxydul  und  freie  Schwefelsäure,  nämlich: 

FeS2     +    H20     +     70     =     FeS04     +    H2S04 

Eisenbisulfld  Wasser  Sauerstoff  Eisensulfat  Schwefelsäure. 

Die  entstandene  freie  Schwefelsäure  zersetzt  den  Thon,  schei- 
det die  Kieselsäure  aus  und  löst  schwefelsaure  Thonerde 
(A123S04)  auf.  Beim  Auslaugen  des  Rohproduktes  wird  also 
schwefelsaure  Thonerde  und  schwefelsaures  Eisenoxydul  aufgelöst; 
man  entfernt  das  letztgenannte  Salz  durch  Krystallisation  und 
bringt  es  als  Eisenvitriol  in  den  Handel;  die  schwefelsaure  Thon- 
erde verbleibt,  weil  sehr  löslich,  in  der  Mutterlauge.  Nun  wird  der 
letzteren  schwefelsaures  Kali  beigegeben ,  worauf  der  schwerlös- 
liche Alaun  sich  ausscheidet,  den  man  durch  Auflösen  in  mög- 
lichst wenig  heissem  Wasser  umkrystallisiert. 

Prüfung  des  Alauns:  Die  wässerige  Lösung  darf  sich  nicht  trüben 
durch  BUS  (dunkel:  Kupfer,  Blei),  nicht  bläuen  mit  Ferrocyankalium  {Eisen), 
noch  mit  Natronlauge  Ammoniak  entwickeln;  auch  die  alkalische  Lösung 
durch  H2S  nicht  getrübt  werden  (schwarz:  Eisen). 

Der  Alaun  schmilzt  beim  Erhitzen  in  seinem  Krystallwasser, 
bläht  sich  dann,  unter  Verlust  desselben,  stark  auf  (ähnlich  dem 
Borax)  und  hinterlässt  eine  weisse,  leichte,  poröse  Masse,  den 
gebrannten  Alaun,  Alunien  ustum  (K2A124S04).  In  Wasser 
löst  sich  derselbe  nur  langsam  auf. 

Es  existiert  eine  grössere  Zahl  dem  Alaun  isomorpher  Doppelsalze, 
Doppelsulfate  zweier  Metalle,  eines  einwertigen  und  eines  dreiwertigen, 
sämtlich  mit  24  Mol.  Krystallwasser  und  Oktaederform;  man  be- 
zeichnet sie  alle  als  Alaune  und  unterscheidet  den  Kali  -  Thonerdealaun 
als  Kalialaun,  den  Ammoniak- Thonerdealaun  (welchen  man  erhält,  wenn 
man  der  schwefelsauren  Tonerdelösung  schwefelsaures  Ammoniak  zusetzt) 
als  Ammoniakalaun;  ist  die  Thonerde  durch  Chromoxyd  oder  Eisenoxyd 
vertreten,   so   haben  wir  den  Chromalaun  und  Eisenalaun.     Letzterer 


—     198     — 

ist   als  Ferrum   sulfuricum  oxydaturn  ammoniatum,   Amnioniak- 
Eisenalaun,  hier  und  da  gebräuchlich  und  besitzt  die  Formel: 
(NH4)2Fe44S0.2  +  24  aq. 

b)  Die  schwefelsaure  Thonerde,  das  Aluininiuinsulfat, 
Aluminium  sulfuricum  (A123S04  -j-  18 aq.)  ist  ein  farbloses,  in 
Wasser  leichtlösliches,  in  Weingeist  unlösliches  Salz,  welches  in 
Säulen  krystallisiert  und  aus  dem  Kryolith  durch  Behandlung 
mit  Schwefelsäure  gewonnen  wird.  Es  dient  zur  Darstellung  der 
essigsauren  Thonerdelösung,  Liquor  Alumiuii  acetici, 
welche  durch  Zersetzung  des  Aluminiumsulfats  mit  Essigsäure 
und  kohlensaurem  Kalk  bereitet  wird.  Dabei  entweicht  die  Kohlen- 
säure des  letzteren  und  schwefelsaurer  Kalk  scheidet  sich  ab. 
AL3S04        +        4HC,H302      +        3CaC03     = 

Aluminiumsulfat  Essigsäure  Calciumcarbonat 

AL-  (4(9HO°i        +  3CaS04        +  3C02      +    H20 

'J-n-^  Calciumsulfat  Kohlensäure  Wasser. 

Aluminiumaeetat 

Im  Liquor  ist  das  Aluminiumaeetat  als  ein  basisches  Salz 
enthalten. 

§  173.  Thonerdehydrat.  Das  Th  ob  er  d  ehy  drat,  Alumina 
hydrata  (AL6HO)  ist  ein  weisses,  voluminöses,  geschmackloses, 
unlösliches  Pulver,  welches  sich  ausscheidet,  wenn  man  eine 
Alaunlösung  mit  einem  kohlensauren  Alkali  versetzt;  da  die  Thon- 
erde sich  mit  der  Kohlensäure  nicht  verbinden  kann,  scheidet  sich 
Thonerdehydrat  ab  und  die  Kohlensäure  entweicht  unter  Aufbrausen. 

Das  Thonerdehydrat  verbindet  sich  leicht  mit  organischen 
Farbstoffen  zu  sog.  Lackfarben.  Man  gebraucht  deshalb 
den  Alaun,  häufig  auch  die  essigsaure  Thonerde,  als  Beize  in  der 
Färberei.  Bringt  man  nämlich  Gespinste  zuerst  in  eine  Alaun- 
lösung, darauf  in  eine  Farbbrühe,  so  verbindet  sich  der  Farbstoff 
mit  der  auf  der  Gespinstfaser  haftenden  Thonerde  und  schlägt 
sich  als  Lackfarbe  darauf  nieder. 

Erkennung  der  Thonerde:  Das  Thonerdehydrat  löst  sich  nicht 
allein  in  verdünnten  Säuren  (zu  Thonerdesalzen),  sondern  auch  in 
Ätzalkalien  zu  sog.  Aluminaten;  mit  Kali  bildet  es  lösliches 
Kaliumaluminat  (K2A1204),  mit  Natron  Natriumaluminat  u.  s  f.  Mit 
Ammoniak  vereinigt  es  sich  aber  nicht.  Daher  löst  sich  der  durch 
Ätzkali  (Natron)  in  einer  Alaunlösung  hervorgerufene  Niederschlag 
in  einem  Überschusse  des  Ätzkalis  wieder  auf;  wird  diese  Flüssig- 
keit nun  mit  einer  Chlorammoniumlösung  versetzt,  so  scheidet 
sich  Thonerdehydrat  wieder  ab,  da  das  Chlorammonium  sich  mit 
dem  Natronhydrat  in  Chlornatrium  und  freies  Ammoniak  umsetzt. 

Praktische  Übungen. 

Alumen  ustum.  Man  fülle  eine  weisse,  flache  Schale  von  un- 
glasiertem Thon,  —  beispielsweise  einen  Blumentopf- Untersatz  —  zum  dritten 


—     199     — 

Teile  mit  grobgepulvertem  Alaun  und  stelle  sie  auf  eine  gelinde  erhitzte 
Platte.  Das  Salz  schmilzt  zu  einer  dünnen  Flüssigkeit,  die  allmählich 
dicklich  wird;  ist  sie  sehr  zähe  geworden,  so  verstärke  man  das  Feuer, 
damit  sie  aufschwelle  und  zu  einer. weissen,  porösen  Masse  aufblähe,  die 
sich  nach  dem  Erkalten  leicht  vom  Gefässe  ablöst.  Beim  Schmelzen  darf 
nicht  umgerührt  werden. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.   Wie    viel  gebrannter  Alaun    wird  aus    1    kg  Alaun   erhalten?  — 
Antw.  (K2A124S04  +  24H20) :  (K2A124S04)  =  949  :  517;  x  =  544  g. 


§  174.  Mangan.  Das  Mangan*)  ist  ein,  gegen  das  Ende 
des  vorigen  Jahrhunderts  entdecktes  Schwermetall,  welches  sich 
im  Braunstein  befindet.  Mit  Sauerstoff  verbindet  es  sich  zu 
zwei  Oxyden,    einem  Superoxyde  und  zwei  Säuren,   nämlich  zu 

Manganoxydul        MnO  Mano-ansänre  MnO 

Mano-anoxvd           Mn  0  iviangansaure  iv±nu3 

■n/r     ö         J           3  iv/r2/-»3  Übermangansaure  H    MnO. 

Mangansuperoxyd  Mn(J2                          °  4 

a)  Der  Braunstein,  Manganum  hyperoxydatum,  Mn02, 
ist  Mangansuperoxyd  und  das  hauptsächlichste  Manganerz ;  er 
findet  sich  zerstreut  in  Europa  (z.  B.  bei  Giessen),  bald  in  spies- 
sigen  Krystallen  (Pyrolusit),  die  sternförmig  gruppiert  sind,  bald 
in  derben  Massen,  oft  gemengt  mit  kalkigen  und  thonigen  Erd- 
arten. Grauschwarz,  metallglänzend,  abfärbend ;  giebt  in  der  Glüh- 
hitze den  dritten  Teil  seines  Sauerstoffs  ab,  zu  Manganoxyduloxyd 
sich  reduzierend ;  mit  Salzsäure  erwärmt,  löst  er  sich  zu  Mangan- 
chlorür  und  liefert  freies  Chlor.     (Vgl.  §  120.) 

b)  Das  schwefelsaure  Manganoxydul,  Mangan- 
sulfat, Manganum  sulfuricum  (MnS04  +  4H20),  entsteht  beim 
Erhitzen  von  Braunstein  mit  konz.  Schwefelsäure,  wobei  Sauer- 
stoff entweicht. 

Mn02     +      H2S04      =    MnS04      +    H.20     +       0 

Maugan-  Schwefelsäure  schwefelsaures  Wasser  Sauerstoff 

superoxyd  Manganoxydul 

Der  Rückstand  wird  mit  Wasser  ausgelaugt;  die  Lösung 
liefert  in  lauer  Wärme  das  Salz  in  rötlichen  Krystallen,  welche 
leicht  verwittern  und  in  Wasser  sich  leicht  lösen.  In  der  Kälte 
krystallisiert  das  Salz  mit  7H20,  zerfliesst  aber  schon  bei  18°. 

c)  Erhitzt  man  Braunstein  mit  chlorsaurem  Kali  und  Ätzkali, 
so  giebt  das  chlorsaure  Kali  seinen  Sauerstoff  an  das  Mangan- 
superoxyd ab,  und  es  entsteht  neben  Chlorkalium  mangan- 
saures Kali,  K2Mn04,  sog.  Chamäleon,  welches  sich  mit 
grüner  Farbe  in  Wasser  auflöst;  bei  vorsichtiger  Sättigung  mit 
Kohlensäure  oder  Salpetersäure  wird  diese  Lösung  purpurrot, 
indem  das  mangansaure  Kali  in  übermangansaures  Kali, 
Kaliumpermanganat,    Kalium  permanganicum   (KMn04), 

*)  Mangan,  früher  Manganesium,  abgeleitet  von  magnes,  womit  man 
den  Braunstein  bezeichnete.     Isoliert  1775  von  Gähn. 


—     200     — 

übergeht,  unter  Abscheidung  von  Mangansuperoxyd*).  Das  Kalium- 
permanganat kristallisiert  in  stahlgrauen  Säulen,  welche  sich  mit 
purpurner  Farbe  in  Wasser  auflösen.  In  hohem  Grade  durch 
oxydierende  Eigenschaften  ausgezeichnet,  wird  es  durch  oxydier- 
bare Substanze  unter  Entfärbung  zu  Mangansuperoxyd,  bei  Gegen- 
wart von  Säure  zu  einem  Manganoxydulsalz**)  reduziert.  Man  ver- 
wendet es  daher  zur  Desinfektion,  sowie  als  Reagens  zum  Nachweis 
oxydierbarer  Substanzen.  Nicht  allein,  dass  es  Oxydulsalze  (z.  B. 
Eisenvitriol)  in  Oxydsalze ,  schweflige  und  phosphorige  Säure  in 
Schwefel  und  Phosphorsäure  überführt,  oxydiert  es  die  organischen 
Materien,  z.  B.  Oxalsäure  zuKohlensäure(H,C204+0=H20-}-2C02). 

§  175.  Chrom.  Das  Chrom  ist  ein  im  Chromeisenstein 
(FeO,Cr203)  enthaltenes,  nicht  häufig  vorkommendes  Schwermetall, 
welches  mit  Sauerstoff  Chromoxyd  (Cr203)  und  Chromsäure 
(Cr03)  bildet.  —  Man  stellt  aus  dem  Chromeisenstein  durch  Glühen 
mit  Salpeter  doppeltchromsaures  Kali,  Kalium  bichromicum 
(K2Cr04,  Cr03)  =  (K2Cr20?),  fabrikmässig  dar***).  Das  Kalium- 
dichromat  krystallisiert  in  gelbroten  Säulen,  die  sich  in  "Wasser 
mit  derselben  Farbe  auflösen.  Mit  kohlensaurem  Kali  liefert  es 
gelbes  einfach  chromsaures  Kali  (K2Cr04),  Kalium  chromi- 
cum.  Yersetzt  man  es  mit  konz.  Schwefelsäure,  so  krystallisiert 
wasserfreie  Chromsäure,  Acidnm  chromicnni  (Cr03),  in 
roten,  an  der  Luft  zerflies  suchen  Nadeln  aus.  Die  Chromsäure, 
wie  ihre  Kalisalze  zeichnen  sich  durch  oxydierende  Eigenschaften 
aus,  wobei  sie  sich  zu  Chromoxyd  reduzieren.  Doppeltchromsaures 
Kali  mit  Schwefelsäure  giebt  an  oxydierbare  Substanzen  Sauerstoff 
ab  und  wird  dabei  zu  violettrotem  Chromalaun  (schwefelsaurem 
Kali-Chromoxyd) : 

K2Cr207         +    4H2S04  =  K2Cr24S04   +    4H20    +     30 

doppeltchroms.  Kali  Schwefelsäure  Chromalaun  Wasser  Sauerstoff, 

Mit   Salzsäure   erwärmt,  liefert   das  doppeltchromsaure  Kali: 
Chlorkalium,  grünes  Chromchlorid  und  freies  Chlor: 
K2Cr207     +     14HC1     =     2KC1     +    Cr2Cl6    -f-  7H20   +  6C1 

doppeltchroms.  Chlor-  Chlorkalium  Chrom-  Wasser  Chlor. 

Kali  Wasserstoff  chlorid 

Die  Chromverbindungen  zeichnen  sich  durch  gelbe,  rote  oder 
grüne  Färbung  aus  —  daher  der  Name  des  Elementes  (x^oo^a, 
Farbe),  welches  1797  zuerst  von  Yauquelin  isoliert  wurde. 
Chromsaures  Bleioxyd  dient  in  der  Färberei  als  Chromgelb, 
basisch  chromsaures  Blei  als  Chromrot  —  zwei  giftige  Farbmittel. 


*)  3K,Mn04  +  2CO,  =  2KMn04  -J-  MnO,  -f-  2E2C03. 
•*)  2KMn04  +  3H9SÖ4  =  K9S04  +  2MnS04  -f  3H20  +  50. 
*)  Cr903  +  2KNO3  tk  K>CrvÖ7  -f  2  NO. 


—    201 


25.  Das  Eisen  und  seine  Verbindungen, 

§  176.    Wie  gewinnt  man  das  Eisen?     Das    Eisen,    ein    altbe- 
kanntes Metall,  findet  sich  nur  selten  gediegen,  wie  im  Meteoreisen, 
in  Verbindung  mit  Nickel  und  Kobalt;  die  gewöhnlichen  Eisen- 
erze, welche  zur  Eisengewinnung  dienen,  sind: 
Roteisenstein  (Eisenoxyd), 
Brauneisenstein  (Eisenoxydhydrat), 
Spateisenstein  (kohlensaures  Eisenoxydul). 

Es  giebt  auch  schwefelhaltige  Eisenmineralien,  wie  der 
Schwefelkies  (FeS2)  und  Magnetkies,  sowie  phosphorhaltige, 
wie  das  Raseneisenerz  (phosphorsaures  Eisenoxyduloxyd); 
jedoch  eignen  sich  dieselben  nicht  zur  Metallbereitung,  da  schon 
Va  Proz-  Schwefel  das  Eisen  rotbrüchig  (in  der  Glühhitze  spröde), 
Phosphor  dasselbe  kaltbrüchig  (in  der  gewöhnlichen  Temperatur 
nicht  hämmerbar)  macht. 

Die  Eisengewinnung  besteht  in 
der  Reduktion  der  genannten  oxydischen 
Erze  durch  Kohle  und  wird  in  sog.  Hoh- 
öfen  (Fig.  58)  vorgenommen.  Dieselben 
sind  Schachtöfen,  an  deren  oberer  Öffnung 
a  (Gicht)  abwechselnd  die  Eisenerze  und 
Kohlen  eingetragen  werden.  Das  Mauer- 
werk (m)  verengert  sich  nach  unten  in 
das  „Gestell"  g,  woselbst  der  eigentliche 
Schmelzprozess  vor  sich  geht.  Daselbst 
wirken  zwei  Gebläse  (an  den  sog.  „For- 
men" f).  Das  geschmolzene  Metall  sam- 
melt sich  am  Boden  des  „Gestelles",  dem 
sog.  „Herd",  der  nach  vorn  vom  „Tümpel- 
stein" t  und  „Wallstein"  w,  zwei  feuer- 
festen Steinen,  begrenzt  ist.  Durch  eine 
Rinne  neben  dem  Wallsteine  —  die  sog.  Fig.  58. 

„Stichöffnung"    —   wird   der  Herd,  wenn  er  gefüllt  ist,  entleert. 

Die  Eisenerze  erhalten  stets  einen  Zuschlag  bald  quarziger, 
bald  kalkiger  Gangart,  um  eine  leichtflüssige  Schlacke  zu  erzeugen, 
welche  das  abgelassene  Metall  bedeckt  und  vor  der  oxydierenden 
Wirkung  der  Luft  schützt. 

Das  Produkt  des  Hohofenprozesses  ist  das  Roheisen,  auch 
Gu ss eisen  genannt,  Eisen  mit  3  —  5  Proz.  Kohle,  welche  zum 
Teil  mit  dem  Eisen  in  chemischer  Verbindung  steht.  Es  ist  leicht 
schmelzbar  und  spröde;  beim  Auflösen  in  Säure  entweicht  der 
chemisch  gebundene  Kohlenstoff  mit  dem  entwickelten  Wasser- 
stoff als  (übelriechendes)  Kohlenwasserstoff  gas;  die  mechanisch  bei- 
gemischte Kohle  bleibt  dagegen  als  schwarzer,  kohliger  Rückstand. 


—    202     - 

Aus  dem  Roheisen  stellt  man  durch  den  sog.  Frisch- 
pro z  e  s  s  das  Stabeisen  dar ,  dessen  Kohlegehalt  nur  1j2  Proz. 
beträgt.  Dieser  Frischprozess  ist  eine  Oxydation,  indem  man  das 
Roheisen,  unter  Zuschlag  oxydischer  Eisenverbindungen,  z.  B. 
Hammerschlag  (Eisenoxyduloxyd),  vor  der  Gebläseluft  wiederholt 
niederschmilzt,  bis  das  Metall  zähflüssig  geworden  ist.  Dabei  ver- 
brennt der  Kohlenstoff.  Man  nimmt  diesen  Prozess  in  Flammen- 
öfen (sog.  Puddlingsöfen),  früher  in  offenen  sog.  Frischherden  vor. 
Das  Stabeisen  ist  sehr  strengflüssig,  aber  geschmeidig  und  zähe. 

Zwischen  Roheisen  und  Stabeisen  hält  der  Stahl  die  Mitte ; 
er  besitzt  die  Schmelzbarkeit  des  ersteren,  die  Geschmeidigkeit 
des  letzteren,  übertrifft  sie  aber  an  Härte  und  Elastizität.  Sein 
Kohlenstoffgehalt  schwankt  zwischen  1  und  2  Proz.  Man  gewinnt 
den  Stahl  teils  aus  dem  Roheisen  durch  einen  dem  Frischprozess 
ähnlichen,  aber  nicht  soweit  fortgesetzten  Vorgang,  teils  aus  dem 
Stabeisen  durch  Erhitzen  mit  Kohlenpulver  in  verschlossenen 
Kisten.  Ersteres  Verfahren  giebt  den  sog.  deutschen  Stahl, 
letzteres  den  englischen  oder  Cementstahl.  Nach  dem 
Hämmern  erfordert  der  Stahl  ein  schnelles  Abkühlen,  wodurch  er 
seine  Härte  und  Sprödigkeit  gewinnt;  lässt  man  ihn  langsam  er- 
kalten, wird  er  so  weich  wie  Stabeisen.  Zu  den  verschiedenen  techni- 
schen Zwecken  giebt  man  dem  Stahl  dadurch  die  gewünschte  Härte, 
dass  man  ihn  bis  zu  gewissen  Temperaturen  erhitzt,  ihn  ,,anlässtu, 
und  dann  schnell  abkühlt.  Diese  Hitzegrade  geben  sich  durch 
Farbennüancen  zu  erkennen,  vom  Purpurrot  bis  Tiefblau. 

Zu  den  Präparaten  des  Eisens  verwendet  man  teils  Eisen- 
draht  (Ferrum  in  filis),  teils  Eisenfeile  (Ferrum  lima- 
tum,  Limatura  Martis),  beide  aus  Stabeisen  bestehend.  Zum 
innerlichen  Gebrauche  dienen:  a)  das  Eisenpulver,  Ferrum 
pulveratum,  ein  schweres,  bläulichgraues,  feines  Pulver,  durch 
Stossen  und  Beuteln  der  Eisenfeile  dargestellt  und  durch  noch- 
maliges Reiben  metallisch  glänzend  gemacht;  b)  das  reduzierte 
Eisen,  Ferrum  reductum,  durch  Reduktion  des  Eisenoxyds 
mittelst  Wasserstoffgas  in  rotglühenden  Porzellanröhren  gewonnen 
(Fe203 +6H  =  2Fe  +  3H50),  ein  dunkelgraues,  glanzloses  Pulver, 
häufig  aber  infolge  unvollendeter  Operation  durch  einen  Rückhalt 
an  Eisenoxyduloxyd  schwarz. 

Prüfung  des  metallischen  Eisens.  1)  Das  Ferrum  pulveratum 
muss  sich  in  Salzsäure  völlig  auflösen  (Rückstand:  Kohle),  das  dabei  ent- 
bundene Wasserstongas  färbe  nicht  Silbernitrat  (Schwärzung:  6c hwe feieisen); 
die  salzsaure  Lösung  trübe  sich  nicht  mit  H2S  (dunkle  Trübung:  Kupfer,  Blei); 
mit  Salpetersäure  höher  oxydiert  und  durch  Salmiakgeist  ausgefällt,  darf 
Schwefelammonium  im  Filtrate  keine  Trübung  (weiss :  Zink)  mehr  erzeugen. 
Löst  man  den  Rückstand,  den  die  Salzsäure  löst,  in  Salpetersäure,  so  darf 
H2S  diese  nicht  trüben  (dunkle  Trübung:  Blei,  Kupfer),  überschüssiges 
Ammoniak  nicht  bläuen  ( Kupfer). 


—     203     — 

2.  Das  Ferrum  reductum  entwickele  ebenfalls  beim  Lösen  in  Salz- 
säure ein  Wasserstoffgas,  welches  Silbernitrat  nicht  färben  darf  (schwarz: 
Schwefeleisea) ;  sein  Gehalt  an  metallischem  Eisen  wird  durch  Kaliumper- 
manganat bestimmt,  nachdem  man  das  metallische  Eisen  durch  Digestion 
mit  Quecksilberchlorid  als  Eisenchlorür  in  Lösung  übergeführt  hat.  (Fe  -j- 
2HgCl,  =  FeCL  +  Hg2Cl2). 

§  177.  Eigenschaften  des  Eisens.  Das  chemisch  reine  Eisen  be- 
sitzt eine  glänzend  weisse  Farbe;  der  Stahl  nimmt  nächst  dem 
Silber  die  schönste  Politur  an.  Das  spezifische  Gewicht  des  Roh- 
eisens ist  7,1,  des  Stabeisens  7,7,  des  Stahls  7,8.  An  trockner 
Luft  bleibt  das  Metall  unverändert,  überzieht  sich  aber  an  feuchter 
Luft  mit  Rost  (Eisenoxydhydrat  mit  kohlensaurem  Eisenoxydul); 
in  der  Glühhitze  verbrennt  es  oberflächlich ,  das  entstehende 
schwarze  Eisenoxyduloxyd  springt  darauf  beim  Hämmern  als 
Hammerschlag  ab.  In  der  Glühhitze  zersetzt  das  Metall  den 
Wasserdampf,  Wasserstoffgas  entweicht,  und  Eisenoxyd  entsteht. 
Verdünnte  Säuren  lösen  das  Eisen,  unter  Entbindung 
ihres  Wasserstoffs,  auf  und  bilden  Eisenoxydul- 
salze, welche  an  der  Luft  durch  Sauerstoffaufnahme  allmählich 
in  Oxydsalze  übergehen. 

Das  Eisen  ist  in  seinen  Oxydul(Ferro)-Yerbindungen  zwei- 
wertig, in  seinen  Oxyd(Ferri)-Salzen  vierwertig,  wenn  aber  ein 
Doppelatom  Eisen  in  ihnen  enthalten  ist,  halten  sich  2  Yalenzen 
gebunden  und  das  Doppelatom  tritt  sechswertig  auf.  Daher  die 
Formel  des  Eisenoxyduls  FeO,  des  Eisenoxyds  Fe203. 
Mit  Schwefel  verbindet  sich  das  Eisen  zu  Eisensulfid,  FeS 
(schwarzem  Schwefeleisen),  und  zu  Eisenbisulfid,  FeS2 
(Schwefelkies);  jenes  löst  sich  leicht  in  verdünnten  Säuren,  dieses 
nur  in  Königswasser. 

Erkennung  der  Eisensalze:  Die  Salze  des  Eisens  werden  durch 
Schwefelwasserstoff  nur  unvollständig,  aus  saurer  Lösung  gar  nicht 
gefällt  (wegen  der  Löslichkeit  des  Schwefeleisens  in  Säuren). 
Schwefelammonium  scheidet  jedoch  schwarzes  FeS  aus  ihnen 
aus.  —  Die  Eisenoxydulsalze  besitzen  meist  eine  hellgrüne  Farbe, 
die  Oxydsalze  eine  braunrote.  Durch  Schwefelcyankalium  färben 
sich  die  Eisen  oxyd  salze  blutrot,  ebenso  durch  essigsaure  Salze 
(Liquor  Ferri  aceticü).  Gelbes  Blutlaugensalz  (Ferrocyankalium) 
erzeugt  mit  den  Eisenoxydsalzen,  rotes  Blutlaugensalz  (Ferri- 
cyankalium)  mit  den  Eisenoxydulsalzen  tiefblaue  Niederschläge 
(Berlinerblau)  —  Mittel  zur  Unterscheidung  der  Oxyd-  von  den 
Oxydulsalzen  des  Eisens ! 

Als  wesentlicher  Bestandteil  des  Blutfarbstoffs  dient  das  Eisen 
zur  besseren  Blutbereitung  und  ist  in  seinen  zahlreichen  Präparaten 
ein  geschätztes  Mittel  gegen  Blutarmut,  Bleichsucht  u.  s.  w. 


—     204     — 

§  178.  Die  Sauerstoffverbindungen  des  Eisens.  Das  Ferrosulfat 
oder  schwefelsaure  Eisenoxydul  (FeS04  -f-  7aq.),  ge- 
wöhnlich Eisenvitriol  oder  grüner  Yitriol  genannt,  krystal- 
lisiert  in  hellgrünen,  rhombischen,  leicht  in  Wasser,  nicht  in 
Weingeist  löslichen  Säulen,  dem  Bittersalze  isomorph.  Das  im 
Handel  vorkommende  rohe  Salz,  Ferrum  sulfuricum  crudum,  ist 
ein  Nebenprodukt  bei  der  Alaunfabrikation,  beim  Cementkupfer 
(daher  seine  Bezeichnung  „Kupferwasser'1,  „Kupferrauch"),  bei  der 
Schwefel-  und  Schwefelsäuregewinnung  aus  dem  Schwefelkies, 
dessen  Rückstand  (FeS)  der  Röstung  unterworfen  wird. 

Das  reine  Salz,  Ferrum  sulfuricum  (purum),  entsteht  unter 
Wasserstoffentbindung  bei  Auflösung  von  Eisen  in  verdünnter 
Schwefelsäure. 

Fe    +      H2S04       =     FeS04     -+-      2H 

Eisen  Schwefelsäure  Eisensulfat  Wasserstoff. 

Fügt  man  der  klaren  Lösung  Weingeist  hinzu,  so  fällt  das 
Salz  als  grünlichweisses  Krystallmehl  nieder,  da  es  sich  darin 
nicht  auflöst.  Im  Wasserbade  trocknet  es  ein  zu  einem  weiss- 
lichgrauen  Pulver,  dem  entwässerten  schwefelsauren 
Eisenoxydul,  Ferrum  sulfuricum  siccum  (FeS04  -j-  aq.), 
welches  noch  1  Mol.  Krystallwasser  zurückbehält. 

An  der  Luft  oxydiert  sich  der  Eisenvitriol  leicht  zu  basisch 
schwefelsaurem  Eisenoxyd,  eine  gelbliche  Farbe  annehmend.*) 
Um  ihn  davor  zu  schützen,  wäscht  man  die  Krystalle  mit  Wein- 
geist ab  und  trocknet  sie  im  direkten  Sonnenlichte.  Oxydierende 
Mittel,  wie  Salpetersäure,  Chlor  (infolge  Salzsäurebildung  durch 
Wasserzersetzung) ,  übermangansaures  Kali  u.  a. ,  führen  das 
schwefelsaure  Eisenoxydul  in  neutrales  Oxydsalz  über,  sofern 
freie  Schwefelsäure  zugegen  ist.     Nämlich: 

2FeS04     +    H2S04     +     0     =    Fe23S04     +    H20 

schwefelsaures  Schwefel-  Sauer-  schwefelsaures  Wasser. 

Eisenoxydul  säure  Stoff  Eiseooxyd 

Prüfung  des  schwefelsauren  Eisenoxyduls.  Man  erhitzt  die  kon- 
zentrierte Lösung  des  Salzes  mit  Salpetersäure  zur  völligen  Oxydierung 
und  fällt  die  mit  Wasser  verdünnte  Flüssigkeit  mit  überschüssigem  Sal- 
miakgeist aus;  das  Filtrat  darf  weder  blau  gefärbt  erscheinen  {Kupfer), 
noch  durch  Schwefelammonium  getrübt  werden  (schwarzer  Niederschlag: 
Kupfer,  weisser  Niederschlag:  Zink),  auch  keinen  Glührückstand  hinterlassen. 

b)  Das  Ferrisulfat  oder  schwefelsaure  Eisenoxyd 
(Fe23S04),  als  Liquor  Ferri  sulfarici  oxydati  offizineil,  eine 
braune,  schwere  Flüssigkeit,  wird  durch  Erhitzen  einer  Eisen- 
vitriollösung mit  reiner  Schwefelsäure,  unter  Zugabe  von  Salpeter- 
säure, gewonnen.  Die  Salpetersäure  führt  das  Oxydulsalz  in 
Oxydsalz  über,  sich  zu  Stickoxyd  reduzierend,  welches  Gas  anfäng- 
lich von   dem  noch  vorhandenen  Oxydulsalze  mit  dunkelbrauner 

*)  FeS04  n  _  v      i  2S04 

FeSO*  +  H20  +  0  _  ie2  |  mQ 


—    205    — 

Farbe  zurückgehalten  wird,  bis  gegen  Ende  der  Oxydation,  wenn 
kein   schwefelsaures    Eisenoxydul   mehr   zugegen    ist,   sämtliches 
Stickoxydgas  stürmisch  entweicht  und  an  der  Luft  in   braunrote 
Untersalpetersäure  übergeht. 
6Fe,S04  +  3H2S04  +  2HN03  =  3Fe23S04  4-  4H20  +  2NO 

Ferrosulfat  Schwefelsäure       Salpetersäure  Ferrisulfat  Wasser     Stickoxydgas. 

Zur  Vertreibung  der  überflüssigen  Salpetersäure  dampft  man 
dann  die  Flüssigkeit  zu  einer  dicken  Masse  ein  und  verdünnt 
sie  mit  Wasser  bis  zum  spec.  Gew.  1,428 — 1,430,  mit  10  Proz.  Fe. 

Prüfung:  Die  Abwesenheit  jedweder  freien  Säure  wird  dadurch  kon- 
statiert, dass  man  einige  Tropfen  mit  unterschwefligsaurer  Natronlösung 
erhitzt,  wobei  einige  braune  Eisenoxyd-Flocken  sich  ausscheiden  müssen. 
Mit  Wasser  verdünnt,  darf  der  Liquor  weder  durch  Ferridcyankalium  (blau: 
Eisenoxydulsalz),  noch  durch  Silbernitrat  (weiss:  Eisenchlorid)  getrübt 
werden;  mit  Ammoniak  ausgefällt,  darf  das  Filtrat  mit  Schwefelsäure  und 
Eisenvitriol  keine  Salpetersäure  anzeigen,  noch  angesäuert  durch  Ferro- 
cyankalium  getrübt  werden  (braunrot:  Kupfer). 

Man  gebraucht  den  Liquor  zu  Antidotum  Arsenici,  zu  welchem 
Behufe  in  jeder  Apotheke  1  Pfd.  Liq.  Ferri  sulf.  oxyd.  vorrätig 
sein  muss. 

c)  Versetzt  man  eine  Lösung  von  schwefelsaurem  Eisen- 
oxydul mit  einem  kohlensauren  Alkali,  so  fällt  Ferrokarbonat 
oder  kohlensaures  Eisenoxydul  (FeC03)  als  anfangs  weisser, 
sehr  bald  graugrünlicher  Niederschlag,  während  schwefelsaures 
Alkali  in  Lösung  bleibt.  Dasselbe  Salz  befindet  sich  (ähnlich 
dem  kohlensauren  Kalk)  in  den  Stahlwässern  oder  Eisen- 
säuerlingen, von  der  überschüssigen  Kohlensäure  aufgelöst. 
An  der  Luft  oxydiert  sich  das  kohlensaure  Eisenoxydul  mit 
grösster  Begierde,  unter  Abgabe  von  Kohlensäure,  zu  braunrotem 
Eisenoxydhydrat.  Ein  Zusatz  von  Zucker  verzögert  diese  Zer- 
setzung, weshalb  das  Salz  als  Ferrum  carbonicum  saccharatuin 
mit  80  Proz.  Zucker  vorrätig  gehalten  wird.  Ist  dieses  Präparat 
braun  geworden,  so  ist  es  durch  Kohlensäureverlust  und  Sauer- 
stoffaufnahme verdorben. 

d)  Versetzt  man  eine  Lösung  von  schwefelsaurem  Eisenoxyd 
mit  einem  kohlensauren  oder  ätzenden  Alkali,  so  fällt  Eisen- 
oxydhydrat  (Fe203,3H20)  als  voluminöser  braunroter  Nieder- 
schlag, während  die  Kohlensäure  entweicht,  da  kein  kohlensaures 
Eisenoxyd  besteht.  Beim  Trocknen  verliert  dieses  Terhydrat  des 
Eisenoxyds  den  dritten  Teil  des  Wassers  und  wird  zu  Bihydrat 
(Fe203,2H20),  als  Ferrum  oxydatum  fuscum  offizinell. 

F23S04    +    6NH3    +   6H20  =  Fe2033H20  -f  3(NH4)3S04 

schwefeis.  Eisenoxyd     Ammoniak  Wasser        Eisenoxydterhydrat      schwefeis.  Ammoniak. 

Bei  100°  getrocknet  geht  das  Bihydrat  in  Monohydrat  (Fe203, 
H20),  in  der  Glühhitze  in  Eisenoxyd  (Fe203)  über.  Das  Terhydrat 
verbindet  sich  mit  schwächeren  Säuren,  z.  B.  Essigsäure,  Citronen- 
säure,   arseniger  Säure,   mit  denen  das  getrocknete  Bihydrat  sich 


-     206     — 

nicht  vereinigt ;  daher  bereitet  man  das  als  Gegengift  des  Arseniks 
dienende  Eisenoxydterhydrat  —  Antidotum  Arsenici  — 
vorkommenden  Falles  frisch  durch  Zersetzung  der  schwefelsauren 
Eisen oxydflüssigkeit  mittelst  gebrannter  Magnesia. 

Das  Eisenoxyd  findet  sich  in  der  Natur  weit  verbreitet  als 
Roteisenstein,  dessen  faserige  Modifikation  der  Blutstein 
(Lapis  Haematitis)  darstellt;  bei  der  Destillation  der  Nord- 
häuser Schwefelsäure  bleibt  es  als  Totenkopf  (Caput  mor- 
tuum),  ein  rotes  Farbmaterial,  zurück. 

a)  Der  Eisen  zuck  er,  Ferrum  oxydatum  saccharatum 
solubile,  ist  Eisensaccharat,  d.  i.  eine  chemische  Verbindung  des 
Rohrzuckers  mit  Eisenoxyd,  die  sich  in  Wasser  leicht  auflöst 
und  entsteht,  wenn  man  feuchtes  Eisenoxydhydrat  mit  Zucker- 
pulver eintrocknet.  Daher  scheidet  ein  ätzendes  oder  kohlensaures 
Alkali  aus  einer  mit  Zucker  versetzten  Eisenoxydlösung  kein 
Eisenoxydhydrat  aus,  weil  dasselbe  als  Eisenzucker  in  Lösung 
verbleibt.  —  Das  offizineile  Präparat  enthält  3  Proz.  Eisen  und 
muss  sich  klar  in  Wasser  lösen  zu  einer  rotbraunen  Flüssigkeit, 
die  beim  Sieden  Eisenoxydhydrat  abscheidet. 

f)  Das  phosphorsaure  Eisenoxydul,  Ferrum  phosphoricum, 
fällt  beim  Versetzen  einer  Eisenvitriollösung  mit  pbosphorsaurem  Natron 
als  weisser  Niederschlag  (3Fe2P04),  welcher  beim  Trocknen  bläulich  wird, 
indem  das  Salz  durch  Sauerstoffanziehung  in  phosphorsaures  Eisenoxydul- 
oxyd übergeht. 

g)  Das  pyrophosphorsaure  Eisenoxyd  (2Fe.23P207)  entsteht  als  ein 
weisser  Niederschlag,  wenn  man  eine  Eisenoxydsalzlösung  mit  pyrophos- 
phorsaurem  Natron  versetzt.  Dieses  Eisensalz  löst  sich  in  einem  Überschuss 
des  pyrophosphorsauren  Natrons  zu  einem  leichtlöslichen  Doppelsalze,  dem 
pyrophosphorsauren  Eisenoxyd-Natron,  Natrum  pyrophospho- 
ricum  ferratum,  welches  aus  seiner  Lösung  durch  Weingeistzusatz  als 
weissliches  Pulver  ausgeschieden  wird;  es  löst  sich  auch  in  citronensaurem 
Ammoniak  zu  einer  grünlichen  Flüssigkeit,  die  man  auf  Glasplatten  oder 
Porzellantellern  zu  Lamellen  eintrocknet:  Ferrum  pyrophosphoricum 
cum  Ammonio  citrico.  Atzalkalien  scheiden  aus  dessen  Lösung  kein 
Eisenoxydhydrat,  zerlegen  es  aber  beim  Sieden:  Ammoniak  entweicht,  und 
gelbliches  phosphorsaures  Eisenoxyd  setzt  sich  ab. 

h)  Löst  man  frischgefälltes  Eisen  oxydhydrat  in  verdünnter 
Essigsäure,  so  erhält  man  die  essigsaure  Eisenoxydflüssig- 

4P  TT  O 
keit,  Liquor  Ferri  acetici,  welche  basisches  Salz  Fe2  (    oWÄ  2) 

enthält.  Beim  Erhitzen  zersetzt  sie  sich,  unter  Abscheidung  von 
Eisenoxydhydrat;  bei  vorsichtigem  Eintrocknen  lässt  sie  sich 
indessen  in  feste  Form  bringen.  Sie  enthält  beim  spez.  Gew. 
1,082  etwa  5  Proz.  Fe.  Das  essigsaure  Eisenoxyd  zeichnet  sich 
durch  seine  blutrote  Färbung  aus,  verliert  sie  aber  (zum  Unter- 
schied von  Sehwefelcyaneisen)  auf  Säurezusatz. 

§  179.     Haloidsalze  des  Eisens,     a)  Löst  man  Eisen  in  verdünn- 


—    207     — 

ter  Salzsäure  auf,  so  bildet  sich  unter  Wasserstoffentwicklung 
eine  grünliche  Flüssigkeit,  welche,  zur  Trockne  eingedampft, 
grünlichesEisenchlorür,  Ferrum  chloratum  (FeCl2),  liefert. 
Dasselbe  zieht  aus  der  Luft  begierig  Sauerstoff  an,  wird  gelb, 
und  schwerlöslich. 

b)  Das  Eisen chlorid,  Ferrum  sesquichloratuni  (Fe2 
Cl6  -f- 12  aq.)  krystallisiert  in  gelben,  zerfliesslichen  Massen,  welche 
sich  leicht  in  Wasser,  Weingeist  und  ü.ther  lösen.  Seine  wässerige 
Lösung  ist  Eisenchloridflüssigkeit,  Liquor  Ferri  sesqui- 
chlorati  vom  spez.  Gew.  1,23,  eine  safrangelbe,  fast  ölig  fliessende 
Flüssigkeit.  Man  gewinnt  sie  durch  Einleiten  von  Chlorgas  in 
eine  Eisenchlorürlösung : 

2FeCL     +    2C1    =    Fe2Cl6 

Eisenchlorür  Chlor  Eisenchlorid 

oder  auch  durch  Eintragen  von  Salpetersäure  in  die  mit  Salzsäure  ver- 
setzte Eisenchlorürlösung,  wobei  die  Salzsäure  zu  Chlor  oxydiert 
und  die  Salpetersäure  zu  Stickoxydgas  reduziert  wird.  Hierbei 
wird  das  Stickoxydgas  mit  braunschwarzer  Farbe  gelöst  gehalten, 
solange  noch  Eisenchlorür  vorhanden  ist;  beim  letzten  Zusatz 
von  Salpetersäure  entweicht  alles  Gas  in  stürmischer  Weise. 
6FeCl2    +     6HC1     +  2HN03  =  3Fe2Cle  +  4H20  +    2NO 

Eisenchlorür     Chlorwasserstoff      Salpetersäure        Eisenchlorid  Wasser         Stickoxydgas. 

Prüfung  der  Eisenchloridflüssigkeit:  Ein  mit  Ammoniak  befeuchteter 
Glasstab  darf  beim  Darüb erhalten  keine  weissen  Nebel  bilden  {freie  Salz- 
säure), auch  mit  Jodzinkstärkelösung  benetztes  Papier  darf  sich  nicht 
bläuen  {freies  Chlor);  einige  Tropfen  des  Liquor,  mit  unterschweüigsaurer 
Natronlösung  erhitzt,  müssen  einige  braune  Flocken  Eisenoxyd  abscheiden 
(verlangte  Neutralität).  Mit  Wasser  verdünnt  und  angesäuert  darf  sie  sich 
durch  Ferridcyankaliuni  nicht  bläuen  {Eisenchlorür);  nach  dem  Ausfällen 
mit  Ammoniak  darf  das  Filtrat  keinen  Grlührückstand  lassen,  auch  mittelst 
Schwefelsäure  und  Eisenvitriollösung  keine  Salpetersäure  anzeigen  und 
angesäuert  weder  durch  Baryumnitrat  (weiss:  schwefelsaures  Eisenoxyd), 
noch  durch  Ferro cyankalium  getrübt  werden  (braunrot:  Kupfer). 

c)  Löst  man  frisch  gefülltes  Eisenoxydhydrat  in  wenig  Salz- 
säure auf,  so  gewinnt  man  das  Eisenoxychloricl,  Liquor 
Ferri  oxychlorati,eine  dunkelrotbraune  Flüssigkeit  mit  3,5  Proz. 
Fe,  welches  als  sehr  basisches  Eisenchlorid  darin  aufgelöst  ist. 
Silbernitrat  fällt  aus  derselben  kein  Chlorsilber  aus.  Man  hat 
das  gleiche  Präparat  auch  durch  Dialyse  dargestellt  und  Ferrum 
dialysatum  genannt 

Zur  Darstellung  des  dialysierten  Eisens  wird  eine  Eisen chlorid- 
lösung  portionenweise  mit  Ammoniak  versetzt,  so  lange  sich  der  anfangs 
entstehende  Niederschlag  (Eisenoxydhydrat)  beim  Stehen  wieder  auflöst. 
Schliesslich  bringt  man  die  klare  Flüssigkeit,  welche  neben  dem  gebildeten 
Chlorammonium  Eisenoxychlorid  (basisches  Eisenchlorid)  enthält,  auf  einen 
Dialysator  (vgl.  S.  5);  das  Chlorammonium  tritt  allmählich  in  das  äussere 
Wasser  über,  das  Eisenoxychlorid  bleibt  auf  dem  Dialysator  zurück. 

d)  Der  Eisen  salmiak,  Ammonium  chloratum  ferratum, 


-     208     — 

ist  ein  hygroskopisches,  orangegelbes  Doppelsalz  aus  Salmiak 
(NH4C1)  und  Eisenchlorid  (Fe6Cl6). 

e)  Lässt  man  Eisen  mit  Jod  und  Wasser  in  Berührung,  so 
lösen  sie  sich  zu  einer  grünlichen  Flüssigkeit,  indem  sie  sich  zu 
Eisenj  odür,  Ferrum  jodatum  (FeJ2),  verbinden.  (Solange  noch 
freies  Jod  zugegen  ist,  erscheint  die  Lösung  rotbraun,  wird  aber 
grünlich,  wenn  die  nötige  Menge  Eisen  aufgelöst  ist.)  Dieses 
Salz  nimmt  mit  grösster  Begierde  Sauerstoff  aus  der  Luft  an 
und  scheidet  Jod  aus.  Dagegen  hält  sich  das  Eiseüjodür  in 
Mischung  mit  Zucker  länger  in  guter  Beschaffenheit,  teils  trocken 
als  Ferrum  jodatum  saccharatum  (8  Teile  Milchzucker  -4-2 
Teile  Eisenjodür) ,  teils  in  Lösung  als  Syrupus  Ferri  jodati 
(mit  5  Proz.  Eisenjodür).  Ähnlich  wie  der  Zucker,  wirkt  das 
Sonnenlicht  auf  die  Eisenoxydulsalze  konservierend,  auf  die  Eisen- 
oxydsalze reduzierend,  weshalb  die  letzteren  in  geschwärzten 
Gläsern,  die  ersteren  möglichst  im  Lichte  aufzubewahren  sind. 

Eisenjodür  wird  ex  tempore  bereitet  aus  3  Teilen  Eisen  und 
8  Teilen  Jod;  Summa  10  Teile  Eisenjodür. 

Praktische  Übungen. 

1.  Ferrum  sulfuricum  purum.  Man  verdünne  3  Teile  englische 
Schwefelsäure  mit  12  Teilen  Wasser,  füge  3  Teile  metallisches  Eisen  — 
Nägel,  Draht  oder  Feilspäne  —  hinzu  und  erwärme  gelinde;  wenn  die 
Gasentbindung  nachlässt,  filtriere  man  schnell.  Beim  Erkalten  krystallisiert 
das  schwefelsaure  Eisenoxydul  in  grünen  Säulen  aus.  Rührt  man  aber  die 
verkühlende  Lauge  anhaltend  um,  so  scheidet  sich  das  Salz  als  hellgrünes, 
feinkörniges  Krystallmehl  aus,  ebenso  wenn  die  Flüssigkeit  mit  dem  dritten 
Teil  Weingeist  versetzt  und  umgerührt  wird.  Die  Krystalle  trockne  man 
auf  Fliesspapier  an  der  Luft. 

2.  Liquor  Ferri  sesquichlorati.  Man  erwärme  11  Teile  Eisen 
—  Nägel,  Draht,  Feilspäne  —  mit  52  Teilen  reiner  Salzsäure,  filtriere  nach 
vollendeter  Lösung  und  beendigter  Gasentwicklung  die  grünliche  Flüssig- 
keit schnell  von  dem  geringen  Rückstand  ab  und  gebe  26  Teile  reine 
Salzsäure  hinzu;  dann  tröpfle  man,  während  die  Flüssigkeit  in  einer  ge- 
räumigen Schale  unter  freiem  Himmel  erhitzt  wird,  soviel  Salpetersäure 
(12  Teile)  in  kleinen  Portionen  zu,  bis  die  anfangs  entstehende  dunkle 
Färbung  in  rotgelb  umgeändert  und  reichlich  Stickoxydgas  entbunden 
wird.  (Eine  kleine  Probe,  mit  Wasser  verdünnt,  darf  einen  Tropfen  über- 
mangansaure Kalilösung  nicht  mehr  entfärben,  sondern  muss  sich  damit 
röten.)  Nun  dampft  man  die  Flüssigkeit  bis  auf  49  Teile  ab  (worauf  an 
einem  kühlen  Orte  wasserhaltiges  Eisenchlorid  auskrystallisieren  würde), 
und  verdünnt  sie  mit  Wasser  zu  100  Teile. 

3.  Ferrum  jodatum  saccharatum.  Man  übergiesse  in  einem 
Kölbchen  3  Teile  Eisenpulver  mit  10  Teilen  Wasser  und  gebe  nach  und 
nach  8  Teile  Jod  hinzu,  anfänglich  schwach  erwärmend.  Das  Jod  löst  sich 
in  dem  entstehenden  Eisenjodür  mit  braunroter  Farbe  auf,  bis  schliesslich 
das  Ganze  in  grünliche  Eisenjodürflüssigkeit  übergegangen  ist.  Dann 
filtriere  man  dieselbe  schnell  vom  restierenden  Eisen  ab  in  eine  Schale, 
worin  sich  40  Teile  Milchzuckerpulver  befinden,  wasche  das  Filter  mit 
wenigem  Wasser    aus    und  dampfe    die  Masse  im  Wasserbad  zur  Trockne. 


—     209    — 

4.  Ferrum  oxydatum  fuscum.  Man  verdünne  40  Teile  schwefel- 
saure Eisenoxydlösung  (oder  21,5  Teile  Eisenchloridfliissigkeit)  mit  160 
Teilen  destilliertem  Wasser  und  giesse  unter  kräftigem  Umrühren  eine 
Mischung  aus  32  Teilen  Salmiakgeist  und  64  Teilen  Wasser  hinzu,  so  dass 
alkalische  Reaktion  eintritt.  Nach  dem  Absetzen  giesse  man  die  klare 
Salzlauge  ab  und  wasche  den  Niederschlag  durch  wiederholtes  Aufgeben 
destillierten  Wassers,  Absetzenlassen  und  Dekantieren  gut  aus,  bis  das 
Ablaufende  keinen  Geschmack  mehr  zeigt.  Alsdann  sammle  man  das 
Eisenoxydhydrat  auf  ein  leinenes  Tuch,  lasse  wohl  abtröpfeln,  schlage  das 
Tuch  zusammen  und  presse  den  Inhalt  langsam  trocken,  worauf  man  ihn 
in  sehr  gelinder  Wärme  völlig  trockne. 

5.  Ammonium  chloratum  ferratum.  Man  mische  16  Teile  Chlor- 
ammonium mit  4,5  Teilen  Eisenchloridflüssigkeit  in  einer  Porzellanschale 
und  dampfe  im  Wasserbad  unter  stetem  Umrühren  mit  einem  Glasstabe 
zur  Trockne  ein. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Eisenvitriol  gewinnt  man  durch  Auflösen  von  1  kg  Eisen 
in  verdünnter  Schwefelsäure?  —  Antw.  Fe  :  (FeS04  +  7H20)  =  56  :  278; 
x  =  5  kg. 

2.  Wieviel  entwässertes  Salz  erhält  man  aus  100  g  Eisenvitriol?  — 
Antw.  (FeS04  +  7  H20)  :  (FeS04  -4-  H,0)  =  278  :  170;  x  =  61  g. 

3.  Wieviel  Eisenjodür  liefern  100  ^  Jod?  —  Antw.  2J  :  FeJ,  = 
(2  X  127)  :  (56  +  2  X  127);  x  =   122  g. 


26.  Zink  und  seine  Salze, 

§  180.  Wie  gewinnt  man  das  Zink?  Das  Zink,  bereits  im  16. 
Jahrhundert  dem  berühmten  Paracelsus  bekannt,  findet  sich 
nicht  gediegen  in  der  Natur.  Seine  Erze  sind:  der  G-almei 
(kohlensaures  Zinkoxyd)  und  Kieselgalmei  (kieselsaures  Zink- 
oxyd), sowie  die  Zinkblende  (Schwefelzink). 

Den  Galmei  reduziert  man  direkt  mit  Kohle,  die  Blende  be- 
darf jedoch  zuvor  der  Röstung ,  um  in  Zinkoxyd  überzugehen 
und  dann  mit  Kohle  reduziert  zu  werden.  Da  das  Zink  in  der 
"Weissglühhitze  flüchtig  ist,  gestaltet  sich  der  Eeduktionsprozess 
zu  einer  Destillation,  welche  man  teils  in  horizontalliegenden 
thönernen  Röhren  (belgisches  Verfahren),  teils  in  Tiegeln  (eng- 
lisches Yerfahren) ,  teils  in  Muffeln  (schlesisches  Verfahren)  vor- 
nimmt. 

In  Belgien  beschickt  man  eine  Anzahl  reihenweise  neben 
einander  in  einem  Ofen  liegender  Röhren  aus  feuerfestem  Thon 
mit  Zinkerz  und  Kohle;  ihre  vorderen  Enden  sind  mit  Vorlagen 
zur  Ansammlung  kondensierten  Zinkes  verbunden,  und  diese 
wieder  mit  wagerechten  offenen  Röhren,  sog.  Allongen,  worin 
sich  die  verbrannten  Zinkdämpfe  als  Zinkblumen  (Oxyd)  ansetzen. 

In  England  benutzt  man  Tiegel  mit  durchbohrtem  Boden, 
dessen  Loch  mit  einem  hölzernen  Pfropf  verschlossen  wird;    der 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  14 


—    210     — 

letztere  verkohlt  in  der  Glühhitze  und  lässt  die  Zinkdämpfe  durch- 
treten, welche  sich  in  einem  System  von  Röhren  verdichten  und 
abfliessen. 

Die  in  Schlesien  gebräuchlichen  Muffeln  bestehen  aus  feuer- 
festem Thon,  werden  von  der  Flamme  des  Ofens  umspielt  und 
lassen  durch  ein  oberseits  angesetztes  Rohr,  welches  sich  senk- 
recht herab  verlängert,  die  Zinkdämpfe  in  den  Kondensations- 
raum treten. 

Die  Reduktion  des  Zinkoxyds  durch  Kohle  beruht  auf  der 
Gleichung : 

ZnO  +  C  =  Zn  +  CO 

Zinkoxyd     Kohle       Zink    Kohlenoxyd. 

§  181.  Eigenschaften  des  Zinks.  Das  Zink  ist  ein  bläulich- 
weisses  Metall  mit  krystallinischem  Gefüge,  in  der  Kälte  spröde, 
zwischen  120°  und  150°  hämmerbar,  in  beginnender  Rotglühhitze 
schmelzend,  in  der  Weissglühhitze  siedend.  Wo  sein  Dampf 
mit  der  Luft  in  Berührung  gelangt,  verbrennt  es  zu  Zinkoxyd, 
welches  sich  als  sog.  Zinkblüten,  Flor es  Zinci,  an  kalte 
Körper  ansetzt.  An  trockner  Luft  hält  sich  das  Metall  unver- 
ändert, an  feuchter  überzieht  es  sich  allmählich  mit  einer  weissen 
Oxydschicht.  In  verdünnten  Säuren  löst  es  sich,  wie 
das  Eisen,  unter  Wasserstoffentwicklung,  zu  einem 
Zinkoxydsalz  auf.     Spez.  Gew.  7,0. 

Das  Zink  ist  ein  zweiwertiges  Element,  welches  sich 
direkt  mit  Sauerstoff  zu  Zinkoxyd  (ZnO),  mit  Schwefel  zu 
Zinksulfid  (ZnS)  verbindet.  Mit  Chlor  vereinigt  es  sich  zu 
Zinkchlorid  (ZnCl2),  mit  Jod  zu  Zinkjodid  (Zn  J2). 

Erkennung  des  Zinks:  Die  Zinks alze  werden  aus  ihren  Lösungen 
durch  Schwefelwasserstoff  nur  unvollständig,  durch  Schwefelammo- 
nium vollständig  als  weisses  Schwefelzink  gefällt;  mit  Salzsäure 
oder  Schwefelsäure  angesäuert,  werden  sie  jedoch  durch  H2S  nicht 
getrübt.  Essigsaures  Zinkoxyd  wird  aber  durch  H28  vollständig  aus- 
gefällt. —  Ätzende  Alkalien,  auch  Ammoniak,  fällen  aus  den  Zink- 
lösungen weisses  Zinkoxydhydrat  (Zn2HO);  ein  Überschuss  des 
Alkalis  löst  aber  dasselbe  mit  Leichtigkeit  wieder  auf.  Schwefel- 
wasserstoffwasser oder  Schwefelammonium  scheidet  aus  dieser 
Lösung  weisses  Schwefelzink  aus. 

Die  Zinksalze  wirken  äusserlich  ätzend,  innerlich  giftig. 

§  182.  Das  Zinkoxyd.  Das  durch  Verbrennen  des  Zinkdampfes 
erzeugte  Zinkoxyd  ist  das  käufliche  Zinkoxyd,  Zincum  oxy- 
datum  cradum  (ZnO),  im  Handel  als  Zinkweiss  bekannt  und 
an  Stelle  von  Bleiweiss  zu  Ölfarben  und  Lacken  benutzt,  da  es 
sich  durch  Schwefelwasserstoff  -  Einwirkung  nicht   schwärzt.     Es 


—    211    — 

stellt  ein  weisses,  beim  Erhitzen  vorübergehend  gelb  werdendes 
Pulver  dar,  welches  sich  nicht  in  Wasser,  aber  leicht  in  Säuren 
und  auch  in  Ätzalkalien  löst.  Man  gewinnt  es  im  Grossen,  indem 
man  Zink  in  irdenen  Betörten  erhitzt  und  seine  Dämpfe  mit 
einem  erhitzten  Luftstrom  zusammenführt,  worin  sie  verbrennen; 
das  gebildete  Oxyd  wird  vom  Luftstrom  in  Kammern  fortgeführt, 
an  deren  Wände  es  sich  absetzt. 

Das  reine  Zinkoxyd,  Zincnm  oxydatum  (purum),  aus- 
schliesslich zum  inneren  Gebrauche  bestimmt,  wird  ähnlich  der 
gebrannten  Magnesia  gewonnen.  Zunächst  fällt  man  Zinkvitriol  mit 
Soda,  wäscht  und  trocknet  das  ausgeschiedene  basisch  kohlensaure 
Zinkoxyd  und  glüht  es  in  Tiegeln  bis  zur  Vertreibung  der  Kohlensäure. 

Prüfung  des  Zinkoxyds  auf  Reinheit:  1.  Das  reine  Zinkoxyd 
darf  keine  löslichen  Stoffe  (zufolge  mangelhaften  Auswaschens)  enthalten; 
schüttelt  man  es  mit  Wasser,  so  darf  das  Filtrat  weder  mit  Baryt-  noch 
mit  Silberlösung  getrübt  werden  (weiss:  schwefelsaures  Natron  resp.  Chlor- 
natrium).  Das  Zinkoxyd  muss  sich  ohne  Aufbrausen  (Kohlensäure)  in 
Essigsäure  lösen,  werde  daraus  durch  überschüssiges  Ammoniak  nicht  und 
dann  durch  Schwefelwasserstoffwasser  weiss  ausgeschieden  —  ein  dunkler 
Niederschlag  zeigt  Eisen,  Blei  an;  die  ammoniakalische  Lösung  darf  sich 
nicht  trüben  durch  oxalsaures  Ammoniak  und  phosphorsaures  Natron  (weiss : 
Kalk  resp.  Magnesia).  2.  Das  käufliche  Zinkoxyd  löse  sich  völlig  und 
ohne  Aufbrausen  in  Essigsäure  und  werde  durch  überschüssige  Natronlauge 
I  nicht  daraus  ausgeschieden  (Trübung:  Magnesia);  Jodkalium  darf  die  essig- 
saure Lösung  nicht  trüben  (gelb:  Bleiweiss). 

§  183.  Zinksalze,  a)  Das  Zinksulfat  oder  schwefel- 
saure Zinkoxyd,  Zincum  sulfuricum  (ZnS04  -f-  7aq.),  krystal- 
i  lisiert  in  leichtlöslichen ,  farblosen ,  nadeiförmigen  Säulen ,  von 
gleicher  Form  wie  Bittersalz  und  Eisenvitriol,  saurer  Reaktion 
und  metallischem  Geschmack.  Man  stellt  den  Zinkvitriol  entweder 
durch  Auflösung  von  käuflichem  Zinkoxyd  oder  von  metallischem 
Zink  in  verdünnter  Schwefelsäure  dar ;  im  letzteren  Falle  entweicht 
Wasserstoffgas. 

I.     ZnO  +  H2S04  =  ZnS04  +  H20 
II.     Zn     +  H2S04  =  ZnS04  +  2H. 

Da  das  metallische  Zink  selten  eisenfrei  ist  und  das  Eisen- 
sulfat vom  Zinksulfat  durch  Krystallisation  nicht  getrennt  werden 
kann  (als  isomorphe  Salze) ,  so  sättigt  man  die  gewonnene  Salz- 
lösung mit  Chlorgas,  zur  Überführung  des  schwefelsauren  Eisen- 
oxyduls in  Eisenoxydsalz,  dann  setzt  man  etwas  Zinkoxyd  zu, 
welches  das  Eisenoxyd  ausscheidet ;  die  filtrierte  Flüssigkeit  wird 
schliesslich  zur  Krystallisation  eingedampft. 

In  unreinem  Zustande  gewinnt  man  den  Zinkvitriol  durch 
geeignetes  Rösten  der  Zinkblende  und  bringt  ihn  in  entwässer- 
ten Klumpen  (ZnS04  +  aq.)  in  den  Handel  als  weissen  Vitriol 
(Galitzenstein). 

14* 


—     212     — 

Prüfung  des  Zinkvitriols:  Die  Lösung  bleibe  mit  überschüssigem 
Salmiakgeist  klar  und  gebe  darauf  mit  Schwefelwasserstoffwasser  einen 
weissen  Niederschlag  (ein  dunkelfarbiger  Niederschlag  zeigt  Eisen  oder 
Kupfer  an) ;  phosphorsaures  Natron  trübe  nicht  die  ammoniakalische  Lösung 
(weiss:  Magnesia).  Die  wässerige  Salzlösung  trübe  sich  nicht  mit  Silber- 
nitrat (weiss:  Chloizink) ;  mit  Chlorwasser  und  Salzsäure  erhitzt,  verändere 
sie  sich  nicht  durch  Schwefelcyankalium  (Rötung:  Eisen),  noch  durch  H2S 
(dunkle  Trübung:  Blei,  Kupfer).  Das  Salz  darf,  mit  Natronlauge  erhitzt, 
kein  Ammoniak  abgeben,  auch  keine  Salpetersäure  verraten  durch  Bläuung 
nach  Zusatz  von  Schwefelsäure,  Zink  und  Jodzinkstärkelösung.  (Durch  die 
Wasserstofientwicklung  wird  die  Salpetersäure  zu  Untersalpetersäure  und 
diese  macht  aus  dem  Jodzink  das  Jod  frei,  welches  die  Stärke  bläut.) 

b)  Das  essigsaure  Zinkoxyd,  Zinkacetat,  Ziiicum 
aceticum  (Zn2C2H302  -4-3aq.),  krystallisiert  aus  der  Auflösung 
des  käuflichen  Zinkoxyds  in  verdünnter  Essigsäure  als  farblose 
Säulen,  welche  sich  in  Wasser  leicht  auflösen. 

Prüfung:  Die  Lösung  muss  mit  Schwefelwasserstoff  einen  weissen 
Niederschlag  geben  (dunkelfarbig:  Eisen,  Kupfer,  Blei)  und  das  Filtrat 
beim  Verdunsten  keinen  Rückstand  hinterlassen  (fremde  Salze). 

c)  Das  Chlor  zink,  Zilien  in  chloratum  (ZnCl2),  ist  ein 
stark  hygroskopisches  und  zerfüessliches  Salzpulver,  welches  man 
durch  Auflösen  von  Zinkoxyd  in  Salzsäure  und  Abdampfen  zur 
Trockne  gewinnt;  leicht  löslich  in  Wasser  und  Weingeist,  stark 
ätzend.  Beim  Abdampfen  über  freiem  Feuer  entweicht  stets 
etwas  Salzsäure  und  bleibt  basisches  Zinkchlorid  übrig,  welches 
sich  in  Wasser  nicht  mehr  klar  löst. 

Das  Chlorzink  wird  auf  seine  Reinheit  ähnlich  geprüft  wie  das  Zinkvitriol. 

Versuche  und  praktische  Übungen. 

1.  Zinkblüten.  Man  erhitze  ein  kleines  Zinkstück  in  einem  be- 
deckten hessischen  Tiegel  zwischen  glühenden  Kohlen.  Nachdem  der  Tiegel 
glühend  geworden,  hebe  man  ihn  heraus;  nach  dem  Erkalten  findet  man 
die  Wandung  des  Tiegels  wie  die  Unterfläche  des  Deckels  dicht  bedeckt 
mit  schneeweissem,  sehr  lockerem  Oxyde. 

2.  Darstellung  von  Zincum  sulfuricum.  Man  löse  1  Teil  eisen- 
freies Zink  in  8  Teilen  verdünnter  Schwefelsäure,  zuletzt  unter  Erwärmen, 
und  stelle  das  Filtrat  zur  Krystallisation  bei  Seite.  —  Auch  kann  man 
1  Teil  Zinkweiss  in  7,5  Teile  verdünnter  Schwefelsäure  lösen,  einige  Stunden 
mit  einem  Zinkstückchen  digerieren  (zur  Ausscheidung  vorhandenen  Bleies) 
und  das  Filtrat  zum  Krystallisieren  abdampfen.  Die  gewonnenen  Krystalle 
trockne  man  auf  Fliesspapier,  ohne  Wärme  anzuwenden. 

3.  Zincum  oxydatum  purum.  Man  löse  40  </  Zinkvitriol  in  120 
Teilen  Wasser,  giesse  sie  in  eine  Lösung  von  50  g  reiner  Soda  in  600  g 
Wasser  unter  kräftigem  Umrühren  und  lasse  einige  Stunden  digerieren. 
Den  Niederschlag  sammle  man  auf  ein  leinenes  Tuch,  übergiesse  ihn  wieder- 
holt mit  heissem  Wasser,  bis  dasselbe  geschmacklos  abläuft,  lasse  es  gut 
abtröpfeln,  presse  den  Niederschlag  aus,  trockne  ihn  in  der  Wärme  und 
erhitze  ihn  in  einer  Porzellanschale,  bis  11  g  übrig  bleiben. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Zinkvitriol  liefert  1  g  Zink  beim  Auflösen  in  Schwefel- 
säure?   —    Antw.   Zn  :  (ZnS04  -j-  7H20)   =   65  :  287;  x  =  4261  g. 


—     213     — 

2.  Wieviel  englische  Schwefelsäure  verlangt  1  <j  Zinkoxyd  zur  Lösung? 
—  Antw.  ZnO  :  H2S04  =  81  :  98;  x  =  1210  #. 

3.  Woran  erkennt    man    das  Zinkoxyd?    —    Antw.    Daran,    dass  es 
beim  Erhitzen  gelb,  darauf  beim  Erkalten  wieder  weiss  wird. 


§  184.  Kadmium.  Das  Kadmium*)  ist  ein  zinnweisses, 
dehnbares  Metall,  welches  sich  dem  Zink  eng  anschliesst  und, 
wie  dieses,  in  verdünnten  Säuren  unter  "Wasserstoffentwicklung 
auflöst.  Es  begleitet  die  schlesischen  Zinkerze  und  wird,  da  es 
flüchtiger  ist  als  das  Zink,  bei  deren  Destillation  zuerst  ge- 
wonnen. Sein  Dampf  verbrennt  an  der  Luft  zu  braunem  Kad- 
miumoxyd (CdO). 

Das  schwefelsaure  Kadmiumoxyd,  Cadmium  sul- 
furicum  (CdS04  +  4  aq.),  krystallisiert  aus  der  Lösung  des 
Kadmiums  in  verdünnter  Schwefelsäure  in  Form  farbloser,  leicht- 
löslicher Säulen,  welche  an  der  Luft  leicht  verwittern.  Aus  ihrer 
Lösung  scheidet  Schwefelwasserstoff  gelbes  Schwefelkadmium 
(CdS)  aus,  welches  sich  von  dem  ihm  ähnlichen  Schwefelzinn 
und  Schwefelarsen  durch  seine  Unlöslichkeit  in  Ammoniakflüssig- 
keit unterscheidet. 


27.  Das  Blei  und  seine  Verbindungen. 

§  185.  Wie  gewinnt  man  das  Blei?  Das  Blei,  seit  den  ältesten 
Zeiten  bekannt,  findet  sich  nicht  gediegen  in  der  Natur,  sondern 
an  Sauerstoff,  mehr  aber  noch  an  Schwefel  gebunden.  So  ist 
der  Bleiglanz  (Schwefelblei,  PbS),  das  wichtigste  Bleierz,  ein 
bleigraues,  in  Würfeln  kry  stallisiertes ,   metallglänzendes  Mineral. 

Die  Gewinnung  des  Metalles  aus  dem  Bleiglanz  geschieht 
hauptsächlich  nach  zwei  Methoden:  entweder  man  schmilzt  das 
Erz  mit  Eisen  zusammen  —  sog.  Niederschlagsarbeit,  wobei 
metallisches  Blei  sich  ausscheidet  und  Schwefeleisen  als  Schlacke 
darauf  schwimmt ;  oder  man  röstet  den  Bleiglanz ,  wobei  der 
Schwefel  als  schwefligsaures  Gras  entweicht,  das  Blei  aber  sich 
zu  Bleioxyd  oxydiert.  Das  Röstprodukt  wird  schliesslich  nicht 
durch  Kohle  reduziert,  sondern  mit  ungeröstetem  Bleiglanz  ein- 
geschmolzen; dabei  vereinigt  sich  der  Sauerstoff  des  Bleioxyds 
mit  dem  Schwefel  des  Schwefelbleies  zu  schwefliger  Säure,  während 
das  gesamte  Blei  metallisch  niederschmilzt,  nämlich: 
2PbO    +    PbS    =    3Pb      +        S02 

Bleioxyd  Schwefelblei  Blei  schweflige  Säure. 

§  186.  Eigenschaften  des  Bleies.  Das  Blei  ist  ein  bläulich 
weisses,  sehr  weiches  und  dehnbares  Metall,  schwerer  als  Eisen, 

*)  Kadmium,  abgeleitet  von  -/.aö^Eta  (Galmei),  wurde  1818  zuerst  isoliert. 


—    214    — 

Zink  und  Kupfer,  denn  sein  spez.  Gew.  =  11,3.  Es  schmilzt 
bei  beginnender  Rotglühhitze  leichter  wie  Zink,  etwas  schwieriger 
als  Zinn;  geschmolzen  überzieht  es  sich  an  der  Luft  mit  einer 
Haut  aus  Bleis  üb  oxyd  (Pb20),  oxydiert  sich  aber  unter  der 
Einwirkung  der  Gebläseluft  zu  Bleioxyd  (PbO).  Angesäuertes 
Wasser  greift  das  Blei  nicht  an,  aber  lufthaltiges  veranlasst,  zu- 
mal bei  Gegenwart  von  Kohlensäure,  eine  allmähliche  Oxydation, 
daher  eignet  sich  das  Blei  nicht  für  Brunnenröhren.  Schwefel- 
säure greift  das  Metall  wenig  an  (wegen  der  Unlöslichkeit  des 
schwefelsauren  Bleioxyds),  weshalb  man  in  der  Technik  bei  Ver- 
wendung der  Schwefelsäure  die  Behälter  mit  Bleiplatten  aus- 
schlägt. Salpetersäure  löst  das  Blei,  unter  Stickoxydentwicklung, 
leicht  zu  salpetersaurem  Bleioxyd  auf.  In  Berührung  mit 
organischen  Säuren,  vorzugsweise  Essigsäure,  oxy- 
diert sich  das  Blei  allmählich  durch  den  Sauerstoff 
der  Luft  und  bildet  mit  der  Säure  ein  Salz. 

Das  Blei  ist  ein  zweiwertiges  Metall,  welches  sich  mit 
Sauerstoff  in  mehreren  Yerhältnissen  verbindet,  aber  nur  ein 
basisches  Oxyd,  das  gelbe  Bleioxyd  (PbO),  bildet,  dessen  Hy- 
drat (Pb2HO)  weiss  ist.  Sauerstoffärmer  ist  das  Bleisub- 
oxyd (Pb20),  sauerstoffreicher  das  Bleisuperoxyd  (Pb02), 
ein  dunkelbraunes  Pulver,  welches  Salpetersäure  aus  der  Mennige 
abscheidet.  —  Mit  Schwefel  verbindet  sich  das  Blei  zum  unlöslichen, 
braunschwarzen  Schwefelblei  (PbS).  —  Yon  den  Bleisalzen, 
die  meistens  farblos  sind,  lösen  sich  sehr  viele,  z.  B.  das  schwefel- 
saure Bleioxyd  (PbS04) ,  das  kohlensaure  und  phosphorsaure 
Bleioxyd,  in  Wasser  nicht  auf;  das  Chlorblei  (PbCl2)  sowie  das 
orangegelbe  Jodblei,  Plumbum  jodatum  (PbJ2),  lösen  sich  leichter 
in  heissem,  sehr  schwer  in  kaltem  Wasser  auf.  Sie  wirken  sämt- 
lich innerlich  giftig,  auf  die  Gewebteile  eintrocknend,  sind  daher 
geschätzte  äusserliche  Mittel. 

Erkennung  des  Bleis:  Die  Lösungen  der  Bleisalze  werden  durch 
verdünnte  Schwefelsäure  und  schwefelsaure  Salze  weiss  gefällt  (Blei- 
sulfat), ebenso  durch  kohlensaure  Alkalien  (Bleikarbonat) ;  mit 
Schwefelwasserstoff  oder  Schwefelammonium  scheiden  sie  schwarzes 
Schwefelblei  ab. 

§  187.  Was  sind  Bleiglätte  und  Mennige?  a)  Die  Bleiglätte, 
Lithargyrum ,  ist  halbgeschmolzenes  Bleioxyd  (PbO),  welches 
beim  sog.  Abtreiben  des  silberhaltigen  Bleies  als  Nebenprodukt 
gewonnen  wird.  Man  setzt  nämlich  das  silberhaltige  Blei  im 
geschmolzenen  Zustande  auf  dem  sog.  Treibherd  der  oxydierenden 
Wirkung  der  Gebläseluft  aus,  wobei  alles  Blei,  zu  Bleioxyd  oxy- 
diert, als  Bleigiätte  abfliesst,  während  das  Silber  metallisch  zu- 
rückbleibt, weil  es  als  edles  Metall  nicht  direkt  oxydierbar  ist. 


—    215    — 

Die  Glätte  bildet  eine  kleinschuppige,  gelbe,  mehr  oder  weniger 
ins  Rötliche  (Silberglätte  oder  Goldglätte,  je  nachdem  sie  etwas 
Mennige  enthält)  spielende  Masse,  die  feinpräpariert  ein  schweres 
Pulver  ist.  An  der  Luft  zieht  sie  allmählich  Kohlensäure  an, 
lässt  sie  aber  bei  nochmaligem  schwachen  Erhitzen  wieder  ent- 
weichen. 

Prüfung  der  Bleiglätte:  Die  salpetersaure  Lösung  der  Bleiglätte 
wird  mit  Schwefelsäure  versetzt,  so  lange  noch,  ein  Niederschlag  entsteht, 
worauf  man  filtriert  und  das  Filtrat  mit  Ätzammoniak  übersättigt;  erscheint 
dann  die  Flüssigkeit  blau,  so  ist  die  Glätte  kupf erhaltig;  entstehen 
braune  Flocken,  so  ist  sie  eisenhaltig.  Kocht  man  Bleiglätte  wiederholt 
mit  Essigsäure,  so  löst  sie  sich  völlig  auf,  etwa  vorhandenes  metallisches 
Blei  bleibt  dabei  zurück. 

b)  Die  Mennige,  Minium  (Pb304),  gewinnt  man  aus  der 
Glätte  durch  länger  dauerndes,  vorsichtiges  Erhitzen  unter  der 
Einwirkung  der  Gebläseluft  in  eigenen  Mennigbrennereien,  wobei 
das  Bleioxyd  noch  Sauerstoff  aufnimmt  und  zu  Mennige  wird. 
Ein  orangerotes,  schweres  Pulver,  dessen  charakteristische  Eigen- 
schaft in  seinem  Verhalten  zu  Salpetersäure  besteht.  Diese  Säure 
trennt  sie  nämlich  in  Bleioxyd  und  Bleisuperoxyd;  ersteres 
wird  als  salpetersaures  Salz  gelöst,  letzteres  als  braunschwarzes 
Pulver  abgeschieden. 

Pb304  =  2PO  +  Pb02 

Mennige        Bleioxyd     Bleisuperoxyd. 

Bei  Gegenwart  von  Zucker  oder  Oxalsäure  reduziert  sich 
jedoch  die  Mennige  zu  Bleioxyd,  welches  sich  in  der  Säure  auf- 
löst, während  Kohlensäure  entweicht. 

Pb304  +  H2C204  =  3PbO  +  H20  +  2C0.2 

Mennige  Oxalsäure  Bleioxyd        Wasser    Kohlensäure 

Hinterlässt  die  Mennige  bei  der  Behandlung  mit  Salpetersäure  und 
Zucker  einen  Rückstand,  so  ist  die  Mennige  mit  Ziegelmehl,  Ocker,  Bolus 
u.  dgl.  verfälscht. 

§  188.  Was  ist  Bleiweiss?  Das  Blei  weiss,  Cerussa,  ist  ba- 
sisch kohlensaures  Bleioxyd,  ein  schweres,  weisses  Pulver, 
welches  sich  nicht  in  Wasser,  aber  unter  (schwachem)  Aufbrausen 
in  Säuren,  ohne  Aufbrausen  in  ätzender  Alkalilauge  löst.  Neu- 
trales kohlensaures  Bleioxyd  (PbC03)  findet  sich  natürlich  (Weiss- 
bleierz). 

Bieiweissfabrikation.  Nach  der     ^g^ggg^^gg^ 
holländischen  Methode  werden  spi-  ^g=^j*  ^       *_ 

ralig  aufgerollte  Bleiplatten  (Fig.  58  b)  in  "^ 
Töpfe  (A)  über  etwas  Essig  (a)  aufgestellt 
und  eine  grössere  Zahl  so  beschickter  Töpfe 
in  Behälter  (Loggen  =  Mistbäder)  reihen- 
weise neben  und  über  einander  geordnet. 
Unter    jedem    Topfe    lagert    eine    Schicht  Fl£*  58- 

Pferdedünger   oder  gährende  Lohe,    darüber  zunächst  Bleiplatten 
(d),  dann  auf  Brettern  (h)  abermals  Pferdedünger.   Letzterer  liefert 


—    216     — 

die  Kohlensäure,  welche  sich  mit  dem  durch  die  Essigdämpfe 
angegriffenen  und  in  Oxyd  übergegangenen  Blei  zu  Bleiweiss 
verbindet.     Nach    etwa  einem  Monat  klopft  man  dasselbe  ab. 

Nach  der  französischen  und  englischen  Methode 
leitet  man  Kohlensäuregas  in  Bleiessig  resp.  über  ein  feuchtes 
Gemenge  von  Bleizucker  mit  Bleiglätte ;  dabei  entsteht  neben  dem 
Bleiweiss  neutrales  essigsaures  Bleioxyd,  welches  abermals  mit 
Bleiglätte  behandelt  und  der  Kohlensäure  ausgesetzt  wird. 

Prüfung  des  Bleiweisses  auf  Reinheit:  Beim  Auflösen  in  Sal- 
petersäure bleiben  Beimengungen  wie  Schwerspat,  schwefelsaures  Bleioxyd, 
Gips,  zurück;  wird  die  essigsaure  Lösung  durch  Schwefelsäure  völlig  aus- 
gefällt, so  zeigt  Ferro cyankalium  im  Filtrate  einen  Zinkweissgehalt,  über- 
schüssiges Ammoniak  Thonerde  durch  weisse  Trübung  an.  Die  salpeter- 
saure Lösung  giebt  mit  Natronlauge  einen  Niederschlag  (Pb2HO),  der  sich 
in  überschüssigem  Natron  völlig  lösen  muss  (Rückstand:  Kalk). 

§  189.  Was  sind  Bleizucker  und  Bleiessig?  Löst  man  Bleiglätte 
in  einer  genügenden  Menge  Essig  auf,  bis  neutrale  Reaktion  er- 
zielt ist,  so  krystallisiert  nach  dem  Eindampfen  das  essigsaure 
Bleioxyd,  Bleiacetat,  Plumbum  aceticum  (Pb2C2H30.2 
-f-  3  aq.) ,  in  farblosen ,  leichtlöslichen  Säulen  aus.  Dieses  Salz 
wurde  wegen  seines  süsslichen  Geschmackes  Bleizucker  (Sac- 
charum  Saturni)  genannt,  wirkt  aber  innerlich  giftig,  wie 
alle  Bleiverbindungen.  An  der  Luft  verwittert  es  oberflächlich, 
zugleich  Kohlensäure  anziehend  und  sich  mit  weissem  Pulver 
bedeckend,  welches  beim  Auflösen  zurückbleibt.  Beim  Erhitzen 
schmilzt  der  Bleizucker  in  seinem  Krystallwasser ,  verliert  aber 
in  höherer  Temperatur  seine  Essigsäure. 

Prüfung  des  Bleizuckers  auf  Kupfer:  seine  Lösung  darf  sich  durch 
überschüssigen  Salmiakgeist  nicht  bläuen  und  muss  mit  Ferrocyankalium 
einen  rein  weissen  (keinen  rötlichen)  Niederschlag  geben. 

Mit  Bleiglätte  digeriert  oder  zusammen  geschmolzen,  löst  sich 
der  Bleizucker  als  basisch  essigsaures  Salz,  sog.  Bleiessig, 
Liquor  Plumbi  subacetici,  Acetum  plumbicum,  auf.  Eine 
farblose,  schwere  Flüssigkeit  von  alkalischer  Reaktion,  an  der  Luft 
sehr  begierig  Kohlensäure  anziehend  und  einen  weissen  Boden- 
satz (kohlensaures  Bleioxyd)  abscheidend.  In  50facher  Ver- 
dünnung mit  destilliertem  Wasser  liefert  der  Bleiessig  das  Blei- 
wasser, Aqua  Plumbi;  bei  Anwendung  von  Brunnenwasser 
wird  die  Mischung  durch  kohlensaures  Bleioxyd  weisslich  trübe 
(Aqua  Goulardi). 

Versuche  und  praktische  Übungen. 

1.  Der  Bleibaum.  Man  löse  einige  g  Bleizucker  in  einem  Pfunde 
destilliertem  Wasser  auf  und  stelle  einen  Streifen  Zinkblech  in  die  mit 
der  Flüssigkeit  gefüllte  Flasche.  Nach  wenigen  Stunden  hat  der  Zinkstreifen 
sich  völlig  mit  grauglänzenden  Bleikrystallen  überdeckt,  die  ihn  nach  einem 
Tage  baumartig  verästelt  umhüllen,  während  essigsaures  Zinkoxyd  in  Lösung 
übergegangen  ist. 


-     217     - 

2.  Liquor  Plumbi  subaceti.  Man  mische  genau  3  Teile  zer- 
riebenes essigsaures  Bleioxyd  und  1  Teil  feingepulverte  Bleiglätte,  erhitze 
dann  das  Gemenge  in  einer  Porzellanschale  im  Wasserbad  wohlbedeckt 
zum  Schmelzen  und  füge  schliesslich  10  Teile  heisses  destilliertes  Wasser 
portionenweise  hinzu.  Nach  dem  Erkalten  werde  die  Flüssigkeit  filtriert, 
wobei  man  den  Trichter  mit  einer  Glasplatte  bedeckt  halte. 

Fragen  und  stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wodurch  erkennt  man  die  Mennige  von  ähnlich  gefärbten  Stoffen? 
—  Antw.  Dadurch,  dass  sie  durch  Salpetersäure  braun  wird. 

2.  Wieviel  Bleizucker  gewinnt  man  beim  Auflösen  von  1  kg  Blei- 
glätte in  Essig?  —  Antw.  PbO  :  (Pb2C0H309  +  3H20)  =  223  :  379; 
s  =  1700  ^. 

3.  In  welchen  Verhältnissen  zerlegen  sich  Bleizucker  und  Zinkvitriol 
vollständig?  —  Antw.  Zu  gleichen  Molekülen:  (Pb2C9H30  +  3H,0)  = 
379  und  (ZnS04  +  7H20)  ==  287.  Daher  kommen  auf  379  Teüe  Bleizucker 
287  Teile  Zinkvitriol,  d.  i.  annähernd  auf  4  Teile  des  ersteren  3  Teile  des 
letzteren. 


28,  Kupfer  und  seine  Salze. 

§  190.  Wie  gewinnt  man  das  Kupfer?  Das  Kupfer,  ein  altbe- 
kanntes Metall,  findet  sich  zwar  hier  und  da  gediegen,  aber  über- 
wiegend vererzt,  teils  in  Sauerstoffverbindung,  wie  der  Malachit 
und  die  Kupferlasur  (beide  kohlensaures  Kupferoxyd),  vor- 
zugsweise jedoch  an  Schwefel  gebunden  als  Kupferkies  und 
Buntkupfererz  (beide  aus  Schwefeleisen  und  Schwefelkupfer 
bestehend). 

Das  wichtigste  Kupfererz  ist  der  Kupferkies,  worin  sich 
Kupfer  und  Eisen  an  Schwefel  gebunden  befinden.  Man  röstet 
das  Erz  unvollständig  und  schmilzt  es  für  sich  ein;  dabei  tritt 
der  noch  vorhandene  Schwefel  an  das  Kupfer  zu  leichtschmelz- 
barem Schwefelkupfer  —  dem  sog.  „Stein",  während  der  bei 
der  Röstung  aufgenommene  Sauerstoff  sich  mit  dem  Eisen  ver- 
einigt und  dasselbe  mit  dem  in  der  Gangart  vorhandenen  Quarz 
als  Silikat  in  die  Schlacke  führt.  Durch  wiederholtes  unvoll- 
ständiges Rösten  des  „Steines"  und  Einschmelzen  gelingt  es 
schliesslich,  reines  Schwefelkupfer  (sog.  Konzentrationsstein)  zu 
erhalten,  aus  welchem  alles  Eisen  entfernt  ist.  Diese  Trennung 
der  beiden  Metalle  beruht  darauf,  dass  das  Kupfer  eine  grössere 
Yerwandtschaft  zum  Schwefel,  das  Eisen  eine  solche  zum  Sauer- 
stoff hat.*)  Durch  vollständiges  Rösten  des  Konzentrationssteines 
führt  man  ihn  in  Kupferoxyd  über  und  reduziert  dieses  mittelst  Kohle. 

Ein  sehr  reines  Kupfer,  das  sog.  Cementkupfer,  wird  aus 
Kupfervitriollösungen  durch  Hineinlegen  metallischen  Eisens  ge- 

*)  Fe  -f  Cu  +  S  -f-  0  =  FeO  +  CuS. 


—     218     — 

wonnen,  welches  sich  an  die  Stelle  jenes  Metalles  setzt  und  zu 
Eisenvitriol  auflöst:  CuS04  +  Fe  =  FeS04  +  Cu. 

§  191.  Eigenschaften  des  Kupfers.  Das  Kupfer  ist  ein  hartes, 
sehr  zähes  und  dehnbares  Metall  von  rötlicher  Farbe  und  vor- 
züglichem Leitungsverinögen  für  Elektrizität  und  Wärme.  Sein 
spezifisches  Gewicht  =  8,95.  Es  schmilzt  erst  in  der  Weiss- 
glühhitze und  bedeckt  sich  in  der  Rotglühhitze  bei  Luftzutritt 
mit  einer  Oxydschicht.  An  feuchter  Luft  oxydiert  es  sich  allmählich, 
Grünspan  (kohlensaures  Kupferoxyd)  ziehend;  die  Gegenwart 
verdünnter  Säuren  oder  Salze  begünstigt  die  Oxy- 
dation des  Kupfers,  infolge  dessen  saure  Speisen  beim  Stehen 
in  kupfernen  Geräten  sehr  bald  kupferhaltig  werden;  jedoch  ist 
keine  Verunreinigung  zu  befürchten,  wenn  man  die  Speisen  sofort 
nach  dem  Garkochen  eutleert.  Weder  Salzsäure  noch  ver- 
dünnte Schwefelsäure  wirken  bei  Luftabschluss  auf 
das  Kupfer  ein,  dagegen  leicht  Salpetersäure  und  heisse  eng- 
lische Schwefelsäure.  Die  Salpetersäure  löst  das  Kupfer  mit  Heftig- 
keit unter  Stickoxydgasentwicklung  zu  blauem  salpetersauren 
Kupferoxyd,  nämlich: 

3Cu    +     8HN03      =     3(Cu2N03)      +    2NO     +     4H20 

Kupfer  Salpetersäure  aalpetersaures  Stickoxyd-  Wasser. 

Kupferoxyd  gas 

Konz.  Schwefelsäure  löst  in  der  Hitze  Kupfer  auf  zu  schwefel- 
saurem Kupferoxyd,  während  ein  Teil  von  ihr  in  schweflige  Säure 
reduziert  wird  und  entweicht. 

Cu      +      H2S04      ==      CuS04     +      H20      +      S02 

Kupfer  Schwefelsäure  schwefelsaures  Wasser  schweflig- 

Kupferoxyd  saures  Gas. 

Das  Kupfer  ist  ein  zweiwertiges  Metall,  welches  jedoch 
auch,  infolge  gegenseitiger  Bindung  zweier  Kupferatome,  ein- 
wertig auftreten  kann.  Es  bildet  daher  mit  Sauerstoff  zwei  salz- 
bildende Oxyde:  rotes  Kupferoxydul  (Cu20)  und  schwarzes 
Kupferoxyd  (CuO);  mit  Schwefel  zwei  schwarze  Sulfide: 
Kupfersubsulfid  (Cu2S)  und  Kupfersulfid  (CuS)  oder 
Halb-  und  Einf ach-Schwefelkupfer.  Mit  den  Salzbildnern 
in  ähnlicher  Weise  Kupferchlorür  (Cu2CJ2)  und  Kupferchlorid 
(CuCla)  u.  s.  f.  Die  Kupferoxydulsalze  sind  meist  unlöslich  und 
ziehen  an  der  Luft  begierig  Sauerstoff  an,  in  Oxydsalze  über- 
gehend. Die  Kupferoxydsalze  zeichnen  sich  durch  blaue 
oder  grüne   Färbung  aus   und  wirken   alle   innerlich  giftig. 

Erkennung  des  Kupfers:  Charakteristisch  ist  die  tiefblaue  Fär- 
bung, mit  welcher  sich  Kupferoxyd  in  Ammoniak  auflöst.  Die 
Kupfersalzlösungen  werden  daher  leicht  daran  erkannt,  dass  sie 
mit  überschüssigem  Salmiakgeist  eine  tiefblaue  Flüssigkeit  geben. 
Schwefelwasserstoff  scheidet  aus  ihnen,  selbst  bei  Gegenwart  freier 


—    219     — 

Säure,    schwarzes   Schwefelkupfer  aus.     Ein   blanker  Eisenspatel 
überzieht  sich  in  ihnen  kupferrot  (mit  einer  Kupferschicht). 

§  192.  Technische  Verwendung  des  Kupfers.  Wegen  seiner  Zähig- 
keit, Dehnbarkeit  und  Schwerschmelzbarkeit  findet  das  Kupfer 
in  der  Technik,  zu  Gerätschaften  u.  dgl.  ausgedehnte  Verwen- 
dung. Diese  vorzüglichen  Eigenschaften  überträgt  es  auf  seine 
Legierungen.  Legierungen  nennt  man  Metallgemische;  von 
denen  des  Kupfers  sind  hervorzuheben: 

das  Messing,  aus  Kupfer  (c.  70%)  und  Zink  (c.  30%); 

der  Tombak,  kupferreicher  als  das  Messing; 

die  Bronze,  aus  Kupfer,  Zinn,  Zink  und  Blei; 

das  Neusilber  (Argentan),  aus  Kupfer,  Zink  und  Nickel. 
Ausserdem  sind  noch  zu  nennen  das  Ka'nonen-  und  Glocke n- 
metall,  aus  Kupfer  und  Zinn. 

Zu  den  Kupfermünzen  benutzt  man  Kupfer  mit  etwas 
Zinn  (4%)  und  Zink  (1%) ;  zu  den  Nickelmünzen  des  deutschen 
Keiches  Kupfer  (75%)  und  Nickel  (25%). 

§  193.  Offizinelle  Kupferverbindungen,  a)  Das  Kupferoxyd, 
Cuprum  oxydatum  (CuO),  stellt  ein  schwarzes,  in  Wasser  un- 
lösliches Pulver  dar,  welches  man  durch  Erhitzen  des  aus  Kupfer- 
vitriol durch  Soda  gefällten  kohlensauren  Kupferoxyds  oder  auch 
durch  Glühen  des  salpetersauren  Kupferoxyds  gewinnt. 
I.     CuS04       +      Na2C03       =      CuC03       +      Na2S04 

Kupfersulfat  Natriumkarbonat  Kupferkarbonat  Natriumsulfat. 

IL  CuC03         =        CuO        +        C02 

Kupferkarbonat  Kupferoxyd  Kohlensäure. 

Versetzt  man  die  Lösung  eines  Kupfersalzes  mit  ätzendem 
Alkali,  so  scheidet  sich  blaugrünes  Kupferoxydhydrat  (Cu2HO) 
aus,  welches  bei  100°,  selbst  in  siedendem  Wasser,  in  schwarzes 
Kupferoxyd  übergeht:  Cu2HO  =  CuO  +H20. 

Das  Kupferoxyd  muss  sich  ohne  Aufbrausen  {Kohlensäure)  in  Salpeter- 
säure lösen-,  auf  fremde  Salze  wird  es  wie  der  Kupfervitriol  geprüft;  beim 
Erhitzen  auf  Platinblech  darf  es  keine  gelbrote  Dämpfe  [salpetrige  Säure) 
abgeben  —  herrührend  von  ungenügendem  Erhitzen  des  Kupfernitrats. 

b)  Das  schwefelsaure  Kupferoxyd,  Kupfersulfat, 
Cuprum  sulfuricum  (CuS04  +  5aq.),  krystaillsiert  in  lasurblauen 
Säulen,  weshalb  man  es  auch  blauen  Yitriol,  Kupfer- 
vitriol, nennt.  Das  reine  Salz  gewinnt  man  durch  Auflösung 
von  Kupfer  in  erhitzter  englischer  Schwefelsäure;  das  rohe  Salz 
wird  durch  Auslaugen  verwitterten  Kupferkieses  zugleich  mit 
Eisen vitrol  erhalten  und  von  demselben  durch  Krystallisation  ge- 
trennt, bleibt  aber  gewöhnlich  damit  verunreinigt.  Der  Kupfer- 
vitriol löst  sich  leicht  in  Wasser,  nicht  in  Weingeist  auf.  Yersetzt 
man  seine  Lösung  mit  Honig  oder  Zucker,  so  scheiden  Ätzalkalien 


—     220    — 

kein  Kupferoxydhydrat  aus;  wird  die  alkalische  Flüssigkeit  aber 
erhitzt,  so  reduziert  der  Zucker  das  Oxyd  zu  Kupferoxydul, 
welches  als  rotes  Pulver  niederfällt.     (Trommers  Zuckerprobe.) 

Prüfung  des  Kupfervitriols  auf  Reinheit :  Man  fällt  seine 
Lösung  mit  Schwefelwasserstoffwasser  völlig  aus  (bis  die  Mischung  stark 
nach  H2S  riecht)  und  filtriert.  Das  Filtrat  darf  beim  Abdampfen  keinen 
Rückstand  hinterlassen. 

Yersetzt  man  eine  Kupfervitriollösung  mit  Ätzammoniak,  so 
erfolgt  die  Ausscheidung  von  Kupferoxydhydrat,  welches  sich  in 
einem  Überschuss  des  Ammoniaks  wieder  löst.  Dann  befindet 
sich  neben  dem  entstandenen  schwefelsauren  Ammoniak  auch 
Kupferoxyd- Ammoniak  (Cu02HN3)  in  der  tiefblauen  Flüssigkeit. 
Ein  Weingeistzusatz  entzieht  beiden  Yerbindungen  das  Lösungs- 
mittel und  scheidet  ein  dunkelblaues  Kry stallmehl ,  schwefel- 
saures Kupferoxyd-Ammoniak,  Cuprum  sulfuricum 
ammoniatum,  aus,  dem  man  die  Formel  [(NH4)2S04  +  Cu02]S"H3] 
geben  kann. 

c)  Das  essigsaure  Kupferoxyd,  Cuprum  aceticum, 
(Cu2C2H302  +aq.),  krystallisiert  aus  der  Auflösung  von  Grünspan 
in  verdünnter  Essigsäure  als  blaugrüne  Säulen ;  man  nannte  daher 
dieses  Salz  krystallisierten  Grünspan  (Aerugo  crystalli- 
sata).     Es  löst  sich  klar  und  völlig  in  Wasser  auf. 

Im  Handel  existieren  zwei  Arten  Grünspan,  Aerugo:  der 
blaue  und  der  grüne.  Beide  sind  basische  Yerbindungen 
der  Essigsäure  mit  Kupferoxyd.  Der  grüne  Grünspan 
bildet  sich,  wenn  man  Kupferblech  mit  Essig  benetzt  und  an 
einen  warmen  Ort  stellt.  Der  blaue  Grünspan  entsteht  bei  der 
Schichtung  von  Kupferplatten  mit  gährenden  Weintrebern,  welche 
Essigsäure  aushauchen;  eine  blaugrüne  Masse  in  Broten  oder 
Kugeln,  völlig  in  Essig,  in  Ammoniaklösung,  aber  nur  unvoll- 
ständig in  Wasser  löslich. 

d)  Der  Kupferalaun,  Cuprum  aluminatum,  ist  ein 
zusammengeschmolzenes  Gemenge  von  Kupfervitriol,  Alaun  und 
Salpeter,  mit  kleinem  Kampferzusatz.  Es  wird  zu  Augenwässern 
(als  Lapis  divinus)  gebraucht. 

Versuche. 

Kupferreduktion  durch 
Wasserstoffgas.  (Fig.  59.)  Man 
verbinde  eine  ziemlich  weite  Glas- 
röhre beiderseits  durch  Kork-  oder 
Kautschukstopfen  luftdicht  mit  zwei 
engeren  Röhren ,  von  denen  eine 
gerade  verläuft,  während  die  andere, 
rechtwinkelig  gebogen,  ein  erFlasche 
Fig.  59.  luftdicht  angepasst  wird,  worin  man 

aus  Zink  und  verdünnter  Schwefelsäure  Wasserstoffgas  entwickelt.  In  die 
weite  Röhre  bringe  man  eine  Messerspitze  voll  schwarzes  Kupferoxyd  und 


—     221     — 

erhitze  dasselbe,  sobald  das  Wasserstoffgas  alle  Luft  aus  dem  Apparate 
verdrängt  bat,  zum  schwachen  Glühen;  es  verwandelt  sich  allmählich  in 
rotes,  pulveriges  Metall,  welches  unter  dem  Drucke  zu  kleinen  Kupfer- 
blättchen  zusammengeht.  Das  zugleich  gebildete  Wasser  entweicht  mit 
dem  überschüssigen  Wasserstoffgase. 

Praktische  Übungen. 

1.  Cuprum  sulfuricum  ammoniatum.  Man  trage  1  Teil  zer- 
riebenen Kupfervitriol  in  3  Teile  Salmiakgeist  ein  und  rühre  um;  es  ent- 
steht eine  tiefblaue  Lösung,  zu  der  6  Teile  Weingeist  gemischt  werden. 
Den  entstehenden  dunkelblauen  Niederschlag  sammle  man  auf  einem  Filter, 
ohne  ihn  auszuwaschen,  lasse  ihn  abtropfen  und  trockne  ihn  zwischen 
einigen  Lagen  Fliesspapier,  ohne  Anwendung  von  Wärme. 

2.  Cuprum  aceticum.  Man  löse  6  Teile  Grünspan  in  40  Teilen 
heissem  Wasser,  unter  Zugabe  von  6 — 8  Teilen  verdünnter  Essigsäure, 
filtriere  heiss  und  stelle  an  einen  kühlen  Ort.  Beim  Erkalten  krystallisiert 
das  Salz  aus;  es  werde  auf  einem  Trichter  gesammelt  und  in  gewöhnlicher 
Temperatur  getrocknet. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Kupfervitriol  gewinnt  man  aus  1  kg  Kupfer?  —  Antw. 
Cu  :  (CuS04  +  5H20)  =  63,5  :  249,5  :  x  =  3905  <?. 

2.  Woran  erkennt  man  das  schwarze  Kupferoxyd  vor  ähnlichen 
Stoffen?  —  Antw.  Es  löst  sich  in  verdünnter  Schwefelsäure  zur  bläulichen 
Flüssigkeit,  die  durch  überschüssiges  Ammoniak  tiefblau  wird. 

3.  Wieviel  Prozente  metallisches  Kupfer  hinterlässt  das  Kupferoxyd 
bei  seiner  Reduktion?  —  Antw.  CuO  :  Cu  =  79,5  :  63,5;  x  =  80  %. 


29.  Das  Wismut  und  seine  Salze. 

§  194.  Wismutmetall.  Das  Wismut,  bereits  im  15.  Jahr- 
hundert bekannt,  findet  sich  in  der  Natur  meist  gediegen  und 
wird  durch  gelindes  Glühen  in  schwach  geneigten  Röhren,  welche 
neben  einander  in  einem  Ofen  (Saigerofen)  liegen,  von  der  Gang- 
art abgeschmolzen  (gesaigert).  Das  Metall  ist  rötlichweiss ,  von 
krystallinischem  Gefüge,  zerspringt  unter  dem  Hammer  und  lässt 
sich  leicht  pulvern.  Sein  spez.  Gew.  =  9,8.  Es  schmilzt  bei  be- 
ginnender Rotglühhitze  und  verflüchtigt  sich  in  der  Weissglüh- 
hitze, dabei  zu  gelbem  Oxyd  verbrennend,  wenn  seine  Dämpfe 
an  die  Luft  treten.  In  trockner  Luft  hält  es  sich  unverändert, 
löst  sich  nicht  in  verdünnten  Säuren,  leicht  aber  in 
Salpetersäure,  auch  in  heisser  konzentr.  Schwefelsäure,  ähnlich 
dem  Kupfer.  Ausgezeichnet  ist  es  durch  die  Eigenschaft,  mit 
anderen  Metallen  leicht  flüssige  Legierungen  zu  bilden; 
so  schmilzt  das  sog.  Rose  sehe  Metall ,  aus  Wismut ,  Blei  und 
Zinn  bestehend,  schon  in  kochendem  Wasser. 

Das  Wismut  ist  ein  dreiwertiges  Metall,  welches  sich 
mit  dem  Sauerstoff  zu  gelbem  Wismutoxyd  (Bi203),  mit  dem 


—     222     — 

Schwefel  zu  schwarzem  Wismutsulfid  (Bi2S3)  verbindet.  Das 
Wismutoxydhydrat  scheidet  sich  als  weisser  Niederschlag  ab, 
wenn  man  ein  Wismutmetall  mit  einem  ätzenden  Alkali  vesetzt ; 
beim  Erhitzen  verliert  es  Wasser  und  wird  zu  gelbem  Wismutoxyd. 

§  195.  Wismutsalze.  Alle  Wismutsalze  zeichnen  sich  dadurch 
aus,  dass  sie  Wasser  milchig  trüben ;  sie  scheiden  nämlich  damit 
weisses  basisches  Salz  ab,  während  ein  sehr  saures  Salz  in  Lösung 
geht.  Je  mehr  und  je  heisser  das  Wasser  angewendet  wird,  um 
so  basischer  ist  der  Niederschlag. 

Löst  man  Wismut  in  Salpetersäure  auf,  so  entweicht  Stick- 
oxydgas, und  neutrales  Salpeter  saures  Wismutoxyd 
(Bi3N03)  geht  in  Lösung: 

Bi      +      4HNOa      =      Bi3N03       +      2H20      +      NO 

Wismut  Salpetersäure  Salpeters.  Wismutoxyd  Wasser  Stickoxyd. 

Nach  dem  Abdampfen  schiesst  dieses  Salz  in  wasserhellen 
Säulen  mit  5  Mol.  Erystallwasser  an.  Mit  der  25  fachen  Menge 
heissem  Wasser  gemischt,  zerfällt  dasselbe  und  scheidet  basisch 
salpetersaures  Wismutoxyd,  Wismutsubnitrat,  Bis- 
muthum  subnitricum,  früherMagisterium  Bismuthi  genannt, 
als  schweres,  weisses,  in  Wasser  unlösliches,  in  Salpetersäure  lös- 
liches Pulver  ab,  ein  Gemenge  von  Bi  l   <r>-rrh    mit  Bi  <  q    3 

Um  aus  dem  oft  Arsen  enthaltenden  Wismut  ein  arsenfreies 
Subnitrat  zu  gewinnen,  schreibt  die  Ph.  Germ.  II  vor,  das  ge- 
pulverte Wismut  mit  Natronsalpeter  zu  erhitzen,  wobei  neben 
Wismutoxyd  arsenige  Säure  entsteht;  letztere  wird  durch  nach- 
folgendes Auskochen  mit  Natronlauge  als  arsenigsaures  Natron 
aufgelöst  und  entfernt,  während  das  Wismutoxyd  ungelöst  bleibt. 
Prüfung:  Bismuthuin  subnitricum  löse  sieb,  obne  Aufbrausen  (Kohlen- 
säure) und  völlig  in  Schwefelsäure  (Rückstand:  Schwerspat,  Bleisulfat, 
Gips  u.  dgl.);  diese  Lösung  trübe  sieb  weder  mit  salpetersaurem  Baryt, 
noeb  mit  Silberlösung  (weisse  Niederscbläge :  Schwefelsäure  resp.  Chlor,  Blei) ; 
mit  Ammoniak  ausgefällt,  darf  das  Filtrat  dureb  H2S  sich  nicht  trüben 
(schwarz:  Kupfer);  wird  durch  überschüssiges  Schwefelwasserstoffwasser 
alles  Wismut  als  Schwefelwismut  ausgefällt,  so  darf  das  Filtrat  nach  dem 
Abdampfen  keinen  Rückstand  {Kalk,  Magnesia)  hinterlassen.  Mit  Natron- 
lauge erhitzt,  gebe  es  kein  Ammoniak  ab.*)  Auf  Arsen  prüft  man,  indem 
man  das  Präparat  mit  Natron  zerlegt,  zum  Filtrat  Zink  und  Wasser  bei- 
giebt  und  in  das  entweichende  Wasserstoffgas  einen  mit  Silberlösung  be- 
tupften Streifen  Papier  hineinhängt:  wird  die  Silberlösung  schwarz,  so  ist 
das  Wasserstoffgas   arsenhaltig,   zufolge  eines  Arsengehalts   des  Präparates.. 


*)  Die  saure  Mutterlauge,  die  von  dem  ausgeschiedenen  Wismutsub- 
nitrat abfiltriert  worden,  enthält  noch  Wismut  als  saures  Salz;  neutralisiert 
man  sie  mit  Ammoniak,  so  wird  nochmals  ein  Quantum  Subnitrat  gewonnen,, 
dieses  ist  aber  ammoniakhaltig. 


223     — 


Praktische  Übungen. 

Bismuthuni  subnitricum.  Man  übergiesse  gepulvertes  Wismut  in 
einem  Kolben  mit  der  4^2 fachen  Menge  Salpetersäure;  es  entweicht  mit  Leb- 
haftigkeit Stickoxydgas,  an  der  Luft  gelbrot  werdend,  während  das  Metall 
sich  langsam  auflöst.  Nach  beendigter  Lösung,  die  man  zuletzt  durch  Er- 
wärmen unterstützt,  gebe  man  so  lange  Wasser  zu,  bis  ein  weisser  Nieder- 
schlag entstehen  will,  giesse  nach  dem  Absetzen  die  klare  Flüssigkeit  aus, 
dampfe  sie  zum  dreifachen  Gewicht  des  angewendeten  Metalles  ab  und 
lasse  an  einem  kühlen  Orte  krystallisieren.  Die  gewonnenen,  mit  etwas 
angesäuertem  Wasser  abgespülten  Krystalle  zerreibe  man,  löse  sie  in  der 
vierfachen  Wassermenge  auf  und  giesse  in  die  21  fache  Menge  heissen 
destillierten  Wassers  ein.  Den  entstehenden  weissen  Niederschlag  sammle 
man  nach  dem  Erkalten  auf  einem  Filter,  wasche  ihn  mit  etwas  Wasser 
aus  und  trockne  ihn  in  sehr  lauer  Wärme. 

Fragen  und  stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wie  unterscheidet  man  das  Wismutmetall  vom  Blei,  Zink  und 
Antimon?  —  Antw.  Das  Wismut  unterscheidet  sich  vom  Blei  und  Zink 
durch  seine  Sprödigkeit,  vom  Antimon  durch  seine  rötliche  Farbennüance. 

2.  Wieviel  30prozentige  (offizinelle)  Salpetersäure  verlangt  1  Pfd. 
Wismut  zur  völligen  Lösung?  —  Antw.  Bi  :  4HN03  =  210  :  4  X  63;  x  = 
3<>o/30  X  600  </  =  4  Pfd. 


§  196.  Das  Zinn.  Das  altbekannte  Zinn  kommt  in  der  Natur 
nur  oxydiert  vor,  als  sog.  Zinn  stein  (Zinnoxyd),  vorzugsweise 
auf  der  Insel  Banka  (Ostindien)  und  in  Cornwall  (England).  Man 
reduziert  das  Erz  mit  Kohle.  (Sn02  +  2C  =  Sn  +  2CO.)  Es  ist 
ein  weisses,  glänzendes,  weiches  und  hämmerbares  Metall,  welches 
bei  200°  schmilzt  und  in  der  Glühhitze  sich  mit  einer  Oxydschicht 
bedeckt.  Spez.  Gew.  7,29.  Das  Zinn  löst  sich  nicht  in 
verdünnten  Säuren,  auch  nicht  unter  Sauerstoff- 
anziehung aus  der  Luft  (wie  das  Blei).  Man  verfertigt 
wegen  dieser  Unangreifbarkeit  gegen  saure  Speisen  u.  dgl.  die 
Kochgerätschaften  aus  Zinn  oder  verwendet  verzinnte  Eisenge- 
schirre. Starke  Salzsäure  löst  aber  in  der  Hitze  das  Zinn  unter 
Wasserstoffentbindung  zu  Zinnchlorür  auf;  Salpetersäure  oxydiert 
es  mit  Lebhaftigkeit  zu  Zinnoxyd,  löst  dieses  aber  nicht. 

I.     Sn       +       2HC1       =      SnC]2        +      2H 

Zinn  Chlorwasserstoff  Zinnchlorür  Wasserstoff 

IL     3Sn     +     4HN03     =     3Sn02     +     2H20     +     4NO 

Zinn  Salpetersäure  Zinnoxyd  Wasser  Stickoxydgas. 

Das  in  der  Technik  gebräuchliche  Zinn  wird  mit  (20%)  Blei 
legiert,  dessen  Gehalt  nicht  ein  Viertel  übersteigen  darf.  Feinge- 
walztes Zinn  (Zinnfolie)  heisst  Stanniol,  unechtes  Blattsilber. 

Das  Zinn  ist  ein  zwei-  und  vierwertiges  Metall,  welches 
mit  Sauerstoff  zwei  Oxyde  bildet:  Zinnoxydul  (SnO),  dessen 
Hydrat  weiss  ist,  sowie  Zinnoxyd  (Sn02),  ein  weisses,  in  Säuren 
unlösliches  Pulver.     Mit  Schwefel  vereinigt   es  sich  zu  braunem 


—     224     — 

Zinnsulfür  (SnS)  und  zu  gelbem  Zinns ulfid  (SnS2),  das  als 
Musivgold  zum  Bronzieren  gebraucht  wird. 

Das  Zinnchlorür,  Stannumchloratum  (SnCl2  +  2  aq.), 
wird  in  der  Färberei  gebraucht;  es  krystallisiert  aus  der  heissen, 
salzsauren  Lösung  des  Zinns  in  weissen  Säulen  aus,  löst  sich 
leicht  in  Wasser,  zieht  aber  begierig  Sauerstoff  aus  der  Luft  an 
und  geht  dann  in  weisses,  unlösliches,  basisches  Chlorid  (SnCl20) 
über.  Letzteres  scheidet  sich  aus  der  Zinnchlorürlösung  mit  der 
Zeit  aus.  Das  Zinnchlorür  besitzt  ein  grosses  Bestreben,  durch 
Aufnahme  von  Chlor  in  Zinnchlorid  (SnCl4)  überzugehen,  und 
vermag  den  höheren  Chloriden  Chlor  zu  entreissen ;  so  reduziert  es  das 
Quecksilberchlorid  zu  Quecksilberchlorür,  in  Zinnchlorid  übergehend. 
SnCl?         +        2HgCl2         =        SnCl4         +        Hg.2Cl2 

Zinnchlorür  Quecksilberchlorid  Zinnchlorid  Quecksilberchlorür. 


30.  Das  Antimon  und  seine  Verbindungen. 

§197.  Gewinnung  des  Antimons.  Das  Antimon  oder  der  Spiess- 
glanz,  bereits  im  15.  Jahrhundert  bekannt,  findet  sich  nicht  ge- 
diegen in  der  Natur,  sondern  vorzugsweise  in  Verbindung  mit 
Schwefel  als  Grauspiessglanzerz,  Antimonium  crudum 
(Dreifach-Schwefelantimon),  einem  stahlgrauen,  metallglänzenden, 
spiessig-krystallinischen  Mineral.  Man  trennt  das  Erz  von  der 
Gangart  durch  gelindes  Erhitzen  in  schwach  geneigten  Röhren 
(Saigerung)  und  schmilzt  es  entweder  mit  Eisen  ein  oder  röstet 
es  und  reduziert  den  Eückstand  mit  Kohle. 

Beim  Zusammenschmelzen  des  Spiessglanzerzes  mit  metalli- 
schem Eisen  gewinnt  man  metallisches  Antimon  und  eine  Schlacke 
aus  Schwefeleisen,  nämlich: 

Sb2S3         +        3Fe      =      28b      -f-      3FeS 

Schwefelantimon  Eisen  Antimon  Schwefeleisen. 

Böstet  man  dagegen  das  Spiessglanzerz ,  so  verbrennt  der 
Schwefel  zu  schwefliger  Säure  und  das  Antimon  zu  Antimon- 
oxyd (sog.  Spiessglanzasche) ;  letzteres  bleibt  zurück  und  liefert, 
mit  Kohle  eingeschmolzen,  Antimonmetall. 

Da  das  Grauspiessglanzerz  gewöhnlich  Arsen  und  Blei  ent- 
hält,  so  ist  auch  das  Antimon  sehr  häufig  arsen-  und  bleihaltig. 

§  198.  Eigenschaften  des  Antimons.  Das  Antimon  ist  ein  silber- 
weisses  Metall,  von  blätterig  krystallinischem  Gefüge,  unter  dem 
Hammer  zerspingend  und  leicht  pulverisierbar.  Es  ist  leichter 
wie  Zinn,  Zink  und  Eisen,  denn  das  spez.  Gewicht  =  6,7.  In 
schwacher  Rotglut  schmilzt  es,  verflüchtigt  sich  in  der  Weiss- 
glühhitze und  verbrennt  dann  an  der  Luft  zu  weissem  Antimon- 
oxyd. An  trockner  Luft  hält  sich  das  Metall  unverändert,  zerlegt 
in   keiner  Weise   das  Wasser,    noch  verdünnte  Säuren;   dagegen 


—    225    — 

verwandelt  es  sich,  mit  heisser  englischer  Schwefelsäure  behandelt, 
unter  Entbindung  schwefliger  Säure,  in  schwefelsaures  Antimon- 
oxyd. Salzsäure  greift  das  Metall  nicht  an,  Salpetersäure 
oxydiert  es  zu  Antimonoxyd,  ohne  dieses  zu  lösen  — 
gleiches  Verhalten  wie  beim  Zinn! 

Das  Antimon  ist  ein  Bestandteil,  des  Lettern-  oder 
Schriftmetalls;  auch  des  sog.  Britanniametalls. 

§  199.  Charakter  der  Antimonverbindungen.  Das  Antimon  ist 
ein  dreiwertiges  Metall,  welches  auch  fünf  wertig  auftreten 
kann.  Mit  dem  Sauerstoff  verbindet  es  sich  in  zwei  Verhältnissen: 
zu  Antimonoxyd  (Sb203)  und  Antimonsäure  („wasser- 
freie", Sb205);  mit  dem  Schwefel  in  ähnlicher  Weise  zu  Anti- 
monsulfür  (Dreifach-Schwefelantimon,  Sb2S3)  und  Antimon- 
sulfid (Fünffach  -  Schwefelantimon ,  Sb2S5).  Die  Verbindungen 
des  dreiwertigen  Antimons  sind  teils  basischer  Natur  —  so 
verbindet  sich  das  Antimonoxyd  mit  Säuren  zu  Antimon- 
oxydsalzen, zu  denen  der  Brechweinstein  gehört  — ,  teils 
saurer  Natur,  insofern  das  Antimonoxyd  mit  den  Alkalien, 
das  Antimonsulfür  mit  den  Schwefelalkalien  antimonigsaure 
Salze  (Antimonite)  resp.  Sulfantimonite  bilden.  Die  An- 
timonsäure ist  eine  Sauerstoffsäure,  und  das  Antimon- 
sulfid eine  Sulfosäure;  jene  bildet  Antimoniate,  dieses  Sul- 
fantimoniate. 

Erkennung  des  Antimons.  Aus  den  Salzlösungen  des  Antimons 
scheidet  Schwefelwasserstoff  orangerotes  Schwefelantimon  aus.  Mit 
Wasserstoffgas  vermag  sich  das  Antimon  in  statu  nascenti  zu 
vereinigen,  d.  i.  im  Momente,  wo  beide  Elemente  aus  ihren 
Verbindungen  ausgeschieden  werden.  Versetzt  man  ein  Anti- 
monsalz mit  Zink  und  verdünnter  Säure,  so  wird  einerseits 
das  Antimon  vom  Zink  metallisch  niedergeschlagen,  andrerseits 
durch  die  Einwirkung  der  Säure  auf  das  Zink  Wasserstoffgas 
entwickelt.  Antimon  und  Wasserstoff  verbinden  sich  alsdann  zu 
Antimonwasserstoff  gas  (SbH3),  einem  farblosen  Gas,  welches 
angezündet  mit  grünlicher  Flamme  zu  Wasser  und  Antimonoxyd 
verbrennt,  in  der  Glühhitze  schwarzes  Antimon  absetzt. 

§  200.  OffizineUe  Antimonpräparate,  a)  Das  Antimonchlo- 
rür,  Liquor  Stibii  chlorati  (SbCl3),  auch  Spiessglanzbutter 
(Butyrum  Antimonii)  genannt,  weil  es  im  wasserfreien  Zustande 
eine  butterweiche,  weisse  Masse  vorstellt,  ist  eine  farblose,  stark 
ätzende,  destillierbare  Flüssigkeit,  welche  sich  mit  Salzsäure 
mischen  lässt,  von  Wasser  aber  ähnlich  den  Wismutsalzen  zer- 
legt wird  und  Antimon oxychlorür  (SbCIO)  =  V3  (SbCl3  +  Sb203) 
als  weisses,  unlösliches  Pulver  (Algarotpulver)  abscheidet. 

Schi  iekum,  Apothekerlehrling.  15 


—    226     — 

Man  stellt  das  Antimonchlorür  durch  Auflösung  von  Grau- 
spiessglanzerz  (Sb2S3)  in  heisser  Salzsäure  dar;  dabei  entweicht 
Schwefelwasserstoffgas. 

Sb2S3      +      6HC1      ==      2SbCl3      +    3H2S 

Antimonsulfür         Chlorwasserstoff  Antimonchlorür     Schwefelwasserstoff. 

War  das  Erz  bleihaltig,  so  krystallisiert  Chlorblei  beim  Er- 
kalten als  schwerlösliches  Salz  aus.  Vom  begleitenden  Arsen 
befreit  man  die  Flüssigkeit  durch  Eindampfen ,  da  das  Arsen- 
chlorür  bedeutend  flüchtiger  ist  als  das  Antimonchlorür.  Der 
Rückstand  wird  schliesslich  mit  Salzsäure  bis  zum  spez.  Gew. 
1,34 — 1,36  verdünnt.  Man  gebraucht  die  Antimonbutter  äusser- 
lich  als  starkes  Atzmittel. 

b)  Das  weinsaure  Antimonoxyd-Kali,  Tartarus  sti- 
biatus,  gewöhnlich  Brech  wein  st  ein  (Tartarus  emeticus)  genannt, 
ist  ein  Doppelsalz ,  hervorgegangen  aus  dem  Weinstein ,  dessen 
Wasserstoff  durch  die  einwertige  Atomgruppe  (SbO)  aus  dem 
Antimonoxyd  vertreten  ist,  ähnlich  wie  dieser  Wasserstoff  im 
Seignettesalz  durch  Natrium  substituiert  ist.  Die  Formel  des 
Brechweinsteins  ist  mithin:  [(K,SbO)T  +  aq.].  Wir  bereiten  ihn 
durch  Digestion  des  reinen  Antimonoxyds  mit  Weinstein. 

Er  krystallisiert  in  farblosen  Rhomboedern,  welche  sich  in 
Wasser  ohne  Zersetzung,  aber  etwas  schwierig  —  in  15  Teilen  — 
auflösen.  Weingeist  fällt  den  Brechweinstein  aus  seiner  Lösung 
unverändert  aus,  starke  Säuren  scheiden  Weinstein  ab,  Kalksalze 
(auch  kalkhaltiges  Brunnenwasser)  weinsauren  Kalk,  Gerbsäure 
und  gerbstoffhaltige  Flüssigkeiten  (Chinadekokt,  Thee,  Kaffee)  gerb- 
saures Antimonoxyd.  Deshalb  bedient  man  sich  der  letzteren 
als  Gegengift  des  giftigen  Brechweinsteins.  Organische  Säuren, 
ätzende  und  kohlensaure  Alkalien  zersetzen  ihn  nicht,  auch  Schwefel- 
wasserstoff fällt  nur  bei  Säurezusatz  orangerotes  Schwefelantimon. 

In  kleinen  Gaben  dient  der  Brechweinstein  als  Beizmittel  zur 
Schleimabsonderung  der  Luftwege;  als  Brechmittel  wird  er  bis 
0,20  g,  in  gebrochenen  Gaben  bis  0,5  g  gegeben. 

Zur  Darstellung  eines  reinen  Brechweinsteins  ist  reines 
Antimonoxyd  (Sb203)  nötig.  Man  löst  zu  diesem  Zwecke 
Grauspiessglanzerz  in  heisser  Salzsäure,  giesst  nach  dem  Erkalten 
die  Flüssigkeit  vom  auskrystallisierten  Chlorblei  klar  ab,  dampft 
sie  ein,  giesst  sie  in  die  20  fache  Wassermenge  und  digeriert  das 
abgeschiedene  Algarotpulver  mit  Soda,  wobei,  unter  Entweichung 
der  Kohlensäure,  Chlornatrium  und  Antimonoxyd  entstehen:  jenes 
löst  sich  auf,  dieses  wird  ausgewaschen  und  getrocknet,  ein  weiss- 
liches,  unlösliches  Pulver.  Etwa  vorhandenes  Arsen  wird  als 
arsenigsaures  Natron  hierbei  mit  der  Lösung  entfernt.  Arsen- 
haltiger Brechweinstein  lässt  sich  durch  Umkrystallisieren  nicht 
reinigen,    da   die   arsenige   Säure    mit   dem   Weinstein    ein   dem 


—     227     - 

Brechweinstein  isomorphes  Doppelsalz  (weinsaures  Arsenigsäure 
Kali)  erzeugt. 

Der  ganze  Prozess  der  Brechweinsteinbildung  lässt  sich  in 
folgenden  vier  Gleichungen  zusammenfassen: 

I.        Sb2S3      +       6HC1    =     2SbCl3      +      3H2S 

Antimonsulfür  Salzsäure         Antimonohlorür       Schwefelwasserstoff 

II.        SbCl3       +     H20      =     SbCIO       +      2HC1 

Antinionchlorür  Wasser  Antimonoxychlorür  Salzsäure 

III.  2SbC10     +     Na2C03  =    Sb203        +  NaCl    -f-  C02 

Antimonoxychlorür  Soda  Antimonoxyd  Chlornatrium  Kohlensäure 

IV.  Sb203       +      2KHT  ==   2KSbÖT    +     H20 

Antimonoxyd  Weinstein  Brechweinstein  Wasser. 

Prüfung  des  Brechweinsteins  auf  Arsen:  Seine  Lösung  in  Salz- 
säure darf  durch  einige  Tropfen  Schwefelwasserstoffwasser  nicht  gelb  ge- 
färbt oder  getrübt  werden.  Schwefelarsen ,  welches  sich  in  der  Salzsäure 
nicht  löst;  —  Schwefelantimon  löst  sich  in  der  Salzsäure). 
4  c)  Das  Dreifach  -  Schwefelantimon,  Antimonsulfür, 
Stibium  suli'uratum  nigrum  (Sb2S),  findet  sich  als  Grau- 
spiessglanz  natürlich,  jedoch  vielfach  verunreinigt,  zumal 
mit  Blei  und  Arsen.  Durch  Zusammenschmelzen  von  (12  Teilen) 
reinem  Antimonmetall  mit  (5  Teilen)  Schwefel  wird  es  rein  darge- 
stellt und  durch  Schlämmen  in  ein  höchst  feines ,  schweres, 
schwarzes  Pulver  verwandelt. 

Das  amorphe  Antimonsulfür  (Dreifach-Schwefelantimon),  wie 
es  aus  Antimonoxydsalzlösungen  durch  Schwefelwasserstoff  nieder- 
geschlagen wird,  ist  von  derselben  orangeroten  Färbung  wie  der 
Goldschwefel. 

Ein  Gemenge  dieses  amorphen  Antimonsulfürs  mit  Anti- 
monoxyd stellt  der  Min  eralkermes,  Stibium  sulfuratum 
rubeum,  dar,  ein  bräunlichrotes  Pulver,  welches  unter  der  Lupe 
die  beigemengten  weissen  Antimonoxydkryställchen  erkennen  lässt. 

Dieses  Präparat  scheidet  sich  aus  einer  mit  schwarzem  Schwefel- 
antimon gekochten  Sodalösung  beim  Erkalten  ab.  Die  Soda  löst 
nämlich  einen  Teil  des  Antimonsulfürs  zu  Natriumantimonit  (Anti- 
monoxyd-Natron) und  Natriumsulfantimonit  auf: 

2Na20  +  2Sb2S3     ==     NaSb02     +     3NaSbS2 

Natron         Antimonsulfür      Natriumantimonit    Natriumsulfantimonit 

Beide  Salze  lassen  beim  Abkühlen  einen  Teil  des  Antimon- 
oxyds und  Antimonsulfürs  fallen. 

d)  Das  Antimonsulfid,  Stibium  sulfuratum  aurantia- 

cum  (SbaS5),  ist  ein  orangerotes  Pulver  und  trägt  den  Trivialnamen 
Goldschwefel  (Sulfur  auratum  Antimonii).  Es  löst  sich 
nicht  in  Wasser  und  verdünnten  Säuren,  leicht  aber  (als  Sulfo- 
säure)  in  ätzenden  und  Schwefel  -  Alkalien.  Salzsäure  zersetzt 
es,  unter  Abscheidung  von  Schwefel  und  Entbindung  von  Schwefel- 
wasserstoff, zu  Antimonchlorür : 

Sb2S5  +  6HC1  =  2SbCl3  -+-  dK^S  +  2S. 

15* 


—     228     — 

Mit  Schwefelalkalien  bildet  das  Antimonsulfid  lösliche  Schwefel- 
salze, sog.  Sulfantimoniate.  Löst  man  es  in  ätzender  Al- 
kalilauge, so  entsteht  durch  Umtausch  von  S  und  0  antimon- 
saures Alkali  neben  dem  Sulfantimoniat ;  nämlich: 

3K20       +      3Sb2S5       =      KSb03       -f      5KSbS3 

Kali  Antimonsulfid  Kaliumantimoniat         Kaliumsulfantimoniat. 

Erhitzt  man  den  Goldschwefel  für  sich  in  einer  Glasröhre,, 
so  sublimiert  gelber  Schwefel ,  und  schwarzes  Schwefelantimon 
bleibt  zurück  —  einfachstes  Erkennungszeichen  desselben ! 

BereitungdesGold  schwefeis.  Geschlämmtes  schwarzes 
Schwefelantimon  wird  mit  Ätznatronlauge  und  Schwefel  gekocht; 
aus  letzteren  entsteht  unterschwefligsaures  Natron  und  Schwefel- 
natrium, welches  das  Antimonsulfür  auflöst  und  bei  dem  Über- 
schuss  an  Schwefel  in  Antimonsulfid  überführt.  Aus  der  er- 
kalteten Lauge  krystallisiert  dann  Natriumsulfantimoniat 
(Na3SbS4  +  9  aq.) ,  das  nach  dem  Entdecker  Schlippesches 
Salz  genannt  wird,  in  farblosen  Tetraedern  aus,  während  die 
übrigen  Stoffe,  unterschwefligsaures  Natron  und  Mehrfach-Schwefel- 
natrium,  in  Lösung  bleiben.  Man  löst  das  Schlippesche  Salz  in 
Wasser  und  zerlegt  es  durch  verdünnte  Schwefelsäure,  wobei 
Schwefelwasserstoff  entweicht  und  Antimon sulfid  niederfällt,  wäh- 
rend schwefelsaures  Natron  in  Lösung  bleibt. 

Diese  Vorgänge  lassen  sich  in  folgenden  Gleichungen  darstellen : 
I.  6-NaHO     +     4S     =     2Na2S       +      Na2S203      +     3H20 

Natronhydrat  Schwefel  Schwefelnatrium  unterschweflig-  Wasser 

saures  Natron 

IL  3Na2S    +    Sb2S3     +     2S     =    2Na.,SbS4 

Schwefelnatrium       Antimonsulfür         Schwefel        Natriumsulfantimoniat 

III.   2Na3SbS4    +     3H«S04    ==    Sb2S5    +    3H.2S   +   3Na2S04 

Natriumsulfanti-  Schwefelsäure        Antimonsulfid  Schwefel-  schwefelsaures 

moniat  Wasserstoff  Natron 

Die  Krystallisierbarkeit  des  Schlippeschen  Salzes  erlaubt 
nicht  allein  die  Befreiung  des  Goldschwefels  vom  Arsen,  da  letzteres 
in  der  Mutterlauge  bleibt,  sondern  auch  von  überschüssigem, 
freiem  Schwefel,  der  sich  stets  beimengt,  wenn  man  die  Lauge,, 
welche  zugleich  Mehrfach-Schwefelnatrium  enthält,  direkt  mit  der 
Säure  fällt. 

Prüfung  des  Goldschwefels:  Er  rnuss  sich  völlig  in  Salmiakgeist 
auflösen  (Rückstand:  Schwefel),  ebenso  in  Schwefelamrnoniuni  (Rückstand: 
erdige  Beimengungen);  aus  der  ammoniakalischen  Lösung  durch  Salzsäure 
ausgeschieden  und  dann  mit  kohlensaurem  Ammoniak  geschüttelt,  darf  er 
an  dasselbe  kein  Arsen  abgeben,  welches  sich  mit  gelber  Farbe  (Schwefel- 
arsen) wieder  ausscheiden  würde,  wenn  das  Filtrat  mit  Salzsäure  über- 
säuert wird,  oder  auch  erst  auf  Zusatz  von  Schwefelwasserstoffwasser  (wenn 
es  als  arsenige  Säure  zugegen  ist). 

Praktische  Übungen. 

1.  Liquor  Stibii  chlorati.  1  Teil  feingepulverter  schwarzer 
Schwefelspiessglanz  werde  in  einem  Kolben  im  Sandbad  mit  5  Teilen  reiner 


—     229     — 

Salzsäure  erhitzt,  so  lange  noch  Schwefelwasserstoffgas  entweicht;  dann 
lasse  man  absetzen  und  giesse  klar  ab,  den  Rest  durch  einen  Trichter 
filtrierend,  in  den  man  ein  Päuschchen  Asbest  eingedrückt.  Man  dampfe 
die  saure  Flüssigkeit  in  einer  Porzellanschale  unter  freiem  Himmel  zu 
Vj2  Teilen  ab,  stelle  sie  (zum  Auskrystallisieren  vorhandenen  Chlor- 
bleies) einen  Tag  bei  Seite  und  erhitze  das  klar  abgegossene  Liquidum  in 
einer  Retorte  mit  lose  vorgelegtem  Kolben,  worin  sich  etwas  Wasser  be- 
findet, so  lange,  bis  das  Überdestillierende  im  vorgeschlagenen  Wasser  eine 
milchige  Trübung  hervorruft  —  herrührend  von  übergehendem  Chlorantimon. 
Alsdann  lasse  man  erkalten  und  verdünne  den  Rückstand  in  der  Retorte 
mit  verdünnter  Salzsäure  (aus  gleichen  Teilen  reiner  Salzsäure  und  destil- 
lierten Wassers)  zum  spez.  Gew.  1,34 — 1,35. 

2.  Stibium  sulfuratum  rubeum.  Man  koche  in  einem  eisernen 
Kessel  1  Teil  feingepulverten  schwarzen  Schwefelspiessglanz  zwei  Stunden 
lang  mit  einer  Lösung  von  25  Teilen  Soda  in  250  Teilen  Wasser,  unter 
Ersatz  des  verdampfenden  Wassers.  Alsdann  werde  die  Flüssigkeit  siedend 
heiss  in  einen  Topf  filtriert,  worin  sich  schon  etwas  heisses  Wasser  be- 
findet, und  nach  völligem  Erkalten  von  dem  inzwischen  abgesetzten  roten 
Kermes  dekantiert  und  filtriert.  Letzteren  wasche  man  mit  Wasser  solange 
aus,  als  das  ablaufende  noch  rotes  Lackmuspapier  bläut;  nach  dem  Ab- 
tropfen presse  man  das  Filter  mit  dem  Inhalte  zwischen  Fliesspapier  und 
trockne  an  einem  dunklen,  lauwarmen  Orte. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Weinstein  erfordert  1  Pfd.  Antimonoxyd  zur  Auflösung? 
—  Antw.  Sb203  :  2(KHC4H406)  =  292  :  2  X  188;  x  =  64:4  g. 

2.  Wieviel  Brechweinstein  gewinnt  man  dabei?  —  Antw.  Sb203  : 
2(KSbOC4H406  +  H20)  =  292  :  2  X  343;  x  =  1175  g. 


31.  Arsenik, 


§  201.  Was  ist  der  Arsenik?  In  der  Natur  finden  sich  nicht 
selten  gewisse  Eisen-,  Kobalt-  und  Nickelerze,  in  denen  diese 
Metalle  mit  Arsen  verbunden  sind;  zuweilen  kommt  das  Arsen- 
metall auch  gediegen  vor:  Scherbenkobalt,  Fliegenstein.*) 
Die  wichtigsten  Erze  sind:  der  Mispickel  (FeAsS).  Speis- 
kobalt  (CoAs2)  und  Kupfernickel  (NiAs2).  Der  Mispickel, 
auch  Arsen  kies  genannt,  begleitet  häufig  den  Schwefelkies  und 
macht  dann  den  von  letzterem  gewonnenen  Schwefel  resp.  Schwefel- 
säure arsenhaltig. 

Bei  der  Köstung  der  genannten  Erze  verbrennt  das  Arsen 
zu  arseniger  Säure  (As203)  welche  sublimiert  und  sich  in 
grossen  Kammern  als  weisses  Pulver,  sog.  Giftmehl,  an  die 
"Wandungen  absetzt.  Dieses  Giftmehl  wird  in  eisernen  Gefässen 
umsublimiert  und  kommt  als  eine  farblose,  glasige  Masse,  weisser 
Arsenik,  Arsenicum  album,  Acidum  arsenicosum  (A203), 
in  den  Handel. 


*)  Das  metallische  Arsen  war  schon  Paracelsus  (im  16.  Jahrh.)  bekannt. 


—     230     — 

Die  arsenige  Säure  ist  wasserfrei  (anhydrisch) ,  frisch  subli- 
miert  glasartig  durchsichtig  (amorph) ,  später  porzellanartig  un- 
durchsichtig (krystallinisch) ;  benetzt  sich  schwer  mit  Wasser,  löst 
sich  auch  nur  schwierig  darin  auf,  da  sie  15  Teile  siedendes 
"Wasser  verlangt,  beim  Erkalten  sich  aber  grösstenteils  krystalli- 
nisch wieder  abscheidet.  Salzsäure  löst  sie  reichlicher  auf,  am 
leichtesten  ätzende  und  kohlensaure  Alkalien ,  mit  ihr  arsenig- 
saure  Salze  (Arsenite)  bildend.  Offizineil  ist  das  arsenig- 
saure  Kali  als  Liquor  Kalii  arsenicosi,  sog.  Fowlersche 
Tropfen  (Solutio  arsenicalis  Fowleri),  welche  1  Proz.  Arsenik 
enthalten. 

Der  Arsenik  und  seine  Salze  sind  heftige  Griffe.  Sie  wirken 
ätzend  auf  tierische  Gewebe.  Als  Gegenmittel  gebraucht  man 
frischgefälltes  (!)  Eisenoxydhydrat,  da  nur  das  Terhydrat  (Fe2 
6  HO)  des  Eisens  sich  mit  der  arsenigen  Säure  zu  unschädlichem 
arsenigsauren  Eisenoxyd  verbindet.  Zu  diesem  Behufe  gebraucht 
man  alsAntidotum  Arsenici  eine  bei  der  Dispensation  voll- 
zogene Mischung  aus  100  Teilen  Eisensulfatflüssigkeit  mit  15 
Teilen  gebrannter  Magnesia. 

§  202.  Das  Arsen  und  seine  Verbindungen.  Das  Arsen  ist  ein 
stahlgraues  Metall  von  krystallinischem  Gefüge  und  dem  spez. 
Gew.  =  5,7.  Es  verflüchtigt  sich  beim  Erhitzen,  ohne  zu  schmelzen, 
und  verbrennt  dann  bei  Luftzutritt  mit  bläulicher  Flamme  zu 
arseniger  Säure.  Charakteristisch  für  das  Arsen  ist  der 
bei  seinem  Yerbrennen  auftretende  Knoblauchge- 
ruch. Streut  man  ein  Körnchen  Arsenik  auf  glühende  Kohlen, 
so  verbreitet  der  an  der  Luft  sich  wieder  oxydierende  Arsendampf 
sofort  diesen  Geruch.  Erhitzt  man  etwas  Arsenik  mit  Holzkohlen- 
stückchen in  einer  Glasröhre,  so  beschlägt  der  Arsendampf  den 
kälteren  Teil  der  Röhre  als  glänzend  schwarzer  Metallspiegel. 

Das  Arsen  ist  ein  dreiwertiges  Metall,  welches  aber  auch 
fünfwertig  auftreten  kann,  ähnlich  dem  Antimon,  dem  es  sich 
in  vielen  Stücken  anschliesst.  Seine  Verbindungen  sind 
alle  flüchtig  resp.  sublimierbar.  Es  bildet  mit  Sauer- 
stoff zwei  dreibasische  Säuren: 

1.  die  arsenige   Säure,   nur   anhydrisch  (As203)  bekannt; 

2.  die  Arsensäure,  anhydrisch  =  As205,  hydratisch  = 
H3As04,  in  ihren  Salzen  der  Phosphorsäure  isomorph. 

Yon  den  Salzen  der  arsenigen  Säure  ist  das  grüne  a  r  s  e  n  i  g  - 
saure  Kupferoxyd  in  Verbindung  mit  essigsaurem  Kupferoxyd 
die  beliebte,  aber  höchst  giftige,  grüne  Farbe,  das  Schwein- 
furter  oder  Scheelsche  Grün.  Dasselbe  löst  sich  mit  Leichtig- 
keit in  Ätzammoniak  zu  einer  tiefblauen  Flüssigkeit  auf. 


—     231     - 

Mit  dem  Schwefel  vereinigt  sich  das  Arsen  in  dreierlei  "Weise 
zu  Sulfiden,  welche  Sulfosäuren  darstellen,  nämlich: 

1.  Zweifach-Schwef elarsen,  unterarseniges  Sul- 
fid (As2S2),  eine  rubinrote  Masse  (Arsenicum  rubrum),  welche 
als  Farbmittel,  Realgar,  Rauschrot,  benutzt  wird. 

2.  Dreifach-Schwefelarsen,  arseniges  Sulfid(A2S3), 
eine  zitronengelbe  Masse  (Arsenicum  citrinum),  als  Farb- 
mittel, Auripigment,  Operment,  Rauschgelb,  benutzt, 
früher  auch  zum  äusserlichen  Arzneigebrauche. 

3.  Fünffach-Schwefelarsen,  Arsensulfid  (As2S5),  gelb. 
Man  findet  das  Realgar  und  Operment  öfters  natürlich,  gewinnt 

sie  aber  auch  künstlich  durch  Zusammenschmelzen  von  Schwefel 
mit  arseniger  Säure,  wobei  schweflige  Säure  entweicht. 

Nachweis  des  Arsens :  1 .  Durch  Schwefelwasserstoff.  Die 
Sulfide  des  Arsens  lösen  sich  nicht  in  Wasser  oder  Salzsäure, 
leicht  aber  in  Ätzalkalien,  Schwefelalkalien,  Ätzammoniak  und 
kohlensauren  Alkalien.  Sie  scheiden  sich  als  gelber  Niederschlag  aus, 
wenn  man  Arsenlösungen  mit  Schwefelwasserstoff  versetzt. 

2.  Ähnlich  dem  Antimon  verbindet  sich  das  Arsen  mit  dem 
Wasserstoff  zu  Arsen  wasserst  off  gas  (AsH3),  wenn  man  zu 
einer  arsenige  Säure*)  enthaltenden  Flüssigkeit  Zink  und  Säure 
(oder  Alkalilauge)  bringt.  Das  Zink  entwickelt  dann  Wasserstoff- 
gas und  reduziert  zugleich  das  Arsen,  worauf  diese  beiden  Ele- 
mente sich  in  statu  nascenti  vereinigen.  Das  Arsenwasserstoffgas 
ist  farblos,  nach  Knoblauch  riechend,  höchst  giftig,  verbrennt 
beim  Anzünden  mit  bläulicher  Flamme  zu  arseniger  Säure  und 
Wasser,  scheidet  in  der  Glühhitze  das  Arsen  als  schwarzen  Me- 
tallspiegel ab  und  reduziert  aus  den  Silbersalzen  schwarzes,  fein- 
verteiltes Silber.  In  seiner  Erzeugung  beruht  die  empfindlichste 
Prüfung  auf  Arsen  (Marsh sehe  Probe).  Ist  ein  Körper  arsen- 
haltig, so  löst  man  ihn  in  Säure,  fügt  ein  Stück  Zink  (arsen- 
freies!) hinzu  und  verschliesst  den  Glascylinder  mit  Fliesspapier, 
welches  mit  einem  Tropfen  Silberlösung  betupft  worden.  Bei 
Gegenwart  von  Arsen  bildet  sich  Arsenwasserstoffgas,  welches  die 
Silberlösung  schwärzt.  (Man  überzeuge  sich  zuvor  in  gleicher 
Weise,  dass  das  Zinkstück  arsenfrei  ist ;  auch  darf  nicht  Schwefel- 
wasserstoff zugleich  entwickelt  werden ,  welcher  auch  die  Silber- 
lösung schwärzt,  Schwefelsilber  bildend.)  Konzentrierte  Silber- 
lösung erzeugt  nicht  sofort  einen  schwarzen,  sondern  zuerst  einen 
gelben  Fleck  (arsenigsaures  Silberoxyd),  der  sich  vom  Rande  aus 
allmählich  schwärzt. 


*)  Wohl  zu  beachten  ist,  dass  das  Arsen  in  Sauerstoffverbindung 
nicht  als  Schwefelarsen  zugegen  ist,  auch  darf  kein  Ammoniak  zugleich  ent- 
wickelt werden  (aus  Salpetersäure  in  alkalischer  Lösung),  weil  dieses  die 
Wirkung  des  Arsenwasserstoffs  auf  Silberlösung  stören  würde. 


232     — 


1.     Ar 


Versuche. 

(Nachweis  des  Arsens.) 
senreduktion.  In  einen  engen  Probiercylinder  oder  eine 
einerseits  zugeschmolzene  Glasröhre  bringe  man  aut 
einige  Körnchen  Arsenik  mehrere  kleine  Kohlen- 
splitter (kein  Kohlenpulver!)  und  erhitze  (Fig.  60) 
zuerst  die  Kohle  zum  Glühen,  dann  auch  den  Arsenik; 
es  entsteht  im  oberen  Teile  der  Röhre  ein  schwarzer 
Arsenspiegel. 

Man  benutzt  zur  Arsenanalyse  besondere,  in  eine 

feine   Spitze   ausgezogene,   sog.  Arsenröhrchen. 

(Fig.  61  zeigt  ein  solches;  a  der  Ort  für  den  Arsenik, 

k  für  die  Kohle,  bei  S  bildet  sich  der  Spiegel.) 

2.   Marsh  sehe  Probe,    a)  Die  einfachste  Form 


Fig.  61. 

derselben  ist,  wie  sie  Fig.  62  darstellt.  In  ein  Medizinglas  oder  Kölbchen 
bringe  man  die  arsenhaltige  Flüssigkeit,  z.  B.  Fowlersche  Tropfen,  mit  einem 
Stückchen  Zink  und  Salzsäure  oder  Schwefelsäure,  versehliesse  dann  die 
Öffnung  mit  einem  Stopfen,  durch  welchen  luftdicht  eine 
kurze,  enge,  in  eine  feine  Spitze  ausgezogene  Glasröhre 
f  geführt  ist,  und  zünde  das  entweichende  Gas  an,  sobald 
dasselbe  die  Luft  aus  dem  Apparate  ver- 
drängt hat.  Hält  man  eine  Porzellanplatte  quer  in 
die  Flamme,  so  setzen  sich  glänzend  schwarze  Arsen- 
flecken darauf  an.  Es  unterscheiden  sich  diese  Arsen- 
flecke durch  den  Glanz  von  den  ähnlichen,  matten  An- 
timonflecken ;  ausserdem  noch  durch  folgende  Reaktionen: 
Betupft  man  einen  Arsenfleck  mit  Liquor  Natri 
chlorati  (Bleichflüssigkeit),  so  löst  er  sich  auf;  Antimon- 
Hecke  verschwinden  nicht. 

Betupft  man  einen  Arsenfleck  mit  Schwefelamm  oniuni- 
und  trocknet  bei  100°  ein,  so  wird  er  gelb,  nicht  orange- 
rot, wie  die  Antimonflecken. 
Hält  man  die  Porzellanplatte  über  die  Flamme,  so  beschlägt  sie  sich 
mit  weisser,  sublimierter,  arseniger  Säure,  welche  durch  Schwefelwasserstoff 
zu  gelbem  Schwefelarsen  wird. 

b)  In  vollständigerer  Form  zeigt  Fig.  64  den  Marsh  sehen  Apparat. 
Die  Entwickelungsflasche  p  enthält  Zink  mit  verdünnter  Schwefelsäure;  sie 
ist  verschlossen  mit  einem  Kork,  durch  welchen  sowohl  eine  gerade  Trichter- 
röhre t,  als  eine  gebogene  Röhre  k  luftdicht  geführt  ist;  letztere  steht  in 
Verbindung  mit  einem  Glasrohr  b,  worin  sich  Baumwolle  befindet,  um  die 
fortgeführte  Feuchtigkeit  zurückzuhalten.  Sobald  durch  die  Trichterröhre  t 
die  Arsenlösung  eingegossen  worden,  erhitzt  man  die  Ableitungsröhre  durch 
eine  Lampe  zum  Glühen;  der  Arsen  setzt  sich  dann  hinter  dieser  Stelle, 
bei  a,  ab.  Entzündet  man  das  Gas  bei  f,  so  kann  man  auch  Arsenflecke 
auf  Porzellanplatten  erzeugen,  wenn  man  sie  quer  in  die  Flamme  hält. 
Fig.  65  stellt  einen  Marshschen  Apparat  ohne  Trockenröhre  dar. 


233     — 


Fiar.  64. 


Fig.  63. 

Praktische  Übungen» 

Liquor  Kalii  arsenicosi.  Man  erhitze  in  einem  Reagiercylinder 
je  1  g  gepulverte  arsenige  Säure,  kohlensaures  Kali  und  Wasser,  bis  die 
Lösung  eingetreten  ist,  dann  gebe  man  40  g  Wasser  hinzu,  lasse  erkalten, 
versetze  mit  15  g  Karmelitergeist  und  ergänze  das  Ganze  im  tarierten 
Gefässe  mit  Wasser  auf  100  g,  die  man  nach  einigen  Tagen  filtriere. 


32,  Quecksilber  und  seine  Salze. 

§  203.  ..-Wie  findet  sich  da.s  Quecksilber?  Das  seit  den  ältesten 
Zeiten  bekannte  Quecksilber  findet  sich  in  der  Natur  teils 
gediegen ,  teils  an  Schwefel  gebunden  als  Zinnober.  Haupt- 
fundorte sind  Almaden  in  Spanien,  Idria  in  Krain,  Kalifornien  u.  a. 
Man  gewinnt  das  Metall  aus  dem  Zinnober  durch  Kosten,  wobei 
der  Schwefel  zu  schwefligsaurem  Gase  verbrennt,  das  Quecksilber 
sich  aber  nicht  oxydiert.  Man  kondensiert  die  Quecksilberdämpfe 
zu  Idria  in  gemauerten  Kammern,  zu  Almaden  in  thönernen 
Yorlagen  (sog.  Aludeln). 

Das  käufliche  Quecksilber,  Hydrargyrum*),  ist  gewöhn- 
lich mit  kleinen  Mengen  Blei,  Zinn  u.  a.  legiert  und  zieht  ein  (sich 
stets  erneuerndes)  Häutchen  —  das  Amalgam  genannter  Metalle. 

Man    reinigt    das    Quecksilber    von    den    metallischen    Bei- 

*)  Hydrargyrum  von  uSwp  (Wasser)  und  apyupo?  (Silber)  abgeleitet, 
also  =  flüssiges  Silber. 


—     234     — 

mengungen  teils  durch  Destillation  (aus  irdenen  Retorten  mit 
eingelegtem  Eisendraht,  um  das  Aufstossen  des  siedenden  Queck- 
silbers zu  verhindern),  teils  auf  nassem  Wege,  durch  dreitägige 
Digestion  des  käuflichen  Metalles  mit  10%  verdünnter  Salpeter- 
säure; dabei  lösen  sich  die  fremden  Metalle,  wie  auch  etwas 
Quecksilber,  als  salpetersaure  Salze  auf.  Gereinigtes  Queck- 
silber bewahrt  stets  seine  spiegelnde  Oberfläche  und  lässt  beim 
Glühen  keinen  Rückstand. 

§  204:.  Eigenschaften  des  Quecksilbers.  Das  Quecksilber  ist  ein 
starkglänzendes,  in  gewöhnlicher  Temperatur  flüssiges  Metall, 
welches  bei  —  40°  gefriert  und  bei  360°  siedet.  Spez.  Gew.  13,5. 
Wasser  und  verdünnte  Säuren  wirken  nicht  auf  das  Metall  einr 
auch  oxydiert  es  sich  nicht  an  der  Luft*),  sein  Oxyd 
verliert  sogar  in  der  Glühhitze  den  Sauerstoff.  Salz- 
säure greift  es  ebenfalls  nicht  an,  selbst  nicht  im  Kochen,  dagegen 
löst  Salpetersäure  das  Quecksilber,  unter  Stickoxyd- 
entwicklung, leicht  auf  und  zwar  in  gewöhnlicher  Tem- 
peratur zu  Oxydulsalz,  beim  Erwärmen  zu  Oxydsalz. 
I.     6Hg  +  8HN03  =    3(Hg22N03)    +  2NO  +  4H20 

Quecksilber     Salpetersäure  salpetersaures  Stickoxyd  Wasser 

Queck  silb  er  oxy  dul 

IL     3Hg  +  8HNO3  =    (3Hg2N03)    +  2NO  +  4H20 

salpetersaures  Quecksilberoxyd 

Konz.  Schwefelsäure  verwandelt  das  Quecksilber  beim  Erhitzen 
in  schwefelsaures  Quecksilberoxyd,  unter  Entbindung  schweflig- 
sauren  Gases: 

Hg     +    2H2S04     =    HgS04     +    H20     +     S02 

Quecksilber         Schwefelsäure  schwefelsaures  Wasser  schweflige 

Quecksilberoxyd  Säixre. 

Das  Quecksilber  lässt  sich  durch  anhaltendes  Reiben  mit 
pulverigen  Materien  in  feinste  Kügelchen  zerteilen,  wie  z.  B.  mit 
Zucker,  Weinstein,  Graphit,  Kreide.  Solches  Gemisch  nannte  man 
Äthiops  und  die  Operation  das  „Töten  des  Quecksilbers".  Man 
verreibt  es  mit  Fett  zur  grauen  Quecksilbersalbe,  Un- 
guentum  Hydrargi  cinereum,  sowie  mit  Terpentin  zur  Bereitung 
des  Quecksilberpflasters,  Emplastrnm  Hydrargyri.  In 
beiden  darf  man  mit  blossem  Auge  keine  Metallkügelchen  erkennen. 
—  Mit  den  meisten  Metallen  legiert  sich  das  Quecksilber  leichtr 
jedoch  nicht  mit  Eisen.  Ein  goldener  Ring  überzieht  sich  bei 
Berührung  mit  Quecksilbersalbe  sofort  weiss.  Man  nennt  die 
Quecksilberlegierungen  Amalgame.    Das  Zinnamalgam  benutzt 


*)  Eine  direkte  Oxydation  erleidet  das  Quecksilber  nur  dann,  wenn 
es  längere  Zeit  einer  hoben,  dicht  unter  seinem  Siedepunkte  gelegenen 
Temperatur  ausgesetzt  wird.  Man  nannte  das  solcherweise  gewonnene 
Quecksilberoxyd  Mercurius  praecipitatus  per  se. 


—    235    — 

man  zum  Belegen  der  Glasspiegel;  man  schüttet  Quecksilber  auf 
Stanniol  und  schiebt  die  Spiegelscheibe  darüber. 

§  205.  Die  Verbindungen  des  Quecksilbers.  Sämtliche  Verbin- 
dungen des  Quecksilbers  sind,  wie  das  Metall  selbst,  beim 
Erhitzen  flüchtig  und  subli mierbar. 

Das  Quecksilber  ist  ein  zweiwertiges  Metall,  welches  aber 
auch  durch  gegenseitige  Bindung  zweier  Metallatome  einwertig 
auftreten  kann,  ähnlich  dem  Kupfer.  Es  erzeugt  daher  zwei 
Oxyde:  das  schwarze  Quecksilberoxydul  (Hg20)*)  und  das 
rote  Quecksilberoxyd  (HgO),  sowie  zwei  Reihen  Salze:  Mercuro- 
oder  Quecksilberoxydulsalze  mit  einem  Doppelatom  Queck- 
silber, und  Mercuri-  oder  Quecksilberoxydsalze.  Mit  den 
Salzbildnern  vereinigt  sich  das  Metall  direkt  zu  analogen  Salzen: 
Chlorür  und  Chlorid,  Jodür  und  Jodid  u.  s.  f. 

Die  Quecksilbersalze  sind  giftig  und  von  altersher  an- 
gesehene Arzneimittel;  man  gab  dem  Quecksilber  das  Zeichen  und 
den  Namen  des  Merkur.  (So  hiess  z.  B.  das  metallische  Queck- 
silber Mercurius  vivus.)  Die  Oxydulverbindungen  (Chlorür 
und  Jodür)  wirken  milder  als  die  Oxydsalze  (Chlorid  und  Jodid). 
Sie  gehen  in  alle  Sekrete  des  Tierkörpers  über  und  erzeugen  bei 
längerem  Gebrauche  Speichelfluss. 

Mit  dem  Schwefel  vereinigt  sich  das  Quecksilber  beim 
Verreiben  direkt  zu  Quecksilbersulfid  (HgS),  welches  wegen 
seiner  Unlöslichkeit  in  "Wasser  und  in  verdünnten  Säuren  nicht 
giftig  wirkt. 

Erkennung  des  Quecksilbers:  Aus  den  Quecksilberlösuugen  scheidet 
der  Schwefelwasserstoff  schwarzes  Schwefel quecksilber  (Hg2S 
und  HgS)  aus,  welches  sich  weder  in  sauren,  noch  in  alkalischen 
Flüssigkeiten  auflöst  und  nur  von  Königswasser  gelöst  wird.  Zink, 
Eisen,  Kupfer  reduzieren  aus  ihnen  metallisches  Quecksilber;  zum 
Nachweis  benutzt  man  gewöhnlich  Kupferblech,  welches  sich  in 
ihnen  alsbald  weiss  überzieht. 

§  206.  Sauerstoffverbindungen  des  Quecksilbers.  Das  salpeter- 
saure Quecksilberoxydul  (Mercuronitrat) ,  Hydrargyrum 
nitricum  oxydulatum  (Hg22N03  +  3aq.),  ein  farbloses,  ätzend- 
giftiges Salz,  krystallisiert  aus  der  in  gewöhnlicher  Temperatur 
vollzogenen  salpetersauren  Lösung  des  Quecksilbers  aus.  Es  löst 
sich  nur  unter  Zersetzung  in  Wasser,  basisches  Salz  abscheidend, 
dagegen  leicht  und  völlig  in  Salpetersäure  enthaltendem  Wasser. 
Diese    Lösung    (Liquor   Hydrargyri    nitrici    oxydulati) 

*)  Graphische  Darstellung  der  Formel:  Hg^ 

I      o. 

Hg/ 


—     236     — 

zieht  an  der  Luft  allmählich  Sauerstoff  an,  Oxydsalze  bildend, 
rauss  daher  zur  Abgabe  stets  frisch  bereitet  werden.  Ätzalkalien 
scheiden  aus  ihr  schwarzes  Quecksilberoxydul  (Hg20), 
Chlorverbindungen  weisses  Quecksilberchlorür  (Hg2Cl2)  aus. 

b)  Das  salpetersaure  Quecksilberoxyd  (Mercurinitrat), 
bildet  sich  beim  Auflösen  von  Quecksilber  in  heisser  Salpeter- 
säure. Es  verliert  in  schwacher  Glühhitze  seine  Säure  und  hinter- 
lässt  Quecksilberoxyd,  Hydrargyrum  oxydatum  (HgO),  früher 
roter  Quecksilberpräzipitat  (Mercurius  praecipitatus  ruber) 
genannt.  Dasselbe  stellt  ein  gelbrotes,  schweres,  in  Wasser  un- 
lösliches Pulver  vor,  welches  in  der  Glühhitze  in  Sauerstoffgas 
und  Quecksilberdampf  zerfällt. 

Prüfung  des  Quecksilberoxyds:  Es  darf  mit  Schwefelsäure  und 
Eisenvitriollösung  keine  braune  Zone  bilden  (salpetersaures  Oxyd);  die 
salpetersaure  Lösung  darf  durch  Silbernitrat  nur  leicht  getrübt  werden 
(weiss :  Quecksilberchlorid). 

Wird  das  Quecksilberoxyd  auf  nassem  Wege  aus  den  Oxyd- 
salzen oder  dem  Quecksilberchlorid  mittelst  eines  Ätzalkalis  aus- 
geschieden, so  besitzt  es  feinere  Yerteilung  und  eine  mehr  gelbe 
Farbe.  Dieses  Hydrargyrum  oxydatum  via  bumida  paratum 
wird  aus  einer  Quecksilberchloridlösung  durch  Ätznatronlauge  nieder- 
geschlagen; es  ist  in  Aufschwemmung  enthalten  in  Aqua  phage- 
daenica,  einer  Mischung  aus  Quecksilberchlorid  mit  über- 
schüssigem Kalkwasser  (3000  Teile),  welche  zu  Umschlägen  eiteriger 
Geschwüre  gebraucht  wird.  Die  dabei  stattfindende  Zersetzung 
erklärt  folgende  Gleichung: 

HgCl,       +      CaO       =      HgO       +       CaCl2 

Quecksilberchlorid  Kalk  Quecksilberoxyd  Cblorcalcium 

Das  durch  Fällung  dargestellte  Quecksilberoxyd  verbindet 
sich  mit  der  Oxalsäure  zu  weissem  oxalsaurem  Salze,  während 
das  auf  trocknem  Wege  dargestellte  Oxyd  gegen  Oxalsäure  in- 
different ist. 

Aqua  phagedaenica  nigra  ist  ein  Gemisch  aus  Queck- 
silberchlorür mit  Kalkwasser  (60  Teilen)  und  enthält  das  schwarze 
Quecksilberoxydul  (Hg20)  aufgeschwemmt. 

§  207.  Haloidsalze  des  Quecksilbers.  a)  Das  Quecksilber- 
chlorid, Ilydrargyrum  bickloratnm (HgCl2), bekannt  als  ätzen- 
der Quecksilbersublimat  (Mercurius  sublimatus  corrosivus) 
und  ein  sehr  giftiger  Körper,  kommt  in  den  Handel  in  Form 
weisser,  gewichtiger  Stücke,  von  strahlig-krystallinischem  Gefüge, 
welche  beim  Ritzen  einen  weissen  Strich  geben.  (Unterschied 
vom  Quecksilberchlorür.)  —  Es  löst  sich  etwas  schwierig  in  kaltem 
Wasser  (16  Teilen),  leicht  in  heissem  Wasser,  in  Weingeist  und 
Äther.    Seine  wässerige  Lösung  wird  durch  Eiweiss,  Gerbstoff  und 


—     237     - 

gerbstoffhaltende  Getränke  (Kaffee,  Thee)  gefällt,  weshalb  man 
diese  Mittel  als  Gegengift  gebraucht. 

Die  Bereitung  des  Ätzsublimats  im  grösseren  Betriebe 
besteht  aus  zwei  Prozessen :  zunächst  wird  das  metallische  Queck- 
silber durch  Erhitzen  mit  englischer  Schwefelsäure  in  schwefel- 
saures Quecksilberoxyd  übergeführt: 

I.    Hg     +    2H2S04     ==     HgS04     +    2H20     -j-     S02 

Quecksilber  Schwefelsäure  Schwefels.  Wasser  schweflige 

Quecksilheroxyd  Säure, 

sodann  wird  das  gewonnene  schwefelsaure  Salz  mit  Chlornatrium 
der  Sublimation  unterworfen: 

IL     HgS04       +       2NaCl       =       HgCL2       +      Na2S04 

schwefeis.  Chlornatrium  Quecksilber-  schwefeis. 

Quecksilberoxyd  chlorid  Natron. 

Dabei  bleibt  schwefelsaures  Natron  zurück,  und  Quecksilberchlorid 
sublimiert.  Man  nimmt  diese  Operation  in  Glasretorten  vor  und 
zwar,  wegen  der  Giftigkeit  der  Dämpfe,  in  festverschlossenen 
Räumen. 

Prüfung  des  Quecksilberchlorids:  Es  muss  sich  in  Wasser  klar 
lösen  (Rückstand:  kalomel).  Man  fällt  die  Lösung  mit  Schwefelwasserstoff- 
gas ganz  aus;  das  Filtrat  darf  keinen  Rückstand  (Alkalisalze)  beim  Ver- 
dampfen hinterlassen;  Ammoniak,  geschüttelt  mit  dem  Schwefelquecksilber, 
darf  nach  dem  Ansäuern  mit  H2S  keine  gelbe  Trübung  geben  (Arsen). 

b)  Das  Qu  eck  silber  chlor  ür,  Hydrargyrum  chloratum 
(Hg2Cl2),  auch  Kalomel,  versüsstes  Quecksilber  (Mer- 
curius  dulcis),  mildes  Chlorquecksilber  (Hydrargyrum  mu- 
riaticum  mite)  wegen  der  milderen  Wirkung  genannt,  stellt 
weisse,  schwere,  strahlig  -  krystallinische  Stücke  dar,  die  beim 
Ritzen  einen  gelblichen  Strich  geben.  Feinzerrieben  und  mit 
Wasser  geschlämmt  bildet  es  ein  weisses  Pulver,  mit.  einem  Stich 
ins  Gelbliche;  es  ist  unlöslich  in  Wasser,  Weingeist  und  ver- 
dünnten Säuren. 

Man  gewinnt  das  Quecksilberchlorür  durch  Sublimation  eines 
innigen  Gemenges  von  (3  Teilen)  Quecksilber  mit  (4  Teilen) 
Quecksilberchlorid : 

HgCl2  +  Hg  =  Hg2Cl2. 

Man  nimmt  die  Operation  in  Glaskolben  vor,  welche  im 
Sandbade  stehen  und  mit  Kreidestopfen  lose  verschlossen  sind. 
Die  später  folgende  Schlämmung  mit  Wasser  nimmt  jegliche 
Beimengung  von  Sublimat  hinweg. 

Wird  bei  der  Sublimation  der  Kalomeldampf  zugleich  mit 
einem  Strome  Wasserdampf  in  eine  geräumige  seitliche  Kammer 
geleitet,  so  verdichtet  sich  der  erstere  in  höchst  feiner  Zerteilung. 
Dieses  Hydrargyrum  chloratum  vapore  paratum  besitzt  eine  rein 
weisse  Farbe  und  grössere  Feinheit,  aber  auch  stärkere  Wirkung 
als  das  präparierte  Kalomel. 

Noch  heftiger  wirkend,   weil  noch  feiner  verteilt,  ist  das  auf 


—     238     — 

nassem  Wege,  durch  Fällung-  einer  salpetersauren  Quecksilber- 
oxydullösung mit  Chlornatrium  oder  Salzsäure  gewonnene  Queck- 
silberchlorür. 

Das  Quecksilberchlorür  wird  am  Licht  grau,  infolge  einer 
teilweisen  Zersetzung  in  Quecksilberchlorid  und  metallisches  Queck- 
silber.    Man  bewahrt  es  deshalb  in  schwarzen  Gläsern  auf. 

Prüfung  des  Kalomels:  Auf  Platinblech  erhitzt,  muss  es  sich  ohne 
Rückstand  (erdige  Beimengungen)  verflüchtigen ;  mit  Atznatronlauge  werde 
es  schwarz  (zu  Hg20),  ohne  Ammoniak  abzugeben  (Unterschied  vom  weissen 
Quecksilberpräzipitat);  auf  blankem  Eisen  gebe  es  keinen  schwärzlichen 
Fleck  (Quecksilberchlorid). 

c)  Der  weisse  Quecksilberpräzipitat,  Hydrargyrum 
praecipitatum  album,  ist  Mercurammoniumchlorid  d.  i.  die  Chlor- 
verbindung eines  Ammoniums,  worin  1  Hg- Atom  an  die  Stelle 
von  2  H- Atomen  getreten  ist  =  (NH2HgCl).  Man  gewinnt  ihn 
als  weissen,  in  Wasser  unlöslichen  Niederschlag,  wenn  eine  Queck- 
silberchloridlösung mit  Ätzammoniak  übersättigt  wird;  Chlor- 
ammonium bleibt  dabei  in  Lösung : 

HgCl2      +      2NH3      =      NH,HgCl      +      NH4C1 

Quecksilber-  Ammoniak  Mercurammonium-  Ammonium- 

chlorid  chlorid  chlorid. 

Der  Quecksilberpräzipitat  scheidet  beim  Erhitzen  mit  Kali- 
lauge gelbes  Quecksilberoxyd  ab  und  entwickelt  Ammoniak. 

Prüfung  auf  Reinheit:  Das  Präparat  muss  sich  in  heisser  Salpeter- 
säure leicht  auflösen  (Rückstand:  erdige  Beimengungen)  und  darf  an  Wasser 
oder  Weingeist  beim  Schütteln  nichts  abgeben  (fremde  Salze).  Beim  Er- 
hitzen auf  Platinblech  verflüchtige  er  sich  ohne  Rückstand  und  ohne  dabei 
zu  schmelzen. 

d)  Das  Quecksilberjodür,  Hydrargyrutm  jodatum  (Hg2J2), 
ist  ein  unlösliches,  grünlich  gelbes  Pulver,  welches  man  durch 
anhaltendes  Zusammenreiben  von  (8  Teilen)  Quecksilber  mit 
(5  Teilen)  Jod  darstellt.  Da  es  am  Licht  sich  allmählich  in  Jodid 
und  metallisches  Quecksilber  spaltet,  so  bewahrt  man  es  in 
schwarzen  Gläsern  auf. 

Um  das  Jodür  von  dem  zugleich  entstandenen  Jodid  zu  befreien, 
wäscht  man  es  mit  Weingeist  aus,  worin  sich  letzteres  auflöst.  Man  prüft 
es  auf  einen  Jodidgehalt,  indem  man  das  Präparat  mit  Weingeist  schüttelt 
und  das  Filtrat  mit  Schwefelwasserstoffwasser  versetzt:  es  darf  keine 
schwarze  Trübung  entstehen. 

e)  Das  Quecksilberjodid,  Hydrargyrum  bijodatum?(HgJ.,), 

wird  als  scharlachroter  Niederschlag  beim  Vermischen  einer  Queck- 
silberchloridlösung mit  Jodkalium  gewonnen.    Es  löst  sich  nicht  in 
Wasser,  aber  in  Weingeist,  wie  auch  in  Jodkaliumlösung  farblos  auf. 
HgCl,         +        2KJ        =        HgJ2        +        2KC1 

Quecksilberchlorid  Jodkalium  Quecksilberjodid  Chlorkalium. 

Prüfung  des  Quecksilberjodids:  Es  muss  sich  beim  Erhitzen 
völlig  verflüchtigen  und  in  Weingeist  völlig  auflösen  (Rückstand:  fremde 
Beimischungen  z.  B.  Zinnober,  Mennige) ;  an  Wasser  darf  es  beim  Schütteln 


—     239     — 

nichts  abgeben,   das  Filtrat  sich  weder  durch  H2S,  noch  durch  Silbernitrat 
trüben  (  Quecksilberchlorid J . 

§  208.  Schwefelquecksilber.  Verreibt  man  Quecksilber  mit 
Schwefelblumen  anhaltend,  so  vereinigen  sich  beide  Elemente  zu 
Quecksilbersulfid  (HgS).  Eine  derartige  Verreibung  gleicher 
Teile  stellt  das  Hydrargyrum  sulfuratum  nigrum  (Aethiops 
mineralis,  Quecksilbermohr)  vor  und  ist  ein  Gemenge 
von  schwarzem  Schwefelquecksilber  mit  vielem  überschüssigen 
Schwefel,  da  zur  Bildung  des  Sulfids  auf  100  Teile  Quecksilber 
nur  16  Teile  Schwefel  erforderlich  sind.  —  Eine  Mischung  gleicher 
Teile  Hydr.  sulfur.  nigr.  und  Stib.  sulf.  nigr.  wurde  als  Aethiops 
antimonialis  früher  gebraucht. 

Sublimiert  man  das  amorphe,  schwarze  Schwefelquecksilber, 
so  geht  es  in  die  krystallinische  Modifikation,  in  den  roten  Zin- 
nober, Cinnabaris,  Hydrargyrum  sulfuratum  rubrum, 
über.  Man  kann  diesen  Übergang  auch  auf  nassem  Wege  be- 
wirken, wenn  man  schwarzes  Schwefelquecksilber  mit  Schwefel- 
leberlösung digeriert.  Der  Zinnober  findet  sich  natürlich  (zu  Idria, 
Almaden  u.  a.  0.). 

Versuche. 

Quecksilberreduktion.  (Vgl.  Fig.  60.)  Man  zerreibe  eine  Messer- 
spitze voll  ungelöschten  Kalk  mit  gleich  viel  Zinnober  und  erhitze  das 
Gemenge  in  einem  trockenen  Probiercylinder  über  der  Weingeistflamme. 
Es  entsteht  im  oberen  Teile  der  Röhre  ein  glänzender,  grauer  Metallspiegel 
feinster,  unter  der  Lupe  wahrnehmbarer  Quecksilberkügelchen.  Die  rück- 
ständige Masse  wird  grau  (Schwefelcalcium  und  schwefelsaurer  Kalk).  Vor 
dem  Einatmen  des  Quecksilberdampfes  sei  gewarnt! 

Praktische  Übungen. 

1.  Hydrargyrum  nitricum  oxydulatum.  Man  übergiesse  1  Teil 
Quecksilber  mit  1  Teil  reiner  Salpetersäure  in  einer  Porzellanschale  und 
lasse  während  zweier  Tage  in  gewöhnlicher  Temperatur  stehen.  Es  hat 
sich  alsdann  eine  weisse  Krystallmasse  von  salpetersaurem  Quecksilber- 
oxydul gebildet,  die  man  durch  gelinde  Erwärmung  zum  Schmelzen  bringt, 
vom  rückständigen  Metalle  abgiesst  und  zur  abermaligen  Krystallisation 
zur  Seite  stellt. 

2.  Hydrargyrum  jodatum.  Man  verreibe  8  Teile  Quecksilber  und 
5  Teile  Jod  anhaltend  in  einer  porzellanenen  Reibschale,  unter  Befeuchten 
mit  einigen  Tropfen  Weingeist,  bis  die  gelbgrünliche  Masse  keine  Metall- 
kügelchen  mehr  zeigt.  Zugleich  gebildetes  Quecksilberjodid  werde  durch 
kalten  Weingeist  ausgewaschen  und  das  Pulver  an  einem  dunklen  lau- 
warmen Orte  getrocknet. 

3.  Hydrargyrum  bijodatum.  Man  löse  5  Teile  Jodkalium  in 
16  Teilen  Wasser  und  giesse  die  Flüssigkeit  unter  Umrühren  in  eine 
filtrierte  Lösung  von  4  Teilen  Quecksilberchlorid  in  72  Teilen  destilliertem 
Wasser.  Den  entstehenden  roten  Niederschlag  sammle  man  auf  einem 
Filter,  wasche  ihn  mit  Wasser  wohl  aus,  bis  das  Ablaufende  auf  Platin- 
blech ohne  Rückstand  verdampft,  lasse  ihn  dann  abtropfen  und  trockne 
ihn  auf  Fliesspapier,  ohne  Wärme  anzuwenden. 

4.  Hydrargyrum   oxydatum  via  humida  paratum.     Man  löse 


-     240     - 

1  Teil  Quecksilberchlorid  in  6  Teilen  heissem  destillierten  Wasser  und 
giesse  dies  unter  starkem  Umrühren  in  eine  Mischung  aus  1  Teil  Ätznatron- 
lauge und  6  Teilen  destilliertem  Wasser.  Den  entstehenden  rotgelben  Nieder- 
schlag sammle  man  auf  einem  Filter  und  wasche  ihn  so  lange  mit  warmem 
Wasser  aus,  bis  das  Ablaufende  auf  Platinblech  ohne  Rückstand  verdampft. 
Nach  dem  Abtropfen  trockne  man  das  Filter  mit  seinem  Inhalte  auf  Fliess- 
papier in  gelinder  Wärme. 

5.  Hydrargyrum  praecipitatum  album.  Man  löse  2  Teile 
Quecksilberchlorid  in  40  Teilen  warmem  destillierten  Wasser,  filtriere  und 
giesse  unter  Umrühren  3  Teile  Salmiakgeist  hinzu,  sodass  alkalische  Reak- 
tion eintrete.  Den  weissen  Niederschlag  sammle  man  auf  einem  Filter, 
gebe  nach  dem  Abfliessen  der  Flüssigkeit  zweimal  je  18  Teile  destilliertes 
Wasser  auf  und  trockne  ihn  schliesslich  auf  Fliesspapier  an  einem 
dunklen  Orte. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Jodkalium  verlangt  1  Pfd.  Quecksilberchlorid  zur  Zer- 
setzung? —  Antw.  HgCl2  :  2KJ  ==  271   :  2  X  266;  x  =  612,5^. 

2.  Wieviel  Quecksilberjodid  liefert  es  dabei?  —  Antw.  HgCl2  : 
HgJ2  =  271  :  454;  x  =  837,5  g. 

3.  Wieviel  Quecksilberoxyd  geben  100  Teile  Quecksilberchlorid  bei 
Fällung  durch  Ätzalkalien?  —  Antw.  HgCl2  :  HgO  =  272  :  216;  x  = 
100  Teile. 


33,  Silber  und  Gold. 

gjä  §  210.  Gewinnung  und  Eigenschaften  des  Silbers.  Das  altbekannte 
Silber  findet  sich  sowohl  gediegen,  wie  (an  Schwefel  gebunden) 
vererzt.  Das  meiste  Silber  wird  aus  silberhaltigen  Blei-  und 
Kupfererzen  gewonnen.  Aus  dem  silberhaltigen  Bleiglanze 
resultiert  ein  silberhaltiges  Blei,  welches  man  auf  dem  sog.  Treib- 
herde vor  der  Gebläseluft  niederschmilzt  und  der  oxydierenden 
"Wirkung  der  letzteren  aussetzt.  Dabei  fliesst  das  sich  bildende 
Bleioxyd  als  Bleiglätte  ab,  während  das  Silber  metallisch  zu- 
rückbleibt. (Die  Beendigung  dieses  „Abtreibens"  zeigt  das  in 
Kegenbogenfarben  schillernde  Aufleuchten  des  rückständigen  Silbers 
sog.  Silberblick.)  Aus  den  Kupfererzen  wird  in  Amerika  das 
Silber  mittelst  Quecksilber  extrahiert,  das  entstandene  Silberamalgam 
durch  Erhitzen  in  eisernen  Röhren  zerlegt  und  das  angewendete 
Quecksilber  überdestilliert.     (Amalgamationsverfahren.) 

Das  Silber  ist  ein  sehr  glänzendes,  reinweisses  Metall,  mit 
dem  spez.  Gew.  =  10,5.  Es  schmilzt  in  der  Weissglühhitze, 
zerlegt  das  Wasser  in  keiner  Temperatur,  hält  sich  an  der 
Luft  unverändert  und  verhält  sich  gegen  Säuren  wie  das 
Kupfer:  es  wird  weder  von  Salzsäure,  noch  verdünnter  Schwefel- 
säure angegriffen;  dagegen  wirkt  die  Salpetersäure  heftig 
auf  das  Silber  ein,  dasselbe  unter  Stickoxydentwicklung  als 
salpetersaures  Salz  auflösend.  Ebenso  verwandelt  heisse  kon- 
zentrierte Schwefelsäure  das  Metall  in  schwefelsaures  Oxyd. 


—     241     — 

Das  Silber  ist  ziemlich  weich  und  sehr  dehnbar;  feinge- 
schlagen stellt  es  das  Blattsilber,  Argentum  foliatum,  dar,  wo- 
von 1000  qcm  0,15  g  wiegen.  (Unechtes  Blattsilber  ist  Zinn- 
folie, Stanniol.) 

Wegen  seiner  Weichheit  wird  das  Silber  mit  Kupfer  legiert. 
Die  Silbermünzen  des  deutschen  Reiches  enthalten  10°/o  Kupfer. 
Gewöhnlich  berechnet  man  den  Silbergehalt  des  Werksilbers  nach 
der  Zahl  der  Lote,  welche  ein  halbes  Pfund  (16  Lot)  enthält. 
16  Lot  reines  Silber  nennt  man  eine  feine  Mark,  16  Lot 
legiertes  Silber  eine  rauhe  Mark.  Das  meiste  Werksilber  ist 
13  lötig,  d.  h.  es  enthält  auf  13  Lot  Silber  3  Lot  Kupfer. 

§  211.  Die  Verbindungen  des  Silbers.  Das  Silber  ist  ein  ein- 
wertiges Metall,  welches  sich  mit  dem  Sauerstoff  indirekt  zu 
Silberoxyd  (Ag20),  mit  dem  Schwefel  direkt  zu  Silbersulfid 
(Ag2S)  vereinigt.  In  Berührung  mit  Schwefelwasserstoff  oder 
Schwefelalkalien  überzieht  sich  metallisches  Silber  sofort  mit  einer 
schwarzen  Schicht  von  Schwefelsilber.  Ausgezeichnet  sind  die 
Haloidsalze  .  des  Silbers  durch  ihre  Unlöslichkeit  in  Wasser  und 
verdünnten  Säuren.  Salzsäure,  wie  alle  Chlormetalle,  scheiden 
aus  den  Silbersalzen  unlösliches  weisses  Chlorsilber  (AgCl), 
Brommetalle  gelblich- weisses  Bromsilber  (AgBr),  Jodmetalle 
gelbliches  Jodsilber  ( AgJ)  aus.  Das  Chlorsilber  löst  sich  in 
Salmiakgeist  leicht  auf,  das  Bromsilber  nur  schwierig,  das  Jod- 
silber gar  nicht. 

Die  Unlöslichkeit  des  Chlorsilbers  erlaubt  es,  auf  leichtem 
und  sicherem  Wege  chemisch  reines  Silber  darzustellen. 
Man  löst  gewöhnliches  Werk-  oder  Münzsilber  in  Salpetersäure, 
fällt  aus  der  Flüssigkeit  durch  Chlornatrium  das  Silber  als  Chlor- 
silber aus,  wobei  das  Kupferchlorid  in  Lösung  bleibt,  und  redu- 
ziert das  Chlorsilber.  Diese  Reduktion  kann  auf  nassem  Wege 
geschehen  durch  Zink,  welches  man  auf  das  feuchte  Chlorsilber 
legt,  oder  durch  Glühen  des  getrockneten  Niederschlages  mit 
trockner  Soda  (resp.  Kreide)  und  Kohle. 

Erkennung  des  Silbers:  Man  erkennt  die  Silbersalze  daran, 
dass  sie  selbst  in  angesäuerter  Lösung  mit  Schwefelwasserstoff 
einen  schwarzen,  mit  Salzsäure  oder  Chlornatrium  einen  weissen 
Niederschlag  geben,  der  in  Ammoniak  leicht  löslich  ist  (Unterschied 
des  Silbers  vom  Quecksilber  und  Blei). 

§212.  Was  ist  der  Höllenstein?  Höllenstein  (Lapis  in- 
fernalis)  wird  das  in  Stangenform  gebrachte  Silbernitrat  oder 
Salpeter  saure  Silberoxyd,    Argentum   nitricum  fosum 

(AgN03)   genannt,    ein    häufig   gebrauchtes    Ätzmittel.     Es  stellt 
weisse,   auf  dem  Bruch   strahlig  krystallinische  Stängelchen   dar, 

Schliokum,  Apothekerlehrling.  Jg 


—    242     — 

welche  sich  sehr  leicht  in  Wasser  und  in  Weingeist  auflösen.  Am 
Lichte  werden  sie  durch  beginnende  Silberreduktion  grau,  endlich 
schwarz.  Wenn  man  organische  Materien  mit  Höllensteinlösung 
bestreicht,  so  scheidet  sich  Silber  aus,  und  die  Materie  wird  unter 
Schwärzung  durch  Oxydation  zerstört.    (Ätzung  durch  Höllenstein.) 

Auf  der  Reduktion  der  Silbersalze  durch  das  Sonnenlicht  be- 
ruht die  Photographi e.*)  Innerlich  gebraucht  man  den  Höllen- 
stein bei  Magen-  und  Darmgeschwüren.  Er  besitzt  einen  sehr 
widrigen  metallischen  Geschmack  und  wirkt  giftig. 

Man  gewinnt  den  Höllenstein  durch  Auflösen  yon  reinem 
Silber  in  Salpetersäure,  wobei  Stickoxydgas  entweicht: 

3Ag     +     4HN03     =    3AgN03     +     2H20     +     NO 

Silber  Salpetersäure  salpetersaures  Wasser  Stickoxyd- 

Silberoxyd  gas. 

Die  Lösung  wird  zur  Yerjagung  der  überschüssigen  Säure  ein- 
gedampft, das  rückständige  Salz  in  einer  Porzellanschale  über 
der  Lampe  geschmolzen  und  in  Stangenform  gegossen. 

Prüfung  des  Silbernitrats:  Es  muss  sich  in  Salmiakgeist  völlig 
und  farblos  auflösen  (blaue  Färbung:  Kupfer);  seine  wässerige  Lösung 
darf,  nach  dem  Ausfällen  mit  überschüssiger  Salzsäure,  Abfiltrieren  und 
Eindampfen,  keinen  Rückstand  hinterlassen  (Salpeter  u.  dgl.);  verdünnte 
Schwefelsäure  darf  die  wässerige  Lösung  nicht  trüben  (Blei). 

Setzt  man  dem  Höllenstein  sein  doppeltes  Gewicht  salpeter- 
saures Kali  zu  und  giesst  es  geschmolzen  in  Stangenform,  so  er- 
hält man  den  salpeterhaltigen  Höllenstein,  Argentum 
nitricum  cum  Ralio  nitrico  weisse  Stängelchen  ohne  krystal- 
linisches  Gefüge,  die  sich  völlig  in  Wasser  lösen;  Weingeist 
lässt  den  Salpeter   zurück  ('2/3  Teile). 

Scheidet  man  aus  der  Lösung  das  Silber  durch  Salzsäure  aus,  so  muss 
das  Chlorsüber  getrocknet  mindestens  27°/0  betragen.  Die  Pharm.  Germ.  IL 
prüft  den  Silbergehalt  massanalytisch  durch  Kochsalzlösung. 

Das  krystallisierte  salpetersaure  Silberoxyd,  Ar- 
gentum nitricum  crystallisatum,  besitzt  kein  Krystallwasser. 
Man  gewinnt  es  in  Form  farbloser,  4— 6  seifiger  Tafeln,  wenn  man 
eine  konzentrierte  Höllensteinlösung  zur  Krystallisation  eindampft. 

*)  In  einer  geschlossenen  Kammer  (Camera  obscura)  werden  die  vom 
erleuchteten  Gegenstande  reflektierten  Lichtstrahlen  durch  eine  Sammel- 
linse auf  eine  Glasplatte  geworfen,  welche  mit  einer  Jodsilber  enthaltenden 
Kollodiumschicht  überzogen  ist ;  die  am  stärksten  erleuchteten  Partien  der- 
selben erleiden  dabei  die  stärkste  Reduktion.  Darauf  folgt  ein  Bad  in 
Eisenvitriollösung ,  welche  die  begonnene  Silberreduktion  vollendet  und 
ein  negatives  Bild  des  Gegenstandes  hervorruft.  Das  überschüssige  Silbersalz 
wird  später  durch  unterschwefligsaures  Natron  entfernt.  Vom  gewonnenen 
Negativ  erhält  man  positive  Bilder,  indem  man  mit  Chlorsilber  impräg- 
niertes Papier  durch  die  Glasplatte  bescheinen  lässt.  Dabei  reduzieren  die 
dunklen  Partien  durch  die  Beschattung  wenig,  die  hellen  stärker,  wodurch 
das,  was  auf  der  Glasplatte  dunkel  ist,  auf  dem  Papiere  hell  erscheint  und 
umgekehrt. 


-     243     — 

Die  Höllensteinlösung  zersetzt  sich  mit  den  meisten  Körpern. 
Ätzende  Alkalien  scheiden  braunes  Silberoxydhydrat  (AgHO) 
aus,  welches  beim  Trocknen  in  schwarzes  Silberoxyd  (Ag20) 
übergeht;  Ätzammoniak  löst  im  Überschuss  den  Niederschlag 
mit  grosser  Leichtigkeit  wieder  auf.  Salzsäure,  sowie  Chlormetalle 
fällen  weisses  Chlorsilber,  leichtlöslich  in  Ammoniak. 


§  213.  Gewinnung  und  Eigenschaften  des  Goldes.  Das  altbekannte 
Gold  findet  sich  meistens  gediegen  in  der  Natur,  vorzugsweise 
in  Kalifornien,  Australien  u.  a.  0.,  im  Sande  der  Flüsse  und 
Bäche,  woraus  man  es  als  Goldkörnchen  auswäscht. 

Das  Gold  stellt  ein  glänzendes,  gelbes,  höchst  dehnbares  Me- 
tall dar,  welches  in  der  Weissglühhitze  schmilzt  und  ein  sehr 
hohes  spez.  Gew.  (nämlich  19,5)  besitzt.  Wegen  seiner  Weich- 
heit legiert  man  es  mit  Silber  oder  Kupfer ;  in  jenem  Falle  erhält 
es  einen  blasseren,  in  diesem  Falle  einen  höheren  Farbenton. 
Die  Goldmünzen  des  deutschen  Reiches  bestehen  aus  90  Prozent 
Gold  und  10  Prozent  Kupfer.  *)  Blattgold,  Aurum  foliatum, 
ist  höchst  fein  geschlagenes,  reines  Gold,  welches  mit  grünem 
Lichte  durchschimmert. 

Das  Gold  oxydiert  sich  nicht  an  der  Luft  und  löst 
sich  weder  in  verdünnten  Säuren,  noch  in  Salpetersäure,  konzen- 
trierter Schwefelsäure  oder  Salzsäure.  Das  einzige  Lösungs- 
mittel des  Goldes  ist  Salpeter-Salzsäure,  sog.  Königs- 
wasser,  welches   es  als  Goldchlorid  aufnimmt.     (Yergl.  §  126.) 

§  214.  Verbindungen  des  Goldes.  Das  Gold  ist  ein  dreiwer- 
tiges Metall,  welches  mit  Sauerstoff  nur  indirekt  Goldoxyd 
(Au203)  bildet,  welches  sich  in  ätzenden  Alkalien  zu  goldsauren 
Salzen  (Auraten)  auflöst.  Ebenso  ist  das  Goldsulfid  (Au2S3) 
eine  Sulfosäure  und  bildet  mit  Schwefelalkalien  Sulfosalze. 

Das    Goldchlorid    (AuCl3)    entsteht    durch    Auflösen    des 
Goldes  in  Königswasser;  dabei  entweicht  Stickoxvdgas : 
Au    ■+     3  HCl    -f-    HNO  3     =    AuCl3     +    2H,0     4-    NO 

Gold  Salzsäure  Salpetersäure  Goldchlorid  Wasser  Stickoxyd. 

Reines  Chlorgold  ist  rot  und  an  der  Luft  zerfliesslich,  in 
Wasser  löst  es  sich  mit  gelber  Farbe  auf.  Mit  Eisenvitriollösung 
versetzt,  scheidet  es  metallisches  Gold  pulverig  aus:  Darstellung 
des  chemisch  reinen  Goldes!  Bei  dieser  Reduktion  entsteht 
Eisenchlorid  und  schwefelsaures  Eisenoxyd.  (AuCl3  +  3FeS04  = 
Au  -4-  Fe23S04  +  FeCl3).     Erhitzt  man  Goldchlorid,  so  verliert 

*)  Man  giebt  den  Goldgehalt  des  verarbeiteten  Goldes  gewöhnlich  in 
Karaten  an.  Eine  Mark  Gold  (^2  Pfund)  wird  in  24  Karate  eingeteilt; 
hiernach  besteht  21karätiges  Gold  (frühere  preussische  Friedrichsd'or)  aus 
21  Teilen  Gold  und  3  Teilen  Silber  resp.  Kupfer. 

16* 


-     244     — 

es  Chlor  und  wird  zu  Goldchloriir  (AuCl),  in  der  Glühhitze 
lässt  es  reines  Gold  zurück. 

Offizinell  ist  ein  Gemenge  von  Goldchlorid  mit  gleichviel 
Chlornatrium :  Chlor goldnatrium,  Auro- Natrium  chloratum 

ein  orangegelbes,  in  Wasser  völlig  lösliches  Pulver,  welches  an 
Weingeist  und  Äther  nur  Goldchlorid  abgiebt.  Man  gewinnt  es 
durch  Auflösen  von  (65  Teilen)  reinem  Golde  in  Königswasser, 
Eindampfen  und  Zumischung  von  (100  Teilen)  Clornatrium. 
Weingeist  löst  aus  dem  Präparat  nur  das  Goldchlorid  auf. 

Den  Goldgehalt  des  Präparates  prüft  man  durch  Glühen  und  Aus- 
waschen  des  Rückstandes;  hierbei  muss  30°/o  metallisches  Gold  restieren. 
Die  Goldsalze   werden   durch   Zinnchloriir   purpur- violett  bis 
-braun  gefällt;  dieser  Niederschlag  (zinnsaures  Goldoxydul)  dient 
als  sog.  Cassius scher  Purpur  in  der  Porzellanmalerei. 

Tersuche. 
1.  Silber reduktion.  Man  löse  eine  kleine  Silbermünze  in  einer 
Porzellanschale  in  der  dreifachen  Menge  reiner  Salpetersäure  durch  gelindes 
Erwärmen  auf;  zu  der  durch  den  Kupfergehalt  bläulich  erscheinenden 
Flüssigkeit  gebe  man,  nachdem  sie  stark  mit  "Wasser  verdünnt  worden,  so 
lange  Salzsäure,  als  noch  ein  weisser,  käsiger  Niederschlag  (Chlorsilber) 
entsteht.     Man  filtriere  denselben  ab  und  wasche  ihn  mit  Wasser  aus. 

Das  noch  feuchte  Chlorsilber  wird  in  kurzer  Zeit  reduziert,  wenn 
man  einige  Tropfen  verdünnte  Salzsäure  und  ein  Stückchen  (reines)  Zink 
dazu  bringt.  Der  Niederschlag  gehe  allmählich  in  graues,  pulveriges  Silber 
über,  welches  beim  Drucke  im  Mörser  Metallglanz  annimmt. 

Sehr  lehrreich  ist  die  Reduktion  durch  den  galvanischen 
Strom.     Man   bringt   das  Chlorsilber  noch  feucht  in  einen 
unten   mit  Tierblase    oder  Pergamentpapier   zugebundenen 
Glascylinder  (Fig.  65),  stellt  denselben  in  ein  grösseres  Glas 
derartig,   dass   er  nicht  auf  dem  Boden  aufsitze,  und  füllt 
beide  gleichhoch  mit  Wasser,  welches  mit  etwas  Salzsäure 
versetzt  ist.  Darauf  wird  in  das  äussere  Gefäss  ein  Stückchen 
Zink   gelegt  und  mit  etwas  Silberdraht  umwickelt,   dessen 
anderes  Ende  in  den  Niederschlag  hinein  reiche.  So  stellt 
hig.  65.         ^g    (]j-anze    eine    geschlossene    einfache    galvanische   Kette 
(Zink- Chlorsilber)    dar,    da  die  Blase    für    den  Strom    durchgängig  ist.     Es 
tritt  Elektrolyse  des  Chlorsilbers  ein,  welche  nach   einigen  Tagen  die  Re- 
duktion des  Silbers  beendigt;  das  Chlor  verbindet  sich  mit  dem  Zink. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  30  prozentige  Salpetersäure  verlangt  1  Teil  Silber  zur 
Lösung?    —  Antw.  3Ag  :  4HN03  =  3  X  108  :  4  X  63;  x  =  2,6  Teile. 

2.  Wieviel  Höllenstein  wird  daraus  erzielt?  —  Antw.  Ag  :  AgN03 
=  108  :  170;  x  =  1,57  Teile. 

3.  Wieviel  Chlorgold  liefern  65  Teile  Gold?  —  Antw.  Au  :  AuCl3 
=  197  :  303,5;  x  -  100  Teile. 

4.  Warum  lässt  sich  die  Echtheit  einer  Goldmünze  an  ihrem  abso- 
luten Gewichte  erkennen?  —  Antw.  Zufolge  der  bekannten  Grösse  der 
Münzen  schliesst  die  einfache  Wägung  eine  Bestimmung  des  spez.  Gew. 
in  sich;  bei  dem  hohen  spez.  Gew.  des  Goldes  giebt  dasselbe  sofort  Auf- 
schluss  über  etwa  vorhandene  fremde  Metalle. 


—     245     - 

§  215.  Das  Platin.  Dem  Golde  schliesst  sich  das  schon  im 
vorigen  Jahrhundert  bekannte,  seltene  und  teure  Platin*)  enge 
an.  Auch  dieses  Metall  findet  sich  meist  gediegen  in  der 
Natur,  z.  B.  am  Ural,  in  Südamerika,  häufig  legiert  mit  den 
selteneren  edlen  Metallen :  Iridium,  Osmium,  Rhodium, 
Ruthenium,  Palladium  —  als  sog.  Platinerz. 

Das  Platin  ist  ein  grauweisses,  sehr  dehnbares  Metall,  welches 
nur  im  Knallgasgebläse  schmilzt,  sich  aber  in  der  Weissglühhitze 
schweissen  lässt  wie  das  Eisen.  Sein  spez.  Gew.  ist  höher  als 
das  des  Goldes,  nämlich  =  21,5.  An  der  Luft  hält  es  sich  un- 
verändert, wird  von  Säuren  nicht  angegriffen  und,  wie  das  Gold, 
nur  von  heissem  Königswasser  gelöst  zu  Platinchlorid, 
Platinum  bichloratum  (PtCl4),  einem  gelbroten  Salze, 
welches  sich  in  Wasser  mit  gelbroter  Farbe  auflöst.  Beim  Glühen 
hinterlässt  das  Platinchlorid  metallisches  Platin.  Das  Salz  bildet 
leicht  Doppelsalze  mit- anderen  Chlormetallen ,  von  denen  sich  das 
Kaliumplatinchlorid  und  Ammoniumplatinchlorid  durch 
ihre  Schwerlöslichkeit  in  Wasser  auszeichnen.  Man  wendet  daher 
das  Platinchlorid  zur  Erkennung  der  Kali-  und  Ammoniaksalze 
an,  mit  denen  es  einen  gelben  krystallinischen  Niederschlag  erzeugt. 

Das  Ammoniumplatin chlorid  zersetzt  sich  in  der  Glühhitze 
und  hinterlässt,  unter  Entweichung  von  Chlorammoniumdämpfen 
und  freiem  Chlor,  metallisches  Platin  als  sehr  lockere,  poröse, 
schwammähnliche  Masse  —  sogen.  Platin  schwamm,  welcher 
in  hohem  Grade  befähigt  ist,  Gase  in  seinen  Poren  zu  verdichten. 
Durch  Kondensation  von  Sauerstoff  aus  der  Luft  übt  der  Platin- 
schwamm  in  vorzüglichem  Grade  oxydierende  Wirkungen  aus, 
wie  sie  schon  bei  der  Döbereiner  sehen  Zündmaschine  (Fig.  44) 
erwähnt  wurden.  Ähnlich  verhält  sich  das  sogen.  Platinmohr 
oder  Platinschwarz,  höchst  feinpulveriges  Platin,  weichesaus 
einer  Platinchloridlösung  durch  Zink  ausgeschieden  wird. 

Man  benutzt  das  Platin  vielfach  zu  chemischen  Gerätschaften, 
Schalen,  Tiegeln  u.  dgl.,  da  es  von  Säuren  nicht  angegriffen  wird. 
Ätzende  Alkalien,  Schwefelalkalien,  Schwefel,  Jod, 
Metalle  und  Chlor  erzeugende  Gemische  dürfen  aber 
nicht  in  Platingefässen  erhitzt  werden,  da  das  Platin 
hiervon  angefressen  wird,  so,wie  mit  dem  Schwefel  und  den  Me- 
tallen leicht  zusammenschmilzt. 


*)  Piatina,  Diminutivwort  von  Plata  (span.  Silber). 


246     — 


ß.  Organische  Chemie. 

(Chemie  der  Pflanzen-  und  Tierstoffe  und  der  von  ihnen  abgeleiteten  Körper.) 

34,    Cellulose,  Stärkemehl,  Gummi,  Zucker. 

§  216.  Die  Kohlenhydrate.  Das  Pflanzenreich  liefert  uns  eine 
gewisse  Zahl  sehr  verbreiteter  Körper,  welche  aus  Kohle, 
"Wasserstoff  und  Sauerstoff  bestehen,  und  zwar  die 
letzteren  beiden  Elemente  in  einem  Mengeverhältnisse  enthalten, 
in  welchem  sie  Wasser  bilden.  Man  bezeichnete  sie  daher 
als  Kohlenhydrate,  ohne  jedoch  sagen  zu  wollen,-  dass  sie 
aus  Kohle  und  fertig  gebildetem  Wasser  beständen.  Zu  den 
Kohlenhydraten  zählen:  Celulose  (Holzfaser),  Stärkemehl, 
Gummi,  Zucker. 

Die  prozentiscbe  Zusammensetzung  dieser  Körper  ist  nahezu 
übereinstimmend,  trotz  der  grossen  Verschiedenheit  ihrer  Eigen- 
schaften. Cellulose,  Stärke  und  Gummi  besitzen  dieselbe  Formel 
(C12H20O10),  Eohrzucker  und  Milchzucker  (C^H^On) ,  Trauben- 
zucker und  Fruchtzucker  Ct2H24012).  Man  nennt  solche  Fälle 
Isomerie,  und  verschiedene  Körper  von  gleicher  Zusammen- 
setzung isomer  (vergl.  §  93).  Künstlich  können  wir  oben- 
genannte Körper  aus  ihren  Elementen  oder  aus  rein  unorgani- 
schen Verbindungen  nicht  darstellen ,  wie  dies  die  Pflanze  thut, 
welche  sie  aus  Kohlensäure  und  Wasser  aufbaut,  im  Sonnenlichte 
einen  Teil  des  Sauerstoffs  aushauchend.  Wir  vermögen  aber  die 
Kohlenhydrate  künstlich  in  einander  überzuführen  und  zwar  aus 
der  Cellulose  Stärke,  und  daraus  Zucker  zu  bilden. 

Die  Kohlenhydrate  kommen  im  Pflanzenkörper  teils  im  Safte 
gelöst  vor,  wie  das  Gummi  und  der  Zucker,  teils  organisiert,  wie 
die  Cellulose  und  Stärke. 

§217.  Cellulose.  Die  Cellulose  bildet  die  äussere  Wan- 
dungderPflanzenzellen.  Ziemlich  rein  tritt  sie  in  der  Baum- 
wolle, im  Hollundermark  u.  a.  auf;  im  Holze  ist  sie  in  verhärteten 
Holzstoff  (Lignin),  im  Kork  in  elastischen  Korkstoff  (Suberin)  über- 
gegangen. Wir  verarbeiten  die  Cellulose  zu  Papier,  Gespinsten 
u.  dgl.  Konz.  Schwefelsäure  löst  sie  auf;  taucht  man  jedoch 
Papier  nur  wenige  Sekunden  lang  in  diese  Säure,  so  wird  es 
tierischer  Blase    ähnlich   (Pergamentpapier).     Starke   Salpeter- 


247     — 


säure  oder  ein  Gemisch  aus  Salpetersäure  mit  konz.  Schwefel- 
säure verwandelt  die  Cellulose  in  Nitrocellulose,  in  welcher 
2  resp.  3  Wasserstoffatome  durch  ebensoviele  N02  substituiert  sind, 
je  nach  der  Dauer  der  Einwirkung*. 

Ci2H20O10    +  3HN03      =      C12H17(NO2)3O10      +      3H20 

Cellulose  Salpetersäure  Trinitrocellulose  Wasser. 

Die  Nitrocellulose,  aus  der  Baumwolle  angefertigt,  nennt  man 
wegen  ihrer  Explosivität  Schiessbaumwolle;  sie  ist  der  ge- 
wöhnlichen Baumwolle  äusserlich  ähnlich,  aber  beim  Erhitzen 
explodierend  und  mit  Funkensprühen  verbrennend.  Die  ätherische 
Lösung  der  Dinitrocellulose  (Kollodiumwolle)  stellt  das  Kollodium 
dar  und  wird  als  Wundmittel  gebraucht,  da  es  zu  einer  festen 
Haut  eintrocknet;  zum  Sprengen  wird  die  explosivere  Trinitro- 
cellulose gebraucht. 

§  218.  -Das  Stärkemehl.   Das  Stärke- 
mehl  (C12H2oOl0)  findet   sich  in   den 
Pflanzenzellen  als  mikroskopische  Körn- 
chen abgelagert  und  zwar  in  der  Kar- 
toffelin Form  eiförmiger,  geschichteter 
Körnchen  mit  excentrischem  Kerne  (Fig. 
66    in   200facher   Yergrösserung) ;    im 
"Weizen  als  Weizenstärke,  Amylum 
Tritici  in  Form  linsenförmiger,  sehr  un- 
gleich grosser  Scheibchen  (Fig.  67);   in 
derMarantawurzelals  Arrowroot, 
Amylum  Marantae,   in  Form 
eiförmiger,  geschichteter  Körnchen, 
ähnlich  der  Kartoffelstärke  (Fig.  68 
in  400  fach  er  Yergrösserung).   Wir 
finden  sie  ausserdem  im  Reis,  Sago, 
Tapiocca  u.  a. 

Das  Stärkemehl  wird  aus  den 
zerriebenen  Pflanzenteilen  mittelst 
Wasser  ausgewaschen  und  setzt 
sich  dann  als  feines  „Satzmehl" 
ab.  Siedendes  Wasser  verwandelt  es  in  Kleister,  der  durch 
freies  Jod  tiefblau  gefärbt  wird.  Diese  Bläuung  durch 
Jod  erleiden  auch  die  Stärkekörner  und  lassen  sich  deshalb  durch 
einen  Tropfen  Jodtinktur  unter  dem  Mikroskope  leicht  erkennen. 
In  den  Wurzeln  der  Kompositen  (Alant,  Cichorie,  Löwen- 
zahn u.  a.  m.)  findet  sich  eine  eigene  Art  Stärkemehl,  das  Inu- 
lin,  welches  mit  siedendem  Wasser  keinen  Kleister,  sondern  eine 
klare  Lösung  giebt  und  beim  Erkalten  sich  wieder  abscheidet. 


Fig.  66. 


Fig.  67. 


—    248     — 

§  219.  Das  Dextrin.  Wird  die  Stärke  mit  verdünnten  Säuren 
oder  Malz  längere  Zeit  erwärmt,  so  geht  sie  in  einen  isomeren, 
aber  klar  löslichen  Körper  über,  der  das  polarisierte  Licht 
nach  rechts  dreht  und  deshalb  Dextrin  genannt  wurde.  Dasselbe 
entsteht  auch  durch  blosses  Erhitzen  der  Stärke  auf  200°  (sog. 
Leiocom),  weshalb  es  sich  im  Brot  und  anderen  Bäckerwaren 
findet ;  es  stellt  eine  gummiähnliche  Masse  dar  und  wird  durch  Jod 
nicht  gebläut.  In  Weingeist  löst  es  sich  nicht  auf,  weshalb  eine 
Dextrinlösung  durch  Weingeist  gefällt  wird. 

§  220.  Das  Grumrai.  Das  reine  Gummi  (C12H20O10)  stellt 
eine  amorphe  Masse,  ohne  Geschmack  und  Geruch  dar,  die  sich 
in  Wasser  zu  einer  klebrigen  Flüssigkeit  auflöst.  Es  findet  sich 
als  sog.  Ar  ab  in  im  arabischen  Gummi,  als  C  er  a  sin  im  Kirsch- 
und  Pflaumengummi,  als  Pflanzenschleim  in  vielen  Wurzeln 
(Althäwurzel ,  Salepknollen)  und  Samen  (Quitten-,  Leinsamen). 
Die  Arabinlösung  verdickt  sich  durch  Borax,  der  Pflanzenschleim 
aber  nicht.  Weingeist  löst  kein  Gummi  auf.  Neutrales  essig- 
saures Bleioxyd  fällt  nur  die  Lösungen  des  Pflanzenschleims, 
nicht  aber  die  des  Arabins;  Bleiessig  fällt  dagegen  beide. 

Der  Tragant  enthält  ein  in  Wasser  stark  aufquellendes, 
gallertbildendes  Gummi ,  sog.  Bassorin.  —  In  den  Algen  ist 
die  Cellulose  durch  Pflanzengallerte  vertreten;  daher  quellen 
diese  Gewächse  (Carrageen  u.  a.  m.)  in  Wasser  stark  auf  und 
lösen  sich  im  Sieden  darin  zum  Teil,  welche  Lösung  beim  Er- 
kalten gelatiniert.  Ein  ähnliches  Verhalten  finden  wir  beim  is- 
ländischen Moose,  worin  sich  eine  besondere  Stärkemehlart,  das 
Lichenin  oder  die  Moosstärke,  befindet. 

§  221.  Der  Zucker.  Wir  bezeichnen  als  Zucker  solche 
Kohlenhydrate ,  welche  sich  durch  klare  Löslichkeit  in 
Wasser,  süssen  Geschmack  und  Gährungsfähigkeit 
auszeichnen.     Sie  finden  sich  im  Zellsafte  gelöst. 

a)  Der  Rohrzucker,  Saccharum*)  (C^H^On) ,  findet 
sich  in  vielen  Gewächsen,  vorzugsweise  im  Mark  des  Zucker- 
rohrs und  in  den  Runkelrüben.  In  Amerika  und  Ostindien  wird 
das  Zuckerrohr  kultiviert;  den  ausgepressten  Saft  klärt  man  mit 
Kalk,  filtriert  ihn  durch  Kohle  und  dampft  ihn  zur  Krystalli- 
sation  ein.  Als  Kolonialzucker  nach  Europa  gebracht,  erleidet 
er  eine  Raffinierung,  übereinstimmend  mit  der  Reinigung  des 
bei  uns  gewonnenen  Rübenzuckers.  Durch  Krystallisierung  in 
Hutform  gewinnt  man  die  Raffinade  (Saccharum  albissimum) 
als  erste,  den  weniger  harten  Melis  (Saccharum  album)  als  zweite 

*)  Saccharum,  to  aaxyapov,  der  aus  dem  Bambusrohr  ausschwitzende 
Zuckersaft  (Tabaschir  der  Araber). 


—    249    — 

Ausbeute.  Durch  Auslaugen  („Decken")  mit  aufgegossener 
Zuckerlösung  wird  aus  dem  Hutzucker  die  gefärbte  Mutterlauge 
als  Melasse,  brauner  Syrup  (Syrupus  communis)  entfernt. 
Die  letzte  Krystallisation  liefert  den  bräunlichen  oder  gelblichen 
Farin  (Kochzucker). 

Überlässt  man  die  Zuckerlösung  einer  langsamen  Krystalli- 
sation ,  so  erhält  man  den  Kandis,  in  harten ,  rhombischen 
Säulen,  die  sich  in  Fäden  ankrystallisieren,  welche  man  durch 
die  Zuckerlösung  hängt. 

Da  die  Rohrzuckerlösung  das  polarisierte  Licht  nach  rechts 
dreht,  so  wird  in  den  Zuckerfabriken  das  Polarimeter  zur  Bestim- 
mung des  Zuckergehaltes  benutzt.  (Ygl.  §  50).  Beim  Erhitzen 
schmilzt  der  Rohrzucker  zu  einer  glasigen  Masse ,  in  höherer 
Temperatur  geht  er  aber  in  dunkelbraunen,  bittern  Karamel 
über,  dessen  weingeistige  Lösung  (Zuckertinktur)  zum  Färben 
von  Rum  u.  a.  gebraucht  wird. 

Mit  vielen  Oxyden  verbindet  sich  der  Rohrzucker  zu  leicht- 
löslichen sog.  Saccharaten,  z.  B.  mit  Kalk,  Eisenoxyd  u.  a. 
(Vgl.  §  178).  Beim  Erhitzen  mit  verdünnten  Säuren  geht  der 
Rohrzucker  in  Traubenzucker  (sog.  Invertzucker)  über ,  sodass 
wir  in  allen  mit  sauren  Pflanzensäften  dargestellten  Syrupen 
(Syr.  Cerasorum,  Rubi  Idaei  u.  a.)  mehr  oder  weniger  Trauben- 
zucker an  Stelle  des  Rohrzuckers  antreffen. 

Yon  konz.  Schwefelsäure  wird  der  Rohrzucker  verkohlt. 
Dampft  man  daher  Zucker  mit  verdünnter  Schwefelsäure  ein,  so 
bleibt  ein  kohliger  Rückstand  —  Prüfung  auf  freie  Schwefelsäure 
im  Essig  u.  a.,  sowie  auf  Rohrzucker  im  Milchzucker  u.  a. 

b)  Der  Milchzucker,  Saccharum  lactis  (C12H22011),  findet 
sich  nur  in  der  Milch  (bis  zu  8%)  und  wird  aus  den  Molken 
durch  Abdampfen  in  harten,  weissen  Krystallen  (mit  1  Mol.  H20) 
gewonnen.  Er  löst  sich  nicht  in  Weingeist,  sowie  erst  in  6  Teilen 
Wasser;  sein  Geschmack  ist  weniger  süss.  Auch  wird  er  nicht, 
wie  der  Rohrzucker,  von  konz.  Schwefelsäure  verkohlt. 

c)  Der  Fruchtzucker  (C12H24012),  in  allen  süssen  Früchten 
enthalten,  kennzeichnet  sich  durch  seine  Unfähigkeit  zu  krystalli- 
sieren.     Im  Honig  bildet  er  den  flüssig  bleibenden  Teil. 

d)  Der  Traubenzucker  oder  die  Q-lykose*)  (C,.2H24012) 
ist  neben  dem  Fruchtzucker  in  allen  süssen  Früchten  und  im 
Honig  enthalten  und  findet  sich  bei  der  sog.  Zuckerruhrkrankheit 
im  Harn  (daher  auch  wohl  Harnzucker  genannt).  Er  krystalli- 
siert  in  krümlichen  Massen  (deshalb  auch  Krümelzucker  ge- 
nannt), mit  1  Mol.  H,0  und  verursacht  das  Festwerden  des 
Honigs.     Künstlich  erzeugt  man  ihn  aus  dem  Stärkemehl   durch 


*)  Glykose  von  ykuy.üc  (süss). 


—    250     — 

Einwirkung  von  Malz  oder  verdünnten  Säuren,  wobei  anfänglich 
Dextrin  entsteht,  später  aber,  unter  Aufnahme  von  Wasseratomen, 
Glykose  (Stärkezucker).  Fabrikmässig  führt  man  die  Kar- 
toffelstärke durch  Erhitzen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  in 
diesen  Zucker  über  und  entfernt  nachher  die  Säure  durch  kohlen- 
sauren Kalk  als  Gips.  Yom  Rohrzucker  unterscheidet  sich  der 
Traubenzucker  leicht  durch  sein  Verhalten  zu  Ätzkalilauge,  welche 
den  Traubenzucker  beim  Erhitzen  bräunt.  Konz.  Schwefelsäure 
dagegen  verkohlt  den  Traubenzucker  ebenso  wenig  wie  den 
Milchzucker. 

Unterscheidung  der  Zuckerarten  durch  ihre  Form: 

1.  Harte,  farblose  Krystalle, 

a)  sehr  löslich  in  Wasser  und  sehr  süss      ....  Rohrzucker; 

b)  weniger  löslich  in  Wasser  und  wenig  süss      .     .  Milchzucker. 

2.  Krümliche  Massen Traubenzucker. 

8.  Süsser  Syrup Fruchtzucker. 

Nur  der  Frucht-  and  Traubenzucker  sind  direkt  gährungs- 
fähig;  Rohr-  und  Milchzucker  müssen  zuvor  in  Glykose  über- 
geführt werden ,  was  durch  Erwärmen  mit  verdünnten  Säuren 
leicht  geschieht.  Der  Zucker  reduziert  in  der  Wärme 
das  Kupferoxyd  aus  alkalischer  Lösung  zu  Kupfer- 
oxydul. Versetzt  man  eine  Traubenzuckerlösung  mit  etwas 
Kupfervitriol  und  überschüssiger  Alkalilauge,  so  scheidet  sich 
kein  Kupferoxydhydrat,  beim  Erhitzen  aber  rotes  Kupferoxydul 
aus.  (Trommers  Zuckerprobe).  (Rohrzucker  erfordert  dazu 
längeres  Kochen.)  In  ähnlicher  Weise  wird  Wismutsubnitrat  in 
siedender  alkalischer  Flüssigkeit  durch  Milch-  und  Traubenzucker 
zu  metallischem  Wismut  reduziert,  was  sich  durch  Schwärzung 
zu  erkennen  giebt. 

§  222.  Glykoside.  Man  kennt  eine  grössere  Anzahl  organischer 
Stoffe ,  welche  unter  dem  Einflüsse  von  Säuren ,  Basen  oder 
Gährungserregern  die  Elemente  von  Wasser  aufnehmen  und  sich 
in  Zucker  (Glykose)  und  einen  anderen  Stoff  spalten.  Man  nennt 
diese  Körper  Glykoside;  sie  als  Verbindungen  des  Zuckers 
mit  dem  anderen  Spaltungsprodukte  anzusehen,  geht  nicht  an, 
weil  sie  zu  ihrer  Zersetzung  Wasser  aufnehmen  müssen.  Zu 
diesen  Glykosiden  zählen  u.  a. :  Amygdalin  in  den  bitteren 
Mandeln,  Salicin  in  der  Weidenrinde;  ersteres  spaltet  sich  unter 
dem  Einflüsse  des  Eiweisses  der  Mandeln ,  bei  Gegenwart  von 
Wasser,  in  Zucker  und  blausäurehaltiges  Bittermandelöl.  Auf- 
fallend ist  der  bittere  Geschmack  der  meisten  Glykoside. 

Zum  Schlüsse  seien  noch  einige  süss  schmeckende  Stoffe 
erwähnt,  welche  man  aber  nicht  zum  Zucker  zählt :  Der  Mannit 
in  der  Manna,  das  Glykyrrhizin  im  Süssholz  und  Lakriz. 
Diese  unechten  Zuckerarten  sind  nicht  gährungsfähig,  reduzieren 


-    251     — 

auch  eine  alkalische  Kupferlösung  nicht.  In  der  Zusammen- 
setzung steht  der  Mannit  dem  Zucker  nahe.  (Mithin  genügt  zur 
Charakterisierung  des  Zuckers  nicht  der  süsse  Geschmack.) 

Versuche. 

1.  Nitrocellulose.  In  eine  Mischung  aus  90  g  gepulvertem  Kali- 
salpeter und  200  g  engl.  Schwefelsäure,  nachdem  sie  sich  in  einer  Porzellan- 
schale bis  zu  40°  erwärmt  hat,  trägt  man  10  g  feingezupfte  Baumwolle 
(Watte)  ein,  arbeitet  sie  mit  einem  Glasstabe  gut  unter  und  lässt  eine 
halbe  Stunde  stehen.  Dann  übergiesst  man  das  Ganze  mit  vielem  Wasser 
und  wäscht  die  Baumwolle  unter  einer  Pumpe  mit  Wasser  vollständig  aus, 
bis  sie  durchaus  nicht  mehr  sauer  reagiert,  wobei  darauf  zu  achten  ist,  dass 
keine  Knöllchen  in  ihr  bleiben.  Nachdem  man  sie  schliesslich  gut  ausge- 
drückt hat,  befeuchtet  man  sie  mit  Weingeist,  presst  sie  scharf  aus  und 
trocknet  sie  an  der  Luft. 

2.  Mannit.  Man  übergiesse  in  einem  Kölbchen  ausgelesene  Manna- 
stückchen mit  Weingeist,  erhitze  denselben  zum  Sieden  und  giesse  ihn  kochend 
in  ein  Becherglas  ab.  Sollte  er  beim  Erkalten  noch  keinen  Mannit  ab- 
scheiden, so  gebe  man  die  Flüssigkeit  auf  eine  neue  Portion  Manna  und 
verfahre  in  gleicher  Weise.  Beim  Erkalten  krystallisiert  der  Mannit  in 
farblosen,  in  Wasser  leicht  löslichen  Massen  aus. 

Stöchiometriscne  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Schiessbaumwolle  erhält  man  aus  1  kq  Baumwolle?  — 
Antw.  C12H20O10  :  C12H17Ng016  =  324  :  429;  x  =  1416^. 

2.  Wieviel  Dextrin  liefert  das  Stärkemehl?  —  Antw.  Gleichviel. 


35,  Alkohol, 


§  223.  Was  ist  der  Alkohol?  Der  Alkohol*)  stellt  im  wasser- 
freien Zustande,  als  wasserfreier  Weingeist,  Alcohol 
absolutus,  eine  wasserhelle,  dünne,  flüchtige  und  leicht 
brennbare  Flüssigkeit  dar,  welche  bei  78°  siedet  und  das  spez. 
Gew.  0,79  besitzt.  Seine  Zusammensetzung  entspricht  der 
Formel  (C2H60). 

Mischt  man  den  Alkohol  mit  Wasser,  so  erhöht  sich  sein 
spez.  Gew. ,  aber  nicht  gleichmässig ,  da  bei  der  Mischung 
Wärme  frei  wird  und  Verdichtung  stattfindet.  Die  grösste  Ver- 
dichtung tritt  beim  Mischen  gleicher  Teile  Alkohol  und  Wasser 
ein,  so  dass,  wenn  man  50  Massteile  Alkohol  mit  53,72  Mass- 
teilen Wasser  mischt,  die  103,72  Teile  sich  auf  100  Teile  zu- 
sammenziehen. 

§  224.  Die  officinellen  Sorten  Weingeist.  Der  wasserhaltige  Al- 
kohol stellt  die  verschiedenen  Sorten  Weingeist  dar,  und  zwar 
sind  offizineU: 


*)  Alkohol  (al-kohol)  arabisch  =  das  Feinste. 


—     252     — 

1.  Spiritus,  höchstrektifizierter  Weingeist  (Spiri- 
tus Vi  nirectificatissimus),  mit  dem  spez.  Gew.  0,830 — 0,834 
und  90 — 91  Volumprozenten  Alkohol; 

2.  Spiritus  dilutus  ,  verdünnter  oder  rektifizierter 
"Weingeist  (Spiritus  Vini  rectificatus) ,  mit  dem  spez. 
Gew.  0,892 — 0,896  und  67,5 — 69  Volumprozenten  Alkohol;  eine 
Mischung  aus  7  Teilen  Alkohol  mit  3  Teilen  Aqua  destillata. 

Je  verdünnter  der  Alkohol  ist,  um  so  höher  steigt  sein  Siede- 
punkt. Man  hat  also  zwei  Mittel,  um  den  Weingeistgehalt 
einer  Spirituosen  Flüssigkeit  zu  prüfen:  Die  Bestimmung  des 
spez.  Gew.  und  die  des  Siedepunktes.  Erstere  führt  man  mit 
dem  Aräometer  aus  und  benutzt  häufig  sog.  Alkoholometer, 
d.  i.  Aräometer  mit  direkter  Angabe  der  Volumprozente  (nach 
Tralles)  oder  der  Gewichtsprozente  (nach  Richter)  des  abso- 
luten Alkohols.  Die  Weingeistbestimmung  nach  der  Spannkraft  des 
Dampfes  wird  mit  dem  sog.  Vaporimeter  ausgeführt.  (Über 
einem  Wasserkesselchen  erhitzt  man  eine  kleine  Probe  der  zu  prü- 
fenden Flüssigkeit,  wodurch  Quecksilber  an  einer  Skala  in  die 
Höhe  gedrückt  wird;  je  alkoholreicher  die  Flüssigkeit,  um  so  stärker 
ihr  Dampfdruck  und  um  so  höher  steigt  das  Quecksilber.) 

§  225.  Wie  bildet  sich  der  Alkohol?  Alle  zuckerhaltigen  Pflan- 
zensäfte erleiden ,  bei  Luftzutritt  und  in  mittlerer  Temperatur, 
nach  kurzer  Zeit  eine  Selbstentmischung,  die  man  geistige 
G  ä  h  r  u  n  g  nennt,  da  das  Produkt  eine  spirituöse  Flüssigkeit  ist. 
Es  tritt  alsbald  Trübung  des  an  sich  klaren  Saftes  ein,  und  Hefe 
senkt  sich  zu  Boden ,  kleine  Gasbläschen  emporsendend.  Dieses 
Gas  ist  Kohlensäure ;  zugleich  bildet  sich  in  der  Flüssigkeit  Wein- 
geist, am  Gerüche  wahrnehmbar.  Kohlensäure  und  Wein- 
geist sind  die  Produkte  der  geistigen  Gährung,  sie  stammen 
aus  dem  Zucker. 

Bei  der  Gährung  zerfällt  1  Mol.  Zucker  in  4  Mol.  Kohlen- 
säure und  4  Mol.  Alkohol. 

C12H24012  =  4C02  +  4C2H60 

Zucker  Kohlensäure        Alkohol. 

Die  geistige  Gährung  besteht  demnach  im  Zerfalle  des 
Zuckers;  sie  wird  hervorgerufen  durch  die  mikroskopisch  kleinen 
Pilzkeime,  welche  zu  Millionen  in  der  Luft  schweben,  aus  der- 
selben in  die  zuckerhaltige  Flüssigkeit  geraten,  darin  keimen  und 
zur  Hefenpflanze  auswachsen,  denn  die  Hefe  ist  eine  Pilz- 
pflanze. Bedingungen  für  den  Eintritt  der  Gährung  sind: 
1.  mittlere  Temperatur  (S i e d h i t z e  zerstört  die  Pilzkeime, 
Eiskälte  hält  ihre  Entwicklung  auf);  2.  Luftzutritt,  wenigstens 
zu  Anfang,  um  die  Pilzkeime  in  die  Flüssigkeit  gelangen  zu 
lassen  (in  völlig  gefüllten  und  hermetisch  verschlos- 


-     253     — 

senen  Gefässen  tritt  keine  Gährung  ein,  ebenso  wenig, 
wenn  man  die  zutretende  Luft  durch  Baumwolle  filtriert,  da  die- 
selbe die  Keime  zurückhält) ;  3.  Gegenwart  eiweissartiger  Stoffe 
(die  keinem  Pflanzensafte  fehlen),  welche  den  Pilzkeimen  zur 
Nahrung  notwendig  sind  und  zum  Gährungserreger,  Ferment, 
werden.     (Eine  reine  Zuckerlösung  gährt  nicht.) 

Die  Ausscheidung  der  Hefe  findet  bei  mittlerer  Sommerwärme 
an  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  statt  —  Obergährung  (wie 
beim  Bier) ;  bei  kühlerer  Temperatur  (-f-  6  bis  12°)  setzt  sie  sich 
zu  Boden  —  Untergährung  (wie  beim  Wein). 

§  226.  Gegohrene  Flüssigkeiten.  Produkte  der  geistigen  Gäh- 
rung sind  gewisse  Flüssigkeiten,  die  zu  geistigen  Getränken 
dienen,  wie  der  "Wein  und  das  Bier,  oder  auf  Weingeist  ver- 
arbeitet werden. 

Der  Wein,  Vinum,  ist  der  vergohrene  Traubensaft  des 
Weinstocks.  Er  ist  entweder  hellfarbig  (Weiss wein),  oder  rot 
(Rotwein).  Wenn  man  die  Weintrauben  sogleich  auspresst 
(keltert),  so  gewinnt  man  den  Weisswein;  der  Rotwein  stammt 
von  roten  und  blauen  Trauben,  welche  erst  nach  der  GähruDg 
gekeltert  werden ,  nachdem  sich  der  Farbstoff  in  der  weingeist- 
haltigen  Flüssigkeit  gelöst  hat  (er  ist  in  Wasser  nicht  löslich). 
Die  spanischen  Weine,  wie  der  Sherry,  Yinum  Xerense  (von 
Xeres  de  la  Frontera),  besitzen  eine  bräunliche  Färbung  und  un-- 
vergohrenen  Zucker,  da  sie  sehr  alkoholreich  (15 — 18  Proz.)  sind. 
(Wenn  der  Alkoholgehalt  ein  grösserer  geworden,  verhindert  er 
die  Yollendung  der  Gährung.)  Rheinweine  besitzen  im  Mittel 
9 — 10  Proz.,  Moselweine  7  —  8  Proz.  Alkohol  und  mehr  oder  weniger 
Weinsäure,  aber  keinen  Zucker  mehr. 

Das  Bier  ist  der  vergohrene  Auszug  des  Malzes,  durch 
Hopfenbitter  gewürzt.  Man  extrahiert  das,  die  Bezeichnung  ,,Malz" 
führende,  gekeimte  Gerstenkorn,  in  welchem  ein  Teil  des  Stärke- 
mehls in  Zucker  übergeführt  ist.  Durch  Einwirkung  des  in  der 
Gerste  vorhandenen  Eiweissstoffes  (Diastase)  wird  das  noch  vor- 
handene Stärkemehl  in  Dextrin  und  zugleich  der  Zucker  in  Gäh- 
rung übergeführt.  Daher  besitzt  das  Bier  reichlich  Dextrin  neben 
Alkohol  (3 — 6  Proz.),  Kohlensäure  und  Hopfenbitter. 

Wird  Getreide,  Reis ,  Kartoffel  oder  eine  andere  stärkemehl- 
haltige  Substanz  mit  Malz  digeriert,  so  geht  das  Stärkemehl  in 
Dextrin  und  darauf  in  Zucker  über,  welcher  sofort  die  Gährung 
erleidet  und  eine  geistige  „Maische"  liefert,  aus  der  man  durch 
Destillation  die  verschiedenen  Arten  Branntweine  gewinnt. 
Gegohrener  Roggen  giebt  den  Kornbranntwein,  gegohrener 
Reis  den  Arrak,  gegohrene  Kartoffeln  den  Kartoffelbrannt-- 


—    254     - 

wein,  gegohrene  Melasse  (brauner  Syrup)  den  Rum,  "Wein  den 
C  o  g  n  a  k.  Der  Alkoholgehalt  derselben  ist  sehr  verschieden, 
zwischen  30  und  50  Volumprozenten  schwankend.  Jeder  dieser 
Branntweine  ist  von  dem  einen  oder  anderen  Fuselöle  begleitet. 
So  giebt  es  ein  Getreide-,  Kartoffelf uselöl  u.  a.,  sämtlich 
schwerer  flüchtig  als  der  Alkohol.  Im  Rum,  Arrak  und  Cognak 
sind  gewisse,  leichtflüchtige  Ätherarten  enthalten. 

§  227.  "Weingeistdestillation.  Man  gewinnt  den  Weingeist  aus 
Branntwein  oder  direkt  aus  der  Kartoffel-Maische  durch  Destil- 
lation. Da  der  Weingeist  flüchtiger  ist  und  einen  niedrigeren 
Siedepunkt  hat  wie  das  Wasser,  so  nimmt  er  zuerst  Dampfform 
an,  und  es  geht  zu  Anfang  eine  alkoholreiche  Flüssigkeit  über 
(der  sog.  Vorlauf),  während  eine  rein  wässerige  in  der  Retorte 
zurückbleibt  —  sog.  Phlegma  (Schlempe).  Bei  der  einfachen 
Destillation  wird  aus  dem  Branntwein  zuerst  rektifizierter 
Weingeist,  aus  diesem  durch  abermalige  Destillation  höchst- 
rektifizierter Weingeist  gewonnen. 

Bei  den  jetzt  üblichen  vervollkommneten  Dampfdestillatio- 
nen werden  die  Destillierblasen  durch  Dampf  geheizt  oder  stehen 
direkt  im  Dampfkessel.  Aus  den  Blasen  gelangen  die  Weingeist- 
dämpfe in  Behälter,  worin  sich  Maische  befindet,  und  dunsten,  durch 
letzter  erhitzt,  ihren  Weingeist  ab;  die  dadurch  alkoholreicher 
gewordenen  Dämpfe  werden  nun  durch  ein  System  von  Röhren 
geleitet  (sog.  Dephlegmatoren),  in  denen  sie  sich  zum  Teil  ver- 
dichten, d.  i.  ihre  wässerigen  Teile  abscheiden,  während  der  Alkohol 
gasförmig  bleibt  und  später  durch  Abkühlung  im  Schlangenrohr 
verflüssigt  wird.  So  gelingt  es,  direkt  aus  der  gegohrenen  Maische 
einen  90— 95  volumprozentigen  Alkohol  zu  erhalten.  Die  ver- 
dichteten wässerigen  Teile  fliessen  aus  den  schräg  gerichteten 
Dephlegmatoren  in  die  Destilliergefässe  zurück.  Sie  werden  von 
den  schwerflüchtigen  Fuselölen  begleitet,  so  dass  durch  die  De- 
stillation zugleich  möglichste  Reinigung  des  Weingeistes  vom 
Fuselöl  erzielt  wird.  Früher  bediente  man  sich  zu  letzterem 
Zwecke  frisch  geglühter  Holzkohlen,  welche  das  Fuselöl  absorbieren. 

Aus  dem  käuflichen  90  proz entigen  Weingeist  gewinnt  man 
den  wasserfreien  Alkohol,  wenn  man  ihn  wiederholt  über 
geschmolzenem  Chlorcalcium  rektifiziert,  welches  ihm  das  Wasser 
entzieht  und  sein  spezifisches  Gewicht  auf  0,79  erniedrigt. 

Prüfung  des  Weingeistes:  Er  darf  nach  dem  Abdampfen  mit 
Kalilauge  beim  Übersäuern  nicht  den  Geruch  nach  Fuselöl  geben ;  konzen- 
trierte Schwefelsäure  darf  ihn  nicht  rot  färben,  übermangansaures  Kali 
sich  durch  ihn  nicht  entfärben  (fremde  organische  Materien),  Ammoniak 
ihn  nicht  färben  (gelb :  Gerbstoff  —  aus  dem  Fasse),  H2S  ihn  nicht  trüben 
(dunkel:  Schwermetalle);  auch  sei  er  vollständig  flüchtig. 


—    255    — 

§  228.  Was  nennt  man  Alkoholradikale?  Aus  den  verschiedenen 
Umsetzungen,  die  der  Alkohol  durch  Säuren,  Salzbildner,  Alkalien 
u.  a.  erleidet,  geht  hervor,  dass  er  als  das  Oxydhydrat  (Hydroxyd) 
eines  einatomigen  Radikals  mit  der  Formel  (C2H5)  und  dem  Namen 
Äthyl  anzusehen  ist. 

empirische  Formel :         rationelle  Formel : 

C2H60     =    ..(C2Hä)HO 

Alkohol  Äthyloxydhydrat. 

Wir  können  zwar  den  Alkohol  das  Oxydhydrat  des  Äthyls 
nennen,  da  er  zum  Äthyl  sich  verhält  wie  das  Kalihydrat  (KHO) 
zum  Kalium;  aber  ebenso  wie  das  freie  Äthyl  durch  neutrales 
Verhalten  sich  auszeichnet,  stellt  auch  sein  Oxydhydrat,  der 
Alkohol,  einen  indifferenten  Körper  dar. 

Dem  Weingeist  sind  eine  Reihe  anderer  Körper  analog  zu- 
sammengesetzt, als  Oxydhydrate  organischer  Radikale.  Da  für 
sie  die  Bezeichnung  Alkohole  gemeinsam  geworden  ist,  tragen 
ihre  Radikale  den  Namen  Alkoholradikale. 

Die  Alkohole  sind  anzusehen  als  die  Oxydhydrate  {Hydroxyde) 
gewisser  Radikale,  der  sog.  Alkoholradikale. 

Dem  Äthylalkohol  (Weingeist)  entsprechen  zunächst  folgende 
Alkohole ,  welche  mit  ihm  eine  homologe  Reihe,  die  sog. 
Methylreihe  bilden,  deren  Radikale  sich  nur  durch  einen  Mehr- 
gehalt von  (CH2)  von  einander  unterscheiden: 

Methyl  CH3       .     .     Methylalkohol  (Holzgeist)  CH40 

Äthyl     C2H5      .     .     Äthylalkohol  (Weingeist)  C2H60 

Propyl  C3H7      .     .     Propylalkohol  CgHgO 

Butyl     C4H9     .     .     Butylalkohol  C4H10O 

Aniyl     CgH^     .     .     Amylalkohol  (Kartoffelfuselöl)  C5H120 

Die  allgemeine  Formel  der  Radikale  dieser  Methylreihe  ist 
mithin  (CnH2n+I),  diejenige  der  Alkohole  (CnH2n+20)*). 

Versuche. 

1.  Prüfung  von  Wein  oder  Bier  auf  den  Weingeistgehalt. 
Man  bestimmt  zunächst  das  spez.  Gew.  der  Flüssigkeit  genau  und  auf  4 
Decimalstellen ;  dann  wird  eine  genau  gewogene  Menge  auf  ein  Drittel 
eingekocht  und  nach  dem  Erkalten   der  Gewichtsverlust  mit  destilliertem 

*)  In  den  Alkoholradikalen  befinden  sich  die  Kohleatome  in  ketten- 
artiger Bindung  mit  je  1  Valenz,  sodass  die  Endglieder  noch  mit  je  3 
Valenzen,  die  mittleren  Glieder  mit  je  2  Valenzen  begabt  sind.  Während 
also  das  Anfangsglied  C  an  3  H,  die  nachfolgenden  C  an  je  2  H  gebunden 
sind,  bleiben  dem  Endgliede  C  noch  2  H  übrig,  während  seine  dritte 
Valenz  durch  die  einwertige  Atomgruppe  OH  (Hydroxyl)  gesättigt  wird.  Also : 
Methylalkohol  Äthylalkohol  Propylalkohol 

P=H3  C=H3  C H3 

— OH  |  | 

C Ho  C^H> 

OH  | 

C-H2 
—OH. 


—    256     — 

Wasser  wieder  genau  ersetzt,  worauf  man  abermals  spez.  Gew.  bestimmt, 
welches  nun  etwas  grösser  ausfallen  wird.  Man  subtrahiert  beide  Zahlen 
von  einander,  zieht  die  erhaltene  Differenz  von  1,0000  ab  und  sucht  für 
die  sich  ergebende  Zahl  in  der  der  Pharm.  Germ,  angehängten  Tabelle 
den  entsprechenden  Weingeistgehalt. 

Stöchioinetrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  wasserfreien  Weingeist  liefert  1  kq  Zucker  bei  der  Gährung? 
—  Antw.  (C12H24012)  :  4(C2H60)  =  360  :  4  X.  46;  x  =  511  #. 

2.  Wieviel  Prozente  wasserfreien  Weingeist  erhält  ein  Wein,  dessen 
Most  20  Prozente  Zucker  besass?  —  Antw.  1000  :  511  =  20  :  x;  x  =  10,2%. 

3.  Wieviel  l  kohlensaures  Gas  liefert  1  kg  Zucker  bei  der  Gährung, 
wenn  das  l  des  Gases  2  g  wiegt?  —  Antw.  (C12H24012)  :  4C09  ==  360  : 
4  X  44;  x  =  489  #  =  244,5  L 

4.  Wie  gross  ist  der  Weingeistgehalt  eines  Weines,  dessen  spez. 
Gew.  vor  dem  Abkochen  0,9935,  nach  dem  Abkochen  1,0080  ist?  —  Antw. 
1,0080—0,9935  =  0,0145;  1,0000—0,0145  =  0,9855,  welche  Zahl  nach  der 
Tabelle  8,87%  Alkohol  entspricht. 


36,  Die  Essigsäure. 

§229.  Wie  bildet  sich  die  Essigsäure?  Die  Essigsäure 
(C2H402)  entsteht  aus  dem  Weingeist  durch  Oxydation^ 
wenn  die  geeigneten  Umstände  vorhanden  sind.  Reiner  Wein- 
geist geht  an  der  Luft  nicht  in  Essigsäure  über;  be- 
findet er  sich  aber  in  grosser  Verdünnung  mit  Wasser,  zugleich 
mit  dem  geeigneten  Gährungserreger,  so  zieht  er  Sauerstoff  aus 
der  Luft  an  und  geht  in  Essigsäure  über.  Der  hierzu  notwendige 
Gährungserreger  ist  eine  besondere  Art  der  Hefe,  die  Essig- 
mutter  (Mycoderma  Aceti). 

Die  ältere  Methode  der  E ssigb er eitung  bestand 
darin,  dass  man  zu  einer  Quantität  Essig,  welche  stets  etwas 
Essigmutter  enthält  (nur  zum  Sieden  erhitzter  Essig  ist  davon 
frei),  stark  verdünnten  Branntwein  setzte  und  die  Mischung  in 
einem  offenen  Passe  an  einem  lauwarmen  Orte  einige  Zeit  stehen 
liess.  Von  Woche  zu  Woche  zapfte  man  eine  Quantität  als  Essig 
ab  und  ersetzte  sie  durch  eine  gleiche  Menge  verdünnten  Brannt- 
wein. So  ging  die  Essigfabrikation  ununterbrochen  fort.  Den 
ganzen  Prozess  nannte  man  Essiggährung. 

Das  Produkt  ist  der  Essig,  Acetum,  eine  saure,  6%  freie 
Essigsäure  enthaltende  Elüssigkeit.  Unterwirft  man  Wein  oder 
Bier  dem  Oxydationsprozesse  oder  der  Essiggährung,  so  erhält 
man  den  Wein-  und  Bieressig. 

Die  neuere  Schnellessigfabrikation  benutzt  die  Eigen- 
schaft stark  poröser  Körper,  in  ihren  Poren  Sauerstoff  zu  ver- 
dichten, um  den  Weingeist  zu  oxydieren.  Man  lässt  verdünnten 
Branntwein    durch    ein    mit  Buchenholzspänen    gefülltes  Pass. 


—    257 


(Fig.  69  b)  rinnen,  welches 
einen  oberen  Siebboden  (a) 
mit  Röhrchen  (c)  zum  Ent- 
weichen der  Luft  besitzt,  sowie 
seitliche  Luftlöcher  (ee),  unter 
diesen  einen  zweiten  Sieb- 
boden und  ein  Abzugsrohr 
(g)  für  den  fertigen  Essig. 
Ein  solches  Fass  heisst 
Essigbildner. 

Prüfung  des  Essigs:  Er 
darf  sich  nicht  trüben  mit  H2S 
(dunkle  Trübung:  Schwermetalle), 
keinen  bedeutenderen ,  scharf- 
schmeckenden Rückstand  beim 
Verdampfen  hinterlassen  (scharfe 
Pflanzenstoffe),  nur  geringe 
Mengen  schwefelsaurer  Salze  und 
Chloride    enthalten,    muss    eine  „.      fiQ 

alkalische  Asche  geben  (neutrale  £' 

oder  saure  Reaktion:  freie   Mineralsäuren)  und  6%  Essigsäure  enthalten 
(10  g  Essig  müssen  sich  mit  10  ccm  Normalkali  sättigen). 

§  230.  Theorie  der  Essigbildung.  Wenn  der  Weingeist  in  Essig- 
säure übergeht,  so  verliert  er  zwei  Atome  Wasserstoff  und  nimmt 
an  deren  Stelle  ein  Sauerstoffatom  auf.  Hiernach  besteht 
die  Essigbildung  aus  zwei  Momenten:  aus  der  Oxyda- 
tion zweier  Wasserstoffatome,  welche  als  Wasser  austreten, 
und  an  deren  Stelle  ein  Sauerstoffatom  eintritt.  Auf  der 
Mitte  zwischen"  beiden,  zeitlich  auf  einander  folgenden  Momenten 
steht  ein  Körper,  das  Aldehyd*)  (C2H40),  welches  weniger 
Wasserstoff  wie  der  Weingeist,  weniger  Sauerstoff  wie  die  Essig- 
säure besitzt. 

Das  bei  der  Essigbildung  als  Mittelstufe  sich  bildende  Aldehyd 
ist  eine  sehr  flüchtige,  nicht  saure,  ätherisch  riechende  Flüssig- 
keit, deren  Dämpfe  man  in  jeder  Essigsiederei  wahrnimmt. 

Hiernach  stellt  sich  der  Prozess  der  Essigsäurebildung  dar: 
I.     C2H60     +     0     =     C2H40     -f-    H20 

Alkohol  Sauerstoff  Aldehyd  Wasser 

IL     C2H40     +     0     =     C.2H402 

Aldehyd  Sauerstoff  Essigsäure. 

Bei  der  Oxydation  des  Alkohols  geht  derselbe  zuerst  {unter 
Wasserstoff  vertust)  in  Aldehyd,  daraxif  (unter  Sauerstoffaufnahme) 
in  Essig  säure  über. 


*)  Aldehyd  wurde  von  seinem  Entdecker  Liebig  nach  den  Anfangs- 
buchstaben von  Alkohol  und  dehydrogenatus  (wasserstoffberaubt) 
benannt. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  17 


—    258    — 

Das  Aldehyd  besitzt  ein  so  grosses  Bestreben,  Sauerstoff  auf- 
zunehmen, dass  es  an  der  Luft  in  kurzer  Frist  säuert  und  zu 
Essigsäure  wird. 

§  231.  Die  offizineile  Essigsäure.  Man  stellt  die  reine  Essig- 
säure durch  Destillation  des  essigsauren  Katrons  mit  Schwefel- 
säure dar,  wobei  schwefelsaures  Natron  in  der  Eetorte  zurückbleibt. 

2NaC2H302     +    H,S04     ==    Na2S04     +     20,H402 

essigsaures  Schwefelsäure  schwefelsaures  Essigsäure. 

Natron  Natron 

Je  nachdem  man  das  krystallisierte  oder  das  entwässerte 
essigsaure  Natron  anwendet,  gehen  daraus  verschieden  konzen- 
trierte Säuren  hervor: 

a)  Die  verdünnte  Essigsäure,  Acidum  aceticum  dilutum, 
früher  konzentrierter  Essig  (Acetum  concentratum) 
genannt,  ist  eine  30prozentige  Essigsäure,  mit  dem  spez. 
Gew.  =  1,041,  welche  sich  mit  gleich  viel  Liquor  Kali  carbonici 
genau  sättigt.  Man  stellt  diese  Säure  durch  Destillation  des 
krystallisierten  essigsauren  Natrons  mit  gewässerter  Schwefel- 
säure dar.  Das  Destillat  wird  zum  genannten  spez.  Gew.  mit 
Wasser  verdünnt. 

b)  Die  konzentrirte  Essigsäure,  Acidum  aceticum,  wegen 
ihres  Erstarrens  bei  0°  Eisessig  (Acetum  glaciale)  genannt, 
eine  ätzend  saure,  farblose  Flüssigkeit  von  stechend  saurem  Ge- 
ruch, welche  Citronenöl  (7to  Teil)  und  andere  ätherische  Öle  auf- 
löst. Spez.  Gew.  =  1,064  bei  96  °/0  Essigsäure.  Man  gewinnt 
sie  durch  Destillation  des  entwässerten  essigsauren  Natrons 
mit  englischer  Schwefelsäure.     Sie  siedet  bei  117°. 

Prüfung  der  Essigsäure:  Übermangansaures  Kali  entfärbe  sich 
nicht  mit  der  (mit  Wasser  verdünnten)  Säure,  andernfalls  sie  schweflige 
Säure  enthält;  sie  trübe  sich  nicht  mit  Baryumnitrat  (weisse  Trübung: 
Schwefelsäure),  Silberlösung  (weisse  Trübung:  Salzsäure),  Schwefelwasser- 
stoflwasser  (dunkle  Trübung:  Schwermetalle).  Ihren  Säuregehalt  stellt  man 
fest  durch  Sättigung  mit  Normalkalilösung. 

Beim  Verdünnen  der  Säure  mit  Wasser  zieht  sie  sich  an- 
fänglich zusammen,  ihr  spez.  Gew.  erhöhend,  bis  dasselbe  1,073 
erreicht  hat  (C2H402  -f-  H20).  Von  da  ab  nimmt  bei  fernerem 
Wasserzusatz  die  Dichte  gleichmässig  ab.  Daher  kommt  es,  dass 
eine  Säure  vom  spez.  Gew.  1,064  sowohl  die  96prozentige,  als 
auch  eine  verdünnte  (und  zwar  54prozentige)  sein  kann.  Letztere 
vermag  aber  nicht  mehr  Citronenöl  aufzulösen. 

Die  Essigsäure  ist  eine  einbasische  Säure :  CaH402  == 
(C2H30)HO.  Ihre  Salze  sind  sämtlich  in  Wasser  löslich  und 
heissen  Acetate;  so  ist  das  essigsaure  Natron  Natriumacetat  = 
NaC2H302.  In  der  Essigsäure  nimmt  man  ein  sauerstoffhaltiges 
Radikal  (C2H30),  Acetyl,  an,  welches  mit  HO  (Hydroxyl)  ver- 
bunden die  Säure  darstellt,  ähnlich  wie  das  Äthyl  (C2H5)  mit  HO 


—    259    — 

verbunden  den  Alkohol  bildet.  Das  Acetyl  unterscheidet  sich  da- 
durch vom  Äthyl,  dass  zwei  Wasserstoffatome  durch  ein  Sauer- 
stoffatom vertreten  sind,  welches  das  Radikal  säurebildend  macht.*) 
Man  erkennt  die  Essigsäure  und  ihre  Salze  an  der  blut- 
roten Farbe  des  essigsauren  Eisenoxyds  (Liq.  Ferri  acetici) ;  man 
gebraucht  daher  die  Eisenchloridlösung  als  Reagens  auf  die 
essigsauren  Salze,  welche  dadurch  blutrot  gefärbt  werden.  Be- 
dingung ist  neutrale  Reaktion,  da  freie  Säure  diese  Färbung  auf- 
hebt. Freie  Essigsäure  ist  daher  vor  Zusatz  des  Eisenchlorids 
mit  Ammoniak  oder  kohlensaurem  Alkali  genau  zu  neutralisieren. 

§  232.   Zu  welchen  Säuren  gehört  die  Essigsäure?     'Die    Essigsäure 
ist  das   zweite  Glied    einer  Säurereihe,   welche   mit  der  Ameisen- 
säure beginnt  und  daher  Ameisensäurereihe  genannt  wird: 
Ameisensäure       CH,02     =     (CHO)HO 
Essigsäure  C,H402   =     (C2H30)HO 

Propionsäure        C3H602    =     (C3H50)HO 
Buttersäure  C4H802    =     (C4H70)HO 

Baldriansäure       C5H10O2  =     (C5H90)HO 
Die  weiterhin  folgenden  Glieder  dieser  Reihe  stellen  fettige 
Körper,  sog.  Fettsäuren,  dar,  und  zwar  die  zunächst  folgenden 
flüchtige,   die   späteren   nichtflüchtige  Fettsäuren.     (Bei  den 
Fetten  wird,  näheres  über  sie  mitgeteilt.) 

Sämtliche  Säuren  dieser  Reihe  sind  einbasisch,  mit  der 
allgemeinen  Formel  (CnH2n02).  Das  in  ihnen  enthaltene  Säure- 
radikal besitzt  also  die  Zusammensetzung  (CJEI^n^O)  und  unter- 
scheidet sich  von,  dem  entsprechenden  Alkoholradikale  der  Methyl- 
reihe wie  das  Acetyl  vom  Äthyl,  d.  i.  dadurch,  dass  an  die 
Stelle  zweier  Wasserstoffiatome  ein  Sauerstoffatom  getreten  ist. 

Die  Säuren  der  Ameisensäurereihe  gehen  aus  den  Alkoholen  der 
Methylreihe  durch  Oxydation  hervor. 

"Wie  der  Äthylalkohol  (Weingeist)  durch  Oxydation  in  Essig- 

*)  Die  Strukturformeln  für  das  Äthyl  und  den  Weingeist,  sowie  für  das 
Acetyl  und  die  Essigsäure  sind  folgende: 


C  ==H-3  C^Hjj 

C-H2  C=H2 

~ O.H 

Äthyl  Weingeist 


C  -  Hg  C=H3 

c=o  r=0 

Acetyl  —  O.H 

Essigsäure 


Der  Weingeist  und  die  Essigsäure  sind  Hydroxyde  (Verbindungen 
der  Atomgruppe  HO,  vgl.  §  89),  ersterer  vom  Äthyl  (C2H5),  letztere  vom 
Acetyl  (C2H3q),  wie  auch  die  Typenformeln  für  beide  lauteten: 

Weingeist       t|   \  0  Essigsäure        V    >  0 

Es  herrscht  jedoch  der  Unterschied  zwischen  ihnen,  dass  beim  Wein- 
geist HO  zugleich  mit  2  H  an  das  (zweite)  Kohleatom  gebunden  ist; 
bei  der  Essigsäure  ist  das  HO  zugleich  mit  0  an  das  Kohleatom  ge- 
bunden.    Hierüber  geben  obige  Strukturformeln  den  besten  Aufschluss. 

17* 


—     260     — 

säure  übergeht,  so  liefert  der  Methylalkohol  (Holzgeist)  durch 
Oxydation  Ameisensäure,  der  Amylalkohol  (das  Kartoffelfuselöl) 
Baldriansäure.     Nämlich: 


Methylalkohol 

CH40     +     20     -. 

=     Ameisensäure 

CH202   +  BLjO 

Äthylalkohol 

C,H60 

Essigsäure 

C2H402 

Propylalkohol 

QffiO 

Propionsäure 

03^6^2 

Butylbalkohol 

C4H10O 

Buttersäure 

^4ßs^2 

Amylalkohol 

C5H120 

Baldriansäure 

CöH^Oo 

§  233.  Die  der  Essigsäure  verwandten  Säuren.  Die  Ameisen- 
säure (CH202),  Acidum  formicicum  (von  formica,  Ameise),  ist 
eine  ätzend  saure,  farblose  Flüssigkeit,  der  Essigsäure  ähnlich, 
•wie  diese  beiO0  gefrierend  und  bei  105°  siedend;  sie  findet  sich 
frei  in  den  Ameisen  —  daher  ein  Bestandteil  des  Spiritus  und 
der  Tinctura  Formicarum  —  in  den  Stacheln  der  Bienen 
und  Wespen,  den  Brennhaaren  der  Nessel  und  in  den  Tannen- 
nadeln. Sie  ist  das  Oxydationsprodukt  des  Methylalkohols  (Holz- 
geist), sowie  sehr  vieler  organischer  Stoffe.  In  reichlichem  Masse 
gewinnt  man  sie  mittelst  Destillation  von  Glycerin  mit  Oxal- 
säure, sowie  von  Stärkemehl  mit  Braunstein  und  verdünnter 
Schwefelsäure.  Man  verdünnt  sie  zum  spez.  Gew.  1,060,  wobei 
sie  25%  Säure  enthält.  Sie  reduziert  Silbersalze  und  Queck- 
silberoxyd (Unterschied  von  der  Essigsäure,  mit  der  sie  die 
Färbung  durch  Eisenchlorid  gemeinsam  hat);  die  Reduktion  tritt 
beim  Erhitzen   sofort  unter  Kohlensäureentbindung  ein,  nämlich: 

HgO     +      CH,02       =      Hg      +      C02       +      H20 

Queeksüberoxyd  Ameisensäure  Quecksilber  Kohlensäure  Wasser. 

Prüfung  der  Ameisensäure:  Sie  darf  durch  Silbernitrat  nicht 
sofort  gefällt  werden  (weiss:  Salzsäure );  mit  Ammoniak  gesättigt  darf  sie 
sich  nicht  trüben  durch  Chlorcalcium  (weiss:  Oxalsäure)  und  H2S  (schwarz: 
Schwermetalle). 

Die  Buttersäure  (C4H80.2)  findet  sich  frei  im  Schweiss, 
im  Johannisbrot  und  in  ranziger  Butter.  Eine  stark  saure 
Flüssigkeit,  welche  zugleich  nach  Essigsäure  und  ranziger  Butter 
riecht;  sie  lässt  sich  mit  Wasser  mischen. 

Die  Baldriansäure,  Acidum  valerianicum  (C5H10O2), 
ist  eine  ölige,  saure  Flüssigkeit,  welche  auf  Wasser  schwimmt  und 
sich  darin  schwer  löst,  mit  Weingeist  aber  in  allen  Yerhältnissen 
sich  mischen  lässt;  von  saurem,  zugleich  an  faulen  Käse  er- 
innerndem Geschmack.  Sie  findet  sich  fertig  gebildet  in  der  Bal- 
drianwurzel und  geht  bei  deren  Destillation  mit  dem  Wasser  über. 
Künstlich  gewinnt  man  sie  durch  Oxydation  des  Amylalkohols 
(Kartoffelfuselöl)  mittelst  Schwefelsäure  und  doppeltchromsauren 
Kalis.  Dabei  destilliert  die  Baldriansäure  über,  während  schwefel- 
saures Kali-Chromoxyd  (Chromalaun)  zurückbleibt.  (Vgl.  §  175). 
C5Ht2Ö  +  20  =  C5Ht0O2  +  H20 

Amylakohol  Baldriansäure 


—     261     - 

Das  baldriansaure  Zinkoxyd,  Zincum  valerianicum  (Zn2C5H902), 
ist  ein  Salz  in  perlmutterglänzenden,  nach  Baldriansäure  riechenden  Blätt- 
chen, welches  als  schwerlöslich  auskrystallisiert,  wenn  Zinkvitriollösung 
mit  baldriansaurem  Natron  versetzt  wird.  Auf  Zusatz  von  Salzsäure  scheidet 
es  Baldriansäure  als  Ölschicht  ab. 

Versuche. 

1.  Aldehyd.  Man  bringe  10  g  in  kleine  Stückchen  zerbrochenes 
doppeltchromsaures  Kali  nebst  40  g  Wasser  in  eine  kleine  tubulierte  Re- 
torte, lege  ein  Kölbchen  lose  vor  und  giesse  ein  abgekühltes  Gemisch  aus 
13  g  engl.  Schwefelsäure  und  7  q  Weingeist  in  kleinen  Portionen  durch 
den  Tubulus  hinzu,  nach  jedem  Zusätze  den  Tubulus  sofort  verschliessend. 
Der  Inhalt  gerät  von  selbst  ins  Sieden  und  liefert  Aldehyd  als  ein  wasser- 
helles, ätherisch  riechendes  Destillat.  In  der  Retorte  bleibt  grüne  Chrom- 
alaunlösung zurück. 

Praktische  Übungen. 

1.  Acidum  aceticum  dilutum.  (Fig.  18  auf  S.  46.)  Man  gebe  10  Teile 
krystallisiertes  essigsaures  Natron  in  eine  Retorte  (r),  giesse  eine  Mischung 
aus  4  Teilen  engl.  Schwefelsäure  und  2  Teilen  Wasser  —  man  gebe  die 
Säure  zum  Wasser,  nicht  umgekehrt!  —  hinzu  und  destilliere  aus  dem 
Sandbad,  nachdem  man  die  Ingredienzien  über  Nacht  hatte  auf  einander 
wirken  lassen.  (Bei  Anwendung  einer  nicht  tubulierten  Retorte  ist  darauf 
zu  sehen,  dass  ihr  Hals  rein  bleibe;  man  gebe  in  diesem  Falle  das  Salz 
durch  eine  Papierrolle,  die  Säure  durch  einen  langröhrigen  Trichter  hinein.) 
Den  Hals  der  Retorte  verbinde  man  mit  einem  sog.  Liebigschen  Kühler 
(b),  in  welchem  man  durch  Einfluss  kalten  Wassers  (aus  e  in  die  Röhre  d 
und  Ausfluss  des  erhitzten  durch  c )  eine  stetige  Abkühlung  erzeugt ;  der 
unteren  Röhrenöffnung  (m)  füge  man  eine  sog.  Allonge  (t)  an,  welche  in 
die  Vorlage  (f)  hineinreicht. 

Sowie  8  Teile  überdestilliert  sind,  werde  die  Destillation  beendigt 
und  das  Destillat  mit  Wasser  zum  spez.  Gew.  1,040  verdünnt. 

Der  Salzkuchen  in  der  Retorte  lässt  sich  durch  Eingiessen  heissen 
Wassers  entfernen. 

2.  Acidum  aceticum  (concentratum).  Man  lasse  14  Teile 
essigsaures  Natron  in  einer  eisernen  Schale  bei  gelindem  Feuer  schmelzen 
und  trockne  das  Salz,  sowie  es  wieder  fest  zu  werden  beginnt,  unter  Um- 
rühren völlig  aus.  Es  restieren  8  Teile,  die  man  zu  Pulver  verreibt  und 
in  eine  tubulierte  Retorte  bringt,  die  damit  nur  halb  gefüllt  werden  darf; 
schliesslich  giebt  man  5  Teile  englische  Schwefelsäure  hinzu,  welche  das 
Salz  gut  durchdringen  muss,  und  destilliert  aus  dem  Sandbad,  bei  gelinder 
Hitze,  in  einen  lose  vorgelegten  Kolben.  Dieser  werde,  nachdem  etwa 
2  Teile  übergegangen  sind,  gewechselt;  das  nun  Überdestillierende  besitzt 
die  nötige  Stärke  d.  i.  löst  i/10  Citronenöl  klar  auf.  Die  zuerst  übergehende 
Partie  ist  schwächer. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Essigsäure  liefert  1  kg  essigsaures  Natron  bei  der  Zer- 
setzung mit  Schwefelsäure?  —  Antw.  (NaC,H3Oo  -|-  3H20)  :  (C<,H409)  = 
136  :  60;  x  =  Ul  g. 

2.  Wieviel  offizinelle  verdünnte  Essigsäure  wird  aus  1  kg  essigsaurem 
Natron  gewonnen?  —  Antw.  30  :  100  =  441  :  x;  x  r=  1470  #. 

3.  Wieviel  Essigsäure  liefert  1  Teil  Weingeist  bei  der  Oxydation? 
—  Antw.  C2H60  :  C2H402  =  46  :  60;  x  =  1,30. 


262     - 


Fig.  70. 


37.  Der  Äther. 

§  234.  Eigenschaften  des  Äthers.  Der  Äther,  Aether*) 
(C4H|  00),  ist  eine  farblose,  indifferente,  neutrale,  dünne 
und  höchst  flüchtige  Flüssigkeit,  von  starkem,  eigenem 
Geruch  und  brennendem  Geschmack.  Er  siedet  schon 
in  lauer  "Wärme  (bei  35°),  verdunstet  daher  sehr  schnell 
und  erzeugt  dabei  bedeutende  Abkühlung ;  er  besitzt 
das  spez.  Gew.  0,72,  schwimmt  daher  auf  dem  Wasser, 
womit  er  sich  nicht  mischt.  Er  löst  sich  leicht  in 
Weingeist  und  Ölen,  verlangt  aber  sein  zehnfaches 
Yolum  Wasser  zur  Lösung.  Da  weingeisthaltiger 
Äther  vom  Wasser  leichter  gelöst  wird,  so  prüft 
man  ihn  auf  einen  Weingeistgehalt,  in- 
dem man  gleiche  Yolumteile  Äther  und  Wasser  in 
einem  graduierten  Glascylinder  (Ätherproberöhre,  Fig. 
70)  zusammenschüttelt;  das  (unten  befindliche)  Wasser 
darf  dann  nicht  mehr  als  um  i/Xo  (1  Teilstrich)  zu- 
nehmen. 

Der  Äther  ist  höchst  brennbar,  da  er 
leicht  verdampft  und  sein  Dampf  mit  Luft  gemengt 
beim  Entzünden  ähnlich  dem  Knallgas  explodiert, 
wesshalb  es  gefährlich  ist,  ihm  eine  Flamme 
zu  nähern,  was  beim  Umfüllen  von  Äther  bei  Licht 
wohl  beachtet  werde! 


Prüfung  des  Äthers:  Er  darf  nach  dem  Verdunsten  auf  Fliesspapier 
keinen  Geruch  hinterlassen  (fuseliger  Geruch:  Weinöl),  Lackmuspapier 
nicht  röten  (Schwefelsäure,  Essigsäure),  an  ein  gleiches  Volumen  Wasser 
nur  1/10  abgeben  (wenn  mehr:    Weingeist). 

§  235.  Wie  gewinnt  man  den  Äther?  Der  Äther  entsteht  beim 
Erhitzen  von  Weiugeist  mit  konz.  Schwefelsäure.  Man  mischt 
4  Teile  vom  ersterem  mit  3  Teilen  der  letzteren  und  destilliert 
aus  einem  Kolben  (Fig.  71b),  durch  dessen  Tubulus  (k)  man 
aus  einem  höher  gestellten  Gefässe  (a)  Weingeist  nachfliessen 
lässt,  bis  im  ganzen  viermal  soviel  Weingeist  verbraucht  ist, 
als  man  Schwefelsäure  angewendet  hat.  In  der  Vorlage  (d)  sam- 
melt sich  der  gebildete  Äther  mit  Wasser  und  unverändertem 
Weingeist,  von  denen  jener  durch  eine  Rektifikation  getrennt 
werden  muss.  Man  rektifiziert  aus  dem  Wasserbad,  so  lange 
noch  reiner  Äther  übergeht. 

*)  Äther,  atörjp,  die  oberste  Luftschicht,  dann  überhaupt:  Luft,  Dunst. 


-     263 


Fig.  71. 

Theorie  der  Ätherbildung.    Der  Äther  stellt  das  Oxyd  des  im 
"Weingeist  enthaltenen  Äthvls  (C2H5)  dar: 
C4H1nO  =  (C2H5)20 

Äther  Äthyloxyd. 

Wie  geht  nun  der  Weingeist  (Äthylhydroxyd)  in  Äther 
(Äthyloxyd)  über?  Früher  glaubte  man,  dass  die  konz.  Schwefel- 
säure vermöge  ihrer  wasseranziehenden  Kraft  dem  Weingeist 
Hydratwasser  entzöge;  da  aber  die  wasseranziehende  Kraft  der 
Schwefelsäure  in  der  Wärme  geringer  als  in  der  Kälte  ist,  so 
kann  die  Säure  den  Weingeist  wohl  nicht  durch  Wasser- 
entzieh ung  ätherifizieren,  weil  dies  nicht  in  der  Kälte  ge- 
schieht. Die  Ätherbildung  besitzt  vielmehr  zwei  getrennte  Mo- 
mente :  1.  die  Bildung  von  Äthylschwefelsäure  aus  Schwefelsäure 


—     264     — 

und  Weingeist  beim  Vermischen,  2.  die  Zersetzung  derselben 
beim  Sieden.  Mischt  man  nämlich  Weingeist  mit  konzentrierter 
Schwefelsäure,  so  entsteht  Äthylschwefelsäure  (saures  schwefel- 
saures Äthyloxyd): 

I.  C2H60  +  H2S04  =  (C2H5)HS04  +  H20 

Weingeist         Schwefelsäure        Äthylschwefelsäure        Wasser. 

Beim  Sieden  zersetzt  sich  die  Äthylschwefelsäure  mit  Wein- 
geist in  Äther  und  Schwefelsäure. 

IL        (C2H5HS04  +  C2H60  =  (C2H5)20   +  H2S04 

Äthylschwefelsäure  Weingeist      _  Äther  Schwefelsäure. 

Der  Äther  entsteht   aus  der  AthyJschwefelsäure  beim  Sieden. 

Während  bei  der  Ätherdestillation  durch  den  stetig  ein- 
fliessenden  Weingeist  am  Rande  der  Retorte  die  Temperatur 
niedrig  gehalten  und  daselbst  stets  Äthylschwefelsäure  gebildet 
wird,  zerlegt  sich  dieselbe  fortwährend,  sobald  sie  in  der  Mitte 
der  Retorte  zum  Sieden  gelangt.  So  finden  wir  bei  der  Äther- 
destillation beide  Prozesse  gleichzeitig  neben  einander  verlaufen. 

Die  Äthylschwefelsäure,  gewöhnlich  Ätherschwefel- 
säure oder  Weinschwefelsäure  genannt  [(C2H5)HS04] ,  ist 
in  der  Mixtnra  sulfurica  acida  enthalten  und  sättigt  sich  mit 
Kalk  und  Baryt  zu  löslichen  (!)  Salzen. 

§  236.  Was  nennt  man  Ätherarten?  Wird  der  Weingeist  mit 
starken  Säuren  erhitzt,  so  entstehen  ätherartige  Verbin- 
dungen des  Äthyls  mit  den  angewendeten  Säuren. 
Diese  sog.  zusammengesetzten  Äther  oder  Ätherarten 
stellen  mithin  Äthylsalze  dar.  Ähnlich  wie  eine  Säure  sich 
mit  Kalihydrat  zu  einem  Kalisalze  sättigt,  verbindet  sich  die 
Säure  mit  dem  Weingeist  (Äthyloxydhydrat)  zu  Äthylsalz  und 
Wasser.     Offizin  eil  sind: 

1.  Der  Essigäther,  essigsaures  Äthyl,  Äthylacetat, 
Aether  aceticns  [(C2H5)C2H302].  Eine  farblose,  neutrale,  flüch- 
tige Flüssigkeit,  die  bei  74°  siedet,  das  spez.  Gew.  0,90  besitzt 
und  durchdringend  riecht.  Er  schwimmt  auf  dem  Wasser,  worin 
er  sich  eben  so  schwer  wie  der  Äther  löst.  Man  prüft  ihn  da- 
her auf  einen  Weingeistgehalt  in  gleicher  Art,  wie  beim  Äther 
angegeben  wurde. 

Der  Essigäther  wird  dargestellt  durch  Destillation  von  essig- 
saurem Natron  mit  Schwefelsäure  und  Weingeist.  Die  Schwefel- 
säure macht  aus  dem  Natronsalze  die  Essigsäure  frei,  schwefel- 
saures Natron  bildend;  die  Essigsäure  wirkt  alsdann  auf  den 
Weingeist,  ihn  in  Essigäther  und  Wasser  umsetzend: 

(C,H5)HO  +    C,H40,    =  (GH6)C2H302   +  H90 

Weingeist  Essigsäure  Essigäther  Wasser. 

Der  Essigäther  wird  durch  Schütteln  mit  Wasser  von  dem 
unverändert  übergegangenen  Weingeist  getrennt,  die  aufschwim- 


—    265     - 

mende  Ätherschicht  abgegossen  und  für  sich  aus  dem  Wasserbad 
rektifiziert.     Man  prüft  ihn  ähnlich  wie  den  Äther. 

2.  Der  Salpeteräther  ist  salpetrigsaures  Äthyl,  Äthyl- 
nitrit [(C2H5)N02],  eine  nach  Äpfeln  riechende,  flüchtige 
Flüssigkeit  und  im  versüssten  Salpetergeist,  Spiritus 
Aetheris  nitrosi,  enthalten.  Man  stellt  diesen  Spiritus  durch 
Destillation  von  Weingeist  mit  Salpetersäure  dar,  wobei  die 
letztere  sich  zu  salpetriger  Säure  reduziert,  Sauerstoff  an  den 
Weingeist  abgebend  und  einen  Teil  desselben  zu  Aldehyd 
(C2H40)  oxydierend.  Die  salpetrige  Säure  verwandelt  einen  anderen 
Teil  des  Weingeistes  in  salpetrigsaures'  Äthyl  und  Wasser: 

I.        HN03  +  C,H60  =  HN02  +  C2H40  +  H,0 

Salpeter-  Weingeist      salpetrige  Säure        Aldehyd  Wasser, 

säure 

IL  HNO,  +  C2H60  =  C,H5NO,  -f-  H20 

salpetrige  S.  Weingeist  salpetrigs.  Äthyl  Wasser. 

Der  Salpeteräther  destilliert  mit  dem  Aldehyd  über.  Da  das 
Aldehyd  durch  Sauerstoffanziehung  aus  der  Luft  allmählich  in 
Essigsäure  übergeht,  wird  der  versüsste  Salpetergeist  bei  der 
Aufbewahrung  sauer.  Man  bewahrt  ihn  deshalb  über  etwas 
weinsaurem  Kali  auf,  welches  die  entstehende  Essigsäure  bindet, 
saures  weinsaures  Kali  (Weinstein)  ausscheidend. 

3.  Das  salpetrigsaure  Amyl,  Amylnitrit,  Amylium 
nitrosum  [(C5H11)N02],  wird  erhalten  durch  Einwirkung  sal- 
petriger Säure  auf  Kartoffelfuselöl  (Amylalkohol);  eine  schwach- 
gelbliche, ätherische  Flüssigkeit,  deren  Dampf  beim  Einatmen 
starken  Blutandrang  nach  dem  Kopfe  erzeugt,  daher  gefährlich 
ist.  Es  säuert  leicht  bei  Luft-  und  Lichtzutritt,  wird  deshalb 
ebenfalls  über  weinsaurem  Kali  aufbewahrt. 

Der  Butteräther  (das  buttersaure  Äthyl)  ist  im  Rum,  der  Ameisen- 
äther (ameisensaures  Äthyl)  im  Arrak  enthalten;  der  Baldrianamyl- 
äther  (baldriansaures  Amyl)  dient  als  sogen.  Apfelöl,  der  Essigsäure- 
amyläther  (essigsaures  Amyl)  als  sogen.  Birnöl  zur  Aromatisierung. 

Praktische  Übungen. 

1.  Aether  aceticus.  (Fig.  72.)  Man  mische  20  Teile  englische 
Schwefelsäure  portionenweise  und  vorsichtig  zu  12  Teilen  Weingeist  und 
giesse  die  Mischung  in  einen  Kolben  zu  25  Teilen  grobgepulvertem  krystal- 
lisierten  essigsauren  Natron.  Dem  Kolben  füge  man  luftdicht  eine  gebogene 
Glasröhre  an,  deren  anderes  Ende  in  eine  in  Wasser  gestellte  leere  Flasche 
reiche,  erhitze  ihn  dann  in  einem  Gefässe  mit  siedendem  Wasser  und 
destilliere,  so  lange  etwas  übergeht.  Das  Destillat  werde  mit  kohlensaurem 
Kali  neutralisiert,  dann  mit  gleichviel  Wasser  geschüttelt  und  mittelst 
eines  Trichters  die  oben  schwimmende  Ätherschicht  von  der  wässerigen 
getrennt.  Um  den  Äther  wasserfrei  zu  machen,  schüttele  man  ihn  mit 
trocknem  Chlorcalcium  und  rektifiziere  ihn  schliesslich  aus  dem  Wasser- 
bad in  derselben  Weise  wie  zuvor. 


266 


iiifjiitiwii'i'' 
Fig.  7  2. 


Versuche. 

1.  Die  Flüchtigkeit  des 
Äthers  geht  sehr  deutlich  aus 
folgendem  Versuche  hervor.  Man 
giesse  einen  Theelöffel  Äther  in 
ein  leeres  300  g  -Glas,  schwenke 
dasselbe  gut  um,  sodass  der 
Äther  alle  Wandungen  benetzt 
und  möglichst  zur  Verdunstung 
gelangt,  darauf  gebe  man  etwa 
30^  Wasser  in  das  Glas,  schüttele 
es,  wohl  verschlossen,  stark  und 
öffne  es  schliesslich  umgewendet 
unter  Wasser  —  sofort  wird 
letzteres  gewaltsam  in  das  Glas 
gedrückt  werden  und  es  grossen- 
teils  füllen.  Der  Ätherdampf 
hatte  die  atmosphärische  Luft 
aus  dem  Gefässe  entfernt  und, 
nachdem  er  durch  das  Schütteln 
mit  Wasser  verschluckt  worden, 
einen  luftverdünnten  Raum  ge- 
schaffen, welcher  beim  Offnen 
des  Glases  vom  Wasser  einge- 
nommen wird. 


2.  Die  Verdunstungskälte,  welche  verdampfender  Äther  erzeugt, 
wird  wahrgenommen:  a)  Man  lasse  einen  Theelöffel  Äther  in  einer  offenen 
Porzellanschale  verdunsten  —  die  Unterseite  der  Schale  wird  sich  mit 
Tau  bedecken,  herrührend  von  der  Luftfeuchtigkeit  des  Raumes,  b)  Man 
umgebe  die  Kugel  eines  Thermometers  mit  etwas  Fliesspapier,  welches 
dann  mit  Äther  benetzt  wird;  das  Quecksilber  fällt  stark,  beispielsweise 
von  +  15°  auf  —  3°. 

3.  Siedepunkt  des  Äthers.  Man  tauche  einen  mit  etwas  Äther 
versetzten  Probiercylinder  in  lauwarmes  Wasser;  der  Äther  gelangt  zum  Sieden. 

Vorsichtsniassregeln  beim  Gebrauche  des  Äthers. 

1.  Wegen  seiner  Feuergefährlichkeit  öffne  man  nie  eine  Ätherflasche 
in  der  Nähe  eines  Lichtes,  am  wenigsten  bei  einer  offenen  Flamme. 

2.  Wegen  seiner  Ausdehnbarkeit  fülle  man  die  Ätherflaschen  nur 
zu  5/6  an,  anderenfalls  leicht  der  Stöpsel  abgehoben  wird,  wenn  man  die 
Flasche  aus  einem  kalten  Raum  (Keller)  in  einen  erwärmten  bringt. 

3.  Wegen  seiner  Leichtbeweglichkeit  bediene  man  sich  beim  Um- 
füllen des  Äthers  stets  eines  Trichters. 

4.  Wegen  seines  niedrigen  Siedepunktes  rektifiziere  man  den  Äther 
nur  aus  einem  lauwarmen  Wasserbade,  wobei  Sorge  zu  tragen  ist,  dass 
das  Wasserbad  beim  Einbringen  der  Retorte  resp.  Destillierblase  nicht 
schon  heiss,  sondern  noch  kalt  sei  und  erst  allmählich  angewärmt  werde. 
Dies  ist  zumal  bei  der  Wiedergewinnung  des  Äthers  aus  ätherischen 
Extrakten  zu  beachten. 


—    267 


38.  Ohloral  und  Chloroform. 

§  237.  Wie  wirkt  freies  Chlorgas  auf  Alkohol?  Leitet  man  Chlor- 
gas  durch  verdünnten  Weingeist,  so  entstehen  verschiedene  chlor- 
haltige Produkte,  deren  wichtigste  der  leichte  und  schwere 
Salzäther  —  Chloräthyl  und  Chloral  —  sind. 

Das  Chlor  entzieht  einem  Molekül  Weingeist  zwei  Wasser- 
stoffatome, welche  in  Verbindung  mit  dem  Chlor  als  Salzsäure 
austreten,  während  der  Weingeist  zu  Aldehyd  wird.  Auf 
letzteres  wirkt  Chlor  weiter  ein,  ihm  Wasserstoff  entziehend  und 
Salzsäure  bildend ;  an  die  Stelle  des  ausgeschiedenen  Wasserstoffs 
tritt  Chlor  in  die  Atomgruppe  des  Aldehyds  ein,  eiü  gechlor- 
tes Aldehyd  bildend.  Das  Trichloraldehyd  wurde  vom  Ent- 
decker Liebig  Chloral*)  genannt  und  hat  zur  Formel  (C2HC130) 
Der  Prozess  erhellt  aus  folgender  Gleichung: 
I.  C4H60    +    8C1    =    C2(HC13)0    4-    5HC1 

Alkohol  Chlor  Chloral  Salzsäure. 

Neben  diesem  Vorgang  verläuft  ein  zweiter,  indem  die  ent- 
stehende Salzsäure  auf  unzersetzten  Alkohol  einwirkt  und  Äthyl- 
chlorid (C2H5C1)  neben  Wasser  erzeugt.     Nämlich: 
II.         C2H60       +      HCl      =      C2H5C1      +      H20 

Alkohol  Chlorwasserstoff  Äthylchlorid  Wasser. 

§  238.  Chloral  und  Chloräthyl.  Das  Chloral  ist  eine  neu- 
trale, farblose,  flüchtige  Flüssigkeit,  von  durchdringendem  Geruch, 
mit  Wasser  in  allen  Verhältnissen  mischbar,  aber  schwerer  als 
dieses,  daher  auch  schwerer  Salzäther  genannt.  —  Das 
Chloräthyl  bildet  eine  höchst  flüchtige,  schon  in  mittlerer 
Temperatur  siedende  Ätherart,  welche  leichter  ist  wie  Wasser, 
daher  auch  leichter  Salzäther  genannt  wird.  Beide  Pro- 
dukte sind  in  folgenden  Präparaten  enthalten: 

1.  Versüsster  Salzgeist,  Spiritus  Aetheris  chlorati,  ein 
Destillat  aus  Weingeist  mit  Salzsäure  und  Braunstein.  Diese 
chlorliefernde  Mischung  erzeugt  aus  dem  Weingeist  Chloral  und 
Chloräthyl,  welche  mit  unverändertem  Weingeist  überdestillieren. 
Man  neutralisiert  das  Salzsäure  enthaltene  Destillat  mit  Kalk- 
hydrat und  rektifiziert  es.  Das  Präparat  stellt  eine  wein- 
geistige Lösung  von  Chloral  und  Äthylchlorid  dar. 

2)  Ätherische  Chloreisen tinktur,  Tinctura  Ferri 
chlorati  aetherea,  eine  Mischung  aus  ätherhaltigem  Weingeist  mit 
Eisenchloridflüssigkeit,  welche  durch  direktes  Sonnenlicht  farblos 
gemacht  wird  und  nachher  im  Schatten  allmählich  wieder  eine 
gelbliche  Farbe  annimmt.  Durch  Einwirkung  des  Lichtes  redu- 
ziert sich  nämlich  das  Eisenchlorid   zu  Chlorür;   das  abgegebene 

*)  Chloral  aus  Chlor  und  den  Anfangsbuchstaben  von  Alkohol  gebildet. 


—     268     — 

Chlor  erzeugt  mit  Weingeist  Chloral  und  Chloräthyl,  welche  in 
der  Tinktur  gelöst  bleiben.  Im  Schatten  zieht  das  Eisenchlorür 
aus  der  Luft  Sauerstoff  an  und  geht  in  gelbliches  Eisenoxychlorid 
(F2C140)  über. 

§  239.  Chloralhydrat.  Wenn  zu  1  Teil  Chloral  4/8  Teil  Wasser 
gesetzt  wird,  so  gesteht  es  zu  einem  Krystallbrei ,  Chloral- 
hy  drat,  Chloratum  hydratum  (C2HC130,H20),  welches  farblose, 
durchsichtige  Kry stalle  von  durchdringendem  Geruch  und  beissen- 
dem  Geschmack  bildet,  sich  leicht  in  Wasser  und  Weingeist  löst, 
bei  56—58°  schmilzt  und  nahe  bei  95°  siedet.  Konz.  Schwefel- 
säure entzieht  ihm  das  Wasser  und  scheidet  farbloses  flüssiges 
Chloral  ab.  Es  wirkt  in  kleinen  Gaben  beruhigend  und  ein- 
schläfernd, in  grösseren  anästhesierend. 

Wichtig  ist  das  Yerhalten  des  Chloralhydrats  gegen  ätzende 
Alkalien.  Erwärmt  man  es  mit  Kalilauge,  so  scheidet  sich  Chlo- 
roform (CHC13)  ab,  und  ameisensaures  Kali  geht  in  Lösung 
über.  Die  Spaltung  des  Chloralhydrats  in  Chloroform  und 
Ameisensäure,  unter  dem  Einflüsse  starker  Basen,  erklärt 
sich  folgendermassen : 

C2HC130,H20     =     CHCI3     +     CH202 

Chloralhydrat  Chloroform.  Ameisensäure. 

Darstellung  des  Chloralhydrats:  Man  leitet  Chlor- 
gas bis  zur  vollständigen  Sättigung  durch  wasserfreien  Weingeist; 
dabei  bleibt  das  entstehende  Chloral  in  Yerbindung  mit  Weingeist 
(Chloralalkoholat)  im  Gefässe  zurück ,  während  die  sich  bildende 
Salzsäure  nebst  Chloräthyl  mit  dem  nicht  absorbierten  Chlorgase 
entweicht.  Aus  dem  rückständigen  Chloralalkoholat  wird  durch 
konz.  Schwefelsäure  das  Chloral  abgeschieden,  letzteres  alsdann 
rektifiziert  und  mit  1/s  Teil  Wasser  gemischt  zur  Krystallisation 
bei  Seite  gestellt. 

Prüfung  des  Chloralhydrats:  Seine  wässerige  Lösung  röte  nicht  das 
blaue  Lackmuspapier  (Salzsäure),  und  scheide,  mit  Salpetersäure  ange- 
säuert, mit  Silberlösung  keinen  'weissen  Niederschlag  (CA/orsilber)  ab.  Beim 
Erhitzen  auf  Platinblech  darf  es  nicht  mit  gelber  Flamme  brennen  (Chloral- 
alkoholat). 

§240.  Chloroform  und  Jodoform.  Das  Chloroform*),  Chloro- 
form ium  (CHC13),  ist  eine  farblose  neutrale  Flüssigkeit,  von  äthe- 
rischem Geruch,  im  Wasser   untersinkend  und  darin  kaum  lös- 


*)  Chloroform  wurde  von  Liebig  nach  Chlor  und  den  Anfangs- 
buchstaben von  Formyl  (CH),  welches  als  das  Radikal  der  Ameisensäure 
galt,  benannt,  als  dessen  Chlorid  er  es  ansah. 

Jetzt  betrachtet  man  das  Chloroform  als  Kohlenwasserstoff  (Methan, 
CH4),  in  weclhem  drei  Atome  Wasserstoff  durch  Chlor  vertreten  sind;  man  be- 

TT 

zeichnet  es  hiernach  alsTrichlormethan;  seine  Strukturformel  ist:   C=v^ 


—    269    — 

lieh,  leicht  mischbar  mit  Weingeist,  Äther,  ölen,  bei  62°  siedend. 
kSpez.  Gewicht  1,50,  bei  einem  kleinen  G-ehalte  an  Weingeist 
1,485=1,489.  Es  wirkt  auf  den  tierischen  Organismus  anästhe- 
sierend (Gefühl-  und  Bestimmungslosigkeit  hervorrufend)  ein. 
Am  Lichte  zersetzt  sich  reines  Chloroform  allmählich,  weingeist- 
haltiges  aber  weit  langsamer. 

Man  gewinnt  das  Chloroform: 

1.  Durch  Destillation  des  Chloralhydrats  mit  Alkalien  (vgl.  §  239). 

2.  Aus  verdünntem  Weingeist  durch  Destillation  mit  Chlorkalk. 
Hierbei  entsteht  durch  Einwirkung  des  Chlors  auf  den  Weingeist 
Chloral,  welches  sich  mit  dem  Kalke  in  ameisensauren  Kalk  und 
Chloroform  umsetzt: 

2C2HC130    +     CaH202     =    2CHCL,     -+-     Ca2(CH02) 

Chloral  Kalkhydrat  Chloroform  ameisensaurer  Kalk. 

Das  aus  Cloralhydrat  dargestellte  Chloroform  hat  den  Yorzug 
grösserer  Reinheit. 

Prüfung:  Das  mit  Chloroform  geschüttelte  Wasser  darf  weder  blaues 
Lackmuspapier  röten  (Salzsäure),  noch  durch  Silberlösung  sich  trüben 
(weisse  Trübung:  CV^orsilber);  mit  Jodkaliumlösung  in  Berührung  ge- 
brachtes Chloroform  röte  sich  nicht  (anderenfalls  es  freies  Chlor  enthält, 
"welches  aus  dem  Jodkalium  Jod  ausscheidet,  das  sich  mit  roter  Farbe  im 
Chloroform  auflöst).  Konzentrierte  Schwefelsäure  darf  sich  beim  Schütteln 
mit  Chloroform  nicht  bräunen  (fremde  gechlorte  Produkte). 

Dem  Chloroform  entspricht  das  Jodoform,  Jodoformium 

(CHJ3) ,  ein  jodartig  riechender,  im  Wasser  unlöslicher,  nicht 
ätzender  Körper,  welcher  in  gelben  Blättchen  krystallisiert.  Es 
scheidet  sich  aus,  wenn  man  Jod  mit  sehr  verdünntem  Weingeist 
und  kohlensaurem  Alkali  erhitzt;  zugleich  entsteht  Jodid  und 
ameisensaures  Alkali  (durch  Zersetzung  des  zunächst  sich  bilden- 
den Jodais). 
I.  C.2H60  +  8J  +  5KHC03  =  C2HJ30  +  5KJ  +  5H20  +  5C02 

Weingeist  Jod       Kalibikarbonat  Jodal  Jodkalium      Wasser     Kohlensäure. 

IL     C2HJ30     +    KHC03     =  CHJ3     +    KCH02     -4-     C02 

Jodal  Kalibikarbonat  Jodoform  ameisens.  Kali        Kohlensäure. 

Wenn  man  ein  Gemenge  gleicher  Volumteile  Chlorgas  und  schweres 
Kohlenwasserstoffgas  (Olgas,  C2H4)  dem  direkten  Sonnenlichte  aussetzt,  so 
verbinden  und  verdichten  sie  sich  zu  einer  ölartigen  Flüssigkeit,  dem 
Äthylenchlorid,  Aethylenum  chloratum  (C2H4C12).  Man  nennt  die- 
selbe, da  sie  von  holländischen  Chemikern  entdeckt  wurde,  holländische 
Flüssigkeit  (Liquor  hollandicus),  auch  Ol  der  holländischen 
Chemiker,  Elaylchlorid.  Ein  in  seiner  Wirkung  und  sonstigen  Eigen- 
schaften dem  Chloroform  sehr  ähnliches  Liquidum,  aber  leichter  (spez.  Gew. 
1,27)  und  mit  höherem  Siedepunkte  (85°). 

Versuche  und  praktische  Übungen. 

1.  Chloroform  aus  Chloralhydrat.  Man  übergiesse  etwa  10  g 
Chloralhydrat  in  einem  Kölbchen  mit  gleichviel  Kali-  oder  Natronlauge, 
verdünne  mit  Wasser  und  erwärme  gelinde.  Die  sich  trübende  Flüssigkeit 
scheidet  beim  Stehenlassen  eine  Chloroformschicht  unter  sich  ab,  die  man 
durch  einen  Trichter  von  der  Salzlösung  trennen  kann. 


—     270    — 

2.  Darstellung  von  Jodoform.  Man  übergiesse  1  Teil  doppelt- 
kohlensaures Kali  in  einem  Probiercylinder  mit  7,5  Teilen  Wasser,  füge 
2,5  Teile  Weingeist  hinzu,  erwärme  gelinde  und  gebe  12  Teile  Jod  in 
kleinen  Portionen  hinzu,  jedesmal  die  Entfärbung  der  sich  bräunenden 
Flüssigkeit  abwartend.  Bleibt  zuletzt  die  Farbe  stehen,  so  füge  man  noch 
etwas  kohlensaures  Kali  zu.  Es  scheidet  sich  gelbes  Jodoform  ab,  welches 
nach  dem  Erkalten  abfiltriert  werde.  Die  Flüssigkeit  liefert  bei  starkem 
Eindampfen  Jodkaliumkrystalle. 

Fragen  unfl  stöchioinetrisclie  Aufgaben. 

1.  Worauf  beruht  die  schlaf  bringende  Wirkung  des  Chloralhydrats? 
—  Antw.  Auf  seiner  allmählichen  Zersetzung  in  Chloroform  durch  das 
alkalische  Blut. 

2.  Wieviel  Chloroform  erhalten  wir  aus  1  kq  Chloralhydrat  ?  — 
Antw.  C2HC130,  H20  :  CHC13  =  165,5  :  119,5;  x  =  1.722  #. 

3.  Wie  unterscheidet  man  Chloroform  vom  Athylenchlorid  durch 
eine  einfache  Probe?  —  Antw.  Man  giebt  einige  Tropfen  in  Liq.  Kali 
carbon. :  Chloroform  sinkt  darin  unter,  Athylenchlorid  schwimmt  auf  demselben. 


39.  Die  Fette  und  das  Glycerin, 

§  241.  Wie  charakterisieren  sich  die  Fette?  Unter  Fetten  ver- 
steht man  Körper,  welche  1.  sich  fettig  anfühlen,  auf  Papier 
einen  bleibenden  Fettfleck  machen,  2.  auf  dem  Wasser 
schwimmen  und  sich  nicht  darin  auflösen,  aber  sehr 
leicht  von  Äther  aufgelöst  werden,  3.  neutrale  Reaktion 
besitzen  und  4.  sich  nicht  verflüchtigen.  Was  man  das 
„Sieden"  des  Fettes  nennt,  ist  kein  Übergang  desselben  in  Dampf- 
form, sondern  eine,  etwa  bei  300°  eintretende  Zersetzung  desselben. 

Man  findet  die  Fette  sowohl  im  Tierreich  wie  im  Pflanzen- 
reich weit  verbreitet.  Man  schmilzt  sie  aus  den  tierischen  Ge- 
weben, z.  B.  dem  Netze  und  der  Partie  um  die  Meren  oder  der 
Leber  (wie  den  Leberthran),  oder  presst  sie  aus  Früchten  (z.  B. 
Oliven)  und  Samen  (z.  B.  Leinsamen,  Mohnsamen,  Rübsamen, 
Rizinussamen)  u.  s.  f. 

Nach  ihren  Eigenschaften  teilt  man  die  Fette  in  drei 
Gruppen : 

a)  Fette  Öle,  welche  in  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig  sind. 
Je  nach  ihrem  Verhalten  an  der  Luft  unterscheidet  man  sie  wieder  als : 

a.  Nichttrocknende  Öle,  welche  an  der  Luft  nicht  ein- 
trocknen. Zu  ihnen  gehören  das  Olivenöl  (Oleum  Olivarum) 
aus  den  Oliven,  das  Mandelöl  (Ol.  Amygdalarum)  aus  den 
süssen  wie  bitteren  Mandeln,  das  Rüböl  aus  dem  Rübsamen, 
der  Leberthran  (Ol.  Jecoris  Aselli)  aus  der  Leber  des 
Kabeljau,  Dorsch  und  Köhler,  das  Knochenöl  aus  dem  Knochen- 
marke. Diese  Öle  zeigen  ein  besonderes  Yerhalten  gegen  sal- 
petrige Säure,  wodurch  sie  in  festes  Fett  (Elaidin)  übergehen; 
wenn  man  ein  nichttrocknendes  Öl  mit  rauchender  Salpetersäure 


—    271     — 

oder  mit  Salpetersäure  und  Kupferschnitzeln  schüttelt,  so  gesteht 
es  nach  mehreren  Stunden  (Elai'dinprobe). 

ß)  Trocknende  öle,  welche  an  der  Luft  zu  einer  festen 
Haut  eintrocknen.  Hierhin  gehören  das  Leinöl  (OL  Lini)  aus 
dem  Leinsamen,  das  Mohnöl  (Ol.  Papaveris)  aus  dem  Mohn- 
samen, das  Ricinusöl  (Ol.  Ricini)  aus  dem  Ricinussamen. 
Wegen  des  Eintrocknens  benutzt  man  sie  zu  Firnisüberzügen 
und  erhöht  diese  Eigenschaft  durch  Erhitzen  der  Öle  mit  Blei- 
zucker (gekochtes  Leinöl!). 

b)  Schmalze  und  Butter,  halbweiche,  in  gelinder  Wärme 
schmelzende  Fette.  Hierhin  gehören  das  Schweineschmalz 
(Adeps  suillus)  aus  dem  Netze  und  der  Nierenumgebung  des 
Schweines,  die  Butter  (Butyrum)  aus  der  Milch,  das  Lor- 
beeröl  (Ol.  Lauri)  aus  den  Lorbeeren,  das  Muskatnussöl 
(Ol.  Myristicae)  aus  den  Muskatnüssen,  das  Kokosöl  (Ol. 
Cocois)  aus  den  Kokosnüssen. 

c)  Talge,  feste  Fette  Ton  mehr  oder  weniger  krystallinischer 
Natur.  Hierhin:  der  Talg  (Sebum)  aus  der  Nierenumgebung 
des  Schafes,  Rindes  und  Hirsches,  der  Walrat  (Cetaceum) 
aus  dem  flüssigen  Fette  der  Schädelhöhlen  des  Potwals,  das 
Kakaoöl  (Oleum  Cacao)  aus  den  Kakaobohnen,  das  Wachs 
(Cera),  ein  Sekret  der  Bienen,  sowie  das  japanische  und  chi- 
nesische Wachs,  beides  Pflanzenwachse. 

§  241.  Wie  sind  die  Fette  zusammengesetzt?  Die  Zusammen- 
setzung der  Fette  ähnelt  derjenigen  der  zusammesgesetzten  Äther. 
Sie  sind  nämlich  Yerbindungen  eines  organischen  Radikals 
mit  einer  Fettsäure.  Das  basische  Radikal  ist  in  den  meisten 
Fetten  das  dreiwertige  Glyceryl  (C3H5),  welches  bisher  noch, 
nicht  isoliert  worden  ist.  Es  bildet  in  Verbindung  mit  den  Fett- 
säuren, vorzugsweise  der  flüssigen  Ölsäure,  derfesten  Palmitin- 
säure, Margarinsäure  und  Stearinsäure  die  verschie- 
denen Fette. 

In  den  Ölen  herrscht  das  Ölsäure  Glyceryl,  Olein  ge- 
nannt, vor  und  bildet  z.  B.  75%  des  Mandelöls,  72%  des  Oliven- 
öls. Im  Ricinusöl  finden  wir  drei  besondere  Fettsäuren: 
Ricinölsäure,  Ricinsäure  und  Ricinstearinsäure.  Im  Krotonöl  ist 
neben  dem  Olein  noch  die  scharfe,  flüchtige  Krotonsäure  ent- 
halten. In  den  trocknenden  Ölen  nimmt  man  statt  der  Ölsäure 
Olinsäure  an. 

Die  Schmalze  bestehen  vorzugsweise  aus  palmitinsaurem 
und  margarinsaurem  Glyceryl,  sog.  Palmitin  und 
Margarin.  Die  Butter  enthält  daneben  buttersaures  Glyceryl 
(Butyrin),  das  Muskatnussöl  besitzt  noch  myristicinsaures,  das 
Lorbeeröl  laurosterinsaures  Glyceryl. 


—     272    — 

In  den  Talgen  herrscht  das  stearinsaure  Glyceryl,  sog. 
Stearin*),  vor,  mehr  oder  weniger  gemengt  mit  margarin-  und 
palmitinsaurem  Glyceryl.  Der  Walrat  ist  keine  Glycerylverbin- 
dung,  ebensowenig  das  Wachs.  Der  Walrat  besteht  aus  pal- 
mitinsaurem Cetyl,  das  Wachs  aus  palmitinsaurem 
Melissyl  (Myricyl),  mit  etwas  Cerotinsäure  gemengt. 

§  243.  Wie  zersetzen  sich  die  Fette?  Unter  dem  Einflüsse 
starker  Basen,  sowie  bei  höherer  Erhitzung  werden  die  Fette  zer- 
setzt und  scheiden  ihre  Säuren  ab.  Diese  Zersetzung  ist  der 
einer  Salzverbindung  analog:  einerseits  entsteht  eine  Fett- 
säure, andererseits  das  Oxydhydrat  des  Glyceryls,  das 
sog.  Glycerin. 

Bei  der  Zerlegung  der  Fette  durch  eine  Base  erfolgt  die  Ab- 
scheidung von  Glycerin. 

Je  nachdem  die  Base  ein  Alkali  (alkalische  Erde)  oder  ein 
Schwermetalloxyd  (namentlich  Bleioxyd)  ist,  nennen  wir  die  Ope- 
ration Yerseifung  oder  Pflasterbildung,  da  man  das  fettsaure 
Alkali  Seife,  fettsaures  Bleioxyd  Pflaster  nennt.  Es  leuchtet 
ein,  dass  bei  solchen  Zersetzungen  Wasser  zugegen  sein  muss, 
damit  sich  Glyceryloxydhydrat  bilden  kann.  Aus  ölsaurem 
Glyceryl  und  Natronhydrat  entstehen  also  ölsaures  Natron  (Na- 
tronölseife)  und  Glycerin;  nämlich: 

I.     C8H53ÖI    +     3NaH0     =     3NaÖ~l     +     C3H803 

ölsaures  Glyceryl  Natronhydrat  ölsaures  Natron  Glycerin. 

Aus    ölsaurem  Glyceryl    und  Bleiglätte,    unter  Zugabe    von 
Wasser,   entstehen  ölsaures  Bleioxyd  (Bleipflaster)   und  Glycerin; 
nämlich : 
IL    2C3H53Öi  H-   3PbO  +  3H20  =  3Pb2Öl  +  2C3H803 

ölsaures  Glyceryl  Bleioxyd  Wasser        ölsaures  Bleioxyd  Glycerin. 

Auch  überhitzter  Wasserdampf  zerlegt  die  Fette  und  zwar 
in  freie  Fettsäure  und  Glycerin,  nämlich  : 

III.     C3H5301    +    3H20    =    3HÖI     +     C3H803 

ölsaures  Glyceryl  Wasser  Ölsäure  Glycerin. 

Das  Ranzigwerden  der  Fette  ist  eine  ähnliche  Zersetzung, 
wobei  die  Fettsäure  frei  wird  und  dem  ranzigen  Fette  saure 
Reaktion  erteilt. 

Wenn  aber  die  Glycerylverbindungen,  ohne  Gegenwart  von 
Wasser,  durch  Bleioxyd  zersetzt  werden  oder  im  sogenannten 
Sieden  der  freiwilligen  Zersetzung  unterliegen,  so  kann  sich  kein 
Glycerin  bilden,  sondern  das  Glyceryloxyd,  von  der  Fettsäure  ge- 
trennt, entweicht  (unter  Verlust  von  1  Wasserstoff-  und  1/2  Sauer- 

*)  Man  verwechsle  dieses  Stearin  nicht  mit  dem  Stearin  des  Han- 
dels, welches  Stearinsäure  ist. 


—    273     - 

stoffatom)  als   Acrol   (C3H40)   in  Form  höchst  scharf  riechender 
und  thränenreizender  Dämpfe. 

§  244.  Seifen  und  Pflaster.  Die  Seifen  sind  fettsaure  Al- 
talien. Sie  entstehen  durch  Einwirtimg  heisser,  ätzender  Altali- 
laugen auf  die  Fette.  Bei  Anwendung  von  Kalilauge  gewinnt 
man  die  Kali  seifen,  welche  sich  durch  grössere  Weichheit 
auszeichnen  und  die  Schmierseife,  die  schwarze  oder  grüne 
Seife,  Sapo  kalinus  (Sapo  viridis),  darstellen.  Man  gewinnt 
sie  durch  Kochen  von  geringwertigen  Ölen  (technisch  aus  Palmöl 
und  Fischthran)  mit  Kalilauge.  Eine  Scheidung  der  gebildeten 
Seife  vom  Glycerin  findet  hierbei  nicht  statt.  —  Die  Natron- 
seifen  sind  härter  und  lassen  eine  Trennung  von  Grlycerin  zu, 
indem  man  die  aus  Natronlauge  und  Fett  gewonnene  Seifen- 
lösung mit  Kochsalz  versetzt  („aussalzt");  da  die  Seife  in  einer 
gesättigten  Kochsalzlösung  nicht  löslich  ist,  so  scheidet  sie  sich 
alsdann  aus  und  bildet  nach  dem  Ertalten  eine  starre  Decke 
über  der  glyeerinhaltigen  Unterlauge.  In  früherer  Zeit,  als  Soda 
und  Natron  noch  sehr  teuer  waren,  stellte  man  die  Seife  aus- 
schliesslich mit  Kalilauge  her ;  beim  Aussalzen  ging  die  Kaliseife 
in  Natronseife  über,  eine  entsprechende  Menge  Chlornatrium  in 
Chlortalium  (Seifensiederfluss)  verwandelnd.  (KOI  -f-  NaCl  = 
NaÖl  +  KCl.) 

Aus  den  geringwertigen  Olivenölsorten  stellt  man  in  Süd- 
frantreich  und  Italien  die  spanische  oder  venetianische 
Seife,  Sapo  oleaceus  (hispanicus,  venetus),  eine  01- 
natronseife,  her.  In  verdünntem  Weingeist  aufgelöst  bildet  die 
Natronseife  den  Seifenspiritus,  Spiritus  saponatus.  Aus 
dem  Talge  tocht  man  die  Hausseife,  Sapo  domesticus,  eine 
Stearinnatronseife. 

Die  medicinische  Seife,  Sapo  medicatus,  ist  eine  im 
pharmazeutischen  Laboratorium  durch  Digestion  von  Olivenöl  und 
Schweineschmalz  mit  Ätznatronlauge  dargestellte  und  mit  Koch- 
salz ausgesalzene  Ölnatronseife,  dem  Wesen  nach  übereinstimmend 
mit  der  spanischen  Seife,  aber  ohne  Rückhalt  an  Ätznatron  und 
Kochsalz,  welche  sich  durch  einen  scharfen  resp.  salzigen  Ge- 
schmact  verraten  würden.  Schwefelwasserstoffwasser  darf  die 
wässerige  Seifenlösung  nicht  verändern  (dunkle  Trübung :  Schwer- 
metalle!), Quecksilberchlorid  keinen  roten  Niederschlag  (kohlen- 
saures und  ätzendes  Alkali)  hervorrufen.  —  Eine  heiss  bereitete 
weingeistige  Lösung  der  medizinischen  Seife  gelatiniert  beim  Er- 
kalten (Opodeldoc). 

Man  verwendet  die  Seifen  zur  Reinigung,  da  sie  sich  im 
Wasser  zerlegen  und  unter  Abscheidung  von  saurem  fettsauren 
Alkali,  welches  das  Seifenwasser  trübe  macht,  freies  Alkali  an 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  18 


—     274     — 

das  Wasser  abgeben.  Mit  wenig  warmem  Wasser  liefern 
sie  dagegen  einen  Kleister,  den  sog.  Seifen  leim.  Die  Kalk- 
und  Magnesiaseifen  lösen  sich  nicht  in  Wasser  auf. 
Daher  wirkt  kalkhaltiges  Brunnenwasser  zersetzend  auf  die  Seife 
ein  und  giebt  mit  Seifenlösungen  (Seifenspiritus)  Niederschläge. 
Ätzammoniak  liefert  mit  den  Fetten  keine  Seife,  son- 
dern nur  eine  emulsionsartige  Mischung,  flüchtiges  Liniment, 
Linimeutum  ammoniatum. 

Das  Bleipflaster,  Emplastrum  Lithargyri  (Plumbi), 
wird  aus  Öl  und  Schweineschmalz  durch  mehrstündiges  Kochen 
mit  Bleiglätte  und  Wasser  dargestellt.  Das  G-lycerin  entfernt  sich 
beim  Auswaschen  des  gewonnenen  Pflasters  mit  Wasser  (beim 
Malaxieren).  Wird  das  Fett  mit  Bleiweiss  gekocht,  so  geht  bei 
etwa  125°  die  Pflasterbildung  ebenfalls  vor  sich,  wobei  das  Blei- 
weiss sich  in  Bleioxyd  und  neutrales  kohlensaures  Bleioxyd  spaltet ; 
ersteres  vollzieht  die  Pflasterbildung,  letzteres  mischt  sich  dem 
gebildeten  Pflaster  bei  —  Bleiweisspflaster,  Emplastrum  Ce- 
russae.  Wenn  beim  Pflasterkochen  kein  Wasser  zugesetzt  wird, 
wie  beim  Kochen  des  Öls  mit  Mennige  zu  Mutterpflaster, 
Emplastrum  fuscum,  so  bildet  das  Glyceryloxyd  kein  Glycerin, 
sondern  Acroldämpfe  (vgl.  S.  272);  zugleich  schwärzt  sich  die 
Pflastermasse  durch  die  höhere  Temperatur. 

§  245.  Die  Fettsäuren.  Zu  den  nicht  flüchtigen  Fettsäuren 
gehören : 

Die  Palmitinsäure  (C16H32Oä),  eine  weisse,  krystalli- 
nische  Fettmasse,  die  bei  62°  schmilzt. 

Die  Margarinsäure  (C17H340.2),  der  vorigen  sehr  ähn- 
lich, in  perlmutterglänzenden  Schuppen  krystallisiert. 

Die  Stearinsäure  (C18H3602),  das  Stearin  des  Han- 
dels, eine  weisse,  starre  Masse,  die  bei  71°  schmilzt.  Man  ver- 
wendet sie  zu  Stearinkerzen.  Bei  der  Stearinfabrikation  zer- 
setzt man  den  Talg  mit  Ätzkalk,  wobei  sich  unlösliche  Talgkalk- 
seife abscheidet,  welche  man  mit  verdünnter  Schwefelsäure  erwärmt ; 
über  dem  Gips  schwimmt  alsdann  die  Stearinsäure,  sie  wird  ab- 
gezogen und  in  die  Formen  gegossen. 

Die  Ölsäure  (C18H3402),  eine  flüssig-ölige,  ursprüngüch 
farblose  Masse,  die  sehr  schnell  an  der  Luft  Sauerstoff  anzieht 
und  sich  mit  der  Zeit  immer  dunkler  färbt. 

Die  Lösungen  der  Fettsäuren  in  Weingeist  reagieren  sauer. 

§  246.  Glycerin.  Das  Glycerin,  Glycerinum  (C3H803),  vom 
Entdecker  Scheele  wegen  seines  süssen  Geschmackes  Ölsüss 
genannt,  bildet  im  reinen,  konzentrierten  Zustande  eine  farb- 
und  geruchlose ,  völlig  indifferente  und  neutrale ,  syrupdicke 
Flüssigkeit.     Es  ist  als  das    Oxydhydrat    des  dreiwertigen 


—     275     - 

Glyceryls  (C3H803  =  C3Hä3HO*))  zu  betrachten,  und  da  es 
sich  zu  demselben  verhält  wie  der  Alkohol  zum  Äthyl,  so  hat 
man  es  auch  Glycerylalkohol  genannt. 

Man  gewinnt  das  Glycerin  bei  der  Zersetzung  der  Fette  als 
Nebenprodukt,  daher  in  der  Seifensiederei  als  Bestandteil  der  koch- 
salzhaltigen Unterlauge,  beim  Pflasterkochen  im  Wasser,  womit 
das  Bleipflaster  malaxiert  wurde,  in  der  Stearinfabrikation  u.  s.  f. 
Das  rohe  Glycerin  ist  stets  verunreinigt  mit  Kochsalz,  Kalk,  Blei- 
oxyd, je  nachdem  es  bei  einer  der  genannten  Operationen  erhalten 
wurde;  ausserdem  ist  es  mehr  oder  weniger  mit  übelriechenden 
und  braun  färbenden  Materien  beladen  (herrührend  von  den 
geringwertigen  Fettstoffen).  Man  befreit  es  von  den  letzteren 
durch  Filtration  durch  Tierkohle,  von  den  unorganischen  Verun- 
reinigungen durch  Auskrystallisieren  der  Salze,  Einleiten  von 
Schwefelwasserstoff  u.  dgl. 

Zum  medizinischen  Gebrauch  darf  nur  destilliertes  Gly- 
cerin verwendet  werden.  An  der  Luft  lässt  sich  zwar  das  Gly- 
cerin nicht  unzersetzt  verflüchtigen,  da  es  sich  beim  Erhitzen  in 
Acrol  (C3H40)  und  Wasser  zerlegt;  aber  in  einer  Wasserdampf- 
atmosphäre siedet  es  bei  200°.  Man  destilliert  es  also  mittelst 
überhitzten  Wasserdampfes,  der  in  das  in  einer  Betorte  befindliche 
Glycerin  geleitet  wird,  und  dampft  es  zum  spez.  Gew.  1,225 — 1,235 
ein.  Noch  reiner  gewinnt  man  das  Glycerin  durch  Krystallisation ; 
konz.  Glycerin  krystallisiert  nämlich  bei  0°. 

Prüfung  des  G-lyeerins:  Die  wässerige  Lösung  sei  neutral,  erleide 
keine  Trübung  durch  Schwefelwasserstoffwasser  (dunkle  Trübung:  Bleioxyd) 
und  Schwefelamraonium,  (dunkle  Trübung:  Eisen),  noch  durch,  oxalsaures 
Ammoniak  (weisse  Trübung:  Kalk),  Silbernitrat  (weisse  Trübung:  Chloride), 
Baryumnitrat  (weisse  Trübung:  Sulfate)  sowieCblor  calcium  (weisse  Trübung: 
Oxalsäure) ;  sie  werde  beim  Erwärmen  mit  Atznatronlauge  nickt  bräunlich 
(Traubenzucker).  Das  Glycerin  darf,  mit  verdünnter  Schwefelsäure  erwärmt, 
nicht  nach  Buttersäure  riechen,  aus  einer  mit  Salmiakgeist  versetzten 
Silberlösung  kein  Silber  ausscheiden  (schwärzliche  Färbung:  Acrol).  Auf 
Platinblech  verbrannt,  darf  es  keinen  kohligen  Rückstand  hinterlassen 
(Rohrzucker,  Gummi). 

Das  Glycerin  trocknet  wegen  seiner  hygroskopischen  Eigen- 
schaften nicht  ein,  findet  daher  als  Mittel  gegen  Hautkrankheiten, 
als  Glycerinsalbe  und  Glycerin  seife ,  sodann  zur  Konservierung 
mikroskopischer  und  anatomischer  Präparate  (an  Stelle  des  Wein- 
geistes), von  Früchten  u.  dgl.,  zur  Füllung  von  Gasuhren  und 
vielen  anderen  Zwecken  technische  Verwendung. 


*)  Die  Strukturformel  des  Glycerins  ist:    C — ■ C C 

II  \         /\        II  \ 
H2(OH)  H(OH)  H2(OH) 
In  ihm  befinden  sich   3  Hydroxyl  (OH)  neben   H  an  die  3  C-Atome 
gebunden. 

18* 


—     276     — 

Wird  das  Glycerin  vorsichtig  und  unter  starker  Abkühlung  mit 
konzentrierter  Salpetersäure  gemischt,  so  verwandelt  es  sich  in  das  höchst 
explosive  Nitroglycerin  (Sprengöl),  worin  3H-Atome  durch  3N02  sub- 
stituiert sind.  Man  verwendet  dasselbe,  mit  Infusorienerde  vermengt,  unter 
der  Bezeichnung  „Dynamit"  zum  Sprengen;  als  solches  leistet  es  viermal 
mehr  als  Schiesspulver. 

Versuche  und  praktische  Übungen. 

1.  Stearinsäure.  Man  löse  10^  feste,  trockene  Hausseife  in  50  g 
heissem  Wasser,  giesse  diese  Lösung  in  500  g  kaltes  Wasser  und  füge  5  g 
oder  so  viel  Salzsäure  hinzu,  dass  die  Flüssigkeit  blaues  Lackmuspapier 
schwach  röte.  Die  trübe  Mischung  werde  durch  Leinwand  koliert  und  die 
darauf  zurückbleibende  Stearinsäure  fest  ausgedrückt,  worauf  man  sie  in 
30  g  Weingeist  bei  gelinder  Wärme  auflöst.  Bei  langsamem  Erkalten 
krystallisiert  die  Fettsäure  in  weissen,  glänzenden  Schüppchen.  Die  wein- 
geistige Lösung  reagiert  sauer. 

2.  Sapo  medicatus.  In  einer  Porzellanschale  erhitze  man  120^ 
Natronlauge  im  Wasserbade,  gebe  dann  50  g  Schweineschmalz  und  50  g 
Olivenöl  hinzu  und  nach  halbstündiger  Erhitzung  12  g  Weingeist,  wodurch 
die  Masse  gleichmässig  wird.  Darauf  verdünne  man  sie  mit  200  g  heissern 
Wasser  und  fahre  mit  dem  Erhitzen  4 — 6  Stunden  fort,  von  Zeit  zu  Zeit 
umrührend  und  durch  Wasserzusatz  das  verdampfende  Wasser  ergänzend. 
Nachdem  die  Masse  durchscheinend  und  gleichförmig  geworden  und  eine 
Probe  in  der  mehrfachen  Menge  heissem  Wasser  sich  löst,  ohne  Öl  abzu- 
scheiden, giebt  man  eine  filtrierte  Lösung  von  25  q  Kochsalz  und  3  g  Soda 
in  80  g  Wasser  unter  Umrühren  zu  und  stellt  bei  Seite.  Nach  einem  Tage 
hat  sich  die  Seife  als  feste  Decke  abgeschieden;  man  hebt  sie  ab,  spült 
sie  mit  etwas  Wasser  ab,  presst  sie  zwischen  Leinewand  scharf  aus  und 
trocknet  sie. 


40.  Die  Fruchtsäuren, 
(Weinsäure,  Äpfelsäure,  Citronensäure,  Oxalsäure.) 

§  247.  Die  Weinsäure.  Die  Weinsäure,  Acidum  tartaricum 

(C4H606)*),  ist  eine  zweibasische  Säure,  sowohl  frei,  wie  in  Ver- 
bindung mit  Kali  als  Weinstein  (doppeltweinsaures  Kali)  im 
Weintraubensafte  und  den  Tamarinden  enthalten  und  dadurch  ein 
wesentlicher  Bestandteil  des  Weines.  Beim  Lagern  desselben  scheidet 
sich  der  grösste  Teil  des  Weinsteins  in  harten  Krystallen  an  die 
Fasswandung  ab,  während  die  freie  Weinsäure  gelöst  bleibt. 

Man  gewinnt   die  Weinsäure  aus  dem  Weinstein,   indem 
man  diesen  zunächst  in  weinsauren  Kalk  überführt,  welcher  als- 

*)  Die  Strukturformel  der  Weinsäure  ist: 

c c c c 

/  \\       A       A      //\ 

(OH)0     (OH)H     (OH)H     O(OH) 
In    ihr    befinden    sich   4    Hydrosyl  (OH)    an    4  C-Atomen    gebunden, 
von  denen  aber  nur  2  Säurehydroxyle  sind,  d.  i.  ihr  H  (in  der  Salzbildung) 
durch  Metalle  vertreten  lassen  und  zwar  sind  dies  die  beiden,  welche  neben 
O  an  C  gebunden  sind. 


-     277     — 

dann  durch  Schwefelsäure  zerlegt  wird.     Den  Weinstein  digeriert 
man   zuerst   mit   kohlensaurem   Kalk   bis   zur    Sättigung ,   wobei 
neutrales  weinsaures  Kali  in  Lösung  geht,  weinsaurer  Kalk  sich 
abscheidet  und  Kohlensäure  entweicht: 
I.    2K04H506  +  CaC03  =  K9C4H406  -f-  CaC4H406  +  H20  +  C0.2 

Weinstein  kohlensaurer       weinsaures  weinsaurer  Kalk     Wasser    Kohlen- 

Kalk  Kali  säure. 

Zur  Lösung  wird  dann  hinreichend  Chlorcalcium  gesetzt,  wo- 
durch abermals  weinsaurer  Kalk  gefällt  wird  und  Chlorkalium  in 
Lösung  bleibt: 
IL  K.2C4H406  +  CaCl,  ==  2KC1  +  CaC4H406 

weinsaures  Kali      Chlorcalcium     Chlorkalium     weinsaurer  Kalk. 

Beide    Niederschläge    von    weinsaurem    Kalk    zerlegt    man 
schliesslich  mit  verdünnter  Schwefelsäure,  trennt  die  Weinsäure- 
lösung vom  ausgeschiedenen  Grips  und  dampft  sie  zur  Krystalii- 
sation  ein: 
III.  CaC4H406  +  H.2S04  =  CaS04    +    C4H606 

weinsaurer  Kalk       Schwefelsäure     schwefelsaurer  Weinsäure. 

Kalk 

Die  Weinsäure  krystallisiert  in  farblosen,  schiefen  rhombischen 
Säulen,  welche  sich  sehr  leicht  in  Wasser,  auch  in  Weingeist  auf- 
lösen, stark  sauer  schmecken  und  beim  Erhitzen  mit  dem  Gerüche 
nach  verbranntem  Zucker  verkohlen.  Charakteristisch  für  sie  ist 
die  Schwerlöslichkeit  ihres  sauren  Kalisalzes  (des  Weinsteins), 
sowie  des  weinsauren  Kalkes.  Letzterer  löst  sich  (zum  Unter- 
schiede vom  Oxalsäuren  Kalke)  in  kalter  Natronlauge  auf.  Man 
benutzt  daher  (überschüssiges)  Kalkwasser  zur  Erkennung  der 
freien  Weinsäure,  mit  deren  Lösung  es  einen  weissen  Nieder- 
schlag (weinsauren  Kalk)  giebt;  essigsaures  Kali  erzeugt  mit  ihr 
eine  kristallinische  Ausscheidung  von  Weinstein,  welche  bei  ver- 
dünnten Flüssigkeiten  erst  nach  starkem  Schütteln  und  längerem 
•Stehen  erfolgt.  Bei  neutralen  wein  sauren  Salzen  ist  die  Flüssig- 
keit mit  Essigsäure  anzusäuern. 

Prüfung  der  Weinsäure:  Die  wässerige  Lösung  darf  nicht  getrübt 
werden  durch  schwefelsauren  Kalk  (weisse  Trübung:  Oxalsäure),  noch  durch 
salpetersauren  Baryt  (weisse  Trübung:  Schwefelsäure),  noch  durch  oxal- 
saures  Ammoniak  (weisse  Trübung:  Kalk).  Die  gepulverte  Säure  darf  sich 
beim  Übergiessen  mit  Schwefelwasserstoffwasser  nicht  dunkel  färben  (Blei). 

§  248.  Die  weinsauren  Salze.  Die  weinsauren  Salze  werden 
Tartrate  genannt.     Zu  den  pharmazeutisch  wichtigen  gehören: 

1.  Der  Weinstein,  Tartarus  depnratus,  ist  Kaliumbitar- 
trat oder  doppeltweinsaures  Kali  (KC4H506).  Man  ge- 
winnt es  durch  Reinigung  des  rohen  Weinsteins  (Tartarus 
crudus),  der  sich  in  harten,  gelblichen  oder  (aus  Rotwein)  röt- 
lichen Krystallkrusten  in  den  Weinfässern  ausscheidet.  Ausser 
mit  Farbstoff  ist  der  rohe  Weinstein  mit  oft  grösseren  Quantitäten 


—     278     — 

weinsauren  Kalkes  verunreinigt,  von  welchen  er  durch  Auswaschen 
mit  verdünnter  Salzsäure  befreit  werden  kann. 

Der  gereinigte  Weinstein  stellt  gewöhnlich  ein  weisses,  feines 
Krystallmehl  dar,  besitzt  einen  säuerlichen  Geschmack,  rötet  blaues 
Lackmuspapier  und  löst  sich  sehr  schwierig  in  kaltem,  leichter 
in  heissem  Wasser  auf;  dagegen  nehmen  ihn  alkalische  Flüssig- 
keiten —  Ätzalkalilaugen,  Salmiakgeist  —  leicht  auf,  ebenso 
kohlensaure  Alkalien  (unter  Verlust  der  Kohlensäure),  weinsaure 
Doppelsalze  bildend. 

Prüfung  des  Weinsteins:  Das  damit  geschüttelte  Wasser  darf  sich 
nach  dem  Ansäuern  kaum  trüben  durch  Silbernitrat  und  Baryumnitrat 
(weisse  Trübung:  Chloride,  Sulfate);  die  ammoniakalische  Lösung  darf  sich 
durch  Schwefelammonium  nicht  verändern  (dunkle  Färbung  resp.  Trübung: 
Eisen),  die  essigsaure  Lösung  durch  oxalsaures  Ammoniak  nicht  trüben 
(weisse  Trübung:  Kalk).  Mit  Natronlauge  erwärmt,  darf  der  Weinstein 
kein  Ammoniak  abgeben. 

Kocht  man  eine  Weinsteinlösung  ein,  so  scheidet  dieselbe 
das  Salz  in  harten,  weissen  Krystallen  an  ihrer  Oberfläche  ab 
(Crystalli  Tartari,  Cremor  Tartari,  Weinsteinrahm). 

Beim  Erhitzen  verkohlt  der  Weinstein  mit  dem  Gerüche 
nach  verbranntem  Zucker  und  hinterlässt  einen  stark  alkalischen 
kohligen  Rückstand,  ein  Gemenge  von  kohlensaurem  Kali  mit 
Kohle,  welches  mit  Säuren  aufbraust. 

2.  Sättigt  man  den  Weinstein  mit  kohlensaurem  Kali,  so 
entsteht  das  neutrale  wein  saure  Kali  oder  Kalium- 
tartrat,  Kalium  tartaricum  (K2C4H406),  welches  nachdem  Ab- 
dampfen in  wasserhellen  Säulen  krystallisiert,  die  sich  in  Wasser 
leicht  auflösen,  aber  nicht  in  Weingeist.  Die  Kohlensäure  ent- 
weicht gasförmig. 

KHC4H406  +  KHC03  =  K2C4H406  +  H20  +  C02 

Kaliumbitartrat      Kaliumbikarbonat       Kaliumtartrat  Wasser      Kohlensäure. 

Die  wässerige,  nicht  zu  verdünnte  Lösung  dieses  Salzes 
scheidet  auf  Säurezusatz  Weinstein  ab.  In  der  Glühhitze  verhält 
sich  das  Salz  wie  der  Weinstein. 

3.  Durch  Sättigung  des  Weinsteins  mit  Soda  bildet  sich  unter 
Kohlensäureentbindung  ein  Doppelsalz,  das  weinsaure  Kali- 
Natron,  Tartarus  natronatus,  Natro-Kalium  tartaricum, 
gewöhnlich  Seignettesalz  (Sal  polychrestum  Seignetti)  genannt, 
mit  der  Formel:  (KNaC4H406  -j-4Aq.);  ein  leichtlösliches  Salz 
in  grossen,  durchsichtigen,  wasserhellen,  rhombischen  Säulen. 

2KHC4H406  +  Na2C03  =  2KNaC4H406   +  H20  +  C02 

doppeltweins.  Kali       kohlens.  Natron        weins.  Kali-Natron  Wasser      Kohlensäure. 

Beim  Erhitzen  verhält  sich  das  Salz  wie  der  Weinstein,  der 
kohlige  Bückstand  enthält  jedoch  neben  dem  kohlensauren  Kali 
auch  noch  kohlensaures  Natron,  färbt  also  die  Flamme  gelb. 

Die  konz.  Salzlösung  scheidet  auf  Säurezusatz  Weinstein  ab. 


—     279    — 

Man  prüft  die  beiden  letzteren  Salze  auf  ihre  Reinheit  ähnlich  wie 
den  Weinstein. 

4.  Der  "Weinstein  vermag  sich  auch  mit  dem  Borax  zu  ver- 
einigen. Löst  man  1  Teil  Borax  und  2  Teile  "Weinstein  in 
heissem  Wasser,  so  entsteht  der  Boraxweinstein,  Tartarus 
boraxatus,  ein  leichtlösliches  Salz,  welches  einen  sauren  Geschmack 
und  sehr  hygroskopische  Eigenschaften  zeigt.  Man  kann  es  be- 
trachten als  ein  Gemenge  von  weinsaurem  Kali-Natron  und  wein- 
saurer Kali  -  Borsäure ,  worin  also  die  Borsäure  die  Rolle  einer 
Base  übernimmt.  Es  zeigt  die  Reaktionen  des  Weinsteins,  wie 
die  des  Boraxes. 

Yon  Brechweinstein  wurde  bereits  beim  Antimon  ge- 
handelt. 

§  249.  Die  Äpfelsäure.  Die  Äpfelsäure  (H2C4H405)  findet 
sich  in  den  Äpfeln,  Vogelbeeren,  Berberitzen,  Hollunderbeeren, 
sowie  in  den  meisten  unreifen  Früchten.  Sie  unterscheidet 
sich  von  der  Weinsäure  durch  den  Mindergehalt  eines  Sauerstoff- 
atoms, und  bildet  eine  stark  saure,  farblose,  syrupdicke  Flüssig- 
keit, die  nur  schwierig  in  krümlichen,  zerfliesslichen  Massen 
krystallisiert.  Ihr  Kali-,  wie  ihr  Kalksalz  lösen  sich  in  Wasser 
leicht  auf.  Im  äpfelsauren  Eisenextrakt,  Extractum 
Ferri  pomatuni ,  ist  äpfelsaures  Eisenoxyduloxyd  enthalten. 
Man  gewinnt  dasselbe  durch  Digestion  von  Äpfelsaft  mit  Eisen- 
pulver, wobei  letzteres  unter  Wasserstoffentwickelung  sich  zu 
äpfelsaurem  Eisenoxydul  auflöst  und  durch  den  Sauerstoff  der 
Luft  in  Oxyduloxydsalz  übergeht. 

Erhitzt  man  die  Apfelsäure  vorsichtig  auf  150°,  so  geht  sie  unter 
Wasserverlust  in  die  Fumarsäure  über,  welche  sich  im  Erdrauch  natürlich 
findet;  in  höherer  Temperatur  verkohlt  sie. 

§  250.  Die  Citronensäure.  Die  Citronensäure,  Acidum 
citricum  (C6H807), ein  dreibasische  Säure*),  findet  sich  vorzugsweise 
im  Safte  der  Citronen  (bis  zu  8  %).  In  Italien  gewinnt  man  sie 
aus  demselben  durch  Sättigen  mit  Kalk  und  Zersetzung  des 
citronensauren  Kalkes  durch  verdünnte  Schwefelsäure,  ähnlich  der 
Weinsäure.  Sie  krystallisiert,  mit  1  Mol.  H20,  in  färb-  und  geruch- 
losen, sehr  sauren,  durchsichtigen,  rhombischen  Säulen,  welche  sich 
leicht  in  Wasser  und  Weingeist  auflösen.  Bei  vorsichtigem  Erhitzen 


(HO)-c 
0=  ^ 

*)  Strukturformel:  C C C C 

(HO)^b    H    H(OH)  H?     O(OH) 
In   ihr    sind    3   Säurehyclroxyle    (HO)    zugleich    mit   0   an  SC- Atome 
gebunden. 


—     280     — 

bis  zu  175°  geht  sie  in  die  Akonit säure  über,  welche  sich 
auch  natürlich  findet  im  Sturmhut  und  Schachtelhalm ;  in  höherer 
Temperatur  verkohlt  sie.  Überschüssiges  Kalkwasser  trübt  die 
Lösung  der  Citronensäure  in  gewöhnlicher  Temperatur  nicht; 
erhitzt  man  aber,  so  scheidet  sich  weisser  citronensaurer  Kalk 
aus,  um  sich  beim  Erkalten  wieder  aufzulösen.  >, 

Die  Prüfung  der  Citronensäure  geschieht  wie  die  der  Weinsäure; 
essigsaures  Kali  weist  in  ihrer  wässerigen  Lösung  durch  weissen  Nieder- 
schlag   Weinsäure  nach. 

Von  den  citronensauren  Salzen  (Citraten)  sind  bemerkens- 
wert: a)  die  citronensäure  Magnesia  (Mg32C6H507),  durch 
Sättigung  von  Citronensäure  mit  kohlensaurer  Magnesia  in  Lösung 
erhalten,  daraus  aber  in  kurzer  Zeit  als  schwerlösliches  Salz  sich 
ausscheidend.  Das  Magnesium  citricum  effervescens  ist  eine 
Brausepulvermischung  aus  citronensaurer  Magnesia  mit  Natrium- 
bikarbonat, Citronensäure  und  Zucker. 

b)  Löst  man  frischgefälltes  Eisenoxydhydrat  in  Citronensäure 
auf  und  lässt  diese  Lösung  auf  Porzellantellern  eintrocknen,  so 
gewinnt  man  das  citronensäure  Eisenoxyd,  Ferrum  citricum 
oxydatum,  in  roten  Lamellen,  welche  sich  in  Wasser  leicht 
lösen.  Ammoniak  scheidet  aus  dieser  Salzlösung  kein  Eisenoxyd- 
hydrat ab,  wegen  Bildung  leichtlöslicher  Doppelverbindungon. 

§  251.  Die  Oxalsäure.  Die  Oxalsäure,  Acidum  oxali- 
cum,  (CaH204),  eine  zweibasische  Säure*)  findet  sich  frei  oder 
gebunden  in  vielen  Gewächsen,  so  als  schwerlösliches  doppelt  oxal- 
saures  Kali  (Kleesalz,  Oxalium)  im  Sauerklee  (Oxalis  Ace- 
tosella)  und  Sauerampfer  —  daher  auch  Kleesäure  genannt — , 
als  oxalsaurer  Kalk  im  Rhabarber.  Künstlich  gewinnt  man  sie 
durch  Erhitzen  von  Stärkemehl  oder  Zucker  mit  Salpetersäure, 
wobei  Stickoxydgas  entweicht**),  sowie  durch  Schmelzen  von 
Sägespänen  mit  ätzendem  Alkali. 

Die  Oxalsäure  krystalliert  in  färb-  und  geruchlosen,  sehr 
sauren,  schiefen  rhombischen  Säulen,  mit  2  Mol.  Krystallwasser, 
welche  bei  100°  entweichen.  Sie  löst  sich  leicht  in  "Wasser, 
zerfällt  in  höherer  Temperatur,  sowie  beim  Erwärmen  mit 
konz.  Schwefelsäure,  ohne  Rückstand  zu  hinterlassen,  in  Wasser, 
Kohlensäure  und  Kohlenoxydgas.     Ihre  Salze  verwandeln 

*)  C12H22On     +     12HN03     =     6C2H204     +     11H20     +     12  NO 

Rohrzucker  Salpetersäure  Oxalsäure  Wasser  Stickoxyd. 

**)  Strukturformel:    C=q,H 

C=0 
~O.H 


—    281     — 

sich  beim  Erhitzen  in  kohlensaure  Salze,   ohne  zu  verkohlen. 
(Unterschied  zwischen  Weinstein  und  Kleesalz.) 

C2Ha04     =     CO2     +     CO     -4-    H,0 

Oxalsäure  Kohlensäure       Kohlenoxyd  Wasser. 

Das  oxalsaure  Ammoniak  oder  Animo niumoxalat,  Am- 
monium oxalicum,  (NH4)2C204,  ist  ein  aus  dem  mit  Oxalsäure 
gesättigten  Salmiakgeist  in  weissen  Nadeln  auskrystallisierendes 
Salz,  welches  als  Reagens  auf  Kalk  benutzt  wird,  da  der  oxal- 
saure Kalk  in  Wasser  ganz  unlöslich  ist;  Säuren  lösen  ihn  aber 
auf.  Selbst  Gripslösung  fällt  die  Oxalsäure  und  ihre  Salze  weiss 
—  Unterschied  von  der  Weinsäure.  Umgekehrt  wendet  man 
eine  Chlorcalcium-  oder  Gipslösung  als  Reagens  auf  die  Oxalsäure 
und  ihre  Salze  an. 

Innerlich    wirkt    die   Oxalsäure ,    wie    das    Kleesalz ,    ätzend 
giftig.    Weil  das  Kleesalz  das  Eisenoxyd  leicht  auflöst,  verwendet 
man  es  zur  Tilgung  von  Tinten-  und  Rostflecken. 
Versuche  und  praktische  Übungen. 

1.  Kohlensaures  Kali  aus  Weinstein.  Ein  inniges  Gemisch 
aus  2  Teilen  Weinsteinpulver  und  1  Teil  Salpeter  formiere  man  in  einem 
eisernen  Tiegel  zum  Kegel,  den  man  durch  Auflegen  einer  glühenden 
Kohle  an  der  Spitze  entzünde.  Allmählich  verpufft  die  Masse  zu  einem 
schwarzen  Rückstand.  Man  übergiesse  denselben  mit  Wasser,  filtriere  nach 
einiger  Zeit  die  Lösung  des  entstandenen  kohlensauren  Kalis  ab  und 
dampfe  sie  in  einer  blanken,  eisernen  Schale  über  dem  Feuer  zur  Trockne. 
2.  Zersetzung  der  Oxalsäure.  Man  übergiesse  1  q krystallisierte Oxal- 
säure:  in  einem  kleinen  Kölbchen  mit  6  g  engl.  Schwefelsäure  und  verschliesse 
die  Öffnung  mit  einem  Kork,  durch  welche  eine  spitz  aus- 
laufende Glasröhre  luftdicht  geführt  ist.  (Fig.  73.1  Erhitzt 
man  das  Gefäss  vorsichtig  über  der  Lampe,   so  zerlegt   sich  « 

die  schmelzende  Oxalsäure  unter  starker  Gasentbindung.  Das 
ausströmende  Kohlenoxydgas ,  mit  einem  Fidibus  entzündet, 
verbrennt  mit  blauer  Flamme. 

Leitet  man  das    entweichende   Gas  in  Kalkwasser,   so 
trübt  sich  dasselbe  stark  durch  die  darin  enthaltene  Kohlensäure. 

3.     Ammonium   oxalicum.     Man  löse    Oxalsäure  in 

der  zweifachen  Menge  heissem   Wasser    auf,    setze    bis    zur 

schwach  alkalischen  Reaktion  Salmiakgeist  hinzu  und  stelle 

zum  Kristallisieren  bei  Seite.    Beim  Erkalten  schiesst  das  Salz 

in  feinen  weissen  Säulen  an. 

Fig.  73. 

Fragen  und  stöchionietrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Weinsäure  gewinnt  man  aus  1  kg  weinsaurem  Kalk"?  — 
Antw.  (CaC4H406  +  4H20)  :  (H2C4H406)  =  248  :  138;  x  =  556^. 

2.  Wieviel  englischer  Schwefelsäure  bedarf  man  dazu?  —  Antw 
(CaC4H4Ofi  -f  4HoO)  :  H2S04  =  248  :  98;  x  =  395^. 


4L  Gerbstoffe. 

§  252.     Allgemeiner   Charakter  der  Gerbstoffe.     Im  Pflanzenreich 
ist  eine  gewisse  Klasse  von  Körpern   stark  verbreitet,    die  man 


—     282     - 

Gerbstoffe  oder,  da  sie  schwache  Säuren  darstellen,  Gerb- 
säuren nennt.  Sie  zeichnen  sich  durch  folgende  gemeinsamen 
Eigenschaften  aus: 

a)  Sie  besitzen  einen  zusammenziehendenGeschm  a  ck. 

b)  Sie  machen  Eiweiss-    und  Leimlösungen  gerinnen. 

c)  Sie  verwandeln  tierische  Haut   in  Leder  —  gerben. 

d)  Sie  färben  und  fällen  Eisensalze  schwarz  oder 
dunkelgrün. 

Die  Gerbstoffe  reagieren  in  Lösungen  sauer,  sind  amorph,  nicht 
krystallisierbar,  in  Wasser  und  in  Weingeist  leichtlöslich,  und  oft 
sehr  schwer  zu  isolieren.  Ihre  Bleisalze  sind  in  Wasser  unlös- 
lich ,  weshalb  essigsaures  Bleioxyd  in  Gerbsäure  enthaltenden 
Pflanzenaufgüssen  Niederschläge  von  gerbsaurem  Bleioxyd  her- 
vorrufen. Plumbum  tannicum  pultiforme  ist  ein  solcher 
durch  Bleiessig  in  einer  Abkochung  von  Eichenrinde  (Lohe)  er- 
zeugter Niederschlag.  —  Nach  ihrem  Verhalten  zu  Eisensalzen 
unterscheidet  man  eisenschwärzende  undeisengrünen  de 
Gerbsäuren. 

1.  Eisenschwärzende  Gerbsäuren:  Gallusgerbsäure 
in  den  Galläpfeln;  Eichengerbsäure  in  der  Eichenrinde;  die 
Gerbstoffe  der  Granatwurzelrinde,  Nelken  würz  el,  Bären- 
traubenblätter, des  chinesischen  Thees  und  der  Rosen. 

2.  Eisengrünende  Gerbsäuren:  Chinagerbsäure  in 
der  Chinarinde;  Kinogerbsäure  in  Kino,  Catechugerbsäure 
im  Catechu;  Kaffeegerbsäure  in  den  Kaffeebohnen;  die  Gerb- 
stoffe der  Tormentillwurzel,  Ratanhawurzel  und  des  Rha- 
barbers. 

§  253.  Tannin.  Die  Galläpfel,  sowohl  die  türkischen  und 
europäischen  (Auswüchse  auf  Eichen  infolge  des  Stiches  einer 
Gallwespe),  wie  auch  die  chinesischen  (Auswüchse  auf  einer  Su- 
machart  durch  den  Stich  einer  Blattlaus),  enthalten  die  Gallus- 
gerbsäure, Acidum  tannicum,  gewöhnlich  Tannin  genannt. 
Man  extrahiert  sie  am  besten  durch  Äther,  da  Wasser  und  Wein- 
geist auch  andere  Bestandteile  der  Galläpfel  auflösen.  Der  äthe- 
rische Auszug  hinterlässt  das  Tannin  beim  Eindampfen  als  eine 
weissliche,  pulverige  Masse,  welche  sich  leicht  in  Wasser,  Wein- 
geist und  weingeisthaltigem  Äther,  schwieriger  in  reinem  Äther 
auflöst.  Schüttelt  man  daher  Tannin  mit  Äther,  welcher  mit 
etwas  Wasser  versetzt  ist,  so  entsteht  eine  wässerige,  dickliche 
Lösung,  über  der  der  Äther  mit  wenigem  Tannin  lagert. 

Prüfung  auf  Reinheit:  Das  Tannin  löse  sich  klar  und  vollständig 
in  Wasser  (zumal  beim  Erwärmen);  diese  Lösung  werde  weder  auf  Zusatz 
von  Weingeist  getrübt,  noch  wenn  man  darauf  Äther  zufügt.  {Gallussäure 
wird  vom  Äther  ausgeschieden.) 


—     283 


Beim  Kochen  mit  Salzsäure ,  sowie  auch  durch  Gähmng 
eines  wässerigen  Auszugs  der  Galläpfel  liefert  das  Tannin,  unter 
Aufnahme  von  Wasserelementen,  Gallussäure  (A  cid  um  gal- 
1  i  c  u  m),  da  es  als  Digallussäure  d.  i.  als  Gallussäure  mit  Gallus- 
säureanhydrid zu  betrachten  ist. 

CI4H10O9     +    H20     =    2C7H605 

Gallusgerbsäure  Wasser  Gallussäure. 

Die  Gallussäure  krystallisiert  in  langen,  weissen,  glänzenden 
Nadeln,  die  sich  sehr  schwer  in  Wasser  lösen,  Eisensalze  schwarz 
fällen,  aber  den  Leim  nicht  gerinnen  machen. 

Beim  Erhitzen  zersetzt  sich  das  Tannin  und  liefert  als  Sub- 
limat die  Pyrogallu s säure,  Acidum  pyrogallicum  (C6H603), 
in  Form  weisser,  in  Wasser  leichtlöslicher  Blättchen,  deren 
Lösung,  zumal  nach  Zusatz  von  Alkali,  sich  durch  lebhafte  Sauer- 
stoffanziehung aus  der  Luft  schnell  braun  färbt.  Sie  wirkt  auf  Silber- 
salze   schon   in  der  Kälte  reduzierend;  innerlich  ist  sie  ein  Gift. 


§  254.     Technische  Verwendung  der  Gerbstoffe. 
eisenschwärzende  Eigenschaft  der  Gal- 
lusgerbsäure     zur      Bereitung      der 
schwarzen      Gallustinte.       Ein 
wässeriger  Gallusäpfelauszug  wird  mit  ^ 

Eisenvitriol  und  arabischem  Gummi 
versetzt;  die  anfänglich  blasse  Flüssig- 
keit schwärzt  sich  allmählich  durch 
Sauerstoffaufnahme  aus  der  Luft,  gallus- 
gerbsaures  Eisenoxyd  abscheidend, 
welches  durch  das  Gummi  in  der 
Schwebe  gehalten  wird.  Die  sogen. 
Alizarintinte  ist  eine  Gallustinte, 
welche  durch  etwas  Oxalsäure  entfärbt 
und  dann  mittelst  Indigolösung  (resp. 
Indigkarmin  d.  i.  indigschwefelsaures 
Alkali)  grünblau  gemacht  wird.  Beim 
Trocknen  tritt  die  schwarze  Farbe 
wieder  ein,  da  sich  die  Oxalsäure 
allmählich  zu  Kohlensäure  oxydiert. 

In  grossem  Massstabe  verwendet 
man  die  Gerbstoffe,  insbesondere  die 
Eichengerbsäure ,     zur    Bereitung 


Man  benutzt  die 


des  Leders  in  der  Rotgerberei. 


Man 


schichtet  die  tierischen  Häute  von  Rind 
und  Pferd  in  besondere  Gruben  mit 
Lohe  (gemahlener  Eichenrinde)  und 
lässt  sie  längere  Zeit  darin  liegen. 


Fig.  74. 


—    284     — 

Die  Weissgerberei  (Bereitung  von  Schafleder  u.  a.)  benutzt 
statt  der  Lohe  Alaun,  womit  die  Felle  eingerieben  werden. 

Praktische  Übungen. 

1.  Acidum  tannicum.  In  einem  sog.  Scheidetrichter  (Fig.  74), 
dessen  untere  Öffnung  mit  einem  Kork  verschlossen  worden,  übergiesse  man 
gepulverte  Galläpfel  mit  Äther,  welchem  man  etwas  Wasser  und  Weingeist 
beigegeben,  sodass  sie  völlig  damit  überdeckt  sind,  und  verschliesse  dann 
die  obere  Öffnung.  Nach  24  Stunden  lasse  man,  unter  Wegnahme  beider 
Stöpsel,  die  gesättigte  Lösung  abfliessen  und  gebe,  nachdem  man  unten 
wieder  verschlossen  hat,  eine  neue  Portion  obiger  Äthermischung  zu  den 
Galläpfeln,  die  man  abermals  nach  einem  Tage  ablasse.  Die  Gerbsäure- 
Lösungen  werden  in  gelinder  Wärme  vorsichtig  (damit  der  Ätherdampf 
nicht  Feuer  fange!)  zur  Trockne  gebracht. 


42,  Die  Cyanverbindungen. 

§  255.  Wie  sind  die  Cyanverbindungen  zusammengesetzt?  Das 
Cyan*)  ist  ein  aus  Kohle  und  Stickstoff  (CN)  bestehendes  ein- 
wertiges Radikal**),  welches  das  Zeichen  Cy  erhalten  hat. 
Es  bildet  wie  die  Salzbildner  mit  Wasserstoff  eine  Säure,  die 
Cyanwas  serstoffsäure  (Blausäure)  HCy;  mit  den  Me- 
tallen Cyanide,  z.  B.  Kaliumcyanid  (Cyankalium)  KCy,  Queck- 
silbercyanid  HgCy2.  Aus  dem  Cyanquecksilber  kann  man  das 
Cyan  isolieren,  da  es  beim  Erhitzen  in  metallisches  Quecksilber 
und  Cyangas  zerfällt,  ähnlich  wie  sich  das  Quecksilberoxyd  durch 
die  Hitze  in  Metall  und  Sauerstoff  zerlegt.  Das  Cyangas  ist 
farblos,  nach  Pfirsichblüten  riechend,  jedoch  höchst  giftig,  ver- 
brennt angezündet  mit  purpurner  Flamme  (zu  Kohlensäure  und 
Stickstoff.)  Mit  Sauerstoff  verbindet  sich  das  Cyan  nur  indirekt 
zu  Cyansäure;  das  Cyankalium  zieht  nämlich  beim  Schmelzen 
Sauerstoff  aus  der  Luft  an  und  geht  in  cyansaures  Kali  über 
(KCy  +  0  =  KCyO).  Aus  demselben  lässt  sich  aber  die  Cyan- 
säure nicht  durch  Säuren  isolieren,  da  sie  alsdann  unter  Wasser- 
aufnahme in  Ammoniak  und  Kohlensäure  zerfällt  (HCNO  -f-  H20  = 
KE3+C03). 

Cyankalium  KCy  Cyanwasserstoff         HCy 

Cyanammonium  NH4Cy  Cyansäure                   HCyO 

Cyansilber  AgCy 

Eisencyanür  FeCy2  Quecksilbercyanid     HgCy2 

Eisencyanid  Fe2Cy6  Goldcyanid                 AuCy3 

Die     einfachen  Cyanverbindungen    zeichnen     sich 

durch    grosse    Giftigkeit  aus.     Nicht   giftig    sind    aber    die 


*)  Cyan  von  7.üa.voc,  (blau)  wegen  seines  Vorkommens  im  Berlinerblau. 
**)  Im  Cyan  sind  die  4  Werte  des  Kohlenstoffatoms  durch  die  3  Werte 
des  Stickstoffatoms  bis  auf  einen  Wert  gesättigt:   (N  =  C  —  ?).     Sein 
Atomgewicht  =  12  -f-  14  =  26. 


—     285    - 

eisenhaltigen  Cyanverbindungen,  welche  sich  auch  ausserdem  durch 
völlig  verändertes  Verhalten  von  den  einfachen  Cyaniden  unter- 
scheiden. Das  Eisen  ist  nämlich  im  Radikal  enthalten 
und  lässt  sich  weder  durch  Schwefelammonium  als  Schwefeleisen, 
noch  durch  Ätzalkalien  als  Eisenoxydhydrat,  noch  durch  Gerb- 
stoffe  ausscheiden.  Erst  in  der  Glühhitze  zerlegen  sich  jene 
Verbindungen  ,  und  dann  ist  das  Eisen  in  gewöhnlicher  Weise 
nachweisbar.     Der  eisenhaltigen  Cyan-Radikale  giebt  es  zwei: 

1.  Ferrocyan,  FeCy6  =  Cfy,  bestehend  aus  6  Cyanatomen, 
welche  durch  ein  zweiwertiges  Eisenatom  verbunden  sind 
und  daher  vi  er  wertig  auftreten*).     Beispiel: 

Ferrocyankalium  (gelbes  Blutlaugensalz)  K4FeCy6  =  K4Cfy. 

2)  Ferridcyan,  Fe2Cy12  =  Cfdy,  bestehend  aus  12  Cyan- 
atomen,   durch    ein  Doppelatome    des    dreiwertigen    Eisens 
verbunden  und  daher  sechswertig  auftretend.     Beispiel: 
Ferridcyankalium  (rotes  Blutlaugensalz)  K6Fe2Cy12  =  KeCfdy. 

Berzelius  betrachtete  das  gelbe  Blutlaugensalz  als  ein  Doppelsalz 
zwischen  Cyankalium  und  Eisencyanür  (FeCy2),  nannte  es  daher  Kalium- 
eisencyanür  und  gab  ihm  die  Formel:  (4KCy  -\-  FeCy2).  Das  rote  Blut- 
laugensalz betrachtete  er  als  ein  Doppelsalz  zwischen  Cyankalium  und 
Eisencyanid  (Fe2Cy6),  nannte  es  daher  Kaliumeisencyanid  und  gab  ihm 
die  Formel:  (6KCy  -f-  Fe2Cyfi). 

§  256.  Wie  bilden  sich  die  Cyanverbindungen?  Der  Ausgangs- 
punkt sämtlicher  Cyanverbindungen  ist  die -stickstoffhaltige  Kohle, 
wie  sie  beim  Verkohlen  stickstoffhaltiger  organischer  Materien 
z.  B.  des  Fleisches,  Blutes,  der  Knochen  u.  s.  f.  als  Blutkohle, 
Knochenkohle  u.  a.  gewonnen  wird.  Es  ist  bis  jetzt  noch 
unbekannt,  in  welcher  näheren  Verbindung  der  Stickstoff  in  dieser 
Tierkohle  enthalten  ist. 

Wird  die  Tierkohle  mit  kohlensaurem  Kali  geglüht  und  nach 
Zugabe  von  Eisen  mit  Wasser  gekocht,  so  krystallisiert  aus  der 
Flüssigkeit  ein  gelbes  Salz,  das  gelbe  Blut  laugensalz, 
Ferrocyankalium.  Beim  Glühen  der  Stickstoff  kohle  mit  dem 
Alkali  entsteht  nämlich  Cyankalium,  welches  bei  der  nachfolgenden 
Behandlung  mit  metallischem  Eisen  in  Ferrocyankalium  übergeht. 

Schmilzt  man  das  gelbe  Blutlaugen  salz  (Ferrocyankalium)  in 
einem  verschlossenen  Tiegel  in  der  Rotglühhitze,  so  wird  das 
Eisen  als  Kohlenstoffeisen  ausgeschieden  und  die  abgegossene 
Schmelzmasse  erstarrt  zu  weissem  Cvankalium: 

K4Fe(CN)6     =    4KCN     +    FeC,     +    2Kf 

Ferrocyankalium  Cyankalium  Kohleneisen  Stickgas. 


Strukturtormel  des  Ferrocyan:    /?  —  C— N  |  N- C—  ?\ 

II     II  *   II      II 

N     C  —  Fe  —  C     N 

-  C=N  N=C  —  ? 


-     286     - 

Wird  dem  schmelzenden  Ferrocyankalium  jedoch  Pottasche  zugesetzt, 
so  scheidet  sich  metallisches  Eisen  ab  und  die  Schmelzmasse  erstarrt  nach 
dem  Abgiessen  zum  sogen.  Liebigschen  Cyankalium,  einem  Gemenge 
aus  Cyankalium  mit  cyansaurem  Kali: 

K4FeCy?    +    K2C03     =     5KCy    +     KCyO     +     Fe     -f     C02 

Ferrocyankalium     kohlensaures       Cyankalium         cyansaures  Eisen        Kohlensäure. 

Kali  Kali 

Interessant  ist  die  Entstehung  des  Cyankaliums,  wenn  man  Stickstoff 
in  der  Weissglühhitze  über  ein  Gemenge  von  Kohle  und  kohlensaurem 
Kali  leitet,  wobei  Kohlenoxydgas  entweicht  (K>C03  -f-  4C  -\-  2N  = 
2KCN  +  3  CO). 

Das  Cyankalium  (KCy)  ist  ein  weisses,  an  der  Luft  zer- 
fliessliches  Salz,  welches  nach  Blausäure  riecht,  in  Wasser  sehr 
leicht,  in  Weingeist  kaum  löslich  ist  und  höchst  giftig  wirkt, 
da  es  auf  Zusatz  der  schwächsten  Säuren  Blausäure  abgiebt. 

§257.  Die  Blausäure.  Die  Cyan  Wasserstoff  säure  (Acidum 
hydrocyanicum) ,  HCy,  gewöhnlich  Blausäure  (Acidum 
borussicum)  —  abgeleitet  vom  Berlinerblau  —  genannt,  wurde 
1782  von  Scheele  entdeckt  und  bildet  eine  schon  bei  26° 
siedende  Flüssigkeit  von  höchster  Giftigkeit,  die  schon  in 
geringster  Menge  eingeatmet  tötet.  Man  hält  sie  zuweilen  in  den 
Apotheken  in  2prozentiger  Lösung  vorrätig,  die  man  durch 
Destillation  des  gelben  Blutlaugensalzes  mit  verdünnter  Schwefel- 
säure als  eine  klare,  farblose  Flüssigkeit  gewinnt,  deren  bitter- 
mandelähnlicher  Geruch  sich  besonders  im  Gaumen  bemerkbar 
macht.  Sie  fällt,  ähnlich  der  Salzsäure,  aus  Silbersalzen  weisses, 
unlösliches  Cyansilber  (AgCy),  welches  aber  von  Cyankalium 
leicht  aufgelöst  wird  zu  einem  Doppelsalze:  (KCy  +  AgCy). 

Die  Lösung  der  Blausäure  ist  wenig  haltbar,  zumal  im  Lichte; 
sie  bräunt  sich  allmählich  und  setzt  schliesslich  einen  braunen 
Bodensatz  ab,  zugleich  ameisensaures  Ammoniak  bildend  (HNC 
-\-  2H20  =  NH4,  CH02).  Einige  Tropfen  Schwefelsäure  erhöhen 
ihre  Haltbarkeit.  Sicherer  ist  ihre  Anwendung  im  blausäure- 
haltigen Bittermandelöle,  welches  im  Bittermandelwasser  aufge- 
löst enthalten  ist. 

§258.  Die  Blutlaugensalze.  Das  Ferrocyankalium,  Kalium 
ferrocyanatum  (K4Cfy  +  3aq.),  gelbes  Blutlaugensalz 
oder  blausaures  Eali  (Kali  borussicum)  genannt,  krystallisiert 
in  gelben,  quadratischen  Prismen,  die  sich  im  Wasser  leicht  auf- 
lösen. Versetzt  man  seine  Lösung  mit  Metallsalzen,  so  entstehen 
die  Ferrocyanide  dieser  Metalle ;  so  bildet  es  mit  Zinkvitriol  einen 
weissen  Niederschlag,  das  Ferrocyanzink*),  Zincum  ferro- 
cyanatum (Zn2Cfy),    nicht    zu   verwechseln    mit    dem    giftigen 

*)  K4Cfy  -|-  2ZnS04  =  2K2S04  +  Zn2Cfy. 


287     — 

reinen  Cyanzink  (Zincum  cyanatum  sine  ferro!);  mit  Eisenoxyd- 
salzen giebt  es  das  tiefblaue  Berlinerblau,  Ferocyaneisen 
(Fe4Cfy3),  einen  für  die  Eisenoxydsalze  charakteristischen  Nieder- 
schlag, der  zur  Erkennung  der  Eisenoxydsalze  dient  und  auch 
in  der  Färberei  häufig  zur  Anwendung  gelangt. 

3K4Cfy  +  2Fe2Cle  =  Fe4Cfy3  +  12KC1 

Ferrocyankalium      Eisenchlorid       Ferrocyaneisen      Chlorkalium. 

(Berlinerblau) 

Durch  Chloreinleitung  in  eine  Ferrocyankalium  -  Lösung 
entsteht  das  Ferridcyankalium,  Kalium  ferricyanatum 
(K6Cfdy),  neben  Chlorkalium. 

2K4FeCy6  +  2C1  =  K?Fe2Cy12  +  2KC1 

Ferrocyankalium  Chlor        Ferridcyankalium      Chforkalium. 

Dasselbe  krystallisiert  in  granatroten  Säulen  und  trägt  daher 
den  Namen  rotes  Blutlaugensalz.  Man  gebraucht  es  als 
Reagens  auf  Eisenoxydulsalze,  mit  denen  es  einen  dem  Berliner- 
blau sehr  ähnlichen,  tiefblauen  Niederschlag,  das  Ferridcyan- 
eisen  (Fe3Cfdy),  hervorbringt.  Mit  Eisenoxydsalzen  giebt  es 
aber  keine  Fällung. 

K6Cfdy     +    3FeS04    =    Fe3Cfdy    +     3K2S04 

Ferridcyankalium  Eisenvitriol  Ferridcyaneisen        schwefelsaures  Kali. 

In  beiden  Blutlaugensalzen  besitzen  wir  sehr  wertvolle 
Reagentien  auf  die  Eisensalze.  Das  gelbe  Ferrocyankalium  ruft 
in  Eisenoxydsalzen,  das  rote  Blutlaugensalz  in  Eisenoxydulsalzen 
dunkelblaue  Niederschläge  hervor ;  bei  grösserer  Verdünnung  tritt 
eine  blaue  Färbung  ein.  Ausserdem  ist  das  Ferrocyankalium  ein 
empfindliches  Reagens  auf  Kupfersalze,  in  deren  Lösung  es  braun- 
rotes Ferrocyankupfer  niederschlägt. 

Nachweis  des  Cyan:  Auf  der  Erzeugung  von  Berlinerblau 
beruht  eine  Prüfung  auf  Cyanverbindungen.  Man  ver- 
setzt die  auf  Cyan  zu  untersuchende  Flüssigkeit  mit  etwas  Eisen- 
vitriol und  Eisenchlorid ,  darauf  mit  überschüssiger  Natronlauge 
und  erwärmt ;  hierdurch  scheidet  sich  Eisenoxyduloxydhydrat  aus, 
welches  mit  dem  Cyan  Berlinerblau  bildet,  wenn  man  mit  Salz- 
säure übersättigt. 

§259.  Cyanquecksilber.  Das  Cy  anquecksilber,  Hydrargy- 
rura  cyanatum  (HgCy2),  ist  ein  in  Wasser,  sowie  in  Weingeist 
lösliches  Salz  in  weissen  Krystallen,  welches  beim  Erhitzen  in 
Cyan  und  Quecksilber  zerfällt  und  sehr  giftig  wirkt.  Man  ge- 
winnt es  durch  Kochen  von  Berlinerblau  mit  Quecksilberoxyd 
und  Abdampfen  der  Lösung  zur  Krystallisation. 

§  260.  Schwefelcyan.  Schmilzt  man  Cyankalium  oder  gelbes 
Blutlaugensalz  (mit  und  ohne  Beigabe  von  kohlensaurem  Kali) 
mit  Schwefel  zusammen,  so  entsteht  die  Verbindung  des  Kaliums 


—     288     — 

mit    Schwefelcyan    (R  h  o  d  a  n) ,    einem    einwertigen    Radikal 
(CNS)  =  Rd. 

Das  Schwefelcyankalium,  auch  Sulfocyankalium  oder 
Rhodankalium  genannt,  Kalium  sulfocyanatum  (rho- 
danatum),  KCNS=KRd*),  krystallisiert  in  farblosen,  zerniess- 
Hchen  Säulen,  welche  sich  leicht  in  Wasser  und  Weingeist  lösen. 
Man  gebraucht  es  als  Reagens  auf  Eisenoxydulsalze,  mit  denen  es 
blutrotes  E  i  senrhodanid  (Pe2Rd6)  hervorbringt.  Eisen- 
oxydulsalze werden   durch  Rhodankalium  nicht  gefärbt; 

Versnche  und  praktische  Übungen. 

1.  Blausäuredestillation.  Man  übergiesse  in  einem  Kölbchen 
10  g  zerbröckeltes  gelbes  Blutlaugensalz  mit  30  g  Wasser,  60  g  Weingeist 
und  10  g  engl.  Schwefelsäure  und  destilliere,  nacb  Anpassung  einer  doppelt- 
gebogenen Glasröhre  (Fig.  75),  bei  massiger 
Flamme  oder  aus  dem  Wasserbad,  50 — 60  g 
in  ein  als  Vorlage  dienendes  Fläschchen  über, 
welches  man  von  aussen  kühl  halte.  (Man  hüte 
sich  sorgsam  vor  dem  Einatmen  der  Dämpfe!) 
2.  Kalium  sulfocyanatum.  Man  mische 
2  Teile  zerriebenes  gelbes  Blutlaugensalz  mit 
1  Teil  gereinigtem  Schwefel  und  schmelze  sie 
in  einer  Porzellanschale  über  schwachem  Feuer. 
Wenn  die  Masse  flüssig  und  schwärzlich  ge- 
worden ist,  lasse  man  erkalten,  pulvere  sie  und 
koche  sie  mit  20 — 30  Teilen  Wasser  aus,  worauf 
man  filtriert  und  auf  wenige  Teile  eindampft;  das  Rhodankalium  krystalli- 
siert in  spiessigen  Krystallen  aus,  die  man  in  einem  bedeckten  Trichter 
gut  abtropfen  lässt  (nicht  abwäscht)  und  auf  Fliesspapier  schnell  trocknet. 


43,  Die  ätherischen  Öle. 

§  261.  Allgemeiner  Charakter  der  ätherischen  Öle.  Zahlreiche  Ge- 
wächse besitzen  gewisse  Riechstoffe,  welche  man  ätherische 
Öle,  Olea  aetherea,  nennt,  und  welche  sich  durch  folgende 
Gesamteigenschaften  auszeichnen : 

1.  Sie  sind  öliger  Natur,  lösen  sich  nur  wenig  in  Wasser, 
leicht  aber  in  absolutem  Alkohol,  Äther  und  fetten  Ölen  und  er- 
zeugen  auf  Papier   einen  Fettfleck,  der  wieder  verschwindet. 

2.  Sie  sind  flüchtiger  Natur,  verdunsten  an  der  Luft, 
verflüchtigen  sich  mit  den  Wasserdämpfen,  sieden  aber,  für  sich 
allein  erhitzt,  erst  in  einer  100°  weit  übersteigenden  Temperatur. 

Die  ätherischen  Öle  sind  grossenteils  tropfbarflüssig,  einige 
ganz  starr  (wie  der  Kampfer),  andere  ein  festes  Öl  enthaltend 
und  dasselbe  in  der   Kälte  ausscheidend.     Man  nennt   dann  den 

*)  Strukturformel:    C=N 

I 

S— K 


-     289     — 

krystallinischen  Teil  Stearopten,  den  flüssig  gebliebenen 
Elaeopten.  So  besteht  das  Anisöl  fast  nur  aus  Stearopten 
und  erstarrt  in  der  Kälte  völlig;  dasselbe  Stearopten  findet  sich 
im  Fenchelöl,  aber  mit  Elaeopten  gemischt. 

Die  ätherischen  Öle  sind  meist  leichter  als  "Wasser  und 
schwimmen  auf  demselben;  jedoch  sinken  darin  unter:  das  Zimtöl, 
Nelkenöl,  Bittermandelöl  und  Senföl.  Wasser  nimmt  nur  wenig 
von  den  ätherischen  Ölen  auf,  nimmt  aber  ihren  Geruch  an; 
Weingeist  löst  sie  reichlicher,  viele  klar,  andere  nur  trübe  (wie 
das  Wacholderöl  und  Terpentinöl). 

Bei  längerer  Aufbewahrung  nehmen  die  ätherischen  Öle 
Sauerstoff  aus  der  Luft  auf,  werden  dickflüssig,  verharzen  und 
verlieren  an  Geruch.  Sie  wandeln  einen  Teil  des  aufgenommenen 
Sauerstoffs  in  Ozon  um,  wie  ihre  bleichende  Einwirkung  auf  die 
Korkstopfen  zeigt.    (Ozonträger!) 

§  202.  Wie  sind  die  ätherischen  Öle  zusammengesetzt?  Die  äthe- 
rischen Öle  zeigen  in  ihrer  Zusammensetzung  wenig  Übereinstim- 
mung. Dazu  kommt,  dass  sie  meistens  Gemenge  mehrerer  verschie- 
dener Öle  sind,  in  welche  sie  sich  oft  nur  schwierig  trennen  lassen. 

Man  unterscheidet: 

a)  Nur  aus  Kohle  und  Wasserstoff  bestehende  ätherische 
Öle.  Hier  begegnen  wir  einer  Gruppe,  deren  Glieder  nach  der 
Formel  CÖH8  oder  C10H16  zusammengesetzt  sind  und  im  allge- 
meinen Camphene  oder  Terpene  genannt  werden.  Es  rechnen 
sich  hierzu  die  Öle  der  Koniferen,  wie  das  Terpentinöl, 
Sadebaumöl,  Wacholderöl.  Solche  Camphene  sind  ferner 
(neben  einem  sauerstoffhaltigen  Öle)  im  Bergamottöl,  Ci- 
tronenöl,  Kümmelöl  enthalten. 

b)  Aus  Kohle,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  bestehende 
ätherische  Öle.  Hierhin  gehören  die  Öle  der  Labiaten,  wie  das 
Pfefferminz-  und  Krauseminzöl,  Lavendelöl,  Ros- 
marinöl,  Thymian  öl;  ferner  einige  sauer  reagierende  oder 
mit  der  Zeit  säuernde,  wie  das  Nelkenöl  (mit  der  Nelkensäure), 
Zimtöl  (mit  der  Zimtsäure) ;  endlich  der  Kampfer,  ein  reines  Stea- 
ropten, das  Oxyd  der  Camphene  (C10H]6O).  Letzterem  schliesst 
sich  der  Kantharidenkampfer  oder  das  Kantharidin  in  den 
spanischen  Fliegen,  sowie  der  Alantkampfer  oder  das  Helenin 
in  der  Alantwurzel  an. 

Im  Thymianöl  findet  sich  das  in  Alkalien  lösliche  Thymol, 
Thymolum,  welchem  antiseptische  (gährungswidrige)  Wirkungen 
zukommen.  Man  sondert  es  aus  dem  Thymianöl  durch  Schütteln  mit 
Natronlauge  und  scheidet  es  von  derselben  durch  Säure  aus.  Es 
krystallisiert  in  farblosen  Säulen,  die  sich  nicht  in  Wasser,  leicht 
in  Weingeist  auflösen. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  19 


-     290     - 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  das  giftige  blausäure- 
haltige Bittermandelöl,  das  Aldehyd  der  Benzoesäure.  Durch 
Destillation  mit  Kalk  kann  demselben  die  Blausäure  entzogen 
werden  (als  Cyancalcium) ;  dann  gewinnt  man  das  Benzaldehyd 
rein  —  als  ein  im  Gerüche  nicht  abweichendes,  aber  nicbt  giftiges 
Öl.  Wässerige  Lösungen  des  Bittermandelöls  sind  1.  das  Bitter- 
mandelwasser, Aqua  Amygdalaruni  amararum,  ein  wäs- 
seriges Destillat  der  bitteren  Mandeln,  2.  das  Kirschlorbeer- 
wasser, Aqua  Lauro-Cerasi,  ein  wässeriges  Destillat  der 
frischen  Kirschlorbeerblätter.  Der  Blausäuregehalt  dieser  destil- 
lierten Wässer  soll  1  pro  Mille  betragen. 

Bestimmung  des  Blausäuregehaltes  im  Bittermandel-  und 
Kirschlorbeerwasser:  Man  fällt  die  Blausäure  durch  Silberlösung,  sammelt 
den  Niederschlag  auf  einem  bei  100°  getrockneten  und  genau  gewogenen 
Filter,  trocknet  bei  100°  und  wägt  ihn.  5  Teile  Cyansilber  entsprechen 
1  Teil  Blausäure, 

Schneller  verfährt  man  massanalytisch  durch  Anwendung  einer 
Silberlösuug  von  bestimmtem  Silbergehalte.  1.  Nach  Liebig:  Man  ver- 
setzt Bittermandelwasser  mit  Kalilauge  und  tröpfelt  so  lange  Silberlösung 
(0,32: 100)  zu,  bis  der  entstehende  Niederschlag  (AgCy)  nicht  mehr  verschwindet. 
Dann  ist  gerade  die  Hälfte  der  Blausäure  in  Cyansilber  übergegangen, 
welches  von  der  zweiten  Hälfte  des  entstandenen  Cyankaliums  aufgelöst 
gehalten  wird.  1  ccm  Silberlösung  =  0,001  g  HCy.  Ein  weiterer  Zusatz 
von  Silbernitrat  erzeugt  bleibende  Trübung,  da  sich  kein  Cyankalium  mehr 
zur  Auflösung  des  entstehenden  Cyansilbers  vorfindet.  —  2.  Nach  Mohr 
und  Pharm.  Germ.  II. :  Man  giebt  dem  Bittermandelwasser  etwas  Magnesia- 
hydrat hinzu  (um  Cyanmagnesium  zu  bilden),  darauf  einige  Tropfen  chrom- 
saure Kalilösung  und  so  lange  volumetrische  Silbernitratlösung,  bis  der 
weisse  Niederschlag  (Cyansilber)  anfängt,  rötlich  zu  werden  (durch  be- 
ginnende Ausscheidung  von  rotem  chromsauren  Silber).  1  ccm  Silberlösung 
giebt  0,001  g  HCy  an. 

c)  Aus  Kohle,  Wasserstoff  und  Schwefel  bestehende 
ätherische  Öle,  Verbindungen  des  Kadikais  Allyl*)  (C3H5),  welches 
mit  dem  Grlyceryl  gleich  zusammengesetzt,  aber  einwertig  ist;  das 
Knoblauchöl  ist  Schwefelallyl ,  das  ätherische  Senf  öl  dem 
Rhoclanallyl  oder  Schwefelcyanallyl  (C3H5CNS)  isomer. 

§  263.  Wie  gewinnt  man  die  ätherischen  Öle?  Die  grosse  Mehr- 
zahl der  ätherischen  Öle  findet  sich  in  den  Pflanzen  fertig  ge- 
bildet vor.  Sehr  häufig  sind  sie  im  ganzen  blühenden  Kraute, 
z.  B.  in  Dost,  Thymian,  Quendel,  Salbei,  Minze,  Melisse;  oder  nur 
in  den  Blüten,  z.  B.  bei  Rosen,  Kamillen ;  auch  wohl  in  den  Früchten, 
z.  B.  beim  Kümmel,  Fenchel,  Anis,  Sternanis,  den  Pomeranzen, 
Citronen;  oder  in  den  Samen,  wie  den  Muskatnüssen,  enthalten. 
Bei  den  Koniferen  finden  wir  sie  im  Holze,  in  den  Nadeln  u.  a., 
beim  Zimt  in  der  Rinde,  beim  Baldrian  in  der  Wurzel. 

In   seltenen    Fällen    lässt    sich    das    ätherische    Öl    aus    den 


*)  Allyl  von  allium,  Lauch. 


—    291     - 

Pflanzenteilen  mechanisch  auspressen,  wie  das  Citronenöl, 
Bergamottöl  und  Pomeranzenschalenöl  aus  den  Schalen  der  Citrone, 
Bergamotte  und  Pomeranze.  Die  übrigen  ätherischen  Öle  ge- 
winnt man  durch  Destillation  mit  Wasserdampf.  Früher 
weichte  man  die  zerkleinerten  Pflanzenteile  direkt  in  Wasser  und 
destillierte  über  freiem  Feuer ;  jetzt  leitet  man  gespannte  Wasser- 
dämpfe durch  die  trockenen  Pflanzenteile.  Man  erhält  alsdann 
neben  dem  ätherischen  Öle  ein  damit  geschwängertes 
destilliertes  Wasser;  beide  werden  mechanisch  durch  den 
sog.  Scheidetrichter  getrennt. 

Zwei  der  offizinellen  ätherischen  Öle  finden  sich  nicht  in 
den  Gewächsen  fertig  gebildet,  sondern  entstehen  erst,  wenn 
man  die  gepulverten  Pflanzenteile  mit  Wasser  anrührt,  durch 
Einwirkung  eines  Eiweissstoffes  infolge  einer  Art  Gährung.  Es 
sind  dies  das  Bittermandelöl  und  Senf  öl.  Das  Bitter- 
mandelöl entsteht  aus  dem  in  den  bitteren  Mandeln  enthaltenen 
Bitterstoffe,  dem  Ainygdalin,  welches  den  süssen  Mandeln 
fehlt.  Bührt  man  zerstossene  bittere  Mandeln  mit  Wasser  an, 
so  entwickelt  sich  das  Bittermandelöl,  von  welchem  zuvor  keine 
Spur  vorhanden  war ,  zufolge  der  Einwirkung  eines  in  den 
Mandeln  enthaltenen  Eiweissstoffes  (Emulsin)  auf  das  Amyg- 
dalin. Letzteres  ist  ein  Glykosid  und  spaltet  sich,  unter  Auf- 
nahme von  Wasserelementen,  in  Zucker  und  blausäurehaltiges 
Bittermandelöl.     Nämlich : 

aoE^NOn    +    2H20    =    C7H6Ü,HCF    -f-    CA.C^     . 

Amygdalin  Wasser  Bittermandelöl  Zucker. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Senföle.  Im  schwarzen 
(nicht  im  weissen)  Senf  finden  sich  my  ronsau  res  Kali*), 
neben  einem  Eiweissstoffe  (Myrosin) ,  dessen  Einwirkung  bei 
Wasserzutritt  sofort  eine  Spaltung  des  myronsauren  Kalis  in 
schwefelsaures  Kali  und  ätherisches  Senföl  hervorruft.  Rührt 
man  das  Senfpulver  mit  Wasser  an,  zur  Anfertigung  eines  Senf- 
teiges (Sinapismus),  so  tritt  diese  Gährung  ein  und  liefert  Senföl. 

Das  ätherische  Senföl  lässt  sich  auch  künstlich  darstellen 
durch  Destillation  des  Jodallyls  mit  Rhodankaliuni ,  wobei  Jod- 
kalium in  der  Retorte  zurückbleibt  und  Senföl  überdestilliert. 

Versuche. 

1.  Aniygdalin  undJBittermanclelöl.  Man  zerstosse  100  g  bittere 
Mandeln,  presse  das  fette  Öl  möglichst  vollständig  ab  und  koche  den  zer- 
riebenen Rüchstand  zweimal  mit  150  g  Weingeist  aus,  die  Lösung  heiss 
filtrierend.  Man  dampfe  die  gemischten  Flüssigkeiten  auf  ihren  sechsten 
Teil  ein  und  mische  dem  erkalteten  Rückstande  sein  halbes  Volum  Äther 
zu.  Das  Amygdalin  wird  ausgeschieden  und  kann  durch  Umkrystallisieren 
aus  heisser,  weingeistiger  Lösung  gereinigt  werden. 


*)  Myronsäure  von  [/.upov,  Senf. 

19* 


—    292     — 

Fügt  man  einige  dg  desselben  zu  Mandelmilch  oder  mit  Wasser  ver- 
dünntem Mandelsyrap,  so  tritt  alsbald  der  Geruch  nach  Bittermandelöl  auf. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  Prozent  Amygdalin  enthalten  die  Mandeln  wenn  1  kg 
derselben  1  g  Blausäure  liefert?  —  Antw.  HCN  :  (C^H^NOn  -j-  2aq.)  = 
27  :  488;  x  =  1,8%. 

2.  a)  Wieviel  salpetersaures  Silberoxyd  erfordert  0,001  g  Blausäure 
zur  Fällung?  b)  Wieviel  Cyansilber  wird  dabei  gebildet?  —  Antw.-  a) 
HCN  :  AgN03  =  27  :  170;  x  =  0,0063  g.  b)  HCN  :  AgCN  =  27  :  134; 
x  =  0,005  g. 

3.  Wieviel  salpetersaures  Silberoxyd  verlangt  0,10  g  Blausäure  zur 
Bildung  von  (KCy  -j-  AgCy)?  —  Antw.  2 HCN  :  AgN03  =  2  X  27  : 
170;  x  =  0,315^. 


44.  Die  Harze. 


§  264.  Was  sind  Harze?  Es  findet  sich  im  Pflanzenreiche 
eine  Klasse  von  Körpern  verbreitet,  die  man  Harze  nennt;  zu- 
mal sind  einzelne  Familien,  wie  die  Koniferen  und  Terebinthaceen, 
reich  an  solchen  und  lassen  sie  häufig  freiwillig  aus  den  Rissen 
und  Verwundungen  der  Stämme  und  Äste  ausfliessen  und  an  der 
Luft  erhärten. 

Die  Harze  bestehen  aus  Kohle,  "Wasserstoff  und  Sauerstoff; 
sie  sind  im  reinen  Zustande  fest,  farblos  und  geruchlos,  amorph 
(nicht  krystallinisch),  unlöslich  im  Wasser,  leichtlöslich  in  Wein- 
geist, viele  auch  in  Äther.  Wird  eine  weingeistige  Harzlösung 
in  Wasser  gegossen,  so  scheidet  sich  das  Harz  in  Verbindung 
mit  Wasser,  Harzhydrat,  als  amorphes  Pulver  ab. 

In  ihrem  chemischen  Verhalten  sind  die  Harze  zum  Teil  in- 
different, zum  Teil  saurer  Natur,  insofern  sich  solche  in  Ätzalkali- 
laugen zu  sogen.  Harz  seifen  auflösen,  aus  welcher  Lösung  sie 
durch  Säuren  ausgeschieden  werden. 

Die  Harze  schmelzen  in  der  Wärme,  sind  aber  nicht  flüchtig ; 
angezündet  verbrennen  sie  mit  stark  russender  Flamme. 

§  265.  Wie  teilt  man  die  Harze  ein?  Die  Harze  finden  sich  in 
der  Natur  selten  rein,  gewöhnlich  mannigfaltig  vermischt  und 
durch  fremdartige  Materien  verunreinigt.  Je  nach  diesen  Bei- 
mengungen lassen  sie  sich  unterscheiden  in: 

a)  Hartharze,  spröde  und  hart,  meist  Gemenge  mehrerer 
Harze  und  sehr  häufig  saurer  Natur  (in  Ätzalkalien  löslich) ;  an 
Wasser  geben  sie  nichts  ab.  Hierhin  gehören  die  Harze  der 
Koniferen:  Fichtenharz  (aus  einem  sauren  Harze,  der  Abietin- 
säure,  bestehend),  durch  Schmelzen  in  Kolophonium  sich  ver- 
ändernd (mit  Kolopholsäure),  Sandarak,  Dammarharz;  die 
Harze  der  Terebinthaceen:    El  ein i,    Mastix;    ferner    Benzoe 


—    293    — 

(mit  20  %  Benzoesäure,  die  einer  braunen  Harzmasse  eingebettet 
ist),  Guajakharz  (aus  zwei  sauren  Harzen),  Jalapenharz, 
Podophyllin,  Kopal,  Schellack.  Hierhin  gehört  auch  der 
Bernstein,  das  Harz  einer  vorweltlichen  Konifere  (Pinus  succi- 
nifera),  mit  einem  Gehalt  an  Bernsteinsäure. 

b)  Schleimharze  oder  Gummiharze,  Gemenge  aus 
Harzen  mit  Gummi,  häufig  auch  ätherisches  Öl  führend.  Sie 
lassen  sich  mit  "Wasser  zu  einer  Emulsion  verreiben;  Weingeist 
löst  aus  ihnen  die  harzigen  Bestandteile,  mit  Zurücklassung  des 
Gummi.  In  gelinder  Wärme  erweichen  sie,  ohne  jedoch  ein  voll- 
ständiges Schmelzen  zu  gestatten.  Hierhin  gehören  aus  der 
Familie  der  Doldengewächse:  Stinkasant  (mit  einem  schwefel- 
haltigen ätherischen  Öle),  Ammoniakgummi  und  Galbanum; 
aus  den  Terebinthaceen :  Weihrauch  und  Myrrhe;  ferner 
Euphorbium  und  Gutti. 

c)  Balsame,  dickflüssige  Lösungen  von  Harz  in  ätherischem 
Öle.  Sie  lassen  sich  nicht  im  Wasser  mischen,  lösen  sich  aber 
in  Weingeist,  Äther,  Terpentinöl  u.  a.  Hierhin  gehören  der  Ter- 
pentin (Eichtenharz  in  Terpentinöl  gelöst),  Kopaivabalsam, 
Perubalsam,  flüssiger  Storax  (beide  letzteren  mit  Zimtsäure). 

Den  Harzen  reihen  sich  zwei  Körper  eigener  Konstitution  an : 
das  Kautschuk  und  die  Guttapercha.  Beide  bestehen  nur  aus 
Kohle  und  Wasserstoff;  sie  lösen  sich  weder  in  Wasser,  noch  in 
Weingeist,  kaum  in  Äther,  dagegen  in  ätherischen  Ölen  (Benzin, 
Terpentinöl),  Chloroform  und  Schwefelkohlenstoff.  Es  sind  erhärtete 
Milchsäfte  südländischer  Gewächse  und  zeichnen  sich  durch  grosse 
Elastizität  aus ;  die  Guttapercha  erweicht  in  heissem  Wasser  und 
schmilzt  bei  100°,  erhärtet  aber  beim  Erkalten  wieder. 


§  266.  Die  Bernsteinsäure.  Im  Bernstein  (Succinum)  ist  eine 
besondere  organische  Säure  enthalten,  die  Bernsteinsäure, 
Acidum  succinicum  (C4H604),  welche  sich  von  der  Apfel- 
säure durch  den  Mindergehalt  eines  Sauerstoffatoms  unterscheidet. 
Bei  der  Erhitzung  des  Bernsteins,  zur  Bereitung  von  Bernstein- 
firnis, sublimiert  die  Säure  in  gelblichen  Krusten,  getränkt  von 
brenzlichem  Bernsteinöl  (Oleum  Succini),  welches  ihr  seinen 
empyreumatischen  Geruch  erteilt.  Durch  Umkrystallisieren  aus 
heissgesättigter  wässeriger  Lösung  erhält  man  sie  reiner  und 
weniger  stark  riechend.  Die  chemisch  reine  Bernsteinsäure  ist 
dahingegen  färb-  und  geruchlos  und  wird  durch  Gährung  des 
äpfelsauren  Kalkes  mit  faulem  Käse  gewonnen. 

Die  Bernsteinsäure  löst  sich  leicht  in  Wasser  und  in  Wein- 
geist; beim  Erhitzen  sublimiert  sie.  Ihre  neutralen  Salzlösungen 
werden  durch  Eisenchlorid  braun  gefällt;  Salzsäure  löst  jedoch 
das  bernsteinsaure  Eisenoxyd  wieder  auf. 


-     294    — 

Von  den  bernsteinsauren  Salzen  wird  das  bernsteinsaure 
A m m o n i a k  in  Lösung,  Liquor  Ammonii  succinici,  arznei- 
lich gebraucht.  Man  stellt  es  dar  durch  Sättigung  des  brenzlich 
kohlensauren  Ammoniaks  mit  Bernsteinsäure ;  es  ist  beladen  mit 
ätherischem  Bernsteinöl  und  Tieröl. 

§  267.  Die  Benzoesäure.  Im  Harz  der  Benzoe  liegt  eine  orga- 
nische Säure,  die  Benzoesäure,  Aciclum  benzoicum  (C7H60.2), 
eingebettet.  Man  kann  sie  durch  Auskochen  des  gepulverten 
Harzes  mit  Kalkmilch,  Filtrieren  und  Zusatz  von  Salzsäure  als 
kristallinischen  Niederschlag  in  weissen  feinen  Nadeln  erhalten. 
Diese  Säure  riecht  noch  schwach  nach  der  Benzoe ;  sie  löst  sich 
leicht  in  Weingeist,  sowie  in  siedendem  Wasser,  woraus  sie  beim 
Erkalten  grösstenteils  auskrystallisiert ;  beim  Erhitzen  sublimiert 
sie  in  weissen,  zu  Husten  reizenden  Dämpfen.  Sie  hat  mit  der  Bor- 
säure das  gemeinsam,  dass  sie  sich  beim  Kochen  ihrer  wässerigen 
Lösung  teilweise  mit  den  Wasserdämpfen  verflüchtigt.  Ihre  neu- 
tralen Salzlösungen  verhalten  sich  zu  Eisenchlorid  wie  die  Bern- 
steinsäure: sie  werden  braungelb  gefällt;  Salzsäure  löst  aber  das 
benzoesaure  Eisenoxyd  wieder  auf. 

Offizineil  ist  nur  die  durch  Sublimation  aus  der  Benzoe 
gewonnene  Säure,  früher  Elores  Benzoe  genannt.  Dieselbe 
zeigt  eine  etwas  gelbliche  Farbe  und  einen  starken,  aromatischen, 
schwach  brenzlichen  Geruch,  von  einem  ätherischen  Öle  herrührend, 
welches  aus  dem  schmelzenden  Benzoeharze  sich  entwickelt.  Man 
führt  die  Sublimation  in  einem  flachen  eisernen  Grapen  aus,  über 
welchem  ein  Hut  aus  starkem  Papier  oder  ein  hölzerner,  innen 
mit  Glanzpapier  ausgefütterter  Kasten  zur  Aufnahme  der  ver- 
dichteten Säure  angebracht  wird. 

Die  Benzoesäure  entsteht  auch  künstlich  aus  der  Hippur- 
säure,  durch  Kochen  mit  Alkalien,  wobei  dieselbe  in  Benzoe- 
säure und  Glykokoll  (Leimsüss)  zerfällt.  Da  die  Hippursäure  aus 
dem  Harn  der  Pferde  gewonnen  wird,  so  haftet  der  ihr  entstam- 
menden Benzoesäure  (Acidum  benzoicum  ex  urina)  hartnäckig 
ein  Harngeruch  an.  Chemisch  reine  Benzoesäure  ist  ohne  Geruch 
und  wird  aus  Toluol  (eine  dem  Benzol  ähnliche  Flüssigkeit  aus 
dem  Steinkohlentheer)  dargestellt. 

Prüfung  der  Benzoesäure:  Sie  muss  ohne  Rückstand  sich  sub- 
limieren  lassen  (ein  kohliger  Rückstand:  Hippursäure) ;  mit  übermangan- 
saurem Kali  erwärmt  darf  sie  nicht  den  Geruch  nach  Bittermandelöl  ab- 
geben (Zimt säure),  auch  muss  ihre  wässerige  Lösung  mit  einem  kleinen 
Zusatz  von  Kaliumpermanganat  sich  in  einiger  Zeit  entfärben  (zufolge  des 
Gehaltes  an  brenzlichem  Öle;  künstliche  und  die  durch  Krystallisation  aus 
der  Benzoe  gewonnene  Benzoesäure  entfärbt  das  Kaliumpermanganat  nicht). 

Ton  den  benzoesauren  Salzen, Benzoaten,  ist  das  benzoesaure 
Natron,  Natriumbenzoat,  Natrium  benzoicum  (NaC;Hä02),  offi- 


—    295     — 

zinell.  Man  gewinnt  es  durch  Sättigung  der  (künstlich  dargestell- 
ten) Benzoesäure  mit  kohlensaurem  Natron  und  Abdampfen  der 
Lösung  als  weisses  Salz,  welches  sich  in  Wasser  leicht  auflöst. 
Säuren  scheiden  aus  seiner  Lösung  die  Benzoesäure  als  weissen 
Krystallbrei  ab. 

§  268.  Der  Benzoesäure  verwandte  Säuren,  a)  Durch  den  Mehr- 
gehalt von  einem  Sauerstofiatom  unterscheidet  sich  von  der  Benzoe- 
säure die  ihr  sehr  ähnliche,  geruchlose,  weisse  Salicylsäure, 
Acidum  salicylicum,  die  als  vorzügliches  antiseptisches  (gährungs- 
widriges)  Mittel  angewendet  wird.  Ihre  Formel  ist  daher  (HC7H503). 
Sie  löst  sich  noch  schwieriger  in  kaltem  "Wasser  wie  die  Benzoe- 
säure, leichter  in  siedendem  Wasser,  sehr  leicht  in  Weingeist  und 
Äther.  Man  gewinnt  die  Salicylsäure  aus  der  Karbolsäure,  durch 
Einwirkung  von  Kohlensäure*);  ihren  Namen  führt  sie  vom 
Sali  ein,  einem  in  der  Weidenrinde  enthaltenen  Glykoside,  aus 
dem  man  sie  zuerst  darstellte.  Die  Salicylsäure  hat  mit  der 
Karbolsäure  die  Beaktion  gemeinsam,  durch  Eisenchlorid  blau- 
violett gefärbt  zu  werden. 

Yon  den  salicylsauren  Salzen  hat  das  salicylsäure  Natron, 
Natriumsalicylat,  Natrium  salicylicum  (NaC7H503),  medizinische 
Anwendung  gefunden.  Ein  weisses,  in  Wasser  sehr  leicht  lös- 
liches, mikrokrystallinisches  Salz,  durch  Sättigung  der  Salicyl- 
säure mit  kohlensaurem  Natron  dargestellt.  Die  Lösung  dieses 
Salzes  wird  bei  Erhitzen  und  Abdampfen  braun,  zumal  bei  einem 
Überschuss  an  Alkali,  wesshalb  der  letztere  sehr  zu  vermeiden  ist. 

b)  Die  Zimtsäure  vertritt  die  Benzoesäure  in  den  aus 
Sumatra  stammenden  Benzoesorten,  nähert  sich  in  ihrer  Zusammen- 
setzung sehr  derselben,  ist  ihr  auch  in  ihren  äusseren  Eigen- 
schaften ungemein  ähnlich,  aber  leicht  von  ihr  zu  unterscheiden 
durch  ihr  Verhalten  zu  oxydierenden  Mitteln,  durch  welche  die 
Zimtsäure  in  Benzaldehyd  (Bittermandelöl)  übergeführt  wird**). 
Erhitzt  man  Zimtsäure  mit  einer  Lösung  von  übermangansaurem 
Kali,  so  entwickelt  sich  der  Geruch  nach  Bittermandelöl. 

§  269.  Einige  eigentümliche  Säuren.  Es  mögen  an  dieser  Stelle 
noch  folgende  eigentümliche  organische  Säuren  Erwähnung  finden : 

1.  Die  Chrysophansäure  findet  sich  im  Rhabarber  u.  a. 
und  erscheint  in  goldgelben  Nadeln,  die  sich  nicht  in  Wasser, 
aber  mit  dunkelroter  Farbe  in  kohlensauren  und  ätzenden  Alkalien 
lösen.   (Daher  erscheint  die  mit  Kaliumkarbonat  bereitete  wässerige 


*)    C6H60 

+         C°2         = 

C7H603 

Karbolsäure 

Kohlensäure 

Salicylsäure. 

**)    C9H802 

+      40       = 

C-H60      + 

H20 

+      2C0, 

Zimtsäure 

Sauerstoff 

Benzaldehyd 

Wasser 

Kohlensäure 

296 


Rhabarbertinktur  dunkelrot.)  Künstlich  entsteht  sie  durch  Oxy- 
dation aus  dem  Chrysarobin,  dem  sog.  Goapulver  aus  Brasilien. 
Letzteres  findet  sich  daselbst  in  Hohlräumen  eines  gewissen  Baumes 
und  wird  durch  Auflösen  in  Benzol  gereinigt;  ein  gelbes,  in 
Wasser  unlösliches  Pulver ,  dessen  Lösung  in  Kalilauge  aus  der 
Luft  Sauerstoff  anzieht  und  allmählich  durch  Übergang  in  Chry- 
sophansäure  rot  wird.*) 

2.  Das  Santonin,  Saiitoninum ,  Anhydrid  der  S anton- 
säur e,  findet  sich  als  wirksames  Prinzip  im  Wurmsamen.  Man 
gewinnt  es  durch  Auskochen  des  letzteren  mit  Kalkmilch  und 
Versetzen  des  Piltrates  mit  Salzsäure,  wobei  sich  das  Santonin 
abscheidet.  Es  bildet  farblose,  geruchlose,  glänzende  Blättchen, 
die  sich  sehr  schwer  in  Wasser,  leicht  in  Weingeist,  Äther,  Chloro- 
form lösen  und  im  Lichte  gelb  werden,  ohne  sich  dabei 
chemisch  zu  verändern.  Man  bereitet  durch  Auflösen  von  Santonin 
in  Natronlauge  und  Krystallisierung  das  in  Wasser  lösliche  san- 
tonsaure  Natron,  Natrium  santonicum. 

Versuche  und  praktische  Übungen. 

1.  Sublimation  der  Benzoesäure. 
Den  einfachsten  Apparat,  wie  er  zu  einem 
Versuche  im  Kleinen  genügt,  zeigt  Fig.  77. 
Man  überklebe  einen  flachen,  möglichst 
niedrigen  eisernen  Tiegel  (a),  dessen  Boden 
man  gleichmässig  mit  zerstossener  Benzoe 
bestreut  hat,  zunächst  mit  einem  Bogen 
recht  lockeren  Fliesspapiers  oder  Gaze  (b), 
dann  mit  einem  aus  dichtem  Papier,  inner- 
seits  Glanzpapier,  gefertigten  Hut  (c),  den 
man  (bei  d)  fest  aufbinde.  Das  Ganze 
werde  ohne  die  geringste  Erschütterung 
auf  einer  eisernen  Platte  (e),  welche  dünn 
mit  Sand  bestreut  worden,  mehrere  Stunden 
gelinde  erhitzt.  Nimmt  man  alsdann  den 
Hut  vorsichtig  ab,  so  findet  man  seine 
Innenfläche  mit  zarten,  weissen  Nadeln 
von  Benzoesäure  überzogen. 

2.  Krystallisierte  Benzoesäure.  Man  löscht  1  Teil  Kalk,  mischt 
2  Teile  gepulverte  Benzoe  hinzu  und  kocht  mit  je  50  Teilen  Wasser 
mehrere  Male  aus;  die  filtrierten  Auszüge  werden  gemischt,  auf  40  Teile 
abgedampft  und  mit  soviel  Salzsäure  versetzt,  bis  kein  Niederschlag  mehr 
entsteht.  Die  ausgeschiedene  Benzoesäure  wird  auf  Leinwand  gesammelt, 
ausgedrückt  und  in  ihrer  20  fachen  Menge  siedendem  Wasser  gelöst,  woraus 
sie  beim  Erkalten  auskrystallisiert. 

3.  Natrium  salicylicum.  Man  verreibe  gleiche  Gewichtsmengen 
krystallisierter  Soda  und  Salicylsäure  in  einem  Porzellanmörser  kräftig_  und 
lasse  die  durch  die  entweichende  Kohlensäure  schaumig  werdende,  teigige 
Masse  in    lauer  Wärme    eintrocknen.      Will    man    das    Salz    krystallisiert 


Fie.  76. 


*)  C30H26O7       +      40       =       2C15H1U04      +      3H20 

Chrysarobin  Sauerstoff  Chrysophansäure  Wasser. 


—     297     — 

erhalten,  so  übergiesse  man  den  trocknen  Rückstand  in  einem  Kolben  mit 
der  5 — 6  fachen  Menge  Weingeist,  erhitze  im  Wasserbade  und  giesse  die 
heisse  Lösung  ab;  beim  Erkalten  scheidet  letztere  einen  Teil  des  aufge- 
nommenen Salzes  in  feinen  Krystallblättchen  ab.  Man  giebt  die  von  den- 
selben abgegossene  weingeistige  Flüssigkeit  auf  den  zuvor  gebliebenen 
Salzrückstand,  erhitzt  nochmals  und  lässt  wieder  krystallisieren. 

Stöchiometrische  Aufgaben. 

1.  Wieviel  salicylsaures  Natron   liefert  1  kg  Salicylsäure?  —  Antw. 
(C7H603)  :  (NaC7H503)  =  138  :   160;  x  =  1160  0. 

2.  Wie  lässt  sich  dieses  Verhältnis  vereinfachen?  —  Antw.  6  Teile 
Salicylsäure  liefern  7  Teile  Natriumsalicylat. 


45.  Die  Alkaloide. 

§  270.  Allgemeiner  Charakter  der  Alkaloide.  Im  Pflanzenreiche 
findet  sich  eine  zahlreiche  Gruppe  von  Körpern,  welche  mehr 
oder  weniger  starke  alkalische  Eigenschaften  zeigen  und 
mit  den  Säuren  wohl  ausgebildete  Salze  hervorbringen. 
Man  hat  sie  deshalb  Alkaloide  (d.  i.  Alkalien  ähnlich)  oder 
organische  Salzbasen  genannt.  Ihnen  reihen  sich  eine 
noch  grössere  Zahl  künstlich  darstellbarer  organischer 
Basen  an,  an  denen  man  die  eigentümliche  Natur  der  ganzen 
Gruppe  erforscht  hat 

Als  gemeinsame  Eigenschaften  sind  anzuführen: 

Die  Alkaloide  sind  teils  fest  und  nicht  flüchtig,  teils  flüssig 
und  flüchtig  —  zu  ersteren  gehört  die  Mehrzahl  der  offizinellen, 
zu  letzteren  Coniin  und  Nikotin  — ,  oft  von  stark  bitterem  Ge- 
schmack, in  Wasser  mehr  oder  weniger  schwer-  oder  unlöslich, 
dagegen  leicht  löslich  in  verdünnten  Säuren,  in  Wein- 
geist und  meistens  in  Chloroform,  oft  auch  in  Äther. 

Die  Salze  der  Alkaloide  werden  sowohl  von  Wasser,  wie  von 
Weingeist  leicht  aufgenommen,  nicht  aber  von  Äther;  sie  kry- 
stallisieren leicht,  werden  durch  ätzende  und  kohlensaure  Alkalien 
unter  Abscheidung  des  Alkaloids  zerlegt.  Allgemeine  Fällungs- 
mittel der  Alkaloide  sind: 

1.  Gerbsäure,  welche  weisses,  gerbsaures  Alkaloid  nieder- 
schlägt —  daher  sind  gerb stoff haltige  Aufgüsse  (Thee,  Kaffee) 
Gegengifte  gegen  giftige  Alkaloide. 

2.  Jodlösung,  Jodtinktur,  besser  noch  eine  Jodlösung  in 
Jodkalium,  welche  in  Alkaloidlösungen  einen  kermesbraunen, 
gallertartigen  Niederschlag  hervorruft,  der  sich  nach  einigen  Stunden 
fest  auf  die  Gefässwand  anschlägt.  Kocht  man  denselben  mit  einer 
verdünnten  Säure,  so  gewinnt  man  eine  Salzlösung  des  Alkaloids, 
indess  Joddämpfe  entweichen.  (Mittel  zum  Nachweis  giftiger 
Alkaloide  in  Speisen  und  Getränken!) 


—     298     — 

§  271.  Wie  sind  die  Alkaloide  zusammengesetzt?  Die  Alkaloide 
enthalten  sämtlich  Stickstoff,  daneben  stets  Kohle  und 
Wasserstoff,  oft  auch  Sauerstoff. 

Die  Alkaloide  sind  anzusehen  als  Ammoniak,  in  welchem  an 
Stelle  von  1,  2  oder  3  Wasserstoffatomen  eine  äquivalente  Menge 
eines  organischen  Radikals  getreten  ist. 

Bei  den  künstlich  darstellbaren  Alkaloiden  kennt  man  die 
betreffenden  Radikale;  so  existieren  von  den  Alkoholradikalen 
(Methyl,  Äthyl,  Propyl,  Amyl  u.  a.)  eine  grössere  Reihe  von 
Alkaloiden,  je  nachdem  1,  2,  3  Wasserstoffatome  des  Ammoniaks 
von  denselben  vertreten  ist.     Hiernach  unterscheidet  man: 

1.  Amidbasen,  N  mit  2  H  und  1  Radikal,  z.  B. 
Methylamin        N  /  ^H3  Propylamin  N  [  *gH7 

Äthylamin  N  /  ^5  Phenylamin  (Anilin)         N  /  ^H5 

2.  Imidbasen,  N  mit  1  H  und  2  Radikal,  z.  B. 
Dimethylamin     N  /  |CH3  Diäthylamin  N  ||C2H5 

3.  Nitrilbasen,  N  mit  3  Radikalatomen,  z.  B. 
Trimethylamin   NJ3CH3  Triätliylamin  NJ3C2H5 

Während  wir  bei  den  künstlich  darstellbaren  Alkaloiden  die 
Natur  der  in  ihnen  enthaltenen  Radikale  kennen,  wissen  wir  bei 
den  natürlich  vorkommenden  Alkaloiden  kaum  etwas  genaueres 
über  ihre  Radikale.  Man  bezeichnet  sie  daher  durch  kurze  Zeichen 
mit  darüber  gesetztem  +• 

Die  Salzbildung  geschieht  bei  den  Alkaloiden  in  derselben 
Weise  wie  beim  Ammoniak,  nämlich  durch  Addition  des  Alkaloids 
zur  Säure.     Beispiel:  + 

Anilin  n(§Ä  M°rpMn  Mph 

Salzsaures  Anilin        (n/£[6H)hC1       Salzsaures  Morphin  MphHCl 

SchwefelsauresAnilin^NJg5   5)2H2S04  Schwefelsaures  Morphin  Mph2H2S04 

§  272.  Wie  gewinnt  man  die  Alkaloide?  Die  flüchtigen  Alka- 
loide (Coniin,  Nikotin)  stellt  man  durch  Destillation  aus  den  be- 
treffenden Pflanzenteilen  mittelst  Ätzkali  dar;  das  Destillat  wird 
mit  Salzsäure  gesättigt,  eingedampft  und  nach  Zusatz  von  Alkali 
abermals  destilliert. 

Die  nicht  flüchtigen  Alkaloide  extrahiert  man  mit  ver- 
dünnten Säuren  oder  mit  Weingeist  aus  den  betreffenden  Pflan- 
zenteilen; der  Auszug  wird  eingedampft,  resp.  der  Weingeist  ab- 
destilliert, worauf  man  den  Rückstand  mit  einem  ätzenden  oder 
kohlensauren  Alkali  oder  einer  alkalischen  Erde  behandelt.  Das 
dadurch    ausgeschiedene   Alkaloid   wird    durch   Weingeist   ausge- 


—    299     — 

zogen,  das  Eil  trat  mit  einer  Säure  gesättigt,  nach  Abdestillierung 
des  Weingeistes  mittelst  Tierkohle  entfärbt  und  das  Alkaloid 
aus  konzentrierter  Lösung  durch  ein  Alkali  wieder  gefällt. 

§  273.  Die  Alkaloide  des  Opiums.  Im  Opium  findet  sich  eine 
grössere  Anzahl  von  Alkaloiden,  von  denen  die  wichtigsten  sind: 

+ 

1.  Das  Morphin,  Morphinuni*)  Mph,  zu  10— 15°/0  im 
Smyrnaer  Opium  als  mekonsaures  Morphin,  enthalten,  wurde 
1804  von  Sertürner  entdeckt  als  erstbekanntes  Alkaloid.  Es 
geht  sowohl  in  das  wässerige  Opiumextrakt,  wie  in  die  Opium- 
tinktur über.  Die  Pharm.  Germ,  verlangt  im  Opium  10°/o  Mor- 
phin. Um  es  zu  gewinnen,  extrahiert  man  das  Opium  mit  kaltem 
Wasser,  fällt  den  eingeengten  Auszug  durch  Ätzammoniak, 
reinigt  das  ausgeschiedene  Morphin  in  salzsaurer  Lösung  durch 
Tierkohle  und  fällt  es  abermals  durch  Ammoniak.  Ätzkali 
und  Ätznatron,  auch  Ätzkalk,  lösen  das  Morphin  leicht  auf, 
sind  daher  zur  Fällung  nicht  anwendbar.  Keines  Morphin 
kristallisiert  in  weissen  Prismen,  löst  sich  kaum  in  Wasser  oder 
Äther,  leicht  in  Weingeist  und  verdünnten  Säuren.  Konz.  Schwefel- 
säure nimmt  es  farblos  auf,  auf  Zusatz  von  einer  Spur  Salpeter- 
säure tritt  aber  Rötung  ein.     Es  ist  giftig,   wie  alle  seine  Salze. 

Yon  den  Salzen  des  Morphins  werden  medicinisch  angewendet : 

das    salzsaure    Morphin,     Morphinum     hydrockloricum 

+ 
(MphHCl-j-3aq.),  und  das  schwefelsaure  Morphin,  M.  sulfu- 

+ 
ricum  (Mph2H2S04  +  5aq.),  beide  in  weissen  Krystallnadeln. 
Sie  lösen  sich  leicht  in  Wasser  und  in  Weingeist.  Früher  ge- 
brauchte man  auch  das  essigsaure  Morphin;  es  ist  aber 
weder  krystallisierbar,  noch  haltbar,  da  es  bei  der  Aufbewahrung 
Essigsäure  verliert  und  sich  dann  nicht  mehr  klar  in  Wasser  auflöst. 
Das  Morphin  geht  in  höherer  Temperatur  in  Berührung  mit 
konz.  Salzsäure  in  eine  neue  Base  über,  die  man  Apo morphin 
genannt  hat.  Die  Salze  derselben  zeichnen  sich  durch  ihr  Ver- 
halten an  der  Luft  aus,  ihre  Lösungen  nehmen  an  derselben  all- 
mählich eine  grüne  Farbe  an.  Alkalien  nehmen  das  Apomorphin 
wie  das  Morphin  leicht  auf,  färben  sich  aber  bald  purpurrot. 
Das  salzsaure  Apomorphin,  Apomorphinum  hydrocliSori- 
€iim,  wird  als  starkes  Brechmittel,  in  geringen  Dosen  zur  Beför- 
derung des  Schleims  der  Luftwege,  gebraucht. 

2.  DasKodein,  Codeinum**), ansehnliche, farblose Krystalle, 
welche   sich  in  Wasser,    nicht   aber  in  fixen  Alkalien  lösen  und 

*)  Abgeleitet  von  Mopoeuc,  Gott  des  Schlafes  und  der  Träume,  wegen 
er  einschläfernden  Wirkung. 

**)  Abgeleitet  von  xwSsia  (Molinkopf). 


—     300     — 

aus  der  Mutterlauge  des  Morphins  gewonnen  werden.     Es  findet 
sich  nur  spärlich  (zu  4/a  %)  im  Opium. 

3.  Das  Narkotin*)  kommt  nächst  dem  Morphin  am  reich- 
lichsten im  Opium  vor  (6 — 10%),  aber  ungebunden.  Es  ist  un- 
löslich in  "Wasser,  löslich  in  Weingeist,  wird  durch  Wasser 
nicht  aus  dem  Opium  extrahiert  und  ist  daher  nicht  im  wässerigen 
Opiumextrakt  enthalten,  dagegen  wohl  in  der  Opiumtinktur. 

§274.  Die  Alkaloide  der  Chinarinden.  In  den  Chinarinden 
finden  sich  vier  Alkaloide:  Chinin,  Cinchonin,  Chinidin 
(Conchinin)  und  Cinchonidin,  gebunden  an  Chinasäure  neben 
China g erbsäure.  In  der  Königschina  und  roten  China  herrscht 
das  Chinin  vor,  in  der  braunen  Chinarinde  dagegen  das  Cinchonin, 
neben  wenigem  Chinin.  Die  Pharm.  Germ,  verlangt  in  der  China- 
rinde mindestens  3,5  Proz.  Chinin. 

Man  extrahiert  die  Chinarinde  mit  salzsäurehaltigem  Wasser, 
scheidet  die  Alkaloide  aus  dem  Auszug  durch  Kalk  aus,  löst  sie 
in  Weingeist,  sättigt  sie  mit  Schwefelsäure,  destilliert  den  Wein- 
geist  ab  und   lässt  das  schwefelsaure  Alkaloid  auskrystallisieren. 

+ 

1.  Das  Chinin,  Chinin  um,  Ch,  ein  weisses, krystallinisches 
Pulver,  löst  sich  kaum  in  Wasser,  leicht  in  Weingeist,  auch  in 
Äther  (Unterschied  vom  Cinchonin!).  Seine  Salze  zeichnen  sich 
durch  einen  stark  bitteren  Geschmack  aus  und  färben  sich  durch  Chlor- 
wasser und  darauf  hinzugefügtes  überschüssiges  Ammoniak  grün. 

Das  schwefelsaure  Chinin,  Chininsulfat,  Ciiminum  sul- 

+ 

furicum    (Ch2H2S04  -f-  8aq.),    in    feinen,    weissen,   glänzenden 

Nadeln,  schwerlöslich  in  Wasser,  leicht  in  Weingeist.    Mit  2/3  Teil 

verdünnter    Schwefelsäure  löst  es   sich  als  doppeltschwefel- 

+ 
saures  Chinin,  Ciiminum  bisulfuricuni  (ChH2S04),  in  Wasser 
leicht  zu  einer  bläulich  schillernden  Flüssigkeit  auf. 

Prüfung  des  Chininsulfats:  Es  darf  sich  weder  mit  Salpetersäure 
(Morphin),  noch  mit  konzentrierter  Schwefelsäure  röten  (Salicin).  In  einer 
Mischung  aus  Chloroform  und  Alkohol  muss  es  sich  völlig  beim  Erwärmen 
lösen  (Rückstand:  unorganische  Salze).  Das  schwefelsaure  Chinidin  ähnelt 
dem  Chininsulfate  sehr,  löst  sich  aber  leichter  in  Wasser;  eine  Beimengung 
desselben  erkennt  man  daher,  wenn  man  2  Teile  Chininsulfat  mit  20  Teilen 
kaltem  Wasser  schüttelt  und  5  Teile  Filtrat  mit  7  Teilen  Ätzammoniak- 
flüssigkeit versetzt,  an  einer  dauernden  Trübung  (durch  ausgeschiedenes 
Chinidin).  Ein  Cinchonin gehalt  wird  beim  Fällen  der  sauren  Lösung  mit 
Salmiakgeist  und  Schütteln  mit  Äther  durch  eine  Trübung  konstatiert,  da 
sich  zwar  das  Chinin,  aber  nicht  das  Cinchonin  im  Äther  auflöst. 
4-  Das  salz  saure  Chinin,  Cliiniimm  hydrocfoloricum 
(ChHCl  +  2  aq.),  bildet  feine,  weisse,  glänzende  KrystaUnadeln,  die 

*)  So  genannt,  weil  man  ihm  (fälschlich)  die  narkotischen  Eigen- 
schaften des  Opiums  zuschrieb. 


—     301     - 

sich  in  20  Teilen  Wasser  lösen.  Man  stellt  es  aus  dem  schwefel- 
sauren Chinin  durch  Zersetzung  mit  Chlorbaryum  dar;  schwefel- 
saurer Baryt  scheidet  sich  dabei  aus  und  die  heiss  abfiltrierte 
Flüssigkeit  lässt  beim  Erkalten  das  Chininsalz  auskrystallisieren. 
Das  gerbsaure  Chinin,  Chininum  tannicum,  erhält 
man  als  gelblichen,  pulverigen  Niederschlag  beim  Vermischen 
einer  Chininsulfatlösung  mit  Tannin.  + 

2.  Das  Cinchonin,  Cinchoninum,  Cin,  unlöslich  in 
Wasser  wie  in  Äther,  löslich  in  Weingeist;  das  schwefelsaure 
Cinchonin,  Cinchoninum  sulfuricum,  kristallisiert  in  harten, 
glasglänzenden  Säulen,  die  sich  nur  schwierig  in  reinem  Wasser, 
aber  leicht  bei  Säurezusatz  auflösen. 

3.  Durch  Ätzammoniak  wird  aus  den  Mutterlaugen  der  Chinin- 
bereitung ein  Gemenge  amorpher  Chinabasen,  das  sog.  Chinioidin, 
Chinioidinum,  als  harzähnliche,  braune,  in  Wasser  unlösliche 
Masse  ausgefällt,  welche  sich  in  Weingeist,  wie  auch  in  ver- 
dünnten Säuren  völlig  auflöst  und  als  wesentlichen  Bestandteil 
Chinidin  (Conchinin)  enthält.  Unorganische  Beimengungen  ver- 
raten sich  durch  einen  Eückstand  beim  Einäschern,  welcher  nur 
sehr  gering  sein  darf. 

§  275.  Die  Alkaloide  der  Strychnaceen.  In  den  Strychnosarten 
wurden  (von  Pelletier  und  Caventou  1818)  zwei  giftige 
Alkaloide,  das  Strychnin  und  Brucin,  an  eine  Säure  (Milch- 
säure oder  Igasursäure?)  gebunden,  entdeckt.  Man  gewinnt  sie 
aus  den  Strychnossamen  (Brechnüssen,  Nuces  vomicae),  Ignatius- 
bohnen  u.  a.  Da  sich  das  Brucin,  nicht  aber  das  Strychnin  in 
Wasser  auflöst,  so  bleibt  letzteres  in  der  Mutterlauge,  nachdem 
das  Strychnin  auskrystallisiert  ist.  +- 

a)  Das  Strychnin,  Strychninum,  Str,  in  weissen  Krystal- 
len  von  stark  bitterem  Geschmack,  löst  sich  am  besten  in  ver- 
dünntem Weingeist,  nicht  in  wasserfreiem  Alkohol,  Äther  und 
Wasser.  Konz.  Schwefelsäure  löst  es  farblos,  wird  aber  auf  Zu- 
satz eines  Körnchens  Braunstein  oder  eines  Tropfens  chromsaurer 
Kalilösung  blau,  darauf  violett,  endlich  rot.  Chromsaures  Kali 
fällt  aus  seinen  Salzlösungen  schwerlösliches  chromsaures  Strychnin. 

+  Das  salpetersaure  Strychnin,  Strychninum  iiitricum 
(StrHN03),  kristallisiert  in  weissen,  seidenglänzenden  Nadeln  und 
löst  sich  leicht  in  heissem  Wasser. 

b)  Das  Brucin*),  von  milderer  Wirkung  wie  das  Strychnin,  ist 
vorzugsweise  im  wässerigen  Strychnosextrakte  vorhanden  und  färbt 
Salpetersäure  oder  salpetersäurehaltige  konz.  Schwefelsäure  rot.  (Färbt 
Salpetersäure  die  Strychninsalze  rot,  so  sind  dieselben  brucinhaltig.) 

*)  Abgeleitet  von  Brucea  ferruginea,  einem  Strauche,  von  dem  die 
giftige  „ falsche  Angusturarinde"  stammt. 


-     302     — 

§  276.  Alkaloide  der  Colchicaceen.  In  der  Herbstzeitlose  (Colchi- 
cum auturrmale)  ist  das  giftige  Colchicin,  im  Sabadillsamen 
Yeratrin  nebst  Sabadillin  enthalten.  In  der  weissen  Nieswurz 
(Rhizoma  Yeratri)  findet  sich  neben  dem  J ervin  ein  Alkaloid,  das 
man  früher  für  Yeratrin  hielt. 

Das  scharfgiftige  Yeratrin,  Yeratrinum,  ist  ein  weisses 
Pulver,  von  welchem  selbst  die  kleinste  Menge  in  der  Nase  hef- 
tiges Niesen  erzeugt;  leichtlöslich  in  Weingeist  und  Äther,  nicht 
in  Wasser.  Konz.  Schwefelsäure  löst  es  mit  anfangs  gelber, 
bald  roter,  später  violetter  Farbe.  Dieselbe  Reaktion  besitzt 
Sabadillin,  es  löst  sich  aber  nicht  in  Äther  auf. 

§  277.  Alkaloide  der  Ranunculaceen.  Im  Sturmhut  (Aconitum 
Napellus)  findet  sich  das  stark  giftige  Akonitin,  Aconitinum, 
ein  weisses  Pulver,  welches  in  heissem  Wasser  zuerst  wie  ein 
Harz  schmilzt  und  dann  sich  darin  löst.  Konz.  Schwefelsäure 
löst  es  mit  gelbroter,  später  braunroter  Farbe  (nicht  karminrot,  wie 
beim  Yeratrin!).    Mit  Phosphorsäure  erwärmt,  färbt  es  sich  violett. 

§  278.  Alkaloide  der  Solanaceen.  Zahlreiche  giftige  Alkaloide 
finden  sich  in  den  Solanaceen,  so  das  Atropin  in  der  Tollkirsche 
(Atropa  Belladonna),  Daturin  im  Stechapfel  (Datura  Stramonium), 
Solanin  im  Nachtschatten  (Solanum  nigrum)  und  Kartoffelkraut, 
Hyoscyamin  im  Bilsenkraut  (Hyoscyamus  niger),  sowie  das 
flüssige  und  flüchtige  Nikotin  im  Tabak  (Nicotiana  Tabacum). 

+ 
Das  Atropin,  Atropinum,  At,  ist  ein  weissliches,  in  Wasser 
sehr  schwer  lösliches  Pulver,  welches  selbst  in  kleinster  Menge 
eine  Erweiterung  der  Pupille  bewirkt.  Beim  Erhitzen  entwickelt 
es  einen  weissen  Dampf  mit  einem  feinen  Blumenduft  (nach  Lilien). 
+  Das  schwefelsaure  Atropin,  Atropinum  sulfuricuin 
(At2H2S04),  löst  sich  leicht  in  Wasser  und  besitzt  die  Reaktionen 
des  Atropins. 

§  279.  Alkaloide  der  Umbelliferen.  Das  dem  Nicotin  sehr  ähn- 
liche, flüssige  und  flüchtige,  höchst  giftige  Co  nun,  Coniinum, 
ist  in  allen  Teilen  des  gefleckten  Schierlings  (Conium  maculatum) 
enthalten.  Es  riecht  nach  Mäuseurin,  löst  sich  in  vielem  Wasser 
auf  und  bräunt  sich  allmählich  an  der  Luft. 

§  280.  Alkaloide  der  Rubiaceen.  Im  Kaffee,  chinesischen  Theet 
in  der  Ghiarana,  sowie  in  den  Cocablättern  befindet  sich  ein  ge- 
meinsames Alkaloid  als  wirksamer  Bestandteil,  das  K  äffe  in  r 
Coffeinum.  Es  krystallisiert  aus  der  heissgesättigten  wässerigen 
Lösung  in  weissen,  glänzenden  Nadeln.  Mit  konz.  Salpetersäure 
übergössen    oder    mit    Chlorwasser   im    Wasserbade    abgedampft, 


—     303     - 

* 

hinterlässt  es  einen  gelben  Rückstand,  der  sich  durch  Ammoniak 
purpurn  färbt.     (Gleiche  Reaktion  mit  der  Harnsäure!) 

In  der  Brechwurzel  (Rad .  Ipecacuanhae)  findet  sichdasEmetin, 
im  unreinen  Zustande  als  Extractum  Ipecacuanhae  offizineil. 

§  281.  Alkaloide  der  Papilionaceen.  In  der  Kalabarbohne  be- 
findet sich  das  sehr  giftige  Physostigmin  (Eserin),  dessen 
"Wirkung  auf  die  Augen  (es  verengert  die  Pupille)  benutzt  wird. 
Seine  Salzlösungen  werden  durch  Sauerstoffanziehung  an  der 
Luft  rot,  endlich  braun;  am  haltbarsten  ist  das  salicylsaure  Salz, 
Physostigminum  salicylicum,  in  weissen  Kry stallnadeln,  leicht 
in  heissem,  schwer  in  kaltem  Wasser  löslich. 

§  282.  Alkaloide  der  Rutaceen.  In  den  Jaborandiblättern  (von 
Pilocarpus  pennatifolius)  ist  das  Pilokarpin  enthalten.  Das 
salzsaure  Salz ,  Pilocarpinum  hydrochloricuiii ,  stellt  farblose, 
an  der  Luft  sehr  zerfliessliche  Krystalle  dar,  welche  einen  starken 
Schweiss  bewirken. 

Praktische  Übungen. 

1.  Prüfung  des  Opiums  auf  den  Morphingehalt,  a)  Man 
digeriere  einige  Stunden  lang  10  g  feinzerriebenes  Opium  mit  der  zehn- 
fachen Wassermenge,  unter  Beigabe  von  2 — 3  g  gepulverten  Kalks,  filtriere 
darauf,  den  Rückstand  mit  destilliertem  Wasser  nachspülend,  und  gebe 
zum  klaren  Filtrate  7  g  Salmiak,  worauf  das  Morphin  auskrystallisiert. 
Man  sammle  es  auf  einem  kleinen  (gewogenen)  Filter  und  wäge  es  nach 
dem  Trocknen.  —  b)  Nach  Pharm.  Germ.  IL  Man  maceriert  8  g  gepulvertes 
Opium  mit  80  g  Wasser  12  Stunden  lang,  filtriert  42,5  g  davon  ab  und 
giebt  12  g  Weingeist,  10  g  Äther  und  1  g  Salmiakgeist  hinzu,  worauf  man 
in  einem  verschlossenen  Becherglase  12  Stunden  stehen  lässt.  Das  dann 
abgeschiedene  Morphin  wird  auf  einem  gewogenen  Filterchen  gesammelt, 
nach  dem  Auswaschen  getrocknet  und  gewogen. 

2.  Prüfung  der  Chinarinde  auf  Chinin.  20  ^gepulverte  China- 
rinde werden  in  einem  verschlossenen  Glase  mit  170  g  Äther,  20  g  Wein- 
geist und  10  g  Salmiakgeist  1  Tag  maceriert  und  öfters  umgeschüttelt. 
Dann  giesst  man  120  g  klar  ab,  säuert  mit  Salzsäure  an,  verdampft  den 
Äther  und  fällt  aus  dem  filtrierten  Rückstände  das  Chinin  durch  Kali- 
lösung aus;  nachdem  der  Niederschlag  abfiltriert  und  etwas  ausgewaschen 
ist,  lässt  man  ihn  lufttrocken  werden  (auf  untergelegtem  Fliesspapier), 
dann  trocknet  man  ihn  im  Wasserbade  auf  einem  tarierten  Uhrglase. 

Erkennung  der  offlzinellen  Alkaloide. 

Man  übergiesst  eine  kleine  Probe  des  Alkaloids  resp.  seines  Salzes 
auf  einem  Uhrglase  mit  5 — 10  Tropfen  konzentrierter  Schwefelsäure  und 
sucht  durch  Umrühren  mit  einem  Glasstab  die  Lösung  zu  bewirken. 
Schliesslich  betrachtet  man,  das  Uhrglas  auf  ein  Blatt  weisses  Papier 
stellend,  die  Färbung  der  Probe. 

A.  Die  Probe  nimmt  eine  gelbrote  Färbung  an;  dieselbe  wird 

a)  bald  karminrot,  schliesslich  violett  ....        Veratrinwn; 

b)  später  braunrot Aconitinum. 

B.  Die  Probe  bleibt  farblos;  man  giebt  ihr  einen  Tropfen  verdünnte 
Salpetersäure  zu. 


—     304     — 

4 

a)  Die  Probe  färbt  sich  rot. 

a)  Die  wässerige  Lösung  bleibt  mit  überschüssiger  Kalilauge 
farblos  und  klar,  giebt  aber  auf  Zusatz  von  Chlorammonium 
krystallinische  Ausscheidung Morplünum. 

ß)  Die  wässerige  Lösung  wird  durch  überschüssige  Kalilauge 
gerötet,  nicht  getrübt Apomorphin. 

b)  Die  Probe  färbt  sich  gelb.  Eine  andere  Lösung  in  Schwefel- 
säure, mit  einer  Spur  Eisenchloridlösung  versetzt  und  erwärmt, 
färbt  sich  blau Codeinum. 

c     Die   Probe   bleibt   farblos;    man   giebt   einen  Tropfen    chrom- 
saures Kali  oder  etwas  Braunstein  hinzu, 
a)    Die    Probe    färbt    sich    vorübergehend    violettblou,     dann 

rot Stri  ,'ininum. 

ß)    Die  Probe  färbt  sich  nur  gelb  oder  grünlich. 

aa)    Die  wässerige  saure  Lösung  färbt  .sich  auf  Zusatz  von 
Chlorwasser  und  überschüssigem  Atzammoniak    grün: 

Chininum. 
bb)    Statt     der     grünen     Färbung     erscheint     eine     gelbe 

Trübung: Cinchoninum. 

cc)    Es  tritt  weder  Färbung  noch  Trübung  ein. 

aa)    Auf  Platinblech  erhitzt,  stösst  die  Substanz  einen 

weissen  Rauch  und  Blütenduft  aus:  Atropinum. 
ßß)    Mit  Chlorwasser  eingedampft,  lässt  sie  einen  gelb- 
lichen Rückstand,  der  durch  eine  Spur  Ätzammo- 
niak purpurn  wird: Coffeinum. 

yy)    In  rauchender  Salpetersäure  löst  sich  die  Substanz 
mit  blassgrünlicher  Farbe         .     .       Pilocarpinum. 


46.  Die  tierischen  Nährnüssigkeiten. 

Blut,  Fleischflüssigkeit,  Milch. 

§  282.   Was  ist  das  Blut?     Das  Blut   der  höheren  Tierklassen, 
wie   des  Menschen,   ist  eine  an   sich   nur  schwach  gelb  gefärbte 

Flüssigkeit,  in  welcher  Milli- 


onen  sehr  kleiner,  roter 
Zellen,  die  sog.  Blutkör- 
perchen, schwimmen.  Die 
Form  der  letzteren  ist,  wie 
Fig.  77  zeigt,  bei  den  ver- 
schiedenen Tieren  verschie- 
den. (A  die  Blutkörperchen 
des  Menschen,  B  des  Vogels, 
C  einer  Amphibie,  E  wirbel- 
loser Thiere,  D  Pilzzellen 
—  alle  unter  mehrhundert- 
facher Yergrösserung.)  Bei 
den  Wirbeltieren  besitzen 
Pl„  77-  die  Blutzellen  eine  tiefrote 


—    305    — 

Farbe,  welche  sie  vermöge  ihrer  grossen  Zahl  dem  ganzen  Blute 
gleichmässig  erteilen. 

Die  eigentliche  Blutflüssigkeit,  das  Blutplasma,  ist  eine  stroh- 
gelbe, wässerige  Auflösung  zweier  Eiweissstoffe :  des  Albumins 
(Eiweiss)  und  Fibrins  (Faserstoff),  welche  neben  Kohle,  Wasser- 
stoff und  Sauerstoff  auch  Stickstoff  und  Schwefel  (J/2  — 172%) 
enthalten.  Man  kennt  die  nähere  Zusammensetzung  und  Formel 
für  diese  Stoffe  noch  nicht  genauer.  Mulder  (ein  holländischer 
Chemiker)  hielt  sie  für  Verbindungen  des  Sauerstoffs  und  Schwefels 
mit  einem  hypothetischen  Radikal,  dem  er  den  Namen  Protein 
gab;  daher  nannte  man  sämtliche  Eiweissstoffe  Proteinkörper. 
Jedoch  gelang  es  nicht,  diese  Theorie  zu  begründen. 

Das  Eiweiss  oder  Albumin  zeichnet  sich  durch  die  Eigen- 
tümlichkeit aus,  aus  seiner  wässerigen  Lösung  in  der 
Siedhitze  zu  gerinnen.  Man  kann  das  geronnene  Albumin 
durch  die  Verdauungsflüssigkeit  des  Magens,  welche  Pepsin  ent- 
hält, wieder  in  Lösung  überführen.  Das  Eiweiss  findet  sich, 
ausser  im  Blute,  auch  in  den  Vogeleiern,  bei  deren  Abkochung 
es  zu  einer  weissen  Umhüllung  des  Dotters  gerinnt,  sowie  in  fast 
allen  Pflanzensäften  (als  Pflanzenalbumin)  gelöst. 

Das  Fibrin  charakterisiert  sich  durch  seine  freiwillige  Ge- 
rinnung, solbald  das  Blut  dem  Einflüsse  des  Körpers  entzogen 
worden,  veranlasst  daher  die  Gerinnung  des  erkaltenden  Blutes. 
In  koagulierter  Form  findet  es  sich  in  den  Muskeln  (als  Muskel- 
fibrin), auch  im  Samen  (im  Getreide  als  Kleber!). 

Die  Blutkörperchen  enthalten  neben  einem  Eiweisskörper 
(Globulin)  einen  roten  Farbstoff,  den  Blutfarbstoff  (Hämoglobin), 
welcher  Eisen  zu  seinen  Elementarbestandteilen  zählt  und  beim 
Einäschern  rotes  Eisenoxyd  zurücklässt. 

Überlässt  man  das  Blut  ruhigem  Erkalten,  so  gerinnt  es, 
d.  h.  es  scheidet  ein  tiefrotes  Coagulum,  den  Blutkuchen 
(Cruor),  ab,  über  welchem  eine  gelbliche  Flüssigkeit,  das  Blut- 
wasser (Serum),  steht.  Der  stattfindende  Prozess  besteht  in  der 
freiwilligen  Gerinnung  des  Fibrins,  welches  dabei  die  Blut- 
körperchen umschliesst  und  mit  sich  herabzieht.  Wird  dagegen 
frischgelassenes  Blut  mit  einem  Besen  gequirlt,  so  schlägt  sich 
das  gerinnende  Fibrin  als  zähe,  weisse  Fäden  an  das  Reisig  an, 
und  das  flüssig  bleibende  Blut  bewahrt  seine  rote  Färbung. 

Die  Blutkörperchen  besitzen  die  für  das  Leben  höchst  wichtige 
Eigenschaft,  beim  Atmen  Sauerstoffgas  anzuziehen  und  als  Ozon 
zu  kräftigen  Oxydationen  —  worin  der  Stoffwechsel  zum  Teil 
besteht  —  zu  benutzen.  Sie  verdanken  diese  Eigenschaft  dem 
Blutfarbstoff,  der  sich  mit  dem  aufgenommenen  Sauerstoff  ver- 
bindet (zu  Oxyhämoglobin).  Sauerstoffaufnahme  macht  das  Blut 
hellrot   (arterielles  Blut);   beim  Kreislauf  durch  den  Körper   ver- 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  20 


—     306     — 

braucht  es  diesen  Sauerstoff  zr.r  Oxydierung  der  im  Stoffwechsel 
abgängig  gewordenen  Teile ,  beladet ,  sich  dafür  mit  Kohlensäure 
und  wird  blaurot  (venöses  Blut).  Beim  Passieren  durch  die  Lungen 
giebt  letzteres  seine  Kohlensäure  ab  und  nimmt  dafür  wieder 
Sauerstoff  auf  (Atmungsprozess).  Kohlenoxydgas,  Blausäure, 
Arsen-  und  Schwefelwasserstoffgas  wirken  auf  das  Oxyhärnoglobin 
zersetzend  ein  und  benehmen  den  Blutkörperchen  die  Eigen- 
schaft, bei  der  Atmung  Sauerstoffgas  aufzunehmen.  Dadurch 
verhindern  sie  den  Stoffwechsel  und  wirken  tödlich  (erstickend). 
Kohlensäure,  Wasserstoffgas,  Stickstoff  zerlegen  aber  das  Oxy- 
hämoglobin  nicht,  wirken  daher  nicht  direkt  giftig,  sondern  nur 
dann  erstickend,  wenn  sie  in  grösserer  Menge  zugegen  sind  (durch 
Abwesenheit  des  notwendigen  Sauerstoffes). 

§  283.  Fleischflüssigkeit.  Die  Muskelfaser  birgt  eine  Flüssigkeit, 
welche  Ei  weiss  enthält,  neben  gewissen  organischen,  stickstoff- 
haltigen Körpern,  die  man  früher  unter  der  Bezeichnung  Osmazom 
zusammenfasste,  jetzt  aber  in  Kreatin*)  und  Kreatinin  unter- 
scheidet. Beide  sind  krystallisierbar ,  das  letztere  eine  starke 
Salzbase  (Alkaloid)  und  leicht  aus  dem  Kreatin  hervorgehend. 
Ausserdem  finden  wir  in  der  Fleischflüssigkeit  Milchsäure  und  einen 
eigenen  Zucker  (Inosit),  neben  vielen  Kalisalzen. 

Die  Bestandteile  der  Fleischflüssigkeit  sind,  mit  Ausschluss 
des  Eiweisses,  im  Liebigschen  Fleischextrakt,  Extractum 
Carnis  Liebig,  enthalten.  Man  gewinnt  dasselbe  durch  wieder- 
holtes Anstossen  des  zerhackten  Fleisches  mit  kaltem  Wasser, 
Auspressen,  Aufkochen  des  Saftes,  wobei  das  Eiweiss  ausgeschieden 
wird,  und  Eindampfen  des  Filtrates  zur  Extraktkonsistenz.  Amerika 
(Buenos-Ayres)  sowie  Australien  liefern  Fleischextrakt,  ersteres  aus 
Büffelfleisch,  letzteres  aus  Schaffleisch. 

§  284.  Was  ist  die  Milch?  Die  Milch  ist  eine  emulsionartige 
Mischung  feinverteilter  Fett-Tröpfchen  in  einer  wässerigen  Flüssig- 
keit. Das  Fett  ist  Butterfett,  die  Flüssigkeit  eine  Lösung  von 
Käsestoff  (Kasein)  und  Milchzucker  nebst  Salzen.  Infolge 
der  gleichmässigen  Verteilung  der  Fettkügelchen  und  wässerigen 
Flüssigkeit  erscheint  die  Milch  undurchsichtig,  da  das  Licht  durch 
das  fortwährende  Passieren  ungleicher  Medien  absorbiert  wird. 

Der  Käse stoff,  Kasein,  gehört  zu  den  Eiweissmaterien  und 
unterscheidet  sich  vom  Albumin  und  Fibrin  dadurch,  dass  er 
weder  freiwillig,  noch  beim  Erhitzen  gerinnt;  dagegen  gerinnt  er 
durch  Säuren,  sowie  durch  den  Labmagen  des  Bindes  oder  die 
daraus  bereitete  Labessenz  (Liquor  seriparus).  Er  findet  sich 
auch  im  Pflanzenreich  (in  den  Mandeln  als  Emulsin,  im  Senf- 
samen als  Myrosin  u.  a.  m.). 

*)  Kreatin  von  xpe'a?  (Fleisch). 


—     307     - 

Auf  der  Koagulierurg  des  Käsestoffs  beruht  die  Gerinnung 
der  Milch;  dabei  umschliesst  das  Kasein  das  Butterfett  und  scheidet 
sich  als  Käse  ab  von  einer  schwach  trüben,  wässerigen  Flüssig- 
keit, den  Molken,  Serum  L actis.  Der  Käse  besteht  also  aus 
Kasein  und  Butterfett,  die  Molken  enthalten  den  Milchzucker  nebst 
den  Salzen  gelöst.  Man  unterscheidet  süsse  Molken,  die  man 
durch  Zusatz  von  Labessenz  zu  der  200  fachen  Menge  lauwarmer 
Milch  bereitet,  und  saure  Molken,  Serum  Lactis  acidum, 
durch  Zusatz  von  1  Proz.  "Weinstein  zu  siedend  heisser  Milch  ge- 
wonnen. Nimmt  man  statt  des  Weinsteins  Alaun,  so  erhält  man 
die  Alaunmolken,  Serum  Lactis  aluminatum;  bei  An- 
wendung von  Tamarindenmus  die  Tamarindenmolken,  Se- 
rum Lactis  tamarindinatum. 

Die  freiwillige  Gerinnung  der  Milch  gründet  sich  auf  die  Selbst- 
säuerung derselben,   indem  der  Milchzucker  in  Milchsäure  übergeht. 

Man    nennt    diese    Selbstsäuerung    saure    Gährung;    als 
Gährungserreger  wirkt  der  Käsestoff;  der  Vorgang  selber  ist  das 
Zerfallen  eines  Moleküls  Milchzucker  in  4  Mol.  Milchsäure: 
C^H^O^  =  4HC3H5O3 

Zucker  Milchsäure 

Diese  Gährung  ist  von  keiner  Gasentwicklung  begleitet  und  er- 
fordert zum  günstigen  Fortgang  laue  Wärme  (30° — 40°).  Wir 
finden  die  Milchsäure  dann  sowohl  in  den  Molken,  wie  im  abge- 
schiedenen Käse.  Bei  niederer  Temperatur  tritt  geistige  Gährung 
und  Bildung  von  Essigsäure,  bei  höherer  Wärme  Bildung  von 
Buttersäure  ein. 

§  285.  Die  Milchsäure.  Die  Milchsäure,  Acidum  lacticum 
(C3H603),  ist  eine  färb-  und  geruchlose,  sehr  saure,  syrupdicke 
Flüssigkeit,  welche  sich  nicht  verflüchtigen,  mit  Wasser  und  Wein- 
geist in  allen  Verhältnissen  mischen  lässt. 

Die  Milchsäure  entsteht  nicht  allein  bei  der  Säuerung  der 
Milch,  sondern  auch  bei  der  des  Sauerkrautes,  der  Bohnen,  Gurken 
u.  a.  m.,  stets  von  deren  Zucker  herstammend.  Übrigens  findet  sie 
sich  frei  im  Magensafte  (neben  Salzsäure)  und  der  Fleischflüssigkeit. 

Man  gewinnt  die  Milchsäure  aus  der  säuernden  Milch  unter 
Zusatz  von  Milchzucker,  indem  man  sie  bei  30 — 40°  stehen  lässt 
und  von  Zeit  zu  Zeit  durch  kohlensauren  Kalk  sättigt;  aus  dem 
Filtrate  erhält  man  den  milchsauren  Kalk  durch  Krystallisation 
und  zersetzt  denselben  durch  verdünnte  Schwefelsäure.  Weingeist 
trennt  schliesslich  die  freie  Milchsäure  vom  ausgeschiedenen  Gips 
und  lässt  jene  beim  Abdampfen  zurück. 

Die  Milchsäure  bildet  nur  lösliche  Salze,  Laktate,  von 
denen  sich  das  Eisenoxydul-  und  Zinksalz  am  schwierigsten  in 
Wasser   auflösen.     Man   unterscheidet   daher   die  Milchsäure  von 

20* 


—     308     - 

den  meisten  anderen  Säuren  dadurch,  dass  sie  durch  Bleizucker- 
lösung  nicht  gefällt  wird.  Ein  besonderes  Erkennungsmittel  ist, 
dass  sie  durch  übermangansaures  Kali  zu  Aldehyd  oxydiert  wird. 
Prüfung  der  Milchsäure  auf  Reinheit:  Schwefelwasserstoff- 
wasser darf  sie  nicht  trüben  (dunkle  Trübung:  Eisen,  Blei,  Kupfer-  u.  a., 
weisse  Trübung:  Zink);  auch  soll  ihre  wässerige  Lösung  nicht  getrübt 
werden  durch  Baryumnitrat  (weisse  Trübung:  Schwefelsäure),  salpetersaures 
Silberoxyd  (weisse  Trübung:  Salzsäure),  oxalsaures  Ammoniak  (weisse 
Trübung:  Kalk),  überschüssiges  Kalkwasser,  weder  in  der  Kälte  (weisse 
Trübung:  Phosphorsäure,  Weinsäure),  noch  beim  Erhitzen  (  Citronensäure); 
beim  Erwärmen  der  Säure  nehme  man  nicht  den  Geruch  nach  Essigsäure 
oder  Buttersäure  wahr.  Mit  Zinkoxyd  im  Wasserbad  eingedampft,  darf  sie 
an  Weingeist  kein  Glycerin  abgeben. 

§  286.  Milchsaure  Salze.  Das  milchsaure  Eisenoxydul, 
Ferrolaktat,  Ferrum  lacticnm  (Fe2C3H503  +  3aq.),  krystal- 
lisiert  aus  einer  Mischung  von  milchsaurem  Natron  mit  Eisen- 
chlorür  oder  Eisenvitriol  in  gelblich  grünen  Krusten ;  ein  schwer- 
lösliches Salz  von  schwachem,  eigentümlichem  Gerüche.  (Das 
milchsaure  Eisenoxyd  löst  sieh  leicht  in  Wasser.) 

Prüfung  des  Ferrolaktates :  Die  Lösung  darf  sich  nicht  trüben  mit 
essigsaurem  Bleioxyd  (weisse  Trübung:  Sulfat,  Chlorid  u.  a),  noch  ange- 
säuert mit  H2S  (dunkle  Trübung:  Kupfer,  Blei).  Ein  Gehalt  an  Zucker 
wird  durch  die  Trommersche  Kupferprobe  erforscht. 

Das  milchsaure  Zinkoxyd,  Zincum  lacticum,  wird 
aus  der  Lösung  des  Zinkoxyds  in  Milchsäure  als  weisse,  nadelige 
Kry stalle  gewonnen,  die  sich  in  Wasser  schwierig  lösen. 

Praktische  Übungen. 

Ferrum  lacticum.  Man  lässt  mehrere  /  Milch  säuern,  koliert,  löst 
in  aer  Flüssigkeit  100 — 200  g  Milchzucker  auf  und  neutralisiert  täglich 
durch  doppeltkohlensaures  Natron  (welches  man  in  Stückchen  anwende, 
und  dessen  Menge  man  notiere).  Das  Ganze  befinde  sich  beständig  in 
lauer  Wärme  (35°).  Wenn  keine  weitere  Säuerung  mehr  eintritt,  koche 
man  auf,  koliere  und  enge  zur  Syrupsdicke  ein.  Auf  3  Teile  des  ver- 
brauchten doppeltkohlensauren  Natrons  werden  5  Teile  reiner  Eisenvitriol 
in  seinem  doppelten  Gewichte  warmen  Wassers  gelöst  und  der  milchsauren 
Natronlösung  beigemischt,  worauf  man  einen  Tag  stehen  lässt  und  in 
einem  Seihtuche  das  krystallinisch  ausgeschiedene  milchsaure  Eisenoxydul 
abpresst,  worauf  man  dasselbe,  wenn  es  Geruch  besitzen  sollte,  nochmals 
mit  etwas  verdünntem  Weingeist  abwäscht,  wieder  abpresst  und  trocknet. 

Fragen  und  Aufgaben, 

1.  Wieviel  Milchsäure  liefert  der  Milchzucker  bei  der  Gährung?  — 
Antw.  Eine  gleichgrosse  Menge. 

2.  Wenn  man  in  der  Milch  8°/0  Milchzucker  annimmt  und  zu  1  / 
derselben  noch  100  g  Milchzucker  zugiebt  —  wieviel  doppeltkohlensaures 
Natron  wird  zur  Sättigung  der  entstehenden  Milchsäure  nötig  sein?  — 
Antw.  In  1/  Milch  sind  hiernach  80^  Zucker;  mithin  entstehen  180^ 
Milchsäure,  HC3H503  :  NaHC03  =  90  :  84;  x  =  168  g. 


309 


47.  Die  tierischen  Absonderungen, 
Magensaft,  Galle,  Harn. 

§  287.  Was  enthält  der  Magensaft?  Im  Magensafte  befindet  sich 
eine  mehr  oder  weniger  grosse  Menge  freier  Säure,  Salzsäure  und 
Milchsäure,  daneben  noch  ein  eigentümlicher  Körper,  in  welchem 
das  verdauende  Prinzip  liegt  und  dem  man  den  Namen  Pepsin*) 
gegeben  hat.  Es  besitzt  die  Kraft,  im  Verein  mit  der  Salzsäure 
die  genossenen  Eiweisskörper  (Fleisch,  Eier,  Milch)  aufzulösen 
und  zur  Verdauung  zu  bringen. 

Das  Pepsin,  Pepsinuni,  wird  als  weisses  Pulver  durch 
Extraktion  der  Magenschleimhaut  gewonnen,  und  zwar  benutzt 
man  hierzu  den  Magen  des  Schweines,  sowie  den  vierten  Magen 
(sog.  Labmagen)  des  Kalbes.  Durch  Auflösen  des  Pepsins  in  Wein 
stellt  man  den  Pepsinwein,  Vinum  Pepsini,  dar.  Auch  ist 
das  Pepsin  der  wirksame  Bestandteil  der  Labessenz  (Liquor 
seriparus),  die  man  durch  Behandlung  der  Schleimhaut  des  Käl- 
berlabs mit  Wein  gewinnt. 

§  288.  Was  ist  die  Galle?  Die  Galle,  das  Sekret  der  Leber, 
bildet  eine  dickliche,  gelbe  oder  grüngelbe  Flüssigkeit  von  höchst 
bitterm  Geschmack,  die  beim  Schütteln  schäumt.  Sie  enthält, 
neben  etwas  un  verseif  barem  Fett  (Gallenfett,  Cholesterin),  Schleim 
und  Gallenfarbstoff,  als  wesentlichen  Bestandteil  zwei  Natronsalze: 
glycocholsaures  und  taurocholsaures  Natron.  Die  Gly- 
cocholsäure  und  Taurocholsäure  sind  gepaarte  Säuren, 
indem  sie  durch  Kochen  mit  Alkalien  oder  Säuren  in  Ch Öl- 
säure**) und  einen  stickstoffhaltigen  Paarung  zerfallen.  Dieser 
Paarung  ist  bei  der  Glycocholsäure  das  stickstoffhaltige  Glyco- 
coll  (Leimsüss),  bei  der  Taurocholsäure  das  Stickstoff-  und  schwe- 
felhaltige Taiirin.  In  der  Ochsengalle  herrscht  das  glycochol- 
säure, in  der  menschlichen  Galle  des  taurocholsäure  Natron  vor. 

Die  Galle  reagiert  frisch  neutral,  wird  aber  beim  Stehen  bald 
missfarbig,  übelriechend  und  durch  Ammoniakbildung  stark  alka- 
lisch. Hervorgerufen  wird  diese  sog.  Gallengährung  durch  den 
sich  zersetzenden  Gallenschleim. 

§  289.  Die  Ochsengalle.  Wird  die  frische  Ochsengalle  koliert 
und  zur  Extraktdicke  eingedampft,  so  gewinnt  man  die  eingedickte 
Ochsengalle,  Fei  Tauri  inspissatum.  Wenn  man  aber 
die  Galle  mit  einer  gleichen  Menge  Weingeist  mischt,  die  filtrierte 
Flüssigkeit,  nach  Abdestillation  des  Weingeistes  durch  Tierkohle 

*)  Pepsin  ist  von  neiis  (Verdauung)  abgeleitet. 
**)  Von  yöloc,  Galle,  abgeleitet. 


—     310     — 

entfärbt  und  zur  Trockne  eindampft,  so  gewinnt  man  die  ge- 
reinigte Ochsengalle,  Fei  Tauri  depuratum  siccum, 
als  gelbliches,  hygroskopisches  Pulver.  Der  "Weingeist  schlägt 
aus  der  Galle  den  Schleim  nieder,  die  Tierkohle  entzieht  ihr  zum 
grössten  Teil  den  Farbestoff,  sodass  das  Präparat  fast  nur  aus 
dem  glycocholsauren  und  taurocholsauren  Natron  besteht.  Beim 
Yerbrennen  hinterlässt  es  eine  geringe,  weisse,  alkalisch  reagie- 
rende Asche  (kohlensaures  Natron). 

§  290.  Was  ist  der  Harn?  Der  Harn,  das  Exkret  der  Nieren, 
bildet  eine  schwachgelbe,  etwas  sauer  reagierende  Flüssigkeit  von 
eigentümlichem  Geruch.  Er  enthält  in  wässeriger  Lösung  Harn- 
stoff (3%),  Harnsäure  (0,  l°/0),  sowie  gewisse  unorganische 
Salze  (bis  2%),  von  denen  hervorzuheben  sind:  Chlornatrium  und 
Phosphate  von  Natrium,  Calcium  und  Magnesium.  Der  Gehalt 
an  diesen  Stoffen  wechselt  nach  Art  und  Menge  der  genossenen 
Speisen ;  am  grössten  findet  er  sich  im  Morgenharn  und  bei  tieri- 
scher Kost.  Die  pflanzenfressenden  Tiere,  wie  die  Pferde,  Rinder, 
Schafe,  führen  im  Harne  Hippursäure  statt  der  Harnsäure. 
(Vgl.  §  267.) 

Manche  Salze  gehen  nach  dem  Genüsse  unverändert  in  den 
Harn  über,  z.  B.  Jodkalium,  während  die  pflanzensauren  (wein- 
sauren, citronensauren)  Alkalien  als  kohlensaure  Salze  darin  ent- 
fernt werden;  genossene  Benzoesäure  erscheint  im  Harne  als 
Hippursäure. 

§  291.  Der  Harnstoff.  Der  Harnstoff  (Urea)  ist  ein  neutraler 
Körper,  der  mit  Säuren  krystallisierbare  Yerbindungen  einzugehen 
imstande  ist.  Nach  seiner  Zusammensetzung  ist  er  das  Amid 
der  Kohlensäure,  Karbamid,  (NH2)2CO,  aus  dem  kohlensauren 
Ammoniak,  (NH4)2C03 ,  durch  Austritt  zweier  Wassermoleküle 
entstanden.  Der  Harnstoff  geht  auch  bei  der  Selbstentmischung 
des  Harns  wieder  in  kohlensaures  Ammoniak  über,  indem  er 
zwei  Wassermoleküle  aufnimmt.     Nämlich: 

(NH2)2CO  +  2H20  =  (NH4)2C03 

Harnstoff  Wasser        kohlensaures  Ammoniak. 

Man  kann  den  Harnstoff  auch  künstlich  erhalten  durch  Er- 
hitzen des  cyansauren  Ammoniaks,  welches  mit  ihm  isomer  ist. 

(NH,)CNO      =  ™2  }  CO 

cyansaures  Ammoniak  Harnstoff. 

Der  Harnstoff  krystallisiert  in  farblosen ,  durchsichtigen  ,  in 
Wasser  leicht  löslichen  Säulen  von  salzigem  Geschmack. 

Wenn  man  Harn  sich  selbst  überlässt,  so  zersetzt  er  sich 
freiwillig   (Harngährung) ,   wird   durch  Übergang   des   Harnstoffes 


—    311     — 

in  kohlensaures  Ammoniak  alkalisch,  nimmt  den  Geruch  nach 
Ammoniak  an  und  trübt  sich  durch  reichliche  Ausscheidung 
phosphorsaurer  Ammoniak  -  Magnesia  (MgNH4P04  -{-  6  aq.). 
Letzteres  Doppelsalz  löst  sich  nur  schwer  in  reinem,  nicht  in 
ammoniakalischem  "Wasser.  Die  Harngährung  wird  durch  den 
sich  zersetzenden  Schleim  des  Harnes  eingeleitet  und  besteht  in 
der  Umwandlung  des  Harnstoffes  in  kohlensaures  Ammoniak. 

§  292.  Harnsäure.  Die  Harnsäure  ist  eine  stickstoffhaltige 
organische  Säure,  ein  weisses,  in  "Wasser  kaum  lösliches  Pulver, 
welches  in  geringer  Menge  durch  die  Phosphate  im  Harn  gelöst 
gehalten  wird  und  auf  Salzsäurezusatz  sich  abscheidet.  Die 
Schlangenexkremente,  sowie  der  Yogelmist  und  Guano  bestehen 
fast  ausschliesslich  aus  Harnsäure  und  harnsaurem  Ammoniak. 

Es  giebt  eine  grosse  Zahl  Oxydationsprodukte  der  Harnsäure, 
je  nach  Wahl  und  Einwirkung  der  Agentien:  sie  lassen  auf  eine 
sehr  komplizierte  Zusammensetzung  der  Harnsäure  schliessen. 
Die  Reaktion  auf  Harnsäure  ist  dieselbe  wie  auf  das  Kaffein; 
man  dampft  die  Probe  mit  Salpetersäure  zur  Trockne  und  betupft 
den  Rückstand  mit  Ammoniak,  derselbe  nimmt  dann  eine  Purpur- 
farbe an  (Murexid). 

§  293.  Harnuntersuchung.  In  manchen  Krankheiten  enthält 
der  Harn  gewisse  Bestandteile,  welche  für  jene  charakteristisch  sind. 
So  zeigt  der  Harn  in  der  Zuckerruhr  Glykose  (Traubenzucker), 
in  andern  Leiden  Albumin,  Gallenbestandteile  u.  a.  m. 

Man  konstatiert  die  Gegenwart  von  Zucker  durch  die 
sog.  Trommersche  Probe,  indem  man  den  Harn  mit  wenig 
Kupfervitriollösung  und  dann  mit  überschüssigem  Ätzkali  ver- 
setzt und  erhitzt;  der  Zucker  zeigt  sich  durch  Ausscheidung 
roten  Kupferoxyduls  an. 

Die  Anwesenheit  von  Eiweiss  giebt  sich  an  der  Trü- 
bung des  Harns  beim  Aufkochen  zu  erkennen.  Um  keine  Täu- 
schung durch  phosphorsaure  Salze  zu  erleiden,  ist  der  Harn  vor 
dem  Kochen  mit  etwas  Essigsäure  schwach  anzusäuern.  —  Auch 
kann  man  zum  Harne  Salpetersäure  setzen,  welche  einen  volu- 
minösen Niederschlag  hervorruft,  wenn  Eiweiss  zugegen  ist. 

Gallenbestandteile  verursachen  eine  hochgelbe  Färbung 
des  Harns  und  starkes  Schäumen  beim  Schütteln. 

Die  Harnsedimente,  sowie  Harnsteine,  können  bestehen 
aas  Harnsäure ,  harnsaurem  Ammoniak ,  phosphorsaurem  oder 
oxalsaurem  Kalk,  phosphorsaurer  Ammoniak  -  Magnesia  (krystalli- 
siert)  u.  a.  m.  Harnsedimente  enthalten  oft  Schleim,  Eiter,  Blut, 
Samenfäden  u.  dgL,  welche  am  besten  durch  eine  mikroskopische 
Untersuchung  erkannt  werden. 


—    312     - 

[!■  Praktische  Übungen. 

Fei  Tauri  depur.  siccum.  Man  verdünne  eine  Quantität  frischer 
Öchsengalle  mit  dem  gleichen  Gewichte  Weingeist,  filtriere  nach  einiger 
Zeit  und  verdampfe  den  Weingeist  im  Dampfbade  (bei  grösseren  Mengen 
destilliere  man  ihn  ab).  Der  rückständigen  Flüssigkeit  gebe  man  so  viel 
gereinigte  Tierkohle  bei,  bis  sich  eine  filtrierte  Probe  nur  mehr  schwach 
gelb  gefärbt  zeigt;  dann  filtriere  man  sie  und  dampfe  sie  im  Dampf  bade 
unter  Umrühren  zur  Trockne  ein. 

Die  gereinigte  Tier  kohle  bereitet  man  durch  Eintragen  schwarz- 
gebrannter Knochen  (Ebur  ustum  nigrum)  in  eine  1  —  l1./^  fache  Menge 
Salzsäure,  unter  Zugabe  der  5 fachen  Menge  Wassers;  nach  einigen  Tagen 
giesse  man  die  Flüssigkeit  ab,  wasche  die  Kohle  sorgfältig  mit  Wasser 
aus  und  trockne  sie  in  der  Wärme. 


48.  Die  Produkte  der  trocknen  Destillation. 

§  294.  Was  ist  die  trockne  Destillation?  Wenn  man  orga- 
nische Körper  in  Retorten,  bei  Abschlnss  von  Luft  und  Wasser, 
erhitzt,  so  setzt  man  sie  der  trocknen  Destillation  aus. 
Es  entwickeln  sich  dabei  zahlreiche  Substanzen,  zumal  von  kom- 
pliziert zusammengesetzten  Materien.  Der  Sauerstoff  derselben 
tritt  bei  Beginn  der  Destillation,  in  der  anfänglich  noch  geringe- 
ren Hitze,  mit  dem  Wasserstoff  zu  Wasser,  mit  der  Kohle  zu 
Kohlensäure  und  Kohlenoxydgas  zusammen;  es  entstehen  daher 
anfangs  wässerige  und  gasförmige  Produkte.  Bei  allmählich  ge- 
steigerter Temperatur  bilden  sich  aus  der  Kohle  und  dem  Wasser- 
stoff schwererflüchtige,  öl-harzige  Kohlenwasserstoffverbindungen, 
sowie  leichtes  und  schweres  Kohlenwasserstoffgas.  Schliesslich 
re'stiert  in  der  Retorte  Kohle. 

Yon  den  sich  bildenden  Produkten  sind  viele,  wie  Wasser, 
Essigsäure,  Kohlensäure,  Kohlenwasserstoffe,  Ammoniak  u.  a., 
allgemeine  Erzeugnisse  einer  jeden  trocknen  Destillation;  andere 
Körper  sind  hinwiederum  der  Destillation  gewisser  organischer 
Materien  eigentümlich,  so  stammt  z.  B.  das  Kreosot  aus  dem 
Buchenholze,  das  Naphthalin  aus  den  Steinkohlen  u.  a.  m. 

§  295.  Allgemeine  Produkte  der  trocknen  Destillation.  Bei  jeder 
trocknen  Destillation  erhält  man  viererlei: 

1.  ein.  Gas,  —  2.  ein  wässeriges  Destillat,  —  3.  ein 
harzig-öliges  Destillat,  den  Teer,  —  4.  rückständige  Kohle. 

Während  die  gasförmigen  Produkte  die  Destillation  von  An- 
fang bis  zu  Ende  begleiten,  erscheint  das  wässerige  Destillat  zu 
Anfang  und  nimmt  an  Menge  immer  mehr  ab,  dem  Teer  Platz 
machend;  schliesslich  geht  gar  keine  wässerige  Flüssigkeit,  son- 
dern nur  Teer  über.  Kommt  die  Retorte  in  die  Glühhitze,  so  ber 
endigt  sich  die  ganze  Operation,  und  Kohle  restiert  in  der  Retorte. 


91  'J>. 

Der  Teer  ist  ein  dunkelgefärbter  Balsam,  aus  einem  äthe- 
rischen Öle,  dem  Brandöle,  bestehend,  worin  sich  harzige 
Stoffe,  Brandharze,  aufgelöst  befinden.  Destilliert  man  den 
Teer  mit  Wasser,  so  geht  das  Brandöl  mit  den  "Wasserdämpfen 
über,  während  das  Brandharz  zurückbleibt. 

Für  die  näheren  Bestandteile  dieser  allgemeinen  Produkte 
ist  es  von  höchstem  Belang,  ob  die  der  trocknen  Destillation 
unterworfene  Substanz  Stickstoff  enthält  oder  nicht.  Der  Stick- 
stoff veranlasst  nämlich  die  Bildung  von  Ammoniak  und  ammo- 
niakalischen  organischen  Salzbasen,  während  stickstofffreie  Materien 
saure  Produkte  mit  vorwaltender  Essigsäure  erzeugen. 

1.  Die  Produkte  der  trocknen  Destillation  stickstofffreier  orga- 
nischer Körper  sind  vorwiegend  satirer  Natur. 

Die  Gase  bestehen  teils  aus  Kohlenwasserstoffen,  teils 
aus  Kohlensäure  und  Kohlenoxydgas.  Die  wässerige 
Flüssigkeit  enthält  freie  Essigsäure,  der  Teer  sowohl  sauer- 
stoffhaltige Brandöle,  zumal  Karbolsäure,  als  auch  sauerstoff- 
freie, z.  B.  Benzol,  Paraffin  und  Naphthalin.  Die  rückständige 
Kohle  ist  stickstofffrei. 

2.  Die  Produkte  der  trocknen  Destillation  stickstoffhaltiger  orga- 
nischer Körper  sind  vorwiegend  arnvnoniakalischer  Natur. 

Die  Gase  führen,  ausser  Kohlenwasserstoffen,  freies 
Ammoniak,  das  wässerige  Destillat  reagiert  durch  freies  und 
kohlensaures  Ammoniak  alkalisch  und  enthält  ausserdem 
essigsaures  Ammoniak,  sowie  auch  Cyanammonium. 
Im  Teer  finden  wir  eine  grössere  Anzahl  von  Amid-,  Imid- 
und  Nitrilbasen  z.  B.  Phenylamin  (Anilin).  Die  rückständige 
Kohle  ist  stickstoffhaltig.  —  Sofern  die  organischen  Stoffe  auch 
Schwefel  enthalten,  tritt  in  den  Gasen  auch  Schwefel  was  s  er- 
st off  resp.  Schwefelammonium  auf. 

Auf  die  Beschaffenheit  der  restierenden  Kohle  ist  das  Ver- 
halten der  verwendeten  Materien  von  bestimmendem  Einflüsse. 
Gelangen  diese  nämlich  ins  Schmelzen,  wie  z.  B.  der  Zucker,  so 
erscheint  ihre  Kohle  aufgequollen,  glänzend,  porös,  ist  leicht  pul- 
verisierbar, aber  schwer  verbrennlich  und  entbehrt  der  Eigen- 
schaft, Farbestoffe  und  Gerüche  aufzunehmen.  —  Schmelzen  die 
Körper  zwar  nicht,  enthalten  sie  aber  schmelzende  Bestandteile, 
wie  das  harzreiche  Fichtenholz,  so  behält  die  Kohle  wohl  die  ur- 
sprüngliche Form  bei,  ist  aber  glänzend,  dicht  und  taugt  eben- 
falls wenig  zur  Entfärbung  und  Desinfektion.  —  Sobald  aber 
gar  keine  Schmelzung  eintritt,  wie  beim  harzlosen  Holze,  bei  den 
Knochen  u.  a.,  behält  die  Kohle  die  ursprüngliche  Form  des 
Körpers,  erscheint  stark  porös  und  besitzt  in  hohem  Grade  die 
Fähigkeit,  Flüssigkeiten  zu  entfärben  und  Gase  in  sich  zu  verdichten. 


-     314 


§  296.  Die  trockne  Destillation  des  Holzes.  Je  nachdem  man 
das  wässerige  und  ölige  Destillat  oder  die  restierende  Kohle  be- 
zweckt, nimmt  man  die  Destillation  des  Holzes  in  geschlossenen 
Behältern  oder  in  sogenannten  Meilern  vor.  Die  Produkte  sind 
saurer  Natur,  nämlich: 

1.  Der  Holzessig. 
Zur  Gewinnung  des 
wässerigen  Destillates 
und  Teers  bedient 
man  sich  der  Vor- 
richtung, wie  sie  Fig. 
78  zeigt.  Das  Holz 
wird  in  dem  eisernen 
Cy  linder  a erhitzt;  die 
Dämpfe  entweichen 
seitlich  durch  das  Rohr 
c  indieKondensations- 
röhre  d,  welche  nach 
Art  des  L  i  e  b  i  g  sehen 
m  Kühlers  (g  h  i)  abge- 
kühlt wird.  Dabei  ent- 
weichen die  Gase  bei 
¥iS-  78-  o,  das  verdichtete  De- 

stillat sammelt  sich  aber  in  den  Yorlagen  h  und  e. 

Der  gewonnene  rohe  Holzessig,  Acetum  pyrolignosum 
crudum,  ist  eine  saure,  wässerige  Flüssigkeit  von  dunkler  Farbe, 
in  welcher  mehr  oder  weniger  Teerbestandteile  schwimmen.  Von 
letzteren  wird  er  durch  Rektifikation  gereinigt  und  liefert  den 
rektifizierten  Holzessig,  Acetum  pyrolignosum  rectifi- 
catum,  eine  klare,  schwachgelbe  Flüssigkeit.  Der  Teer  bleibt  in 
der  Retorte  zurück. 

Der  Holzessig  enthält,  neben  der  Essigsäure  (6%),  Me- 
thylalkohol*) (Holzgeist),  essigsauren  Methyläther,  Aceton, 
etwas  Karbolsäure  u.  a.  Der  Holzgeist  ist  zu  1%  darin  enthal- 
ten und  geht  bei  der  Rektifikation  im  ersten  Zehntel  über.  Dem 
Karbolsäuregehalt  verdankt  der  Holzessig  den  brenzlichen  Geruch, 
sowie  seine  gährungs-  und  fäulniswidrigen  (antiseptischen)  Eigen- 
schaften. 

Das  Aceton  ist  eine  farblose,  flüchtige  Flüssigkeit  von  ätherischem 
Geruch,  mischbar  mit  Wasser  und  ohne  Reaktion  auf  Lackmus.  Man  ge- 
winnt es  rein  durch  Erhitzen  trocknen  essigsauren  Kalkes,  wobei  kohlen- 
saurer Kalk  zurückbleibt: 

Ca2C2H30.2        =       CaCOg      +       C,HR0 

essigsaurer  Kalk         kohlensaurer  Kalk 


■y3XA6v 

Aceton. 


*)  Methyl  abgeleitet  aus  jj-stoc,  welches  in  der  Zusammensetzung  eine 
Veränderung  anzeigt,  und  ua/,  (Holz). 


—     315     — 

2.  Holzteer.  Dem  Holzessig  folgt  im  weiteren  Verlaufe 
der  Destillation  der  braunschwarze  Holzteer,  Pix  liquida. 
Für  sich  der  Destillation  unterworfen ,  trennt  derselbe  sich  in 
Brandöl,  welches  tibergeht,  und  Brandharz,  welches  zurückbleibt. 
Durch  geeignete  Fraktionierung  gelingt  es,  das  Brandöl  in  seine 
verschiedenen  Bestandteile  zu  trennen. 

Man  unterscheidet  zunächst  leichtes  und  schweres 
Brandöl,  je  nachdem  es  auf  dem  Wasser  schwimmt  oder  darin 
untersinkt.  Das  erstere  destilliert  vor  dem  letzteren  über.  Das 
leichte  Brandöl  besteht  aus  Benzol,  Xylol  u.  a.,  das  schwere  aus 
Karbolsäure,  Kreosot,  Paraffin  u.  a.  Betrachten  wir  diese  Be- 
standteile näher: 

a)  Das  Benzol")  (C6H6),  auch  Steinkohlen-Benzin  genannt, 
bei  60  —  80°  übergehend,  ist  eine  neutrale,  farblose,  ätherisch 
riechende,  dünne  Flüssigkeit,  welche  sich  leicht  entzünden  lässt, 
auf  dem  Wasser  schwimmt  und  mit  demselben  sich  nicht  mischt. 

Das  Petroleum-Benzin,  stammt  vom  Steinöl,  Petro- 
leum (Oleum  Petrae),  welches  in  Amerika,  seit  alter  Zeit  auch 
in  Persien  und  Italien,  aus  der  Erde  quillt  und  ein  Gemenge  ver- 
schiedener Kohlenwasserstoffe  ist.  Tom  rohen  Steinöl  werden  zu 
Beleuchtungs-Zwecken  die  flüchtigeren  Bestandteile  durch  Ab- 
destillieren  getrennt;  was  schon  bei  50 °  übergeht,  wird  unter  dem 
Kamen  Petroleumäther  (Aether  Petrolei)  in  den  Handel 
gebracht;  das  Benzin  destilliert  in  etwas  höherer  Temperatur, 
bei  60 — 80°.  Was  erst  über  100°  übergeht,  wird  als  gereinigtes 
Steinöl  zur  Beleuchtung  verwendet.  Nachdem  das  gereinigte 
Steinöl  überdestilliert  ist,  bleibt  ein  schwerflüchtiger  Rückstand, 


*)  Abgeleitet    von  Benzoesäure,    da    es  durch  Erhitzen  des  benzoe- 
sauren  Kalkes  entdeckt  wurde.     Die  Strukturformel  des  Benzols  ist: 

H— C=C—  H 

/        \ 
H— C  C— H 

\        // 

H— C— C— H 

Hier  finden  wir  die  Kohlenatome  nicht  in  offener  Reihe  mit  einander 

verbunden,  sondern  einen  geschlossenen  Ring  (Benzolkern)  bildend,  worin 

sie  sich  abwechselnd  mit  einfacher  und  doppelter  Valenz  binden.   Werden 

die  Wasseratome  des  Benzols  vertreten 

a)  durch  Salzbildner    z.   B.    Chlor,    so    entstehen    die    verschiedenen 
Chlorbenzole  (C6H5C1  bis  C6C16); 

b)  durch  Hydroxyl   (OH),   so   entstehen  die   sog.  Phenole   z.  B.   die 
Karbolsäure  (CH5,OH); 

c)  durch  N02,  so  entstehen  r\itrokörperz.  B.  Nitrobenzol  (C6H5.N02); 

d)  durch  NH2,   so   entstehen  Amidokörper  z.  B.  Anilin,  (C6H5,NH2). 
Da  man  die  Atomgruppe  (C0H5)  Phenyl  genannt  hatte,  betrachtete 

man  früher   die  Karbolsäure   als   Oxydhydrat  des  Phenyls,   das  Anilin  als 
Phenylamin. 


—     316     - 

der  erst  bei  300°  übergeht  und  das  Vaselinöl,  Parafflnum 
liquidum,  darstellt;  ein  färb-  und  geruchloser,  ölartiger,  neutraler 
Kohlenwasserstoff. 

b)  Vom  schweren  Brandöl,  welches  erst  über  100  °  siedet, 
ist  der  wesentlichste  Bestandteil  die  Karbolsäure,  auch  Phenol*) 
genannt,  mit  der  Formel  C^H^O  =—  CfiH5,HO.  Der  Zusammen- 
setzung nach  wurde  die  Karbolsäure  als  der  Alkohol  eines  Radikals 
Phenyl  (C6H5)  betrachtet;  von  den  Alkoholen  unterscheidet  sie 
sich  aber  sehr  wesentlich  dadurch,  dass  sie  die  Eigenschaften  einer 
Säure  hat  und  kein  Aldehyd  bildet. 

Die  rohe  Karbolsäure,  Acidum  carbolicum  cruduiu, 
ist  eine  dunkelfarbige,  ätherisch-ölige  Flüssigkeit,  mit  wechseln- 
dem Gehalte  an  reiner  Karbolsäure.  (Die  Pharm.  Grerm.  IL  ver- 
langt 90  °/n  und  stellt  dies  durch  Schütteln  der  rohen  Karbolsäure 
mit  verd.  Natronlauge  fest.)  Man  gewinnt  daraus  die  reine  Karbol- 
säure durch  Bindung  an  Ätzkali,  welches  die  Karbolsäure  löst, 
aber  nicht  die  indifferenten,  übelriechenden  Brandöle.  Was  Ätz- 
kalilauge vom  schweren  Teeröle  aufnimmt,  wird  durch  Schwefel- 
säure wieder  abgeschieden  und  davon  die  reine  Karbolsäure, 
Aciduni  carbolicum  crystallisatum,  durch  Rektifikation  bei 
180  °  abgetrennt.  Im  wasserfreien  Zustande  krystallisiert  dieselbe 
in  nadelig-krystallinischen,  farblosen  Massen,  welche  in  gelinder 
Wärme  schmelzen,  sich  schwierig  in  Wasser,  leicht  in  Weingeist, 
Äther,  Glycerin  und  Ölen  lösen  und  mit  Eisenchlorid  sich  violett- 
blau färben.  Die  Karbolsäure  muss  sich  in  20  Teilen  Wasser 
klar  auflösen  und  ohne  unangenehmen  Geruch  sein  —  anderen- 
falls enthält  sie  fremde  Brandöle.  Die  Karbolsäure  zeichnet  sich 
in  hohem  Grade  durch  fäulnis-  und  gährungswidrige  (antisep- 
tische) Eigenschaften  aus,  koaguliert  Eiweiss  und  ist  der  konser- 
vierende Bestandteil  des  Rauches.  Brom  scheidet  aus  ihrer  Lö- 
sung Tribromphenol  (C6H3Br30)  in  weissen  Flocken  aus. 

Mit  konzentr.  Schwefelsäure  mischt  sich  die  Karbolsäure  zu 
Karbolschwefelsäure,  die  der  Ätherschwefelsäure  analog 
zusammengesetzt  ist  (G^H^HSO«)  und  wie  diese  mit  Baryt  und 
Kalk  lösliche  Salze  bildet.  Das  karbolschwefelsaure  Zink- 
oxyd, Ziucum  sulfocarbolicurn,  ähnelt  dem  schwefelsauren 
Zinkoxyd,  riecht  jedoch  meistens  schwach  nach  Karbolsäure,  löst 
sich  in  Wasser  und  auch  in  Weingeist  auf  und  färbt  Eisenchlorid 
violettblau. 

Im  Buchenholzteer  ist  die  Karbolsäure  vertreten  durch 
Kreosot,  Kreosotum**),  eine  ätherisch-ölige,  von  der  Karbol- 
säure im  Geruch  und  in  der  Zusammensetzung  etwas  abweichende 

*)  Phenol   abgeleitet  von  oaivw  (leuchten),   als  Produkt  bei   der  Be- 
reitung des  Leuchtgases;  Karbolsäure  von  carbo  (Kohle)  und  oleum  (Öl). 
**)  Kreosot  von  -/.psa?  (Fleisch)  und  cnotrjp  (Erhalter). 


-     317     — 

ähnliche  Flüssigkeit,  mit  ebenfalls  stark  antiseptischen  Eigenschaften 
begabt.  Es  unterscheidet  sich  von  der  Karbolsäure  durch  viel 
geringere  Löslichkeit  in  Wasser  (1 :  100),  Unlöslichkeit  in  Glycerin, 
Mischbarkeit  mit  Kollodium  (womit  die  Karbolsäure  eine  Gallerte 
bildet)  und  schmutzig  grüne  Färbung  mit  Eisenchlorid.  Es  ist 
ein  Gemenge  aus  Kreosol  und  Guajakol. 

c)  In  höherer  Hitze  als  die  Karbolsäure  destilliert  aus  dem 
Holzteer  das  Paraffin,  ein  fester  Kohlenwasserstoff,  ohne  Ge- 
ruch und  Geschmack,  weiss,  wachsartig,  in  sehr  gelinder  Wärme 
schmelzend  und  weder  von  Alkalien,  noch  von  Säuren  angreifbar 
—  daher  sein  Name :  parum  (wenig)  affinis  (verwandt).  —  Einen 
etwas  höheren  Schmelzpunkt  (bei  75°)  besitzt  das  off.  Paraffiuum 
soli  du  in ,  welches  durch  Reinigung  des  natürlich  vorkommenden  Erd- 
wachses (Ozokerit)  gewonnen  und  im  Handel  Ceresin  genannt  wird. 

d)  Der  Rückstand  der  Teerdestillation  liefert,  abgedampft, 
das  Scbiffspech,  Pix  navalis  (P.  nigra),  ein  schwarzes, 
sprödes  Harz  mit  Teergeruch. 

Übergiesst  man  den  Holzteer  mit  heissem  Wasser,  so  er- 
hält man  das  schwachgelbe,  säuerlich  schmeckende  und  nach 
Teer  riechende  Teerwasser,  Aqua  Picis,  welches  karbol- 
säurehaltig ist. 

In  Russland  gewinnt  man  den  Teer  des  Birkenholzes  und 
gebraucht  ihn  als  Oleum  Rusci,  einen  dunkelbraunen  Balsam. 

3.  Die  bei  der  Verkohlung  in  Meilern  restierende  Kohle  ist 
die  Holzkohle  (Carbo  vegetabilis). 

§297.  Die  trockne  Destillation  der  Steinkohlen.  Die  Steinkohlen, 
die  verkohlten  Reste  einer  untergegangenen,  vorzeitlichen  Vege- 
tation, finden  sich  häufig  gemengt  mit  eingestreutem  Schwefelkies 
und  zeigen  auch  einen  Gehalt  an  Stickstoff.  Daher  weichen  die 
Produkte  der  trockenen  Destillation  der  Steinkohlen  von  denen 
des  Holzes  durch  den  Gehalt  einiger  Bestandteile  ab.  Man  nimmt 
die  Operation  zum  Zwecke  der  Leuchtgasbereitung  in  den 
sog.  Gasfabriken  vor. 

1.  Das  gewonnene  Gas,  das  Leuchtgas,  besteht  aus 
schwerem  Kohlenwasserstoffgas  (Olgas),  welchem  es 
seine  Leuchtkraft  verdankt,  gemengt  mit  leichtem  Kohlenwasser- 
stoffgase, reinem  Wasserstoff,  Kohlenoxyd,  Ammoniak,  Schwefel- 
wasserstoff, Schwefelkohlenstoff;  von  den  drei  letzteren  muss  es 
gereinigt  werden.  Man  lässt  es  zunächst  durch  lange  Röhren 
streichen,  worin  der  Schwefelkohlenstoff  mit  den  abgedun steten 
Brandölen  (Benzol  u.  a.)  sich  absetzt;  dann  leitet  man  das  Gas 
durch  Kalkmilch,  zur  Absorption  des  Schwefelwasserstoffs  und 
der  Kohlensäure,  schliesslich  durch  verdünnte  Schwefelsäure,  zur 
Absorption  des  Ammoniaks. 


—    318     — 

2.  Das  wässrige  Destillat,  das  Gaswasser,  enthält  kohlen- 
saures und  essigsaures  Ammoniak,  Schwefelammonium,  neben  Cyan- 
tind  Chlorammonium  gelöst.     Man  verarbeitet  es  auf  Ammoniak. 

3.  Der  Steinkohlenteer,  der  Gasteer,  besteht  aus 
ähnlichen  Stoffen  wie  der  Holzteer.  Für  sich  destilliert,  liefert 
er  das  Steinkohlenbrandöl  oder  Teer  öl,  welches  man  in 
getrennten  Portionen  auffängt.  Das  leichte  Teeröl  enthält  Benzol 
(Steinkohlenbenzin),  Xylol  u.  a.,  das  schwere  Teeröl  Karbol- 
säure*) und  an  Stelle  des  Paraffins  das  Naphthalin,  einen 
krystallinischen,  fettartigen  Kohlenwasserstoff,  von  brennendem 
Geschmack  und  eigentümlichem  Geruch.  Im  Teeröle  finden  wir 
auch  eine  Anzahl  stickstoffhaltiger  Salzbasen;  vor  allen  zu  nennen 
das  Anilin  (NH2C6H5),  eine  farblose,  flüchtigölige  Flüssigkeit  von 
gewürzigem  Geruch  und  alkalischer  Reaktion,  welche  durch  Oxy- 
dationsmittel die  verschiedenen  Anilinfarben  liefert. 

4.  Die  rückständige  Kohle,  Kohks,  führt  mehr  oder  weniger 
Schwefeleisen  und  verbrennt   schwerer  als  die  Steinkohlen  selbst. 

§  298.  Trockne  Destillation  tierischer  Substanzen.  Werden  tie- 
rische Abfälle,  wie  Hörn,  Knochen,  Blut  u.  dgl.  erhitzt,  so  ent- 
stehen durch  den  Stickstoff-Reichtum  dieser  Materien  stark  ammo- 
niakalische  Produkte.  Man  gewinnt  aus  jenen  Abfällen  die  Blut- 
kohle und  Knochenkohle  als  Rückstand,  eine  Stickstoffkohle, 
die  zur  Bereitung  des  Blutlaugensalzes,  sowie  als  Entfärbungs- 
mittel Anwendung  findet.    Nebenprodukte  dieser  Fabrikation  sind: 

1.  Ein  wässeriges  Destillat,  früher  als  Hirschhorngeist, 
Spiritus  Cornu  Ger  vi,  offizinell,  eine  mit  Tier-Brandöl  ge- 
schwängerte Lösung  von  kohlensaurem  Ammoniak. 

2.  Ein  festes  Sublimat,  als  Hirschhornsalz,  SalCornu 
Cervi,  ehedem  gebräuchlich,  ein  mit  Tier-Brandöl  getränktes 
kohlensaures  Ammoniak,  welches  sich  in  der  Vorlage  in  Krusten 
ansetzt. 

3.  Ein  Teer,  stinkendes  Tieröl  oder  Hirschhornöl, 
Oleum  animale  foetidum,  ein  braunschwarzer  Balsam  von 
höchst  unangenehmem  Geruch.  Mit  Wasser  destilliert,  liefert  er 
ein  ätherisches  Brandöl,  das  ätherische  Tieröl,  Oleum 
animale  aethereum,  ein  anfangs  farbloses,  aber  sehr  bald 
an  der  Luft  sich  bräunendes  ätherisches  Öl,  ein  Gemenge  von 
alkalischen  Amid-,  Imid-  und  Nitrilbasen. 

Das  Hirschhornsalz,  wie  der  Hirschhorngeist,  werden  jetzt 
aus  dem  reinen  kohlensauren  Ammoniak  durch  Zusatz  des  äthe- 


*)  Dieses  karbolsäurehaltige,  schwere  Teeröl,  welches  bei  150°  siedet, 
führt  im  Handel  den  Namen  Steinkohlenteerkreosot,  ist  aber  vom 
echten  Kreosot  (aus  Buchenholz)  wohl  zu  unterscheiden. 


—     319     — 


rischen  Tieröls  bereitet  und  führen  die  Namen  Ammonium 
carbonicum  pyrooleosum,  Liquor  Amm.  carb.  pvroo- 
1  e  o  s  i.  Sie  bräunen  sich  ebenfalls  sehr  bald  an  der  Luft  und 
riechen  sowohl  nach  Ammoniak  wie  nach  Tieröl. 

Übersicht  der  Produkte  der  trocknen  Destillation. 


Material 


gasförmige 
Produkte 


wässeriges 
Destillat 


öliges 
Destillat 


Holz 
(stickstofffrei) 


CO,C02 

(a,H4,CH4 

H 


brenzliche 
Essigsäure. 
[Holzessig.) 


Benzol,  Xylol, 

Karbolsäure, 

Paraffin. 

(Holzteer.) 


Rückstand 


Holzkohle 


Steinkohlen 
(stickstoffarm, 
schwefelhaltig) 


CO,C2H4, 

CH4,NH3 

H?S,H. 

(Leuchtgas.) 


kohlensaures 

und  essig- 
saures Ammo- 
niak, Schwe- 
felammonium 

u.  a. 
(Gaswasser.) 


Benzol,  Xylol, 

Karbolsäure, 

Naphthalin, 

Anilin. 

(Steinkohlen- 
teer.) 


Kohks 


Hörn,  Knochen, 
Blut  u.  dgl. 

(stickstoffreich) 


CO,C.2H4, 

CH4,NH3 

H 


j  kohlensaures, 
essigsaures 
und  freies  Am- 
moniak,   Cyan- 
[    ammonium. 
i  (Hirschhorn- 
geist.) 


flüchtige 

Amid-,  Imid- 

und  Nitril- 

basen. 
(Hirschhom- 
öl.) 


Blutkohle 
Knochenkohle 


Praktische  Übungen. 

1.  Zincum  sulfocarbolicum.  Man  bereitet  zunächst  Karbol- 
schwefelsäure, indem  man  6  Teile  konzentr.  Schwefelsäure  mit  5  Teilen 
reiner  Karbolsäure  mischt  und  8  Tage  in  mittlerer  Temperatur  stehen 
lässt.  Dann  wird  die  Mischung  mit  ihrer  zehnfachen  Wassermenge  ver- 
dünnt, durch  kohlensauren  Kalk  (Kreide)  gesättigt  und  nach  der  Filtration 
auf  10  Teile  eingedampft.  Man  filtriert  abermals  (von  dem  aasgeschie- 
denen Gips)  und  giebt  soviel  Zinkvitriollösung  (höchstens  7l/2  Teile  Zink- 
vitriol) hinzu,  bis  kein  Niederschlag  mehr  entsteht;  die  von  dem  ent- 
stehenden Gips  abfiltrierte  Flüssigkeit  wird  schliesslich  zur  Krystallisation 
abgedampft. 


320     - 


Erkennung  und  Prüfung 
der  chemischen  Präparate. 

A.  Qualitative   Analyse. 

§  299.  Qualitative  und  quantitative  Analyse.  Die  Untersuchung 
eines  Körpers  auf  seine  chemischen  Bestandteile  ist  Gegenstand 
der  qualitativen  chemischen  Analyse.  Hierbei  handelt 
es  sich  ausschliesslich  darum ,  welche  chemischen  Körper  zu- 
gegen sind.  Ist  dies  festgestellt,  so  folgt  die  zweite  Frage,  in 
welchen  Mengeverhältnissen  die  Bestandteile  mit  einander  ver- 
bunden oder  gemischt  sind;  die  Beantwortung  dieser  Frage  ist 
Gegenstand  der  quantitativen  chemischen  Analyse. 

Für  den  Pharmazeuten  hat  die  qualitative  Analyse  haupt- 
sächlichen Wert: 

1.  Zur  Erkennung  der  chemisch-pharmazeutischen  Präpa- 
rate resp.  Feststellung  ihrer  Identität. 

2.  Zur  Prüfung  derselben  auf  ihre  Reinheit. 

I,  Die  Erkennung  der  chemischen  Präparate. 

A.  Allgemeine  Prüfung.    (Vorprüfung.) 

§  300.  Physikalische  Charaktere.  Man  leitet  die  allgemeine 
Prüfung  der  chemisch-pharmazeutischen  Präparate  mit  der  Prüfung 
ihrer  physikalischen  Charaktere  ein  und  berücksichtigt 
hierbei  der  Reihe  nach  den  Aggregatzustand,  die  Farbe,  den  Ge- 
ruch und  Geschmack,  sowie  das  spez.  Gew.  des  Körpers  und 
sein  Verhalten  an  der  Luft. 

1.  Der  Aggregatzustand  giebt  sehr  häufig  wesentliche 
Erkennungsmerkmale  ab.    Hierbei  muss  zunächst  beachtet  werden : 

a)  ob  der  Körper  tropfbar  flüssig,  oder 

b)  ob  er  fest  ist;  im  letzteren  Falle  ob  er 
a)  krystallisiert  oder 

ß)  amorph  ist. 

Die  tropfbaren  Flüssigkeiten  zeigen  häufig  eine  besondere 
Konsistenz ;  so  finden  wir  eine  dickliche,  ölige  Beschaffenheit  bei 
Acidum  sulfuricum,  Aciclum  tacticum,  Liquor  Ferri  sesquichlorati 
und  sulfurici  oxydati;  Dünnflüssigkeit  finden  wir  beim  Aether, 
Aether  aceticus,  Chloroformium  u.  a. 

Für  die  krystallisierten  Körper  ist  die  Krystallgestalt 
häufig  charakteristisch.     Als  Beispiele  mögen  dienen: 


-     321     - 

in  regelmässigen  Würfeln:  Kalium  jodatum,  K.  bromatum, 

in  regelmässigen  Oktaedern:  Alumen; 

in  quadratischen  Tafeln :  Kalium  ferrocyanatum ; 

in  rhombischen  Tafeln:  Jodum,  Baryum  chloratum,  Kalium 
chloricum,  Zincum  aceticum,  Acidum  boricum; 

in  rhombischen  Säulen:  Kalium  nitricum  (in  längsstreifigen, 
abgestumpften,  sechsseitigen  Säulen),  Magnesium  sulfuricum,  Zincum 
sulfuricum,  Natrium  sulfuricum,  Natrium  aceticum  u.  v.  a. 

in  Rhomboedern :  Natrium  nitricum  (sehr  ähnlich  dem  Würfel) ; 

in  sublimierten  Stücken  mit  strahligem  Gefüge :  Hydrargyrum 
chloratum  und  H.  bichloratum;  mit  faserigem  Gefüge:  Ammonium 
chloratum. 

2.  Durch  eine  besondere  Färbung  zeichnen  sich  aus: 
grün :    Eisenoxydidsalze  (hellgrün),   manche  Kupferoxydsalze 

(blaugrün),  gewisse  Chromoxydverbindungen; 

blau :  Kupferoxydsalze ; 

rot:     übermangansaure  Salze  (violettrot),  Chromsäure; 

gelb :  Eisenoxydsalze  (braungelb),  neutrale  chromsaure  Salze 
(hellgelb),  Gold-  und  Platinsalze. 

3.  Am  Gerüche  sind  viele  chemischen  Körper  sofort  sicher 
zu  erkennen:  Liquor  Ammonii  caustici  durch  seinen  stechenden 
Geruch ;  Chlorum  durch  seinen  erstickenden  Geruch,  Chlor oformium, 
Aether  aceticus  durch  ihren  belebenden  Geruch,  Acidum  benzoicum 
durch  ihren  benzoeartigen  Geruch  u.  s.  f. 

Was  den  Geschmack  betrifft,  so  lässt  sich  derselbe  wegen 
der  häufigen  Giftigkeit  der  Chemikalien  nur  mit  grosser  Yorsicht 
ermitteln.  Sämtliche  Sclnvermetallsalze  besitzen  einen  widrigen, 
sog.  metallischen  Geschmack,  Eisensalze  schmecken  tintenartig, 
Bleisalze  süsslich  herbe,  Thonerdesalze  schrumpfend,  Magnesiasalze 
bitterlich. 

4.  Das  spezifische  Gewicht  ist  bei  Flüssigkeiten  häufig 
charakteristisch.  Durch  eine  bedeutende  Eigenschwere  zeichnen 
sich  aus:  Acidum  sulfuricum,  Chloro formium  u.  a.,  durch  eine  sehr 
geringe:  Aether,  Benzinum  u.  a.  Durch  sein  höheres  spez.  Gew. 
unterscheidet  sich  z.  B.  das  Chloroform  von  den  ihm  äusserst 
ähnlichen  Äthylenchlorid. 

5.  Das  Verhalten  an  der  Luft  kennzeichnet  manche 
chemischen  Körper.     So  tritt  ein: 

schleuniges  Yerdunsten  bei  Aether,  Aether  aceticus,  Chloro- 
formium,  Benzinum; 

Feuchtwerden  und  endlich  Zerfliessen  infolge  von  Wasser- 
anziehung bei  Kalium  carbonicum,  Tartarus  boraxatus,  Acidum 
chromicum  u.  a. ; 

Zerfallen  infolge  von  Yerwitterung  bei  Natrium  phosphoricum 
Natrium  carbonicum  u.  a. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  21 


-     322     — 

§  301.  Verhalten  beim  Erhitzen.  Nachdem  man  die  sinnlichen 
Eigenschaften  des  fraglichen  Körpers  festgestellt  hat,  fährt  man 
in  der  Vorprüfung  fort  durch  Erhitzen  einer  kleinen  Probe  auf 
Platinblech  oder  in  einem  porzellanenen  Glühschälchen.  Hier- 
bei können  folgende  Fälle  eintreten: 

1.  Der  Körper  verflüchtigt  sich  ohne  Eückstand. 
Hierhin  gehören  die  meisten  Mineralsäuren   (excl.  Chromsäure 

und  Phosphorsäure),  sämtliche  Ammoniak-  und  Arsenverbindungen, 
Quecksilber  und  seine  Verbindungen,  Jod  und  Brom. 

2.  Der  Körper  verbrennt  resp.  verkohlt. 

Hierhin  zählen  die  organischen  Körper.  Hinterlassen  sie  auch 
in  der  Glühhitze  einen  fixen  Rückstand,  so  liegt  das  Salz  einer 
organischen  Säure  vor  und  zwar  hinterlassen  die  Alkalisalze  kohlen- 
saures Alkali  als  Rückstand,  kenntlich  an  der  alkalischen 
Reaktion  nach  dem  Anfeuchten  mit  Wasser.  Die  organisch- 
sauren Schwermetalle  lassen  aber  reines  Metalloxyd  zurück,  die 
der  leicht  reduzierbaren  Metalle  (Blei,  Antimon  u.  a.)  ergeben 
regulinisches  Metall.  (Solche  Verbindungen  darf  man  nicht  auf 
Platinblech  glühen,  da  letzteres  mit  dem  Metalle  zusammenschmilzt 
und  durchlöchert  wird.) 

3.  Der  Körper  schmilzt  und  hinterlässt  dann  einen  festen 
Rückstand.  Es  liegt  ein  Körper  mit  Krystallwasser  vor,  z.  B. 
Natrium  carbonicum,  sulfuricum,  phosphoricum  u.  a.,  "welche  in 
ihrem  Krystallwasser  schmelzen,  dasselbe  verdampfen  lassen  und 
dann  wasserfrei  zurückbleiben. 

4.  Der  Körper  bläht  sich  stark  auf. 
Dies  thut  Borax  und  Alumen. 

5.  Der  Körper  verändert  seine  Färbung. 

Hierhin  das  Zincum  oxydatum,  welches  gelb  wird,  beim  Er- 
kalten aber  seine  weisse  Farbe  wieder  annimmt;  Cerussa  wird 
dauernd  gelb. 

6.  Der  Körper  verändert  sich  nicht. 

Hierhin  die  Oxyde  der  Schwermetalle,  der  alkalischen  Erden, 
Thonerde,  viele  Salze. 

§  302.  Verhalten  zu  Lösungsmitteln.  Als  Lösungsmittel  wendet 
man  zuerst  reines  Wasser  an;  wirkt  dasselbe  nicht  in  gewöhn- 
licher Temperatur,  so  erhitzt  man  zum  Sieden.  Beobachtet  man 
auch  dann  keine  Veränderung  resp.  Lösung,  so  fügt  man  Sal- 
petersäure portionenweise  zu  und  erhitzt  nötigenfalls.  Hier- 
nach unterscheidet  man: 

1.  In  Wasser  lösliche  Körper:  die  ätzenden  und  kohlen- 
sauren Alkalien,  die  meisten  Säuren,  alle  salpetersauren  und  essig- 
sauren Salze,  die  meisten  schwefelsauren  Salze  und  Chlormetalle, 
die  Salze  der  Alkaloide  u.  a.  m. 


323     — 

2.  Nicht  in  Wasser,  aber  in  verdünnten  Säuren 
lösliche  Körper:  die  kohlensauren,  phosphor  sauren,  weinsauren 
alkalischen  Erden  und  Schwermetallsalze,  die  reinen  Alkalo'ide,  Schwer- 
tnetalloxyde  u.  a.  m. 

3.  Weder  in  Wasser,  noch  in  verdünnten  Säuren 
lösliche  Körper:  Schwefel,  Kohle,  Zinnober,  Quecksilber  chlor  ür 
und  -jodür,  die  Sulfate  von  Bart/um,  Strontium,  Blei  u.  a. 

B.  Spezielle  Untersuchung. 

§  303.  Was  ist  ein  Reagens?  Die  spezielle  Prüfung  bedient 
sich  der  Reagentien.  Man  versteht  unter  einem  Eeagens 
ein  Mittel,  mittelst  dessen  man  die  Anwesenheit  eines  fraglichen 
Körpers  konstatieren  kann.  Durch  ein  Reagens  wird  bei  An- 
wesenheit des  gesuchten  Körpers  irgend  eine  Erscheinung  hervor- 
gerufen, sei  es  ein  Niederschlag,  eine  Gasentbindung,  eine  Färbung 
oder  dgl.  Bleibt  die  erwartete  Erscheinung  aus,  so  ist  damit  die 
Abwesenheit  des  fraglichen  Stoffes  nachgewiesen. 

Man  unterscheidet  unter  den  Reagentien  allgemeine  und 
besondere.  Erstere  zeigen  eine  ganze  Gruppe  von  Körpern 
an,  letztere  nur  einen  bestimmten  Stoff. 

Zu  den  allgemeinen  Reagentien  zählen  in  erster  Reihe  die 
Reagenspapiere,  welche  freie  Säuren  resp.  Ätzalkalien  an- 
zeigen.    Man  benutzt  hierzu: 

1.  blaues  Lackmuspapier,  mit  einem  wässerigen  Aus- 
zuge von  Lackmus  (Lackmustinktur)  getränktes  Schreibpapier, 
ein  Reagens  auf  freie  Säuren  und  saure  Salze,  durch  die  es  gerötet  wird ; 

2.  rotes  Lackmuspapier,  mittelst  verdünnter  Säure  ge- 
rötetes Lackmuspapier,  ein  Reagens  auf  ätzende  Alkalien  und 
kohlensaure  Alkalien  (auch  borsaure  und  kieselsaure  Alkalien), 
durch  die  es  gebläuet  wird; 

3.  Kurkumapapier,  mittelst  Kurkumatinktur  gelb  gefärbtes 
Schreibpapier,  welches  von  alkalischen  Flüssigkeiten  gebräunt  wird. 

Bevor  man  zur  weiteren  Untersuchung  schreitet,  muss  mit- 
telst der  genannten  Reagenspapiere  die  Lösung  des  fraglichen 
Körpers  auf  seine  Reaktion  geprüft  werden. 

Die  übrigen  Reagentien  sind  teils 

Säuren:  verd.  Essigsäure,  Salzsäure,  Salpetersäure, 
Schwefelsäure,  Gerbsäure,  Weinsäure; 

Gaslösungen:  Chlor-  Schwefelwasserstoffwasser; 

Ätzalkalien:  Natronlauge,  Kalkwasser,  Ätzammoniak; 

Schwefelalkalien :  Schwefelammonium; 

Salzlösungen:  kohlensaures  Natron,  kohlensaures 
Ammoniak,  phosphorsaures  Natron,  oxalsaures  Am- 
moniak, essigsaures  Kali,  übermangansaures  Kali, 
salpetersaurer  Baryt,  schwefelsaurer  Kalk,  schwefel- 

21* 


—     324     — 

saure  Magnesia,  schwef elsauresEisenoxydul,  schwefel- 
saures Kupferoxyd,  essigsaures  Bleioxyd,  salpeter- 
saures Silberoxyd; 

Chlorammonium,  Chlorcalcium,  Eisenchlorid> 
Platinchlorid,  Quecksilberchlorid,  Jodkalium,  Ferro- 
cyankalium,  Ferridcyankaliuni,  Rhodankalium; 

Metalle:  Zink,  Kupfer,  Eisen. 

1.  Auffindung  des  metallischen  Bestandteils. 
§  304.    Analytische  Einteilung  der  Metalle. 

1.  Gruppe:  Durch  Schwefelwasserstoff  aus  saurer 
Lösung  fällbare  Metalle: 

Blei,  Kupfer,  Kadmium,  Wismut,  Zinn,  Antimon,  Arsen, 
Quecksilber,  Silber,  Gold,  Platin. 

2.  Gruppe:  Nicht  durch  Schwefelwasserstoff  aus  saurer 
Lösung,  jedoch  durch  Schwefelammonium  fällbare  Metalle: 

Zink,  Eisen,  Mangan,  Kobalt,  Nickel,  Chrom,  Aluminium. 

3.  Gruppe:  "Weder  durch  Schwefelwasserstoff,  noch  durch 
Schwefelammonium,  jedoch  durch  kohlensaures  Natron  fällbare 
Metalle: 

Baryum,  Strontium,  Calcium,  Magnesium. 

4.  Gruppe:  Weder  durch  Schwefelwasserstoff,  noch  Schwefel- 
ammonium, noch  kohlensaures  Natron  fällbare  Metalle: 

Kalium,  Natrium,  Lithium  {Ammonium). 

I.  Gruppe. 

Durch  Schwefelwasserstoff  aus  saurer  Lösung  fällbare  Metalle. 

§  305.  Verhalten  der  hierhin  gehörigen  Metalle  gegen  Salzsäure. 
Die  Ansäuerung  der  Lösung,  welche  mit  Schwefelwasserstoff  be- 
handelt werden  soll,  geschieht  durch  Salzsäure.  Da  hierdurch 
einige  der  hierhin  gehörigen  Metalle  als  Chlormetalle  ausgefällt 
werden,  giebt  uns  die  Ansäuerung  durch  Salzsäure  ein  Mittel  zur 
Erkennung  der  in  Frage  kommenden  Metalle. 

Durch  Salzsäure  werden  als  Chlormetalle  weiss  gefällt: 
Silber-,  Blei  und  Quecksilberoxydsalge. 

Man  unterscheidet  diese  Metalle  am  Verhalten  des  Nieder- 
schlages 1.  zu  heissem  "Wasser,  2.  zu  Ätzammoniak.  Z?Ze«chlorid 
löst  sich  nämlich  in  siedendem  "Wasser  leicht  auf,  Äföerchlorid 
wird  dagegen  yon  Salmiakgeist  leicht  aufgenommen,  während 
Quecksilber  chlorür  von  letzterem  schwarz  gefärbt  wird  (Quecksilber- 
oxydul-Ammoniak) 

Die  Bleisalze  charakterisieren  sich  ausserdem  durch  ihr  Verhalten 
zu  Schwefelsäure,  welche  weisses  Bleisulfat  fällt,  sowie  zu  Jodkalium, 
welches  gelbes  Jodblei  fällt. 

Schwefelwasserstoff  scheidet  sämtliche  drei  Metalle  als  schwarze 
Sulfide  aus. 


—    325     — 

§  306.  Unterscheidung  der  durch  Salzsäure  nicht  fällbaren  Metalle. 
Die  übrigen  durch  Schwefelwasserstoff  aus  saurer  Lösung  fäll- 
baren Metalle,  welche  nicht  durch  Salzsäure  niedergeschlagen 
werden,  sind: 

Quecksilberoxyd-,    Kadmiumoxyd- ,    Kupferoxyd-,    Wismut- 
oxyd-,  Zinnoxydul-,   Zinnoxyd-,  Goldoxyd-,   Platinoxyd-,  An- 
timonoxyd-, arsenigsaure  und  arsensaure  Sähe. 
Man  unterscheidet  diese  Salze  1.  nach  der  Farbe  des  Nieder- 
schlages, den  Schwefelwasserstoff  erzeugt,  2.  nach  dessen  Löslich- 
keit in  Schwefelammonium.     Es  sind: 

a)  Orangerot,  löslich  in  Schwefelammonium :  Antimonsulfür 
und  Antimonsulfid; 

b)  Gelb, 

a)  löslich  in  Schwefelammonium:  Zinnsulfid,  Arsensulfid, 
ß)  unlöslich  in  Schwefelammonium:  Kadmiumsulfid; 

c)  Kaffeebraun,    in    gelbem   Schwefelammonium    löslich: 

Zinnsulf ür; 

d)  Schwarz, 

a)  löslich  in  Schwefelammonium:  Gold-  und  Platinsulfid, 
ß)  unlöslich     in     Schwefelammonium:      Quecksilber sulfid, 
Kupfer-    und    Wismutsulfid.     Man    unterscheidet    sie 
durch   das  Yerhalten  ihrer  Salzlösungen    zu  Wasser 
und  zu  Ammoniak.     Wasser  trübt  die   Wismutsalze 
milchig;  Ätzammoniak  fällt  die  Quecksilberoxydsalze 
weiss,   die  Kupfersalze  bläulich,  löst  aber,  im  Über- 
schuss   angewendet,    das  Kupferoxydhydrat  mit  tief- 
blauer Farbe  wieder  auf. 
Ein  empfindliches  Reagens   auf  Kupfersalze   ist  das  Ferro- 
«yankalium,   welches   sie   noch   in   grösster  Yerdünnung   rot- 
braun (Ferrocyankupfer)  fällt. 

2.  Gruppe. 

Durch  Schwefelammoniuni  fällbare,  durch  Schwefelwasserstoff  aus  saurer 
Lösung  nicht  fällbare  Metalle. 

§  307.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörenden  Metalle.  Yon  den 
durch  Schwefelammonium  (nicht  aber  aus  saurer  Lösung  durch 
Schwefelwasserstoff)  fällbaren  Metallen  werden  gefällt: 

1.  Als  Sulfide:  Zink,  Eisen,  Mangan,  Kobalt,  Nickel; 

2.  als  Oxydhydrate:   Chrom  und  Aluminium; 
und  zwar: 

a)  weiss, 

u)  unlöslich  in  Natronlauge:  Zinksulfid; 
ß)  löslich  in  Natronlauge:  Thonerde; 

b)  blaugrün,  löslich  in  Natronlauge:  Chromoxyd; 

c)  fleischfarbig,  unlöslich  in  Natronlauge:  Mangansulfid; 


—  326  — 

d)  schwarz, 

a)  leichtlöslich  in  kalter  verd.  Salzsäure :  Eisensulfid; 
ß)  darin  unlöslich:  JSickel-  und  Kolaltsulfid. 

Die  Zink-  und  Tlionerdesalze  unterscheiden  sich  durch  ihr 
Verhalten  zu  den  Alkalien ;  überschüssige  Kali-  und  Natronlauge 
lösen  das  anfänglich  ausgeschiedene  Zinkoxyd  resp.  Thonerde- 
hydrat  wieder  auf,  Ammoniak  löst  aber  nur  das  Zinkoxyd,  nicht 
die  Thonerde.  Fügt  man  also  Chlorammonium  zur  alkalischen 
Lösung,  so  geht  dieselbe  in  eine  ammoniakalische  über  (durch 
Bildung  von  Chlorkalium  resp.  Chlornatrium)  und  vorhandene 
Thonerde  scheidet  sich  als  weisser  gallertiger  Niederschlag  aus, 
Zinkoxyd  bleibt  aber  gelöst. 

Zur  Unterscheidung  der  Eisenoxydul-  von  den  Eisenoxydsalzen 
dienen  die  Blutlaugensalze.  Ferrocyankalium  fällt  die  Eisen- 
oxydulsalze hellblau,  die  Eisenoxydsalze  tiefblau,  Ferridcyan- 
kalium  fällt  die  Eisenoxydulsalze  tiefblau,  die  Eisenoxydsalze  gar 
nicht;   Schwefelcyankalium  färbt  nur  die  Eisenoxydsalze  blutrot. 

§  308.  Verhalten  gewisser  Salze  der  alkalischen  Erden.  Im  Falle 
der  zu  prüfende  Körper  ein  phosphorsaures,  borsaures, 
oxalsaures,  weinsaures  Salz  einer  alkalischen  Erde 
(Baryt,  Strontian,  Kalk,  Magnesia)  ist,  wird  derselbe  durch 
Schwefelammonium  in  ähnlicher  Weise  wie  die  im  vorigen  §  be- 
handelten Metalle  ausgeschieden.  Diese  Salze  lösen  sich  näm- 
lich nicht  in  Wasser,  aber  in  verdünnten  Säuren  auf;  wird 
nun  die  zur  Lösung  dienende  Säure  durch  das  Schwefelammonium 
neutralisiert,  so  entzieht  sich  jenen  Salzen,  das  Lösungsmittel, 
und  sie  scheiden  sich  wieder  aus.  Da  sie  weiss  von 
Farbe  sind,  sich  auch  nicht  in  Ätzalkalien  auflösen,  kann  man 
sie  nicht  wohl  mit  Thonerde-  und  Zinksalzen  verwechseln. 

Beim  Glühen  verwandeln  sich  die  oxal-  und  weinsauren  alkalischen 
Erden,  letztere  unter  Schwärzung,  in  kohlensaure  Salze,  sodass  der  Rück- 
stand mit  Salzsäure  aufbraust.  Die  phosphorsauren  und  borsauren  alka- 
lischen Erden  verändern  sich  beim  Glühen  nicht. 

Üff  3.  Gruppe. 

Weder  durch  Schwefelwasserstoff,  noch  durch  Schwefelammonium,  aber 
durch  kohlensaures  Natron  fällbare  Metalle  —  alkalische  Erden. 

§  309.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörigen  Metalle.  Die  durch 
kohlensaures  Natron  fällbaren  alkalischen  Erden  verhalten  sich 
gegen  kohlensaures  Ammoniak  verschieden.  Baryt,  Strontian 
und  Kalk  werden  durch  dasselbe  als  Karbonate  ebenso  nieder- 
geschlagen, wie  durch  kohlensaures  Natron ;  die  Magnesia  dagegen 
wird  durch  kohlensaures  Ammoniak  nicht  gefällt,  da  sie  mit  Am- 
moniak leichtlösliche  Doppelsalze  bildet. 


—     327     - 

Man  unterscheidet  Kalk,  Baryt  und  Strontian  durch  die  ver- 
schiedene Löslichkeit  ihrer  schwefelsauren  Salze.  In  nicht  zu 
sehr  verdünnter  Lösung  werden  sie  sämtlich  durch  verdünnte 
Schwefelsäure  ausgefällt;  es  bleibt  aber  immerhin  noch  soviel 
schwefelsaurer  Kalk  gelöst,  dass  oxalsaures  Ammoniak  im 
Filtrat  eine  weisse  Trübung  von  oxalsaurem  Kalke  erzeugt,  so- 
fern man  die  überschüssige  Säure  durch  Ätzammoniak  übersättigt 
hat.  (Der  Oxalsäure  Kalk  wird  nämlich  durch  freie  Mineralsäuren 
aufgelöst  gehalten.) 

Um  den  Baryt  und  Strontian  zu  erkennen,  dient  eine  Lösung 
von  schwefelsaurem  Kalke,  das  sog.  Gipswasser.  Dasselbe 
erzeugt  in  i?ar^lösungen  sofort,  in  StronäanYösimgen  erst  bei 
längerem  Stehen  einen  weissen  Niederschlag;  Kalksalze  lässt  es 
ungetrübt.  —  Die  Anwesenheit  des  Sirontians  lässt  sich  leicht 
durch  die  karminrote  Färbung  erkennen,  die  seine  Salze  (zumal 
Chlorstrontium)  der  "Weingeistflamme  erteilen. 

Wird  zu  der  mit  kohlensaurem  Ammoniak  versetzten,  klar 
gebliebenen  MagnesiaYö&wng  phosphorsaures  Natron  ge- 
fügt, so  scheidet  sich  phosphorsaure  Ammoniak-Magnesia  als 
schwerlöslicher,  weisser  Niederschlag  krystallinisch  aus. 

4.  Gruppe,    jp 

Weder  durch  Schwefelwasserstoff,  noch  durch  Schwefelamrnonium  und 
kohlensaures  Natron  fällbare  Metalle.  —  Alkalien. 

§  310.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörigen  Metalle.  Die  Alkalien 
lassen  sich  am  besten  durch  die  Färbung  unterscheiden,  die  sie 
(zumal  nach  dem  Befeuchten  mit  Salzsäure)  der  Flamme  erteilen, 
wenn  man  eine  kleine  Probe  im  Öhr  des  Platindrahts  in  die 
Weingeistflamme  hält.  Kalium  färbt  sie  schwachviolett,  Natrium 
gelb,  Lithium  karminrot.  Da  die  gelbe  Natriumflamme  die  Fär- 
bungen der  beiden  andern  Alkalien  verdeckt,  so  muss  man  die 
Flamme  durch  ein  blaues  Glas  betrachten ,  wenn  man  Kali  und 
Lithion  zugleich  neben  Natron  erkennen  will.  (Alsdann  erscheint 
die  Kaliflamme  rot;  die  gelbe  Natronflamme  wird  durch  das 
Blau  als  komplementäre  Farbe  farblos  gemacht.) 

Um  Kalium  von  Natrium  auf  nassem  Wege  zu  unterschei- 
den, dient  Platinchlorid  oder  Weinsäure;  ersteres  erzeugt 
mit  Kalisalzen  einen  gelben,  letztere  einen  weissen  Niederschlag. 

Bemerkenswert  ist,  dass  beide  Keagentien  mit  Ammoniaksalzen  dieselbe 
Reaktion  hervorrufen.  Will  man  mit  ihnen  also  auf  Kalium  untersuchen, 
so  hat  man  zuvor  die  Prüfung  auf  Ammoniak  anzustellen  und  bei  dessen 
Gegenwart  durch  Glühen  sämtliche  Ammoniaksalze  zu  verjagen. 

§  311.  Erkennung  des  Ammoniaks.  Den  Alkalien  schliesst  sich 
das  Ammoniak  an,  ausgezeichnet  durch  die  Flüchtigkeit  aller  seiner 


-     328     — 

Verbindungen  beim  Glühen.  Man  weist  es  in  seinen  Salzen 
dadurch  nach,  dass  man  es  mittelst  Ätzalkalien  frei  macht, 
entweder  durch  Erhitzen  der  Salzlösungen,  mit  Natronlauge,  oder 
des  trockenen  Salzes  mit  gepulvertem  Kalk. 

Das  freie  Ammoniak  giebt  sich  zu  erkennen: 

1.  durch  seinen  stechenden  Geruch; 

2.  durch  die  (vorübergehende)  Bläuung  von  befeuchtetem 
roten  Lackmuspapier,  welches  man  über  die  Probe  hält; 

3.  durch  die  Bildung  weisser  Nebel,  wenn  man  einen 
mit  Salzsäure  befeuchteten  Glasstab  in  den  Beagiercylinder  über 
die  Probe  einführt. 

2.  Auffindung  der  Säuren,  resp.  der  sie  vertretenden 
Nichtmetalle. 

§  312.  Analytische  Einteilung  der  Säuren.  Man  teilt  die  Säuren 
resp.  die  sie  vertretenden  Nichtmetalle  (Salzbildner,  Schwefel)  in 
folgende  Gruppen  ein : 

A.  Unorganische  Säuren  (beim  Glühen  nicht  verkohlend). 

1.  Gruppe.  Durch  Chlorbaryum  aus  neutraler  Lö- 
sung fällbare  Säuren: 

Schwefelsäure,    arsenige    und    Arsensäure,    Phosphorsäure, 
Borsäure,   Oxalsäure*),   Kohlensäure,   Kieselsäure,  Chromsäure. 

2.  Gruppe.  Durch  salpetersaures  Silberoxyd  auch 
aus  saurer  Lösung  fällbare  Säuren; 

Chloride,    (Chlorwasserstoff),    Bromide,    Jodide,      Cyanide 
{Cyanwasserstoff),  Schwefelmetalle  und  Schwefelwasserstoff. 

3.  Gruppe.  Weder  durch  Chlorbaryum,  noch  durch  salpeter- 
saures Silberoxyd  fällbare  Säuren: 

Chlorsäure,  Salpetersäure. 

B.  Organische  Säuren,  (beim  Glühen  verkohlend). 

4.  Gruppe.  Durch  Chlorcalcium  resp.  Kalkwasser 
fällbare  Säuren: 

Weinsäure,  Citronensäure  (Oxalsäure). 

5.  Gruppe.  Nicht  durch  Chlorcalcium  fällbare,  sich  durch 
Eisenchlorid  in  neutraler  Lösung  anzeigende  Säuren. 

Benzoesäure,  Bernsteinsäure,  Baldriansäure,  Essigsäure,  Amei- 
sensäure, Salicylsäure,  Karholschwefelsäure,  Gerosäure. 

6.  Gruppe.  Weder  durch  Kalksalze,  noch  durch  Eisenchlo- 
rid sich  anzeigende  Säuren: 

Milchsäure,  Äpfelsäure. 

*)  Die  Oxalsäure  zählt  in  der  Analyse  zu  den  unorganischen  Säuren, 
da  sie  und  ihre  Salze,  auf  Platinblech  geglüht,    nicht  geschwärzt  werden. 


329 


1.  Gruppe.' 

Unorganische  Säuren,  die  durch  Baryumnitrat  aus  neutraler  Lösung  ge- 
fällt werden. 

§  313.  Untersuchung  der  hierhin  gehörigen  Säuren.  Man  unter- 
scheidet die  Säuren  dieser  Gruppe  nach  dem  Verhalten  des  durch 
Baryumnitrat  aus  neutraler  (resp.  mit  Ammoniak  neutralisierter) 
Lösung  hervorgerufenen  Niederschlags  gegen  verdünnte  Salpeter- 
säure.    Es  können  hierbei  drei  Fälle  eintreten: 

1.  Der  Niederschlag  wird  von  der  Salzsäure  weder  gelöst, 
noch  verändert:  Schwefelsäure. 

2.  Der  Niederschlag  wird  von  der  Salzsäure  unter  Zer- 
setzung gelöst:  Kohlensäure,  Kieselsäure. 

Der  kohlensaure  Baryt  löst  sich  unter  Aufbrausen,  der  kiesel- 
saure Baryt  unter  Abscheidung  gallertartiger  Kieselsäure  in  Salz- 
säure auf. 

3.  Der  Niederschlag  wird  von  der  Salzsäure  anscheinend 
ohne  Zersetzung  gelöst.  Phosphorsäure,  Borsäure,  Oxalsäure, 
Chromsäure,  arsenige  und  Arsensäure. 

Die  Chromsäure  giebt  sich  durch  die  gelbe  Farbe  des  Baryt- 
salzes und  die  rote  Farbe  des  Silbersalzes  zu  erkennen. 

Zur  weiteren  Unterscheidung  der  genannten  Säuren  wendet 
man  das  salpetersaure  Silberoxyd  an,  welches  der  ursprüng- 
lichen neutralen  resp.  genau  mit  kohlensaurem  Natron  neutrali- 
sierten Salzlösung  zugegeben  wird.     Der  erzeugte  Niederschlag  ist 

a)  weiss:    bei  Borsäure,  Oxalsäure; 

b)  gelb:  Phosphorsäure,  arsenige  Säure ; 

c)  ziegelrot:  Arsensäure. 

Für  die  Borsäure  ist  charakteristisch :  die  gelbgrüne  Färbung, 
welche  freie  Borsäure  oder  mit  konz.  Schwefelsäure  befeuchtete 
borsaure  Salze  der  Weingeistflamme  erteilen;  sodann  die  eigen- 
tümlich rötliche  Färbung  des  Kurkumapapiers,  welche  die  freie 
Säure  resp.  ihre  mit  Salzsäure  versetzten  Salze  hervorbringen. 

2.  Gruppe. 

Unorganische  Säuren,  die  durch  salpetersaures  Silberoxyd  aus  angesäuerter 
Lösung  ausgefällt  werden. 

§  314.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörigen  Säuren.  Fügt  man 
zu  der  mit  Salpetersäure  angesäuerten  Lösung  etwas 
salpetersaures  Silberoxyd,  so  erfolgt  ein  Niederschlag  bei  Chlor-, 
Brom-,  Jod-,  Gyan-,  Schioefelmetallen  resp.  Chlor-,  Brom-,  Jod-, 
Cyan-,  Schwefelivasserstoff.  Man  unterscheidet  sie  an  der  Farbe 
des  Niederschlages  und  dessen  Löslichkeit  in  Ätzammoniak.  Der 
Niederschlag  ist: 

a)  weiss  und  in  Salmiakgeist  leichtlöslich 


a)  in  heisser  Schwefelsäure  unlöslich :  G^orverbindungen ; 
ß)  in  heisser  Schwefelsäure  löslich:    C^/awverbindungen ; 

b)  gelblichweiss  oder  gelblich,  in  Salmiakgeist  schwer-  oder 
unlöslich:  Brom-  und  Jbdverbindungen. 

c)  schwarz  bei  Äc/m-e/e/verbinduEgen. 

Um  speziell  Brom-  und  Jbrfmetalle  von  einander  zu  unter- 
scheiden, dient  Chlorwasser,  welches  man  portionenweise  der 
wässerigen  Lösung  zugiebt.  Es  wird  dadurch  Brom  resp.  Jod 
frei  gemacht;  wenn  nun  die  Mischung  mit  Chloroform  resp.  Schwefel- 
kohlenstoff geschüttelt  wird,  löst  sich,  das  Brom  mit  gelber, 
das  Jod  mit  violettroter  Farbe  darin  auf.  Das  freigemachte  Jod 
lässt  sich  auch  durch  Stärkelösung  nachweisen,  welche  durch 
dasselbe  dunkelblau  gefärbt  wird. 

Ist  ein  Bromnietall  mit  einem  Jodmetalle  gemischt,  so  wird  das  Jod 
durch  das  Chlorwasser  zuerst  ausgeschieden,  bei  Mehrzusatz  des  Chlor- 
wassers wieder  als  farbloses  Chlorjod  gelöst,  worauf  die  Bromausscheidung 
erfolgt,  um  vom  überschüssigen  Chlorwasser  ebenfalls  zu  farblosem  Chlor- 
brom wieder  gelöst  zu  werden.  Statt  des  Chlorwassers  kann  man  auch 
rauchende  Salpetersäure  zur  Ausscheidung  von  Jod  resp.  Brom  an- 
wenden. 

3.  Gruppe. 

Unorganische  Säuren,  welche  weder  durch  Chlorbaryum,  noch  durch  salpeter- 
saures Silberoxyd  gefällt  werden. 

§  315.  Erkennung  der  hierhin  gehörigen  Säuren.  Hierhin  gehören 
die  Salpetersäure  und  Chlorsäure.  Ihre  Salze  besitzen  die  gemein- 
same Eigenschaft,  auf  glühenden  Kohlen  zu  verpuffen. 
Glüht  man  dieselben  auf  Platinblech,  so  hinterlassen  die  chlor- 
sauren Salze  Chlormetall,  sodass  der  in  Wasser  gelöste  Glührück- 
stand durch  salpetersaures  Silberoxyd  weiss  gefällt  wird.  Die 
salpetersauren  Salze  hinterlassen  beim  Glühen  Metalloxyd;  da- 
her reagiert  der  Glührückstand  der  salpetersauren  Alkalien  stark 
alkalisch. 

Erwärmt  man  die  salpetersauren  Salze  mit  Salzsäure,  so 
entwickeln  sich  gelbrote  Dämpfe  der  Untersalpetersäure.  Mit 
konz.  Schwefelsäure  versetzt,  giebt  sich  die  Salpetersäure  in  ihren 
Salzlösungen  dadurch  zu  erkennen,  dass  eine  Eerrosulfatlösung 
(oder  auch  ein  Krystall)  dunkle  Färbung  hervorruft  (vgl.  §  113). 

Mit  den  chlorsauren  Salzen  erzeugt  Salzsäure  freies  Chlor 
und  grüngelbe  Färbung  (Unterchlorsäure). 

4.  Gruppe. 

Organische  Säuren,  welche  mit  Kalkwasser  resp.  Chlore alciuni  einen  Nieder- 
schlag geben. 

§  316.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörigen  Säuren.  Die  freien 
Säuren  werden  mit  Kalkwasser  im  Überschuss,  dagegen  die 


-      331    — 

neutralen  Salzlösungen  mit  Chlorcalcium  versetzt;  entsteht 
sofort  ein  weisser  Niederschlag,  so  ist  die  Säure  Weinsäure  oder 
Oxalsäure ;  bleibt  die  Probe  klar,  so  erhitzt  man  zum  Sieden;  ein 
alsdann  entstehender  Niederschlag  zeigt  die  Citronensäure  an. 
—  Die  Oxalsäure  trübt  sich  durch  Gripswasser,  welches  die 
Weinsäure  und  ihre  Salze  klar  lässt.  Auch  scheidet  die  Wein- 
säure durch  essigsaures  Kali  aus  angesäuerter  Lösung  kri- 
stallinischen Weinstein  ab.  Beim  Erhitzen  auf  Platinblech  ver- 
kohlt die  Weinsäure  nebst  ihren  Salzen  mit  dem  Geruch  nach 
verbranntem  Zucker.    Die  Oxalsäure  verkohlt  auf  Platinblech  nicht. 

5.  Gruppe. 

Organische  Säuren,  welche  durch  Eisenchlorid  in  neutraler  Lösung  an- 
gezeigt werden. 

§  317.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörigen  Säuren.  In  ihren 
neutralen  Salzlösungen,  nicht  immer  aber  als  freie  Säuren,  geben 
mit  Eisenchlorid 

1.  Einen  Niederschlag:  Die  B  ernstein  &äure,  Benzotsäure  und 
Baldriansäure.  Der  entstehende  Niederschlag  ist  bräunlich  und 
voluminös;  verdünnte  Säuren  zersetzen  ihn.  Man  unterscheidet 
diese  Säuren,  indem  man  sie  durch  Salzsäure  aus  ihren  Salz- 
verbindungen ausscheidet,  an  ihren  physikalischen  Eigenschaften: 
die  Bernsteinsäure  bleibt  aufgelöst,  die  Benzoesäure  scheidet  sich 
als  weisse,  krystallinische  Masse,  die  Baldriansäure  als  farblose 
Ölschicht  aus  welche  sich  durch  ihren  eigentümlichen  Geruch  zu 
erkennen  giebt. 

2.  Eine  Färbung,  und  zwar: 

a)  blutrote  Färbung  zeigt  an:  Essigsäure  und  Amei- 
sensäure. Säurezusatz  hebt  die  Färbung  auf  (Unterschied  von 
den  Schwefelcyanveibmd\mgen).  Man  unterscheidet  beide  Säuren 
durch  Silbernitrat,  womit  man  sie  erwärmt;  die  Ameisensäure 
schwärzt  sich  dann  durch  Silberreduktion,  die  Essigsäure  erleidet 
keine  Schwärzung. 

b)  blauviolette  Färbung  zeigt  an:  Salicylsäure,  Kar- 
bolsäure und  Karbolschwefelsäure.  Die  Salicylsäure  scheidet  sich 
aus  ihren  Salzlösungen  durch  Salzsäure  in  feinen  Krystall- 
nadeln  aus,  leichtlöslich  in  siedendem  Wasser  oder  in  Weingeist. 
Die  Karbolschwefelsäure  wird  durch  Salzsäure  nicht  ausgeschieden. 

c)  schwärzliche  Färbung  und  Trübung  zeigt  Gerb- 
säure an. 

6.  Gruppe. 

Organische  Säuren,  welche  weder  durch  Kalksalze  noch  durch  Eisenchlorid 

angezeigt  werden. 

§  318.  Unterscheidung  der  hierhin  gehörigen  Säuren.  Hierhin  ge- 
hören :  Milchsäure,  Äpfelsäure. 


—     332     - 

Die  Milchsäure  liefert  beim  Erhitzen  mit  übermangan- 
saurem Kali  den  Geruch  nach  Aldehyd.  Die  Apfelsäure  giebt 
mit  essigsaurem  Bleioxyd  einen  weissen  Niederschlag,  der 
beim  Aufkochen  harzartig  schmilzt.  (Die  milchsauren  Salze  wer- 
den durch  Bleisalz  nicht  gefällt.) 


IL  Die  Prüfung  der  Chemikalien  auf  Reinheit. 

§  319.  Allgemeine  Gesichtspunkte.  Soll  ein  chemisches  Präpa- 
rat auf  seine  Reinheit  geprüft  werden,  so  lassen  sich  folgende 
allgemeine  Regeln  aufstellen: 

a)  In  Wasser  lösliche  Präparate  müssen  mit  der  hin- 
reichenden Menge  Wasser  klare  Lösungen  geben.  Rückstände 
oder  Trübungen  verraten  fremde  Beimengungen.  Löst  sich  z.  B. 
Acidum  arsenicosum  nicht  vollständig  in  15 — 20  Teilen  sieden- 
dem Wasser,  so  ist  es  verunreinigt. 

b)  In  Wasser  unlösliche,  aber  in  verdünnten 
Säuren  oder  in  Weingeist  lösliche  Körper  dürfen  beim 
Schütteln  resp.  Kochen  mit  Wasser  nichts  an  dasselbe  abgeben. 
So  darf  Wasser  mit  Zincum  oxydatum  geschüttelt  oder  mit 
Magnesium  carbonicum  gekocht,  beim  Yerdampfen  (auf  Platin- 
blech) keinen  Rückstand  hinterlassen,  andrenfalls  enthalten  jene 
Präparate  zufolge  ungenügenden  Auswaschens  Mutterlaugensalze. 

c)  Gränzlich  unlösliche  Körper  dürfen  an  Wasser,  Wein- 
geist, Säuren  resp.  Alkalien  nichts  abgeben  z.  B.  Carbo  pulveratus. 

d)  Flüchtige  Körper  dürfen  beim  Erhitzen  (auf  Platin- 
blech oder  in  Grlühschälchen)  keinen  feuerbeständigen  Rückstand 
hinterlassen.  Z.  B.  Acidum  aceticum,  Acidum  hydrochloricum, 
Acidum  nitricum,  Acidum  sulfuricum,  die  Ammonium-Präparate, 
Qnecksilberverbindungen. 

e)  Yerbrennliche  Körper  dürfen,  wenn  sie  auf  Platin- 
blech verbrannt  werden,  keinen  Grlührückstand  hinterlassen.  Z.  B. 
Sulfur,  Glycerin,  sämtliche  Alkaloide  und  deren  Salze. 

§  320.  Spezielle  Prüfung.  Die  Prüfung  auf  bestimmte  Verun- 
reinigungen geschieht  nach  denselben  Methoden,  welche  bei  der 
Erkennung  der  Chemikalien  befolgt  werden  und  im  Vorhergehen- 
den erörtert  wurden. 

Am  häufigsten  finden  Untersuchungen  auf  folgende  Stoffe  statt: 
1.  Arsen.  Hierauf  sind  zu  prüfen:  Acidum  hydrochloricum, 
Sulfur,  Acidum  sulfuricum,  Acidum  phosphoricum,  Natrium  phos- 
phoricum, Bismuthum  subnitricum,  Stibium  sulfuratum  aurantiacum, 
Tartarus  stibiatus.  Die  Salzsäure,  Schwefelsäure,  Phosphorsäure, 
deren  Natronsalz,   sowie  das  Wismutsubnitrat  prüft  man  mittelst 


—    333    — 

Zink  und  Säure,  um  eine  etwaige  Beimengung  von  Arsenwasser- 
stoffgas durch  eine  gelbe  resp.  schwarze  Färbung  eines  aufFliess- 
papier  gebrachten  Tropfens  Silbernitratlösung  zu  konstatieren. 
(Vgl.  S.  231.)  Wo  das  Arsen  in  Verbindung  mit  Schwefel  zu- 
gegen ist,  extrahiert  man  das  Schwefelarsen  durch  Ammoniak  (bei 
Sulfur)  oder  kohlensaures  Ammoniak  (wie  beim  Goldschwefel)  und 
scheidet  es  aus  dem  Filtrate  durch  überschüssige  Salzsäure  als 
gelben  Niederschlag  aus.  Brechweinstein  wird  mit  Schwefelwasser- 
stoffwasser in  stark  salzsaurer  Lösung  versetzt;  dabei  scheidet 
sich  das  in  Salzsäure  ganz  unlösliche  Schwefelarsen  ab,  während 
das  Schwefelantimon  in  Lösung  gehalten  wird. 

2.  Kupfer.  Extrakte  prüft  man  mit  einem  blanken  Eisen- 
spatel auf  Kupfer;  Silbernitrat,  Zinkvitriol,  Eisenvitriol  u.  a.  mit 
überschüssigem  Ammoniak  auf  blaue  Färbung;  Säuren  und 
Alkalisalze  mit  Schwefelwasserstoffwasser  auf  dunkle  Trübung; 
Bleiacetat  mittelst  Ferrocyankalium  auf  rotbraunen  Niederschlag. 

3.  Blei.  Säuren  und  Alkalisalze  prüft  man  mit  Schwefel- 
wasserstoffwasser auf  dunkle  Trübung. 

4.  Eisen.  Salmiak,  Kalkkarbonat  und  Kalkphosphat,  Wein- 
stein, Seignettesalz  u.  a.  prüft  man  mittelst  Schwefelammonium  auf 
dunkle  Trübung;  Alaun  mittelst  Ferrocyankalium  auf  Bläuung, 
Zinkvitriol  und  Zinkoxyd  durch  Ammoniak  auf  braune  Flocken 
von  Eisenoxydhydrat,  Bittersalz  mit  Schwefelcyankalium  auf 
Rötung  u.  s.  f. 

5.  Alkalische  Erden,  speziell  Kalk.  Citronensäure, 
Weinsäure  und  deren  Salze  u.  a.  durch  oxalsaures  Ammoniak 
auf  weisse  Trübung. 

6.  Alkalien.  Pottasche,  Brom-  und  Jodkalium  prüft  man 
mittelst  der  Weingeistflamme  auf  die  gelbe  Natriumfärbung. 
Die  Natronsalze  prüft  man  in  gleicher  Weise,  durch  ein  blaues 
Glas  blickend,  auf  die  rote  Kalium färbung. 

7.  Schwefelsäure,  Citronensäure,  Weinsäure,  Salzsäure, 
Salpetersäure,  Essigsäure,  Phosphorsäure  prüft  man  mit  Baryum- 
nitrat,  deren  Salze  desgleichen;  jedoch  unter  Ansäuerung  mit 
Salpetersäure. 

8.  Chlorverbindungen,  Salzsäure.  Essigsäure,  Sal- 
petersäure, Schwefelsäure  prüft  man  mit  Silbernitrat ;  deren  Salze 
desgleichen,  jedoch  unter  Ansäuerung  mit  Salpetersäure.  Jod- 
kalium und  Jodnatrium  werden  in  ammoniakalischer  Lösung  mit 
Silbernitrat  ausgefällt  und  das  Filtrat,  worin  sich  das  etwa  vor- 
handene Chlorsilber  befindet,  mit  Salpetersäure  angesäuert,  wo- 
durch dasselbe  ausgeschieden  wird.  Brommetalle  prüft  man 
massanalystisch  mit  Silberlösung,  von  der  mehr  verbraucht  wird, 
wenn   die  Salze  chlorhaltig   sind,   da   das  Chlor  durch    sein  viel 


—     334     - 

geringeres  Atomgewicht  mehr  Silbernitrat  zur  Ausfällung  bedarf, 
als  das  Brom. 

9.  Jodsäure,  Bromsäure  im  Jodkalium  resp.  Bromkalium. 
Man  übergiesst  das  Salz  oder  seine  Lösung  mit  verdünnter 
Schwefelsäure;  in  Gegenwart  von  jod-  und  bromsaurem  Kali  ent- 
steht gelbe  Färbung  durch  frei  gewordenes  Jod  resp.  Brom.  (Die 
Schwefelsäure  macht  zu  gleicher  Zeit  Jodsäure  und  Jodwasser- 
stoffsäure frei,  die  sich  gegenseitig  in  Jod  und  Wasser  zersetzen.) 

10.  Salpetersäure.  Man  prüft  mit  konz.  Schwefelsäure 
und  Eisen vitriollösung  auf  die  braune  Färbung.    (Ygl.  Seite  138.) 

11.  Kohlensäure.  Die  gebrannte  Magnesia,  Kali-  und 
Natronlauge,  Zinkoxyd,  Bleiglätte  u.  a.  prüft  man  durch  Über- 
giessen  mit  Säure  auf  eintretendes  Aufbrausen. 

12.  Cyan.  Kohlensaures  Kali,  Jodkalium  u.  a.  prüft  man 
durch  Erwärmen  mit  Eisenvitriol  und  Eisenchlorid  in  alkalischer 
Flüssigkeit;  beim  Übersäuern  tritt  alsdann  Berlinerblau  auf,  im 
Falle  Cyankalium  zugegen  war. 


Analytischer  Gang 
zur  Erkennung  der  chemischen  Präparate. 

1.  In  Wasser  oder  verdünnten  Säuren  lösliche  Körper, 

A.  Auffindung  des  metallischen  Bestandteils. 

I.  Reagens:  Salzsäure.     Man  fügt  zur  Lösung  etwas  Salzsäure. 

1.  Es  entsteht  ein  weisser  Niederschlag.  —  Man  verdünnt  die  Mischung 
mit  Wasser  und  erhitzt  zum  Sieden. 

a)  Der  Niederschlag  löst  sich  im  Sieden:  Bleioxyd. 

b)  Der  Niederschlag  löst  sich  nicht; 

Man  fügt  überschüssigen  Salmiakgeist  hinzu. 

a)  Der  Niederschlag  löst  sich  auf:  Silbe roxyd. 

ß)  Der  Niederschlag  wird  schwarz:    Quecksilberoxydul. 

2.  Es  entsteht  kein  Niederschlag.     Man  geht  zu  TL  über. 

IL  Reagens:  Schwefelwasserstoff.    Man  fügt  zu  der  mit  Salzsäure 
angesäuerten  Probe  Schwefelwasserstoffwasser. 
1.  Es  entsteht  ein  gefärbter  Niederschlag,  und  zwar  ist  derselbe: 

a)  Orangerot:  Antimonoxyd. 

b)  Gelb;    man   übergiesst  den  Niederschlag  mit  überschüssigem 
kohlensauren  Ammoniak. 

a)  Er  löst  sich  auf:  Arsenige  Säure. 

ß)  Er  löst  sich  nicht,  verschwindet  aber  beim  Erhitzen  mit 

Salzsäure:  Kadmiumoxyd. 

c)  Kaffeebraun,  in  gelbem  Schwefelammonium  löslich  und  daraus 
durch  Salzsäure  gelb  (Zinnsulfid)  fällbar:  Zinnoxydul. 

d)  Weiss,  bei  grösserem  Zusatz  von  H2S  gelb ,  dann  braun,  end- 
lich schwarz  werdend:  Quecksilberoxyd. 


—     335     — 

e)  Sofort  schwarz.     Man  prüft  portionenweise  die  ursprüngliche 
Lösung. 

a)  Atzammoniak  im  Überschuss  färbt  tiefblau:  Kupferoxyd. 
ß)  Verdünnte  Schwefelsäure  fällt  sie  weiss;  Bleioxyd. 

y)  Viel  Wasser  trübt  sie  milchig:  Wismutoxyd, 

o)  Zinnchlorür  fällt  sie  braunviolett:  Goldoxyd, 

s)  Chlorammonium  fällt  sie  gelb:  Platinoxyd. 

2.  Es    entsteht    kein    Niederschlag    oder    nur    eine    weisse    Trübung 
(Schwefel);  man  geht  zu  III.  über. 
III.  Reagens:  Schwefelammonium.     Zu  der  mit  Schwefelwasserstoff 
wasser  versetzten  Probe  gebe  man  überschüssigen  Salmiakgeist  und 
wenige  Tropfen  Schwefelammonium. 
1.  Es  entsteht  ein  Niederschlag;  derselbe  ist: 

a)  Schwarz.     Man  prüfe  die  ursprüngliche  Lösung. 

a)  Ferrocyankalium  fällt  sie  tiefblau:  Eisenoxyd. 

ß)  Ferridcyankalium  fällt  sie  tiefblau:  Eisenoxydul. 

b)  Fleischrot:  Manganoxydul. 

c)  Graugrün:  Chromoxyd. 

d)  Weiss.     Man  übersättige  die  ursprüngliche  Lösung  mit  über- 
schüssiger Natronlauge. 

a)  Der  anfangs  sich  bildende  Niederschlag  löst  sich  wieder 
auf.     Man    giebt    zu    dieser    alkalischen    Lösung    Chlor- 
ammonium, 
aa)  Es  entsteht  ein  gelatinöser  Niederschlag:  Thonerde. 
bb)  Die    Mischung    bleibt    ungetrübt,    aber    giebt    mit 
Schwefelammonium  einen  weissen  Niederschlag: 

Zinkoxyd. 
ß)  Der  Niederschlag  löst  sich ,  i  überschüssigem  Kali  (Natron) 
nicht  wieder  auf.     Die  reme  Substanz  löst   sich  nur  in 
verdünnter  Salz-  oder  Salpetersäure,  welche  Lösung  durch 
Schwefelsäure  gefällt  wird.    Auf  Platinblech  geglüht  un- 
veränderlich:  phosphorsaurer  Kalk. 
2.|Es  entsteht  keine  Fällung.     Man  geht  zu  IV.  über 
IV.  Reagens:    Kohlensaures    Natron.      Die    reine,    nicht    zu    kon- 
zentrierte Lösung  wird  mit  kohlensaurem  Natron  versetzt. 

1.  Es  entsteht  ein  weisser  Niederschlag.     Man  löst  ihn  in  Salzsäure 
und  übersättigt  mit  kohlensaurem  Ammoniak. 

a)  Es  erfolgt  eine  weisse  Trübung.    Man  fügt  zur  ursprünglichen 
Lösung  Gipswasser. 

a)  Es  tritt  sofort  Trübung  ein:  Baryt. 

ß)  Es  tritt  nach  einiger  Zeit  Trübung  ein:         Strontian. 

y)  Es  tritt  keine  Trübung  ein,  dagegen  ruft  oxalsaures 
Ammoniak  in  der  wässerigen  oder  essigsauren  Lösung 
weissen  Niederschlag  hervor:  Kalk. 

b)  Es  entsteht  keine  Trübung;  man  fügt  darauf  phosphorsaures 
Natron  zur  Mischung  und  schüttelt  kräftig  um. 

Es  entsteht  ein  weisser,  krystallinischer  Niederschlag: 

Magnesia. 

2.  Es  entsteht  keine  Trübung.     Man  geht  zu  V.  über. 

V.  Prüfung  auf  Alkalien.     Man  erhitzt  die  reine  Probe  mit  Natron- 
lauge oder  Atzkalk. 

1.  Ein  stechender  Geruch  zeigt  an:  Ammoniak. 

2.  Es  entweicht  kein  Ammoniakgas.     Man   giebt  zur  ursprünglichen 
Lösung  überschüssige  Weinsäure  und  schüttelt  kräftig  um. 


-     336     — 

a)  Es  entsteht  ein  weisser,  krystallinischer  Niederschlag:  Kali. 

b)  Es  entsteht  kein  Niederschlag.     Man  bringt  den  Körper  in 
die  Weingeistflamme. 

a)  Die  Flamme  färbt  sich  gelb:  Natron. 

ß)  Dieselbe  erscheint  karminrot:  Lithion. 

B.  Auffindung  der  Säure  resp.  des  Nichtmetalls. 

a)   Es  tritt  beim  Erhitzen  auf  Platinblech  keine  Verkohlung  resp. 
Yerbrennung  ein. 

I.  Reagens:    Salzsäure.     Man   übergiesst  die    trockene,   gepulverte 
Substanz  mit  Salzsäure  und  erwärmt  gelinde. 

1.  Es  entweicht  ein  Gas,  bemerkbar  am  Aufbrausen  oder  am  Geruch. 

a)  Das  Gas  ist  ohne  Farbe  und  Geruch:  Kohlensäure. 

b)  Das  Gas  besitzt  einen 

a)  Geruch  nach  faulen  Eiern:  Schwefel(metalle). 

ß)  Geruch  nach  brennendem  Schwefel. 

aa)  Zugleich  trübt  sich  die  Probe  nicht: 

Schweflige  Säure» 
bb)  Die    Probe   trübt   sich    dabei   weiss  (durch    ausge- 
schiedenen Schwefel):    Unterschweflige  Säure, 
y)  Gerach  nach  Bittermandelwasser:  Cyan(nietalle). 

6)  Geruch  nach  Chlor. 

aa)  Der  Körper    ist    farblos    und  färbt  sich  durch   die 

Salzsäure  gelb:  Chlorsäure. 

bb)  Der  Körper  ist  gelb  oder  gelbrot,   wird  durch  die 

Salzsäure  grün:  Chromsäure. 

cc)  Der  Körper  ist  violettrot,  wird  durch  die  Salzsäure 

farblos:  Übermangansaure. 

e)  Geruch  und  gelbe  Dämpfe  der  Untersalpetersäure: 

Salpetersäure. 

2.  Es    findet    weder    ein   Aufbrausen,    noch  die   Entwicklung    eines 
Geruches  statt.    Man  geht  zu  H.  über: 

IL  Reagens:    Salpetersaurer   Baryt.     Man  giebt  zur   neutralen 
Lösung  Baryumnitrat. 

1 .  Es  entsteht  ein  weisser  Niederschlag.  Man  giebt  Salpetersäure  hinzu. 

a)  Der  Niederschlag  löst  sich  nicht  auf:  Schwefelsäure. 

b)  Der  Niederschlag  verschwindet.     Man  fügt  zur  reinen,  völlig 
neutralen  Lösung  salpetersaures  Silberoxyd. 

a)  Es  entsteht  ein  gelber  Niederschlag.     Die  ursprüngliche 

Probe  hat  mit  Schwefelwasserstoff  gegeben 

aa)  keine  Trübung:  Phosphorsäure. 

bb)  einen  gelben  Niederschlag:  Arsenige  Säure. 

ß)  Es  entsteht  ein  ziegelroter  Niederschlag:   Arsensäure.. 

y)  Es  entsteht  ein  weisser  Niederschlag. 

aa)  Die  mit  Salzsäure  angesäuerte  Probe  färbt  Kurkuma- 
papier nach  dem  Trocknen  rötlich:  Borsäure, 
bb)  Die    mit  Essigsäure    angesäuerte    reine  Probe   (bei 
saurer    Reaktion    der  Probe    fügt   man    essigsaures 
Natron  zu)  wird  durch  Gipslösung  weiss  gefällt: 

Oxalsäure» 

2.  Es  entsteht  kein  Niederschlag.     Man  geht  zu  III.  über. 


—     337     — 

III.  Reagens:    Salpetersaures  Silberoxyd.     Man  säuert   die   reine 
Probe  mit  Salpetersäure  an  und  prüft  mit  Silbemitrat. 
1.  Es  entsteht  ein  weisser  oder  gelber  Niederschlag. 

a)  Der  Niederschlag  löst  sich  in  Salmiakgeist  leicht  auf: 

Chloride. 

b)  Der  Niederschlag  löst  sich  in  Salmiakgeist  wenig  oder  gar 
nicht.  Man  giebt  zur  reinen  Probe  etwas  Chlorwasser  und 
Chloroform;  letzteres  färbt  sich 

a)  gelb:  ßromide. 

ß)  violett:  Jodide. 

2)  Es  entsteht  ein  schwarzer  Niederschlag:  Schwefelmetalle. 

b)  Es  tritt  beim  Erhitzen  auf  Platinblech  Verbrennung 

resp.  Yerkohlung  ein. 

I.  Reagens:  Kalkwasser  resp.  Chlorcalcium.  Die  freie  Säure 
übersättige  man  mit  Kalkwasser;  zur  neutralen  Salzlösung  setze  man 
etwas  Chlorcalcium. 

1.  Es  entsteht  ein  weisser  Niederschlag,  der  sich  in  Natronlauge 
löst.  Essigsaures  Kali  fällt  die  saure  resp.  mit  Essigsäure  versetzte 
Probe  weiss:  Weinsäure. 

2.  Die  Probe  bleibt  klar.     Man  erhitze  sie  zum  Sieden. 

a)  Es  entsteht  in  der  Siedhitze  ein  weisser  Niederschlag: 

Citronensäure. 

b)  Es  entsteht  keine  Trübung.     Man  geht  zu  IL  über. 

IL  Reagens:  Eisenchlorid.  Man  füge  einige  Tropfen  Eisenchlorid 
zur  neutralen  oder  genau  mit  Na2C03  neutralisierten  Probe. 

1.  Es  entsteht  ein  Niederschlag. 

a)  Er  ist  hellbräunlich.  Manfügt  zur  neutralen  Salzlösung  Salzsäure. 

a)  Es  tritt  weisse  Fällung  ein,  die  beim  Aufkochen  ver- 
schwindet: Benzoesäure. 

ß)  Es  scheidet  sich  eine  baldrianartig  riechende  Ölschicht 
oben  ab:  Baldriansäure. 

y)  Es  findet  keine  Ausscheidung  statt:     Bernsteinsäure. 

b)  Es  entsteht  ein  schwarzer  Niederschlag:  Gerbsäure. 

c)  Es  entsteht  ein  tiefblauer  Niederschlag:         Ferro  Cyanide. 

2.  Es  entsteht  kein  Niederschlag,  aber  eine  Färbung. 

a)  Eine  blauviolette  Färbung.  Man  fügt  zur  neutralen  Lösung 
Salzsäure. 

a)  Es   erfolgt  eine    weisse  Fällung,   welche  sich  beim  Er- 
hitzen auflöst:  Salicylsäure. 
ß)  Es  wird  nichts  abgeschieden:    Karbolschwefelsäure. 

b)  Eine  blutrote  Färbung,  die  durch  Salzsäure  verschwindet.  Zur 
reinen  Salzlösung  giebt  man  Silbernitrat  und  erhitzt. 

aa)  Die  Flüssigkeit  bleibt  klar:  Essigsäure, 

bb)  Es  tritt  Schwärzung  ein:  Ameisensäure. 

3.  Es  erfolgt  weder  ein  Niederschlag,  noch  eine  Färbung.  Man  fügt 
zur  neutralen  Probe  essigsaures  Bleioxyd. 

a)  Es  entsteht  ein  weisser  Niederschlag,  der  sich  beim  Auf- 
kochen harzartig  zusammenballt:  Apfelsäure. 

b)  Es  entsteht  kein  Niederschlag;  übermangansaures  Kali  und 
verdünnte  Schwefelsäure  entwickeln  beim  Erhitzen  Aldehyd: 

Milchsäure. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  22 


-     338 


2,  In  Wasser  und  verdünnten  Säuren  unlösliche  Körper. 

I.  Man  erhitzt  eine  trockene  Probe  im  Probiercylinder. 

1.  Es  findet  Sublimation  statt. 

a)  Der  Körper  ist  gelb, 

a)  löslich  in  Schwefelkohlenstoff:  Schwefel. 

ß)  unlöslich  in  Schwefelkohlenstoff:      Quecksilber] odür. 

b)  Der  Körper  ist  weiss,  in  Königswasser  löslich: 

Quecksilberchlorür. 

c)  Der  Körper  ist  rot,    liefert  beim  Erhitzen  mit  Kalk  Queck- 
silberspiegel. 

a)  Erlöst  sich  in  warmem  Weingeist :  Quecksilber]  odid. 
ß)  Er  löst  sich  nicht  in  Weingeist  auf:  Zinnober. 

d)  Der  Körper  ist  schwarz,  liefert  beim  Erhitzen  mit  Kalk  Queck 
silberspiegel :  schwarzes  Schwefelquecksilber. 

e)  Der    Körper    ist    glänzend,    schwarz,    in    violetten    Dämpfen 
flüchtig:  Jod. 

2.  Es  tritt  keine  Sublimation  ein.     Man  geht  zu  IL  über. 

n.  Man  erhitzt  eine  Probe  auf  Platinblech  zum  Glühen. 

1.  Der  Körper  ist  schwarz,  verbrennlich :  Kohle. 

2.  Der  Körper  ist  weiss,  unveränderlich.  Feingepulvert  mit  Wasser 
geschüttelt  giebt  er  ein  Filtrat,  das  durch  oxalsaures  Ammoniak 
sich  weiss  trübt:  schwefelsaurer  Kalk. 

Regeln  beim  Analysieren. 

1.  Zur  Vorprüfung  auf  dem  Platinblech  verwende  man  die  Substanz 
gepulvert. 

2.  Zum  Auflösen  einer  Substanz,  deren  Löslichkeit  nicht  bekannt  ist, 
verwende  man  die  Substanz  gepulvert  und  nur  in  geringer 
Quantität. 

3.  Man  versäume  niemals,  sich  von  der  Reaktion  einer  Probe  zu  ver- 
gewissern, bevor  man  mit  Reagentien  prüft. 

4.  Gewisse  Reagentien  z.  B.  Schwefelwasserstoffwasser,  sind  in  grösserer 
Menge  zuzusetzen;  in  den  meisten  Fällen  genügt  eine  geringe  Menge 
des  Reagenzes,  beim  Silbernitrat,  Schwefelammonium  u.  a.  sogar 
wenige  Tropfen.  (Ausgenommen  hiervon  sind  die  Fälle,  in  denen 
eine  vollständige  Ausfällung  bezweckt  wird.) 

5.  Färbungen  beobachte  man  über  einem  hellen,  Trübungen  über  einem 
dunklen  Untergründe:  jene  bei  durchfallendem,  diese  bei  auf- 
fallendem Lichte. 

6.  Bei  krystallinischen  Niederschlägen,  z.  B.  Weinstein,  warte  man  einige 
Zeit,  da  sie  aus  verdünnten  Flüssigkeiten  sich  erst  allmählich  aus- 
scheiden.    Kräftiges  Schütteln  befördert  ihre  Bildung. 

7.  Die  Schichtmethode  d.  i.  das  vorsichtige  Überschichten  des  Rea- 
genzes über  der  Probe  (mittelst  langsamen  Herabrinnens ,  sicherer 
mittelst  der  Pipette)  empfiehlt  sich: 

a)  Beim  Aufsuchen  von  Spuren  eines  Körpers,  da  die  in  der  Mittel- 
schicht entstehende  Reaktion  durch  den  Vergleich  mit  den  Schichten 
unter  und  über  ihr  sehr  deutlich  hervortritt.  (Bsp. :  H2S  auf  Metalle) 

b)  Wenn  das  Reagens  erst  bei  einem  gewissen  Überschüsse  die 
beabsichtigte  Reaktion  giebt,  da  man  durch  Schichtung  am  sicher- 
sten zum  Ziele  gelangt.   (Bsp.:  Salpetersäureprobe  durch  Ferrosulfat.) 


—    339     — 

c)  Im  Falle  das  Reagens  im  Überschusse  die  Reaktion  wieder 
aufhebt,  gelangt  die  Reaktion  stets  in  der  Mittelschicht  zur  Wahr- 
nehmung.    (Bsp.:  NH3  auf  Zinksalze,  KJ  auf  Quecksilberchlorid.) 

8.  Beim    Erhitzen    halte    man    den    Reagiercylinder    quer    über    die 
Flamme,  damit  diese  nicht  ausschliesslich  den  Boden  erhitze. 

9.  Um  eine  Flüssigkeit  auf  fixe  Bestandteile  zu  prüfen,  verdampfe 
man  einige  Tropfen  auf  einem  blanken  Platinbleche._ 

10.  Zur  Prüfung  der  Flammenfärbung  führe  man  das  Ohr  des  Platin- 
drahts angefeuchtet  in  die  gepulverte  Substanz  und  dann  in  die 
Flamme. 

1 1 .  Werden  Niederschläge  weiter  untersucht,  so  versäume  man  niemals , 
sie  zuvor  gehörig  auszuwaschen.  Sollen  sie  getrocknet  und  gewogen 
werden,    so  verwende  man  nur  ein  glattes  Filter  (kein  Sternfilter). 

12.  Spuren  eines  abdunstenden  Gases  nimmt  man  am  sichersten  wahr, 
nachdem  man  den  Reagiercylinder  eine  Weile  mit  dem  Finger  ver- 
schlossen gehalten  hat. 

Aufgaben. 
Wie  unterscheidet  man  analytisch: 

1.  Verdünnte  Schwefelsäure  und  Phosphorsäure?  —  A.ntw.  Die 
Schwefelsäure  giebt  mit  Baryumnitrat  sofort  einen  weissen  Niederschlag, 
die  Phosphorsäure  erst  bei  Zusatz  von  Ammoniak. 

2.  Schwefelsaures  und  kohlensaures  Natron?  —  Antw.  Das  kohlen- 
saure Natron  braust  mit  Salzsäure  auf,  das  schwefelsaure  Salz  nicht. 

3.  Salpetersaures  Kali  und  salpetersaures  Natron?  —  Antw.  Das  sal- 
petersaure Kali  scheidet  mit  Weinsäure  krystallinischen  Weinstein  ab, 
das  Natronsalz  nicht. 

4.  Kohlensauren,  phosphorsauren  und  schwefelsauren  Kalk?  —  Antw. 
Der  kohlensaure  Kalk  löst  sich  in  Salpetersäure  unter  Aufbrausen,  der 
phosphorsaure  Kalk  löst  sich  ohne  Aufbrausen,  der  schwefelsaure  Kalk 
löst  sich  nicht. 

5.  Schwefelsaures  Natron  und  schwefelsaure  Magnesia ?  —  Antw.  Das 
schwefelsaure  Natron  bleibt  bei  Zusatz  von  kohlensaurem  Natron  klar,  die 
schwefelsaure  Magnesia  wird  weiss  gefällt. 

6.  Salpetersaures  Kali  und  Chlorammonium?  —  Antw.  Das  Chlor- 
ammonium entwickelt  mit  Natronlauge  Ammoniak,  das  salpetersaure  Kali 
sprüht  Funken  auf  glühenden  Kohlen. 

7.  Bromkalium  und  Jodkalium?  —  Antw.  Beim  Schütteln  mit  Chlor- 
wasser und  Chloroform  färbt  sich  letzteres  durch  Bromkalium  gelb,  durch 
Jodkalium  violettrot. 

8.  Schwefelsaures  Zinkoxyd  und  essigsaures  Bleioxyd?  —  Antw. 
Essigsaures  Bleioxyd  giebt  mit  verd.  Schwefelsäure  weissen  Niederschlag, 
das  Zinksalz  nicht. 

9.  Weinstein  und  Brechweinstein ?  —  Antw.  Der  Brechweinstein 
scheidet  mit  Schwefelwasserstoffwasser,  bei  Zusatz  einiger  Tropfen  Salzsäure, 
orangerotes  Schwefelantimon  ab;  der  Weinstein  bleibt  weiss. 

10.  Weinsäure  und  Citronensäure ?  —  Antw.  Die  Weinsäure  scheidet 
mit  überschüssigem  Kalkwasser  (bis  zur  alkalischen  Reaktion)  sofort  weissen 
Niederschlag  ab,  die  Citronensäure  erst  beim  Aufkochen. 

11.  Benzoesaures  und  salicylsaures  Natron?  —  Antw.  Das  benzoe- 
saure  Natron  scheidet  mit  Eisenchlorid  einen  gelbbraunen  Niederschlag  ab, 
das  salicylsaure  Salz  färbt  sich  damit  blauviolett. 

12.  Schwefelsaures  und  karbolschwefelsaures  Zinkoxyd?  —  Antw. 
Das  schwefelsaure  Zinkoxyd  giebt  mit  Baryumnitrat  weissen  Niederschlag, 
das  karbolschwefelsaure  Salz  färbt  sich  mit  Eisenchlorid  blauviolett. 

22* 


—     340     — 

13.  Schwefelsaures  und  salzsaures  Chinin?  —  Antw.  Die  mit  etwas 
Salpetersäure  bewirkte  wässerige  Lösung  des  schwefelsauren  Chinins  wird 
durch  Baryumnitrat,  die  des  salzsauren  Chinins  durch  Silbernitrat  weiss  gefällt. 

14.  Zinkweiss  und  Bleiweiss?  —  Antw.  Das  Zihkweiss  färbt  sich 
beim  Erhitzen  nur  vorübergehend  gelb,  das  Bleiweiss  dauernd  gelb;  beim 
Übergiessen  mit  Salpetersäure  braust  das  Bleiweiss  auf,  das  Zinkweiss  nicht 
oder  kaum;  die  gewonnene  Lösung  wird  durch  Schwefelwasserstoffwasser 
geschwärzt,  wenn  Bleiweiss  vorlag. 

15.  Wismutsubnitrat  und  Kalomel?  —  Antw.  Das  Wismutsubnitrat 
löst  sich  in  verdünnter  Salpetersäure  und  wird  dann  durch  viel  Wasser 
milchig  getrübt;  das  Kalomel  löst  sich  nicht  in  der  Säure  und  wird  durch 
Ammoniak  schwarz. 

16.  Mennige  und  Quecksilberoxyd?  —  Antw.  Mennige  färbt  sich  mit 
Salpetersäure  braun,  Quecksilberoxyd  löst  sich  darin  auf. 

17.  Quecksilberjodid  und  Zinnober?  —  Antw.  Quecksilberjodid  löst 
sich  in  Jodkaliumlösung,  Zinnober  nicht. 

18.  Braunstein  und  Grauspiessglanzerz?  —  Antw.  Der  Braunstein 
entwickelt  mit  Salzsäure  Chlor,  das  Grauspiessglanzerz  Schwefelwasserstoff. 

19.  Kupferoxyd  und  Kohle?  —  Antw.  Das  Kupferoxyd  löst  sich  in 
Salzsäure  zu  einer  blaugrünen  Flüssigkeit,  die  Kohle  nicht  auf. 

20.  Salzsaures  Chinin  und  Morphin?  —  Antw.  Man  löst  etwas  in 
konzentrierter  Schwefelsäure  und  fügt  einen  Tropfen  Salpetersäure  hinzu, 
beim  Morphin  färbt  sich  die  Probe  rot,  beim  Chinin  nicht.  Löst  man  et- 
was in  verdünnter  Schwefelsäure,  giebt  Chlorwasser  und  dann  Ammoniak 
zu,  so  färbt  sich  das  Chininsalz  grün. 


B.   Massanalyse. 

(Quantitative  Analyse.) 

§  321.  Gewichts-  und  Massanalyse.  Zur  Bestimmung  der  Menge 
eines  Körpers  d.i.  zur  quantitativen  Analyse  dienen  zwei 
Methoden:  die  Gewichtsanalyse  und  die  Massanalyse. 
Erstere  sucht  den  betreffenden  Körper  in  einer  bestimmten  Form 
auf  die  Wage  zu  bringen  und  setzt  sein  Gewicht  fest;  entweder 
scheidet  sie  ihn  in  einer  unlöslichen  Yerbindung  ab,  z.  B.  die 
Schwefelsäure  als  schwefelsauren  Baryt,  das  Chlor  als  Chlorsilber, 
oder  sie  gewinnt  ihn  als  Yerdampfungs-  und  Glührückstand,  wie  z.  B. 
die  Alkalien  als  Sulfate.  Hierbei  vergeht  aber  über  dem  Aus- 
waschen und  Trocknen  der  Niederschläge,  dem  Eindampfen  und 
Glühen  viel  Zeit. 

Die  Massanalyse  bestimmt  dagegen  die  vorhandene  Menge 
eines  Körpers  nach  dem  Verbrauch  eines  Reagenzes,  z.  B.  ein 
Alkali  nach  der  zur  Sättigung  nötigen  Säuremenge,  und  um- 
gekehrt eine  Säure  nach  dem  zur  Sättigung  derselben  nötigen 
Quantum  eines  Alkalis. 

§  322.  Die  Methoden  der  Massanalyse.  Eine  Säure  durch  Sätti- 
gung mit  einem  Alkali  zu  bestimmen,  nennt  man  Acidimetrie; 


—    341     — 

die  Bestimmung   eines  Alkalis   durch  Sättigung   mit   einer  Säure 
heisst  Alkalimet rie. 

Zur  Ausführung  dieser  Analysen  benutzt  man  also  eine  ge- 
wisse alkalische  resp.  saure  Massflüssigkeit  (Titreflüssigkeit) 
und  zwar  zur  Bestimmung  der  Säuren  Normalkalilösung ,  zur  Be- 
stimmung eines  Alkalis  Normalsalzsäure  (oder  auch  Normalsal- 
petersäure). Man  nennt  diese  Massflüssigkeiten  normale,  weil 
sie  im  l  genau  so  viele  g  Substanz  enthalten,  als  das  Äquiva- 
lent gewicht  derselben  beträgt.  Da  das  Äquiv.  KHO  ==  56,0, 
das  Äquiv.  HCl  =  36,5  ist,  so  enthält 

1  l  Normalkalilösung     56  g  Kalihydrat, 
1  l  Normalsalzsäure       36,5  g  Salzsäuregas. 
Da    sich    nun    die  Säuren    und  Basen    nach   ihren  Äquivalenten 
sättigen,    so    lässt    sich    leicht  die    verlangte  Menge    einer  Säure 
finden,    wenn    man    weiss,    wieviel    cem  Normalkali    sich  mit  ihr 
sättigen,  da  jeder  cem  Normalkali  56  mg  (=  0,056  g)  KHO  enthält. 

Ausser  den  Sättigungsanalysen  führt  man  auch  Oxyda- 
tionsanalysen durch  übermangansaures  Kali  oder  Jod  aus,  indem 
man  bestimmt,  wie  viel  von  diesen  Körpern  beansprucht  wird, 
um  eine  oxydierbare  Substanz  zu  oxydieren,  z.  B.  Eisenoxydul- 
salze in  Eisenoxydsalze,  arsenige  Säure  in  Arsensäure  überzuführen. 

Substanzen,  welche  aus  Jodkalium  Jod  ausscheiden,  z.  B. 
freies  Chlor,  bestimmt  man  aus  der  Menge  des  freigemachten 
Jodes,  welches  man  durch  unterschwefligsaures  Natron  bindet,  von 
dem  man  eine  Zehntel-Normallösung  vorrätig  hält.  Auf  letztere 
ist  die  Jodlösung  auch  in  Zehntelstärke  gestellt.  Diesen  Zweig  der 
Analyse  nennt  man  Jodometrie. 

Man  führt  auch  Fällungen  massanalytisch  aus,  z.  B.  die  des 
Chlors  durch  eine  Zehntel-Normalsilberlösung,  die  des  Silbers  durch 
eine  Zehntel -Normalkochsalzlösung.  Beide  enthalten  !/io  Äquiv. 
AgN03  resp.  NaCl  im  l  gelöst. 

Die  massanalytischen  Operationen. 

§  323.  Acidimetrie.  Zur  Bestimmung  der  Säuren  dient  die 
Normalkalilösung,  eine  soweit  verdünnte  Kalilauge,  dass 
davon  gerade  1  Äquivalent  =  56  g  KHO  im  l  enthalten  sind 
und  genau  15,8  cem  hinreichen  zur  Sättigung  von  1  g  krystalli- 
sierter  Oxalsäure. 

Da  die  Gegenwart  der  Kohlensäure  auf  das  Lackmus  störend 
wirkt,  muss  die  Lauge  möglichst  kohlensäurefrei  sein. 

Die  aeidimetrische  Prüfung  geschieht  unter  Anwendung  eines 
sogen.  Indikators,  gewöhnlich  der  Lackmustinktur,  durch 
deren  Übergang  aus  dem  Gelbroten  ins  Blaue  der  Eintritt  der 
Sättigung  angezeigt  wird.  Zu  der  in  ein  Becherglas  gewogenen 
und   mit  Wasser  verdünnten  Säure  wird   etwas   Lackmustinktur 


—     342     — 

gefügt  und  dann  so  lange  Normalkali  aus  der  Bürette  oder  Mess- 
pipette zugetröpfelt,  bis  die  rötliche  Farbe  der  Flüssigkeit  gerade 
in  Blau  übergegangen  ist. 

In  neuerer  Zeit  benutzt  man  häufig  als  Indikator  das  Phe- 
nolphtalei'n,  von  dessen  weingeistiger  Lösung  einige  Tropfen 
angewendet  werden,  welche  durch  das  Auftreten  einer  rötlichen 
Färbung  die  Sättigung  anzeigen.  Alkalien  färben  dasselbe  intensiv 
rot,  Säuren  gar  nicht;  überschüssiges  Alkali  ruft  daher  eine  Eötung 
der  zuvor  farblosen  Probe  hervor.  Auch  kann  man  sich  der 
Kochenilletinktur  bedienen,  welche  durch  Alkalien  violett 
wird ;  bei  der  Anwendung  zeigt  der  Übergang  der  gelbroten  in 
die  violette  Farbe  das  Ende  der  Eeaktion  an. 

Berechnung:  Die  Zahl  der  verbrauchten  Kubikcentimeter  Normal- 
alkali werde  mit  dem  Äquivalentgewicht  der  Säure  multipliziert;  das  Pro- 
dukt giebt  die  Menge  der  letzteren  in  Milligrammen  an.  —  Bsp. :  Sättigen 
10  ccm  Normalalkali  genau  10  com  Essig,  so  sind  in  letzteren  10X60 
=  600  Milligramm  Essigsäure  (C2H40.2  =  60)  enthalten;  der  Essig  ist 
also  6prozentig. 

§  324.  Alkalimetrie.  Zur  Bestimmung  der  Alkalien  dient 
die  Normalsalzsäure,  darzustellen  durch  Verdünnung  von 
140,0  g  Acidum  hydrochlorimm  {purum)  zu  1  l. 

Die  ällcalimetrische  Prüfung  geschieht  gleichfalls  unter  Zu- 
ziehung von  Lackmustinktur  als  Indikator.  Man  löst  eine  ge- 
wisse Menge  des  Alkalis  in  einem  Becherglase  in  Wasser  auf, 
fügt  etwas  Lackmustinktur  hinzu  und  dann  aus  der  Bürette  oder 
Messpipette  vorsichtig  Normalsalzsäure,  bis  die  blaue  Farbe 
gelbrot  geworden  ist. 

Auch  die  kohlensauren  Alkalien  lassen  sich  titrimetrisch  be- 
stimmen ,  da  die  Kohlensäure  bei  der  Sättigung  entweicht.  Um 
hierbei  die  störende  Einwirkung  derselben  zu  vernichten ,  muss 
die  Probe,  nachdem  sie  zwiebelrot  geworden  ist,  bis  nahe  zum 
Sieden  erhitzt  werden ,  worauf  die  blaue  Farbe  wieder  erscheint 
und  einen  neuen  Zusatz  der  Normalsäure  erheischt.  Man  fährt 
damit  so  lange  fort,  bis  die  zwiebelrote  Färbung  beim  Erhitzen 
nicht  mehr  in  die  blaue  zurücktritt. 

Berechnung:  Die  Zahl  der  verbrauchten  Kubikcentimeter  der  Normal- 
salzsäure werde  mit  dem  Äquivalentgewicht  des  Alkalis  resp.  kohlensauren 
Alkalis  multipliziert;  man  erhält  dann  dessen  Menge  in  Milligrammen.  — 
Bsp.:  Sättigen  23,5  ccm  Normalsalzsäure  4  g  Ätzammoniakflüssigkeit,  so 
sind  in  letzterer  23,5X17  =  399  mg  Ammoniakgas  (NH3  =  17)  enthalten, 
d.  i.  sie  ist  nahezu  lOprozentig. 

§  325.  Oxydimetrie.  Man  bestimmt  das  Eisen  durch  Über- 
führung in  Oxydsalz  mittelst  Kaliumpermanganat! ösung, 
von  der  man  so  lange  zur  Probe  zutröpfelt,  bis  die  rote  Farbe 
nicht  mehr  verschwindet.    Eines  besonderen  Indikators  bedarf  es 


—     343     — 

hierbei  also  nicht,  da  das  Reagens  selbst  ihn  bildet.  Die  Kalium- 
permanganatlösung wird  nicht  nach  dem  Äquivalent  dargestellt, 
sondern  empirisch  durch  Auflösen  von  1  g  des  Salzes  zu  1  l 
Flüssigkeit.  Yon  dieser  Yerdünnung  werden  56  ccm  verbraucht, 
um  die  frisch  bereitete  schwefelsaure  Lösung  von  0,1  g  Eisendraht 
höher  zu  oxydieren. 

Die  Prüfung  mit  Kaliumpermanganat  ist  daher  eine  äusserst 
einfache  und  besteht  im  Zusätze  desselben  bis  zum  Eintritt  einer 
bleibenden  Rötung.  Bedingungen  sind:  starke  Yerdünnung 
der  Probe  und  Ansäuerung  mit  verdünnter  Schwefelsäure.  Orga- 
nische Stoffe  werden  ebenfalls  von  Kaliumpermanganat  oxydiert, 
sind  deshalb  fernzuhalten,  ebenso  die  niederen  Oxydationsstufen 
des  Stickstoffs.  Die  Kaliumpermanganatlösung  wird  aus  einer 
Stehbürette  (Gay  -  Lussacschen  ,  englischen ,  Blasebürette)  oder 
Messpipette  zugetröpfelt. 

Berechnung:  Die  Zahl  der  verbrauchten  Kubikcentimeter  Kalium- 
permanganatlösung, durch  56  dividiert,  giebt  die  in  der  Probe  als  Oxydul- 
salz vorhandene  Menge  metallischen  Eisens  in  Decigrammen  an.  —  Bsp.: 
Werden  112  ccm  Kaliumpermanganatlösung  verbraucht,  um  die  Lösung  von  1  g 
Eisenvitriol  zu  röten,  so  sind  in  letzterem  112/56  =  2  Decigramm  metallisches 
Eisen  als  Oxydulsalz  enthalten,  der  Eisenvitriol  also  ein  reines  Oxydulsalz. 

§  326.  Oxydimetrie  durch  Jod.  Zur  oxydimetrischen  Bestimmung 
der  arsenigen  Säure  dient ;  die  Zehntel-Normaljodlösung, 
welche  im  Liter  12,7  g  ( 1/1 0  Äquiv.)  Jod  mittelst  Jodkalium  ge- 
löst enthält.  Sie  oxydiert  alkalische  Lösungen  der  arsenigen 
Säure  zu  Arsensäure,  in  Jodmetall  übergehend. 

As203  +  4J  +  4NaHC03  ==  As205  +  4NaJ  +  4C02  +  2H20. 
Bedingung  ist  also  Gegenwart  eines  Alkalis,  das  man  aber  als 
Bikarbonat  zuzugeben  hat,  um  dessen  Nebenwirkung  auf  das  Jod 
zu  vermeiden. 

Die  Prüfung  mittelst  Jodlösung  geschieht  unter  Anwendung 
einiger  Tropfen  Stärkelösung  als  Indikator;  wenn  kein  Jod 
mehr  durch  die  arsenige  Säure  in  Jodid  übergeführt  wird,  tritt 
die  Blaufärbung  der  Stärke  durch  das  freie  Jod  ein.  Man  fügt 
also  zur  Lösung  der  arsenigen  Säure  eine  genügende  Menge  dop- 
peltkohlensaures Natron  nebst  etwas  Stärkelösung  und  tröpfelt 
aus  der  Stehbürette  oder  Messpipette  so  lange  Jodlösung  zu,  bis 
die  Probe  bläulich  gefärbt  erscheint. 

Berechnung:  Da  4J  auf  As203  nötig  sind,  so  giebt  jeder  verbrauchte 
Kubikcentimeter  Jodlösung  den  vierzigsten  Teil  des  Aquiv.  der  arsenigen 
Säure  in  Müligrammen  =  198/4o  d.  i.  nahezu  5  mg  an.  —  Bsp. :  Entfärben 
5  g  Fowlersche  Lösung  10  ccm  Jodlösung,  so  enthalten  sie  5  X  ^-0  =  50  mg 
d.  i.  1  °/0  arsenige  Säure. 

§  327.  Jodometrie.  Unter  Jodometrie  versteht  man  die  Be- 
stimmung des  Jods  durch  Natriumthiosulfat  (unterschweflig- 


—     344     — 

saures  Natron).  Von  letzterem  stellt  man  durch  Auflösung  von 
24,8  g  zu  11  eine  Zehntel-Normallösung  her,  welche  genau  auf 
die  kurz  zuvor  erwähnte  Zehntel-Normaljodlösung  eingestellt  ist, 
sodass  sich  beide  Lösungen,  Kubikcentimeter  gegen  Kubikcenti- 
meter,  Tropfen  gegen  Tropfen,  binden.  Das  unterschwefligsaure 
Natron  führt  bekanntlich  das  Jod  in  Jodnatrium  über,  dabei  selber 
in  tetrathionsaures  Natron  sich  verwandelnd. 

2Na2S203  +  2J  =  Na2S406  +  2NaJ. 

Die  jodometrische  Prüfung  geschieht  unter  Zuhilfenahme  von 
Stärkelösung  als  Indikator,  weil  jede  kleinste  Menge  freies 
Jod  mit  derselben  blaue  Jodstärke  bildet.  Die  Natriumthiosulfat- 
lösung  ist  vor  dem  Gebrauche  stets  einer  Urprüfung  zu  unter- 
ziehen, da  das  Salz  selten  rein  genug  im  Handel  vorkommt. 
Man  löst  0,3  g  Jod  nebst  einer  gleichen  Menge  Jodkalium  in 
Wasser  auf,  fügt  Stärkelösung  hinzu  und  tröpfelt  aus  der  Mess- 
pipette oder  Stehbürette  so  lange  Natriumthiosulfatlösung  hinzu, 
bis  die  Probe  sich  entfärbt  hat.  Hierzu  müssen  23,6  ccm 
verbraucht  werden,  anderenfalls  ist  die  Normallösung  darnach 
mit  Wasser  zu  verdünnen  resp.  durch  Salz  zu  konzentrieren. 
Aber  man  kann  auch  10  ccm  der  Zehntel-Normaljodlösung  mit 
etwas  Stärkelösung  versetzen  und  mit  der  Natriumthiosulfat- 
lösung farblos  titrieren;  es  müssen  genau  10  ccm  derselben  ver- 
braucht werden. 

In  derselben  Weise  lässt  sich  das  freie  Chlor  bestimmen, 
da  dasselbe  eine  äquivalente  Menge  Jod  aus  Jodkalium  frei  macht, 
welche  alsdann  durch  Natriumthiosulfatlösung  gemessen  wird. 

Berechnung:  Die  Zahl  der  verbrauchten  Kubikcentimeter  Zehntel- 
Natriumthiosulfatlösung  giebt,  mit  dem  zehnten  Teil  des  Äquivalentgewichts 
des  Jods  resp.  des  Chlors  multipliziert,  dessen  Menge  in  Milligrammen  an. 
—  Bsp. :  Wenn  zur  Bindung  des  durch  25  g  Chlorwasser  aus  1  g  Jodkalium 
frei  gemachten  Jods  28,2  ccm  Zehntel-Natriumthiosulfatlösung  verbraucht 
werden,  so  sind  in  den  25  g  Chlorwasser  28,2X3,55  =  100  mq  Chlor  d.  i. 
in  100  g  desselben  400  mg  =  0,4°/0  Chlor  enthalten. 

§  328.  Fällungsanalysen.  1.  Zur  Bestimmung  des  an  Metalle 
resp.  Wasserstoff  gebundenen  Chlors,  Broms,  Jods  und 
Cyans  dient  die  Zehntel-Normalsilberlösung,  welche  17,0  g 
Silbernitrat  im  Liter  enthält.  Dieselbe  fällt  eine  äquivalente 
Menge  der  genannten  Salzbildner  als  weissen  resp.  gelblichen 
Niederschlag  aus. 

Die  Ausführung  der  Analyse  besteht  im  Zusätze  der  Silber- 
lösung bis  zur  völligen  Ausscheidung,  welche  in  neutralen 
Flüssigkeiten  daran  erkannt  wird,  dass  bei  Gegenwart  von  chrom- 
saurem Kali  ein  weiterer  Zusatz  der  Silberlösung  rotes  chrom- 
saures Silber  ausscheidet.  Man  wendet  also  einige  Tropfen  chrom- 
saurer Kalilösung  als  Indikator  an  und  beendet  die  Operation 


—    345     - 

dann,  wenn  der  Niederschlag  eine  rötliche  Färbung  anzunehmen 
beginnt.  So  lange  nämlich  noch  ein  Chlorid,  Bromid,  Jodid  oder 
Cyanid  in  der  Probe  gelöst  vorhanden  ist,  wechselt  dasselbe 
sich  mit  dem  etwa  gebildeten  chromsauren  Silber  um,  sodass 
letzteres  dann  erst  dauernd  entstehen  kann,  wenn  die  Ausschei- 
dung der  Salzbildner  komplet  geworden  ist.  Bedingung  ist 
neutrale  Reaktion  der  Flüssigkeit,  da  das  chromsaure  Silber  durch 
Säuren  gelöst  wird. 

Berechnung:  Die  Anzahl  der  verbrauchten  Kubikcentimeter  Silber- 
lösung giebt  durch  Multiplikation  mit  dem  Zehntel  des  Äquivalentgewichtes 
vom  Chlorid  resp.  Bromid,  Jodid,  Cyanid  die  davon  vorhandene  Menge  in 
Milligrammen  an.  —  Bsp.:  Wenn  27  g  Bittermandelwasser  zur  Ausfällung 
10  ccm  Zehntel-Normalsilberlösung  verbrauchen,  so  enthalten  sie  10X2,7 
=  27  mg  Blausäure  (HCN  =  27)  d.  i.  1  pro  Mille  derselben. 

2.  In  umgekehrter  Weise  dient  die  Zehntel-Normalkoch- 
salzlösung zur  Bestimmung  des  Silbers.  Man  stellt  sie  durch 
Lösen  von  5,85  g  Chlornatrium  zu  11  dar  und  verfährt  in  der 
nämlichen  Weise  wie  zuvor.  10  ccm  dieser  Massflüssigkeit 
müssen  nach  Zugabe  einiger  Tropfen  chromsaurer  Kalilösung 
genau  10  ccm  Zehntel -Normalsilberlösung  bis  zur  schwachen 
Bötung  des  Niederschlags  verbrauchen. 

Bsp.:  Wenn  1,0  g  salpeterhaltiger  Höllenstein  durch  20  ccm  der 
Zebntel-Normalkochsalzlösung  völlig  ausgefällt  wird,  sodass  nach  Zugabe 
von  Kaliumchromat  ein  weiterer  Zusatz  der  Silberlösung  den  Niederschlag 
rot  färbt,  so  sind  im  ersteren  20  X  1?  —  340  mg  Silbernitrat  enthalten  d.  i. 
das  Präparat  besitzt  34  Proz.  davon. 

Die    massanalytischen    Instrumente. 

A.  Zur  Anfertigung  der  Massflüssigkeiten  dienen: 

1.  Die  Literflasche,  eine  Glasflasche,  welche  bis  zu  einer  Marke  im 
verengerten  Halse  bei  15°  genau  1  /  Wasser  fasst; 

2.  eine  Mischflasche  und 

3.  ein  Mischcylinder, 

beide  von  unten  nach  oben  abgeteilt  und  von  verschiedener  Grösse.  Die 
grösseren  fassen  500  oder  1000  ccm  und  sind  in  10  oder  50  ccm  geteilt, 
die  kleineren  fassen  100  ccm  oder  weniger  und  sind  in  einzelne  ccm  geteilt. 
Man  gebraucht  sie,  wenn  Flüssigkeiten  in  einem  bestimmten  Verbältnisse 
herzustellen  oder  mit  Wasser  zu  verdünnen  sind.  Hat  man  z.  B.  eine 
Normalsäure,  welche  um  1/10  zu  stark  ist,  so  giebt  man  in  der  Mischflasche 
zu  je  100  ccm  derselben  10  ccm  dest.  Wassers.  Auch  kann  man  sich  dieser 
Gefässe  zur  Anfertigung  kleinerer  oder  grösserer  Mengen  von  Normal- 
lösungen bedienen. 

B.  Bei  Ausführung  der  Analysen  benutzt  man: 
1.  Gläserne  Büretten,  in  ccm  von  oben  nach  unten  eingeteilte  Röhren 
von  gleicher  Weite,  welche  zum  Abmessen  der  angewendeten  Massflüssigkeit 
dienen.     Man  hat  sie  von  verschiedener  Form  und  zwar: 

a)  Die  Mohrsche  Quetschhahnbürette  (Fig.  78),  eine  beiderends 
offene  Röhre,  aus  welcher  man  die  Titreflüssigkeit  durch  ein  unten  ange- 
fügtes Stück  Gummischlauch  auslaufen  lässt. 

Der  Gummischlauch  ist  mit   einem  kleinen,    spitz  zulaufenden  Aus- 


346 


flussröhrchen  verbunden  und  mit  einem  Quetschhahne  (Fig.  80)  versehen, 
welcher  im  gewöhnlichen  Zustande  den  Schlauch  zusammendrückt  und 
dadurch  die  Bürette  schliesst.  Beim  Gebrauche  drückt  man  mit  dem 
Daumen  und  Zeigefinger  auf  die  beiden  Plättchen  des  Quetschhahns,  wo- 
durch derselbe  Flüssigkeit  austreten  lässt  und  zwar  je  nach  dem  Druck 
im  Strahle  oder  tropfenweise. 


Fig.  78. 
Mohrsche  Quetschhahn  Bürette. 


Fig.  79. 
Englische  Bürette. 


Man  kann  diese  Bürette  in  allen  Fällen  gebrauchen,  mit  Ausnahme 
bei  Jod-  und  Kaliumpermanganatlösung,  weil  dieselben  das  Gummi  an- 
greifen. Für  diese  Fälle  dienen  Glas hahnbüretten ,  welche  an  der  Stelle 
des  Gummischlauchs  nebst  Quetschhahn  einen  Glashahn  besitzen. 

b)  Stehbüretten.    Die  Gay-Lussacsche  Bürette  eine  unten  ge- 


347     — 


schlosserte,  daselbst  mit  einem  Holzfusse  versehene  Glasröhre,  welche  von 
unten  herauf  eine  feine  Ausflussröhre  zur  Seite  hat,  aus  der  beim  Neigen 
der  Bürette  die  Massflüssigkeit  ausläuft. 

Eine  andere  Form  der  Stehbürette  ist  die  englische  Bürette 
(Fig.  79),  welche  keine  besondere  Ausflussröhre  besitzt,  daher  weniger 
zerbrechlich  ist.  Sie  läuft  am  oberen  Ende  in  eine  umgebogene,  feine  Aus- 
flussspitze aus,  neben  welcher  ein  kurzes 
Eingussrohr  sich  befindet.  Beim  Gebrauche 
fasst  man  die  Bürette  mit  der  linken  Hand 
vorn  an,  mit  dem  Daumen  die  Eingussröhre 
verschliessend;  neigt  man  sie  dann,  so  kann 
man  durch  sanftes  Lüften  des  Daumens  das  Aus- 
Fig.  80.  fliessen  der  Flüssigkeit  nach  Wunsch  bewirken. 


10  CC 


Fig.  81. 
Messpipette. 


Fig  82. 
Vollpipetten. 


—     348     — 

2.  Messpipetten  (Fig.  81),  gläserne,  beiderends  offene  und  gleich- 
weite Röhren,  welche  in  ccm  eingeteilt  sind.  Man  gebraucht  sie  zum  näm- 
lichen Zwecke,  wie  die  Büretten,  in  der  Weise,  dass  man  sie  durch  An- 
saugen mit  der  Massflüssigkeit  anfüllt  und  darauf  die  obere  Öffnung  mit 
dem  (befeuchteten)  Zeigefinger  der  rechten  Hand  fest  verschliesst;  durch 
schwaches  Lüften  des  Fingers  wird  die  Flüssigkeit  bald  im  Strahle,  bald 
tropfenweise  zum  Abfüessen  gebracht. 

3.  Vollpipetten  (Fig.  82),  Glasröhren  mit  bauchiger  Erweiterung, 
welche  bis  zu  einer  Marke  ein  bestimmtes  Quantum  Flüssigkeit  fasst.  Am 
meisten  benutzt  man  Vollpipetten  zu  10  ccm;  auch  ist  eine  grössere  zu 
50  ccm  (zur  Karbolsäurebestimmung)  nötig.  Während  die  Masscylinder 
auf  die  Aufnahme  eines  gewissen  Flüssigkeitsvolums  geeicht  sind,  dienen 
die  Vollpipetten  zum  Ausfiiessenlassen  eines  solchen  und  müssen  genau 
geprüft  werden,  ob  sie  dieses  Quantum  beim  ruhigen  Auslaufen,  oder  beim 
darauffolgenden  Anstrich  an  die  Gefässwandung,  oder  erst  beim  Ausblasen 
abgeben.     Hiernach  sind  die  Pipetten  zu  bezeichnen. 

Eegeln  beim  Titrieren. 

1.  Beim  Ablesen  des  Flüssigkeitsstandes  bringe  man  zunächst 
das  Auge  genau  in  die  Höhe  des  betreffenden  Teilstriches;  sodann  beobachte 
man  den  unteren  Rand  der  Kurve,  da  dieser  den  Stand  der  Flüssig- 
keit anzeigt. 

2.  Man  fülle  beim  Gebrauch  der  Bürette  resp.  Messpipette 
das  Instrument  etwas  über  den  Nullpunkt  der  Teilung  an  und  lasse  dann 
bis  zu  demselben  exakt  ablaufen.  Bei  Ausführung  der  Analyse  lasse  man 
zuerst  nahezu  das  nötige  Quantum  der  Massflüssigkeit  (im  vollen  Strahle) 
einlaufen;  alsdann  vollende  man  die  Analyse  durch  vorsichtiges  Eintröpfeln 
der  Normallösung.  Bei  den  Messpipetten  hebe  man  den  Finger  niemals 
völlig  weg,  selbst  dann  nicht,  wenn  man  die  Flüssigkeit  im  Strahle  aus- 
laufen lässt;  stets  bewirke  man  das  Ausfliessen  nur  durch  ein  Nachlassen 
des  Fingerdruckes.  Ein  Einfetten  des  verschliessenden  Fingers  mit 
etwas  Talg  eignet  sich  noch  besser  als  das  Anfeuchten  desselben.  Eine 
durch  unvorsichtiges  Einlaufenlassen  überstürzte  Analyse  ist  zu  kassieren; 
sie  rektifizieren  zu  wollen,  ist  stets  ein  unsicheres  Unternehmen. 

3.  Soll  in  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  eine  Färbung  erkannt 
werden,  wie  bei  den  Sättigungs-,  Jod-,  Kaliumpermanganat- Analysen,  so 
stelle  man  das  Becherglas  auf  einen  Bogen  weisses  Papier  oder  man 
arbeite  in  einer  weissen  Porzellan  schale.  Handelt  es  sich  aber  um  den 
Eintritt  einer  Trübung,  wie  bei  der  Lieb  ig  sehen  Cyan -Probe,  so  stelle 
man  das  Becherglas  auf  schwarzes  Papier  oder  halte  es  gegen  einen 
dunklen  Hintergrund.  Färbungen  erkennt  man  am  besten  gegen  einen 
hellen,  Trübunfin  gegen  einen  dunklen  Hintergrund. 


III.  Abteilung. 

Botanik. 

Die  Botanik  ist  die  Lehre  von  den  Pflanzen,  organischen  Wesen, 

■welche  sich  ernähren  und  fortpflanzen,  denen  aber  Empfindung  und 

■willkürliche  Bewegung  mangelt. 


I.  Organographie  und  Terminologie. 

1.  Wurzel  und  Stamm. 

§  329.  Was  stellen  Wurzel  und  Stamm  einer  Pflanze  vor?  Bei  allen 
höher  organisierten  Gewächsen  lassen  sich  die  vegetativen  Organe 
nach  zwei  Richtungen  hin  unterscheiden ;  je  nachdem  sie  die  Axe 
des  Pflanzenkörpers  bilden  oder  seitliche  Verbreiterungen ,  be- 
zeichnet man  sie  als  Axenorgane  oder  als  Seitenorgane 
der  Pflanze.  Zu  ersteren  zählen  Wurzel  und  Stamm,  zu 
letzteren  die  Blätter. 

Wurzel  und  Stamm  bilden  die  Axenorgane  des  Pflanz  enkörp  er s. 
Wurzel  und  Stamm  sind  enge  mit  einander  verbunden,  eine  un- 
unterbrochene Linie  darstellend,  welche  sich  bei  der  Wurzel  nach 
unten,  beim  Stamme  nach  oben  unbegrenzt  verlängert.  Sie  dienen 
zugleich  der  Pflanze  zur  Befestigung  im  Boden,  zum  Halt  und 
zur  Aufnahme  und  Portleitung  des  Nahrungssaftes. 

Es  giebt  aber  auch  Gewächse  ohne  Wurzel  und  Stamm,  zu 
denen  die  Pilze,  Algen  und  Plechten  zählen.  Ihren  Pflanzenkörper 
nennen  wir  ein  Trieblager  (thallus),  welches  bald  einem  Stengel, 
bald  einem  Blatte  gleicht  (wie  beim  irländischen  und  isländischen 
Moose),  häufig  aber  auch  eigenartige  Formen  annimmt  (wie  bei  den 
Pilzen).  Diese  Gewächse  heissen  desshalb  Lagerpflanzen 
(Thallophyta)  und  besitzen  wohl  nicht  selten  Haftzasern,  mit 
denen  sie  auf  dem  Boden  sitzen,  niemals  aber  eine  eigentliche 
Wurzel,  welche  Nahrung  aufnimmt. 

Die  Wurzel  (Radix). 

§  330.  Wie  unterscheidet  sich  die  Wurzel  vom  Stamm?  Gemein  - 
lich  nennt  man   den   ganzen  unter   dem  Erdboden   befindlichen 


—    350    — 

Teil  der  Pflanze  Wurzel,  den  oberirdischen  Teil  der  Axe  Stamm. 
Dieser  Unterschied  ist  aber  wissenschaftlich  unhaltbar ;  wir  können 
nur  denjenigen  Teil  der  Axe  Wurzel  nennen,  welcher  das  Wachs- 
tum nach  unten  besitzt  und  die  Nahrung  aus  dem  Erdreich  aufnimmt. 

Die  Wurzel  wächst  nach  unten,  der  Stamm  nach  oben. 

Wenn  beim  Keimen  des  Samens  das  junge  Pflänzchen  heran- 
wächst, verlängert  sich  sein  Würzelchen  (radicula)  abwärts  ins 
Erdreich,  während  der  obere  Teil,  das  Knöspchen  (plumula),  den 
beblätterten  Stamm  erzeugt  und  aufwärts  strebt.  Dabei  verbreitert 
er  sich  seitlich  durch  die  Blattorgane,  die  an  seinen  Knoten  ent- 
springen. Man  kann  also  nach  äusseren  Merkmalen  folgenden 
Unterschied  zwischen  Stamm  und  Wurzel  aufstellen:  Der  Stamm 
besitzt  von  Strecke  zu  Strecke  Knoten,  an  denen 
seitlich  Blätter  entspringen;  solche  Knoten  und 
Blätter  fehlen  der  Wurzel  stets. 

Die  Wurzel  hat  die  Aufsaugung  des  Nährsaftes  aus 
dem  Erdreich  zur  Aufgabe.  Sie  verästelt  sich  zu  diesem  Zwecke 
in  feine  Wurzelzasern,  deren  Enden  von  einer  zarten  Oberhaut 
bekleidet  sind,  durch  welche  die  Bodenfeuchtigkeit  mittelst  Endos- 
mose eindringt.  Die  Spitzen  dieser  Wurzelzasern  finden  wir  mit 
der  sog.  Wurzelhaube  bedeckt,  welche  sich  durch  die  Ablösung 
der  äussersten  Grewebschichten  bildet  und,  nur  an  der  Spitze  selber 
mit  der  Wurzel  zusammenhängend,  sie  gewissermassen  als  Häub- 
chen umhüllt.  Daher  erscheinen  die  Enden  der  Wurzelzasern 
etwas  verdickt. 

§  331.  Wie  viele  Arten  der  Wurzel  unterscheidet  man?  Wenn  die 
ursprüngliche  Wurzel  der  Pflanze  auswächst  und  während  ihrer 
ganzen  Lebensdauer  funktioniert,  so  nennen  wir  sie  eine  Haupt- 
wurzel (radix  primaria).  Wir  finden  solche  z.  B.  bei  der 
Möhre,  den  einheimischen  Strauch-  und  Baumgewächsen.  Sie  lässt 
sich  bis  zu  ihrer  Spitze  verfolgen  und  teilt  sich  mehr  oder  weniger 
in  Yerästelungen. 

Bei  manchen  Pflanzen  verkümmert  jedoch  frühzeitig  die 
ursprüngliche  Wurzel,  und  der  unter  der  Erde  befindliche  Teil 
des  Stammes  treibt  aus  seinen  Knoten  Wurzelzasern,  sog. 
Neben  wurzeln  aus,  welche  die  Aufsaugung  des  Nährsaftes 
besorgen.  Eine  solche  Wurzel  nennen  wir  eine  zusammen- 
gesetzte Wurzel  (radix  composita)  und  finden  sie  z.  B. bei 
den  Farnkräutern  und  Zwiebelgewächsen,  beim  Baldrian  u.  a.  m. 
Wenn  der  unterirdische  Axenteil,  aus  dem  die  Nebenwurzeln 
entspringen,  sich  wenig  entwickelt,  so  gewinnt  die  ganze  Wurzel 
das  Ansehen,  als  ob  sämtliche  Nebenwurzeln  von  einem  Punkte 
ausgingen,  und  heisst  dann  eine  faserige  Wurzel  (radix 
fibrosa),  wie   bei   den   Getreidearten.     Wenn   aber   der   unter- 


—    351 


irdische  Stammteil  mehr  oder  minder  sich  verdickt  oder  verlängert 
und  im  Boden  hinkriecht,  so  bezeichnen  wir  diesen  Axenteil  als 
Wurzelstock  (rhizoma);  die  eigentlichen  "Wurzeln  sind  dann 
die  Neben  wurzeln  (Wurzelzasern).  Man  kann  den  Wurzelstock 
als  Stammteil  leicht  an  den  Blattresten  erkennen,  die  sich  an 
seinen  Knoten  noch  häufig  vorfinden. 

Der  Wurzelstock  ist  der  in  der  Erde  befindliche  Teil  des  Stam- 
mes, welcher  Nebenwurzeln  treibt,  wenn  keine  Hauptwurzel  ausgebildet 
wurde.  Er  unterscheidet  sich  von  der  Hauptwurzel  durch  die  ihm 
anhängenden  Blattreste. 

Eine  eigene  Form  gewinnt  der  Wurzelstock,  wenn  die  Pflanze 
unter  der  Erde  Knospen  bildet  und  aus  denselben  sog.  Wurzel- 
sprossen (soboles)  oder  kriechende  Wurzeln  (radices 
repentes)  treibt;  dieselben  laufen  alsdann  im  Erdboden  hin  und 
senden  aus  ihren  Knoten  abwärts  Nebenwurzeln,  aufwärts  Blätter. 


Fig.  83. 
So  bei  der  Quecke  und  Segge  (Fig.  83).  Verschieden  hiervon  sind 
die  Schösslinge  (sarmenta)  oder  Ausläufer  (stolones), 
welche,  vom  Wur- 
zelstock ausge- 
hend, über  den 
Erdboden  hinkrie- 
chen, an  den  Kno- 
ten nach  unten 
Nebenwurzeln  in 
die  Erde  treiben, 
nach  oben  Stengel 
erheben.Wirfinden 
solche  beim  März- 
veilchen, der  Erd- 
beere (Fig.  84)  u.a. 


—    352     - 

§  332.  Was  sind  falsche  Wurzeln?  Bei  einigen  Gewächsen  ent- 
springen aus  dem  oberirdischen  Stamme  wurzelähnliche  Ge- 
bilde. Gewisse  Schmarotzerpflanzen  treiben  Saugwurzeln  (hau- 
st o  r  i  a)  in  das  Gewebe  der  Nährpflanze,  um  deren  Saft  sich  anzu- 
eignen; so  die  Flachsseide  (Cuscuta  europaea),  welche  den  Klee, 
Ginster,  Lein  u.  a.  heimsucht  und  auf  deren  Kosten  sich  ernährt. 
Diese  Schmarotzergewächse  wurzeln  im  Boden  und  unterscheiden 
sich  dadurch  als  unechte  Schmarotzer  von  den  echten  Schma- 
rotzern, welche  auf  der  Nährpflanze  selbst  keimen  und  noch 
ihre  Wurzel  in  deren  Gewebe  eindringen  lassen.  Zu  letzteren  ge- 
hört die  bekannte  Mistel  (Ylscum  album)  auf  unseren  Obstbäumen. 

Eine  zweite  Art  falscher  Wurzeln  besitzt  das  Epheu.  Es 
treibt  aus  seinem  Stamme  Klammer  wurzeln,  mit  denen  es 
sich  am  Gemäuer,  an  Felsen  oder  Bäumen  festhält.  Diese  wurzel- 
ähnlichen Gebilde  dienen  durchaus  nicht  zur  Nahrungsaufnahme, 
vielmehr  nur  zur  Befestigung,  und  versehen  denselben  Dienst 
wie  die  Ranken  des  Weinstocks  und  der  Gurken. 

Der  Stamm  (Cormus). 

§  333.  Wie  bezeichnet  man  den  Stamm?  Nach  der  Beschaffen- 
heit des  Gewebes  und  der  Lebensdauer  bezeichnet  man  den 
Stamm  als: 

1.  Krautstengel  (caulis),  wenn  er  krautartige  Beschaffen- 
heit besitzt.  Er  lebt  nur  eine  Wachstumsperiode  hindurch  und 
stirbt  im  Herbst,  wenn  die  Pflanze  geblüht  und  gefruchtet  hat, 
ab.  Bei  den  Grasgewächsen  besitzt  er  sehr  entfernte  Knoten 
und  wird  Halm  (culmus)  genannt. 

2.  Holzstamm  (truncus),  wenn  er  holzig  und  ausdauernd 
ist.  Bei  den  meisten  Gewächsen  verzweigt  er  sich  baumartig, 
bei  den  Palmen  und  Baumfarnen  bleibt  er  jedoch  bis  zur  Spitze, 
welche  eine  Blätterkrone  treibt,  unverästelt  —  Palmstamm. 

§  334.  Wie  teilt  man  die  Gewächse  nach  ihrem  Stamme  ein?  Nach 
der  Beschaffenheit   des   Stammes   teilt  man  die  Pflanzen  ein  in: 

a)  Krautgewächse  (herbae)  mit  krautigem  Stengel. 
Wenn  nach  einmaligem  Blühen  und  Fruchtreifen  das  Kraut 
völlig  abstirbt,  so  nennt  man  es  einjährig  (h.  annua),  mit 
dem  Zeichen  © ,  sofern  seine  ganze  Lebensdauer  nur  auf  ein 
einziges  Jahr  beschränkt  ist,  z.  B.  bei  der  Kamille,  der  Klatsch- 
rose, der  Gerste,  dem  Roggen  und  Weizen;  wenn  seine  Lebens- 
dauer aber  auf  zwei  Jahre  sich  ausdehnt,  wie  bei  der  Möhre, 
beim  Bilsenkraut,  so  nennt  man  es  zweijährig  (h.  biennis) 
und  giebt  ihm  das  Zeichen  0.  Zweijährige  Kräuter  treiben  im 
ersten  Jahre  nur  eine  Wurzel  mit  Blattrosette,  erst  im  zweiten 
Jahre  den  Stengel  mit  Blüten  und  Früchten. 


—     353    — 

Im  Gegensatz  zu  den  ein-  und  zweijährigen  Kräutern  stehen 
die  ausdauernden  Kräuter  oder  Stauden  (herbae  peren- 
nes),  welche  jährlich  bis  auf  die  Wurzel  absterben,  deren  Wurzel 
aber  lebensthätig  bleibt  und  in  jedem  Frühling  einen  neuen  Stengel 
hervorbringt,  der  zum  Blühen  und  Fruchttragen  gelangt.  Bei 
solchen  Gewächsen  erscheint  die  Wurzel  durch  die  Beste  der 
früheren,  abgestorbenen  Stengel  vielköpfig  (radix  multiceps).  Man 
bezeichnet  die  Stauden  mit  dem  Zeichen  des  Jupiter:  2J..  Bei- 
spiele sind  die  Erdbeere,  Tollkirsche,  Kainfarn. 

b)  Holzgewächse,  mit  holzigem,  ausdauerndem  Stamme. 
Zeichen  des  Saturn:  t).  Übersteigt  der  Stamm  15  Fuss  und 
verästelt  er  sich  erst  in  einer  gewissen  Höhe,  so  nennt  man  das 
Gewächs  einen  Baum  (arbor);  verzweigt  er  sich  aber  sofort 
über  dem  Boden  und  bleibt  niedriger,  so  ist  es  ein  Strauch 
(frutex).  Bei  manchen  Gewächsen  ist  nur  der  untere  Teil  des 
Stammes  holzig ,  während  die  oberen  Zweige  krautartig  bleiben 
und  alljährlich  absterben;  ein  solches  Gewächs  heisst  ein  Halb- 
strauch (suffrutex),  z.  B.  die  Heidelbeere,  der  Quendel  (Feld- 
thymian), bittersüsser  Nachtschatten. 

Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Der  Stengel  kann  sein: 

A.  Nach  seiner  Richtung: 

a)  Aufrecht  (caulis  erectus),  und  zwar,  wenn  er  schnurgerade  empor- 
steigt, steifaufrecht  (c.  strictus),  wie  bei  Yerbascum  thapsiforme. 

b)  Aufsteigend  (c.  adscendens),  wenn  sein  unterer  Teil  wagrecht 
verläuft  und  der  obere  sich  im  Bogen  erhebt,  wie  bei  Malva  vulgaris. 

c)  Niederliegend,  gestreckt  (c.  prostratus,  decumbens),  wenn 
horizontal  auf  dem  Boden  liegend,  wie  bei  Thymus  Serpyllum. 

d)  Schwimmend  (c.  natans),  in  stehendem;  flutend  (c.  fluitans), 
in  üiessendem  Wasser. 

e)  Kriechend  (c.  reptans),  über  den  Erdboden  hinkriechend  und  von 
Stelle  zu  Stelle  Wurzeln  treibend,  wie  bei  Potentilla  reptans. 

f)  Kletternd  (c.  scandens),  wie  beim  Weinstock  und  Epheu. 

g)  Windend  (c.  volubilis),  wie  beimHopfen  und  der  Schneidebohne, 
(Zur  Beurteilung,  ob  der  Stengel  sich  nach  rechts  oder  links  windet,  ver- 
setze man  sich  selbst  in  die  Axe,  um  welche  er  sich  windet.) 

h)  Hin-  und  hergebogen  (c.  flexuosus),  wie  bei  Solanum Dulcamara. 

i)  Geneigt  (c.  cernuus),  mit  der  Spitze  gegen  den  Horizont  geneigt, 
wie  bei  Anemone  Pulsatilla. 

k)  Nickend,  überhangend  (c.  nutans),  mit  der  Spitze  herabgeneigt, 
wie  bei  Anemone  pratensis. 

1)  Hängend  (c.  pendulus),  herabhängend,  wie  bei  Linaria  Cymbalaria. 

B.  Nach  der  Verästelung: 

a)  Einfach  (c.   simplex),   unverzweigt,  wie  bei  der  Lilie  und  Tulpe. 

b)  Ästig  (c.  ramosus)  wie  bei  der  Rose. 

c)  Sparrig  (c.  squarrosus),  wenn  die  Äste  nach  allen  Richtungen 
hin  auseinander  weichen,  wie  bei  der  Eiche. 

d)  Gedrungen  (c.  coarctatus),  wenn  die  Verzweigungen  dicht  zu- 
sammengedrängt sind,  wie  beim  Sadebaum. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  23 


—    354     - 

e)  .Gabelästig  (c.  dichotoruus),  wenn  der  Stengel  sich  wiederholt  in 
zwei  Äste  teilt,  wie  bei  der  Mistel. 

C.  Nach  dem  Durchschnitt: 

a)  Stiel  rund  (c.  teres),  wie  bei  Mistel,  Schierling. 

b)  Zweischneidig  (c.  anceps),  wie  bei  Hypericum  perforatum. 

c)  Kantig  (c.  angulatus),  und  zwar  dreikantig  (c.  triangularis, 
trigonus)  oder,  bei  scharfen  Kanten  und  konvexen  Flächen,  dreischnei- 
dig (triquater),  wie  bei  Carex;  vierkantig  (c.  quadrangulus, 
tetragonus),  wie  bei  Galeopsis,  Gratiola,  Lamium  u.  a. 

d)  Gerillt  (c.  striatus)  mit  oberflächlichen  Längslinien  versehen. 

e)  Gefurcht  (c.  sulcatus),  mit  tieferen  Längsstreifen. 

2.  Die  Hauptwurzel  kann  sein: 

A.  Nach  der  Gestalt: 

a)  Fadenförmig  (radix  filiformis),  wie  der  Polygala  amara. 

b)  "Walzenförmig  (r.  cylindrica),  ziemlich  gleich  dick,  wie  die 
Hauhechel-,  Enzian-,  Kletten-,  Pimpinell-,  Süssholz-,  Löwenzahnwurzel  u.  a. 
(Fig.  91).  Die  Senegawurzel  (Fig.  92)  ist  walzenförmig  und  gewunden 
(r.  voluta);  die  Brechwurzel  (Rad.  Ipecacuanhae,  Fig.  93)  ist  hin  und 
her  gebogen  (r.  flexuosa)  und  geringelt  (r.  annulata). 

c)  Spindelförmig  (r.  fusiformis),  kegelig  spitz  zulaufend,  wie  bei 
der  Möhre  (Fig.  94). 

d)  Knollig  (r.  tuberosa),  wie  die  weisse  Rübe  (Fig.  95). 

B.  Nach  der  Verästelung  und  Ausdehnung: 

a)  Einfach  (r.  simplex),  unverzweigt,  z.  B.  die  Bertram wurzel. 

b)  Ästig  (r.  ramosa),  z.  B.  Angelikawurzel.  Ist  die  Verzweigung  nur 
schwach,  so  sagt  man  fast  einfach  (r.  subsimplex). 

c)  Sehr  verlängert  (r.  praelonga,  longissima),  z.  B.  Süssholz, 
Enzianwurzel. 

d)  Abgebissen  (r.  praemorsa),  wenn  kurz  und  dick. 

e)  Vielköpfig  (r.  multiceps),  wenn  das  obere  Ende  durch  die  abge- 
storbenen jährlichen  Stengel  vielknotig  ist,  wie  bei  der  Senegawurzel  (Fig.  92.) 

C.  Nach  der  Oberfläche  und  dem  Durchschnitt: 

a)  Stielrund  (r.  teres),  mit  kreisförmigem  Querschnitt,  z.B.  SeifenwurzeL 

b)  Längsfurchig  (r.  sulcata),  z.  B.  Hauhechelwurzel. 

c)  Gestreift  (r.  striata)  mit  feinen  Längsstreifen,  z.B.  Belladonnawurzel. 

d)  Gerin  gelt  (r.  annulata),  mit  Querringen  versehen,  z.  B.  Brechwurzeh 

e)  Runzelig  (r.  rugosa),  wie  das  Süssholz. 

3.  Der  Wurzelstock  kann  sein: 

a)  Walzenförmig  (rhizoma  cylindricum)  und  mit  Nebenwurzeln 
besetzt,  wie  die  Wohlverleihwurzel  (Fig.  97),  Kalmuswurzel  u.  a.  Die 
virginische  Schlangenwurzel  ist   dabei  hin-  und  hergebogen  (flexuosum). 

b)  Vierkantig  (rh.  tetragonum  s.  quadrangulum),  wie  die  Hasel- 
wurzel. 

c)  Verdickt  (rh.  incrassatum)  oder  knollig  (tuberosum),  wie  die 
Baldrianwurzel  (Fig.  99);  man  nennt  ihn  dann  Knollstock  (cormus). 

d)  Kegelig  (rh.  conicum),  wie  die  weisse  Nieswurz  (Fig.  98.) 

e)  Gegliedert  (rh.  artieulatum),  wobei  jedes  Glied  einen  Jahres- 
trieb darstellt,  wie  bei  Rhizoma.  Iridis. 

f)  Zusammengedrückt  (rh.  compressum),  wie  bei  der  Meisterwurzel. 

g)  Kriechend  (rh.  repens),  mit  entfernten  Knoten,  aus  denen  Wurzel- 
fasern und  Blattscheiden  entspringen,  wie  bei  der  Quecke  und  Sandseerge 
(Mg.  89).  g  *  gg 


355 


Fig.  91.  Fig.  92.  Fig.  93. 

Walzenförmige  Wurzel.  Gewundene  Wurzel.  Geringelte  Wurzel. 


Fig.  94.  Fig.  95. 

Spindelige  Wurzel.     Rübenförmige  Wurzel. 


Fig.  96. 
Faserige  Wurzel. 


Fig.  97.  Fig.  98.  Fig.  99. 

Walzenförmiger  Wurzelstock.         Kegeliger  Wurzelstock.   Knolliger  Wurzelstock. 


23* 


—    356    — 
2,  Die  Knospen,  Zwiebeln  und  Knollen. 

§  336.  Wie  unterscheidet  man  die  Knospen?  DieKnospe(gemma) 
wird  aus  einem  verkürzten  Axenteil  gebildet,  welcher  dicht  be- 
setzt ist  von  Blattansätzen;  aussen  umschliesseu  sie  häutige 
Schuppen,  sog.  Knospendecken  (tegmenta).  Die  Knospe  be- 
zweckt die  Vermehrung  des  Gewächses  durch  Sprossung,  auf  unge- 
schlechtlichem Wege,  wobei  man  wohl  berücksichtigen  muss,  dass 
ein  Baum,  welcher  zur  Frübjahrszeit  durch  Knospenbildung  sich 
vergrössert,  als  eine  mehr  oder  weniger  grosse  Gruppe  von  Indi- 
viduen anzusehen  ist,  mit  gemeinsamer  Wurzel  —  insofern  immer- 
hin jede  Knospe  unter  günstigen  Umständen  auch  zur  selbst- 
ständigen Pflanze  auswachsen  kann. 

Die  Knospen  entwickeln  sich  teils  in  den  Blattwinkeln  — 
achselständige  Knospen  (gemmae  axillares);  teils  an  den  Zweig- 
enden —  endständige  Knospen  (g.  terminales) ;  zuweilen  an  un- 
bestimmten Stellen  des  Stammes  —  Beiknospen  (g.  adventivae), 
aber  stets  aus  dem  Stamme  oder  dessen  Yerzweigungen. 

Die  Wurzel  treibt  niemals  Knospen;  die  sog.  Wurzel- 
knospen sind  stets  Rhizomknospen. 

Entwickelt  sich  die  Knospe  zu  einem  beblätterten  Zweige, 
so  nennt  man  sie  Blattknospe,  erzeugt  sie  eine  Blüte,  so  heisst 
sie  Blütenknospe.  Eine  besondere  Modifikation  d  er  Blattknospe 
ist  die  bei  der  Kiefer  im  Erühling  erscheinende  sog.  Sprosse 
(turio):  dieselbe  wächst  nämlich  zu  einem  mit  Schuppen  bedeckten 
Triebe  aus  und  entwickelt  dann  später  aus  den  Achseln  der  Schup- 
pen die  Nadelbüschel.  Die  Narben  der  später  abfallenden  Schup- 
pen bleiben  am  Aste  sichtbar. 

§  337.  Worauf  beruht  das  Pfropfen,  Okulieren  und  die  Vermehrung 
durch  Stecklinge  und  Schösslinge?  Die  ungeschlechtliche  Vermehrung 
mittelst  der  Knospen  setzt  nicht  allein,  wie  die  Fortpflanzung 
durch  Samen,  die  Pflanze  als  Art  (Spezies)  fort,  sondern  begabt 
sie  auch  mit  allen  individuellen  Eigentümlichkeiten  der  Mutter- 
pflanze. Samen  kultivierter  Kirschenarten  erzeugen  beim  Keimen 
Wildlinge  der  Kirsche ,  indem  sie  die  Kirsche  nur  als  Art  fort- 
pflanzen ;  pfropft  man  aber  das  Reis  einer  veredelten  Kirsche  auf 
diesen  Wildling,  so  wächst  es  zu  derselben  edlen  Abart  aus. 

Samen  pflanzen  nur  allgemein  die  Art,  Knospen  dagegen  die 
Varietäten  (Abarten)  fort. 

Nachdem  im  Frühling  dem  Wildling  alle  eigenen  Knospen 
abgeschnitten,  erteilt  man  ihm  entweder  durch  Okulieren  oder 
durch  Pfropfen  Knospen  veredelter  Abarten.  Das  Okulieren 
geschieht  durch  Knospen,  das  Pfropfen  durch  Edel- 
reiser, d.  i.  Zweige   der  edlen  "Varietät.    Man  verfährt  beim 


357    — 


Okulieren  in  der  Weise,  dass  man  die  Knospe  mit  der  sie  um- 
gebenden Rinde  und  dem  Stützblatte  von  der  edlen  Pflanze  ab- 
löst, in  eine  T-  förmige  Spalte  des  Wildlings  einschiebt  und  wohl 
verbindet  (Okulieren  auf  das  treibende  Auge).  Thut  man  dies 
im  Herbst,  dann  nimmt  man  dem  Wildling  erst  im  kommenden 
Frühjahr  die  eigenen  Augen  (Okulieren  auf  das  schlafende  Auge).  — 
Beim  Pfropfen  schiebt  man  ein  unten  zugespitztes  Edelreis  in 
eine  Spalte  des  Wildlings,  so  dass  Splint  auf  Splint  kommt,  und 
verbindet  das  Ganze. 

Stecklinge  sind  abgeschnittene  Edelreiser,  welche  einfach 
in  die  Erde  gesteckt  werden,  um  zu  neuen  Gewächsen  heran- 
zuwachsen, nach  unten  Wurzel  zu  treiben,  nach  oben  sich  zum 
Stamme  zu  entwickeln.  So  verfährt  man  bei  der  Anpflanzung 
von  Weinreben.  Biegt  man  die  Zweige,  bevor  man  sie  ab- 
schneidet, zum  Boden  herab,  sodass  ihre  Spitze  aus  der  Erde 
wieder  hervorragt,  und  lässt  sie  aus  einer  verwundeten  Stelle 
Wurzeln  treiben,  so  nennt  man  dies  Yermehrung  durch  Ab- 
leger, Absenker.     Man  benutzt  sie  bei  Rosen  u.  a. 

Schösslinge,  Ausläufer  (sarmenta,  stolones),  ent- 
stehen bei  gewissen  Pflanzenarten,  z.  B.  bei  der  Erdbeere,  Him- 
beere, Brombeere,  Märzveilchen,  indem  Knospen  des  Wurzelstocks 
(Rhizomknospen)  zu  Zweigen  auswachsen,  welche  über  die  Erde 
hinkriechen,  von  Stelle  zu  Stelle  Wurzeln  schlagen  und  aufwärts 
Blätter  und  Zweige  treiben.  (Fig.  99.)  Hierdurch  entstehen  neue 
Individuen,  anfangs  noch  in  Yerbindung  mit  der  Mutterpflanze, 
später  aber  sich  loslösend  von  derselben.  Man  benutzt  sie  eben- 
falls zur  Yermehrung  edler  Yarietäten. 

§  338.  Was  sind  Zwiebeln?  Die  Zwie- 
bel (bulbus)  ist  eine  fleischige 
Knospe,  bestehend  aus  einem  plattge- 
drückten Axenteile,  dem  sog.  Zwiebel- 
kuchen  (Fig.  100b),  welcher  nach  unten 
Wurzeln  treibt,  nach  oben  zu  aber  mit 
fleischigen  Blattansätzen,  den  Zwiebel- 
schalen, besetzt  ist. 

Die  Zwiebeln  bilden  sich  gewöhnlich 
unterirdisch,  als  Rhizomknospen,  indem 
a  sie  in  den  Achseln  der  Schalen  der  Mutter- 
--j,  zwiebel  sich  entwickeln,  als  Brutzwiebeln 
(Fig.  100  a).  Bei  zahlreichen  Gewächsen, 
z.  B.  den  Lilien,  Tulpen  und  Laucharten, 
ist  diese  Yermehrung  die  gewöhnliche  und 
überwiegt  die  Fortpflanzung  durch  Samen 
bedeutend.  Die  fleischigsaftige  Beschaffen- 
heit der  Zwiebelschalen  setzt  die  Zwiebel 


Fig.  100. 


—     358     - 

in  den  Stand,  losgelöst  von  der  Mutterzwiebel  längere  Zeit  fort- 
znvegetieren  (zu  überwintern)  und  im  Frühling  selbständig  Wurzel- 
zasern  und  einen  beblätterten  Stengel  zu  treiben.  Demnach  sind 
die  Zwiebelgewächse  einjährige  Pflanzen,  welche  aber  durch  die 
alljährliche  Neubildung  von  Zwiebeln  ausdauernd  erscheinen. 

Wenn  sich  der  Zwiebelkuchen  knollig  verdickt,  so  nennt 
man  die  Zwiebel  eine  Zwiebelknolle  (bulbotuber),  wie  wir 
sie  bei  der  Herbstzeitlose  finden  (Fig.  101).  Die  Schalen  treten 
dann  gegen  den  knolligen  Kuchen  sehr  zurück 
und  bleiben  gewöhnlich  auf  wenige  Zwiebel- 
decken reduziert.  Bei  der  Zeitlosen-Zwiebelknolle 
entsteht  die  junge  Zwiebel  im  Sommer,  seitlich 
an  der  Mutterzwiebel,  in  einer  Einne,  treibt  im 
Herbst  eine  Blüte  und  im  darauffolgenden 
Frühling  einen  beblätterten  Stengel  mit  Frucht, 
worauf  sie  im  Sommer  in  seitlicher  Rinne  eine 
neue  Brutzwiebel  erzeugt,  welche  denselben 
Lebenslauf  beginnt.  Im  Herbst  ausgegrabene 
Zwiebelknollen  der  Zeitlose  zeigen  daher  eine  seitliche  Rinne,  im 
Frühling  ausgegrabene  nicht.  Die  alte  Zwiebelknolle  welkt  all- 
mählich ein,  bleibt  aber  zunächst  noch  mit  der  neuen  von  einer 
Schale  umschlossen. 

Zuweilen  entwickeln  sich  Zwiebeln  am  oberirdischen  Stengel, 
wie  bei  der  Feuerlilie  und  beim  Zahnwurz  (Dentaria  bulbifera) 
in  den  Blattachseln,  beim  Knoblauch  sogar  an  Stelle  der  Früchte. 
Man  nennt  solche  oberirdische  Zwiebeln  Zwiebelknospen. 
Sie  trennen  sich  im  Herbst  von  der  Mutterpflanze  los  und  ent- 
wickeln im  nächsten  Frühling  im  Erdboden  eine  neue  Pflanze. 

§  339.  Was  sind  Knollen?  Knollen  (tubera)  sind  an  sich 
keine  Knospen,  sondern  knollig  verdickte,  fleischige  Wur- 
zelstöcke oder  Äste  derselben,  welche  eine  oder 
mehrere  Knospen  —  sog.  Augen  —  tragen.  Blattansätze 
fehlen  den  Knollen  gänzlich,  wodurch  sie  sie  sich  von  den 
Zwiebelknollen  (Zwiebeln  mit  knolligem  Zwiebelkuchen)  unter- 
scheiden. 

Bei  der  Kartoffelpflanze  entwickeln  sich  die  Knollen  an  den 
Enden  der  untersten  Stengel-Äste,  welche  sich  noch  im  Erdreiche 
befinden.  Diese  Knollen  —  die  bekannten  Kartoffeln  —  tragen 
an  verschiedenen  Orten  ihrer  Oberfläche  mehrere  Knospen,  die 
man  im  gewöhnlichen  Leben  Augen  nennt.  Gelangt  die  Kartoffel 
im  folgenden  Frühling  in  den  Erdboden,  so  dient  sie  den  aus- 
wachsenden Knospen  zur  Nahrung  und  wird  resorbiert,  während 
jedes  „Auge"  zu  einer  neuen  Kartoffelpflanze  auswächst.  Beim 
Lagern  im  Keller  finden  wir  um  dieselbe  Zeit   „ausgewachsene" 


—     359    — 

Kartoffeln,  deren  Augen  Stengel  treiben,  welche  wegen  des  Licht- 
mangels Mass  gefärbt  sind. 

Bei  den  übrigen  Knollengewächsen ,  z.  B.  den  Orchis- Arten, 
(Fig.  102  und  103)  beim  Sturmhut  (Aconitum  Napellus)  u.  a.,  ent- 
wickeln sich  die  Knollen  am  Grunde  des  Stengels,  neben  der  alten 
Knolle,  und  wachsen  im  folgenden  Jahre  zu  einer  neuen  Pflanze 


Fig.  102. 
Kugelige  Knollen. 


Fig.  103. 
Handförniige  Knollen. 


aus.  Demnach  sind  die  Knollengewächse,  ähnlich  den  Zwiebelge- 
wächsen, von  einjähriger  Dauer,  erscheinen  aber  ausdauernd,  weil 
jedes  Jahr  neben  der  alten  Pflanze  eine  neue  erscheint.  In  der 
Regel  findet  man  die  Knollen  zu  zwei  zusammenhängend,  deren  eine 
die  neue,  deren  andere  die  vorjährige  darstellt,  jene  frisch,  prall, 
dicht  —  diese  halb  verwelkt,  leicht,  mehr  oder  weniger  zu- 
sammengeschrumpft. 


3.  Das  Blatt. 


§  340.  Wie  bezeichnet  man  das  Blatt  nach  seinem  Stande?  Die 
Blätter  (folia)  sind  seitliche  Ausbreitungen  des 
Stammes,  aus  welchem  sie  heraustreten.  Nach  dem  Stande 
ihres  Ursprungs  bezeichnet  man  sie  als: 

a)  "Wurzelblätter  (f.  radicalia),  wenn  sie  aus  dem 
"Wurzelstocke  oder  dem  untersten,  noch  unter  dem  Erdboden  be- 
findlichen Stammteile  heraustreten. 

b)  Stengel-  oder  Laubblätter  (f.  caulina),  wenn  sie 
am  oberirdischen  Stengel  stehen. 

c)  Nebenblätter  (stipulae),  wenn  sie  zu  beiden  Seiten 
des  Blattstiels  eines  Blattes  aus  dem  Stengel  entspringen,  wie 
bei  der  Erbse  (Fig.  104),  bei  der  sie  an  Grösse  das  eigentliche 
Blatt  bedeutend  übertreffen,  bei  der  Rose  (Fig.  105),  wo  sie  dem 
Blattstiele  angewachsen    sind,   bei  den  Knöterichgewächsen  (Fig. 


-     360    — 

107),  wo  sie  um  den  Stengel  zu  einer  Scheide,  der  sog.  Tute 
(ochrea),  verschmelzen. 

d)  Deckblätter  (bracteae),  wenn  sie  die  Blüten  unter- 
stützen und  in  der  Form  von  den  Stengelblättern  abweichen. 
Bei  der  Linde  finden  wir  das  Deckblatt  mit  dem  Blütenstiel  zur 
Hälfte  verwachsen. 

Stehen  die  Deckblätter  in  einem  Kreise  rings  um  den  Stengel, 
so  bilden  sie  eine  Blütenhülle  (involucrum),  wie  wir  sie 
bei  der  Möhre  (Fig.  110)  sehen;  verwachsen  sie  aber  zu  einer 
Scheide,  so  nennen  wir  sie  Blütenscheide  (spat ha),  z.  B. 
bei  der  Calla  (Fig.  109),  beim  Aron,  Lauch  u.  a. 

§  341.  Welches  sind  die  Teile  des  Blattes?  Man  unterscheidet 
am  Blatte  den  Blattstiel  (p  etiolus)  und  die  Blattspreite 
oder  Blattfläch  e  (lamina).  Ist  jener  sehr  verkürzt,  so  nennt 
man  das  Blatt  sitzend  (f.  sessile),  im  Gegensatze  zum  ge- 
stielten Blatte  (f.  petiolatum).*) 

Der  Blattstiel  ist  dem  Stamme  entweder  durch  ein  Glied 
eingelenkt  (petiolus  articulatione  insertus),  oder  in  ununter- 
brochener Verbindung  mit  ihm  (p.  continuus) ;  im  ersteren  Falle 
löst  er  sich  beim  Abwelken  des  Blattes  ab,  wie  dies  bei  den  Wal- 
nussblättern  der  Fall  ist. 

Verbreitert  sich  der  Blattstiel  zu  einer  den  Stengel  mehr 
oder  minder  umschliessenden  Röhre,  so  bildet  er  eine  Blatt- 
scheide (vagina),  welche  wir  besonders  bei  den  Doldenge- 
wächsen (Fig.  106)  und  Gräsern  (Fig.  108)  finden.  Bei  den 
Gräsern  erscheint  an  der  Stelle,  wo  die  Blattscheide  (a)  in  die 
Blattfläche  (d)  übergeht,  ein  blasses,  dünnes  Häutchen,  das  sogen. 
Blatthäutchen  oder  Blattzüngelchen  (ligula),  Fig.  108b. 

§  342.  Nervatur  des  Blattes.  Die  Blattfläche  wird  von  den 
Blattrippen  oder  Blattn  erven  (nervi)  durchzogen,  welche 
die  Fortsetzung  des  Blattstiels  darstellen  und  die  Blattsubstanz 
zwischen  sich  aufnehmen.  Je  nach  dem  Verlaufe  dieser  Nerven 
unterscheidet  man  eine  vierfache  Nervatur  des  Blattes: 

1.  Beim  parallelnervigen  Blatt  (f.  parallelinervium), 
Fig.  114,  treten  alle  Nerven  nebeneinander  in  die  Blattfläche 
ein  und  verlaufen  unverzweigt  bis  zur  Spitze.  Solche  finden 
wir  bei  den  Gräsern,  Lilien  u.  a.  m. 

2.  Beim  handnervigen  Blatt  (f.  palmatinervium),  Fig. 
126—128,  treten  3,  5  oder  7  Nerven  zugleich  in  die  Blattfläche 
und  verzweigen  sich  in  ihrem  Verlaufe  beiderseitig.  So  beim 
Epheu,  Weinstock,  Ahorn,  Sturmhut  u.  a. 


*)  nicht  folium  stipitaturn! 


361 


£\>v 


Fig.  105. 
Angewachsene  Nebenblätter. 


Fig.  104.  Freie  Nebenblätter. 


m ) 


Eig.  106.  Blattscheide. 


Fig.  107.  Tute.      Fig.  108.  a  Elatt,  b  BlatthäutohBn, 
c  Knoten,  d  Blattspreite. 


Fig.  109.  Blutenscheide. 


Fig.  110.  Hülle  und  Hüllchen. 


—     362     — 

3.  Beim  fussnervigen  Blatt  (f.  pedatinervium),  Fig.  129, 
treten  am  Grunde  zwei  Nerven  in  die  Blattfläche  ein,  nach  zwei 
entgegengesetzten  Richtungen  auseinanderweichend,  und  senden 
nach  vorn  Seitennerven  aus.     So  beim  Nieswurz  (Helleborus). 

4.  Beim  fiedernervigen  Blatt  (f.  pinnatinervium),  Fig. 
111 — 113,  durchzieht  ein  Mittelnerv  die  Blattfläche  und  schickt 
nach  beiden  Seiten  hin  Seitennerven  aus. 

Wenn  die  Nerven  Verästelungen  —  Adern  (venae)  —  ein 
feines  Netz  bilden,  so  nennt  man  das  Blatt  netzadrig  (f.  reti- 
culatum),  wie  bei  Fig.  115. 

Terminologie  des  Blattes. 

A.  Die  Blattform. 

1.  In  Bezug  auf  den  Umfang  kann  das  Blatt  sein: 

a)  Kreisrund  (folium  rotundum),  wie  Fig.  111. 

b)  Oval  oder  elliptisch  (f.  ovale,  ellip ticum),  halbmal  länger 
als  breit,  wie  die  Salbeiblätter.  Ist  das  Blatt  dabei  nach  dem  Grunde  zu 
breiter,  so  heisst  es  eiförmig  (f.  ovatum),  wie  Fig.  112. 

c)  Länglich  (oblongu m),  zwei-  bis  dreimal  länger  als  breit,  wie  die 
Pomeranzen-  und  Pfefferminz  blätter. 

d)  Lanzettlich  (lanceolatum).  Fig.  113,  vier-  bis  fünfmal  länger 
als  breit,  wie  die  Ligusterblätter. 

e)  Lineal  (lineare),    Fig.  114,  lang  und  schmal,  wie  die  Grasblätter. 

f)  Verkehrteiförmig  (obovatum),  Fig.  115,  nach  vorn  breiter, 
wie  die  Bärentraubenblätter. 

g)  Eckig  (angulatum)  und  zwar :  dreieckig  (trianguläre,  de  1- 
toideum),  Fig.  114;  viereckig,  rautenförmig  (rhomboideum)  etc. 

h)  Spateiförmig  (spathulatum),  Fig.  116,  aus  breiter  Spitze  nach 
dem  Grunde  zu  plötzlich  verschmälert. 

i)  Keilförmig  (cuneatum),  Fig.  117,  wie  bei  der  Rosskastanie, 
k)  Schwertförmig  (ensi forme),  wie  die  Blätter  der  Schwertlilie. 

2.  In  Bezug  auf  den  Blattgrund: 

a)  Abgerundet  (basi  rotundatum),  Fig.  102. 

b)  In  den  Blattstiel  verschmälert  (in  petiolum  attenua- 
tum),  Fig.  116.  wie  die  Fingerhutblätter. 

c)  Herzförmig  (cordatum),  mit  herzförmiger  Bucht  und  abgerundeten 
Lappen,  wie  die  Lindenblätter  Fig.  120,  sowie  Fig.  123. 

d)  Nieren  förmig  (renatum,  reni  forme),  Fig.  121,  mit  abge- 
rundeten Lappen  und  tiefer,  abgerundeter  Bucht,  wie  die  Haselwurzblätter. 

e)  Pfeilförmig  (sagittatum),  Fig.  119,  mit  spitzen,  nach  hinten 
gerichteten  Lappen,  wie  die  Sauerampferblätter. 

f)  Spiessförmig  (hastatum),  mit  spitzen,  seitlich  gerichteten  Lappen, 
wie  die  Aronbiätter. 

g)  Schief  (obliquum)  oder  ungleichhälftig  (dimidiatum), 
Fig.  120,  wenn  die  eine  Blatthälfte  mehr  ausgebildet  ist  als  die  andere, 
wie  die  Ulmen-  und  Lindenblätter. 

h)  Halbherzförmig  (semicordatum),  halb  spiessförmig 
(semihastatum),  halbpf eilförmig  (semisagitt atum),  wenn  nur 
eine  Blatthälfte  jene  Ausbildung  hat. 

3.  In  Bezug  auf  die  Blattspitze: 

a)  Stumpf  (ob t us um),  wie  die  Salbeiblätter,  Fig.  125. 


363 


X    m 


Fig.  113. 
Fig.  111.  Bundes  Bl.  Fig.  112.  Eiförmiges  Bl.    Lanzettliches  Bl. 


Fig.  114. 
Lineales  Blatt. 


Fig.  116.     Fig.  H7.Keilfg.  Bl.         Fig.  118.  Dreieckiges  Bl.  Fig.  119.  Pfeilfg.  Bl. 

Spatelfg.  Bl. 


Fig.  120.  Herzförmiges  Bl. 


Fig.  121.  Nierenföriniges  Bl. 


—     364    — 

b)  Abgerundet  (apice  rotundatum)  wie  die  Bärentraubenblätter,. 
Fig.  115. 

c)  Ausgerandet  (emarginatu m),  an  der  Spitze  sanft  ausgebuchtet, 
wie  die  Blumenblätter  der  Rose;  ist  der  Einschnitt  spitz,  so  heisst  das 
Blatt  verkehrt  herzförmig  (obcordatum),  wie  beim  Sauerklee. 

d)  Spitz  (acutum),  wie  die  Buchenblätter,  Fig.  112. 

e)  Zugespitzt  (acuminatu m),  mit  vorgezogener  Spitze ,  wie  die 
Blätter  der  Rosskastanie,  Fig.  117. 

f)  Bespitzelt,  stachelspitzig  (apiculatum,  mucronatum), 
wenn  einem  stumpfen  Blatte  ein  Kraut-  resp.  Stachelspitzchen  aufgesetzt  ist. 

4.  In  Bezug  auf  den  Blattrand: 

a)  Ganzrandig  (integerrimum),  Fig.  111,  113,  114,  115,  119,  122, 
ohne  alle  Einschnitte ,  wie  die  Tollkirschen- ,  Pomeranzen-,  Bärentrauben- 
blätter. 

b)  Gekerbt  (er  e  na  tum),  Fig.  123,  mit  kurzen,  abgerundeten  Zacken 
zwischen  spitzen  Einschnitten,  wie  die  Malvenblätter,  und  zwar:  feinge- 
kerbt (crenulatum)  und  grobgekerbt  (grosse  crenatum). 

c)  Gezähnt  (dentatu  m),  Fig.  124,  mit  kurzen,  spitzen  Zacken  zwischen 
gerundeten  Einschnitten,  wie  die  Huflattig-  und  Eibischblätter.  F  e  i  n  g  e  - 
zahnt  (denticulatum)  und  grob  gezähnt  (grosse  dentatum). 

d)  Gesägt  (serratum),  Fig.  125,  mit  kurzen,  spitzen  Zacken  zwischen 
spitzen  Einschnitten,  wie  die  Pfefferminz-  und  Lindenblätter,  und  zwar:  f  ein- 
gesägt  (serrulatum),  grobgesägt  (grosse  serratum),  doppelt 
gesägt  (biserratum),  wenn  die  Sägezähne  abermals  gesägt  sind. 

e)  Buchtig  (sinuatu  m),  durch  abgerundete  Einschnitte  ausgebuchtet, 
wie  die  Eichenblätter.  Wenn  dabei  die  Ausschnitte  spitz  sind,  so  heisst 
das  Blatt  buchtig  gezähnt  (sinuato- dentatum),  Fig.  118. 

f)  Wellig  (undulatum)  und  in  höherem  Grade  kraus  (crispum), 
wie  die  Krauseminzblätter. 

5.  In  Bezug  auf  die  Blatt-Teilung: 

a)  Ungeteilt  (integrum),  ohne  tiefer  gehende  Einschnitte,  wobei  der 
Blattrand  alle  Modifikationen  zeigen  kann.     Fig.  111 — 125. 

b)  Gelappt  (lobatum),  mit  breiten,  stumpfen,  nicht  über  die  Mitte 
der  Blattfläche  einschneidenden  Zipfeln,  wie  die  Wein-,  Epheu-  und  Malven- 
blätter, Fig.  126.  —  Man  unterscheidet:  zweilappig  (bilobum),  drei- 
lappig (trilobum);  f'ünflappig  (quinquelobum),  wie  beim  Epheu; 
siebenlappig  (septemlobum);  im  allgemeinen  handlappig  (palma- 
tilobum),  wie  das  Malvenblatt,  Fig  126. 

c)  Gespalten  (fissum),  mit  schmalen  und  spitzen ,  bis  zur  Mitte 
einschneidenden  Zipfeln.  —  Man  unterscheidet:  handspaltig  (palma- 
tifidum),  Fig.  127,  wie  die  Blätter  der  Ricinusstaude  und  fieder- 
sp altig  (pinnatifidum),  wie  die  Blätter  vom  Giftlattich.  Wiederholt 
sich  bei  den  Zipfeln  die  Teilung,  so  ist  das  Blatt  ein  doppelt  fieder- 
spaltiges  (bipinnatifidum),  wie  bei  Papaver  Rhoeas.  Sind  die  Zipfel 
abwärts  gerichtet,  wie  beim  Blatt  vom  Taraxacum,  so  nennt  man  es  ein 
schrotsägezäh niges  (runcinatu m). 

d)  Geteilt  (partitum),  wenn  die  Teilung  bis  nahe  zum  Grunde  resp. 
Mittelnerv  reicht,  so  dass  die  Zipfel  nur  durch  einen  schmalen  Streifen 
Blattsubstanz  zusammenhängen.  —  Man  unterscheidet :  handteilig(pal- 
matipartitum),  Fig.  128,  wie  das  Blatt  des  Sturmhuts,  fussteilig(pe- 
datip  artitum),  Fig.  129,  wie  die  Blätter  der  Nieswurz;  fiederteilig 
(pinnatipartitum),  wie  das  Blatt  von  Brassica  nigra,  welches  man, 
da  der  Endzipfel  viel  grösser  ist  als  die  seitlichen,  1  ei  er  förmig  fieder- 


365 


Fig.  122.  Fig.  123- 

Ganzrandig.  Blatt.      Gekerbtes  Blatt. 


Fig.  124. 
Gezähntes  Blatt. 


Fig.  125. 
Gesägtes  Blatt. 


Fig.  126.  Gelapptes  Blatt. 


Fig.  127.  Handspaltiges  Blatt. 


Fig.  128.  Handteiliges  Blatt. 


Fig.  129.  Fussteiliges  Blatt. 


—     366     — 

teilig  (lyratipartitum)  nennt.  Wenn  die  Fiederteilung  sich  ein- 
oder  zweimal  wiederholt,  so  sagt  man  doppelt  fiederteilig  (bipinna- 
tipartitum),  drei  fach  fiederteilig  (tripinnatipartitum),  wie 
die  Blätter  des  Wermuts  und  Schierlings. 

e)  Zusammengesetzt  (compositum),  wenn  das  Blatt  aus  völlig 
getrennten  Teilblättchen  (foliola)  besteht ,  deren  Blattstielchen 
(petioluli)  aus  der  gemeinsamen  Spindel  (petiolus  communis)  entspringen. 
Wir  sehen  dies  bei  den  Blättern  des  Klees,  der  Rosskastanie,  Rose,  Brom- 
beere u.  a.  m.  Mit  Rücksicht  auf  die  Nervatur  bezeichnet  man  das  zu- 
sammengesetzte Blatt: 

a)  Bandförmig  (palmatum),  wenn  die  Teilblättchen  alle  aus  einem 
Punkte  entspringen.  Man  zählt  die  Blättchen :  dreizählig  (ternatum), 
wie  beim  Klee  (Fig.  130),  fünf  zählig  (quinatum),  wie  beim  „  wilden" 
Wein  (Ampelopsis  hederacea) ;  bei  fünf  und  mehr  Blättchen ,  wie  bei 
Rosskastanie  und  Hanf  (Fig.  131),  gebraucht  man  den  Ausdruck  gefingert 
(digitatum);  dopp eldr  eizählig  (biternatum)  bei  Akelei  und 
Aegopodium  Podagraria  (Fig.  132),  wenn  die  Teilung  sich  wiederholt. 

ß)  Gefiedert  (pinnatum) ,  bei  Fieder  -  Nervatur ,  wie  bei  der  Rose, 
Robinia  Pseud-Acacia  (Fig.  133).  Bei  abwechselnd  grösseren  und  kleineren 
Blättchen:  unterbrochen  gefiedert  (interrupte  p.),  wie  die  Blätter 
der  Kartoffel.  Bei  wiederholter  Teilung:  doppelt  gefiedert  (bipinna- 
tum),  wie  bei  der  Mimose  (Fig.  134)  und  dreifach  gefiedert  (tri- 
pinnatum),  wie  Fig.  135.  —  Endet  der  gemeinsame  Blattstiel  in  eine 
Spitze,  so  nennt  man  das  Blatt  paarig  gefiedert  (pari  pinnatum), 
Fig.  134,  läuft  er  aber  in  ein  Endblättchen  (folium  terminale)  aus,  so 
heisst  das  Blatt  unpaarig  gefiedert  (impari  pinnatum),  Fig.  133, 
135,  und,  sofern  das  Endblättchen  die  seitlichen  an  Grösse  bedeutend  über- 
ragt, leierförmig   (lyratum),  wie  bei  Geum  urbanum. 

B.  Anlieft  ung  und  Stellung  des  Blattes. 

1.  In  Bezug  auf  die  Anheftung  kann  das  Blatt  sein: 

a)  Gestielt  (folium  petiolatum),  mit  einem  Blattstiel  versehen. 

b)  Schildstielig  (f.  peltatum),  Fig.  136,  wenn  der  Blattstiel  nicht 
an  den  Rand,  sondern  mitten  in  die  Blattfläche  hineintritt,  wie  bei  der 
Kapuzinerkresse  (Tropaeolum  majus). 

c)  Sitzend  (f.  sessile),  ohne  Blattstiel. 

d)  Herablaufend  (decurrens),  wenn  der  Blattgrund  am  Stengel  sich 
herabzieht,  wie  bei  der  Wollblume,  Symphytum  officinale  u.  a.  Man  unter- 
scheidet: ganz  herablaufend  und  halb  herablaufend  (semidecurrens), 
jenachdem  das  Blatt  das  nächsttiefere  erreicht  oder  nicht. 

e)  Stengelumfassend  (f.  amplexicaule),  wenn  der  Blattgrund  um 
den  Stengel  herumreicht,  Fig,  139,  bei  nicht  völligem  Umfassen  halbum- 
fassend (f.  semiamplexicaule),  wie  die  Stengelblätter  von  Cochlearia 
officinalis. 

f)  Durchwachsen  (f.  perfoliatum),  wenn  der  Blattgrund  um  den 
Stengel  herum  zusammen  gewachsen  ist,  wie  Fig.  137,  oder  wenn  zwei 
gegenüberstehende  Blätter  um  den  Stengel  herum  mit  einander  verwachsen 
sind,  wie  die  Blätter  des  Geisblatts  (Lonicera  Caprifolium),  Fig.  138. 

2.  In    Beziehung    auf    die    Stellung   zu    einander  können  die 
Blätter  sein: 

a)  Abwechselnd,  wechselständig  (folia  alterna),  wenn  sie  in  un- 
gleicher Höhe  entspringen,  Fig.  140,  wie  beim  Schöllkraut,  Mohn. 

b)  Zerstreut    (f.    sparsa),  wenn    sie  rings  um  den  Stengel  ohne  be- 


367     — 


Kg.  130.  Dreizänliges  Bl.     Fig.  131.  Gefingertes  Bl.  Fig.  132.  Doppelt  dreizähliges  Bl. 


Fig.  134.  Doppeltgefiedertes  Bl. 


Fig.  135.  Dreifachgefiedertes  Bl. 


-     368     — 

sondere  Anordnung  dicht  gestellt  sind,  wie  beim  Leinkraut  (Linaria  vulg.), 
bei  Euphorbia  Cyparissias. 

c)  Gegenständig  (f.  opposita),  wenn  sie  zu  zweien  einander  in  gleicher 
Höhe  gegenüberstehen,  Fig.  141,  wie  beim  Geisblatt,  Tausendgüldenkraut, 
Gottesgnadenkraut  u.  a.  m. 

d)  Wirtelständig  (f.  verticillata),  wenn  sie  zu  3,  4  oder  mehr  in 
gleicher  Höhe  entspringen,  Fig.  142,  wie  beim  Labkraut,  Waldmeister  u.  a. 

e)  Büschelig  (f.  fasciculata),  wenn  sie  zu  2,  3  oder  mehreren  aus 
einem  Punkte  kommen,  wie  die  Nadeln  'der  Lärche,  Fig.  143. 

f)  Rosettig  (f.  rosulantia),  zu  vielen  stemartig  zusammengedrängt, 
wie  die  Wurzelblätter  von  Polygala  amara,  Sempervivum  u.  a. 

g)  Dachziegelig  (f.  imbricata),  sich  deckend,  wie  die  Ziegel  eines 
Daches,  wobei  die  Spitze  des  unteren  Blattes  die  Basis  des  oberen  bedeckt, 
wie  beim  Lebensbaum  (Thuja). 

C.  Konsistenz  und  Farbe  des  Blattes. 

1.  In  Bezug  auf  die  Konsistenz  kann  das  Blatt  sein: 

a)  Blattartig  (foliuni  foliaceum). 

b)  Papierartig  (f.  chartaceum),  dünn  und  grün. 

c)  Häutig  (f.  membranaceum),  dünn  und  blass. 

d)  Rauschend,  trockenhäutig  (f.  scariosum),  dünn,  blass  und 
starr,  wie  die  Hüllkelchblättchen  der  Immortelle. 

e)  Lederig  (f.  coriaceum),  wie  die  Lorbeerblätter. 

f)  Nadelig  (acerosum)  wie  die  Blätter  der  Tanne,  Fichte,  Lärche, 
Wacholder,  deren  Spitze  oft  stechend  (pungens)  ist. 

g)  Fleischig-saftig  (f.  succulentum,  succosum),  wie  beim  Mauer- 
pfeffer, dessen  Blatt  stielrund  (teres)  ist. 

2.  In  Bezug  auf  die  Farbe  kann  das  Blatt  sein: 

a)  Grün  (viride),  wie  die  Grasblätter. 

b)  Blaugrün,  graugrün,  meergrün  (glaucum),  wie  beim  Rosma- 
rin, die  Unterfiäche  der  Schöllkrautblätter ;  bei  Annäherung  an  diese  Farbe: 
blaugrünlich  (glaucescens). 

c)  Grau  (canum,  incanum,  canescens),  wie  beim  Wermut. 

d)  Glanzlos  (opacum). 

e)  Glänzend  (splendens),  wie  die  Kirschlorbeerblätter. 


4,  Die  Bekleidung  des  Pflanzenkörpers. 

§.  342.  Die  Haarbekleidung.  Die  Haare  (p  i  1  i) 
sind  sehr  verlängerte,  stielrunde  Fortsätze  der  Ober- 
haut, meist  unverzweigt  und  teils  gerade  verlaufend, 
teils  gekräuselt.  Zu  den  Kräuselhaaren  gehört  der 
Filz  (t o m e n t um)  und  die  W o  1 1  e  (1  a n a).  Stechende 
Haare  heissen  Borsten  (setae);  die  eigentlichen 
Brennhaare,  wie  wir  sie  bei  der  Brennessel  finden, 
sind  starre  Haare  mit  spröder  Spitze  und  einem  ätzen- 
den Safte  als  Inhalt,  welcher  sich  aus  der  bei  der  Be- 
rührung abbrechenden  Spitze  in  die  Wunde  ergiesst 
(Fig.  144  in  sehr  starker  Yergrösserung.)  Häufig 
Fig.  144.   tragen  die  Haare  eine  Drüse  in  Form  eines  Köpfchens, 


—    369     - 


Fig.  136.  Schildstielige  Blätter 


Fig.  137.  Durchwachsenes  Blatt. 


Fig.  141. 
Gegenständige  Blätter 


Fig.  142.  Fig.  143. 

WirtelBtändige  Blätter.         Büschelige  Blätter. 


Sc  hlickum,  Apothekerlehrling 


24 


—     370    — 

sog.  Drüsenhaare  (pili  glanduliferi),  wie  sie  auf  den 
Blütenstielen  der  Centifolienrose  deutlich  zu  sehen  sind.  Stern- 
förmig verästelte  Haare,  sogen.  Sternhaare  (pili  stellati),  finden 
wir  z.  B.  bei  der  Wollblume. 

§  343.  Besetzung  mit  anderen  Organen.  Drüsen  (glandulae) 
nennt  man  kleine  Bläschen,  die  mit  einem  flüssigen  Inhalte  ge- 
füllt sind.  Saftlose  Erhabenheiten  heissen  Warzen  (Verrucae) 
oder,  wenn  hornartig  verhärtet,  Schwielen  (calli).  Erlangen 
die  Drüsen  eine  bedeutende  Grösse  und  zeichnen  sie  sich  durch 
einen  wasserhellen  Inhalt  aus,  so  werden  sie  zu  Blattern  (pa- 
pulae),  wie  bei  der  Eispflanze. 

Die  Stacheln  (aculei)  unterscheiden  sich  von  den  Dor- 
nen (spinae)  dadurch,  dass  sie  reine  Oberhautgebilde  sind 
und  sich  mit  der  Kinde  abziehen  lassen,  während  die  Dornen, 
als  stechende  Holzteile,  stehen  bleiben.  Die  Dornen  gehen  aus 
verkümmerten  Zweigen,  Blatt-  oder  Blütenstielen  hervor.  Bei 
der  Rose  finden  wir  sowohl  (kleinere,  gerade)  Stacheln  wie 
(grössere,  meist  sichelig  gebogene)  Dornen.  Beim  Schlehdorn  und 
Kreuzdorn  (Rhamnus  cathartica)  stellen  die  Dornen  die  starren, 
stechenden  Spitzen  der  jungen  Zweige  dar  und  werden  im  fol- 
genden Jahre  durch  deren  Yerästelung  gabelständig.  Beim  Sauer- 
dorn (Berberis)  gehen  die  dreiteiligen  Dornen  aus  der  Verküm- 
merung von  Blattstielen  hervor  und  unterstützen  die  Blattbüschel. 
Bei  der  Robinia  Pseudacacia  verwandeln  sich  die  Nebenblätter 
in  Dornen. 

Ranken  (cirrhi)  nennt  man  fädliche,  spiralig  aufgewundene 
Nebenorgane,  welche  zum  Festhalten  dienen.  Beim  Weinstock 
gehen  sie  aus  fehlgeschlagenen  Blütenstielen  hervor  und  stehen 
den  Blättern  gegenüber;  bei  Lathyrus  Aphaca  verwandelt  sich 
der  Blattstiel  in  eine  Ranke,  bei  der  Erbse  und  Wicke  endigt 
er  dagegen  in  eine  Ranke,  als  rankentragendes  Blatt  (folium 
cirrhiferum).  Bei  den  Gurken  und  der  Zaunrübe  stellen  die 
Ranken  blattwinkelständige  Äste  dar. 

Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Die  Behaarung  kann  sein: 

a)  Flaumhaarig  (pubescens),  mit  kurzen,  wenig  sichtbaren,  ange- 
drückten Haaren  besetzt,  wie  das  Kraut  von  Galeopsis  ochroleuca. 

b)  Sa m methaarig  (holosericeus),  kurz,  aber  sehr  dicht  behaart, 
wie  die  Früchte  der  Aprikose. 

c)  Kurzhaarig  (hirtus),  mit  derben,  kurzen  Haaren  besetzt,  wie 
Viola  hirta. 

d)  Steifhaarig  (hirsutus),  borstenhaarig  (hispidus),  mit 
längeren  steifen  oder  borstigen  Haaren  besetzt,  wie  die  Blütenstiele  von 
Papaver  Rhoeas. 

e)  Seidenhaarig  (sericeus),  mit  langen,  weichen,  anliegenden 
Haaren  besetzt,  dadurch  seidenglänzend,  wie  die  Blätter  des  Wermut. 


—    371     - 

f)  Zottig  (villosus),  mit  langen,  weichen,  dichtgestellten  Haaren 
besetzt,  wie  das  Bilsenkraut. 

g)  Filzig  (tomentosus)  mit  kurzen ,  weichen ,  gedrängten  und  in 
einander  verwirrten  Haaren  besetzt,  wie  die  Althäablätter.  Die  Unterseite 
der  Huf  lattichblätter  ist  weiss  filzig ,  die  der  Fingerhutblätter  grau- 
filzig, die  des  Porsches  (Ledum  palustre)  rotfilzig. 

h)  Flockig  (floccosus),  wenn  der  Filz  abwischbare  Flocken  bildet, 
wie  bei  Verbascum  floccosum. 

i)  Wollig  (lanatus),  mit  dicht  gedrängten,  langen,  gekräuselten 
Haaren  besetzt,  wie  die  kleineren  Staubfäden  von  Verbascum. 

k)  Spinnwebig  (arachnoideus),  gleichsam  mit  Spinnenfäden  über- 
zogen ,  wie  die  Köpfchen  der  kleinen  Klette  und  die  Blätter  der  Kardo- 
benedikte. 

1)  Bärtig  (barbatus),  mit  einem  Haarbüschel  versehen,  wie  die 
inneren  Perigonblätter  der  Schwertlilie.  —  Im  Gegensatze  hierzu:  bart- 
los   (imberbis). 

m)  Sternhaarig  (stellatim  pilosus),  mit  strahlig  verzweigten 
Haaren  besetzt,  z.  B.  die  Wollblumenblätter. 

n)  Gewimpert  (ciliatus),  am  Rande  mit  einer  Haarzeile  besetzt. 

Dem  allgemeinen  Ausdrucke  behaart  (pilosus)  steht  gegenüber: 
kahl  (g laber),  ohne  jegliche  Behaarung,  wie  z.  B.  das  Schierlings-  und 
Gottesgnadenkraut.  Die  Ausdrücke :  rauh  (asper)  und  scharf  (scaber) 
beziehen  sich  auf  mikroskopische  Haare,  die  durch  das  Gefühl  wahrnehm- 
bar sind;  ihnen  gegenübersteht:  glatt  (laevis). 

2.  Besetzung  mit  anderen  Organen: 

a)  Schuppig  (squamatus),  mit  verkümmerten  Blättern  besetzt,  z.  B. 
der  Schaft  von  Tussilago  Farfära,  Petasites  officinalis  u.  a.  i 

b)  Geflügelt  (alatus),  mit  häutigem  Rande,  z.  B.  der  Blattstiel  der 
Pomeranze,  die  Frucht  der  Ulme.    Gegensatz:  ungeflügelt  (exalatus). 

c)  Bekammt  (cristatus),  mit  einem  gekerbten  oder  gezähnten, 
blattartigen  Anhängsel. 

d)  Geschwänzt  (caudatus),  in  einen  fadenförmigen  Fortsatz  endend. 
wie  die  Früchtchen  der  Pulsatilla.  Gegensatz:  ungeschwänzt  (ecaudatus). 

e)  Geschnäbelt  (rostratus),  in  einen  starren,  geraden  Schnabel 
auslaufend.     Gegensatz:  ungeschnäbelt  (erostris). 

f)  Gehörnt  (cornutus),  mit  einem  starren,  gebogenen  Fortsatz  ver- 
sehen; kleingehörnt  (corniculatus). 

g)  Rankig  (cirrhosus),  vielfach  gewunden  und  fädlich,  wie  der  Blatt- 
stiel der  Waldrebe ;  bei  der  Wicke  und  Erbse  verlängert  sich  der  Blattnerv 
in  eine  Ranke,  und  das  Blatt  heisst  rankentragend  (cirrhifer). 

h)  Stachelig  (aculeatus),  mit  stechenden  Auswüchsen  der  Rinde 
besetzt,  wie  die  Blätter  der  Disteln. 

i)  Weichstachelig  (muricatus),  mit  krautigen  Spitzen  besetzt, 
z.  B.  die  Früchte  des  Spinats. 

k)  Igelstachelig  (echinatus),  nach  allen  Richtungen  hin  bestachelt. 

1)  Widerhakig  (glochidiatus),  mit  hakig  umgebogenen  Borsten 
oder  Stacheln  besetzt,  z.  B.  die  widerhakig-igelstacheiige  Frucht  von  Geum 
urbanurn. 

m)  Dornig  (spinosus),  mit  spitzen,  holzigen  Fortsätzen,  z.  B.  die 
Nebenblätter  von  Robinia  Pseudacacia,  die  Zweige  des  Schwarz-  und 
Weissdorns. 

n)  Begrannt  (aristatus),  mit  gerader,  fadenförmiger  Granne,  wie 
die  Ähren  vieler  Gräser,  zumal  des  Getreides. 

24* 


-     372     — 

o)  Wehrlos  (muticus,  inermis),  ohne  Stacheln,  Dornen,  Grannen 
u.  dgl. 

p)  Drüsig  (glandulosus),  mit  Drüsen  besetzt,  wie  die  Kirschlorbeer- 
blätter auf  der  Unterseite  am  Grunde.  Sind  die  Drüsen  in  das  Gewebe 
eingesenkt,  wie  bei  den  Pomeranzenschalen,  Pomeranzenblättern  u.  dgl., 
so  heissen  diese  drüsig-punktiert  (glanduloso-punctatus)  oder, 
wenn  die  Drüsen  durchscheinend  sind,  wie  bei  Hypericum,  durchschei- 
nend-punktiert (pellucido-punctatus). 


5.  Die  Blütenstände. 

§  344.  Was  nennt  man  einen  Blütenstand?  Die  Blüte  (f  1  0  s) 
steht  entweder  einzeln  (flos  solitarius),  und  zwar  im  Winkel 
eines  Blattes,  oder  an  der  Spitze  des  Stengels  oder  eines  Zweiges, 
oder  sie  ist  zu  mehreren  zu  einem  Blütenstand  (inflo- 
rescentia)  gruppiert.  Diese  Blütenstände,  sind  selbst  wieder 
blattwinkelständig  oder  am  Ende  des  Stengels  resp.  eines  Zweiges 
befindlich. 

Die  Blüte  ist  entweder  gestielt  (flos  pedunculatus) 
oder  sitzend  (flos  sessilis).  Der  Blütenstiel  (pedun- 
culus)  ist  ein  Zweig  des  Stammes. 

Entspringt  der  Stiel  einer  einzelnen  Blüte  oder  eines  Blüten- 
standes aus  dem  Winkel  eines  Wurzelblattes,  so  trägt  er  keine 
Laubblätter,  sondern  nur  Deckblätter  oder  Schuppen ;  man  nennt 
ihn  einen  Schaft  (scapus).  Wir  sehen  einen  solchen  beim  März- 
veilchen und  Löwenzahn ;  beim  Huflattich  erscheint  der  Schaft  im 
März,  bedeckt  mit  braunen  Schuppen,  während  die  Blätter  erst 
im  Mai  nachfolgen.  Man  nennt  solche  schafttragende  Gewächse 
stengellos  (plantae  acaules). 

§  345.  Wie  teilt  man  die  Blütenstände  ein?  Man  unterscheidet 
zweierlei  Blütenstände,  je  nach  der  Entfaltung  ihrer  einzelnen 
Blüten.  Bei  der  einen  Art  von  Blütenständen  schliesst  die  Axe 
derselben  nicht  mit  einer  Blüte  ab,  sondern  entwickelt  gegen 
ihre  Spitze  zu  noch  Blüten,  während  die  unteren  Blüten  schon 
aufgeblüht  sind,  sodass  das  Aufblühen  von  unten  nach  oben, 
resp.  vom  Umkreis  nach  der  Mitte  zu  fortschreitet.  Man  nennt 
einen  solchen  Blütenstand  centripetal  (inflorescentia  centri- 
peta).  Bei  der  anderen  Art  von  Blütenständen  schliesst  die  Axe 
mit  einer  Endblüte  ab,  welche  zuerst  aufblüht,  worauf  sich  dann 
unter  ihr  seitliche  Blüten  entwickeln ,  deren  Ausbildung  später 
erfolgt,  sodass  dieses  Aufblühen  von  oben  nach  unten  resp.  von 
innen  nach  aussen  fortschreitet.  Man  nennt  daher  diese  Blüten- 
stände centrifugal  (inflorescentia  centrifuga). 

§  346.  Welche  Blütenstände  gehören  zu  den  centripetalen?  Vor- 
zugsweise rechnen  sich  zu  den  centripetalen  Blütenständen:    Die 


—     373     - 

Ähre,  das  Kätzchen,  der  Kolben,  die  Rispe,  der  Eben- 
stran ss,  die  Dolde,  das  Köpfchen  nnd  der  Blütenkuchen. 
Man  kann  sie  in  folgender  Weise  unterscheiden : 

Axe  verlängert:  Axe  verkürzt: 

AVit'p  i  i 

Kätzchen    \    Blüten  sitzend    /    KöPfchen. 
Kolben    .     .    Axe  fleischig  .     .    Blütenkuchen 
Traube    .      (  1 

Ebenstrausss    Blüten  gestielt    >    Dolde. 
Rispe      .     \  J 

1.  Die  Ähre  (spica)  besteht  aus  ungestielten  Blüten, 
welche  der  Länge  nach  an  einer  verlängerten  Spindel  sitzen. 
Bsp.  bei  Yerbena  officinalis  (Fig.  145).  Bei  den  Gräsern  bestehen 
die  Ähren  nicht  aus  einzelnen  Blüten,  sondern  wieder  aus  Ährchen, 
den  Grasährchen  (spicula)  (Fig.  146). 

Wenn  die  Ähre  nach  beendigter  Lebensfunktion  gänzlich, 
mit  den  Blüten  resp.  Früchten  abfällt,  so  heisst  sie  ein  Kätz- 
chen (amen tum).  Bsp.  bei  Walnuss,  Eiche  (Fig.  148),  Buche. 
Wenn  bei  der  Fruchtreife  die  Kätzchenschuppen  (Deckblätter) 
sich  vergrössern,  wie  beim  Hopfen,  oder  ihre  Konsistenz  verändern, 
wie  bei  der  Erle,  wo  sie  verholzen,  so  nennt  man  das  Kätzchen 
einen  Zapfen  (strobilus). 

Wenn  die  Spindel  der  Ähre  fleischig  und  verdickt  erscheint, 
sodass  die  Blüten  ihr  mehr  oder  weniger  eingesenkt  sind,  so 
wird  sie  zum  Kolben  (spadix).   Bsp.  bei  Calla  (Fig.  147),  Arum. 

2.  Die  Traube  (racemus)  besteht  aus  gestielten 
Blüten,  die  der  Länge  nach  an  einer  verlängerten  Spindel 
stehen.     Bsp.  bei  der  Johannistraube  (Fig.  151). 

Verästelt  sich  die  Traube  und  nimmt  pyramidale  Gestalt  an, 
so  nennt  man  sie  eine  Rispe  (panicula),  wie  bei  Alisma  Plan- 
tago  (Fig.  152),  die  männlichen  Blüten  des  Hopfens  u.  a.  m. 

Sind  die  unteren  Blüten  einer  Traube  so  lang  gestielt,  dass 
sämtliche  Blüten  ziemlich  in  einer  Höhe  stehen,  so  wird  der 
Blütenstand  ein  Ebenstrauss,  auch  Doldentraube  oder 
Schirmtraube  (corymbus)  genannt.  Bsp.  bei  Ornithogalum 
umbellatum  (Fig.  150),  beim  allgemeinen  Blütenstand  der  Schaf- 
garbe und  des  Rainfarn. 

3.  Die  Dolde  (umbell a)  wird  gebildet  aus  Blüten,  deren 
Blütenstiele  aus  einem  Punkte  entspringen,  sodass  die 
Blüten  in  gleicher  Höhe  stehen.  Einfach  ist  sie  z.  B.  bei 
der  Schlüsselblume,  zusammengesetzt  bei  der  Möhre  (Fig.  153). 
In  letzterem  Falle  besteht  die  Dolde  (umbella)  aus  D  ö  1  d  c  h  e  n 
(umbellulae);  die  Hülle  (involucrum)  unterstützt  die  ganze 
Dolde,   die  Hüllchen    (involucella)   unterstützen    die  Döldchen. 

4.  Das  Köpfchen  (capitulum)  besteht  aus  ungestiel- 


—     374     — 

ten  Blüten,  die  auf  einer  verkürzten  Spindel  sitzen. 
Bsp.  beim  Klee,  der  Skabiose  (Mg.  149). 

Bei  den  Kompositen  wird  das  Köpfchen  von  einer  Hülle 
kelchartig  umschlossen,  sodass  der  ganze  Blütenstand  den 
Eindruck  einer  Einzelblüte  macht;  man  nennt  ihn 
deshalb  eine  zusammengesetzte  Blüte  (flos  compositus), 
auch  wohl  ein  Körbchen  (calathium,  anthodium).  Bsp. 
bei  der  Kamille,  dem  Löwenzahn,  Disteln.  Die  kelchartige  Hülle 
heisst  Hüllkelch  (periclinium,  peranthodium),  die  Spindel 
gemeinsamer  Blütenboden  (receptaculum   commune). 

Nimmt  die  Spindel  fleischig- verdickte  Beschaffenheit  an,  so 
nennt  man  den  Blütenstand  einen  Blütenkuchen  (coenan- 
thium);  er  schliesst   bei   der  Feige  birnförmig  die  Blüten  ein. 

§  347.  Welche  Blütenstände  gehören  zu  den  centrifugalen?  Ton 
den  centrifugalen  Blütenständen  verdienen  Erwähnung:  die 
Trugdolde,  der  Knäuel  und  der  Wickel. 

Die  Trugdolde  (cyma)  ist  ein  doldenartiger  Blüten- 
stand mit  centrifugaler  Entwicklung.  Dicht  unter  einer 
end ständigen,  zuerst  aufblühenden  Blüte  entspringen  mehrere 
Blütenstiele;  gewöhnlich  verzweigen  sich  diese  primären  Blüten- 
stiele nach  dem  nämlichen  Gesetze,  woraus  eine  zusammengesetzte 
Trugdolde  (Fig.  154*))  hervorgeht ,  wie  beim  Schneeball,  Hollunder, 
der  Wolfsmilch. 

Die  Trugdolde  lässt  sich  mit  der  Dolde  leicht  verwechseln;  man  wird 
sich  nicht  täuschen,  wenn  man  die  Entwicklung  der  einzelnen  Blüten 
beobachtet.  Bei  einer  Dolde  sehen  wir  stets  die  randständigen  Blüten  am 
weitesten  in  der  Entwicklung  begriffen  und  schon  verblüht,  wenn  die 
inneren  Blüten  erst  aufblühen ;  bei  der  Trugdolde  finden  wir  das  Umge- 
kehrte: die  centralen  Blüten  eines  jeden  Astchens  sind  weiter  entwickelt 
als  die  umstehenden  seitlichen  Blüten. 

Der  Knäuel  (glomerulus)  kennzeichnet  sich  durch  zahl- 
reiche, kleine  Blüten,  welche  köpf  chen  artig  gedrängt  zusammen- 
stehen.    Bsp.  beim  Gänsefuss. 

Der  Wickel  (cincinnus,  cyma  scorpioidea)  findet  sich 
vorzugsweise  bei  den  Boragineen,  z.  B.  Yergissmeinnicht  (Fig. 
155);  er  ähnelt  einer  Traube  mit  schneckenförmig  eingerollter 
Spindel  und  entsteht  durch  einseitiges  Wachstum  einer  ein- 
zigen Seitenaxe  unterhalb  der  centralen  Blüte,  die  hier  zu  unterst 
erscheint,  welcher  Yorgang  sich  bei  jeder  höheren  Blüte  wiederholt. 

Gemischte  Blütenstände  bilden  sich  aus  Trugdolden  und 
Knäueln,  wenn  sie  zu  einem  centripetalen  Blütenstande  —  Ähre 
oder  Traube  —  gruppiert  sind;  man  nennt  sie  bei  gestielten 
Blüten  Strauss  (thyrsus),  wie  beim  Liguster,  spanischen  Flie- 

*)  In  dieser  Figur  sind  die  centralen  Blüten  bereits  verblüht  und  reifen 
die  Frucht,  während  die  seitlichen  blühen. 


375 


Fig.  152.  Rispe. 


Fig  153.  Zusammengesetzte  Dolde. 


-     376     — 


der;   bei    sitzenden  Blüten   Blütenschwanz   (anthurus), 
beim  Weiderich,  der  Wollbhime. 


wie 


Fig.  154. 
Trugdolde. 


Fig.  155. 
Wickel. 


Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Die  einzelständige  Blüte  (flos  solitarius)  kann  sein: 

a)  Endständig  (ü.  terminalis),  wie  bei  der Pulsatilla,  Pfingstrose. 

b)  Blattwinkelständig  (fl.  axillaris),  wie  bei  Viola  tricolor. 

c)  Wirtelig  (flores  verticillati),  rings  um  den  Stengel  in  gleicher 
Höhe  entspringend,  wie  bei  Rumex.  Sobald  aber  die  Blüten  nur  in  den 
Winkeln  zweier  gegenständiger  Blätter  entspringen,  sich  dicht  um  den 
Stengel  drängend,  bilden  sie  einen  Scheinwirtel  (verticillastrum), 
wie  bei  den  meisten  Labiaten. 

d)  Wurzelständig  (fl.  radicalis),  aus  dem  Wurzelstock  kommend, 
wie  beim  Märzveilchen. 

2.  Die  Ähre  (spica)  kann  sein: 

a)  Locker  (laxa),  wie  beim  Eisenkraut  (Verbena  off.). 

b)  Gedrängt  (densa,  conferta),  wie  beim  Roggen,  Weizen,  Gerste. 

c)  Verlängert  (elongata),  im  Gegensatz  dazu  v e r k ü  r z t  (abbre- 
viata),  jenes  bei  der  wilden  Minze,  dieses  bei  der  Pfefferminze. 

d)  Fadenförmig  (filiformis),  wie  bei  Polygonum,  Hydropiper. 

3.  Der  Kolben  (spadix)  kann  sein: 

a)  Bescheidet  (spathatus),  mit  einer  Blütenscheide  (spatha)  ver- 
sehen, wie  bei  Calla,  Arum.  Bei  letzterem  ist  der  Kolben  oben  nackt 
(superne  nudus),  d.  i.  nicht  mit  Blüten  bedeckt,  und  von  der  Scheide 
eingehüllt. 

b)  Unbescheidet  (espathatus),  wie  beim  Kalmus. 

4.  Das  Kätzchen  (amentum)  besitzt  die  Formen  der  Ähre.  Man 
bezeichnet  es  als  frühzeitig  (praecox),  wenn  es  vor  den  Blättern, 
gleichzeitig  (coetaneum),  wenn  es  gleichzeitig  mit  den  Blättern  er- 
scheint.    Beispiele  beider  liefert  die  Weide. 

5.  Die  Traube  (racemus)  ahmt  in  ihren  Formen  der  Ähre  nach. 
Einseitig  (unilateralis)  ist  sie,  wenn  alle  Blütchen  auf  derselben  Seite 
entspringen;  entspringen  sie  aber  ringsum,  wenden  sich  jedoch  nach  einer 


-     377     — 


Seite  hin,    so    ist    die  Traube    einseitswendig    (secundus),    wie   beim 
Honigklee  (Melilotus). 

6.  Die  Dolde  (umbella)  ist: 

a)  Armblütig  (pauciflora)  und  einfach  (simplex)  bei  dem  Schöll- 
kraut, der  Kirsche  (zweiblütig). 

b)  Zusammengesetzt  (composita)  bei  den  Umbelliferen. 

c)  Strahlend  (radians),  wenn  die  am  Saume  befindlichen  Blüten 
grösser  sind  als  die  inneren,  z.  B.  bei  Heracleum  Spondyliuin,  Coriandrum. 

Die  Hülle  (involucrum)  kann  sein:  armblätterig,  wie  beim 
Kümmel,  wenn  nur  aus  1 — 3  Blättchen  bestehend;  reichblätterig, 
wenn  aus  mehr  Blättchen  gebildet,  wie  beim  Schierling.  Sie  ist  bei  der 
Hundspetersilie  (Aethusa  Cynapium)  einseitig  und  herabgeschlagen 
(unilaterale,  pendulum). 

7.  Das  Köpfchen  (capitulum)  hat  ähnliche  Formen  wie  die  ein- 
fache Dolde.  —  Zahlreicher  sind  die  terminologischen  Bestimmungen  des 
Kompositen-Körbchens  (anthodium).     Es  kann  sein: 

A.  Nach  der  Gestalt  der  Blütchen  (flosculi): 
a)Röhrenblütig  (tubuliflorumj,  wenn  sämtliche  Blütchen  röhren- 
förmig sind,  wie  bei  der  Klette,  den  Disteln,  dem  Rainfarn,  Wermut  u.  a. 

b)  Strahlblütig  (ra  diät  um),  wenn 
die  randständigen  Blütchen  zungenförmig, 
die  inneren  röhrenförmig  sind;  jene  bilden 
den  Strahl  (radius),  diese  die  Scheibe 
(d  i  s  c  u  s).  Bsp.  Kamille ,  Wucherblume, 
Schafgarbe  u.  a.  (Fig.  156).  Nicht  selten 
gehen  durch  Kultur  die  röhrigen  Scheiben- 
blütchen  in  Zungenblütchen  über;  solche 
Körbchen  nennt  man  gefüllt  (luxu- 
rians). 

c)  Zungenblütig   (liguliflorum), 
wenn  sämtliche  Blüten  zungenförmig  sind,j| 
wie  beim  Löwenzahn.  1 

B.  Nach  dem  Hüllkelch  (peranthodium) :  i 
Die  Hüllkelchblättchen  (phylla)  sind :  y 
einreihig  (peranthodium  simplex),^ 
wie  bei  Senecio ;  zweireihig  (p.  duplex),  wie  bei  Tragopogon,  Arnica ; 
vielreihig  (p.  multiseriale) ;  nach  der  Länge:  gleich  (p.  ae quäle), 
wie  bei  Tragopogon ;  dachziegelig  (p.  imbricatu m),  wenn  die  unteren 
Blättchen  kürzer  sind  als  die  oberen,  wie  bei  Bellis,  Artemisia,  Achillea. 
Wenn  die  äusserste  Reihe  der  Hüllkelchblättchen  absteht  oder,  wie  beim 
Löwenzahn,  zurückgeschlagen  ist,  nennt  man  sie  Aussenkelch.  Bei 
Carlina  finden  wir  die  innersten  Hüllkelchblättchen  strahlig  ausgebreitet: 
strahlend  (peranthodium  radians). 

Die  Hüllkelchblättchen  sind  ihrer  Konsistenz  nach  meist  blatt artig 
(foliacea),  öfters  trockenhäutig  (scariosa),  wenigstens  am  Rande, 
bei    den  Disteln   dornig   (spinosa),    bei   der  Klette  hakig   (h  am  ata). 

C.  Der  gemeinsame  Blütenboden  (receptaculum)  kann  sein :  f  1  a  c  h  (p  1  a- 
n u m),  gewölbt  (convexu m),  wie  bei  Chrysanthemum ;  kegelig  (coni- 
cum),  wie  bei  der  Kamille  (Fig.  157  a.);  kugelig  (globo  sum)  u.  s.  f.  Im 
Innern:  dicht  (solid um),  wie  bei  der  Hundskamille  (Fig.  157b);  hohl 
(cavum),  wie  bei  der  Kamille  (Fig.  157a.).  —  Nach  seiner  Besetzung  mit 
spreuartigen  Deckblättchen,  den  sog.  Spreublättchen  (paleae):  nackt 


—     378     — 

(nuduni),  wie  bei  der  Kamille  (Fig.  157a.);  spreublätterig  (palea- 
ceum),  wie  bei  der  Hundskamille  (Fig.  157b.);  zottig  (villosum),  wie 
beim  Wermut. 

8.  Die  Trugdolde  (cyma)  kann  sein:  Gabelspaltig  (dicho- 
toma),  wenn  unterhalb  der  Centralblüte  zwei  Nebenaxen  heraustreten, 
die  sich  nach  gleicher  Weise  teilen,  wie  bei  Silene,  Cerastium  (Fig.  154); 
dreistrahlig,  fünfstrahlig  u.  s.  f.,  wie  bei  der  Wolfsmilch,  dem  Hollun- 
derund  Schneeball,  nach  der  Zahl  der  Nebenasen.  Beim  letzteren  ist  die 
Trugdolde  strahlend  (ra  dians),  zufolge  der  grösseren  Randblüten.  Ver- 
längert sich  einer  der  Äste  einer  Trugdolde  über  die  anderen  Blüten,  so 
nennt  man  sie  sprossend  (prolifera),  wie  bei  Spiraea  Ulmaria.  Bei 
den  Binsen  nennen  wir  sie  dann  Spirre  (anthela). 


5.  Die  Blütenkreise. 

§  348.  Welches  sind  die  Teile  der  Blüten?  Die  Blüte  besteht 
aus  einer  verkürzten  Axe,  Blütenaxe,  Blütenboden  (recep- 
taculum  floris,  thalamus),  an  welcher  die  Geschlechtsorgane 
in  Form  veränderter  Blätter  eingefügt  sind. 

Die  Geschlechtsorgane  sind  gewöhnlich  durch  einen  oder 
mehrere  Kreise  blattartiger  Hüllen,  Kelch  (calyx)  und  Blume 
(coro IIa),  unterstützt,  welche  jedoch  auch  fehlen  können. 

Die  Geschlechtsorgane  sind  die  wesentlichen  Teile,  Kelch  und 
Blume  die  unwesentlichen  Teile  der  Blüte. 

Die  männlichen  Geschlechtsorgane  sind  die  Staub- 
ge  fasse  (stamina) ,  die  weiblichen  die  Stempel  (pistilla). 
Alle  diese  Teile  der  Blüte  sind  aus  Blättern  hervorgegangen  und 
stehen  auf  der  Blütenaxe. 

§  349.  Wie  sind  die  Blütenteile  an  der  Axe  geordnet?  Alle  Blüten- 
teile entspringen  in  "Wirtein  aus  der  Blütenaxe,  welche  in  Form 
zusammengedrängter  Spirallinien  dieselbe  umlaufen.  Zu  äusserst 
liegt  der  Kelchwirtel,  demselben  folgt  nach  innen  der  Blu- 
menwirtel,  dann  der  Staubgefässkreis,  endlich  zu  innerst 
der  Wirtel  der  Stempel. 

Sämtliche  Kreise  umziehen  die  Axe  in  einfacher  oder  dop- 
pelter, öfters  auch  mehrfacher  Spirale,  wodurch  die  Zahl  ihrer 
Glieder  sich  verdoppelt  oder  vervielfältigt.  Enthält  eine  Blüte 
doppelt  so  viele  Staubgefässe  als  Blumenblätter,  so  befinden  sich 
jene  in  zwei  Wirtein;  bei  zahlreichen  Staubgefässen  existieren 
mehrere  Wirtel  derselben.  So  finden  wir  beim  Lein  5  Kelch- 
blätter, 5  Blumenblätter,  5  Staubgefässe  und  einen  5 gliederigen 
Stempel  (mit  5  Griffeln) ;  bei  der  Lichtnelke  5  Kelchzipfel,  5  Blumen- 
blätter, 10  Staubgefässe  (also  in  zwei  Spiralen),  einen  fünf- 
griffeligen  Stempel;  beim  Hahnenfuss  5  Kelchblätter,  5  Blumen- 
blätter, zahlreiche  Staubgefässe  und  zahlreiche  Stempel  (also  beide 
in  mehreren  Spiralen). 


—     379     — 


Die  Glieder  der  aufeinanderfolgenden  Kreise  wechseln  mit  ein- 
ander in  der  Stellung  ab, 
sodass  die  Blumenblätter 
mit  den  Kelchblättern 
wechselständig,dieStaub- 
gefässe  aber  wieder  den 
Kelchblättern  gegenstän- 
dig sind ,  wie  dies  die  Figu- 
ren 158  und  159  zeigen, 
Durchschnitte  einer  drei 
resp.  fünfzähligen  Blüte. 


Fi?.  160. 


§  350.  Wie  sind  die  Blütenkreise  der  Blütenaxe  eingefügt?  Man 
unterscheidet  eine  dreifache  Einfügung  (Insertion)  der  Blüten- 
kreise, je  nachdem  die  Entwicklung  derselben  stattgefunden  hat: 

1.  Die  Einfügung  auf  den  Blütenboden,  auch  unter- 
weibige  (hypogynische)  Insertion  genannt,  bei  welcher 
alle  Blütenkreise  in  ihrer  natürlichen  Reihenfolge  aus  der  Blüten- 
axe hervortreten :  Zu  unterst  der 
Kelch,  dann  die  Blume,  darauf 
die  Staubgefässe,  zu  oberst  die 
Stempel.  Kelch,  Blume  und 
Staubgefässe  sind  unter  dem 
Stempelkreise  eingefügt  und 
bilden  also  eine  unterstän- 
dige Blüte,  in  deren  Mitte 
der  Kreis  der  Stempel  frei  steht. 
Bsp.  Hahnenfuss  (Fig.  160), 
Pfingstrose,  Linde,  Lein. 

2.  Die  Einfügung  der  Blume  und  Staubgefässe  auf  die 
Kelchröhre,  den  sogenannten  Unter k eich  (hypanthium), 
aus  dessen  Rande  die  Kelchzipfel,  Staubgefässe  und  Blumenblätter 
entspringen,  während  die  Stempel  im  Centrum  der  Kelchröhre 
sich  befinden. 

a)  Wenn  die  Stempel  in  der  Kelchröhre  frei  stehen,  so  heisst 
die  Insertion  umweibig  (perigynisch);  so  Fig.  161  bei  der 
Kirschblüte,  welche  nur  einen  Stempel  besitzt,  Fig.  162  bei  der 
Rose,  mit  zahlreichen  Stempeln. 

b)  Verwächst  aber  der  Stempelkreis  mit  der  Kelchröhre,  wie 
Fig.  163  zeigt,  so  entsteht  die  oberweibige  (epigynische)  In- 
sertion. Hier  scheinen  die  Staubgefässe,  Blume  und 
Kelchzipfel  auf  dem  Fruchtknoten  zustehen;  eine  Folge 
davon  ist,  dass  bei  der  Reife  die  Frucht  vom  Ke  Iche  gekrönt 
wird.  Man  nennt  die  Blüte  eine  oberständige  und  den 
Fruchtknoten  unterständig.     Bsp.  Hollunder,  Heidelbeere. 


380 


Fig.  161.  Fig.  162.  Fig.  163. 

Der  Unterkelch  ist  eigentlich  eine  Bildung  des  Blüten- 
bodens, welcher  sich  bald  als  hohle  Eöhre  um  die  Stempel 
emporhebt,  bald  als  Scheibe  sich  flach  ausbreitet;  ersteres  finden 
wir  bei  der  Rose  (Fig.  161),  letzteres  bei  der  Brombeere  und 
Himbeere. 

Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Die  Blüte  kann  nach  dem  Vorhandensein  der  Geschlechtsorgane  sein: 

a)  Zwitterig  (flos  hermaphroditus),  wenn  beide  Geschlechts- 
organe in  ihr  vorhanden  sind,  wie  bei  der  Erdbeere,  Brombeere. 

b)  Eingeschlechtig  (fl.  diclinus),  wenn  nur  ein  Geschlecht  in 
ihr  vertreten  ist ,  wie  bei  der  Nessel,  Walnuss ;  und  zwar  ist  sie  alsdann 
entweder  männlich  (fl.  masculus)  mit  dem  Zeichen  des  Mars:  J1,  oder 
weiblich  (fl.  femineus)  mit  dem  Zeichen  der  Venus:  $ ,  je  nachdem 
sie  nur  Staübgefässe  oder  nur  Stempel  birgt. 

c)  Einhäusig  (fl.  monoicus),  wenn  dasselbe  Pflanzenindividuum 
männliche  und  weibliche  Blüten  trägt,  wie  die  Buche,  Haselnuss,  Walnuss. 

d)  Zweihäusig  (fl.  dioicus),  wenn  die  männlichen  und  weiblichen 
Blüten  auf  zwei  verschiedene  Individuen  verteilt  sind,  wie  beim  Wacholder, 
Hopfen,  Hanf,  der  Weide  und  Pappel. 

e)  Vielehig  (fl.  polygamus),  wenn  neben  eingeschlechtigen  Blüten 
auch  zwitterige  vorhanden  sind,  wie  bei  der  Kamille,  deren  Strahlblütchen 
weiblich,  deren  Scheidenblütchen  zwitterig  sind. 

2.  Nach  der  Ausbildung  der  Blütendecken : 

a)  Nackt  (fl.  nudus),  wenn  weder  Kelch  noch  Blume  vorhanden  ist, 
sodass  die  Blüte  allein  aus  den  Geschlechtsorganen  besteht,  z.  B.  bei  den 
Gräsern,  deren  Blüten  von  den  trockenhäutigen  Deckblättchen  (Spelzen) 
umschlossen  werden. 

b)  Unvollständig  (fl.  incompletus),  wenn  die  Blütendecke  nicht 
aus  zwei  verschiedenen  Kreisen  (Kelch  und  Blume),  sondern  aus  einem  ein- 
zigen, gleichartigen  besteht,  der  bald  kelchähnlich  ist,  wie  beim  Gänsefuss 
und  Ampfer,  bald  blumenähnlich,  wie  bei  der  Lilie  und  Tulpe. 

c)  Vollständig  (fl.  completus),  mit  Kelch  und  Blume  begabt,  wie 
bei  der  Eose,  Pfingstrose,  Erdbeere. 

d)  Gefüllt  (fl.  luxurians),  wenn  die  Staubfäden  in  Blumenblätter 
übergegangen  sind,  wie  bei  der  Centifolienrose. 


—    381     — 

3.  Nach  der  Zahl  der  Glieder  eines  einzelnen  Blütenkreises : 

a)  Dreizählig(fl.  t  r  im  er  us),  Fig.  158,  wenn  jeder  Wirtel  drei  Glieder 
zählt,  z.  B.  bei  der  Schwertlilie  und  Lilie. 

b)  Vierzählig  (fl.  tetr  ainerus),  z.  B.  beim  Weidenröschen. 

c)  Fünfzählig  (fl.  pentamerus)  Fig.  159,  z.  B.  beim  Lein,  Mauer- 
pfeffer. 

4.  Nach  der  Einfügung  der  Kreise: 

a)  Unter  stand  ig  (fl.  inferus),  bei  unterweibiger  Insertion,  wenn 
keine  Verschmelzung  zwischen  Kelchröhre  und  Stempel  stattfindet;  Fig. 
160 — 162,  z.  B.  Hahnenfuss,  Rose,  Brombeere. 

b)  Oberständig  (fl.  superus),  wenn  der  Fruchtknoten  des  Stempels 
mit  der  Kelchröhre  verwächst  (epigynische  Insertion),  Fig.  163  ;  wie  bei 
Apfel  und  Birne,  Heidelbeere. 


7.  Kelch  und  Blume, 

§  351.  Was  stellen  Kelch  und  Blume  vor?  Der  Kelch  (calyx) 
und  die  Blume  (coro IIa)  sind  die  beiden  Blattkreise  der 
Blüten ,  welche  die  Geschlechtsorgane  umschliessen.  Man  nennt 
Kelch  den  äussersten,  gewöhnlich  grünen,  krautartigen  Kreis; 
Blume  den  innern,  meist  zarten  und  anders  gefärbten  (weissen, 
roten,  blauen)  Kreis,  dessen  Oberfläche  durch  zahlreiche,  höchst 
feine  Erhabenheiten  (Papillen) ,  zufolge  des  Lichtreflexes ,  ein 
samtartiges  Aussehen  besitzt.  Fehlen  diese  Papillen,  so  erscheint 
die  Blume  trockenhäutig  (scariosa),  wie  beim  Wegerich. 

Sehr  häufig  besitzt  auch  der  Kelch  blumenartige  Beschaffenheit 
und  Farbe,  wie  bei  Polygala,  Aquilegia,  Aconitum.  Wir  nennen 
ihn  dann  einen  blumenartigen  Kelch  (calyx  corollinus). 

§  352.  Was  ist  ein  Perigon?  Bei  vielen  Gewächsen  lassen 
sich  die  blattartigen  Blütenwirtel  nicht  in  Kelch  und  Blume 
trennen,  sondern  sie  stellen  eine  gleichartige  Blütendecke, 
Perigon  (perigonium),  dar,  z.  B.  bei  der  Lilie  und  Tulpe. 
Bei  diesen  ist  das  Perigon  blumenartig  (perigonium  corolli- 
num),  dagegen  kelchartig  (p.  calycinum)  beim  Ampfer,  Hanf, 
Hopfen.  Jussieu  bezeichnete  das  Perigon  stets  als  Kelch 
(calyx)  und  die  perigon  blühenden  Pflanzen  als  blumenlose 
(plantae  apetalae). 

§  353.  Die  Ausbildung  von  Blume  und  Kelch.  Je  nach  der  Zer- 
teilung  unterscheidet  man  den  Kelch,  die  Blume,  resp.  das 
Perigon  als: 

a)  Einblätterig,  verwachsenblätterig  (calyx  mono-  seu 
gamosepalus,  corolla  mono-  s.  gamopetala,  perigonium  mono-  s. 
gamophyllum) ,  wenn  der  ganze  Blütenkreis  in  eine  Röhre  ver- 
wachsen und  mehr  oder  minder  tief  in  Zipfel  gespalten  ist.    Man 


382     - 


unterscheidet  dann  zwei  Teile:  die  Eöhre  (tubus)  und  den  Saum 
(limbus);  die  Öffnung  selber  nennt  man  den  Schlund  (faux). 

b)  Mehrblätterig,  getrenntblätterig 
(calyx  poly-  seu  dialysepalus ,  corolla  poly-  s. 
dialypetala,  perigonium  poly-  s.  dialyphyllum),  wenn 
die  einzelnen  Glieder  eines  jeden  Kreises  un  verbunden 
sind.  Man  unterscheidet  also  Kelchblätter  (se- 
pala)  und  Blumenblätter  (petala).  Bei  den 
Blumenblättern  bezeichnet  man  den  unteren  Teil, 
wenn  er  plötzlich  sich  verschmälert,  als  Nagel 
(unguis),  wie  wir  ihn  bei  den  Nelken  und  Kohl- 
pflanzen gut  ausgebildet  finden.     (Kg.  164). 

Je  nach  der  Gestalt  der  einzelnen  Glieder  unter- 
Fig.  164.       scheidet  man  Kelch,  Blume  und  Perigon  als: 

1.  Regelmässig  (regularis),  wenn  alle  Teile  eines  Wirteis 
völlig  übereinstimmend  gestaltet  sind ,  selbst  wenn  diese  Form 
von  der  gewöhnlichen  abweicht ,  z.  B.  bei  der  Akelei ,  deren 
Blumenblätter  sämtlich  gespornt  sind,  bei  der  Schwertlilie,  deren 
äussere  Perigonzipfel  zurückgeschlagen  und  deren  innere  aufrecht 
und  kleiner  sind. 

2.  Unregelmässig  (irregularis),  wenn  die  einzelnen  Glie- 
der eines  Wirteis  abweichend  von 
einander  gebaut  sind.  Las  st  sich 
der  Wirtel  in  zwei  gleichgestaltete 
Hälften  teilen,  so  ist  er  symme- 
trisch ;  so  die  zweilippige  Blume  der 
Labiaten ,  die  Schmetterlingsblume 
der  Papilionaceen. 

§  354.  Was  sind  Honiggetässe? 
Die  Blume  sondert  häufig  einen  süssen 
Saft,  den  Honigsaft  (nectar),  aus, 
den  die  Bienen  und  Wespen  auf- 
suchen. Er  sammelt  sich  in  gewissen 
Drüsen  organen  anf  dem  inneren 
Grunde  der  Blumenblätter,  die  als 
rundliche  Honigdrüsen  bei  den 
Kruciferen  und  Heidekräutern  er- 
scheinen; als  Schuppen,  Honig- 
schuppen, bei  vielen  Arten  des 
Hahnenfusses ;  als  kleine  Gruben, 
Honiggruben,  bei  der  Kaiserkrone; 
als  Falten  oder  Furchen,  Honig- 
falten oder  Honigfurchen,  bei 
Fig.  166.  der  Lilie.     Häufig   sondert  auch  der 


—     383     — 

Blütenboden  selbst  den  Honigsaft  aus,  zumal  wenn  er  scheiben- 
förmig verdickt  ist  —  eine  sog.  Honigscheibe,  z.  B.  beiden 
Boragineen  und  Labiaten  unterhalb  des  Stempels,  welcher  auf 
ihr  ruht. 

§  355.  Was  ist  die  Nebenblume?  Die  Blume  trägt  häufig  ge- 
wisse Anhängsel,  die  man  Nebenblume  (paracorolla)  oder, 
wenn  getrenntblättrig  und  sofern  sie  blumenartige  Form  besitzen, 
Nebenblumenblätter  (parapetala)  nennt,  wie  die  glockige 
Nebenblume  der  Narcisse  (Fig.  165).  Zeigen  sie  dagegen  die  Ge- 
stalt von  Staubgefässen,  wie  bei  der  Parnassie  (Fig.  166),  so  nennt 
man  sie  Nebenstaubfäden  (parastemones).  Bei  den  Nelken 
stellen  sie  ein  sogen.  Krönchen  (coronula)  vor,  bei  vielen  Bora- 
gineen (z.  B.  Symphytum,  Borago)  verschliessen  sie  als  sogen. 
Deckklappen  (fornices)  den  Blumenschlund. 

§  356.  Was  ist  die  Federkrone?  Bei  den  Kompositen  und  beim 
Baldrian  finden  wir  auf  der  (unterständigen)  Frucht  einen  meist 
haarförmigen  Schopf,  die  sog.  Federkrone  (pappus),  hervor- 
gehend aus  den  Nerven  der  Kelchzipfel,  die  sich  bei  der  Frucht- 
reife verlängern  und  zwischen  denen  das  Blattgewebe  verschwun- 
den ist.  Die  Federkrone  erscheint  in  mannigfachen  Formen 
(Fig.  179 — 181),  fehlt  auch  bei  vielen  Gattungen. 

Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Nach  der  Form  bezeichnen  wir  den  Kelch,  die  Blume,  wie  das 
Perigon : 

A.  Regelmässige  Formen. 

Die  einblätter   ge  Blütenhülle,  Blume  oder  Kelch  kann  sein: 

a)  Röhrig  (tubulosus),  wie  die  Blütchen  der  Disteln,  die  Seheiben- 
blütchen  der  Kamille,  Fig.  169. 

b)  Kugelig  (globosus),  Fig.  167,  wie  die  Blume  der  Heidelbeere. 

c)  Krug  förmig  (urceolatus),  oval  mit  eingeschnürtem  Saume,  wie 
die  Blume  von  Erica,  Fig.  168. 

d)  Aufgeblasen  (in flatus,  ampullaceus),  wie  der  Fruchtkelch 
der  Judenkirsche,  Fig.  177. 

e)  Kreiseiförmig  (turbinatus),  wie  der  Kelch  Fig.  172. 

f)  Glockig  (campanulatus),  mit  bauchig  erweiterter  Röhre,  wie 
der  Kelch  des  Bilsenkrautes,  Fig.  170,  die  Blume  von  Campanula. 

g)  Trichterig  (infundibuliformis),  Fig.  171,  so  die  Blume  der 
Winde,  des  Stechapfels  u.  a. 

h)  Tellerförmig  (hypocraterimorphus),  wenn  die  Zipfel  einer 
röhrigen  Blume  sich  flach  ausbreiten ,  wie  beim  Seidelbast ,  spanischen 
Flieder,  Singrün. 

i)  Radförmig  (rotatus),  wenn  die  Blume  ohne  Röhre  flach  ausge- 
breitet ist,  wie  beim  Nachtschatten,  Borretsch,  Hollunder. 

Die  Blätter  eines  mehrblätterigen  Kelches  resp.  Blume  können  alle 
Formen  eines  Blattes  besitzen. 

Bei  der  Feder.krone  der  Kompositen  unterscheidet  man  hauptsäch- 
lich folgende  Formen: 


-     384     — 

a)  Haar  förmig  (pappus  pilosus),  -wenn  sie  aus  haarfeinen  Strahlen  ■ 
besteht,  wie  beim  Habichtskraut,  Fig.  179. 

b)  Fe  der  ig  (p.  plumosus),  wenn  aus  gefiederten  Strahlen,  wie  bei 
Scorzonera,  Fig.  180. 

c)  Grannig  (p.  aristatus),  wenn  aus  wenigen,  starren  Strahlen,  wie 
bei  Bidens,  Fig^  181. 

d)  Kr  önchenförmig  (cor onif ormis),  wenn  in  Form  eines  Haut- 
randes, wie  bei  Chrysanthemum. 

e)  Spreuig  (p.  paleaceus),  ein  Kreis  von  Spreublättchen. 

Häufig  ist  sie  gestielt  (p.  stipitatus),  wie  in  Fig.  180;  im  Gegen- 
satz dazu:  sitzend  (p.  sessilis),  wie  in  Fig.  179. 

B.  Unregelmässige  Formen: 

a)  Gespornt  (calcaratus),  nach  unten  in  einen  Sporn  (calcar) 
vorgezogen,  wie  der  Kelch  der  Kapuzinerkresse,  Fig.  176,  die  Blume  des 
Veilchens,  das  Perigon  von  Orchis. 

b)  Gehelmt  (galeatus),  helmartig  gewölbt,  wie  das  obere  (blumen- 
ähnliche) Kelchblatt  des  Sturmhuts  und  die  Oberlippe  bei  Fig.  174. 

c)  Zweilippig  (bilabiatus),  wenn  das  Organ  nach  zwei  Seiten  hin 
ausgebildet  ist,  die  sich  als  Oberlippe  und  Unterlippe  gegenüber- 
stehen, wie  Kelch  und  Blume  vieler  Labiaten  und  Personaten.  Man 
unterscheidet  hierbei  den  Schlund  der  Unterlippe  als  Gaumen,  die  Blumen- 
röhrenöffnung  als  Rachen;  schliesst  der  Gaumen  den  Rachen,  wie  beim 
Löwenmaul,  Fig.  175,  so  heisst  die  Blume  maskiert  (c.  personata);  ist 
der  Rachen  offen,  so  wird  sie  rachig  (ringens)    genannt,  wie  Fig.  174. 

d)  Einlippig  (labiatus),  wenn  nur  ein  Teil  als  Lippe  (labium, 
labellum)  vorragt,  wie  bei  dem  Perigon  der  Orchideen,  der  Aristolochia. 

e)  Zungenförmig  (ligulatus),  nach  einer  Seite  in  ein  langes, 
flaches  Band,  die  Zunge  (ligula),  vorgezogen,  wie  bei  den  Strahlblütchen 
der  Kompositen,  Fig.  173. 

f)  Flügelartig  (alaeformis),  wie  die  blumenartigen  Kelchblätter 
von  Polygala. 

g)  Schmetterlings  förmig  (papilionaceus),  wie  die  Blume  der 
Papilionaceen,  aus  fünf  Blumenblättern  bestehend,  deren  oberstes  als  Fahne 
(vexillum)  zurückgeschlagen  ist ;  die  beiden  seitlichen  heissen  Flügel  (alae) 
die  beiden  unteren  sind  zu  einem  kahnförmigen  sog.  S  c  h  i  f  f  c  h  e  n  (c  a  r  in  a) 
verbunden. 

2.  Nach  der  Dauer: 

a)  Abfallend  (deciduus),  beim  Abblühen  abfallend,  wie  dies  für 
die  Blume  Regel  ist. 

b)  Hinfällig  (caducus),  schon  bei  der  Entfaltung  der  Blüte  ab- 
fallend, wie  der  zweiblätterige  Kelch  des  Mohns,  Fig.  178,  die  Blumen- 
blätter der  Weinrebe,  welche,  am  Grunde  sich  ablösend,  wie  ein  Mützchen 
sich  abheben. 

c)  Bleibend  (persistens),  bei  der  Fruchtreife  häufig  auswachsend 
und  die  Frucht  unterstützend ,  wie  der  Kelch  der  Nieswurz ,  der  Juden- 
kirsche, Fig.  177.  Wenn  die  Blume  bleibt,  so  nennt  man  sie  verwel- 
kend (marcescens),  wie  beim  Tausendgüldenkraut. 

3.  Nach  der  Konsistenz  und  Farbe:  Krautartig  (herbaceus); 
blatt  artig  (foliaceus);  trockenhäutig  (scariosus),  wie  die  Blume  des 
Wegerich,  der  Kelch  der  Strandnelke ;  blumig  (corollinus),  wie  der  Kelch 
von  Polygala, _  Aconitum,  das  Perigon  der  Lilie ,  Tulpe,  Herbstzeitlose; 
spelzen artig  (glumaceus),  trockenhäutig  und  braun  (selten  weiss)  ge- 
färbt, wie  das  Perigon  der  Simsen ;  —   weiss   (albus,  candidus) ;   weiss- 


385 


S  c  h  1  i  c  k  n  m  ,  Apothekerlehrlin<r 


-     386     - 

lieh  (albidus);  schwarz  (niger,  ater);  schwärzlich  (nigricans,  nigre- 
scens);  grau  (incanus,  canus,  canescens) ;  aschgrau  (cinereus,  griseus); 
blass  (pallidus);  hellfarbig  (laetus);  schmutzig  (sordidus);  braun 
(fuscus,  badius,  fuliginosus) ;  braunrot  (rufus,  ferrugineus) :  g  e  1  b  (luteus, 
citrinus,  flavus);  goldgelb  (aureus);  gelbweiss  (ochroleucus) ;  gelb- 
lich (lutescens,  luteolus,  flavescens);  fahlgelb  (falvus);  orangerot 
(aurantiacus) ;  grün  (viridis);  blau  grün  (glaueus,  glaucescens) ;  grün- 
lich (virescens);  blau  (coeruleus,  azureus) ;  bläulich  (caesius,  coerule- 
scens);  v i o  1  e 1 1  (violaceus) ;  rot  (ruber,  phoeniceus,  coccineus,  sanguineus): 
fleischrot  (roseus,  incarnatus);  purpurrot  (purpureus). 


Fig.  182. 
klappige, 


Fig.  183. 
dachziegelige, 


Fig.  184. 
gedrehte  Lasre. 


4.  Nach  der  Knospenlage  (aestivatio)  kann  Kelch  und  Blume  sein : 

a)  Klappig    (valvaris),    wenn    die    einzelnen   Blätter  sich  mit   den 
Rändern  nicht  decken,  Fig.  182. 

b)  Dachig,    dachziegelig    (imbricata),    wenn   die   Ränder    der 
äusseren  die  inneren  bedecken,  Fig.  183. 

c)  Gedreht   (contorta),   wenn  jedes  Blatt  einerseits    bedeckt  wird, 
andrerseits  selbst  deckt,  Fig.  184. 


8.  Die  Staubgefässe. 

§  357.  Was  stellen  die  Staubgefässe  vor?  Die  Staubgefässe 
(stamina)  bilden  den  auf  die  Blume  folgenden  Kreis  der  Blüten- 
organe und  stellen  die  männlichen  Geschlechts  Werk- 
zeuge dar.  Sie  sind  ursprünglich  blattartige  Gebilde  und  kehren 
bei  den  sogen,  gefüllten  Blüten,  wie  z.  B.  bei  der  Centifolie, 
in  die  Form  der  Blumenblätter  zurück.  (Rückschreitende 
Metamorphose.)  Gemäss  dem  Ursprung  aus  einem  Blatte 
besteht  das  einzelne  Staubgefäss  aus  einem  fädlichen  Teile, 
dem  Staubfaden  (filamentum),  welcher  dem  Blattstiel 
entspricht,  und  einem  verbreiterten  Teile,  dem  Staub- 
beutel (anthera),  welcher  aus  der  Blattfläche  hervor- 
geht. Fig.  185  zeigt  ein  Staubgefäss,  a  Staubfaden,  b 
Staubbeutel. 

Fig.  185.         Wenn  der  Staubbeutel  fehlt,  so  nennt  man  das  Staub- 
gefäss  beutellos;    verkümmert  der  Staubbeutel  in  Missgestal- 


—     387     - 

tung,    so    spricht    man    von    einem   Staminodium,   wie   beim 
fünften  Staubgefäss  von  Scrophularia. 

§  358.  Vom  Staubbeutel.  DerStaubbeutel  (anthera)  ist 
der  wesentlichste  Teil  des  Staubgefäss  es,  da  er  den 
befruchtendenBlütenstaub  birgt.  Der  Staubfaden  kann 
fehlen,  wie  dies  bei  der  Mistel  der  Fall  ist,  wo  der  Staubbeutel 
dem  Blumenblatte  aufsitzt. 

Der  Staubbeutel  enthält  in  der  Regel  zwei  Fächer  (anthera 
bilocularis),  worin  sich  der  Blütenstaub  befindet,  zu  dessen  Ver- 
stäuben sie  sich  öffnen.  Diese  Staubbeutelfächer  sind  durch 
das  Mittelband  (connectivum)  mit  einander  verbunden. 
Seltener  tritt  der  Staubbeutel,  infolge  von  Verkümmerung,  ein- 
fächerig  auf  (anthera  unicularis),  wie  bei  den  Malven.  der 
Wollblume  (Fig.  202). 

§  359.  Vom  Blütenstaub.  Der  in  den  Staubbeutelfächern  ent- 
haltene Blütenstaub  (p ollen)  besteht  aus  unzähligen  mikro- 
skopisch kleinen  Körnchen,  den  Pollenkörnern,  welche  sich 
zu  je  vier  in  einer  Zelle  des  Antherenfaches  bilden  und  infolge 
eintretender  Resorption  der  Zellwand  später  frei  werden.  Die 
Pollenkörner  treten  beim  Verstäuben  als  gelber,  feiner  Staub  auf. 
Sie  führen  einen  schleimig-körnigen  Inhalt  (Befruchtungsstoff, 
fovilla)  in  doppelter  Umhäutung;  die  innere  Haut  (intina)  ragt 
gewöhnlich  durch  Öffnungen  der  äusseren  (extina)  warzenförmig 
hervor.     Fig.  186  zeigt  verschiedene  Formen  des  Pollens : 


Fig.  187- 

a  vom  Kürbis,  b  von  der  Passionsblume,  c  von  Cuphea,  d  von  Dip- 
sacus.  Bei  den  Orchideen  trennen  sich  aber  die  Pollenkörner  nicht, 
sondern  bleiben  in  Zusammenhang  mit  einander,  Pollen- 
massen (pollinaria)  bildend,  welche  als  wachsartig,  als  körnig 
oder  als  mehlig  beschrieben  werden;  je  nachdem  die  einzelnen 
Körner  zusammengeklebt  sind.  Sie  sind  häufig  gestielt  und 
am  Ende   des  Stiels    mit   einer  Drüse  versehen,   die  am  Grunde 

25* 


....     388     — 

des  Staubbeutelfaches  in  einem  Beutelohen    (bursicula)  liegt,  wie 
dies  Orchis  zeigt  (Fig.  187). 

Terminologische  Bestimmungen. 

1 .  Die  Staubgefässe  sind  ihrer  Zahl  nach: 

a)  Gleichzählig  (stamina  isomer a),  in  gleicher  Anzahl  wie  die 
Blumenblätter;  so  beim  Lein  und  Borretsch,  bei  denen  wir  je  5  Kelch- 
und  Blumenblätter  und  5  Staubgefässe  in  der  Blüte  finden.  Plantago, 
Asperula,  Galium  besitzen  deren  je  4. 

b)  Doppelzählig  (st.  dupla),  in  doppelter  Zahl  wie  die  Blumenteile ; 
so  bei  der  Nelke,  welche  5  Blumenblätter  und  10  Staubgetässe  besitzt. 

c)  Zahlreich  (st.  numerosa),  wie  bei  Hahnenfuss,  Kirsche,  Apfel, 
Rose,  bei  denen  5  Blumenblätter  und  20 — 50  Staubgefässe  vorhanden  sind. 

2.  Nach  der  Anheftung: 

a)  Bodenständig  (thalamo  inserta),  der  Blütenaxe  eingefügt, 
Fig.  160. 

b)  Kelchständig  (calyci  inserta),  Fig  161 — 168,  der  Kelchröhre 
eingefügt. 

c)  Der  Blume  eingefügt  (corollae  inserta),  wie  bei  der  Schlüssel- 
blume, Wollblume.   Die  abgepflückten  Blumenkronen  tragen  die  Staubgefässe, 

3.  Nach  der  Grösse: 

a)  Gleichlang  (st.  aequalia),  wie  in  den  meisten  Fällen. 

Häufig  ist  der  äussere    Kreis    kürzer  als  der  innere,   z.  B.  beim 
Storchschnabel,  Sauerklee,  Nelke,  Fig.  188. 

b)  Zweimächtig  (st.  didynama),  wenn  von  4  Staubgefässen  zwei 
länger,  zwei  kürzer  sind,  wie  beim  Fingerhut,  den  Labiaten,  Fig.  189. 

c)  Viermächtig  (tetradynama),  wenn  von  6  Staubgefässen  4  länger, 
2  kürzer  sind,  wie  bei  den  Cruciferen,  Fig.  190. 

4.  Nach  der  Verwachsung  der  Staubfäden: 

a)  Frei  (st.  libera),  ohne  alle  Verwachsung. 

b)  Einbrüderig  (st.  monadelpha),  wenn  alle  Staubfäden  in  eine 
einzige  Röhre  verbunden  sind,  die  nach  oben  sich  in  die  einzelnen  Fäden 
auflöst;  so  bei  der  Malve,  Fig.  191. 

c)  Zweibrüderig  (st.  diadelpha),  wenn  die  Staubfäden  in  zwei 
Bündel  verwachsen  sind,  wie  beim  Erdrauch,  der  Polygala,  oder  wenn  ein 
einziger  Staubfaden  frei,  die  übrigen  in  eine  Röhre  verbunden  sind,  wie  bei 
vielen  Schmetterlingsblütlern  (Bohne,  Erbse,  Wicke),  Fig.  192. 

d)  Mehrbrüderig  (st.  polyadelpha),  wenn  die  Staubfäden  in  mehr 
als  zwei  Bündel  verwachsen  sind,  wie  bei  der  Pomeranze,  Fig.  193. 

5.  Die  Staubbeutel  können  sein: 

a)  Angewachsen  oder  fortlaufend  (anthera  accreta  seu  con- 
tinua),  wenn  das  Mittelband  die  direkte  Verlängerung  des  Staubfadens 
bildet,  Fig.  192—200. 

b)  Beweglich  (mobilis),  wenn  das  Mittelband  durch  Gliederung  mit 
dem  Staubfaden  verbunden  ist  und  dadurch  eine  gewisse  Beweglichkeit 
erlangt;  so  bei  den  Riedgräsern  u.  a.,  Fig.  190. 

c)  Aufliegend  (incumbens),  wenn  ein  beweglicher  Staubbeutel  hori- 
zontal auf  den  Staubfäden  liegt,  wie  bei  den  Gräsern,  der  Lilie,  u.  a.. 
Fig.  202. 

d)  Verwachsen  (antherae  connatae),  wie  bei  den  Kompositen,  wo 
die  5  Beutel  in  eine  hohle  Röhre  verwachsen  sind,  durch  welche  der  Griffel 
hindurchgeht,  _  Fig.  196.  Beim  Kürbis,  Fig.  197,  finden  wir  sowohl  die 
Staubfäden,  wie  die  Beutel  mit  einander  verwachsen. 


389 


Fig.  189.  Fig.  190.         Fig.    191.  Fig.   192.         Fig.  193. 

Zweimächtige     Viermächtige  Einbrüdrige    Zweibrüdrige  Mehrbrüdrige 

Staubgef.  Staubgef.  Staubgef.         Staubgef.  Staubgef. 


Fig.  194. 

Spreizende 
Staubbeutel. 


'    Wk 


.,!{,-; 


Fig.  196.  Fig.  197. 

a  Verwachsene  Staubbeutel  Staubgef.  mitver- 
b  Staubbeutelröbre  auf-        wachsenen  Staub- 
geschnitten, beuteln. 


Fig.  199.  Fig.  200.  Fig.  201. 

Spaltige     In  Löchern  auf-        Klappig  auf- 
Staubbeutel,    spring.  Beutel.'    spring.  Beutel. 


-     390     — 

6.  Die  Fächer  des  Staubbeutels  können  sein: 

a)  Gleichlaufend  (locula  parallela)  wie  in  Fig.  188. 

b)  Spreizend  (1.  divergentia)  wie  in  Fig.  194. 

c)  Getrennt  (discreta).  wie  bei  Salvia,  Fig.  195,  deren  Mittelband 
fädlich  und  quer  aufliegend  ist. 

d)  Gegenüberstehend  (opposita),  an  zwei  entgegengesetzten  Seiten 
des  Mittelbandes,  Fig.  185. 

e)  Nebenstehend  (apposita),  wenn  auf  derselben  Seite  des  Mittel- 
bandes, Fig.  198;  man  unterscheidet  alsdann  auswärts  gerichtet  (ex- 
trorsa)  und  einwärts  gerichtet  (introrsa),  je  nachdem  sie  nach  dem 
Umkreis  oder  nach  dem  Centrum  der  Blüte  gewendet  sind.  Jenes  finden 
wir  beim  Hahnenfuss,  dieses  bei  der  Pfingstrose. 

f)  Schildständig  (peltata),  wenn  die  Fächer  der  Unterseite  eines 
schildstieligen  Mittelbandes  angeheftet  sind,  wie  beim  Wacholder. 

Der  Staubbeutel  zeigt  zuweilen  Fortsätze:  zweihörnig  (anth.  bi- 
cornis),  wie  bei  Vaccinium,  Fig.  200,  an  der  Spitze;  gespornt  (cal- 
carata)  wie  bei  Erica,  Fig.  199,  am  Grunde;  geschwänzt  (caudata),  wenn 
das  Mittelband  in  einem  Schweif  endigt,  wie  beim  Oleander. 

7.  Das  Aufspringen  des  Staubbeutels  kann  geschehen: 

a)  Der  Länge  nach  (anth.  longitudinaliter  dehiscens)  Fig.  198. 
Dies  ist  der  gewöhnliche  Fall.  Wenn  sich  die  Längsspalte  nur  teilweise 
öffnet,  so  bezeichnet  man  das  Aufspringen  als  ein  spaltiges  (anth.  rimis 
dehiscens),  wie  bei  Erica,  Fig.  199. 

b)  In  Löchern  (anth.  poris  dehiscens),  wie  beim  Nachtschatten, 
der  Heidelbeere,  Fig.  200,  deren  Beutelfächer  an  der  Spitze  mit  einem 
Loche  aufspringen.  Bei  der  Mistel  geschieht  das  Aufspringen  in  zahl- 
reichen Löchern  und  wird  ein  bienenzelliges  genannt  (anth.  favose 
dehiscens). 

c)  In  Klappen  (anth.  valvis  dehiscens),  wenn  sich  die  äussere 
Fachwandung  von  unten  nach  oben  deckelartig  emporhebt,  wie  beim  Lor- 
beer, Fig.  201. 

d)  Der  Quere  nach  (anth.  transversim  dehiscens),  wenn  ein  ein- 
fächeriger Staubbeutel  an  der  Spitze  in  einer  Querspalte  aufspringt,  Fig.  202. 


9.  Der  Stempel. 

§360.  Was  stellt  der  Stempel  vor?  Der  Stempel  (pistillum) 
ist  das  weibliche  Geschlechtsorgan  der  Blüte,  aus  dem 
innersten  Blütenkreise  gebildet  und  in  das  Centrum  derselben 
gestellt,  in  seiner  Höhlung  die  Samenknospen  um- 
schliessend. 

Der  Stempel  besteht ,  ähnlich  den  Staubgef ässen ,  aus  ver- 
änderten Blattorganen,  die  man  Fruchtblätter,  Karpell- 
blätter genannt  hat.  Solche  Fruchtblätter  sind  einzeln  oder 
zu  mehreren  in  der  Blüte  und  bilden,  je  nachdem  sie  getrennt 
bleiben  oder  mit  einander  verwachsen,  mehrere  getrennte  oder 
einen  vereinigten  Stempel.     Der  Stempel  ist  demnach: 

a)  Einkarp ellig,  wenn  er  nur  aus  einem  einzigen  Frucht- 
blatt besteht.     Alsdann   trägt   er  nur  eine  Narbe.     Bsp.  Erbse. 

b)  M  e  h  r  k  a  r  p  e  11  i  g ,  wenn  er  aus  zwei  oder  mehreren  Frucht- 


391     - 


blättern    zusammengesetzt   wird.     Alsdann    trägt    er    gewöhnlich 
ebenso  viele  Narben,  als  Fruchtblätter  vorhanden  sind.   Bsp.  Apfel. 

§  361.  Die  einzelnen  Teile  des  Stempels.  Der  Stempel  zeigt 
drei  Teile :  1 .  einen  unteren ,  bauchig  aufgeschwollenen ,  den 
Fruchtknoten  (Ovarium,  germen),  Fig.  203a;  2.  einen 
stielförmigen,  den  Griffel  (stylus),  Fig.  203c,  und 
3.  eine  verschieden  geformte,  drüsig-klebrige  Spitze, 
die  Narbe  (stigma),  Fig.  203b.  Oft  fehlt  der  Griffel; 
dann  heisst  die  Narbe  sitzend   (stigma   sessile). 

Der  Fruchtknoten  entsteht  aus  dem  Karpellblatt 
durch  seitliche  Verwachsung  der  beiden  Ränder  und 
stellt  ein  hohles  Organ  dar,  in  dessen  Höhlung  die 
Samenknospen  sich  befinden.  Der  Griffel,  sowie  die 
Narbe  entstehen  aus  der  mehr  oder  weniger  lang- 
gezogenen Spitze  des  Karpellblattes,  als  hohle  Ver- 
längerung des  Fruchtknotens,  und  sind  von  dem  sog. 
Griffelkanal  durchzogen,  einem  mit  zartem  Gewebe 
erfüllten  Gange,  welcher  von  der  Narbe  zur  Frucht- 
knotenhöhle herabführt. 

Die  Samenknospen  (Ovula)  auch  Eichen  genannt, 
sprossen  aus  dem  Ende  der  Blütenaxe;  diese  bleibt  entweder 
als  Säulchen  im  Mittelpunkte  des  Stempels,  mit  den  Samen- 
knospen bedeckt,  stehen,  Fig.  208,  oder  löst  sich  in  eben  so  viele 
Stränge  auf,  wie  Karpellblätter  vorhanden  sind,  welche  Stränge, 
Samenträger  (spermophora)  genannt,  sich  auf  die  Ränder 
der  Karpellblätter  schlagen  und  in  ihrem  Verlaufe  die  Samen- 
knospen entsenden.     (Fig.  205—207). 

§  362.  Bildung  des  Fruchtknotens.  Der  Stempel  ist  ein- 
karp ellig,  wenn  er  aus  einem  einzigen  Fruchtblatt  besteht; 
wir  finden  ihn  bald  einzeln  in  der  Blüte,  wie  bei  der  Bohne  und 
Erbse,  bald  zu  mehreren  bis  vielen,  wie  bei  dem  Hahnenfuss, 
Nieswurz ,  Sturmhut ;  er  ist  dagegen  mehrkar pellig, 
wenn  er  sich  aus  zwei  oder  mehreren  Karpellblättern  zu- 
sammengesetzt hat.  Im  letzteren  Falle  lässt  sich  die  Zahl 
der  Karpellblätter  gewöhnlich  aus  der  Anzahl  der  Narben, 
immer  aus  derjenigen  der  Nähte  und  Samenträger  erkennen. 
Bei  einkarpelligen  Stempeln  unterscheiden  wir  zwei 
Nähte:  1.  die  aus  der  Verwachsung  der  Blattränder  hervor- 
gegangene Bauchnaht  (sutura  ventralis) ,  in  welcher 
der  Samen  trag  er  verläuft,  stets  dem  Centrum  der 
Blüte  zugewendet;  2.  die  dem  Mittelnerv  des  Frucht- 
blattes entsprechende  Rückenn  aht  (sutura  dorsalis),  welche  -pig. 
der  Peripherie    der    Blüte   zugewendet  ist.     Als  Beispiel     204. 


—     392    — 

seien  die  Bohne  und  die  Erbse  erwähnt.  Fig.  204  zeigt  einen 
solchen  Stempel  im  Längsschnitt.  Der  Samenträger  ist  in 
ihm  stets  wandständig  (spermophorum  parietale).  Solche 
Stempel  finden  wir  bei  der  Pfingstrose,  beim  Nieswurz  und  Sturm- 
hut zu  mehreren,  beim  Hahnenfuss  zu  vielen  in  einer  Blüte. 

Schliessen  sich  aber  die  Karpellblätter  einer  Blüte  zu  einem 
einzigen,  mehrkarpelligen  Stempel  zusammen,  so  können  sie  einen 
mehrfächerigen  oder  einen  einfächerigen  Fruchtknoten  bilden. 
Dies  geschieht  folgendermassen : 

a)  Die  Karpellblätter  haben  sich ,  jedes  für  sich,  zu  Kar- 
pellen geschlossen  und  seitlich  rings  um  die  Axe  zu  einem 
mehrfächerigen  Fruchtknoten  (ovarium  pluriloculare) 
verwachsen,  wie  Fig.  205  zeigt.  Die  Bauchnähte  der  einzelnen 
Karpellen  fallen  in  das  Centrum,  die  Rückennähte  sind  von 
aussen  sichtbar.  Die  Scheidewände  (dissepimenta)  ent- 
stehen aus  den  Karpellblättern  selbst  und  zeigen  doppelte  Wan- 
dung. Die  Samen  träger,  in  der  Zahl  mit  den  Karpellen  über- 
einstimmend, sind  central  (spermophora  centralia).  So 
besitzt  die  Lilie  einen  dreifächerigen  (Fig.  205),  der  Apfel  einen 
fünffächerigen  Fruchtknoten. 

b)  Die  Karpellblätter  haben  sieh  nicht  zu  Karpellen  zusam- 
mengeschlagen, sondern  verwachsen  seitlich  mit  ihren  Rändern 
zu  einem  einfächerigen  Fruchtknoten  (ovarium  uni- 
lo ciliare),  an  dessen  Aussenwand  sowohl  die  Bauch-  wie  die 
Rückennähte  sichtbar  sind.  In  den  meisten  Fällen  folgen  die 
Samen  träger  als  einzelne  Stränge  den  Bauchnähten  —  wand- 
s tändige  Samenträger  (spermophora  parietalia);  Fig. 
206  und  207  zeigen  einen  solchen  zwei-,  resp.  dreikarpelligen 
Fruchtknoten  im  Querschnitt.  Beisp.  Stachelbeere,  Veilchen. 
Seltener  sprossen  die  Samenknospen  aus  einem  centralen 
Säulchen  (columella),  wie  bei  den  Nelken  (Fig.  208). 


Fig.  205. 


206. 


Fio-.  207. 


Für.  208. 


Solche  mehrkarpellige ,  einfächerige  Fruchtknoten  lassen  zu- 
weilen die  Samenträger  mehr  oder  weniger  weit  in  die  Höhlung 
als  falsche  Scheidewände  (Spermophora  septiformia)  hinein- 
ragen und  werden  zu  einem  unvollständig  fächerigen 
Fruchtknoten,  wie  ihn  der  Mohn  zeigt. 


393 


Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Der  Fruchtknoten  (ovarium)  kann  sein: 

a)  Ober  ständig    (super  um),    wenn   er  frei  in   der  Kelehröhre   steht, 
z.  B.  bei  der  Kirsche. 

b)  Unterständig   (inferum),   wenn   er  mit  der  Kelchröhre  oder  dem 
Perigon  verwachsen  ist,  wie  beim  Apfel,  Hollunder,  der  Heidelbeere. 

2.  Der  Griffel  (stylus)  kann  sein: 

a)  Endständig  (terminalis),  wie  in  den  meisten  Fällen. 

b)  Seitenständig    (lateralis),    wie    bei    der   Erdbeere, 
Fig.  209. 

c)  Central    (centralis),    aus    der  vertieften  Mitte   eines 
geteilten  Fruchtknotens,  wie  bei  den  Labiaten. 

d)  Abwärts  geneigt  (declinatus),  wie  bei  Dictamnus. 

e)  Gekrümmt  (curvatus),  wie  beim  Kümmel. 

f)  Gekniet  (geniculatus),  wie  bei  Geum. 

g)  Spiralig  gerollt  (spiralis),  wie  beim  Ginster  und  der  Schneidebohne, 
h)  Auswachsend    (excrescens)    bei    der   Fruchtreife,    wie    bei    der 

Küchenschelle  und  Waldrebe. 

3.  Die  Narbe  (stigma)  kann  sein: 

a)  Sitzend  (sessile),  wenn  der  Griffel  fehlt,  wie  beim  Mohn,  Hollunder. 

b)  Kopfförmig    (capitatum),    als    kleines    Knötchen,    wie    bei    der 
Schlüsselblume. 

c)  Keulenförmig    (clavatum),    nach    oben  verdickt,    wie    bei  Viola 
tricolor. 

d)  Schildförmig  (peltatum),  wie  beim  Mohn,  wo  sie  zugleich  strah- 
lig gelappt  (radiate  lobatum)  ist. 


Fig.  210.  Fig.  211.  Fig.  212.  Fig.  213. 

e)  Fädlich  (filiforme),  wie  bei  Luzula,  Fig.  210. 

f)  Pinselig(penicillatum),  bei  Rumex,  und  sprengwedelig  (asper- 
gilliforme),  wie  bei  manchen  Gräsern,  Fig.  211. 

g)  Federig  (plumosum),  wie  bei  manchen  Gräsern,  Fig.  212. 

h)  Blumenblattartig    (petaloideum),    wie  bei  der   Schwertlilie, 
Fig.  213. 


394 


10.  Die  Frucht. 

§363.  Was  ist  die  Frucht?  Die  Frucht  (fructus,  griech. 
y.aQTrdg)  ist  der  während  der  Frnchtreife  ausgewachsene 
Fruchtknoten,  welcher  die  Samen  birgt.  Bei  der  Zeiti- 
gung der  Frucht  finden  mannigfache  Veränderungen  an  dem 
Fruchtknoten  statt :  a)  einfaches  Yergrössern,  ohne  dabei  die 
Konsistenz  zu  verändern ;  b)  Verschmelzen  des  Fruchtknotens 
mit  der  Samenschale,  wie  bei  vielen  einsamigen  Früchten  (Fenchel, 
Anis);  c)  Verhärtung  des  Gewebes,  wodurch  nussartige  Früchte 
entstehen  (Haselnuss,  Hanf);  d)  Fleischig-  und  Saftigwerden  des 
Gewebes,  bei  den  Beeren  (Weinbeere,  Johannisbeere),  Kürbissen, 
Äpfeln,  Kirschen  und  Pflaumen. 

§  364.  Aus  welchen  Teilen  besteht  die  Frucht?  Die  Frucht  be- 
steht aus  zwei  Teilen : 

a)  der  Fruchtschale  (pericarpium), 

b)  den  Samen  (semin a). 

An  der  Fruchtschale  lassen  sich  drei  Schichten  erkennen : 
1.  eine  dünne,  häutige  Aussenschicht,  die  äussere  Fruchthaut 
(epicarpium);  2.  eine  meist  mehr  oder  weniger  dicke,  oft  flei- 
schige oder  saftige  Mittelschicht,  die  mittlere  Frucht  haut 
(mesocarpium) ;  3.  eine  ebenfalls  dünne,  hautartige  Innen- 
schicht, die  innere  Fruchthaut  (endocarpium).  Das  Epi- 
und  Endocarpium  entsprechen  der  Ober-  und  Unterhaut  der 
Blätter,  das  Mesocarpium  dem  inneren  Blattgewebe. 

An  der  Fruchtschale  lassen  sich  die  Nähte  des  Fruchtknotens 
unterscheiden,  sowohl  die  Bauch  naht,  hervorgegangen  aus  der 
Verwachsung  der  Karpellränder,  welche  innen  die  Samenträger 
mit  den  Samen  zeigen;  als  auch  die  Bückennähte,  die  Mittel- 
nerven der  einzelnen  Karpellblätter  bezeichnend.  Beide  Nähte 
sind  beispielsweise  an  der  Bohne,  einer  einkarpelligen  Frucht, 
sehr  wohl  wahrzunehmen.  Ist  eine  Frucht  durch  Verwachsung 
mehrerer  Karpelle  entstanden,  so  bilden  sich  dort,  wo  die  Scheide- 
wände an  die  Peripherie  treten,  sogenannte  Seitennähte. 

War  der  Fruchtknoten  ein  fächerig,  so  ist  dies  auch  die 
Frucht;  aus  mehrfächerigen  Fruchtknoten  entstehen  mehr  fäche- 
rige Früchte.  Die  Scheidewände  (dissepimenta)  teilen  die 
Frucht  in  radialer  Bichtung,  der  Länge  nach.  Wir  finden  aber 
auch  zuweilen  Qu  er  Scheidewände  (septa),  welche  die  Frucht 
der  Quere  nach  in  zwei  oder  mehrere  Abteilungen  trennen,  z.  B. 
beim  Rettig.  Dasselbe  zeigt  die  Bohne,  das  Johannisbrot,  die 
Tamarinde  —  in  den  letzteren  Fällen  handelt  es  sich  aber  nicht 
um  wirkliche,  schon  in  der  Blüte  vorhandene  Querscheidewände, 
sondern  das  Mesocarpium  hat  sich  zwischen  die  Samen  eingewuchert. 


395 


Auch  die  Bildung  der  Samenträger  findet  sich  in  der  Frucht 
ebenso  wieder,  wie  im  Fruchtknoten  während  der  Blütenzeit. 
Sie  sind  demnach  bald  wandständig  (spermophora  parietalia), 
wie  bei  der  Bohne,  Erbse,  beim  Veilchen;  bald  central  (sp. 
centralia),  wie  beim  Apfel,  der  Birne  und  Quitte. 

Die  Fruchtformen. 

§  865.  Wie  unterscheidet  man  die  Früchte  nach  ihrer  Form?  Die 
Beschaffenheit  der  Fruchtschale,  ihr  Aufspringen  und  ihr  Ver- 
hältnis zu  den  Samen  bedingen  die  Verschiedenheit  der  Früchte, 
die  sich  in  fünf  Hauptrubriken  teilen  lassen: 

Frucht  ein  sämig,  nicht  auf-  j  Schal  fr  ucht 

springend |  S chlies sfrucht. 

Frucht  mehrsamig,  in  den 

Nähten  aufspringend     .        Kapseltrucht. 


Konsistenz  der 

Fruchtschale  nicht 

verändert 


Frucht    in    ihre    Karpelle        „        -,  ,  r  ■,   , 

zerfallend    .     .    .    .     .       Spaltfrucht. 


Fruchtschale 

mit  veränderter 

Konsistenz 


(  Fruchtschale  verholzt  . 
!  Fruchtschale  fieischig- 
{       saftig 


N  u  s  s. 

Fleischfrucht. 
A.  Die  Schal  fr  ucht  und  Schliessfrucht. 

§  363.  Was  charakterisiert  die  Schalfrucht  hezw.  Schliessfrucht? 
Wenn  die  Fruchtschale  nur  einen  einzigen  Samen  um- 
schliesst,  so  verschmilzt  sie  gewöhnlich  mit  demselben  und 
springt  bei  völliger  Reife  nicht  auf.  Wir  nennen  daher  diese 
Frucht,  welche  sich  beim  Getreide,  den  Kompositen  und  in  den 
Teilfrüchten  der  Umbelliferen  findet,  im  gewöhnlichen  Leben 
Samen  oder  Korn  (z.  B.  Fenchelsamen,  Anissamen,  Boggen- 
korn, Weizenkorn),  da  man  sie  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
für  einen  Samen  hält.  Man  nennt  diese  Frucht  bald  Schal  - 
frucht ,  bald  Schliessfrucht,  je  nachdem  sie  vom  Kelche  frei, 
oder  vom  Kelche  gekrönt  ist. 

a)  Im  Fall  der  Fruchtknoten  mit  dem 
Kelche  nicht  verwachsen  ist,  nennt  man 
diese  Frucht  eine  Schalfrucht  (Caryop- 
sis*)),  wie  beim  Getreide;  auch  wohl  ein 
aussehen,  sofern  die  Schale  härtlich  ist, 
wie  beim  Hanf.  Fig.  2l4a  zeigt  den  Durch- 
schnitt der  Schalfrucht  des  Hahnenfusses. 

2)    Im    Fall    der    Fruchtknoten    unter- 
ständig, mit  der  Kelchröhre  verwachsen  ist, 
heisst  die  Frucht  eine  Schliessfrucht, 
Achäne  (Achaenium),  wie  wir  sie,  mit  dem  Pappus  gekrönt, 
bei  den   Kompositen    finden   (Fig.  214  b).     Auch   die   Teilfrüchte 


Fig.  214. 


*)  caryopsis.  nussähnlich,  von  xapuov  (Nuss)  und  oii?  (Gestalt). 


396     - 


der  Umbelliferen    sind   Schliessfrüehte,   wie  beim   Fenchel,  Anis,. 
Kümmel. 

B.  Die  Kapsel  fr  ucht. 

§  367.  Was  charakterisiert  die  Kapselfrucht?  Die  Kapsel- 
frucht  (Capsula)  ist  eine  mehr  sämige,  trockene  Fruchtr 
welche  bei  völliger  Reife  in  ihren  Nähten  aufspringt. 

Das  Aufspringen  (dehiscentia)  geschieht  in  der  Bauchnaht 
oder,  bei  mehrfächerigen  Früchten,  in  den  Seitennähten,  zuweilen 
auch  in  der  Rückennaht.  Die  dadurch  gebildeten  Abschnitte  der 
Fruchtschale  heissen  Klappen  (valvae)  und  lösen  sich  in  der 
Regel  von  der  Spitze  nach  dem  Grunde  hin  ab  (Fig.  215 
und   217);   seltener  vom  Grunde  nach  der  Spitze  hin  (Fig.  216). 

Im  Gegensatz  zu  diesem  Aufspringen  steht  das  Zerfallen 
der  querfächerigen  Früchte  in  Querglieder,  wie  Fig.  218 


Fig.  215. 


Für.  '216. 


Fig.  217. 


Fig.  218.        Fig.  219. 


zeigt.  An  dasselbe  schliesst  sich  das  Auf- 
springen mit  einem  Deckel  (dehi- 
scentia operculata)  an,  wie  beim  Bilsenkraut 
(Fig.  219). 

§  2GS.     Besondere  Formen  der  Kapsel. 

a)  Die  Hülse  (legumen)  ist  eine 
einfächerige,  e  in  karp  ellige  Frucht, 
welche  sowohl  in  der  Bauchnaht  wie  in  der 
Rückennaht  aufspringt,  daher  in  zwei  Klappen 
zerfällt.  Die  Samen  sitzen  an  der  Bauch- 
naht in  doppelter  Zeile,  sodass  jede  Klappe 


397     — 


eine  Sanienreihe  trägt.     Bsp. :  Bohne,   Erbse,  Linse.     (Fig.  215.) 
Die  Hülse  ist  die  Fruchtform  der  sog.  Hülsenfrüchtler. 

Durch  Querwände  aus  Fruchtmark  wird  die  Hülse  öfters 
querfächerig,  wie  bei  der  Schneidebohne  und  dem  Johannisbrot. 
Wahre  Querfächer  finden  wir  bei  den  sogen.  Glied  hülsen  (lo- 
menta),  welche  bei  der  Reife  nicht  in  Klappen,  sondern  in  Quer- 
glieder zerfallen  (Fig.  218). 

b)  Die  Schote  (siliqua)  ist  eine  z weikarpellige  Frucht, 
welche  durch  eine  dünne  Haut  in  zwei  Längsfächer  geteilt 
wird,  an  deren  Rändern  die  Samen  sitzen  (Fig.  216).  Sie 
springt,  wie  die  Hülse,  in  zwei  Klappen  auf,  aber  vom 
Grunde  nach  der  Spitze  zu,  wobei  die  Scheidewand  mit 
den  Samen  stehen  bleibt.  Übertrifft  die  Länge  der  Schote  die 
Breite  nur  wenig,  so  wird  sie  ein  Schötchen  (silicula)  ge- 
nannt. Der  Unterschied  zwischen  Schote  und  Schötchen  beruht 
also  nicht  auf  den  Grösseverhältnissen  derselben,  sondern  auf 
dem  Yerhältnisse  der  Länge  zur  Breite,  sodass  es  kleine  Schoten 
und  grosse  Schötchen  giebt.  Die  Schote  ist  die  Fruchtform  der 
Cruciferen. 

Eine  querfächerige  Schote  finden  wir  beim  Rettig  und  nennen 
sie  Glied  schote  (siliqua  lomentacea);  sie  öffnet  sich  nicht  der 
Länge  nach,  sondern  zerfällt  bei  der  Reife   in   ihre    Querglieder. 

C.  Die  Spaltfrucht. 

§  369.  Was  charakterisiert  die  Spaltfrucht?  Wenn  eine  mehr- 
karpellige  Frucht  bei  der  Reife  in  ihre  Karpelle  zer- 
fällt, gleichviel,  ob  diese  sich  öffnen  oder  nicht,  so  nennen  wir  sie 
eine  Spalt  fr  ucht  (schizocarpium*))  und  die  einzelnen  Kar- 
pelle Teilfrüchte  (mericarpia**)). 

Wir  finden  die  Spaltfrucht  bei  den  Umbelliferen  aus  zwei 
Schliessfrüchtchen  bestehend, 
die  an  einem  zweispaltigen  fäd- 
lichen  Fruchtträger  aufge- 
hangen sind,  weshalb  diese 
Frucht  auch  Hänge  fr  ucht 
(cremocarpium)  genannt 
wurde.  Der  Fruchtträger  kommt 
erst  bei  der  Trennung  der  Teil- 
früchte  zur  Erscheinung.  (Fig. 
220.)  Die  Schliessfrüchtchen 
springen  hierbei  nicht  auf.  — 
Die  Spaltfrüchte  der  Gerania- 
ceen    sind  ebenfalls  einsamig,    Fi§'-  22°- 

*)  Von  ayi£w  (spalte)  und  aocp^o;  '(Frucht). 
**)  Von  [jioo;  (Teil)  und  xap^o?  (Frucht). 


—    398 


öffnen  sich  aber  in  ihrer  Bauchnaht,  nachdem  sie  sich  von  der 
Mittelsäule,  an  welcher  sie  zuvor  befestigt  waren,  elastisch  abge- 
hoben haben.  Fig.  221  zeigt  die  Spaltfrucht  von  Geranium,  a  vor 
und  b  nach  der  Reife.  Auch  bei  Euphorbia  und  Mercurialis  trennt 
sich  die  Frucht  in  zwei  oder  drei  Knöpfe,  die  in  der  Bauch- 
und  Rückennaht  elastisch  aufspringen. 

D.  Die  Nu ss. 

§  370.  Was  charakterisiert  die  Nuss?  Die  Nu  SS  (nux)  ist  eine 
meist  einsamige  Frucht  mit  verhärteter  Schale  welche  nicht 
aufspringt.  So  die  Eichel  (Fig.  222),  Haselnuss,  Kastanie; 
bei  diesen  wird  sie  von  einer  Hülle,  der  Becherhülle  (cupula), 
unterstützt,  welche  die  Haselnuss  glockenförmig  umgiebt,  die 
Eichel  nur  am  Grunde  umfasst,  die  Kastanie  aber  völlig  ein- 
schliesst.     Ist  die  Nuss  mit  einem  Hautrande  umgeben,  wie  bei 

der  Ulme  (Fig.  223),  so  bezeichnet 
man  sie  als  Flügelfrucht  (Sama- 
ra). Eine  solche  besitzt  auch  der 
Ahorn  und  die   Esche. 

E.  Die  Fleischfrucht. 

§  371.  Welche  Früchte  gehören  zu 
den  Fleischfrüchten?  Je  nachdem  die 
ganze  oder  nur  die  äussere  Hälfte 
der  Fruchtschale  fleischigsaftig  wird, 
unterscheidet  man  zwei  Fruchtformen : 
*ig.  U6.  x     Die    Beere    (bacca),    mit 

völlig  saftiger  Fruchtschale.  Bsp.  Johannisbeere,  Heidelbeere, 
Citrone,  Weinbeere.  Sie  ist  teils  mit  dem  Kelche  gekrönt,  wie 
die  drei  erstgenannten,  teils  vom  Kelche  frei,  wie  die  beiden 
letzteren.  Durch  eigentümliche  Samenträger 
zeichnet  sich  die  Kürbisfrucht  (pepo)  aus, 
deren  Querschnitt  in  Fig.  224  zeigt,  wie  die 
drei  Samenträger  der  dreifächerigen  Beere 
vom  Centrum  aus  sich  als  Scheidewand  gegen 
die  Peripherie  fortsetzen ,  daselbst  nach  zwei 
Richtungen  umbiegen  und  wandständige 
Samen  tragen. 

2.  Die  Steinfrucht  (drupa),  deren 
Fruchtschale  aus  einem  äusseren,  fleischig- 
saftigen Teile  und  einem  harten,  inneren  Steine  besteht,  der  die 
Samen  birgt.  An  der  steinharten  Partie  hat  ein  Teil  des  Meso- 
carpiums  mit  dem  Endocarpium  teilgenommen;  stellt  sie  ein  ein- 
ziges Gebilde  dar,  so  wird  sie  Stein  (put amen)  genannt,  wie 
wir  ihn  bei  der  Kirsche,  Pflaume,   "Walnuss  sehen.     Enthält  die 


Fig.  222. 


Fig.  224. 


399 


Fier.  225. 


Ficr.  226. 


Frucht  mehrere  Steine,  so 
heissen  diese  St  einfacher 
(pyrenae)  und  die  Frucht 
eine  Steinbeere  (bacca 
pyrenata),  wie  die  Hollunder-, 
Faulbaum-  und  Kreuzdorn- 
beere. (Fig.  225,  a  von  der 
Seite,  b  vom  Grunde,  c  im  Querschnitt  gesehen.) 

Eine  zusarnmmengesetzte  Beere  (bacca  composita),  her- 
vorgegangen aus  mehreren  beerenartigen  Früchtchen,  die  der- 
selben Blüte  angehören,  finden  wir  bei  der  Himbeere  und  Brom- 
beere (Fig.  226  im  Längsschnitt). 

Nicht  zu  verwechseln  mit  der  fleischig  gewordenen  Frucht- 
schale ist  das  sog.  Mus  (pulpa),  welches  in  vielen  Früchten  als. 
lockeres ,  zelliges  Gewebe  die  innere  Höhlung  ausfüllt  und  die 
Samen  eingebettet  enthält,  wie  bei  den  Tamarinden.; 

Scheinfrüchte  und  Fruchtstände. 

§  372.  Was  sind  Scheinfrüchte?  Wenn  an  der  Fruchtschale 
noch  andere  Organe  Anteil  genommen  haben,  die  nicht  zum 
Stempel  gehören,  so  resultiert  eine  Scheinfrucht.  Bei  der 
Erdbeere  ist  es  der  Blütenboden,  bei  der  Hagebutte  die  Kelch- 
röhre, bei  der  Maulbeere  das  Perigon,  c 
welche  an  der  Fruchtbildung  sich  be- 
teiligen und  dieselbe  saftig  machen. 

Zu  den  Scheinfrüchten  gehören :  die 
Apfelfrucht,  Hagebutte  undSchein- 
beere. 

1.  Die  Apfelfrucht  (pornum)  ist 
eine  fleischig  -  saftige  Frucht,  mit  dem 
Kelche  (Fig.  227  C)  gekrönt,  hervorge- 
gangen aus  mehreren ,  in  der  Knospe 
getrennten  Karpellen  (E),  welche  mit  der 
sie  umschliessenden  ,  fleischig  gewor- 
denen Kelchröhre  (T)  verwachsen. 

Wir  finden  die  Apfelfrucht  bei  dem  Kernobst,  und  zwar  mit 
pergamentartigen  Karpellen  (Kernapfel)  bei  dem  Apfel,  mit 
steinharten  Karpellen  bei  der  Mispel  und  dem  Weissdorn, 

2.  Die  Hagebutte,  Fruchtform  der  Rose,  nähert  sich  dem 
Apfel,  jedoch  tritt  keine  Verschmelzung  der  fleischigen  Kelchröhre 
mit  den  Karpellen  ein. 

3.  Die  Scheinbeere  (bacca  spuria),  eine  beerenartige 
Frucht,  welche  aus  verschiedenen  Elementen  hervorgehen  kann. 
Bei  der  Erdbeere  wächst  der  kugelige  Blütenboden  zur 
saftigen  Frucht  heran  und  trägt  die  zahlreichen,  nussartigen  Schal- 


Fig.  227. 


Fig 
hat  d 


400     — 

früchteben  an  seiner  Oberfläche.  Bei 
der  Maulbeere  werden  die  Peri- 
gone  der  kätzchenartig  verbundenen 
Blüten  saftig  und  bilden  eine  zu- 
sammengesetzte Scheinbeere. 
(Fig.  228).  Bei  der  Wacholder- 
beere stammt  die  Fruchtschale  aus 
den  Karpellblättern  dreier  Blüten, 
die,  in  der  Blütezeit  getrennt,  bei 
der  Fruchtreife  seitlich  mit  einander 
verwachsen.  Am  Wirtel  der  Schein- 
beere erkennt  man  noch  die  Spitzen 
der  drei  Fruchtblätter.  (Fig.  229.)  (Man 
ie  Scheinbeere  des  Wacholders  auch  Beeren  zapfen  genannt.) 


§  373.  Fruchtstände.  Gewisse  Fruchtstände  gewinnen  das  Aus- 
sehen einer  Einzelfrucht,  wie  die  Feige  und  der  Zapfen. 

Die  Feigenfrucht  (syconium*))  ist  ein  birnförmiger,  an 

der  Spitze  von  Schuppen 
verschlossener  Fruchtstand, 
ein  sog.  Fruchtkuchen, 
aus  einem  Blütenkuchen  ent- 
standen, und  im  Innern  zahl- 
reiche Nüsschen  bergend.  Fig. 
230  zeigt  sie  im  Längsschnitt. 
Der  Zapfen  (conus)  der 
Nadelhölzer  ist  ein  Frucht- 
stand, aus  verholzenden 
flachen  Karpellblättern  ge- 
bildet, die  an  ihrem  inneren 
Grunde  nackte  d.  i.  nicht  vom 
Fruchtknoten  umschlossene 
Samen  bergen.  So  bei  der 
Kiefer  (Fig.  231),  Tanne, 
Fichte,  Lärche. 


Fig.  230. 


Fig.  231. 


Wir  finden  den  Zapfen,  d.  i.  ein  verholztes  Fruchtkätzchen, 
auch  bei  einigen  Laubhölzern,  z.  B.  der  Erle ,  nennen  ihn  dann 
aber  einen  Laubholzapfen  (strobulus,  nicht  conus).  Yiele 
rechnen  auch  das  Fruchtkätzchen  des  Hopfens  zur  Zapfenfrucht 
(Strobuli  Lupuli). 


*)  Von  Guzov  (Feige,). 


401 


Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Das  Aufspringen  (dehiscentia)  der  Kapselfrucht  kann  erfolgen: 
A.  Der  Länge  nach: 

a)  Zweiklappig  (bivalvis),  wie  bei  der  Schote  und  Hülse. 

b)  Dreiklappig  (trivalvis),  wie  beim  Veilchen. 

c)  Vierklappig  (quadrivalvis),  fünfklappig  (quinquevalvis) 
u.  s.  f.  —  Je  nach  dem  Verhältnis  der  Klappen  zu  den  Scheidewänden 
unterscheidet  man  bei  mehrfächerigen  Kapseln: 


Fig.  232.  Fig.  233.  Fig.  234. 

a)  scheidewandspaltig  (septicida),  wenn  die  Fächer  sich  in  den 
Scheidewänden  von  einander  trennen,  Fig.  232,  z.  B.  bei  der  Zeitlose; 

ß)  fachspaltig  (loculicida),  wenn  die  Fächer  in  den  Rückennähten 
aufspringen,  so  dass  die  Scheidewände  auf  der  Mitte  der  Klappen  stehen 
bleiben,  Fig.  233,  z.  B.  bei  der  Schwertlilie; 

y)  scheidewandabreissend  (septifraga),  wenn  die  Klappen  sich 
von  den  Scheidewänden  ablösen,  während  diese  in  der  Axe  verbunden 
bleiben ,  Fig.  234.  Lösen  sich  nach  Art  der  Schote  die  beiden  Klappen 
einer  einfächerigen  Frucht  vom  Samenträger,  wie  von  einem  Rahmen  ab, 
so  nennt  man  die  Kapsel  schotenartig  (c.  siliquae- 
formis),  das  Aufspringen  ein  fensterartiges  (fene- 
stralis),  wie  beim  Schöllkraut,  Fig.  235.  — 

d)  In  Zähnen  (indentibus)  wenn  die  Klappen  nur 
an  der  Spitze  sich  trennen,  wie  bei  Cerastium,  Fig.  236. 

e)  Spaltig  (in  rimis),  wenn  die  Klappen  in  der 
Mitte  in  Spalten  sich  trennen,  wie  bei  Saxifraga,  Oxalis. 

f)  In  Löchern  (in  poris),  wie  beim  Mohn,  wo 
sich  die  Löcher  unter  der  Narbe  befinden. 

g)  In  Knöpfen  (in  coccis),  wenn  eine  mehr- 
karpellige  Frucht  bei  der  Reife  in  mehr  oder  weniger 
kugelige  Karpelle,  Knöpfe  (cocca),  zerfällt,  wie  bei 
der  Wolfsmilch. 

B.  Der  Quere  nach: 
h)    In    Querglieder,    (lomentacea),    bei   quer- 
fächerigen Früchten,  Fig.  218. 

i)  Mit  einem  Deckel  (operculata)  oder  rings- 
umschnitten (circumscissa),  wie  beim  Bilsenkraut,  -p- 
Fig.  219.  ' 

2.  Der  Form  nach  kann  die  Frucht  sein: 

a)  Kugelig  (globosus),  wie  die  Heidel-  und  Wacholderbeeren 

b)  Eiförmig  (ovatus),  nach  unten  breiter,  wie  der  Anis. 

c)  Länglich  (oblongus),  wie  der  Fenchel,  Kümmel. 

d)  Kegelig  (conicus),  wie  der  spanische  Pfeffer. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  26 


235.      Fig.  236. 


—     402     — 

e)  Birnförniig  (pirifomis),  wie  die  Feige. 

f)  Dreiseitig  (trigonus),  wie  die  Kardamomen. 

g)  Stielrund  (teres),  wie  der  Wasserfenchel. 

h)  Gedunsen  (turgidus),  wie  die  Schötchen  von  Cochlearia. 

i)  Zwei-  und  dreiknöpfig  (di-  und  tricoccus),  aus  zwei  resp.  drei 
kugeligen  Teilfrüchtchen  bestehend,  wie  beim  Bingelkraut  und  der  Wolfsmilch. 

k)  Kahnförmig  (cymbiformis),  wie  das  Schötchen  von  Capsella  bursa 
pastoris,  die  Karpelle  des  Sternanis. 
3.  Der  Oberfläche  nach: 

a)  Glatt  (laevis),  ohne  alle  Erhabenheiten  und  Vertiefungen. 

b)  Bereift  (pruinosus),  wie  die  Pflaume,  Wacholderbeere. 

c)  Warzig  (verrucosus),  mit  rundlichen  Erhabenheiten  bedeckt. 

d)  Runzelig  (rugosus),  mit  unregelmässigen  Erhabenheiten, 
ej  Stachelig  (aculeateus),  wie  der  Stechapfel. 

f)  Genabelt  (umbilicatus),  an  einer  Stelle  nab eiförmig  eingedrückt, 
wie  die  Heidelbeere,  oder  mit  vorgezogenem  Nabel,  wie  die  Citrone. 

g)  Gestreift  (striatus),  mit  feinen  Linien  überzogen,  wie  Kardamomen, 
h)  Rippig    (costatus),    mit  vorspringenden  Riefen  versehen,    wie  der 

Kümmel,  Fenchel. 

11.  Der  Same, 

§  374.  Die  Teile  des  Samens.  Der  Same  (semen)  geht  aus 
der  befruchteten  Samenknospe  hervor  und  besteht  aus 
zwei  Teilen:  der  Samenschale  (spermo  dermis*))  und  dem 
Samenkern  (nucleus). 

Die  Samenschale  zeigt  drei  Schichten,  deren  mittlere  (testa) 
derb,  häufig  hart,  und  gefärbt  ist,  während  die  oberste  (epi- 
dermis  seminalis)  und  innerste  (tegmen)  dünne,  zarte, 
blasse  Häute  bilden.  Die  Konsistenz  und  Farbe  der  Samenschale 
hängt  also  von  der  testa  ab. 

Der  Samen  kern  (nucleus)  ist  der  von  der  Samenschale 
umschlossene  Teil  des  Samens  und  enthält  den  wesentlichen 
Teil  des  Samens,  nämlich  den  Keim  (embryo).  In  vielen 
Fällen  besteht  der  Kern  aus  dem  Keime  allein,  wie  bei  Mandeln, 
Walnüssen,  Bohnen,  in  allen  eiweisslosen  Samen;  häufig  aber,.z.  B. 
im  Getreide,  befindet  sich  neben  dem  Keime  ein  besonderes  Ge- 
webe, das  man  aus  Analogie  mit  dem  Hühnerei  Eiweisskörper 
(albumen)  genannt  hat,  obschon  es  nicht  aus  Eiweiss-Stoffen, 
sondern  meist  aus  Stärkemehl  besteht.  Nach  dem  Fehlen  oder 
Vorhandensein  dieses  Körpers  unterscheidet  man  eiweiss- 
h altige  (semina  albuminosa)  und  eiweisslose  Samen  (s.  exal- 
buminosa).  Jene  finden  wir,  ausser  beim  Getreide,  bei  den  So- 
lanaceen, Umbelliferen  und  Ranunculaceen ;  eiweisslose  bei  den 
Rosaceen,  Hülsenfrüchtlern  und  Kruziferen. 

Der  Eiweisskörper  steht  mit  dem  Keim  nicht  in  organi- 
schem Zusammenhang  und  stellt  gewöhnlich  ein  weisses,  stärke- 

*)  Von  a-ep[j.a  (Same)  und  oip[j.a.  (Haut). 


403 


Fig.  237. 


mehl-  oder  ölreiches  Zellgewebe  dar.     Er  wird  beim  Keimen  der 
jungen  Pflänzchen  als  erste  Nahrung  resorbiert. 

§  375.  Anhängsel  des  Samens. 
Häufig  bemerkt  man  an  der 
Samenschale  gewisse  Anhängsel, 
zu  denen  zu  rechnen  sind :  a)  der 
Samenschopf  (coma  semi- 
nalis),  ein  haarförmiger  Besatz, 
b)  der  Samenmantel  (aril- 
lus),  eine  Umhüllung  des  Samens. 
Den  Samenschopf  finden  wir  bei 
Gossypiuni  und  benutzen  ihn 
als  Baumwolle;  die  Samen  der 
"Weiden  besitzen  einen  solchen 
am  Grunde,  die  von  Cynanchum 
an  der  Spitze.  Bei  Evonymus 
treffen  wir  einen  roten,  fleischigen 
Samenmantel ;  in  ähnlicher  Weise 
umhüllt  die  als  Macis  bekannte 
Ware  (fälschlich  Muskatblüte  ge- 
nannt) den  Samenkern  (die  JNTuces 
moschatae ,  Muskatnüsse) ,  wie 
Fig.  237  in  der  geöffneten  Frucht  von  Myristica  fragrans  zeigt. 
Die  Stachelbeere  besitzt  einen  gallertartigen  Samenmantel. 

§  376.  Vom  Keim.  Der  Keim  (embryo)  bildet  entweder 
allein  den  Samenkern,  oder  in  Gemeinschaft  mit  dem  Eiweiss- 
körper.  Im  ersteren  Falle  ist  er  mehr  oder  weniger  dick,  markig- 
fleischig,  oft  mehlreich;  im  letzteren  Falle  gewöhnlich  dünn,  blatt- 
artig, oft  sehr  klein.  Die  Grösse  des  Keims  steht  zu  der  des 
Eiweisskörpers  im  umgekehrten  Yerhältnisse. 

Der  Keim  ist  die  Anlage  zu  einer  neuen  Pflanze. 

Der  Keim  stellt  ein  oft  mikroskopisch  kleines  Pflänzchen  dar, 
das  Keimpflänzchen,  welches  mit  einem  blattartigen  Organe, 
dem  Keimblatt  oder  Samenlappen,  organisch  verbunden  ist. 
Das  Keimblatt  ist  das  erste 
Blatt  desKeimpflänzchens,  über- 
trifft es  aber  gewöhnlich  sehr  an  Grösse. 
Das  Keimpflänzchen  (blastema) 
ist  eine  Pflanze  im  kleinen;  es  zeigt 
ein  Würzelchen  (radicula),  das 
beim  Keimen  zur  Hauptwurzel  aus- 
wächst, sowie  ein  Knöspchen  (gem- 
mula,  plumula),  welches  zum  Stengel 


-     404     - 

wird.  Zwischen  beiden  Teilen  liegt  die  Stelle,  wo  das  Wachstum 
nach  unten  sich  von  demjenigen  nach  oben  scheidet;  (Urknoten, 
Vegetationspunkt)  dicht  über  dieser  Stelle  hängt  das  Keimpflänz- 
chen  mit  dem  Keimblatte  (Samenlappen)  organisch  zusammen. 
(Fig.  238  und  239:  a  Würzelchen,  b  Keimblatt,  c  Knöspchen.) 

Das  Keimblatt  oder  der  Samenlappen  (cotyledo) 
findet  sich  bald  einzeln  am  Keimpflänzchen,  dasselbe  scheiden- 
artig umfassend  (Fig.  239),  bald  gepaart,  zu  zwei  gegenständig 
(Fig.  238),  selten  zu  mehreren  wirtelig.  Hiernach  unterscheidet 
man  einsamenlappige  Gewächse  (Monokotyledonen) 
und  zweisamenlappige  Gewächse  (Dikotyledonen);  die 
mit  quirlständigen  Keimblättern  hat  man  auch  wohl  als  viel- 
samenlappige  (Polykotyledonen)  von  letzteren  abgetrennt. 
Es  ist  mehr  die  gegenständige  Stellung,  weniger  die  absolute 
Zahl,  welche  die  zweisamenlappigen  von  den  einsamenlappigen 
Gewächsen  unterscheidet. 

Bei  den  eiweisshaltigen  Samen  treten  gewöhnlich  die  Samen- 
lappen beim  Keimen  als  erste  Blätter  mit  dem  jungen  Pflänz- 
chen  über  die  Erde  hervor;  bei  den  eiweisslosen  Samen  sind  sie 
meist  fleischig,  dick  und  bleiben  unter  der  Erdoberfläche,  dem 
jungen  Pflänzchen  an  Stelle  des  Eiweisskörpers  zur  ersten  Nahrung 
dienend.  (Oberirdische  und  unterirdische  Samenlappen, 
cotyledones  epi-  und  hypogaeae.) 

Die  Entwicklung  der  Samenknospen  zu  Samen. 

§  377.  Die  Bildung  der  Samenknospen.  Die  ursprünglichste  Form 
einer  Samenknospe  ist  ein  hervorragender,  stumpfer  Kegel,  der  mittelst  eines 
fädlichen  Stieles,  des  Nabelstranges  (funiculus),  am  Samenträger  be- 
festigt ist.  Die  Stelle,  wo  der  Nabelstrang  in  die  Samenknospe  eintritt, 
wird  Nabel  (hilum)  genannt. 

Gewöhnlich  umgiebt  sich  die  Samenknospe  mit  einer  einfachen  oder 
doppelten  Haut,  der  Eihaut.  Ist  sie  zweifach,  so  heisst  die  äussere  Haut 
Primine,  die  innere  Secundine.  Der  von  diesen  Häuten  umschlossene, 
wesentliche  Teil  der  Samenknospe  bildet  den  Ei  kern  (nucellus).  Die  Stelle, 
wo  der  die  äussere  Eihaut  im  „Nabel"  durchbohrende  Nabelstrang  die  innere 
Eihaut  trifft,  wird  der  Hagelfleck  (chalaza*))  genannt.  Letzterer  stellt 
den  organischen,  der  Nabel  den  mathematischen  Grund  der  Samenknospe 
dar.  Beide  Punkte,  Nabel  wie  Hageineck,  liegen  häufig  dicht  hinter 
einander,  häufig  aber  auch  diametral  gegenüber ;  man  erkennt  im  letzteren 
Falle  die  Fortsetzung  des  Nabelstranges  zwischen  den  beiden  Eihäuten 
als  Nabelstreifen  (raphe).  Es  giebt  eine  Stelle  an  der  Samenknospe, 
wo  die  Eihäute  eine  Öffnung  lassen,  an  welcher  der  Eikern  unbedeckt  ist ; 
man  nennt  dieselbe  den  Ei murid  oder  das  Keimloch  (micropyle),  und 
sieht  in  ihr  die  organische  Spitze  der  Samenknospe.  Je  nach  der  Lage  von 
Nabel,  Hagelfleck  und  Keimloch  unterscheidet  man  dreierlei  Verhältnisse: 

a)  Bei  der  geradläufigen  Samenknospe  (ovulum  ortho- 
tropum)  liegt  der  Hagelfleck  dicht  hinter  dem  Nabel,  das  Keimloch  ihnen 

*)  Yon  /aXa£w  (spalten). 


-     405 


a 

241.  Fig 

umgewendet , 


242. 
dass   der 


gegenüber.     (Fig.   240    a   Keimsack   im  Eikern,    b   Primine,   c  Sekundine, 
f  Keimloch.)     Die  Axe  der  Samenknospe  ist  gerade. 

b)  Bei  der  krumm  - 
läufigen  Samenknospe 
(ovulum  campylotro- 
pum)  liegen  alle  drei  Punkte 
nabe  zusammen,  der  Hagel- 
fleck dicht  hinter  dem  Nabel, 
das  Keimloch  (Fig.  241b) 
zur  Seite,  infolge  einer  VSäf/  W 
Krümmung  der  Axe.                    \}(  e  J 

c)  Bei  der  gegen-  . 
läufigen  Samenknospe  &•  v-  • 
(ovulum  anatropum)  hat  sich  der  Eikern  umgewendet,  so 
Hagelfleck  (Fig.  242  c)  dem  Nabel  gegenüber,  das  Keimloch  (b)  neben  ihn 
zu  liegen  kommt.  Die  Axe  ist  gerade  geblieben,  aber  der  Nabelstrang  hat 
sich  als  Nab  elstreifen  zwischen  den  beiden  Eihäuten  (d)  fortgesetzt  und 
ist  äusserlich  als  ein  den  Samen  halbumziehender  Streifen  wahrzunehmen. 

Im  Innern  des  Eikerns  bildet  sich  ein  langer,  dünner  Darm,  der  Keim- 
sack  (sacculus  embryonalis),  auf  Kosten  der  übrigen  Kernmasse  aus,  die  oft 
nur  mehr  als  Haut,  sogen.  Kernhaut  (Tercine)  übrig  bleibt.  Im  Keim- 
sack entwickelt  sich  der  künftige  Keim. 

§  378.  Die  Befruchtung  der  Samenknospen.  Die  Befruchtung 
der  Samenknospen  geschieht  durch  den  Blütenstaub.  Über  die  dabei  statt- 
findenden Vorgänge  ist  erst  in  diesem  Jahrhundert  Licht  verbreitet  worden, 
und  unsere  genauere  Kenntnis  stammt  aus  mikroskopischen  Untersuchungen 
der  letzten  Jahrzehnte. 

Der  Blütenstaub  fällt  auf  die  Narbe  und  schwillt  durch 
deren  Feuchtigkeit  in  der  Art  an,  dass  durch  die  Poren 
der  Aussenhaut  ein  Teil  des  Innern  als  zarter  Schlauch, 
Pollenschlauch,  austritt  (Fig.  243).  Durch  Saftauf- 
nahme wächst  dieser  Pollenschlauch  lang  aus,  dringt  durch 
den  Griffelkanal  in  die  Fruchtknotenhöhle  bis  zu  den  Samen- 
knospen, an  deren  Keimloch  er  sich  eng  anlegt  (Fig.  244 
ps).  Währenddessen  haben  sich  im  Keimsacke  der  Samen- 
knospe, in  der  Nähe  des  Keimlochs,  zwei  kleine  Bläschen, 
Keimbläschen  (Fig.  244k),  ausgebildet,  von  denen  in  der 


Fig.  243. 


I.  II. 

Fig.  244. 


et. 


Fig.  245. 


—     406     - 

Regel  nur  eins  befruchtet  wird.  Die  Befruchtung  selber  besteht  in  der  endos- 
motischen  Überführung  des  Pollenschlauchinhaltes  in  das  Keimbläschen, 
worauf  dieses  zum  Keim  auswächst.  Zu  letzterem  Behufe  teilt  es  sich 
zunächst  (Fig.  244 II)  in  zwei  Zellen ,  deren  untere  allmählich  sich  ver- 
längert zu  dem  langgezogenen  Embryoträger  (Fig.  245  et),  an  dessen 
unterem  Ende  der  Keim  (e)  sich  ausbildet. 

§  379.  Bildung  des  Keims.  Der  Keim  entsteht  in  dem  be- 
fruchteten Keimbläschen  in  der  Lage,  dass  das  Würz  eichen  dem  Keim- 
loch,  das  Knöspchen  dem  Hagelfleck  zu  gewendet  ist.  Daher  ist 
seine  Axe  bei  gerad-  und  gegenläufigen  Samen  gerade,  bei  krummläufigen 
gekrümmt.  Während  der  Ausbildung  des  Keims  verschwindet  der  Embryo- 
träger allmählich,  sodass  schliesslich  der  Keim  frei  im  Samen  liegt. 

Der  Keimsack  geht  währenddessen  entweder  in  eine  Haut  (Quintin e) 
über,  oder  er  wuchert  aus  zum  Eiweisskörper  (sogen.  Endosperm); 
seltener  entsteht  letzterer  aus  dem  übrigen  Teile  des  Samenkerns  (als  sogen. 
Perisperm).  In  noch  seltneren  Fällen,  z.  B.  beim  Pfeffer,  ist  das  Eiweiss 
sowohl  Endosperm  wie  Perisperm,  deshalb  zweischichtig. 

Die  beiden  Häute  der  Samenknospe  werden  zur  Samenschale,  an  der 
wir  den  Nabel,  Hagelfleck,  Nabelstreifen  und  Keimloch  mehr 
oder  weniger  kenntlich  wahrnehmen. 

Das  Keimen  der  Samen. 

§  380.  Bedingungen  des  Keimens.  Das  Keimen  ist  an  gewisse 
Bedingungen  geknüpft,  vorzugsweise  an  hinreichende  Feuchtigkeit, 
Luft  und  Wärme.  Der  Keim  befindet  sich  im  Samen  im  Ruhe- 
zustande ;  wenn  der  Same  in  feuchtes,  warmes  Erdreich,  nicht  zu 
tief  unter  die  Oberfläche  gelangt,  sodass  die  Luft  noch  Zutritt  hat, 
beginnt  er  zu  keimen,  d.  h.  das  Keimpflänzchen  zur  neuen  Pflanze 
auszubilden.  Bei  den  meisten  Gewächsen  erfordert  das  Keimen 
eine  gewisse  Zeitdauer,  bis  das  neue  Pflänzchen  aus  dem  Boden 
hervorkommt.  Bei  den  Kruciferen  erscheint  es  am  zehnten,  bei 
den  Kompositen  am  zwölften,  bei  den  Hülsenfrüchten  am  vierzehn- 
ten, bei  den  Gräsern  am  fünfzehnten  Tage,  bei  vielen  Obstbäumen 
(Pfirsiche,  Kastanien  u.  a.)  erst  nach  einem  Jahre. 

§  381.  Keimprozess.  Das  Würzelchen  des  Keims  wächst  beim 
Keimen  abwärts  zur  Wurzel,  das  Knöspchen  aufwärts  zum  be- 
blätterten Stengel  aus.  Dabei  treten  die  blattartigen  Samenlappen 
gewöhnlich  als  erste  Blätter  (cotyledones  epigaeae)  über  die  Erde, 
wie  bei  den  meisten  eiweisshaltigen  Samen,  deren  Eiweiss  dabei 
als  erste  Nahrung  des  Pflänzchens  resorbiert  wird.  Bei  fehlendem 
Eiweiss  übernehmen  die  alsdann  fleischigen  Samenlappen  in  der 
Kegel  diese  Aufgabe  und  bleiben  in  der  Erde  (cotyledoneshypogaeae). 

Die  Monokotyledonen  entfalten  beim  Keimen  die  ent- 
stehenden Blättchen  scheidenartig,  wie  Tuten  in  einander 
gerollt,  den  Stengel  umschliessend.  Wir  sehen  dies  beim  keimen- 
den Gras,  den  Zwiebeln  u.  a.  und  nennen  daher  diese  Gewächse 
auch  wohl  Spitzkeimer  (Acroblastae).   Das  Würzelchen  wächst 


—    407     — 

bei  ihnen  nicht  aus,  wird  aber  bald  von  sekundären  Wurzel- 
fasern durchbrochen,  welche  alsdann  die  Funktionen  der  Wur- 
zel übernehmen.  Daher  finden  wir  bei  den  Monokotyledonen 
keine  Hauptwurzel,  sondern  nur  Nebenwurzeln. 

Die  Dikotyledonen  entfalten  die  ersten  Blättchen  beim 
Keimen  blattartig,  nicht  scheidenartig.  Man  bezeichnet  sie 
daher  auch  wohl  als  Blattkeim  er  (Phylloblastae). 

Terminologische  Bestimmungen. 

1.  Der  Form  nach  kann  der  Same  (semen)  sein: 

a)  Kugelig  (globosum),  wie  bei  der  Zeitlose,  dem  Senf.  —  b)  Vier- 
kantig (tetragonum),  wie  beim  Bockshorn.  —  c)  Oval  (ovale),  wie  die 
Muskatnuss.  —  d)  Eiförmig  (ovatum),  wie  bei  der  Quitte ;  zugleich  zu- 
sammengedrückt (compressum),  wie  bei  den  Mandeln  und  dem  Lein- 
samen. —  e)  Scheibenförmig  (discoideum)  und  kreisrund  (orbi- 
eulare),  wie  bei  den  Brechnüssen.  —  f)  Nierenförmig  (reniforme),  wie 
beim  Bilsenkraut  und  Stechapfel. 

2.  Nach  der  Oberfläche  ist  der  Same: 

a)  Glatt  (ovale),  wie  die  Musskatnuss.  —  b)Feingrubig  (scrobi- 
culatum),  wie  beim  Senf,  Mohn,  Bilsenkraut.  —  c)  Seidenhaarig  (seri- 
ceum),  wie  die  Brechnüsse.  —  d)  Matt  (opacum),  ohne  Glanz,  wie  die 
Quittensamen.  —  e)  Bestäubt  (pulverulentum),  wie  die  Mandeln.  — 
f)  Glänzend  (nitidum),  wie  der  Leinsamen. 

3.  Nach  der  Lage  und  Anheftung  ist  der  Same: 

a)  Aufrecht  (erectum). — b)  Hängend  (pendülum).  —  c)  Wage- 
recht  (horizontale),  —  d)  Schildstielig  (peltaturn)  in  der  Mitte  an 
den  Nabelstrang  angeheftet,  wie  die  Brechnüsse. 


Fig.   246.  Fig.  247.  Fig.  248.  Fig.  249. 

4.  Der  Keim  (embryo)  kann  sein: 

A.  Nach  seiner  Axe:  —  a)  Gerade  (rectus),  wie  bei  den  Mandeln. 
—  b)  Gekrümmt  (curvatus),  wie  beim  Senf,  Bockshornsamen. 

B.  Nach  seiner  Lage  zum  Eiweiss: 

a)  I  m  Eiweiss  eingeschlossen  (albumine  inclusus),  wie  beim 
Zeitlosensamen  (Fig.  246),  den  Brechnüssen  und  Muskatnüssen. 

b)  Neben  dem  Eiw  eis  s  und  zwar:  a)  grundständig  (basilaris), 
wie  beim  Getreide  (Fig.  248);  ß)  endständig  (apicalis);  y)  ringförmig 
um  das  Eiweiss  (periphericus),  wie  bei  den  Sileneen  (Fig.  247). 

C.  Nach  den  Samenlappen: 

a)  Flach  (planus),  wie  bei  den  Mandeln.  —  b)  Gefaltet  (plicatus), 
wie  beim  Senf.  —  c)  Spiralig  (spiralis),  wie  beim  Hopfen  (Fig.  249). 


408     — 


II.   Pflanzen-Anatomie. 

12.  Zellen  und  Zellgewebe. 
§  382.  Was  ist  eine  Zelle?  Der  ganze  Pflanzenkörper  baut 
sich  aus  unzähligen  kleinen  Elementarorganen  auf,  die  man 
Zellen  (cellulae)  nennt.  Jeder  Teil  eines  Gewächses  besteht 
aus  Zellen  und  war  in  seinem  Ursprung  eine  einzelne  Zelle.  Es 
giebt  Pflanzen,  die  zeitlebens  nur  aus  einer  Zelle  gebildet  sind 
(einzellige  Algen  und  Pilze);  die  grosse  Mehrzahl  der  Gewächse 
zählen  viele  Tausende  von  Zellen.  Das  Wachstum  des  Stengels 
geschieht  durch  fortwährende  Neubildung  von  Zellen  aus  seinen 
Enden,  ebenso  das  der  Blätter. 

1.  Der  Pflansenkörper  mit   allen  seinen  Organen  baut  sich  aus 
Zellen  auf. 

Die  Zellen  finden  sich  in  der  Pflanze  in  den  mannigfachsten 
Abänderungen,  die  sich  jedoch  alle  aus  der  primären  Zelle  ableiten. 
Im  primären  Zustande  stellt  die  Zelle  ein  kugeliges 
Bläschen  von  mikroskopischer  Kleinheit  dar,  mit  doppelter 
Wandung;  die  äussere  Zellwand  besteht  aus  Cellulose 
(Pflanzenfaser),  ist  verhältnismässig  derber  Natur,  zeigt  nirgends 
Poren,  ist  aber  mittelst  Endosmose  für 
Flüssigkeiten  durchdringbar  (permeabel) ;  die 
innere  Zellwand  ist  gallertartig, 
besteht  aus  eiweissartiger  Materie  und  wird 
Protoplasma  genannt.  Beide  Wandungen 
umschliessen  einen  wässerigen  Zellsaft,  der 
im  jugendlichen  Zustande  trübe  ist  und  sich 
mit  dem  schleimigen  Protoplasma  nicht  mischt. 
Eig.  250  zeigt  eine  mehrhundertfache  Ver- 
grösserung  einer  jugendlichen  Zelle;  a  deren 
Cellulosewand,  b  das  Protoplasma.  In  letz- 
terem bemerkt  man  eine  verdickte  Stelle,  den 
Zellkern  (c)  und  in  demselben  ein  oder  mehrere  Körperchen,  die 
sog.  Kernkörperchen.  Solange  die  Zelle  fortbildungsfähig 
bleibt,  zeigt  die  Zellsaft  und  Zellkern;  sind  beide  verschwunden, 
so  hört  die  Portbildungsfähigkeit  der  Zelle  auf  —  sie  ist  mor- 
phologisch tot  und  führt  Luft.  Im  Protoplasma  gewahrt  man 
Strömchen  von  verdickten  Streifen,  in  gewisser  Bewegung  begriffen. 


Fig.  250. 


—    409     — 


2.  Die  Zellen  sind  Bläschen  aus  einer  schleimigen  Protoplasma- 
schicht mit  einem  Zellkern  gebildet  und  von  einer  Cellulosehaut  umgeben. 

Die  Zelle  ist  der  Ort  der  Lebensfähigkeit  der  Pflanze,  welche 
alle  ihre  Stoffe  in  ihr  bildet. 

Erst  durch  Anwendung  sehr  kräftiger  Mikroskope  entdeckte  man  die 
Teile  der  Zelle.  Hooker  gab  im  17.  Jahrhundert  zuerst  Aufklärung  über 
das  Leben  der  Zelle,  aber  erst  dem  19.  Jahrhundert  blieb  es  vorbehalten, 
durch  die  Arbeiten  Schleidens,  Meyens,  von  Mohls  u.  a.,  die  auf  ihr 
ruhenden  Geheimnisse  zu  entdecken. 

§  383.  Veränderungen  der  Zellform.  Die  ursprünglich  kugelige 
Zelle  verändert  ihre  Gestalt  je  nach  ihrer  Ernährung  und  zwar 
kann  sie  elliptisch,  flachgedrückt  oder  walzenförmig  gestreckt 
werden,  je  nachdem  die  Ernährung  von  allen  Seiten,  nur  nach 
zwei  Richtungen  oder  nur  in  der  Längsrichtung  (von  unten  nach 
oben)  stattfindet. 


k_=. 


V 


r 


Fig.  251. 


Fig.  252. 


a)  Bei  allseitiger  Ernährung  entstehen  elliptische  Zellen, 
wie  sie  die  niedrigsten  Pilze  zeigen  (Eig.  251).  Die  höheren 
Gewächse  bauen  über  und  neben  einander  Schichten  auf,  in 
denen  durch  den  gegenseitigen  Anschluss  vielseitige  (polyed- 
rische)  Zellen  (Eig.  252)  entstehen.  Bei  regelmässiger  An- 
ordnung nehmen  die  letzteren  die  Eorm  von  Zwölfflächnern 
(Dodekaedern)  an  und  erscheinen  auf  dem  Querschnitt  als 
regelmässige  Sechsecke,  ähnlich  den  Bienenwaben. 

Ein  aus  solchen  Zellen  bestehendes  Gewebe  nennt  man  Par  en- 
chym  (Würfelgewebe)  und  unterscheidet  das  aus  kugeligen  oder 
elliptischen  Zellen  gebildete  unvollkommene  Parenchym 
(Eig.  251)  der  Pilze,  Algen  und  Elechten  von  dem  aus  eng  zusammen- 
schliessenden  polyedrischen  Zellen  gebildeten  vollkommenen 
Parenchym  der  höheren  Gewächse  (Fig.  253c).  Letzteres 
findet  sich  vorzugsweise  im  Marke  und  der  Rinde  des  Stammes, 
in  den  Blättern,  im  Fruchtfleisch  u.  a. 

Das  Parenchym  ist  das  verbreitetste  Gewebe  der  Pflanze ;  es 
bildet  die  Grundlage  aller  Organe  und  erhält  sich  in  allen  flei- 
schigen, saftigen  und  markigen  Pflanzenteilen.     Ist  es  durch  un- 


—     410     — 


regelmässige  Luftlücken  unterbrochen,  so  nennt  man  es  schwamm- 
förmiges  Parenchym;  man  findet  dasselbe  auf  der  Unterseite 
der  Blätter. 


Fisr.  253. 


Fig.  254. 


Fig.  255. 


b)  Bei  zweiseitiger  Ernährung  (nur  nach  der  Länge  und 
Breite),  entstehen  flache,  niedergedrückte,  tafelförmige  Zellen 
(Fig.  253  a,  b),  deren  Querschnitt  ein  mehr  oder  weniger  lang- 
gezogenes Rechteck  darstellt.  Aus  solchen  Zellen  setzt  sich  das 
tafelförmige  Parenchym  der  Markstrahlen  und  Oberhaut, 
sowie  des  Korkes  (Fig.  253  a)  zusammen.  Die  flachen  Zellen 
schliessen   sich  seitlich  knapp  an  einander  an. 

c)  Bei  einseitiger  Ernährung  (in  der  Längsrichtung)  entstehen 
cylindrische  Zellen  (Fig.  254),  welche  bei  fortgesetztem 
Wachstum  fadenförmig,  bandförmig  oder  prismatisch 
(Fig.  255)  werden,  je  nach  ihrem  Querschnitt.  Aus  solchen 
fadenförmigen  Zellen  bestehen  die  Schimmelpilze;  dort  sind  sie 
zu  einem  lockeren  Gewebe  durcheinander  gewirrt  (Fig.  254.)  Im 
Holze  der  höheren  Gewächse  setzt  sich  aus  ihnen  das  Fasergewebe 
zusammen,  welches  Prosen chym  genannt  wird,  wenn  die  Zellen 
mit  ihren  spitzen  Enden  sich  zwischen  einander  schieben  (Fig.  255), 
während  die  Faserzellen  des  Bastes  mehr  stumpf  endigen, 
auch  nicht  starr  werden,  sondern  biegsam  bleiben. 

Die  Verschiedenheit  der  Ernährung  lässt  sich  leicht  erklären,  denn 
dort,  wo  der  Strom  des  Nährstoffes  verläuft  und  von  Zelle  zu  Zelle  dringt, 
dehnt  sich  die  Zellwand  aus;  wo  sie  nicht  mit  dem  Nährsafte,  sondern 
mit  Luft  zusammentrifft,  plattet  sie  sich  ab.  Alle  angeführten  Formen, 
mit  Ausnahme  der  abgerundeten  (kugeligen,  elliptischen,  fädlichen),  ent- 
stehen bei  der  Vereinigung  von  Zellen  dadurch,  dass  sich  die  Flächen 
gegenseitig  abplatten. 

§  384.  Veränderung  der  Zellwand.  Sobald  die  Zelle  eine  ge- 
wisse Ausdehnung  erlangt  hat,  verwendet  sie  den  ihr  zugeführten 
Nährstoff  nicht  sowohl  zur  weiteren  Yergrösserung,  als  vorzugs- 
weise zur  Verdickung  der  Zellwand,  durch  wiederholtes  Ablagern 
neuer  Celluloseschichten    auf  die  Innenfläche  der  Cellulose- 


—    411     — 

wand.  Man  nennt  diese  Ablagerungen  Yerdickungsschichten. 
Solche  bilden  aber  keine  zusammenhängende  Haut,  sondern  lassen 
vielfach  Lücken  und  erscheinen  mehr  oder  weniger  einem  Spiral- 
band ähnlich.  Anfangs  liegen  dessen  Windungen  eng  zusammen, 
werden  aber  bei  fortschreitendem  Wachstum  der  Zelle  mehr  oder 
minder  auseinandergezogen.  Hiernach  nehmen  die  Yerdickungs- 
schichten  folgende  Formen  an: 

a)  Die  Zelle  wächst  nach  der  Ablagerung  der  Spirale  noch 
bedeutend;  in  diesem  Falle  entstehen  je  nach  der  Stärke  des 
Wachstums  ringförmige,  spiralige  oder  netzartig  ver- 
zweigte Verdickungsschichten.  Wir  bezeichnen  die  mit  den- 
selben versehenen  fadenförmigen  Faserzellen  als  Ringfaser- 
zellen, Spiralfaserzellen  (Fig.  256  und  257)  und  Netz- 
faserzellen (Fig.  258). 


Fig.  256. 


Fig.  257. 


Fig.  258. 


b)  Die  Zelle  dehnt  sich  nach 
Ablagerung  der  Spirale  nicht 
oder  nur  wenig  mehr  aus;  in 
diesem  Falle  weichen  die  Ver- 
dickungsschichten nur  in  Spalten 
und  Löchern  von  einander,  ver- 
schmelzen im  übrigen  zu  einer 
fast  zusammenhängenden  Schicht. 
Hierdurch  entstehen  poröse 
Zellen,  von  denen  sich  eine  be- 
sondere    Form     im     Holz    der 


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Fig.  259. 


412 


Tannen  und  Kiefern  vorfindet,  die  man  Tüpfelzellen  (Fig.  259) 
nennt.  Die  Poren  dieser  Zellen,  sogen.  Tüpfel,  zeigen  zwei 
konzentrische  Kreise ;  der  innere  Kreis  ist  die  eigentliche  Pore  in 
der  Yerdickungsschicht  (nicht  in  der  ursprünglichen  Zellwand), 
der  äussere  Kreis  begrenzt  einen  rundlichen  Raum  (Tüpfelraum), 
wo  die  angrenzenden  Zellen  etwas  von  einander  weichen.  In  der 
Regel  resorbiert  sich  an  letzterer  Stelle  die  Zellwand.  Fig.  260 
erläutert  das  Yerhältnis  des  Tüpfelraums  zu  den  beiden  Kreisen 
im  Querschnitt,     (a  Zellwand,  b  Tüpfelraum,  c  dessen  Profil.) 

c)  Findet  keine  Aus- 
dehnung der  Zellen  bei  immer 
fortschreitender  Yerdickung 
statt,  so  füllt  sich  das  Innere 
der  Zelle  mehr  oder  weniger 
ganz  aus,  woraus  die  sogen, 
dickwandigen  Zellen 
hervorgehen,  wie  wir  sie 
vielfach  im  Baste  finden. 
(Fig.  261  zeigt  den  Quer- 
schnitt einer  Bastzelle  der 
Lärche.)  Yerknöchert  dabei 
die  Wandung,  so  nennen  wir 
sie  Stein zellen,  die  wir 
nicht  selten  im  Rindenkörper, 
besonders  aber  in  den  steini- 
gen Konkretionen  der  Birnen 
(Fig.  262)  finden. 


Fig.  261. 


Fig.  262. 


§  385.  Veränderung  der  Konsistenz  und  des  Inhalts  der  Zellen. 
Die  Zelle  führt  nicht  zeitlebens  einen  wässerigen  Inhalt,  sondern 
nur  so  lange,  wie  sie  fortbildungsfähig  bleibt.  Im  Laufe  der  Zeit 
ändert  sie  ihren  Inhalt  in  feste  Sekrete  um,  z.  B.  in  fette  oder 
ätherische  Öle,  Harz,  Balsam,  Stärkekörner,  Kleber  und  dergl., 
oder  sie  führt  Luft.  Zugleich  wandelt  sich  auch  die  Cellulose- 
wand  häufig  in  Holz-  und  Korksubstanz  um,  wodurch  sie  ent- 
weder starr  oder  biegsam  wird. 

Gefässbildung:  Zahlreiche  Zellen  dienen,  vermöge  dieser 
Yerholzung  ihrer  verdickten  Wandungen,  zur  Stütze  des  Pflanzen- 
körpers, analog  dem  Knochengerüste  der  Tiere.  Solche  Zellen 
führen  stets  Luft  und  füllen  sich  nur  zur  Zeit  des  Saftüber- 
schusses im  Frühling  mit  flüssigem  Inhalt.  Durch  Resorption  der 
dünnen  Zwischenwandungen  entsteht  aus  einer  Längsreihe  solcher 
langgestreckter,  luftführender  Zellen  eine  einzige  langge- 
streckte Röhre,  ein  sog.  Gefäss  (vas).  Diese  Kanäle  hielt 
man  nämlich   früher    für  die  Saftgänge,    analog   den   Adern   der 


-     413 


Tiere.  Je  nach  der  Form  der  Verdickung^  - 
schichten  bezeichnet  man  die  Gefässe  als  Ring- 
gefässe  (vasa  annulifera)  Fig.  263b,  Spiral- 
gefässe  (v.  spirifera)  Fig.  263a,  Net z ge- 
fässe (v.  retifera),  poröse  G-efässe  (v.  porosa) 
Fig.  264a,  Spaltgefässe  oder  Treppengänge 
(v.  scalaria)  Fig.  264  b  (in  mehrhundertfacher 
Vergrösserung).  Wir  finden  die  Gefässe  im  Holze, 
die  Ringgefässe  vorzugsweise  in  schnellwach- 
senden Stengeln,  z  B.  der  Kürbisse,  die  Spiral- 
gefässe  besonders  an  der  Grenze  zwischen  Holz 
und  Mark,  die  Netz-  und  porösen  Gefässe  im 
späteren  Holze,  dessen  Bildung  in  eine  Zeit 
fällt,  worin  der  Stamm  sich  nur  wenig  mehr  ver- 
längert. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  die 
Siebröhren,  welche  sich  bei  vielen  Gewächsen 
in  den  jüngsten  Bast -Partien  der  Gefässbündel 
vorfinden  und  aus  übereinander  gelagerten  Zellen 
gebildet  werden,  deren  Querscheidewände  nicht 
völlig  resorbiert,  sondern  siebartig  durchlöchert 
sind  und  aussen  eine  Anschwellung  zeigen.  Man 
nennt     diese     Scheidewände     Sieb-  a 

platten.  (Vgl.  Fig.  274     Bg.) 

Mikroskopische  Übungen. 

Zur  Verdeutlichung  des  Textes  und 
ersten  Übung  im  Gebrauche  des  Mikroskops 
mögen  folgende  Untersuchungen  angestellt 
werden,  im  Falle  ein  bis  zur  hundertfachen 
Vergrösserung  reichendes  Instrument  zur 
Verfügung  steht. 

Man  beobachte  die  Präparate,  welche 
mit  einem  sehr  scharfen  Messer  (etwa  einem 
Rasiermesser)  in  möglichst  dünnen  Schich- 
ten herzustellen  und  mit  einem  Tropfen 
Wasser  anzufeuchten  sind,  zwischen  zwei  Glasplättchen  bei  durchfallendem 
Lichte. 

1.  Ein  Tropfen  Hefe  oder  ein  winziges  Partikelchen  Presshefe  ver- 
teile man  in  einigen  Wassertropfen  und  beobachte  bei  einer  mindestens 
100  fachen  Vergrösserung.  Die  Hefe  erscheint  dann  als  ein  Haufenwerk 
sehr  kleiner  runder  Zellen,  teils  einzeln,  teils  kettenartig  zusammenhängend, 
jede  mit  einem  dunklen  Zellkern.  —  Der  Bärlappsamen  erscheint  unter 
dem  Mikroskop  in  tetraedrischen  Zellen  mit  gewölbter  Grundfläche  und 
netzig  rauher  Oberfläche. 

2.  Feine  Schnitte  aus  Hollundermark,  der  Kartoffel,  der  Meer- 
zwiebel, dem  weissen  Innern  der  Pomeranzenschale  oder  dem 
Mark  der  Althäwurzel  zeigen  unter  dem  Mikroskop  ein  sehr  schönes, 
aus  weiten  polyedrischen   (sechsseitigen)  Zellen  mehr  oder  weniger  regel- 


Fic?.  264. 


-     414 


massig  zusammengefügtes,  dünnwandiges  und  wasserhelles  Parenchym.  (Der 
Schnitt  ist  sehr  dünn  auszuführen.) 

3.  Ein  sehr  feiner  Schnitt  aus  Kork  (eines  Stopfens)  zeigt  ein  sehr 
regelmässiges  Parenchym  aus  kleinen,  vierseitigen,  flach  niedergedrückten 
Zellen,  mit  nur  wenig  verdickten  Wandungen. 

4.  Man  zerzupfe  mit  der  Nadel  kleine  Stückchen  Leinen-,  Baum- 
wollen- und  Hanf  faden  (gewöhnlichen  Strick)  und  bringe  sie  getrennt 
unter  eine   etwa   100 fache   Vergrösserung.     Sie   erscheinen   als   feine,  sehr 

lange  Faserzellen,  die  Lein- 
und  Hanffaser  stielrund,  letztere 
dicker  als  erstere,  die  Baum- 
wolle aber  bandartig  flach  oder 
öfters  umgebogen.  Fig.  265  zeigt 
unter  300  fach  er  Vergrösserung 
L  Leinfaser,  H  Hanffaser,  J 
Jutefaser,  B  Baumwolle. 

5.  Ein  sehr  feiner  Längs- 
schnitt aus  Tannenholz  (eines 
Streichzündhölzchens)  zeigt  bei 
mindestens  lOOfacher  Ver- 
grösserung sehr  schön  getüpfelte 
Faserzellen.  (Fig.  259.)  Die- 
selben erscheinen  wasserhelL 
wenig  verdickt  und  mit  einer 
Längsreihe  von  kreisrunden 
Tüpfeln,  deren  innerer  Kreis 
sich  wohl  erkennen  lässt. 

6.  Man  führe  einen  sehr 
feinen  Längsschnitt  durch  den 
Mittelnerven  eines  Blattes  z.B.  der  Nussblätter  aus;  er  zeigt  bei  lOO- 
facher Vergrösserung  neben  verdickten  Faserzellen  langgezogene  Spiralgefässe. 


u     r 

Fiar.  265. 


13.  Der  anatomische  Aufbau  des  Pflanzenkörpers. 

§  386.  Die  Lagerpflanzen.  Die  niedrigsten  Formen  der  Pflanzen - 
gebilde  sind  die  Lagerpflanzen  (Thallophy ta),  zu  denen 
die  Pilze,  Algen  und  Flechten  gehören.  Ihr  vegetativer  Teil 
scheidet  sich  nicht  in  Stengel,  Wurzel  und  Blätter,  sondern 
stellt  ein  mehr  oder  weniger  gleichförmiges  Gewebe  dar,  Trieb- 
lager  (thallus)  genannt,  dessen  Gestaltung  in  der  Regel  die 
genannten  Organe  höherer  Pflanzen  nachahmt,  mithin  bald  sten- 
gelig erscheint,  wie  bei  den  grünen  Wasserfäden  (Konferven), 
bald  wurzelartig,  wie  manche  Pilze,  bald  blattartig,  wie  viele 
Flechten,  z.  B.  das  isländische  Moos.  Bei  den  allereinfachsten  j 
Gewächsen  dieser  Art  besteht  das  Ganze  aus  einer  einzigen 
Zelle,  wie  bei  der  Hefepflanze,  bei  manchen  Algen  u.  a.  Das 
Trieblager  vieler  übrigen  wird  gebildet  von  einfachen  oder  ver- 
zweigten, fadenförmigen,  mehr  oder  weniger  zusammengedrängten    j 


415 


Zellen,  wie  bei  den  Pilzen,  deren  Lager  aus  sog.  Flocken  (hyphae) 
besteht.  (Fig.  266.)  Diese  Zellen  bilden  anfänglich  ein  ziemlich 
lockeres  Gewebe,  welches  in  dem  Substrate,  worin  der  Pilz  wuchert 
—  Erdboden,  Nährpflanze,  altes  Holz  u.  dgl.  —  mehr  oder  weniger 
tief  eindringt  und  dasselbe  durchsetzt.  Später  entwickeln  sich  aus 
demselben  verschiedengestaltete  Fruchtlager  (stroma)  von  meist 
festerer  Begrenzung  und  dich- 
terem Gewebe,  so  der  Hut  der 
Hutpilze,  die  kugeligen  Ge- 
bilde der  Bauchpilze  (Hirsch- 
brunst, Trüffel),  auf  resp.  inner- 
halb deren  sich  die  Sporen 
erzeugen.  Den  Schimmel-  und 
Staubpilzen  mangeln  solche 
Fruchtlager. 

Bei  den  Flechten  unter- 


Fisr.  266. 


Fig.  267. 


scheiden  wir  ein  krustenartiges,  blattartiges  und  stenge- 
liges Trieblager.  Das  erstere  finden  wir  bei  den  auf  Felsen  und 
Steinen  sitzenden  Schriftflechten  u.  a. ,  in  Form  von  Warzen, 
Strichen  und  Linien,  die  aus  rundlichen  Zellen  bestehen.  Das 
blattartige  Lager  der  Wandflechte,  des  isländischen  Mooses  u.  a. 
zeigt  mehrere  Zellenscbichten ;  die  mittlere  (Fig.  267  c)  setzt  sich 
aus  locker  durcheinandergewebten  cylindrischen  Zellen  zusammen 
und  stellt  ein  sog.  wergartiges  Gewebe  dar,  die  wir  Mark- 
schicht nennen.  Beim  isländischen  Moose  finden  wir  über  und 
unter  demselben  ein  sog.  straffes  Gewebe  (b),  aus  dichtge- 
drängten Faserzellen  bestehend.  Die  Rindenschicht  (a) 
wird  aus  unregelmässig  rundlichen  Zellen  gebildet;  sie  fehlt  manchen 
Flechten,  zumal  den  glatt  niederliegenden,  bei  denen  einzelne  Fasern 
der  Markschicht  als  falsche  Wurzeln,  Haftzasern,  hervor- 
treten. Die  stengeligen  Flechten,  z.  B.  die  an  den  Bäumen  herab- 
hängende Bartflechte,  das  Rentiermoos  u.  a.,  zeigen  stets  eine  untere 
und  obere  Rindenschicht,  welche  die  Markschicht  umschliessen. 

Bei  den  Algen  (Wasserpflanzen),  deren  es  zahlreiche  ein- 
zellige giebt,  bestehen  die  mehrzelligen  entweder  aus  einzelnen, 
langen  Zellenreihen,  welche  in  Form  langer,  gegliederter,  grüner 
Fäden  als  Konferven  (Wasserfäden)  bekannt  sind; 
oder  aus  stengeligen,  zuweilen  blattartig  ausge- 
breiteten Geweben  (wie  bei  Laminaria),  welche  nicht 
selten  mehrere  Schichten  wahrnehmen  lassen,  indem 
die  äussere  Rindenschicht  aus  kleineren  Zellen  be- 
steht, die  Mittelschicht  dagegen  aus  fadenförmigen 
Zellen,  welche  durch  eine  Gallertmasse  gewisser- 
massen  verschmolzen  sind).  Fig.  268  auf  dem  Quer-        Fig.  268. 


—    416    — 

schnitt).  Solche  dreischichtigen  Trieblager  finden  wir  bei  den 
Tangen,  olivengrünen  oder  braunen  Meeralgen,  deren  Asche  (Kelp, 
Yarech)  auf  Jod  verarbeitet  wird.  Die  Gallertmasse  bildet  in  deren 
Mittelschicht  die  Zellwände  selbst,  da  diesen  Gewächsen  die  Cellu- 
lose  fehlt. 

§  387.  Die  höheren  Gewächse  (Stockpflanzen).  Bei  sämtlichen 
höher  organisierten  Pflanzen,  von  den  Moosen  bis  zu  den  Baum- 
gewächsen ,  finden  wir  ein  aus  Stengel  und  "Wurzel  bestehendes 
Axenorgan  und  seitliche  Blattorgane.  Wir  nennen  diese  Gewächse 
Stockpflanzen  (Cormophyta),  im  Gegensatz  zu  den  vorhin 
beschriebenen  Lagerpflanzen. 

Die  Organe  der  höheren  Gewächse  enthalten  sämtliche  Zellen- 
arten und  Gewebe.  Ihre  Anordnung  soll  im  folgenden  kurz  und 
übersichtlich  angegeben  werden. 

Wir  treffen  bei  den  Moosen  die  einfachsten  Yerhältnisse. 
Ihre  Wurzeln  erscheinen  als  haarförmige  Gebilde,  innen  hohl  und 
ohne  Querwände,  also  fädliche  Zellen,  fähig,  allerorten  aus  dem 
Stengel  hervorzutreten.  Der  Stengel  ist  gestreckt,  aus  faden- 
förmigen, reihenweise  neben-  nnd  übereinander  liegenden  Zellen 
gebildet  und  seitlich  mit  Blättern  besetzt,  welche  aus  Parenchym 
bestehen  und  von  einem  oder  wenigen  einfachen  Nerven  durch- 
zogen sind,  deren  Zellen  sich  durch  ihre  grössere  Länge  und 
geringere  Breite  auszeichnen.  Bei  den  höheren  Moosen  treffen 
wir  im  Mittelpunkte  des  Stengels  ein  aus  langgestreckten  Zellen 
bestehendes  centrales  Bündel.  Dieses  leitet  uns  über  zum  Baue 
der  sog.  Gefässpflanzen. 

Sämtliche  höhere  Gewächse  bilden  die  grosse  Abteilung  der 
Gefässpflanzen,  benannt  nach  dem  steten  Yorkommen  von 
Gefässen  in  ihren  Organen  (Wurzel,  Stengel,  Blätter).  Diese  Ge- 
fässe  bilden  sich  bekanntlich  aus  den  Paserzellen  durch  später 
erfolgende  Resorption  der  zwischenhegenden  Querwände  zufolge 
des  Saftstromes.  Wir  müssen  uns  nun  die  Yerhältnisse  folgen- 
dermassen  vorstellen: 

Man  denke  sich  die  Axenorgane  in  ihrer  Grundmasse  aus 
Parenchym  gebildet,  in  welchem  von  unten  nach  oben,  also 
in  der  Richtung  der  Axe  selber,  Bündel  von  Faserzellen 
und  Gefässen,  sogenannte  Gefässbündel,  verlaufen,  deren 
Längsrichtung  mit  der  Axe  zusammenfällt.  Diese  Gefässbündel 
stellen  durch  ihr  dichtgedrängtes  Beisammenstehen  den  Holz- 
körper  dar  und  umschliessen  im  Centrum  der  Axenorgane  das 
aus  Parenchym  gebildete  Mark,  während  sie  nach  aussen  von 
der  ebenfalls  aus  Parenchym  gebildeten  Rinde  bedeckt  sind.  Die 
Rinde  ist  selbst  wieder  überkleidet  mit  der  Oberhaut. 


—    417     — 

Binde  und  Mark  besieht  aus  Parenchym,  das  Holz  enthält  die 
Gefässbündel  —  Faserzellen  und  Gefässe. 

Sehr  häufig  sind  die  Gefässbündel  im  Holzkörper  mit  ver- 
holztem Parenchym,  sogen.  Holzparenchym,  untermischt. 

§  388.  Das  Gefässbündel  und  seine  Teile.  Die  Gefässbündel 
(fasciculi  vasorum)  sind  faserige  Stränge,  welche  das  Parenchym 
der  höher  organisierten  Pflanzen  in  der  Richtung  der  Axe  durch- 
ziehen und  seitlich  in  die  Äste  und  Blätter  (als  Blattnerven)  aus- 
treten. Sie  verfolgen  den  Stamm  von  der  Wurzelspitze  bis  zu 
den  äussersten  Enden,  dem  Dochte  einer  Kerze  vergleichbar.  — 
"Wir  finden  die  Gefässbündel  bei  allen  höheren  Gewächsen,  die 
man  deshalb  Gefässpflanzen  (plantae  vasculares)  nennt; 
sie  fehlen  den  Pilzen,  Algen,  Flechten  und  Moosen,  die  nur  aus 
Parenchymgewebe  bestehen  und  im  Gegensatz  zu  jenen  Z  eilen  - 
pflanzen  (pl.  cellulares)  heissen. 

Jedes  Gefässbündel  besteht  aus  einer  Anzahl  Gefässen 
und  Faserzellen.  Letztere  sind  teils  Prosenchym-,  teils 
Bastzellen,  je  nachdem  sie  verholzen  oder  biegsam  bleiben. 
Die  ersteren  umschliessen  gewöhnlich  die  Gefässe ,  welche  bald 
Ring-  und  Spiralgefässe ,  bald  netzförmige  und  poröse  Gefässe 
sind.     Dadurch  trennt  sich  jedes  Gefässbündel  in  zwei  Teile: 

1.  einen  nach  aussen  liegenden  B  a  s  1 1  e  i  1  (Phloem-Teil),  aus 
biegsamen  Faserzellen  gebildet; 

2.  einen  nach  innen  liegenden  Holzteil  (Xylem-Teil) ,  aus 
verholzenden  Prosenchymzellen  und  zwischenliegenden  Gefässen 
bestehend. 

Zwischen  beiden  verlaufen  in  jedem  Gefässbündel  die  in  der 
Fortbildung  begriffenen  Zellpartien  als  sogenanntes : 

3.  Bildungsgewebe  (cambi  um),  welches  die  Verlängerung 
und  Verdickung  des  Gefässbündels  alljährlich  besorgt.  Seine  Zellen 
werden  teils  zu  Bast-,  teils  zu  Prosenchymzellen  resp.  Gefässen. 
Wir  finden  dieses  Bildungsgewebe  regelmässig  an  der  unteren 
und  oberen  Spitze  des  Gefässbündels,  aber  auch  oft  im  Verlaufe 
desselben;  es  kennzeichnet  sich  durch  seine  dünnen  Zellwände 
und  strotzt  von  trübem  Nahrungsaft. 

Die  Gefässe  zeichnen  sich  auf  dem  Querschnitt  durch  ihre 
Weite  aus,  worin  sie  die  Bast-  und  Prosenchymzellen  bedeutend 
übertreffen  und  häufig  schon  mit  blossen  Augen  als  feine  Poren 
sichtbar  sind.  Sie  befinden  sich,  wie  oben  angegeben,  stets  im 
Holzteil  der  Gefässbündel. 

§  389.  Das  kryptogame  und  rnonokotyledonische  Gefässbündel.  Bei 
den  Gefässkryptogamen  und  Monokotyledonen  durchziehen  die 
Gefässbündel  Stamm  und  Wurzel  einzeln,  zerstreut  und  von 

Schliokum,  Apothekerlehtling.  27 


418     - 


einander  durch  parenchyma- 
tisches  Gewebe  getrennt.  Fig. 
269  zeigt  sie  als  ovale  Partien, 
wie  sie  auf  dem  Querschnitt 
eines  Monokotyledonen-Sten- 
gels  mit  der  Lupe  sichtbar  sind. 
Den  Gefässbündeln  der  K  r  y  p- 
t  o  g  a  m  e  n  mangeln  die  Faser- 
zellen; sie  bestehen  nur  aus 
Gefässen,  welche  umgeben  sind 
von  parenchymatischem  Ge- 
webe (herrührend  vom  Bildungsgewebe).  Die  Ge- 
fässbündel  der  Monokotyledonen  zeigen  eine  be- 
stimmte Anordnung  ihrer  Teile :  Nach  der  Peripherie 
des  Stammes  zu  stehen  die  Bastzellen,  nach  dem 
Centrum  des  Stammes  zu  das  Prosenchym  mit  den 
Gefässen ;  zwischen  beiden  Teilen  liegt  das  Bildungs- 
gewebe,  welches  aber  nur  an  der  Spitze  der 
Wurzel  wie  des  Stammes  fortbildungsfähig 
bleibt,  im  Zwischenverlaufe  sich  aber  frühzeitig  in 
ein  klares,  fortbildungsunfähiges  Gewebe  umgesetzt 
hat.  Daher  kommt  es,  dass  der  Stamm  der  Mono- 
kotyledonen und  Kryptogamen  in  seinen  späteren 
Lebensperioden  nicht  mehr  in  die  Dicke,  sondern  nur  mehr  in  die 
Länge  wächst.  Die  Palmen  und  baumartigen  Farne  werden  von 
Jahr  zu  Jahr  höher,  ohne  viel  an  Dicke  zuzunehmen.  De  Can- 
dolle  nannte  diese  Gewächse  Innenwüchsige  (Endogenae), 
sich  stützend  auf  den  Yerlauf  der  Gefässbündel ,  welche  sich  in 
einem  langgestreckten  Bogen  aus  dem  Innern  nach  aussen  be- 
geben und  in  die  Blätter  eintreten,  wie  Fig.  270  im  Längs- 
schnitte zeigt. 

§  390.  Das  dikotyledonische  Gefässbündel.  Bei  den  Dikotyle- 
donen  sind  die  Gefässbündel  in  einen  Kreis  gestellt; 
ihre  Bastzellen  liegen  nach  aussen  zu,  ihr  Holzteil  mit  den  Ge- 
fässen nach  innen,  zwischen  beiden  Teilen  das  Bildungsgewebe, 
welches  zufolge  der  ringförmigen  Anordnung  der  Gefässbündel 
durch  seitliches  Zusammenstossen  eine  ringförmige  Schicht  um 
den  Holzteil  bildet  und  nicht  allein  an  den  Endpunkten,  sondern 
im  ganzen  Verlauf  der  Gefässbündel  fortbildungs- 
fähig bleibt,  wodurch  jährlich  nicht  allein  das  Gefässbündel  sich 
verlängert,  sondern  auch  verdickt,  indem  das  Kambium  alljährlich 
nach  aussen  neue  Bastzellen,  nach  innen  neue  Holzzellen  und 
Gefässe  ansetzt.  Der  Gefässbündelkreis  (Fig.  271  und  272)  schliesst 
in  dem  Centrum  das  parenchymatische  Mark  ein  und   ist  selbst 


Fig.  270. 


419 


;  Fig.  271.  Fig.  272. 

Querschnitt  eines  Dikotylenstengels     Querschnitt  eines  Dikotylenstengels 

im  ersten  Jahre.  im  zweiten  Jahre. 

a  Mark,  b  Rinde,  c  Markstrahlen,  d  Kambiumring. 

wieder  von  der  Kinde  umgeben.  Die  Dikotyledonenstämme,  zu 
denen  unsere  sämtlichen  europäischen  Holzgewächse  zählen,  zeigen 
daher  nicht  allein  alljährlich  eine  Verlängerung,  sondern  auch  eine 
Verdickung.  De  Candolle  hat  sie  deshalb  Aussenwüchsige 
(Exogenae)  genannt. 

Wenn  der  Dikotyledonenstamm  ausdauert  und  sich  von  Jahr 
zu  Jahr  verdickt,  wie  dies  unsere  Bäume  thun,  so  nähern  sich 
ihre  Grefässbündel  zu  einem  Einge;  ihre  Bastteile  schliessen  sich 
zu  einem  Bastringe,  ihre  Holzteile  zu  einem  Holzring  zu- 
sammen, zwischen  beiden  liegt  der  Kambiumring.  Dadurch  wird 
das  zwischen  den  einzelnen  Gefässbündeln  restierende  Parenchym 
zu  den  sogen.  Markstrahlen  zusammengedrückt ,  welche  vom 
Mark  strahlenförmig  zur  Rinde  treten  und  zufolge  des  Druckes 
aus  tafelförmigen  Zellen  bestehen. 

Mikroskopische  Übungen. 

1.  Die  Wurmfarn wurzel  (Rhiz.  Filicis)  zeigt  unter  der  Lupe  auf 
dem  Querschnitt  ein  gleichförmiges  markiges  Gewebe,  in  welchem  in  1 — 2 
Kreisen  einzelne  Gefässbündel  zu  erkennen  sind  (Fig.  273  a  Durchschnitt 
durch  den  Wurzelstock,  b  durch  die  Wedelreste). 

Unter  dem  Mikroskope  erblickt  man  rundliche,  polyedrische  Paren- 
chymzellen,  in  denen  die  einzelnen  Gefässbündel  liegen,  durch  enge  ver- 
holzte und  dunkle  Zellen  scharf  abgegrenzt  und  ziemlich  weite,  auf  dem 
Längsschnitt  als  Treppengänge  erkennbare  Gefässe  enthaltend. 

2.  Durchschneidet  man  den  Stengel  eines  Schachtelhalms  und  be- 
trachtet ihn  bei  mehrhundertfacher  Vergrösserung,  so  bietet  sich  das  Bild 
von  Fig.  274.  Neben  dem  grossen  centralen  Luftgange  (L)  verlaufen  Spiral- 
gefässe  (G),  daneben  Parenchym  (Bg),  Siebröhren  (Bg)  und  zu  äusserst  Bast- 
fasern (Bf). 

3.  Die  Sarsaparillwurzel  zeigt  auf  dem  Querschnitte  des  Holz- 
rings bei  mehrhundertfacher  Vergrösserung,  (Fig.  275)  zunächst  der  Kern- 
scheide (Sp),  die  aus  nahezu  quadratischen  Zellen  gebildet  ist,  den  Bastteil 
(Bp)   eines    Gefässbündels  mit  Siebröhren  (Bg),  umgeben  von  engen,  dick- 

27* 


—     420 


-  c. 


Fig.  273. 

wandigen  Holzparenchyruzellen, 
welche  nach  Innen  zu  einzelne  weite 
Gefässe    umgrenzen;    letztere    zeigen 
sich     auf     dem     Längsschnitte     als 
Treppengänge. 

4.  Die  Bittersüss-Stengel  (Stip. 
Dulcamarae)  zeigen  bei  mehrhundert- 
facher Vergrösserung ,  (Fig.  276)  zu 
äusserst  eine  von  der  Oberhaut  (a)  be- 
deckte Korkschicht  (b)  von  braunen, 
tafelförmigen  Zellen,  unter  denselben 
grünes  Rindenparenchym  (c),  da- 
runter den  Bast  (d)  in  engen  Röhren, 
durch  das  Kambium 
(e)  vom  Holzteile  ge- 
trennt; letzterer  be- 
steht aus  langen , 
starkverdickten  Pro- 
sen chymzellen  (f)  mit 
einzelnen ,  weiten , 
porösen  Gefässen  (g), 
zu  innerst  Spiralge- 
fässe  (g')  zeigend.  An 
letztere  schliesst  sich 
das  Mark  (C)  aus  regel- 
mässigem Parenchym 
gebildet. 

Auf  dem  Längs- 
schnitte erkennt  man 
ausserdem  die  Mark- 
strahlen (x)  aus  quer- 
gestreckten Paren- 
chymzellen. 


Fig.  275. 
Sp.  Kernscheide,  Bp.  Bastparenchym,  Bg  Siebröhren, 
G  Gefässe. 


—    421 


Fig.  276. 
Querschnitt  (oben) 
und  dem  entsprechen- 
der Längsschnitt  (un- 
ten) durch  einen  Diko- 
tylenstamm. 

A.  Rinde  (cortex). 

a)  Oberhaut    (epider- 
mis) 

b)  Kork  (periderma) 

c)  Mittelrinde    (meso- 
phloeum) 

d)  Bast  (über) 

e)  Kambiumring    (an- 
nulus  cambialis). 

B.  Holz  (lignum). 

f)  Prosenchym  (Holz- 

zellen) 

g)  Poröse  Gefässe 
g1)  Spiralgefässe 

x)  Markstrahlen  (radii 
medulläres). 

C.  Mark  (medulla). 


Fig.  276. 


14.  Spezielle  Anatomie  der  Pflanzenorgane. 

§  391.  Anatomischer  Bau  von  Wurzel  und  Stamm.  Die  Axenor- 
gane  der  höher  organisierten  Pflanzen,  Wurzel  und  Stamm,  be- 
stehen aus  drei  konzentrischen  Schichten;  sie  zeigen 

1.  zu  äusserst  die  Rinde  (cortex),  aus  Parenchym  ge- 
bildet und  von  der  Oberhaut  bedeckt; 

2.  unter  ihr  eine  Gefässbündelschicht,  das  sog.  Holz  (lignum); 

3.  im  Mittelpunkte  das  Mark  (medulla),  aus  Parenchym- 
zellen  bestehend. 

Bei  den  Gefässkryptogamen  und  Monokotyledonen  verlaufen 
die  Gefässbündel  zerstreut  zwischen  Rinde  und  Mark,  so  zwar, 
dass  sie  nach  dem  Marke  zu  weniger  dicht  gedrängt  stehen,  wo- 
durch das  Mark  keine  feste  Umgrenzung  besitzt.  Die  Rinde  be- 
steht bei  diesen  Gewächsen  nur  aus  regelmässigem  Parenchym, 
ist  von  der  Oberhaut  überdeckt  und  von  der  Gefässbündelschicht 
(Holzkern)  durch  eine  aus  einer  oder  wenigen  Zellreihen  be- 
stehenden sog.  Kern  scheide  (Endodermis)  gesondert. 

Bei  den  Dikotyledonen  haben  sich  die  Gefässbündel  zu  einem 


—     422     — 

Kreise  zusammengeschlossen,  welcher  durch  das  alljährliche  Ver- 
dicken der  Gefässbündel  immer  dichter  wird  und  das  zwischen- 
liegende Parenchym  in  schmale  Markstrahlen  zusammen- 
drängt. Durch  den  Kambiumring,  dessen  Lebensdauer  anhält, 
findet  nun  im  Gefässbündelkreis  eine  Scheidung  statt,  sodass  der 
aussen  befindliche  Bastteil  desselben  als  Bastring  sich  abtrennt 
und  beim  Abschälen  der  Rinde  mit  dieser  zusammen  sich  ablöst, 
da  hierbei  die  Scheidung  innerhalb  des  saftigen  Kambiums  statt- 
findet. Der  Bast  bildet  daher  gewissermassen  eine  innere  Rin- 
denschicht  und  wird  Innenrinde  (cortex  interior)  genannt. 
Er  besteht  nur  aus  Faserzellen  und  ist,  wie  das  Holz,  von  den 
Markstrahlen  durchzogen. 

Hiernach  enthält  das  Holz  der  Dikotyledonen  nur  das  Pro- 
senchym  mit  den  Gefässen,  und  zwar  nach  innen 
zu  mit  Ring-  und  Spiralgefässen ,  nach  der 
Peripherie  zu  mit  porösen  Gefässen.  Das  ältere 
Holz  liegt  innen  und  zeichnet  sich  durch  seine 
Härte  aus:  Hartholz  (duramen);  das  junge 
Holz  liegt  aussen  und  ist  weicher :  Splint 
(alburnum.) 

Durch   das  jährliche   Ansetzen  neuer  Holz- 
partien  von  Seiten   des  Kambiumrings  entstehen 
die  Jahresringe,  die  wir  an  dikotylischen  Holz- 
-p.    977         stammen  wahrnehmen.    (Fig.  277).   Das  Holz  wird 
von   den  Markstrahlen   (r)   radial   durchschnitten. 
Während   im  Monolwtyledonenstamm  das  Mark   nicht  fest  um- 
grenzt ist,  auch  weder  Markstrahlen,  noch  Bastring  vorhanden  sind, 
die  Binde  daher  einfach  ist,  sehen  wir  beim  Bikotyledonen-Holzstamm 
einen  Bastring   als    Innenteil    der    Binde,    sowie    strahlig    geordnete 
Markstrahlen   und  ein  festumgrenztes  Mark. 

Die  Grenzlinie  zwischen  dem  Holzring  und  dem  Mark  der 
Dikotyledonen  heisst  Markscheide. 

§  392.  Intecellularsystem.  Durch  das  Auseinanderweichen  be- 
nachbarter Zellen  entstehen  im  Parenchym  Lücken  —  Inter- 
cellularräume,  meist  grössere,  unregelmässige  Räume,  die 
durch  Intercellulargänge,  dreieckige  enge  Kanäle,  mit 
einander  in  Verbindung  stehen. 

Es  bilden  sich  auch  vielfach  grössere  Lücken  im  Parenchym 
durch  Rücksaugung  von  Zellen;  diese  sind  alsdann  mit  Luft 
erfüllt  und  heissen  Luftlücken  Wir  finden  sie  in  vielen 
Stengeln,  in  denen  der  Wasserpflanzen  als  weite  Luftgänge. 

Wenn  sich  gewisse  Zellenreihen  oder  auch  Intercellulargänge 
mit  Harz,  Gummi  oder  Schleimharz  füllen,  so  entstehen  die  Harz- 
tmd  Balsamgänge  (ductus  oder  receptacula  balsamifera),  welche 


—     423     — 

sich  reichlich  im  Bast  und  Holz  der  Koniferen,  Terebintbaceen 
und  Mimosen  finden.  In  den  Früchten  vieler  Umbelliferen  sind 
gewisse  Zellgänge  mit  ätherischem  Öle  gefüllt,  sogen.  Ölstriemen 
(vittae).  Im  Baste  mancher  Gewächse  existieren  veränderte 
Bastzellen  mit  einem  weissen  Milchsafte,  sogen.  Milchsaft- 
gefässe.  Dieser  Milchsaft  (latex)  cirkuliert  Eicht  in  der 
Pflanze  und  fiiesst  aus  den  Verwundungen,  die  man  dem  Stengel 
beigebracht ,  aus ;  er  besteht  aus  kleinen  Harztröpfchen ,  die  in 
einer  gummihaltigen  Flüssigkeit  schwimmen ,  wie  die  Butter- 
kügelchen  in  der  Milch.  Wir  finden  einen  weissen  Milchsaft  bei 
der  Euphorbia,  einen  orangegelben  bei  Chelidonium.  Der  Milch- 
saft von  Ficus  elastica  liefert  durch  Eintrocknen  den  Kautschuk, 
derjenige  von  Isonandra  Gutta  die  Guttapercha,  derjenige  der 
Mohnköpfe  das  Opium  u.  s.  f. 

§  393.  Der  Bau  der  Rinde.  Die  Binde  der  Kryptogamen  und 
Monokotyledonenist  aus  Parenchym  gebildet,  einschichtig  und  von 
der  Oberhaut  überlagert.  Bei  den  Dikotyledonen  unterscheiden  wir: 

1.  Die  Oberhaut  als  Aussenrinde, 

2.  das  eigentliche  Bindenparenchym  als  Mittelrinde, 

3.  die  Bastschicht  als  I  n  n  e  n  r  i  n  d  e. 

Beim  Ablösen  der  Binde  wird  nämlich  wegen  der  saftigen 
Beschaffenheit  des  zwischen  Bast  und  Holz  gelegenen  Kambiums 
ersterer  von  letzterem  getrennt. 

Im  Bindenparenchym  finden  wir  häufig  Konkretionen,  körnige 
Massen,  aus  sog.  Steinzellen  gebildet,  deren  Wandungen  sehr 
verdickt  und  verholzt  sind.    (Fig.  262.) 

Durch  die  alljährliche  Ablagerung  neuer  Bastschichten  von 
Seiten  des  Kambiums  gewinnt  der  Bast  eine  geschichtete  Fü- 
gung aus  sehr  dünnen  Bastringen.  Auch  wird  er  von  den 
Markstrahlen  durchsetzt,  ähnlich  wie  das  Holz.  Je  nach  der 
näheren  Beschaffenheit  der  Bastfasern  und  Bastschichten  gestaltet 
sich  die  Bruchfläche  der  Rinden.  Man  unterscheidet  nämlich : 
a)  einen  band  faserigen  Bruch,  mit  lang  hervorragenden, 
bandartigen  Bastschichten ,  wie  bei  der  Eichenrinde,  dem  Seidel- 
baste; b)  einen  steiffaserigen  Bruch,  mit  vielen  feinen, 
starren  Fasern  im  Baste,  wie  bei  der  Chinarinde;  c)  einen  blät- 
terigen Bruch,  mit  kurzvorragenden,  blätterigen  Bastschich- 
ten, wie  bei  der  Angosturarinde ;  d)  einen  glatten  Bruch,  wie 
bei  der  Granatrinde,  dem  Zimt,  der  Kaskarille. 

§  394.  Die  Oberhaut.  Die  oberste  Schicht  sämtlicher  Pflanzen- 
organe wird  von  einer  sehr  dünnen  Zellenlage  gebildet  und  ist 
im  jugendlichen  Zustande  aus  sehr  zartwandigen  Zellen 
mit  wasserhellem  Safte  zusammengesetzt,  welche  enge  zusam- 
menschliessen,  ohne  Öffnungen  zu  lassen.    Man  nennt 


-     424     — 


diese  Schicht  Epithelium  und  findet  sie  auf  allen  jugendlichen 
Pflanzenteilen,  an  denen  sie  sich  aber  sehr  bald  umändert.  Stark 
absondernde  Organe,  vorzugsweise  die  Blumenkrone  und  Narbe, 
bewahren  übrigens  ihre  Epithelschicht  dauernd. 

An  den  Wurzelzasern  verändert  sich  das  Epithelium  in  derb- 
wandige,  tafelförmige  Zellen,  ohne  Zwischenöffnungen,  und  heisst 
dann  Epiblema.  Es  löst  sich  an  den  Endspitzen  der  Zasern 
beständig  ab,  während  unter  ihm  neue  Epiblemaschichten  ent- 
stehen; jene  älteren  umgeben  die  Spitze  als  sog.  Wurzelhaube 
und  erteilen  ihr  ein  schwach  angeschwollenes  Aussehen. 

An  den  der  Luft  ausgesetzten  Pflanzenorganen  platten  sich 
die  Zellen  der  Oberhaut  ebenfalls  ab,  werden  nach  aussen  hin 
derbwandig  durch  Ansetzung  von  Yerdickungsschichten  (Kutikular- 
schichten)  und  sondern  ein  gleichförmiges,  äusserst  feines  Häutchen 
(cuticula)  ab,  an  dem  man  weder  Schichtung  noch  zelligen  Bau 
wahrnehmen  kann.  Fig.  278  zeigt  unter  sehr  starker  Yergrösserung 
eine  Keihe  Oberhautzellen  (a)  mit  den  Kutikularschichten  (b)  und 
der  cuticula  (c).  Häufig  bedeckt  sich  letztere  noch  mit  einer 
dünnen  Lage  wachsartiger  Körnchen,  der  Wachsschicht,  welche  dem 
Organe  ein  bereiftes  Aussehen  erteilt.  Was  diese  Oberhaut 
(epidermis)  sämtlicher  oberirdischer  Teile  besonders  charakteri- 
siert, sind  die  Spaltöffnungen  (stomata),  nämlich  die  Aus- 


Fig.  278. 


Fig.  279. 


Fig.  280. 


gänge  der  Intercellularräume ,  welche  die  Kommunikation  des 
Inneren  mit  der  äusseren  Luft  gewähren  und  besonders  zahlreich 
auf  der  Unterfläche  der  Blätter  sich  finden.  Die  Spaltöffnungen 
werden  von  zwei  halbmondförmigen  Zellen  (Fig.  279)  gebildet. 
Fig.  280  zeigt  eine  solche  im  Durchschnitt ;  a  die  halbmond- 
förmigen Schliesszellen,  b  der  Intercellularraum  (Atemhöhle). 

§  395.  Der  Kork.  In  der  Rinde  sehr  vieler  Gewächse,  massen- 
haft bei  der  Korkeiche,  entsteht  bei  zunehmendem  Alter  ein 
eigenes    Zellgewebe,    der    Kork.      Er    fehlt    allen    jugendlichen 


—    425    — 

Pflanz  enteilen;  -wo  er  sich  bildet,  veranlasst  er  das  Absterben  der 
überliegenden  Kindenschichten ,  die  sich  dann  als  sogen.  Borke 
(rhytidoma)  in  ganzen  Stücken  ablösen.  Beispiele  liefert  uns  die 
Mehrzahl  der  Baumgewächse ,  deren  Rinde  im  späteren  Lebens- 
alter rissig  oder  auch  lederartig  glatt  erscheint.  Man  unterschei- 
det nämlich  zwei  Arten  von  Kork:  Schwammkork  (suber) 
und  Lederkork  (periderma).  Beide  bestehen  aus  tafelför- 
migen, mit  Luft  erfüllten,  nur  schwach  verdickten  Zellen,  deren 
Wandung  in  Korksubstanz  übergegangen  ist  (Fig. 
253a).  Die  Zellen  des  Schwammkorks  liegen  in  vielen  Schichten 
übereinander,  sind  kaum  verdickt  und  wenig  dehnbar;  diejenigen 
des  Lederkorks  bilden  nur  wenige  Zellenschichten,  zeigen  stärkere 
Verdickungen  und  grössere  Dehnbarkeit.  Daher  tritt  der  Schwamm- 
kork massig  auf  (wie  besonders  bei  der  Korkeiche),  wird  aber 
später  rissig;  Gewächse  mit  Schwammkork,  z.  B.  Birnbäume, 
ISTussbäume,  zeigen  deshalb  auch  stets  eine  zerrissene,  aufgebor- 
stene, borkige  Rinde.  Der  Lederkork  bleibt  stets  dünn  und  be- 
wahrt der  Rinde  eine  glatte,  glänzende  Aussenfläche,  wie  sie  der 
Kirschbaum,  die  Birke  und  Buche  zeigen. 

Borke  wie  Kork  sind  schon  am  lebenden  Baume  trocken; 
erstere  unterscheidet  sich  vom  Korke  durch  deutliche  Schichtung, 
da  sie  aus  ganzen  Rindenpartien  besteht.  Bei  den  Platanen  löst 
sich  die  Borke  jährlich  in  grossen  Platten  ab  (Plattenborke),  beim 
Weinstock  dagegen  ringförmig  (Ringborke),  während  der  Schwamm- 
kork der  Korkeiche  niemals  abblättert. 

§  396.  Anatomie  der  Blattorgane.  Die  Blätter  bestehen  1.  aus 
Gefässbündeln,  die  als  Blattnerven  vom  Blattstiel  aus  die  Blatt- 
fläche durchziehen  und  zumal  reich  an  Spiralgefässen  sind,  sowie 
2.  aus  Parenchym,  welches  die  Blattsubstanz  zwischen  den  Ner- 
ven bildet.  Das  Blattparenchym  ist  zumal  reich  an  Chloro- 
phyll, welches  dem  ganzen  Gewebe  die  intensiv  grüne  Farbe  er- 
teilt. Man  erkennt  an  dem  Blattparenchym  eine  obere,  sowie 
eine  untere  Oberhaut,  aus  eng  zusammengestellten,  tafel- 
förmigen Zellen  gebildet;  zwischen  beiden  befindet  sich  die 
Mittelschicht,  deren  obere  Zellenlagen  enger  ^"^pprTTTTFrTIS 
beisammenstehen,  während  die  unteren  Lagen 
zahlreiche  Luftlücken  zeigen,  welche  mit  den 
vielen  Spaltöffnungen  (Fig.  281a)  der 
Blattunterfläche  kommunizieren  und  die  Respi- 
ration des  Pflanzenkörpers  vermitteln  helfen.  Fig. 
281  zeigt  einen  sehr  vergrösserten,  senkrechten 
Schnitt  durch  eine  Blattfläche.  Nur  die  schwim-      «•  '<*•        «■■ 

inenden  Blätter  der  Wasserpflanzen  besitzen  Fig<  2Sl- 

die  Spaltöffnungen  auf  ihrer  Oberfläche.   Bei  den  meisten  Blättern 


426     — 


sind  die  Parenchymz eilen  dünnwandig-  und  bilden  ein  lockeres 
Gewebe ;  die  1  e  d  e  r  i  g  e  n  Blätter  zeigen  zahlreiche  Zellschichten 
mit  verdickter  "Wandung,  zumal  in  der  Oberhaut.  Bei  den  dicken 
fleischigen  Blättern  ist  das  dünnwandige  Parenchym  der  Mittel- 
schicht stark  vermehrt. 

Mikroskopische  Übungen. 

1.  Die  Hauhechelwurzel  (Rad.  Ononidis)  zeigt  auf  dem  Querschnitt 
unter  der  Lupe  betrachtet  (Fig.  282)  ein  sehr  kleines  Mark,  von  welchem 
abwechselnd  hellere  und  dunklere  Strahlen  bis  zur  dünnen  Rinde  ausgehen; 
zugleich  bemerkt  man  einen  oder  mehrere  Jahresringe.  Nimmt  man  einen 
feinen  Quer-  und  Längsschnitt  unter  das  Mikroskop,  so  findet  man  die 
dunkleren  Holzstrahlen  bestehend  aus  dickwandigen  Holzzellen  und  weiten 
porösen  Gefässen,  die  helleren  Partien  aus  Parenchym. 

2.  Die  Seifenwurzel  (Rad.  Saponariae)  zeigt  auf  dem  Querschnitt 
unter  der  Lupe  (Fig.  283)  ein  centrales  Mark,  strahliges  Holz  und  ziemlich 
dicke  Rinde,  die  sich  deutlich  in  Bast  und  Mittelrinde  trennt;  letztere  ist 
mit  einer  dünnen,  rotbraunen  Aussenrinde  bedeckt.  Unter  dem  Mikroskop 
zeigt  das  Mark,  wie  die  Mittelrinde  Parenchym,  die  Holzstrahlen  neben 
Holzzellen  poröse  Gefässe,  der  Bast  schmale  Faserzellen. 

3.  Die  Löwenzahnwurzel  (Rad.  Taraxaci)  zeigt  unter  der  Lupe  auf 
dem  Querschnitt  (Fig.  284)  einen  gelben  Holzkörper  ohne  Mark,  umgeben 
von  sehr  dicker,  aus  konzentrischen  Kreisen  bestehender  Rinde.  Unter 
dem  Mikroskop  zeigt  die  Rinde  nach  aussen  zu  weitere,  nach  innen  zu 
dagegen  enge,  regelmässig  geordnete,  zusammenschliessende  Parenchym- 
zellen,  unterbrochen  durch  tangentiale,  dunkler  getärbte  Kreise.  Das  Holz 
zeigt  im  Längsschnitt  zahlreiche  Spiral-  und  Netzgefässe. 


Fig.  282. 


Fig.  283. 


284. 


Fi<?.  285. 


Fig.  286. 


4.  Die  Engelwurzel  (Rad.  Angelicae)  zeigt  unter  der  Lupe  auf  dem 
Querschnitt  ein  centrales  Mark  (Fig.  285  m),  einen  mit  Strahlen  durch- 
setzten Holzring  (h),  der  von  der  dicken  Rinde  (r)  durch  den  Kambiumring 
(k)  getrennt  ist.  Die  Baststrahlen,  kenntlich  durch  gelbbraune  Färbung, 
enthalten  zahlreiche  Balsamschläuche  in  Form  gelber  Punkte  (auf  dem 
Querschnitt). 

Unter  dem  Mikroskop  zeigt  das  Holz  strahlig- geordnete  Gefässbündel 
mit  weiten  Gefässen,  zwischen  ihnen  dunklere,  kleinzellige  Markstrahlen. 
Die  Rinde  erscheint  im  Längsschnitt  als  ein  aus  ziemlich  grossen  Zellen 
bestehendes  parenchymatisches  Gewebe  mit  langfaserigen  Bastpartien,  welche 
sehr  weite,  lange,  mit  gelbem  Balsam  erfüllte  Schläuche  enthalten.  (An  den 
Wurzelästen  sind  diese  Verhältnisse  sehr  gut  zu  erkennen.) 

5.  Die  Sarsaparillwurzel  zeigt  unter  der  Lupe  auf  dem  Querschnitt 
(Fig.  286)  ein  weisses,  centrales  Mark  (m),  umschlossen  von  einem  gelben 
Holzring  (h),  von  dem  die  weisse,  bastlose,  nicht  strahlige  Rinde  (r)  durch 
die  Kernscheide  scharf  abgetrennt  ist. 


-     427 


Auf  dem  Querschnitt  erkennt  man  durch  das  Mikroskop  die  Rinde  wie 
das  Mark  aus  weiten  Parenchymzellen  bestehend;  die  Kernscheide  stellt 
eine  einzige  Reihe  vierseitiger,  bei  der  Sarsaparilla  von  Honduras  nahezu 
quadratischer  Zellen  (Fig.  275  Sp)  dar;  der  Holzring  besteht  aus  dicht- 
gedrängten Gefässbündeln  mit  engen,  dickwandigen  Holzparenchymzellen 
und  einzelnen,  weiten  Gelassen,  welche  sich  auf  dem  Längsschnitt  als 
Treppengänge  zeigen;  Markstrahlen  fehlen  vollständig.  Jedes  Gefäss- 
bündel  besitzt  nach  der  Kernscheide  zu  ein  Bastbündel  (Bp,  Bg). 

6.  Die  Sandseggenwurzel  (Rhiz.  Caricis)  zeigt  unter  der  Lupe  auf 
dem  Querschnitt  eine  breite  Rinde  mit  einer  Reihe  weiter  Luftgänge 
(Fig.  2871);  dieselbe  umschliesst  durch  die  Kernscheide  (k)  ein  rundes 
Centrum  (m)  mit  zerstreuten  Gefässbündeln  (h),  welche  durch  markiges 
Gewebe  getrennt  sind. 

Unter  dem  Mikroskop  erkennt  man  auf 
dem  Querschnitt  die  Rinde  aus  einer  gelben 
dichteren  Aussen-  und  weissen  lockeren  Mittel- 
rinde bestehend,  gebildet  aus  Parenchym, 
ohne  Bast.  Die  Kernscbeide  zeigt  eine  Reihe 
verdickter  gelblicher  Zellen :  die  Gefässbündel 
enthalten  2 — 3  weite  poröse  Gefässe,  um- 
geben nach  innen  von  engen  Holzfaserzellen, 
nach  aussen  von  Bastzellen.  Zwischen  den 
einzelnen  Gefässbündeln  erkennt  man  Pa- 
renchym, ähnlich  dem  in  der  Mittelrinde. 

7.  Die  Faulbaumrinde  (Cort.  Frangulae)  zeigt  unter 
der  Lupe  auf  dem  Querschnitt  (Fig.  288)  eine  dünne,  rot- 
braune Korkschicht  (o),  darunter  eine  farblose  Mittelrinde 
(m),  welche  allmählich  in  die  Bastschicht  übergeht;  letztere 
wird  von  schmalen,  gelben  Markstrahlen  radial  durchzogen. 
Unter  dem  Mikroskop  erkennt  man  auf  dem  Querschnitt 
die  Zellen  der  Korkschicht,  dicht  gedrängt,  klein,  die  äusseren  dunkel  braun- 
rot, die  inneren  farblos;  ohne  Übergang  folgen  die  dickwandigen  Zellen 
der  Mittelrinde,  auf  diese  der  Bast,  dessen  Röhren  (auf  dem  Längsschnitt 
kenntlich)  lang  und  verdickt,  in  tangentiale  Reihen  gestellt  und  von  Paren- 
chymzellen umgeben  sind.  Die  Markstrahlen  erscheinen  als  goldgelbe,  radial 
gestreckte  Zellen  in  schmalen,  einzeiligen  Reihen. 

8.  Von  der  Unterfläche  eines  Blattes  ziehe  man  die  blasse,  sehr 
dünne  Oberhaut  ab  und  betrachte  sie  durch  das  Mikroskop.  Man  nimmt 
die  unregelmässige,  geschlängelte  Umgrenzung  der  Oberhautzellen  nebst 
zahlreichen  Spaltöffnungen  wahr.  (Fig.  279.)  —  Spaltet  man  die  Spaltfläche 
in  zwei  halbe  Schichten,  so  erkennt  man  an  jeder  das  mit  Chlorophyll  ge- 
füllte Parenchym,  zwischen  dem  die  langgestreckten  Gefässe  und  Faser- 
zellen  der  Nerven  verlaufen. 


Fiff.  287. 


Fig.  288.' 


15,  Das  Leben  der  Pflanzenzelle. 

§  397.  Wie  entstehen  die  Zellen?  Die  Frage,  ob  sich  in  einer 
organische  Nährstoffe  (Eiweiss,  Zucker,  Salze)  enthaltenden  Flüs- 
sigkeit Zellen  von  selbst  erzeugen  können  (Generatio  aequi- 
voca),  ist  noch  eine  vielbestrittene.  Gleichwohl  neigt  man  sich 
mehr  ihrer  Verneinung  zu,  indem  erwiesen  ist  (durch  Pasteurs 
Versuche) ,  dass  in  einer  zuckerhaltigen  Flüssigkeit  keine  Hefen- 


-     428     — 

bildung  und  Gährung  eintritt,  sofern  die  zutretende  Luft  durch 
Baumwolle  filtriert  wird,  weil  die  in  der  Luft  schwimmenden 
Keime  der  Schimmelpilze  (welche  die  Hefe  erzeugen)  darin  zurück- 
gehalten werden.  Man  kann  daher  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
den  Satz  aufstellen: 

Eine  Zelle  bildet  sich  nur  innerhalb  einer  Mutterzelle. 

Die  Art  der  Zellvermehrung  im  Pflanzenreich  ist  im  allge- 
meinen die  nämliche:  es  teilt  sich  die  Mutterzelle  in 
mehrere  Tochterzellen  und  wird  nach  deren  Ausbildung 
resorbiert.  Der  Ausgangspunkt  der  Teilung  ist  der  Zellkern, 
daher  auch  Zellen,  deren  Zellkern  nicht  mehr  vorhanden,  fort- 
bildungsfähig geworden  sind.  Der  Zellkern  teilt  sich  in  zwei  oder 
mehr  Partien,  zwischen  denen  alsdann,  vom  Protoplasma  aus, 
Scheidewände  sich  bilden,  sodass  der  Raum  der  Mutterzelle  völlig 
in  zwei  oder  mehrere  Tochterzellen  geteilt  wird.  Die  Umgrenzung 
jeder  Tochterzelle  mit  einer  äusseren  Celluloseschicht  vollendet 
den  Akt,  und  der  Zusammenhang  der  einzelnen  Tochterzellen 
hört  mit  dem  Yerschwinden  der  Mutterzelle  auf.  Man  nennt 
diesen  Vorgang  Zellbildung  durch  Teilung,  im  Gegensatz 
zu  der  freien  Zellbildung,  die  nur  in  seltenen  Fällen*) 
stattfindet  und  darin  besteht,  dass  in  der  Mutterzelle  neue  Zell- 
kerne entstehen,  um  welche  das  Protoplasma  Hüllen  bildet,  die 
zu  neuen  Zellen  auswachsen,  während  die  Mutterzelle  noch  be- 
stehen bleibt.  (Die  Tochterzellen  füllen  hierbei  nicht  den  ganzen 
Raum  der  Mutterzelle  aus.) 

§  398.  Wie  findet  die  Ernährung  der  Zellen  statt?  Da  die  Zellen 
geschlossen  sind,  geschieht  die  Aufnahme  des  Nahrungs- 
saftes durch  die  Zellwand  mittelst  Endosmose,  wie  auch  bei 
dialytischen  Yersuchen  die  Durchdringbarkeit  der  pflanzlichen 
Membran  benutzt  wird.  Die  Zellen  der  Wurzelzasern  saugen  in 
dieser  Weise  die  Nahrungsflüssigkeit  aus  dem  Erdreich  und  fäh- 
ren sie  von  Zelle  zu  Zelle  durch  den  ganzen  Pflanzenkörper  hin- 
durch bis  zu  dessen  Zweigspitzen  und  Blättern.  In  letzteren 
erlangt  der  Saft  durch  Verdunstung  grössere  Konzentration. 
Dies  ist  der  aufsteigende  Saftstrom,  dem  ein  schwächerer, 
abwärts  steigender  in  der  Rinde  entspricht,  wodurch  die  letztere 
eine  bereits  verarbeitete,  konzentriertere  Nährflüssigkeit  erhält. 

In  den  der  Oberfläche  angrenzenden  Zellschichten,  vorzugs- 
weise in  den  Blättern,  findet  eine  Aufnahme  atmosphärischer 
Luft  statt,  deren  Bestandteile  wesentlich  zur  Ernährung  des 
Pflanzenkörpers    beitragen,    wie   ja    die    Flechten   ausschliesslich 

*)  Die  Keimbläschen  im  Embryosack,  die  Sporen  in  den  Sporen- 
schläuchen der  Pilze. 


—     429     — 

durch   diese  Respiration   leben    und   ihrer  Unterlage  keine  Nähr- 
stoffe entziehen. 

§  399.  Worin  besteht  die  Nahrung  des  Pflanzenkörpers?  Die  Be- 
standteile des  Pflanzenkörpers  sind  teils  stickstofffreie,  teils  stick- 
stoffhaltige organische  Körper.  Zu  den  erster en  gehören  vorzugs- 
weise die  Kohlenhydrate:  Cellulo  se,  Stärkemehl,  Pflanzen- 
schleim, Gummi,  Zucker;  sodann  die  Pflanzensäuren 
(Weinsäure,  Citronensäure,  Apfelsäure,  Oxalsäure  u.  a.),  Gerb- 
stoffe, fette  und  ätherische  Öle,  Wachs,  Harze.  Zu 
den  stickstoffhaltigen  organischen  Stoffen  rechnen  sich  die  Ei- 
weisskörper  (Kleber,  Eiweiss,  Pflanzencasein). 

Alle  diese  Bestandteile  des  Pflanzenkörpers  sind  Erzeugnisse 
der  Lebensthätigkeit  aus  den  von  der  Natur  gelieferten  Nah- 
rungsstoffen. 

Die  Nahrung ssto ff e  der  Pflanze  sind:  Wasser ,  Kohlensäure, 
Ammoniak  und  gewisse  mineralische  Salze. 

Das  Wasser  liefert  für  die  organischen  Körper  Wasserstoff 
und  Sauerstoff,  die  Kohlensäure  Kohle  und  Sauerstoff,  das  Am- 
moniak Wasserstoff  und  Stickstoff.  Die  Salze  sind  namentlich 
schwefelsaure  und  salzsaure  Alkalien  und  alkalische  Erden,  vor 
allem  Kalisalze,  welche  bei  später  erfolgender  Einäscherung  als 
Pottasche  zurückbleiben. 

Der  Assimilations-  und  Zersetzungsprozess  genannter  Nah- 
rungsmittel findet  in  den  Zellen  selbst  statt,  zumal  unter  dem 
Einflüsse  des  Lichtes.  Da  die  organischen  Körper  weniger  Sauer- 
stoff im  Verhältnis  zu  ihrem  Wasserstoff  und  Kohlenstoff  besitzen, 
als  das  aufgenommene  Wasser  und  die  Kohlensäure,  so  ist  ein 
grosser  Teil  des  darin  enthaltenen  Sauerstoffs  für  die  Pflanze 
überflüssig  und  entweicht  unverbraucht  aus  den  Spaltöffnungen 
der  Blätter.  Diese  Absonderung  des  Sauerstoffgases  geschieht 
unter  dem  Einflüsse  des  Lichtes  und  ist  an  die  Ablagerung  der 
Chlorophyllkörner  gebunden.  Bereits  zu  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts hatte  Saussure  die  Entdeckung  gemacht: 

Alle   grünen  Pflanzenteile   hauchen  bei  Tage  Sauerstoffgas  aus. 

Bei  Nacht  findet  keine  Assimilation  statt,  alsdann  entweicht 
die  aufgenommene  Kohlensäure  unverändert  aus  den  Blattorganen. 

§  400.  Welches  sind  die  Produkte  der  Zellenthätigkeit  ?  Die  Assi- 
milation des  Nahrungssaftes  und  die  Erzeugung  der  verschiedenen 
Bestandteile  des  Pflanzenkörpers  findet  in  dem  Protoplasma  statt. 
Die  erzeugten  Produkte  sind  hauptsächlich  folgende: 

A.  Stickstofffreie  organische  Materien: 

1.  Cellulose  (Holzfaser),  die  äussere  Zellwand  bildend, 
«ine    sehr    biegsame,   wasserhelle   und    durchsichtige,    unlösliche 


430     - 


In   den  Holzteilen  geht 
,  im  Korkgewebe  in  die 


Haut,   für  Flüssigkeiten   durehdringbar. 
sie  in  den  starren  Holzstoff  (Lignin 
elastische  Korksubstanz  über. 

2.  Stärkemehl,  in  Form  fester,  eigentümlich  gebildeter  Körn- 
chen in  den  Zellen  abgelagert.  Sie  werden  durch  Jodlösung  gebläut 


Fig.  290. 


Fi  ff.  291. 


In  den  Kartoffelknollen  finden  wir  sie  eiförmig,  mit  einem 
nach  dem  spitzen  Ende  zu  liegenden  Mittelpunkt,  um  den  zahl- 
reiche konzentrische  Schichten  sichtbar  sind.  (Fig.  289.)  Ähnlich 
erscheinen  die  Stärkekörner  in  dem  Wurzelstock  der  Maranta 
arundinacea,  des  sog.  Arrow-root  (Fig.  291),  deren  Mittelpunkt 
jedoch  mehr  nach  dem  breiten  Ende  zu  liegt.  Die  Stärkekörner 
im  Getreide,  z.  B.  im  Weizen  (Fig.  290),  stellen  flache,  rundliche 
Scheiben  von  sehr  ungleicher  Grösse  dar,  welche  kaum  eine 
Schichtung  erkennen  lassen. 

Stärkekörner  finden  wir  ausschliesslich  im  Parenchym,  sowohl 
in  Wurzeln,  Wurzelstöcken,  Knollen,  Zwiebeln,  als  im  Marke  von 
Stengeln,  im  Eiweisskörper  und  in  den  Samenlappen.  In  den 
Wurzeln  der  Kompositen  finden  wir  Körner  von  Inulin  an 
Stelle  der  Stärke. 

3.  Pflanzenschleim  und  Gummi  erscheinen  bald  in  ein- 
zelnen Zellen,  z.  B.  in  der  Althaewurzel  und  den  Salepknollen, 
bald  in  grösseren  Zellpartien,  wie  bei  Acacia  und  Astragalus, 
welche  ihren  Inhalt  aus  der  verwundeten  Einde  als  arabisches 
Gummi  resp.  Traganth  ausfliessen  lassen.  Ebenso  findet  sich  die 
Manna  in  der  Manna-Esche,  die  Gummiharze  bei  vielen  Um- 
belliferen  (Ammmoniacum ,  Galbanum,  Asa  foetida)  und  Terebin- 
thaceen  (Myrrha,  Olibanum).  Früher  glaubte  man,  diese  Stoffe 
würden  in  besonderen  Behältern,  sog.  Gummigängen,  gebildet; 
aber  sie  sind  Produkte  der  Rückbildung  der  Zellmem- 
bran, zumal  in  den  äusseren  Bastschichten  ganze  Zellgänge 
anfüllend. 

Verschieden  hiervon  ist  die  Pflanzengallerte,  welche  wir 
beim    isländischen   Moose   und   den   Seealgen,   z.    B.    Laminaria, 


—     4ol     — 

Carageen,  finden,  deren  Zellwände  nicht  aus  Cellulose,  sondern  aus 
diesem  G-allertstoffe  bestehen;  in  Wasser  quellen  solche  Pflanzen 
stark  auf  und  geben  beim  Kochen  eine  Gallerte. 

4.  Zucker,  im  Zellsafte  gelöst,  bei  vielen  Gewächsen  be- 
sonders reichlich,  wie  im  Marke  des  Zuckerrohrs,  im  Parenchym 
der  Rüben,  Möhre,  imFrüblingssafte  des  Zuckerahorns  und  der  Birke. 

5.  Farbstoffe.  Yor  allen  ist  das  Chlorophyll  oder 
Blattgrün  zu  nennen,  welches  die  grüne  Farbe  der 
Blattorgane  erzeugt,  selten  die  Zellwände  gleichmässig 
überzieht,  sondern  gewöhnlich  in  Form  von  Körnchen 
im  Protoplasma  enthalten  ist,  wie  Fig.  292  zeigt.  Diese 
Chlorophyllkörner  sind  Stärkekörner,  welche  sich  mit 
dem  Chlorophyll  überkleidet  haben.  Sie  entstehen  nur 
in  den  Zellschichten  der  Oberfläche.  In  der  Rinde  ist 
ein  ähnlicher  Körper  mit  gelber  oder  brauner 
Farbe  enthalten.  FiS-  292. 

Gelbe  oder  rote  Farbstoffe  sind  oft  harziger  Natur  und 
dann  als  Kügelchen  in  den  Zellen  enthalten;  blaue  Farbestoffe 
finden  sich  meistens  gelöst  im  Zellsafte.  Weiss  erscheinen  mit 
Luft  gefüllte  Zellen,  z.  B.  in  Blumenblättern. 

6)  Gerbstoffe,  Sekrete,  welche  keinen  thätigen  Anteil  an 
der  Gesamtnährung  nehmen  und  in  den  Zellen  der  Rinde,  vieler 
Hölzer  und  besonderer  Auswüchse  (gallae)  enthalten  sind. 

7.  Die  Pflanzensäuren  finden  sich  teils  frei ,  zumal  im 
Fruchtparenchym,  aufgelöst  im  Zellsafte,  teils  an  Basen  gebunden 
und  krystallisiert.  So  insbesondere  der  Oxalsäure  und  weinsaure 
Kalk,  das  saure  weinsaure  Kali  in  feinen,  bündelweise  vereinigten 
Kry stallen  (sog.  Raphiden),  oder  zu  sternförmigen  Drusen 
verbunden  und  die  Zellen  häufig  vollständig  ausfüllend. 

8.  Fette  und  ätherische  Öle  füllen  als  Sekrete  (abge- 
lagerte Stoffe)  gewöhnlich  besondere  Parenchymzellen  an,  vor- 
zugsweise im  Samen,  zuweilen  im  Fruchtfleisch  (bei  den  Oliven). 
Die  ätherischen  Öle  finden  wir  häufig  in  Drüsen  enthalten  und 
den  Blättern,  Blüten  und  Fruchtschalen  eingesenkt.  Zu  den 
Sekreten  gehören  auch  die  Balsame  und  Harze,  welche 
grössere  Zellräume,  die  sog.  Balsam-  resp.  Harzgänge  anfüllen, 
die  wir  im  Baste  der  Tannen  und  Kiefern  besonders  zahlreich 
sehen.  Der  Kautschuk  verhält  sich  in  gleicher  Weise,  als 
wesentlicher  Bestandteil  des  Milchsaftes  vieler  tropischen  Gewächse. 
Bestimmte  Zellen  secernieren  den  Balsam  (Harz,  Milchsaft)  und 
ergiessen  ihn  in  die  Intercellulargänge. 

B.  Stickstoffhaltige  organische  Materien. 

9.  Pflanzeneiweiss,  -fibrin  und  -casein.  Sie  treten 
sowohl  gelöst  im  Zellsafte  auf,  als  auch  im  abgelagerten 
Zustande,    wie    der   Kleber    des   Getreidekorns,    welcher  in 


432 


den  äusseren  Zellschichten  des  Sameneiweisses  enthalten  ist.  Ausser- 
dem besteht  das  Protoplasma  mit  dem  Zellkern  immer  aus  Ei- 
weissstoffen.    Diese  Materien  werden  durch  Jodlösung  gelb  gefärbt. 

Mikroskopische  Übungen. 

1.  Bringt  man  einen  feinen  Schnitt  der  Kartoffel 
oder  der  Alt haewurzel  unter  das  Mikroskop,  so  bemerkt 
man  in  den  Parenchymzellen  eine  grosse  Anzahl  Körnchen 
von  Stärkemehl,  welche  sich  sofort  intensiv  blau  färben, 
wenn  man  zur  Probe  einen  kleinen  Tropfen  Jodlösung  (am 
besten  Jod  in  Jodkaliumlösung)  hinzugefügt  hat. 

2.  Man  bringe  einen  feinen  Querschnitt  des  Lein- 
samens mit  einem  Tropfen  Wasser  unter  das  Mikroskop. 
Die  oberste  Schicht  (Oberhaut)  zeigt  sich  als  eine  Reihe 
anschliessender,  radial  gestreckter,  durchscheinender  und 
farbloser  Zellen,  die  infolge  des  Schleims,  den  sie  enthalten, 
aufquellen  und  sich  teilweise  von  den  unterliegenden  gelben 
und  braunroten,  starkverdickten  Zellenlagen  der  testa  ab- 
lösen. Der  Samenkern  giebt  sich  als  ein  kleinzelliges, 
dichtes,  von  Öltröpfchen  strotzendes  Parenchymgewebe 
zu  erkennen. 

Einen  zweiten  Schnitt  betröpfele  man  mit  Äther,  um 
das  fette  Ol  zu  lösen;  es  erscheint  dann  der  Samenkern 
klarer,  aber  noch  mit  kleinen  Körnchen  Klebersubstanz 
(Aleuron)  bedeckt,  die  sich  jedoch  auf  Zusatz  eines  Tropfens 
Atzkali  schnell  auflösen,  sodass  die  Zellwandungen  scharf 
hervortreten. 

Ähnliche  Bilder  liefern  die  Mandeln. 

3.  Man  beobachte  einen  feinen  Querschnitt 
des  Weizenkorns,  nachdem  man  einen  Tropfen 
Jodlösung  zugesetzt  hat.  Die  Oberhaut  zeigt 
eine  Zeile  eng  anschliessender,  farbloser  Zellen,  die 
Fruchtschale  eine  gelbe,  verdickte  Schicht,  unter 
der  das  Parenchym  des  Samenkorns  liegt,  dessen 
äussere  Zellenlage  durch  den  Gehalt  an  Kleber 
von  der  Jodlösung  gelb  gefärbt,  das  Innere  durch 
den  grossen  Stärkemehlgehalt  dunkel  gebläut  wird. 

4.  Beobachtet  man  einen  feinen  Schnitt  der 
Meerzwiebel,  so  nimmt  man  innerhalb  der  rund- 
lich-eckigen Parenchymzellen  hier  und  da  Raphiden 
(Fig.  293)  wahr.  Einige  Körnchen  feines  Meer- 
zwiebelpulver, in  Wasser  eingeweicht,  zeigen  ähnliche  Krystallnadeln  von 
oxalsaurem  Kalk  (Fig.  294). 

Fragen. 

1.  Wie  unterscheidet  sich  der  Zucker  vom  Gummi  im  Zellenleben  der 
Pflanze?  —  Antw.  Die  Zuckerlösung  dringt  von  Zelle  zu  Zelle,  da  die 
Zellmembran  für  sie  durchdringbar  ist;  die  Gummilösung  ist  der  Endos- 
mose nicht  fähig,  muss  also  in  den  Zellräumen,  worin  sie  sich  befindet, 
verbleiben.  Ein  Gleiches  gilt  für  die  Balsame  und  Milchsäfte,  fetten  und 
ätherischen  Öle. 

2.  Welcher  Zusammenhang  besteht  zwischen  _ Stärkemehl  und  Zucker? 
—   Antw.     Im  Pflanzenleben    findet    häufig   ein  Übergang  aus   Zucker  in 


Fig.  294. 


—    433     — 

Stärkemehl  und  umgekehrt  statt.  Bei  der  Samenreife  geht  der  Zucker  des 
Nährsaftes  in  Stärkemehl  über  und  lagert  sich  als  solches  im  Sameneiweiss 
an.  Bei  Keimprozess  verwandelt  sich  letzteres  wieder  in  Zucker  und  dient 
dem  jungen  Pflänzchen  zur  Nahrung. 

3.  Welche  Wege  schlägt  der  Saftstrom  ein?  —  Antw.  Die  Pflanze 
besitzt  keine  Saftgefässe,  den  Adern  des  Tierkörpers  entsprechend ;  vielmehr 
steigt  der  Nährsaft,  von  Zelle  zu  Zelle  dringend,  zwischen  Rinde  und  Holz 
empor.  Einen  absteigenden  Saftstrom  finden  wir  nur  in  sehr  unterge- 
ordnetem Masse  innerhalb  der  Rinde. 


III.  Botanische  Systematik. 

16.  Linnes  künstliches  Pflanzensystem. 

§  401.  Art  und  Gattung.  Die  Natur  bringt  nur  Individuen 
hervor.  Solche  Individuen,  die  in  ihrem  gesamten  Bau  bis  auf 
wenige  zufällige  Eigenschaften  —  Grösse,  Verästelung  Mastigkeit 
—  mit  einander  übereinstimmen  und  durch  Samen  gleichgestaltete 
Individuen  erzeugen,  gehören  zu  derselben  Art  (species). 

Solche  Arten,  welche  in  ihrem  Blüten-  und  Fruchtbau  wesent- 
lich übereinstimmen,  zählt  man  zu  einer  Gattung  (genus). 
Die  verschiedenen  Arten  derselben  Gattung  differieren  also  nur 
im  Bau  der  vegetativen  Organe  (Wurzel,  Stamm,  Blätter),  nicht 
der  Fortpflanzungswerkzeuge. 

Art  und  Gattung  sind  hiernach  nur  Begriffe,  die  wir  uns  zur 
besseren  Überschau  und  Einteilung  des  Gewächsreiches  bilden. 
Je  nach  unserem  Standpunkt  lassen  sich  die  Arten  und  Gattungen 
verschieden  umgrenzen,  sodass  der  eine  zwei  Arten  zu  derselben 
Gattung  zählt,  während  der  andere  aus  jeder  der  beiden  Arten 
eine  eigene  Gattung  macht,  gewisse  Verschiedenheiten  im  Blüten- 
oder Fruchtbau  für  wichtig  genug  haltend  zur  Aufstellung  be- 
sonderer Gattungen.  So  zweigte  Beauvois  die  Quecke,  welche 
Linne  zur  Gattung  Triticum  (als  Triticum  repens)  zählte,  als 
besondere  Gattung  Agropyrum  ab  und  nannte  sie  Agropyrum 
repens.  Aus  diesem  Grunde  pflegt  man  jeder  Art  den  Autor- 
namen beizufügen. 

Eine  jede  Pflanze  trägt  also  zwei  Namen,  deren  ersterer  die 
Gattung,  der  letztere  die  Art  bezeichnet. 

Die  Gattungscharaktere  werden  der  Beschaffenheit  der  Fort- 
pflanzungsorgane, die  Artcharaktere  derjenigen  der  vegetativen 
Organe  entlehnt. 

§  402.  Was  ist  eine  Varietät?  Wenn  Individuen  derselben  Art 
in  unwesentlichen  Merkmalen,  z,  B.  in  Grösse,  Färbung,  Behaa- 
rung u.   s.  w.   abweichen   und    diese   Abweichungen  in   regel- 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  28 


—     434     — 

massiger  Wiederkehr  auf  ihre  Nachkommen  vererben,  so  bilden 
sie  eine  Abart  oder  Varietät  der  Art.  Beispiele:  der  Kohl 
(Brassica  oleracea  L.)  variiert  als  Weisskohl,  Rotkohl,  Blumenkohlr 
Wirsing,  Kohlrabi;  der  Raps  (Brassica  Rapa  L.)  variiert  als  Winter- 
und  Sommerraps,  sowie  als  weisse  Rübe;  die  Runkelrübe  (Beta 
vulgaris  L.)  variiert  als  Mangold  oder  römischer  Kohl,  als  dicke 
Rübe,  rote  Rübe,  Zuckerrübe. 

§  403.  Die  Pflanzensysteme.  Man  ordnet  die  Gattung  in  ver- 
schiedener Weise  zu  Systemen,  deren  man  zweierlei  Arten 
unterscheidet:  künstliche  und  natürliche.  Bei  den  künst- 
lichen Systemen  stellt  man  die  Gattung  in  Klassen  und  Ord- 
nungen, je  nach  der  Ausbildung  eines  einzelnen  Organes; 
bei  den  natürlichen  Systemen  gruppiert  man  nach  ihren  Gesamt- 
eigenschaften die  nahe  verwandten  Pflanzen  zu  Familien  und 
stellt  diese  nach  ihrer  Verwandtschaft  in  Klassen  und  Ordnungen. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  künstlichen  und  dem  natürlichen 
Pflanzensysteme  beruht  darin,  dass  die  Gewächse  im  künstlichen 
Systeme  nach  der  Beschaffenheit  eines  Organes,  im  natürlichen  da- 
gegen nach  ihrer  Gesamt-AhnlichJceit  geordnet  sind. 

Während  wir  durch  das  künstliche  System  eine  Pflanze 
schnell  und  sicher  erkennen  und  bestimmen  können,  giebt  uns 
das  natürliche  System  den  geeignetsten  Überblick  über  das  Reich 
der  Gewächse. 

§  404.  Worauf  gründet  sich  Linnes  künstliches  System?  Linne 
baute  1735  sein  künstliches  Pflanzen  System  auf  die  Beschaffen- 
heit der  Blüte,  speziell  der  Staubgefässe  —  weshalb  man  es 
Sexualsystem  nannte.  Er  teilte  das  Pflanzenreich  in  24  Kl a s - 
sen,  indem  er  zuerst  das  Yorhandensein  von  Blüten  zum  Ein- 
teilungsgrunde nahm,  die  Gewächse  ohne  Blüthen  in  seine  XXIV. 
Klasse  brachte  und  aus  den  Blütenpflanzen  23  Klassen  bildete. 
Den  weiteren  Einteilungsgrund  entlehnte  Linne  der  Yerteilung 
der  beiden  Geschlechter;  den  Gewächsen  mit  Zwitterblüten  räumte 
er  die  ersten  20  Klassen  ein,  die  21. — 23.  Klasse  den  einge- 
schlechtig blühenden  Gewächsen  vorbehaltend.  Die  Einteilung 
der  ersten  20  Klassen  wurde  von  Linne  zunächst  nach  der  Ver- 
wachsung der  Staubgefässe  getroffen,  indem  er  die  Gewächse  mit 
freien  Staubgefässen  in  die  ersten  15  Klassen  brachte,  aus  denen 
mit  verwachsenen  Staubgefässen  dagegen  die  16.  bis  20.  Klasse 
bildete,  je  nachdem  die  Verwachsung  nur  die  Staubfäden  (16. — 18. 
Klasse),  oder  die  Staubbeutel  (19.  Klasse)  oder  Staubfäden  und 
Griffel  (20.  Klasse)  trifft.  Die  15  ersten  Klassen  mit  freien  Staub- 
gefässen  werden   nach  der  Zahl  und  Grösse  derselben  bestimmt. 

Folgende  Übersicht  zeigt  die  nähere  Einteilung. 


—    435     - 


Die  24  Klassen  des  Linneschen  Systems. 


B. 


[    [  Ein  einziges  Staubgefäss 

Zwei  Staubgefässe 

Drei  „ 

Yier  „ 

Fünf  „ 

Sechs  „ 

Sieben         „ 

Acht  „ 

Neun  „ 

Zehn  ,, 

Zwölf  „ 

Zwanzig  u.  mehr,  kelchständige 

Zahlreiche  blütenbodenständige 
bb)  Zwei  längere,  zwei  kürzere  St. 
cc)  Yier  längere,  zwei  kürzere  St. 
( Staubfäden  einbrüd.  verwachsen 
„  zweibrüderig  ,, 
„  mehrbrüderig  „ 
2)  Staubbeutel  verwachsen 


1 


l) 


Staubfäden  mit  dem  Griffel  ver- 
wachsen 
b)Blüten  einhäusig   männlichu.  weiblich  auf 

1  Stock) 
C)  Blüten  zweihäusig  (männlich  u.  weiblich 

auf  2  Stöcken) 
d)  Blüten  vielehig  (männlich  u.  weiblich  neben 

zwitterigen) 
Blüten  fehlen 


2. 
3. 
4. 


o. 


Monandria 
(Einmännigkeit) 
Diandria 
(Zweimännigkeit) 
Triandria 
(Dreimännigkeit) 
Tetrandria 
(Viermännigkeit) 
Pentandria 
(Fünfmännigkeit) 
Hexandria 
(Sechsmännigkeit) 
Heptandria 
(Sie  b  enmännigkeit) 
Octandria 
(Achtniännigkeit) 
Enneandria 
(Neunmännigkeit) 
Dekandria 
(Zehnmännigkeit) 
Dodekandria 
(Zwölfmännigkeit) 
Ikosandria 
(Zwanzigmännigkeit) 
13.  Polyandria 
(Vielmännigkeit) 
Dy  dinamia 
(Zweimächtigkeit) 
Tetradynamia 
(Viermächtigkeit) 
16.  Monadelphia 
(Einbrüderigkeit) 
Diadelphia 
(Zweibrüderigkeit) 
Poliadelphia 
(Mehrbrüderigkeit) 
Syngen  esia 
(Verbundenheit) 
Gynandria 
(Weibmännigkeit) 

21.  Monoecia 
(Einhäusigkeit) 
Dioecia 
(Zweihäusigkeit) 

23.  Polygamia 
(Vielehe) 

24.  Eryptogamia 
(Verborgenehe). 

28* 


<;. 


8. 

9. 
10. 
11. 
12. 


14. 

15. 


17. 
18. 
19. 
20. 


22 


-     436    — 

Fig.  295—311  zur  Erläuterun, 


II.  Diandria.  III.  Triandria. 


IV.  Tetrandria.  V.  Pentandria. 


"VI.  Hexandria. 


VIII.  Octandria.  X.  Dekandria. 


XII.  Ikosandria. 


XIII.  Polyandria. 


—    437     — 
der  Linneschen  Klassen. 


XV.  XVI.  XVII.  XVIII. 

Tetradynamia.     MonadelpMa.         Diadelpliia.       Polyadelphia. 


XX.  Gynandria. 


II.  Blüte  von  Fraxinus. 
HI.  Grasblüte. 

IV.  Längsschnitt  durch  ein  Köpf- 
chen der  Scabiosa. 

V.  Blüte  von  Convolvulus. 

VI.  dgl.  von  Luzula. 
VIII.  Paris  quadrifolia. 

X.  Staubgefässe  von  Oxalis. 

XII.  Längsschnitt  der  Blüte  von  Rosa. 

XIII.  dgl.  von  Ranunculus. 

XIV.  Staübgetässe  von  Digitalis. 


XXI.     u.     XXII. 

Monoecia        Dioecia. 

XV.  Staubgefässe  von  Cheiranthus. 

XVI.  Staubfädensäule  der  Malvaceae. 

XVII.  Staubgefässe  der  meisten 
Papilionaceae. 

XVIII.  Staubgefässe  von  Citrus. 

XIX.  Zungenblüte  einer  Cornposite. 

XX.  Stempel  und  Staubgefässe  von 
Aristolochia  (nachdem  das  Perigon 
abgeschnitten). 

XXI.  XXII.  Männliche  und  weibliche 
Blüten  von  Bryonia. 


438 


Die  Ordnungen  der  Linneschen  Klassen. 

§  405.  Wie  teilte  Linne  seine  Klassen  ein?  Für  die  ersten  13 
Klassen,  bei  denen  die  Zahl  der  (freien)  Staubgefässe  entscheidet, 
gründen  sich  die  Ordnungen  auf  die  Anzahl  der  Griffel  oder, 
wenn  dieselben  fehlen,  der  sitzenden  Narben,  und  heissen: 


1. 

Ordn. 

Monogynia  - 

-  Blüte  mit  1  Griffel. 

2. 

ii 

Digynia 

15 

„     2  Griffeln 

3. 

ii 

Trigynia 

55 

55         3               „ 

4. 

51 

Tetragynia 

55 

4 

55         ^                11 

5. 

11 

Pentagynia 

55 

55         5               55 

6. 

11 

Polygynia 

55 

„  vielen  „ 

Die  14.  und  15.  Klasse  bilden  je  zwei  Ordnungen  nach  der 
Gestalt  der  Frucht  und  zwar: 
XIV.  Klasse  Didynamia: 

1.  Ordn.  Gymno  spermia*),  Frucht  aus  vier  Nüsschen  (von 
Linn§  für  nackte  Samen  gehalten). 

2.  Ordn.  Angiospermi a**),  Frucht  eine  vielsamige  Kapsel. 
XY.  Klasse  Tetradynamia: 

1.  Ordn.  Siliculosa,  Frucht  ein  Schötchen  (rund  oder  oval). 

2.  Ordn.  Siliquosa,  Frucht  eine  Schote  (lineal). 

Von  der  16.  Klasse  ab  repetieren  die  Ordnungen  die  Charaktere 
und  Namen  der  ersten  13  Klassen,  und  heissen  also  Monan- 
dria,  Diandria  u.  s.  f.  Nur  die  19.  Klasse  macht  davon 
eine  Ausnahme,  indem  sie  fünf  Ordnungen  nach  folgender  Ein- 
teilung zählt: 

XIX.  Klasse,  Syngenesia: 

1.  Ordn.  Polygamia  aequalis,  alle  Blüten  des  Köpf- 
chens zwitterig. 

2.  Ordn.  Polygamia  superflua,  Rand-Blüten  (Strahl)  des 
Köpfchens  weiblich,  die  übrigen  (Scheibe)  zwitterig. 

3.  Ordn.  Polygamia  fru str an ea,  Rand-Blüten  des  Köpf- 
chens geschlechtslos,  die  übrigen  zwitterig. 

4.  Ordn.  Polygamia  necessaria,  Rand-Blüten  des  Köpf- 
chens weiblich,  die  übrigen  männlich. 

5.  Ordn.  Polygamia  segregata,  Blüten  des  Köpfchens 
durch  besondere  Hüllen  getrennt. 

Bei  Linnes  Bezeichnung  dieser  Ordnungen  der  XIX.  Klasse  finden  wir: 

1.  gleiche  Vielehe  für  die  gleichmässig  zwitterblütigen  Köpfchen; 

2.  überflüssige  Vielehe  für  zwitterblütige  Köpfchen,  deren  weibliche 
Randblütchen  gleichsam  überflüssig  sind; 

2.  vergebliche  Vielehe  für  zwitterblütige  Köpfchen,  deren  ge- 
schlechtliche Randblütchen  gleichsam  vergebens  dastehen; 

*)  Gymnospermia  =  Nacktsamigkeit. 
**)  Angiospermia  =  Hüllsamigkeit. 


—    439     — 

4.  notwendige  Vielehe,  wenn  bei  der  Unfruchtbarkeit  der  inneren 
Blütchen  die  weiblichen  Randblüteben  notwendig  sind; 

5.  getrennte  Vielehe  bei  Trennung  der  einzelnen  Blütchen  durch 
Hüllchen. 

Die  XXIV.  Klasse,  Kryptogamia,  wird  in  4  Ordnungen 
nach  der  natürlichen  Verwandtschaft  geteilt:  1.  Filices,  Farn- 
kräuter. 2.  Musci,  Moose.  3.  Algae,  Flechten  und  Algen. 
4.  Fungi,  Pilze. 

Aufgabe. 

Wie  bestimmt  man  die  einer  Pflanze  zugehörige  Linne- 
sche  Klasse? 

Antw.  Man  hat  sich  folgende  Fragen  der  Reihe  nach  zu  beantworten: 

1.  Frage:  Erzeugt  die  Pflanze  Blüten  oder  nicht? 

Antw.:  a)  Sie  erzeugt  keine  Blüten XXIV.  Kl. 

b)  Sie  erzeugt  Blüten.     Man  geht  zur  zweiten  Frage  über. 

2.  Frage:  Sind  die  Blüten  eingeschlechtig  oder  zwitterig? 
Antw.:  a)  Sie  sind  eingeschlechtig  und  zwar: 

oc)  männliche  u.  weibliche  auf  demselben  Individum  XXI.  Kl. 
ß)  männliche  und  weibliche  auf  verschiedenen  Individuen 

XXII.  Kl. 
y)  neben  männlichen  u.  weiblichen  auch  zwitterige  Blüten 

XXIII.  Kl.*) 
b)  Sie  sind  zwitterig.     Man  geht  zur  dritten  Frage  über. 
3.  Frage:  Zeigen  die  Staubgefässe  irgend  eine  Verwachsung? 
Antw.  A.  Sie  zeigen  eine  Verwachsung. 

a)  Die  Staubfäden  sind  verwachsen  und  zwar 

a)  in  eine  Röhre XVI.  Kl. 

ß)  in  zwei  Bündel XVII.  Kl. 

y)  in  drei  oder  mehrere  Bündel XVIII.  Kl. 

b)  Die  Staubbeutel  sind  in  eine  Röhre  verwachsen  XIX.  Kl. 

c)  Die  Staubbeutel  stehen  neben  der  Narbe  zufolge  der  Ver- 
wachsung der  Fäden  mit  dem  Griffel      .     .     .       XX.  Kl. 

B.  Sie  zeigen  keine  Verwachsung.  Man  geht  zur  vierten  Frage  über. 
4.  Frage:  Ist  die  Zahl  der  Staubgefässe  bestimmt? 
Antw.  A.  Ihre  Zahl  ist  bestimmt,  1—12 I— XL  Kl. 

Steht  die  Länge  der  Staubgefässe  dabei  in  einem  bestimmten 

bältnis,  so  finden  wir: 

a)  zwei  längere  und  zwei  kürzere  .     .     .     .     .        XIV.  Kl. 

b)  vier  längere  und  zwei  kürzere XV.  Kl. 

B.  ihre  Zahl  ist  grösser   als    12,   unbestimmt.     Man  geht  zur 

fünften  Frage  über. 

5.  Frage:  Worauf  sind  die  zahlreichen  Staubgefässe  eingefügt? 

Antw.:    a)  Auf  der  Kelchröhre  (Unterkelch) XII.  Kl. 

b)  Auf  dem  Blütenboden XIII.  Kl. 

*)  Wegen  der  Schwierigkeit  der  Bestimmung  wurde  diese  Klasse 
später  gestrichen  und  ihre  Gewächse  in  die  entsprechenden  zwitterblütigen 
Klassen  verteilt. 


—     440 


Übersicht  des  Linneschen  Systems. 


Klasse 


Ordnung 


Beispiele 


I.  Monandria. 
IL  Diandria. 


III.  Triandria. 


IV.  Tetrandria. 


Y.  Pentandria. 


1.  Monogynia. 
1.  Monogynia. 


2.  Diandria. 

1.  Monogynia. 

2.  Digynia. 


1.  Monogynia. 

4.  Tetragynia. 
1.  Monogynia. 


2.  Digynia. 


3.  Trigynia. 
5.  Pentagynia. 


Veronica  officinalis  (Ehrenpreis). 
Gratiola  officinalis  (Gottesgnadenkraut). 
Salvia  officinalis  (Salbei). 
Anthoxanthum  odoratum  (Ruchgras). 
Valeriana  officinalis  (Baldrian). 
Iris  Pseud-Acorus  (Schwertlilie). 
Crocus  sativus  (Safran). 
Agropyrum  repens  (Quecke). 
Seeale  cereale  (Roggen). 
Triticum  vulgare  (Weizen). 
Hordeum  vulgare  (Gerste). 

Asperula  odorata  (Waldmeister). 
Scabiosa  Columbaria  (Taubenskabiose). 
Plantago  (Wegerich). 
Hex  Aquifolium  (Hülsen,  Stechpalme). 

Rhamnus  Frangula  (Faulbaum). 
Vitis  vinifera  (Weinrebe). 
Ribes  rubrum  (Johannisbeere). 
Pulmonaria  officinalis  (Lungenkraut). 
Symphytum  officinale  (Beinwell). 
Solanum  Dulcamara   (Bittersüss-Nacht- 

schatten). 
Atropa  Belladonna  (Tollkirsche). 
Hyoscyamus  niger  (Bilsenkraut). 
Datura  Stramonium  (Stechapfel). 
Verbascum  thapsiforme  (Wollblume). 
Erythraea  Centaurium  (Tausendgülden- 
kraut). 
Menyanthes  trifoliata  (Fieberklee). 
Primula  officinalis  (Schlüsselblume). 
Viola  odorata  (Veilchen). 
Conium  maculatum  (Schierling). 
Cicuta  virosa  (Wasserschierling). 
Aethusa  Cynapium  (Hundspetersilie). 
Petroselinum  sativum  (Petersilie). 
Carum  Carvi  (Kümmel). 
Pimpinella  Saxifraga  (Bibernell). 
Oenanthe  Phellandrium  (Wasserfenchel). 
Foeniculum  capillaceum  (Fenchel). 
Daucus  Carota  (Möhre). 
Sambucus  nigra  (Hollunder). 
Linum  usitatissimum  (Lein). 


—     441     — 


Klasse 

Ordnung 

Beispiele 

VI. 

Hexandria 

1. 

3. 

Monogynia. 
Trigynia. 

Berberis  vulgaris  (Berberitze). 
Convallaria  majalis  (Maiglöckchen). 
Lilium  candidum  (Lilie). 
Allium  sativum  (Knoblauch). 
Acorus  Calamus  (Kalmus). 
Colchicum  autumnale  (Zeitlose). 
Rumex  Acetosa  (Sauerampfer). 

VII 

Heptandria 

1. 

Monogynia. 

Aesculus  Hippocastanum  (Rosskastanie). 

VII 

\.  Octandria 

1. 

3. 

4. 

Monogynia. 

Trigynia. 
Tetragynia. 

Daphne  Mezereum  (Seidelbast). 
Vaccinium  Myrtillus  (Heidelbeere). 
Polygonum  Bistorta  (Knöterich). 
Paris  quadrifolia  (Einbeere). 

IX. 

Enneandria 

1. 

Monogynia. 

Lauras  nobilis  (Lorbeer). 

X. 

Oekandria 

1. 

2. 

3. 

5. 

Monogynia. 
Digynia. 

Trigynia. 
Pentagynia. 

Arctostaphylos  Uva  Ursi  (Bärentraube). 

Saponaria  officinalis  (Seifenkraut). 

Dianthus  (Nelke). 

Stellaria  (Sternmiere), 

Lychnis  (Lichtnelke). 

Oxalis  Acetosella  (Sauerklee). 

Sedum  acre  (Mauerpfeffer). 

XL 

Dekandria 

1. 

2. 
3. 

Monogynia. 

Digynia. 
Trigynia. 

Asarum  europaeum  (Haselwurz). 
Lythrum  Salicaria  (Weiderich). 
Agrimonia  Eupatoria  (Odermennig). 
Reseda  (Wau). 

XII 

Ikosandria 

1. 
2. 
3. 

Monogynia. 

Di-  bis  Pen- 
tagynia. 
Polygynia. 

Prunus  Cerasus  (Sauerkirsche). 
Amygdalus  Persica  (Pfirsich). 
Pirus  Malus  (Apfel). 
Cydonia  vulgaris  (Quitte). 
Rubus  Idaeus  (Himbeere). 
Rosa  Centifolia  (Rose). 
Fragaria  vesca  (Erdbeere). 
Potentilla  Tormentilla  (Tormentille). 
Geum  urbanum  (Nelkenwurz). 

Xni.  Polyandria 

1. 
2. 
3. 

Monogynia. 

Di-  bis  Pen- 
tagynia. 

Polygynia. 

Tilia  (Linde). 

Papaver  Rhoeas  (Klatschrose). 
Chelidonium  majus  (Schöllkraut). 
Helleborus  viridis  (Niesswurz). 
Paeonia  officinalis  (Pfingstrose). 
Aconitum  Napellus  (Sturmhut). 
Ranunculus  (Hahnenfuss). 
Anemone  Pulsatilla  (Küchenschelle). 

XIV.  Didynamia 

1. 

Gymnosper- 
mia. 

Mentha  piperita  (Pfefferminze). 
Thymus  Serpyllum  (Quendel). 
Melissa  officinalis  (Melisse). 
Glechoma  hederacea  (Gundelrebe). 

442     - 


Klasse 


Ordnung- 


2.Angiospermia. 


XV.  Tetrady- 

namia 

1. 

2. 

Siliculosa. 
Siliquosa. 

XVI.  Monadel- 
phia 

1. 
2. 

Dekandria. 
Polyandria. 

XVII.  Diadel- 

phia 

1. 

2. 
3. 

Hexandria. 
Octandria. 
Dekandria. 

XVIII.  Polya- 

delphia 

XIX.  Syngenesia 


XX.  Gynandria 

XXI.  Monoecia 


Polyandria. 

1.  Polygamia 

aequalis. 

j  2.  Polygamia 

superflua. 


3.  P.  frustranea. 

4.  P.  necessaria. 

5.  P.  segregata. 

1.  Monandria. 
3.  Hexandria. 

1.  Monandria. 

2.  Diandria. 

3.  Triandria. 

4.  Tetrandria. 


Beispiele 

Lamium  album  (Taubnessel). 
Galeopsis  ochroleuca  (Hohlzahn). 
Ajuga  reptans  (Günsel). 
Linaria  vulgaris  (Leinkraut). 
Digitalis  purpurea  (Fingerhut). 

Capsella  bursa  pastoris  (Hirtentäschel). 
Cochlearia  officinalis  (Löffelkraut). 
Brassica  Rapa  (Raps). 
Sinapis  nigra  (Senf). 

Ononis  spinosa  (Hauhechel). 
Malva  silvestris  (Käspappel). 
Althaea  officinalis  (Eibisch). 

Fumaria  officinalis  (Erdrauch). 
Polygala  amara  (Kreuzkraut). 
Melilotus  officinalis  (Honigklee). 
Trifolium  pratense  (Wiesenklee). 
Medicago  sativa  (Luzerner  Klee). 
Pisum  sativum  (Erbse). 
Phaseolus  vulgaris  (Schneidebohne). 

Hypericum  perforatum  (Johanniskraut). 

Taraxacum  officinale  (Pfaffenröhrchen). 
Lactuca  virosa  (Giftlattich). 
Lappa  (Klette). 

Artemisia  Absinthium  (Wermut). 
Tanacetum  vulgare  (Rainfarn). 
Bellis  perennis  (Gänseblümchen). 
Matricaria  Chamomilla  (Kamille). 
Anthemis  arvensis  (Hundskamille). 
Achillea  Millefolium  (Schafgarbe). 
Tussilago  Farfara  (Huflattich). 
Arnica  montana  (Wohlverleihkraut). 
Centaurea  Cyanus  (Kornblume). 
Calendula  officinalis  (Ringelblume). 


Orchis  Morio  (Knabenkraut). 
Aristolochia  (Osterluzei). 

Euphorbia  (Wolfsmilch). 
Arum  maculatum  (Aron). 
Pinus  silvestris  (Kiefer). 
Larix  decidua  (Lärche). 
Carex  arenaria  (Segge). 
Urtica  (Nessel). 
Morus  (Maulbeerbaum). 


443     — 


Klasse 

Ordnung 

Beispiele 

6. 

7. 

Polyandria. 
Polyadelphia. 

Quercus  (Eiche). 
Juglans  regia  (Walnuss). 
Cucumis  sativus  (Gurke). 
Cucurbita  Pepo  (Kürbis). 

XXII.  Dioecia 

1. 

4. 

5. 

6. 

Diandria. 

Tetrandria. 

Pentandria. 

Polyandria. 

Salix  (Weide). 
Viscum  album  (Mistel). 
Humulus  Lupulus  (Hopfen). 
Cannabis  sativa  (Hanf). 
Juniperus  communis  (Wacholder). 
Populus  (Pappel). 

XXIII.  Krypto- 
gamia 

1. 

2. 
3. 

4. 

Filices. 

Musci. 

Algae  (et  Li- 
chenes). 
Fungi. 

Polypodium  vulgare  (Engelsüss). 
Aspidium  filix  mas  (Wurmfarn). 
Lycopodium  clavatum  (Bärlapp). 
Cetraria  islandica  (Isländisches  Moos). 
Chondrus  crispus  (Irländisches  Moos). 
Agaricus  campester  (Champignon). 
Polyporus  fomentarius  (Feuerschwamm). 
Elaphomyces  granulatus  (Hirschbrunst). 
Claviceps  purpurea  (Mutterkornpilz). 

17,  Das  natürliche  Pflanzensystem, 

§  406.  Was  nennt  man  ein  natürliches  System?  Ordnet  man  die 
Gewächse  nicht  nach  der  zufälligen  Ausbildung  eines  oder  weniger 
Organe,  sondern  nach  der  natürlichen  Verwandtschaft 
in  Familien,  so  entsteht  ein  natürliches  Pflanzensystem. 
Ob  eine  Gattung  6,  8  oder  9  Staubgefässe  in  der  Blüte  zählt,  wie 
beispielsweise  Runiex,  Polygonuni  und  Rheum,  hindert  nicht,  sie 
wegen  ihres  ähnlichen  Gesamtcharakters  zu  einer  Familie  zu  rechnen. 

Während  das  künstliche  System  durch  seine  streng  logische 
Gliederung  das  Bestimmen  unbekannter  Gewächse  sehr  erleichtert, 
gewährt  ausschliesslich  das  natürliche  System  einen  Einblick  in 
den  Zusammenhang  der  Gewächse,  indem  es  die  verwandten 
Pflanzen  zusammengruppiert  und  die  dadurch  gewonnenen  Familien 
nach  ihrer  Entwicklung  ordnet. 

§  407.  Welches  sind  die  wichtigeren  natürlichen  Pflanzensysteme? 
Nachdem  Linne  selbst  durch  Aufstellung  einer  Reihe  ähnlicher 
Gattungen  das  Bedürfnis ,  der  natürlichen  Verwandtschaft  der 
Gewächse  Rechnung  zu  tragen,  anerkannt  hatte,  stellte  der  Fran- 
zose A.  L.  Jussieu  (1789)  das  erste  natürliche  Pflanzensystem 
auf.  Er  beachtetete  darin  vorzugsweise  die  Verhältnisse  des  Samens 
und  teilte  das   ganze   Pflanzenreich   in   drei  grosse  Abteilungen: 


—     444     — 

1.  Acotyledones  (samenlappenlose  Gewächse),  deren 
Samen  —  sog.  Sporen  —  keine  Samenlappen  besitzen. 

2.  Monocotyledones  (einsam  enlappige  Gewächse), 
deren  Samen  einen  einzigen  Samenlappen  besitzt. 

3.  Di cotyledones  (zweisamenlappige  Gewächse), 
deren  Samen  zwei  gegenständige  Samenlappen  besitzt.  Diese  Ab- 
teilung zerfällt  nach  der  Ausbildung  der  Blumenkrone  wiederum 
in  drei  Klassen: 

a)  Apetaiae  (blumenlose  Dikotyledonen) ,  deren   Blü- 
ten mit  einem  Perigon  versehen  oder  nackt  sind.^ 

b)  Monopetalae    (einb lumenblättrige    Dikotyledo- 
nen), deren  Blumenkrone  verwachsenblätterig  ist. 

c)  Polypetalae  (mehrblumenblättrige  Dikotyledo- 
nen), deren  Blume  aus  getrennten  Blumenblättern  besteht. 

Im  Anfange  des  neunzehnten  Jahrhunderts  stellte  der  Genfer 
Aug.  Pyramen  deCandolle  ein  natürliches  Pflanzensystem  auf, 
dessen  Haupteinrichtung  er  dem  anatomischen  Baue  des  Stammes 
entlehnte.  Er  teilte  zunächst  das  Gewächsreich  nach  dem  Fehlen 
oder  Yorhandensein  von  Gefässen  in  zwei  grosse  Abteilungen: 

1.  Cellulares,  Zellenpflanzen,  welche  aus  Zellgewebe 
ohne  Gefässe  gebildet  sind. 

2.  Vasculares,  Gefässpflanzen ,  welche  aus  Zellenge- 
weben mit  Gefässen  bestehen.  Diese  zweite,  grössere 
Abteilung  zerfällt  nach  der  Ausbildung  und  dem  Wachs- 
tum des  Stammes  in  zwei  Klassen: 

a)  Endogenae  (Innen wüchsige) ,  deren  Stamm  von 
innen  heraus,  nur  an  der  Spitze,  wächst.  (Mono- 
kotyledonen.) 

b)  Exogenae  (Aussenwüchsige),  deren  Stamm  im  Um- 
fange wächst.  (Dikotyledonen.)  Diese  Klasse  wurde 
nach  dem  Bau  und  der  Einfügung  der  Blumenkrone 
in  4  Ordnungen  geteilt: 

a)  Monochlamydeae  (Einhüllblütige),  mit  nackten 

Blüten  oder  einem  Perigon.     (Apetalen.) 
ß)  Corolliflorae   (Kronblütige) ,    mit   einblättriger, 

bodenständiger  Blumenkrone* 
y)  Calyciflorae  (Kelchblütige) ,  mit  kelchständiger 

Blume. 
ö)  Thalamiflorae  (Bodenblütige),   mit  netzblätte- 
riger, bodenständiger  Blume. 
Später  (1838)   stellte  Stephan  Endlicher  ein   ähnliches  na- 
türliches  System   auf,   dessen   beide  Hauptgruppen    er  nach  der 
Ausbildung  oder  dem  Mangel  einer  Stammaxe  schuf. 

1.  Thallophyta   (Lagerpflanzen),  Gewächse   mit  einem 
Trieblager,  ohne  Unterscheidung  in  Wurzel,  Stamm  und  Blätter. 


—    445     - 

2.  Cormophyta  (Stockpflanzen),  Gewächse  mit  Wurzel, 
Stamm  und  Blättern. 

§  408.  Wie  stimmen  diese  natürlichen  Systeme  zu  einander?  Ver- 
gleicht man  die  genannten  Systeme  mit  einander  und  mit  d«m 
Linneschen  Sexualsysteme,  so  fallen  die  grösseren  Abteilungen 
und  Klassen  vielfach  zusammen,  und  zwar: 

I.  "Vergleicht  man  Jussieus  System  mit  dem  Linneschen, 
so  erkennt  man,  dass  die  Akotyledonen  mit  der  XXIV. 
Klasse,  Kryptogamia,  zusammenfallen,  während  die 
Monokotyledonen  und  Dikotyledonen  sich  in  die  ersten  23  Linne- 
schen Klassen  verteilen. 

IL  Vergleicht  man  das  de  Ca  nd  olle  sehe  System  mit  dem 
Jussieu sehen,,  so  bemerkt  man,  dass  die  Endogenen  mit 
den  Monokotyledonen,  die  Exogenen  mit  den  Diko- 
tyledonen zusammenfallen,  während  die  Cellulares  den 
grösseren  Teil  der  Akotyledonen,  nämlich  die  2.  bis  4.  Ordnung 
der  XXIV.  Klasse,  Kryptogamia,  ausmachen. 

III.  Vergleicht  man  das  Endlich  er  sehe  System  mit  den 
übrigen,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Thallop  hyta  eiüen  Teil  der 
Cellularen  resp.  Akotyledonen,  nämlich  die  3.  und  4.  Ord- 
nung der  XXIV.  Klasse,  Kryptogamia,  bilden. 

Vergleichende  Zusammenstellung  der  verschiedenen  Pflanzensysteme. 


Nach  Linne\ 

Nach  Jusieu.      1   Nach  de  Candolle. 

Nach  Endlicher. 

4.  Ordn. 
XXIV.  Kl.    3.       „ 

Acotyledones. 

Cellulares. 

Thallophyta. 

Krypto-     2.  Ordn. 
gamia. 

1.  Ordn. 

Cormophyta. 

I— XXIII.  Kl. 

Monocotyle- 
dones. 

Endogenae. 

Phanerogamia. 

Dicotyledones. 

Exogenae. 

§  409.  Welche  Gruppen  der  Gewächse  sind  konstant?  Die  ange- 
stellte Vergleichung  der  verschiedenen  Pflanzensysteme  ergiebt, 
dass  gewisse  Gruppen,  selbst  von  den  verschiedensten  Seiten  be- 
leuchtet, sich  konstant  erwiesen  haben.  Es  sind  dies  gewisser- 
massen  die  Stufenfolgen  der  Entwicklung  des  Gewächsreiches, 
wie  sich  aus  folgender  Darstellung  ergiebt: 

Die  unterste  Stufe  nehmen  die  Pilze,  Flechten  und  Algen 


—     446     — 

ein,  deren  vegetativen  Organe  nur  aus  Zellgewebe,  ohne  Ge- 
fässe  bestehen  und  keine  Unterscheidung  in  "Wurzel, 
Stamm  und  Blätter  zulassen,  wenngleich  ihre  Form  nicht  selten 
an  derartige  Organe  erinnert.  Endlicher  nannte  daher  diese 
Gewächse  Lagerp  flanzen(Thallophyta).  Blüten  fehlen  ihnen. 

Die  zweite  Stufe  bilden  die  Moose,  Zellenpflanzen  ohne 
Gefässe,  aber  mit  wahrer  Wurzel,  Stengel  und  Blättern, 
jedoch  ohne  Blüten. 

Auf  der  dritten  Stufe  stehen  die  Farnkräuter,  welche  sich 
von  den  Moosen  durch  ihre  Gefässbündel  unterscheiden,  vermöge 
deren  sie  baumartig  werden  können.    Sie  tragen  keine  Blüten. 

Auf  der  vierten  Stufe  beginnen  die  Phanerogamen 
mit  der  Familie  der  Coniferen  (Nadelhölzer),  deren  Samen  nicht 
von  einer  Fruchthülle  umschlossen,  sondern  frei  liegt. 

Auf  der  fünften  Stufe  stehen  die  übrigen  Phanero- 
gamen, deren  Same  von  einer  Fruchthülle  umschlossen  wird. 
Sie  zerfallen  in: 

1.  Monökotyledonen ,  deren  Gefässbündel  zerstreut  durch 
den  Stamm  verlaufen  und  sich  jährlich  nur  verlängern,  ohne  zu 
verdicken.  Blätter  vorzugsweise  parallelnervig;  Blütenkreise 
dreizählig ;  Samen  mit  1  Samenlappen. 

2.  Dikotyledonen ,  deren  Gefässbündel  kreisförmig  im 
Stamme  angeordnet  sind  und  sich  alljährlich  verlängern  und  ver- 
dicken. Blätter  vorzugsweise  winkelnervig  (fieder-,  fuss-,  hand- 
nervig); Blütenkreise  vier-  und  fünfzählig;  Samen  mit  zwei 
gegenständigen  Samenlappen. 

§  410.     Unsere  Einteilung  des  Pflanzenreiches: 
1.  Abteilung:   Kryptogamae,    Pflanzen    ohne   Blüten, 
durch  Sporen  sich  fortpflanzend. 

1.  Klasse:  Thallophyta,  Pflanzen  mit  Trieblager. 

2.  Klasse:  Musci,  Stengelpflanzen  ohne  Gefässe. 

3.  Klasse:  Cryptogamaevasculares,  gefässführende 
Kryptogamen. 

IL  Abteilung:  Phanerogamae,  Pflanzen  mit  Blüten 
und  Samen. 

4.  Klasse:  Mono cotyledon es,   Keim  mit   1  Samen- 

lappen. 

5.  Klasse:  Dicotyledon es,  Keim  mit  2  gegenständigen 

Samenlappen. 

1.  Ord.  Apetalae,  mit  Perigonblüten. 

2.  Ord,  Mo n apetalae,      mit      verwachsenblättriger 

Blume. 

3.  Ord.  Polypetalae,  mit  getrennten  Blumenblättern. 


—     447     — 


Die  offieinellen  Gewächse,  nach  dein  natürlichen 
System  geordnet. 


I.  Abteilung.     Kryptogamen. 

Pflanzen  ohne  Blüten,  durch  Sporen  sich  fortpflanzend. 

Die  Klasse  der  Lagerpflanzen  (Thallophyta). 

Zellen-Pflanzen  ohne  Wurzel,  Stamm  und  Blätter. 

Analytische  Übersicht  der  Ordnungen. 

Wasserpflanzen Algae. 

Landpflanzen  auf  Steinen,  Bäumen  u.  dgl Lichenes. 

Schmarotzer  mit  flockigem  Gewebe Fungi. 

Die  Algen,  Algae;  Flechten,  Lichenes;  Pilze,  Fungi. 

§411.  Von  den  Algen.  Die  Algen,  Algae,  sind  zellige, 
gefässlose  "Wassergewächse,  welche  sowohl  in  süssem,  wie 
im  Meerwasser  leben. 

In  der  einfachsten  Form  stellen  die  Algen  einzellige,  mikro- 
skopisch kleine  Pflanzen  dar,  wie  die  Bacillarien,  mit  Kiesel- 
panzer, die  K ernaigen  (Protococcus,  Palmella),  die  in  zahlloser 
Menge  als  farbiger  Schleim  auf  feuchten  Unterlagen  sitzen,  sowie 
die  Gallertalgen,  die  zu  Perlschnüren  aneinander  gereiht  in 
Schleimmassen  liegen. 

Zu  den  mehrzelligen  Süsswasseralgen  gehören  die  Kon  fer- 
nen, grüne,  schleimige,  unverzweigte,  lange  Fäden,  fast  in  jedem 
Bache  und  Sumpfe,  an  Steinen  u.  dgl.  finden;  die  Armleuchter- 
gewächse (Charen),  gleich  quirlästigen  Fäden;  die  Ulven,  mit 
blattartigem  Lager  feuchte  Wände  überkleidend ,  grünen ,  kraus- 
randigen  Teppichen  ähnlich. 

Grössere  Dimensionen  nehmen  die  Meeralgen  an,  deren  man 
vorzugsweise  zweierlei  unterscheidet: 

1.  Blütenalgen,  rötlichgefärbte,  stengelige,  gabelästige, 
oder  baumartig  verzweigte  Gewächse,  wie  das  irländische  Moos 
und  das  Wurmmoos. 

2.  Tange,  olivenbraune,  getrocknet  schwarze,  lederige,  oft 
mit  Luftblasen  begabte  Algen,  wie  der  Blasentang  u.  a.  Ihre  Zell- 
häute quellen ,  vermöge  ihres  Schleimgehaltes ,  in  Wasser  stark 
auf.  Man  benutzte  früher  die  Asche  der  Tange  zur  Gewinnung 
der  natürlichen  Soda,  jetzt  aber  zur  wichtigen  Jodfabrikation,  und 


—    448    — 

bringt   sie  von   den  Küsten    der  Norrnandie  und  Schottlands  als 
Yarech  oder  Kelp  in  den  Handel. 

1.  Chondrus*)  crispus,  Knorpeltang         \  off.  Carra- 

2.  Gi  gartina**)mammillosa,  Warzentang/     geen. 

Zwei  an  den  Küsten  der  Nordsee  und  des  atlantischen  Ozeans  häufig 
vorkommende  Blütenalgen,  erstere  kraus  und  gabelteilig,  letztere  flach, 
rinnig  und  mit  gestielten  Warzen  besetzt.  Synonym  mit  beiden  sind: 
Sphaerococcus  crispus  und  Sph.  mammillosus. 

3.  Sphaerococcus***)  Helminthochortos  off.  Helmin- 

thochorton. 
Eine  fadliche  Blütenalge  im  MitteLmeer. 

4.  Laminariaf)  Cloustoni,  Riementang\  .     .  off.  Lami- 

5.  „  digitata  /  .     .       naria. 

Zwei  Tange  im  atlantischen  Ozean,  mit  fussbreiter  Blattfläche  an 
einem  langen  Stiele;  bei  letzterer  Art  ist  das  Blatt  fingerig  geteilt. 

§  412.  Von  den  Flechten.  Die  Flechten,  Lichenes ,  sind 
Zellenpflanzen  ohne  G  efässbündel,  aus  lockerem  Parenchym 
gebildet.  Sie  haften  auf  Steinen,  Felsen,  Bäumen  u.  dgl. ,  ohne 
jedoch  durch  ihre  Haftzasern  (fälschlich  Wurzeln  genannt)  Nah- 
rung aus  ihrem  Substrate  zu  ziehen,  da  sie  von  der  Feuchtigkeit 
und  den  Gasen  der  atmosphärischen  Luft  leben.  Sie  schrumpfen 
bei  grosser  Trockenheit  völlig  ein,  ihr  Leben  fristend,  bis  sie  durch 
feuchte  Luft  wieder  erwachen.  Man  könnte  sie  daher  Luft- 
pflanzen nennen. 

Das  Lager  der  Flechten  ist  verschieden,  bald  krustenartig, 
bald  blattartig,  bald  stengelig.  Hierauf  teilt  man  die  Flechten 
in  drei  Gruppen: 

1.  Krustenflechten,  welche  in  Form  krustiger  Überzüge 
Steine,  Felsen  u.  dgl.  bekleiden. 

Hierhin  die  Schüsselflechte  (Lecanora),  Warzenflechte  (Verru- 
caria),  Schrift  flechte  (Graphis),  welche  letztere  gleich  Schriftzeichen  auf 
den  Felsen  sitzen. 

2.  Lager  flechten,  blattartige  Gebilde. 

Hierhin  die  an  Baumrinden  gar  häufige  Schild  flechte  (Parmelia), 
die  auf  der  Erde  wachsende  Moosflechte  (Cetraria)  und  Lungen- 
flechte (Lobaria)  u.  a. 

3.  Stiel  flechten,  stengelige  Gebilde. 

Hierhin  die  von  alten  Bäumen  herabhängende  Bartflechte  (Usnea), 
die  auf  Steinen  sitzende  Becherflechte  (Cenomyce),  das  baumartig  ver- 
zweigte Rentiermoos  (Cladonia)  u.  a.  m. 

*)  Chondrus  von  yßvüpoc,  (Knorpel),  wegen  der  Beschaffenheit. 
**)  Gigartina  von  yiyapxov  (Weinbeerkern)  wegen  der  Ähnlichkeit  der 
Warzen. 

***)  Sphaerococcus    von    a<pa"tpa  (Kugel)  und  xoxxoc-  (Knopf),  wegen  der 
kugelig-knopfförmigen  Sporenbehälter, 
f)  Laminaria  von  lamina  (Platte). 


—     449     — 

Die  Zellhäute  der  Mittelschicht  des  isländischen  Mooses  be- 
stehen ans  Pflanzengallerte,  welche  sich  beim  Abkochen  löst  und 
beim  Erkalten  gelatiniert.  Ausserdem  enthalten  die  Zellen  der 
Flechten  häufig  Bitterstoffe  (wie  ebenfalls  im  isländischen  Moose), 
sowie  Farbstoffe:  Lackmus,  Orseille.  Auf  letztere  verarbeitet  man 
in  Holland  mehrere  Arten  der  Schüsselflechte  (Lecanora), 
sowie  in  Südeuropa  die  auf  Klippen  des  Mittelmeeres  wachsende 
Färberflechte  (Roccella  tinctoria). 

Die  Fortpflanzung  der  Flechten  geschieht  durch  Sporen, 
embryolose,  dem  Pollenkorn  ähnliche  Keimkörner,  welche  aus 
einer  einzigen  Zelle  bestehen  und  in  Sporenschläuchen 
eingeschlossen  sind.  Solche  Schläuche  stehen,  mit  gegliederten 
Fäden  (sog.  Saftfäden)  untermischt,  zu  sehr  vielen  aufrecht  neben 
einander  und  bilden  eine  Fruchtschicht,  sog.  Apothecie,  welche 
sich  teils  dem  Lager  völlig  eingesenkt  findet,  teils  in  Form  von 
Schüsselchen,  Knöpfchen  oder  Schildchen  dem  übrigen  Lager 
aufsitzend,  sich  von  demselben  durch  die  meist  braune  oder  rote 
Farbe  unterscheidet. 

Cetraria  islandica,  isländisches  Moos,     .    off.  Liehen 

islandicus. 

Eine  auf  den  höheren  deutschen  Gebirgen,  im  Norden  in  der  Ebene 
wachsende,  aufrechte  Flechte,  mit  lederigem,  glatten  Lager  (Fig.  312)  und 
bräunlichen,  flachen  Apothecien. 

§  413.  Von  den  Pilzen.  Die  Pilze,  Fungi,  sind  zellige, 
gefässlose  Pflanzen,  welche  überall  dort  wuchern,  wo  organi- 
sche Materien  verwesen.  Sie  sind  daher  Schmarotzerge- 
wächse abgestorbener  oder  auch  lebender  Organismen,  die  durch 
ihr  schnelles  Entstehen  und  Vergehen  wesentlich  zum  Zerfall  der 
organischen  Körper  beitragen.  Sie  besitzen  alle  mögliche,  oft 
brennende  Färbungen,  sind  aber  niemals  grün  (Unterschied 
von  den  Algen). 

Die  einfachste  Form  eines  Pilzes  besitzt  der  Hefenpilz 
(Cryptococcus,  Mycoderma),  ein  mikroskopisch  kleiner,  einzelliger 
Organismus,  häufig  zu  vielen  aneinander  gereiht  (Oberhefe),  aber 
auch  einzeln  auftretend  (Unterhefe). 

Die  mehrzelligen  Pilze  bestehen  aus  flockenartig  verschlun- 
genen,  fadenförmigen  Zellen,  die  ein  Pilzlager  (Mycelium) 
bilden.  Ihre  Zellreihen  sind  vielfach  verzweigt  und  entwickeln 
an  ihren  Astendungen  die  Sporen,  entweder  in  Schläuchen 
(asci)  zu  4  oder  8,  oder  abgeschnürt  aus  sogen.  Basidien  (auf- 
gedunsenen Endzellen),  in  Form  von  4  Ausstülpungen.  Die 
Sporen  schlauche    resp.   Basidien    befinden   sich   bei    den   niedrig 

*)  Cetraria  von  cetra  (kleiner  Schild)  wegen  der  schildförmigen 
Apothecien. 

Schliekuin,  Apothekerlehrling.  29 


—    450     - 

organisierten  Pilzen  (Schimmel-,  Staubpilzen)  am  Ende  der  freien 
Pilzfäden ,  bei  den  höher  organisierten  aber  im  Innern  einer 
dichten,  mehr  oder  weniger  kugeligen  Fruchthülle  (wie  bei 
den  Bauchpilzen),  oder  auf  einer  besonderen  Fruchthaut  (hy- 
menium),  welche  die  Unterseite,  seltener  die  Oberseite  eines  hut- 
förmig  gestalteten  Fruchtlagers  überkleidet  (wie  bei  den  Hutpilzen). 
Man  teilt  die  Pilze  nach  ihrer  Form  ein  in: 

1.  Staubpilze  (Coniomycetes).  Ihre  Sporen  befallen 
lebende  Pflanzenteile,  durchziehen  sie  mit  ihrem  Flockengewebe 
und  reifen  in  Häufchen,  die  äusserlich  die  Pflanzen  wie  ein 
Schorf  bedecken,  oder,  unter  der  Oberhaut  befindlich,  schliesslich 
hervorbrechen. 

Hierhin  gehört  der  Flugbrand  oder  Russ,  als  schwärzlicher  Staub 
auf  den  Getreideähren;  der  Schmier br and,  als  schmierige,  dunkelfarbige 
Masse  im  Innern  des  "Weizenkornes;  der  Rost,  als  rötliche  Streifen  oder 
Häufchen  auf  Stengeln  und  Blättern  vieler  Gewächse. 

2.  Schimmelpilze  (Hyphomycetes).  Ein  lockeres  Pilz- 
gewebe, dessen  Zweig -Enden  perlschnurartige  Sporenreihen  ab- 
schnüren. Hierhin  der  bekannte  Brotschimmel,  sowie  der 
Kartoffelpilz  (Perenospora  infestans),  dessen  Fäden  die  Kar- 
toffeln durchziehen,  als  sog.  Kartoffelkrankheit  das  Kraut  befallend. 

3.  Kernpilze  (Pyrenomycetes).  Mikroskopische  Pilze,  die 
ihre  Sporen  in  wachsartigen  oder  schleimigen  Kernen  entwickeln. 
Hierhin  der  Meltau,  sowie  der  Pilz  des  Mutterkorns,  Cla- 
viceps*)  purp urea,  sogenannt  von  Tulasne,  der  seine  Ent- 
wicklung erforschte.  Die  Sporen  dieses  Pilzes  befallen  den 
Fruchtknoten  des  Roggens  und  bilden  denselben  zum  bekannten 
Mutterkorn,  Seeale  cornutum,  am;  dieses  hat  die  Bestimmung,  zu 
überwintern ;  es  entwickelt  im  Frühling ,  im  feuchten  Erdreich 
liegend,  den  eigentlichen  Pilz  als  kleine,  gestielte  Köpfchen, 
deren  Inneres  die  Sporen  birgt. 

4.  Bauchpilze  (G-astromycetes).  Das  lockere  Pilzgewebe 
wuchert  im  Erdreich  und  bildet  stellenweise  kopfartige,  dichte 
Gebilde  mit  mehr  oder  minder  harter  Hülle,  die  im  Innern  die 
Sporen  teils  in  Schläuchen  enthalten ,  teils  aus  Basidien  ent- 
wickeln, später  frei  bergen  und  beim  Öffnen  als  feinen  Staub 
verstreuen. 

Hierhin  gehören:  Elaphomyces**)  granulatus,  Hirschbrunst, 
als  Boletus  cervinus,  mancherorts  gebräuchlich,  um  die  Brunst  der  Tiere 
zu  erwecken;   der  Bovist,  die  wohlschmeckende  Trüffel  u.  a. 

5.  Die  Hutpilze  (Hymenomycetes).  Ihr  in  der  Erde  wu- 
cherndes Pilzlager  treibt  ein  kompaktes  Gebilde,  den  Hut,  der 
gewöhnlich    auf  der  Unterfläche,    seltener  auf  der  Oberseite  mit 

*)  Claviceps  =  Keulenkopf. 
**)  Abgeleitet  von     eXaepos  (Hirsch)  und  [xus«]?  (Pilz). 


—    451    — 

der  Fruchthaut  gebildet  aus  senkrecht  neben  einander  gestellten 
Sporenschläuchen  oder  Basidien,  überkleidet  ist. 

1.  Polyporus  fomentarius,  Zunder,  off.  Fungus  Chirurgorum.. 

Ein  auf  Bäumen,  zumal  in  Böhmen,  sitzender  ungestielter  Hutpilz, 
durch  seine  lederigzähe  Beschaffenheit  von  dem  sehr  ähnlichen,  aber  brüchigen 
P.  igniarius  unterschieden. 

2.  Polyporus    ofi'icinalis,  Lärchenschwamm,  off.  Fungus 

Laricis. 

Ein  auf  den  Lärchen  des  südöstlichen  Europa  wachsender,  ungestielter 
Löcherschwamm. 

Zu  den  Hutpilzen  zählt  a)  die  grosse  Gattung  Blatt  er  schwamm  (Aga- 
ricus),  deren  Hut  auf  der  Unterseite  strahlige  Lamellen  zeigt.  Zu  ihr 
gehören  mehrere  essbare  Pilze,  wie  der  Champignon  (Ag.  campester), 
Kaiserpilz  (Ag.  caesareus),  Reizker  (Ag.  deliciosus) ;  aber  auch  eine 
grössere  Anzahl  sehr  giftiger  Pilze:  Fliegenschwamm  (Ag.  muscarius), 
Speiteufel  (Ag.  emeticus),  Täubling  (Ag.  foetens)  u.  a.,  welche  durch 
grelle  Farben,  schmieriges  Anfühlen,  üblen  Geruch  oder  blaues  resp.  rotes 
Anlaufen  der  Schnittfläche  warnen. 

b)  Zum  Löcherschwamm  (Boletus),  dessen  Hut  auf  der  Unterseite 
feine  Löcher  (Poren)  zeigt,  zählen  ebenfalls  sowohl  giftige  Pilze  wie  z.  B.  der 
Santanspilz  (B.  satanas),  wie  essbare,  z.  B.  der  Steinpilz  (B.  edulis); 
demselben  reihen  sich  an:  der  Ziegenbart  (Ciavaria  flava),  der  Hirsch- 
schwamm (Hydnuni  imbricatum),  die  Morchel  (Morchella  esculenta) 
und  Faltenmorchel  (Helvella  esculenta). 


Die  Klasse  der  Gefässkryptogamen. 

Gefässe  führende  kryptogamische  Gewächse  mit  Wurzel,  Stamm  und  Blättern. 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

1.  Früchte  auf  der  Unterseite  der  Blätter     ....     Filices. 

2.  Früchte  in  Ähren. 

a)  Stengel  beblättert Lycopodiaceae. 

b)  Stengel  blattlos,  mit  Scheide  besetzt  ....     Equisetaceae. 

Die  Farnkräuter,  Filices. 

§414.     Familien-Charakter  der  Farne.  Die     Farnkräuter, 

Filices,  sind  kryptogamische  Gefässpflanzen,  die  sich  durch 
eigentümliche  Formen  vor  allen  übrigen  Gewächsen  auszeichnen. 
Sie  treiben  aus  einem  kriechenden  Wurzel  stock,  der  sich  bei 
tropischen  Farnen  oft  baumartig  erhebt,  gestielte  Blätter,  meist  mit 
Fiederteiiung  und  in  der  Jugend  schneckenförmig  eingerollt, 
welche  auf  ihrer  Unterfläche  die  Fruchthäufchen  (sori)  tragen. 
Wegen  dieser  Tereinigung  mit  dem  Fruchtstiel  nennt  man  die 
Blätter  der  Farnkräuter  Wedel  (frons). 

Wir  finden  bei  den  Farnkräutern  (wie  auch  bei  den  Moosen)  einen 
Wechsel  geschlechtlicher  und  ungeschlechtlicher  Fortpflanzung  —  sogen. 
Generationswechsel.      Die    erste    Generation    schliesst    mit    einer   ge- 

29* 


—    452     - 

schlechtlich  befruchteten  Keimzelle,  die  zweite  Generation  mit  einer 
ungeschlechtlich  entstandenen  Zelle,  der  Spore.  Letztere  keimt  nämlich 
zum  sog.  Vorkeim,  einem  blattartigen  Gebilde  mit  männlichen  und  weib- 
lichen Geschlechtswerkzeugen;  ersteres  sind  kugelige  oder  längliche,  warzen- 
förmige Erhebungen,  sogen.  Antheridien,  mit  zahlreichen,  sehr  kleinen, 
spiralig  gewundenen  und  bewimperten  Schwärmfäden.  (Jene  entsprechen 
den  Antheren,  diese  den  Pollenkörnern.)  Die  weiblichen  Organe,  Ar  che - 
gonien,  ähneln  einem  Pistill  und  bergen  im  Innern  die  Keimzelle.  Die 
Befruchtung  geschieht  durch  Eindringen  eines  Schwärmfadens  zu  dieser 
Keimzelle,  aus  der  sich  alsdann  das  Farnkraut  entwickelt.  Auf  demselben, 
also  auf  der  zweiten  Generation,  entstehen  ohne  Befruchtung  die  Sporen, 
eingeschlossen  in  besonderen  Behältern,  den  Sporangien,  welche  beider 
Reife  sich  öffnen  und  die  Sporen,  pollenartige  Zellen,  entleeren.  Solcher 
Sporangien  stehen  viele  in  Häufchen  (sori)  vereinigt,  gemeinlich  durch  rote 
Färbung  kenntlich  und  sehr  häufig  mit  einem  blassen  Häutchen,  dem 
Schleierchen  (indusium)  bedeckt.  Nach  Lage,  Gestalt  und  Bedeckung 
der  Fruchthäufchen  unterscheidet  man  die  Gattungen  der  Farnkräuter. 

Die  Farnkräuter  lieben  vorzugsweise  feuchte  und  schattige 
Plätze.  Sie  sind  in  wenig  zahlreichen  Arten  in  der  gemässigten 
Zone,  aber  um  so  zahlreicher  in  den  Tropenländern,  zumal  auf  den 
Inseln  der  heissen  Zone  vertreten,  finden  sich  auch  reichlich  in 
den  Ueberresten  der  vorweltlichen  Flora. 

1.  Polyp odium*)  vulgare,  Tüpfelfarn,  off.  Rhiz.  Polypodii. 
An  felsigen  Orten  häufig,  mit  einfach  gefiedertem  Wedel  und  rund- 
lichen Fruchthäufchen  ohne  Schleierchen.  Fig.  314. 

2.  Aspidium   (Polystichum**))   filix  mas, 
"Wurmfarn,  Schildfarn off.   Rhiz.   Füicis. 

Häufig  in  schattigen  Wäldern  und  kenntlich  am  doppelt  gefiederten 
Wedel  mit  nierenförmigen  Schleierchen  über  den  Fruchthäufchen.  Fig.  315. 

Dem  Wurmfarn  ähnlich  ist  der  weibliche  Streifenfarn  (Asple- 
nium  filix  femina),  aber  mit  dreifach  gefiedertem  Wedel  und  läng- 
lichen Fruchthäutchen.  —  Die  Mauerraute  (Asplenium  Ruta  muraria) 
findet  sich  häufig  an  Mauern.  —  Der  Adler farn  (Pteris  aquilina)  ist  das 
grösste  Farnkraut  Deutschlands;  seine  Gefässbündel  zeigen  auf  dem  Quer- 
schnitte eine  adlerartige  Zeichnung.  —  In  Südeuropa  wächst  das  Venus- 
haar (Adianthum  capillus  Veneris),  früher  off.  als  Herba  Capilli   Vener is. 

§  415.   Verwandte  Familien.  1.      Die     B  ärlappge  wachse , 

Lycopodiaceae,  sind  moosähnliche  Gewächse. 

Lycopodium  clavatum,  Bärlapp,     .     .     off.  Lycopodium. 
Ein  kriechendes  Kraut  auf  Gebirgsheiden ,  an  den  Zweigspitzen  mit 
je  zwei  Ähren,  in  deren  Fruchtbehältern  der  pollenähnliehe  Bärlappsamen, 
Lycopodium,  enthalten  ist.     Fig  313. 

2.  Die  Schafthalme,  Equisetaceae,  blattlose,  quirlästige 
Gewächse,  mit  Scheiden  und  an  der  Spitze  mit  einer  Ähre. 

Der  Acker-Schafthalm  (Equisetura  arvense),  auf  sandigen 
Ackern,  treibt  im  Frühling  einen  blassen,  einfachen  Schaft,  später  einen 
grünen,  quirlästigen,  unfruchtbaren  Stengel. 


*,  -r>  ■■        j-  -i  -    /  -„n\       j       '    rt?      \   f  Von  den  zahlreichen 

^Polypodiumvon^oXuS(viel)und7:ou;(Fuss).J  Wedelresten  und  Nar. 

)  Polystichum  von  ™lu?  und  «fco«  (Zeile).  |  bßn  deg  Wurzelstocks. 
Aspidium  von  aajuoiov  (kleiner  Schild),  wegen  der  Schleierchen. 


453     - 


Lichenes. 


Lycopodiaceac. 


Fig.  312. 
Cetraria  islandica.  Isländisches  Moos, 
a  Apothecie  im  Durchschn.,  vergr. 


Fig.  313. 

Lycopodium  clavatum.  Bärlapp. 

(Links  ein  Blatt,  rechts  ein  Deckblatt 

mit  Kapsel,  daneben  vergr.  Sporen.) 


Filices. 


Mg.  314. 
Polypodium  vulgare.  Tüpfelfarn. 


Mg.  315. 
Polystichum  Filix  mas.  Wurmfarn. 


(Links  die  Unterseite  eines  Wedelstückes).     (Links  die  Unterseite  eines  Wedelstückes 

rechts  ein  Fruchthäufchen  vergr.) 


454 


II.  Abteilung.    Phanerogamen. 

Gewächse  mit  Blüten  und  Samen. 

A.  Die  Klasse  der  Monokotyledonerc. 

Samen  mit  einem  einzelnen  Samenlappen;  beim  Keimen  entfalten  sich  die 
Blätter  tutenartig  (Spitzk  eimer).  Die  Gefässbündel  wachsen  nur  durch 
Verlängerung,  die  Blätter  sind  vorzugsweise  parallelnervig  und  die  Blüten 

dreigliederig. 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

A.  Blüten  nackt,  von  Spelzen  eingeschlossen. 

a)  Halm  stielrund,  hohl:  Blattscheidengespalten     Gramineae. 
h)  Halm    3  kantig ,    markig ;    Blattscheiden    ge- 
schlossen       Cyperaceae. 

B.  Blüten  einem  fleischigen  Kolben  aufsitzend. 

a)  Stamm  verkürzt;  Blüten  nackt Aroideae. 

b)  Palmstamm;  Blüten  mit  Kelch  und  Blume    .     Palmae. 

C.  Blüten  mit  blumigem  Perigon. 

a)  Perigon  regelmässig. 

1.  Perigon  unterständig;  6  Staubgefässe. 
a)  1  Stempel  mit  1  Griffel. 

aa)  Beerenfrucht Asparageae. 

bb)  Kapselfrucht Liliaceae. 

£s)  3  Stempel,  3  Griffel Colchicaceae. 

2.  Perigon  lippenförmig,  oberständig; 

3  Staubgefässe Irideae. 

b)  Perigon  lippenförmig,  oberständig;  1  Staubf. 

a)  Griffel  mit  dem  Staubfaden  verwachsen    .     Orchideae. 

ß)  Griffel  und  Staubfaden  frei Scitamineae, 

Marantaceae. 

Die  Grasgewächse. 

§  416.  Allgemeiner  Charakter  der  Grasgewächse.  Die  Graspflanzen 
sind  Kräuter  mit  einem  einfachen,  entfernt  knotigen  H a  1  m ,  von 
dessen  hervorragenden  Knoten  Blattscheiden  bis  zum  nächst 
höheren  heraufreichen  und  daselbst  in  ein  Blatt  auslaufen.  Die 
Wurzel  ist  stets  eine  Nebenwurzel,  bald  faserig,  bald  den  Knoten 
eines  kriechenden  Wurzelstockes  entstammend.  Im  ersteren  Falle 
bilden  die  Gräser  Rasen.  Die  Blüten  entbehren  des  Kelches 
und  der  Blume ;  sie  sind  eingeschlossen  von  zwei  trockenhäutigen 
Spelzen,  drei  männig  und  mit  1 — 2  Griffeln  oder  sitzenden 
Narben  versehen.  (Fig.  316.)  Solche  Blüten  stehen  einzeln  oder 
zu  mehreren  in  einem  Grasährchen  zusammen,  welches  am 
Grunde  von  zwei  leeren  Spelzen,  den  sog.  Hüllspelzen,  unter- 
stützt ist.   Die  Grasfrucht  ist  eine  Schal  fr  u  cht  (Caryopse)  d.  i. 


-     455     — 

eine  einsaniige  Frucht,  deren  Fruchtschale 
mit  der  Samenschale  verwächst.  Der  Same 
birgt  reichliches  Ei  weiss  und  einen  kleinen 
Keim  (am  Grunde  der  Frucht). 

Die  Grasgewächse  führen  im  Samen,  V 
oft  auch  im  Wurzelstocke,  viel  Stärkemehl, 
gehören  deswegen  zu  den  wichtigsten  Nahr- 
pflanzen;  die  Blätter  und  Halme  verdanken 
ihre  Härte  und  Schärfe  einem  Gehalt  an 
Kieselsäure.  Gewürze  fehlen  diesen  Pflanzen  Fig.  316. 

gänzlich,   nicht  aber  der   Zucker,   welcher  Grasblüte  b,  b'  Spelzen 
sich  im  Marke   des  Zuckerrohrs    sowie   im  b"  Granne. 

Wurzelstock  der  Quecke  findet. 

§  417.  Unterscheidung  der  Grasgewächse.  Man  teilt  die  gras- 
artigen Pflanzen  in  zwei  Familien  ein : 

1.  Die  echten  Gräser,  Gramineae.  Der  Halm  ist  hohl*) 
und  stielrund;  die  Blattscheiden  sind  der  Länge  nach  gespalten; 
der  Stempel  trägt  zwei  Narben.  Wir  finden  daher  die  Gräser 
in  der  Triandria  Digynia  nach  Linne. 

Die  Gräser  bilden  in  Europa  durch  ihr  geselliges  Auftreten  grosse 
Wiesenflächen,  während  sie  in  den  Tropenländern  vereinzelt  wachsen,  aber 
eine  bedeutendere  Höhe  erreichen. 

Triticum  (Agropyrum**))  repens, 

Quecke      .     .    * off.  Rliig.  Graminis. 

Ein  durch  seinen  weithin  kriechenden  Wurzelstock  sehr  lästiges  Un- 
kraut, vorn  Lolche  (Lolium)  durch  die  seitlich  zur  Spindel  gewendeten 
Ährchen  unterschieden,  welche  beim  Lolch  der  Spindel  den  Rücken  zu- 
kehren. Fig.  317. 

Man  teilt  die  Gräser  in  zwei  Gruppen  ein: 

a)  Ährengräser,  deren  Ährchen  in  eine  einzige  Ähre  gestellt  sind. 
Hierhin  die  Getreidearten:  der  Roggen  (Seeale  cereale),  der  Weizen 
(Triticum  vulgare),  die  Gerste  (Hordeurn  vulgare),  der  Spelt  (Triticum 
Spelta)  u.  A. 

b)  Rispengräser,  deren  Ährchen  eine  mehr  oder  weniger  ausge- 
breitete Rispe  bilden.  Hierhin  der  Hafer  (Avena  sativa),  der  Reis  (Oryza 
sativa),  die  Hirse  (Panicum  miliaceum),  der  Mais  oder  türkische  Weizen 
(Zea  Mais),  sowie  die  grosse  Zahl  unserer  Wiesengräser  z.  B.  das  zweimän- 
nige  Ruchgras  (Anthoxantum  odoratum),  welches  dem  Heu  den  Geruch 
erteilt;  das  Schilf  (Phragmites  communis)  und  das  Zuckerrohr  (Saccha- 
rum  ofneinarum) ,  welches  wegen  seines  zuckerreichen  Markes  in  den 
meisten  Tropenländern  angebaut  wird. 

2.  Die  Binsen  oder  Kiedgräser,  Cyperaceae.  Der  Halm 
ist  markig  und  meistens  dreikantig;  die  Blattscheiden  sind 
nicht  gespalten;    der  Stempel  trägt  1  Griffel,  der  oberwärts  in 

*)  Ausnahme  davon  macht  das  markige  Zuckerrohr. 
**)  Von  aypo?  (Acker,  Feld)  und  -upö;  (Weizen)  =  wilder  Weizen. 


—    456     — 

2  oder  3  Narben  sich  auflöst.     Daher  finden  wir  diese  Gewächse 
in 'der  Triandria  Monogynia  L. 

Die  Riedgräser  oder  Binsen  lieben  nassen,  sumpfigen  Boden  und 
gemessen  bei  den  Landwirten  als  sog.  Sauergräser  wegen  ibrer  Härte 
geringe  Wertschätzung. 

Carex  arenaria,  Sandsegge  ....     off.  Waiz.   Caricis. 

Dieses  Gras  trägt  durch  seinen  kriechenden  Wurzelstock  sehr  zur  Be- 
festigung der  Sanddünen  der  norddeutschen  Küste  bei.    Fig.  318. 

Hierhin  noch  die  Binse  (Scirpus),  sowie  die  in  Moorgegenden  häufige 
Wollbinse  (Eriophorurn). 

Die  kolbenbliitigen  Monokotyledonen. 

§  418.  Von  den  Arongewächsen.  Die  Familie  der  Aronge- 
wächse,  Aroideae,  umfasst  Sumpfpflanzen  mit  kriechendem 
oder  knolligem  Wurzelstock,  deren  Blüten  einem  fleischigen  Kolb  en 
mehr  oder  weniger  eingesenkt  sind.  Der  Kolben  ist  häufig  von  einer 
Blütenscheide  umgeben,  wie  beim  Aron.    Die  Frucht  ist  eine  Beere. 

Während  Europa  nur  wenige,  krautartige  Vertreter  dieser 
Familie  besitzt,  erreichen  die  tropischen  Formen  grössere  Höhe 
und  schöne  Ausbildung. '  Allen  ist  eine  flüchtige  Schärfe  eigen, 
die  durch  Rösten,  oft  schon  beim  Trocknen,  verschwindet,  wie  z.  B. 
bei  den  im  frischen  Zustande  giftig  scharfen,  nach  dem  Trocknen 
völlig  unschädlichen  Knollen  des  Arons. 

1.  Acorus  Calamus,  Kalmus*),    .     .     off.  Rhis.  Calami. 

Eine  aus  dem  Orient  stammende,  schillähnliche  Pflanze,  welche  an 
Teichen  und  Bächen  wuchert.  Der  Stengel  verlängert  sieb  über  den  finger- 
langen, nackten  Kolben  hinaus  in  ein  Blatt.     Fig.  319. 

2.  Ar  um  maculatum,  Aron    .     .     .     obsol.  Tubera  Ari. 

Ein  niedriges  Kraut  mit  sebarfgiftiger,  getrocknet  unschädlicher 
Knolle,  spiessförmigen ,  braungefleckten  Blättern  und  einem  bescheideten 
Kolben,  der  am  Grunde  weibliche  Blüten  (nackte  Stempel),  darüber  männ- 
liche Blüten  (nackte  Staubbeutel)  trägt.     Fig.  320. 

§  419.  Von  den  Palmen.  Die  Familie  der  Palmen,  Palmae, 
gewissermassen  die  baumartige  Form  der  Aroideen,  ist  ausschliess- 
lich auf  die  heissen  Länder  beschränkt  und  zeichnet  sich  durch 
den  unverzweigten  Bau  des  Stammes  aus ,  der  an  seiner  Spitze 
einen  Büschel  von  Blättern  und  Blütenscheiden  trägt.  Die  Blätter 
sind  teils  gefiedert,  teils  fächerförmig,  die  Blüten  stehen  auf  Kolben, 
mit  Kelch  und  Blume  umgeben,  die  Früchte  sind  beeren-  oder 
steinfruchtartig. 

*)  axopov  (der  Kalmus),  /.aXatxos  (Rohr)  wegen  der  Ähnlichkeit  mit 
dem  Schilf. 


457 


Gramineae. 


Cyperaceae. 


U-  *  I 


Fig.  317. 
Triticum  repens.   Quecke  Links  mit 
Einzelblüteu,  rechts  mit  einem  Ährchen. 


Fig.  318. 
Carex  arenaria.  Sandsegge. 
Rechts  mit  männl.  Blüte,  links  mit 
Ährchen,  weibl.  Blüte  und  Frucht. 


Aroideae. 


Fig.  319. 
Acorus  Calamus.  Kalmus. 


Fig  320. 
Arum  maculatum.  Aron. 


Nebst  einzelner  Blüte,  einer  staubgefäss-         Links  der  entblösste  Kolben,  darüber  der 
tragenden  Perigonschuppe  Fruchtstand;  rechts  die  Knolle,  Staubbeutel, 

und  Frucht  (links).  Stengel  und  eine  durchschnittene  Beere. 


—     458     — 

Die  Hauptbestandteile  der  Palmen  sind :  Stärkemehl  im  Marke 
der  Stämme  (Sago),  fettes  Öl  im  Samen  (Palmöl,  Kokosöl),  Zucker 
in  den  Blütenscheiden  und  Früchten  (Datteln)  u.  a.  m. 

1.  Cocos  nucifera,  Kokospalme,.     .     .     off.  Ol.  Cocos. 
Eine  vorzugsweise  an  den  tropischen  Küsten  wachsende  hohe  Palme, 

deren  Nuss  die  Kokosmilch  birgt,  und  deren  Samen  das  Kokosöl  liefern. 

2.  Calamus*)  Draco,  Drachenpalme,     off.  Sanguis  Draconis. 

Ein  stacheliger  Kletterstrauch  in  Ostindien,  deren  Früchte  das  Drachen- 
brut ausschwitzen. 

Erwähnung  verdienen  noch:  Die  Dattelpalme  (Phoenix  dactylifera) 
im  Orient;  die  Katechupalme  (Areca  Catechu)  in  Ostindien,  deren  Samen 
—  Arekanüsse  —  zum  Betelkauen  daselbst  benutzt  werden;  die  Sago- 
palme auf  den  Molukken,  aus  deren  Mark  man  den  Sago  gewinnt;  die 
Olpalme  in  Guinea  und  Brasilien,  deren  Same  das  Palmöl  liefert. 

Die  lilienartigen  Gewächse. 

§420.  Allgemeiner  Charakter  der  Gruppe.  Eine  grössere  Anzahl 
monokotyledonischer  Gewächse  zeichnet  sich  durch  ihre  schön- 
gefärbte,regelmässigeBlütenhülle  (Perigon)  aus,  wie  wir 
sie  bei  der  Lilie  und  Tulpe  wahrnehmen.  Diese  Familien  gruppieren 
sich  daher  ungezwungen  um  die  genannten  Zierpflanzen  und  wer- 
den im  allgemeinen  Lilien  genannt.  Ihre  Gewächse  besitzen 
gewöhnlich  einen  knolligen  oder  zwiebeligen  "Wurzelstock; 
die  Blätter  sitzen  mit  breiter  Scheide  wechselständig  am  Stengel 
oder  sind  auch  ausschliesslich  grundständig,  im  welchem  Falle  die 
Blüten  auf  einem  Schafte  sitzen.  Die  Blüten  sind  zwitterig, 
von  einem  regelmässigen,  sechs  gliederigen  Perigon  um- 
geben, mit  3  oder  6  Staubgefässen  (in  1  oder  2  Wirtein) 
versehen  und  besitzen  3  Karpellblätter,  welche  sich  bald  zu 
einem  einzigen  Stempel  verschmolzen  haben,  bald  3  Stempel  bilden. 
Die  Frucht  ist  im  ersten  Falle  dreifächerig,  im  letzteren  aus  3 
Balgkapseln  zusammengesetzt. 

Wegen  der  Schönheit  der  Blütenhüllen  finden  wir  in  dieser 
Gruppe  zahlreiche  bekannte  und  beliebte  Zierpflanzen. 

§  421.  Die  Giftlilien.  Die  Familie  der  Giftlilien,  Colckicaceae, 
zeichnet  sich  durch  ein  unterständiges,  sechsgliederiges,  blumiges 
Perigon  aus,  welches  6  Staubgefässe  und  3  mehr  oder 
weniger  getrennte  Stempel,  je  mit  einem  Griffel,  umschliesst. 
Man  findet  daher  diese  Gewächse  in  der  VI.  Linneschen  Klasse, 
3.  Ordnung  —  Hexandria  Trigynia.  Die  Frucht  besteht  aus 
drei  Kapseln,  die  häufig  am  Grunde  mit  einander  verbunden  sind,  bei 
der  Eeife  aber  zerfallen  und  dabei  an  der  inneren  Naht  aufspringen, 
wie  wir   dies   bei   den  Sabadillfrüchten  sehr  wohl  sehen  können. 

*)  Calamus  =  Rohr;  die  Stengel  von  C.  rudentum  liefern  das  sog. 
spanische  Rohr. 


—    459     — 

Zu  dieser  Familie  zählen  zahlreiche  Giftpflanzen;  ihre  Wur- 
zelstöcke sind  häufig  knollenartig-,  wie  bei  der  Zeitlose,  oder  zwie- 
belartig, wie  bei  der  Sabadille. 

1.  Colchicum*)  autumnale,  Herbst- 
zeitlose        off.  Semen  Colchici. 

Eine,  im  Herbst  die  rosigen  Blüten  direkt  aus  der  Knollzwiebel  (ob- 
solet :  Bulbus  Colchici)  entsendende  Wiesenpflanze,  welche  im  darauffolgenden 
Frühling  die  Kapselfrucht  auf  kurzem  Stiele  zwischen  breitlinealen  Blättern 
trägt.    Fig.  321. 

2.  Veratrum  album,  weisse  Nieswurz,  off.  Rhiz.  Veratri. 

Eine  Staude  auf  den  Alpenwiesen,  mit  weissen  Blüten  in  reich  ver- 
zweigter Rispe.     Fig.  322. 

3.  Sabadilla  officinalis,  Sabadille**),  off.  Fruct.  Sabadillae. 

Ein  Zwiebelgewächs  auf  den  Gebirgen  Mexikos. 

§  422.  Die  eigentlichen  Lilien.  Die  eigentlichen  Lilienge- 
wächse, Liliaceae,  sind  Zwiebelpflanzen  mit  6  Staubgefässen, 
1  Griffel  und  einer  Kapselfrucht.     (Hexandria  Monogynia.) 

1.  Scilla  (Urginea)  maritima,  Meer- 
zwiebel,   off.  Bulbus  Scillae. 

Ein  Zwiebelgewächs  am  Gestade  des  mittelländischen  Meeres. 

2.  Aloe  ferox,     A.  spicata) 


vulgaris,  A.  Lingua /  A1°^     '     •     öS.  ÄloB. 

Diese  Aloe -Arten  wachsen  im  Kaplande;  Sträucher  mit  fleischigen, 
stachel-gezähnten  Blättern,  deren  Saft  durch  Eindampfen  die  Aloe  liefert. 
Hierhin  gehören  ausserdem  zahlreiche  Zierpflanzen:  die  weisse  Lilie 
(Lilium  candidum),  Tulpe  (Tulipa  Gesneriana),  Kaiserkrone  (Fritillaria 
imperalis) ;  ferner  die  für  den  Küchengebrauch  wichtigen  Arten  der  Gat- 
tung Allium,  wie:  der  Knoblauch  (A.  sativum),  Schnittlauch  (A. 
Schoenoprasum),  Küchenlauch  (A.  Porrum),  die  Küchenzwiebel  oder 
Bolle  (A.  Cepa).  Von  dem  im  südlichen  Europa  wachsenden  Allermanns- 
harnisch  (Allium  Victoriaiis)  gebrauchte  man  früher  die  längliche  Zwiebel 
als  Bulbus  victorialis  longus. 

§  423.  Von  den  Spargelgewächsen.  Die  Spargelgewächse, 
Asparageae,  unterscheiden  sich  von  den  Lilien  durch  ihre  Beeren- 
frucht.    (Hexandria  Monogynia.) 

1.  Smilax  officinalis  u.  a.  Arten    off.  Radix  Sarsaparillae. 

2.  —       China off.  Rhu.  Chinae. 

Zur  Gattung  Smilax,  Stechwinde,  gehören  stachelige  Klettersträucher 
mit  knolligem  Wurzelstock  und  gestielten  Blättern.  Sie  kommen  in  zahl- 
reichen Arten  im  tropischen  Amerika  (Brasilien,  Columbia,  Centralamerika 
und  Mexiko)  vor  und  liefern  daselbst  die  verschiedenen  Sorten  der  Sar- 
saparillwurzel. —  Im  östlichen  Asien  wächst  Smilax  China. 


*)  Colchicum  von  der  kleinasiatiachen  Landschaft  Kolchis. 
**)  Sabadilla,  span.  Cebadilla  (kleines  Getreidekorn). 


-     460    — 

Von  den  einbeimischen  Asparageen  seien  erwähnt: 
Der  Spargel  (Asparagus    officinalis);   das  Maiglöckchen  (Conval- 
laria  majalis),   Fig.  323;   die  Einbeere  (Paris  quadrifolia)  mit  einer  ein- 
zelnen 8  männigen  Blüte  und  einer  giftigen  schwarzen  Beere,  Fig.  324. 

§  424.  Von  den  Schwertlilien.  Die  Schwertlilien,  Irideae, 
besitzen  ein  oberständiges  Perigon  und  nur  3  Staubgefässe. 
(Triandria  Monogynia.) 

1.  Iris  germanica,  I.  pallida,  I.  florentina, 
Schwertlilie, off.  Hhiz.  Iridis. 

Die  genannten  Arten  der  Schwertlilie  werden  in  Ober-Italien,  zumal 
bei  Florenz  und  Verona,  gebaut.  Iris  germanica  trägt  dunkelviolette, 
Iris  pallida  blassblaue,  Iris  florentina  weisse  Blüten.  —  Unsere  deutsche 
Iris  Pseud-Acorus  besitzt  dagegen  gelbe  Blüten.  Vgl.  Fig.  325. 

2.  Crocus  sativus,  Safran,    .....     off.  Crocus. 

Ein    Zwiebelgewächs    des    Orients,    in    Europa    der    Narben    (Crocus) 
wegen  gebaut,  z.  B.  in  der  französischen  Landschaft  Oatinais.  Fig.  326. 

Hierhin  gehört  auch  der  Schwertel  (Grladiolus  communis),  eine  be- 
kannte Zierpflanze  mit  roten  Blüten,  deren  Zwiebel  früher  als  Bulbus  Vic- 
torialis  rotundus  gebraucht  wurde. 

Die  Orchideen. 

§  425.  Charakter  der  Familie.  Die  Familie  der  Orchisge- 
wächse,  Orchideae,  ist  durch  die  auffallenden  Formen  ihrer  un- 
regelmässigen Blüten  ausgezeichnet.  Sie  findet  sich  über  die  ganze 
Erde  verbreitet,  in  den  Tropenländern  nicht  selten  als  Schmarotzer 
auf  Bäume  klimmend,  wie  die  Vanille. 

Es  sind  Kräuter,  oft  mit  zwei  gepaarten  Knollen  am  Grunde 
des  Stengels;  die  Blätter  bescheidet,  wechselständig,  die  Blüten 
meist  schön  gefärbt,  mit  einem  oberständigen  Perigon,  von 
dessen  6  Blättern  sich  das  vordere  nach  Art  einer  Lippe 
(labellum)  vorstreckt  und  häufig  nach  hinten  in  einen  Sporn  aus- 
läuft. Die  Staubgefässe  schlagen  bis  auf  einen  einzigen  (seltener 
bis  auf  zwei,  wie  bei  Cypripedium)  fehl;  dabei  verwächst  der 
Staubfaden  derartig  mit  dem  Griffel,  dass  der  Staubbeutel 
über  oder  hinter  die  Narbe  zu  stehen  kommt.  Die  beiden,  oft 
weit  getrennten  Staubbeutelfächer  enthalten  keine  freien  Pollen- 
körner, sondern  körnig  oder  wachsartig  verklebte  sog.  Pollen- 
massen (pollinaria) ,  die  nicht  selten  gestielt  sind  und  in  einer 
Drüse  entspringen.  —  Gynandria  Monandria    (und  Diandria). 

1.  Orchis  Morio*),  0.  militaris,        j 

—  mascula,  0.  ustulata,  >  off.  Tubera  Salep* 

—  (Anacamptis)  pyramidalis,  j 

*)  Orchis  von  opyt;  (Hode).     Morio  von  ;j.6pLov  (Geschlechtsteil). 


461 


Colchicaceae. 


Fig.  321.  Fig.  322. 

Colchicum  autumnale.  Herbstzeitlose.  Veratrum  album.  Weisse  Nieswurz, 

Eechts  der  Stempel,  links  die  Kapselfrucht.     Germer.  Oben  rechts  eine  einzelne 

Blüte,  links  eine  Kapselfrucht. 


Asparageae. 


H7^ — 


Fig.  323.  Fig.  324. 

Convallaria  majalis.  Maiglöckchen.  Paris  quadrifolia,  Einbeere. 

Links  eine  einzelne  Blüte,   sowie  dieselbe  (II  Wurzelstock,  IH  Stempel  mit  einem 
im  Längsschnitt.  Hechts  eine  Beere,  Blattwirtel  und  1  Blüte.) 

sowie  ein  Staubgefäss. 


—     462    — 

Die  artenreiche  Gattung  Orchis  zeichnet  sich  durch  ihre  gespornte 
3  gipfelige  Lippe  aus  und  trägt  am  Grunde  des  Stengels  gepaarte  Knollen, 
"welche  bei  obengenannten  Arten  kugelig,  bei  Orchis  maculata  und  0. 
latifolia  zweispaltig  (handförmig)  sind.  Fig.  327  und  328. 

Die  verschiedenen  Orchis-Arten  finden  sich  auf  Wiesen  und  grasigen 
Waldstellen  häufig. 

2.  Piatanthera  bifolia,  Breitkölbchen,  off.  Tub.  Salep. 

Bei  der  Gattung  Piatanthera*)  befinden  sich  die  beiden  Staub- 
beutelfächer von  einander  getrennt;  die  Lippe  ist  ungeteilt,  hinten  mit 
langem  und  dünnem  Sporn.     Auf  Waldwiesen  häufig. 

3.  Vanilla  planifolia,  Vanille,     .     .     off.  Fruct  Vanillae. 

Ein  Schmarotzerkraut  in  Mexiko,  welches  mit  seinen  Luftwurzeln  an 
den  Bäumen  emporklimmt. 

§  426.  Verwandte  Familien.  Den  Orchideen  schliessen  sich 
folgende  tropische  Familien  enge  an,  deren  Perigon  ebenfalls 
Lippen  form  zeigt,  und  deren  Staubgefässe  auch  bis  auf  1 
fehlgeschlagen  sind,  ohne  dass  aber  der  Staubfaden  mit  dem  Griffel 
verwachsen  ist.     (Monandria  Monogynia). 

I.  Die  Gewürzlilien,  Scitaniineae,  schilfähnliche  Gewächse 
mit  gewürzreichen,  knolligen  Wurzelstöcken,  wegen  deren  sie  in 
den  Tropenländern  vielfach  kultiviert  werden. 

1.  Alpinia  officinarum,  Galgant,  off.  Rhiz.  Galangae. 

2.  Curcuma  Zedoaria,  Zitwer,    .     off.  Ullis.  Zedoariae. 

3.  longa  u.  C.  viridiflora  off.  Rhiz.  Curcumae. 

4.  Zingiber  officinale,  Ingwer,,     off.  Rhiz.  Zingiberis. 

5.  Elettaria  Cardamomum,  Kar- 

damom off.   Fruct.  Cardamomi. 

Die  genannten  Gewächse  sind  alle  in  Ostindien  und  im  südlichen 
China  einheimisch,  teilweise  aber  durch  Kultur  auch  über  das  tropische 
Amerika  verbreitet,  wie  der  Ingwer. 

IL  Die  Blumenbinsen,   Marantaceae,   schilfähnliche  Ge- 
wächse ohne  Gewürz,  Vertreter  der  Gewürzlilien  in  der  neuen  Welt. 
Maranta  arundinacea**),  Pfeilwurz,  off.  Amylum,  Marantae. 

Einheimisch  im  heissen  Amerika,  durch  die  Kultur  auch  über  das 
tropische  Afrika  und  Asien  verbreitet,  liefert  aus  dem  kriechenden  Wurzel- 
stock  das  Arrowroot  {Amylum  Marantae). 


*)  Piatanthera  von  ^Xa-ni?  (breit)  und  anthera. 
**)  Arundinaceus  (schilfartig)  von  arundo  (Schilf). 


463 


Irideae. 


Fig.  325. 

Iris.  Schwertlilie. 

Längsschnitt  durch  die  Blüte. 

(a  Fruchtknoten.) 


Fig.  326. 
Crocus  sativus.  Safran. 
Kechts  die  Narben,  links  ein  Staubgefäs 


Orchideae. 


Fig.  327.  Fig.  328 

Orchis  Morio.  Knabenkraut.  Orchis  maculata. 

(Nebst  einzelner  Blüte).  Geflecktes  Knabenkraut  (Nebst  einzelner  Blüte.) 


—  464 


B.  Die  Klasse  der  Dikotyledonen. 

Samen  mit   2  gegenständigen   Samenlappen;   beim  Keimen  entfalten  sich 

die  Blätter  blattartig  (Blattkeim er).     Die   Gefässbündel  verlängern  und 

verdicken? sieb  alljährlich.  Die  Blätter  zeigen  eine  verzweigte  Nervatur;  die 

Blüten  sind  vorzugsweise  4-  oder  5  gliederig. 

1.  Ordnung.    Apetalen  (Monoehlainydeen). 

Blüten  nackt  oder  mit  einem  Perigon. 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

A.  Blüten  getrenntgeschlechtig,  ausnahmsweise  zwitterig. 
a)  Blüten  in  Kätzchen. 

a)  Fruchtkarpelle  flach,  Samen  nackt     .     .  Coniferae. 

ß)  Frucht  mit  Becherhülle Cupuliferae. 

y)  Steinfrucht Juglandeae. 

o)  Kapsel  mehrsamig Salicineae. 

b.  Blüten  in  Kolben Piperaceae. 

c.  Blüten  in  Ähren  oder  Rispen,  mit  Perigon. 

a)  Frucht  nussartig  oder  fälsche  Beere  .     .     Urticaceae. 

ß)  Frucht  2 — 3  knöpfig Euphorbiaceae. 

B.  Blüten  zwitterig,  ausnahmsweise  getrennt- 
geschlechtig. 

a.  Perigon  unterständig. 
a)  Frucht  nussartig. 

Blätter  mit  einer  Tute      ......  Polygoneae. 

Blätter  ohne  Tute Chenopodeae. 

ß)  Frucht  beerenartig. 

Staubbeutel  klappig  aufspringend  .     .     .  Laurineae. 

Staubbeutel  längsritzig Thymelaeae. 

b.  Perigon  oberständig. 

a)  Schmarotzersträucher  mit  Beeren   .     .     .     Loranthaceae. 
ß)  Kräuter  mit  Kapselfrucht Aristolochieae. 

Die  Nadelhölzer,  Coniferae. 

§  427.  Charakter  der  Nadelhölzer.  Die  Familie  der  Nadelholz  er, 
Coniferae,  umlässt  harzreiche  Sträucher  und  Bäume  mit 
immergrünen,  schuppigen  oder  nadeligen  Blättern.  Der  Stamm 
besitzt  ein  weiches  Holz,  aus  getüpfeltem  Prosenchym  gebildet, 
mit  nur  wenigen  Gefässen  (in  der  Markscheide).  Die  einge- 
schlechtigen Blüten  stehen  in  Kätzchen,  ohne  Perigon,  die 
männlichen  sind  aus  Staubgefässen ,  die  weiblichen  aus  flachen 
Karpellblättern  gebildet,  welche  sich  nicht  zu  einem  Frucht- 
knoten geschlossen  haben,  sondern  nackte  Samenknospen  an 
ihrem  inneren  Grunde  tragen.  Bei  der  Eeife  verholzen  die  Kar- 
pellblätter entweder  zu  einem  sog.  Zapfen  (conus),  wie  bei  der 
Kiefer  und  Fichte,  oder  werden  fleischig,  zu  einer  Scheinbeere 
(Beerenzapfen),    wie    beim    Wacholder  und   der  Eibe.     Der 


—    465     — 

Same  enthält  einen  Keim  mit  (bis  12)  quirlständigen  Samen- 
lappen (daher  auch  Polykotyledonen  genannt). 

Die  Nadelhölzer  finden  sich  über  die  ganze  Erde  verbreitet,  von 
den  Tropenländern  bis  zum  höchsten  Norden  und  zur  Schneegrenze 
im  Hochgebirge.  Charakteristisch  ist  das  reichliche  Vorkommen 
von  Balsam  und  Harz,  welche  ganze  Zellpartien  im  Baste  (Harz- 
gänge) füllen,  in  den  Nadeln  aber  in  eigenen  Drüsen  enthalten  sind. 

1.  Juniperus  communis,  Wacholder,  off.  Fruct.  Juniperi, 

2.  Juniperus  Sabina,  Sadebaum,  off.  Summitates Sabinae. 

Die  Gattung  Juniperus  charakterisiert  sich  durch  diöcische  Blüten 
und  Beerenfrucht.  Beim  Wacholder  (Fig.  329)  stehen  die  Nadeln  zu 
drei  quirlständig,  beim  Sadebaum  stehen  sie  vierzeilig,  anfangs  schuppig 
angedrückt,  später  sparrig  abstehend  und  stechend. 

Erwähnung  verdienen  der  ebenfalls  beerentragende  Eibenbaum  (Taxus 
baccata),  Fig.  330,  der  vielfach  in  Parkanlagen  gepflanzt  wird  und  aus 
dessen  Blättern  früher  Extr actum  Taxi  bereitet  wurde;  sowie  der  abend- 
ländische Lebensbaum  (Thuja  occidentalis) ,  ein  Zierstrauch  aus  Ka- 
nada, mit  horizontal  flachen  Zweigen  (bei  der  Thuja  orientalis  sind  sie 
vertikal  gerichtet),  aus  denen  man  Tinctura  Thujae  bereitet. 

3.  Pinus  silvestris,  Kiefer,     .     .     1  off.  Therebinthina. 

—  Taeda,  P.  australis,      .     /       Besina  Pini. 

—  Pinaster,  P.  Laricio,  .     j        Turiones  Pini. 


Coniferae. 


Fig.  329.  Fig.  330. 

Juniperus  communis,  Wacholder.  Taxus  baccata,  Eibe. 

Links  ein  weiblicher  Zweig  mit  ganzer  und  Links  ein  männlicher,  rechts  ein  weiblicher 
halbierter  Frucht.  Rechts  ein  männlicher  ^weig,  sowie  ein  männliches,  wie 

Zweig  nebst  einzelner  Blüte.  weibliches  Kätzchen. 


Schlickum,  Apothekerlehrling. 


30 


—     466     - 

Bei  der  Gattung  Pinus  finden  wir  zu  2  oder  5  gepaarte  Nadeln  und 
verholzende  Zapfenfrüchte.  P.  silvestris  (Fig.  331)  wächst  in  Deutschland, 
P.  Pinaster  (Seestrandskiefer)  im  südlichen  Frankreich,  P.  Laricio 
(Schwarzföhre)  in  Niederösterreich,  P.  Taeda  und  P.  australis  in  Nord- 
amerika. Sie  lassen  aus  der  verwundeten  Rinde  im  Sommer  Terpentin,  im 
Herbst  und  Winter  Fichtenharz  ausfliessen. 

Die  Gattung  Abi  es  unterscheidet  sich  durch  einzeln  stehende  Nadeln. 
Zu  ihr  gehören  die  Rottanne  oder  Fichte  (Abies  excelsa),  Fig.  333,  mit 
spitzen  Nadeln,  sowie  die  Edeltanne  oder  Weisstanne  (Abies  pecti- 
nata)  Fig.  334,  mit  kammförmig  gestellten  stumpfen  Nadeln. 

4.  Laris  decidua  (L.  europaea),  Lärche,  off.  Terebintinalaricina. 

Die  Lärche  kennzeichnet  sich  durch  ihre  büschelig  gestellten 
Nadeln;  sie  lässt  aus  dem  angebohrten  Holze  den  Lärchenterpentin  ausfliessen. 

5.  Dammaraalba.D.  orientalis,    \    „.    „    .       -r. 

r    rr  ■„   n„-t-u„    tt  „„i„    j-i        /  oft.  Besma  Dammar. 

6.  Hopeamicrantha,  H.  splendicla     / 

Fichtenähnliche  Bäume  auf  den  ostindischen  Inseln,  deren  geborstene 
Rinde  das  Dammarharz  ausfliessen  lässt. 

7.  Callitris  quadrivalvis off.  Sandaraca. 

Ein  Strauch  auf  dem  Atlasgebirge  im  nördlichen  Afrika,   der  aus 
Einschnitten  des  Stammes  das  Sandarakharz  ausfliessen  lässt. 

Die  Laubhölzer.  Amentaceae. 

§  428.  Allgemeiner  Charakter  der  Laubhölzer.  Unsere  Laub- 
hölzer, namentlich  die  Lieferanten  des  Nutz-  und  Brandholzes, 
zählen  zu  den  kätzchenblühenden  Apetalen.  Es  sind  Bäume, 
seltener  S  trau  eher,  mit  abwechselnd  gestellten  Blättern ,  deren 
Mittelnerv  starke,  wenig  verzweigte  Seitennerven  entsendet;  die 
Blüten  sind  eingeschlechtig,  bald  ein-,  bald  zweihäusig, 
und  stehen  in  Kätzchen  zusammen.  Der  Same  enthält  einen 
Eiweisskörper. 

Man  unterscheidet  die  hierhinzählenden  Familien  nach  der 
Fruchtform. 

§  420.  Von  den  Becherfrüchtlern.  Die  Familie  der  Becher- 
früchtler,  Cupuliferae,  charakterisiert  sich  durch  die  eigen- 
tümliche Fruchthülle,  die  sogen.  Becherhülle  (cupula), 
welche  die  Nussfrucht  bald  völlig  einschliesst  (wie  die  stachelige 
Hülle  der  Buche  und  Kastanie),  bald  nur  am  Grunde  becher- 
förmig umschliesst  (wie  bei  der  Eiche) ,  oder  sie  blattartig  ein- 
hüllt (wie  bei  der  Haselnuss  und  Hainbuche).  Die  Blüten  sind 
einhäusig,  die  männlichen  in  Kätzchen,  die  weiblichen  einzeln 
oder  gehäuft  (Haselnuss,  Eiche).  —  Monoecia  Polyandria. 

Grösstenteils  der  nördlichen  gemässigten  Zone  angehörend 
und  die  Waldbestände  Europas  und  Nordamerikas  bildend ,  ent- 
halten die  Becherfrüchtler  vorherrschend  Gerbstoffe,  wie  vor  allen 
die  Eiche;  in  den  Samen  der  Buche  und  Haselnuss  finden  wir 
auch  fettes  Öl. 


—     467     — 


Coniferac. 


Fig.  231. 
Pinus  silvestris.  Kiefer. 


Fig.  232. 
Larix  decidua.  Lärche. 


Links  ein  Nadelpaar,  männliches  Kätzchen     Blühender  und  fruchttragender  Zweig, 
und  Staubbeutel.  Bechts  eine  weibliche  nebst  Fruchtschuppen  mit  Samen. 

•     Blüte  und  Fruchtblatt  mit  Samen. 


Fig.  333 
Abies  excelsa.  Kottanne. 


Fig.  334. 
Abies  pectinata.   Weisstanne- 


Nebst  einem  Zapfen,  einer  Fruchtschuppe  Nebst  einem  Teile  des  Zapfens,  einer 

(oben  links)  und  einem  Samen  (rechts).  Fruchtschuppe  (links)  und  einem 

Samen  (rechts). 


30* 


—    468     — 

1.  Quere us  Robur,  Eiche,      ...     off.  Gortex  Quercus 

a)  peduneulata,  Stieleiche,.     .  G-landes  Quercus 

ß)  sessiliflora,  Steineiche, 

2.  Quercus  lusitanica 

y)  infectoria,  Galleiche,     .     .     .     off.  G-allae. 

Die  Gattung  Quercus  zeichnet  sich  aus  durch  die  napfförniige 
Becherhülle.  Die  beiden  obengenannten  Varietäten  von  Qu.  Robur,  auch 
als  besondere  Arten  aufgestellt,  wachsen  in  Deutschland  häufig.  Fig.  335.  — 
Auf  der  immergrünen  Galleiche  in  Kleinasien  entstehen  durch  den  Stich 
einer  Gallwespe  an  den  jungen  Trieben  die  Galläpfel.  —  Von  der  Kork- 
eiche (Quercus  Suber)  in  Spanien  wird  der  Kork  geschält. 

Zu  den  Becherfrüchtlern  zählen  noch:  die  Buche  (Fagus  sylvatica), 
die  essbare  Kastanie  (Castanea  vesca),  die  Hainbuche  (Carpinus 
Betulus)  und  Haselnuss  (Corylus  Avellana). 

Die  Birken  unterscheiden  sich  von  den  Becherfrüchilern  durch  den 
Mangel  der  Becherhülle.  Hierhin  die  Birke  (Betula  alba),  deren  glatte, 
weisse  Rinde  durch  trockene  Destillation  den  Birkenteer,  Oleum  Rusci,  liefert. 
Die  Erle  in  zwei  Arten:  Schwarzerle  (Alnus  glutinosa)  mit  kahlen 
Blättern,  Weisserle  (Alnus  incana),  mit  unterseits  graufilzigen  Blättern. 

§  430.  Von  den  Walnüssen.  Die  kleine  Familie  der  Wal- 
nüsse, Juglandeae ,  zeichnet  sich  durch  eine  Steinfrucht,  ge- 
fiederte Blätter  und  bitter  -  aromatische  Bestandteile  aus.  Die 
Blüten  sind  einhäusig ,  die  männlichen  in  Kätzchen ,  die  weib- 
lichen zu   wenigen  gehäuft.     Die  Samen  führen  fettes  ÖL 

Juglans  regia,  Walnuss,  ....  off.  Folia  Juglandis. 
Der  Walnussbaum  (Fig.  336)  ist  ein  mächtiger  Baum,  aus  dem 
Orient  stammend.  Man  benutzt  die  grüne  Fruchtschale  zu  Extractum 
nueum  Juglandae. 

§  431.  Von  den  Weiden.  Die  Familie  der  "Weiden,  Salici- 
neae,  ist  am  weitesten  in  die  kälteren  Regionen  hinein  verbreitet 
und  umfasst  zw  ei  häusige  Bäume  und  Sträucher,  bei  denen  so- 
wohl die  männlichen  wie  die  weiblichen  Blüten  in  Kätzchen  stehen ; 
die  Kapselfrucht  birgt  viele  beschopfte  Samen.  Diese  Gewächse 
sind  reich  an  herben,  gewürzigen  und  bitteren  Stoffen.  —  Dioecia. 

Zu  den  Weiden  gehören  zwei  Gattungen: 

1.  DieWeide, Salix,  mit  zweimännigen  Blüten  (Dioecia  Diandria  L ). 
Mehrere  Arten  liefern  die  jetzt  obsolete  Cortex  Salicis;  so:  die  Bruch  weide 
(S.  fragilis),  Fig.  337,  deren  Zweige  am  Grunde  leicht  abbrechen;  die 
Silberweide(S.  alba),  mit  lanzettlichen,  unterseits  silberweissen  Blättern; 
die  Lorbeerweide  (S.  pentandra)  mit  fünfmännigen  Blüten;  die  Pur- 
purweide (S.  purpurea),  mit  roten  Staubbeuteln  u.  a.  m. 

2.  Die  Pappel,  Populus,  mit  acht-  oder  zwölfmännigen  Blüten 
(Dioecia  Octandria  L.).  Die  Schwarzpappel  (P.  nigra),  Fig.  338,  mit 
dreieckig -eiförmigen  Blättern;  die  Zitterpappel  oder  Espe  (P.  tremula) 
mit  rundlichen  Blättern  an  schwanken  Stielen;  die  Silberpappel 
(P.  alba)  mit  unterseits  weissfilzigen  Blättern;  die  gemeine  Pappel  (P. 
pyramidalis)  an  Alleen  gepflanzt.  Ihre  Blattknospen  (Gemmae  populi) 
wurden  früher  zu   Unguentum  Populi  verwendet. 


—     469 


Cupuliferae. 


Juglandcat 


Eig.  335.  Fig.  336. 

Quercus  pedunculata.  Stieleiche.  Juglaiis  regia.  Walnuss. 

Ein  Blüten-  und  Fruchtzweig,  Links  zwei  Staubgefässe  und  eine  weibliche 

links  eine  männliche,  rechtsTeine  Blüte.     Bechts :  Teil  eines  männlichen 

weibliche  Blüte.  Kätzchens,  sowie  die  Steinfrucht  im  Längsschnitt. 


Salicineae. 


Fig.  337.  Fig.  338. 

Salix  fragilis.  Bruchweide.  Populus  nigra.  Schwarzpappel. 

Bechts  eine  männliche,  links  eine  weibliche  Links  eine  männliche,  rechts  eine 
Einzelblüte.  weibliche  Einzelblüte. 


-     470     - 

§  432.  Verwandte  Familien.  Den  Kätzchen  bäumen  schliessen 
sich  folgende  ausländische  Familien  an : 

1.  Die  ßalsamifluae,  Bäume  mit  balsamreicher  Rinde. 
Liquidambar  Orientale     ....     off.  Styrax  liquidus. 
Ein  platanenähnlicher  Baum  in  Kleinasien,    dessen    abgelöste  Kinde 

beim  Auskochen  den  Storax  liefert. 

2.  Die  Pfeffergewächse,  Piperaceae,  Klettersträucher 
heisser  Klimate,  mit  knotig  gegliedertem  Stengel;  den  Blättern 
gegenüber  hängen  kurzgestielte  Ähren  mit  fleischiger  Spindel 
herab;  ihre  Frucht  ist  eine  einsamige  Beere. 

Cubeba  officinalis  (Piper  Cubeba)      .     .     .     off.  Cubebae. 

Ein  Kletterstrauch  auf  Java,  dessen  Beeren  die  Kubeben  darstellen. 
Der  Pfeffer  (Piper  nigrurn),  auf  der  Malabarküste  einheimisch, 
wird  in  Ostindien,  wie  unser  Hopfen,  an  Stangen  gezogen;  die  getrocknete 
unreife  Beere  liefert  den  schwarzen,  der  reife  Same  den  weissen  Pfeffer. 
—  Yom  langen  Pfeffer  (Piper  longum)  gebrauchte  man  früher  die  langen, 
den  Birkenkätzchen  ähnlichen  Fruchtkolben. 


Die  Nessel  gewächse,  Urticaceae. 

§  433.  Von  den  Nesseln.  Die  Familie  der  Nesseln,  Urti- 
caceae, umfasst  Kräuter  und  Bäume  mit  rauhen  Blättern, 
hinfälligen  Nebenblättchen  und  kleinen,  meist  eingeschlechtigen 
Blüten,  welche  mit  einem  kelchartigen  Perigon  versehen  und 
in  Trauben,  Ähren  oder  Rispen,  nicht  aber  in  Kätzchen  gestellt 
sind.  Die  Früchte  stellen  Meine  Nüs sehen  dar,  wie  sie  Fructus 
Oannabis  im  grösserem  Massstabe  zeigt;  sie  sind  häufig  durch 
das  fleischig  gewordene  Perigon  oder  Blütenlager  in  eine  falsche 
Fleischfrucht  umgewandelt,  wie  bei  der  Maulbeere  und  Feige. 
(Monoecia  und  Dioecia  L.) 

Diese  Gewächse  zeichnen  sich  durch  lange,  biegsame  Bast- 
fasern aus  und  erlangen,  wie  der  Hanf,  die  Nessel  und  der 
japanische  Papiermaulbeerbaum ,  mehrfache  technische  Anwen- 
dung ;  andere  strotzen  von  Milchsaft,  der  bald  geniessbar  ist  (wie 
beim  Kuhbaum  auf  den  polynesischen  Inseln),  bald  giftig  (wie 
beim  Upasbaum  auf  Java),  auch  häufig  auf  Kautschuk  verwertet 
wird  (wie  bei  Ficus  elastica  in  Ostindien).  Durch  ihre  saftigen 
Früchte  bieten  der  Feigen-  und  Maulbeerbaum  im  Orient,  der 
Brotfruchtbaum  den  Südsee-Insulanern  Genuss  und  Nahrung. 

§  434.  Einteilung  der  Nesselgewächse.  Nach  der  Fruchtbildung 
unterscheidet  man  die  Nesselgewächse  in  mehrere  Gruppen,  welche 
von  anderen  als  besondere  Familien  betrachtet  werden : 


471 


Urticaceae. 


Eig  339  Fis-  34°- 

Humulus  Lupulus.  Hopfen.  Cannabis  satiya.  Hanf 

Nebst  einer  männlichen  und  weiblichen    Nebst  männlicher  und  weiblicher  Einzelblute. 
Einzelblüte  und  einer  Nuss  am  Grunde 
ihres  Deckblättchens. 


Eig.  341.  Fig.  342. 

Ulmus  campestris.  Ulme,  Küster.  Monis  nigra.  Schwarzer  Maulbeerbaum. 

Links  oben  Einzelblüte,  unten  Flügelfrucht.      Links  oben  männliche,  unten  weibliche 

Einzelblüte ;  rechts  Eruchtstand. 


—     472     — 

I.  Echte  Nesseln,  mit  trockner  Nussfrucht. 

1.  Humulus  Lupulus,  Hopfen,  off.  Glandulae  Lupuli. 

Eine  zweihäusige ,  rechtswindende  Kletterstaude,  deren  männliche 
Pflanze  eine  grosse  Blütenrispe  trägt;  man  kultiviert  die  weibliche  Pflanze 
zur  Gewinnung  der  Hopfenähre  (Strobidi  Lupuli),  deren  Blättchen  mit  dem 
Hopfenmehl  bestreut  sind.  Fig.  339. 

2.  Cannabis  sativa,  Hanf,      .  off.  Fructus  Cannabis. 

Herba  Cannabis  indicae. 

Ein  zweihäusiges  Kraut,  welches  seines  Bastes  wegen  kultiviert  wird. 
Die  in  Ostindien  wachsende  weibliche  Pflanze  schwitzt  an  den  Blüten- 
ähren ein  narkotisches  Harz  aus,  welches  dem  bei  uns  gebauten  Hanfe 
fehlt.     Fig.  340. 

Hierhin  gehören  noch  die  Brennessel,  Urtica  urens,  mit  rundlichen, 
Urtica  dioica  mit  herzförmigen  Blättern. 

II.  Ulmen,    Bäume  mit  zwitterigen  Blüten  und  geflügelter 
Frucht. 

Von  den  beiden  einheimischen  Arten  der  Ulme,  Ulmus  campestris 
und  U.  effusa,  benutzte  man  ehedem  den  Bast  (Cort.  TJlmi  inferior)  Fig.  341. 

III.  Maulbeergewächse  mit  Beere  oder  Fleischfrucht. 

Ficus  Carica,  Feige, off.  Caricae. 

Ein  Strauch  des  Orients,  dessen  fleischige  Fruchtkuchen  als  Feigen 
zu  uns  kommen. 

Der  schwarze  Maulbeerbaum  (Monis  nigra)  dient  mit  seinen 
schwarzroten  Beeren  zu  Syrupus  Mororum;  Fig.  342.  Der  weisseMaul- 
beerbaum  (Morus  alba)  wird  zur  Züchtung  der  Seidenraupe  gebaut. 


Die  Wolfsmilchgewächse,  Euphorbiaceae. 

§  435.  Von  den  "Wolfsmilchgewächsen.  Die  Wolfsmilchge- 
wächse,  Euphorbiaceae,  sind  in  ihrer  äusseren  Erscheinung 
sehr  wechselnd,  bald  krautartig,  oft  kaktusähnlich,  bald  Sträucher 
und  Bäume,  entweder  mit  Blume  und  Kelch,  oder  mit  Perigon, 
auch  nacktblütig,  stimmen  jedoch  darin  überein,  dass  ihre  Frucht 
in  mehrere  Knöpfe  zerfällt.  Ihre  Blüten  sind  ein- 
geschlechtig, mit  wechselnder  Zahl  der  nicht  selten  verwach- 
senen Staubgefässe.     (Monoecia  und  Dioecia  L.) 

Die  Euphorbiaceen  besitzen  meistens  reichlichen  Milchsaft, 
welcher  vielfach  Kautschuk  liefert,  wie  von  Siphonia  elastica 
in  Südamerika ;  bei  der  Gattung  Euphorbia  zeichnet  er  sich 
durch  grosse  Schärfe  aus.  Die  Samen  der  Euphorbiaceen 
sind  reich  an  fettem  Öl  (statt  des  Stärkemehls),  häufig  von 
drastisch  wirkenden  Stoffen  begleitet  —  so  das  Ricinus-  und 
Crotonöl. 


—    473     — 

1.  Ricinus  communis off.  Oleum  Eicini. 

Ein  mannshoher  Strauch.,  in  Ostindien  einheimisch,  im  heissen  Amerika 

und  in  Italien  kultiviert,  in  unseren  Gärten  nur  einjährig,  liefert  durch 
Auspressen  der  Samen  das  Ricinusöl. 

2.  Croton  Eluteria      .     .     .     .     off.  Gortex  Cascarillae. 
Ein  strauchartiges  Bäumchen  auf  den  westindischen  Inseln. 

3.  Croton  Tiglium  (Tiglium  officinale)  off.  Oleum  Crotonis. 
Ein  Bäumchen  in  Ostindien,  aus  dessen  Samen  Crotonöl  gepresst  wird. 

4.  Mallotus  Philippensis    (Rottlera 

tinctoria) .     off.  Kamala. 

Ein  Baum  in  Ostindien,  dessen  Früchte  kleine  rote  Drüsen  tragen, 
welche  man  abbürstet  und  als  Kamala  zum  Färben  der  Seide,  sowie  als 
Bandwurmmittel  verwendet. 

5.  Euphorbia  resinifera     ....     off.  Euphorbium. 
Die  Gattung  Wolfsmilch,  Euphorbia,  ausgezeichnet  durch  einen 

scharfen,  weissen  Milchsaft,  besitzt  scheinbar  zwitterige  Blüten,  worin  eine 
nackte  weibliche  Blüte,  von  zahlreichen  Staubgefässen  (nackten  einmän- 
nigen  Blüten)  umgeben,  in  einer  glockigen  Hülle  steht.  (Monoecia  Mo- 
nandria,  nachLinne:  Dodekandria  Trigynia.)  Die  marokkanische  E.  resi- 
nifera ähnelt  einem  Kaktus  und  lässt  aus  der  verwundeten  Rinde  den 
scharfen  Milchsaft  ausfüessen,  welcher  an  den  Stacheln  der  Pflanze  ein- 
getrocknet das  Euphorbium  darstellt.  —  Von  den  einheimischen  Euphorbia- 
Arten  seien  erwähnt:  Euphorbia  Cyparissias  und  E.  Esula. 

Die  deutsche  Flora  besitzt  ausserdem  den  Bus  bäum  (Buxus  semper- 
virens)  und  das  Bingelkraut  (MercuriaUs). 

Erwähnung  verdienen  noch:  der  Gummilackbaum  (Aleurites  lacci- 
fera  Willd.)  auf  den  Molukken,  dessen  Zweige  infolge  des  Schildes  der  Lack- 
schildlaus den  Gummilack  absondern,  aus  welchem  man  den  Schellack  aus- 
schmilzt; der  Kautschukbaum  (Siphonia  elastica)  in  Südamerika,  dessen 
Saft  Kautschuk  liefert;  der  Cassavestrauch  (Jatropha  Manihot)  eben- 
daselbst, aus  dessen  Wurzel  ein  Stärkemehl,  die  Tapiocca  gewonnen  wird. 

Die  knöterigartigen  Gewächse,  Polygoneae. 

§436.  Die  Knöteriche.  Die  Familie  der  Knöteriche,  Poly- 
goneae,  umfasst  Krautgewächse,  über  deren  Blätter  eine  Scheide, 
als  sog.  Tute  (ochrea),  sich  um  den  Stengel 
emporzieht.  (Fig.  343.)  Die  zwitterigen 
Blüten  sind  bei  Polygonum  mit  einem  blumigen, 
bei  Rumex  mit  einem  kelchartigen  Perigon  versehen, 
welches  auch  die  nussartige  Frucht  bedeckt. 
Same  eiweisshaltig ,  oft  stärkemehlreich  (wie  beim 
Buchweizen].  Die  Zahl  der  Staubgefässe  schwankt 
(bei  Polygonum  5 — 8,  bei  Rumex  6,  bei  Rheum  9). 
Bemerkenswert  ist  das  Vorkommen  oxalsaurer  Salze;  Fl§-  343- 
so  des  doppeltoxalsauren  Kalis  (Kleesalz)  im  Sauerampfer,  des 
Oxalsäuren  Kalkes  im  Rhabarber. 


—     474     — 

Rheum  officinale off.  Bad.  Rhei. 

Die  Gattung  Rheum  gehört  zur  IX.  Linneschen  Klasse  und  ist  in 
Asien  durch  viele  Arten  vertreten.  Jetzt  leitet  man  die  echte  Rhabarber- 
wurzel ab  von  Rh.  officinale  in  Tibet  und  der  hohen  Tatarei  sowie  auch 
von  Rheum  palmatum  Var.  Tanguticum  in  Hochchina.*)  —  Rheum  Rha- 
ponticum,  in  Kleinasien,  lieferte  früher  Bad.  Bhapontici.  Die  Rheum- 
Arterj  findet  man  nicht  selten  bei  uns  in  Gärten;  es  sind  mannshohe  Kräuter 
mit  grossen  Blättern  und  weissen,  rispigen  Blüten. 

Von  den  einheimischen  Polygoneen  verdienen  Erwähnung:  Der  Buch- 
weizen (Polygonum  Fagopyrum);  die  Natterwurz  (Polygonum  Bi- 
storta),  Fig.  345,  deren  Wurzel  ehedem  als  Bad.  Bistortae  off.  war;  der 
Sauerampfer  (Rumex  Acetosa  L.),  ein  bekanntes  Küchenkraut.  Die 
früher  gebräuchliche  Bad.  Lapathi  acuti  entnahm  man  dem  stumpf- 
blättrigen  Ampfer  (Rumex  obtusifolius),  Fig.  346. 

§  437.  Verwandte  Familie.  Hier  schliessen  sich  die  Gänse- 
fu ss ge wachse,  CJlienopodeae,  an,  Kräuter  mit  grünen,  unan- 
sehnlichen Blüten  in  knäuelichen  Ähren. 

Manche  derselben  sind  als  gemeine  Unkräuter  bekannt,  wie  der  weisse 
Gänsefuss  (Chenopo  dium**)  album) ,  andere  dagegen  geschätzte 
Küchengewächse,  wie  die  Garten-Melde  (Atriplex  hortensis),  der  Spinat 
(Spinacia  oleracea),  sowie  der  teils  als  Gemüse,  teils  als  Futter  oder  zur 
Zuckergewinnung  (Runkelrübe)  gebaute  Mangold  (Beta  vulgaris). 

Chenopodium  ambrosioides  ist  ein  wohlriechendes  Kraut 
Mexikos  und  als  Jesuitenthee  (Herba  Chenopodii  ambrcsioidis)  gebräuchlich. 

Die  Lorbeergewächse,  Laurineae. 

§  438.  Von  den  Lorbeergewächsen.  Die  Familie  des  Lorbeers, 
Laurineae,  gehört  ausschliesslich  wärmeren  Klimaten  an  und  um- 
fasst  gewürzreiche  Sträucher  und  Bäume  mit  immergrünen 
Lederblättern.  Die  zwittrigen  Blüten  sind  neun- 
oder  zwölfmännig  mit  gelblichem  oder  weissem 
Perigon;  ihre  Staubbeutel  springen  in  Klappen 
auf  (Fig.  344).  Die  Frucht  ist  eine  Beere  oder 
Steinfrucht. 

Die  gewürzigen  Produkte  der  Laurineen 
machten  seit  den  ältesten  Zeiten  einen  grossen 
Teil  des  überseeischen  Handels  aus.  Es  findet  sich 
ätherisches  Öl  im  Holze,  in  den  Blättern,  Blüten 
und  Samen,  welche  letztere  zugleich  fettes  Öl 
Fio-"  344        führen  (z.  B.  beim  Lorbeer). 


*)  Diese  Art  Rheum  wurde  bereits  im  13.  Jahrhundert  von  dem  be- 
rühmten Venetian  er  Marco  Polo  entdeckt,  dann  1873  durch  Przewalski 
wieder  aufgefunden.  —  Von  Rheum  officinale  kamen  zuerst  1867  frische 
Wurzeln  nach  Paris. 

**)  Chenopodium  von  yfy  (Gans)  und  7:00c  (Fuss). 


—    475     — 


Polygon  eae. 


"Fig.  345. 
Polygonum  Bistorta.  Natterwurz. 
Nebst  einer  einzelnen  Blüte, 
und  einem  Stempel. 


Fig.  346. 

Bumex  obtusifolius. 

Stumpfblätteriger  Ampfer.  Links  oben  eine 

einzelne  Blüte,  rechts  unten  eine  Frucht. 


Thymelaeae. 


Lorantaceae. 


Fig.  347.  Fig.  348. 

Daphne  Mezereum.  Seidelbast.  Viscum  album.  Mistel. 

Rechts  eine  einzelne  Blüte;  links  dieselbe  Rechts  eine  männliche  Blüte,  darüber 

im  Längsschnitt,  darüber  Stempel  und  ein  Staubbeutel;  links  eine  weibliche  Blüte, 
längsdurchschnittne  Beere.  sowie  eine  Beere. 


476     — 


1.  Laurus  nobilis,  Lorbeerbaum,     .     off.  Fructus,  Oleum, 

Folia  Lauri. 

Ein  strauchartiger  Baum,  einheimisch  im  Orient  und  durch  Kultur 
im  ganzen  südlichen  Europa  verbreitet. 

2.  Cinnamomum  Cassia  (Laurus  Cassia), 

der  Zimtbaum,  ...     off.   Gortex  und  Oleum  Cinnamomi. 

Ein  Baum,  wild  und  kultiviert  im  südlichen  China  und  Hinterindien; 
liefert  den  chinesischen  Zimt  (Zimtkassie).  Von  Cinnamomum  Zey- 
1  an  i  c  u  m  (Laurus  Cinnamomum),  aufZeylon  in  Plantagen  kultiviert,  kommt 
der  Bast  als  Ceylonzimt  (Cort.  Cinnamomi  zeylanici)  zu  uns. 

3.  Camphora  officinarum  (Laurus  Camphora), 

der  Kampferbaum, off.  Camphora. 

Ein  hoher  Baum,  der  an  der  Küste  Chinas  und  Japans  dichte  Wal- 
dungen bildet,  birgt  im  Holze  und  in  den  Blättern  den  Kampfer  krystalli- 
nisch  abgelagert;  man  scheidet  ihn  im  Mutterlande  durch  Sublimation  ab. 

4.  Sassafras   officinale  (Laurus  Sassafras.) 

off.  Lianum  Sassafras. 
Ein  gewürzreicher  Baum  in  den  vereinigten  Staaten  Nordamerikas. 

§  439.    Verwandte  Familien.     I.  die  Seidelbastgewächse, 

Thymelaeae,  Bäume  und  Sträucher  mit  gefärbten  Perigonblüten. 

Daphne  Mezereum,  Seidelbast,     .     .     off.  Cort.  Mezerei. 

Dieser  Strauch,  Fig.  347,  ziert  schon  im  März  und  April  unsere  Berg- 
wälder durch  seine  wohlriechenden,  roten  Blüten,  die  vor  den  Blättern  an 

den  Zweigspitzen   erscheinen;  Beeren  rot  und 
scharfgiftig. 

II.  Die  Muskatnüsse,  Myristica- 
ceae,  tropische  Bäume,  deren  Same  von 
einem  fleischigen  Samenmantel  umhüllt  ist. 

Myristica  fragran  s,  Muskatnuss- 

baum, off.  Macis, 

Nuces  moschatae,  Oleum  Nucistae. 

Ein  hoher  Baum  auf  den  Molukken,  dessen 
gelbe  Beeren  den  Samen  —  die  Muskatnüsse 
—  in  einem  roten  Samenmantel  (Macis)  bergen. 

III.  Die  Mistel ge wachs e,  Loran- 
thaceae,  Schmarotzersträucher  unserer 
Obst-  und  Waldbäume,  mit  Beeren. 

Die  Mistel  (Viscum  album),  Fig.  348,  ein 
gabelästiges,  zweihäusiges  Gewächs  mit  weissen 
Beeren,  welche  Vogelleim  liefern,   früher  ge- 
bräuchlich  als    Viscum  album. 
Fig.  349.  Asarum  europaeum.  XY.    j)[e    Osterluzeigewächse, 

Rechts  die  ?iüStfr^;gS8chnttt;Aristolochiaceae,  kraut-  und   strauch- 
links  der  Stempel ;  ein  staubgefass  artige    Gewächse   mit  kriechendem   oder 
und  diKlpBe?Ä!hnittene     knolligem  Wurzelstock,   dessen  Bestand- 


—     477     — 

teile  meist  bitter,  scharf  oder  kampferartig  (Asantkampfer  in  der 
Haselwurz!);  die  Blüten  sind  gefärbt,  bei  Aristolochia  zungen- 
förmig,  mit  6  oder  12  Staubgefässen. 

1.  Asarum  europaeum,  Haselwurz,    .     off.  BMz.  Asari. 

Ein  niedriges  Kraut  mit  nierenförmigen  Wurzelblättern  und  einzelner, 
rotbrauner  Blüte.     Fig.  349. 

2.  Aristolochia  Serpentaria, 

virginische  Schlangenwurz     .     .     off.    Bad.    Serpentariae. 

Ein   Kraut   in   den  Wäldern  Virginiens ,    woselbst   die  Wurzel  gegen 
den  Biss  giftiger  Schlangen  dient. 


2.  Ordnung-.    Monopetalen. 

Blüten  mit  Kelch  und  einblättriger  Blume. 

a)  Monopetalen  mit  unte  rständiger  Blume. 
(Corollifloren.) 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

I.  Staubgefässe  in  nicht  grösserer  Zahl  als  Blumenzipfel. 

A.  Staubgelässe  gleichlang;  Blume  regelmässig. 

a)  Staubgefässe  5,  Blume  5  zipfelig. 

a)  Fruchtknoten  4 teilig Boragineae. 

ß)  Fruchtknoten  ungeteilt. 

1.  Frucht  2  fächerig,  vielsamig  .     .     Solaneae. 

—  armsamig      .     Convolvulaceae. 

2.  Frucht  1  fächerig,  Samen  central     Primulaceae. 

—       —      Samen  wandständig      Gentianeae. 
y)  Fruchtknoten  2,   mit  gemeinsamer 

Narbe Asclepiadeae. 

b)  Staubgefässe  4,  Blume  4  zipfelig. 

a)  Kapselfrucht ;  Blume  trockenhäutig     Plantagineae. 
ß)  Beerenfrucht Aquifoli  aceae. 

c)  Staubgefässe  2.  Blume  4 zipfelig    .     .     Oleaceae. 

B.  Staubgefässe     2  mächtig,     Blume    meist 
unregelmässig. 

a)  Fruchtknoten  4  teilig Labiatae. 

b)  Fruchtknoten  ungeteilt. 

a)  Frucht  eine  mehrsamige  Kapsel     .  Scrophularineae. 
ß)  Frucht  in  4  Nüsse  zerfallend     .     .  Verbenaceae. 
IL  Staubgefässe  in  doppelter  Zahl  als  Blumen- 
zipfel    -     .     .     .  Ericaceae. 

Die  Nachtschattengewächse,  Solaneae. 

§  440.  Charakter  der  Nachtschattengewächse.  Die  Familie  der 
Nachtschattengewächse,  Solaneae,  umfasst  Pflanzen  mit 
regelmässigen,  fiinfgliederigen  Blüten  und  abwechselnd  ge- 
stellten Blättern.  Die  fünflappige  oder  fünfteilige  Blume  welkt 
nach  dem  Verblühen  schnell  ab;  sie  trägt  5  Staubgefässe  und 


—     478     — 

birgt  einen  zweifächerigen  Stempel  mit  1  Griffel.  Da- 
her finden  wir  diese  Familie  in  der  Pentandria  Monogynia 
nach  Linne.  Die  Frucht  ist  bald  eine  zwei-  bis  vierfächerige 
Kapsel,  wie  beim  Stechapfel,  Tabak  und  Bilsenkraut,  bald  eine 
Beere,  wie  beim  Nachtschatten  und  der  Tollkirsche;  sie  enthält 
zahlreiche,  etwas  platte  Samen. 

Die  Solaneen  zeichnen  sich  durch  mancherlei  giftige  Alka- 
loi'de  aus  (Atropin  in  der  Tollkirsche,  Daturin  im  Stechapfel, 
Nikotin  im  Tabak,  Solanin  im  Nachtschatten  und  den  Keimen 
der  Kartoffel  u.  a.  m.) ,  stellen  daher  dem  Arzneischatze  ein 
grosses  Kontingent  von  Griffen.  Bei  uns  ist  die  Familie  durch 
einige  Gattungen  vertreten,  zu  denen  nur  Kräuter  zählen;  die  . 
meiste  Verbreitung  findet  sie  in  Südamerika,  in  der  Heimat  der 
Kartoffelpflanze  und  des  Tabaks. 

§  442.  Einteilung  der  Familie.  Je  nach  der  Fruchtform  zer- 
fallen die  Solaneen  in  Kapseltragende  und  Beer  entragende. 

a)  Mit  Beeren: 

1.  Solanum  Dulcamara,  Bittersüss- 

Nachtschatten off.    Stipitcs  Dulcamarae. 

Die  Gattung  Solanum  trägt  flache  Blüten  mit  kegelig  zusammen- 
neigenden und  vorstehenden  Staubgefässen :  S.  Dulcamara,  Fig.  351,  ist 
ein  windender  Halbstrauch  mit  blauen  Blüten  und  roten  Beeren,  dessen 
untere  Stengelteile  verholzen  und  medizinische  Anwendung  finden.  —  S, 
nigrum  ist  ein  allenthalben  verbreitetes  Unkraut  mit  weissen  Blüten  und 
schwarzen  Beeren.  —  S.  tuberosum  ist  die  Kartoffelpflanze. 

2.  Atropa*)  Belladonna,  Tollkirsche, 

off.  Folia,  Bad.  Belladovnae. 

Ein  perennierendes  Kraut  in  Waldschlägen,  mit  braunroten,  glockigen 
Blumen  und  schwarzen,  glänzenden  Beeren.     Fig.  350. 

b)  Mit  Kapselfrucht: 

3.  Nicotiana**)  Tabacum,  Tabak, 

off.  Folia  Nicotianae. 
Im  heissen  Amerika  einheimisch,  auch  in  Deutschland  (in  der  Rhein- 
pfalz) gebaut. 

4.  Hyoscyanius ***}  n i g e r ,  Bilsenkraut, 

off.  Herba,  Sew.  Hyoscyami. 
Ein  zweijähriges,  klebrig-zottiges  Kraut  auf  Kirchhöfen  u.  a.,  mit  gelben, 
dunkelgeaderten  Blumen  und  bedeckelter  Kapselfrucht.     Fig.  352. 


*)  Atropa  nach  der  Parze  Atropos,  die  den  Lebensfaden  abschneidet. 
**)  Nicotiana  nach  J.  Nicot,  der  1560  die  Tabakssamen  nach  Frank- 
reich brachte  und  zuerst  das  Rauchen  empfahl. 

***)  Hyoscyamus  von  Sc  (Schwein)  und  xuap.oc  (Bohne). 


—    479     - 


Solaneae. 


Fig.  350.  Fig.  351. 

Atropa  Belladonna.  Tollkirsche.  Solanum  Dulcaniara.  Bittersüss-Nachtschatten. 

Kechts  mit  einer  aufgespaltenen  Blume;    Hechts  mit  der  Beere;  links  mit  dem  Stempel 
links  mit  dem  Stempel  sowie  der  Beere,  und  einem  Staubbeutel, 

letztere  auch  im  Querschnitt. 


Fig    352. 

Hyoscyamus  niger.  Bilsenkraut. 

Nebst  Staubgefässen  und  Kapsel 

(im  durchschnittenen  Kelche). 


Fig.  353. 
Datura  Stramonium.  Stechapfel. 
Nebst  Stengel,  aufgesprungener  und 
querdurchschnittener  Kapsel. 


_     480     — 

5.  Datura  Stramonium,  Stech- 
apfel     off.  Folia  Stramonii. 

Ein  einjähriges  Kraut  auf  unbebauten  Plätzen  in  der  Nähe  mensch- 
licher Wohnungen,  ausgezeichnet  durch  seine  langtrichterige  weisse  Blume 
und  stachelige  Kapsel.     Fig.  353. 

6.  Capsicum  annuum  \Beissbeere  oft  fruct.  Capsici. 

7.  „  longum    J  {Piper  hispamcum). 

In  Westindien  und  Südamerika  einheimische  und  daselbst,  wie  auch 
in  vielen  anderen  Tropenländern  gebaute  Kräuter. 

Den  Nachtschattengewächsen  schliessen  sich  enge  an: 

§  443.  Die  Boretschgewächse.  Die  Familie  der  Boretschge- 
wächse, Boragineae,  umfasst  rauhhaarige  Kräuter  mit 
fünfmännigen  Blüten,  welche  sich  von  denen  der  Nachtschatten 
nur  durch  die  Yierteilung  des  Fruchtknotens  unter- 
scheiden.    (Pentandria  Monogynia  L.) 

Diese,  in  der  gemässigten  Zone  sehr  verbreitete  Familie 
entbehrt  jeglicher  aromatischen  Bestandteile;  ihre  Glieder  lassen 
sich  leicht  erkennen  an  den  schneckenförmig  eingerollten  Blüten- 
trauben (sog.  Wickel)  und  den  Deckklappen  im  Schlünde  der 
Blume,  welche  nur  selten  fehlen  (bei  Echium). 

Boragineae. 


Fig.  354. 
Borago  officinalis.  Boretsch. 

liinks  unten  die  Staubgefässe  nebst 
den  Deckklappen. 


Fig.  355. 
Pulmonaria  officinalis.  Lungenkraut. 

Links   eine   aufgespaltene  Blume,   rechts  der 
vierteilige  Fruohtknoten  mit  dem  Griffel. 


—    481    — 

Alkanna  tinctoria off.  Rad.  AMcannae. 

Ein  Kraut  in  Kleinasien,  dessen  Wurzel  zum  Rotfärben  der  Fette  dient. 

Von  den  einheimischen  Gewächsen  verdienen  Erwähnung:  der  blau- 
blühende  Boretsch  (Borago  officinalis),  Fig.  354,  in  Gärten  gezogen.  — 
—  Das  Lungenkraut  (Pulmonaria  officinalis),  Fig.  355,  mit  anfangs  roten, 
dann  blau  werdenden,  trichterigen  Blumen,  ein  Frühlingskraut  unserer  Wälder, 
früher  gebräuchlich  (flerba  Pulmonariae).  —  Beinwell  (Symphytum  offici- 
nale),  an  Ufern,  mit  glockig- walzenförmigen,  weissen  oder  rötlichen  Blumen, 
früher  gebräuchlich  (Radix  Consolidae).  —  Hundszunge  (Cynoglossum 
officinale),  mit  braunroten  Blüten  und  stacheligen  Früchtchen,  früher  ge- 
bräuchlich (Rad.  Cynoglossi).  —  Der  blaublühende  Natterkopf  (Echium 
vulgare)  und  das  artenreiche  Vergissmeinnicht  (Myosotis). 

§  444.  Die  Winden.  Die  Familie  der  Winden,  Convol- 
vulaceae,  schliesst  sich  den  Nachtschattengewächsen  nahe  an; 
sie  nmfasst  windende  Kräuter  mit  trichterigen  Blumen. 

1.  Convolvulus  Scammonia     .     off.  Radix  Scammoniae. 

Eine  niedrige  Winde  in  Kleinasien  und  Syrien,  aus  deren  dickwalzen- 
förmiger Wurzel  schon  in  alter  Zeit  ein  drastisches  Harz  (Scammotiium)  ge- 
wonnen wurde. 

2.  Ipomoea*)  Purga  (Convolvulus  Purga) 

off.  Tubera  Jalapae. 
Eine  Winde  auf  den  mexikanischen  Gebirgen. 

§  445.  Von  den  Enzianen.  Zur  Familie  des  Enzians,  Gen- 
tianeae,  gehören  Kräuter  mit  regelmässigen,  schönfarbigen,  fünf- 
männigen  Blüten,  deren  Blumen  in  der  Knospe  gedreht  sind  und 
nach  dem  Verblühen  nicht  abfallen.    (Pentandria  nach  Linne.) 

Die  Gentianeen  finden  sich  von  den  heissesten  Steppen  bis 
zur  Schneegrenze;  in  allen  Teilen  der  Pflanzen  herrscht  Bitter- 
stoff vor,  weshalb  man  sie  auch  Bitterlinge  genannt  hat  und 
vielfach  arzneilich  verwendet. 

1.  Gentiana  lutea,  G.  purpurea 
G.  Pannonica,  G.  punctata 

Enzian,  off.  Radix  Gentianae. 

Perennierende  Kräuter  auf  den  Alpen  und  anderen  höheren  Gebirgen. 
Fig.  356  und  357. 

2.  Erythraea  Centaurium**), 
Tausendgüldenkraut,      .     +     ....  off.  Herba  Centaurii. 

Ein  zweijähriges  Kraut  mit  roten,  doldentraubigen  Blüten;  in  Berg- 
wäldern.    Fig.  358. 

*)  Ipomoea  von  "iL  (Wurm)  und  oüioiog  (ähnlich). 
'**)  Erythraea  von  Ipu^pö?  (rot).  —  Centaurium  von  centum  und  aureus. 

Schlicktim,  Apothekerlehrling.  31 


—     482     — 

3.  Menyanthes*)  trifoliata, 

Bitterklee, off.  Folia  Trifolii  fibrini. 

Ein  Kraut  an  sumpfigen  Orten,  mit  weissbärtigen  Blüten  und  drei- 
zähligen  grundständigen  Blättern.     Fig.  359. 

§  446.  Verwandte  Familien.  Hier  reihen  sich  noch  folgende 
Familien  an: 

1.  Die  Asclepiadeae ,  eine  in  Deutschland  nur  wenig  ver- 
tretene Familie. 

Gonolobus  Cundurango.     .     .     off.  Cortex  Condttrango. 

Ein  Schlingstrauch  auf  den  Gebirgen  Ekuadors  in  Südamerika. 

Zu  den  einheimischen  Gliedern  zählt  die  Schwalbenwurz  (Cynan- 
chum  Vincetoxicum  L.),  deren  Wurzel  (Radix  Vincetoxici)  ehedem  ge- 
braucht wurde. 

2.  Die  Stryehnaceae  umfassen  tropische,  stark  giftige  Bäume. 
Strychnos  nux  vomica off.  Sem.  Strychni. 

Ein  Baum  in  Ostindien,  mit  apfelgrossen  Beeren,  in  deren  Mus  die 
Samen,  früher  Nuces  vomicae  genannt,  eingebettet  liegen.  —  Auf  den  Phi- 
lippinen wächst  Strychnos  St.  Ignatii,  dessen  Samen  die  stark  giftigen 
Ignatiusbohnen  darstellen.  Von  anderen  Strychnosarten  bereiten  die  Javaner, 
wie  auch  die  südamerikanischen  Indianer  Pfeilgiß  {Curare). 

3.  Die  Schlüsselblumen,  Primnlaceae,  einheimische 
Kräuter  mit  schönen  Blumen.   (Pentandria  Monogynia  nach  Linne.) 

Primula  officinalis,  Schlüsselblume,   off.  Flor.   Primulae. 

Dieses  bekannte  Frühlingskraut  trägt  gelbe  Blüten  in  einfacher  Dolde, 
mit  konkaven  Blumenzipfeln.  Die  höhere  Primula  elatior,  auf  Wald- 
wiesen, hat  flache  Blumenzipfel. 

Die  Ölbaumgewächse,  Oleaceae. 

§  447.  Von  den  Ölbaumgewächsen.  Die  Familie  des  Öl- 
baums, Oieaceae,  umfasst  Sträucher  und  Bäume  mit  gegen- 
ständigen Blättern  und  regelmässigen,  viergliederigen  Blüten. 
Die  Blume  ist  vierspaltig,  nur  zwei  Staubgefässe  tragend; 
der  Fruchtknoten  zweifächerig,  mit  1  Griffel.  Frucht  verschieden, 
bald  eine  Beere  (wie  beim  Liguster)  oder  Steinfrucht  (wie  beim 
Ölbaum),  bald  eine  Kapsel  (wie  beim  spanischen  Flieder)  oder 
Flügelfrucht  (wie  bei  der  Esche).  —  Diandria  Monogynia 
nach  Linne. 

Die  Oleaceae  gehören  der  nördlichen  gemässigten  Zone  an, 
ihre  Blätter  und  Rinden  sind  reich  an  adstringierenden  Stoffen, 
die  Samen  an  fettem  Öl  (statt  des  Stärkemehls),  welches  im 
Fruchtfleisch  der  Olive  reichlich  vorhanden  ist.  Auf  ihnen  lebt 
vorzugsweise  die  spanische  Fliege. 

*)  Menyanthes  von  pjvuw  (verraten,  d.  i.  sumpfige  Orte)  und  avito?  (Blüte). 


-     483 


Gentianeae. 


Fig.  356.  Fig.  357. 

Gentiana  lutea.  Gelber  Enzian.  Gentiana  purpurea.  Purpurner  Enzian. 

Nebst  einzelner  Blüte,  Blatt  und  Wurzel.  Nebst  den  inneren  Blütenteilen. 


Fig.  358.  Fig.  359. 

Erythraea  Centaurium.  Tausendgüldenkraut.  Menyantbes  trifoliata.  Fieberklee. 

Links  eine  einzelne  Blüte,   sowie  der  Stempel;  Links  mit  dem  Stempel  und  der  Frucht; 

rechts  der  Fruchtknoten  im  Querschnitt  rechts  mit  dem  Fruchtknoten  im 

und  die  aufgespaltete  Blume.  Querschnitt  und  der  aufgespalteten  Blume. 


—    484     — 

1.  Eraxinus  Ornus,  Manna-Esche,.     ...    off.  Manna. 

Ein  kleiner  Baum  im  südlichen  Europa,  welcher  an  der  Nordküste 
Siziliens  in  besonderen  Plantagen  kultiviert  wird;  aus  Einschnitten,  die 
man  in  die  Rinde  macht,  gewinnt  man  ihren  Saft,  den  man  zur  Manna  ein- 
trocknen lässt.  —  Fraxinus  excelsior  ist  die  bei  uns  einheimische 
Esche,  ein  starker  Baum  mit  Fiederblättern. 

2.  Olea  europaea,  Ölbaum,     ...     off.  Oleum  Olivarum. 

Ein  weidenähnlicher  Baum,  der  aus  dem  Orient  stammt,  im  süd- 
lichen Europa  vielfach  kultiviert  wird.  Seine  pflaumenähnliche  Frucht  be- 
sitzt ein  ölreiches  Fleisch.    Fig.  360. 

Zu  den  einheimischen  Oleaceen  gehören:  Der  Liguster  (Ligu- 
strum  vulgare),  ein  Strauch  mit  weissen  Blüten  und  schwarzen  Beeren. 
Fig.  361.  Ein  bekannter  Zierstrauch  ist  der  spanische  F 1  i e d e r  (Syringa 
vulgaris). 

§  448.  Verwandte  Familien.  I.  Die  Stechpalmen,  Aqui- 
foliaceae,  unterscheiden  sich  von  den  Ölbaumgewächsen  durch 
ihre  4  Staubgefässe ;  Bäume  und  Sträucher  mit  unansehnlichen 
Blüten  und  immergrünen,  lederigen  Blättern. 

Der  einzige  deutsche  Vertreter  ist  die  Stechpalme  (Ilex  Aqui- 
folium),  auch  Hülsen  genannt,  bekannt  durch  ihre  dornigen  Lederblätter 
und  roten  Steinbeeren. 


Oleaceae. 


Fig.  360,, 
Olea  europaea.  Ölbaum. 

Mit  zwei  Blüten,  und  der  Steinfrucht, 
dieselbe  geöffnet  und  der  Stein  im  Längsschnitt. 


Fig.  361. 
Ligustrum  vulgare.  Liguster. 

Hechts  mit  ganzer  und  aufgespalteter 
Blüte,  links  mit  Stempel  und  Beeren. 


-     485     - 

IL  Die  Styraceae  sind  tropische  Holzgewächse  mit  Stein- 
früchten. 

Styrax  Benzoin off.  Benzo'e. 

Ein  Baum  auf  den  ostindischen  Inseln,  dessen  Stamm  aus  Einschnitten 
das  Benzoeharz  ausfliessen  lässt. 

III.  Die  Wegeriche,  Plantagin eae,  sind  Kräuter  mit 
viermännigen  Blüten  in  dichten  Ähren. 

Die  allenthalben  häufigen  Arten  des  Wegerichs  sind:  Plantago 
major  mit  lauggestielten,  eiförmigen  Blättern;  PI.  media  mif  ellipti- 
schen Blättern;  PI.  lanceolata  mit  lanzettlichen  Blättern.  Die  Blüten- 
ähren stehen  bei  ihnen  auf  einem  Schafte.  In  Südeuropa  wachsen  auch 
bestengelte  Arten,  wie  PI.  Psyllium,  dessen  schleimreiche  Samen  als 
Flohsamen  (Semen  Psyttii)  früher  gebräuchlich  waren. 

Die  Lippenblütler,  Labiatae. 

§  449.  Charakter  der  Lippenblütler.  Die  Familie  der  Lippen- 
blütler, Labiatae,  umfasst  einjährige  oder  ausdauernde  Kräuter, 
seltener  Halb  sträucher ,  mit  meistens  vierkantigem  Stengel, 
gegenständigen  Blättern  und  scheinwirteligen  Blüten. 
Die  zweilippige  Blume,  deren  oft  helmartig  gewölbte  Ober- 
lippe nur  bei  wenigen  Gattungen  (Teucrium,  Ajuga)  fehlt,  trägt 
4  zweimächtige  Staubgefässe,  von  denen  bei  Salvia  nur 
zwei  vorhanden  sind.  Der  eingriffelige  Fruchtknoten  zeigt  (ähn- 
lich den  Boragineen)  eine  Vierteilung,  so  dass  die  Frucht  aus 
4  einsamigen  Nüsschen  besteht.  Da  Linne  dieselben  für 
nackte  Samen  gehalten  hatte,  bildete  er  aus  diesen  Gewächsen 
die  erste  Ordnung  der  14.  Linneschen  Klasse:  Didynamia 
Gymnospermia. 

Diese  Familie  gehört  vorzugsweise  dem  Mittelmeergebiete  an, 
ist  aber  auch  in  Deutschland  durch  zahlreiche  Arten  vertreten. 
Alle  oberirdischen  Pflanzenteile,  zumal  die  Blätter,  besitzen  zahl- 
reiche, mit  ätherischem  Öle  gefüllte  Drüsen,  wodurch  die  Lippen- 
blütler zu  höchst  gewürzreichen  Gewächsen  werden;  giftige 
Bestandteile  fehlen  ihnen  gänzlich.  Sie  liefern  daher  dem  Arze- 
neischatze  ein  grosses  und  wichtiges  Kontingent  aromatischer 
Mittel,  jedoch  kein  narkotisches.  Hierdurch  unterscheiden  sich 
die  Labiaten  wesentlich  von  den  Boragineen,  mit  denen  sie  in 
der  Fruchtform  übereinstimmen.  Ein  anderer  Unterschied  zwischen 
beiden  Familien  beruht  in  der  Richtung  des  Wurzelchens  im 
Samen,  welches  bei  den  Labiaten  nach  der  Fruchtbasis,  bei  den 
Boragineen  nach  der  Fruchtspitze  gewendet  ist.  Ausserdem  finden 
wir  bei  den  Labiaten  4,  bei  den  Boragineen  5  Staubgefässe;  die 
Gestalt  der  Blumenkrone  ist  dagegen  nicht  entscheidend ,  wenn- 
gleich sie  bei  den  Boragineen  vorzugsweise  regelmässig,  bei  den 
Labiaten  vorzugsweise  zweilippig  ist. 


—     486     — 

§  450.  Einteilung  der  Familie.  Man  teilt  die  Lippenblütler 
nach  der  Gestalt  der  Blume  und  Staubgefässe  ein.*) 

1.  Mentha  piperita,  Pfefferminze, 

off.  Folia  Menthae  piperitae. 

2.  Mentha  crispa,  Krauseminze, 

off.   Folia   Menthae   crispae. 

Die  Pfefferminze,  Fig.  362,  in  England  wild,  bei  uns  kultiviert, 
unterscheidet  sich  von  der  ähnlichen  Mentha  silvestris  durch  kurz- 
gestielte, ganz  kahle  Blätter;  bei  beiden  bilden  die  Blütenquirle  Ähren.  — 
Die  Krauseminze,  bestehend  aus  Abarten  durch  Kultur  veränderter 
wilder  Minzen,  kennzeichnet  sich  durch  krause,  ungleich  gesägte  und  un- 
stielte  Blätter.  —  Von  den  wildwachsenden  Minzen  besitzt  Mentha  aqua- 
tica  köpf  artig  gedrängte  Blüten  quirle ,  Mentha  Pulegium  und  M. 
arvensis  entfernte  Quirle  und  niedergestreckten  Stengel. 

3.  Thymus  Serpyllum,  Quendel,.     .     off.  Herba  Serpylli. 

4.  Thymus  vulgaris,  Thymian,      .     .     off.  Herba    Thymi. 

Der  Feldthymian  oder  Quendel,  Fig.  363,  ist  ein  überall  gemeines, 
niedergestrecktes  Kraut  mit  roten,  kopfähnlichen  Blütenquirlen.  —  Der 
Thymian,  ein  südeuropäisches  Kräutlein,  wird  bei  uns  in  Gärten  gezogen. 

5.  Origanum  vulgare,  Dost,   ...     off.  Herba  Origani. 

6.  Origanum  Majorana,  Meiran,  .     off.  Herba  Majoranae. 
Der  gemeine   Dost,    Fig.  364,  ist  ein  aufrechtes,   doldentraubiges 

Kraut.  —   Der  Meiran,   aus  Nordafrika  stammend,   wird  als  Küchenkraut 
in  Gärten  gezogen. 

7.  Melissa  officinalis,  Melisse,  .     .     off.  Folia  Melissae. 
Die  Melisse,   Fig.   365,  ist  ein  südeuropäisches,  bei  uns  in  Gärten 

gezogenes,  wohlriechendes  Kraut  mit  weissen  Blüten  in  den  Blattwinkeln. 


*)  Einteilung  der  Gattungen  der  Labiaten. 

A.  Blume  trichterig-glockig,  fast  regelmässig. 

Gatt.:  Mentha. 

B.  Blume  zweilippig. 

a)  Staubgefässe  abwärts  geneigt. 

Gatt.:  Lavandula. 

b)  Staubgefässe  abwärts  spreizend. 

Gatt.:  Thymus,  Origanum. 

c)  Staubgefässe  oberwärts  zusammenneigend. 

Gatt.:  Melissa,  Calamintha  u.  a. 

d)  Staubgefässe  genähert  und  parallel, 
a)  Nur  2  Staubgefässe  vorhanden. 

Gatt.:  Salvia,  Rosmarinus. 
ß)  Staubgefässe  4. 

Gatt.:  Glechoma,  Lamium,  Galeobdolon, 
Galeopsis,  Stachys,  Betonica, 
Ballota,  Marrubium,  Brunella  u.  a. 

C.  Blume  einlippig  (ohne  Oberlippe). 

Gatt.:  Ajuga,  Teucrium. 


-     487 


Labiatae. 


Fig.  362. 

Mentha  piperita.  Pfefferminze. 

Links  eine  einzelne  Blüte, 

rechts  dieselbe  nach  Entfernung  der  Blume. 


Fig.  363. 

Thymus  Serpyllum.  Quendel. 

Rechts  mit  einzelner  Blüte, 

links  dieselbe  nach  Entfernung  d 

Kelches ;  links  unten  ein  Blatt. 


Fig.  364. 

Origanum  vulgare.  Dost. 

Rechts  mit  einzelner  Blüte,  sowie 

dieselbe  nach  Entfernung  der  Blume. 


Fig.  365. 
Melissa  officinalis.  Melisse. 
Links  eine  einzelne  Blüte,  sowie  der  Kelch, 
rechts  eine  Blüte  von  vorn  gesehen. 


—    488     — 

8.  Lavandula  vera,  Lavendel,  off.  Oleum,  Flores  Lavandulae. 

Der  Lavendel,  ein  Halbstrauch  mit  hellblauen  Blüten  in  endständiger 
Ähre,  wird  ebenfalls  in  Gärten  gezogen.  Aus  den  Blüten  destilliert  man 
in  Südfrankreich  das  Lavendelöl. 

9.  Salvia  officinalis,   Salbei,    ...     off.  Folia  Salviae. 
Die   Salbei,    ein   Halbstrauch  aus  Südeuropa,    Fig.   365,  bei  uns  in 

Gärten,  unterscheidet  sich  durch  ihre  feingekerbten,  länglichen  Blätter 
und  hellblauen  Blüten  von  der  dunkelblau  blühenden  Wiesensalbei 
(Salvia  pratensis)  mit  herzeiförmigen  Blättern. 

10.  Rosmarinus  officinalis,  Rosmarin,  Oleum  Bosmarini, 

obs.  Folia,  Flores  Bosmarini. 

Der  Rosmarin,  ein  südeuropäisches  Sträuchlein,  liefert  durch 
Destillation  der  Blüten  ein  ätherisches  Öl;  ehedem  gebrauchte  man  auch 
seine  Blätter  und  Blüten. 

11.  Galeopsis*)  ochroleuca,  Hohlzahn, 

off.  Herba  Galeopsidis. 

Der  gelblichweisse  Hohlzahn,  Fig.  367,  dessen  Blume  am  Grunde 
der  Unterlippe  zwei  hohle  Zähne  zeigt,  unterscheidet  sich  von  den  übrigen, 
rotblühenden  Hohlzahnarten  (G.  Ladanum,  G.  Tetrahit  u,  a.)  durch  lange, 
blassgelbe  Blumen. 

Von  der  weissen  Taubnessel  (Lamium  album),  Fig.  368,  mit 
zahnförmigen  Seitenzipfeln  der  Unterlippe,  wurden  die  weissen  Blumen  ehe- 
dem als  Nesselblumen  (Flores  Lamii)  gebraucht;  ebenso  das  Kraut  der 
Betonie  (Betonica  officinalis),  kenntlich  an  der  endständigen  Ähre, 
dasjenige  der  blaublühenden  Gundelrebe  (Glechoma  hederacea),  ehedem 
off.  als  Herba  Hederae  terrestris ;  sowie  der  filzige,  weissblühende  Andorn 
(Marrubium  album  L.).  Fig.  369,  häufig  in  Gärten. 

Der  kriechende  Günsel  (Ajuga  reptans),  ein  auf  Wiesen  häufiges 
Frühlingskraut  mit  bläulichen  Blüten,  war  früher  gebräuchlich.  Ebenso 
mehrere  Arten  des  Gamanders  (Teucrium),  z.  B.  der  Katzenga- 
mander (Teucrium  Marum),  aus  Südeuropa,  früher  off.  als  Hb.  Mari  veri. 

Die  Larvenblütler,  Scrophularineae  (Personatae). 

§  451.  Charakter  der  Larvenblütler.  Die  Familie  der  Larven- 
blütler, Scrophularineae  (Personatae),  schliesst  sich  durch 
ihre  zweimächtigen  Staubgefässe  den  Lippenblütlern  enge  an,  ist 
jedoch  durch  den  ungeteilten  Fruchtknoten  von  ihnen  unterschieden. 

Es  sind  Kräuter  mit  teils  vierkantigem,  teils  stielrundem 
Stengel,  gegenständigen  oder  abwechselnden  Blättern  und  vier- 
gliederigen  Blüten.  Die  vierspaltige  oder  vierteilige  Blume  er- 
innert nicht  selten  an  die  regelmässige  Form  —  bei  Woll- 
blume und  Ehrenpreis  radförmig,  bei  der  Braun  würz  kugelig, 
beim  Fingerhut  röhrig-glockig,  —  ist  aber  meistens  deutlich 
zweilippig  und  dann  vorzugsweise  mit  geschlossenem  Gaumen 
(corolla  personata) ,   wie  beim  Löwenmaul ,  Leinkraut  u.  a. 

*)  Galeopsis  von  galea  (Helm)  und  od/ts  (Aussehen),  wegen  der  helm- 
förmigen  Oberlippe. 


489    - 


Labiatae. 


Fig.  366. 
Salvia  officinalis.  Salbei. 
Nebst  einzelner  Blüte,  längsgespalteter  Blume, 
dem  Stempel  und  der  Frucht. 


Fig.  367. 

Galeopsis  ochroleuca.  Hohlzahn. 

Nebst  einzelner  Blüte 

und  einem  Staubbeutel. 


Fig.  368 

Lamiuni  album.  Taubnessel. 

Nebst  einzelner  Blüte  (rechts) 

und  dieselbe  im  Längsschnitt  i links) 

sowie  einem  Staubbeutel. 


Fig.  369. 
Marrubium  album.  Andorn. 
Nebst  einzelner  Blüte  (links) 
und  dem  Kelch  (rechts). 


—    490     - 

Die  Staub  gefässe  sind  zw  ei  mächtig,  zu  2  und  2, 
bei  der  Wollblume  zu  2  und  3,  oder  es  sind  ihrer  überhaupt 
nur  zwei  ausgebildet,  wie  bei  Veronica  und  Gratiola.  Der  Frucht- 
knoten ist  zweifächerig,  mit  1  Griffel;  die  Frucht  eine  zwei- 
fächerige, vielsamige  Kapsel  —  daher  Didynamia  Angiospermia  L. 

Die  Personaten  bilden  zufolge  ihres  geselligen  Auftretens 
einen  bemerkenswerten  Bruchteil  der  deutschen  Flora. 

Die  aromatischen  Bestandteile,  welche  die  Lippenblütler  in 
so  hohem  Grade  auszeichnen,  finden  sich  bei  ihnen  höchst  selten; 
die  meisten  enthalten  Gerbsäure,  einige  (z.  B.  Gratiola,  Digitalis) 
bittere  und  giftige  Stoffe,  andere  (z.  B.  Verbascum)  viel  Schleim. 

§  452.  Einteilung  der  Larvenblütler.  Man  teilt  die  Larven- 
blütler  in  mehrere  Gruppen ,  die  von  anderen  als  besondere 
Familien  genommen  werden:  Antirrhineae,  Rhinanthaceae 
und  Yerbasceae. 

A.  Staubgefässe  4  oder  2,  mit  zweifächerigen  Beuteln. 

a)  Staubbeutel  wehrlos Antirrhineae. 

b)  Staubbeutel  am  Grunde  bestachelt      .     .     .     Rhinanthaceae. 

B.  Staubgefässe  5,  mit  einfächerigen  Beuteln.     .     Verbasceae. 

A.  Antirrhineae. 

1.  Linaria  vulgaris,  Leinkraut,  .     .     off.  Herbä  Linariae. 

Ein  an  Wegen  häufig  wachsendes  Kraut  mit  linealen  Blättern  und 
gelben,  gespornten  Blättern,  Fig.  270.  —  Nahe  verwandt  ist  das  in  Gärten 
gezogene  Löwenmaul  (Antirrhinum  majus). 

2.  Digitalis  purpurea,  Fingerhut,    .     off.  Folia  Digitalis. 

Ein  zweijähriges  Kraut  mit  purpurnen,  röhrig-glockigen  Blüten,  in 
Gebirgswäldern  des  westlichen  Deutschland,  Fig.  371. 

3.  Yeronicaofficinalis,  Ehrenpreis,  off.  Herba  Veronicae. 

Die  Gattung  Veronica,  Ehrenpreis,  ist  kenntlich  an  den  blauen, 
radförmigen,  zweimännigen  Blüten:  Veronica  officinalis,  ein  nieder- 
liegendes, weichhaariges  Kraut  sonniger  Abhänge,  Fig.  372.  —  V.  Chamae- 
drys,  auf  Wiesen  nicht  selten,  unterscheidet  sich  durch  eine  doppelte  Haar- 
zeile am  Stengel.  —  In  Gräben  findet  man  häufig  die  Bachbunge,  V. 
Beccabunga,  in  allen  Teilen  kahl. 

4.  Gratiola  officinalis,  Gottesgnadenkraut, 

off.  Herba  Gratiolae. 

Ein  kahles  Kraut  auf  nassen  Wiesen,  mit  zweimännigen,  weissen, 
röhrig-lippigen  Blüten  in  den  Blattwinkeln,  Fig.  373. 

B.  Rhinanthaceae. 

Der  Augentrost  (Euphrasia  officinalis),  ein  niedriges  Kraut 
aufwiesen,  war  früher  officinell  {Herba  Euphrasiae.).  Ebenso  der  Klapper- 
topf (Rhinanthus  major  und  Rh.  minor)  und  das  Läusekraut  (Pedicularis). 


—     491 


Scrophularineae  (Antirrhineae). 


Fig.  370.  Mg.  371. 

Linaria  vulgaris.  Leinkraut.  Digitalis  purpurea.    Fingerhut. 

r  Links  mit  längsgespalteter  Blüte  und  einer       Links  mit  dem  Stempel,  rechts  mit  den 
durch  sog.  Pelorienbildung  fünfspornigen  Blüte.  Staubgefässen  und  querdurchschnittener 
Bechts  mit  einer  Kapsel,  ganz  und  im  Kapsel. 

Querschnitt,  sowie  einem  Samen. 


Fig.  372. 

Veronica  offlcinalis.  Ehrenpreis. 

Bechts  mit  einzelner  Blüte,  sowie 

dieselbe  im  Längsschnitt.  Links  mit 

Stempel,  Kapsel  und  dieselbe  im 

Querschnitt. 


Fig.  373. 

Gratiola  officinalis.  Gottesgnadenkraut. 

Nebst  einzelner  Blüte  und  Längsschnitt 

durch  dieselbe,  um  die  2  fruchtbaren  u. 

2  fehlschlagenden  Staubgefässe  zu  zeigen. 


492 


C.  Yerbasceae. 
Yerbascum   th 


t h  a  p  s  lf  o  rm e  \  Wollblume  off  Flores  verhasci. 
phlomoides    J  ' 


Die  Gattung  Verbascum  besitzt  flachausgebreitete  Blumen,  mit  2 
längeren,  kahlen  und  3  kürzeren,  wollig  behaarten  Staubfäden.  Bei  den 
genannten  Arten  sind  die  Blumen  ansehnlich  gross  und  die  Beutel  der 
längeren  Staubläden  etwas  am  Faden  herablaufend.  V.  Thapsus  hat  viel 
kleinere  Blüten,  ebenso  die  rispig  verzweigte  V.  Lychnitis.  Bei  allen  diesen 
Arten  sind  die  Staubfäden  weisswollig,  bei  V.  nigrum  dagegen  violettwollig. 

Die  Braunwurz  (Scrophularia  nodosa)  kennzeichnet  sich  durch  braun- 
rote, kugelige  Blüten. 

§  453.  Zwischen  •  den  Larven-  und  Lippenblütlern  stehen  die 
Yerbenaceae,  deren  Frucht  bei  der  Reife  in  4  ein  sämige  Kar- 
pelle zerfällt. 

Das  Eisenkraut  (Verbena  officinalis),  Fig.  375,  früher  officinell, 
besitzt  kleine,  bläuliche  Lippenblüten  in  langer,  schmaler  Ähre. 

Die  Heidekräuter,  Ericaceae. 

§  454.  Charakter  der  Heidekräuter.  Die  Familie  der  Heide- 
kräuter, Ericaceae,  ist  weitverbreitet  und  auch  in  Europa 
stark  vertreten.  Es  gehören  zu  ihr  immergrüne  Sträucher 
und  Halbsträucher  mit  lederigen,  oft  nadeligen  Blättern  und 
regelmässigen,  4 — ögliedrigen  Blüten  mit  8  oder  10  Staub- 
gefässen,  deren  Staubbeutel  häufig  ein  hörn-  oder  spornartiges 
Anhängsel  besitzen  und  sich  an  der  Spitze  in  Löchern  öffnen. 
Der  Fruchtknoten  ist  oberständig,  bei  der  Heidelbeere  unter- 
ständig, 4— öfächerig,  die  Frucht  eine  mehrfächerige,  viel- 
samige  Beere  oder  Kapsel. 

Diese  Gewächse  unterscheiden  sich  demnach  von  den  vor- 
hergehenden durch  die  doppelte  Anzahl  Staubgefässe  als  Blumen- 
zipfel; sie  stehen  daher  in  der  Octandria  und  Dekandria 
Monogynia  nach  Linne.  Yorzugsweise  der  Heide  und  Sumpfflora 
angehörig,  bedingen  sie  durch  geselliges  Auftreten  den  Charakter 
dieser  Landschaften  und  tragen  wesentlich  zur  Torfbildung  bei. 
In  den  Blättern  wie  in  den  Beeren  finden  wir  vielfach  Gerbstoffe. 

§  455.  Einteilung  der  Heidekräuter.  Man  hat  die  Ericaceae  in 
mehrere  Gruppen  geteilt,  welche  von  manchen  Botanikern  zu  be- 
sonderen Familien  erhoben  wurden,  so  die  Ericineae,  Yac- 
cineae  und  Pirolaceae.  Bei  den  Yaccineae  ist  die  Frucht 
vom  Kelche  gekrönt  (unterständig),  bei  den  Ericineae  vom  Kelche  frei. 

A.  Ericineae. 
1.  Arctostaphyios  Uva  Ursi, Bärentraube, off.  FoliaUvaeUrsi. 

Ein  Sträuchlein  auf  Heiden  und  in  Fichtenwäldern  Norddeutschlands, 
mit  kleinen,  fleischroten  Blüten  und  roten  Beeren,  Fig.  376. 


493     - 


Verbasceae. 


Verbenaceae. 


Fig.  374. 

Verbascum  thapsiforme.  Wollblume. 

Nebst  Staubgefässen  (links  oben), 

Stempel  (rechts  unten)  und  Kapsel 

(rechts  oben). 


Fig.  375. 
Verbena  officinalis.  Eisenkraut. 
Nebst  einzelner  Blüte  (rechts)  und  dieselbe 
im  Längsschnitt  (links). 


Ericaceae. 


Fig.  376.  Fig.  377. 

Arctostaphylus  Uva  Ursi.  Bärentraube.  Vaccinium  Myrtillus.  Heidelbeere. 

Nebst  einzelner  Blüte,  Staubgefäss  und  Beere  Mit  einem   Staubgefässe,  dem  Stempel 

(auch  im  Querschnitt).  .  und  der  Beere. 


—     494     — 

Hierhin  zählen:  das  allgemein  bekannte  Heidekraut  (Calluna  vulgaris 
=  Erica  vulgaris),  die  in  2  Arten  die  Alpengehänge  zierende  Alpenrose 
(Rhododendron),  sowie  der  Porsch  (Ledum  palustre),  ein  narkotischer 
Strauch  mit  weissen  Blüten,  dessen  rotfilzige  Blätter  früher  officinell  waren-, 
in  Norddeutschland  auf  Torf. 

B.  Vaccineae. 
2.  Vaccinium  Myrtillus,  Heidelbeere,  off.  Fruct.  Myrtüli. 

Die  Heidelbeere,  Fig.  377,  trägt  blauschwarze  Beeren,  die  Preisseibeere 
(Vaccinium  Vitis  idaea)  rote  Beeren,  welche  zu  Kompott  eingemacht  werden. 


b.  Monopetalen  mit  oberständiger  Blume. 
(Monopetalische  Calycifioren). 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

A.  Frucht  einsamig  (Schliessfrucht). 

a)  Staubbeutel  verwachsen Compo sitae. 

b)  Staubbeutel  frei. 

a)  Blüten  in  Köpfchen Dipsaceae. 

ß)  Blüten  in  Trugdolden Valerianeae. 

B.  Frucht  mehrsamig. 

a)  Blätter  gegenständig  oder  quirlständig. 

a)  Frucht  2fächerig Rubiaceae. 

ß)  Beere  3 steinig Caprifoliaceae. 

b)  Blätter  wechselständig. 

a)  Blume  regelmässig Campanulaceae». 

ß)  Blume  lippig Lobeliaceae. 

Die  Korbblütler,  Compositae. 

§  456.  Charakter  der  Korbblütler.  Die  Familie  der  Korbblüt- 
ler, Compositae,  die  grösste  phanerogamische  Familie,  umfasst 
Kräuter  mit  meist  abwechselnd  gestellten  Blättern  und  zu- 
sammengesetzten Blüten  (flos  compo  situ s).  Ihre  Blüten 
stehen  nämlich  in  einem  Köpfchen  so 
knapp  von  einer  Hülle,  sog.  Hüllkelch, 
(peranthodium,  periclinium),  umschlossen, 
dass  der  ganze  Blütenstand  wie  eine  einzige 
Blüte  (anthodium)  aussieht.  Die  Blume  ist  ober- 
ständig, bald  röhrig  (Fig.  378  A),  bald  zungen- 
förmig  (B),  wonach  man  sie  als  Bohren-  oder 
Zungenblume  unterscheidet;  sie  trägt  fünf 
Staubfäden,  deren  Beutel  in  eine  nach, 
innen  aufspringende  Bohre  verwachsen 
sind,  durch  welche  der  zweispaltige  Griffel 
IUI  emporsteigt  (Fig.  378  B).     Die  Frucht  ist  eine 

Schliessfrucht  (Achäne),  gekrönt  mit  den 
Kelchzipfeln,  die  hier  nur  als  Blattnerven  vor- 
handen  sind  und  die  Federkrone  (pappus), 


Fig.  378 


—    495     - 

bilden.  Letztere  ist  bald  haarförmig,  bald  federig,  bald  grannig, 
bald  krönchenförmig,  d.  i.  in  der  Form  eines  schmalen  Hautrandes. 
Die  Korbblütler  finden  sich  über  die  ganze  Erde  verbreitet; 
in  ihren  Arten  walten  sehr  verschiedene  Stoffe  vor:  die  einen 
sind  reich  an  Milchsaft  (z.  B.  Lactuca,  Cichorium,  Taraxacum), 
die  andern  enthalten  ätherisches  Öl  (z.  B.  Absinthium,  Cina, 
Chamomilla),  viele  Bitterstoff  (z.  B.  Cnicus,  Absinthium).  In  den 
Wurzeln  der  meisten  ist  das  Strärkemehl  durch  Inulin  vertreten. 

§  457.  Einteilung  der  Korbblütler.  Linne  teilt  diese  Familie, 
welche  seine  19.  Klasse,  Syngenesia,  bildet,  in  5  Ordnungen 
und  zwar  nach  dem  Geschlechte  der  einzelnen  Blütchen  eines 
Köpfchens.  (Vgl.  §  405.)  Von  diesen  Linneschen  Ordnungen 
kommen  vorzugsweise  nur  die  ersten  beiden  in  Frage,  da  die 
drei  letzten  nur  wenige  Gattungen  umschliessen. 

Nächst  der  Verteilung  des  Geschlechts  der  einzelnen  Blüt- 
chen eines  Köpfchens  ist  die  Form  der  Blume  für  die  Einteilung 
der  Familie  wichtig.     Ein  Köpfchen  kann  sein: 

a)  röhrenblütig,  nur  aus  Röhrenblütchen  bestehend, 

b)  zungenblütig,  nur  aus  Zungenblütchen  bestehend, 

c)  strahlblütig,   am  Rande  mit  Zungenblütchen,   in   der 
Mitte  mit  Röhrenblütchen.  (Fig.  379.] 
Erstere   bilden    den  Strahl    (radius), 
letztere  die    Scheibe  (discus). 

Nach  Jus  sie u  zerfallen  die  Kom- 
positen in  3  Unterfamilien: 

A.  Cichoraceae.  Köpfchen  mit 
zungenförmigen  Zwitterblüt- 
ch  e  n.     Griffelschenkel   zurückgerollt. 

B.  Cynarocephalae    (Disteln).  Fl£-  379- 
Köpfchen    mit   röhrenförmigen    Zwitterblütchen.     Griffel 
unter  den  Schenkeln  knotig  verdickt. 

C.  Corymbiferae.  Köpfchen  mit  röhrenförmigen 
Zwitterblütchen  und  mit  zungenförmigen  weiblichen 
Strahlblütchen.     Griffel  nicht  verdickt. 

Die  beiden   ersten  Unterfamilien  finden  wir  in  der  1.  Ordn. 
der  XIX.  Klasse,  die  letzte  in  der  2.  Ordn.  (Polygamia  superflua). 
A.  Cichoraceae.*) 


*)  Einteilung  der  Gattungen  der  Cichoraceen. . 

a)  Federkrone  haarförmig  und 

a)  gestielt:    Gatt.  Taraxacum,  Lactuca. 

ß)  sitzend:    Gatt.  Hieracium,  Soncbus,  Crepis. 

b)  Federkrone  federig:  Gatt.  Tragopogon,  Scorzonera,  Picris, 

Leontodon. 

c)  Federkrone  fehlend:  Gatt.  Lapsana,  Cichorium. 


—    496     — 

1.  Taraxacum    officinale, 

Pfaffenröhrchen, off.  Bad.  Taraxaci  c.  herba. 

Dieses,  vou  Linne  Leontodon  Taraxacum  genannte  Kraut,  Fig.  380, 
ist  eine  gemeine  Wiesenpflanze,  mit  einköpfigem,  gelbblühendem  Schafte 
und  gestielter  Federkrone. 

2.  Lactuca  virosa,  Giftlattich,    off.  Herba  Lactucae  virosae. 

Lactucarium. 

Ein  zweijähriges  Kraut  Fig.  381,  mit  gelben  Köpfchen  in  pyramidaler 
Rispe,  welche  beim  Gartensalat  (Lactuca  sativa)  doldentraubig  er- 
scheint; der  wilde  Lattich  (Lactuca  Scariola  L.)  unterscheidet  sich 
durch  vertikal  gerichtete  Blätter. 

Zu  erwähnen  sind:  die  blau  blühende  Cich  orie  (Cichorium  Inty- 
bus),  die  Schwarzwurzel  (Scorzonera  hispanica),  die  artenreichen 
Gattungen  Habichtskraut  (Hieracium),  Pipau  (Crepis),  Gänse- 
distel (Sonchus),  den  Bocksbart  (Tragopogon  pratensis),  das 
Bitterkraut  (Picris  hieracioides),  den  allenthalben  häufigen  Rain- 
kohl (Lapsana  communis)  und  Herbst-Löwenzahn  (Leontodon 
autumnale). 

B.  Cynarocephalae.*)  (Distelgewächse.) 

3.  Lappa  major,  L.  minor, 

L.  tomentosa,  Klette, off.  Bad.  Bardanae. 

Die  Klette-Arten  zeichnen  sich  durch  hakige  Hüllkelchblättchen  aus, 
welche  bei  L.  major,  Fig.  382,  kahle,  bei  minor  spinnwebige,  bei  Lappa 
tomentosa  (Arctium  Bardana  Willd.)  wollig  sind. 

4.  Carlina  acaulis,  Eberwurz,     .     .     .off.  Bad.  Carlinae. 

Eine  fast  stengellose  Alpenpflanze  mit  weissstrahligem  Hüllkelch; 
die  bestengelte  Carlina  vulgaris  wächst  in  Norddeutschland  häufig. 

Ferner  gehören  hierher:  die  zahlreichen  Arten  Disteln  (Carduus  und 
Cirsium);  die  in  Gärten  gezogene  Mariendistel  (Silybum  Marianum) 
mit  weissgefleckten  Blättern,  deren  Früchtchen  (Sem.  Gardui  Mariae)  hier 
und  da  gebraucht  werden. 

Die  Gattung  Centaurea  charakterisiert  sich  durch  einen  Strahl  ge- 
schlechtloser Blütchen  (Polygamia  frustranea!).  C.  Cyanus  ist  die  blaue 
Kornblume,  deren  Blüten  früher  gebräuchlich  waren  (Flor es  Cyani). 

5.  Cnicus  benedictus,  Kardobenedikte, 

off.  Herba,  Cardui  benedicti. 

Ein  einjähriges  Kraut  aus  dem  Orient,  welches  hier  und  da  in  Gär- 
ten gezogen  wird. 


*)  Unterscheidung  der  Gattungen  der  Distelgewächse: 

a)  Federkrone  einzeilig,  haarförmig  oder  federig. 

a)  Federkrone  am  Grunde  in  einen  Ring  verwachsen. 

Gatt.  Lappa,  Silybum,  Cirsium,  Carduus,  Onopordon. 
ß)  Federkrone  bündelweise  verwachsen     .     .     .     Gatt.  Carlina. 

b)  Federkrone   mehrzellig,    nicht   selten  fehlend.     (Randblüten  ge- 
schlechtlos.)       Gatt.  Centaurea,  Cnicus  u.  a. 


497     — 


Compositae. 


Fig.  380. 
Taraxacum  offlcinale.  Pfaffenröhrchen. 
Links  mit  einer  Einzelblüte,  Früchtchen 
und  den  Narben;  rechts  eine  Achäne  vergr. 


Fig.  381. 

Lactuca  virosa.  Giftlattich. 

Nebst  einem  Früchtchen  und 

Querschnitt  der  Achäne. 


Fig.  382.  Fig.  383. 

Lappa  officinalis.  Klette.  Cnicus  benedictus.  Kardobenedikte. 

Nebst  einem  einzelnen  Blütchen  und  Nebst  einem  Hüllkelchblättchen, 

dessen  Narben  (links  unten),  einer  Achäne  einzelnem  Blütchen  und  Federkrone  vergr. 
(rechts)  und  einem  Hüllkelchblättchen 
(links  oben). 


Schlickum,  Apothekerlehrling. 


32 


—    498     - 

C.  Corymbiferae.*) 

6.  Artemisia**)  vulgaris,  Beifuss,    .  off .  Rad.  Artemisiae- 

7.  Artemisia  Absinthium,  "Wermut,  off.  Herb.  AbsinihiL 

8.  Artemisia  maritima  (Yar.),     .     .     .off.  Flor.  Cinae. 
Die  Gattung   Artemisia  kennzeichnet  sich   durch  kleine  strahllose 

Köpfchen  in  rispigen  Trauben.  A.  vulgaris  ist  eine  Staude  mit  oberseits 
dunkelgrünen,  unterseits  weissfilzigen  Blättern,  Fig.  384.  —  A.  Absinthium, 
Fig.  385,  unterscheidet  sich  durch  grauseidenhaarige  Blätter  und  nickende, 
halbkugelige  Köpfchen.  — ■  Von  einer  kahlen  Varietät,  der  A.  maritima 
in  Turkestan  (vom  Kaspi-  und  Aralsee),  kommen  die  unaufgeschlossenen 
Köpfchen  (nicht  Samen)  als    Wurmsamen  zu  uns. 

9.  Tanacetum  vulgare,  Rainfarn ,   off.  Tt lorcs  Tanaceti. 
Ein  perennierendes  Kraut  mit  halbkugeligen,  gelben,  strahllosen  Köpf- 
chen in  einer  Doldentraube;  an  Ufern  häufig.     Fig.  386. 

10.  Spilantbes  oleracea,  Parakresse,  off.  Herb.  Spilanthis. 
Ein  westindisches  Kraut,  als  Paraguay-roux  gebräuchlich. 

11.  Gnaphalium   arenarium  (Helichrysura 
arenarium),  Sand-Rubrkraut     .     .     .off.   Flor.  Stöchados. 

Ein  graufilziges  Kraut  auf  Sandfeldern  mit  goldgelben  Köpfchen.  Das 
Katzenpfötchen  (Gnaphalium  dioicum)  unterscheidet  sich  durch  seine 
weissen  Oder  rötlichen  Köpfchen. 

12.  Matricaria  C'hamomilla,  Kamille,  off.  Flor.  Chamomillae. 
Die  echte  Kamille,  Fig.  387,  ist  ein  auf  bebautem  Lande  häufiges 

Kraut  mit  weissen  Strahl-  und  gelben  Scheibenblüten  auf  einem  kegeligen, 
spreublattlosen,  innen  hohlen  Blütenboden.  Durch  letzteren  unterscheidet 
sie  sich  von:  1.  der  geruchlosen  Wucherblume  (Chrysanthemum  ino- 
dorum  Smith);  2.  der  Hundskamille  (Anthemis  arvensis  L.),  mit  dichtem, 
spreublätterigem  Blütenboden. 

Erwähnung  verdienen  noch:  die  weisse  und  gelbe  Wucherblume 
(Chrysanthemum  Leucanthemum  und  Chr.  segetum),  sowie  das  bekannte 
Massliebchen   oder  Gänseblümchen  (Bellis  perennis). 


*)  Unterscheidung  der  Gattungen  der  Corymbiferen : 

A.  Griffel  der  Scheibenblütchen  mit  pinselig  gestutzten  Schenkeln. 

a)  Federkrone  fehlend  oder  ein  Hautrand, 
a)  Strahlblüten  nicht  zungenförmig. 

Gatt.  Artemisia,  Tanacetum. 
ß)  Strahlblütchen  zungenförmig. 

Gatt. Anthemis, Matricaria,  Achillea,  Chrysanthemum. 

b)  Federkrone  grannig Gatt.  Bidens_ 

c)  Federkrone  haarförmig. 

a)  Strahlblütchen  nicht  zungenförmig. 

Gatt.  Gnaphalium,  Filago. 
ß)  Strahlblütchen  zungenförmig     .     .     Gatt.  Arnica,  Senecio.. 

B.  Griffel  der  Scheibenblütchen  mit  linealen,  fast  flachen  Schenkeln. 

Gatt.  Inula,  Solidago,  Bellis,  Aster,  Erigeron. 

C.  Griffel  der  Scheibenblütchen  mit  keuligen  Schenkeln. 

Gatt.  Tussilago,  Petasites,  Eupatorium. 

D.  Griffel  der   unfruchtbaren   (Polygamia  necessaria)  Scheibenblütchen 
ohne  Schenkel Gatt.  Calendula. 

**)  Artemisia  von  Artemis  (Diana),  Göttin  der  Jagd. 


499 


Compositae 


Fig.  384. 

|Artemisia  vulgaris.  Beifuss. 

Nebst  einem  Blütenköpfchen  (links), 

einer  einzelnen  weiblichen,   sowie  einer 

zwitteiigen  Blüte  und  deren  Griffel. 


Fig.  385. 

Artemisia  Absinthium.  "Wermut. 

Nebst  einem  Blütenköpfchen  (links  oben), 

einer  einzelnen  zwitterigen  uud  einem 

weiblichen  Blütchen  (rechts  unten). 


Fig.  386. 

Tanacetum  vulgare.  Bainfarn. 

Nebst  einem  Blütenköpfchen  (rechts), 

einem  einzelnen  zwitterigen  (links) 

und  einem  weiblichen  Blütchen  (unten), 

sowie  einem  Früchtchen. 


Fig.  387. 

Matricaria  Chamomilla.  Kamille. 

Rechts  mit  einem  einzelnen  zwitterigen  ™ 

Blütchen  und  dessen  Griffel;  links  mit 

einem  Blütchen;  unten  mit  einem  Früchtchen  ' 


!2* 


—    500     - 

13.  Antheniis  nobilis      .     off.  Flor,  Chamomülae  Bomanae. 

Ein  perennierendes  Kraut  im  südlichen  Europa,  daselbst  -wie  unsere 
Kamille  gebräuchlich,  wird  mit  gefüllten  Köpfchen  kultiviert. 

14.  Anacyelus*)  officinarum,  Bertramwurz, 

off.  Bad.  Pyrethri. 
Ein  einjähriges,  südeuropäisches  Kraut,  welches  in  Sachsen  gezogen  wird. 

15.  Achill  ea  Millefolium**),  Schafgarbe, 

off.  Herb.,  Flor.  Millefolii. 

Ein  perennierendes  Kraut,  an  Wegen  häufig,  mit  wollig  behaarten, 
mehrfach  fiederspaltigen  Blättern  und  schirmtraubig  gestellten,  weiss- 
strahligen  Köpfchen,  Fig.  388.  An  Wiesen  findet  sich  Achillea  Ptar- 
mica  mit  ungeteilten,  lanzettlichen,  scharfgesägten  Blättern. 

16.  Inula  Helen i um,  Alant,    .     .     off.  Bad.  Helenii. 

Eine  mannshohe  Staude  des  südöstlichen  Europa  mit  grossen,  gelb- 
strahligen  Köpfchen,  wird  bei  uns  kultiviert,  Fig.  389. 

17.  Solidago  Yirgaurea,  Goldrute,  obs.  Herb.  Virgaureae. 
Ein  Kraut  mit  traubigen,  gelbstrahligen  Köpfchen, 

18.  Arnica***)  montana,  Wohlverleihkraut, 

off.  Flor.,  Bad.  Arnicae. 

Ein  Kraut  auf  Gebirgswiesen ,  mit  länglichen  Wurzelblättern  und 
einzelnen  orangefarbigen  Köpfchen,  Fig.  390. 

19.  Tussilago  f)  Earfara,  Huflattich, 

off.  Folia,  Flor.  Farfarae. 

Ein  perennierendes  Kraut,  Fig.  391,  welches  bei  Beginn  des  Frühlings 
einen  schuppigen  Schaft  mit  einzelnen  gelbstrahligen  Köpfchen  treibt; 
später  (im  Mai)  erscheinen  die  handgrossen  Blätter,  welche  sich  durch 
ihren  weissen,  unterseitigen  Filz  von  den  noch  grösseren,  nierenförmigen, 
graufilzigen  Blättern  der  Pestwurz,  Petasites  officinalis  (Tussilago 
Petasites),  unterscheiden,  deren  Körbchen  einen  Strauss  bilden. 

§458.  Verwandte  Familien.  Den  Korbblütlern  schliessen  sich  an: 
1.  Die  Kardengewächse,  Dipsaceae,  Kräuter  mit  köpf- 
chenartigem Blütenstande,  aber  4  freien  Staub- 
gefässen.    (Fig.  392.)  Tetrandria  Monogynia  L. 

Hierhin  gehöreu:  die  rötlichblühende  Tauben- 
scabiose  (Scabiosa  Columbaria)  mit  5 spaltiger  Blume; 
die  Ackerscabiose  (Scabiosa  arvensis  oder  Knautia 
arvensis)  mit  4  spaltiger  Blume ;  der  blaublühende  T  e  u  - 
felsabbiss  (Succissa  pratensis),  eine  Herbstpflanze;  in 
der  Weberei  wird  die  Weberkarde  (Dipsacus  Fullo- 
Fie    392.  num)     benutzt. 


*)  Anacyclus  =  avSy.Tjy.iot  (Kreis)  wegen  des  kreisrunden  Strahles. 
**)  Achillea    nach    Achilles    genannt.      Millefolium    ==    Tausendblatt, 
wegen  der  starken  Zerteilung  des  Blattes. 

***)  Arnica  von  äppsvizo;  (männlich,  kräftig,  heilsam), 
t)  Tussilago  von  tussis  (Husten). 


—     501 


Compositae. 


Fig.  388.  Fig    389. 

Achillea  Millefolium.  Schafgarbe.  Inula  Helenium.  Alant. 

Rechts  mit  einem  Blütenköpfchen  und  einem  Nebst  einem  zwitterigen  und  weiblichen 
zwittrigen  Blütchen ;  links  mit  einem  Blütchen  und  Früchtchen, 

weiblichen  Blütchen, 
dem  Griffel  und  einem  Früchtchen. 


Fig.  390.  Fig.  391. 

Arnica  montana.  Wohlverleihkraut.  Tussilago  Farfara.  Huflattich. 

Nebst  einem  zwitterigen  und  weiblichen  Nebst  einem  zwitterigen  (links)  und  weiblichen 
Blütchen  (Techts)  und  einem  Blütchen  (rechts)  und  deren  Griffel. 

Früchtchen  (links). 


—    502     — 

2.  Die  Glockenblumen,  Campanulaceae,  Kräuter 
mit  schöngefärbten  Blumen,  die  nicht  selten  in  Köpfchen  häufig  aber 
auch  in  Trauben  oder  Eispen  stehen.     Pentandria  Monogynia  L. 

Zu  erwähnen:  die  artenreiche  Gattung  Glockenblume  (Campanula), 
die  Rapunzel  (Phyteuma),  der  Frauenspiegel  (Specularia  Speculum), 
und  Jasione  montana  mit  blauen  Blütenköpfchen. 

3.  Die  ausländische  Familie  der  Lobeliaceae,  Kräuter  mit 
unregelmässiger  Blume. 

Lobelia  inflata, off.  Herbei  Lobeliae. 

Ein  einjähriges  Kraut  im  nördlichen  Amerika,  mit  bläulichen  Lippen- 
blumen und  aufgeblasener  Kapselfrucht. 

Die  Krappge wachse,  Kubiaceae. 

§459.  Allgemeiner  Charakter  der  Familie.  DieKrappgewächse, 
llubiaceae,  sind  teils  Kräuter,  teils  Sträucher  und  Bäume  mit 
gegenständigen  oder  wirtelständigen  Blättern  und 
regelmässigen  Blüten  in  Trugdolden,  Rispen  oder  im  Winkel  der 
Blätter.  Die  4-  oder  5  lappige  Blume  ist  oberständig  und  trägt 
4  resp.  5  Staubgefässe.  Die  Frucht  zeigt  sehr  verschiedene 
Bildung,  aber  stets  2  Fächer. 

Diese  Familie  zeichnet  sich  durch  grosse  Mannigfaltigkeit 
ihrer  Bestandteile  aus7  zufolge  deren  sich  viele  ihrer  Glieder  einer 
ausgedehnten  Anwendung  in  der  Ökonomie,  Medizin  und  Ge- 
werbthätigkeit  erfreuen.  Manche  von  ihnen,  wie  der  Kaffee  und 
die  Chinarinden,  sind  wichtige  Handelsartikel  geworden. 

In  ihrer  Verbreitung  erstreckt  sich  die  Familie  über  die 
ganze  Erde;  in  Europa  finden  wir  jedoch  nur  die  Unterfamilie 
der  Stellatae. 

§  460.  Einteilung  der  Krappgewächse.  Man  trennt  nach  der 
Fruchtform  die  Familie  des  Krapps  in  mehrere  Unterfamilien,  die 
von  anderen  zu  besonderen  Familien  erhoben  worden  sind. 

A.  Stellatae.     Frucht  2  knöpfig.     Blätter  quirlständig. 

Hierhin  gehören  mehrere  einheimische  Kräuter,  wie  der  duftende 
Waldmeister  (Asperula  odorata),  Fig.  393,  früher  gebräuchlich  als  Stern- 
leberkraut (Berba  Bejjathicae  stellatae);  sowie  die  artenreiche  Gattung 
Galium  (Labkraut)  u.  a.  Sie  stehen  wegen  ihrer  4  zähligen  Blüten  sämt- 
lich in  der  Tetrandria  Monogynia.  —  Der  Krapp  (Rubia  tinetorum),  Fig, 
394,  wird  wegen  seiner  Wurzel,  die  zum  Rotfärben  dient,  früher  auch 
arzneilich  gebraucht  wurde  {Radix  Rubiae),  gebaut. 

B.  Cinchonaceae.  Frucht  eine  Kapsel.  Blätter  gegenständig. 

1.  Cinchona  succirubra   .     .     off.  Cortex  Ghinae  ruber. 

2.  „  Calisaya  .     .     .     off.   Cort.  Ghinae  regius. 

3.  „  officinalis  u.  a.     off.  Cort.  Ghinae  fttscus. 


—    503 


Rubiaceae. 


Fig.  393. 
Asperula  odorata.  Waldmeister. 
Nebst  einer  einzelnen  Blüte  und  deren 
Stempel  (links),  sowie  der  Frucht  (rechts). 

Valerianeae. 


Fig.  394. 
Kubia  tinctorm.  Krapp. 
Nebst  einer  einzelnen  Blüte  und  deren 
Stempel  (rechts),  sowie  der  Frucht  (links). 

Caprifoliaceae. 


Fig.  395. 

Valeriana  officinalis.  Baldrian. 

Nebst  einer  einzelnen  Blüte  (rechts), 

dem  Stempel  (links)  sowie  der  Frucht 

(links  unten)  und  deren  Querschnitt. 


Fig.  396. 
Sambucus  nigra.  Hollunder. 
Nebst  einer  einzelnen  Blüte,  dem  Stempel 
(unten),  sowie  der  Beere  (links  oben). 


-    504    — 

Die  artenreiche  Gattung  Cinchona*),  umfasst  die  verschiedenen 
Chinabäume ,  auf  dem  östlichen  Abhänge  der  südamerikanischen  Anden 
einheimisch,  jetzt  auch  in  Ostindien  und  Java  kultiviert.  C.  succirubra 
wächst  vorzugsweise  in  Ekuador,  C.  Calisaya  in  Bolivia,  C.  officinalis  in 
Peru.     Es  sind  Bäume  von  7 — 20  Meter  Höhe. 

4.  Uncaria**)  Gambir off.  Catechu. 

Ein  Kletterstrauch  in  Ostindien  (Sumatra),  aus  dessen  Blättern  man 
das  sog.   Gambir-Catechu  als  Extrakt  gewinnt. 

C.  Coffeaceae.     Frucht  eine  Steinbeere. 

5.  Coffea  arabica,  Kaffeebaum,     .     .     off.  Semen  Coffeae. 

Einheimisch  in  Arabien  und  Ostafrika,  wird  der  Kaffeebaum  jetzt  in 
allen  Tropenländern  kultiviert.  Er  trägt  ovale,  rote  Beeren  mit  2  Stein- 
kernen, in  denen  die  Kaffeebohnen  als  Samen  enthalten  sind. 

6.  Psy chotria***)  Ipecacuanha 

(Cephaelisf)  Ipecacuanha     .     .     .     off.  Radix  Ipecacuanha  e. 
Ein    Halbstrauch    in    den    Wäldern  Brasiliens,    mit   Köpfchenblüten. 
Chiococcaff)    racemosa    ein    mexikanischer   Kletterstrauch,  u.  a., 
liefert  die  (obsolete)  Radix  Caincae. 

§  461.  Verwandte  Familien.  Den  Rubiaceae  schliessen  sich 
folgende  Familien  enge  an: 

I.  Die  Baldriangewächse,  Yalerianeae,  Kräuter  mit 
gegenständigen  Blättern  und  3  männigen  Blüten.  (Triandria 
Monogynia  L.) 

Valeriana  officinalis,  Baldrian,     off.  Rad.   Valerianae. 
Eine  meter-  bis  mannshohe  Staude  mit  fleischroten  Trugdolden.  Fig  395. 
Bekannt  ist  noch    der  als  Frühlingssalat  gebräuchliche  kleine,  blau- 
blühende Feldsalat  (Valerianella  Olitoria). 

II.  Die  Geisblattgewächse,  Caprif oliaceae ,  Sträucher 
mit  gegenständigen  Blättern,  5  männigen  Blüten  und  Steinbeeren. 
(Pentandria  nach  Linne.) 

Sambucusnigra,  Hollunder,    .     off.  Flor.,  Succ.  Sambuci. 

Ein  Strauch  mit  gefiederten  Blättern,  weissen  Blüten  in  fünfstrahligen 
Trugdolden  und  schwarzen  Beeren,  deren  Saft  man  eindampft.  Fig.  396. 
—  Der  Zwerqhollunder  (S.  Ebulus)  unterscheidet  sich  durch  violette  Staub- 
beutel und  dreistrahlige  Trugdolden;  der  Traubenhollunder  (S.  racemosa) 
durch  einen  traubenförmigen  Blütenstand  und  rote  Beeren. 

Hierhin  noch:  der  Schneeball  (Viburnum  Opulus)  mit  handlappigen 
Blättern  und  weissen,  strahlenden  Trugdolden;  das  gemeine  Geisblatt 
(Lonicera  Xylosteum)  mit  gepaarten,  gelblichen,  lippenförmigen  Blüten, 
sowie  das  an  Lauben  gezogene  windende  Geisblatt  (Lonicera  Capri- 
folium)  mit  rötlichen  Blüten. 

*)  Cinchona  nach  der  Gräfin  Chinchon,  die  durch  China  geheilt  wurde. 
**)  Uncaria  von  uncus  (Haken)  wegen  des  gekrümmten  Fruchtstiels. 
***)  Psychotria  von  <\uyy\  (Seele)  und  Ja-rot«  (Heilung). 

t)  Cephaelis  von  xsoaXr,  (Kopf), 
ttj  Chiococca  von  yjwv  (Schnee)  und  xoz/.os  (Beere). 


-    505     - 


3.  Ordnung.    Polypetalen. 

Blüten  mit  Kelch  und  mehrblätteriger  Blume, 
a)  Polypetalen  mit  kelchständiger  Blume  (Calycifloren). 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

A.  Blüte  regelmässig. 

1.  Staubgef'ässe  ebenso  viel  als  Blumenblätter  (4 — 5). 

a)  Frucht  eine  Spaltfrucht Umbelliferae. 

b)  Frucht  eine  Beere  oder  Steinfrucht, 
a)  Fruchtfächer  1  sämig. 

Staubgefässe  5 Araliaceae. 

Staubgefässe  4 Corneae. 

ß)  Fruchtfächer  mit  vielen  Samen. 

Blüten  zwitterig Grossularieae. 

Blüten  eingeschlechtig Cucurbitaceae 

2.  Staubgefässe  zahlreich. 

a)  Frucht  unterständig  (vom  Kelche  gekrönt). 

a)  Griffel  2 — 5 Pomaceae. 

ß)  Griffel    1 Myrtaceae. 

b)  Frucht  vom  Kelche  frei. 

a)  Stempel  1;  Steinfrucht Amygdaleae. 

ß)  Stempel  zahlreich;  Sammelfrucht      .     .     Rosacea e. 

B.  Blüte  schmetterlingsförmig;  Hülsenfrucht      .     .     Papilionaceae. 

Die  Doldengewächse,  Umbelliferae. 

§  462.  Charakter  der  Doldengewächse.  Die  Familie  der  Dolden- 
gewächse, Umbelliferae ,  besteht  zumeist  aus  zweijährigen 
oder  ausdauernden  Kräutern  mit  abwechselnd  gestellten 
Blättern,  deren  Blattstiele  gewöhnlich  in  eine  Scheide  ver- 
breitert  sind,  und  deren  Spreite  vorzugsweise  die  Fiederteilung 
zeigt.  Die  kleinen  Blüten  stehen  in  zusammengesetzten,  selten 
einfachen  D  o  1  d  e  n ,  welche  sowohl  durch  eine  allgemeine  Hülle 
(involucrum),  als  auch  durch  besondere  Hüll  che n  (involucella) 
unterstützt  werden.  Zuweilen  fehlt  die  Hülle,  in  anderen  Fällen 
Hülle  und  Hüllchen. 

Die  Blütenkreise  sind  fünfzählig,  die  Kelchröhre  mit  dem 
Fruchtknoten  verwachsen,  daher  die  fünf  blätterige  Blume, 
sowie  die  fünf  Staubgefässe  oberständig.  Der  Frucht- 
knoten trägt  zwei  Griffel.  Hiernach  stehen  diese  Gewächse 
in  der  Pentand ria  Digynia  nach  Linne.     (Fig.  397.) 

Die  Frucht  ist  eine  in  zwei  Seh  Hess  fruchte  zerfal- 
lende Spaltfrucht.  (Fig.  398.)  Da  die  Teilfrüchtchen  (meri- 
carpia)  an  ihrer  Spitze  an  einem  fadenförmigen  Fruchtträger 
hangen,  so  nennt  man  die  Frucht  auch  wohl  eine  Hänge  fr  ucht 
(cremocarpium).     Die    Yerbindungsfläche   der    beiden   Teilfrüchte 


-     506 


heisst  die  Fuge.  Jede  Teilfrucht  zeigt  äusserlich  fünf  Rippen 
oder  Riefen  (juga,  nervi),  zwischen  denselben  4  Thälchen 
(valleculae,  sulcus) ;  in  den  letzteren  verlaufen  unterhalb  der  Ober- 
fläche die  mit  ätherischem  Öle  gefüllten  Ölstriemen  (vittae), 
welche  auf  dem  Querschnitt  der  Frucht  als  dunkle  Punkte  zu 
erkennen  sind  (Fig.  399  o).  Zuweilen  erheben  sich  in  den  vier 
Thälchen  4]STebenrippen  (j  uga  secundaria).  Jede  Teilfrucht  birgt 
1  Samen  mit  reichlichem  E  i  w  e  i  s  s  (Fig.  399e)  mit  sehr  kleinem  Keim. 


Fig.  397. 
Umbellif erenblüte . 


Fig.  398. 
Umbelliferenfrucht. 


Fig.  399. 
Umbelliferenfrucht  im    Querschnitt, 
e  Eiweiss,  o  Ölstriemen. 


Die  Umbelliferen  gehören  vorzugsweise  der  nördlichen  ge- 
mässigten Zone  an  und  zeichnen  sich  durch  einen  Gehalt  an 
ätherischem  Öle  (in  den  Ölstriemen  der  Frucht),  Balsam  und  Harz 
(in  den  Balsamschläuchen  der  Wurzel),  einige  auch,  wie  der  Schier- 
ling, die  Hundspetersilie,  durch  giftige  Alkaloide  aus. 

§  463.    Einteilung  der  Umbelliferen.  Man  teilt  die  Doldengewächse 
nach  den  Yerhältnissen  der  Frucht  ein.*) 

1.  Foeniculum   capillaceum 

(F.  officinale),  Fenchel,     .     .off.  Fruct.,  Oleum  Foeniculi. 
Der  Fenchel,  Fig.  400,  ist  ein  ein-  bis  zweijähriges  Kraut,  aus  Süd- 
europa, mit  gelben  Blüten  und  haarfeinen  Blattzipfeln,  durch  die  stielrunde 
Frucht    sich    unterscheidend    von    dem    ganz    ähnlichen    Dill    (Anethum 
graveolens),  dessen  Frucht  linsenförmig  ist. 

2.  Oenanthe     Phellandrium, 

Wasserfenchel, off.  Fruct.  Pkellandrii. 

Der  Wasserfenchel,  ein  zweijähriges  Kraut,  Fig.  401,  wächst  an 
Bächen  und  Sümpfen  und  kennzeichnet  sich  durch  seine  stumpfrippigen  Früchte. 

3.  Petroselinum    sativum, 

Petersilie, off.  Fruct.  Petroselini. 

Die  Petersilie,  Fig.  402,  wird  zum  Küchengebrauche  allenthalben 
in  Gärten  gezogen.   Ihr  ähnlich  ist  die  giftige  Hundspetersilie  (Aethusa 

*)  Einteilung  der  Gattungen  der  Umbelliferen. 
A.  Auf  dem  Querschnitte  der  Frucht  erscheint  der  Eiweisskörper  gegen 
die  Fuge  flach  oder  convex.  (Orthospermae.) 
1.  Dolde  einfach.     Gatt.  Sanicula,  Eryngiuni,  Astrantia. 


507     — 


Umbelliferae. 


Fig.  400.  Pig  401. 

Foeniculuni  officinale.  Fenchel.  Oenanthe  Phellandriuni.  Wasserfenchel. 

Nebst  einzelner  Blüte  (rechts)  Frucht  (links)  Nebst  einzelner  Blüte  und  Frucht, 

und  Querschnitt  einer  Teilfrucht  (oben  rechts). 


v\ 

Fig.  402. 
Petroselinum  sativum.  Petersilie. 
Nebst  einzelner  Blüte  und  Frucht  (oben), 
sowie  deren  Querschnitt  (unten  rechts). 


Fig.  403. 
Carum  Carvi.  Kümmel. 
Nebst  einzelner  Blüte,  der  Frucht 
und  deren  Querschnitt  (oben  rechts). 


—     508     - 

Cynapium*),  kenntlich  an    den  glänzend  dunkelgrünen,  nicht  gewürzigen 
Blättern  und  den  schlaff  herabhängenden  Hüllblättchen. 

4.  Carum  Carvi**),  Kümmel,  .     .     off.  Fruct.,  Oleum  Carvi. 
Der  Kümmel  Fig.  403,  auf  Wiesen  wild  und  auch  kultiviert,  kenn- 
zeichnet sich  durch  weisse  Dolden  ohne  Hülle  und  Hüllchen. 

5.  PimpinellaAnisum,  Anis,    .     off.  Fruct.  Oleum  Anisi. 

6.  Pimpinella  Saxifraga)  „..         „     «,,,•.,,  „.      .    ,, 

7.  Pimpinella  magna        jBibernell,  off.  Rad.  Ptmpznellae. 

Der  Anis  stammt  aus  dem  Orient  und  wird  an  manchen  Orten  gebaut. 
—  Die  beiden  genannten  Arten  Bibernell  wachsen  bei  uns  wild,  P.  Saxi- 
fraga,  mit  niedrigem,  feingerilltem  Stengel,  an  trocknen,  steinigen  Gras- 
plätzen; P.  magna,  mit  meterhohem,  gefurchtem  Stengel,  an  feuchten  Orten. 
Fig.  404  u.  405. 

8.  Levisticumofficinale,  Liebstöckel,  off.  Rad.  Lcvistici. 

Eine  mannshohe  Staude  mit  gelben  Blüten,  aus  Südeuropa,  bei  uns 
in  Gärten  gezogen.  Fig.  406. 

9.  Ar ck  angelica***)  officinalis 

(Angelica  Archangelica),  Engelwurz,      off.  Rad.  Angelicae. 

Eine  mannshohe  Staude  der  norddeutschen  Ebene,  in  Thüringen 
kultiviert.  Fig.  407. 

2.  Dolde  zusammengesetzt. 

a)  Jede  Teilfrucht  nur  mit  5  Hauptrippen. 

a)  Spaltfrucht  stielrund  (auf  dem  Querschnitte). 
Gatt.  Foeniculum,  Oenanthe,  Aethusa,  Meum. 
ß)  Spaltfrucht  seitlich  zusammengedrückt. 
Gatt.  Petroselinum,  Apium,  Cicuta,  Sium, 
Aegopodium,  Carum,  Pimpinella. 
y)  Spaltfrucht  vom  Rücken  her  zusammengedrückt, 
aa)  mit  doppeltem  Randüügel. 

Gatt.  Levisticum,  Angelica.  Archangelica. 
ßß)  Frucht  linsenförmig,  am  Rande  1  flügelig. 
Gatt.  Peucedanum,  Imperatoria,  Ferula, 
Heracleum,  Pastinaca,  Anethum. 

b)  Jede   Teilfrucht   mit  5  Hauptrippen  und  4   stacheligen  oder 

geflügelten  Nebenrippen.     Gatt.  Daucus,  Laserpitium. 

B.  Auf  dem  Querschnitte  der  Frucht  erscheint  der  Eiweisskörper  gegen 
die  Fuge  mit  einer  Furche  versehen.  (Campylospermae). 

a)  Jede  Teilfrucht  nur  mit  5  Hauptrippen. 

Gatt.  Conium,  Chaerophyllum,  Anthriscus. 

b)  Jede  Teilfrucht  mit  stacheligen  Haupt-  und  Nebenrippen. 

Gatt.  Caucalis,  Torilis. 

C.  Auf  dem  Querschnitte  der  Frucht  erscheint  der  Eiweisskörper  halb- 
mondförmig ausgehöhlt.  (Coelospermae).     Gatt.  Coriandrum. 

*)  Aethusa  von  eülQ-w  (glänzen) ;  Cynapium  von  xiwv  (Hund)  und  ixr.iov 
(Sellerie). 

**)  Carum  (zapov)  und  Carvi  (franz.)  =  Kümmel. 
***)  Archangelica  ==  beste  Angelika  (apyi  =  Vorsilbe  Erz-). 


509     - 


Umbelliferae. 


Fig.  404. 
Pimpinella  Saxifraga.  Kleine  Bibernell. 
Nebst  einzelner  Blüte  und  der  Frucht. 


Fig.  405. 

Pimpinella  magna.  Grosse  Bibernell. 

Nebst  einzelner  Blüte  und  der  Frucht 

(links),  sowie  dem  Querschnitte  einer 

Teilfrucht  (rechts). 


A    a^llil&i&Es 


Fig.  406. 
Levisticum  officinale.  Liebstöckel. 
Nebst  einzelner  Blüte  und  der 
querdurchschnittenen  Frucht. 


Fig.  407. 

Archangelica  officinalis.  Engelwurz. 

Nebst  einzelner  Blüte  (rechts), 

der  Frucht  und  dem  Querschnitt 

einer  Teilfrucht  (links). 


—     510    — 

10.  Imperatoria     Ostruthium*) 

Meisterwurz, off.  Rhizoma  Imperatoriae. 

Eine  mannshohe  Staude  auf  den  Alpenwiesen,  mit  weissen  Blüten. 

11.  Coriandrum  sativum,  Koriander,    off.  Fruct.  Coriandri. 
Ein   einjähriges  Kraut   aus    Südeuropa,  bei  uns  mancherorts  gebaut, 

mit  weissen  strahlenden  Dolden,  frisch  nach  Wanzen  riechend.  Fig.  408. 

12.  Daucus  Carota,  Möhre,   .     .  obs.  Succus Dan ciinspüs. 

Ein  bei  uns  häufig  wildwachsendes  (mit  holziger  Wurzel)  und  vielfach 
in  Gärten  gezogenes  (mit  fleischiger  Wurzel)  Kraut  mit  borstigen  Früchten. 

13.  Conium  maculatu.ni,  Schierling,  off.  Herba  Conii. 

Ein  meterhohes,  giftiges  Kraut  an  unbebauten  Orten,  dessen  Stengel 
an  den  unteren  Teilen  braungefleckt,  im  übrigen  aber  nebst  den  dreifach- 
gefiederten Blättern  gänzlich  kahl  ist.  Fig.  409.  Durch  seine  kugeligen 
Früchte  mit  wellig  gekerbten  Rippen  unterscheidet  er  sich  von  dem  wilden 
Kerbel  (Anthriscus  Silvester),  Fig.  410,  mit  länglicher,  rippenloser  Frucht, 
sowie  vom  Kälberkropf  (Chaerophyllurn  temulum)  Fig.  411,  mit  läng- 
licher, stumpfrippiger  Frucht.  —  Früher  wurde  der  an  Ufern  wachsende, 
ebenfalls  stark  giftige  Wasserschierling  (Cicuta  virosa)  in  gleicher  Weise 
wie  Conium  gebraucht  (Herba  Cicutae). 

14.  DoremaAmmoniacum off.  Ammoniacum. 

15.  Ferula   Scorodosma  ") 

(Ferula  Asa  foetida)    .....  „  .       '■„    .. , 

16.  Ferula   Narthex                       Asant'  öS.  Asa  foettda. 
(Narthex  Asa  foetida)      .     .     J 

17.  Ferula  galbaniflua       .     .\  „  _  „ 

18.  -       Fubricaulis  .     .     ./ •    ■     ■     oK  Galbanum. 
Sämtlich  Stauden  in  den   persisch- turanischen  Ländern,    welche    au& 

Einschnitten  die  Gummiharze  ausfliessen  lassen. 

Die  Kürbisse,  Cucurbitaceae. 

§  464.  Von  den  Kürbissen.  Zur  Familie  der  Kürbisse,. 
Cucurbitaceae,  zählen  Kräuter,  mit  kletternden,  spiraligen 
Ranken,  die  neben  den  rauhen  handlappigen  Blättern 
entspringen.  Die  oft  ansehnlichen  Blüten  sind  getrennten 
Geschlechtes,  fünfgliederig,  mit  5  verwachsenen  Staubgefässen. 
(Monoecia  Polyadelphia  Linne.)  Die  Frucht  ist  eine  un- 
terständige Beere  mit  wandständigen ,  eiweisslosen  Samen  —  ein 
sogenannter  Kürbis  (Pepo). 

1.  Citrullus   Colocynthis 

(Cucumis  Colocynthis),  Koloquinte,  off.  Fruct.  Colocynthidis. 

Ein  rankendes  Kraut  in  Nordafrika  und  Kleinasien,  dessen  goldgelbe- 
Beeren  geschält  in  den  Handel  kommen. 


*)  Ostruthium  von  axpou^tov  (Strauss). 


511 


Umbelliferae. 


Fig.  40S. 
Coriandrum  sativum.  Koriander. 
Nebst  einzelner  Blüte,  der  Frucht 
und  dem  Querschnitt  einer  Teilfrucht 
(unten  links). 


Fig.  409. 
^Conium  maculatum.  Schierling. 
Nebst  einzelner  Blüte,  der  Frucht 
und  dem  Querschnitte  einer  Teilfrucht. 


Fig.  410.  Fig.  411. 

Anthriscus  silvestris.  "Wilder  Kerbel.  Chaerophyllum  temulum.  Kälberkropf. 

Nebst  einzelner  Blüte,  der  Frucht  Nebst  einer  einzelnen  Blüte,  der  Frucht 

und  dem  Querschnitte  einer  Teilfrucht  und  dem  Querschnitt  einer  Teilfrucht 

(unten  rechts).  (unten  links). 


512     - 


2.  Bryoniadioica\r7         ..,  ,       _, "       _ 

o  _  alba      l  ^aunru':)e,       •     obs.  Bad.  Bryoniae. 

Rankende  Kräuter  an  Zäunen,  ersteres  mit  roten,  letzteres  mit 
schwarzen  Beeren,  beide  mit  dicker,  rübenförmiger  Wurzel,  welche  im 
frischen  Zustande  drastische  Wirkung  ausübt.  Fig.  413. 

4.  Ecballion  Elaterium,   Springgurke,      obs.  Elaterium. 

Ein  niedriges  Kraut  in  Südeuropa,  ohne  Ranken,  dessen  Beeren  bei 
der  Reife  vom  Stiele  abbrechen  und  ihren  Saft  elastisch  fortschleudern.  Der 
eingedickte  Saft  wurde  ehedem  als  drastisches  Mittel  gebraucht.  {Elaterium). 

Zu  den  Küchengewächsen  zählen:  Die  Gurke  (Cucumis  sativus)  und 
der  Kürbis  (Cucurbita  Pepo),  jene  mit  scharfrandigen  Samen  in  länglichen 
Beeren,  dieser  mit  wulstigberandeten  Samen  in  kugeligen  Beeren. 

§  4.65.  Verwandte  Familien.  Hier  schliessen  sich  folgende  klei- 
nere Familien  an: 

1.  Die  S tachelbe er ge w äch se,  Grossularieae,  Sträucher 
mit  unterständigen  Beeren. 

Die  Stachelbeere  (Ribes  Grossularia) ,  sowie  die  rote  Johannis- 
traube (Ribes  rubrum),  aus  deren  Beeren  man  einen  Syrup  (Syrujrus 
Rubium)  kocht. 

2.  Die  Kornelkirschen,  Corneae,  mit  Steinfrüchten. 

Hierhin  die  Kornelkirsche  (Cornus  mas),  ein  Zierstrauch  aus  Süd- 
europa, mit  gelben  Blüten.  —  Der  Hornstrauch  (Cornus  sanguinea),  mit 
weissen  Trugdolden,  häufig  in  unseren  Hecken. 

3.  Die  Epheugewächse,  Araliaceae,  Sträucher  mit  Beeren. 
Das    Epheu    (Hedera    Helix)    klettert    mittelst    Klammerwurzeln    an 

Mauern  und  Bäumen  empor,  ohne  jedoch  aus  ihnen  Nahrung  zu  ziehen. 

Die  Rosengewächse,  Rosaceae. 

§  466.  Charakter  der  Rosengewächse.  Zur  Familie  der  Rosen, 
Rosaceae,  zählen  kraut-  und  strauchartige  Gewächse,  die  sich 
durch  zahlreiche  kelchständige  Staubgefässe  auszeichnen.  Die 
Blätter  sind  abwechselnd  gestellt,  mit  Neben- 
blättchen versehen  und  in  der  Regel  ge- 
fiedert, seltener  gefingert;  die  Blüten  regel- 
mässig, fünfghederig,  mit  zahlreichen,  dem 
Kel  chschlunde  eingefügten  Staubge- 
fässe n  und  mehreren  (oft  vielen)  getrennten 
Stempeln,  die  entweder,  wie  bei  der  Rose  (Fig. 
412),  von  der  Kelchröhre  eingeschlossen  werden, 
oder  auf  einer  flach  ausgebreiteten  Kelchröhre 
stehen ,  wie  bei  Rubus.  Daher  finden  wir  diese 
Gewächse  in  der  Linneschen  Klasse  Ikosandria 
Polygynia  L.  Die  Frucht  wird  aus  nüsschen- 
oder  steinfruchtartigen  Früchtchen  zusammengesetzt 
Fig.  412.         (Sammelfrucht),  mit  je  1  eiweisslosen  Samen. 


513 


Cucurbitaceac 


Rosaceae. 


Fig.  413. 

Bryonia  dioica.  Zaunrübe. 

Oben  ein  Zweig  mit  weiblichen  Blüten, 

darunter  ein  solcher  mit  männlichen  Blüten, 

nebst  einer  einzelnen  weiblichen, 

wie  männlichen  Blüte. 


Mg.  414. 

Kubus  Idaeus.  Himbeerstrauch. 

Nebst  einem  Stempel,  Blumenblatt 

und  einer  Beere. 


'Rosaceae. 


Fig.  415. 
öeum  urbanum.  Nelkenwurz. 
Nebst  einem  Blumenblatt  und 
einem  Früchtchen. 


Fig.  416. 
Potentilla  Tormentilla.  Tormentille. 
Nebst  einzelner  Blüte  und 
Blumenblatt. 


Schlickum,  Apothekerlehrling 


33 


—    514     - 

Die  Rosaceen  finden  sich  hauptsächlich  in  der  nördlichen 
gemässigten  Zone  und  gehen  bis  hinauf  zu  den  Schneefeldern  der 
Polarländer  und  der  Alpen.  Ihre  Blüten  duften  oft  von  ätherischem 
Öle  (z.  B.  Rosa,  Spiraea),  ihre  "Wurzeln  und  Blätter  führen  vor- 
herrschend adstringierende  Stoffe  (z.  B.  Geum,  Tormentilla). 

§  467.    Einteüung  der  Familie. 

I.  Echte  Rosen  (Rosaceae). 

1.  Rosa  centifolie,  Centifolie,    .     .     off.  Flores  Bosae. 

2.  Rosa  damascena. off   Oleum  Rosae. 

Die  Centifolie  ist  ein  bekannter   Zierstrauch  unserer  Gärten,   mit 

gefüllten  Blüten  (durch  Rückverwandlung  der  Staubgefässe  in  Blumenblätter). 
—  R.  damascena  wird  zur  Gewinnung  des  Rosenöls  an  den  Südabhängen 
des  Balkans  in  der  europäischen  Türkei  im  grossen  gezogen.  —  Von  den 
einheimischen  Rosen  ist  die  Hundsrose  (R.  canina)  die  bekannteste.  An 
ihr  bilden  sich  durch  den  Stich  einer  Wespe  Auswüchse,  der  sog.  Rosen- 
schwamm  (Fungus  Cynosbati). 

3.  Rubus  Idaeus,  Himbeere,     .     off.  Syrupus  Rubi  Idaei. 
Die  Gattung   Rubus   kennzeichnet   sich  durch  die  aus  zahlreichen 

Steinfrüchten  bestehende  Sammelfrucht:  Der  Himbeerstrauch,  Rubus 
Idaeus,  Fig.  414,  mit  roten,  flaumhaarigen  Früchten ;  —  der  Brombeer- 
strauch, Rubus  fruticosus,  mit  glänzendschwarzen  Früchten. 

4.  Geum  urbanum,  Nelkenwurz,  obsol.  Rad.  Caryophyllatae. 
Bei  der  Nelkenwurz,   Fig.  415,   einem  Kraute  mit  gelben  Blüten, 

dessen  nach  Nelken  riechende  Wurzel  man  früher  gebrauchte,  verleihen 
die  hakig  gekrümmten  Griffeln  der  Sammelfrucht  ein  klettenartiges  Aussehn. 

5.  Potentilla  Tormentilla,  Tormentille, 

off.  Rhiz.  Tormenüllae. 

Die  Tormentille  ist  ein  kriechendes  Kraut  mit  vi  er  blätteriger, 
gelber  Blume,  von  den  übrigen  Potentilla- Arten  mit  5 blätterigen  Blumen 
leicht  zu  unterscheiden.     Fig.  416. 

Hierbin  zählen  noch:  die  Erdbeere  (Fragaria  vesca)  mit  saftiger 
Frucht  (hervorgegangen  aus  dem  Blütenboden) ;  die  duftende  Spierstaude 
(Spiraea  Ulmaria)  und  der  Odermennig  (Agrimonia  Eupatoria). 

6.  Hagenia    abyssinica 

(Brayera  anthelmintica)      ....     off.  Flor.  Koso. 

Ein  diöcischer  abyssinischer  Baum  dessen  weibliche  Blütenrispen  als 
Koso  (Kusso)  zu  uns  kommen. 

H.  Wiesenknopfgewächse  (Sanguisorbeae),  ohne  Blumenblätter. 
Hierhin:  der  Frauenmantel  (Alchemilla  vulgaris),  mit  fächerförmig  ge- 
falteten Blättern;  der  Wiesenknopf  (Sanguisorba  officinalis) ,  mit  läng- 
lichen, dunkelroten  Blütenköpfchen,  und  die  Becherblume  (Poterium 
Sanguisorba),  mit  kugeligen,  grünlichen  Köpfchen;  beide  auf  Wiesen  häufig. 

§  468.    Verwandte  Familien.   Den  Rosaceae  schliessen  sich  an : 

1.  Die  Familie  des  Steinobstes,  Amygdaleae,  Bäume 

und   Sträucher  mit  vielmännigen   Blüten,    deren  jede   aber  nur 


—    515    — 


Amygdaleae. 


Fig.  417.  Fig.  418. 

Prunus  Amygdalus.  Mandelbaum.  Prunus  spinosa.  Schlehdorn. 

A  Blüte,  B  längsdurchschnittene  Frucht.  Ein  blühender  und  ein  fruchttragender 

C  Querdurchschnittener  Stein.  D  Same  Zweig,  sowie  eine  Blüte 

im  Querschnitt.  E  Same  im  Längsschnitt.  im  Längsschnitt. 

Pomaceae. 


Fig.  419. 
Pirus  Malus.  Apfelbaum. 
Nebst  Stempel  und  Frucht. 


Fig.  420. 
Cydonia  vulgaris.  Quittenbaum. 
Nebst  Blüte  und  Frucht. 


33* 


—     516     - 

1  Stempel   besitzt  —   daher   zur   Ikosandria    Monogynia 
gehörig.     Frucht  eine  Steinfrucht. 

Die  Heimat  des  Steinobstes  ist  Mittelasien,  von  wo  es  jedoch 
schon  in  frühen  Zeiten  nach  Europa  verpflanzt  wurde.  Alle 
Pflanzenteile  führen  mehr  oder  weniger  Amygdalin,  vorzugsweise 
die  Samen,  aber  auch  die  Blätter  mancher  Gewächse  (z.  B.  des 
Kirschlorbeers,  des  Pfirsichbaumes). 

1.  Prunus  Amygdalus  (Amygdalus  communis); 
Mandelbaum,  ....     off.  Amygddlae  antarae  u.   dulces. 

Der  Mandelbaum  existiert  in  2  Varietäten,  von  denen  die  eine  bittere; 
die  andere  süsse  Mandeln  trägt.  Die  filzigen,  saftlosen  Früchte  bergen 
einen  löcherigen  Stein,  der  die  Mandeln  enthält.  Fig.  417. 

2.  Prunus  Cerasus,  Sauerkirsche,   ....     off.  Cerasa. 

Die  Sauerkirsche  unterscheidet  sich  von  der  Süsskirsche  (Prunus 
avium)    durch  ihre   sauren  Früchte,   aus   denen  man  Kirschsyrup  bereitet. 

3.  Prunus  Lauro-Cerasus, 

Kirschlorheer, off.  Fol.x  Lauro-CerasL 

Ein  Strauch  aus  Südeuropa  mit  immergrünen,  glänzenden,  lederigen 
Blättern,  aus  denen  man  das  Kirsclilorbeerwasser  destilliert. 

4.  Prunus  spinosa,  Schlehdorn,     .     obsol.  Flor.  Acaciae. 

Ein  bekannter  Strauch,  dessen  weisse  Blüten  vor  den  Blättern  er- 
scheinen. Fig.  418. 

Hierhin  zählen  noch:  der  Aprikosenbaum  (Prunus  Armeniaca), 
Pfirsichbaum  (Prunus  Persica),  Pflaumenbaum  (Prunus  insititia), 
Zwetschenbaum   (Prunus    domestica),    die   Ahlkirsche  (Prunus  Padus). 

IL  Die  Familie  des  Kernobstes,  Pomaceae,  Bäume 
und  Sträucher  mit  fleischig-saftiger  Frucht,  welche  vom 
Kelche  gekrönt  ist.  Ihre  vielmännigen  lauten  bergen  einen  un- 
terständigen, 2 — 5  fächerigen  Fruchtknoten  mit  2—  5  Griffeln. 
Daher  finden  wir  das  Kernobst  in  der  Ikosandria  Di-  bis 
Pentagynia  nach  Linne. 

Das  Kernobst  gehört  der  nördlichen  gemässigten  Zone  an  und 
fehlt  den  Tropenländern. 

1.  Pirus  Malus,  Apfelbaum,      ....     off.  Poma  acida. 

Von  den  sauren  Äpfeln  bereitet  man  das  Exlr  actum  TPerri  pomatvm. 
Durch  die  Form  der  Frucht  unterscheidet  sich  der  Apfelbaum  (Fig.  419) 
vom  Birnbaum  (P.  communis). 

2.  Cydonia  vulgaris  (Pirus  Cydonia), 
Quittenbaum, off.   Semen  Cydoniafi. 

Die  Quitte  unterscheidet  sich  vom  Apfel  und  der  Birne  dadurch,  dass 
bei  ihr  die  Samen  zu  mehreren  im  Fache  liegen,  während  Apfel  und  Birne 
nur  je  2  Samen  im  Fruchtfache  bergen.  Fig.  420. 

Hierhin  zählen  noch:  der  Weissdorn  (Crataegus  Oxyacantha),  die 
Eberesche  (Sorbus  Aucuparia)  mit  ihren  roten,  sauren  Beeren  in  Trug- 
dolden, und  die  Mispel  (Mespilus  germanica). 


—    517     — 

III.  Die  Myrte ngewächse,  Myrtaceae,  Bäume  und  Sträu- 
cher  heisser  Klimate,  reich  an  Wohlgeruch  und  Gewürz.  Ihre  Blätter 
sind  meist  lederig  und  drüsig-punktiert.  (Ikosandria  Monogynia  L.) 

1.  Punica  Granat  um,  Granatbaum,  .     off.  Cort.  Granati. 

Ein  Baum  der  Mittelrneerländer,  mit  scharlachroten  Blüten  (früher 
oft'.  Flor.  Balauslii)  und  lederschaligen  Beeren  (früher  off.  Cort.  Balaustii). 

2.  Eugenia  caryophyllata  (Caryophyllus 
aromaticus),  Gewürznelkenbaum,  ...     off.  Caryophylli. 

Ein  auf  den  Molukken  einheimischer,  in  vielen  Tropenländern  (Süd- 
amerika) gepflanzter  Baum,  dessen  Blütenknospen  die  Gewürznelken  darstellen, 

3.  Melaleuca  Leucadendron*), 

Kajeputbaum, off.  Oleum  Cajeputi. 

Ein  weissherindeter  Baum  auf  den  Molukken,  dessen  Zweige,  der 
Destillation  unterworfen,  das  Kajeputöl  liefern. 

4.  Eucalyptus**)  Globulus,  off.  Folia  u.  Oleum  Eucalypti. 

Ein  hoher  Baum  Neuhollands,  der  zur  Austrocknung  sumpfiger  Gegenden 
auch  anderwärts  gepflanzt  wird. 


Die  Schmetterlingsblütler,  Papilionaceae. 

§  469.  Charakter  der  Schmetterlingsblütler.  Die  Familie  der 
Schmetterlingsblütler,  Papilionaceae,  eine  der  wichtigsten 
und  grössten ,  umfasst  Gewächse  mit  abwechselnd  gestellten, 
teils  dreizähiigen,  teils  gefiederten  Blättern,  welche 
von  Neben  blättchen  begleitet  sind ,  die  zuweilen  (wie  bei 
der  Erbse)  das  Blatt  an  Grösse  übertreffen ,  zuweilen  aber  (wie 
bei  der  Robinie)  in  einen  Dorn  verwandelt  sind.  Die  Blüten 
besitzen  eine  schmetterlingsförmige  Blume  (corolla  papili- 
onacea),  deren  oberes,  halb  empor- 
gerichtetes Blumenblatt  Fahne 
(vexillum)  genannt  wird,  während 
die  beiden  seitlichen  Blumenblätter 
die  Flügel  (alae),  die  beiden  un- 
teren, in  der  Regel  kahnförmig 
verbunden,  das  Schiffchen  oder 
den  Kiel  (carina)  bilden  (Fig.  42 1). 
— Die  10  Staubt äden  sind  bald 
sämtlich  in  eine  Röhre  ver- 
wachsen, bald  nur  zu  9  ver- 
wachsen, wie  Fig.  422  zeigt,  wäh- 
rend einer  frei  bleibt,  welcher  in  der  Spalte  der  Staubfadenröhre 
liegt.  Linne  stellte  diese  Gewächse  in  dieDiadelphia  Dekandria. 


Fig.  421. 

a  Fahne  b  Flügel 


Schiffchen. 


Fig.  422. 


*)  Melaleuca  von  fiäXa;  (schwarz)  und  Xsuxo?  (weiss).  —  Leucadendron 
von  Xsu*o;  (weiss)  und  oavSpov  (Baum). 

**)  Eucalyptus  von  suxaXÜ7ctos  (wohlbedeckt,  mit  schöner  Haube). 


—    518     — 


—  Die  Frucht  ist  eine  Hülse  d.  i.  ein  einzelnes 
Karpellblatt,  welches  die  Samen  an  der  Bauchnaht 
trägt  und  bei  der  Reife  in  zwei  Klappen  aufspringt 
(Fig.  423).  Der  Same  enthält  kein  Eiweiss, 
häufig  fleischige  Samenlappen  (wie  dieErbsen, 
Bohnen,  Linsen),  sowie  einen  gekrümmten  Keim. 
Die  Schmetterlingsblütler  finden  sich  über  die 
ganze  Erde  verbreitet ;  sie  bilden  auch  in  Deutsch- 
land einen  wesentlichen  Bestandteil  der  Yegetation 
und  der  Kulturgewächse.  Zum  Teile  sind  es 
Futterkräuter  (wie  der  Klee,  Luzerne,  Esparsette, 
Wicke),  zum  Teil  wegen  des  Stärkemehl-  und 
Proteingehaltes  ihrer  Samen  allenthalben  gezogene 
Nährpflanzen  (wie  die  Erbse,  Bohne,  Linse).  Bei 
einigen  Arten  treffen  wir  aromatische  Bestandteile 
an,  wie  z.  B.  das  (auch  im  Waldmeister  enthaltene) 
Cumarin  in  den  Blüten  von  Melilotus ,  den  Samen  von  Faenum 
graecum  und  den  Tonkabohnen,  auf  welchen  letzteren  es  häufig 
auskrystallisiert.     Giftige  Stoffe  zeigt  die  Calabarbohne. 

§  470.     Einteilung  der  Schmetterlingsblütler.     Man   teilt  die  Gat- 
tungen nach  der  Form  der  Blätter,  Hülsen  und  Samen  ein.*) 

1.  Ononis  spinosa,  Hauhechel,  ...     off.  Rad.  Ononidis. 
Die    Hauhechel,    Fig.   424,    ist   ein  dorniges,   rosablühendes  Kraut 

unserer  Wiesen    und    unterscheidet    sich    durch  ihren   einzeilig   behaarten 
Stengel  von  der  zottigen,  niederliegenden  Ononis  repens. 

2.  Melilotus**)  officinalis,Honigklee,l    ^    „    7    „, ,.,    . 

3.  -     a  1 1  i  s  s  im  u  s  (macrorrhizus)  f  off-  Herh'  Metlloü' 

Zwei  Kräuter  an  Wegen  und  Rainen,    mit  kleinen  gelben  Blüten  in 
langen,  einseitswendigen  Trauben;  erstere  mit  strohgelben,  kahlen  Hülsen, 


Fig.  423. 


*)  Einteilung  der  Gattungen  der  Schmetterlingsblütler. 

A.  Samenlappen  blattartig. 

1.  Hülse  der  Länge  nach  aufspringend. 

a)  Staubfäden  in  1  Bündel  verwachsen. 

Gatt.  Genista,  Sarothamnus,  Cytisus,  Ononis, 
Anthyllis. 

b)  Staubfäden  zweibrüderig. 
a)  Blätter  dreizählig. 

Gatt.  Trifolium,  Lotus,  Melilotus,  Medicago, 
Trigonella. 
ß)  Blätter  gefiedert. 

Gatt.  Glycyrrhiza,  Galega,  Astragalus. 

2.  Hülse  in  Querglieder  zerfallend. 

Gatt.  Onobrychis,  Hedysarum,  Coronilla. 

B.  Samenlappen  dick,  fleischig.     Blätter  gefiedert,  mit  Wickelranke. 
Gatt.  Vicia,  Cicer,  Ervum,  Pisum,  Lathyrus,  Phaseolus. 

**)  Melilotus  von  jjieXt  (Honig)  und  Xwxo?  (Klee). 


—    519     - 


Papilionaceae. 


Fig.  424. 
Ononis  spinosa.  Hauhechel. 
Nebst  einer  Blüte,  dem  Stempel  (rechts) 
und  der  Frucht  (links  unten). 


Fig.  425. 
Melilotus  officinalis.  Honigklee. 
Nebst  einer  Blüte  (rechts)  und 
Hülse  (links). 


Fig.  426. 

Trigonella  Faenum  Graecum.  Bockshornklee. 

Nebst  einer  Blüte  (links),  Hülse 

und  Samen  (rechts). 


Fig.  427. 
Glycyrrhiza  glabra.  Glattes  Süssholz. 
Nebst  einer  Blüte  (links),  dem  längs- 
durchschnittenen Stempel  und  den 
Geschlechtsorganen  (rechts). 


—     520     — 

letztere  Art  mit  schwarzen,  weichhaarigen  Hülsen.  Fig.  425.    Weisse  Blüten 
hat  Melilotus  alba. 

4.  Trigonella*)    Faenum    Graecum, 
Bockshornklee, off.  Sem.  Faenugraeci. 

Ein  Kraut  Fig.  426,  aus  den  Mittemieerlänclern  stammend  und  bei 
uns  kultiviert,  zeichnet  sich  durch  langschnablige  Hülsen  aus. 

Hierhin  gehört  auch  der  Wiesenklee  (Trifolium  pratense),  der  an 
Wegen  häufige,  weissblühende  kriechende  Klee  (Trifolium  repens),  der 
allenthalben  auf  Wiesen  wachsende  Schotenklee  (Lotus  corniculatus) 
mit  gelben  einfachen  Dolden,  sowie  der  Besenstrauch  oder  Ginster 
(Sarothamnus  scoparius)  mit  grossen,  gelben  Blüten,  die  hier  und  da  ge- 
bräuchlich sind  [Hör es  Spartii  seu  Genistete).  Von  Gemüsepflanzen  und 
Futterkräutern  verdienen  noch  Erwähnung:  die  Erbse  (Pisum  sativum), 
die  Linse  (Ervuni  Lens),  die  Hausbohne  oder  Saubohne  (Vicia  Faba), 
die  Schneidebohne  (Phaseolns  communis),  die  Esparsette  (Onobrychis 
sativa),  der  Luzerner  Klee  (Medicago  sativa). 

5.  Glycyrrhiza**)  glabra,  Süssholz, 

off.  Rad.,  Saccus  Liquiritiae. 

6.  var.  glandulifera,  Rad.  Liquiritiae  mundata. 

Das  spanische  Süssholz  kommt  von  Glycyrrkiza  glabra,  Fig.  427, 
einem  Kraute  in  Südeuropa,  aus  deren  frischer  Wurzel  man  in  Italien  den 
Lakriz  bereitet.  Eine  Varietät  (Gl.  glandulifera) ,  welche  im  südöstlichen 
Europa  wächst,  liefert  das  sog.  russische  Süssholz.  (Früher  leitete  man 
dasselbe  von  Glycyrrhiza  echinata  ab). 

7.  Astragalus  verus,  A.  gummifer. 
A.  ascendens,  A.  leioclados, 

A.  brachycaly x,  A.  microcephalus, 

A.  py  enociados  u.  a.,  Tragantsträucher,  off.  Tragacantha. 

Dornige  Sträuchlein,  die  beiden  erstgenannten  vorzugsweise  in  Klein- 
asien und  Armenien,  die  übrigen  in  Armenien  und  Persien.  Sie  lassen  aus 
Einschnitten  des  Stammes  einen  schleimigen  Saft  ausfliessen,  der  erhärtet 
als  Tragant  in  den  Handel  gebracht  wird.  In  Griechenland  liefert 
A.  creticus  eine  geringwertige  Sorte  Tragant. 

8.  Toluifera  P^ereirae, 

(Myroxylon  Pereirae), off.  Bals.  Peruvianum. 

9.  Toluifera  Balsam  um, 

(Myroxylon  toluiferum),     ....     off.  Bals.  Tolutanum. 

Zwei  ansehnliche  Bäume,  ersterer  in  Centralamerika,  an  der  Küste 
von  San  Salvador,  letzterer  im  nördlichen  Teile  Südamerikas  (aar  Magdalenen- 
strom);  sie  lassen  aus  Einschnitten  den  Balsam  ausfliessen,  beim  Perubalsam 
durch  Anbrennen  unterstützt. 

10.  Pterocarpus  Marsupium off.  Kino. 

Ein  hoher  Baum  in  Ostindien,  aus  dessen  rotbrauner  Rinde  das  Kino 

gewonnen  wird.  —  Pt.  santalinus,  ebendaselbst;  liefert  das  rote  Santelholz. 


*)  Trigonella  von  xpiywvp;  (dreieckig). 

*)  Glycyrrhiza  von  yXux.u?  (süss)  und  pita  (Wurzel). 


—     521     — 

ll.AndiraAraroba off.   Chrysarobinum. 

Ein  Baum  in  Brasilien,  der  in  inneren  Spalten  und  Hohlräumen  ein 
dunkelbraungelbes  Pulver,  sog.  Goapulver,  birgt,  welches  durch  Auflösen 
in  heissem  Benzol  gereinigt  das  Chrysarobin  darstellt. 

12.  Physostignia  venenosum       .     off.   Faba  Calobarica. 

Ein  Schlingstrauch  (ähnlich  unserer  Schneidebohne)  an  der  west- 
afrikanischen Küste,  dessen  Samen,  die  sehr  giftigen  Kalabarbohnen,  daselbst 
zu  Gottesurteilen  benutzt  werden.  Man  bereitet  aus  ihnen  das  Alkaloi'd 
Physostigmin. 

Zu  erwähnen  sind  noch:  Dipterix  odorata,  ein  Baum  in  Guyana, 
mit  wohlriechenden  Samen,  den  sog.  Tonkabohnen.  —  Indigo fera  tinc- 
toria,  ein  Strauch  Ostindiens,  durch  Kultur  auch  nach  Afrika  und  West- 
indien verpflanzt,  liefert  durch  Gährung  der  Blütenzweige  den  Indigo. 

§  471.  Verwandte  Familien.  Den  Schmetterlingsblütlern  stehen 
durch  die  gleiche  Fruchtbildung  —  Hülse  —  nahe: 

Die  Caesalpiniaceae,  fiederblätterige  Bäume  und  Sträucher 
warmer  Klimate,  deren  Blüten  unregelmässig,  aber  nicht  schmetter- 
lingsförmig  sind. 

1.  Ceratonia  Siliqua,  Johannisbrotbaum,  off.  Siliqua  dulcis. 

Ein  Baum  der  Mittelmeerländer,  von  Spanien  bis  zum  Orient,  dessen 
süsse,  fleischige  Hülsen  das  Johannisbrot  darstellen. 

2.  Tamarinduslndica,  Tamarinde,  off.  Pulpa  Tarn arindorum. 
Ein  hoher  Baum  Ostindiens,  durch  Kultur  über  alle  Tropenländer,  auch 

der  neuen  Welt  verbreitet;  man  benutzt  das  säuerliche  Mus  seiner  Hülsen. 

'S.  Haematoxyl  on  Campechian  um, 

off.  Lignum  Campechianum. 

4.  Caesalpinia  Brasiliensi  s,     off.  Liqmim  Femambuci. 

Zwei  Farbhölzer,  erstere  Art  in  Centralamerika  (Campechebay),  letztere 
Art  in  Brasilien. 

5.  Copaifera  officinalis, 

C.  Guianensis  u.  a.,    .     .     .     off.  Bals.  Gopaivae. 

Hohe,  harzreiche  Bäume  in  Brasilien  und  Westindien,  welche  aus  den 
angehauenen  Stämmen  den  Balsam  ausfliessen  lassen. 

6.  Cassia  acutifolia  (C.  lenitiva),!        „, -  lV, ,,.     „ 

7.  Cassia  angustifolia,  j     off'  Foha  Sennae- 

Die  Alexandriner  und  Tripolitaner  Sennesblätter  sind  die  Fieder- 
blättchen von  dem  in  Nubien  und  Sennaar  wild  wachsenden  Strauche 
Cassia  acutifolia.  untermischt  mit  Blättern  der  Ar  gelpflanz  e  (Soleno- 
stenirna  Argel),  einer  Asclepiadee.  —  Die  spitzblätterigen,  lanzettlichen 
Indischen  Sennesblättcr  sind  die  Blättchen  der  in  Ostindien  kultivierten,  in 
Arabien  wildwachsenden  Cassia  angustifolia.  —  Von  Cassia  obovata 
in  Egypten  und  Syrien  kommen  die  verkehrteiförmigen  Aleppischen  oder 
Italienischen  Sennesblätter. 


-     522     — 

II.  Die  Mimosaceae,  Sträucher  und  Bäume  heisser  Länder, 
mit  regelmässigen ,  vielmännigen  Blüten  und  vielpaarig  gefieder- 
ten Blättern. 

Acacia  Senegal  (A.  Yerek),       .     .     off.  Gummi  arabicum. 

Zahlreiche  Arten  der  Gattung  Acacia  wachsen  im  nördlichen  Afrika, 
welche  aus  Rissen  der  Rinde  einen  Schleim  ausfliessen  lassen,  der  zum 
arabischen  Gummi  erhärtet;  es  sind  dornige  Sträucher  und  Bäume  vom 
Senegal  bis  zum  Nil,  sowie  auch  in  Arabien.  Das  officinelle  Gummi  arabicum 
stammt  aus  den  oberen  Nilländern,  von  der  oben  angegebenen  Art.  — 
Aus  der  rotbraunen  Rinde  und  dem  dunkelbraunen  Holze  der  Acacia 
Catechu,  einem  hohen  Baume  in  Ostindien,  wird  durch  Auskochen  das 
Pegu-Catechu  (Terra  japonica)  gewonnen. 

b.  Polypetalen  mit  bodenständiger  Blume  (Thalamifloren). 

Analytische  Übersicht  der  Familien. 

A.  Staubgefässe  in  bestimmter  Zahl. 

1.  Staubgefässe  ebensoviel  als  Blumenblätter,  5. 

a)  Frucht  beerenartig. 

a)  Klettersträucher Ampelideae. 

ß)  Aufrechte  Sträucher  und  Bäume. 

Staubbeutel  längsritzig Rhamneae. 

Staubbeutel  klappig  aufspringend      .     Berberideae. 

b)  Frucht  kapselig. 

a)  Blume  regelmässig,  Griffel  5,      .     .     .     Lineae. 

ß)  Blume  unregelm.,  Griffel   1    .     .     .     .     Violarieae. 

2.  Staubgefässe  halbmal  mehr  als  Blumenblätter,  6. 

a)  Staubgefässe  frei,  viermächtig   ....     Cruciferae. 

b)  Staubgefässe  2 brüderig Fumariaceae. 

3.  Staubgefässe  doppelt  so  viele  als  Blumenblätter,  8  oder  10. 

a)  Blüte  regelmässig. 

a)  Griffel  1 Rutaceae. 

ß)  Griffel  2—5 Caryophylleae. 

(Kelch  einblätterig Sileneae.) 

(Kelch  4 — 5 blätterig Aisin eae.) 

b)  Blüte  unregelm.,  Staubgef.  2brüderig     .  Polygaleae. 

B.  Staubgefässe  zahlreich. 

1.  Staubgefässe  unverbunden. 

a)  Stempel  2 — 5  oder  zahlreich Ranunculaceae. 

b)  Stempel  1. 

a)  Blume  4 blätterig,  Kelch  2 blätterig  .  Papaveraceae. 

ß)  Blume  und  Kelch  5 blätterig      .     .     .  Tiliaceae. 

2.  Staubgefässe  einbrüderig Malvaceae. 

3.  Staubgefässe  mehrbrüderig  verwachsen. 

a)  Griffel  1 Aurantiaceae. 

b)  Griffel  3 — 5 Hypericineae. 


-     523 


Fig.  428. 


Die  Nelken,  Caryophylleae. 

§472.  Von  den  Nelken.  Die  Familie  der  Nelken,  Caryo- 
phylleae, umfasst  Kräuter  mit  ungeteilten,  gegenständigen 
Blättern  und  regelmässigen  Blüten  mit  5  benagelten  Blumen- 
blättern, 10  Staubgefässen  und 
einem  Stempel  mit  2 — 5  Griffeln 
(Fig.  428  zeigt  die  Nelkenblüte  im 
Längsschnitt).  Die  Staubgefässe 
stehen  zu  je  5  in  zwei  Zeilen;  der 
Stempel  besteht  aus  2 — 5  Frucht- 
blättern, die  sich  zu  einem  ein- 
fächerigen  Fruchtknoten  verbunden 
haben;  die  Griffel  sind  frei  ge- 
blieben. Wir  finden  daher  diese 
Gewächse  in  der  Linn eschen  Klasse 
Dekandria,  Ordn.  Di-  bis  Pen- 
tagynia.  —  Die  Frucht  ist  eine 
einfächerige,  vielsamige  Kapsel, 
deren  Samen  einem  Mittelsäulchen  aufsitzen. 

Die  Nelkengewächse  gehören  vorzugsweise  Europa  an  und 
bilden  durch  ihr  häufiges  Vorkommen  einen  wesentlichen  Bruch- 
teil der  deutschen  Krautflora.  Durch  ihre  schönen  Blüten  eine 
Zierde  der  Landschaft,  entbehren  sie  aber  meist  des  Wohlgeruches. 

Man  teilt  die  Familie  nach  der  Bildung  des  Kelches  in  zwei 
Gruppen,  welche  sehr  häufig  als  besondere  Familien  aufgestellt  werden. 

I.  Sileneae.     Kelch  einblätterig,  fünfzähnig. 

Saponaria  officinalis,  Seifenkraut,    off.  Bad.  Saponariae. 

Das  Seifenkraut.  Fig.  429,  wächst  häufig  an  Wegen  und  kenn- 
zeichnet sich  durch  fleischrote  Blüten  mit  je  zwei  Griffeln. 

Ebenfalls  zweigriffelig  ist  die  artenreiche  Gattung  Nelke  (Dianthus), 
dagegen  dreigriffelig  das  Leinkraut  (Silene),  fünfgriffelig  die  Lichtnelke 
(Lychnis)  und  die  violettblühende  Kornrade  (Agrostemma  Githago),  ein 
bekanntes  Unkraut  der  Kornfelder. 

IL  Alsineae.     Kelch  fünf  blätterig. 

Erwähnt  sei  die  gemeine  und  die  grossblütige  Sternmiere 
(Stellaria  media  und  St.  Holostea)  mit  weissen,  zweispaltigen  Blumenblättern 
und  3  Griffeln.  Der  letzteren  ist  das  Acker-Hornkraut  (Cerastium  arvense) 
sehr  ähnlich,  jedoch  mit  5  Griffeln  versehen. 

§  473.    Anschliessende  Familien. 

I.  Die  Leingewächse,  Lineae,  sind  von  den  Nelken  durch 
das  Fehlschlagen  einer  Staubgefässzeile  unterschieden,  sodass  ihre 
Blüten  nur  5  männig  sind.     (Pentandria  Pentagynia  L.) 


—     524    — 

Linum  usitatissimuni ,  Lein,      .     off.  Sem.,  Oleum  Lini. 
Ein  Kraut  Fig.  430  mit   blauen  Blüten,   welches  zur  Gewinnung  der 
Bastfaser  (Flachs)  gebaut  wird.   Aus  den  Samen  wird  Öl  geschlagen. 

II.  Die  Rautengewächse,  Rutaceae,  gewürzreiche  Pflanzen 
mit  gefiederten,  drüsigpunktierten  Blättern  und  10  männigen  Blüten, 
die  aber  nur  1  Griffel  enthalten.    (Dekandria  Monogynia  L.) 

1.  Ruta  graveolens,  Raute,  ...     off.  Folia  Batae. 
Ein    duftendes   Kraut  Südeuropas,    bei  uns  in    Gärten  gezogen,    mit 

gelben  Trugdolden,  deren  Centralblüte  10  männig  ist,  während  die  übrigen 
nur  8  männig  sind.  Fig.  431. 

2.  Pilocarpus*)  pennatifolius      .     off'.  Folia  Jäborandi. 

Ein  Strauch  in  Brasilien. 

Hierhin  zählen  noch:  der  Diptam  (Dictamnus  albus),  an  felsigen 
Orten,  dessen  Wurzel  ehedem  gebräuchlich  war.  —  Bukko  sträucher 
im  Kapland,  von  denen  Barosma  crenulata  die  breiten,  B.  serratifolia 
die  langen  Folia  Bucco  liefert.  —  Von  Galipea  officinalis,  einem 
Baum  am  Orinoko,  kam  früher  die  Cortex  Angosturae  zu  uns. 

III.  Die  Zygopbylleae  **).,  ohne  Öldrüsen  in  den  Blättern. 
Guajacum  officinale  L.,   .     off.  Lignum,  Resina  Guajaci. 
Ein  Baum  auf  den  westindischen  Inseln,  mit  blauen  Blüten. 

IY.  Die  Simarubeae,  Holzgewächse  fremder  Länder. 

1.  Quassia  amara  )  ™    T .  ~ 

o    t>-  «#*^  i        }    •  off.  Lianum  Quasszae. 

2.  Picraena***)  excelsa/  J         * 

Erstere  Art  ist  ein  strauchartiges  Bäumchen  in  den  Wäldern  Surinams 
(Südamerika),  letztere  Art  ein  hoher  Baum  auf  Jamaika.  —  Simaruba  offi- 
cinalis, im  nördlichen  Südamerika,  lieferte  ehedem  Cortex  Simarubae. 

V.  Die  Terebinthaceae ,  Holzgewächse  mit  gefiederten 
Blättern  und  harzreichem  Safte. 

1.  Balsamea  My  rrha  (Balsamodendron  M.)-j-)  off.  Myrrha. 

Ein  dorniges  Bäumchen  im' glücklichen  Arabien  (Südwestspitze  Arabiens) 
und  der  gegenüberliegenden  afrikanischen  Küste  (Somaliländer) ;  es  lässt  die 
Myrrhe  aus  Rissen  der  Rinde  ausfüessen. 

2.  Boswelliaj"j-)  sacra off.  Olibanum. 

Ein  Baum  in  denselben  Landstrichen,  wie  die  vorhin  angeführte  Art; 
er  lässt  aus  Rissen  der  Rinde  den    Weihrauch  ausfüessen. 

3.  Pistacia  Lentiscus off.  Mastix. 

Ein  Baum  der  Mittelmeerländer,  auf  der  Insel  Chios  kultiviert  zur 
Gewinnung  des  Mastix,  welches  aus  Rissen  der  Rinde  quillt.  —  Von  Pistacia 
vera,  in  Südeuropa,  werden  die  Samen,  sog.  Pistazien,  genossen. 

*)  Pilocarpus  von  r.ikoq  (Kugel)  und  /.apTro;  (Frucht). 
**)  Zygophyllum  von  'Cuyov  (Joch)  und  ©bXXov  (Blatt)  wegen  der  Fieder- 
blätter. 

***)  Picraena  von  raxpaivw  (bitter  machen), 
t)  Balsamea  von  balsameus  (balsamreich).     Balsamodendron  von  ßaX^ 
aap.ov  (Harz)  und  os'vopov  (Baum). 

ff)  Boswellia  nach  Dr.  J.  Boswell. 


525 


Caryophylleae. 


Lineae- 


Fig.  429. 
Saponaria  officinalis.  Seifenkraut 
Nebst  dem  Stempel  (links). 

RittftCi'ftr. 


b  d 

Fig.  430. 

Fig.  431.  Linum  usitatissimum.  Lein. 

Euta  graveolens.   Baute.  Nebst  der  Kapselfrucht  und  den  inneren 

Nebst  einer  Blüte  (rechts),  der  Frucht   Blütenorganen  (a  Staubgefässe,  b  Zähnchen, 
(links)  und  einem  Samen  (unten).  aus  verkümmerten  Stau1  fädchen 

hervorgegangen  ) 


—     526    — 

4.  Rhus  Toxicodendron*), 

Giftsumach , off.  Folia  Toxicodendri. 

Ein  nordamerikanischer  Strauch ,  der  bei  uns  nicht  selten  in  Park- 
anlagen angetroffen  wird  und  in  seinen  Blättern  einen  an  der  Luft  schwarz 
werdenden  Milchsaft  von  solcher  Schärfe  besitzt,  dass  schon  das  Abpflücken 
der  Blätter  mit  blossen  Händen  gefährliche  Hautanschwellungen  verursacht. 

Eine  ähnliche  Schärfe  enthalten  die  nierenförmigen  Früchte  von 
Anacardium  occidentale,  einem  südamerikanischen  Baume ,  sowie 
die  Nuss  von  Semecarpus  Anacardium  in  Ostindien;  jene  bekannt 
als  Anacardia  occidentalia,  diese  als  Anacardia  orientalia,  auch  Elephanten- 
läuse  genannt. 

Die  Kreuzdorngewächse,  Rhanineae. 

§  474.  Von  den  Kreuzdorngewächsen.  Die  Familie  der  Kreuz- 
dorngewächse,  Khamneae,  umfasst  Sträucher  und  Bäume 
mit  ungeteilten  Blättern  und  kleinen,  unansehnlichen  Blüten, 
deren  Staubgefässe  mit  der  Zahl  der  Blumenblätter  überein- 
stimmen, daher  4  oder  5  sind.  Die  Frucht  ist  eine  Stein- 
beere.    (Pentandria  Monogynia.) 

Die  Rhamneen  besitzen  oft  abführende  Bestandteile  (Cathartin) 
z.  B.  der  Kreuzdorn  in  seinen  Früchten,  der  Faulbaum  in  seiner  Rinde. 

1.  Rhamnus  cathartica,  Kreuzdorn,  off.  Fruct.  Bhamni  cath. 

2.  Rhamnus  Frangula,  Faulbaum,  off.  Gort,  Frangulae. 
Der  Kr  euz  dorn,  Fig.  432,  ist  ein  dem  Schlehdorn  ähnlicher  Strauch 

mit  grünlichen,  viermännigen ,  eingeschlechtigen  Blüten  und  schwarzen, 
viersteinigen  Beeren,  aus  denen  Syrupus  Rhamni  (Spinae  cervinae)  bereitet 
wird.  —  Der  Faulbaum,  Fig.  433,  ist  dornlos,  mit  weissen,  fünfmännigen 
Blüten  und  dreisteinigen  Beeren. 

§  475.     Anschliessende  Familien. 

I.  Die  Reben,  Ampelideae,  Klettersträucher  mit  Gabel- 
ranken und  Beerenfrucht.     (Pentandria  Monogynia  L.) 

Yitis  vinifera,  Weinstock, off.  Vinum. 

Der  Weinstock,  Fig.  434,  wird  in  vielen  Varietäten  gebaut.  Die 
eingetrockneten  Weintrauben  kommen  als  Rosinen  (Passulae  majores),  die- 
jenigen einer  kernlosen  Varietät  in  Griechenland  als  Korinthen  (P.  minores) 
in  den  Handel.  Aus  den  weissen  Trauben  bereitet  man  den  Weisswein, 
aus  den  roten  Trauben  den  Rotwein. 

IL  Die  Berberitzen,  Berberideae,  mit  6 gliederigen, 
6  männigen  Blüten  und  Beerenfrucht.    (Hexandria  Monogynia  L.) 

1.  Berberis  vulgaris,  Berberitze,      off.  Fruct.  Berberidis. 
Ein  Strauch  mit  dreiteiligen  Dornen,  gelben  Blütentrauben  und  sehr 

sauren,  roten  Beeren,  aus  denen  Syrupus  Berberidis  gekocht  wird,  Fig.  435. 

2.  Podophyllum  peltatum  ...     off.  Podophyllinum. 

Ein  nordamerikanisches  Kraut,  aus  dessen  Wurzel  ein  drastisch  wir- 
kendes Harz,  das  Podophyllin,  ausgezogen  wird. 

*)  Toxicodendron  von  tö^xo?  (giftig)  und  Se'vSpov  (Baum). 


527 


Rhamneae. 


Fig.  432.  Fig.  433. 

Rhamnus  cathartica.  Kreuzdorn.  Rhamnus  Frangula.  Faulbaum. 
Nebst  einer  männlichen  und  weiblichen  Blüte,  Mit  einer  Blüte  und^Beere. 

sowie  Beeren. 


Ampelideae. 

A 


Berberideae. 


Fig.  434.  Fig.  435. 

Vitis  vinifera.  "Weinstock.  Berberis  vulgaris.  Berberitze. 

Nebst  einigen  Blüten,  von  denen  zwei  ihre        Nebst  einzelner  Blüte,  Blumenblätter, 
Blumenblätter  abzuwerfen  im  Begriffe  sind,  Staubgefäss,  Stempel  und  Beere, 

die  dritte  dieselben  schon  abgeworfen  hat. 
Oben  rechts  eine  Beere,  dieselbe  quer-  und 
längsdurchschnitten;  links  unten  ein  Same. 


528 


Die  Kreuzblütler,  Cruciferae, 

§  476.  Charakter  der  Familie.  Die  Familie  der  Kreuzblüt- 
ler, Cruciferae,  enthält  Krautgewächse  mit  abwechselnd 
gestellten  Blättern  und  regelmässigen  Blüten,  4  benagelten 
Blumenblättern  und  4  Kelchblättern,  sowie  6  Staubgefässen  in 
zwei  Zeilen,  vor  denen  die  beiden  der  äusseren  Zeile  kürzer 
sind  als  die  vier  der  inneren  Zeile,  Fig.  436;    daher  bilden  diese 


Fig.  436.  Fig.  437. 

a  Cruciferenblüte  von  oben  gesehen,  b  dies,  im  Längsschnitt.       Aufspringende  Schote* 

Gewächse  die  Linnesche  Klasse  Tetradynamia.  Ausserdem 
charakterisiert  sich  die  Familie  durch  die  Frucht,  eine  zwei- 
fächerige, von  unten  nach  oben  aufspringen  de  Schote 
(Siliqua)  mit  zwei  wandständigen  Samenleisten,  welche 
beim  Abspringen  der  Fruchtklappen  auf  der  Scheidewand  bleiben 
(Fig.  437).  Die  Samen  sind  eiweisslos,  reich  an  fettem  Öle  und 
enthalten  einen  gekrümmten  Keim. 

Die  Glieder  dieser  wohlausgeprägten  und  artenreichen  Familie 
zeichnen  sich  durch  einen  Gehalt  an  scharfem  (schwefelhaltigem) 
ätherischem  Öle  aus,  dienen  daher  häufig  zum  Küchen-  und 
Arzneigebrauche,  werden  auch  durch  den  Eeichtum  ihrer  Samen 
an  fettem  Öle  vielfach  kultiviert.  Der  Verbreitungsbezirk  er- 
streckt sich  über  die  ganze  Erde,  vorzugsweise  Europa. 

§  477.  Einteilung  der  Kreuzblütler.  Linne  teilte  seine 
XY.  Klasse  Tetradynamia  in  zwei  Ordnungen:  1.  Siliculosa, 
mit  ovalen  oder  rundlichen  Schötchen ;  2.  Siliquosa  mit  langen, 
linealen  Schoten. 

Die  Gattungen  mit  nicht  aufspringenden  Schötchen  wurden 


—     529 


später  als  Nuss  früchtige  (Nucamentaceae) ,  diejenigen,  deren 
Schoten  in  Querglieder  zerfallen,  als  G-liedsckoten früchtige 
(Lomentaceae)  abgetrennt.*) 

A.  Schotenfrüchtige   (Siliqu  osae).     Schoten   viel  länger  als  breit. 

1.  Brassica  nigra  (Sinapis  nigra)      .     .     off.  Sem.  Sinapis. 

2.  Brassica  Rapa  und  Br.  Napus     .     off.  Oleum  Bapae. 

Der  schwarze  Senf,  Fig.  438,  ist  ein  hohes,  einjähriges  Kraut  mit 
gelben  Blüten  und  angedrückten  Schoten.  Der  weisse  Senf  (Sinapis  alba), 
mit  schwertschn abeligen  Schoten,  wird  wegen  der  Samen  (Sem.  Erucae) 
kultiviert,  während  der  Ackersenf  (Sinapis  arvensis)  zu  den  gemeinsten 
Unkräutern  gehört.  —  Der  Kohl  (Brassica  oleracea)  wird  in  vielen 
Abarten  teils  als  Blattgemüse  (Wirsing,  Weisskohl,  Rotkol,  Blumenkohl), 
teils  als  Knollengewächs  (Kohlrabi)  gezogen.  —  Den  Raps  (Brassica 
Rapa)  und  Rübsamen  (Brassica  Napus)  kultiviert  man  sowohl  zur 
Samenzucht  (für  Ruböl),  als  auch  zur  Knollenzucht  (weisse  Rübe). 

Von  den  wildwachsenden  Arten  seien  erwähnt:  die  Rauke  (Sisym- 
brium  officinale),  ein?sparriges  Kraut  mit  gelben  Blüten  und  angedrückten 
Schoten;  der  Knoblau chshedrich  (Sisymbriurn  Alliaria)  mit  rundlich 
nierenförmigen  Blättern  und  weissen  Blüten;  das  Wiesen- Schaumkraut 
(Cardamine  pratensis),  mit  lilafarbigen  Blüten ;  die  weissblühende  Brunnen- 
kresse (Nasturtium  officinale),  der  Goldlack  (Cheiranthus  Cheiri). 

*)  Einteilung  der  Gattungen  der  Cruciferen. 
I.  Schotenfrüchtler. 

A.  Keim  seitenwurzelig.  (Würzelchen  zur  Seite  der  flachen 
Samenlappen.) 

a)  Schotenklappen  nervenlos. 

Gatt.  Nasturtium,  Cardamine,  Dentaria. 

b)  Schoten  mit  1  Nerven  auf  jeder  Klappe. 

Gatt.  Cheiranthus,  Arabis,  Barbaraea. 

B.  Keim   rückenwurzelig.     (Würzelchen   auf  dem   Rücken 
der  flachen  Samenlappen). 

a)  Schotenklappen  1  nervig.     Gatt.  Erysimum. 

b)  Schotenklappen  3 nervig.     Gatt.  Sisymbriurn. 
C  Keim  gefaltet.  (Samenlappen  zusammengefaltet,  Würzel- 
chen in  der  Falte). 

a)  Schotenklappen  1  nervig.     Gatt.  Brassica. 

b)  Schotenklappen  3 — 5 nervig.  Gatt.  Sinapis. 
IL  Schötchenfrüchtler. 

A.  Schötchen  breitwandig.    (Scheidewand  in  der  Breitseite 
des  Schötchens.  Fig.  442  a). 

a)  Schötchen  kugelig  aufgedunsen.  Gatt.  Cochlearia. 

b)  Schötchen  flach.  Gatt.Draba,  Alyssum,  Lunaria. 

B.  Schötchen  schmalwandig.    (Scheidewand  in  der  Schmal- 
seite des  Schötchens  Fig.  442b). 

a)  Keim  seitenwurzelig.     Gatt.  Thlaspi. 

b)  Keim  rückenwurzelig. 

Gatt.  Capsella,  Lepidium. 

C.  Schötchen  einfächerig,  nicht  aufspringend. 

Gatt.  Isatis. 
III.  Schoten  quergliederig.     Gatt.  Raphanus. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  34 


Fig.  442 


—    530    — 

B.  Schötchenfrüchtler  (Siliculosae).  Schötchen  oval  oder  rundlich. 

3.  Cochlearia  officinalis,  Löffelkraut,  off.  Herba  Cochleariae. 

Das  Löffelkraut,  Fig.  439,  eine  Seestrandpfianze,  dient  zur  Bereitung 
des  Spiritus  Cochleariae.  —  Der  Meerrettig  (Cochlearia  Armoracia), 
Fig.  440,  wird  zum  Küchengebrauch  kultiviert  (obs.  Rad.  Armoraciae). 

Das  Hirtentäschchen  (Capsella  Bursa  pastoris),  Fig.  441,  ist 
ein  gemeines  Unkraut  mit  dreieckigen  Schötchen,  früher  off.  {Herba  Bursac 
pastoris).  —  Die  Gartenkresse  (Lepidium  sativum)  wird  zum  Küchen- 
gebrauch kultiviert.  Der  Waid  (Isatis  tinctoria),  ein  Kraut  mit  flachen, 
geflügelten  Schötchen,  wurde  früher  auf  Indigo  verarbeitet. 

C.  Gliedschotenfrüchtler  (Lomentaceae).  Frucht  in  Querglieder 
zerfallend. 

Der  Rettig  (Raphanus  sativus)  wird  in  mehreren  Varietäten 
(schwarzer,  weisser  Rettig,  Radieschen)  kultiviert. 


Die  Mohngewächse,  Papaveraceae. 

§  478.  Charakter  der  Familie.  Die  Mohngewächse,  Papa- 
veraceae,  sind  Kräuter  mit  abwechselnden  Blättern  und  regel- 
mässigen Blüten.  Der  Kelch  besteht  nur  aus 
zwei  Blättern,  welche  bei  der  Entfaltung  der  vier- 
blätterigen Blume  sich  ablösen  (Fig.  443);  die 
Staubgefässe  sind  zahlreich  vorhanden,  Stempel 
nur  einer.     (Polyandria  Monogynia  Lin.) 

Die  Mohngewächse  kommen  nur  in  der  nördlichen 
gemässigten  Zone  vor  und  stellen  durch  ihren  Eeichtum 
an  narkotisch  giftigem  Milchsafte  dem  Arzneischatze 
ein  wertvolles  Kontingent.  Im  Samen  ist  das  Stärke- 
mehl durch  fettes  Öl  vertreten. 

1.  Papaver  somniferum,  Mohn,  off.  Gapita,  Semen  u. 

Oleum  Papaveris;  Opium. 

2.  Papaver  Rhoeas,  Klatschrose,  off.  Flor.  Bhoeados. 
Die  Gattung  Papaver    charakterisiert   sich  durch  eine 

rag.  44d.  schildförmige,  vielstrahlige  Narbe,  unterhalb  deren  die  viel- 
samige  Kapsel  in  Löchern  sich  öffnet.  Der  Mohn,  P.  somniferum,  Fig.  444, 
stammt  aus  dem  Orient  und  wird  in  Kleinasien  zur  Opilim-Gewirmwng  ge- 
baut; man  ritzt  daselbst  die  noch  unreifen  Kapseln  an  und  lässt  den  aus- 
tretenden Milcbsaft  eintrocknen,  worauf  man  ihn  zu  Kuchen  zusammenknetet. 
In  Deutschland  kultiviert  man  die  Pflanze  wegen  der  Samen,  aus  denen 
man  das  Mohnöl  presst.  —  Die  Klatschrose,  P.  Rhoeas,  mit  scharlach- 
roten Blumen  (Fig.  445),  ist  ein  bekanntes  Unkraut  in  der  Saat. 

3.  Chelidonium  majus,  Schöllkraut,     off.   Herba  ChelidoniL 
Das   Schöllkraut,   Fig.   446,   eine  gemeine   Schuttpflanze,    ist   voll 

gelben  Milchsaltes,   mit  gelben  Blüten  in   einfachen  Dolden  und  schoten- 

ähnlicher  Frucht,  dient  zu  Extractum  Chelidonii. 


531     - 


Cruciferae. 


Fig.  438.  Fig.  439. 

Brassica  nigra.  Schwarzer  Senf.  Cochlearia  officinalis.  Löffelkraut. 

Nebst  einzelner  Blüte  und  Schote  (oben),  Nebst  einer  einzelnen  Blüte,  einem 

sowie  die  letztere  im  Querschnitt,  und  ein  Blumenblatte,  Schötchen,  Samen  und 

Same,  sowie  in  dessen  Querschnitt  (unten).  dessen  Keim. 


Fig.  440.  Fig.  441. 

Cochlearia  Armoracia.  Meerrettig.^         Capsella  Bursa  pastoris.  Hirtentäschchen. 
Nebst  einer  einzelnen  Blüte  (oben  links),  Nebst  einer  einzelnen  Blüte,  einem 

Schötchen  und  dessen  Längsschnitt  (rechts),        Blumenblatt  (rechts)  und  einem  auf- 
Samen  und  dessen  Querschnitt.  gesprungeneu  Schötchen  (links). 


34* 


—    532     — 


Familien  mit  unregelmässigen  Blüten. 
§  479.  Familien  mit  unregelmässigen  bodenständigen  Blumen.  Einige 
Familien  zeichnen   sich   durch    eine   unregelmässige   Form   ihrer 
Blumenblätter  aus.   Es  gehören  hierhin  folgende  kleinere  Familien: 

I.  Die  Erdrauchgewächse,  Fumariaceae.  Ihre  Blüten, 
auch  mit  zweiblätterigem  Kelche  und  vierblätteriger  Blume  ver- 
sehen, charakterisieren  sich  durch  ihre  gespornte  Blume  und  Zwei- 
brüderigkeit  der  6  Staubgefässe.     (Diadelphia  Hexandria  L.) 

Fumaria  officinalis,  Erdrauch,    obsol.  Herba  Fumariae. 

Ein  gemeines  Unkraut  mit  kleinen  violetten  Blüten  und  kugeligen 
Nüsschen  Fig.  447. 

Der  Lärchensporn  (Corydalis),  mit  gespornten  Blüten,  trägt  Knollen. 

IL  Die  Yeilchen,  Violarieae,  sind  in  Europa  nur  durch 
die  Gattung  Viola  vertreten;  diese  zeichnet  sich  durch  fünf  Staub- 
gefässe und  eine  gespornte  Blume  aus.  (Pentandria  Mono- 
gynia  L.)     Frucht  eine  einfächerige,  vielsamige  Kapsel. 

Yiolatricolor off.  Herba  Violae  tricoloris. 

Das  dreifarbige  Veilchen,  Fig.  448,  auch  Stiefmütterchen  oder 
Freisamkraut  genannt,  findet  sich  allenthalben  auf  Äckern,  bald  drei- 
farbig (mit  blauen,  am  Grunde  gelben  und  weissen  Blumen),  bald  einfarbig 
(weisslichgelb)  blühend.  Letzteres  ist  die  Varietät  arvensis  M.  —  Das 
wohlriechende  Veilchen  (Viola  odorata)  ist,  wie  die  geruchlose 
Viola  hirta,  stengellos. 


Fig.  448. 
Viola  tricolor.  Dreifarbiges  Veilchen. 
Nebst  dem  gespornten  Blumenblatt  (links), 
den  Geschlechtsorganen  und  querdurch- 
schnittenen Fruchtknoten  (rechts). 


Fig.  449. 
Polygala  amara.  Bittere  Kreuzblume. 
Nebst  einer  einzelnen  Blüte  und  den 
Staubgefässbündeln. 


—     533 


Papaveraceae. 


Fig.  444. 
Papaver  somniferum.  Mohn. 
Nebst  der  Kapsel. 


Fig.  446. 
Papaver  Khoeas.  Klatschrose. 
Nebst  dem  Stempel  (links  oben) 
und  der  Kapsel  (unten). 


Papaveraceae. 


Furnariaceae. 


Fig.  446. 

Chelidonium  majus.  Schöllkraut. 

Nebst  der  Schote  und  dieselbe 

im  Querschnitt,  sowie  ein  Same. 


Fig.  447. 
Fumaria  officinalis.  Erdrauch. 
Nebst  einer  Blüte,  einem  Nüsschen 
(unten  rechts)  und  Samen  (links). 


534 


III.  Die  Bitterlinge,  Polygaleae,  umfasse  Kräuter  mit 
sehr  un regelmässigen  Blüten  und  einsamigen  Nussfrüchten. 
In  Europa  ist  diese  kleine  Familie  nur  durch  die  Gattung  Poly- 
gala  vertreten,  welche  eine  Art  Schmetterlingsblüte  mit  zwei- 
brüderig  verwachsenen  Staubgefässen  besitzt. 

1.  Polygala  amara, 

bittere  Kreuzblume     ...     off.  Herba  Polygalae  amarae. 

2.  Polygala  Senega  ...     off.  Bad.  Senegae. 

Die  Gattung  Polygala  charakterisiert  sich  durch  zwei  üügelartige, 
blaurot  oder  weiss  gefärbte  Kelchblätter,  eine  verwachsenblätterige  Blume 
und  8  Staubbeutel,  die  zu  je  4  in  2  Bündel  verwachsen  sind.  (Diadelphia 
Octandria  Linne.)  —  Die  bittere  Kreuzblume,  Fig.  449,  lässt  sich 
durch  ihre  verkehrt- eiförmigen  Wurzelblätter  von  P.  vulgaris  leicht  unter- 
scheiden. —  Polygala  Senega  ist  ein  Kraut  in  den  östlichen  Vereinigten 
Staaten  Nordamerikas. 


3.  Krameria  triandra 


off. 


Bad.  Batanhiae. 

Ein  kleiner,  sparrig  verzweigter  Strauch  auf  den  Gebirgen  Perus,  die 
er  mit  seinen  roten  Blüten  schmückt. 


Die  Hahnenfussgewächse,  Ranunculaceae. 

§  480.  Charakter  der  Familie.  Die  Familie  der  Hahnenfuss- 
gewächse,  Ranunculaceae ,  wird  gebildet  von  scharfgiftigen 
Kräutern  mit  meist  geteilten  Blättern  und  bald  regelmässigen, 

bald  unregelmässigen  Blüten, 
welche  zahlreiche  Staub- 
gefässe  und  mehrere,  oft 
zahlreiche  Stempel  ent- 
halten. Fig.  450.  Daher  stehen 
diese  Gewächse  in  der  Linne- 
schen  XIII.  Klasse,  Polyan- 
dria,  2.  und  3.  Ordn.,  Di-  bis 
Polygynia.  Die  Früchtchen 
sind  teils  einsamig  und  nüss- 
chenartig,  teils  mehrsamig  und 
kapselig.  Die  Samen  besitzen 
viel  Eiweiss  und  einen  sehr  kleinen  Keim. 

Diese  sehr  formenreiche  Familie  gehört  vorzugsweise  der 
nördlich  gemässigten  Zone  an  und  zeichnet  sich  durch  scharf- 
giftige  Bestandteile  aus,  besonders  im  Kraute,  vor  und  bei  Beginn 
der  Blütezeit.  Narkotische  Alkaloide  finden  wir  bei  Nieswurz, 
Sturmhut,  Rittersporn,  eine  flüchtige  Schärfe  bei  der  Küchenschelle, 
dem  Hahnenfuss  und  vielen  anderen. 


Fig.  450. 


—    535     — 

§  481.  Einteilung  der  Familie.  Man  unterscheidet  die  Gattungen 
nach  der  Fruchtform  und  der  Bildung  der  Blume,  ob  die  Blüte 
eine  Perigonblüte  ist,  oder  Kelch  und  Blume  besitzt;  ob  in  regel- 
mässiger Ausbildung,  oder  unregelmässig  (wie  bei  Aconitum  und 
Delphinium)*). 

2.'  Anemone  pratensis      ]K™her>Sche\le, oft.  Herb.Pulsatülae. 

Zwei  Kräuter  mit  violetten  Blüten,  die  bei  erstgenannter  Art  aufrecht 
(Fig.  451),  bei  letztgenannter  Art  überhängend  sind  (Fig.  452).  Aus  beiden 
bereitet  man  Extrakt,  da  sie  eine  flüchtige  Schärfe  besitzen.  Sie  unter- 
scheiden sich  durch  ihre  bärtig  geschweiften  Früchtchen  von  dem  Wind- 
röschen (Anemone  nemorosa),  einem  Frühlingskräutlein  mit  offener, 
weisser  Blüte. 

Es  schliessen  sich  hier  an:  Der  scharfe  Hahnenfuss  (Ranun- 
culus  acris)  mit  handteiligen  Blättern,  scharfgiftig.  —  Das  Scharbock- 
kraut (R.  Ficaria)  auf  nassen  Wiesen,  mit  rundlichen,  herzförmigen 
Blättern. 

Einer  grossen  Ranunkel  ähnlich  ist  die  Dotterblume  (Galtha  palustris). 

Zu  dieser  Gruppe  der  Ranunculaceen  zählen  auch  einige  Kletter- 
sträucher,  wie  die  Waldrebe  (Clematis  Vitalba)  mit  rankenden  Blattstielen 
und  weissen  Blüten. 


*)  Einteilung  der  Ranunculaceen. 

A.  Früchtchen  nussartig,  1  sämig. 

a)  Blüte  mit  blumenartigem  Kelche,  ohne  Blumenblätter. 

Gatt.  Clematis,  Anemone,  Thalictrum. 

b)  Blüte  mit  Kelch  und  Blume. 

Gatt.  Ranunculus,  Adonis. 

B.  Früchtchen  kapselartig,  mehrsamig. 

a)  Kelch  blumenartig. 

c.)  Blüten  regelmässig. 

aa)  Blumenblätter  fehlen,  Kelch  blumenartig. 

Gatt.  Caltha. 
bb)  Blumenblätter  klein  röhrig. 

Gattt.  Helleborus,  Nigella. 
cc)  Blumenblätter  alle  gespornt. 

Gatt.  Aquilegia. 
ß)  Blüten  unregelmässig. 

aa)  Blüten  gespornt.     Gatt.  Delphinium. 
bb)  Blüten  halmförmig.     Gatt.  Aconitum. 

b)  Kelch  krautartig.     Gatt.  Paeonia. 

**)  Anemone  von  avs;j.o;  (Wind). 


—    536    — 

3.  Hell  eb  orus  viridi  s ,  grüne  Nieswurz,  off.  Bad.  Hellebori  vir. 
Die  Gattung  Helleborus  zeichnet  sich  durch  ihre fussteiligen  Blätter 

aus.  Dieselben  sind  bei  der  grünen  Nieswurz  scharfgesägt  (Fig.  453), 
bei  der  schwarzen  Nieswurz  (Helleborus  niger),  deren  Wurzel  früher 
gebraucht  wurde,    lederig  und  nur  gegen  die  Spitze  hin  schwach  gesägt. 

4.  Aconitum  Napellus,  Eisenhut,.     .     off.  Tub.  Aconiti. 
Ein  Kraut  der  Gebirge,  in  Gärten  als  Zierpflanze,  kennzeichnet  sich 

durch  seinen  blauen,  helmförmigen  Kelch,  welcher  zwei  langgestielte,  kapuzen- 
artige Blumenblätter  birgt.  Seine  Wurzel  besteht  aus  zwei  Knollen.  Fig.  455. 

Erwähnung  verdienen  noch  der  blaue  Rittersporn  (Delphinium 
Consolida),  von  dem  eine  südeuropäische  Art,  Delphinium  Staphis  agria, 
die  giftigen  Stephanskörner  (Sem.  Staphidis)  liefert;  sowie  der  Schwarz- 
kümmel (Nigella  sativa),  dessen  gewürzige  Samen  früher  gebraucht  wurden 
{Semen  Mgellae),  und  die  blaue  Akelei  (Aquilegia  vulgaris)  mit  5  gespornten 
Kelchblättern. 

Die  Pfingstrose  (Paeonia  officinalis),  Fig.  454,  eine  bekannte 
Zierpflanze  unserer  Gärten,  lieferte  früher  Radix  und  Semen  Paeoniae. 

§  482.  Verwandte  Familien.  Den  Hahnenfussgewächsen  schlies- 
sen  sich  folgende  fremdländische  Familien  an: 

I.  Die  Magnoliaceae,  Bäume  und  Sträucher  mit  schönen  Blüten. 
Illicium  anisatum,  Sternanis,      off.  Fruct.  Anisi  stellati. 

Ein  gewürzreicher  Baum  in  China  und  Cochinchina.  Sehr  ähnliche, 
aber  giftige  Früchte  trägt  Illicium  religiosum  (Sikimibaum)  in  Japan. 

IL  Die  Menispermeae,  Klettersträucher  heisser  Länder,  mit 
zweihäusigen,  rispigen  Blüten. 

Jateorrhiza*)   Calumba   (Cocculus  palmatus) 

off.    Bad.    Colombo. 

Ein  Kletterstrauch  der  Küste  Mozambique  im  östlichen  Afrika,  in 
Ostindien  wegen  der  Wurzel  kultiviert. 

Von  Menispermum**)  Cocculus,  in  Ostindien,  kommen  die  giftigen 
Früchte,  sog.  Kockelskörner  (Cocculi  indici),  zu  uns. 

Die  Malven,  Malvaceae. 

§  483.  Charakter  der  Malven.  Die  Familie  der  Malven,  Mal- 
vaceae ,  zeichnet  sich  aus  durch  einen  zweireihigen  Kelch  und 
zahlreiche  Staubgefässe,  deren  Staubfäden  in  eine  Röhre 
verwachsen  sind.  Daher  gehören  diese  Gewächse  nach  Linne 
in  die  Monadelphia  Polyandria.  Der  Kelch  ist  doppelt 
(Calyx  duplex),  die  Blume  fünfblätterig,  am  Grunde  verwachsen 
und  in  der  Knospung  gedreht ;  die  zahlreichen  Staubgefässe  tragen 
einfächerige  Beutel,  die  Stempel  stehen  quirlig  um  eine  Mittel- 
säule gruppiert,  mit  getrennten  Griffeln. 

*)  Von  Iö.q[xixi  (heilen)  und  pf(a  (Wurzel). 
**)  JJ.7JV   (Mond)  und   cnzip^a.   (Same),  wegen   der  gekrümmten  Früchte. 


537 


Ranunculaceae, 


Fig.  451.         - 
Anemone  Pulsatilla.  Küchenschelle. 
Nebst  einem  Staubgefäss  und  Früchtchen 

\ 


Mg.  453. 
Helleborus  viridis.  Grüne  Nieswurz. 
Nebst  einem  Blumenblatt  (links  unten) 
und  den  Stempeln  (oben). 


Mg.  454. 

Paeonia  officinalis.  Pfingstrose. 

Nebst  der  "Wurzel,  den  Stempeln 

und  einem  Früchtchen. 


Mg.  452. 
Anemone  pratensis.  Küchenschelle. 
Nebst  einem  Staubgefäss  und  dem  Frucht- 
stande, sowie  einem  Früchtchen. 


Mg.  455. 

Aconitum  Napellus.  Sturmhut. 

Nebst  dem  Knollen  und  der  Frucht. 


-     538     — 

Die  einheimischen  Malven  sind  schleimreiche  Kräuter  mit 
handlappigen  Blättern;  in  den  Tropenländern  finden  sich 
aber  auch  Sträucher  und  Bäume.  Scharfe,  giftige  Stoffe  fehlen 
ihnen  durchaus,  ebenso  Gewürze  und  ätherische  Öle.  Bei  man- 
chen Arten  sind  die  Bastfasern  stark  ausgebildet,  wichtiger  aber 
noch  ist  die  Wolle,  in  welche  die  Samen  vieler  Arten  gehüllt 
sind,  wie  bei  der  Baumwollenstaude  (Gossypium)  und  dem  Woll- 
baum (Bombax). 

1.  Malva  vulgaris,  gemeine  Malve,  off.  Fol.  Malvae. 

2.  Malva  silvestris,  wilde  Malve,    off.  Fol,  Flor.  Malvae. 

Die  Gattung  Matva  charakterisiert  sich  durch  einen  drei  blätterigen 
Aussenkelch.  M.  vulgaris  (M.  rotundifolia),  Fig.  456,  und  M.  sil- 
vestris, Fig.  457,  besitzen  handlappige  Blätter,  die  von  beiden  Arten 
officinell  sind.  Von  M.  vulgaris  unterscheidet  sich  M.  silvestris  durch  grössere 
Blüten  (frisch  rosarot,  trocken  blau),  welche  nur  von  dieser  letzteren  Art 
gebräuchlich  sind. 

'6.  Althaea  officinalis,  Eibisch,  off.  Bad.,  Fol.  Althaeae. 

4.  Althaea  rosea,  Stockrose,      .  off.  Flor.  Malvae  arboreae. 

Die  Gattung  Althaea  charakterisiert  sich  durch  einen  vielspaltigen 
äusseren  Kelch.  Althaea  officinalis,  Fig.  458,  ist  eine  filzig  -  zottige 
Staude  mit  rosafarbigen  Blüten  und  wird  zum  Arzneigebrauche  kultiviert. 
—  Von  der  Stockrose,  Althaea  rosea,  Fig.  459,  einer  Zierstaude,  mit 
roten,  weissen  und  dunkelpurpurnen  Blüten,  wendet  man  nur  die 
letzteren  an. 

5.  Gossypium  herbaceum,  G.  ar  bore  um  u.  a., 
Baumwollenstaude,      ....     off.  Gossypium  depuratum. 

Die  Baumwollen staude  wird  in  den  Tropenländern  in  mehreren 
Arten  zur  Gewinnung  der  Baumwolle  kultiviert,  welche  als  lange  Haare 
die  Samen  umhüllt. 

§  484.  Von  den  Orangen.  Die  Familie  der  Orangen,  Auran- 
tiaceae,  umfasst  Sträucher  und  Bäume  mit  drüsig-punk- 
tierten, unpaarig  gefiederten  Blättern,  welche  bei  der 
Gattung  Citrus  auf  das  Endblättchen  reduziert  erscheinen,  indem 
die  seitlichen  Fiederblättchen  als  Blattstielflügel  mit  dem  Blatt- 
stiele verwachsen  sind.  Die  regelmässigen  Blüten  enthalten  meist 
zahlreiche,  in  mehrere  Bündel  verwachsene  Staubge fasse, 
daher  stehen  die  Orangen  in  der  XVII.  Linneschen  Klasse  Polya- 
d  e  1  p  h  i  a.  Die  Frucht  ist  eine  vielfächerigeBeere  mit  leder- 
artiger, drüsig-punktierter  Schale. 

Bei  diesen  Gewächsen  finden  wir  einen  reichen  Gehalt  an 
ätherischem  Öle  sowohl  in  den  Blüten  als  in  besonderen  Öldrüsen 
der  Blätter  und  Fruchtschalen  abgelagert.  Aus  letzteren  gewinnt 
man  dasselbe  durch  Auspressen,  aus  den  Blüten  durch  Destillation. 
Die  Orangenfrüchte  enthalten  im  Safte  häufig  Citronensäure ,  in 
der  äusseren  Schale  Bitterstoff. 


—     539 


Maloaceae 


Fig.  456. 

Malva  vulgaris.  Gemeine  Malve. 

Nebst  einzelner  Blüte  (unten) 

und  Eni  cht  (oben). 


Fig.  457. 
Malva  silvestris.  "Wilde  Malve. 
Nebst  dem  Stempel  (oben),  der  Staub- 
fadensäule und  der  Frucht  (unten). 


Fig.  458. 

Althaea  officinalis.  Eibisch. 

Nebst  dem  Kelche  mit  den  Stempeln, 

sowie  der  Frucht. 


Fig.  459. 
Althaea  rosea.  Stockrose. 


-     540     - 

1.  Citrus  vulgaris,  Pomeranzenbaum,  off.  Fol,  Oleum  flor., 

Fruct.  immat,  Gort,  fruct.  Aurantii. 

2    Citrus  Limonuml  Citronenba um  off .Qort.fruct „Olcort.Citri. 

3.  Citrus  medica      ! 

4.  Citrus  Bergamia,  Bergamotte,.     .     off.  Ol.  Bergamottae. 

Sämtlich  Bäume  der  Mittelmeerländer.  Citr.  vulgaris,  Fig.  460,  mit 
breiten  Blattstielflügeln,  und  durch  die  bittere  Frucht  von  Citr.  Aurantium, 
dem  Apfelsinen-  oder  Orangenbaum  unterschieden.  Die  übrigen  Arten 
sind  ohne  Blattstielflügel;  Citr.  Limonum  trägt  sehr  saure  Früchte,  die 
als  Citronen  zu  uns  kommen;  bei  Citr.  medica  sind  die  Früchte  nur 
■wenig  sauer,  bei  Citr.  Bergamia  dagegen  süss. 

§  485.  Verwandte  Familien.  An  die  Malven-  und  Orangenge- 
wächse schliessen  sich  mehrere  Eamilien  mit  vielmännigen 
Blüten  an,  deren  Staubgefässe  oft  mehrbrüderig  verbunden  sind. 

I.  Die  Linden,  Tiliaceae,  Bäume  mit  zahlreichen,  un- 
verbundenen  Staubgefässen.  (Polyandria  Monogynia.) 

1.  Tilia  parvifolia,  Winter-Linde       \  off  T 

2.  —      grandiiolia,  Sommer-Linde,  / 

Die  Gattung  Tilia  kennzeichnet  sich  dadurch,  dass  der  Blütenstiel 
auf  einem  blassgrünen,  dünnen  Deckblatte  steht,  mit  denen  er  zur  Hälfte 
verwachsen  ist.  —  T.  parvifolia  (T.  ulmifolia),  Fig.  461,  trägt  kleinere, 
kahle  Blätter,  bei  T.  grandifolia  (T.  platyphyllos)  sind  dieselben  grösser 
und  unterseits  flaumhaarig.  Linne  hatte  beide  Arten  zu  einer  einzigen, 
T.  europaea,  vereinigt. 

IL  Die  Hypericineae  mit  zahlreichen  mehrbrüderigen Staub- 
gefässen. 

Hypericum  perforatum,  Johanniskraut,  obs.  Herba Hyperica 

Das  Johanniskraut,  Fig.  462,  häufig  an  unbebauten  Orten,  zeichnet 
sich  durch  durchscheinend  punktierte  Blätter  und  goldgelbe  Blüten  aus, 
mit  denen  man  früher  Öl  rot  färbte  {Oleum  Hyyerici). 

III.  Die  Guttiferae ,  Milchsaft  führende  Bäume  der  Tropen. 
Garcinia  Morella, off.  Gutti. 

Ein  hoher  Baum  in  Hinterindien  (Siam),  dessen  Stamm  aus  Einschnitten 
einen  gelben  Milchsaft  ausfliessen  lässt,  den  man  in  Bumbusröhren  auffängt 
und  eingetrocknet  als  Qutti  in  den  Handel  bringt. 

IY.  Die  Buettneriaceae  sind  tropische  Gewächse. 

Theobroma*)  Ca cao,  Kakaobaum,  off.  Oleum  Cacao. 

Der  Kakaobaum  ist  in  Westindien  sowie  im  nördlichen  Südamerika 
einheimisch  und  vielfach  kultiviert.  Seine  Samen  (Kakaobohnen)  werden 
zur  Chokolade  verarbeitet  und  liefern  beim  Auspressen  die  Kakaobutter. 

Y.  Die  Cameliaceae  sind  immergrüne  Sträucher  Ostasiens. 

Thea  Bohea,  Th.  viridis  und  stricta  sind  die  Theesträucher 
Chinas,  deren  Blätter  den  Chinesischen  Thee  liefern. 


*)  Theobroma  von  •0-so;  (Gott)  und  ftowp]  (Speise) 


-    541    — 


Fig.  460. 
Citrus  vulgaris.  Pomeranzenbaum.  Nebst  einer  einzelnen  Blüte  und  einem 
Staubfadenbündel,  a  Frucht,  b  Querschnitt  derselben. 


Fig.  461.  Fig.  462. 

Tilia  parvifolia.  Winter-Linde.  Hypericum  perforatum.  Johanniskraut. 

Nebst  einer  einzelnen  Blüte,  dem  Stempel     Nebst  einem  Blumenblatte  und  der  Kapsel 
(oben)  und  der  Frucht.  (rechts);  links  das  Stück  eines  Blattes 

und  der  Stempel. 


-     542 


Vergleichung  des  Linneschen  Systems  mit  den  wichtigeren 

Familien, 

Diandria         Monogynia Oleaceae. 

Triandria        Monogynia Valerianeae,      Irideae,      Cype- 

raceae. 

Digynia Grramineae. 

Tetrandria      Monogynia Plantagineae,  Dipsaceae,  Stellatae. 

Pentandria     Monogynia Boragineae,  Solanaceae,Convol- 

vulaceae,  Gentianeae,  Campanu- 
laceae,  Ampelideae,  Rhamneae, 
Violariaceae,  Caprifoliaceae. 

Digynia Umbelliferae. 

Pentagynia Lineae. 

Hexandria       Monogynia Liliaceae,  Asparageae. 

Trigynia Colehicaceae. 

Heptandria     Monogynia  .....      Hippocastaneae. 

jN  i       ■,  .     >  Monogynia Ericaceae,  Rutaceae. 

Dekandria       Di,  Pentagynia     .     .     .  Caryophylleae. 

Ikosandria       Monogynia Amygdaleae,  Myrtaceae. 

Di-,  Pentagynia  .     .     .  Pomaceae. 

Polygynia Rosaceae. 

Polyandria       Monogynia     .     .     .     .  Tiliaceae,  Papaveraceae. 

Di-,  Polygynia    .     .     .  Ranunculaceae. 

Didynaniia       Gymnospermia    .     .     .  Labiatae. 

Angiospermia      .     .     .  Scrophularineae. 

Tetradynamia Cruciferae. 

Monadelphia   Polyandria      .     .     .     .  Malvaceae. 

Diadelphia       Hexandria Fumariaceae. 

Octandria Polygaleae. 

Dekandria  .....  Papilionaceae. 

Polyadelphia  Polyandria      ....  Hypericineae,  Aurantiaceae. 

Syngenesia Compositae. 

Gynandria       Monandria .     .     .     .  Orchideae. 

Monoecia\  /  Coniferae,  Cupuliferae,  Juglan- 

Dioecia      / \  deae,  balicmeae,  Urticaceae,  Lu- 

\         phorbiaceae,  Cucurbitaceae. 


IV.  Abteilung. 

Pharmakognosie. 

Die  Lehre  von  den  Droguen  (Arzneistoffen).*) 


A.  Die  Droguen   des   Pflanzenreichs. 
I.  Unterirdische  Pflanzenteile. 

1.  Die  offizinellen  Wurzeln  (Eadices). 

Sie  werden  im  Herbste  oder  bei  Beginn  des  Frühlings  gesammelt. 

A.  Hauptwurzeln. 

a.  Wurzeln  mit  strahligem,  faserigem  Holze.     Es  erscheint  auf  dem  Quer- 
schnitt ein  strahliger  Holzkörper,  meist  ohne  Mark. 
a)  Konsistenz  der    Wurzel  holzig-faserig.  —    Wurzeln  ohne  Geruch. 

Radix  Liquiritiae  (glabrae).  Spanisches  Süssholz. 

Glycyrrhiza  glabra  (Papilionaceae).  —  Südeuropa  (Ka- 
labrien). 

Fast  un verzweigte,  walzenförmige,  bis  finger- 
dicke "Wurzeln,  aussen  graubräunlich,  längsrunzelig; 
innen  gelb.  Die  Rinde  ist  dreimal  dünner  als  das 
langfaserige,  dichte  Holz,  welches  ein  kleines 
Mark  umschliesst,  von  dem  sehr  zahlreiche  linien- 
förmige  Markstrahlen  ausgehen.  (Fig.  463.)  —  Ge-  j?ig.  453. 
schmack  süss,  etwas  kratzend.  Rad.  Liquiritiae 

Bestandteile:  Glycyrrhizin  (Süssholzzucker).        m^Sh  "er'gr. 
Anwendung:  In  Theemischungen  gegen  Schleim- 
haut-Entzündungen (Katarrh)  und  als  Yersüssungsmittel. 

Radix  Liquiritiae  mundata.  Russisches  Süssholz. 
Glycyrrhiza   glabra  var.  glandulifera  (Papilionaceae). 
—  Südosteuropa,  südliches  Russland. 

*)  Die  Pharmakognosie  lässt  sich  nur  an  den  Droguen  selbst  studieren ; 
ein  stetes  Vergleichen  der  Beschreibung  mit  der  naturellen  Drogue  ist  un- 
bedingt erforderlich.  —  In  Betreff  des  anatomischen  Baues  der  Pflanzenteile 
muss  auf  die  früheren  Kapitel  der  Pflanzenanatomie  verwiesen  werden. 


—     544     — 

Eine  mit  dem  spanischen  Süssholz  ziemlich  übereinstimmende, 
aber   dickere   (bis  4  cm),    leichtere,   im  Handel  stets  ge- 
schält  vorkommende    Wurzel,    in    Form    gelber,    ein- 
facher, walzenfömiger  Stücke  von  starkfaserigem  Bruche. 
Bestandteile  und  Anwendung:  wie  beim  spanischen  Süssholz. 

Radix  Ononidis.     Hauhechelwurzel. 

Ononis  spinös a.  (Papilionaceae).  —  Europa. 

Eine  sehr  lange,  tief  längsfurchige,  kantige  und  oft  ge- 
drehte, vielköpfige  Wurzel  von  grosser  Zähigkeit,  aussen 
graubraun,  innen  weiss.  Die  Rinde  ist  sehr  dünn,  das  Holz 
starkfaserig,  auf  dem  Querschnitte  deutlich  und  fächerartig 
gestrahlt,  das  Mark  sehr  klein  und  oft  excentrisch.  (Fig. 464.) 
Geschmack:  etwas  herbe,  kratzend. 

Bestandteile:  Harz,  zwei  eigentümliche  Stoffe  (Ononin  und 
Ononid). 

Anwendung:  Zu  Species  ad  decoctum  lignorum. 


Fig.  464.  Fig.  465. 

Rad.  Ononidis.  Querschnitt,      a.  Peruanische  Ratanhiawurzel;  b.  R.  aus 

mehrfach  vergr.  Granada;  c.  R.  aus  Brasilien  in  Querschnitten. 

Radix  Ratanhiae.     Ratanhiawurzel. 

Krameria  triandra.  (Polygaleae).  —  Peru. 

Ziemlich  dicke ,  vielköpfige  Wurzeln  mit  langen ,  walzlichen, 
fingerdicken  Ästen,  aussen  rotbraun,  mit  hellem  Holze.  Die 
Rinde  sechs-  bis  achtmal  dünner  als  das  feinstrahlige, 
dichte  Holz.  (Fig.  465  a.).  —  Die  Rinde  besitzt  einen  herben, 
bitterlichen  Geschmack. 

Verwechslungen:  1.  Die  Ratanhia  aus  Neu- Granada 
(Fig.  465  b)  sog.  Sabanilla-R. ,  mit  dem  Stich  ins  Violette. 
2.  Die  Ratanhia  aus  Brasilien  (c),  dunkler,  mehr  braun.  Beide 
sind  mit  dickerer  Rinde  versehen. 

Bestandteile:  eisengrünende  Gerbsäure  und  Ratanhia-Rot 
(deren  Spaltungsprodukt)  nur  in  der  Rinde.  (Die  Sabanilla-R. 
hat  eisen  schwärz  ende  Gerbsäure.) 

Anwendung:  Als  kräftig  ad strin gierendes  Mittel,  zu  Extrakt. 


545 


Fkf.  466. 


ß)  Konsistenz  der    Wurzel  fleischig,  trocken  spröde,  oft  kornartig. 

aa)  Mit  Balsamsclüäuchen  durchsetzte,  daher  gewürzige    Wurzeln. 

aa)   Verästelte  'Wurzeln. 

Radix  Angelicae.  Engelwurzel. 

Archangelica  officinalis.  (Umbelliferae).  —  Europa. 

Ein  dicker,  fingerlanger  Knollstock,  mit  zahlreichen,  langen, 
federkieldicken  Ästen;  dunkel-,  fast  schwärzlich- 
braun, innen  weiss,  etwas  schwammig.  Auf 
dem  Querschnitte  zeigt  die  dicke  Rinde  zahlreiche 
gelbe  Balsamschläuche,  deren  Öffnungen  deut- 
lich sichtbar  sind  und  die  Gefässöffnungen  an  "Weite 
übertreffen.  (Fig.  466.)  —  Geschmack  bitterlich, 
brennend;  Geruch  eigentümlich  gewürzhaft. 

Verwechslungen:    Die  Wurzel  vonAngelica 
silvestris  ist  viel  kleiner,  dünner,  holzig,  wenig  Rad. Angelicae. 

geWÜrzhaft.  Querschnitt. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz  (Angelicin),  Angelikasäure. — 
Die  Wurzel  ist  in  Blechgefässen  aufzubewahren. 
Anwendung:    Zu  Spiritus  Angelicae  comp. 

Radix  Levistici,  Liebstöckelwurzel. 
Levisticum  officinale.  (Umbelliferae).  —  Europa, 
Eine  finger-  bis  handlange,  3  —  4  cm  dicke 
Wurzel,  mit  wenig  Ästen,  gelbbraun,  innen 
weiss,  schwammig.  Die  dicke,  zerklüftete 
Rinde  zeigt  zahlreiche,  kreisförmig  geordnete,  gelbe, 
sehr    enge    Balsamschläuche.    (Fig.    467.) 

—  Geschmack  süsslich,  brennend ;  Geruch  eigen- 
tümlich gewürzhaft. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz,  Extraktivstoff.     Rad  levistici 

—  Man  bewahrt  die  "Wurzel  in  Blechgefässen.  Querschnitt. 

Anwendung:  ZuSpec.  diureticae  und  anderen  Theemischuagen. 

ßß)   Wurzeln  unverzweigt. 

Radix  Pimpineliae.    Pimpineilwurzel. 

Pimpinella    Saxifraga   und   P.  magna. 
(Umbelliferae).  —  Europa, 

Die   Wurzel  ist  ziemlich  lang,  über  feder- 
kieldick, bei  der  erstgenannten  Art  einfach,  bei 
der  zweiten  öfters  ve  r  z  wei  gt,  oben  stets  mehrköpfig 
und  schwach  geringelt,  der  Quere  nach  warzig; 
aussen  braun  gelb,  innen  weiss.  Auf  dem  Quer- 
schnitt (Fig.  468)  zeigt  die  dicke  Rinde  gelbliche,,,   ,  %•  ^8-, 
kleine  Balsamschläuche  in  radialer  Anord- RadQuPeSSt 
nung.      Geruch   eigentümlich,    bockartig;    Ge-       mehrf.  vergr. 
schmack  süsslich,   hintennach  scharf  b  eissend. 


Schlickum,   Apothekerlehrling. 


35 


—    546     — 

Verwechslungen:  1.  Die  Wurzel  von  Peuce da n um  Oreo- 
selinum  ist  grösser,  weniger  scharf  und  zeigt  einen  Holzkörper 
aus  getrennten,  keilförmigen,  strahlig  geordneten  Gefässbündeln. 
—  2.  Die  Wurzel  von  Heracleum  Sphondylium  ist  ockergelb, 
innen  schwammig  und  nicht  strahlig,  mit  grobporigem  Holze. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz. 

Anwendung:  Zu  Tinctura  Pimpinellae  (auch  Extractum),  gegen 
Heiserkeit. 

Radix  Pyrethri.  Bertramwurzel. 
Anacyclus  officinarum.  (Compositae).  —  Europa. 

Eine  einfache,  höchstens  federkieldicke,  leicht  zerbrechliche  Wurzel, 
oben  mit  Blattstielresten  beschopft,  graubraun,  innen  blassbraun. 
Auf  dem  Querschnitte  zeigt  die  dicke  Rinde  einen  Kreis  von  Balsam- 
schläuchen. —  Geschmack  brennend  scharf,  speichelziehend. 
Geruch  fehlt. 

Verwechslungen:  Die  sog.  italienische  Bertramwurzel  von 
Anacyclus  Pyrethrum  ist  von  doppelter  Dicke,  tiefgefurcht  und  hart,  fest, 
sonst  aber  von  gleicher  Güte  (in  Italien  off.). 

Bestandteile:  scharfes  Harz  (Pyrethrin),  Inulin. 

Anwendung:  zu  Pilulae  odontalgicae,  Tinct.  Spülanthis  comp.,  gegen 
Zahnweh. 

Radix  Carlin ae.    Eberwurzel. 

Carlina  acaulis.  (Compositae).  —  Alpen. 

Eine  einfache,  daumendicke,  lange  Wurzel,  oben  vielköpfig,  braun, 
innen  blässer,  längsrunzelig  und  mit  blossgelegtem,  netzartig 
welligem  Holze,  das  auf  dem  Querschnitte  strahlig  erscheint  und  braun- 
rote Harzgänge  zeigt.  —  Geschmack  bitter,  brennend  scharf;  Geruch 
eigentümlich,  unangenehm. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz. 

Anwendung:  früher  hochgeschätzt,  jetzt  obsolet. 

bb)    Wurzeln  ohne  Balsamgänge,  daher  gewürzlos. 
aa)  Holzkörper  die  Rinde  überwiegend. 

Radix  Senegae.    Senegawurzel. 
Polygala  Senega.  (Polygaleae).  —  Nordamerika. 
Eine  federkieldicke,  armästige,  häufig  gewundene  Wurzel, 

auf  der  Innenseite  der  Biegung 
scharf  gekielt,  auf  der  Aussen- 
seite  höckerig;  mehrköpfig,  gelb- 
lich. Der  durch  die  Biegung  geführte 
Querschnitt  (Fig.  469  a)  zeigt  einer- 
seits den  aus  Rindenschichten  ge- 
bildeten Kiel;  auf  der  gegenüber 
a       Fig.  469.       b  befindlichen  Seite  erscheint  das  Holz 

,  n       ^td'  Sene^aße:  unvollständig    und    ausgeschnitten. 

a  Querschnitte  an  einer  Biegung;  ~*+w~         ö  0 

d  am  oberen  Teüe;  (h  Holz,  r  Rinde).      —     Geschmack    kratzend. 

Beimischung:  Die  rübenförmige  Radix  Ninsi  (von  Panax 
quinquefolia). 


547     — 


Bestandteile:  Senegin  (==  Saponin),  Harz,  Gummi. 

Anwendung:  Extractum  und  Syrupus  Senegae;  gegen  Husten . 
Radix  Saponariae.     Seifenwurzel. 

Saponaria  officinalis.     (Caryophylleae).  —  Europa. 

Eine  sehr  verlängerte,  federkieldicke  Wurzel  mit  gegenstän- 
digen Knoten,  an  denen  die  Wurzelzasern  entspringen;  die  rotbraune, 
innen  weisse  Rinde  umschliesst  ein  gelbliches  Holz.  Häufig  hangen  ihr 
noch  Stengelreste  an,  mit  angeschwollenen  Knoten.  —  Geschmack 
kratzend,  süsslich,  nachher  bitterlich.  Die  Abkochung  schäumt  wie 
Seifenwasser. 

Bestandteile:  Saponin  (in  Glykosid,  dessen  Lösung  schäumt),  Gummi. 

Anwendung:  jetzt  obsolet;  technisch  zur  Fleckenreinigung. 

Radix  Bardanae.     Klettenwurzel. 

Lappa   officinalis   (L.    major),  L.  minor  und  L. 
tomentosa  (Arctium  Bardana).     Compositae.  —  Europa,   r 

Eine    einfache,    fingerdicke,    lange  Wurzel,    grau-  £J 
braun,     innen     blassbräunlich ;     auf    dem    Querschnitte 
(Fig.    470)    zeigt    die    dicke,    zerklüftete    Rinde   eine 
weiss  filzige    Auskleidung  ihrer  Lücken;    das   strahlige  ~h 
Holz  umgiebt  ein  dünnes,   weisses,  zerrissenes    Mark. 
—  Geschmack  süsslich,  schleimig. 

Bestandteile:    Inulin,  Schleim  u.  a.  m. 

Anwendung:  zu  Species  ad  decoct.  lignorum. 

Radix  Alkannae.     Alkannawurzel.  ^S-  470. 

Alkanna  tinctora.  (Boragineae).  —  Orient.  Rad-  Bardanae. 

Eine   einfache  spindelige,    fingerdicke  Wurzel,    mit        <4uersc 
leicht  sich  abblätternder,  weicher,  dunkelroter  Rinde  und  hartem, 
weissem  Holze. 

Bestandteile:  Alkannin  (ein  roter,  in  Weingeist  und  Ölen,  aber 
nicht  in  Wasser  löslicher  Farbstoff). 

Anwendung;  zur  Färbung  von  Fetten,  z.  B.  Ceratum  Cetacei  rubr. 

ßß)  Rinde  den  Holzkörjier  überwiegend. 
Radix  Taraxaci,     Löwenzahnwurzel. 

Taraxacum  officinale  (Leontodon  Taraxacum) 
sitae.  —  Europa. 

Eine  fusslange,  fingerdicke,  spindelige  Wurzel,  viel- 
köpfig, arm  ästig,  dunkelbraun.  Auf  dem  Quer- 
schnitte (Fig.  471)  zeigt  die  dicke,  innen  weisse 
Rinde  zahlreiche  konzentrische  Schichten, 
welche  sie  schwammig-blätterig  machen;  das 
centraleHolz  ist  citronengelb,  strahlig.  —Geschmack  Fig.  471. 
bitterlich.  Rd-  Taraxaci. 

Bestandteile:  Inulin,  Bitterstoff,  Salze. 

Anwendung:  Nebst  dem  Kraute  frisch  zu  Extrakt. 

Radix  Ipecacuanhae.    Brechwurzel. 
Psychotria  (Cephaelis)     Ipecacuanha.    (Rubiaceae).    — 
Brasilien. 

35* 


Compo- 


—     548 


Eine  hin-  und  hergebogene,  federkieldicke,  einfache,  nach 
oben  wie  nach  unten  verschmälerte,  dunkelgraue  Wurzel,  mit  vielen 
wulstigen  Ringen,  welche  sie  unvollständig  umziehen  und 
tiefe,  oft  bis  auf  den  Holzkörper  reichende  Einschnitte 
zeigen.  (Fig.  472.)  Die  graue,  dicke  Rinde 
umschliesst  ein  dünnes,  hellgelbes  Holz.  — 
Geschmack  widerlich  bitter,  Geruch  schwach. 


Fig.  472.  Fig.  473.  Fig.  474. 

Rad.  Ipecacuanh.  grisea.  Rad.  Ipecac.  imdulata.     Rad.  Ipecac.  nigra. 

Verwechslungen:  1.  Rad.  Ipecacuanhae  undulata 
(Fig.  473),  von  Richardsonia  scabra,  unterscheidet  sich  durch  die 
seichten  Einschnitte  zwischen  den  schwachen  Wülsten  und  die 
weisslicbgraue,  mehlige,  süssliche  Rinde.  —  2.  Rad.  Ipecacuanhae 
nigra  oder  striata  (Fig.  474)  von  Psychotria  emetica  ist  an- 
sehnlich dicker,  schwärzlich,  mit  dickerem  Holzkörper,  aussen  dicht 
längsgestreift;  frei  von  Stärkemehl,  daher  auf  dem  Bruche  fast 
hornartig.     Beiden  fehlt  das  Emetin. 

Bestandteile:  lV2°/o  Emetin  (fast  nur  in  der  Rinde,  daber 
beim  Pulvern  das  restierende  Holz  weggeworfen  wird),  viel  Stärke- 
mehl. Daher  wird  der  salzsaure  Auszug  der  Wurzel  durch  Chlor- 
kalk gerötet  (Emetin),  durch  Jodlösung  gebläut  (Stärke.)  Im 
wässerigen  Auszug  ruft  Jodkalium-Quecksilberjodid  eine  Trübung 
hervor  (Emetin). 

Anwendung:  In  sehr  kleinen  Gaben  die  Sekretion  der  Luft- 
wege befördernd,  in  grösseren  Gaben  als  Brechmittel.  Zu  Syrup, 
Tinktur  und  Vinum. 

b)    Wurzeln   mit  markigem,  ungestrahltem  Hohe,  in  welchem  die 

Gefässbündel  verteilt  liegen.  —  Consistenz  nicht  holzig, 
a)   Wurzel  walzenförmig,  nicht  selten  längsgespalten;  gewürzlos. 

Radix  ASthaeae.     Eibischwurzel. 
Althaea  officinalis.  (Malvaceae).  —  Europa. 
Fingerdicke,  lange,  walzenförmige  Wurzeln,  welche  durch  das 


—     549 


Fig.  475. 
Rad.  Althaeae. 

Querschnitt. 


Abschälen    der    äusseren  Rinde  weiss  erscheinen    und   einen 
faserigen  Bast  besitzen.    Auf  dem  Querschnitte  zeigt  der  grosse, 
mehlige  Holzkörper  in  seinem  markigen  Gewebe 
Poren   (zerstreute   Gefässe).   —  Geschmack   süsslicb, 
schleimig. 

Bestandteile:  Schleim,  Stärkemehl,  Asparagin, 
Salze.  Ein  kaltbereiteter  wässeriger  Auszug  ist  schlei- 
mig, ohne  das  Stärkemehl  zu  enthalten ;  die  wässerige 
Abkochung  ist  dagegen  kleisterhaltig,  wird  daher  durch 
Jodlösung  gebläut. 

Anwendung:  Als  Infusum  bei  gereizten  Schleim- 
häuten;   zu  Syrup. 

Radix  Gentianae.    Enzianwurzel. 

Gentiana  lutea,  G.  pannonica,  G.  purpurea  und  G. 
punctata  (Gentianeae).  —  Alpen. 

Charakteristik:  Eine  über  fingerdicke,  sehr  lange,  arm- 
ästige, oft  im  Handel  gespaltene,  oberwärts  dicht 
geringelte,  gelbrötliche,  innen  braungelbe 
Wurzel,  welche  im  frischen  Zustande  fleischig,  ge- 
trocknet etwas  schwammig  ist.  Auf  dem  Quer- 
schnitt scheidet  sich  die  Rinde  vom  markigen  Holz- 
körper durch  einen  dunklen  Ring  (Bast).  (Fig.  476.) 
—  Die  graubraunen  und  dünneren  Wurzeln  ent- 
stammen den  drei  letztgenannten  Arten, 
schmack  stark  bitter. 

Bestandteile:  Bitterstoff  (Gentiopikrin),  Earbestoff  (Gentisin) 
Zucker. 

Anwendung:  Als  Bittermittel  zu  Extrakt  und  Tinktur. 

Radix  Belladonnae.     Tollkirschenwurzel. 

Atropa  Belladonna.     (Solanaceae).  —  Europa. 

Eine  ziemlich  dicke  und  lange,  ästige  Wurzel,  welche  meist  gespalten 
im  Handel  vorkommt,  frisch  fleischig,  getrocknet  innen  mehlig  und  beim 
Zerbrechen  stäubend;  aussen  gelblich  grau,  innen  weisslich.  Die 
Kinde  ist  mit  halbringförmigen  Korknarben  bedeckt  und  umschliesst 
ein  Holz,  dessen  gelbliche  Gefässbündel  im  Umkreis  ringförmig  geordnet, 
nach  innen  zu  zerstreut  sind.  Eine  holzige,  schwärzliche,  zähe  Wurzel 
ist  zu  verwerfen;  auch  darf  sie  nicht  geschält  werden.  —  Geschmack  süss- 
lich,  nachher  kratzend. 

Bestandteile:  Atropin  (0,3°/o)»  Atropasäure. 

Anwendung:  Ein  stark  narkotisches  Mittel,  die  Pupille  erweiternd. 

Radix  Scammoniae.  Skammoniawurzel. 

Convolvulus  Scammonia.  (Convolvulaceae).  — Kleinasien,  Syrien. 

Eine  walzenförmige,  sehr  lange,  fingerdicke  Wurzel,  längsriefig, 
bräunlich,  innen  blässer  und  harzig  punktiert.  Auf  dem  Quer- 
schnitt umschliesst  die  dünne  Rinde  ein  aus  getrennten  gelben  Ge- 
fässbündeln  bestehendes  Holz;   die   einzelnen  Bündel   sind  strahlig  und 


Eig.  476. 
Q.g_  Rad.  Gentianae. 

Querschnitt. 


—     550    — 

durch  Parenchymgewebe  von  einander  geschieden.  (Fig.  477  B.)  —  Geschmack 
kratzend,  süsslich  herbe. 

Verwechslungen:  Radix  Turpethi  (von  Convolvulus  Turpethum) 
unterscheidet  sich  durch  ein  centrales ,  strahliges  Holz  und  dickere  Rinde, 
worin  einzelne  Holzbündel  zerstreut  verlaufen. 

Bestandteile:    Harz  (Jalapin),  Zucker,  Gerbsäure. 

Anwendung1:  Zur  Darstellung  von  Resina  Scammoniae. 


Fig.  477.  Fig.    478. 

A.Rad. Scammoniae;  B. Querschnitt ders.  A.  Rad.  Helenii;  B,  Querschnitt  ders. 

ß)    Wurzel  knollig,  aa)    Wurzel  gewürzig. 

Radix  Helenii.    Alantwurzel. 

Inula  Helenium.  (Compositae).  —  Europa. 

Die  dicke  Hauptwurzel  kommt  im  Handel  geschält  und  der 
Länge  nach  zerschnitten,  nebst  den  dünneren  walzlichen,  geschäl- 
ten Ästen  vor.  Sie  ist  weisslich  gelb,  frisch  fleischig,  trocken 
hart  und  spröde,  feucht  geworden  zähe.  Auf  dem  Querschnitte 
wird  die  ziemlich  dicke  Kinde  durch  einen  dunklen  King  vom 
fleischigen  Holzkörper  getrennt;  letzterer  zeigt  breite  Markstrahlen. 
(Fig.  478  B.)  Die  Rinde  ist  mit  vielen  glänzenden,  braunen 
Ölgängen  und  weissen  Krystallen  (Alantkampfer)  durchsetzt. 
—  Geschmack  bitter,  Geruch  eigentümlich  ge würzig. 

Bestandteile:  Alantkampfer  (Helenin),  Inulin  (statt  der 
Stärke),  Bitterstoff. 

Anwendung:  Als  harntreibendes  und  schleimlösendes  Mittel, 
zu  Extrakt. 

bb)    Wurzel  gewürzlos. 

Radix  Colombo.    Kolombowurzel. 
Jateorrhiza    Calumba.    (Menispermeae).  —  Ostafrika,  in 
Ostindien  kultiviert. 

Die  fusslange,  knollige   Wurzel   kommt   in  Querscheiben 


551 


zerschnitten  zu  uns,  welche  kreisrund,  aussen  runzelig,  graubraun, 
auf  der  Schnittfläche  grünlichgelb,  markig-mehlig  sind. 
Zwischen  Einde  und  Holz  verläuft  ein  dunkler,  radial  durchstreif- 
ter Ring  (Kambium);  im  Holzkörper  bemerkt  man  konzentrisch 
geordnete  Gefässbündel,  aber  keine  Jahresringe.  (Fig.  484.)  Unter 
•dem  Mikroskop  zeigt  das  Gewebe  der  Wurzel  ansehnliche  Stärke- 
körnchen, welche  bei  Zusatz  von  Jodlösung  sich  bläuen.  — 
Geschmack  schleimig,   stark  bitter. 

Verwechslungen:  Die  am erikanische  Kolo mb o wurzel 
{von  Frasera  Carolinensis)  ist  mehr  fahlgelb ,  ohne  dunklen  Kam- 
biumring, und  wird  durch  Jodlösung  gebräunt  (nicht  gebläut).  — 
Die  Radix  Bryoniae  ist  weisslich,  mit  konzentrischen  Kreisen 
(Jahresringen). 

Bestandteile:  Berberin  (ein  Alkaloi'd),  Columbin  (Bitterstoff), 
Stärkemehl 

Anwendung:  Als  bitteres  Tonicum  gegen  Diarrhöe ,  Magen- 
und  Darmkatarrh,  zu  Dekokten  und  Extrakt. 


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Fig.  479. 
Rad.  Colombo. 

r  Rinde,  k  Kambium,  h  Holz. 


Fig.  480. 
Querschnitt  der  echten  Rhabarber. 


Radix  Rhei.     Rhabarberwurzel. 

Rheum  officinale.  (Polygoneae).  —  Hochasien  (Quellgebiet 
des  Hoangho). 

Die  knollige  Wurzel  kommt  mehr  oder  weniger  geschält 
(mundiert)  und  in  Stücken  zerschnitten  zu  uns,  welche  mit  einem 
Bohrloche  versehen,  gelb,  mit  weissen  und  roten  Strichelchen 
marmoriert  und  oft  flammig  gezeichnet  sind.  (Fig.  480.) 
Radiale  Strahlen  fehlen.  Konsistenz  dicht  markig,  nicht  holzig; 
zwischen  den  Zähnen  knirschend  und  den  Speichel  gelbfärbend. 
Geschmack  bitter,  herbe;   Geruch  eigentümlich. 

Die  Wurzel  gelangt  aus  den  chinesischen  Häfen  (vorzugs- 
weise aus  Schanghai)  zur  See  über  England  zu  uns  (Chinesische 
Rhabarber).  Früher  kam  eine  sehr  gute,  ausgelesene  Rhabar- 
ber über  Sibirien  und  Russland  nach  Europa  (Russische  Rha- 
barber), welche  tiefer  geschält,   daher  gelber,  weicher  und  mehr 


552 


bestäubt  erschien  und  einen  hohen  Preis  behauptete.     Seit  1860 
hörte  deren  Zufahr  auf. 

Verwechslungen:  Die  europäische  Rhabarber :  a)  Die  öster- 
reichische (von  Rheum  palmatum  u.  a.  A.)  (Fig.  481),  unter- 
scheidet sich  durch  die  auf  dem  Querschnitt  ganz  gerade  und 
regelmässig  sternförmig  verlaufenden,  roten  Markstrahlen. 

b)  Die  englische  Rha- 
barber ist  der  vorigen  ähn- 
lich, zeigt  aber  auf  dem  Quer- 
schnitte die  Strahlen  nur  im 
Umkreise,  sowie  weisse  wie 
rote  Punkte  in  der  Mitte. 
Bestandteile:  Chryso- 
phan  säure  (löslich  in  Atz- 
alkalien mit  roter  Farbe), 
Emodin  (löslich  in  kohlen- 
sauren Alkalien  mit  roter 
Farbe),Harze,  eisengrünende 
Gerbsäure,Stärkemehl,  oxal- 
saurer  Kalk  u.  a.  m. 

Anwendung:  Ein  in 
kleinen  Gaben  tonisches 
Mittel,  in  grösseren  Gaben 
(1—3  g)  Stuhlgang  erzeu- 
gend; zu  Extrakt,  Syrup, 
Tinctura  Rhei  aquosa  und 
vinosa. 


Fig.  481. 
Europäische  Rhabarber 

mit  ihrem  Querschnitte  (B). 


B.  Zusammengesetzte  Wurzeln. 

a.  Nebenwurzeln  mit  den    Wurzelstöcken  gebräuchlich. 
a)    Wurzel  gewürzig. 

Radix  Valerianae.     Baldrianwurzel. 

Valeriana  officinalis.  (Valerianeae).  —  Europa. 

Ein  kurzer,  knolliger  "Wurzelstock,  mit  zahlreichen, 
langen,  dünnen,  stielrunden  Neben  wurzeln  besetzt,  aussen  und 
innen  braun,  fleischig  (nicht  holzig).  Auf  dem  Längs- 
schnitte (Fig.  482  B)  und  Querschnitte  (C)  des  Wurzelstockes 
zeigt  der  fleischige  und  braune  Holzkörper  einen  Kreis  getrennter, 
heller  Gefässbündel  und  umschliesst  ein  weites,  braunes  Mark. 
Die  Nebenwurzeln  zeigen  auf  dem  Querschnitte  (D)  eine  dicke 
Rinde  und  dünnen,  centralen  Holzkörper.  —  Geschmack  bitter, 
gewürzhaft;  Geruch  eigentümlich,  stark. 

Beimischungen:  Nicht  selten  ähnliche,  aber  hellfarbige  und 
geruchlose  Wurzeln  von  Ranunkeln  und  Cynanchum  Vincetoxicum. 


OOO      — 


Bestandteile:  äther.  Öl  mit  Baldriansäure,  Harz,  Gummi, 
ExtraktivstofF.     Man  bewahrt  die  Wurzel  in  Blechbüchsen. 

Anwendung:  Als  krampfstillendes,  nervenberuhigendes  Mittel; 
liefert  Extrakt,  Öl  und  zwei  Tinkturen. 


Fig.  482.  _  Fig.  483. 

A.  Rad.  Valerianae;  Rad.  Serpentariae ; 

B.  Längsschnitt,  C.  Querschnitt  des  Wurzelstocks;  a  Querschnitt  des  Wurzelstocks. 

D    der  einer  Netzwurzel. 

Radix  Serpentariae.     Virginische  Schlangenwurzel. 

Aristolochia  Serpentaria.  (Aristplochiaceae).  —  Nordamerika. 

Ein  federkieldicker,  gewundener  Wurzelstock,  oberwärts  mit  kurzen 
Stengelresten,  nach  unten  mit  zahlreichen,  fast  fingerlangen,  zerbrech- 
lichen Nebenwurzeln  besetzt;  gelbbraun.  Auf  dem  Querschnitt  des 
Wurzelstocks  umschliesst  die  Rinde  ein  breit-  und  fächerförmig  ge- 
strahltes Holz  mit  excentrischem,  mehr  nach  oben  liegendem  Mark. 
Fig.  483.  —  Geschmack  bitter,  Geruch  kampferartig. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz,  Extraktivstoff.  —  Man  bewahrt  die 
Wurzel  in  Blechbüchsen  auf. 

Anwendung:  Als  anregendes  Mittel,  in  Nordamerika  gegen  den 
Schlangenbiss. 

Radix  Arnieae.     Wohlverleihwurzel. 

Arnica  montana.  (Compositae).  —  Europa. 

Einfederkieldicker,  schief  oder  horizontal  verlaufender,  harter, 
biauner  Wurzelstock,  nur  nach  unten  mit  zahlreichen,  zerbrechlichen 
Nebenwurzeln  besetzt.  Auf 
dem  Querschnitte  des 
Wurzelstocks  (Fig.  484  B) 
umgiebt  die  ziemlich  dicke, 
weisse  Rinde  (r)  ein  gelbes, 
strahliges  Holz  (h)  mit  einem 
Kreis  von  Balsam- 
schläuchen (g);  zuinnerst 
liegt  ein  weites,  weissliches 
Mark  (m).  —  Geschmack 
bitterlich  gewürzhaft,  krat-  A  Fg.  484.  B 

zend;  Geruch  eigentümlich  A.  Rad.  Arnieae;  B.  Quersichn.  d.  Wurzelstocks. 


—     554    — 

Verwechslungen:  Die  Wurzeln  von  Achyrophorus  maculatus 
(Hypochoeris  rnaculata),  Betonica  officinalis,  Fragaria  vesca,  Soli- 
dago Virgaurea,  Eupatorium  cannabinum  und  Hieraciuni- Arten 
sind  zum  Teil  dicker,  aber  stets  ohne  den  Kreis  von  Balsamgängen;  auch 
stehen  die  Nebenwurzeln  allseitig.  Am  ähnlichsten  ist  noch  die  Erdbeer- 
wurzel, aber  ohne  Schärfe  und  Gewürz. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz,  Gerbsäure. 

Anwendung:  ähnlich  den  Woblverleihblüten,  jedoch,  weil  gerbstoff- 
reicher, gegen  Durchfall. 

Radix  Asari.     Haselwurzel. 

Asarum  europaeum.  (Aristolochieae).  —  Europa. 


Fig.  485. 
A.  Radis  Asari;  B.  Querschnitt  des  Wurzelstocks. 

Ein  dünner,  stumpf  vierkantiger,  ausläuferartiger  Wurzelstock; 
graubraun,  lang  gegliedert,  an  den  entfernten  Knoten  mit  helleren 
Nebenwurzeln  besetzt  und  an  dem  oberen  Ende  mit  je  zwei  gestielten, 
nierenförmigen  Blättern,  welche  vor  der  Dispensation  abzuschneiden 
sind.  Auf  dem  Querschnitt  des  Wurzelstocks  (Fig.  485  B)  wird  die  dicke 
Rinde  durch  einen  braunen  Ring  vom  schmalen,  strahligen  Holzkörper  ge- 
trennt, welcher  ein  weites  Mark  umschliesst.  —  Geschmack  pfefferartig, 
brennend;  Geruch  kampferartig. 

Bestandteile:    Asantkampfer  (Asarin). 

Anwendung:    als  abführendes  und  harntreibendes  Vieharzneimittel. 

ß)    Wurzel  gewürzlos. 

Radix  Hellebon  viridis. 

Grüne  Nieswurzel. 

Helleborus  viridis. 
(Ranunculaceae.)  —  Europa. 

Ein  nach  oben  ästiger 
Wurzelstock,  dicht  besetzt 
mitlangen,  dünnen,  zer- 
brechlichen Neben  wurzeln, 
braunschwarz,  innen  weiss- 
lich.  Auf  dem  Querschnitt  des 
Wurzelstocks  (Fig.  486  a)  ist 
die  ziemlich  dicke  Rinde  vom 
weiten  Mark  durch  einen 
schmalen ,    aus    keilförmigen, 


Fig.  486. 
Rad.  Helleb.  vir. 

a  Quersohn.  d.  Wurzelstocks ;  b.  einer  Nebenwurzel. 


555    — 

Holzbündeln  gebildeten  Ring  getrennt.  Der  Querschnitt  einer  Nebenwurzel 
(b)  zeigt  ein  centrales  Holz,  ohne  Mark.  —  Geschmack  bitter  (nicht  scharf!). 

Verwechslungen:  Um  die  grüne  Nieswurzel  von  der  früher  gebräuch- 
lichen, sehr  ähnlichen,  aber  bitter-scharf  schmeckenden  Wurzel  von  Helle  - 
borus  niger  zu  unterscheiden,  soll  sie  noch  mit  den  fussförmigen  Wurzel- 
blättern versehen  sein,  deren  Blättchen  am  ganzen  Rande  scharfge- 
•sägt  sind,  während  die  Blättchen  von  Helleborus  niger  lederig  und 
nur  gegen  die  Spitze  hin  schwachgesägt  sind.  - —  Adonis  vernalis 
und  Actaea  spicata,  deren  Wurzeln  ähnlich  sind,  ermangeln  der  fuss- 
förmigen Blätter. 

Bestandteile:  Helleborin  und  Helleborein. 

Anwendung:  ein  narkotisches  Mittel,  zugleich  drastisch  wirkend. 
Liefert  eine  Tinktur  und  ein  Extrakt. 

Radix  Sarsaparillae.     Sarsaparillwurzel. 

Smilax- Arten  (Asparageae).    —   Central amerika  (Honduras). 

Sehr  lange,  federkieldicke,  längsstreifige,  gelb- 
braune, innen  weisse  Nebenwurzeln,  teils  ohne  den  knolligen 
Wurzelstock ,  teils  mit  demselben  im  Handel  vorkommend  und 
dann  nach  zwei  Seiten  auseinander  gebogen  und  über  den  Wurzel- 
stock nochmals  umgeschlagen,  so  dass  letzterer  in  die  Mitte  zu 
liegen  kommt. 

Der  Querschnitt  (Fig.  487)  zeigt  eine  breite,  weisse,  mehlige, 
hornartige  Rinde  (r),  einen  Holzring  (h)  ohne  Markstrahlen  und 
ein  fast  ebenso  breites  weisses  Mark  (in). 


Fig.  487.  Fig.  488.  Fig.  489.  Fig.  490. 

Honduras-Sarsaparille.  Caracas -Sars.  Lissaboner   Sars.  Mexikanische  Sars. 

Verwechslungen:    Andere  Handelssorten  sind: 

1.  Sarsaparille  von  Caracas  (Venezuela),  hell- oder  röt- 
iichbraun ;  auf  dem  Querschnitt  mit  ähnlichen  Verhältnissen  wie 
bei  der  offizineilen  Honduras-Sarsaparille.  (Fig.  488.)  Sie  kommt 
mit  dem  "Wurzelstock  vor,  zu  mehreren  zusammengelegt  und  mit 
einigen  Wurzeln  lose  umwickelt. 

2.  Sarsaparille  von  Para  (Brasilien),  sogen.  Lissaboner 
S.,  rötlich  tiefbraun,  auf  dem  Querschnitt  ist  das  Mark  3  —  8  mal 
breiter  als  der  Holzring.  (Fig.  489.)  Sie  kommt  ohne  den  Wurzel- 
stock vor,  in  beiderseits  abgeschnittenen  Bündeln  (sogen.  Puppen). 

3.  Sarsaparille  von  Vera- Cruz  (Mexiko),  tiefgefurcht, 
meist  mit  dem  Wurzelstock  in  loser  Verpackung  und  mit  Erde 
überdeckt;  auf  dem  Querschnitt  ist  das  Mark  schmäler  als  der 
Holzring.  (Fig.  490.) 


556     — 


Bestandteile:  1 — 2%  Smilacin ,  Parillinsäure  (Salseparin), 
Stärkemehl. 

Anwendung:  Gegen  syphilitische  Leiden,  im  Decoctum  Sarsa- 
parillae  comp.  (Dec.  Zittmanni). 

b)  Nur  die  Nebenwurzeln  gebräuchlich. 
Radix  Artemisiae.    Beifusswurzel. 
Artemisia  vulgaris.  (Compositae.)  —  Europa. 

Sehr  lange,  dünne,  hin  und  her  gebogene,  wenig  ver- 
ästelte, aussen  blassbraune,  innen  weisse  Nebenwurzel,  auf  deren 
Querschnitt  (Fig.  491)  das  schmale  centrale  Holz  mit  ringförmig 
geordneten  braunroten  Balsamschläuchen  umgeben  er- 
scheint. —  Geschmack  süsslich  scharf;  Geruch  schwach. 
Fig.  491.  Diese  Nebenwurzeln  entspringen  aus  einem  walzenförmigen, 

holzigen,  bis  zolldicken  Wurzelstock,  von  welchem  sie  im  frischen 
Zustande,  ohne  abgewaschen  zu  werden,  abzuschneiden  sind.  Jährlich  zu 
erneuern ! 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz,  Gerbsäure  (in  der  Rinde,  weshalb 
beim  Pulvern  der  restierende  Holzkörper  weggeworfen  werde). 

Anwendung:  als  mildes  Tonicum,  spezifisch  gegen  Epilepsie  gerühmt. 

Schlüssel  zur  Bestimmung  der  Wurzeln. 

A.  Hauptwurzeln  oder  nur  Nebenwurzeln. 
I.  Wurzel  geschält  (der  Aussenrinde  beraubt). 

a)  Wurzel  weich,  weiss,  mit  faserigem  Bast.      Rad.  Althaeae. 

b)  Wurzel  gelb,  faserig  holzig Rad.  Liquiritiae  mund. 

c)  Wurzel  weisslich,  hornartig  spröde       .     .     Rad.  Helenii. 

d)  Gelbe,  weiss-  und  rotmarmorierte,  markige 

Stücke Rad.  Rhei. 

IL  Ungeschälte  Wurzeln. 

A.  Wurzel  aussen  hochrot,  innen  blasser. 

a)  Rinde  purpurn,  blätterig Rad.  Alkannae. 

b)  Rinde  braunrot,  dünn;  Holz  fest     .     .     .     Rad.  Ratanhiae. 
B.  Wurzel  aussen  braun,  grau  oder  gelb. 

a)  Wurzel  innen  gelb. 

a)  Wurzel  walzenförmig,  holzig-faserig     .     Rad.  Liquiritiae  glabr. 
ß)  Wurzel  in  Scheiben  geschnitten,  mehlig     Rad.  Colombo. 

b)  Wurzel  innen  bräunlich,  markig-fleischig. 

a)  Wurzel  aussen  netzig- wellig    ....     Rad.  Carlinae. 
ß)  Wurzel  oberwärts  querrunzelig    .     .     .     Rad.  Gentianae. 

c)  Wurzel  innen  weiss  oder  weisslich. 

a)  Wurzel  federkieldick,  meist  unverzweigt, 
aa)  Wurzel  spindelig,  fingerlang. 

1.  Wurzel  schwach r  gewunden. 

aa)  Wurzel  sehr  dünn,  geruchlos     Rad.  Pyrethri. 
ßß)  Wurzel  cpierwarzig,  gewürzig     Rad.  Pimpinellae. 

2.  Wurzel  gebogen  und  gekielt     .     Rad.  Senegae. 
bb)  Wurzel  verlängert-walzenförmig. 

1.  Wurzel  rötlichbraun. 

aa)  Wurzel  mit  gegenständigen 

Knoten Rad.  Saponariae. 

ßß)  Wurzel  ohne  Knoten,  längs- 
gestreift      Rad.  Sarsaparillae. 


—     557 


2.  Wurzel  graubraun,  dünn  .     .     . 

3.  Wurzel  dunkelgrau,  wulstig  ge- 
ringelt       

ß)  Wurzel  fingerdick  und  darüber. 

aa)  Wurzel  von  gewürzigem  Geruch. 
aa)  Wurzel  kurz,  dick,  mit  Asten 
dicht  besetzt,  dunkelbraun  . 
ßß)  Wurzel  gelb,  armästig     .     . 
bb)  Wurzel  geruchlos. 

1.  Rinde  dünner  wie  das  Holz. 
aa)  Wurzel  zähe  faserig,  tiefge- 
furcht    .     .  

ßß)  Wurzel  fest,  innen  mit  ge- 
trennten ,  gelben  Holzbündelu 

yy)  Wurzel  innen  zerklüftet  und 
weissfilzig 

oo)  Wurzel  innen  mehlig-markig, 
bei  Zerbrechen  stäubend 

2.  Rinde  blätterig,   dicker   als  das 
gelbe  Holz 


Rad.  Artemisiae. 
Rad.  Ipecacuanhae. 


Rad.  Angelicae. 
Rad.  Levistici. 


Rad.  Ononidis. 
Rad.  Scammoniae. 
Rad.  Bardanae. 
Rad.  Belladonnae. 
Rad.  Taraxaci. 


B.  Wurzelstöcke  mit  Nebenwurzeln. 

A.  Wurzelstock  dicht  mit  Nebenwurzeln  besetzt, 
a)  Wurzelstock  gestreckt,  federkieldick,  innen 
weiss. 


Rad. 
Rad. 


Hellebori  viridis. 
Arnicae. 


Rad.  Serpentariae. 
Rad.   Valerianae. 


a)  Wurzelstock  dunkelbraun,  geruchlos  (mit 

fussteiligen,  scharfgesägten  Blättern) 
ß)  Wurzelstock  braun,  gewürzig  . 
y)  Wurzelstock  gelb,  gewunden,  kampfer 

artig  riechend 

b)  Wurzelstock  kurz,  knollig,  innen  braun 
B.  Wurzelstock  nur  an  den  entfernten  Knoten 

bewurzelt,  graubraun,  kampferartig  riechend     Rad.  Asari. 

2.  Die  offizmellen  Wurzelstöcke  (Rhizornata). 

Man  sammelt  sie  im  Herbste  oder  zu  Beginn  des  Frühlings  und  trocknet 
sie  nach  Entfernung  der  Nebenwurzeln. 

A.  Dikotyledonisclie  Wurzelstöcke. 

Auf  dem  Querschnitte  zwischen  Rinde  und  Mark  ein  Kreis  von  Gefässbündeln. 
Mark  fest  umgrenzt  und  mit  der  Rinde  durch  Markstrahlen  verbunden. 

Rhizoma  Imperatoriae.    Meisterwurzel. 

Imperatoria  Ostrutkium.  (Urnbelliferae). 
—  Alpen. 

Ein  gestreckter,  fingerdicker,  etwas 
flach  gedrückter,  graubrauner,  warziger 
und  geringelter  Wurzelstock,  von  fleischiger 
(nicht  holziger)  Konsistenz,  auf  dem  Querschnitt 
(Fig  492)  blassgelb.  Zwischen  der  dünnen 
Rinde  (a)  und  dem  weitern  Mark  (c)  verläuft  ein  Rh%*3Jtt°me' 
schmaler  Holzring  (b) ;  Rinde  und  Mark  sind  mit 


Fig.  492. 


—     558     — 

grossen  Balsam  schlauchen  (d)  durchsetzt.  —  Geschmack  bitter- 
lich, brennend;  Geruch  stark  gewürzig. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Imperatorin  (krystallinischer ,  in- 
differenter Stoff  von  scharfem  Geschmacke). 

Anwendung:  Früher  ein  berühmtes  Anregungs-  und  Schweiss- 
mittel. 

Rhizoma  Torrnentillae,  Tormentillwurzel. 

Potentilla  Tormentilla.  (Rosaceae)  —  Europa. 

Ein  knolliger  Wurzelstock ,  bald  einfach,  bald  verzweigt, 
bald  rundlich,  bald  walzenförmig  und  dann  meist  gekrümmt, 
fingerdick  und  höchstens  fingerlang,  fest  und  hart,  aussen 
dunkelbraun,  höckerig  und  von  den  abgeschnittenen  Neben- 
wurzeln genarbt,  innen  braunrot.  Auf  dem  Querschnitt  be- 
merkt man  zwischen  der  dünnen  Rinde  und  dem  grossen,  tief- 
roten Marke  mehrere  (oft  in  mehrere  Keinen  geordnete)  helle 
Holzbündel.  —  Geschmack  sehr  herbe;  Geruch  fehlt. 

Bestandteile:  Gerbsäure. 

Anwendung:  Gegen  den  Durchfall  der  Haustiere. 

B.  Monokotyledonische  Wurzelstöcke. 

Auf  dem  Querschnitte  zeigen  sie  einen  Holzkörper  mit  zerstreut  geordneten 
Qefässbündeln,  ohne  Mark  strahlen.   Mark  ohne  feste  Umgrenzung.    Zwischen 

Rinde  und  Holzkörper  verläuft  als  dunkle  Linie  die  Kernscheide 
a)   Halmartige    Wurzelstöcke.    (Wurzelstöcke  mit  entfernten  Knoten.) 
Rhizoma  Graminis,  Queckenwurzel, 
Triticum  repens.  (Gramineae).  —  Europa. 

Ein  halm artiger,  stielrunder,  röhrig-hohler, 
strohgelber  Wurzelstock ,    dessen  Querschnitt  ein e 
weisse  Rindenschicht,  einen  schmalen,  nach  innen  zu 
nicht  scharf  abgegrenzten  Holzring   und   ein   einge- 
Pig.  493._  schrumpft  es   Mark  zeigt  (Fig.  493).  Meist  kommt 
RQuMs^itt1S  er  *m  Handel  zerschnitten  vor. 

Bestandteile:    Zucker,  Gummi,  Salze. 
Anwendung:  Zu  Extractum  Graminis. 

Rhizoma  Caricis.  Sandriedgraswurzel,  rothe  Quecke. 

Carex  arenaria.  (Cyperacea).  —  Europa. 

Ein  halmartiger,  ästiger,  graubrauner  Wurzelstock,  der  nur  an 
den  enfernt  stehenden  Knoten  mit  braunen,  zerfetzten  Blattscheiden 
und  Nebenwurzeln  besetzt  ist.  Auf  dem  Querschnitt  (Fig.  494)  zeigt  er 
eine  Rinde  mit  einem  Kreise  weiter  Luftgänge  (1),  unter  der  Kernscheide 
(k)  einen  weissen  Holzkörper  mit  zerstreuten  Gefässbündeln  (h)  und  einem 
Mark  (rn)  ohne  feste  Begrenzung.  —  Geschmack  süsslich,  später  bitterlich, 
kratzend. 

Verwechslung:  Der  Wurzelstock  von  Carex  hirta  ist  aussen 
braunrot,  auch  zwischen  den  Knoten  bewurzelt  und  ohne  Luft- 
gänge in  der  Rinde. 


Fig.  494.  Fig.  495. 

Rhiz.  Caricis.  Querschnitt.  Rhiz.  Calami.  Querschnitt. 

Bestandteile:  Harz,  Stärkemehl,  Extraktivstoff. 
Anwendung:  harn-  und  schweisstreibend,  obsolet. 

b)    Wurzelstock  nicht  halmartig. 
a)    Wurzelstock  walzenförmig. 

Rhizoma  Calami,  Kalmuswurzel. 

Acorus  Calamus.  (Aroideae).  —  Europa. 

Ein  walzenförmiger,  über  fingerdicker,  etwas  zusammen- 
gedrückter Wurzelstock,  mit  grünlicher,  rötlicher  oder  bräunlicher, 
dicht  geringelter  Rinde,  welche  durch  die  Blattnarben  in  drei- 
eckige Felder  geteilt  ist.  Innen  erscheint  der  Wurzelstock  weiss- 
lich  und  durch  zahlreiche  Luftgänge  schwammig.  Auf 
dem  Querschnitt  (Fig.  495)  zeigt  er  unter  der  porösen  Rinden- 
schicht ein  ebenfalls  poröses  Holz  mit  zerstreuten  Gefässbündeln. 
—  Geschmack  bitter;  Geruch  gewürzhaft. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz  u.  a.,  aber  kaum  Gerbstoff: 

Anwendung:  Bitteres  und  aromatisches  Mittel,  zu  Extractum, 
Oleum  und  Tinctura  Calami. 

ß)    Wurzelstock  knollig,  aa)    Wurzelstock  ohne  TJarzzellen. 

Rhizoma   Iridis.     Veilchenwurzel. 

Iris  florentina,  I.  pallida  und 
I.  germanica.  (Irideae).  —  In  Ober- 
italien (bei  Florenz)  kultiviert. 

Ein  harter,  aus  knollig  verdickten, 
rundlich  plattgedrückten  Jahres- 
trieben gegliederter  Wurzelstock; 
durchAbschälen  der  gelblichen  Rinde 
aussen  und  innen  weisslich,  unter- 
seits  von  den  abgeschnittenen  Neben- 
wurzeln  genarbt.  (Fig.  496  numeriert 
die  Jahres  triebe).  Auf  dem  Querschnitte 
erscheint  eine  dichte  Rinde  und  mehliges 
Holz  mit  zerstreuten  Gefässbündeln.  — 
Geschmack  bitterlich- schleimig,  etwas 
scharf;  Geruch  veilchenartig. 

Fig.  496.  Rhiz.  Iridis. 


560 


Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz,  Extraktiv stoff,  Stärkemehl. 
Anwendung:  Zu  Spec.  pecorales,  als  Volksmittel  für  zahnende 
Kinder. 

Rhizoma  Veratri,  weisse  Nieswurzel. 

Veratrum  album.  (Colchicaceae).  —  Alpen. 

Ein  kegeliger,  fast  fingerlanger,  oben  2 — 3  cm  dicker,  nicht 
selten  mehrköpfiger  und  oberwärts  verzweigter,  daselbst  durch 
Blattreste  kurz  geschöpfter  Wurzelstock,  aussen  dunkelgrau, 
mit  vielen  weissen  Narben  der  abgeschnittenen  Neben  würz  ein,  innen 
weisslich,  hart.  Auf  dem  Längsschnitt  (Fig.  497  a)  und  Quer- 
schnitt (b)  zeigt  der  markige  Wurzelstock  zwischen  der  Rinde  und 
dem  Holzkörper  eine  braune  Kernscheide  und  im  Holze  zerstreute 
bräunliche  Gefässbündel,  dazwischen  aber,  wie  auch  in  der  Rinde, 
zahlreiche  Lücken.  —  Geschmack  brennend  scharf  und  bitter. 
Das  Pulver  erregt  sehr  heftiges  Niesen. 

Bestandteile:  Jervin,  Veratrin  (nach  Dragendorf  Vera- 
troidin),  Harz,  Gerbsäure  u.  a.  m. 

Anwendung:  Innerlich  ein  scharfes  Narcoticum ;  äusserlich 
gegen  Krätze  und  als  Niespulver. 


Fig.  497.  Fig.  498. 

Rhiz.  Veratri.  a.  Längsschnitt;  b.  Querschnitt.   Rhiz.  Galangae.   Querschnitt. 

bb)    Wurzelstock  mit  Harzzellen  durchsetzt. 

Rhizoma  Galangae,  Galgantwurzel. 

Alpinia  officinarum.  (Scitamineae).  —  China. 

Ein  fingerdicker,  kurzer,  schwach  verzweigter,  stielrunder, 
oft  knieförmig  gebogener,  rotbrauner,  weisslich  ge- 
ringelter Wurzelstock,  auf  dem  Querschnitt  (Fig.  498)  zimt- 
braun, mit  braunen  Harzgängen  punktiert,  mit  sehr  faserigem 
Bruch.  Ein  dunkler  Ring  (Kernscheide)  trennt  die  breite  Rinde 
vom  Holzkörper.  —  Geschmack  und  Geruch  gewürzhaft,  bitter. 

Bestandteile:    äther.  Öl,  Harz. 

Anwendung:    Zu  Tinct.  aromatica. 


561 


Fig.  499. 
Khiz.  Zingiberis. 

Querschnitt. 


Rhizoma  Zingiberis,  Ingwerwurzel. 

Zin giber    officinale.  (Scitamineae).  —  Ostindien,  China 

Ein  zweizeilig  verzweigter,  etwas  flacher,  derber  und 
schwerer  Wurzelstock,  gelbbraun,  ganz  oder  nur  auf  den  Flächen 
(nicht  am  Rande)  geschält,  innen  gelblich  oder  weisslich  und 
durch  sehr  viele  gelbe  Harzgänge  punktiert.  Auf  dem 
Querschnitt  (Fig.  499)  scheidet  ein  dunkler  Kreis  (Kernscheide)  die 
Rinde  vom  Holzkörper.  Nur  der  einfach  ge- 
trocknete Wurzelstock  ist  innen  markig-mehlig 
und  hellfarbig;  der  abgebrühte  Wurzelstock 
erscheint  innen  schwärzlich  und  hörn  artig  spröde 
(schwarzer  Ingwer).  —  Geruch  und  Ge- 
schmack ge  würz  ig,  brennend. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz. 

Anwendung:  Zu  Tinctura  Zingiberis  und 
Tin  ct.   aromatica. 

Rhizoma  Zedoariae,  Zittwerwurzel. 

Curcuma  Zedoaria.  (Scitamineae).  —  Ostindien. 

Ein  ovaler,  knolliger  Wurzelstock,  der  in  zollbreite 
Querscheiben  zerschnitten  zu  uns  kommt. 
Der  Wurzelstock  ist  fest,  aussen  bräunlich, 
auf  der  Schnittfläche  gelblich,  durch 
Harzgänge  braun  punktiert.  Zwischen  der 
Rinde  (Fig.  500  a)  und  dem  helleren  Holz  (h) 
verläuft  ein  dunkler  Ring  (Kernscheide,  k). 
Geruch  und  Geschmack  gewürzhaft, 
brennend. 

Bestandteile:  äth.  Öl,  Harz,  Stärkemehl. 

Anwendung:  Zu  Tinctura  amara. 

Rhizoma  Curcumae,  Kurkumawurzel. 
Curcuma  longa  und  C.  A 

viridiflora.   (Scitamineae).  — 
Ostindien. 

Ein  ovaler,  walnussgros- 
ser,  knolliger  Wurzelstock 
mit  walzenförmigen ,  f i  n  g  e  r  - 
dicken  Asten;  beide  gelb- 
braun, schwach  geringelt,  fest 
und  schwer,  auf  dem  Quer- 
schnitt (Fig  501  B)  pomeran- 
zengelb und  hornartig;  die 
dicke  Rinde  (r)  wird  vom  Holz- 
körper  (h)  durch  einen  dunklen 
Kreis  (Kernscheide)  getrennt.  — 
Geschmack  bitterlich  gewürzig; 
Geruch     schwach.      Färbt    den  Fig.  501. 

Speichel  gelb.  A  Rhiz.  Curcumae;  B  Querschnitt  ders. 

Schliokum,  Apothekerlehrling.  36 


Fig.   500. 

Rhiz.  Zedoariae. 

Querschnitt. 


562 


Fig.  502. 
Khiz.  Chinae. 


Bestandteile:  harziger  Farbestoff,  der  sich  durch 
Alkalien  bräunt. 

Anwendung:  zum  Färben  von  Salben  (Ungt. 
flavum),  sowie  zu  Charta  exploratoria  lutea  (Kurkuma- 
papier). 

Rhizoma  Chinae,  Chinawurzel. 

Smilax  China.  (Asparageae).  —  China,  Japan. 

Ein  v  e r  s  c h i  e  d  e n  gestalteter,  knolliger  Wurzel- 
stock, fest  und  schwer,  aussen  von  den  Nebenwurzeln 
befreit,  oft  auch  teilweise  geschält,  rotbraun,  auf  dem. 
Querschnitt  rötlichweiss,  mit  b  raunen  Punkten 
(Harzzellen)  bestreut.  —  Geschmack  schleimig- süsslich, 
Geruch  fehlt. 

Bestandteile:  Smilacin,  Stärkemehl. 

Anwendung:  wie  die  Rad.  Sarsaparillae,  obsolet. 


C.  Kryptogamische  Wurzelstöcke. 

Auf  dem  Querschnitte  zeigen  sie  einen  Kreis  isolierter  Gefässbündel. 

Rhizoma  Filicis,  Wurnifarnwurzel. 

Aspidium  (Polystichum)  Filix  mas.  (Filices). —  Europa. 

Ein  zolldicker,  gestreckter  Wurzelstock,  frisch  von  fleischiger, 
getrocknet  von  schwammiger  Konsistenz*),  dicht  besetzt  mit 
nach  oben  gerichteten,  kantigen  und  innen  fleischigen,  glänzend 
schwarzbraunen  Wedelresten  und  braunen  Spreu- 
blättchen.   Auf  dem  Querschnitt  (Fig.  503  B)  erscheinen  sowohl 


B 


Fig.  503. 
A  Rhiz.  Filicis;   B    Querschn.    des  Wurzelstocks  (a)  u.  der  Wedelreste  (b). 


*)  Die  übrigen  einheimischen  Farnkräuter  besitzen  keinen  fleischigen 
Wurzelstock. 


-     563     — 

der  Wurzelstock  (a),  wie  die  Wedelreste  (b)  grünlich  und  zeigen 
einen  Kreis  von  isolierten,  weisslichen  Gefässbündeln  im  grünen 
Parenchynigewebe.  Im  Alter  ändert  die  grüne  Farbe  des  letzteren 
in  eine  zimtbraune  um.  —  Geschmack  süss-bitterlich,  herbe. 
Geruch  eigentümlich.  —  Der  Wurzelstock  ist  im  Herbste  zu 
sammeln  und  alljährlich  zu  erneuern.  Man  entfernt  die  Spreu- 
blättchen  und  Nebenwurzeln,  und  trocknet  den  Wurzelstock  sowie 
die  Wedelreste  vorsichtig.    Zur  Pulverisierung  werden  sie  geschält. 

Bestandteile:  fettes  und  wenig  äther.  Öl,  Harz,  Gummi, 
Zucker,  Gerbsäure. 

Anwendung:  Gegen  Bandwürmer,  zu  Extractum  Filicis, 
welches  bei  längerer  Aufbewahrung  krystallinische  Filixsäure 
absetzt  und  dann  vor  dem  Gebrauche  gut  umzuschüttein  ist. 

Schlüssel  zur  Bestimmung'  der  Wurzelstöcke. 

I.  Knollige  oder  kurz  walzenförmige  Wurzelstöcke. 

1.  Wurzelstock  innen  weiss. 

a)  Wurzelstock  geschält,  etwas  platt,  wohlriechend     Rhiz.  Iridis. 

b)  Wurzelstock  schwärzlichbraun,  kegelig  .     .     .     Rhiz.   Veratri. 

2.  Wurzelstock  innen  bräunlich  punktiert. 

a)  Wurzelstock  zweizeilig  verzweigt,  platt,  grau  Rhiz.  Zingiberis. 

b)  Wurzelstock  knieförinig,  rotbraun,  geringelt   .  Rhiz.  Galangae. 

c)  Wurzelstock  rötlichbraun,  schwer,  dicht     .     .  Rhiz.  Chinae. 

d)  Wurzelstock  in  Scheiben,  gewürzig     ....  Rhiz.  Zedoariae. 

3.  Wurzelstock  innen  hochgelb       .......  Rhiz.  Curcumae. 

4.  Wurzelstock  innen  tiefrot,  aussen  dunkelbraun    .  Rhiz.  Tormentillae . 
IL  Verlängert-walzenförmige  Wurzelstöcke. 

a)  Wurzelstock  gefeldert,  innen  weisslich,  gewürzig  Rhiz.  Calami. 

b)  Wurzelstock  dunkelbraun,  innen  grünlich,  markig  Rhiz.  Filicis. 

c)  Wurzelstock  graubraun,  platt,   stark  riechend     .  Rhiz.  Imperatoriae. 
III.  Wurzelstock  halmartig. 

a)  W.  graubraun,  mit  braunen  Blattscheiden      .     .     Rhiz.  Caricis. 

b)  Wurzelstock  glänzend,  strohgelb,  hohl  ....     Rhiz.  Graminis. 


3.  Die  offizinellen  Knollen  (Tubera). 

Knollige  Wurzeläste  mit  Knospen.     Vergl.  §  339,     Man  sammelt  sie 
während  der  Blütezeit. 

Tubera  Salep,  Salepknollen. 
Orchis     Morio,     0.     mascula,     0.     militari s    u.    a. 
Piatanthera  bifolia.  (Orchideae).  —  Europa. 

Eirunde  oder  längliche,  höchstens  zollgrosse  Knollen  (vgl. 
Fig.  102),  durch  das  dem  Trocknen  vorausgegangene  Abbrühen 
durchscheinend  und  hornartig  fest;  innen  und  aussen 
schmutzig  weiss.  —  Geschmack  schleimig  fade;  Geruch  fehlt. 

36* 


564     — 


Fig.  504.  Tub.  Aconiti. 

Querschnitt  einer  älteren  (a)  u.  jüngeren 
(b)  Knolle. 


Beimischung:  Wegen  gleichen  Standortes  finden  sich  zuweilen 
die  Zwiebelknollen  der  Herbstzeitlose  (Colchicum  autum- 
nale)  beigemischt,  kenntlich  an  der  braunen  Aussenseite,  der 
mehligen  Beschaffenheit  und  dem  bitteren  Geschmack. 

Bestandteile:   Bassorin,  Stärkemehl. 

Anwendung:  Gegen  Diarrhoe,  als  Mucilago  Salep. 

Tubera  Aconiti,  Eisenhutknollen. 
Aconitum  Napellus.  (Ranunculaceae).  —  Europa. 
Zu  zwei  zusammenhängende,  kegelige  Knollen  (vgl. Fig. 453), 
deren  eine  (diesjährige)  schwer,  dicht,  innen  weisslich,  die  andere 
(vorjährige)  leicht,  oft  hohl,  innen  bräunlich  ist:  beide  2  cm 
breit,  zoll-  bis  fingerlang,  aussen  b r a u n ;  auf  dem  Quer- 
schnitt (Fig.  504)  sowohl  der  älteren 
(a)  wie  der  jüngeren  Knollen  (b)  findet 
sich  ein  sternförmig  umgrenz- 
te s ,  weites  Mark,  umgeben  von  einem 
schmalen  Holzring   mit   stark  vor- 
gestreckten    Strahlen.     —    Ge- 
schmack scharf;  Geruch  fehlt. 

Verwechslungen:  Die  Knollen 
von  Aconitum  Cammarum  (A. 
variegatum)  sind  viel  kleiner,  die  von  Aconitum  Stoerkeanum 
weit  länger,  beide  zeigen  auf  dem  Querschnitt  ein  rundliches  (kein 
sternförmiges)  Mark  und  Holz. 

Bestandteile:  Bis  1%  Aconitin  (giftiges  Alkaloid). 
Anwendung:  Gegen  Rheumatismus,  in  Extrakt  und  Tinktur. 

Tubera  Jalapae,  Jalapenknoilen. 
Ipomoea  Purga.  (Convolvulaceae).  —  Mexiko. 
Kugelige  oder  birnförmige,  auch  wohi  walzenförmige, 
dichte,  schwere  Knollen,  aussen  braun  und  runzelig,  in  den 
Runzeln  mit  dunklem  Harz  überkleidet,  innen 
hellbraun,  mit  zahlreichen  konzen  frischen, 
dunkleren,  glänzenden  Harzringen  (Fig. 
505)     durchzogen,     hornartig     spröde.    — 
Geschmack    kratzend;    Geruch    eigentümlich, 
schwach. 

Verfälschungen:  Knollen,  aus  denen 
das  Harz  teilweise  extrahiert  worden,  sind 
leichter,  aussen  gleichmässig  mit  dunklem  Harz 
überzogen,  innen  oft  schwammig  zerklüftet. 
—  Jalapenstengel  heissen  die  langen, 
faserig-holzigen,  spindelförmigen  Wurzeln  von 
Ipomoea  Orizabensis ,    welche  zwar  nicht  mit 


Fig.  505. 
Tub.    Jalapae. 

Querschnitt. 


—    565    — 

den  Jalapenknollen  sich  verwechseln  lassen,  deren  Harz  (Jalapin) 
aber  zur  Verfälschung  des  Jalapenharzes  dienen  kann,  jedoch  in 
Äther  löslich  ist. 

Bestandteile:  In  Äther  unlösliches  Harz  (Convolvuliü), 
welches  10%  betragen  soll  und  sich  in  Ätzalkalien  als  lösliche 
Convolvulinsäure  auflöst. 

Anwendung:  Als  drastisches  Laxiermittel. 

4.  Die  offizinellen  Zwiebeln  (ßulbi). 

Bulbus  Scillae,  Meerzwiebel. 

Scilla   (Urginea)   maritima.   (Liliaceae).    —  Südeuropa. 

Die  mittleren  Zwiebelschalen  stellen  im  zerschnittenen  Zu- 
stande hörn  artige,  leicht  feucht  und  biegsam  werdende,  durch- 
scheinende, weissliche  Stücke  dar,  von  bitterem,  schleimigem 
Geschmack,  ohne  Geruch.  (Die  frische  Zwiebel  besitzt  flüchtige 
Schärfe.)     In  Österreich  ist  die  rotschalige  Varietät  officinell. 

Bestandteile:  Bitterstoff  (Scillitin) ,  Schleim,  Zucker,  oxal- 
saurer  Kalk  (in  „Raphiden"). 

Anwendung:  Als  ein  die  Schleimabsonderung  beförderndes, 
harntreibendes,  in  grösseren  Gaben  Brechen  erregendes  Mittel  in 
Extrakt,  Essig,  Sauerhonig  und  Tinktur. 


II.  Oberirdische  Pflanzenteile. 

5.  Die  offizinelleii  Stengel  (Stipites)  und  Hölzer  (Ligna). 

A.  Stengel. 

Stipites  Dulcamarae,  Bittersüss-Stengel. 

Solanum  Dulcamara.  (Solanaceae).  —  Europa. 

Federkiel  dicke,  schwach  fünfkantige,  längsstreifige  oder  gefurchte, 
hin   und    her   gebogene,   häufig   hohle    Stengel,  mit  grünlicher  oder 
bräunlicher    Korkschicht    (Fig.    506  k),    welche    die    anfangs    grüne, 
später  weissliche  Mittel-Rinde  (z)  bedeckt.  Unter 
letzterer    verläuft    ein    Kreis    von    Bastzellen    (b),         ^^^^^^fe^-^ 

darunter  der  Kambiuroring  (i).     Im  grünen,  später        /^  :'V --     .     "~^ 

gelblichen  Holze  (h)  erblickt  man  weite  Poren  (Ge-  -  :    ^>"* 

fässöffnungen)  und  häufig  Jahresringe ;  das  Mark  (m)  '•■"•''■    ^i-^  v-  * 


ist  meist  resorbiert.  —  Die  Blattnerven  stehen 
abwechselnd  am  Stengel.  —  Geschmack  der 
Rinde  bitter;  des  Holzes  süss;  Geruch  fehlt.  -big.  50b. 

Verwechslung:     Die    ebenfalls   windenden        °trp.  Dulcamarae 
Holzstengel  von  Lonicera  P ericlyrnenum  sind  <*aetBo  m    vergr. 

stielrund  und  mit  gegenständigen  Blattnarben  besetzt. 

Bestandteile:  Bitterstoff  (in  der  Rinde),  Dulcamarin  (Alkaloid). 

Anwendung:  Zu  Extractum  Dulcamarae;  Mittel  zur  Beförderung  des 
Schleims  der  Luftwege. 


566 


B.  Höher. 
a)  Harzreiche  Hölzer. 

Lignum  Guajaci.    Guajakholz. 

Guajacuni  officinale.  (Zygophylleae).  —  Westindien. 

Grosse ,  schwere  Stücke ,  mit  blassgelbem  Splinte  und 
grünlich  braunem  Kernholze.  Letzteres  ist  harzreicher 
und  schwerer  als  ersterer,  sinkt  im  Wasser  unter!  Das  Holz 
lässt  sich  nicht  spalten,  sondern  bricht  unregelmässig  und 
nicht  faserig;  die  hellbraune  Farbe  der  frischen  Schnittfläche 
läuft  an  der  Luft  (durch  deren  Ozon)  olivengrün  an.  Die  käuf- 
lichen Raspelspäne  dürfen  nicht  zu  viel  von  den  weisslichen  Splint- 
stückchen oder  beigemengten  anderen  Hölzern  (zumal  von  Gua- 
jacuni sanctum)  enthalten.  —  Geschmack  kratzend;  Geruch  beim 
Erwärmen  benzoeartig. 

Bestandteile:  Guajakharz,  Guajacin  (Bitterstoff),  Guajaksäure. 

Anwendung:  Zu  Tinktur  und  Spec.  lignorum;  Mittel  gegen 
Syphilis,  zur  Hebung  der  Haut-,  Darm-  und  Merenthätigkeit. 

b)  Bitterhölzer. 

Lignum  Quassiae.    Quassien-Holz. 

Quassia  amara  und  Picraena  excelsa.  (Simarubeae). 
—  Westindien  und  nördliches  Südamerika  (Surinam). 

Das  Holz  der  erstgenannten  Art,  das  sog.  surinamen- 
sische  Quassienholz,  kommt  zu  uns  in  fingerlangen, 
cylindrischen ,  weisslichen,  leichten  Stücken ,  oft  noch  mit 
grauer,  dünner,  leicht  sich  abblätternder  Rinde  bedeckt. 

Das  Holz  der  zweiten  Art ,  das  sog.  jamaikanische 
Quassienholz,  ist  dem  vorigen  sehr  ähnlich,  aber  in  fuss- 
langen,  dicken  Blöcken,  die  mit  dicker,  fest  aufsitzender, 
holziger  Rinde  bedeckt  sind.  Beide  Hölzer  kommen  sowohl  ge- 
schnitten, wie  geraspelt  zu  uns  und  besitzen  einen  stark  und 
anhaltend  bitteren  Geschmack,  keinen  Geruch. 

Bestandteile:  Bitterstoff  (Quassiin). 

Anwendung:  Als  bitteres  Tonicum,  zu  Extrakt. 

c)  Aromatische  Hölzer. 

Lignum  Sassafras.    Sassafrasholz. 

Sassafras  officinale  (Laurineae).  —  Nordamerika. 

Das  leichte,  schwammige,  blassbraunröt  liehe 
Wurzelholz,  in  verschieden  grossen,  gebogenen,  mit  rissiger 
Rinde  bedeckten  Stücken,  auf  der  Schnittfläche  Jahresringe  mit 
deutlichen  Poren  (Gefässöffnungen)  zeigend.  —  Geschmack  süss- 
lich;  Geruch  fenchelartig. 


—     567     - 

Verwechslung:   Das  auch  im  Handel  vorkommende  Stamm- 
holz ist  dunkler,  schwerer,  schwach  an  Geruch. 
Bestandteile:   äther.  Öl,  Gerbsäure,  Harz. 
Anwendung:  Zu  Spec.  lignorum. 

d)  Farbhöher. 
Lignum  Campechianum,  Blauholz. 

Haematoxylon  Campechianum.  (Caesafpiniaceae).  —  Centralame- 
rika  (Campechebay). 

Grosse,-  aussen  blauschwarze,  innen  braunrote,  harte  und  schwere, 
grobfaserige  Stammstücke,  auf  deren  Querschnitt  nahe  an  einander 
wellige  Jahresringe  sichtbar  sind  und  mit  den  Markstrahlen  sich  kreuzen. 
Es  kommen  im  Handel  meist  nur  Raspelspäne  des  Holzes  vor,  nicht  selten 
mit  einem  metallglänzenden,  grünlichgelben  Anflug.  —  Geschmack  etwas 
herbe,  süsslich;  Geruch  beim  Raspeln  eigentümlich,  veilchenartig.  Beim 
Kauen  färbt  sich  der  Speichel  violett. 

Verwechslungen:  1.  Das  Lignum  Fernambuci,  Rotholz  (von 
Caesalpinia  brasiliensis,  in  Brasilien)  ist  feinfaserig,  mehr  gelbrot  und 
geruchlos;  färbt  beim  Kauen  ebenfalls  den  Speichel  rot.  —  2.  Das  Lignum 
Santali  rubrum,  rotes  Santelholz  (von  Pterocarpus  santalinus,  in 
Ostindien),  ist  von  blutroter  Farbe  und  färbt  den  Speichel  nicht. 

Bestandteile:  Hämatoxylin  (roter  Farbstoff,  welcher  durch  Alkalien 
violett,  durch  Alaun  blau,  durch  Eisensalze  schwarz  wird). 

Anwendung:  Zu  Extrakt,  als  mild  adstringierendes  Mittel. 

6.  Die  offizineilen  Binden  (Cortices).~ 

Die  einheimischen  Rinden  werden  im  Frühling  gesammelt. 

A.  Rinden  mit  glattem,  ebenem  oder  körnigem  Bruche. 

a)  Gewürzige  Rinden. 

Cortex  Cascarillae.    Kaskarillrinde. 

Croton  Eluteria.  (Euphorbiaceae).  —  Westindien. 

Einnige  oder  eingerollte,  bis  2  mm  dicke  Stücke,  mit 
weisser,  dünner,  teilweise  abgelöster  Korkschicht  (Fig.  507  o), 
sich  kreuzenden  Längs-  und  Querrissen, 
mit  rötlichbrauner  Mittelrinde  (m)  und  °-~jA 
Bastschicht  (a),  die  auf  dem  Querschnitte  ™'~jim 
strahlig  gestreift  und  auf  dem  Bruche 
hornartig  erscheint.  Die  Bastschicht  zeigt 
keilförmige,  in  die  Mittelrinde  vordringende 
Markstrahlen.    —    Geschmack     bitter    ge-  ^T^ 

würzig,  brennend;  Geruch  gewürzhaft.  Cascarfllae.  Cort. 

Verwechslungen:    Die  Kop  alchirin  de  Querschnitt  vergr. 

(von  Croton  niveus)  kommt  in  fusslangen,  breiten  und  dicken 
Röhren  zu  uns  und  zeigt  einen  grob  strahligen  Bruch  und  in  der 
Mittelrinde  Steinzellengruppen. 

Bestandteile:    Bitterstoff,  äther.  Öl,  Harze,  Gerbsäure,  Salze. 

Anwendung:  Als  anregendes  Mittel  zu  Tinktur  und  Extrakt. 


568     — 


Cortex  Cinnamomi  (Cassiae).    Zimtkassie 

Cinnamomum  Cassia.  (Laurineae).  —  Süd-China,  Cochinchina. 
Einfach    gerollte,    bis    1%  mm    dicke    Röhrenstücke, 
gelbbraun,  mit  abgelöster  Korkschicht.    Auf  dem  Querschnitte 
bemerkt  man   zwischen  Bast  (Fig.  508  d)  und  Rindenparenchym 
(b)    eine   aus   Steinzellen  gebildete    Körner- 
schicht  (c).      In   der  Mittelrinde    verlaufen, 
jedoch   innerhalb   derselben,    einzelne    Bast- 
fasern (x).  —  Geschmack  und  Geruch  süss- 
ge  wür  zig,  herbe. 

Verwechslung:  Der  H olz zimt  (Cassia 
lignea)  ist  dicker,  teilweise  noch  mit  der  glän- 
zenden Korkschicht  bedeckt,  von  schleimigem 
Geschmacke. 

Bestandteile:  äther. Öl, Harz, Gerbsäure. 
Anwendung:  Als   Gewürz,    zu  Aqua,    Oleum,   Syrupus   und 
Tinctura  Cinnamomi. 


Fig.  508. 
Zimtkassie 

Querschnitt  vergr. 


Cortex  Cinnamomi  Zeylanici,  Zeylonzimt. 

Cinnamomum  Zeylanicum.  (Laurineae).  —  Zeylon. 

Zu  mehreren  zusammengerollte  Zweigrinden  von  nur  1/2  mm 
Dicke,  von  der  Korkschicht,  und  der  äusseren  Mittelrinde  entblösst,  so- 
dass die  in  letzterer  zerstreut  verlaufenden  Bast- 
fasern (Fig.  509  x)  als  blasse  Längslinien 
auf  der  gelbbraunen  Oberfläche  sichtbar  sind. 
Der  Querschnitt  zeigt  über  dem  Baste  (d)  nur 
die  aus  Steinzellen  gebildete  Körnerschicht  (c). 
—  Geruch  und  Geschmack  süss  gewürzig, 
kaum  herbe. 


Fig.  509. 

Querschn.  d.  Zeylon-Zimts. 


Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz. 


b)  Gewürzlose  Rinden. 
Cortex  Condurango      Kondurangorinde. 
Gonolobus  Cundurango.  (Asclepiadeae).  —  Ekuador. 
Röhrenförmige   oder  rinnige  Stücke,    aussen  und  innen 
weisslichgrau,  mit   einer   dünnen   Korkschicht  bedeckt,   auf 
dem  Bruche  weiss,  mehlig  körnig,  zahlreiche  bräunliche  Stein- 
zellengruppen zeigend.  —    Geschmack  bitterlich,  etwas  kratzend, 
Bestandteile:    Harz,  Gerbstoff,  Bitterstoff. 
Anwendung:  Im  Dekokt  gegen  den  Krebs. 

Cortex   Granati.  Granatwurzelrinde. 

Punica  Granatum.  (Myrtaceae).  —  Mittelmeerländer. 

Teils  Stammrinde,  teils  Wurzelrinde,  in  rinnig  gebogenen, 
dünnen,  aussen  grau  gelben,  warzig-rauhen,  rissigen,  innerseits 
blasszimtbraunen,    glatten   Stücken,   mit  gleichmässigem   Bruch; 


—     569     — 

auf  dem  Querschnitt  grünlichgelb,  nicht  strahlig  gestreift. 
Die  Stammrinde  zeigt  auf  ihrer  Aussenfläche  Krusten-Flechten  in 
Form  von  rilligen,  an  Schriftzeichen  erinnernden ,  schwärzlichen 
Vertiefungen ;  ausserdem  längsverlaufende  Korkleisten.  Die  Wurzel- 
rinde entbehrt  beide,  oft  hängen  ihr  jedoch  innerseits  Holzsplitter  an. 
—  Geschmack  bitter,  sehr  herbe;  der  Speichel  wird  gelbgefärbt. 

Verwechslungen:  Die  Wurzelrinde  des  Sau  erdorns(Berberis 
vulgaris)  ist  ebenfalls  innen  gelb,  aber  rein  bitter,  ohne  herben  Ge- 
schmack. —  Die  Buxbaumrinde  färbt  den  Speichel  nicht  gelb. 

Bestandteile:    Gerbsäure,  Punicin  (ölig-harzig). 

Anwendung:  Im  Dekokt  gegen  den  Bandwurm. 

B.  Rinden  mit  faserigem  Bruche,  ohne  Gewürz. 
a)  Bruch  weich  und  kurzfaserig. 
Cortex  Franguiae.     Faulbaumrinde. 

Rhamnus  Frangula.  (Rhamneae).  —  Europa. 

Zusammengerollte,  dünne,  aussen  dunkelgraue  Röhren- 
stücke, mit  kleinen,  weissen,  querlaufenden  Rinden- 
höckerchen  (Korkwarzen)  regelmässig  bedeckt;  mit  gelbroter, 
sehr  glatter  Innenfläche;  auf  dem  Bruche  bräunlichgelb, 
kurzfaserig,  mit  citronengelben  Fasern.  —  Geschmack  bitter; 
der  Speichel  wird  gelb  gefärbt. 

Verwechslung:  Der  Erlen  rinde  fehlen  die  Korkwarzen, 
auch  ist  sie  auf  dem  Bruche  nicht  faserig. 

Bestandteile:  Cathartin  (Abführen  bewirkend),  Frangulin, 
Emodin.  In  der  frischen  Rinde  findet  sich  auch  ein  Brechen  er- 
zeugender Stoff,  der  sich  nach  1 — 2 jähriger  Lagerung  verliert. 

Anwendung:  Im  Aufguss  als  Abführmittel. 

a)  Bruch  weich-  und  langfaserig. 
Cortex  Quercus.     Eichenrinde. 

Quere us  Robur  (Quercus  peduneulata  und  Qu.  sessiliflora). 
(Cupuliferae).  —  Europa. 

Bandförmige  Streifen  mit  sehr  dünner,  abtrennbarer, 
silbergrau  glänzender  Korkschicht  (Lederkork),  brauner 
Mittelrinde ,  in  welcher  Schichten  von  Steinzellen  sich  befinden, 
und  gelbbraunem  Baste,  der  auf  dem  Bruche  band fa serig  d.  i. 
in  dünne,  schmale,  biegsame  Bänder  sich  zerteilt.  Durch  die  hier 
und  da  hervortretenden  Markstrahlen ,  welche  den  Bast  regel- 
mässig durchsetzen,  zeigt  die  Innenfläche  der  Rinde  leisten  - 
artige Längsstreifen.  —  Geschmack  bitter,  zusammenziehend. 

Bestandteile:   Gerbsäure,  Bitterstoff  (Quercin). 

Anwendung:  Als  adstringierendes  Mittel,   zu  Bädern  u.  dgl. 


-     570     — 

Cortex  Mezerei,  Seidelbastrinde. 

Daphne  Mezereum.  (Thymelaeae).  —  Europa. 

Bandförmige  Streifen  von  ziemlicher  Länge,  mit  dünner,  rot- 
bräunlicher,  leicht  abtrennbarer  Korkschicht  (Lederkork),  grünlicher, 
dünner  Mittelrinde  und  sehr  zähem,  langfaserigem,  biegsamem, 
weisslich-seidenartigem  Baste.  —  Geschmack  sehr  scharf. 

Bestandteile:  scharfes  Harz,  Paphnin  (krystallinisch). 

Anwendung:  äusserlich ,  in  Essig  eingeweicht,  als  hautrötendes 
Mittel;  sowie  zu  Extrakt. 

b)  Bruch  splitterig  {steif faserig). 

Cortex  Chinae.    Chinarinde. 

Cinchona  succirubra.  (Rubiaceae).  —  Einheimisch  in  Süd- 
amerika, kultiviert  in  Ostindien  (Yorderindien,  Java). 

Stamm-  und  Zweigrinden  (Fig.  510)  in  Gestalt  von  rinnigen 
oder  röhrenförmigen,  bis  60cm  langen,  1 — 4cm  breiten  und 
2 — 4  mm  dicken  Stücken,  welche  auf  ihrer  Aussenseite  mit  einer 
grauen  oder  bräunlichen,  dünnen  Kork  schiebt  bedeckt 
und  mit  groben  Längsrunzeln  und  kurzen  Querrissen  durch- 
setzt sind.  Die  Innenfläche  besitzt  eine  faserige  Beschaffenheit 
und  braunrote  Farbe.  Auf  dem  Querschnitte  (Fig.  511)  be- 
merkt man  unter  der  Korkschicht  (o)  eine  rotbraune  Mittelrinde 
(m)  und  darunter  den  braunroten  Bast  (a),  dessen  Bündel  in 
radialen  Reihen  als  dunkle  Streifen  sichtbar  sind.  Der  Bruch  ist 
in  der  äusseren  Hälfte  glatt,  in  der  inneren  Hälfte  (im  Baste) 
kurz-  und  steifsplitterig.  —  Geschmack  bitter  und  herbe; 
Geruch  schwach. 


Fig.  510.  Cort.  Chinae.  Fig.  511.  (juerschn.  ders. 

Handelssorten  und  Verwechslungen:  Die  beschriebene  Rinde 
stimmt  auf  die  aus  Ostindien  ausgeführten  Rinden  der  dort  kulti- 
vierten Cinchona  succirubra,  welche  sich  durch  die  braunrote 
Färbung  des  Bastes  besonders  auszeichnet.  Man  kultiviert  auch 
die  Cinchona  Calisaya  daselbst,  deren  Rinde  einen  mehr  rötlich- 
gelben Bast  besitzt. 

Ton  den  südamerikanischen  Chinarinden  soll,  da  ihr  Alkaloid- 
gehalt  ein  viel  geringerer  ist,  Abstand  genommen  werden.  Man 
unterschied    bisher  hauptsächlich  drei  Gruppen  von  Chinarinden  : 


—    571     - 

a)  Die  Königschina  (China  regia,  Cortex  Chinae  Calisayae), 
Ton  Cinchona  Calisaya,  ausgezeichnet  durch  die  rötlichgelbe  Farbe 
des  Bastes,  sowohl  in  röhrenförmigen  Stücken  (Zweigrinden),  vor- 
zugsweise aber  in  flachen  Stücken,  die  durch  die  abgelöste  Borke 
flachmuschelige  Vertiefungen  auf  ihrer  Aussenfläche  zeigen  und 
fast  nur  aus  Bast  bestehen  (Stammrinden,  sog.  unbedeckte  China). 

—  Aus  Bolivia.  —  Die  Königschina  gehört  zur  Gruppe  der  gelben 
Chinarinden,  von  denen  die  China  flava  sich  durch  einen  ocker- 
gelben Bast  kennzeichnet. 

b)  Die  rote  China  (China  rubra),  von  Cinchona  succirubra, 
ausgezeichnet  durch  die  braunrote  Färbung  des  Bastes,  in  flachen 
oder  etwas  röhrigen  Stücken  (Stamm-  und  Astrinde),  die  bald 
mit  einer  weisslichgrauen,  harten,  gefelderten  Borke  (China  rubra 
dura),  bald  mit  braunroter,  korkartiger,  grobwarziger  Borke  (China 
rubra  suberosa)  besetzt  sind.  —  Aus  Ekuador. 

c)  Die  braune  China  (China  fusca,  Cortex  Chinae  fuscus), 
von  Cinchona  micrantha,  C.  officinalis  u.  a.,  ausgezeichnet  durch 
die  zimtbraune  Färbung  des  Bastes,  in  eingerollten  Bohren  ,  von 
der  Dicke  eines  Federkiels  bis  zu  der  eines  Fingers.    (Zweigrinden.) 

—  Aus  Peru  und  Ekuador.. 

Man  unterscheidet  vorzugsweise  zwei  Handelssorten,  und  zwar 
nach  dem  Ausfuhrgebiete: 

a)  Huanuco-China,  in  fingerdicken,  längsfurchigen  Röhren; 

ß)  Loxa-China,  in  aschgrauen,  federkieldicken  Bohren. 

Bestandteile:  Chinin,  Chinidin,  Cinchonin,  Cinchonidin  (vier 
Alkaloide),  Chinasäure  und  Chinagerbsäure.  Letztere  bedingt  den 
herben,  die  Alkaloide  den  bitteren  Geschmack  der  Rinde.  Nach 
der  Ph.  Germ.  Ed.  II  soll  die  Chinarinde  mindestens  3,5  %  Alka- 
loide ,  vorzugsweise  Chinin  enthalten.  Die  südamerikanischen 
Chinarinden  zeigen  diesen  Gehalt  selten,  nämlich: 

Königschina  aus  Südamerika  mit  Chinin  2 — 3  °/0 
(chininreich,  cinchoninarm)  Cinchonin  1/2  °/0 

Rote   China  aus  Südamerika  mit  Chinin  2  °/0 
(chininreich,  cinchoninarm)  Cinchonin  1ji — 2  °/0 

Braune  China  aus  Südamerika  mit  Chinin  l/2  % 
(chininarm,  cinchoninreich)  Cinchonin  bis  l1/.2  °/0. 

Bei  der  kultivierten  ostindischen  China  steigt  der  Alkaloidgehalt 
nicht  selten  bis  8  %• 

Anwendung:  Im  Dekokt  zur  Kräftigung  geschwächter  Ver- 
dauung, desgleichen  zu  Extrakt,  Tinktur  und  Wein. 


572    — 


Schlüssel  zum  Bestimmen  der  Rinden. 

Rinde  gewürzig. 

a)  Rinde    bittergewürzig ,    in    rötlichbraunen, 

aussen  weisslichen  Röbren Cort.  Cascarillae. 

b)  Rinde  süss  gewürzig,  gelbbraun. 

a)  Röbren  einfach,  bis  1/2  mm,  dick     .     .     .     Cort.  C'innamomi  Cassiae. 
ß)  Röhren  zu  mehreren  eingerollt,  sehr  dünn     Cort.    Cinnamomi    Zeylan. 
Rinde  geruchlos,  nicht  gewürzig. 

a)  Rinde  mit  glänzender  Innenseite. 

a)  Bast  seidenglänzend,  langfaserig   .     .     .     Cort.  Mezerei. 
ß)  Bast  kurzfaserig Cort.  Frangulae. 

b)  Rinde  auf  der  Innenseite  glanzlos. 
a.)  Rinde  mehr  oder  weniger  braun. 

aa)  Innenseite  längsstreifig,  bandfaserig     Cort.  Quercus. 

bb)  Bast  von  splitterigem  Bruche       .     .     Cort.  Chinae. 

ß)  Rinde  hellgrau-weisslich Cort.  Condurango. 

y)  Rinde  gräulichgelb Cort.  Granati. 


7,  Die  offizinellen  Kräuter  (Herbae)  und  Zweigspitzen  (Summitates). 

Man  sammelt  die  Kräuter  in  der  Regel  zur  Blütezeit,  mit  Stengel,  Blättern 

und  Blüten. 

A.  Kräuter  aus  der  Familie  der  Cowpositen. 
(Blüten  in  Köpfchen  mit  Hüllkelch). 

Herba  Absinthii,  Wermut. 

Artemisia  Absinthium.  (Compositae,  Corymbiferae).  — 
Europa. 

Das  blühende  Kraut  ohne  die  dickeren  Stengel  mit  grau- 
seidenhaarigen  Blättern,  deren  oberste  ungeteilt  sind,  wo- 
gegen die  mittleren  und  unteren  Blätter  2 — ofach  fiederspaltig 
und  mit  spateiförmigen  Endzipfeln  versehen  sind.  Die 
gelben,  strahllosen  Blütenköpfchen  stehen  in  Rispen,  halb- 
kugelig und  nickend.  (Tgl.  Fig.  386.)  —  Geruch  eigentümlich 
gewürzig;  Geschmack  stark  bitter. 

Verwechslungen:  Arte misia  vulgaris  besitzt  oberseits grüne, 
unterseits  weissfilzige  Blätter.  —  Bei  den  Blättern  von  Artemisia 
Abrotanum  sind  die  Endzipfellineal.  -  Artemisia  campestris 
unterscheidet  sich  durch  ovale,  aufrechte  Körbchen.  Allen  diesen 
Arten  fehlt  der  eigentümliche  Wermutgeruch,  sowie  die  Bitterkeit. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  Als  Bittermittel  zu  Extractum  und  Tinctura 
Absinthii,  sowie  zu  Elixir  Aurantii  comp. 


—     573     — 

Herba  Cardui  benedicti,  Kardobenediktenkraut. 

Cnicus  benedictus.  (Compositae ,  Cynarocephalae).  — 
Europa,  aus  dem  Orient  stammend. 

Die  Blätter  sind  länglich-lanzettlich,  in  den  Blattstiel 
verschmälert,  buchtig- fiederspaltig,  stachlig  gezähnt 
und  spinnewebigbehaart.  Die  gelben  Röhrenblütchen  stehen 
in  Köpfchen ,  dicht  eingehüllt  von  grossen ,  breiten  Deckblättern 
und  fiederdornigen  Hüllkelchblättchen.  (Vgl.  Fig.  383.) 
Geschmack  bitter,  salzig;  Geruch  fehlt. 

Bestandteile:  Bitterstoff,  Salze  (Kali-,  Kalksalze,  äpfelsaure 
—  Magnesia). 

Anwendung:  Als  bitteres  Tonicum,  zu  Extrakt. 

Herba  Lactucae,  Giltlattich. 

Lactuca  vi  rosa.  (Compositae,  Cichoraceae.)  —  Europa. 

Das  rispige  Kraut  enthält  viel  weissen  Milchsaft;  seine  blaugrünen 
Blätter  sind  stengelumfassend,  länglich,  ungeteilt  oder  buchtig  ausge- 
schnitten, stachelspitzig  gezähnt,  auf  den  Mittelnerven  stachelig. 
Die  Köpfchen  mit  gelben  Zungenblütchen  stehen  in  grosser  pyramidaler 
Rispe.  (Vgl.  Fig.  381.)  —  Geschmack  bitter,  salzig;  Geruch  unangenehm 
narkotisch. 

Verwechslungen:  Lactuca  Scariola  hat  tiefer  gebuchtete,  vertikal 
gestellte  Blätter.  —  Die  Blätter  des  Gartensalats  (Lactuca  sativa)  sind 
denen  des  Giftlattichs  ähnlich,  aber  auf  dem  Mittelnerven  meist  stachellos; 
auch  stehen  die  Köpfchen  des  Gartensalats  in  einer  Doldentraube. 

Bestandteile:  Harz,  Bitterstoff,  Salze,  Lactucasäure. 

Anwendung:  frisch  zur  Bereitung  von  Extrakt. 

Herba  Spilanthis,  Parakresse. 

Spilanthes   oleracea.    (Compositae,  Corymbiferae.)  —    Westindien. 

Ein  ästiges  Kraut  mit  gegenständigen,  gestielten,  breit  eiförmigen, 
ausgeschweift  gekerbten,  dreinervigen  Blättern  und  blattwinke] ständigen, 
langgestielten,  grossen  eiförmigen  Köpfchen,  mit  biaunen,  später 
gelben  Röhrenblütchen,  ohne  Strahl.  —  Geschmack  brennend,  speichel- 
ziehend, Geruch  eigentümlich. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz. 

Anwendung:    zu    Tinctura    Spilanthis    composita    (Paraguay-Roux). 

B.  Kräuter  aus  der  Familie  der  Labiaten. 
(Blüten  zweilippig,  in  Scheinwirt  ein:  Blätter  gegenständig.) 
Herba  Serpytli,  Quendel,  Feldthymian. 
Thymus  Serpyllum.  (Labiatae).  —  Europa. 
Stengel  dünn,  niederliegend,  mit  kleinen,  gegenständigen, 
länglichen,  kahlen,  am  Grunde  gewimperten  Blättern.    Die  roten 
Lippenblumen    bilden   köpfchenartig  an   den  Zweigspitzen  zu- 
sammengedrängte Scheinquirle.     Kelch  zweilippig.    (Fig.  363.)  — 
Geschmack  bitterlich,  herbe;  Geruch  ge  würz  ig. 
Bestandteile:    äther.  Öl,  Bitterstoff,  Gerbsäure. 
Anwendung:  Äusserlich  zu  Umschlägen,  sowie  zu  Spir.  Serpylli. 


—     574    — 

Herba  Thymi,  Gartenthymian. 

Thymus  vulgaris.  (Labiatae).  —  Südeuropa. 

Stengel  dünn,  aufrecht,  mit  kleinen,  gegenständigen,  am 
Rande  eingerollten,  fast  nadeligen,  grauflaumhaarigen 
Blättern  und  blattwinkeligen  Scheinwirteln  hellvioletter  Blumen. 
—  Geschmack  und  Geruch  stark  gewürzig. 

Bestandteile:    äther.  Öl. 

Anwendung:  Als  anregendes  Mittel  zu  Kräuterkissen,  Bädernr 
Bestandteil  der  Species  aromaticae. 

Herba  Majoranae,  Meiran. 

Origanum  Majorana.  (Labiatae).  —  Südeuropa. 

Ein  rispiges,  graufilziges  Kraut,  mit  gegenständigen,  oval-länglichen, 
ganzrandigen,  stumpfen  Blättern ;  die  Scheinwirtel  sind  am  Ende  der  Zweige 
zu  filzigen,  rundlichen  Köpfchen  zusammengedrängt.  —  Geruch  und 
Geschmack  gewürzhaft. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Gerbstoff. 

Anwendung:  Als  Gewürz,  zu  Species  aromaticae,  Unguent.  Majoranae. 

Herba  Galeopsidis,  Hohlzahn. 

Galeopsis  ochroleuca.  (Labiatae.)  —  Europa. 

Stengel  vierkantig ,  weichhaarig ,  unter  den  Knoten  nicht  an- 
geschwollen; Blätter  gegenständig,  eiförmig-länglich  bis  lanzett- 
lich, flaumhaarig  und  gelblichgrün,  grobgesägt;  Blüten  in  blattwinkelstän- 
digen  Scheinwirteln,  mit  stachelspitzigen  Kelchzähnen  und  viermal 
längeren,  gelblichweissen,  weichhaarigen  Lippenblumen.  (Vgl.  Fig. 
—  Geschmack  bitterlich,  salzig;  Geruch  schwach. 

Verwechslungen:  Galeopsis  Ladanum  mit  kleineren,  purpurnen 
Blumen ;  G.  versicolor  und  G.  Tetrabit  mit  steif  haarigem,  unter  den 
367.)  Knoten  angeschwollenem  Stengel. 

Bestandteile:  Extraktivstoff,  Salze. 

Anwendung:  1810  vom  Regierungsrat  Lieber  gegen  die  Lun- 
genschwindsucht als  Geheimmittel  angepriesen  —  daher  Liebersche  Kräuter 
genannt. 

C.  Kräuter  aus  anderen  Familien. 
a)  Kräuter  mit  einblätteriger  Blume. 

Herba  Hyoscyami,  Bilsenkraut. 

Hyoscyamus  niger.  (Solanae).  —  Europa. 

Ein  aufrechtes  Kraut  mit  eiförmig-länglichen,  buchtig  ge- 
zähnten, klebrig-zottigen,  abwechselnden,  sitzenden  Blättern,, 
die  im  trocknen  Zustande  meist  gelbgrün  erscheinen.  Die  Blüten 
stehen  in  den  oberen  Blattwinkeln,  zu  einer  beblätterten  Traube; 
die  Blume  ist  gelblich,  violett  geädert.  (Vgl.  Fig.  352.)  —  Geruch 
narkotisch,  Geschmack  bitter. 

Bestandteile:  Hyoscyamin  (giftiges  Alkaloid). 

Anwendung:  Frisch  zu  Extrakt;  auch  äusserlich  zu  Oleum 
Hyoscyami.  Man  gebraucht  das  Mittel  besonders  bei  Entzünd- 
lichkeit der  Luftwege. 


575 


Herba  Centaurü,  Tausendgüldenkraut. 

Erythraea  Centaurium.  (Gentianeae).  —  Europa. 

Stengel  kantig,  mit  den  Blättern  völlig  kahl;  Blätter 
gegenständig,  sitzend,  ovallänglich,  3— 5 nervig.  Die 
roten  Blüten  stehen  in  einer  doldenartigen  Trugdolde; 
nach  dem  Verblühen  sind  die  Staubbeutel  spiraliggedreht. 
(Ygl.  Fig.  358.)  —  Geschmack  bitter. 

Bestandteile:   Bitterstoff. 

Anwendung:  Als  Bittermittel,  zu  Extrakt. 


Herba  Lobeliae,  Lobelien- 


kraut. 

Lobelia  inflata.  (Lobelia- 
ceae).  —  Nordamerika. 

Das  über  Neu- York  in  vier- 
eckigen Paketen  zu  uns  kom- 
mende zerschnittene  Kraut  (Fig. 
512  A)  ist  oben  fast  kahl,  mit 
kantigem,  zum  Teil  rötlichem 
Stengel,  zerstreuten,  fast  sitzen- 
den, länglichen,  gesägten 
Blättern   und  kleinen  Blüten 

(B)  in  endständiger  Traube:  Der 
Kelch  ist  nebst  der  zweilip- 
pigen,  blassvioletten  Blume 

(C)  oberständig ,  linealzipfelig ; 
die  Staubgefässe  (D)  sind  mit 
ihren  Beuteln  verbunden ;  die 
Kapsel  (F)  ist  aufgeblasen. 
—  Geschmack  mild,  später  scharf. 

Bestandteile:  Lobelm  , 

(flüssiges,  dem  Nikotin  ähnliches 
Alkaloid),  Lobeliasäure,  flüchtige 
Schärfe  (Lobelacrin). 

Anwendung:  Ein  milderes 
Mittel  als  der  Tabak,  zu  Tinktur. 


Fig.  512.  Lobelia  inflata. 

A  Obererteil  des  blühenden  Krautes. 

B  Blüte.  E  Kelch  mit  dem  Stempel. 

C  Blume.  F  Kapselfrucht. 

D  Staubgefäss. 


Herba  Gratiolae,  Gottesgnadenkraut. 

Gratiola  officinalis.  (Scrophularineae).  —  Europa. 

Stengel  vierkantig,  kahl;  Blätter  gegenständig,  sitzend,  lan- 
zettlich, entfernt  gesägt.  3 — 5  nervig  (nicht  fiedernervig),  kahl;  Blüten 
gestielt,  einzeln  in  den  Blattwinkeln,  mit  röhriger,  fast  lippenförmio-er,. 
weisslicher  Blume.  (Vgl.  Fig.373.)  —  Geschmack  unangenehm  bitter, 
brennend. 

Bestandteile:  Bitterstoff',  Harz,  Gerbsäure,  Salze. 

Anwendung:  als  drastisches  Purgiermittel,  zu  Extrakt. 


—     576     - 

Herba  Linariae,  Leinkraut. 

Linaria  vulgaris.  (Scrophularineae).  —  Europa. 

Ein  Kraut  mit  zahlreichen,  kahlen,  gedrängten,  linealen  Blättern 
und  einer  Traube  von  gelben,  gespornten  Maskenblumen  (vgl.  Fig. 
370).  (Nicht  blühendes  Kraut  ähnelt  der  Euphorbia  Cyparissias ,  welche 
jedoch  Milchsaft  enhält.)  —  Geschmack  bitter,  etwas  scharf. 

Bestandteile:  Bitterstoff,  Gerbsäure,  Salze  und  Säuren. 

Anwendung:  zu  Unguentum  Linariae  aus  dem  frischen  Kraute. 

Herba  ConÜ,  Schierlingskraut. 
Conium  maculatum.  (Umbelliferae).  —  Europa. 
Ein  ganz  kahles  Kraut  (vgl. Fig.  409)  mit  sti eirundem,  nach 
unten  zu  braun  oder  rot  geflecktem  Stengel.   Die 
abwechselnd  gestellten  Blätter  sind  am  Grunde  be- 
scheidet, mehrfach  fiederteilig,  mit  oval- 
länglichen,    eingeschnittengesägten ,     stachel- 
spitzigen Endzipfeln.  (Fig.  513  a.)  Die  doldigen 
Blüten   sind  weiss   und  klein ,  ihre  Fruchtknoten 
und  halbreifen  Früchte  (b)  mit  kerbigenRippen 
versehen  und  fast  halbkugelig  (nicht  länglich!). 
—   Geschmack    scharf,   bitterlich;    Geruch   un- 
angenehm (nach  Mäuse-Urin). 
Fl&-  513-  Verwechslungen:    Anthriscus  silvestris, 

Chaerophyllum  temulum,  Aethusa  Cynapium  und 
■Cicuta  virosa  (Wasserschierling)  unterscheiden  sich  durch  den 
Mangel  des  eigentümlichen  Schierlingsgeruches.  Ausserdem  fehlt 
ihren  Früchten  die  Kerbung  der  Rippen.  Chaerophyllum  temulum 
gleicht  zwar  dem  Schierling  sehr,  zeigt  aber  Behaarung.  Bei 
Anthriscus  silvestris  und  Aethusa  Cynapium  sind  die  Blattzipfel 
nicht  oval ,  sondern  schmallanz ertlich.  Der  eigentümliche  Geruch, 
in  Verbindung  mit  der  völligen  Kahlheit  und  den  ovalen  Blatt- 
zipfeln  kennzeichnet  das  echte  Schierlingskraut. 

Bestandteile:    Zwei   giftige  Alkaloide:  Coniin  und  Conydrin. 

Wegen  deren  Flüchtigkeit  ist  das  Kraut  in  Blechkästen  aufzubewahren. 

Anwendung:  Als  stark  narkotisches  Mittel,  meist  äusserlich 

zu    zerteilenden  Umschlägen ,    zu   Extractum   (aus    dem   frischen 

Kraute),  Emplastrum  und  Unguentum  Conii. 

Herba  Cochleariae,  Löffelkraut. 

Cochlearia  officinalis.  (Cruciferae).  —  Europa. 

Die  Wurzelblätter  sind  lang  gestielt,  schwach  herz- 
förmig, buchtig  gezähnt;  Stengelblätter  sitzend,  eiförmig.  Blüten 
weiss,  in  einer  Doldentraube;  Schötchen  kugelig  gedunsen. 
(Vgl.  Fig.  440.)  —  Geschmack  kresseartig  brennend;  Geruch 
beim  Zerreiben  scharf. 

Bestandteile:  Ein  schwefelhaltiges  ätherisches  Öl. 

Anwendung:   Frisch  zur  Bereitung  von  Spiritus  Cochleariae. 


—     577     - 

Herba  Chelidonii,  Schöllkraut. 

Chelidonium  majus.  (Papaveraceae.)  —  Europa. 

Stengel  knotig,  schwach  behaart,  mit  gelbem  Milchsafte;  Blätter 
fiederteilig,  mit  grossem,  dreilappigem  Endzipfel,  unterseits  blau- 
grün und  auf  den  Nerven  flaumhaarig.  (Vgl.  Fig.  446).  Blüten  in  einfachen 
Dolden,  mit  4  gelben  Blumenblättern.  —  Geschmack  bitter,  scharf. 

Bestandteile:  Zwei  Alkaloi'de,  deren  eines  (Chelidonin)  nicht  giftig 
ist,  während  dem  anderen  (Chelerythrin)  die  wegen  der  sehr  geringen  Menge 
nur  schwach  narkotische  Eigenschaft  des  Milchsaftes  zukommt;  Farbstoff, 
Salze,  Chelidonsäure. 

Anwendung:  Frisch  zur  Darstellung  des  Extraktes. 

Herba  Pulsatillae,  Küchenschelle. 

Anemone  Pulsatilla  und  A.  pratensis.  (Ranunculaceae).  — Europa. 

Die  mehrfach  fiederspaltigen  Wurzelblätter  sind  zur  Blütezeit  noch 
nicht  ausgewachsen;  der  einblütige  Schaft  trägt  etwa  in  der  Mitte 
eine  vielteilige  Hülle;  das  Perigon  ist  bei  der  erstgenannten  Art  mehr 
geöffnet,  violettblau,  nickend,  bei  der  letzteren  Art  glockig,  dunkel- 
violett, aussen  zottig.  ("Vgl.  Fig.  451,  452.) —  Geschmack  heftig  brennend  ; 
Geruch  beim  Zerreiben  scharf. 

Bestandteile:  äther.  Öl  (Anemonin,  Pulsatillenkampfer),  welches 
beim  Trocknen  des  Krautes  entweicht:  Anemonsäure. 

Anwendung:  Frisch  zur  Bereitung  des  Extraktes. 

B.  Blume  unregelmässig. 
Herba  Violae  tricoloris,  Freisamkraut. 
Yiola  tricolor  mitder  Abart  arvensis.  (Yiolaceae), —  Europa. 
Der  Stengel  ist  kantig,  mit  zerstreuten,  gestielten,  länglichen 
und  gekerbten  Blättern  und  leierförmig  geteilten  Neben- 
blätter n.    (Ygl.  Fig.  448.)   Die  Blüten  sind  blattwinkelständig, 
gespornt,    dreifarbig    —    blau    mit   gelbem    und   weissem 
Grunde — ,  bei  der  Yarietät  arvensis  gleichfarbig  gelblich. 

—  Geschmack  bitterlich,  salzig. 

Bestandteile:  Schleim,  Salze. 

Anwendung:  Bei  Hautausschlägen  der  Kinder,  im  Aufguss. 

Herba  Meliloti,  Steinklee. 
Melilotus  officinalis  und  M.  altissimus.  (Papilionaceae.) 

—  Europa. 

Die  blühenden  Zweige  mit  dreizähnigen  Blättern  und  pfriem- 
lichen ISTebenblättchen ;  die  kleinen  gelben  Schmetterlingsblüten 
stehen  in  einer  langen,  einseitswendigen  Traube.  Hülse 
kurz ,  querrunzelig ,  bei  der  ersteren  Art  braun ,  kahl ,  bei  der 
letzteren  Art  schwärzlich  behaart.  (Ygl.  Fig.  425.)  —  Geschmack 
schleimig  bitterlich;  Geruch  waldmeisterähnlich. 

Verwechslungen:  Melilotus  alb  a  unterscheidet  sich  durch 
weissliche  Blüten. 

Bestandteile:  Cumarin  (Tonkasäure,  der  Riechstoff  des  Wald- 
meisters und  der  Tonkabohnen)  Melilotsäure. 

Anwendung:  Zu  Species  emollientes. 

Sohlickum,   Apothekerlehrling.  37 


—     578     — 

Herba  Polygalae,  Kreuzblumenkraut. 

Polygala  amara.  (Polygaleae).  —  Europa. 

Die  dünne,  gelbliche  Wurzel  treibt  fingerlange,  dünne  Stengel,  sowie 
eine  Blattrosette  verkehrt  eirunder  oder  spatelförmiger,  ziem- 
lich grosser,  grundständiger  Blätter.  (Vgl.  Fig.  449.)  Die  Stengel  sind  mit 
kleinen,  lanzettlichen  Blättern  besetzt  und  tragen  in  endständigen  Trauben 
kleine,  blaue  oder  weisse  Blüten  mit  je  zwei  blumenblattartigen  Kelch- 
blättern (sog.  Flügel).  —  Geschmack  stark  bitter. 

Verwechslung:  Polygala  vulgaris  entbehrt  der  grundständigen 
Blattrosette  und  des  bitteren  Geschmackes. 

Bestandteile:  Bitterstoff  (Polygamarin). 

Anwendung:  als  bitteres  Magenmittel. 

Herba  Cannabis  Indicae,  Indischer  Hanf. 

Cannabis  sativa.  (Urticaceae).  Gebraucht  wird  nur  die 
weibliche,  in  Ostindien  wachsende  Pflanze,  da  nur  diese 
das  Harz  ausschwitzt. 

Die  blühenden  oder  fruchttragenden  Zweige  sind  rauh,  durch 
eine  Harzmasse  zu  dichten ,  etwas  zusammengedrückten  Blüten- 
schweifen verklebt,  mit  lanzettlich-linealen,  gesägten  Blättern  und 
rotbraun  drüsigen  Deckblättchen.  —  Geruch  zumal  beim  Erwärmen 
narkotisch. 

Dem  in  Europa  kultivierten  Hanfe  fehlt  die  Aus- 
schwitzung der  Harzmasse  gänzlich.  Unter  der  Lupe  erblickt  man 
auf  dem  ostindischen  Hanfe  reichliche  Harztröpfchen. 

Bestandteile:    Harz  von  narkotischen  Eigenschaften. 

Anwendung:  Als  beruhigendes,  schlafbringendes  Mittel,  wel- 
ches in  grösseren  Gaben  Delirien  erzeugt  und  im  Orient  geraucht 
und  genossen  wird  (sog.  Haschisch);  zu  Extra ctum  und  Tinc- 
tura  Cannabis  indicae. 

c)  Kräuter  mit  blumenlosen  Blüten. 
Herba  Chenopodii  ambrosioidis,  Mexikanisches  Traubenkraut. 

Chenopodium  ambrosioides.  (Chenopodeae).  —  Mexiko. 

Ein  verzweigtes  Kraut  mit  hellgrünen ,  länglichen  bis  lanzett- 
lichen, beiderseits  verschmälerten,  buchtig  gezähnten,  kahlen  Blättern, 
deren  Unterseite  mit  gelben  Drüsen  besetzt  ist.  Die  kleinen, 
grünen  Blüten  stehen  in  blattwinkeligen  Knäueln.  —  Geschmack  bitter- 
lich, Geruch  stark  balsamisch. 

Verwechslung:  Chenopodium  Botrys  (in  Südeuropa)  mit  fieder- 
spaltigen  Blättern  von  schwächerem  Gerüche. 

Bestandteile:  ätherisches  Öl,  Salze.  Man  bewahrt  das  Kraut  in 
Blechkästen  auf. 

Summitates  Sabinae,  Sadebaumspitzen. 

Juniperus  Sabin a.  (Coniferae).  —  Südeuropa. 

Zweigspitzen  mit  dichtgedrängten  Blättern,  welche  im  jüngeren 
Alter  rautenförmig,  in  vier  Zeilen  dachziegelig  ange- 
drückt und  stumpf,  später  abstehend  und  nadeligstechend 


—     579 


Fig.  514.  Sum.  Sabinae. 

Nebst  einem  Fruchtzweige 
und  einzelnen  Nadeln. 


sind  und  auf  dem  Rücken  eine 
vertiefte  Öldrüse  tragen.  (Fig.  514.) 
—  Geschmack  unangenehm,  harzig-bitter; 
Geruch  stark.  Besonders  aromatisch 
sind  die  dunkelblauen  Beeren. 

Verwechslungen:  Juniperus 

Yirginiana,  ein  hoher,  sparrig-  und 
lockerästiger  Baum  aus  Virginien,  hat 
ähnliche  Zweigspitzen  und  wird  in  Amerika 
statt  der  Sabina  gebraucht,  besitzt  jedoch 
nur  eine  undeutliche  Drüse  auf  dem 
Rücken  der  Nadeln  und  viel  schwächeren 
Geruch.  (Yergleichung  mit  echtem  Sade- 
baum  gewährt  allein  sichere  Unter- 
scheidung.) 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Gerb- 
säure, Harz.  —  Die  Spitzen  sind  in 
Blechkästen  aufzubewahren. 

Anwendung:  Als  ein  die  Menstrua- 
tion beförderndes  Mittel,  zu  Extr.,  Un- 
guent.  und  Oleum  Sabinae. 

Summitates  (Herba)  Thujae,  Lebensbaumspitzen. 

Thuja  occidentalis.  (Coniferae).     Zierstrauch  aus  Nordamerika. 

Horizontal  abgeflachte  Zweige  mit  vierzeilig  anliegenden,  schup- 
penförmigen  Blättern,  welche  auf  dem  Rücken  mit  einer  erhabenen 
Drüse  versehen  sind.  —  Geschmack  gewürzig,  bitter;  Geruch  beim  Zer- 
reiben balsamisch. 

Verwechslungen:  Thuja  orientalis,  Zierstrauch  aus  Ostasien,  un- 
terscheidet sich  durch  vertikal  abgeflachte  Zweige  und  eine  Furche  auf  dem 
Rücken  der  Blätter. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz,  Gerbsäure. 

Anwendung:  zu  Tinctura  Thujae. 

Turiones  Pini,  Kiefersprossen. 

Pinus  silvestris.  (Coniferae).  —  Europa. 

Die  fingerlangen  Jahrestriebe,  deren  grüne  Spindel  dicht  besetzt 
ist  mit  dachziegeligen,  braunroten,  trockenen  Schuppen,  die  in  ihrer 
Achsel  die  Knospe  eines  Nadelpaares  bergen;  frisch  klebrig.  —  Geruch 
harzig -balsamisch. 

Verwechslungen:  Die  Sprossen  der  Rottanne  (Abies  excelsa)  und 
Weisstanne  (Abies  pectinata)  sind  höchstens  zolllang. 

Bestandteile:  Balsam,  Bitterstoff.  —  Man  bewahre  die  Sprossen  in 
Blechkästen  auf. 

Anwendung:  zu  Tinctura  Pini  composita. 

Gemmae  Populi,  Pappelknospen. 
Populus  nigra  (Schwarzpappel),   P.  tremula  (Zitterpappel,  Espe), 
P.  pyramidalis  (italienische  Pappel).  (Salicineae).  —  Europa. 

37* 


580    — 


Kegelige  Knospen  mit  braunen,  dachziegeligen,  harzig-klebrigen 
Schuppen;  wohlriechend. 

Bestandteile:  Gelber  Balsam. 
Anwendung:  zu  Unguentum  Populi. 

Schlüssel  zum  Bestimmen  der  Kräuter  und  Spitzen. 

I.  Blätter  nadelig  oder  schuppenförmig. 

a)  Zweige  nicht  abgeflacht Summitates  Sabinae. 

b)  Zweige  abgeflacht Summitates  Thujae. 

II.  Blätter  blattartig. 

A.  Blätter  ungeteilt. 

a)  Blüten  unscheinbar,  grün. 

a)  Blütenzweige  verklebt Hb.  Cannabis  indicae. 

ß)  Blätter  unterseits  gelbdrüsig,  duftend     Hb.  Chenopodii  ambr. 

b)  Blüten  in  Köpfchen. 

a)  Köpfchen  mit  gelben  Zungenblütchen; 

Blätter  blaugrün Hb-  Lactucae. 

ß)  Körbchen  gross,  eirund,  strahllos    .     .     Hb.  Spilanthis. 

c)  Blüten  einfach;  gefärbt. 

a)  Blätter  gegenständig. 

aa)  Blüten  blattwinkelig,  weisslich  .  Hb.  Gratiolae. 
bb)  Blüten  in  Doldentrauben,  rot  .  Hb.  Centaurii. 
cc)  Blüten  in  Quirlen,  lippenförmig. 

aa)  Stengel  dünn,  Blätter  kahl    .     Hb.  Serpytti. 

Blätter  unten  grauflaumhaarig     Hb.  Thymi. 
ßß)  Stengel  vierkantig. 

Blätter  grau,  gewürzig  .     .     .    Hb.  Major anae. 
Blätter  behaart,  geruchlos      .     Hb.  Galeopsidis. 
ß)  Blätter  abwechselnd  oder  zerstreut, 
aa)  Blüten  blattwinkelständig. 

Blätter  klebrig-zottig Hb.  Hyoscyami. 

Bl.  mit fiederteiligen Nebenblättern     Hb.    Violae  tricoloris. 
bb)  Blüten  in  Doldentrauben,  weiss  .     Hb.  Cochleariae. 
cc)  Blüten  in  Trauben. 

Blüten  gelb, gespornt,  Blätter  lineal  Hb.  Linariae. 
Blüten  blau,  Blätter  länglich  .  .  Hb.  Lobeliae. 
Blätter  rosettig,  spatelig      .     .     .     Hb.  Polygalae. 

B.  Blätter  geteilt  oder  zusammengesetzt. 

a)  Blätter  einfach  fiederspaltig. 

a)  Blätter  spinnewebig  behaart      .     .     .    Hb.  Cardui  bened. 
ß)  Blätter  unterseits  bläulichgrün,  Blüten 

gelb,  doldig Hb.  Chelidonii. 

b)  Blätter  dreizählig. 

Blüten  gelb,  in  einseitigen  Trauben.     .     .     Hb.  Meliloti 

c)  Blätter  mehrfach  fiederteilig. 

a)  Blüten  in  nickenden,  halbkugeligen 

Köpfchen;  Blätter  grau  seidenhaarig     Hb.  Absinthii. 

ß)  Blüten  weiss,  doldig,  klein;  Blätter 

kahl,  von  widerlichem  Gerüche  .     .     Hb.  Conii. 

y)  Blüten  einzeln,  gross,  violett  .     .     .     Hb.  Pidsatillae. 


581 


8.  Die  offizinellen  Blätter  (Folia). 

Man  sammelt  die  Blätter,  ohne  den  Stengel,  während  der  Blütezeit. 
A.  Blätter  ungeteilt, 
a)  Blätter  fiedernervig,    a)  Blätter  getvürzig. 
Foüa  Melissae,  Melissenblätter. 
Melissa  officinalis.    (Labiatae).  —  Südeuropa. 
Langgestielte  herz-eiförmige  Blätter  mit  kerbig-gesäg- 
tem  Bande  und  kleinen  Öldrüsen  in   der   Fläche;    sie   sind  nur 
an    den    Nerven    etwas    behaart,    grün,    unterseits    blässer. 
(Vgl.  Fig.  365.)  —  Geschmack  bitterlich,  Geruch  gewürzig. 

Verwechslung:  Nepeta  Cataria  besitzt  ähnlichen  Geruch, 
aber  unterseits  graufilzige  Blätter. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Gerbsäure.  —  Man  bewahrt  die 
Blätter  in  Blechkästen  auf. 

Anwendung:  Zu  Aqua  und  Spiritus  Melissae. 

Folia  Menthae  piperitae,  Pfefferminzblätter. 

Mentha  piperita.  (Labiatae).  —  Europa. 

Kurzgestielte,  längliche  Blätter  mit  regelmässig  gesäg- 
tem Rande,  nur  spärlicher  Behaarung  und  Öldrüsen  in  der 
Fläche.  (Vgl.  Fig.  362).  —  Geschmack  kampferartig  kühlend; 
Geruch  stark  gewürzig. 

Yerwechslung:  Mentha  viridis  unterscheidet  sich  durch 
sitzende,  Mentha  silvestris  durch  weichhaarige  Blätter. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Gerbsäure.  —Man  bewahrt  die  Blätter 
in  Blechkästen  auf. 

Anwendung:  Als  blähungtreibendes  Mittel,  zu  Aqua,  Oleum, 
Rotulae,  Syrupus,  Tinctura,  Trochisci  Menthae  pip. 

Folia  Menthae  crispae,  Krauseminzblätter. 

Mentha  crispa.  (Labiatae).  —  Europa. 

TJngestielte,  herzförmige,  längliche ,  mehr  oder  weniger  spitze 
Blätter,  mit  blasig-runzeliger,  Öldrüsen  enthaltender  Fläche 
und  wellenförmigem  und  zerschlitzt-gesägtem  Rande. 
—  Geschmack  brennend  (nicht  kühlend);  Geruch  stark  ge- 
würzig. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Gerbsäure.  —  Man  bewahrt  die  Blätter 
in  Blechkästen  auf. 

Anwendung:  Wie  bei  der  Pfefferminze. 

Folia  Salviae,  Salbeiblätter. 
Salvia  officinalis.  (Labiatae).  —  Südeuropa. 
Gestielte,    längliche    Blätter    mit    feingekerbtem    Rande, 


-      582     — 

runzeliger  Fläche  und  dünnfilziger  Behaarung.  (Vgl. Fig. 366.) 

—  Geschmack  herbe,  bitterlich;  Geruch  gewürzig. 

Die  Blätter  werden  vor  dem  Aufblühen  (Mai)  gesammelt. 

Bestandteile:    äther.  Öl,  Gerbsäure,  Bitterstoff. 

Anwendung:  Im  Aufgusse  als  Mund-  und  Gurgelwasser,  zu 
Aqua,  Oleum. 

Folia  Rosmarini,  Rosmarinblätter. 

Rosmarinus  officinalis.  (Labiatae).  —   Südeuropa. 

Lineale,  starre,  runzelige,  hellgrüne  Blätter,  mit  zurückge- 
rolltem Rande  und  weissfilziger  Unterseite.  —  Geschmack  und  Geruch 
kampferartig  gewürzig,  etwas  herbe. 

Bestandteile;  äther.  Ol,  Gerbsäure. 

Anwendung:  zu  aromatischen  Bädern ;  zu  Oleum,  Spiritus  Rosmarini 
u.  a.  m. 

Folia  Eucalypti,  Eukalyptusblätter. 

Eucalyptus  globulus.     (Myrtaceae.)  —  Australien. 

Lineale  oder  lanzettliche,  oft  sichelig  gebogene,  ganzrandige, 
kahle  Blätter  von  lederiger  Konsistenz  und  durchscheinend  drüsig- 
punktiert. —  Geruch  und  Geschmack  kampferartig-ge würzhaft. 

Bestandteile:  ätherisches  Öl,  Gerbstoff. 

Anwendung:  als  anregendes  Mittel,  zu  Tinktur. 

Folia  Aurantii,  Pomeranzenblätter. 

Citrus  vulgaris.  (Aurantiaceae.)  —  Mittelmeerländer. 

Längliche,  spitze,  kahle,  bläulich  grüne,  durchscheinend  drü- 
sig-punktierte Blätter,  von  dünn-lederartiger  Konsistenz,  mit  dem  ge- 
flügelten Blattstiele  durch  ein  Gelenk  verbunden.  Die  Blattstielflügel 
sind  verkehrt  herz-  oder  eiförmig  und  fünf  Millimeter  breit  (vgl.  Fig.  460). 
Geruch  und  Geschmack  bitterlich  gewürzig. 

Verwechslungen:  Bei  den  Citronenblättern  fehlen  die  Blatt- 
stielflügel. 

Bestandteile:  ätherisches  Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  als  aromatisches  Bittermittel. 

ß)  Blätter  gewürzlos. 

Folia  Belladonnae,  Tollkirschenblätter. 

Atropa  Belladonna.  (Solanaceae).  —  Europa. 

Ovale,  in  den  Blattstiel  verschmälerte,  spitze, 
ganzrandige,  oberseits  dunkelgrüne  Blätter,  im  jugend- 
lichen Zustande  weichhaarig,  im  älteren  fast  kahl.  (Vgl.  Fig.  350). 

—  Geschmack  bitterlich,  unangenehm;  Geruch  schwach  narkotisch. 

Bestandteile:  Atropin  (giftiges  Alkaloid) ;    Asparagin,  Salze. 

Anwendung:  Ein  stark  narkotisches,  die  Pupille  erweiterndes 
Mittel ,  zu  Emplastrum ,  Extractum ,  Tinctura  und  Unguentum 
Belladonnae. 

Folia  Nicotianae,  Tabaksblätter. 
Nicotiana  Tabacum.  (Solanaceae).  —  Amerika. 
Grosse,     länglich- 1  anzettliche,    spitze,     nach     dem 


—    583     - 

Grunde  verschmälerte,  ganzrandige,  drüsig- behaarte  Blät- 
ter, getrocknet  von  brauner  Farbe.  —  Geschmack  scharf,  ekelhaft 
bitter;  Geruch  betäubend. 

Nur  der  (unpräparierte)  Virginische  Tabak  (Rollenknaster) 
darf  angewendet  werden.     Der  übrige  Rauchtabak  ist  präpariert. 

Verwechslungen:  Nicotiana  macrophylla  (der  sog. 
Marvland-Tabak)  mit  breiteren ,  am  Grunde  geöhrelten  Blättern ; 
Nicotiana  rustica  mit  herz-eiförmigen,  stumpfen,  langgestiel- 
ten Blättern. 

Bestandteile:   Nicotin  (2 — 6  °/0). 

Anwendung:  Als  krampfstillendes  Mittel,  in  grösseren  Gaben 
giftig. 

Folia  Stramonii,  Stechapfelblätter. 

Datura  Stramonium.  (Solanaceae).  —  Europa. 

Gestielte,  bis  handgrosse,  eiförmige,  spitz -buchtig- 
gezähnte,  oberseits  dunkelgrüne,  unterseits  blassere,  fast 
kahle  Blatte  (Vgl.  Fig.  353).  —  Geschmack  widerlich,  salzig  bitter; 
Geruch  betäubend. 

Verwechslungen:  Solanum  nigrum  L.  hat  viel  kleinere, 
stumpf  lappige  Blätter. 

Bestandteile:  Daturin  (ähnlich  dem  Atropin).  —  Man  be- 
wahrt die  Blätter  in  Blechkästen  auf. 

Anwendung:  Narkotisches,  die  Respiration  anregendes  Mittel, 
zu  Extrakt  und  Tinktur. 

Folia  Digitalis,  Fingerhutblätter. 

Digitalis  purpurea.  (Scrophularineae).  —   Europa. 

Längliche,  in  den  Blattstiel  verschmälerte  Blätter 
mit  gekerbtem  Rande,  runzeliger  Oberfläche  und  mehr  oder 
weniger  filziger  Unter  fläche,  auf  welcher  sich  die  Blattnerven 
weisslich  filzig  hervorheben,  in  deren  Maschen  beim  Hindurch- 
sehen ein  helles,  noch  feineres  Adernetz  bemerklich  wird 
(Fig.  515).  —  Geschmack  ekelhaft  bitter;  Geruch  schwach. 

Verwechslungen:  Die  in  Gärten  gezoge- 
nen Fingerhutblätter  sind  fast  kahl.  —  Syinphy  tum 
officinale  hat  rauhhaarige,  ganzrandige  Blätter. 
Die  Wollblumenblätter  sind  stark  sternhaarig, 
brüchig,  gelbgrün.  Allen  diesen  und  anderen  Blättern 
fehlt  das  durchscheinende  feinere  Adernetz. 

Bestandteile:   Digitalin,  Digitalem,  Gerbsäure.        Fig.  515. 
—  Man    bewahrt   die  Blätter  in  Blechkästen,   nicht   über   ein 
Jahr,  auf. 

Anwendung:  Zur  Herabsetzung  der  Nerven-  und  Herzthätig- 
keit;  als  Acetum,  Extractum  und  Tinctura  Digitalis. 


—    584     - 

Folia  Uvae  Ursi,  Bärentrauben blätter. 
Arctostaphylos  Uva  Ursi.  (Bricaceae).  —  Mittleresund 
nördliches  Europa. 

Verkehrt-eif  örmige,ganzrandige,kahle,  leder- 
artige, beiderseits  glänzende  Blätter  mit  vertieftem, 
feinmaschigem  Adernetze.  (Fig.  516).  —  Geschmack 
bitterlich,  herbe. 

Verwechslungen:  Die    Blätter    von   Yaccinium 

Yitis  Idaea  (Preisseibeere)  sind  am  Eande  zurückge- 

Fig.  516    rollt,  mit  glanzloser,  braunpunktierter  Unterseite,  ohne 

Fol. Uvae  das    feine   Adernetz.     Die   Buxblätter   (von   Buxus 

Ursi.      sempervirens)  unterscheiden  sich  durch  ihre  ovale  Form 

und  den  Mangel  des  Adernetzes. 

Bes  tandteile:    Gerbsäure,  Gallussäure,  Arbutin  (ein  Glykosid). 
Anwendung:   Gegen  Harnbeschwerden. 

Folia  Laurocerasi,  Kirschlorbeerblätter. 
Prunus  Laur ocerasus.  (Amygdaleae).  —  Südeuropa. 
Kurzgestielte,    glänzend    lederartige,    längliche,  8 — 16  cm  lange 
Blätter,  mit  entfernt  gesägtem  Rande,  unterseits  mit  1  oder  2  brau- 
nen Flecken  (Drüsen)   auf  jeder  Seite  des  Mittelnerven,    nahe  am  Blatt- 
grunde.   Geschmack  herbe-bitter,  Geruch  beim  Zerreiben  bittermandelartig. 
Verwechslungen:  Bei  anderen  Prunus-Arten  fehlen  den  Blättern  un- 
terseits am  Grunde  die  braunen  Drüsen. 

Bestandteile:  Amygdalin,  welches  bei  der  Umsetzung  blausäure- 
haltiges Bittermandelöl  liefert. 

Anwendung:  frisch  zu  Aqua  Laurocerasi. 

b)  Blätter  handnervig. 

Folia  Althaeae,  Eibischblätter. 

Althaea  officinalis.  (Malvaceae).  —  Europa. 

Gestielte,  eiförmige,  fast  herzförmige,  spitze  Blätter 
mit  ungleich  gezähntem  Bande,  die  unteren  spitz  fün flappig, 
die  mittleren  drei  läpp  ig,  die  obersten  ungeteilt,  sämtlich  bei- 
derseits mit  weichem,  grünem  Filze  bedeckt.  (Ygl.  Fig.  458.) 
—  Geschmack  schleimig. 

Bestandteile:    Schleim. 

Anwendung:  Zu  Species  emollientes 

Folia  Malvae,  Malvenblätter. 

Malva  vulgaris  und  M.  silvestris.  (Malvaceae).  — Europa. 

Langgestielte,  rundliche,  4 — 7  lappige  Blätter,  mit  herz- 
förmigem ,  fast  nierenförmigem  Grunde ,  gesägtem  Rande  und 
sc hwach er  Behaarung.  Die  Lappen  sind  bei  ersterer  Art  stumpf, 
bei  letzterer  vorgestreckt.  (Ygl.  Fig.  456, 457.)  —  Geschmack  schleimig. 

Bestandteile:  Schleim. 

Anwendung:   Zu  Species  emollientes. 


-     585    — 

Folia  Farfarae,  Huflattichblätter. 

Tussilago  Farfara.  (Compositae,  Corymbiferae). —  Europa. 

Gestielte,  rundliche,  buchtig  siebeneckige,  schwärzlich 
gezähnte  Blätter,  mit  herzförmigem  Grunde,  hellgrüner  Oberseite 
und  weissfilziger  Unterseite.  (Vgl.  Fig.  391.)  —  Geschmack 
etwas  herbe  und  bitter,  schleimig. 

Verwechslungen:  Petasites  officinalis  hat  viel  grössere, 
am  Grunde  herz-nierenförmige ,  unterseitig  nur  wenig  behaarte 
Blätter.  Petasites  tomentosus  mit  zwar  unterseits  weiss- 
filzigen,  aber  nierenförmigen  Blättern. 

Bestandteile:   Schleim,  Gerbsäure,  Bitterstoff. 

Anwendung:  Zu  Species  pectorales. 

B.  Blätter  geteilt. 

a)  Blätter  fiederteilig. 
Folia  (Herba)  Millefolii,  Scharfgarbenkraut. 

Achill ea  Millefolium.     (Compositae,  Corymbiferae).  —  Europa. 

Doppelt-fiederspaltige,  im  Umfang  lanzettliche  Blätter,  mit 
lanzettlichen,  weiss  bespitzelten  Endzipfeln,  unterseits  auf  den  Nerven 
und  am  Blattstiele  zottig.  (Vgl.  Fig.  388.)  —  Geschmack  bitter,  herbe ; 
Geruch  schwach.  —  Man  sammelt  das  Kraut  im  Juni  vor  der  Blütezeit. 

Bestandteile:  etwas  äther.  Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  nur  mehr  Volksheilmittel  zur  sog.  Blutreinigung. 

Folia  Rutae,  Rautenblätter. 

Ruta  graveolens.     (Rutaceae).  —  Südeuropa. 

Dreifach  fiederteilige  Blätter,  mit  spateiförmigen  Endzipfeln, 
kahl,  graugrün,  drüsig  punktiert.  (Vgl.  Fig.  431.)  —  Geschmack  bitterlich; 
Geruch  aromatisch. 

Bestandteile:  äther.  Öl.  —  Man  sammelt  die  Blätter  vor  der 
Blütezeit  (im  Mai  und  Juni)  und  bewahrt  sie  in  Blechgefässen. 

Anwendung:  als  anregendes  Mittel. 

b)  Blätter  dreizählig. 

Folia  Trifolii  fibrini,  Fieberkleeblätter. 

Menyanthes  trifoliata.  (Gentianeae).  —  Europa. 

Gestielte,  dreizählige,  hellgrüne,  kahle  Blätter,  mit  un- 
gestielten, dicklichen,  oralen,  stumpfen,  beinahe  ganzran- 
digen  Teilblättern.  (Vgl.  Fig.  359.)  —  Geschmack  sehr  bitter. 

Bestandteile:  Bitterstoff  (Menyanthin,  ein  Glykosid). 

Anwendung:  Als  magenstärkendes  Bittermittel,   zu  Extrakt. 

Folia  Toxicodendri,  Giftsumachblätter. 

Rhus  Toxicodendron.  (Terebinthaceae).  —  Nordamerika. 

Langgestielte,  dreizählige  Blätter,  deren  Teilblätter  oval,  dünn, 
etwas  durchscheinend,  ganzrandig  oder  buchtig  gezähnt,  langgespitzt 
und  kahl  sind;  das  mittlere  ist  gleichhälftig  und  länger  gestielt  als 
die  ungleichhälftigen,    seitenständigen  Teilblättchen.    —    Geruch  schwach. 


—     586     - 

Die  frischen  Blätter  besitzen  eine  flüchtige  Schärfe  in  ihrem  an  der  Luft 
sich  schwärzenden  Milchsafte,  dürfen  daher  nicht  mit  blossen  Händen 
abgepflückt  werden;  bei  vielen  Personen  erzeugt  ihre  Berührung  eine 
roseartige  Aufschwellung  der  Haut.  Die  Berührung  der  getrockneten  Blät- 
ter ist  ohne  üble  Folgen.  —  Man  verwahrt  die  Blätter  nicht  über  ein  Jahr  auf. 

Verwechslungen:  Die  Blätter  des  ebenfalls  nordamerikanischen  Hop- 
fenbaumes, Ptelea  trifoliata,  sind  ähnlich,  aber  durch  das  sitzende 
mittlere  Teilblatt  unterschieden. 

Bestandteile:  flüchtiger,  scharfer  Stoff  (Cardol?),  Gerbsäure,  Salze. 

Anwendung:  als  Excitans  in  kleinen  Dosen;  in  grösseren  narkotisch, 
zu  Tinktur. 

c)  Blätter  gefiedert. 

Folia  Juglandis,  Walnussblätter. 

Juglans  regia.  (Juglandeae).  —  Europa. 

Unpaarig  gefiederte  Blätter  mit  eingelenkten  (meist  4) 
Blättchenpaaren  und  einem  Endblättchen ;  die  Teilblätter 
gross,  eiförmig-länglich,  ganzrandig,  zugespitzt,  fast  kahl, 
nur  an  den  Achseln  der  Adern  unterseits  etwas  bärtig.  ("Vgl.  Fig. 
336.)  —  Geschmack  bitter,  herbe;  Geruch  balsamisch. 

Bestandteile:  Gerbsäure,  Bitterstoff.  Da  die  noch  nicht  völlig 
ausgewachsenen  Blätter  am  reichhaltigsten  sind ,  sollen  sie  im 
Juli  und  August  gesammelt  und,  um  nicht  braun  zu  werden,  in 
dünnen  Schichten  schnell  getrocknet  werden. 

Anwendung:  Gegen  Skrofeln. 

Folia  Jaborandi,  Jaborandiblätter. 

Pilocarpus  pennatifolius.  (Eutaceae).  —   Brasilien. 

Ein  aus  3  bis  4  Blättchenpaaren  gebildetes  Blatt,  dessen  Teil- 
blätter eiförmig  bis  lanzettlich,  vorn  ausgerandet,  lederig  und 
durchscheinend  punktiert,  die  seitlichen  sitzend,  das  End- 
blättchen gestielt  ist. 

Verwechslungen:  Die  Blätter  von  Serronia  Jaborandi  (in 
Brasilien)  entbehren  der  durchscheinenden  Punktierung. 

Bestandteile:  Pilokarpin,  ätherisches  Ol. 

Anwendung:   Als  Speichel-  und  schweisstreibendes  Mittel. 

Folia  Sennae,  Sennesblätter. 
1.  Cassia    acutifolia     (C.    lenitiva).    (Caesalpiniaceae).    — 
Nubien ,    Sennaar    (im    oberen  Nielgebiete),   von   wo   die  Sennes- 
blätter teils  über  Egypten,  teils  über  Tripolis  zu  uns  gelangen: 

a)  Alexandriner  Sennesblätter,  mit  Argheiblättern; 

b)  Tripolitaner  Sennesblätter,  ohne  Argheiblätter. 
Die  Fiederblättchen    (Fig.  517)   sind   fast  lederig,  oval  oder 

länglich,  am  Grunde  ungleichhälftig,  in  der  Mitte  am 
breitesten,  mit  einer  feinen  Spitze  versehen,  aderig,  schwach 
behaart,     von    blassgrüner     Farbe.     Geschmack    unangenehm 


587 


bitterlich;  Geruch  eigentümlich.  —  Den  Alexandriner  Sennes- 
blättern finden  sich  stets  die  Blätter  von  SolenostemmaArghel 
(Asclepiadeae)  (Fig.  518)  beigemischt,  welche  lanzettlich,  am  Grunde 
gleich,  einnervig  (mit  undeutlichen  Seiten  nerven), 
grauflaumhaarig  und  steifer  sind  als  die  Sennesblätter. 
Man  braucht  sie  nicht  auszulesen  ,  da  sie  ähnliche  Wirkung  mit 
letzteren  haben. 


Fig.  517.  Fig.  518. 

Alexandriner- Sennesblätter.      Argheiblätter. 


Fig.  519. 
Indische  Sennesblätter. 


2.  Cassia  angustifolia,  ein  in  Arabien  wildwachsender 
Strauch  liefert  die  sog.  Mekka-Sennesblätter,  wird  aber  auch 
in  Vorderindien  (Landschaft  Tinnevelly)  gebaut,  von  wo  die  In- 
dischen oder  Tinnevellyschen  Sennesblätter  zu  uns  kom- 
men. Die  Fiederblättchen  sind  länger  wie  die  vorigen,  mehr 
lanzettlich,  zugespitzt,  gegen  den  Grund  hin  am  breitesten 
(Fig.  519),  im  übrigen  mit  der  vorigen  übereinstimmend. 

Verwechslungen:  Cassia  obovata,  in  Syrien,  liefert  ver- 
kehrt -  eiförmige  Blättchen  (Fig.  520) ,  die  Aleppo-Sennes- 
blätter,  welche  auchltalienische  heissen, 
da  die  Pflanze  früher  in  Oberitalien  gebaut 
wurde.  Sie  finden  sich  gewöhnlich  den  Tri- 
politanischen  Sennesblättern  beigemischt.  — 
Die  sog.  kleinen  Sennesblätter  sind 
der  abgesiebte  Bruch  der  verschiedenen 
Handelswaren  und  oft  unrein. 

Bestandteile:   Cathartin,  Harz. 

Anwendung:  Als  Abführmittel,  zu  Elec-  Fj„   520. 

tuarium,  Infusum,  Syrup,  Spec.  St.  Germain.   Aleppo-Sennesblätter. 


588     - 


Schlüssel  zum  Bestimmen  der  Blätter. 

I.  Blätter  ungeteilt  oder  nur  seicht  gelappt,  oder  einzelne  Teilblätter. 

A.  Blätter  ganzrandig. 

a.  Blätter  mehr  oder  weniger  lederartig,  steif. 

a)  Blätter  verkehrt  eirund,  netzadrig      .     .     Fol.   Uvae   TJrsi. 
ß)  Blätter  oval  oder  länglich-langzettlich 

aa)  Am  Grunde  ungleiche  Teilblätter      .     Fol.  Sennae. 
bb)  Blätter  einem  geflügelten  Blattstiele 

eingefügt,  drüsig  punktiert,  gross      .     Fol.  Aurantii. 
cc)  Bl.  sichelig,  durchscheinend  punktiert  Fol.  Eucalypti. 
y)  Blätter  fast  nadelig,  am  Rande  umgebogen, 

hellgrün Fol.  Rosmarini. 

b)  Blätter  krautartig. 

a)  Blätter  oval,  beiderseits  spitz,  fast  kahl      Fol.  Belladonnae. 
ß)  Blätter  lanzettlich,  gross,  braun,  drüsig       Fol.  Mcotianae. 

B.  Blätter  gesägt,  gezähnt  oder  gekerbt. 

a)  Blätter  lederig,  länglich,  glänzend  ....     Fol.  Laurocerasi. 

b)  Blätter  krautartig. 

a)  Blätter  rundlich  herzförmig, 

aa)  Blätter  buchtig  eckig,  unten  weissfilzig     Fol.  Farfarae. 
bb)  Blätter  5 — 7  lappig,  kaum  behaart .     Fol.  Malvae. 
ß)  Blätter  eiförmig. 

aa)  Blätter  samtartig  filzig,  oft  3 — 5  lappig     Fol.  Althaeae. 
bb)  Blätter  fast  kahl,  buchtig  gezähnt  .     Fol.  Stramonii. 
cc)  Blätter  fast  kahl,  gezähnt,  gewürzig     Fol.  Melissae- 
y)  Blätter  länglich. 

aa)  Blätter  fast  kahl,  gewürzig. 

aa)  Blätter  kraus,  ungleich  gesägt  .     Fol.  Menthae  crispae. 
ßß)  Blätter  gesägt,  gestielt ....     Fol.  Menthae  pip. 
bb)  Blätter  graufilzig,  runzelig,  gekerbt      Fol.  Salviae. 
cc)  Blätter  unterseits  schwachfilzig,  in  den 

Blattstiel  herablaufend,  gekerbt .     .     Fol.  Digitalis. 
IL  Blätter  2 — 3  fach  fiederteilig. 

a)  Blätter  graugrün,  kahl,  mit  spateligen  Zipfeln  Fol.  Rutae. 

b)  Blätter  weichhaarig,  mit  spitzen  Zipfeln  .     Herb.  Millefolii. 
in.  Blätter  zusammengesetzt. 

A.  Blätter  dreizählig. 

a)  Teilblätter  stumpf,  hellgrün,  dicklich   .     .     Fol.  Trifolii  fibr. 

b)  Teilblätter  zugespitzt,  dünn Fol.  Toxicodendri. 

B.  Blätter  unpaarig  gefiedert,  gross 

a)  Blätter  dünn,  nicht  punktiert Fol.  Juglandis. 

b)  Blätter  lederig,  durchscheinend  punktiert.     FoL  Jaborandi. 


9.  Die  offizineilen  Blüten  (Mores)  und  Blütenteile. 

A.  Ganze  Blutenstände. 
a)  Köpfchen  der  Kompositen. 

Flores  Chamomillae  (vulgaris),  Kamillenblumen. 
Matricaria  Chamomilla.  (Coropositae,  Corymbiferae).  — 
Europa. 


—     589 


Fig.  521. 

Durchschnitt  durch 
den  Blütenboden  der 
echten  Kamille  (a)  u. 


Blütenköpfchen ,  mit  kegelförmigem, 
h ohlem,  nacktem  (spreublattlosem)  Blüten- 
boden (Fig.  521  a),  weissen,  zungenförmigen 
Strahl  blütchen  und  gelben,  röhrigen  Scheiben- 
blütchen,  ohne  Federkrone.  (Vgl.  Fig.  387.)  — 
Geschmack  bitterlich,  Geruch  gewürzig. 

Verwechslungen:  Die  Hundskamille 
(Anthemis  arvensis)  ähnelt  sehr  der  echten 
Kamille,  besitzt  jedoch  nicht  deren  Geruch  der  Hundskamille '(b). 
und  unterscheidet  sich  durch  ihren  markigen  (nicht  hohlen)  Blüten- 
boden, der  zwischen  den  einzelnen  Blütchen  mit  kleinen  Spreu- 
blättchen  besetzt  ist  (Fig.    521  b). 

Bestandteile:  blaues  äther.   Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  Als  krampfstillendes,  blähungtreibendes  Mittel, 
zu  Aqua,  Oleum  und  Syrupus  Chamomillae. 

Flores  Chamomillae  Romanae,  Römische  Kamillen. 

Anthemis  nobilis.  (Compositae,  Corymbiferae).  —  Südeuropa. 

Durch  die  Kultur  gefüllte  Blütenköpfchen,  deren  gelbe,  röhrige 
Scheibenblütchen  grösstenteils  in  weisse,  zungenförmige  Strahl- 
blütchen  übergegangen  sind.  Fruchtboden  gewölbt,  mit  stumpfen,  zer- 
schlitzten Spreublättchen  besetzt;  Federkrone  fehlt.  —  Geschmack 
stark  bitter;  Geruch  gewürzig,  kamillenähnlicb. 

Bestandteile:  blaues  äther.  Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  ähnlich  wie  die  der  Kamillen. 

Flores  Millefolii,  Schafgarbenblüten. 

Achill ea  Millefolium.  (Compositae).  —  Europa. 

In  eine  Doldentraube  geordnete  Blütenköpfchen,  mit  ovalem  Hüll- 
kelche, dessen  Schuppen  am  Rande  trockenhäutig  erscheinen,  mit  5  weissen 
oder  rötlichen,  rundlichen  Strahlblütchen,  sowie  wenigen,  gelben, 
röhrigen  Scheibenblütchen,  ohne  Federkrone.  (Vgl.  Fig.  388.)  Geschmack 
bitter;  Geruch  gewürzig. 

Bestandteile:  blaues  äther.  Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  zu  Thee. 

Flores  Cinae.  Wurmsamen,  Zittwerblüten. 
Eine   Abart   von  Artemisia   maritima.  (Compositae).  - 
Turkestan ,    von   wo  die  Ware  über  Astrachan  und  Bussland 
sog.  Levantischer  Wurmsamen  zu  uns  gebracht  wird. 

Geschlossene,  2  mm  lange,  kahle, 
etwas  glänzende,  längliche,  arm- 
blutige  Blütenköpfchen,  von  gelb- 
grünlicher oder  bräunlicher 
Farbe.  Die  dachziegeligen,  gekielten, 
häutig  berandeten  Hüllkelchblättchen 
tragen  auf  dem  Bücken  kleine  goldgelbe 
DrüseD  ;  die  unteren  sind  kürzer  als 
—  Geschmack  unangenehm,  wie  der  Geruch  kampferartig  gewürzig. 


als 


Fig. 

a  Levantischer, 
c  u.  d  berberischer  Wurmsamen, 
a — c  vergr. 

die  inneren.   (Fig.   522  a) 


590 


Verwechslungen  :  1.  Der  ostindische  Wurm samen  (Fig. 
522  b)  ist  breiter ,  durch  schwache  Behaarung  glanzlos.  2.  Der 
berberische  Wurmsamen  (aus  Nordafrika)  ist  halbkugelig,  grau- 
filzig.     (Fig.  522  c,  d.) 

Bestandteile:    Santonin,  äther.  Öl,  Bitterstoff,  Harz. 

Anwendung:      Zum  Abtreiben  der  Spulwürmer. 

b)  Trugdolden  oder  Bispen. 

Flores  Koso.  Kusso. 
Hagenia  aby  ssinica  (Brayera  anthelminthica).  (Kosa- 

ceae).  —  Abyssinien. 
Die  in  Bündeln 
verpackten  weib- 
lichen Blüten- 
rispen, welche  sehr 
verzweigt,  zottig  be- 
haart und  vielblütig 
sind.  Die  rundlichen 
Deckblättchen,  sowie 
die  äusseren  Kelch- 
blätter (Fig.  523  a,  b,  c) 
zeichnen  sich  durch 
häutige  Konsistenz, 
blass  rötliche  oder 
grünliche  Färbung 
und  feines  Adernetz 
aus.  —  Geschmack 
widerlich  und  krat- 
zend bitter ;  Geruch 
eigentümlich. 

Verwechslung:  Die  männlichen  (nicht  offizinellen)  Rispen 
sind  weniger  rötlich,  weil  bei  ihnen  die  äusseren  Kelchblätter 
sich  nicht  vergrössern. 

Bestandteile:    Kossin. 

Anwendung:  Zur  Abtreibung  des  Bandwurms. 

Flores  Sambuci,  Hollunderblumen. 

Sambucus  nigra.  (Caprifoliaceae).  —  Europa. 

Fünfstrahlige,  reichblütige  Trugdolden  mit  kleinen, 
fünfmännigen,  gelblichweissen,  radförmigen  Blüten  (Vgl.  Fig. 
395).    —  Geschmack  bitterlich;  Geruch  eigentümlich. 

Verwechslung:  Sambucus  Ebulus  hat  drei  strahlige  Trug  - 
dolden  und  violette  Staubbeutel. 

Bestandteile:  äther.   Öl. 

Anwendung:  Als  schweisstreibendes  Mittel,  zu  Aqua  Sambuci, 
Spec.  laxantes. 


Fig.  523. 

A  Flor.  Koso,  a  Einzelne  Blüte  in  natürl.  Grösse, 
b  u.  c  dieselbe  vergr.,  von  oben  resp.  seitl.  gesehen. 


—     591     — 

Flores  Tiliae,  Lindenblüten. 

Tilia  parvifolia  und  T.  grandifolia.  (Tiliaceae).  — Europa. 

Armblütige  Trugdolden  mit  3 — 7  vielmännigen ,  weiss- 
lichgelbenBlüten;  sie  sitzen  auf  der  Mitte  eines  papierartigen, 
länglichen,  gelbgrünlichen,  netzaderigen  Deckblattes.  (Vgl. 
Fig.  461.)  —  Geschmack  süsslich;  Geruch  schwach. 

Verwechslungen:  Die  Blüten  von  Tilia  argentea  (T.  to- 
mentosa)  im  südöstlichen  Europa ,  unterscheiden  sich  durch  ihre 
etwas  filzigen,  nach  vorn  verbreiterten  Deckblätter. 

Bestandteile:  Etwas  äther.  Öl,  Gerbsäure,  Zucker.  —  Man 
bewahrt  die  Blüten  in  Blechkästen,  nicht  über  ein  Jahr,  auf. 

Anwendung:  Als  schweisstreibendes  Mittel,  zu  Aqua  T. 

B.  Einzelne  Blüten. 
a)  Entwickelte  Blüten,    a)  Gewürzige  Blüten. 

Flores  Arnicae,  Wohlverleihblumen. 

Arnica  montana.     (Compositae  Corymbiferae).  —  Europa. 

Die  einzelnen  dottergelbenBlütchen,  teils  weibliche,  zungen- 
förmige  Strahlblütchen  mit  dreizähniger  Zunge,  teils  zwit- 
terige, röhrenförmige  Scheibenblütchen,  alle  mit  haar- 
förmiger,  rauher,  zerbrechlicher  Feder  kröne  versehen.  (Vgl. 
Fig.  390.)  Der  Hüllkelch  mit  dem  Blütenboden  ist  zu  entfernen.  — 
Geschmack  bitter,  scharf;  Geruch  eigentümlich,  zum  Niesen  reizend. 

Verwechslungen:  Ähnlich  gefärbte  Blüten,  wie  von  Calendula 
officinalis,  Anthemis  tinctoria,  entbehren  der  Federkrone. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Bitterstoff,  Harz. 

Anwendung:  Anregendes  Mittel  für  das  Nerven-  und  Gefäss- 
System,  äusserlich  als  zerteilendes  Mittel  zu  Tinktur. 

Flores  Lavandulae,  Lavendelblüten. 

Lavandula  vera.  (Labiatae).  —  Südeuropa. 

Die  noch  un aufgeschlossenen  Blüten  mit  röhrigem,  ge- 
streiftem, violettem,  zottig  behaartem,  ungleich  fünfzähnigem 
Kelche  und  zweilippiger,  blauer  Blumenkrone.  —  Geschmack 
und  Geruch  gewürzhaft. 

Bestandteile:,  äther.  Öl. 

Anwendung:  Äusserlich   zu  Kräuterkissen,    Räucherspezies, 
Bädern,  Spiritus  Lavandulae,  Aqua  und  Spec.  aromaticae. 
Flores  Aurantii,  Pomeranzenblüten. 

Citrus  vulgaris.  (Aurantiaceae).  —  Südeuropa. 

Kelch  klein,  fünfzähnig;  Blumenblätter  5,  länglich,  drüsig 
punktiert,  etwas  fleischig,  weiss;  Staubgefässe  zahlreich,  mehrbrüderig; 
Stempel  1.  Geschmackund  Geruch  sehr  angenehm,  verschwindet  beim  Trocknen. 

Bestandteile:  äther.  Öl. 

Anwendung:  frisch  zur  Destillation  von  Aqua  und  Oleum  fl.  Aurantii. 


592 


ß)  Gewürzlose  Blüten. 

Flores  Malvae  vulgaris,  gemeine  Malvenblüten. 

Malva  silvestris.     (Malvaceae).  Europa.  — 

Kelch  doppelt:  der  äussere  dreiblätterig,  der  innere  fünf- 
spaltig;  Blume  fünfblätterig ,  lilablau  (im  frischen  Zustande 
rosenrot),  viermal  länger  als  der  Kelch.  Staubgefässe  ein- 
brüderig.  (Vgl.  Fig.  457.)  —  Geschmack  schleimig. 

Verwechslungen:  Die  Blumen  von  Mal va  vulgari  s  (M. 
rotundifolia)  sind  höchstens  doppelt  so  lang  als  der  Kelch. 

Bestandteile:    Schleim. 

Anwendung:  Zu  Gurgelwasser,  Thee  und  dergl. 

Flores  Malvae  arboreae,  Stockrosen. 

Althaea  rosea.     (Malvaceae).  —  Europa. 

Kelch  doppelt:  äusserer  und  innerer  5— 7spaltig;  Blume  fünf- 
blätterig, schwarzbraun,  nicht  selten  gefüllt,  gross  (etwa  5  cm  Staub- 
gefässe einbrüderig.  (Vgl.  Fig.  459.)  —  Geschmack  schleimig,  etwas  herbe. 

Bestandteile  und  Anwendung:  wie  bei  vorigen. 

b)  Blütenknospen. 

Caryophylli,  Gewürznelken. 

Eugeniacaryophyllata  (Caryophyllus  aromaticus).  (Myr- 
taceae).  —  Ost-  und  "Westindien. 

Ein  cylindrischer ,  fast  vierkantiger  Unterkelch,  in  vier 
Kelchzipfel  endend,  oft  noch  mit  den  kugelig  geschlossenen, 
leicht  abfallenden  Blumenblättern  versehen;  von  brauner  Farbe, 
schwerer  als  Wasser,  beim  Drücken  mit  dem  Fingernagel  äther. 
Öl  abgebend.  —  Geschmack  und  Geruch  stark  gewürzig. 

Verfälschung:  Die  bereits  abdestillierten  Gewürznelken  sind 
leichter,  schwimmen  auf  dem  Wasser  (quer,  nicht  mit  dem  Köpf- 
chen nach  oben)  und  lassen  beim  Drucke  mit  dem  Fingernagel 
kein  ätherisches  Öl  austreten,  sind  aber  häufig,  des  bessern  Aus- 
sehens wegen,  mit  fettem  Öl  abgerieben  („feuchte"  Gewürznelken). 
Eingeschrumpfte  Ware  ist  geringwertig. 

Bestandteile:    äther.   öl  (mit  Nelkensäure),  Gerbsäure. 

Anwendung:  Als  Gewürz,  zu  Zahnmitteln;  zu  Oleum  Car., 
eingehend  in  viele  gewürzigen  Auszüge. 

G.  BlumenJcronen. 

Flores  Verbasci,  Wollblumen. 

Verbascum  thapsiforme  und  V.  phlomoides.  (Scro- 
phularinae).  —  Europa. 


—     593     — 

Fast  regelmässige,  rad förmige,  fünfspaltige,  einen  Zoll 
im  Durchmesser  messende,  goldgelbe  Blumen,  denen  fünf  Staub- 
gefässe  aufsitzen,  drei  kürzere,  weisswollig  behaart,  die 
beid  en  längeren  kahl  und  mit  lang  herablaufenden  Staub- 
beuteln versehen  (Tgl.  Fig.  374).  —  Geschmack  schleimig,  süsslich^ 
Geruch  schwach. 

Verwechslungen:  Verbascum  Thapsus  und  Y.  Lych- 
n  i  ti  s  haben  zwar  auch  weisswollige  Staubfäden ,  aber  nur  halb 
so  grosse  Blumen,  deren  Staubbeutel  nicht  herablaufen.  Bei  V. 
nigrum  ist  die  Staubfadenwolle  violett. 

Bestandteile:  Zucker,  Gummi,  Salze.  —  Man  bewahrt  die 
Blüten  in  Blech  oder  Glas. 

Anwendung:  Als  Thee  gegen  Husten,  zu  Species  pectorales. 

Flores  Primulae.  Schlüsselblumen. 

Primula  officinalis  (Primulaceae).  —  Europa. 

Trichterige,  zolllange  Blumen,  von  citronengelber  Farbe,  innen 
im  Schlünde  vor  den  5  Zipfeln  mit  5  safrangelben  Flecken;  5  Staub- 
gefässe  tragend.  —  Geschmack  süsslich ;  Geruch  honigartig,  nach  dem  Trocknen 
fast  verschwunden. 

Verwechslung:  Primula  elatior  trägt  gelbe  Blumen  mit  flachem 
(nicht  konkavem)  Saume,  ohne  die  safrangelben  Flecken. 

Bestandteile:   äther.  Oel. 

Anwendung:   als  Thee  für  Brustkranke  u.  a. 

Flores  Rosae,  Rosen. 

Rosa  Centifolia.  (Rosaceae).  —  Europa. 

Verkehrt-eiförmige,  ausgerandete ,  blassrötliche 
Blumenblätter.  —  Geschmack  herbe;  Geruch  duftend. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Gerbsäure. 

Anwendung:  Getrocknet  (in  Blechbüchsen  aufbewahrt)  zu  Mel 
rosatum,  als  adstringierendes  Mittel. 

Flores  Rhoeados,  Klatschrosen. 

Papaver  Rhoeas.     (Papaveraceae).  —  Europa. 

Rundliche,  bis  2  Zoll  breite,  frisch  scharlachrote,  getrock- 
net schmutzig  purpurne,  schwarzbenagelte  Blumenblätter.  —  Ge- 
schmack schwach  bitterlich;  Geruch  nach  dem  Trocknen  verschwunden. 

Verwechslung:  Die  Blumenblätter  von  Papaver  Argemone  sind 
viel  schmaler  und  von  hellerer  Farbe. 

Bestandteile:  Farbestoff,  Schleim. 

Anwendung:  Frisch  zu  Syrupus  Rhoeados. 

D.  Narben. 
CroCUS,  Safran. 
Crocus  sativus.  (Irideae).  —  Südeuropa;  auch  in  Frank- 
reich (Gatinais  bei  Orleans)  kultiviert. 

Etwa  zolllange,  fast  rinnige,  nach  der  Spitze  zu  verbrei- 
terte  und   gekerbte   Narben,   von   dunkel    orangeroter 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  38 


-     594 


Farbe,  zu  drei  dem  gelben  Griffel  aufsitzend  (Fig.  524). 
Geschmack  bitterlich;  Geruch  stark;  beim  Kauen 
färbt  sich  der  Speichel  gelbrot.  —  Man  bewahrt  den 
Safran  in  Blechbüchsen ;  an  der  Sonne  bleicht  er.  Sein 
Auszug  (1  :  10)  erteilt  noch  10  000  Teilen  Wasser  eine 
gelbe  Farbe. 

Verfälschungen:      1.     Bereits     ausgezogener 
Safran,   kenntlich  an  schwächerem  Geruch  und  ge- 
ringerem Farbevermögen;     2.  zu  starke  Beimischung 
Fig.  524.    des    gelben    Griffels    (sog.    Feminell);    3)   Narben 
Crocus.      ancierer   Crocus- Arten,   an   den   Spitzen   zu  er- 
kennen; 4)  Kunstprodukte,  z.  B.  fein  zerschnittene  Blumen- 
blätter  des  Safflors,  Granatbaums   u.   a.,   beim   Aufweichen   in 
"Wasser  leicht  zu  erkennen;  5)  getrocknete  Fleischfasern. 
Bestandteile:  äther.   öl;  Farbestoff  (Polychroit). 
Anwendung:  Krampfstillen d7   zu    Syrup  und  Tinktur,   ein- 
gehend in  Empl.  oxycroceum,  Tinct.  Opii  crocata  u.  a.  m. 


Schlüssel  zur  Bestimmung  der  officinellen  Blüten. 


B. 


I.  Blütenköpfchen. 

A.  Mit  weissen  Strahlblütchen. 

a)  Blütenboden  kegelig,  hohl,  nackt  .... 

b)  Blütenboden  gewölbt,  markig,  spreublätterig 

a)  Körbchen  gefüllt 

ß)  Strahl  arrnblütig 

ohne  Strahl,  kahl,  klein,  geschlossen  .... 

II.  Blüten  in  Trugdolden  oder  Rippen. 

A.  Blütenstiele  dem  Deckblatte  aufsitzend    .     .     . 

B.  Blütenstand  ohne  Deckblatt. 

a)  Trugdolde  fiinfstrahlig,  mit  weissen  Blüten     Fl 

b)  Rispe    mit  rötlichen,    netzaderigen  Blüten     Fl, 

III.  Blüten  einzeln,  ganz. 

A.  Blume  weiss,  fünfblätterig FL 

B.  Blume    orangerot ,    teils    zungenförmig ,    teils 
röhrig,  klein,   Pappus  haarig Fl. 

C.  Blume  blau. 

a)  Kelch  violettblau,  gestreift,  walzenförmig 

b)  Kelch  doppelt,   grün 

D.  Blume  schwarzpurpurn,  Kelch  doppelt   .     . 

IV.  Blumen  ohne  Kelch. 

A.  Gelbe,  5  Staubgef.  tragende  Blumen. 

a)  Blume  fünfteilig,  mit  sehr  kurzer  Röhre 

b)  Blume  walzenförmig,  trichterig  .... 

B.  Einzelne  Blumenblätter. 

a)  Blume  tiefrot Fl. 

b)  Blume  rosenrot Fl 


Fl.  Chamomillae  vulg. 


Chamomillae  Rom. 

Millefoln. 

Cinae. 


Fl.  Tiliae. 


Fl. 
Fl. 
Fl. 


Sambuci. 
Koso. 

Aurantii. 

Arnicae. 

Lavandulae. 
Malvae  vulg. 
Malva  arboreae. 


Fl. 
Fl. 


Verbasci. 
Primulae. 

Rhoeados. 
Rosae. 


595 


10.  Die  offizinellen  Früchte  (Fructus)  und  Fruchtteile. 

A.  Trockene  Früchte. 

a)  Spaltfrüchte  der  Umbelliferen. 

S  p  al  t  f  r  ü  ch  t  e  ,  aus  zwei  S  chli  e  s  sf  r  üc  h  t  en  bestehend, 
welche  an  einem  zweispaltigen,  fädlichen  Fruchtstielchen  aufgehangen  sind. 
In  jeder  Teilfrucht  ist  ein  Same  mit  der,  Fruchtschale  verwachsen.  Jede 
Teilfrucht  zeigt  5Hauptrippen  (costae),  zwischen  denselben  4  Furchen 
oder  Thälchen  (sulcus,  valleculae),  unter  deren  Oberfläche  häufig  Ölkanäle, 
sogen.  Ölstrieinen  (vittae),  verlaufen  und  auf  dem  Querschnitte  erkannt 
werden. 

Fructus  Anisi  vulgaris,  Anis. 

Pimpinella  Anis  um.  (ümbelliferae).  —  Europa. 

Kleine  (2  mm  grosse),  eiförmige,  grauflaumhaarige 
Spaltfrüchte,  deren  stumpfrippige  Teilfrüchte  gewöhnlich  zusam- 
menhängen. —  Geschmack  und  Geruch  süss  ge  würz  haft. 

Bestandteile:  ätherisches  Öl  (in  den  Ölstriemen),  fettes  Öl 
(im  Samen-Eiweiss). 

Anwendung:  Zu  Spec.  pectorales  und  Spec.  laxantes,  sowie 
zu  Oleum  Anisi,  welches  eingeht  in  Liquor  Ammonii  anisatus 
und  Tinct.  Opii  benzoica. 

Fructus  Carvi,  Kümmel. 

Carum  Carvi.  (ümbelliferae).    —  Europa. 

Längliche  (4  mm  lange),  meist  in  ihre  Teilfrüchte  zerfallene 
Spaltfrucht  mit  weisslichen,  fadenförmigen  Rippen  und  brau- 
nen Furchen,  in  welchen  je  eine  Ölstrieme  liegt.  —  Geschmack 
und  Geruch  gewürzig. 

Bestandteile:  äth.  Öl  (in  den  Ölstriemen),  fettes  Öl  (im Samen). 

Anwendung:  Zu  Oleum  Carvi. 

Fructus  Foeniculi,  Fenchel. 

Foeniculum  capillaceum  (F.  officinale).  (ümbelliferae). 
—  Südeuropa. 

Längliche  (4mm  lange),  grünliche  oder  bräunliche, 
meist  in  ihre  Teilfrüchte  zerfallene  Spaltfrucht,  mit  hellen, 
scharfen  Rippen.  —  Geruch  und  Geschmack  ge  würz  haft. 

Bestandteile:  äth.  Öl  (in  den  Ölstriemen),  fettes  Öl  (im  Samen). 

Anwendung:  Als  blähungtreibendes  Mittel,  zu  Aqua,  Oleum, 
Syrupus  Foeniculi. 

Fructus  Phellandrii,  Wasserfenchel. 
Oenanthe  Phellandrium.  (ümbelliferae).  —  Europa. 
Längliche  (4  mm  lange),   deutlich   mit  den  Kelchzähnen 

38* 


-    596     — 

gekrönte,  stielrunde,  meist  nicht  gespaltene,  stumpfrippige, 
braune  Spaltfrüchte.  —  Geschmack  bitterlich,  wie  der  Geruch 
unangenehm  ge  würz  ig. 

Verwechslungen:  1.  Cicuta  virosa  (Wasserschierling)  hat 
grünliche,  mehr  kugelige  Früchte.  2.  Sium  latifolium  mit 
eiförmigen,  grünen  Früchten.  Beide  Pflanzen  haben  mit  Oenanthe 
Phellandrium  gleichen  Standort. 

Bestandteile:  äther.  Öl  (in  den  Striemen),  fettes  Öl  (im  Samen.) 

Anwendung:  Gegen  Husten. 

Fructus  Petroselini,  Petersiliensamen. 

Petroselinum  sativum.  (Umbelliferae.).  —  Europa. 

Kleine  (1 — 2mm  lange)  einförmige,  grünliche,  meist  in  die  Teil- 
früchte gespaltene  Früchte,  mit  fädlichen,  helleren  Rippen  und  ein- 
striemigen Furchen.  —  Geschmack  und  Geruch  stark  gewürzig. 

Bestandteile:  äth.  Öl  (in  den  Striemen),  fettes  Öl  (in  den  Samen). 

Anwendung:  als  blähung-  und  urintreibendes  Mittel,  zu  Aqua  P. 

Fructus  Coriandri ,  Koriander. 

Coriandrum  sativum.  (Umbelliferae.)  —  Südeuropa. 

Kugelige,  gelbliche,  sich  meist  nicht  spaltende,  innen  hohle 
Früchte  mit  vielen  schwachen  Rippen.  —  Geschmack  süsslich,  wie  der  Ge- 
ruch gewürzig. 

Bestandteile:  äth.  Öl  (in  den  Striemen)  fettes  Öl  (in  den  Samen). 

Anwendung:    als  blähungtreibendes  Mittel. 

b)  Nussfrüchte. 
Fructus  Cannabis,  Hanfsamen. 
Cannabis  sativa.  (Urticaceae).  —  Europa. 

Eiförmige,  etwas  gekielte,  kahle  und  glatte,  glänzende 
grünliche,  weissgeaderte  einsamige  Nüsschen.  Die  zerbrechliche 
Schale  birgt  einen  öligen  Kern  von  süssem  Geschmacke. 

Bestandteile:  fettes  Öl,  Zucker,  Eiweiss  (im  Samen). 
Anwendung:  zu  Emulsionen. 

c)  Hülsen. 
Fructus  Ceratoniae,  Johannisbrot. 
Ceratonia  Siliqua.  (Caesalpiniaceae).  —  Südeuropa. 
Flache,    auf  dem  Querschnitt  vierkantige,  verlängerte,    kastanien- 
braune,   glänzende    Hülsen,    deren    Mittelschicht    fleischig  ist  und  in 
Querfächern  die  Samen  einzeln  birgt.     Samen  sehr  hart,  glänzend  braun. 
—  Geschmack  süss;  Geruch  nach  Buttersäure. 

Bestandteile:  Zucker  (über  5  °/0  in  der  Mittelschicht),  Buttersäure. 

d)  Kapselfrüchte. 

Fructus  Papaveris  immaturi,  Mohnköpfe. 

Papaver  somniferum.  (Papaveraceae).  —  Europa. 

Die  unreifen,  walnussgrossen,  fast  kugeligen  Kapseln, 
gekrönt  mit  vielstrahliger,  s  childstieliger  Narbe,  unter 
der  sie   in  Löchern  aufspringen;  blaugrün,  kahl.     Die  vielen 


—     597     — 

kleinen  Samen  sitzen  an  zahlreichen  ,  flügelartig  in  die  Höhlung 
hineinragenden,  wandständigen  Samenleisten,  —  Geschmack  wider- 
lich bitter;  Geruch  frisch  schwach  narkotisch. 

Bestandteile:  Spuren  von  Opiumbestandteilen. 

Anwendung:  Als  beruhigendes,  einschläferndes  Kindermittel, 
zu  Syrupus  Papaveris. 

Fructus  Vanillae,  Vanille. 

Yanilla  planifolia.  (Orchideae).  —  Mexiko  und  nördliches 
Südamerika. 

Die  noch  nicht  völlig  reifen,  etwas  fleischigen,  ver- 
längerten, dreiseitig  zusammengedrückten,  gestreiften  Kap- 
seln von  schwarzbrauner  Farbe,  oft  mit  kleinen,  weissen 
Krystallen  (Yanillin)  bedeckt  (beste  Sorte !).  Innen  ist  die  Frucht 
mit  einem  dicken  Mus  erfüllt,  welches  von  sehr  angenehmem 
Geruch  und  Geschmack  und  aus  unzähligen,  winzigen,  schwar- 
zen Samen  gebildet  ist,  die  durch  eine  dünne  Balsamschicht 
aneinander  kleben. 

Zu  verwerfen  sind  die  noch  ganz  unreifen ,  dünnen ,  sehr 
trocknen,  sowie  die  völlig  reifen  und  bereits  zweiklappig  aufge- 
sprungenen, auch  die  mit  Perubalsam  oder  öl  abgeriebenen  Früchte. 
Von  geringerem  Werte  sind  die  kurzschotigen  Sorten,  zu  denen 
die  Guayra-  oder  Pompona-Vanilla  zählt,  von  stärkerem, 
aber  weniger  feinem  Gerüche. 

Bestandteile:    Vanillin*)  (Riechstoff  der  Vanille),  fettes  Öl. 

Anwendung:  Als  Gewürz,  sowie  Aphrodisiacum,  zu  TincturaV. 

Fructus  Cardamomi  (minoris),  (kleiner)  Kardaniom. 

Elettaria  Cardamomum.  (Scitamineae).  —  Ostindien  (Ma- 
labarküste.) 

Ovale,  etwa  1 — 2  cm  lange,  stumpf  dreikantige,  gestreifte 
Kapseln  mit  strohgelber,  papierartiger  Fruchtschale,  welche 
in  drei  Fächern  etwa  5 — 6  kleine,  stumpfkantige,  runzlige, 
braune  Samen  birgt.  (Fig.  525.)  Nur  die  Samen  besitzen  einen 
stark  gewürzigen  Geruch  und  Geschmack. 

Verwechslungen:  1.  Der  runde  Kardamom  (von  Amomum 
Cardamomum)  aus  Siam  in  Hinterindien ,  von  der  Grösse  des 
kleinen  Kardamom,  aber  rundlich,  so  breit  wie  lang.    (Fig.  526.) 

2.  Der  Javanische  Kardamom  (von  Amomum  inaximum), 
ist  rundlich,  von  brauner  Farbe  und  2—3  cm  gross.    (Fig.  527.) 

3.  Der  lange  oder  Zeylon-Kardamom  (von  Elettaria  major) 
ist  bis  4  cm  lang,  graubraun  und  samenreich.  (Fig.  528.) 

*)  Es  ist  geglückt,  aus  dem  im  Kambiumsafte  der  Fichten  enthaltenen 
Coniferin  durch  oxydierende  Mittel  Vanillin  künstlich  darzustellen. 


—     598 


Fig.  525. 
Kleiner  Kardamom. 


Fig.  526. 
Runder  Kardamom. 


Fig.  527.  Fig.  528. 

Javanischer  Kardamom.  Langer  Kardamom. 

Wegen   dieser  Verwechslungen   dürfen   die  Samen  nicht  aus 
den  Kapseln  herausgenommen  gekauft  werden. 
Bestandteile:  äther.   und  fettes  Öl. 

Anwendung:  Als  Gewürz  zu  Electuarium  Theriaca,  Tinctura 
aromatica  und  Tinctura  Rhei  vinosa. 

Fructus  Sabadillae,  Sabadillsamen. 
Sabadilla    officinalis.   (Colchicaceae). 
Mexiko. 

Eine    aus    drei,     oben    klaffenden 
Karpellen   bestehende  Frucht  mit    papier- 
artiger, blassbrauner  Fruchtschale,  welche 
länglich    gebogene,     braunschwarze,    etwa 
V2  cm  lange  Samen  (Fig.   529  c)    enthält.    — 
Geschmack  der   Samen   sehr  bitter  und  an- 
B.  Querschn.  dexa.,  c  Ein  Same,  haltend  scharf;  Geruch  fehlt. 
Bestandteile:  Veratrin,  Sabadillin,  fettes  Öl,  Harz. 
Anwendung:  zur  Darstellung  des  Veratrins. 

Fructus  Anisi  stellati,  Sternanis. 

Illicium  anisatum.  (Magnoliaceae).  —  China  und  Cochinchina. 

Meist  zu  8  sternförmig  gruppierte  Fruchtkarpelle,  kahnförmig 
zusammengedrückt  und  an  der  oberen  Naht  (Bauchnaht)  geöffnet,  ein- 
samig.  Die  Aussenschale  ist  graubraun,  runzelig;  die  Innenschale 
glatt;  der  Same  kastanienbraun,  glänzend,  mit  spröder  Samenschale  und 
öligem  Kern.  —  Geschmack  süsslich ;  Geruch  anisartig. 

Verwechslung:  Die  ganz  ähnlichen ,  aber  giftigen  Früchte  von 
Illicium  religiosum  in  Japan ,  die  sogen.  Sikimifrüchte, 
schmecken  nicht  süss  aromatisch,   sondern  bitterlich,  etwas  nach  Kubeben. 

Bestandteile:  äth.  Öl  (in  der  Fruchtschale),  fettes  Öl  (im  Samen). 

Anwendung:  wie  der  Anis. 


Fig.  529. 
A  Fruct.  Sabadillae ; 


—     599 


B.  Fleischig-saftige  Früchte. 
a)  Saftlose  Beeren. 
FructllS  Capsici,  spanischer  Pfeffer. 

Capsicum  an  nimm  und  C.  longum.  (Solanaceae).  — 
Tropisches  Amerika, 

Kegelförmige,  fingerlange,  rote,  glänzende,  trockene 
Beeren,  innen  hohl  und  unvollständig  3 — 4fächerig,  mit  zahl- 
reichen, flachen,  gelblichen  Samen.  Fruchtschale  lederig,  von  stark 
brennendem  Geschmack,  gepulvert  Niesen  erregend. 

Verwechslungen:  Der  Cayennepfeffer  (von  Capsicum  fru- 
tescens  u.  a.  A.)  ist  ähnlich,  aber  nur  zolllang. 

Bestandteile:    Capsicin  (scharfes  Öl). 

Anwendung:  Als  starkes  Eeizmittel  für  die  Verdauungs- 
organe und  Harnwege;  äusserlich  als  Tinctüra  Capsici  gegen  Prost 
und  Zahnschmerzen. 

Fructus  Colocynthidis,  Koloquinten. 

Citrullus  Colocynthis  (Cucumis  Colocynthis).  (Cu- 
curbitaceae).  —  Syrien  und  Egypten. 

Apfelgrosse,  kugelige  Beeren,  deren  goldgelbe  Aussenschale 
entfernt  worden,  mit  schwammigem,  trocknem,  leichtem, 
weissem  Fleische  von  sehr  bitterem  Geschmacke;  mit  zahl- 
reichen, flachen,  gelblichen  Samen  an  wandständigen  Samenträgern. 
Da  die  Samen  wenig  wirksam  sind,  werden  sie  vor  dem  Gebrauche 
entfernt  und  die  samenarmen,  fleischreicheren  Früchte  vorgezogen 
(sog.  egyptische  Koloquinten). 

Bestandteile:    Colocynthin  (Bitterstoff),  Harz. 

Anwendung:    Als  drastisches  Mittel,  zu  Extrakt  und  Tinktur. 

b)  Fleischfrüchte. 
Caricae,  Feigen. 
Ficus    Carica.  (Urticaceae).  —  Südeuropa. 

Birnförmige,  fleischige  Fruchtbehälter,  die  im  Innern  zahl- 
reiche, kleine  Steinfrüchtchen  enthalten. 

Handelssorten:    1    Smyrnaer    Feigen,  in  Schachteln  ver- 
packt, gross,  sehr  fleischig  und  sehr  süss.     2.  Kranzfeigen,  aus  Morea, 
auf  Bastbänder  gereiht  und  platt  gedrückt ,  weniger  süss ,  aber    haltbarer. 
Bestandteile:    Fruchtzucker ,  womit  sie  sich  beim  Lagern  über- 
ziehen. 

c)  Steinfrüchte. 

Cubebae,  Kubeben. 
Cubeba  officinalis.  (Piperaceae).  —  Java. 
Getrocknete,  pfeffergrosse,  fast  kugelige,  einsamige  Stein- 
früchte,   welche   unten  in    einen    %  cm  langen,    die  Frucht 


—     600     - 

anLänge  übertreffenden  Frucht- 
stiel auslaufen,  welcher  sich  nicht  ab- 
lösen lässt.  Die  Fruchtschale  ist  grau- 
braun, netzig  runzlig.  (Fig.  530.)  — 
Geschmack  brennend;  Geruch  gewürz- 
Fig.  530.  Fig.  531.  haft. 

_  a  Kubebe;  Kreuzdorn-         Verwechslungen:  1.  Eine  verwandte 

bim  Längsschnitt  beeren.  ^  Cubeba  canina,  trägt  kleinere, 
weniger  runzlige,  kürzer  gestielte,  mehr  anisartig  riechende  Früchte. 
2.  Die  Kreuzdornbeeren  (Fig.  531)  ähneln  entfernt,  enthalten 
aber  4  Steine  und  tragen  einen  ablösbaren  Stiel. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Kubebensäure  (der  wirksame  Be- 
standteil), Cubebin  (dem  Piperin  ähnlich,  kristallinisch,  geruch- 
und  geschmacklos). 

Anwendung:  Gegen  Gonorrhöe,  zu  ätherischem  Extrakte. 

Fructus  Rhamni  catharticae,  Kreuzdornbeeren. 

Rhainnus  cathartica.  (Rhamneae).  —  Europa. 

Kugelige,  schwarze  Beeren,  von  der  Grösse  der  Schlehen, 
mit  violett-grünem  Safte  und  vier  stumpf-dreikantigen  Stein- 
kernen. —  Geschmack  süsslich  bitter. 

Verwechslungen:  Die  ähnlichen  Beeren  von  Rhamnus  Fran- 
gula  (Faulbaum)  besitzen  nur  2— 3  Steinkerne.  Die  Liguster- 
beeren, mit  violettem  Fleische,  enthalten    keine  Steinkerne. 

Bestandteile:  Farbstoff,  Cathartin  (der  abführende  Stoff  der 
Sennesblätter),  Zucker,  Fruchtsäuren. 

Anwendung:     Frisch  und  reif  zu  Syrupus  Rhamni. 

Cerasa  acida,  Sauerkirschen. 

Prunus  Cerasus,  "Var.  austera,  die  Morellenkirsche 
(Amarelle).  (Amygdaleae).  —  Europa. 

Kleine  Kirschen  von  dunkelroter  Farbe,  mit  dunkel- 
purpurnem, bitterlich  saurem  Safte. 

Bestandteile:  Zucker,  Fruchtsäuren. 

Anwendung:   Frisch  zu  Syrupus  Cerasi. 

Fructus  Lauri,  Lorbeeren. 

Laurus  nobilis  (Laurineae).  —  Südeuropa. 

Ovale,  kirscbgrosse ,  braunschwarz  e  Steinfrüchte,  mit 
eingetrockneter,  runzliger,  dünner  Fleischschicht,  papier- 
artiger, braunroter  Steinschale  und  einem  leicht  in  beide 
fleischige  Samenlappen  zerfallenden  Samenkern.  —  Ge- 
schmack bitter,  ölig;  Geruch  gewürzhaft. 

Bestandteile:   äther.  und  fettes  Öl  (im  Samen). 

Anwendung:    Als  magenstärkendes  Mittel. 


-     601     — 

Fructus  Sambuci,  Hollunderbeeren. 

Sambucus   nigra.  (Caprifoliaceae).  —  Europa. 

Schwarze,  glänzende,  kugelige  Beeren ,  mit  dunkel  vio- 
lettrotem Saft  und.  3  Samen  auf  fünfstrahliger  Trugdolde.  Geschmack 
süss-säuerlich ;  Geruch  eigentümlich. 

Verwechslung:  Die  ähnlichen  Beeren  von  Sambucus  E  b  u- 
1  u  s    stehen  auf  dreistr  ah  liger  Trugdolde. 

Bestandteile:  Farbestoff,  Zucker,  Apfelsäure. 

Anwendung:  zu  Succus  Sambuci  inspissatus. 

d)  Saftige  Beeren. 
Fructus  Juniperi,  Wacholderbeeren. 

Juniperus  communis.  (Coniferae).  —  Europa. 

Kugelige,  erbsengrosse ,  an  der  Spitze  dreihöckerige 
(herrührend  von  den  3  verwachsenen  Karpellblättern),  schwarze, 
graublau  bereifte,  dreisamige  Scheinbeeren.  Samen 
hart,  dreikantig,  mit  öldrüsen  besetzt.  —  Geschmack  süsslich  bit- 
terlich; Geruch  gewürzhaft.  —  Die  noch  unreifen,  grünen, 
beim  Trocknen  grau  oder  rot  werdenden  Früchte  sind  zu  verwerfen. 

Bestandteile:  äth.  Öl  (in  den  Samen),  Zucker  (im  Fruchtfleisch). 

Anwendung:  Harn-  und  schweisstreibend;  zu  Räuche- 
rungen. Liefern  Succus  Juniperi  inspissatus,  Ol.  und  Spir.  Juniperi. 

Poma  acida,  saure  Äpfel,  Holzäpfel. 
Pirus  Malus.  (Pomaceae).  —  Europa. 
Saure  Äpfel,  am  besten  von  dem  wilden  Apfelbaum,    sog. 
Holzäpfel. 

Bestandteile:   Zucker,  Äpfelsäure. 

Anwendung:  Frisch  zu  Extractum  Ferri  pomatum. 

Fructus  Rubi  Idaei,  Himbeeren. 

Eubus  Idaeus.  (Rosaceae).  —  Europa. 

Eine  aus  zahlreichen  Steinfrüchtch  en  zusammengesetzte 
Beere,  vom  schwammigen  Blütenboden  sich  leicht  ablösend;  von 
hellroter  Farbe  und  eben  solchem  Safte.  —  Geschmack  süss- 
säuerlich;  Geruch  duftend. 

Bestandteile:  Zucker,  äther.  Öl,  Fruchtsäure. 

Anwendung:  Frisch  zu  Syrupus  und  Aqua  Rubi  Idaei. 

Fructus  Aurantii  immaturi,  unreife  Pomeranzen. 

Citrus  vulgaris.  (Aurantiaceae).  —  Südeuropa. 

Die  unreifen,  kugeligen,  harten,  runzligen,  dun- 
kelgrünen Früchte,  von  der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der 
einer  Kirsche.  Man  verwendet  die  unreif  vom  Baume  fallenden 
Pomeranzen.  —   Geschmack  bitter;  Geruch  gewürzig. 

Bestandteile:    Bitterstoff,  äther.  Öl. 

Anwendung:  Als  magenstärkendes  Mittel,  zu  Tinctura  amara. 


-     602     — 

Fructus  Citri,  Citronen. 

Citrus    Limonum.  (Aurantiaceae).  —  Südeuropa. 

Länglich  ovale ,  an  der  Spitze  spitzenförmig  genabelte, 
10 — 12fächerige  Beeren,  deren  gelbe  Fruchtscbale  durch  zahlreiche 
eingesenkte  Öldrüsen  runzlig  erscheint  und  ein  weisses,  markiges  Zellge- 
webe umschliesst.  Die  Fächer  sind  mit  einem  sehr  sauren,  lockeren, 
geruchlosen  Brei  erfüllt. 

Bestandteile:  äther.  Ol  (in  der  gelben  Schale),  Citronensäure 
(im  Fruchtbrei). 

Anwendung:    frisch  zu  Succus  Citri  und  Syrupus  Citri. 

Fructus  Myrtilli,  Heidelbeeren. 

Vaccinium  Myrtillus.  (Ericaceae  resp.  Vaccineae).  —  Europa. 

Kugelige,  erbsengrosse ,  durch  den  kreisrunden  Kelchsaum 
gekrönte,  glänzend  schwarze,  trocken  runzelige,  mehrsamige  Beeren, 
mit  blaupupurnem  Fleische.  —  Geschmack  säuerlich-süss,  etwas  herbe. 

Bestandteile:    Farbstoff,  Zucker,  Fruchtsäuren. 

Anwendung:  Gegen  Durchfall. 

G.  Fruchtschalen. 
Cortex  fructus  AurantÜ,  Pomeranzenschale. 

Citrus  vulgaris.  (Aurantiaceae).  —  Südeuropä. 

Die  in  4  elliptische  Stücke  gespaltene  Aussen  schale 
der  reifen  Pomeranzen,  aussen  von  gelbbrauner  Farbe, 
durch  zahlreiche,  eingesenkte  Öldrüsen  punktiert,  innen  mit  einer 
weissen,  schwammigen,  geschmack-  und  geruchlosen  Markschicht, 
welche  vor  dem  Gebrauche  abzuschälen  ist.  Alsdann  heisst  die 
gelbe  Aussenschicht  Cort.  Fr.  Aurantii  expulpatus  (Flavedo 
Aurantii).  —  Geschmack  bitter;  Geruch  gewürzhaft. 

Verwechslungen:  1.  Die  grünen  Cu rassao-S  chal en,  von 
einer  in  Westindien  wachsenden  Varietät  des  Pomeranzenbaumes, 
sind  zwar  vorzüglich,  aber  im  Handel  meist  durch  eine  grün- 
schalige  französische  Spielart  oder  unreife  Schalen  ersetzt  und 
daher  nicht  anzuwenden.  2.  Die  Apfelsinenschalen  sind  mehr 
orangerot  und  kaum  bitter. 

Bestandteile:    Bitterstoff  und  äther.  Öl  (in  der  gelben  Schicht). 

Anwendung:  Als  verdauungsbeförderndes  Mittel,  zu  Elixir 
Aurantii  comp.,  Extractum  Syrupus   und  Tinctura  cort.  Aurantii. 

Cortex  fructus  Citri,  Citronenschale. 

Citrus  Limonum  (Aurantiaceae).  —  Südeuropa. 

Die  in  spiraligen  Streifen  abgeschälte  Aussenschale 
der  reifen  Früchte,  aussen  gelb,  durch  zahlreiche  vertiefte  Öl- 
drüsen punktiert,  innen  weiss,  schwammig.  —  Geschmack  bitter; 
Geruch  schwach. 

Bestandteile:    äther.   Öl,  Bitterstoff. 

Anwendung:  Als  Geschmackscorrigens  beim  Zittmannschen 
Dekokt.   Aus  der  frischen  Schale  wird  in  Italien  Ol.  Citri  gepresst. 


—     603     — 

Cortex  fructus  Juglandis,  grüne  Walnuss-Schale. 

Juglans    regia.    (Juglancleae).  —  Europa. 

Die  Fleischschicht  der  reifen  Walnuss ,  aussen  grün,  innen 
weisslich,  etwas  schwammig,  die  Haut  bräunend.  —  Geschmack  säuer- 
lich, bitter,  herbe;  Geruch  gewürzig. 

Bestandteile:  Farbstoff,  Salze. 

Anwendung:  frisch  zu  Extractum  nucum  Juglandis. 

D.   Fruchtmus. 
Pulpa  Tamarindorum,  Tamarindenmus. 

Tamarindus  Indica.  (Caesalpiniaceae).  —  Ostiadien. 

Ein  braunschwarzes,  mit  papierartigen  Querwänden  und 
kastanienbraunen,  glänzenden,  harten,  vierkantigen  Samen  unter- 
mischtes Fruchtmus,  von  einer  krusten artigen  Fruchtschale 
eingeschlossen,  welche  entfernt  wird.  —  Geschmack  sauer,  etwas 
herbe;  Geruch  weinig. 

Handelssorten:  1 .  Die  ostindischen  Tamarinden,  die  beste 
und  ofüzmelle  Sorte,  von  dunkler  Farbe  und  stark  saurem  Ge- 
schmacke.  —  Zu  verwerfen  sind:  2.  Die  egyp tischen  Tama- 
rinden, in  braunen,  flachen  Kuchen;  3.  die  westindischen 
Tamarinden,  schmierig,  hellbraun,  weiss,  mit  Zucker  versetzt  und 
dadurch  oft  in  Gährung  begriffen. 

Verunreinigung:  mit  Kupfer.  Man  weicht  das  Mus  in  Wasser 
auf,  eine  blanke  Eisenklinge  darf  darin  nicht  kupferrot  werden. 

Bestandteile:    Zucker,  Citronensäure,  Weinstein. 

Anwendung:  Als  kühlendes  und  schwach  abführendes  Mittel, 
gereinigt  als  Pulpa  Tamarindorum  depurata,  zu  Electuarium 
e  Senna  und  Serum  Lactis  tamarindin atum. 

Schlüssel  zum  Bestimmen  der  offlzinellen  Früchte. 

(Einschliesslich  der  frisch  gebrauchten.) 

I.  Fruchtstände. 

Fleischfrucht,  härtlicbe  Früchtchen  einschliessend     Caricae. 
IL  Aus  einer  einzigen  Blüte  hervorgegangene  Früchte. 
A.  Einsamige,  samenähnliche  Karpelle. 

1.  Frucht  nüsschenartig ,  grünlich,  glänzend  .     Fr.  Cannabis. 

2.  Frucht   in  2  Teilfrüchte  zerfallend,  rippig. 

a)  Frucht    länglich,  etwa  4  mm    lang. 

a)  Frucht  scbarfrippig,  grünlichbräunlich     Fr.  Foeniculi, 
ß)  Frucht  braun,  mit  helleren  Rippen  .     Fr.  Carvi. 
y)  Frucht     braun ,      stumpfrippig ,     zu- 
sammenhaltend      Fr.  Phellandrii. 

b)  Frucht   einförmig,  bis  2  mm    lang. 

a)  Frucht  grün,  mit   helleren  Rippen     .     Fr.  Petroselini. 
ß)  Frucht  grau,  flaumig,  stumpfrippig     .     Fr.  Anisi  vulg. 

c)  Frucht  kugelig,  hohl,  stumpfrippig  gelb     Fr.  Coriandri. 


—     604     — 

B.  Einsamige  Früchte  mit  fleischiger  Aussenschale. 

1.  Einfache  Frucht  (Steinfrucht). 

a)  Frucht  kugelig,  erbsengross,  netzigrunzlig, 
gestielt Cubebae. 

b)  Frucht  oval,  braun,  glänzend,  runzlig    .     Fr.  Lauri. 

2.  Zusammengesetzte  Frucht,  aus  sternförmig 

gruppierten  Karpellen Fr.  Anist  stellatL 

C.  Mehrsamige  Früchte. 

1.  Schotenartige  (hülsenartige)  Früchte. 

a)  Flach  vierkantige,  glänzendbraune,  etwas 

fleischige  Hülsen Fr.  Ceratoniae. 

b)  Dreiseitig,  lang  und  schmal,  dunkelbraun     Fr.    Vanittae. 

2.  Ovale  oder  kugelige  Kapseln. 

a)  Kugelig,  blaugrün  mit   strahliger  Narbe     Fr.  Papaveris. 

b)  Oval,  strohgelb,  gestreift,  dreikantig     .     Fr.  Cardamomi. 

c)  Eiförmig,  bräunlich,  aus  3  oben  klaffen- 
den Karpellen  bestehend Fr.  Sabadillae, 

3.  Beeren  oder  fleischige  Früchte. 

a)  Trockene  Beeren. 

a)  Kirschgross,  hart,  dunkelgrün    .     .     .  Fr.    Aurantii  immat. 

ß)  Apfelgross,  geschält,  innen  schwammig  Fr.  Colocynthidis . 

y)  Kegelig,  glänzendbraunrot Fr.  Capsici. 

b)  Fleischige  oder  kugelige  Beeren. 

a)  Mit  der  Kelcbnarbe  gekrönt,  rot- 
saftig      Fr.  Myrtilli. 

ß)  An  der  Spitze  dreihöckerig,  dreisamig, 

gewürzig Fr.  Juniperi. 

y)  Am  Grunde  mit  kreisförmiger  Scheibe, 

4 steinig,  violettsaftig Fr.  Rhamni.  cath. 


11.  Die  offizinellen  Samen  (Semina). 

A.  Eüveisshaltige  Samen. 
Sie  enthalten  neben  oder  in  dem  Eiweisskörper  einen  kleinen  Keim. 

a)  Feingrubige  Samen. 
Semen  Colchici,  Zeitlosensamen. 

Colchicum  autumnale.  (Colchicaceae).  —  Europa. 

Fast  kugelige,  kleine,  sehr  harte,  dunkelbraune,  feingrubigeT 
innen  weissliche  Samen,  deutlich  bespitzelt,  etwas  klebrig,  aber 
nach  längerer  Aufbewahrung  beim  Zusammendrücken  in  der  Hand 
nicht  mehr  aufeinanderhaftend.   —  Geschmack  unangenehm  bitter. 

Bestandteile:    Colchicin,  fettes  Öl. 

Anwendung:  Ein  narkotisches  Mittel  gegen  Rheumatismus; 
zu  Acetum,  Yinum,  Tinctura  Colchici. 

Semen  Papaveris,  Mohnsamen. 
Papaver  somniferum.  (Papaveraceae).  —  Europa. 


—     605 


Kleine,  nierenförmige,  feingrubige,  weissliche 
Samen,  von  süss-öligem  Geschmack. 

Bestandteile:    fettes  Ol,  Gummi. 

Anwendung:  Zu  Emulsionen. 
Semen  Hyoscyami,  Bilsensamen. 

Hyoscyamus  niger.  (Solanaceae).  —  Europa. 

Kleine,  flache,  fast  nierenförmige,  feingrubige,  bräunliche 
Samen,  von  bitterem,  öligem  Geschmack. 

Bestandteile:  fettes  Öl,  Hyoscyamin. 

Semen  Stramonii.  Stechapfelsamen. 
Datura   Stramonium.  (Solanaceae).  —  Europa. 
Flache,  nierenförmige,  feingrubige,  schwarze,  innen  weisse 
Samen,  von  widerlich,  bitterlichem  Geschmack. 
Bestandteile:  fettes  Öl,  Daturin. 
Anwendung:  wie  Stechapfelblätter,  zu  Tinktur. 

b)  Glatte,  glänzende  Samen. 

Semen  Lini,  Leinsamen. 

Linum  usitatissimum.  (Lineae).  —  Europa. 

Eiförmige,  flache,  glänzende,  kastanienbraune 
Samen,  welche  im  Wasser  schlüpfrig  werden  und  Schleim  abgeben. 
—  Geschmack  ölig,  schleimig. 

Beimischung:  Die  Spelzenfrüchte  von  Lolium  arvense  (Un- 
kraut in  den  Leinfeldern)  sind  zu  entfernen. 

Bestandteile:  .fettes  Öl  (im  Kern),  Schleim   (in  der  Schale). 

Anwendung:  Ausserlich  zu  erweichenden  Umschlägen. 

c)  Behaarte  Samen. 

Semen  Strychni  (Nuces 
vomicae),  Strychnossamen  (Krä- 
henaugen). 

Strychnos  Nux  vomica. 
(Strychnaceae).  —  Ostindien. 

Elache,       scheibenför- 
mige, kreisrunde,  zollbreite 
Samen,  mit  centralem  Nabel  und 
sehr  dichter,  seidenartiger, 
kurz  angedrückter  und  nach  dem 
Mittelpunkt  gerichteter,  gelb- 
lich   grauer    Behaarung;  Fig.  532. 
von    hornartiger    Beschaffen-  A  Sem.  Strychni;  B  im  Längsschnitt; 
heit,  innen  weiss  und  mit  einer                  c  ü*  Querschnitt, 
grossen  Spalte.  (Fig.  532.)  —  Geschmack  höchst  bitter. 

Bestandteile:    Strychnin  und  Brucin,  Igasursäure. 

Anwendung:  In  kleinen  Gaben  als  Bittermittel  zu  Extrakt 
und  Tinktur ;  in  grösseren  Mengen  Starrkrampfund  Tod  hervorrufend. 


-     606 


B.  Ehveisslose  Samen. 
Der  Samenkern  besteht  nur  aus  dem  Keim,   mit  fleischigen  Samenlappen, 

a)    Über  lKcm  grosse  Samen. 

Amygdalae  dulces,  süsse  Mandeln. 

Amygdalus  communis  a)  dulcis.  (Amygdaleae).  — 
Südeuropa. 

Eilängliche,  etwas  flache,  braungelbliche,  glanzlose 
Samen ,  mit  weissem ,  ölig-fleischigem ,  aus  zwei  grossen  Samen- 
lappen bestehendem  Kerne,  dessen  Geschmack  süss  ölig  ist. 
Mit  Wasser  zerrieben  geruchlos. 

Bestandteile:   Fettes  Öl  (45— 55°/0)   Emulsin,  Zucker. 

Anwendung:  Zu  Emulsionen  ;  zu  Oleum  und  Syrupus  Amygd. 

Amygdalae  amarae,  bittere  Mandeln. 

Amygdalus  communis  ß)  amara.  (Amygdaleae).  — 
Südeuropa. 

Den  süssen  Mandeln  völlig  ähnlich,  aber  von  bitterem  Ge- 
schmack und,  mit  Wasser  zerrieben,  nach  Bittermandelöl  riechend. 

Bestandteile:    Fettes  Öl  (30  —  40%)  Emulsin,   Amygdalin. 

Anwendung:  Als  Zusatz  zu  Mandelemulsionen;  zu  Aqua 
Amygd.  amar. 

Faba  Calabarica,  Calabarbone. 
Physostigma    venenosum   (Papili- 
onaceae).  —  Westküste  Afrikas. 

Längliche,  schwach  nierenförmige,  etwas 
flache,  grosse,  braune,  etwas  glän- 
zende, körnig  runzelige  Samen,  einer- 
seits mit  einer  tiefen,  randständigen 
Längsfurche  (Nabelstreifen)  versehen -r 
zwei  weissliche,  ovale  Samenlappen  ber- 
gend    (Fig.  533.)   Geschmack  fade. 

Be  standteile :  Physostigmin  (Eserin). 
"  "  Anwendung:  als  verengernd  wirkend 

Fig.  533.  auf  die  Pupille,  Gegengift  gegen  Belladonna 

Calabarbohne,  A  von  der  Seite   und  Atropin. 
u.  B  vom  Rande  gesehen. 


b)  Samen  von  1/s — 1/2  cm  Grösse., 

Semen  Faeni  Graeci,  Bockshornsamen. 
Trigonella  Faenum  Graecum  (Papilionaceae).  —  Europa. 
Vierkantige,   rautenförmige,  gelbbräunliche,  sehr  harte 
Samen,  mit  hakig  gekrümmtem  Keime,  dessen  Würzelchen 


—     6G7     - 

ausserlich    deutlich   hervortritt.    —   Geschmack   bitter,  schleimig; 
Geruch  nach  Honigklee  (Melilotus). 

Bestandteile:    Schleim,  äther.  Öl,  Bitterstoff,  Gerbsäure. 

Anwendung:  Zu  Viehpulvern,  namentlich  für  Schafe. 

Semen  Cydoniae,  Quittensamen. 

Cydonia  vulgaris.  (Pomaceae).  —  Europa. 

Keilförmige,  flache  oder  kantige,  kastanienbraune,  glanzlose 
Samen,  welche  im  Wasser  stark  aufquellen  und  dasselbe  schleimig 
machen.  Sie  kleben  meist  zu  mehreren  zusammen.  —  Geschmack 
fade,  etwas  nach  bitteren  Mandeln. 

Verwechslungen:  Apfel-  und  Birnsamen  sind  glänzend,  nicht  zu- 
sammenklebend. 

Bestandteile:  Schleim.  . 

Anwendung:  zu  Mucilago,  Cydoniae. 

c)    Winzig  kleine  Samen. 

Semen  Sinapis,  schwarzer  Senf. 

Brassica  nigra.  (Sinapis  nigra)  (Cruciferae).  —  Europa. 

Winzige,  kugelige,  feingrubige,  dunkelbraun- 
rote, innen  gelbe  Samen,  welche  ein  gelbgrünes  Pulver 
geben  und  gekaut  anfänglich  bitterölig,  darauf  brennend  scharf 
schmecken.  Geruch  des  Samens  erst  beim  Anrühren  mit 
Wasser  scharf. 

Verwechslungen:  Die  Rübsamen  (von  Brassica  Rapa  und 
Br.  Napus),  wie  auch  die  Samen  der  schwarzsamigen  Varietät  des 
weissen  Senfes  (Sinapis  alba),  unterscheiden  sich  durch  be- 
deutendere Grösse  und  Glätte.  Auch  entwickeln  sie  mit  Wasser 
kein  Senföl;  ihr  scharfer  Geschmack  rührt  von  Sinapin  her. 

Bestandteile:    Myronsaures  Kali,  Myrosin,  fettes  Öl. 

Anwendung:  Zur  Hautreizung  als  Sinapismus  (Senfteig)  und 
Senfpapier;  zu  Oleum  Sinapis  und  Spiritus  Sinapis. 

C.  Samenkerne  und  Samenmantel. 
Semen  Myristicae  (Nuces  moschatae),  Muskatnuss. 

Myristica  fragrans.  (Myristicaceae).  —  Ostindien. 

Ovale,  aussen  netzig  runzlige,  weissbestäubte,  innen 
blassbräunliche  Samenkerne,  deren  bräunlicher  Eiweisskörper  von 
der  dunkel  pomeranzengelben,  dünnhäutigen,  inneren  Samenhaut 
unregelmässig  durchsetzt  ist,  sodass  er  auf  dem  Querschnitte 
heller  und  dunkler  braun  marmoriert  erscheint.  —  Geschmack 
und  Geruch  stark  gewürzig. 

Verwechslungen:  Die  längeren  und  grösseren  sog.  männ- 
lichen oder  wilden  Muskatnüsse  (von  Myristica  fatua  auf  der 
Insel  Bourbon)  sind  im  Aroma  schwächer. 


—     608     — 

Bestandteile:  Fettes  und  äther.  Öl. 

Anwendung:  Als  Gewürz  und  zu  Oleum  Nucistae,  das 
man  in  Ostindien  auspresst  und  in  viereckigen,  von  Pisangblättern 
umwickelten  Stücken  nach  Europa  bringt. 

Macis,  Muskatblüte. 

Der  Samenmantel  der  Muskatnuss. 

Eine  eiförmige,  am  Grunde  verwachsene  und  mit  einem  Loch 
versehene,  nach  oben  zerschlitzte,  vielgestaltige  Hülle, 
welche  den  Samen  mantelförmig  umschliesst ;  pomeranzengelb, 
fettglänzend,  hornartig  zerbrechlich,  dünn.  — Geschmack 
und  Geruch  gewürzig. 

Bestandteile:  Jettes  und  äther.  Öl. 

Anwendung:  Als  Gewürz,  zu  Oleum  Macidis,  das  in 
Ostindien  destilliert  wird. 

Semen  Quercus  (Glandes  Quercus),  Eicheln. 

Quercus  pedunculata  und  Qu.  sessiliflor a.  (Cupuliferae).  — 
Europa. 

Der  aus  der  pergamentartigen  Fruchtschale  herausgenommene  Samen- 
kern, aus  zwei  grossen,  plankonvexen,  hellbraunen,  fleischigen  Samen- 
lappen mit  kleinem  Keimling  bestehend.  —  Geschmack  zusammenziehend. 

Bestandteile:  Gerbsäure. 

Anwendung:  zu  Sem.  Quercus  tostum  (Eichelkaffee). 

Schlüssel  zum  Bestimmen  der  offlcinellen  Samen. 

A.  Winzig  kleine  Samen,  nur  1  mm  messend 

a)  Kugelig,  braunrot Sem.  Sinapis. 

b)  Flach,  nierenförmig,  feingrubig, 

a)  Weisslich,  süss Sem.  Papaveris. 

ß)  Graubräunlich,  bitter Sem.  Hyoscyamis. 

B.  Mittelgrosse  Samen,  2 — 6  mm  messend. 

a)  Braun. 

a)  Kugelig  bespitzelt Sem.  Colchici. 

ß)  Keilförmig,  kantig Sem.  Cydoniae. 

y)  Flach,  glänzend Sem.  Lini. 

b)  Gelb,  vierkantig Sem.  Faeni  Graeci. 

c)  Schwarz,  flach  nierenförmig Sem.  Stramonii. 

C.  Grössere  Samen,  2 — 4  cm  messend. 

a)  Flach,  oval,  glanzlos  braun. 

°0  Süss * Amygdalae  clulces. 

ß)  Bitter Amygdalae  amarae. 

b)  Flach,  kreisrund,  grauseidenhaarig     .     .     .     Sem.  Stryehni. 

c)  Oval  oder  länglich,  nicht  flach. 

a)  Braun,  glänzend,  körnig ,  runzlig ,  einer- 
seits am  Rande  rinnig Faba  Caldbarica. 

ß)  Weiss  bestäubt,  netzigaderig      ....     Sem.  Myristicae. 


609 


12.  Offizinelle  kryptogamische  Gewächse. 

A.  Blattarüge  Trieblager. 

Liehen  Islandicus,  Isländisches  Moos. 

Cetraria  Islandica.  (Lichenes).  —  Nordeuropa. 

Ein  blattartiges,  zerschlitztes,  am  Rande  franziges,  schwach 
rinnen  förmiges  Trieblager,  mit  brauner,  glänzender 
Oberfläche,  blasser  und  grubiger  Unterfläche,  im  trocknen 
Zustande  starr  und  zerbrechlich,  feucht  zähe  und  weichlederig. 
Mit  Wasser  gekocht  liefert  es  beim  Erkalten  eine  Gallerte.  — 
Geschmack  bitter,  schleimig. 

Bestandteile:  In  der  Markschicht  Pflanzengallerte  (sog.  Flech- 
ten stärke  oder  Lichinin),  in  der  Rinden  schiebt  Cetrarsäure  (bitter). 

Anwendung:    Gegen  Brustleiden  als  Gallerte 

Liehen  Islandicus  ab  amaritie  liberatus  ist  das 
durch  Mazeration  mit  kohlensaurer  Kalilösung  von  der  bitteren 
,Cetrarsäure  befreite  isländische  Moos. 

B.  Stengelige  Trieblager. 
Carrageen,  Irländisches  Moos. 

Chondrus  crispus  und  Gigartina  mammillosa.  (Algae). 
—  Küsten  des  atlantischen  Ozeans. 

Ein  gabelästiges  Trieblager,  mit  linealen  oder  keil- 
förmigen Zipfeln,  im  trocknen  Zustande  knorpelig,  gelb- 
lichweiss,  im  Feuchten  aufquellend  und  erweichend,  mit  Wasser 
gekocht  beim  Erkalten  gelatinierend.  Das  Lager  der  letztgenannten 
Art  ist  rinnig,  das  der  ersteren  flach.  —  Geschmack  schleimig, 
etwas  salzig. 

Bestandteile:   Gallerte  (die  Zellwände  bildend). 

Anwendung:  Als  Gallerte  (Gelatina  Carrageen)  gegen  Darm- 
katarrh und  Lungenschwindsucht. 

Lamlnaria,  Riementang. 

Laminaria  Cloustoni.  (Algae).   —  Meeresgestade. 

Sehr  lange,  fingerdicke,  stielrunde,  grob  gefurchte 
und  runzlige,  braune  Stengel,  von  hörn  artiger,  kaum  elasti- 
scher Beschaffenheit ,  in  Wasser  bis  zum  Vierfachen  aufquellend 
und  grün  werdend.  In  den  tieferen  Furchen  oft  mit  weissem 
Seesalz  überzogen. 

Bestandteile:    Gallerte  (die  Zellwände  bildend). 

Anwendung:  Mechanisch  als  Sonde,  zum  Verstopfen  oder 
Erweitern  von  Öffnungen  und  Kanälen  des  Körpers. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  39 


610 


G.  Pilzlager. 
Secale  cornutum,  Mutterkorn. 
Claviceps  purpurea*).  (Fungi).  —  Europa. 
Stumpf  dreikantige,  2 — 3  cm  lange,  etwas  gekrümmfe, 
matt    schwarzviolette,    innen    weissliche    Körper.      An    der 
Spitze  befindet   sich   ein   weiches ,    schmutzig  weisses  Anhängsel 
{sog.  Mütze) ,    welches  aber  meist    abgefallen  ist.   —    Geschmack 
schwach,  unangenehm;  Geruch  eigentümlich. 

Man  bewahrt  es,  wegen  Eanzig- 
werden  des  Öles,  in  Blech  oder  Glas- 
gefässen  auf  und  sammelt  es,  wenn 
möglich,  alljährlich  frisch.  Das  Pulver 
wird  mittelst  Äther  entölt,  wobei  es  ca. 
30°/0  an  Gewicht  verliert. 

Bestandteile:  Ergotin  und  Ecbolin 
(zwei  Alkaloide) ,  Sclerotinsäure,  Zucker 
(sog.  Muköse),  fettes  Öl  (V3  Teil). 

Anwendung:  Gegen  Blutungen,  zur 
Verstärkung  der  Wehen,  als  Extrakt  und 
Tinktur. 

Fungus    Laricis    (Agaricum) ,   Lärchen- 

schwamm. 

ig.  5o4. .  Polyporus    officinalis.    (Fungi).  — 

m  -i  -i      <?g'  Lan^1.s-  Europa,  an  Lärchenbäumen  sitzend.  (Fig.  534.) 

a  Teil  der  Sporenschicht,  vgr.  Schwammig-faseriges,     leichtes, 

gelblichweisses,  zerreibliches  Gewebe  des  geschälten  und  der  Sporen- 
schicht beraubten  Hutes.  ■ —  Geschmack  süsslich,  dann  bitterlich. 
Bestandteile:  Harz  ('/3  Teil),  Fruchtsäuren. 
Anwendung:  Als  drastisch  purgierendes  Mittel. 

Fungus  Chirurgorum,  Wundschwanmi. 

Polyporus  fomentarius.  (Fungi).  —  Europa  (Böhmen, 
Ungarn). 

Eostbraune,  weich  faserige,  lederig-zähe  Stücke,  ohne 
Geschmack  und  Geruch.  Sie  werden  zur  Bereitung  von  Zunder 
gesammelt,  weich  geklopft  und  häufig  noch  mit  Salpeterlösung 
getränkt.  (Salpeterhaltiger  Feuerschwamm  sprüht  beim  Anzünden ; 
er  ist  mit  Wasser  auszuwaschen  und  zu  trocknen.) 

Anwendung:  Zum  Blutstillen. 


*)  Die  Lebensgeschichte  dieses  Pilzes  s.  §  413. 


—     611 


III.  Zellige  Pflanzengebilde, 
deren  morphologische  Bedeutung  schwer  zu  erkennen  ist. 

A.  Ausivüchse  des  Pflanzenkörpers. 
Gallae,  Galläpfel. 

Quercus  Lusitanica,  ß)  infectoria.  (Cupuliferae).  — 
Kleinasien. 

Kugelige,  warzig-stachelige  Gebilde,  welche  an  den 
Blattknospen  durch  den  Stich  einer  Gallwespe  (Cynips  Gallae 
tinctoriae)  als  Auswüchse  hervortreten  ,  in  ihrem  Innern  die  Eier 
der  Wespe  bergend;-  später  verlassen  deren  Larven  die  Galläpfel 
durch  ein  Loch,  das  sie  sich  bohren. 

Sie  sind  je  nach  ihrem  Alter  entweder  graugrün,  schwer, 
hart  und  ohne  Loch,  oder  rötlichgelb,  leichter  und  mit  einem 
Loch  (Flugloch  des  Insekts)  versehen.  —  Geschmack  stark 
herbe;  Geruch  fehlt. 

Verwechslung:  Die  deuts ch en,  istrischen  und  griechi- 
schen Galläpfel  sind  heller,  leichter,  ohne  Höcker  und  ärmer  an 
Gerbsäure. 

Bestandteile:    Gallusgerbsäiire  (bis  65%),  etwas  Gallussäure. 

Anwendung:  Als  adstringierendes  Mittel,  technisch  zur 
schwarzen  Tinte. 

B.  Mikroskopische  Körnchen. 
a)  Sporen. 
lycopodium,  Bärlappsamen. 

Lycopodium  clavatum.  (Lycopodiaceae).  —  Europa. 

Sehr  kleine,  unter  dem  Mikroskop  einer  dreisei tigen  Py- 
ramide mit  gewölbter  Grundfläche  ähnelnde,  netzig 
gerippte  Körnchen  (Fig.  535),  welche  ein  höchstfeines" 
leichtbew  egliches,  hellgelbes,  geruch-  und  geschmackloses 
Pulver  bilden,  auf  dem  "Wasser  schwimmen,  sich  nur  schwierig 
davon  benetzen  lassen  und,  in  eine  Flamme  geblasen,  prasselnd, 
aber  ohne  Rauch  verbrennen.  —  Man  sammelt  sie  im  Spätsommer 
durch  Ausklopfen  der  Fruchtähren. 


Fig.  535.  Fig.  586.  Fig.  537. 

Lycopodium  vergr.  Kiefer-Pollen.  Haselnuss -Pollen. 

Verfälschungen:    1.  Der  Blütenstaub  der  Kiefer  ist  grün- 
lichgelb ,  klümpert  sich  leicht  und  riecht  beim  Reiben  terpentin- 

39* 


612 


artig;  seine  Körner  (Fig.  536)  bestehen  aus  zwei,  durch  ein  breites 
Band  verbundenen  Knöpfchen.  2.  Der  Blütenstaub  der 
Ha«elnuss  (Fig.  537)  zeigt  rundliche  Körner  mit  mehreren 
zitzenförmigen  Hervorragungen.  3.  Stärkemehl  und  Erbsen- 
mehl entbehren  der  netzig  runzeligen  Oberfläche  und  nehmen 
auf  Zusatz  von  etwas  Jodtinktur  blaue  Färbung  an.  4.  Sand, 
Schwefel,  Grips  und  dergl.  setzen  sich  beim  Schütteln  mit  Wasser 
oder  Chloroform  zu  Boden,  während  der  Bärlappsamen  schwimmt. 

Bestandteile:    Fettes  Öl,  Pollenin  (90°/0). 

Anwendung:  Zum  Bestreuen  wunder  Hautflächen,  innerlich 
in  Emulsion  gegen  Blasenkatarrh. 

b)  Drüsen. 

Glandulae  Lupuli,  Hopfenmehl,  Lupulin. 
Humulus  Lupulus.  (Urticaceae).   —  Europa. 
Winzige  Drüsen,  welche  auf  der  Bückseite  der  Deckblättchen 
des  Hopfen-Kätzchens  sitzen;  sie  stellen  ein  etwas  harziges,  gold- 
gelbes,   später    bräunlich   werdendes  Pulver  dar  und  er- 
scheinen unter  dem  Mikroskop  von  der  Seite  als 
kreiseiförmige,  vom  Scheitel  als  halbkugelige,  von 
unten  oft  als  eingestülpte  Zellen ,  die  mit  einem 
citronengelben   Balsam   erfüllt   sind.     (Fig.  538.) 
—     Geschmack    bitter,     Geruch    gewürzig. 
Bei  längerer  Aufbewahrung  verharzen  sie,  werden 
bräunlich  und  riechen  käseartig;  sie  sind  deshalb  nicht  über  ein 
Jahr  und  vor  Licht  geschützt  aufzubewahren. 
Bestandteile:    äther.  Öl,  Bitterstoff,  Harz. 
Anwendung:  Bei  Blasenleiden,  Neuralgien  u.  a. 

Kamala,  Kamala. 
Mallotus    Philippensis    (Rottlera    tinctoria)    (Eu- 
phorbiaceae).  —  Ostindien. 

Ein  schwach  harziges,  ge- 
ruch-  und  geschmackloses,  zie- 
g  e_lrotes  Pul  ver  aus  winzigen 
Drüsen ,  welche  auf  der  Frucht 
der  Pflanze  sitzen  und  unter 
dem  Mikroskop  als  rundliche, 
einerseits  etwas  abgeflachte  Zellen 
(Fig.  539  a)  erscheinen,  die  innen 
viele,  von  der  Anheftungsstelle 
aus  divergierende,  keulige,  bal- 
samführende Bläschen  bergen. 
Meist  finden  sich  leichte  gelbe 
Sternhaare    (b )    beigemischt, 


Fig.  538. 
Lupulin  vergr. 


Fig.  539.  Kamala. 
a  Drüsen,  b  Stembaare  vergr. 


—    613    — 

auch  oft  grössere  Mengen  eines  roten  Sandes;  derselbe  sondert 
sich  beim  Vermischen  mit  Wasser  von  der  auf  diesem  schwim- 
menden Kamala. 

Bestandteile:    harziger  Farbstoff,  Rottlerin. 

Anwendung:  Als  bandwurmtreibendes,  zugleich  abführendes 
Mittel. 

c)  Stärkemehlkörper. 

Amyium  Tritici,  Weizenstärke. 

Triticum  vulgare.  (Gratnineae).   —  Europa. 

Unregelmässige,  kantige,  weisse,  glanzlose  Stücke, 
welche  beim  Zerreiben  ein  bläulichweisses,    /%^\g/]Ä\ 
geruch-  und  geschmackloses  Pulver  liefern  0m^Qß(i^ 
und    unter    dem    Mikroskope    als   flache,  ^^ 
runde    Scheibchen    von    sehr    ver-  Fig.  540. 

schiedener  Grösse  erscheinen,  an  Weizenstärke  vergr. 
denen  kaum  eine  Schichtung  wahrgenommen  werden  kann. 
(Fig.  540.)  Mit  100  Teilen  kochenden  Wassers  giebt  die  Stärke 
einen  dünnen  Kleister,  der  durch  Jodlösung  gebläut  wird. 
—  Man  gewinnt  sie  aus  dem  Mehle  des  Samenkorns  durch  Ab- 
schlämmen mit  Wasser. 

Verwechslung:  Die  Kar tof fels t ärk e  (Fig.  544)  besteht  aus 
eiförmigen,  konzentrisch  geschichteten  Körnchen  mit  excentrischem 
Mittelpunkt;  sie  giebt  mit  10  Teilen  verdünnter  Salzsäure  eine 
nach  frischen  Bohnenhülsen  riechende  Gallerte. 

Anwendung:  Als  Streupulver  auf  wunde  Hautstellen,  zu 
Klystier  u.  a. 

Amyium  Marantae,  Arrow-root. 

Maranta    arundinacea.  (Marantaceae).  —  Westindien. 

Ein  feines,  glanzloses,  r einweisses  Pulver,  ohne  Geruch  und  Ge- 
schmack, unlöslich  in  kaltem  Wasser,  wie  in  Weingeist,  mit  100  Teilen 
kochenden  Wassers  einen  dünnen  ,  klaren  Kleister  bildend ,  der  durch 
Jodlösung  gebläuet  wird.  Unter  dem  Mikroskop  erscheinen  die  Körn- 
chen oval  oder  eiförmig,  mit  konzentrischen  Schichten  und  an 
der  breiteren  Seite  mit  einer  kleinen  Querspalte  oder  einem  Punkte 
versehen.  (Fig.  541.)  Man  gewinnt  dieses  Stärkemehl  aus  dem  Marke 
des  Wurzelstocks  durch  Abschlämmen  mit  Wasser. 

Verwechslungen:  1.  Die  Curcumastärke,  sogen.  Tikmehl  (von 
Curcuma  leucorrhiza  und  C.  angustifolia)  aus  Ostindien,  besteht  aus  flachen, 
eiförmigen,  einerseits  spitzen  Körnchen,  mit  zahlreichen,  konzen- 
trischen Schichten  und  einem  am  spitzen  Ende  gelegenen  excen> 
trischen  Punkte.  (Fig.  542.)  2.  Die  Tapioka-  oder  Cassava-Stärke 
(von  Manihot  utilissima),  aus  Brasilien,  besteht  aus  zusammenhängenden 
Körnchen,  die  beim  Trocknen  sich  trennen  und  paukenförmig  (einerseits 
kugelig ,  andrerseits  flach)  erscheinen ,  mit  konzentrischen  Schichten  und 
einem  centralen  Punkte.  (Fig.  543.)  3.  Die  Kartoffelstärke  besteht 
aus  eiförmigen  Körnchen  mit  konzentrischen  Schichten  und  einem 
excentrischen  Punkte  nach  dem  schmäleren  Ende  hin.     (Fig.  544.) 


—     614 


Fig.  541. 
Marantastärke,  vergr. 


Fig.  542. 
Curcumastärke,  vergr. 


Fig.  543.  Fig.  544. 

Cassavastärke,  vergr.  Kartoffelstärke,  vergr. 

Schüttelt  man  das  Arrow-root  mit  10  Teilen  verdünnter  Salzsäure,  so 
scheidet  sie  sich  wieder  grösstenteils  unverändert  ab;  Weizenstärke  und 
Kartoffelstärke  geben  damit  eine  Gallerte,  die  bei  letzterer  nach  frischen 
Bohnen  riecht. 

Anwendung:  zur  Nahrung  kleiner  Kinder. 

Schlüssel  zum  Bestimmen  der  mikroskopischen  Pflanzengebilde. 

A.  Pulver  weiss,  ohne  Geruch  und  Geschmack,  durch 
Jodlösung  blau  werdend. 

a)  Körnchen  eiförmig   oder  oval,  geschichtet     Amylum  Marantae. 

b)  Körnchen    scheibenförmig,   undeutlich  ge- 
schichtet   Amylum  Tritici. 

B.  Pulver  heller  oder  dunkler  gelb. 

a)  Geschmack  und  Geruch  fehlen     ....     Lycopodium. 

b)  Geschmack  und  Geruch  gewürzig     .     .     .     Gland.  Lupuli. 

C.  Pulver  ziegelrot,  geschmack-  und  geruchlos  .     .     .     Kamdia. 


IV.  Offizinelle  Pflanzenprodukte  ohne  zelligen  Bau. 

A.  Erhärtete  Sekrete  und  Milchsäfte. 

Produkte    der  Umbildung   grösserer  Zellpartien  (im  Baste   der  Gewächse), 
aus  Bissen  uud  Einschnitten  der  Rinde  fliessend  und  an  der  Luft  erhärtend. 

a)   Zuckerarten. 
In  Wasser  völlig  löslich  und  süss. 

Manna.  Manna. 

Fraxinus  Ornus.  (Oleaceae).  —  Italien. 

Handelssorten:      1.  Röhren-Manna(.Mflm»m  canellata seu  electa)1 


—     615     — 

dreikantige  oder  rinnige  Stücke,  welche  weisslich  oder 
gelblich,  trocken,  nur  wenig  klebrig  und  von  rein  süssem  Ge- 
schmacke  sind. 

2.  Gemeine  Manna  (Manna  Geracina  seu  communis),  zu- 
sam  menklebend  e,  w  eissliche  oder  bräunliche  Klumpen 
von  süssem,  schwachkratzendem  Geschmacke. 

3.  Die  (im  Oktober  gesammelte)  fette  Manna  (Manna  pinguis 
seu  de  Puglia),  eine  schmierige,  bräunliche,  verunreinigte  oder 
gährende  Masse  von  kratzendem  Geschmacke,  ist  zu  verwerfen. 

Bestandteile:    Mannit,  Zucker,  Gummi. 
Anwendung:  Als  mildes  Abführmittel,  zu  Syrupus  Mannae, 
und  Infus.  Sennae  comp. 

b)  Gummiarien. 
In  Wasser  zu  einem  Schleime  löslich. 

Gummi  arabicum,  arabisches  Gummi. 

Acacia  Senegal.  (Mimosaceae).  — Nordafrika  (am  oberen  Ml). 

Kugelige  Stücke,  welche  leicht  in  zahlreiche,  scharf- 
kantige, glas  glänzende  Stücke  zerbrechlich,  farblos  oder 
schwach  gelblich,  durchscheinend  und  von  muscheligem  Bruche 
sind.  Sie  lösen  sich  in  "Wasser  völlig  und  klar  auf.  Geschmack 
schleimig,  fade. 

Verwechslung:  Das  Senegalgummi  aus  Senegambien,  ist 
glanzlos,  in  Wasser  gallertig  löslich,  zerbricht  nicht  in  kleine 
Stückchen  und  schmeckt  sauer. 

Bestandteile:    Arabin,  an  Kalk  (3%)  gebunden. 

Anwendung:  Zu  Mucilago  Gummi  arabicum  (1  :  2),  Mixtura 
und  Pasta  gummosa,  Pulvis  und  Syrupus  gummosus. 

Tragacantha,  Tragant, 

Astragalu  s  verus  u.  a.  Arten  dieser  Gattung  (Papilio- 
naceae).  —  Kleinasien,  Armenien,  Persien. 

Handelssorten:  I.  Smyrnaer  Tragant  aus  Kleinasien, 
bald  flache,  rundliche,  spiralige  oder  halbmondförmige  Platten 
mit  verdickten,  konzentrischen  Schichten  —  sog.  Blät- 
tertragant (aus  Kleinasien);  bald  dünne,  schmale,  schnecken- 
förmig gewundene  Streifen  —  sog.  faden-  oder  wurm  förmig  er 
Tragant,  beide  von  weisser  oder  weisslicher  Farbe,  glanzlos^ 
schwach  durchscheinend. 

2.  Syrischer  und  persischer  Tragant,  in  knolligen  oder 
traubenförmigen  Stücken,  von  hellgelber  bis  rötlicher  Farbe  und 
etwas  glänzend.  Der  Tragant  besitzt  hornartige  Beschaffenheit, 
lässt  sich  schwierig  pulvern,  quillt  in  Wasser  langsam  auf,  ge- 
pulvert bildet  er  mit  50  Teilen  Wasser  einen  gallertigen  Schleim. 


—     616     — 

Verwechslungen:   Der  M orea-Tragant,  aus  Griechenland, 
ist  bräunlich  und  sehr  unrein. 
Bestandteile:   Bassorin. 
Anwendung:  Zu  Schleim  als  Bindemittel  für  Pillen,  Pastillen. 

c)  Gummiharze. 

Bestellend  aus  einem  harzigen,  in  Weingeist  löslichen,  und  einem 

gummiartigen,  in  Wasser  löslichen  Bestandteile;  in  Weingeist  nur  teilweise 

löslich,  mit  Wasser  eine  Emulsion  gebend. 

a)  Aus  der  Familie  der   Umbelliferen. 
Ammoniacum,  Ammoniakgummi. 

Doremaimmouia  cu  m.  (Umbelliferae.)  —  Persien ,  Turkestan. 

K,  un  d  lieh  e  ,  erbsen-  bis  walnussgrosse  Körner  {A.  in  granis) 
oder  eine  bräunliche  Masse,  in  welcher  derartige  Körner 
eingebettet  liegen  (A.  in  mussis);  gelb  bis  bräunlich,  auf 
dem  muscheligen  Bruche  o  pal  artig  milch  weiss  fettglänzend  ; 
kalt  spröde,  in  der  Handwärme  erweichend.  —  Geschmack  bitter, 
kratzend;  Geruch  eigentümlich. 

Zu  Ammoniacum  d  e  p  u  r  a  t  u  m  wird  es  entweder  der 
Prostkälte  ausgesetzt  oder  über  Kalk  ausgetrocknet,  dann  gepulvert 
und  gesiebt. 

Bestandteile:    äther.   Öl,  Harz,  Gummü 

Anwendung:  Äusserlich  als  zerteilendes  Mittel,  zu  Emplas- 
trum  Ammoniaci  und  anderen  Pflastern. 

Galbanum,  Mutterharz. 
F e r u  1  a  galbaniflua  und  F.  r u b r i c a u  1  i s.  (Umbelliferae.) 

—  Persien. 

Erbsen-  bis haselnussgrosse,  rötlich-  oder  bräunlichgelbe 
Körner  {Gr.  in  granis),  oder  grünliche  bis  b las s braune 
Massen,  in  denen  solche  Körper  eingebettet  liegen  (Cr.  in 
massis);  auf  dem  muscheligen  Bruche  opalartig  gelblich,  fett- 
glänzend. In  der  Kälte  spröde,  in  der  Handwärme  erweichend, 
klebrig.  Übergiesst  man  das  Gummiharz  mit  Salzsäure,  so  färbt 
sich  dieselbe  allmählich  rot;  mit  "Wasser  übergössen  und  mit  einem 
Tropfen  Ätzammoniak  versetzt,  erzeugt  es  ein  bläuliches  Schillern. 

—  Geschmack  bitter,  brennend;  Geruch  balsamisch. 

Zu  Galbanum  d  epuratum  wird  es  entweder  der  Frostkälte 
ausgesetzt  oder  über  Kalk  ausgetrocknet,  dann  gepulvert  und  gesiebt. 

Bestandteile:    äther.  Öl,  Harz,  Gummi. 

Anwendung:  Zu  Emplastrum  Galbani  crocatum  und  anderen 
Pflastern. 

Äsa  foetida,  Stinkasant,  Teufelsdreck. 
Ferula    Scorodosma  und  Ferula  N arthex.  (Umbelli- 
ferae.) —  Persien  und  Afghanistan. 


—     (517     — 

Das  aus  der  Wurzel  quellende  Gummiharz  kommt  teils  als 
rundliche,  haselnussgrosse  Körner  (A.  f.  in  granis),  teils  als 
bräunliche  Massen,  in  denen  solche  Körner  eingebettet 
liegen  {A.  f.  in  massis)  zu  uns;  auf  frischem  Bruche  opalartig 
weisslich,  fettglänzend,  bald  purpurrötlich  anlaufend, 
schliesslich  braun.  Kalt  spröde,  in  der  Handwarme  erweichend 
und  klebrig.  —  Geschmack  bitterlich,  Geruch  widrig,  knoblauch- 
ähnlich. 

Zu  Asa  foetida  depurata  wird  es  entweder  der  Frostkälte 
ausgesetzt   oder  über  Kalk  ausgetrocknet,   gepulvert  und  gesiebt. 

Bestandteile:    äther.  Öl,  Harz,  Gummi. 

Anwendung:  Als  krampfwidriges,  die  Darmbewegung  an- 
regendes Mittel  in  Emulsion;  äusserlich  als  verteilendes  Mittel; 
zu  Empl.  foetidum,  Aqua  foetida  antihysterica,  Tinct.  Asae  foetidae. 

ß)  Aus  der  Familie  der  TereMnthaceen, 

Myrrha,  Myrrhe. 

Balsamea  (Balsamodendron)  Myrrha.  (Terebinthaceae.)  — 
Südwest-Arabien  und  Ostspitze  Afrikas  (Somaliland). 

Rundliche  Stücke  von  verschiedener  Grösse,  aussen  be- 
stäubt, gelblich  bis  rötlich-braun,  auf  dem  Bruche  wachs- 
glänzend ,  nur  in  Splittern  etwas  durchscheinend.  Betupft  man 
die  Myrrhe  zuerst  mit  Weingeist  und  hernach  mit  Salpetersäure, 
so  nimmt  sie  eine  violett  rote  Färbung  an.  —  Geschmack 
bitter;  Geruch  stark  balsamisch. 

Verfälschungen:  1.  Das  B  d  e  1 1  iu m  (ein  Harz  von  Balsamoden- 
dron africanum)  ist  dunkelbraun  und  ohne  die  oben  angegebene 
Farbenreaktion  mit  Salpetersäure.  2.  Kirsch-  oder  Pflaume  n- 
gummi,  sowie  dunkle  Stücke  Senegalgummi,  sind  durchschei- 
nender, befeuchtet  klebrig  und  in  Wasser  zu  einem  gallertigen 
Schleim  löslich. 

Bestandteile:      äther.  Öl,  Harz,  Gummi  (über  50°/0). 

Anwendung:  Innerlich  als  anregendes  Mittel,  zu  Extrakt; 
äusserlich  zu  Mund-  und  Zahnmitteln,  als  Tinktur. 

Oübanum   (Thus),  Weihrauch. 

Boswellia  sacra.  (Terebinthaceae).  —  Nordostspitze  Afrikas  (Somali- 
land), von  wo  das    Gummiharz  über  Ostindien  nach  Europa  gelangt. 

Rundliche,  aussen  bestäubte,  weissliche,  bräunlichgelbe  oder 
rötliche  Körner  von  verschiedener  Grösse,  auf  dem  Bruche  wachsartig, 
kaum  durchscheinend.  Beim  Erhitzen  schmelzen  sie  mit  balsamischem 
Dufte.  —  Geschmack  und  Geruch  balsamisch. 

Verfälschungen:  Fichtenharz  (Thus  communis)  löst  sich  in 
Weingeist  völlig  auf  und  verbreitet  beim  Schmelzen  einen  Terpentingeruch. 
Sandarak  ist  auf  dem  Bruche  glasglänzend  und  durchsichtig. 

Bestandteile:  äther.  Ol,  Harz,  Gummi. 

Anwenduno-:    Zusatz  zu  einigen  Pflastern. 


618 


y)  Aus  der  Familie  der    Guttiferen. 
Gutti,  Gunrmigutt. 

Gar  ein  ia  Morella.   (Guttiferae).  —  Hinterindien  (Siani). 

Cylindrische,  aussen  bestäubte  Stücke  (Röhrengutti), 
oder  Klumpen  und  Kuchen  ohne  bestimmte  Form  (Kuchen-  oder 
Schollengutti) j  und  von  geringerer  Güte,  oft  mit  Holzstückchen 
verunreinigt;  pomeranzengelb,  gepulvert  citronengelb,  hart, 
spröde,  mit  glattem,  wachsgiänzendem ,  breitmuscheligem 
Bruche.  —  Geschmack  süsslich,   zuletzt  brennend;  Geruch  fehlt. 

Bestandteile:   Gummi,  saures  Harz. 

Anwendung:  Drastisch  abführendes  Mittel. 

d)  Harze. 
In  Weingeist,  nicht  in  Wasser  löslich,  beim  Erhitzen  schmelzend. 

a)  Aus  der  Familie  der  Coniferen. 
Resina  Dammar,  Dainmarharz. 
Dammara    alba    und    D.    orientalis,    sowie    Hopea 
micrantha  und  H.  splendida.  (Coniferae).  —  Ostindische  Inseln. 
Farblose  oder  weissliche,  durchscheinende,  spröde,  un- 
förmliche Stücke  ohne  Geruch,  in  Wasser  untersinkend,  erst  bei 
180°  schmelzend. 

Anwendung:    Zu  Empl.  adhaesivum ;  technisch  zu  Lack. 

Colophonium,  Geigenharz. 

Das  bei  der  Terpentinöl  -  Destillation  aus  dem  Terpentin  zu- 
rückbleibende Harz  (sog.  gekochter  Terpentin)  wird  durch 
Schmelzen  wasserfrei  gemacht. 

Heller  oder  dunkler  gelbe,  aussen  bestäubte,  durchsich- 
tige, sehr  spröde  Stücke,  auf  dem  flachmuscheligen  Bruche 
glasglänzend,  ohne  Geschmack  und  Geruch,  in  der  Handwärme 
schwach  terpentinartig  riechend ;  leicht  löslich  in  Weingeist,  Äther. 

Bestandteile:   Kolopholsäure  (Anhydrid  der  Abietinsäure). 

Anwendung;  Als  Konsistenzmittel  vieler  Pflaster  und  Salben. 

Resina  Pini,  Fichtenharz,  Burgunderharz. 

Pinus  silvestris  und  P.  Pinaster.  (Coniferae).  —  Europa. 

Das  zur  Winterzeit  ausfüessende  Harz  erscheint  teils  als  gelbliche, 
oft  etwas  zähe,  durch  Wassergehalt  undurchsichtige  Klumpen  (weisses 
Harz)  oder  als  gelbbraune,  spröde,  durchscheinende,  auf  dem 
Bruche  glänzende,  in  der  Handwärme  erweichende  Stücke  (Burgunder- 
harz), mehr  oder  weniger  von  terpentinartigem  Gerüche  und  fast  voll- 
kommen in  Weingeist  löslich. 

Bestandteile:  ein  saures  Harz  (Abietinsäure),  welches  mit  Alkali- 
lauge Harzseife  bildet;  etwas  Terpentinöl. 

Anwendung:  zu  Ceratum  Resinae  Pini,  Pflastern  und  Salben. 


-     619     — 

Succinum,  Bernstein. 

Pinus  succinifera.  (Coniferae),  —  ein  vorzeitlicher  Baum,  dessen 
Harz  an  der  preussischen  Ostseeküste  teils  gegraben,  teils  aufgefischt  wird. 

Ein  gelbes  oder  gelbbraunes,  mehr  oder  weniger  durchsichtiges, 
sprödes,  auf  dem  muscheligen  Bruch  glänzendes,  in  Weingeist,  Äther  und 
Ölen  kaum  lösliches,  geruchloses  Harz,  dessen  unansehnliche  Bruchstücke 
zur  Verwendung  gelangen.  -Auf  glühenden  Kohlen  oder  heissen  Platten 
mit  Wohlgeruch  schmelzend. 

Bestandteile:  Harz,  Bernsteinsäure.  —  Beim  Schmelzen  des  Bern- 
steins destilliert  das  tiefbraune  Oleum  Succini  als  Teer  über,  Acidum 
succinicum  sublimiert,  und  im  Rückstand  bleibt  ein  Harz  (Colopho- 
nium  Succini),  welches  zu  Bernsteinfirnis  dient.  Durch  Rektifikation 
des  Oleum  Succini  mit  Wasser  gewinnt  man  das  dünnflüssige,  gelbliche 
oder  farblose  Oleum   Succini  rectificatum. 

Sandaraca ,  Sandarak. 

Callitris  quaHrivalvis.  (Coniferae).  —  Nordafrika  (Atlas). 

Citronengelbe,  langgestreckte,  weissbestäubte,  durchsichtige, 
auf  dem  Bruche  glas  glänzende  Körner,  welche  beim  Kauen  sich 
pulvern,  ohne  zu  erweichen;  in  heissem  Weingeist  und  in  Terpentinöl 
völlig  löslich.  —  Geschmack  bitterlich,  Geruch  beim  Schmelzen  balsamisch. 

Anwendung:  zu  Lackfirnissen,  Empl.  Mezerei  canth. 

(5)  Aus  der  Familie  der  Terebinthaceen. 
Mastix,  Mastix.*) 
Pistacia  Lentiscus.  (Terebinthaceae).  —  Orient  (Insel  Chios). 
Blassgelbe,  aussen  bestäubte,  erbsengrosse,    rundliche    Körner, 
auf    dem   Bruche    glasglänzend,    durchsichtig,  spröde,  beim  Kauen 
zu  einer  wachsähnlichen  Masse    erweichend,  in  Weingeist  teilweise  lös- 
lich. —  Geschmack  harzig  gewürzhaft;  Geruch  beim  Schmelzen  balsamisch. 
Bestandteile:  Harz,  Masticin. 
Anwendung:  zu  einigen  Pflastern  und  Zahnkitten. 

Elemi,  Elemi. 

Icica  Abilo.  (Terebinthaceae).  —  Philippinen. 

Feste  oder  halbweiche,  kaum  durchscheinende  Massen  von  citro- 
nengelber  Farbe,  mit  einem  Stich  ins  Grünliche;  leicht  schmelzbar 
und  in  siedendem  Weingeist  löslich.  —  Geschmack  bitter  gewürzig;  Ge- 
ruch balsamisch,  an  Fenchel  erinnernd. 

Bestandteile:  Harz,  äther.  Öl. 

Anwendung:  zu  Unguentum  Elemi. 

y)  Aus  anderen  Familien. 

Benzoe,  Benzoe. 

Styrax  Benzoin.  (Styraceae).  —  Hinterindien  und 
Sumatra. 

Handelssorten:  1.  Die  Siam-Benzoe,  in  braun-  oder  röt- 
lich-gelben, innen  milchweissen,  wachsglänzenden  Kör- 
nern (B.in  granis) ,    die  auch  wohl   zu  rotbraunen,  auf  dem 

*)  Mastis  von  masticare  (kauen),  weil  die  Orientalen  das  Harz  kauen 
zur  Verbesserung  des  Athems  und  Zahnfleischs. 


—     620     — 

Bruche  porösen,  harzglänzend e n  Massen  mit  zahlreichen 
eingestreuten,  helleren  Körnern  (B.  in  niassis)  verklebt  vorkom- 
men. —  Geruch  fein  vanilleartig. 

2.  Die  Sumatra-  oder  Penang-Benzo  e,  in  hellbräun- 
lichen, glanzlosen  Massen  mit  vielen  grossen,  weisslichen 
Mandeln  (B.  amygäalöides)  von  Storax-Geruch. 

Bestandteile:  Harz,  Benzoesäure  (in  der  Sumatra-B.  mehr 
oder  weniger  durch  Zimtsäure  vertreten). 

Anwendung;  Zu  kosmetischen  Zwecken  (Tinctura  Benzoes) 
und  Bereitung  der  Benzoesäure. 

Resina  Guajaci,  Guajakharz. 

Guajaeum  officinale.  (Zygophylleae).  —  Westindien. 

Formlose  Massen  (R.  G.  in  massis),  seltener  tropfenförmige, 
hasel-  bis  walnussgrosse  Körner  (R.  Q.  in  tac?,imis),  mehr  oder  weniger 
dunkelbraun,  mit  einem  grünlichen  Pulver  bestäubt,  am  Rande 
durchscheinend,  spröde,  auf  dem  Bruche  glänzend,  uneben;  in  Wein- 
geist, Alkalilaugen  und  Äther,  nicht  in  Ölen  löslich.  —  Geschmack  kratzend ; 
Geruch  schwach,  beim  Anrauchen  vanilleartig. 

Bestandteile:  drei  saure  Harze,  Guajaksäure.  Dem  einen  Harze 
verdankt  das  Guajakharz  die  Eigenschaft,  an  der  Luft,  sowie  durch 
oxydierende  Mittel  grün  oder  blau  zu  werden,  wie  auch  sein  Pulver 
bei  der  Aufbewahrung  grünlich  wird. 

Anwendung:  als  anregendes  und  schweisstreibendes  Mittel  gegen 
Rheumatismus,  Skrofeln  und  Syphilis. 

Resina  Draconis  (Sanguis  Draconis),  Drachenblut. 

Calamus  Draco.  (Palmae).  —  Ostindien. 

Entweder  fingerdicke,  mit  Palmfiedern  umwickelte  Stangen  oder  Kuchen, 
auch  wohl  erbsen-  bis  haselnussgrosse  Körner,  bräunlich  rot,  undurch- 
sichtig, spröde,  auf  dem  Bruche  matt,  fast  ohne  Geschmack  und 
Geruch,  völlig  löslich  in  Weingeist,  teilweise  in  Äther  und  Ölen.  Giebt 
auf  Papier  einen  feuerroten  Strich. 

Bestandteile:  rotes  Harz,  etwas   Benzoesäure. 

Anwendung:  zu  Zahnpulvern ;  meist  technisch,  zu  roten  Lacken. 

e)  Eingetrocknete  Milchsäfte. 

Sie  lösen  sich  zufolge  ihres  Kautschukgehaltes  nur  unvollständig  in 
Wasser,  Weingeist,  Äther. 

Opium  (Laudanum,  Meconium),  Opium. 

Papaver   somniferum.     ( Papaveraceae ).    —    Kleinasien. 

Der  durch  Anritzen  der  unreifen  Kapseln  gewonnene  und 
nach  dem  Eintrocknen  zu  Kuchen  geknetete  Milchsaft  kommt  als 
levantisches  Opium  teils  über  Smyrna,  teils  über  Kon- 
stantinopel nach  Europa.  Dasselbe  stellt  etwas  flache,  rundliche 
Kuchen  dar,  aus  einer  rotbraunen,  innen  aus  kleinen  Körnern, 
sog.  Thränen,  zusammengekneteten,  noch  etwas  weichen  Masse, 
aussen  mit  Mohnblättern  umhüllt  und  mit  Ampferfrüchten 
bestreut.  —  Geschmack  bitter;  Geruch  narkotisch. 


-     621     - 

Verwechslungen-.  Das  egyptische  Opium  (Opium  the- 
baicum)  ist  innen  gleichförmig,  zwar  auch  in  Mohnblätter  gehüllt, 
aber  nicht  mit  Ampferfrüchten  bestreut  und  morphinärmer.  Das 
persische  Opium  ist  in  Europa  selten  und  bildet  Stangen.  Alles 
in  Ostindien  produzierte  Opium  wird  in  Asien  (China)  verbraucht. 

Bestandteile-,  Morphin  (7—1 5°/0),  Narkotin  (6  — 10%),  Codein 
(bis  %  %)  u.  a.,  Mekonin  (Bitterstoff],  Mekonsäure,  Gummi, 
Kautschuk.  Das  Opiumpulver  soll  mindestens  10  %  Morphium 
enthalten  !  (Vgl.  S.  303.) 

Anwendung:  Als  beruhigendes,  schlafmachendes  und  stopfen- 
des, in  grösseren  Dosen  betäubend  giftiges  Mittel  (zumal  bei  Kindern), 
zu Extractum  und  Tinctura  Opii  simpl.  und  crocata  (10  %  Opium!). 

Lactucarium,  Giftlattichsaft. 

Lactuca  virosa.  (Compositae).  —  Europa. 

Formlose,  erbsengrosse,  gelbe  oder  bräunliche,  feste 
Stücke,  auf  dem  Bruch  wachsartig,  in  der  Wärme  erweichend, 
ohne  zu  schmelzen,  in  Wasser  trübe  und  vollständig  löslich.  — 
Geschmack  bitterlich;  Geruch  eigentümlich,  narkotisch. 

Verwechslungen:  Das  fr  an  z  ö  sisch  e  Lac  tucarium,  sogen. 
Thridax,  von  Lactuca  sativa,  stellt  bald  ein  braunes  Extrakt, 
bald  braune,  in  Wasser  lösliche  Kuchen  oder  Platten  dar, 

Bestandteile:  Lactucon  (Harz,  c.  50  %),  Lactucin  (Bitterstoff), 
Lactucasäure,  Gummi. 

Anwendung:  Als  reizmilderndes  Hustenmittel. 

Euphorbium,  Euphorbium. 

Euphorbia  resinifera.  (Euphorbiaceae).  —  Marokko. 

Der  beim  Anritzen  aus  dem  fleischigen  Stengel  austretende 
und  an  den  Stacheln  desselben  eintrocknende  Milchsaft  kommt 
als  gelbliche,  erbsen-  bis  haselnussgrosse,  kuglige  oder  eckige, 
meist  zw  ei  hörnige  Klümpchen  zu  uns,  die  mit  1  bis  3  Löchern 
versehen  sind  oder  noch  die  Stacheln  umschliessen ;  aussen  be- 
stäubt, oft  verunreinigt  durch  Stacheln,  dreiknöpfige  Früchte  u.  a. 
—  Geschmack  anfangs  milde,  später  heftig  brennend. 

Bestandteile:   Harz,  Euphorbon  (scharf),  Gummi. 

Anwendung:  Äusserlich  zu  Hautreizen,  als  Zusatz  zu  Empl. 
Cantharidum  perpetuum,  Empl.  Picis  irritans,  Unguentum  acre. 

Gutta  pörcha,  Guttapercha, 

Dichopsis  Gutta.  (Sapotaceae).  —  Ostindien  (Malakka). 

Der  Milchsaft  kommt  als  rohe  Guttapercha  nach  Europa 
und  wird  daselbst  durch  Auflösen  in  Schwefelkohlenstoff  oder 
Chloroform  gereinigt. 

Weissliche,  öfters  rot  marmorierte,  dünne  Stängelchen,  wenig 
elastisch,    in    heissem  Wasser  (65 — 70°)  erweichend  und  knetbar,  in 


—     622     — 

siedendem  Wasser  schmelzend.  Nicht  in  Wasser,  kaum  in  Wein- 
geist, wenig  in  Äther  und  kaltem  Terpentinöl  (darin  aufquellend),  völlig 
in  Schwefelkohlenstoff  und  Chloroform  löslich.  Da  sie  an  der  Luft  brock  - 
lich  wird,  bewahrt  man  sie  unter  Wasser  auf  und  gebraucht  sie  zu  Zahnkitt. 
Dünn  ausgewalzte  Guttapercha  stellt  das  Guttaperchapapier, 
Percha  lamellata  dar,  welches  man  vielfach  (zu  Verbänden,  Eisbeuteln 
u.  a.)  gebraucht. 

B.  Eingekochte  Fflanzensäfte  (Extrakte). 
a)  Bittere  Extrakte. 

Aloe,  Aloe. 

Aloe  spicata,  A.  ferox,  A.  vulgaris  und  A.  Lingua. 
(Liliaceae).  —  Capland. 

Der  durch  Auspressen  der  fleischigen  Blätter  gewonnene  und 
eingekochte  Saft  bildet  Stücke  von  dunkelbrauner  Farbe  mit 
einem  Stiche  ins  Grünliche,  in  der  Masse  undurchsichtig, 
aber  in  Splittern  und  am  Rande  braun  durchscheinend, 
auf  dem  muscheligen  Bruch  glas  glänzend.  Das  Pulver  ist 
grünlich  gelb.  Kaltes  Wasser  löst  sie  nur  teilweise;  sieden- 
des "Wasser  nimmt  sie  trübe  auf,  beim  Erkalten  Harz  abscheidend; 
Weingeist  löst  sie  völlig  und  klar.  —  Geschmack  sehr  bitter; 
Geruch   (zumal  beim  Anhauchen)  widrig. 

Verwechslungen-,  Die  Leb  er-  AI  oe  (Aloe  hepatica),  aus 
Ostindien  und  Arabien,  ist  leberbraun,  auf  dem  Bruche  matt  und 
in  Splittern  undurchsichtig.  Ähnlich  die  schwärzliche  west- 
indische Aloe:  Dagegen  ist  die  im  Handel  kaum  mehr  vor- 
kommende Socotora-Aloe  (von  Aloe  socotrina  auf  der  Insel 
Socotora  im  indischen  Ocean)  von  gleicher  Güte  und  Beschaffenheit 
wie  die  Cap-Aloe,  aber  mehr  gelbbraun  und  gepulvert  rötlich  gelb. 

Bestandteile:  Aloebitter  (löslich  in  Wasser),  Harz  (in  einer 
Lösung  des  Aloebitters,  nicht  in  reinem  Wasser  löslich). 

Anwendung  :  Als  drastisches  Abführmittel,  zu  Extrakt,  Tinktur 
und  Zusatz  anderer  Extrakte  und  Tinkturen. 

b)  Gerbstoffreiche  Extrakte. 
Catechu  (Gutta  Gambir),  Katechu. 

Uncaria  Gambir.  (Rubiaceae).  —  Sumatra. 

Grössere  Würfel  von  dunkelbrauner  Farbe,  innen  matt 
erdfarbig;  unter  dem  Mikroskop  sich  als  ein  Haufen  werk 
kleinster  Kiy ställchen  (Catechin)  darstellend.  —  Geschmack  sehr 
herbe.  Wasser  löst  das  Gambir  nur  teilweise,  Weingeist  voll- 
ständig. 

Das  Palnien-Katechu  (aus  den  Samen  von  Areca  Cate- 
chu) in  flachen,  scheibenförmigen  Kuchen,  innen  dunkelbraun  und 
glänzend,  aussen  mit  Reisspelzen  bestreut,  kommt  nicht  in  den 
europäischen  Handel.    Das  Pegu -Katechu  (Terra  japonica)  von 


—     623    — 

Acacia  Catecbu  in  formlosen  Stücken  von  dunkelbrauner 
Farbe,  auf  dem  Brucbe  porös  glänzend,  gleichfarbig  und  unter 
dem  Mikroskop  nicht  kristallinisch. 

Bestandteile:    Katechugerbsäure,  Katechin  (Katechusäure). 

Anwendung:  Tinctura  Catecbu,  als  adstringierendes  Mittel. 

Kino,  Kino. 

Pterocarpus  Marsupiuni.  (Papilionaceaej.  —  Ostindien. 

Eckige,  dunkelbraune,  glänzende,  undurchsichtige,  jedoch 
am  Rande  rubinrote,  durchscheinende,  spröde  Stückchen,  welche  in 
kaltem  Wasser  aufquellen,  in  heissem  Wasser  sich  trübe,  in  Weingeist 
klar  und  mit  tiefroter  Farbe  lösen.  —   Geschmack  sehr  herbe. 

Bestandteile:  Kinogerbsäure,  Gerbsäureabsatz. 

c)  Süsse  Extrakte. 

Succus  Liquiritiae  crudus,  Lakriz. 

Glycyrrhiza  glabra.  (Papilionaceae).  —   Südeuropa. 

Der  aus  der  frischen  Wurzel  ausgepresste  Saft  wird  nach 
dem  Eindampfen  mit  Stärke,  Erbsenmehl  u.  dergl.  versetzt  und  in 
Stangen  gerollt.  Cylindrische,  dunkelbraune,  auf  dem  Bruche 
schwarz  glänz  ende  Stangen,  in  der  Kälte  spröde,  in  der  Wärme 
weich  und  in  Wasser  nicht  vollständig  löslich.  —  Geschmack  sehr 
süss,  kaum  kratzend. 

Verfälschungen:  Zusätze  von  Thon ,  Gips  u.  dgl.  bringen 
den  Aschengehalt  auf  mehr  als  6°/0 ;  zu  viel  Mehl  ist  vorhanden, 
wenn  der  Rücktand  bei  der  wässerigen  Extraktion  getrocknet  über 
25  °/'0  beträgt. 

Bestandteile:  Glycyrrhizin,  Zucker,  Stärkemehl  (10— 15  °/0 

Anwendung:  Als  versüssendes,  reizmilderndes  Mittel,  zu  Suc- 
cus Liquiritiae  depuratus  und  Elixir  e  Succo  Liquiritiae. 

C.  Teige  (Pastete) 
Man  bereitet  die  nachfolgenden  aus  gepulverten  Samen. 

Pasta  Cacao  (Massa  Cacaotina),  Kakaomasse. 

Theobroma  Cacao.  (Buettneriaceae). —  Westindien  und 
nördliches  Südamerika. 

Die  aus  den  gerösteten,  geschälten  und  in  der  Wärme  zu 
einem  zarten,  unfühlbaren  Teige  angestossenen  Samen  dargestellte 
Masse  wird  in  Tafeln  geformt  und  ist  dunkelbraun,  in  der 
Kälte  zerbrechlich,  in  der  Wärme  erweichend.  ■ —  Geschmack 
bitter:  Geruch  eigentümlich. 

Bestandteile-,  fettes  Öl  (53°/0),  Theobromin  (Alkaloid),  Stärke- 
mehl. 

Anwendung;  Zu  Schokolade,  als  Excipiens  für  Pastillen.  Das 
fette  Ol,  Oleum  Cacao,  ist  ein  weissliches,  starres  Öl  von  schwa- 
chem Geruch,  in  gelinder  Wärme  schmelzend. 


—     624     — 

Pasta  Guarana,  Guarana. 

Paullinia  sorbilis  (Sapindaceae).  — -  Brasilien. 

Die  gepulverten  und  mit  Wasser  angerührten,  dann  an  der  Sonne 
oder  im  Rauche  getrockneten  Samen  liefern  eine  harte,  schwarzbraune 
Masse,  meist  zu  Stangen  geformt,  seltener  in  Kugeln  oder  Kuchen, 
auf  dem  Bruche  flach,  etwas  glänzend  und  häufig  noch  Samen  ein- 
schliessend.  —  Geschmack  herbe,  bitterlich;  Geruch  eigentümlich. 

Bestandteile:  Gerbsäure,  Coffein. 

Anwendung:   gegen  Migräne. 

D.  Farbstoffe. 
Lacmus  (Lacca  Musci),  Lackmus. 

Lecanora  tartarea  Ach.,  Roccella  tinctoria  u.  a. 
(Lichenes.)  —  Holland,  Frankreich. 

Die  Flechten  werden  unter  Zusatz  von  Urin  und  Kalk  der 
Gährung  überlassen,  schliesslich  mit  Kreide  vermengt  und  geformt. 
Dann  stellen  sie  "Würfel  von  hellblauer  Farbe  vor,  welche 
an  Wasser  ihren  blauen  Farbstoff  leicht  abgeben,  kohlensauren 
Kalk  zurücklassend.  — Dieser  Auszug  wird  durch  Säuren  rot. 

Bestandteile:  Flechtensäure  (rot,  durch  Alkalien  sich  bläuend). 

Anwendung:   Zu  Lackmustinktur  (wässeriger  Auszug),  Charta 
exploratoria  coerulea  und  rubra. 
Indicum,  Indigo. 

Iudigofera  tinctoria  (Papilionaceae).  —  Ostindien. 

Die  der  Gährung  überlassenen  Blütenzweige  scheiden  den  Indigo  ab, 
den  man  dann  trocknet. 

Tiefblaue,  matte  und  undurchsichtige,  gerieben  kupferrot 
glänzende,  zerbrechliche  Stücke,  unlöslich  in  Wasser  und  Weingeist, 
in  rauchender  Schwefelsäure  mit  dunkelblauer  Farbe  (zu  Indigoschwefel- 
säure) löslich.  Diese  Lösung  liefert  mit  Soda  das  dunkelblaue  indig- 
schwefelsaure  Natron  (Indigkarmin). 

Verfälschung:  das  sehr  ähnliche  Berlinerblau  hinterlässt  beim 
Glühen  auf  Platinblech  rotes  Eisenoxyd,  während  Indigo  in  violetten 
Dämpfen  sich  völlig  verflüchtigt. 

Bestandteile:  Indigoblau  (bis  56%))  Indigrot  (in  Ölen  löslich),  In- 
digbraun  (in  Alkalien  löslich). 

Anwendung:  zu  Indiglösung,  technisch  zum  Blaufärben. 

E.  Balsame. 

Auflösungen  von  Harz  in  ätherischem  Öle;  daher  mit  Wasser  nicht  mischbar 

und  nur  mittelst  arabischen  Gummis  emulgierbar.    Sie  fliessen  freiwillig  oder 

aus  Einschnitten  der  Stämme  aus. 

Baisamum  Copaivae,  Kopaivabalsam. 

Copaifera  officinalis  und  C.  Guianensis.  ( Caesal- 
piniaceae.)  —  Westindien,  Brasilien, 

Ein  dicklicher,  zähflüssiger  Balsam,  durchsichtig,  gelb 
oder  bräunlich,  yon  bitterlichem,  scharf  kratzendem  Geschmack 
und  starkem,  eigentümlichem  Geruch. 


-     625     — 

Verfälschungen:  1.  Terpentin,  kenntlich  am  Terpentinöl- 
geruch beim  gelinden  Erwärmen  des  Balsams.  2.  Fette  Öle, 
kenntlich  an  dem  schmierigen  Rückstand,  den  der  Balsam  beim 
Abdampfen  hinterlässt;  reiner  Balsam  hinterlässt  ein  sprödes  Harz. 
o.  Der  Gurjunbalsam  ist  dunkler,  grünlich  schillernd,  etwas 
trübe;  seine  Lösung  in  Schwefelkohlenstoff  färbt  sich  durch 
Schwefelsäure   mit  rauchender  Salpetersäure  violettrot. 

Bestandteile:    äther.  Öl,  saures  Harz  (Copaivasäure). 

Anwendung:  Gegen  Tripper,  unvermischt  oder  in  Pillen  (ent- 
weder mit  t/2  Teil  gelbem  Wachs  geschmolzen  oder  durch  Zusatz 
von  10°/0  Magnesia  usta  nach  längerem  Stehen  erhärtet). 

Balsamum  peruvianum,  Perubalsam. 

Toluifera  (Myroxylon)  Pereirae.  (Papilionaceae.)  —  Cen- 
tralamerika  (San  Salvador). 

Ein  dicklicher,  zähflüssiger,  undurchsichtiger  und 
nur  in  dünnen  Schichten  rötlich  durchscheinender,  dunkel- 
brauner, nicht  eintrocknender  Balsam,  von  saurer  Reaktion, 
scharf  kratzendem  Geschmack  und  vanilleartigem  Geruch. 
Spez.  Gewicht  1,14.    Löslich  in  Weingeist,  nur  wenig  in  Benzin. 

Verfälschungen:  1.  Fettes  Öl  (Ricinusöl),  kenntlich  an  dem 
schmierigen  Rückstand  beim  Vermischen  des  Balsams  mit  konz. 
Schwefelsäure;  reiner  Balsam  liefert  nach  dem  Auswaschen  ein 
sprödes  Harz.  2.  Kopaivabalsam  erzeugt  beim  Vermischen  mit 
der  konz.  Schwefelsäure  schwefligsaure  Dämpfe.  3.  Kolophonium, 
kenntlich  an  der  Gallerte,  die  Ätzammoniak  mit  dem  Balsam  er- 
zeugt. 4.  Ätherische  Öl  e  lassen  sich  mittelst  Wassers  ab  destillieren. 

Bestandteile:  Zimtsäure,  Cinnamein  (zimtsaures  Benzyl), 
Stryacin  (zimtsaures  Cinnamyl). 

Anwendung:   Gegen  Wunden  und  Hautkrankheiten. 
Balsamum  tolutanum,     Tolubalsam. 

Toluifera  Balsamum.  (Papilionaceae).  —  Nördliches  Südamerika, 
(bei  Tolu). 

Ein  dickflüssiger,  durchscheinender,  gelber,  terpentinähnlicher 
Balsam,  welcher  mit  der  Zeit  bräunlich  wird  und  erhärtet,  von  vanille- 
artigem Geruch  und  gewürzigem  Geschmack.  Verhält  sich  zu  Lösungs- 
mitteln wie  Perubalsam. 

Bestandteile:  Zimtsäure,  Toleu  (äther.  Öl),  Harz. 

Styrax  liquidus,  flüssiger  Storax. 

Liquidambar  Orientale.  (Balsamifluae.)  —  Kleinasien, Syrien. 

Ein  durch  Auskochen  der  Rinde  gewonnener,  sehr  dick- 
flüssiger Balsam,  durchsichtig,  graubraun,  mannigfache 
Unreinigkeiten  und  Wasser  enthaltend,  löslich  in  Weingeist;  von 
benzoeartigem  Geruch  und  saurer  Reaktion. 

Bestandteile:  Zimtsäure, Styracin (zimtsaures  Cinnamyl)Styrol. 

Anwendung:  Äusserlich  gegen  die  Krätze. 

Schlickum,  Apothekerlehrling.  40 


—     626     — 

Tereblnthina  (communis),  gemeiner  Terpentin. 

Pinus  Pinaster  und  P.  Laricio.  (Coniferae.)   —   Europa. 

Ein  zähflüssiger,  undurchsichtiger,  gelblicher  Balsam, 
welcher  in  der  Ruhe  eine  körnige  Schicht  absetzt.  —  Ge- 
schmack bitter;   Geruch  eigentümlich. 

Bestandteile:  äther.  Öl  (Ol.  Terebinthinae),  Harz  (ResinaPini). 

Anwendung:    Konsistenzmittel  für  Pflaster  und  Salben. 
Terebinthina  laricina,  Lärchenterpentin. 

Larix  decidua.    (Coniferae).  —  Europa. 

Ein  zähflüssiger,  klarer,  durchsichtiger,  gelblicher  oder  grün- 
gelblicher, gleichförmiger  Balsam.  —  Er  löst  sich  völlig  in  Weingeist 
and  Benzin  auf.     Geschmack  bitter;  Geruch  angenehmer  wie  beim  vorigen. 

Bestandteile:  äther.  Öl,  Harz. 

Anwendung:  innerlich  in  Pillen  (mit  l/5  gelbem  Wachs  zusammen- 
geschmolzen) und  Emulsion. 

F.  Ätherische  Öle.*) 

Sie  werden  durch  Destillation  der  betreffenden  Pflanzenteile  mit  Wasser, 

seltener   durch  Sublimation    oder  durch  Auspressen  gewonnen.     In  Wasser 

nur  wenig,  in  Weingeist  leichter,  in  Äther  und  fetten  Ölen  leicht  löslich. 

Camphora,  Kampfer. 

Cinnamomum  Camphora.    (Laurineae.)    —   China,  Japan. 

Der  durch  Sublimation  aus  den  Zweigen  gewonnene  Kampfer 
kommt  in  Form  rötlicher,  bröcklich  körniger  Massen  (Roh  kämpf  er) 
nach  Europa,  wo  er  in  kurzhalsigen  Kolben  oder  in  Töpfen  mit 
gewölbtem  Deckel  umsublimiert  wird.  Er  stellt  dann  weisse, 
durchscheinende,  oberseits  konvexe,  unterseits  konkave  Kuchen 
dar,  auf  dem  Bruche  blätterig  und  glänzend.  Mit  Wein- 
geist besprengt  zerreiblich,  beim  Erhitzen  schmelzend,  dann  sich 
verflüchtigend  und  mit  leuchtender,  rauchender  Flamme  verbren- 
nend; nicht  in  "Wasser,  leicht  in  Weingeist,  Äther,  Ölen,  Chloro- 
form und  konzentrierter  Essigsäure  löslish.  —  Geschmack  küh- 
lend; Geruch  stark  aromatisch. 

Anwendung:  Als  krampfstillendes  Mittel  in  kleinen,  als  nerven- 
erregendes in  grösseren  Gaben;  äusserlich  zu  Linimentum  ammo- 
niato-  und  saponato-camph. ;  Oleum,  Spiritus,  Yinum  camph. 

Oleum  Cajeputi,  Cajeputöl**). 

Melaleuca  Leucadendron.  (Myrtaceae.)  —  Molukken. 

Ein  grünliches,  dünnflüssiges,  in  jeder  Menge  Weingeist 
lösliches,  flüchtiges  Öl,  von  stark  gewürzigem,  kampferartigem 
Geruch  und  kühlendem  Geschmack. 

Die  grüne  Farbe  rührt  häufig  von  Chlorophyll  her,  häufig  aber 
auch   von  Kupfer  (in   diesem  Falle  wird  das  Öl  beim  Schütteln 

*)  Es  finden  hier  nur  diejenigen  eine  Stelle,  welche  nicht  bereits  bei 
anderen  Droguen  erwähnt  wurden. 

**)  Cajeputi  vom  malaiischen  Caju-Puti  (weisser  Baum.) 


—     627     - 

mit  salzsäurehaltigem  Wasser  sich  entfärben,  und  letzteres  dann 
durch  Ferrocyankaliumlösung  sich  braun  trüben),  welche  letztere 
Verunreinigung  durch  kupferne  Flaschen  veranlasst  wird. 

Anwendung:    Gegen  Zahnschmerzen,  Magenkrampf  u.  a.  m. 

Oleum  Rosae,  Rosenöl. 

Rosa  damascena.  (Rosacea e.)  —  Auf  den  Südabhängen 
des  Balkans  (bei  Philippopel)  kultiviert. 

Das  aus  den  Blüten  destillierte  Öl  wird  über  Konstantinopel 
in  den  Handel  gebracht  und  stellt  ein  schwach  gelbliches  und 
dickliches,  bei  12°  krystallinisch  gefrierendes,  flüch- 
tiges Öl  von  sehr  starkem  Rosengeruch  dar. 

Verfälschungen:  Das  Rosen-Geraniumöl  (Ol.  Palmae Rosae), 
aus  den  Blüten  von  Pelargonium  roseum  besitzt  einen  rosenähn- 
lichen, aber  schärferen  Geruch,  ist  dünnflüssig  und  reagiert  sauer. 

Anwendung:  Zu  Aqua  Rosae. 

Gr.  Fette  Öle*) 
Man  gewinnt  sie  durch  Auspressen  aus  Samen  u.  dg]. 
Oleum  Olivarum,  Olivenöl,  Baumöl. 
Olea  europaea.  (Oleaceae.)  —  Südeuropa  (Provence). 
Das  aus  der  dunkelgrünen  Steinfrucht,  der  Olive,  gepresste 
Öl  kommt  in  zwei  Sorten  zu  uns: 

1.  Oleum  provinciale,  dasPro  venceröl,  durch  kalte  Pres- 
sung frischer  Oliven,  blassgelb,  von  mildem  Geschmack  und  Geruch. 

2.  Oleum  Olivarum  commune  seu  viride,  gemeines  oder 
grünes  Baumöl,  durch  heisse  Pressung  auf  Haufen  geschich- 
teter Oliven,  grünlich,  von  etwas  scharfem  Geruch. 

Das  Olivenöl  erstarrt  wenige  Grade  über  Null  zu  einer  kör- 
nigen, weisslichen  Fettmasse;  es  trocknet  nicht  an  der  Luft  ein. 

Anwendung:  Das  Provenceröl  als  reizmilderndes  Mittel  (in  Emul- 
sionen), sowie  für  feinere  Salben  das  grüne  Baumöl  zu  Emplastra. 

Oleum  Ricini,  Ricinusöl. 

Ricinus  communis.  (Euphorbiaceae.)  —  In  Amerika,  Ober- 
italien kultiviert. 

Ein  dickflüssiges,  in  der  Kälte  erstarrendes,  farbloses 
oder  etwas  gelbliches,  mild-schmeckendes ,  fettes  Öl,  welches 
sich  in  "Weingeist  leicht  und  klar  auflöst. 

Anwendung:  Als  mildes  Abführmittel. 

Oleum  Crotonis,  Krotonöl. 
Croton  Tiglium    (Euphorbiaceae.)  —  Ostindien. 
Ein   etwas  dickes,    bräunlich  gelbes,   fettes  Öl  von  un- 

*)  Es  finden  hier  nur  diejenigen  eine  Stelle,  welche  nicht  bereits  bei 
anderen  Droguen  erwähnt,  wurden. 

40* 


—     628     — 

angenehmem  Geruch,  welches  auf  der  Haut  Rötung  und  Pusteln 
erzeugt.  (Die  Schärfe  beruht  auf  der  flüchtigen  Krotonsäure.)  — 
Geschmack  brennend,  gefährlich! 

Anwendung:  Äusserlich  zu  Hautreizen,  innerlich  mit  Ricinusöl 
verdünnt,  als  drastisches  Abführmittel. 

Oleum  Cocos,  Kokosöl. 
Cocos  nucifera.  (Palmae.)  —  Ostindien,  Südamerika. 
Ein  weisses,  körniges,  in  derKälte  festes,  in  mitt- 
lerer Sommerwärme  flüssiges  Fett,  von  eigentümlichem  Gerüche. 
Anwendung:  zu  Salben,  technisch  zur  Seifenbereitung. 

Schlüssel  zum  Bestimmen  der  pflanzlichen  Produkte. 

I.  Teste  Stoffe. 

A.  Gleichartige  Massen. 

1.  Formlose  Stücke. 

a)  Mehr  oder  weniger  durchscheinende  Harzrnassen. 

a)  Von  weisser  Farbe Resina  Dammar. 

ß)  Von  gelber  oder  braungelber  Farbe. 

aa)  Geruch  in  der  Handwärme  terpentinartig. 

aa)  Harz  trübe  durchscheinend  Resini  Pini  burgundica. 
ßß)  Harz  bestäubt,  durchsichtig  Colophonium. 

bb)  Geruch  vanilleartig       ....  Balsam,  tolutanum. 

cc)  Geruch  fenchelartig,  Masse  zähe  Elemi. 

dd)  Geruch  fehlt Succinum. 

y)  Farbe  dunkelbraun,  grünlich  bestäubt. 

aa)  Geruch  schwach  benzoeartig     .  Resina  Guajaci. 

bb)  Geruch  eigen,  Geschmack  bitter  Aloe. 

b)  Undurchsichtige  Massen. 

a)  Farbe  gelblich,  Geruch  narkotisch  .  Lactucarium. 
ß)  Farbe  dunkelrot  (schwärzlich)      .     .  Kino. 
y)  Farbe  tiefblau Indicum. 

2.  In  Stangen,  Kuchen  oder  Würfel  geformt. 

a)  Fettstoffe. 

a)  Durchsichtig,  blätterig-krystallinisch,  Camphora. 
ß)  Undurchsichtig,  weisslich,  geruchlos   Oleum  Cacao. 
y)  Undurchsichtig,  gelb,  oft  marmoriert  Ol.  Myristicae. 

b)  Harzmassen. 

a)  Farbe  pomeranzengelb Gutti. 

ß)  Farbe  zinnoberrot Resina  Draconis. 

c)  Extraktartige  Stoffe. 

a)  Braune,     krümlich  -  körnige    Kuchen 

von  narkotischem  Geruch    ....   Opium. 
ß)  Bräunliche,  harte,  herbe  Stangen     .  Pasta  Guarana. 
y)  Braunschwarze,  süsse  Stangen      .     .  Succ.  Liquiritiae. 
3)  Würfel  von  blauer  Farbe     ....  Lacmus. 
s)  Braune,  erdige  Würfel Catechu. 

3.  Dreikantige,  rinnige  Stücke,  weiss,  süss     .  Manna  electa. 

4.  Platten  oder  Bänder,  weiss,  hart  ....  Tragacantha. 

5.  Rundliche  Körner. 

a)  Durchscheinend,  Bruch  glasglänzend. 

a)  In  Wasser  schleimig  löslich    .     .     ,  Gummi  arabicum. 


—     629     - 

ß)  Harze. 

aa)  Beim  Kauen  erweichend,  kugelig  Mastix. 
bb)  Beim  Kauen  sandig,  länglich     .  Saadaraca. 
b)  Undurchsichtig,  trübe. 

a)  Etwas  weich,  süss Manna. 

ß)  Harte  Körner. 

aa)  Weisslich  -  gelblich,  bestäubt. 

aa)  Geruch  schwach     ....  Olibanum. 
ßß)  Geruch  vanilleartig     .     .     .  Benzoe. 

bb)  Braun,  rotbraun Myrrha. 

cc)  Gelb,   zweihörnig,    mit   Dornen 

gemischt Euphorbium. 

B.  Ungleichartige    Massen     mit    eingesprengten, 
weisslichen  Körnern  (Mandeln). 

1.  Von  angenehmem  Geruch,  rötlichbraun     .  Benzoe. 

2.  Von  unangenehmem  Geruch,  braun  .     .     .  Asa  foetida. 

3.  Schwach  riechend,  gelblich. 

a)  Bruch  milchweiss Ammoniacum. 

b)  Bruch  gelblich Galbanum. 

IL  Flüssigkeiten. 

A.  Stark  riechende,  dickflüssige,  harzreiche  Balsame. 

1.  Durchsichtig,  gelblich. 

a)  Geruch  terpentinartig Terebinthina  laricina. 

b)  Geruch  eigeutümlich Bals.  Copaivae. 

c)  Geruch  vanilleartig Bals.  Tolutanum. 

2.  Fast  undurchsichtig. 

a)  Schwarzbraun,  wohlriechend     ....  Bals.  peruvianum. 

b)  Graubraun,  benzoeduftend,  steif   .     .     .  Styrax  liquidus. 

c)  Gelblich,  körnig  absetzend Terebinthina. 

B.  Nichtflüchtige ,    fette    Öle,    einen    dauernden 
Fettfleck  erzeugend. 

1.  In    gewöhnlicher    Temperatur    halbweich; 

a)  Grün Ol.  Lauri. 

b)  "Weiss Ol.  Cocos. 

2.  In  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig. 

a)  In  der  Kälte  körnig  gestehend. 

aa)  Gelblich,  dünnflüssig     .     ...  Ol.  Olivarum. 
bb)  Farblos,  dicklich Ol.  Ricini. 

b)  In  der  Kälte  nicht  erstarrend. 

aa)  Geruch  unangenehm     .     ...   Ol.  Orotonis;  Ol.  Lini. 
bb)  Ger.  schwach,  Gesch.  milde.  Ol.  Papaveris,  Amygdalarum. 

C.  Flüchtige  Öle,  starkriechend  und  dünnflüssig. 

1.  In  der  Kälte  erstarrend  oder  verdickend.  Ol.  Anisi,  Rosae,  Chamomülae. 

2.  Nicht  erstarrend  in  der  Kälte. 

a)  Auf  Wasser  schwimmend. 

a)  In  gleichviel  Weingeist  klar  löslich:  Ol.  Carvi,  Foeniculi, 
Rosmarini,  Thymi,  Lavandulae,  Menthae  crisp.  und  pip., 
Sabinae,  Ol.  flor.  Aurantii,  Calami,  Majoranae,  Valerianae, 
Beroanwttae.  Cajeputi. 

ß)  In  gleichviel  Weingeist  trübe  löslich: 

Ol.  Citri,  Juniperi,  Macidis,  Terebinthinae. 

b)  In  Wasser  untersinkend:    Ol.    Caryophylli,  Cinnamomi.  Sinapis. 


-     630 


B.   Die  Droguen  des  Tierreichs. 

Man   hat   das  gesamte  Tierreich  in  zwei  grosse  Abteilungen 
und  eine  jede  derselben  wieder  in  mehrere  Klassen  eingeteilt: 

I.  Abteilung.  Wirbeltiere  (Vertebrata).   Tiere  mit  einer  Wirbel- 

säule und  rotem  Blut. 

1.  Klasse.  Säugetiere    (Mammalia).    Mit  rotem,    warmem  Blut, 

durch  Lungen  atmend  und  lebendige  Junge  gebärend,    die- 
selben säugend. 

2.  Klasse.  Vögel  (Aves).     Wie  vorige,  aber  Eier  legend. 

3.  Klasse.  Amphibien    (Amphibia).     Mit    rotem,    kaltem    Blut, 

durch  Lungen  atmend,  ohne  Flossen. 

4.  Klasse.  Fische  (Pisces).   Mit  rotem,  kaltem  Blut,  durch  Kiemen 

atmend,  mit  Flossen. 

II.  Abteilung:    Wirbellose    Tiere    (Bvertebrata).     Tiere    ohne 

Wirbelsäule  mit  meist  weissem  Blut. 

A,  Tiere  mit  gegliedertem  Körper. 

5.  Klasse.  Kerftiere  (Insecta).  Mit  drei  Körperabschnitten,  zwei 

Fühlern  und  drei  Fusspaaren. 

6.  Klasse.  Spinnen  (Arachnoidea).  Mit  zwei  Köi perabschnitten, 

vier  Fusspaaren,  ohne  Fühler. 

7.  Klasse.  Krustentiere     (Krebse)     (Crustacea).      Mit    vielen 

Körperabschnitten  und  Fusspaaren. 

8.  Klasse.  Ringelwürmer  (Annulata).     Ohne  Füsse. 

B.  Tiere  mit  ungegliedertem  Körper. 

9.  Klasse.  Eingeweidewürmer       (Entozoa).        Walzenförmige, 

schmarotzende  Tiere. 

10.  Klasse.  Weichtiere(Mollusca).  Schleimige  Tiere  m.  Kalkschale. 

11.  Klasse.  Strahltiere (Radiata). Mitsternförm. strahligemKörper. 

12.  Klasse.  Quallen   (Acalepha).     Blasen-    oder    scheibenförmige 

Wassertiere  mit  Fangarmen. 

13.  Klasse.   Polypen   (Polypi).     Strahlige   Tiere,    an   einem  Kalk- 

gerüste gesellig  lebend. 

14.  Klasse.  Aufgusstiere.  (Infusoria).  Mikroskopisch  kleine  Tiere, 

in  Flüssigkeiten  lebend. 

Die  Säugetiere  (Mammalia). 
Man  teilt  die  Säugetiere  in  folgende  Ordnungen  ein: 

A.  Füsse  mit  Krallen  oder  Plattnägeln. 
a)  Gebiss  fast  oder  ganz  vollständig, 
a)  Mit  zwei  Händen  und  zwei  Füssen 

1.  Zweihänder  (Bimana). 
ß)  Mit  vier  Händen  2.  Affen  (Quadrumana). 

Y)  Mit  vier  Füssen: 

aa)  Füsse  mit  Flughaut  3.  Fledermäuse  (Chiroptera). 

bb)  Am  Bauch  einen  Beutel 

für  die  Jungen  4.  Beuteltiere  (Marsupialia). 

cc)  Eckzähne  stark  5.  Raubtiere  (Ferae). 

dd)  Eckzähne  den  Vorderzähnen  gleich 

6.  Insektenfresser  (Insectivora). 


—    631     - 

b)  Gebiss  unvollständig. 

a)  Ohne  Eckzähne;  Vorderzähne  meisselförmig 

7.  Nagetiere  (Glires). 
ß)  Ohne  Sehneidezähne, 

zuweilen  ganz  zahnlos         8.  Zahnlose  (Edentata). 

B.  Füsse  mit  Hufen. 

a)  Zehen  in  einen  einzigen  Huf 

verschmolzen  9.  Einhufer  (Solidungula). 

b)  Zehen  in  2  Hufe  verschmolzen  10.  Zweihufer  (Bisulca). 

c)  Drei  bis  fünf  Hufe  11.  Vielhufer  (Multungula). 

C.  Füsse  mit  Flossen. 

a) Füsse ver kürzt m. Schwimmhaut  12.  Robben  (Phocae). 
b)  Vorderfüsse  in  Flossen,  Hinterfüsse 

in  einen  Schwanz  verwandelt  13.  Wale  (Cetacea). 

Castoreum  (canadense),  Bibergeil. 

CastorAmericanus,  Biber.  (Nagetiere,  Glires.)  —  Kanada, 
wo  das  Tier  die  Flussufer  bewohnt,  an  denen  es  grosse  Bauten 
errichtet. 

Zwei  zusammenhängende  Beutel,  welche  sich  bei  beiden  Ge- 
schlechtern  am  Bauche,  zu  beiden  Seiten  des  Afters,  finden  und 
Drüsensäcke  unter  der  Haut  darstellen.  Der  Bibergeilbeutel  ist 
5 — 8  cm  lang,  dunkelbraun,  kahl,  und  besteht  aus  vier  Häuten,  von 
denen  die  beiden  äusseren  derb,  die  inneren  dünn  und  zart  sind. 
Die  äusseren  Häute  lassen  sich  nicht  ablösen.  Im  Inneren 
des  Beutels  befindet  sich  die  Bibergeilmasse,  frisch  eine  salben- 
artige, später  trockene,  zerreibliche,  dunkelbraune  Masse,  die  auf 
der  Schnittfläche  glänzend  erscheint  und  einen  eigentüm- 
lichen Geruch  besitzt. 

Bestandteile:   Harz,  äther.  Öl,  Gallenfett,  Castorin. 

Anwendung:    Als    ein   nervenanregendes  Mittel,  zu  Tinktur. 

Castoreum  sibiricum.  Sibirisches  Bibergeil. 

Castor  Fiber.  —  Sibirien,  daselbst  selten  geworden. 

Diese  Beutel  sind  den  kanadischen  sehr  ähnlich,  unterscheiden  sich 
jedoch  dadurch  von  ihnen,  dass  die  Aussenhäute  sich  leicht  abziehen 
lassen;  die  Bibergeilmasse  ist  auf  der  Schnittfläche  glanzlos,  mehr  von 
erdiger  Beschaffenheit  und  von  viel  stärkerem  Gerüche. 

Bestandteile  und  Gebrauch  wie  beim  vorigen. 

Moschus,  Bisam. 

Moschus  moschiferus,  Moschustier.  (Zweihufer,  Bisulca.) 
—  Hochebenen  Tibets  und  Chinas. 

Ein  Beutel  am  Bauche  des  Männchens ,  dicht  vor  dessen 
Bäte;  3 — 4  cm  gross,  auf  der  dem  Bauche  zugewendeten  Seite 
flach  und  kahl,  auf  der  nach  aussen  gekehrten  Seite  gewölbt  und 
mit  dicken,  steifen,  gelblichen  Haaren  besetzt,  die  nach 
der  Mitte  gerichtet,  meist  aber  kurz  abgeschnitten  sind.  Diese 
konvexe  Seite  besitzt  zwei  Öffnungen :  die  Beutelöffnung  und  eine 
durch   die  Muskelhaut  verlaufende   für  die  Rute.     Die  Wandung 


—    632    — 

des  Beutels  ist  doppelt ,  die  äussere  muskulös ,  die  innere  dünn ; 
letztere  umschliesst  die  Moschussubstanz,  frisch  eine  salbenartige, 
trocken  eine  krümliche,  dunkelbraune,  fettglänzende  Klümp- 
chen    enthaltende   Masse  von  höchst  intensivem  Gerüche. 

Bestandteile:   eigentümliche  Stoffe. 

Anwendung:  Als  kräftig  anregendes  Mittel;  zu  Tinktur. 

Verwechslung:  An  Stelle  des  offizinellen  sog.  tibetanischen 
Moschus  darf  nicht  der  russische  oder  kabardinische  Moschus 
verwendet  werden,  der  aus  der  Mongolei  stammt,  in  Gestalt 
platter,  aschgrau  behaarter  Beutel,  deren  Masse  einen  schwä- 
cheren, mehr  urinösen  Geruch  besitzt. 

Cetaceum,  Walrat. 

Physeter  macrocephalus,  Pottwal.  (Wale,  Cetacea.) 
—  Ein  fischartiges  Säugetier  in  der  Südsee. 

In  Höhlungen  des  gewaltigen  Schädels  befindet  sich  ein  flüs- 
siges Fett,  welches  nach  dem  Tode  des  Tieres  den  Walrat  als  eine 
feste,  krystallinische  Fettmasse  ausscheidet.  Er  stellt  ein 
rein  weisses,  glänzendes,  auf  dem  Bruche  blätteriges  Fett  dar. 

Bestandteile:  palmitinsaures  Cetyl. 
Ambra  grisea.  Grauer  Amber. 

In  den  Eingeweiden  des  Potwals  findet  man  den  Amber  als  eine  Art 
Gallenstein,  eine  graue,  wachsartige  Masse  von  sehr  angenehmem 
Gerüche.  Sie  wird  auch  häufig  von  dem  Tiere  ausgeworfen  und  auf  dem 
Meere  schwimmend  gefischt.     Man  benutzt  sie  zu  Tinktur. 

Adeps  suillus,  Schweineschmalz. 
Sus  Scrofa,  Schwein.     (Vielhufer,  Multungula.)   —  Ein 
Haustier,    dessen   Fett   an   Netz  und  Nieren  beim  Ausschmelzen 
das  Schweineschmalz,  als   butterweiche,  sehr  weisse  Fett- 
masse liefert. 

Sebum  ovile,  Hammeltalg. 
Ovis  Aries,  Schaf.    (Zweihufer,  Bisulca.)  —  Ein  Haustier, 
dessen  Fett  an  Netz  und  Nieren   durch  Ausschmelzen    den  Talg, 
als  feste,  weisse  Fettmasse,  liefert. 

Die  Fische  (Pisces). 
Man  teilt  die  Fische  ein: 

Av  Knochen  knorpelig  1.  Knorpelfische  (Chondracanthi). 

B.  Knochen  fest,  beinhart  (Grätenfiscl;e): 

a)  Rückenflosse  nicht  stachelig  2.    Weichflosser   (Malacopterygii). 

b)  Rückenflosse  stachelig  3.   Stachelflosser  (Acanthopterygii). 

Oleum  Jecoris  Aselli,  Leberthran. 
Gadus   Morrhua,   Kabeljau.    (Weichflosser.)  —  Ein  Fisch 
des    atlantischen   Ozeans,    der    zur    Laichzeit    in    grossen   Zügen 


—     633     — 

die  norwegischen  Küsten  aufsucht  und  im  Frühling  daselbst  ge- 
fangen wird. 

Der  Leberthran  ist  das  Fett  der  Leber  und  wird  aus  der- 
selben durch  gelinde  Erhitzung  mittelst  Dampf  gewonnen.  Zuerst 
fliesst  der  sog.  hell  blanke  Thran  ab,  ein  Öl  von  blassgelber 
Farbe  und  eigenem,  mildem,  fischartigem  Geruch  und  Geschmack. 

Geringere  Handelssorten:  1.  Der  braunblanke  Leberthran, 
aus  länger  gelagerten  Lebern,  von  dunklerer  Farbe,  zwar  noGh 
klar,  aber  von  bitterlichem  Geschmacke  und  saurer  Eeaktion.  — 
2.  Der  braune  Leberthran,  durch  Auskochen  der  rückständigen 
Lebern  gewonnen,  trübe,  dunkelbraun,  beim  durchfallenden  Lichte 
grünlich,  übelriechend  und  scharfschmeckend. 

Colla  piscium.  (Ichthyocolla).  Hausenblase. 

Acipenser  Huso  (Hausen)  und  A.  Sturio  (Stör),  zwei  Fische  in 
den  russischen  und  polnischen  Flüssen.  (Knorpelfische.) 

Die  Schwimmblase  dieser  Fische  wird  aufgeschnitten,  ausgebreitet, 
abgeschabt  und  getrocknet.  Sie  kommt  meist  in  dünnen,  flachen,  weiss- 
lichen  und  durchscheinenden  Platten,  seltener  zu  Ringen  gedreht,  in 
den  Handel. 

Man  benutzt  sie,  in  heissem  Wasser  gelöst,  zu  Emplastrum  anglicum. 

Die  Kerftiere  (Insecta). 
Man  teilt  die  Insekten  folgendermassen  ein: 

A.  Vollkommene  Verwandlung  mit  2  Vorstadien:  Larve,  Puppe. 

a)  Vorderflügel  hornartig 

(Flügeldecken)  1.  Käfer  (Coleoptera). 

b)  Vier  häutige  Flügel  2.  Haut  flügler  (Hymen  optera). 

c)  Zwei  häutige  Flügel  3.  Zweiflügler  (Diptera). 

d)  Vier  mit  Schülferchen 

besetzte  Flügel  4.  Schmetterlinge  (Lepidoptera). 

B.  Unvollkommne  Verwandlung  mit  1  Vorstadium:  Larve. 

a)  Vier  gleiche,  netzartige  Flügel  5.  Netzflügler  (Neuroptera). 

b)  Vorderflügel  pergamentartig      6.  Geradflügler  (Orthoptera). 

c)  Vorderflügel  unten  hornartig     7.  Halbflügler  (Hemiptera). 

Cantharides,  spanische  Fliegen. 
Lytta  vesicatoria, 
Pflasterkäfer.  (Käfer,  Coleop- 
tera.) —  Südeuropa,  zuweilen 
auch  in  Deutschland,  auf 
Eschen,  Liguster  u.  a. 

Ein  Käfer  (Fig.  545)  mit 
hornartigen     Yorderflügeln, 
welche  fast  von  der  Länge  des         Lytta  vesicatoria 
ganzen  Hinterleibes,  in  Form  in  nat.  Grösse. 

eines  Rechtecks  lindgrün 
goldig  schimmernd  sind.  Fig.  545. 


—     634     — 

Verwechslungen:  Der  ähnlich  gefärbte  Ro sen-  oder  Gold- 
käfer ist  mehr  quadratisch,  der  Laufkäfer  oval. 

Bestandteile:  Die  blasenziehende  Wirkung  verdankt  der 
Pflasterkäfer  dem  Cantharidin  (Cantharidenkarnpfer). 

Anwendung:  zu  Empl.  ordin.  u.  perpetuum,  Tinctura  und 
Ungt.  Cantharidum. 

Mel,  Honig.  —  Cera  flava,  Wachs. 
Apis  mellifica,  Biene.  (Hautüügler,  Hymenoptera.) 
Die  geschlechtlosen  Arbeiterinnen  sondern  zwischen  den  Ringen 
ihres  Hinterleibs  das  gelbe  Wachs,  Cera  flava,  aus,  womit 
sie  die  Waben  aufbauen,  innerhalb  deren  sie  den  von  ihnen  aus 
den  Blumen  gesammelten  Honig  aufspeichern.  Durch  Auspressen 
und  Erwärmen  lässt  man  letzteren  aus  den  Waben  ausfüessen; 
anfänglich  ein  klarer,  gelber  Syrup,  gesteht  er  bei  der  Aufbewah- 
rung, zufolge  der  Auskrystallisierung  des  Traubenzuckers,  zu  einer 
körnigen,  undurchsichtigen  Masse.  Die  vom  Honig  entleerten 
Waben  werden  mit  Wasser  ausgekocht,  wobei  das  gelbe  Wachs 
sich  über  dem  Wasser  ansammelt.  Durch  Bleichen  im  Sonnen- 
lichte entfärbt  man  das  gelbe  Wachs  zu  dem  härteren,  spröderen, 
etwas  schwerer  schmelzbaren  weissen  Wachs,  Cera  alba. 

Formicae.  Ameisen. 

Forinica  rufa,  Waldameise.  (Hautüügler,  Hymenoptera.) 
Ein  rotbraunes  Insekt,  ohne  Flügel,  mit  schwarzem  Hinterleib, 
bis  7  mm  lang  vorzugsweise  in  Nadelwäldern  zu  finden.  Fig.  546.  Man 
sammelte  die  geflügelten  Geschlechtlosen  (Arbeiterinnen),  welche  in  einer 
Drüse  am  Hinterleib  Ameisensäure  absondern,  und  bereitete  aus  ihnen 
Spiritus  und  Tinctura  Formicarum. 


ab  c 

Fig.  546.  Formica  rufa,  in  nat.  Grösse,  a  Männchen,  b  Arbeiterin,  c  Weibchen. 

Coccionella.    Kochenille. 
Coccus  Cacti.    (Halb flügler,  Hemiptera.)     Mexiko,    wo    das 
Insekt  auf  einer  Cactusart  (Opuntia  coccinellifera),  nach  Art 
I     fn      1P     ^er  Blattläuse  lebt.   Man  kultiviert  daselbst  die  Weibchen 
und  tötet  sie  auf  heissen  Platten  oder  mit  Wasserdampf. 

Körnchen  -  ähnliche   Insekten,    oberseits  bläulichrot, 
weiss    bereift    und   querrunzelig,    unterseits    weisslich, 
•Fi  547-       mit  den  Resten  der  Beine;  flügellos.  Fig.  547. 
Weibl.Coccus  Bestandteile:  (Carmin,  Farbestoff). 

Cacti,  vergr. 


-     635     — 


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Ringelwüriner  (Annulata). 

Hirudines,  Blutegel. 

Sanguisuga  medicinalis  und  S.  officinalis.  (Glatt- 
würmer, Apoda.)     In  Teichen  des  mittleren  Europa. 

Würmer,  die  sich  vom  Blute  höherer  Tiere  nähren,  welches 
sie  mit  Hilfe  des  Mundes,  der  mit  drei  zahnartigen  Kiefern  bewaffnet 
ist,  saugen.  Am  hinteren  Körper- 
ende tragen  sie  einen  Saugnapf, 
jedoch  ohne  Öffnung.  Beide  Arten 
besitzen  einen  olivengrünen, 
mit  (3  rostroten,  schwarz- 
punktierten Längsstreifen 
gezierten  Kücken.  Der  deut- 
sche Blutegel,  (Sanguisuga 
medicinalis)  ist  körnig  rauh, 
unterseits  grünlichgelb, 
schwarzgefleckt;  der  unga- 
rische Blutegel,  (Sangui- 
suga officinalis)  ist  glatt, 
unterseits  olivengrün,  nicht  ge- 
fleckt ;  mehr  im  östlichen  Europa. 
Fig.  548. 

Verwechslungen:  DerRoss- 
es;ei  (Haemopis  Sanguisorba), 
zum      Saue-en      we«-en      seiner      FiS-  548,  Sanguisuga  officinalis. 

Z,ULU        OdUgeil         we&t;il         bümei       n.  Vorderes  Körperende,  mit  den  Augen. 
Stumpfen        Zähne         Untauglich,         HI.  Mundöffnung  mit  den  drei  Zähnen. 

unterscheidet    sich   durch   einen   unregelmässig  gefleckten,    aber 
nicht  gestreiften,  dunkelgrünen  Rücken.   Häufig  in  Gräben. 

Die  Weichtiere  (Mollusca). 

Conchae.  Austerschalen.  Ostrea  edulis.  (Muscheln).  —  Ost  und 
Nordsee,   an  deren  Küsten  sie  gesellig  lebt,  unter  Wasser  Bänke  bildend. 

Die  Schalen  sind  rundlich,  aussen  graubraun,  innen  glatt,  rnilch- 
weiss,  perlrnutterglänzend,  und  zeigen  konzentrische  Schichten.  Mit 
Wasser  ausgekocht,  abgebürstet,  getrocknet  und  gepulvert,  darauf  ge- 
schlämmt, stellen  sie  die  präparierten  Austerschalen,  Conchae  jwaeparatae,  dar. 

Bestandteile:  kohlensaurer  und  etwas  phosphorsaurer  Kalk. 

Os  Sepiae.  Sepia  officinalis,  Tintenfisch.  (Kopffüssler.)  —  Mittelmeer. 
Im  Rücken  beitzt  das  Tier  ein  plattes,   eiförmiges  Schalenstück, 
welches  ein  weisses  Pulver  liefert  (kohlensauren  Kalk). 


V.  Abteilung. 

Spezielle  Pharmazie.") 


A.  Die  pharmazeutischen  Zubereitungen. 

(Defektur.) 

1.  Die  Zubereitung  der  Droguen. 

§  486.  Vom  Einsammeln  der  Vegetabilien.  Die  einheimischen  vege- 
tabilischen Droguen  werden  vielfach  von  den  Apothekern  selbst 
eingesammelt  und  getrocknet. 

Die  Zeit  der  Einsammlung  ist  für  die  Kräuter,  Blätter 
und  Blüten  im  allgemeinen  diejenige,  in  welcher  die  Pflanze 
aufzublühen  beginnt. 

Ausnahmen  hiervon  giebt  die  Pharmacopoea  besonders  an;  so  lässt  sie 
Salbei-  und  Rautenblätter  vor  dem  Aufblühen  einsammeln.  Andere  Fälle 
bestimmen  sich  von  selbst;  wenn  nämlich  zur  Blütezeit  die  Blätter  noch 
nicht  entwickelt  sind,  wie  beim  Huflattich,  dem  Walnussbaum,  fällt  das 
Einsammeln  der  Blätter  nach  der  Blütezeit. 

Beim  Einsammeln  der  Kräuter  und  Blüten  achte  man  auf  sonniges, 
trocknes  Wetter,  anderenfalls  dieselben  missfarbig  werden.  Zumal  er- 
fordern die  Wollblumen  und  Hollunderblüten  warmen  Sonnenschein  beim 
Sammeln,  um  möglichst  trocken  gepflückt  zu  werden. 

Man  streut  die  gesammelten  Kräuter,  Blätter  und  Blüten 
zum  Trocknen  in  dünner  Schicht  auf  den  zuvor  reingefegten 
Hausboden  aus,  wo  man  sie  lufttrocken  werden  lässt,  um  sie  dann 
ohne  Verzug  auf  Hürden  an  einem  lauwarmen  Orte  —  im  Son- 
nenschein oder  Trocken  schrank  —  vollständig  auszutrocknen  und 
dann  in  die  Vorratsbehälter  zu  bringen. 

Bei  sonnigem  Wetter  genügt  für  manche  Kräuter  der  Hausboden  zum 
völligen  Trocknen.  Diejenigen,  welche  in  Blechkästen  aufbewahrt  werden 
sollen,  bedürfen  jedoch  künstlicher  Wärme,  da  sie  bei  Rückhalt  selbst 


*)  Näheres  findet  sich  in  dem  von  mir  herausgegebenen  „Taschen- 
buch der  pharmazeutischen  Receptur  und  Defektur."  Leipzig, 
Ernst  Günthers  Verlag". 


—     637     — 

geringer  Feuchtigkeit  in  den  festverschlossenen  Gefässen  schimmeln.    Holz- 
kästen erlauben  immer  noch  ein  nachträgliches  Austrocknen. 

Die  Binden  werden  bei  Beginn  des  Frühlings  von  jungen 
Stämmen  oder  nicht  zu  alten  Asten  geschält.  Die  Wurzeln 
und  Wurzelstöcke  gräbt  man  vorzugsweise  von  den  dreijährigen 
Gewächsen  entweder  zu  Anfang  Frühlings  oder  Ausgang  Herbstes ; 
von  zweijährigen  Krautgewächsen,  z.  B.  Klette,  Engelwurz,  werden 
sie  im  Frühling  des  zweiten  Jahres  gesammelt.  Man  säubert  die 
Wurzeln  von  der  anhängenden  Erde  durch  Bürsten,  seltener  durch 
Waschen,  schneidet  dann  die  morschen  Teile  ab,  spaltet  die  dickeren 
Wurzeln  der  Länge  nach  und  trocknet  sie  zunächst  auf  dem 
Hausboden ,  schliesslich  im  Trockenschranke.  Gewisse  Wurzeln 
werden  vor  dem  Trocknen  geschält,  z.  B.  Eibisch-,  Kalmus-,  Alant-, 
Farn  wurzel. 

Früchte  und  Samen  werden  zur  Zeit  ihrer  Reife  gesammelt, 
welche  in  den  September  oder  Oktober,  bei  der  Zeitlose  in  den 
Mai  und  Juni  fällt. 

Jährlich  frisch  einzusammeln,  und  nach  einjähriger  Aufbe- 
wahrung zu  beseitigen,  sind  Folia  Digitalis,  Glandulae  Lupuli  und 
Rhizoma  Filicis. 

§  487.  Vom  Schneiden  der  Vegetabilien.  Das  Zerkleinern  der  Ve- 
getabilien  geschieht  durch  das  Messer,  seltner  durch  den  Stossmörser. 

Wurzeln  und.dgl.  zerschneidet  man  mit  dem  Schneidemesser, 
Kräuter,  Blätter  und  Blumen  mit  dem  Wiegemesser,  Rollmesser 
oder  Stampfmesser  (im  Stampftrog).  Um  die  Bruchstücke  in  an- 
nähernd gleicher  Grösse  zu  erhalten ,  trennt  man  die  gröberen 
Teile  durch  ein  Speciessieb  ab  und  bringt  sie  nochmals  unter 
das  Messer;  die  feineren  Teile  entfernt  man  durch  ein  Sieb  für 
grobe  Pulver. 

Der  Speciessiebe  giebt  es  mehrere:  zwei  für  gröbere 
Species,  mit  der  Maschenweite  von  6—4  iw,  das  weitere  für 
Kräuter,  das  engere  für  Wurzeln,  ebenso  zwei  Siebe  für  feinere 
Species,  mit  der  Maschenweite  von  3-2  mm. 

Bsp.  Die  weiteste  Nummer  (Nr.  9)  für  Folia  Sennae  conc,  die 
nächst  engere  (Nr.  8)  für  Rad.  Althaeae  conc,  die  folgende  (Nr.  7)  für 
Species  aromaticae  und  die  engste  Nummer  (Nr.  6)  für  Cortex  Chinae 
contus.  Harte,  holzige  Rinden  und  Wurzeln,  wie  Chinarinde,  Brech- 
wurzel u.  a.,  werden  zu  feinerer  Zerkleinerung  nicht  mit  dem  Messer  ge- 
schnitten, sondern  im  Mörser  kontundiert. 

§  488.  Vom  Pulvern.  Das  Pulvern  geschieht  im  kleinen  durch 
Zerstossen  im  Stossmörser,  im  grossen  auf  eigenen  Pulverisier- 
anstalten durch  mannigfache  mechanische  Hilfsmittel,  vorzugsweise 
in  rotierenden  Trommeln  mittelst  eiserner  Kugeln. 

Dem  Pulvern   geht  in    den   meisten  Fällen  ein  Trocknen 
-der  Substanz  voraus,  welches  stets  mit  Vorsicht  und  in  nicht  zu 


—     638    — 

hoher  Temperatur  geschehen  soll.  Bei  den  Gummiharzen  wird 
statt  dessen  Frostkälte  zur  Hilfe  genommen,  wobei  sie  sich  leicht 
pulvern  lassen.  Übrigens  gelingt  dies  auch  im  Sommer,  sofern 
die  Gummiharze  frei  von  hygroskopischer  Feuchtigkeit  sind,  was 
man  durch  längeres  Lagern  derselben  über  gebranntem  Kalk 
erzielen  kann. 

Man  unterscheidet  grobe  und  feine  Pulver.  Jene  dienen 
vorzugsweise  in  der  Yeterinärpraxis  und  zu  mancherlei  Ansätzen. 
Man  bedient  sich  dabei  zweier  Siebe;  teils  eines  feineren  Draht- 
siebes (Nr.  5) ,  teils  eines  Pferdehaarsiebes  (Nr.  4) ,  jenes  für 
ölreiche  Samen  und  Früchte  (Anis,  Fenchel  u.  dgl.),  dieses  für 
"Wurzeln  u.  dgl. 

Die  feineren  Pulver  lassen  sich  unterscheiden  in  mittel- 
feine und  höchstfeine  (alkoholisierte).  Für  erstere  hat 
man  zwei  Siebe  aus  Pferdehaar,  ein  gröberes  (Nr.  3)  für  Zucker, 
Salze  und  ähnliche  lösliche  Stoffe,  ein  feineres  (Nr.  2)  für  ölhal- 
tige Yegetabilien ,  Gummiharze,  Weinstein  u.  dgl.  Die  höchst- 
feinen Pulver  erfordern  ein  Flor  sieb  (Nr.  1)  aus  ungebleichter, 
weisser  oder  strohgelber  Seide,  und  werden  aus  ölfreien  Vegeta- 
bilien  dargestellt. 

Die  drei  feineren  Siebe  bestehen  aus  je  drei  Teilen:  dem 
eigentlichen  Siebe,  dem  Boden  und  dem  Deckel ;  die  beiden  letzte- 
ren sind  mit  Schafleder  überzogen. 

§  489.  Vom  Präparieren.  Für  die  mineralischen  Stoffe  giebt  es 
ein  höchst  feines  Pulver,  welches  man  präpariert  nennt.  Man 
zerreibt  die  Substanz  nach  dem  Pulvern  im  Mörser,  portionen- 
weise mit  kräftigem  Drucke  in  der  Reibschale.  Statt  des  Ab- 
siebens  bedient  man  sich  dabei  besonderer  Methoden;  die  unlös- 
lichen Körper  werden  geschlämmt,  die  löslichen  gebeutelt. 

Das  Schlämmen  oder  Lävigieren,  welches  man  beim 
Kalomel,  den  Austerschalen  u.  a.  m.  anwendet,  besteht  darin, 
dass  man  die  feinzerriebene  Substanz  in  der  Reibschale  mit  vielem 
"Wasser  anrührt,  letzteres  nach  wenigen  Momenten  in  ein  Gefäss 
abgiesst  und  den  Bodensatz  der  weiteren  Präparation  unterwirft. 
Was  das  abgegossene  Wasser  absetzt,  ist  das  gewünschte  Pulven 

Beim  Beuteln  hängt  man  ein  Stück  glatte,  dichte  Leinwand 
in  ein  weites  Gefäss  oder  eine  Blechbüchse,  bindet  es  am  Ge- 
fässrand  fest,  füllt  es  mit  der  präparierten  Substanz,  tektiert  das 
Gefäss  mit  starkem  Papier  oder  setzt  einen  dichtschliessenden 
Deckel  auf,  und  schüttelt  anhaltend  hin  und  her.  Dabei  schlägt 
der  Beutel  gegen  die  Gefässwand  an  und  lässt  das  Feinste  der 
Substanz  durch  seine  Poren  durchgehen.  Jede  Substanz  erhält 
ihr  eigenes'  Beuteltuch. 


639     - 


2,  Destillierte  Wässer,  Aquae  destillatae. 

§  490.  Wie  gewinnt  man  die  destillierten  Wässer?  Mau  stellt  die 
destillierten  Wässer  aus  Arzneikörpern  dar,  welche  ätherisches 
Öl  enthalten;  sie  sind  daher  als  wässerige  Lösungen  ätherischer 
Öle  zu  betrachten.  Obwohl  man  sie  daher  durch  Schütteln  von 
(lauwarmem)  Wasser  mit  geringen  Mengen  des  betreffenden  äthe- 
rischen Öles  (1000 :  1)  erhalten  kann,  bereitet  man  sie  doch  besser 
durch  Destillation  der  Pflanzenteile  mit  Wasser  resp.  Wasser- 
dampf, so  das  Fenchelwasser  aus  den  Fenchelfrüchten,  das  Zimt- 
wasser aus  der  Zimtrinde,  das  Pfefferminzwasser  aus  den  Pfeffer- 
minzblättern. Ausser  diesen  rein  wässerigen  Destillaten  stellt 
man  einige  spirituöse  Wässer  durch  Zusatz  von  Weingeist 
dar,  z.  B.  spirituöses  Zimtwasser  (Aqua  Cinnamomi  spirituosa). 
Auch  das  Bittermandel wasser  zählt  zu  denselben. 

§  491.  Darstellung  über  freiem  Feuer.  Die  ältere  Methode 
der  Gewinnung  destillierter  Wässer  ist  die  Destillation  über 
freiem  Feuer.  Man  nimmt  sie  in  kupfernen  Destillierblasen 
vor ,  die  nur  bis  zur  Hälfte ,  höchstens  zu  zwei  Drittel  mit  den 
Ingredienzien  gefällt  werden  dürfen ,  da  in  den  meisten  Fällen 
die  Mischung  bei  Beginn  des  Siedens  stark  aufschäumt.  Die  zer- 
schnittenen Wurzeln,  Kräuter,  Blumen,  die  zerstampften  Samen, 
Früchte,  Binden  werden  mit  so  viel  Wasser  in  die  Blase  gegeben, 
dass  die  Mischung  nach  dem  Abzug  des  zu  gewinnenden  Destil- 
lates auch  flüssig  bleibt  und  nicht  anbrennt. 

In  manchen  Fällen  geht  der  Destillation  eine  Maceration  zu- 
vor, wie  beim  konzentrierten  Himbeerwasser,  Schlagwasser  u.  a. 

Nach  dieser  Methode  lassen  sich  alle  destillierten  Wässer  dar- 
stellen; sie  ist  für  manche  die  ausschliessliche  geblieben,  z.  B.  für 
Aqua  Lauro-Cerasi,  Aqua  foetida  antihyst.,  ebenso  für  die  kon- 
zentrierten Wässer. 

§  492.  Darstellung  durch  Dampfdestillation.  Die  neue  reMethode 
ist  die  Gewinnung  der  destillierten  Wässer  durch  Dampfdestil- 
lation aus  dem  Beindorfschen  Dampfapparate.  Sie  lässt  sich 
in  den  meisten  Fällen  anwenden  und  vereinigt  viele  Vorteile. 
Ein  Anbrennen  ist  unmöglich,  die  Reinigung  der  Blase  sehr  leicht, 
auch  zeichnen  sich  die  Wässer  durch  guten  Geruch  und  Reinheit 
aus.  Man  bringt  die  zerkleinerten  Vegetabilien  in  der  Regel 
trocken  auf  den  nötigenfalls  mit  Leinwand  bedeckten  Siebboden 
des  zinnernen  Einsatzkessels ,  nachdem  das  Dampfzuleitungsrohr 
bereits  eingefügt  worden ;  dann  setzt  man  den  Helm  auf  und  be- 
ginnt die  Destillation. 


—     640     — 

Soll  ein  destilliertes  Wasser  weingeisthaltig  sein,  so  bringt 
man  den  Weingeist  in  das  Wasser  des  äusseren  Kupferkessels 
oder  kann  auch  die  Vegetabilien  damit  besprengen. 

Yon  manchen,  an  sich  schwach  riechenden  oder  wenig  halt- 
baren Wässern,  wie  Aqua  Chamomillae,  Melissae,  Sambuci,  Tiliae, 
u.  a.,  stellt  man  konzentrierteWässer  dar,  indem  man  zu- 
nächst durch  Dampfdestillation  ein  einfaches  Wasser  gewinnt  und 
dieses  dann  nach  einem  Zusätze  von  Weingeist  für  sich  abermals 
der  Destillation  aussetzt,  wobei  man  nur  den  zehnten  Teil  des 
ersteren  übergehen  lässt.  Dieses  konzentrierte  Wasser  ist  beim 
Gebrauche  auf  das  Zehnfache  zu  verdünnen. 

rä§B|  Bei   vielen  Wässern   erhält  man   zugleich 

fpflff  mehr  oder  weniger  ätherisches  Öl,  z.  B.  bei 

Aqua  Foeniculi,  Menthae  piperitae  u.  a.     Diese 
=^i     fangt  man  in   eine    sog.  Florentinerflasche 
(Fig.    560)    auf,    in    welcher   sich    (bei   a)    das 
ätherische    Öl    sammelt,    während    das    Wasser 
durch    das    Ausüussrohr    (b)    abfliesst.      Ist    die 
Destillation   beendigt,    so    leitet   man  das  äthe- 
rische  Öl  mit  Hilfe  eines  kleinen  Dochtes  oder 
^s,     eines   Päuschchens    Watte    in    ein    angehängtes 
^W^     Gläschen   über.     Grössere  Mengen  kann  man  in 
'^^^ij^  einen  verschlossenen  Trichter  abgiessen  und  lässt 

*  "~7"  nach   einiger  Ruhe   das  Wasser  vom  abgeschie- 

iig.  54J.  denen  Öle  abfliessen.     (Scheidetrichter.) 

Der  Weingeistgehalt  der  Spirituosen  destillierten  Wässer  er- 
höht deren  Lösungsvermögen  zum  Öle;  daher  scheiden  solche  kein  äthe- 
risches Öl  ab. 


3.  Medizinische  Spiritus. 

§493.  Was  sind  die  medizinischen  Spiritus ?  Die  medizinischen 
Spiritus  sind  farblose,  weingeistige  Lösungen  ätherischer  oder 
ätherisch  -  öliger  Stoffe ,  seltener  anderweitiger  Körper  (wie  der 
Ameisen-  und  Seifenspiritus). 

Man  stellt  die  medizinischen  Spiritus  dar: 

a)  Durch  Mischung  einer  Flüssigkeit  mit  Weingeist;  so 
den  Ätherweingeist  (Spiritus  aethereus)  aus  1  Teil  Äther  und  3  Teilen 
Weingeist,  den  Senfspiritus  (Spiritus  Sinapis)  aus  1  Teil  Senföl 
und  50  Teilen  Weingeist. 

b)  Durch  Auflösung  eines  Arzeneikörpers  in  Weingeist, 
z.  B.  den  Kampferspiritus  (Spiritus  camphoratus)  durch  Auflösen 
von  1  Teil  Kampfer  in  7  Teilen  Weingeist  und  Verdünnung  der 
klaren  Flüssigkeit  mit  2  Teilen  dest.  Wasser. 

c)  Durch  Destillation  von  Yegetabilien  mit  verdünntem 
Weingeist,  z.  B.  Spir.  Cochleareae  von  frischem  blühenden  Löffel- 
kraut ,   Spir.   Juniperi  von  zerstossenen   Wacholderbeeren ,    Spir. 


—     641     — 

Lavandulae  von  Lavendelblüten,  Spir.  Rosmarini  von  Kosmarin- 
blättern ,  Spir.  Serpylli  vom  blühenden  Quendel ,  Spir.  Angelicae 
comp,  von  zerschnittener  Engelwurzel ,  Baldrianwurzel  und  zer- 
stossenen  Wacholderbeeren. 

Man  kann  diese  Destillation  zwar  auch  über  freiem  Feuer 
ausführen ,  aber  in  der  Kegel  benutzt  man  den  Beindorfschen 
Dampfapparat,  in  dessen  zinnernen  Einsatzkessel  (nach  Heraus- 
nahme des  Siebbodens)  die  Mischung  gebracht  und ,  ohne  das 
Dampfzuleitungsrohr  einzufügen,  aus  dem  Wasserbade  abdestilliert 
wird.  (Eine  Mischung  aus  gleichen  Teilen  Weingeist  und  Wasser 
lässt,  im  Wasserbade  erhitzt,  verdünnten  Weingeist  von  0,89 
spez.  Gew.  überdestillieren.) 


4.  Tinkturen  und  Elixire, 

§494.  Was  sind  die  Tinkturen?  Die  Tinkturen,  Tincturae*), 
sind  farbige,  weingeistige  Auszüge  vegetabilischer  und  tierischer, 
seltener  chemischer  Arzneistoffe.  Geschieht  die  Extraktion  durch 
Ätherweingeist,  so  nennt  man  die  Tinktur  eine  ätherische; 
wendet  man  Wasser  an,  mit  geringem  Weingeistzusatz,  so  heisst 
sie  eine  wässerige  Tinktur,  z.  B.  Tinct.  Rhei  aquosa;  wendet 
man  Wein  (Xereswein)  an,  so  erhält  man  eine  weinige  Tinktur 
oder  einen  medizinischen  Wein,  z.  B.  Tinct.  Rhei  vinosa, 
Yinum  Colchici  u.  a. 

Die  Mehrzahl  der  Tinkturen  wird  mit  verdünntem  Wein- 
geist bereitet:  dessen  Gewichtsmenge  in  der  Regel  das  Fünffache, 
bei  stark  wirkenden  Arzeneimitteln  das  Zehnfache  der  zu  extrahieren- 
den Ingredienzien  beträgt.  Harze  und  harzähnliche  Körper  (Aloe, 
Myrrha,  Benzoe  u.  a.),  sowie  harz-  und  ölhaltige  Arzeneistoffe 
(Castoreum,  Cantharides  u.  a.)  erfordern  un  verdünn  ten  Wein- 
geist, Man  übergiesst  die  zerkleinerten  Stoffe  —  zerschnittene 
Wurzeln  und  Kräuter,  zerstossene  Früchte  und  Samen  —  in 
einer  weithalsigen  Flasche  mit  dem  Weingeist,  ohne  dass  jedoch 
das  Gefäss  sich  völlig  damit  anfülle,  tektiere  dann  die  Mündung 
mit  befeuchteter  Blase  oder  Pergamentpapier  und  stecke  eine 
Stecknadel  in  dieselbe,  um  der  Dampfspannung  etwas  Ausweg 
zu  lassen.  Nach  achttägiger  Einwirkung,  welche  in  der  Kegel 
eine  Maceration  in  mittlerer  Sommertemperatur  ( 1 5 — 20°  C) 
ist,  während  deren  die  Mischung  öfters  umgeschüttelt  werden 
muss,  wird  der  Weingeist  abgegossen,  der  Rückstand  ausgepresst 
und  die  Tinktur  nach  mehrtägigem  Absetzenlassen  filtriert. 

Schliesslich  seien  die  wenigen  Tinkturen  erwähnt,  welche 
durch  Auflösen   von  Extrakten   und  anderen  Stoffen  gewonnen 

*)  Tinctura  von  tingo  (färben.) 

Schlickum,  Apothekerlelirling.  41 


—     642     - 

Averden,  wie  Tinct.  Cannabis  indicae  aus  Extr.  Cannabis  ind.,  Tinct. 
Ferri  pomata  aus  Extr.  Ferri  pom.,  Tinct.  Chinoidini  aus  Chinoidin, 
Tinct.  Ferri  chlorati  aus  Eisenchlorür,  Tinct.  Jodi  aus  Jod. 

§495.  Elixire.  DieElixire,  Elixiria*),  sind  dunkelfarbige, 
meist  undurchsichtige,  auch  wohl  trübe  Extraktlösungen, 
wie  Elixir  amarum,  e  Succo  Liquiritiae,  oft  mit  einem  Auszug 
verbunden,  wie  Elixir  Aurantii  comü. 


5.  Extrakte,  Extraeta, 

§496.  Die  Extrakte  im  allgemeinen.  Die  Extrakte,  Extraeta, 
sind  eingedickte  Auszüge  vegetabilischer  Stoffe,  welche  die 
arzeneikräftigen  Bestandteile  derselben  enthalten.  Nach  ihrer  Kon- 
sistenz unterscheidet  man  1.  dünne  Extrakte,  von  der  Dicke 
des  frischen  Honigs;  2.  dicke  Extrakte,  welche  vom  Spatel 
kaum  mehr  abfliessen  und  sich  mit  demselben  in  Fäden  ziehen 
lassen;  3.  trockne  Extrakte  von  pulveriger  Beschaffenheit. 
Während  die  dicke  Extraktform  als  die  gewöhnliche  zu  bezeichnen 
ist,  wird  die  dünne  nur  in  wenigen  Fällen,  nämlich  beim  Ein- 
dampfen ätherischer  Auszüge  harz-  und  ölreicher  Substanzen 
(Cina,  Cubeba,  Filix  mas,  Mezereum)  gewählt,  die  trockne  Form 
dagegen  in  solchen  Fällen,  wo  wegen  eines  Gehaltes  an  Gummi, 
Schleim  u.  dgl.  das  dicke  Extrakt  leicht  dem  Schimmeln  unter- 
worfen ist,  z.  B.  bei  Opium,  Colombo,  Myrrha,  Ratanha,  Strychnos. 

Man  bewahrt  die  steifen  Extrakte  an  einem  trocknen,  aber 
nicht  zu  warmen  Orte  auf. 

§  497.  Bereitung  der  Extrakte.  Man  unterscheidet  bei  der  Extrakt- 
bereitung 1.  Extraktion,  2.  Eindampfen  des  Auszugs. 

Im  allgemeinen  benutzt  man  die  getrockneten  Vegetabilien 
zur  Extraktion ;  bei  den  einheimischen  narkotischen  Gewächsen 
verwendet  man  dazu  das  frische  Kraut.  Betrachten  wir  zu- 
nächst die  allgemeine  Methode,  so  hängt  das  Extraktionsverfahren 
von  der  Beschaffenheit  der  Substanz  und  der  Wahl  des  Ex- 
traktionsmittels ab.  Letzteres  kann  sein:  a)  -Reines  Wasser; 
b)  Wasser  mit  Weingeist;  c)  reiner  Weingeist;  d)  Weingeist  mit 
Äther;  e)  reiner  Äther. 

Je  nachdem  das  eine  oder  das  andere  dieser  Extraktions- 
mittel zur  Anwendung  gelangt,  bezeichnet  man  das  Extrakt  als 
ein  wässeriges,  spirituös-wässeriges,  spirituöses,  äthe- 
risch-spirituöses  oder  ätherisches  Extrakt. 

*)  Elixir  von  elicio  (herauslocken,  herausziehen). 


—     (343     - 

§  498.  Wässerige  Extrakte.  In  allen  Fällen,  wo  die  wirksamen 
Bestandteile  eines  Vegetabils  nur  in  Salzen  und  Bitterstoffen  be- 
stehen (wie  bei  Carduus  bened.,  Gentiana  Centaurium ,  Dulca- 
naara,  Quassia,  Taraxacum,  Trifolium  fibrin.),  oder  in  Zucker  und 
ähnlichen  süssen  Stoffen  (wie  bei  Rhiz.  Graminis,  Liquir.),  oder 
in  Gerbestoffen  (wie  bei  Ratanhia,  China),  bedient  man  sich  des 
Wassers  als  Extraktionsmittels.  Dasselbe  sei  möglichst  frei  von 
Kalk,  daher  destilliertes  oder  Regen wasser. 

Von  der  Art  des  wirksamen  Prinzipes,  sowie  von  der  äusse- 
ren Beschaffenheit  des  Yegetabils  hängt  es  ab,  in  welcher  "Weise 
die  Extraktion  stattfinden  soll.  Im  allgemeinen  befolgt  man  das 
Verfahren ,  die  zerschnittene  oder  zerstossene  Substanz  mit  der 
4— 6 fachen  Menge  siedenden  Wassers  zu  übergiessen,  das 
Ganze  einer  sechsstündigen  Digestion  (bei  lauer  Wärme)  zu 
überlassen,  dann  auszupressen  und  die  Extraktion  mit  der  halben 
Wassermenge  nochmals  in  gleicher  Weise  zu  repetieren.  So  ver- 
fährt man  beispielsweise  bei  Extr.  Cardui  bened.,  Dulcamarae, 
Graminis,  Strychni  aquosum. 

Holzige  Substanzen ,  wie  Campecheholz ,  erfordern  ein  mehr- 
stündiges Kochen,  indem  man  sie  mit  der  achtfachen  Wasser- 
menge abkocht,  bis  die  Hälfte  des  Wassers  verdampft  ist. 

Von  der  heissen  Extraktion  wird  in  gewissen  Fällen  Abstand 
genommen  und  eine  1—  2tägige  Maceration  der  Substanz  mit 
der  4 — 6 fachen  Menge  kalten  Wassers  angewendet.  Dies 
geschieht  wegen  der  harzigen  Bestandteile ,  bei  Opium ,  Aloe, 
Myrrha,  bei  Gentiana  wegen  des  Pektingehaltes,  beim  Lakriz  und 
Süssholz  wegen  des  Stärkemehls,  bei  der  Ratanha  wegen  des  Gerb- 
säureabsatzes. 

Würde  man  solche  Substanzen  mit  siedendem  Wasser  behandeln,  so 
erhielte  man  trübe,  dickliche,  nicht  zu  klärende  Brühen  und  kaum  lösliche 
Extrakte.  Entweichende  Körper,  wie  den  Lakriz,  schichtet  man  mit  ge- 
schnittenem Stroh  in  Dekantirtöpfe ,  aus  deren  seitlichen  Offnungen  die 
klaren  Brühen  abgezapft  werden;  eine  Pressung  findet  dabei  nicht  statt, 
vielmehr  wiederholt  man  mehrmals    die  Extraktion  mit  frischem  Wasser. 

Die  vermischten ,  durch  Absetzen  und  Kolieren  geklärten 
Brühen  werden  ohne  Zeitverlust  im  Dampfbade  eingedickt.  Da 
ein  längeres  Kochen  wohl  zu  vermeiden  ist,  empfiehlt  sich  nicht 
ein  Abdampfen  über  freiem  Feuer.  Man  benutzt  zinnerne  oder 
porzellanene  Schalen,  jedoch  keine  aus  Eisen  oder  Kupfer,  welche 
das  Extrakt  verunreinigen  würden.  Man  dampft  die  Brühe  bis 
etwa  zum  dritten  Teile  ein ,  stellt  sie  dann  kurze  Zeit  an  einen 
kühlen  Ort  und   koliert   sie  vom   abgeschiedenen  Bodensätze  ab. 

Gewisse  Extrakte,  wie  Extr.  Taraxaci,  Graminis,  scheiden  schwerlös- 
liche Salze  ab,  weshalb  man  sie  nach  dem  Eindampfen  zur  Syrupkonsistenz 
einige  Zeit  stehen  lässt,  darauf  nochmals  in  der  vierfachen  Menge  kalten 
Wassers  löst  und    die   filtrierte  Flüssigkeit  zum   steifen  Extrakte  einengt. 

41* 


—     644    — 

Trotzdem  kann  es  bei  gerbstoff haltigen  Extrakten  nicht  verhütet  werden, 
dass  sie  sich  später  trübe  in  Wasser  lösen,  da  der  Gerbstoff  sich  beim 
Abdampfen  durch  Sauerstoffaufnahme  in  schwerlöslichen  Gerbsäureabsatz 
umwandelt.  Solche  Extrakte  lassen  sich,  wie  leicht  ersichtlich  ist,  durch 
abermaliges  Auflösen  und  Eindampfen  nicht  verbessern. 

§  499.  Spirituöse  Extrakte.  Beruht  die  arzneiliche  Kraft  in  aro- 
matischen Stoffen,  flüchtigen  Ölen,  Harzen  u.  dgl.,  so  bereitet  man 
ein  spirituöses  Extrakt. 

Die  Beimischung  solcher  Substanzen,  welche  wässerige  Lösungsmittel 
erfordern,  z.  B.  von  Bitterstoffen,  macht  es  nötig,  den  Weingeist  mehr 
oder  weniger  mit  Wasser  zu  verdünnen.  Hiernach  verwendet  man  beim 
Wermut,  Kalmus.  Alant,  Baldrian,  den  Pomeranzenschalen,  Kamillen, 
Sadebaumspitzen  eine  Mischung  aus  40  Teilen  Weingeist  und  60 
Teilen  Wasser.  Dieselbe  Mischung  nimmt  man  bei  Rhabarber  und  Co- 
lombowurzel,  um  nicht  die  gummösen  und  schleimigen  Bestandteile  der- 
selben aufzulösen.  Verdünnten  Weingeist  (von  0,89  spezif.  Gew.)  ver- 
wendet man  in  derselben  Absicht  bei  China,  Colocynthis,  Faba  Calabarica, 
Scilla.  Sind  dagegen  die  Bestandteile  mehr  harziger  Natur,  so  extrahiert 
man  sie  mit  unverdünntem  Weingeist,  z.  B.  Cannabis  indica,  Mezereum. 

Die  zerschnittenen  oder  zerstampften  Vegetabilien  werden 
mit  dem  verdünnten  oder  unverdünnten  Weingeist  maceriert. 
Nach  dem  Auspressen  unterzieht  man  den  Rückstand  der  näm- 
lichen Behandlung  mit  einer  neuen  Flüssigkeitsmenge.  Die  ver- 
mischten Auszüge  werden  nach  dem  Absetzen  filtriert  und  ein- 
gedampft. Hierbei  ist  es  gestattet,  den  verwendeten  Weingeist 
im  Dampfbade  abzudestillieren. 

Man  bringt  die  klare  Extraktbrühe  in  den  zinnernen  Einsatzkessel 
des  Beindorfschen  Dampfapparates  und  destilliert  für  sich,  so  lange  noch 
etwas  übergeht;  darauf  giesst  man  den  Rückstand  in  eine  flache  Schale 
und  engt  ihn  im  Dampf  bade  zum  Extrakt  ein.  Der  übergegangene  Wein- 
geist besitzt  gewöhnlich  den  Geruch  der  Drogue  und  ist  zur  Gewinnung 
des  nämlichen  Extraktes,  auch  in  gewissen  Fällen  zur  äusserlichen  An- 
wendung, recht  wohl  geeignet. 

Nach  Yerjagung  der  geistigen  Flüssigkeit  erscheint  die  Ex- 
traktbrühe meist  trübe,  wegen  des  nun  vorherrschenden  Wasser- 
gehaltes, und  erfordert  beim  Eindampfen  beständiges  Umrühren. 

§500.  Ätherische  Extrakte.  Einige Droguen liefern  ätherische 
Extrakte,  indem  sie  mit  einer  Mischung  aus  gleichen  Teilen 
Äther  und  Weingeist  (wie  die  Kubeben  und  Zittwerblüten)  oder 
mit  reinem  Äther  (wie  der  Wurmfarn)  drei  Tage  lang  maceriert, 
dann  ausgepresst,  filtriert  und  eingedampft  werden.  Der  ange- 
wandte Äther  lässt  sich  durch  Destillation  wiedergewinnen;  man 
setzt  den  Auszug  in  einem  Kolben  heissem  Wasser  oder  Dampf 
aus,  nachdem  man  zuvor  eine  Glasröhre,  welche  in  eine  Vorlage 
hineinreicht,  luftdicht  angefügt  hat.  Den  Rückstand  dampfe  man 
zum  dünnen  Extrakte  ein. 


—     645    — 

§  501.  Extrakte  aus  frischen  Kräutern.  Die  einheimischen  nar- 
kotischen Kräuter,  wie  Belladonna,  Digitalis,  Conium,  Chelidonium, 
Hyoscyanius,  Lactuca  virosa,  Stramonium ,  unterliegen  einer  be- 
sonderen Extrahierungsmethode.  Man  zerschneidet  sie  im  frischen, 
blühenden  Zustande,  zerstampft  sie  im  Steinmörser  mit  ^o 
Wasser  und  presst  stark  aus ,  den  Rückstand  unter  abermaligem 
Wasserzusatz  derselben  Operation  unterwerfend.  Die  gemischten 
Brühen  erhitzt  man  nahe  zum  Sieden,  wobei  Gerinnung  ihres 
Eiweissgehaltes  erfolgt,  koliert  und  engt  sie  im  Dampf  bade  auf  ein 
Zehntel  des  angewendeten  Krautes  ein.  Der  Rückstand  wird  mit 
gleichviel  Weingeist  gemischt,  nach  einem  Tag  von  dem  schleimi- 
gen und  gummösen  Absatz  koliert,  letzterer  abgepresst,  nochmals 
mit  verdünntem  Weingeist  ausgewaschen  und  abermals  gepresst. 
Die  vereinigten  weingeistigen  Auszüge  werden  nach  der  Filtration 
dem  Eindampfen  unterworfen ,  wobei  sich  der  Weingeist  durch 
Destillation  wiedergewinnen  lässt. 

§  502.  Trockne  Extrakte.  Die  trocknen  Extrakte  gewinnt 
man  durch  stärkeres  Einengen  der  Extraktbrühe,  bis  die  steife 
Masse  selbst  im  warmen  Zustande  sich  in  Fäden  ziehen  lässt, 
worauf  man  sie  in  dünne  Schichten  und  Bänder  ausbreitet  und 
auf  flachen  Porzellantellern  an  einem  massig  warmen  Orte  völlig 
austrocknet.  Sowie  sie  spröde  erscheint,  wird  sie  in  einem  an- 
gewärmten Mörser  zerrieben  und  sofort  in  ein  trocknes,  erwärm- 
tes, mit  Korkstöpsel  wohl  zu  verschliessendes  Gefäss  gebracht. 

Um  die  steifen  narkotischen  Extrakte  in  trockne  Form  zu 
bringen  und  auch  für  Pulvermischungen  geeignet  zu  machen, 
trocknet  man  sie  mit  Süssholzpulver  in  gelinder  Wärme  aus  und 
zerreibt  die  pulverige  Masse,  unter  Zusatz  von  so  viel  Süssholz- 
pulver, dass  das  Ganze  doppelt  so  viel  wiegt  wie  die  ange- 
wendete Extraktmenge.  Bei  der  Dispensation  wird  ein  doppeltes 
Quantum  abgewogen,  als  verordnet  ist.  Die  betreffenden  Stand- 
gefässe  erhalten  die  Aufschrift :  sumatur  duplum. 


6.  Syrupe,  Syrupi. 

§  503.  Bereitung  der  Syrupe.  Die  Syrupe,  Syrupi,  sind  dick- 
liche Zuckerlösungen,  gewonnen  aus  weissem  Zucker  und 
einer  wässerigen  Flüssigkeit,  deren  Yerhältnis  in  der  Regel  wie 
60 :  40  angenommen  wird.  Sie  dienen  zum  Versüssen  der  Mix- 
turen und  führen  kleine  Mengen  aromatischer  und  anderer  arzenei- 
lich  wirksamer  Stoffe.  Beim  weissen  Syrup  wird  destilliertes 
Wasser,  beim  Althaesyrup  ein  Althae-Aufguss,  beim  Himbeersyrup 
vergohrener  Himbeersaft,  beim  Mandelsyrup  eine  Mandel-Emulsion 


—     646     - 

zur  Lösung  des  Zuckers  benutzt.  Man  bringt  die  Zuckerlösung 
zum  einmaligen  Aufkochen,  wobei  der  Eiweissgehalt  gerinnt 
und ,  alle  Unreinigkeiten  mit  sich  reissend ,  zur  Klärung  des 
Syrups  wesentlich  beiträgt.  (Man  unterlässt  dieses  Aufkochen 
nur  beim  Mandelsyrup.)  Nach  dem  Aufkochen  wird  der  Syrup 
geschäumt,  durch  Wasserzusatz  auf  sein  Gewicht  ergänzt  und 
noch  heiss  durch  weissen  Stramin  koliert,  aber  erst  nach  völligem 
Erkalten  in  die  möglichst  trockenen  Gefässe  gebracht. 

Die  Fruchtsäfte,  welche  man  zu  Syrupen  benutzt,  sind: 
Kirschsaft  (von  den  sauren,  rotsaftigen  Morellenkirschen),  Him- 
beersaft, Kreuzbeerensaft,  Maulbeersaft  (von  den  schwarzen  Maul- 
beeren). Man  gewinnt  sie,  indem  man  die  Früchte  zerquetscht, 
einige  Tage  in  mittlerer  "Wärme  stehen  lässt,  dann  auspresst  (zwi- 
schen Holzplatten)  und  den  Saft  filtriert  und  mit  Zucker  im  Ver- 
bältnisse wie  65  :  35  verkocht. 

§  504.  Honig  und  Sauerhonig.  Den  Syrupen  schliessen  sich  der 
gereinigte  Honig,  sowie  die  Sauerhonige  an.  Das  Reini- 
gen des  Honigs  bezweckt  die  Abscheidung  der  albuminösen 
Beimengungen ;  sie  wurde  früher  durch  Zusatz  gewisser  Abscheide- 
mittel (Gerbsäure,  Galläpfelpulver,  Magnesia,  Thonerde,  Holzkoh- 
len u.  a.),  jetzt  ausschliesslich  durch  einstündiges  Erhitzen  des 
verdünnten  Honigs  nahe  zum  Siedepunkt,  jedoch  ohne  Kochen, 
bewirkt,  wobei  das  Eiweiss  gerinnt  und  den  Honig  klärt.  Nach 
der  Filtration  dampft  man  ihn  zur  Syrupkonsistenz  ein. 

Verdünnt  man  den  gereinigten  Honig  mit  einem  ßosen- 
blätteraufguss ,  Essig  oder  Meerzwiebelessig,  und  dampft  wieder 
zur  Syrupkonsistenz  ein,  so  erhält  man  Mel  rosatum,  Oxymel 
simplex,  0.  scilliticum.  Man  erfährt  den  Konzentrationspunkt  am 
besten  durch  die  Wage,  indem  man  bis  zum  Gewicht  des  an- 
gewendeten Honigs  eindampft. 


7,  Linimente  und  medizinische  Seifen. 

§  505.  Opodeldok.  Die  Linimente  sind  dickliche  oder  gela- 
tinöse Mischungen  zum  Einreiben,  wie  das  Linimentum  ammo- 
niatum,  das  sog.  flüchtige  Liniment,  eine  Mischung  aus 
4  Teilen  Öl  und  1  Teil  Salmiakgeist.  Von  den  Linimenten  wird 
im  Laboratorium  vorzugsweise  der  Opodeldok,  Linimentum 
saponato-camphoratum,  angefertigt.  Derselbe  ist  eine  Seifen- 
gallerte, eine  heissbereitete  Auflösung  von  medizinischer  Seife  in 
Weingeist,  welche  beim  Erkalten  gesteht.  Zumal  die  Talg-Natron- 
seife (Hausseife)  veranlasst  ein  Gelatinieren  der  weingeistigen 
Lösung,  während  die  Ölnatron seife  (spanische  Seife)  und  Ölkali- 
seife  in  verdünntem  Weingeist  flüssig  bleibt  (Spiritus  saponatus). 


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§  506.  Medizinische  Seifen.  Abgesehen  von  Sapo  medicatus, 
oleaceus  und  viridis,  über  welche  bereits  in  der  Chemie 
das  Nähere  mitgeteilt  wurde,  kommt  hier  Sapo  jalapinus  und 
terebinthinatus  in  Betracht  Die  Jalappenseife  bereitet  man  aus 
medizinischer  Seife  und  Jalappenharz  durch  Auflösen  in  verdünn- 
tem Weingeist  und  Eindampfen  zur  Pillenkonsistenz ;  die  Terpen- 
tinseife durch  Mischen  gepulverter  spanischer  Seife  mit  fein- 
zerriebenem kohlensaurem  Kali  und  Terpentinöl. 


8,  Salben,  gekochte  Öle  und  Cerate. 

§  507.  Salben.  Von  den  in  der  Offizin  vorrätigen  Salben 
wird  ein  Teil  durch  Verreibung  fester  oder  flüssiger  Arzneistoffe 
mit  Schweineschmalz  oder  einer  Fettmischung  dargestellt.  Un- 
lösliche mineralische  Körper  werden  zunächst  gepulvert  und  dann 
mit  etwa  dem  gleichen  Volum  des  Fettes  in  einer  Reibschale 
aufs  feinste  verrieben,  bevor  man  die  übrige  grössere  Menge 
des  Fettes  zumischt.  So  bei  JJngt.  Cerussae,  Zinci,  sulfuratum. 
Das  Verreiben  muss  so  lange  fortgesetzt  werden ,  bis  man  beim 
Streichen  einer  Probe  auf  den  Fingernagel  keine  festen  Partikel 
fühlt,  noch  sieht.  Ungt.  Hydrargyri  cinereum  erfordert  ein  so 
lange  fortgesetztes  Verreiben  (Töten)  des  Quecksilbers  mit  alter 
Quecksilbersalbe ,  bis  man  beim  Ausstreichen  einer  Probe  keine 
Metallkügelchen  mehr  wahrnehmen  kann.  Man  kann  diese 
Operation ,  welche  bei  der  Quecksilbersalbe  gewöhnlich  mehrere 
Stunden  anhaltenden  Reibens  erfordert,  sehr  beschleunigen, 
wenn  man  der  Masse  die  gehörige  Weichheit  giebt,  d.  i.  bei 
kälterer  Temperatur  gelinde  erwärmt.  Ein  Terpentinzusatz  fördert 
in  gleicher  Weise  das  Töten  des  Metalles. 

Lösliche  Körper,  z.  B.  Jodkalium  zu  Ungt.  Kalii  jod.,  werden 
in  der  möglichst  geringen  Wassermenge  aufgelöst  und  dann  die 
Fettmenge  untergearbeitet. 

Eine  grössere  Reihe  von  Salben  erfordert  Schmelzen. 
Einfache  Fettmischungen  sind :  Ungt.  basilicwm,,  cereum,  Elemi, 
Eosmarini  comp.,  Terebinthinae.  Man  schmilzt  die  Fette  in  einer 
Porzellan-  oder  Zinnschale  im  Wasserbad. 

Bei  einigen  Salben  findet  eine  Extraktion  durch  Fett  statt; 
so  digeriert  man  zu  Ungt.  Cantharidum  die  gepulverten  Canthariden 
mit  Öl,  zu  Ungt.   flavum  die  Curcuma  mit  Schweineschmalz. 

Beim  Erkalten  einer  aus  mehreren  verschiedenen  festen  Fetten 
zusammengeschmolzenen  Salbe  ist  in  den  meisten  Fällen  fleissiges 
Umrühren  geboten,  damit  das  festere  Fett  sich  nicht  von  dem 
weicheren  ausscheide,  so  bei  den  mit  Wachs  oder  Walrat  be- 
reiteten Salben,   z.  B.   Ungt.  cereum,   Cantharidum. 


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Andere  derartige  Fettinischungen ,  in  denen  Terpentin  oder 
ein  Harz  eingeht,  lässt  man  ohne  Umrühren  erkalten,  da  durch 
dieselben  die  ungleichflüssigen  Bestandteile  sich  enger  verbinden. 
So  bei  TJngl.  basüicum,  Elemi,  Rosmarini  comp. 

§  508.  Gekochte  Öle.  Gewisse  Vegetabilien  wurden  früher  im 
frischen  Zustande  mit  Öl  oder  Schweinefett  in  einem  kupfernen 
Kessel  auf  gelindem  Feuer  so  lange  gekocht,  bis  die  wässerige 
Feuchtigkeit  verdampft  war.  Den  richtigen  Zeitpunkt  erkannte 
man  daran,  dass  die  anfänglich  stark  schäumende  und  hoch- 
steigende Masse  zusammensinkt ,  aufhört  Blasen  zu  werfen  und 
beim  Umrühren  einen  raschelnden  Ton  abgiebt.  Diese  Öle  und 
Fette  besitzen  stets  eine  dunkelgrüne  oder  braune  Färbung. 

Durch  Einführung  des  Dampfbades  in  das  pharmazeutische 
Laboratorium  hat  auch  die  Methode  der  Darstellung  der  ge- 
kochten Fette  eine  Änderung  erlitten.  Man  besprengt  die  ge- 
trockneten und  zerschnittenen  Vegetabilien  mit  Weingeist,  lässt 
sie  im  verschlossenen  Gefässe  einige  Stunden  (zur  innigeren 
Durchdringung)  stehen  und  digeriert  sie  dann  mit  dem  Fette  in 
einer  zinneren  Schale  im  Dampf  bade  so  lange,  bis  der  Weingeist 
sich  völlig  verflüchtigt  hat,  was  sich  an  der  Klarheit  des  Fettes 
erkennen  lässt.  Hierauf  presst  man  aus  und  koliert  resp.  filtriert 
(durch  zuvor  getrocknetes  Papier!). 

In  dieser  Weise  gewinnt  man  aus  Schweineschmalz  mit 
Leinkraut  Ungt.  Linariae ,  mit  Meiran  Majoranae ,  mit  Pappel- 
knospen Ungt.  Populi;  aus  Olivenöl  mit  Kamillen  Oleum  Chamo- 
millae  infüsum,  mit  Bilsenkraut  Ol.  Hyoscyami  infusum  (coctum), 

§  509.  Gerate.  Die  Cerate,  Cerata,  bestehen  zur  Haupt- 
masse aus  Wachs,  besitzen  daher  eine  spröde,  harte  Konsistenz. 
Man  gewinnt  sie  durch  Zusammenschmelzen  von  Wachs  mit 
Walrat  (Ceratum  Cetacei) ,  Muskatbutter  (Ceratum  Myristicae), 
Talg,  Fichtenharz  und  Terpentin  (Ceratum  Bes.  Pini),  teilweise 
unter  Zusatz  gepulverter  Körper  (Grünspan  zu  Ceratum  Aeruginis). 
Die  geschmolzene  Mischung  wird  in  Papierkapseln  ausgegossen 
und  nach  dem  Erstarren  in  Täfelchen  abgeteilt. 


9.  Pflaster,  Emplastra. 

§  510.  Bleipflaster.  Die  Pflaster,  welche  ölsaures  und  marga- 
rinsaures Bleioxyd  zur  Grundlage  haben,  werden  aus  Öl  resp. 
Schweineschmalz  mit  Bleiglätte,  wie  Empl.  Lithargyri  Simplex, 
oder  Mennige,  wie  Empl.  fuscum,  gekocht. 

Das  einfache  Bleipflaster,  aus  gleichen  Teilen  Olivenöl, 
Schweineschmalz  und  Bleiglätte  bereitet,  kann  auf  doppeltem  Wege 


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gekocht  werden:  auf  freiem  Feuer  oder  im  Dampf  bade.  In  jedem 
Falle  ist  aber  ein  Wasserzugang  nötig,  um  Glycerin  zu  bilden. 

Die  Kochmethode  über  freiem  Feuer  beendigt  sich  in  mehreren 
Stunden,  beansprucht  jedoch  eine  gewisse  Übung  und  grosse  Vorsicht.  Man 
schmilzt  das  Fett  in  einem  geräumigen,  zuvor  ausgescheuerten  kupfernen 
Kessel,  fügt  die  feinzerriebene,  klümpchenfreie  Bleiglätte  unter  Umrühren 
bei,  giebt  l/4  Pfd.  Wasser  hinzu  und  kocht  bei  gelinder  Feuerung,  die 
schäumende  und  steigende  Masse  mit  einem  Holzspatel  wohl  umrührend, 
damit  die  Glätte  sich  nicht  am  Boden  festsetze.  Sehr  zu  beachten  ist, 
dass  es  niemals  an  Wasser  fehle  und  die  Masse  stets  im  Kochen  bleibe, 
weshalb  man,  sowie  dieselbe  aufhört  zu  schäumen  und  zusammensinkt, 
eine  Portion  Wasser  beizugeben  hat.  Dieser  Wasserzusatz  ist  bis  zur  Be- 
endigung der  Pflasterbildung  öfter  zu  wiederholen.  Sobald  die  Glätte  sich 
völlig  gelöst  hat,  beginnt  die  Masse  weiss  zu  werden  und  nimmt  den 
eigentümlichen  Pflastergeruch  an.  Von  Zeit  zu  Zeit  hat  man  dann  zu 
prüfen,  ob  die  Pflasterbildung  vollendet  ist,  indem  man  einige  Tropfen 
in  kaltes  Wasser  giesst  und  knetet;  sobald  die  erkaltete  Probe  hart  er- 
scheint, nicht  mehr  schmierig  oder  klebrig,  ist  das  Pflaster  fertig. 

Dieselbe  Operation  nimmt  im  Dampfbad  einige  Tage  in  Anspruch, 
gewährt  aber  bei  geringerer  Übung  mehr  Sicherheit,  da  ein  Anbrennen 
des  Pflasters  nicht  stattfinden  kann.  Man  füllt  eine  Zinnschale  mit  der 
Fettmasse  an,  giebt,  sobald  sie  geschmolzen  ist,  die  Bleiglätte  mit  etwas 
Wasser  bei  und  hält  das  Ganze  im  vollen  Dampfbad,  öfters  umrührend, 
damit  die.  Glätte  sich  nicht  am  Boden  festsetze,  auch  den  Wasserzusatz 
von  Zeit  zu  Zeit  wiederholend.  Letzterer  ist  nicht  in  der  Menge  nötig, 
wie  bei  ersterer  Methode,  da  eine  viel  geringere  Verdampfung  stattfindet. 

Wenn  das  Pflaster  die  Gare  erlangt  hat,  knetet  man  es  unter 
kaltem  Wasser,  in  welchem  sich  das  Glycerin  auflöst.  Das  durch 
hinreichendes  Kneten  (Malaxieren)  ausgewaschene  Pflaster  wird 
schliesslich  auf  einem  sauberen  Brette  in  Stangen  ausgerollt. 

Das  Mutterpflaster  wird  aus  1  Teil  Mennige  und  2  Teilen 
Olivenöl  gekocht.  Man  trage  in  das  im  geräumigen  kupfernen 
Kessel  über  gelindem  Feuer  erhitzte  Öl  die  feinpräparierte,  knöll- 
chenfreie  Mennige  unter  Umrühren  ein  und  fahre  mit  dem  Um- 
rühren unablässig  fort,  bis  die  Mennige  sich  aufgelöst  hat,  was 
unter  Schäumen  und  Steigen  der  Masse  geschieht.  Ein  Wasser- 
zusatz findet  nicht  statt. 

Das  Glyzeryl  entweicht  hierbei  als  Akrol  in  stechenden  Dämpfen. 
Man  kocht  nach  Auflösung  der  Mennige  das  sich  schwärzende  Pflaster,  bis 
eine  Probe  auf  kalter  Metallfläche  zur  festen,  nicht  mehr  schmierigen 
Masse  erstarrt.  Man  giebt  dann  gelbes  Wachs  in  das  Pflaster  und  nach 
einigem  Abkühlen  Kampfer,  mit  Öl  angerieben,  worauf  die  Masse  in  Papier- 
kapseln ausgegossen  wird. 

§  511.  Gemischte  Pflaster.  Die  gemischten  Pflaster  wer- 
den aus  Wachs,  Harz,  Öl,  Terpentin,  Talg  u.  s.  w.  zusammen- 
geschmolzen, oder  sie  besitzen  als  Grundlage  das  Bleipflaster. 

Einfache  Mischungen  von  Wachs ,  Talg  und  gepulverten 
Herzen  sind  beispielsweise  Empl.  aromaticum,  Ammoniaci,  foetidmn, 


—    650     — 

Galbani  croc.  ,  oxycroceum  u.  a.  Man  mischt  der  geschmolzenen 
Fettmasse  die  klümpchenfreien  Harzpulver  zu  und  rollt  das  halb- 
erkaltete  Pflaster  in  Stangen  auf  einer  mit  Öl  befeuchteten  Fläche 
aus.  Gummiharze  (Ammoniak ,  Mutterharz ,  Stinkasant)  erweicht 
man  mittelst  des  Dampfbades  (oder  über  sehr  gelindem  Feuer)  in 
Terpentin,  bevor  man  sie  dem  etwas  verkühlten  Fettgemenge  zusetzt. 

Viele  derartige  Pflaster  enthalten  Kräuterpulver,  die  man  der 
geschmolzenen  Wachsmischung  unterrührt.  Hierhin  gehören  Empl. 
Belladonnae,  Cantharidum,  Conii,  Meliloti.  Um  ihr  Schimmeln  zu 
verhüten ,  müssen  die  vegetabilischen  Pulver  zuvor  getrocknet 
werden.     Auch  diese  Pflaster  rollt  man  mit  Öl  aus. 

Gemischte  Pflaster  mit  Bleipflaster  als  Grundlage  sind:  Empl. 
adhaesivnm  —  Bleipflaster  mit  Wachs,  Dammarharz,  Geigenharz 
und  Terpentin;  Empl.  Hydrarg  yri  —  Bleipflaster  mit  einer  Yer- 
reibung  von  Quecksilber  mit  Terpentin ;  Empl.  saponatum  —  Blei- 
pflaster mit  Seifenpulver,  welches  man  innig  dem  geschmolzenen 
Pflaster  beimischt;  Empl.  Lythargyri  compositum  - —  Bleipflaster 
mit  Ammoniak-  und  Galbanum-Gummiharz,  welche  in  Terpentin 
mittelst  des  Dampfbades  erweicht  und  dem  geschmolzenen  (nicht 
zu  heissen !)  Pflaster  beigefügt  werden.  Diese  Pflaster  kann  man 
mit  Wasser  ausrollen. 

§  512.  Englisches  Heftpflaster.  Eine  besondere  Art  Pflaster  ist 
das  englische  Heftpflaster,  ein  mit  Hausenblase  über- 
zogener Seidentaffet.  Letzteren  wählt  man  in  mehreren  Farben 
(schwarz,  rot,  weiss),  spannt  ihn  angefeuchtet  über  einen  vier- 
eckigen Holzrahmen  und  überzieht  ihn  in  wiederholten  Auf- 
strichen mit  einer  Hausenblasenlösung.  Schliesslich  netzt  man 
die  Kückseite  des  Taffets  mit  Benzoetinktur. 

Ahnlich  wird  Empl.  Mezerei  cantharidatum  angefertigt,  indem  man 
Seidentaffet  zuerst  mit  einer  Hausenblasenlösung  und  nachher  mit  einem 
Essigäther -Auszug  aus  spanischen  Fliegen  und  Seidelbast,  worin  etwas 
Sandarak,  Elemi  und  Geigenharz  aufgelöst  wurde,  überzieht. 


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B.   Die   Bereitung  der  Arzneien. 

(Receptur.) 

a)  Arzeneien  zum  innerlichen  Gebrauche, 
a)  Flüssige  Arzeneien. 

1,  Mixturen,  Mixturae. 

§  513.  Mischung  flüssiger  Arzneistoffe.  Bei  der  einfachen  Mischung 
mehrerer  Flüssigkeiten  sind  folgende  Regeln  zu  beobachten: 

1.  Alle  Ingredienzien  sind  auf  der  Wage  (Tarierwage)  in  das 
zuvor  tarierte  Glas  abzuwägen.  Nur  wenn  eines  oder  mehrere 
derselben  ausdrücklich  in  einer  gewissen  Tropfenzahl  zugesetzt 
werden  sollen,  darf  man  sie  abtröpfeln.  Auch  ist  es  nicht  gestattet, 
Flüssigkeiten  dem   Masse  nach   zu   bestimmen   (zu  mensurieren). 

Es  soll  alles  nach  Gewicht  angegeben  und  genommen  werden. 
Man  darf  sich  für  grössere  Mengen  u.  dgl.  wohl  vielfach  der  Mensuren 
bedienen,  jedoch  sollen  dieselben  nicht  die  Wage  ersetzen,  vielmehr  nur  im 
allgemeinen  die  anzuwendende  Flüssigkeitsmenge  bestimmen.  Das  Ab- 
tröpfeln kleiner  Mengen  scheint  zwar  bequemer  und  genauer  als  das  Ab- 
wägen derselben  auf  einer  grossen  Tarierwage;  jedoch  ist  das  Tröpfeln  unsicher 
und  die  Grösse  des  einzelnen  Tropfens  nicht  allein  nach  der  Natur  der  ver- 
schiedenen Flüssigkeiten,  sondern  auch  nach  dem  Rande  der  jeweiligen  Stand- 
flasche  verschieden.  Je  dünnflüssiger  ein  Mittel,  um  so  kleinere  Tropfen 
bildet  es;  je  breiter  der  Geiässrand,  um  so  grösser  fallen  die  Tropfen  aus.*) 

2.  Beim  Abwägen  beginne  man  mit  der  kleinsten  Menge  und 
schreite  stufenweise  zu  den  grösseren  fort.  Man  ist  nicht  an 
die  Reihenfolge,  wie  sie  das  Rezept  zeigt,  gebunden. 

Dies  ist  darum  geboten,  weil  die  Wage  eine  um  so  grössere  Empfind- 
lichkeit besitzt,  je  weniger  sie  belastet  ist.  Es  lassen  sich  1 — 2  Gramm 
recht  exakt  in  ein  leeres  Glas  einwägen,  aber  mit  viel  geringerer  Genauig- 
keit in  ein  solches,  welches  bereits  100 — 2C0  Grm.  Flüssigkeit  enthält. 
Abzutröpfelnde  Mittel  sind  stets  zuerst  ins  leere  Glas  zu  bringen. 

Beispiele: 
R(ecipe).  Acidi  hydrochlorici  1,0  R(ecipe).  Tincturae  Opii  simpl.  gutt.  20 

(gramma  unum)  (guttas  viginti) 

Aquae  destillatae  150,0  Aquae     Lauro-Cerasi     10,0 

(gram,  centum  quinquaginta)  (grammata  decem) 

Syrupi  Rubi  Idaei  30,0  M(isce).  D(etur).  S(ignetur):  Nach  Be- 

(grammata  triginta).  rieht  zu  nehmen. 

M(isce).  D(etur).  S(ignetur):  Stündlich 
einen  Esslöffel. 


*)  Die  Taxbestimmung,  dass  für  1  Grm.  20  Tropfen  Tinktur,  fettes 
Öl,  25  Tropfein  wässerige  Flüssigkeit,  äther.  Öl,  Chloroform,  Essigäther, 
Atherweingeist ,  sowie  50  Tropfen  Äther  berechnet  werden  sollen,  bezieht 
sich  nicht  auf  ein  Tröpfeln  statt  des  Wagens,  sondern  nur  auf  die  Taxie- 
rung tropfenweise  verordneter  Mittel. 


—     652    — 

Ausnahmen  von  dieser  Regel: 

1.  Sehr  flüchtige,  sowie  starkriechende  Arzneimittel  müssen 
zuletzt  eingewogen  werden. 

Würde  man  Äther,  Chlorwasser  oder  Salmiakgeist  in  erster  Reihe 
einwägen,  so  verbreitete  sich  ihr  Dunst  in  die  nachfolgenden  Standüaschen. 
Man  setzt  sie  also  der  fertigen  Mischung  zu. 

'    Bsp.:  R.  Aquae  chloratae       20,0 
„       destillatae  100,0 
Syrupi  simplicis       15,0. 
M.  D.  S.  ad  vitrum  nigrum. 

2.  Werden  durch  gewisse  Bestandteile  Niederschläge  hervor- 
gerufen, so  sind  dieselben  zuletzt  beizumischen. 

Wenn  durch  Zusatz  eines  Mittels  ein  Niederschlag  oder  eine  Aus- 
scheidung hervorgerufen  wird,  z.  B.  durch  Zumischen  von  Kampferspiritus 
zu  einer  wässerigen  Flüssigkeit,  von  Opiumtinktur  zu  Bleiwasser,  so  ist 
dieses  Mittel  zuletzt  beizugeben,  damit  der  Niederschlag  in  einer  möglichst 
verdünnten  Flüssigkeit  entstehe  und  recht  locker  ausfalle. 

Dass  dabei  das  Ganze  wohl  umgeschüttelt  werde,  ist  ausserdem  zu 
beachten. 

Bsp.:  R.  Liquoris  Plumbi  subacetici  1,0 

Tincturae  Opii  crocatae  gutt.  20 
Aquae  Rosae  100,0. 
M.  D.  S.  Augenwasser. 

3.  Beim  Mischen  ungleichartiger  Flüssigkeiten  ist  die  Folge 
des  Abwägens  so  zu  treffen,  dass  das  Gleichartige  zuerst  mit  ein- 
ander gemischt  und  der  ungleichartige  Bestandteil  zuletzt  bei- 
gegeben werde. 

Bsp.:  R.  Spiritus  Aetheris  nitrosi  5,0 
Aquae  destillatae  120,0 
Olei  Menthae  piperitae  gutt.  5 
Syrupi  corticis  Aurantii  30,0 
M.  D.  S. 
Bei   diesem  Rezept  ist  zuerst  der  Salpeteräther  ins  Glas  einzuwägen, 
dann  das  Pfefferminzöl  zuzutröpfeln  und  in  jenem  zu  lösen,  bevor  der  Syrup 
und  schliesslich  das  Wasser  beigegeben  wird. 

§  514.    Anreibungen.    Unter  einer  Anreibung  versteht  man 
die  feine  Verteilung  unlöslicher  oder  nur  teilweise  löslicher  Sub- 
stanzen in   Flüssigkeiten.     So    reibt    man    vegetabilische    Pulver 
(von  Wurzeln,  Kräutern  u.  dgl.),  Pulpen  (z.  B.  Tamarindenmus), 
Latwergen  und  schwer-  oder  unlösliche  mineralische  Stoffe  (z.  B. 
Weinstein,  Goldschwefel)  mit  wässerigen  Flüssigkeiten  an.    Auch 
zählt  hierhin  die  Bereitung  des  Tragant-   und  Salepschleims,  durch 
Anreiben  des  Pulvers  mit  kaltem  resp.  heissem  Wasser. 
Bsp.:  R.  Radicis  Ipecacuanhae  pulveratae  2,00 
Aquae  destillatae  30,0 
Oxymellis  Scillae  20,0 
M.  D.  S.  Gut  umgeschüttelt  alle  zehn  Minuten  einen 
Löffel  voll  zu  nehmen,  bis  Erbrechen  erfolgt. 


-     653     — 

Die  Anreibung  bezweckt  den  betr.  Körper  in  möglichst  feine  Ver- 
teilung zu  bringen.  Daher  ist  ein  Verreiben  zum  zartesten  Breie  oder  die 
Anwendung  des  feinsten  Pulvers  geboten,  welches  man  bald  im  Glase  mit 
der  Flüssigkeit  zusammenschüttelt,  bald  im  Aufgussmörser  damit  anrührt. 
Ersteres  ist  bei  nicht  klümpernden  Pulvern,  z.  B.  Ipecacuanhae,  gestattet, 
aber  zu  beachten,  dass  man  das  Pulver  nicht  ins  leere  Glas,  sondern 
in  ein  Mehrfaches  der  Flüssigkeit  schüttet,  um  etwaiges  Festsetzen 
an  den  Gefässboden  zu  vermeiden. 

Der  Tragant  schleim  wird  stets  im  Mörser  bereitet,  indem  man 
das  Tragantpulver  mit  der  15  fachen  Wassermenge  anreibt  und  den  ent- 
stehenden Schleim  mit  mehr  Wasser  verdünnt.  Am  leichtesten  gelingt  das 
Anreiben  des  Tragantes,  wenn  man  ihn  zuvor  mit  der  mehrfachen  Menge 
Zucker  oder  mit  dem  etwa  zugleich  verordneten  Syrup  vermischt  und  dann 
die  nötige  Wassermenge  portionenweise  zugiebt. 

Den  Salepschleim  bereitet  man  im  Glase  durch  Schütteln  von 
1  Teil  Salep-Pulver  mit  90  Teilen  kochenden  Wassers,  nachdem  man  zuvor 
das  Pulver  mit  10  Teilen  kalten  Wassers  zerrührt  hat,  um  das  Klümpern  zu 
vermeiden. 

Anreibungen  sind  Schüttelmixturen,  d.  h.  sie  erfordern 
vor  dem  jedesmaligen  Gebrauche  sorgfältiges  Umschütteln. 

§  515.  Auflösungen.  Man  unterscheidet  vornehmlich  zweierlei 
Auflösungen:  Salzlösungen  und  Extraktlösungen.  In 
beiden  Fällen  benutzt  man  Mixturmörser,  doch  kann  man  bei 
sehr  leicht  löslichen  Salzen  und  ähnlichen  Stoffen  (Zucker  u.  a.) 
die  Lösung  im  Glase  vornehmen.  Unklare  Salzlösungen  erfor- 
dern eine  Eiltration;  bei  unklaren  Extraktlösungen  ist  eine 
solche  nicht  gestattet,  wenn  die  Trübung  durch  Substanzen,  die 
wesentliche  Bestandteile  des  Extraktes  bilden,  hervorgerufen  wird. 
So  löst  sich  ein  spirituöses  oder  ein  wässerig  spirituöses  Extrakt 
wegen  der  harzigen  Bestandteile  unklar  in  Wasser,  ein  wässeriges 
Extrakt  wegen  seiner  salzigen  oder  gummösen  Bestandteile  un- 
klar in  einer  Tinktur. 

R.  Extracti  Hyoscyami  1,0  R.  Cupri  sulfurici  0,25  (centigrammata 

Vini  stibiati  30,0.  viginti  quinque) 

S(olve).  D.  S.  Zweistündlich  zwanzig        Aquae  destillatae  30,0. 
Tropfen  zu  nehmen.  S(olve).  D.  S.  Augentropfen. 

"Wenngleich  bei  den  meisten  Salzen  und  Extrakten  gemeines 
Wasser  die  gleichen  Dienste  thut  wie  destilliertes,  so  ist  doch 
stets  destilliertes  Wasser  anzuwenden  zur  Lösung  von 
Natrum  bicarbonicum ,  Argentum  nitricum,  Plumbum  aceticum, 
Cuprum  sulfuricum  ,  Tartarus  stibiatus ,  Hydrargyrum  bichlo- 
ratum,  teils  wegen  der  zersetzenden  Wirkung  des  im  gemeinen 
Wasser  enthaltenen  kohlensauren  Kalkes  (auf  das  Natriumbikarbonat 
und  die  Quecksilber-,  Blei-,  Kupfer-  und  Antimonsalze),  teils 
wegen  des  ebenfalls  nie  fehlenden  Kochsalzes  (auf  die  Silbersalze). 

In  gewissen  Fällen  ist  heisses  Wasser  anzuwenden,  z.  B.  bei  der 
Manna,    bei  schwer  löslichen  Salzen,    wie  Kali  chloricum  und  sulfuricum, 


—     654    — 

Alumen  u.  a.  Jedoch  darf  in  letzterem  Falle  die  Menge  des  Salzes  sein 
Löslichkeits-Verhältnis  zum  Wasser  nicht  übersteigen.  Reicht  das  Lösungs- 
mittel nicht  hin  zur  Auflösung  der  ganzen  Menge  des  Salzes,  so  würde, 
wenn  man  die  Lösung  nicht  durch  Wärme  erzwänge,  die  Flüssigkeit  beim 
Erkalten  einen  Teil  des  Salzes  krystallinisch  ausscheiden.  In  solchen  Fällen 
pulvert  man  das  Salz  fein  und  bereitet  eine  Schüttelmixtur. 

Wenn  ausser  den  zur  Lösung  verordneten  Ingredienzien 
noch  andere  Mittel  als  Zusätze  beigegeben  werden  sollen  ,  so  ist 
die  Lösung  für  sich  zu  bereiten,  und  erfolgen  dann  die  Zusätze. 
Leicht  lösliche  Salze  kann  man  jedoch  der  fertigen  Mixtur  zugeben. 

R.  Ammonii  chlorati  5,0  R.  Natri  bicarbonici  5,0 

Elixir  e  Succo  Liquiritiae  2,50  Extracti  Cardui  benedicti  3,0 

Aquae  destillatae  150,0.  Aquae  Menthae  piperitae  150,0. 

M(isce)  s(olvendo).  D.  S.  M(isce)  s(olvendo).  D.  S. 

Im  ersten  Beispiele  kann  der  Salmiak  recht  gut  zur  fertigen  Mischung 
beigegeben  werden;  im  letzten  Beispiele  muss  zunächst  mit  der  Hälfte  des 
Pfefferminzwassers  im  Glase  die  Lösung  des  Natriumbicarbonates  bewerk- 
stelligt werden,  worauf  man  die  mit  der  anderen  Wasserhälfte  im  Mörser 
oder  auch  in  der  Mensur  dargestellte  Extraktlösung  beimischt. 

Wenn  dabei  durch  ein  Zusatzmittel  eine  Präcipitation  oder  ander- 
weitige Zersetzung  der  Auflösung  hervorgerufen  wird,  so  ist  dieses  Mittel 
erst  der  vollständigen  Mixtur  beizufügen,  damit  die  Zersetzung  bei  mög- 
lichster Verdünnung  vor  sich  gehe.  Bsp.:  Der  Zusatz  von  Opiumtinktur 
zu  einer  Bleizuckerlösung  hat  zuletzt  und  zwar  zur  verdünnten  Lö- 
sung zu  geschehen.  Ein  Gleiches  ist  zu  beobachten  beim  Auflösen  zweier 
sich  gegenseitig  unter  Fällung  zersetzender  Salze,  wie  Plumbum  aceticum 
und  Zincum  sulfuricum;  beide  Salze  sind  für  sich  zu  lösen  und  ihre  ver- 
dünnten Lösungen  zu  mischen.*) 

Ist   nicht   Wasser,    sondern   Weingeist   (etwa   eine  Tinktur)  oder  ein 
Ol  das  Lösungsmittel,    so   ist   auch    diese   Lösung  zuerst  und  für   sich  zu 
bereiten,  ehe  etwaige  andere  Zusätze  beigefügt  werden  dürfen. 
Bsp.:  R.  Chinini  sulfurici  0,30 

Tincturae  corticis  Aurantii  30,0 
Elixiris  Aurantii  compositi  15,0 
S(olve).  M.  D.  S. 
Hier  ist  das  Chininsalz  zuerst  in  der  Tinktur  zu  lösen. 
Der  Phosphor   wird  in  Öl  gelöst,   indem  man  ihn  durch  Einstellen 
des  Gefässes  in  heisses  Wasser  ^schmilzt,  bis  zum  Erkalten  des  Öles  schüttelt, 
und  nach  dem  Absetzen  das  Öl  vom  ausgeschiedenen  Phosphor  abgiesst. 

*)  Derartige  gegenseitige  Zersetzungen  finden  statt  zwischen: 

Magnesia-,  Schwermetall- ,  Alkalo'idsalzen  mit  ätzenden  oder  kohlen- 
sauren Alkalien,  z.  B.  Bitterzalz  mit  kohlensaurem  (auch  phosphorsaurem) 
Natron,  Eisensalz  mit  doppeltkohlensaurem  Natron,  Morphiumsalz  mit. 
Atzammoniak  (auch  Liquor  Ammonii  anisatus!); 

Eisen- ,  Blei- ,  Kupfer- ,  Alkalo'idsalzen  mit  Gerbsäure  oder  gerbstoff- 
haltigen  Auszügen  wie  Aufgüssen  und  Extrakten  von  Rhabarber,  China- 
rinde, Fingerhut  u.  a. ; 

Blei-,Silber-,Quecksilberoxgdulsalzen  mit  Chlor-, Brom-unäJodmetallen . ; 

Bleisahen  mit  schwefel-,  phosphor-,  weinsauren  Salzen,  Borax  u.  a.  •, 

Alkalo'iden  mit  Jodtinktur. 


—    655     — 

2.  Saturationen,  Saturationes. 

§  516.  Was  ist  eine  Saturation?  Saturationen  sind  kohlen- 
säurereiche Mixturen,  bereitet  durch  Sättigung  eines  kohlen- 
sauren Alkalis  mit  einer  vegetabilischen  Säure. 

Als  Alkalien  wendet  man  an:  neutrales  und  saures  kohlensaures  Kali 
resp.  Natron,  seltener  kohlensaure  Magnesia  oder  kohlensaures  Ammoniak, 
Als  Säuren:  Citronensäure.  Weinsäure,  Citronensaft,  Essig,  sowie  angesetzte- 
Essige  (Acetum  Digitalis,  Scillae  u.  a.). 
Bsp.:  R.  Kali  carbonici  puri  5,0 

Aceti  q.  s.  (quantum  sufhcit)  ad  perfectam  Saturation em. 
M.  D.  S. 

Die  Reaktion  einer  Saturation  soll  rnöglichstneutral  sein ; 
blaues  Lackmuspapier  darf  nur  vorübergehend  gerötet  werden 
(durch  die  freie  Kohlensäure).  Andrerseits  muss  aber  die  Flüssig- 
keit möglichst  reich  an  Kohlensäure  sein,  soweit  dies  ohne 
Schaden  für  Glas  und  Stopfen  geschehen  kann. 

Potio  Riveri  ist  eine  Saturation  aus  4  Teilen  Citronen- 
säure, 9  Teilen  kryst.  kohlensaurem  Natron  und  190  Teilen 
Wasser. 

§  517.  Wie  wird  eine  Saturation  bereitet?  Bei  der  Bereitung 
einer  Saturation  ist  erstes  Erfordernis: 

Säure  und  Alkali  müssen  sofort  in  derjenigen  Menge  abge- 
wogen werden,  in  welcher  sie  sich  genau  neutralisieren. 

Man  muss  daher  die  Sauerheit  resp.  Alkalität  der  Ingredienzien  zu- 
vor genau  kennen,  sei  es  durch  Anwendung  reiner  fester  Stoffe  oder 
durch  vorhergegangene  Säurebestimmung'  mittelst  Versuche.  Wollte  man 
erst  bei  Anfertigung  der  Saturation  durch  Lackmuspapier  ihre  Neutralität 
feststellen  und  probieren,  so  würde  mittlerweile  weit  mehr  Kohlensäure 
abbrausen,  als  nötig  ist.  Auch  reagiert  die  genau  gesättigte  Flüssigkeit, 
so  lange  sie  noch  freie  Kohlensäure  hat,  schwach  sauer. 

Zweites  Erfordernis  ist: 

Es  sollen  bei  Anfertigung  einer  Saturation  möglichst  wenig 
Gefässe  und  Operationen  zur  Anwendung  kommen ,  auch  darf 
das  Schütteln  das  notwendigste  Minimum  nicht  überschreiten. 

Man  bereitet  daher  die  Saturation  im  Glase ,  worin  sie  dis- 
I  pensiert  wird ,  und  schwenkt  dasselbe  nur  gelinde  um ,  ohne- 
;  stärker  zu  schütteln.  Weder  Mixturmörser ,  noch  Trichter  und 
j  Filter  dürfen  gebraucht  werden. 

Zuerst  wird  die  Säure  abgewogen,  mit  der  vorgeschriebenen 
I  (kalten)  Flüssigkeitsmenge  gemischt  resp.  darin  gelöst,  dann  zur  Lösung 
nach  und  nach  die  nötige  Alkalimenge  zugegeben  und  unter  sanf- 
\  tem  Umschwenken  des  geöffneten  Glases  in  Lösung  übergeführt,  worauf 
|  letzteres  sofort  verschlossen  werde.  Dabei  entweicht  das  Übermass  der 
|  Kohlensäure ,  und  nur  so  viel  bleibt  in  der  Flüssigkeit  zurück,  dass  sie 
I  reichlich  damit  gesättigt  ist. 


—    656    — 

Soll  die  Saturation  anderweitige  Zusätze  erhalten,  so  sind 
dieselben  der  Säure,  vor  dem  Alkalizusatze ,  beizugeben.  Auch 
sind  der  Saturation  keine  heissen  Flüssigkeiten  zuzumischen. 

Wollte  man  Salze,  Zucker,  Syrupe  u.  dgl.  der  fertigen  Saturation 
zumischen,  so  wäre  infolge  des  notwendigen  Schütteins  ein  Verlust  an 
Kohlensäure  unausbleibliche  Folge.  Deshalb  giebt  man  solche  vor  der 
Sättigung  zur  Säure.  Auch  ist  hierbei  zu  beachten,  dass  die  Säure  zuerst 
abgewogen  werde  —  nicht  umgekehrt,  weil  eine  Einwirkung  des  Alkalis 
auf  die  anderweitigen  Zusätze  zu  befürchten  steht,  wenn  man  zuerst  das 
Alkali  mit  den  übrigen  Ingredienzien  mischte  und  schliesslich  mit  der 
Säure  sättigte. 

Bsp.:  R.  Natri  bicarbonici  30,0 

Succi  Citri  q.  s.  ad  perfectam  saturationem ,  adde 
Elaeosacharii  Citri  5,0. 
M.  D.  S. 

In  diesem  Beispiele  ist  die  notwendige  Menge  Citronensaft  zuvor  fest- 
zustellen, mit  dem  Ölzucker  zusammen  ins  Glas  zu  geben  und  schliesslich 
mit  dem  Natriumbikarbonat  zu  sättigen. 

Da  Hitze  der  Absorption  von  Gasen  entgegenwirkt,  so  darf  die  Sa- 
turation weder  mit  heissem  Wasser  bereitet,  noch  derselben  ein  heisser 
Zusatz  beigegeben  werden. 


3,  Emulsionen,  Emulsiones. 

§  518.  Samen-Emulsionen.  Stösst  man  ölreiche  Samen,  z.  B. 
Mandeln,  Mohnsamen,  Hanfsamen  u.  dgl.,  mit  "Wasser  an,  so  ent- 
steht eine  milchartige  Flüssigkeit,  eine  Samen-Emulsion. 
Der  nie  fehlende  Pflanzen  schleim  bildet  das  Binde- 
mittel zwischen  dem  fetten  Öle  des  Samens  und  dem  ange- 
wendeten "Wasser. 

Der  Same  wird  im  Emulsionsmörser  (aus  Porzellan,  Marmor 
oder  auch  wohl  Messing,  nicht  aber  Eisen)  zuerst  für  sich  fein- 
zerstossen,  und  zwar  am  besten  unter  Zusatz  einer  ganz  kleinen 
Wassermenge ,  damit  das  fette  Öl  nicht  unverbunden  aus  dem 
Samen  austrete.  Den  zarten  Teig  rührt  man  dann  unter  por- 
tionenweissem  Zusätze  des  Wassers  zur  Emulsion  an  und  kotiert 
schliesslich  durch  ein  weisses,  wollenes,  nicht  zu  dichtes  Tuch, 
unter  Anwendung  gelinden  Druckes. 

Mandeln  bedürfen  vor  dem  Anstossen  des  Schälens,  was  durch  Über- 
giessen  mit  heissem  Wasser  und  geeigneten  Fingerdruck  leicht  von 
statten  geht. 

Wenn    nähere    Bestimmungen    fehlen ,    so    nimmt   man    auf 
10  Teile  Emulsion  1  Teil  Samen. 
R.  Seminis  Papaveris  30,0  R.  Emulsionis  Amygdalarum  300,0 

Aquae  destillatae  150,0  Aquae  Laurocerasi  5,0. 

F(iat)  emulsio.  D.  S.  Syrupi  simplicis  30,0. 

M.  D.  S. 


—     (557     — 

§  519.  Öl-Emulsionen,  Die  Öl-Emu lsionen  werden  durch 
Emulgierung  fetten  Öles  mit  "Wasser,  unter  Beihilfe  arabi- 
schen Gummis  bereitet.  Die  eigentliche  Emulgierung  geschieht 
entweder  durch  allmähliches  Einrühren  des  Öles  in  einen  kon- 
sistenten Gummischleim  oder  durch  gleichzeitiges  Mischen  des 
Öles  und  Gummis  mit  Wasser.  Man  rechnet  auf  2  Teile  Öl 
1  Teil  Gummi  und  2  Teile  Wasser.  Hiernach  kann  man 
also  eine  der  nachstehenden  Methoden  befolgen: 

1.  Man  rührt  im  Porzellanmörser  (mehr  weit  als  hoch)  1  Teil 
arabisches  Gummi  mit  2  Teilen  "Wasser  an  und  giebt  unter 
starkem  Umrühren  die  2  Teile  Öl  im  langsamen  Strahle  hinzu. 

2.  Man  mischt  die  2  Teile  Öl  mit  1  Teile  arabischem  Gummi 
und  rührt  2  Teile  "Wasser  auf  einmal  kräftig  ein. 

Ist  die  Emulgierung  beendet,  so  wird  die  übrige  Wasser- 
menge  portionenweise  untergemischt.  Beim  Mangel  näherer  An- 
gaben rechnet  man  auf  10  Teile  Gesamtgewicht  der  Emulsion 
1  Teil  fettes  Öl. 

Beim  Rizinusöl  braucht  man  weniger  Gummi  und  rechnet  auf  2  Teil 
Rizinusöl  1/2  Teil  arabisches  Gummi,  die  man  mit  l1/^  Teil  Wasser  emulgiert. 

Soll  die  Emulsion  noch  andere  Zusätze  erhalten,  z.  B.  Syrup, 
Salze,  Extrakte  u.  dgi.,  so  sind  dieselben  erst  der  fertiggestellten 
(verdünnten)  Emulsion  beizugeben. 

Würde  man  Zucker,  Salze  u.  dgl.  in  der  nicht  hinreichend  verdünnten 
Emulsion  auflösen,  so  zersetzte  sich  dieselbe  wieder  in  Ol  und  Wasser. 
Überhaupt  wirken  Salze,  zumal  kohlensaures  Alkali,  ungünstig  auf  Emul- 
sionen ein;  ebenso  weingeistige  Flüssigkeiten  (Tinkturen). 

Soll  die  Emulsion  mit  Tragantschleim  bereitet  werden, 
so  mische  man  1  Teil  Öl  mit  einem  aus  i/2  Teil  Wasser  und 
7 25  Teil  Tragantpulver  im  Mörser  angeführten  Schleim  kräftig, 
unter  Zugabe  von  noch  1j2  Teil  Wasser.  Darauf  verdünne  man 
mit  Wasser. 

Bsp.:  R.  Olei  Amygdalarum  20,0 
Tragacanthae  q.  s. 
F(iat)  emulsio  (ponderis)  120,0.  D.  S. 

Auch  Eidotter  dient  häufig  zur  Emulgierung,  anstatt  des 
arabischen  Gummis.  Man  zerrühre  den  Eidotter  im  Mörser  zu- 
nächst für  sich ,  arbeite  dann  das  Öl  in  dünnem  Strahle  unter 
und  mische  endlich  das  Wasser  nach  und  nach  hinzu.  Man 
rechnet  auf  15  Gramm  Öl  einen  Eidotter. 

§  520.  Gummiharz-Emulsionen.  Die  Emulsionen  der  Gum- 
miharze (Asa  foetida,  Ammoniacum,  Galbanum,  Myrrha,  Gutti) 
lassen  sich  mit  und  ohne  Bindemittel  anfertigen.  Man  zerreibt 
die  Gummiharze  zunächst  für  sich  im  Mörser  möglichst  fein,  giebt 
dann  einen  kleinen  Teil  des  Wassers  bei  und  portionenweise  das 

Schlickum,   Apothekerlehrling.  42 


—     658     - 

Übrige.  Wenn  sich  das  Gummiharz  wegen  angezogener  Feuchtig- 
keit nicht  fein  zerreiben  lässt,  so  erweiche  man  es  im  Dampf- 
bade und  emu]giere  es  mit  lauwarmem  Wasser. 

Ein  Zusatz  von  1/j  Teil  Gummi  oder  einem  Eidotter  macht  die  Emul- 
sion haltbarer.  Man  mischt  dieselben  dem  feingeriebenen  Gummiharze  vor 
dem  Wasserzusatze  bei. 

Bsp.:  R.  Asae  foetidae  20,0 

Aquae  destillatae  200,0. 

F(iat)  emulsio  ope  vitelli  (unius)  ovi.  D.  S. 

§  ;521.  Harz-,  Balsam-  und  Kampfer  -  Emulsionen.  Die  Harz- 
Emulsionen  werden  wie  die  der  Gummiharze  augefertigt,  unter 
Zusatz  von  */2  Teil  arabischem  Gummi ,  welches  man  mit  dem 
Harze  (Guajakharz,  Jalapenharz)  zuvor  fein  verreibt,  worauf  man 
das  Wasser  in  kleinen  Portionen  untermischt.  (Jalapenharz  lässt 
sich  auch  durch  Anstossen  mit  süssen  Mandeln  emulgieren). 

Die  Balsam-Emulsionen  ähneln  den  Öl-Emulsionen; 
gewöhnlich  verwendet  man  jedoch  gleiche  Teile  arabisches  Gummi 
und  Balsam,  die  man  mit  eben  so  vielem  Wasser  kräftig  mischt. 
Eine  gleiche  Behandlung  erfordern  die  harzreichen  ätherischen 
Extrakte,  z.  B.  Extr.  Eilicis,  Cubebae,  sowie  der  Kampfer. 
Man  mischt  sie  mit  der  mehrfachen  Menge  arabischen  Gummis 
oder  mit  etwas  Tragant  oder  einem  Eigelb  (je  nach  der  Ver- 
ordnung) und  rührt  das  Wasser  portionenweise  zu.  Eine  der- 
artige Emulsion  ist  der  Yinum  camphoratum,  aus  je  1  Teil 
gepulvertem  Kampfer  und  arabischem  Gummi  und  48  Teilen 
Weisswein.  Ätherische  Öle  verreibt  man  mit  Zucker  und 
giebt  das  Wasser  allmählich  bei. 

Bsp.:  R.  Olei  Terebintliinae  rectificatae  2,0 
Aquae  destillatae  120,0 
Elaeosacchari  Citri  10,0. 
M.  D.  S. 


4,  Aufgüsse,  Infusa. 

§  522.  Die  Aufgüsse,  Infusa,  wurden  in  früherer  Zeit 
durch  Aufgiessen  siedenden  Wassers  auf  zerschnittene 
resp,  kontundierte  Yegetabilien,  und  Kotieren  nach  dem  Er- 
kalten dargestellt.  Vorzugsweise  werden  solche  Stoffe  infundiert, 
welche  flüchtige  Öle  und  stärkemehlreiches  Gewebe  enthalten, 
um  die  Öle  nicht  zu  verjagen,  noch  das  Stärkemehl  in  Kleister 
zu  verwandeln.  Man  bereitet  daher  Infusa  von  Baldrian wurzel, 
Kalmus,  Pfefferminze,  Salbei,  Kamillen,  Lindenblüte,  Fenchel, 
Anis,  Rhabarber,  Althäwurzel,  Sennesblätter  u.  a. 

Jetzt    gewinnt  man  die  Aufgüsse    mittelst    des    Dampf- 


—     (359     — 

b  ad  es,  "indem  man  die  zu  infundierende  Substanz  in  einer  zin- 
nernen oder  porzellanenen  Büchse  mit  der  zehnfachen  Menge 
(im  Falle  nicht  anders  vorgeschrieben)  siedenden  Wassers 
übergiesst,  5  Minuten  lang  verschlossen  im  kräftigen  Dampf- 
bad stehen  lässt,  dann  nach  völligem  Erkalten  durch  ein 
Tuch  aus  ungebleichter  Leinwand  unter  Ausdrücken  koliert. 

Da  in  der  verschlossenen  Büchse  weder  Aufkochen  noch  Verdampfung- 
stattfindet,   so   ist  kein  Verlust  an  flüchtigen  Bestandteilen  zu  befürchten. 

Bevor  das  Infusum  abgegeben  wird,  lasse  man  die  kolierte 
Flüssigkeit  kurze  Zeit  absetzen  und  giesse  vom  abgeschiedenen 
Bodensätze  möglichst  klar  ab. 

Wurzeln,  Kräuter,  Blätter  und  Blüten  wendet  man  zu  Auf- 
güssen zerschnitten ,  Früchte  und  Samen  zerquetscht  an.  Sind 
Salze,  Manna,  Extrakte  u.  dgl.  zugleich  verordnet,  so  werden  sie 
nicht  mit  infundiert,  sondern  in  der  Kolatur  aufgelöst. 

B.  Foliorum  Sennae  15,0  R.  Infusi  Foliorum  Sennae  150,0 

infunde  cum  aqua  fervida  q.  s.  (ex  15,0  parati) 

ad  colaturae  150,0  Mannae  20,0. 

adde  Syrupi  Cerasorum  80,0. 

Magnesia  sufuricae.  M.  D.  S. 

Syrupi  Cerasorum  ^T  (ana)  83,0. 
M.  D,  S. 

Ein  konzentrierter  Aufguss  (Infusum  concentratum) 
wird  aus  l1^  Teil  Substanz  auf  10  Teile  Kolatur,  ein  höchst- 
konzentrierter  Aufguss  (Infusum  concentratissimum)  aus 
2  Teilen  Substanz  auf  10  Teile  Kolatur  bereitet.  Bei  narkotischen 
Vegetabilien  muss  das  anzuwendende  Quantum  stets  vom  Arzte 
verordnet  sein ! 


5,  Abkochungen,  Decocta, 

§  523.  In  früherer  Zeit  bereitete  man  die  Ab  kochungen, 
Decocta,  durch  ein  längeres  Kochen  der  Ingredienzien  mit 
Wasser,  Abkolieren  und  Absetzenlassen.  Vorzugsweise  werden 
harte,  holzige  Vegetabilien  ohne  riechende  Bestandteile  abgekocht, 
z.  B.  Chinarinde,  Kolombowurzel,  Quassienholz,  Hauhechel. 

Jetzt  werden  die  Abkochungen  im  Dampfbade  bereitet,  ähn- 
lich den  Aufgüssen,  nur  dass  man  die  Substanz  mit  kaltem 
Wasser  übergiesst,  eine  halbe  Stunde  lang  ins  Dampfbad 
setzt  und  sofort  noch  warm  koliert. 

R.  Corticis  Chinae  Calisayae  25,0  R.  Decocti  corticis  Chinae  Calisayae 
coque  ad  colaturae  200,0  200,0  (ex  25,0  parati) 

adde  Vini  rhenani  50.0 

Vini  rhenani  50,0  Syrupi  corticis  Aurantii  30,0. 

Syrupi  corticis  Aurantii  3,00.  M.  D.  S. 

M.  D.  S. 

42* 


—     660     — 

In  Bezug  auf  die  anzuwendenden  Spezies  gilt  das  bei  den 
Aufgüssen  Gesagte;  auch  die  Bestimmungen  über  die  Menge  der 
Kolatur.  Bei  einer  konzentrierten  Abkochung  (Dec.  con- 
centratum)  verwendet  man  auf  10  Teile  Kolatur  1%  Teile  Sub- 
stanz, bei  einer  höchstkonzentrierten  (Dec.  concentratissimum) 
2  Teile  Substanz. 

Zuweilen  soll  mit  einer  Abkochung  ein  Aufguss  verbunden 
werden;  solche  Decocto- In fusa  bereitet  man  durch  Zugabe 
der  zu  infundierenden  Substanz  gegen  Ende  der  Abkochung  (sub 
finem  coctionis),  worauf  man  bis  zum  Erkalten  bei  Seite  setzt. 

Bsp.:  R.  Radicis  Colombo  150,0 
coque  ad  colaturae  15,0 
sub  finem  coctionis  adde  Rad.  Rhei  2,0 
colaturae  adde  Aquae  Cinnamomi  30,0 
Syrupi  siniplicis  20,0. 
M.  D.  S.  .. 
Wenngleich    ältere  Arzte    Decoctum  Althaeae    vorsclrreiben ,    ist  die 
Althäwurzel  stets    zu  infundieren;    auch  gebraucht  man  nicht  selten  den 
Ausdruck  Decoctum  Salep  für  Mucilago  Salep. 


6,  Macerationen  und  Digestionen. 

§  524.  Unter  einer  Maceration  versteht  man  die  Ein- 
wirkung einer  wässerigen  oder  geistigen  Flüssigkeit  auf  eine 
Substanz  in  gewöhnlicher  Temperatur  (15 — 20°  O);  unter 
einer  Digestion  eine  solche  in  lauer  Wärme  (35 — 40°  C). 
Man  lässt  ihr  gewöhnlich  24  Stunden  Zeit,  wenn  nicht  anders 
verordnet  ist.  Ein  kalter  Aufguss  (Infusum  frigidum) 
ist  eine  zweistündige  Maceration. 


ß)  Dickliche  und  halbflüssige  Arzneien. 

7,  Schleime  und  Gallerten. 

§  525.  Schleime,  Mucilagines,  sind  dickliche,  faden- 
ziehende Flüssigkeiten;  teils  blosse  Lösungen,  wie  der  Mucilago 
Gummi  arabici,  den  man  am  klarsten  aus  unzerstossenem 
arabischen  Gummi  durch  Aufgiessen  der  doppelten  Wassermenge 
und  Aufquellenlassen  bereitet;  teils  heisse  Aufgüsse,  wie  Muci- 
lago Salep,  über  welchen  bereits  oben  gesprochen  wurde; 
teils  kalte  Auszüge,  wie  der  Mucilago  Cydoniae,  den  man 
durch  halbstündige  Maceration  der  unzerstossenen  Quittensamen 
mit  der  50  fachen  Menge  Rosen wasser  bereitet.  Über  den  Tra- 
gantschleim vgl.  §  514. 


—     6(51     — 

§  526.  Die  Gallerten,  Gelatinae,  sind  Abkochungen 
schleim-  oder  leimreicher  Substanzen,  welche  beim  Erkalten  ge- 
latinieren. Hauptsächlich  verwendet  man  nur  noch  isländisches 
Moos  und  Karrageen,  auch  wohl  Hausenblase  oder  Gelatine. 
Die  zerschnittene  Substanz  wird  mit  Wasser,  dessen  Menge 
ein  Yielfaches  der  verlangten  Gallerte  betragen  muss,  abgekocht, 
die  klare  Flüssigkeit  koliert,  bis  zum  vorgeschriebenen  Gewichte 
abgedampft,  worauf  man  sie  noch  warm  mit  den  übrigen  Zusätzen 
versieht  und  ruhig  erkalten  —  gelatinieren  —  lässt. 
Bsp.:  R.  Lichenis  islandici  30,0 

coque  cum  aque  quantitate  sufficienti  ad  gelatinae  100,0 

adde 
Syrupi  corticis  Aurantii  30,0. 
M.  D.  S. 
10  Teile  Gallerte  lassen  sich  aus  1  Teil  Carrageen,  sowie  aus  3  Teilen 
isländischen  Mooses  bereiten;    jenes  wird  mit  40   Teilen,    dieses   mit  100 
Teilen   Wasser    abgekocht.     1    Teil  Hausenblase  reicht   hin  für  25  Teile 
Gallerte,    1   Teil  Gelatine  für  50  Teile  Gallerte;   man  löst  sie  in  heissem 
Wasser,  koliert  und  lässt  erkalten. 


8,  Latwergen,  Electuaria. 

§  527.  Latwergen  sind  Gemenge  vegetabilischer  Pulver 
mit  Honig,  Syrup  oder  einem  eingedickten  Fruchtsafte,  in  solchem 
Verhältnisse,  dass  eine  breiartige  Masse  entsteht.  Man  mischt 
zunächst  die  Pulver  mit  einander  und  giebt  die  nötige  Menge 
Zuckersaft  portionenweise  hinzu. 

Leichte,    voluminöse    Pulver    erfordern    gewöhnlich    ihre    dreifache; 
salzige,  lösliche  nur  ihre  doppelte ;  schleimige,  aufquellende  sogar  ihre  fünf- 
fache   Menge    Zuckersaft.     Soll    Lycopodium    zur    Latwerge    verarbeitet 
werden,    so   ist   ein  Reiben   desselben  unter  stärkerem  Drucke  notwendig, 
um  es  fähig  zu  machen,  sich  mit  dem  Safte  zu  benetzen. 
Plsp.:  R.  Plorum  Cinae  pulveratorum  25,0 
Radicis  Valerianae  pulverata.e  5,0. 
Mellis  depurati  q.  s.  ut  fiat  electuarium.  D.  S. 


y)  Feste  Arzneien. 

9.  Pillen,  Pilulae. 

§  528.  Die  Bereitung  der  Pillenmasse.  Man  bereitet  die  Pillen- 
masse  im  Pillenmörser  (aus  Eisen,  Porzellan,  auch  wohl  Messing) 
durch  Anstossen  pulveriger  Substanzen  mit  einem  Bindemittel , 
welches  in  den  meisten  Fällen  aus  Extrakten,  zuweilen  aus 
Zuckersaft,  Honig,  Tragant-  oder  Gummischleim  besteht. 

Eine  gute  Pillenmasse  muss  plastisch,  d.  i.  bildsam,  weder 
zu  weich  (schleimig),  noch  zu  hart  (bröckelig)  sein. 


—     662     — 

Wenngleich  zum  Anstossen  einer  Pillenmasse  sich  kaum  allgemeine 
Regeln  geben  lassen,  so  merke  man  sich  doch  folgendes: 

1.  Vegetabilische  Pulver  lassen  sich  mit  2/3 — 3/4  Teilen  Extrakt 
zur  guten  Pillenmasse  anstossen;  schleimreiche,  aufquellende  dagegen, 
wie  Althäa-,  Rhabarberpulver,  erfordern  eine  gleiche' Menge  Extrakt. 

R.  Radicis  Rhei  7,5  R.  Extracti  Cardui  benedicti  5,0 

Extracti  Chelidonii  5,0  Flavedinis  corticis  Aurantii  3,0 

„        Taraxaci  q.  s.  (2,5).  Rhizomatis  Calami  q.  s.  (3,0). 

M(isce)  f(iat)  m(assa),  e  qua  formentur    M.  f.  m.  e  qua  formentur  pilulae  pon- 
pilulae    No.    (numero)    CL.   (Con-  deris   decigrammatis  unius.     Con- 

sperge  lycopodio.)  D.  S.  sperge  Rhizomate  Calami.  D.  S. 

Ist  zu  wenig  Extrakt  verordnet,  so  lässt  sich  die  Masse  durch  einen 
genügenden  Zusatz  von  Gummischleim,  Succus  Liquir.  dep.  oder  auch  Aqua 
destillata  plastisch  machen.  Ein  Zusatz  von  Zuckersaft  oder  Honig  ist 
weniger  ratsam.  —  Bei  einem  Übermasse  an  Extrakt  setze  man  die  ge- 
nügende Menge  Althäa-  oder  Süssholzpulver  zu.  Bei  grossem  Extrakt- 
Überschuss  dient  ein  kleiner  Zusatz  von  Salep  -  Pulver ,  dessen  Verdickung 
eine  kleine  Weile  abzuwarten  ist,  besser  als  eine  grössere  Menge  Althäa- 
pulver,  durch  welche  die  Pillen  nach  einiger  Zeit  hart  werden.  —  Macht 
medizinische  Seife  einen  Bestandteil  der  Pillenmasse  aus,  so  ist  ein  Extrakfc 
überflüssig,  da  die  Seife  schon  mit  etwas  Wasser  oder  verdünntem  Wein- 
geist eine  plastische  Masse  bildet.  Jedoch  ist  bei  diesem  Wasserzusatze 
grosse  Vorsicht  geboten. 

2.  Gummiharze  und  Harze  erfordern  die  Hälfte  ihres  Gewichtes  an 
Extrakt,  lassen  sich  aber  auch  mit  etwas  verdünntem  (bei  Harzen  unver- 
dünntem) Weingeist  zur  plastischen  Masse  anstossen.  Man  tröpfele  den 
Weingeist  aus  einem  Löffelchen  und  mit  Vorsicht  zu,  da  schon  ein  kleiner 
Überschuss  desselben  das  Plattdrücken  der  fertigen  Pillen  veranlasst. 
Harzige  Massen  erscheinen  gewöhnlich  anfänglich  zu  trocken  und  nehmen 
erst  nach  kräftigem  Anstossen  Plasticität  an. 

Bsp.:  R.  Asae  foetidae  7,5 

Extracti  Valerianae  3,5. 

M.  f.  m.  e  qua  formentur  pilulae  No.  XC. 

Consperge  Rhizomate  Iridis.  D.  S. 

Hierhin   gehören  die    Pilulae    aloeticae    ferratae,    aus  gleichen 

Teilen  Aloepulver  und  entwässertem  schwefelsauren  Eisenoxydul  bestehend, 

die    mit    wenigen    Tropfen  Weingeist    auf   10  g    Masse  angestossen    und 

ohne  Streupulver  formiert  Averden.    Dabei  nehmen  sie  eine  schwarze  Farbe 

an,    auch  Glanz,   wenn    man  sie  beim  Rollen  anhaucht  oder  die  fertigen 

Pillen  in   einer  schwach   mit  Weingeist  befeuchteten  Schale  umschwenkt. 

3.  Lösliche  Salze  werden  am  besten  mit  Tragant-  oder  Althäa- 
pulver  und  etwas  Wasser  zur  Pillenmasse  angestossen.  Unter  allen  Um- 
ständen sei  man  mit  dem  Wasserzusatze  sehr  vorsichtig,  um  keine  zu 
weiche  Masse  zu  erhalten.  Arabisches  Gummi  eignet  sich  weniger  gut  für 
salzreiche  Pillenmassen. 

Bsp.:  R.  Ferri  sulfurici 

Kali  carbonici  puri  ^  15,0 
Tragacanthae  q.  s.  (3). 
M.  f.  m.  e  qua  formentur  pil.  No.  C. 
Consperge  Cortice  Cinnamomi.  D.  S. 
Bei  dieser  Pillenmasse  muss  der  Zersetzung  wegen  das  reine  Salzge- 
menge zuerst  mit  etwas  Wasser  angestossen  werden  zu  einem  Teige,  der 


—     663     — 

alsdann   durch   den    Tragant    —    oder  Althäwurzel    —    plastisch  gemacht 
und  ohne  Zögern  schnell  ausgerollt  werden  muss. 

Sehr  empfindliche,  leicht  zersetzbare  Salze,  wie  Argent.  nitric,  Hy- 
drargyr.  bichlor.,  stösst  man  nicht  mit  vegetabilischen  Pulvern,  sondern 
mit  Argilla  alba  oder  Mica  panis  (getrocknete  und  gepulverte  Semmel- 
krume) und  etwas  dest.  Wasser. 

R.  Argenti  nitrici  0,2  R.  Hydrargyri  bichlorati  corr.  0,25 

Argillae  albae  2,5.  Micae  panis  2,5. 

M.  f.  pilul.  No.  XXX.  M.  f.  pilul.  No.  XXV. 

4.  Balsame  und  fette  Öle  erfordern  gewöhnlich  eine  Verdickung 
durch  Wachs,  bevor  sie  mit  vegetabilischen  Pulvern  zu  Pillen  verarbeitet 
werden.  Man  schmilzt  sie  mit  l/3 — 1/.2  Teil  gelbem  Wachse  in  gelinder 
Wärme  zusammen.  Terpentin  lässt  sich,  ohne  Wachszusatz,  mit  Althä- 
pulver  (l1/^  Teil)  verarbeiten;  Copaivabalsam  auch  wohl  mit  gebrannter 
Magnesia  (l1/2  Teil),  wobei  man  aber  gelinde  erwärmen  oder  einige  Stunden 
stehen  lassen  muss. 
R.  Baisami  Copaivae  10,0  R.  Baisami  Copaivae  10,0 

Cerae  flavae  5,0  Magnesiae  ustae  q.  s.  (15,0). 

liquefactae  et  refrigeratae  massae   M.  f.  m.  e  qua  formentur  pilul.  No.  CC. 

adde  Consperge  pulvere  Cubebarum. 

Cubebarum  pulv.  q.  s.  (2,5). 
M.  f.  pil.  No.  CC. 

Ätherische  Öle  lassen  sich  wohl  in  sehr  kleinen  Mengen 
einer  Pillenmasse  unterarbeiten ,  in  grösserer  Menge  verordnet, 
aber  nnr  mittelst  konsistenten  Tragantschleims  oder  gelben 
"Wachses,  das  man  geschabt  im  gelind  erwärmten  Pillenmörser 
mit  ihnen  verreibt. 

Die  Pilulae  odontalgicae  sind  auf  diese  Weise  aus  Mandel-,  Caje- 
put-  und  Nelkenöl  mittelst  Schmelzens  mit  gelbem  Wachs  bereitete  Pillen. 

§  529.  Die  Formierung  der  Pillen.  Die  Formierung  der  Pillen 
geschieht  auf  der  Pillenmaschine,  welche  gewöhnlich  aus  Eisen, 
für  bestimmte  Fälle  (bei  leicht  zersetzbaren  Salzen)  aus  Holz 
besteht.  Es  lassen  sich  je  30  Stück  zugleich  auf  ihr  abteilen.  Es 
ist  fürs  erste  die  Gesamtzahl  der  Pillen  festzustellen.  Der 
Arzt  bestimmt  entweder  diese  Zahl  oder  das  Gewicht  der  ein- 
zelnen Pille.  In  letzterem  Falle  wird  dieses  Einzelgewicht  in 
das  Gesamtgewicht  der  Pillenmasse  dividiert,  woraus  dann  die 
Zahl  der  anzufertigenden  Pillen  resultiert. 

Ist  die  Gesamtzahl  der  Pillen  bekannt,  so  teilt  man  die 
Piiienmasse  in  so  viele  gleiche  Teile,  als  30  in  der  Gesamtzahl 
enthalten  sind,  entweder  auf  der  Wage  oder  mittelst  der  Pillen- 
maschine selbst.  Die  erhaltenen  Teile  Averden  alsdann  zu  einem 
gleich  dicken  Strange  ausgerollt  und  abgeteilt,  worauf  man  die 
einzelnen  Pillen  mit  Daumen  und  Zeigefinger  abrundet  oder  sie 
zu  30  unter  einem  Rollbrettchen  abdreht. 

Gewöhnlich  werden  die  fertigen  Pillen  mit  einem  Streupulver 


—     664     — 

versehen  d.  i.  konsp  er  giert.    Ist  kein  besonderes  Pulver  ver- 
ordnet, so  greift  man  zum  Lycopodium. 

Sollen  die  Pillen  versilbert  resp.  vergoldet  werden,  so  schüttelt 
man  die  nicht  konspergierten  Pillen  mit  etwas  Blattsilber  resp.  Blatt- 
gold in  einer  hohlen  Hornkugel.  Sollen  die  Pillen  mit  Gelatine  über- 
zogen werden,  so  taucht  man  sie  einzeln  an  einer  Nadel  oder  einem  zu- 
gespitzten Holzstäbchen  in  eine  konsistente,  erwärmte  Gelatinelösung  und 
lässt  sie  dann  an  der  Luft  abtrocknen. 


10.  Pastillen,  Pastilli,  Trochisci. 

§  530.  Die  Pastillen  sind  runde,  1  g  schwere  Scheib- 
chen, aus  Zucker  oder  Kakaomasse  bestehend,  mit  einem  medi- 
zinisch wirksamen  Zusatz.  Früher  bereitete  man  sie  nach 
Art  der  Pillen,  durch  Anstossen  der  Zuckermasse  mit  etwas 
Tragantschleim  zur  plastischen  Masse,  die  man  auf  der  Pillen- 
maschine  abteilte  und  formierte,  worauf  die  einzelnen  Kügelchen 
durch  einen  Stempel  plattgedrückt  und  an  einem  lauwarmen 
Orte  getrocknet  wurden. 

Jetzt  bereitet  man  die  Pastillen  durch  Ausstechen  der  ge- 
nügenden Menge  mittelst  des  sog.  Pastillen  Stechers,  einer 
metallenen  Röhre  mit  scharfem  Rande,  Die  Zuckermasse  wird 
mit  15— 20°/0  verdünntem  Weingeist  befeuchtet,  mittelst 
einer  Nudelwalze  auf  einem  weissen  Brette  gleichdick  ausgewalzt 
und  mit  dem  Pastillen  Stecher  ausgestochen.  Man  benutzt  häufig 
einen  Pastillen  Stecher  mit  federndem  Kolben,  dessen  Unterseite 
ein  Zeichen  trägt,  welches  sich  der  Pastille  aufprägt.  Die  aus- 
gestochenen Pastillen  werden  auf  einem  Papierbogen  gesammelt 
und  an  der  Luft  getrocknet. 

(Nach  älterer  Darstellung:)  (Nach  neuerer  Darstellung:) 

R.  Natri  bicarbonici.  R.  Natiü  bicarbonici, 

Sacchari  albi  S  100,0  Sacchari  albi  ^  100,0 

Olei  Menthae  pip.  1,0  Olei  Menthae  pip.  1,0 

Tragacanthae  q.  s.  (2,0).  Spiritus  diluti  q.  s.  [30.0). 

M.  f.  pastilli  No.  CC.  M.  f.  pastilli  No.  OC. 

Die  aus  Kakaomasse  bereiteten  Pastillen  werden  nicht  ange- 
feuchtet, Man  erweicht  die  Kakaomasse  in  sehr  gelinder 
Wärme,  mischt  die  übrigen  Ingredienzien  bei,  rollt  sie  auf  einer 
Blechtafel  mit  einer  Walze  aus  und  sticht  mit  einer  Blech- 
röhre die  einzelnen  Pastillen  ab,  welche  sich  nach  dem  Erkalten 
leicht  von  der  Blechtafel  ablösen  lassen. 

Bsp.:  R.  Ferri  reducti  10,0 
Massae  cacaotinae 
Sacchari  albi  äa  45,0 
M.  f.  pastilli  No.  C. 


065    — 


IL  Tkeemisclmngen,  Spezies, 

§  .531.  Die  Spezies  sind  Mischungen  mehr  oder  weniger 
gröblich  zerschnittener  Vegetabilien ,  Blätter,  Kräuter,  Blüten, 
"Wurzeln,  Früchte  u.  dgl.  Man  wendet  Früchte  und  Samen  zer- 
quetscht (kontundiert),  Wurzeln  und  Wurzelstöcke  feiner, 
Blätter  und  Blüten  gröber  geschnitten  an.  Mineralische  Stoffe, 
z.  B.  Salze,  kommen  grobgepulvert  hinzu. 

Nach    der  Feinheit   und  der  Anwendung  unterscheidet  man: 

a)  Eigentliche  Theespezies  (Species  ad  infusum), 
von  mittlerer  Feinheit,  durch  Absieben  vom  feineren  Pulver  be- 
freit.   Bsp.:  Species  pectorales,  ad  decoct.  lignorum. 

b)  Kräuterkissenspezies  (Species  ad  f Omentum), 
kleiner  zerschnitten  als  vorige.    Bsp.:  Spec.  aromaticae. 

c)  Breiumschlagspezies  (Species  ad  cataplasma), 
ein  gröbliches  Pulver.     Bsp.:  Spec.  emollientes. 

Bei  den  Theemischungen  werden  die  kleineren  Mengen 
zuerst  abgewogen  und  gemischt,  bevor  man  die  grös- 
seren Quantitäten  zusetzt.  Soll  die  Mischung  in  eine 
Anzahl  gleicher  Teile  abgeteilt  werden,  so  ist  ein  exaktes  Mengen 
zumal  geboten;  bei  sehr  ungleichartigen  Teilen,  wenn  z.  B.  Salze,. 
kontundierte  Samen  u.  dgl.  zu  groben  Spezies  verordnet  sind, 
empfiehlt  es  sich  jedoch,  von  diesen  feineren  Arzneistoffen  die 
Dosen  für  sich  abzuwägen  und  den  abgeteilten  Portionen  bei- 
zumischen. 

ü.   Radicis  Althaeae  (concisae)  25,0  R.   Fol.  Sennae  5,0 

Floruni  Malvae  vulg.  (concisorum)  8,0  Fruct.  Coriandri  (contusi)  2,5 

Fructus  Foeniculi  (contusi)  5.0.  Natri  sulfurici  5,0. 

M.  f(iaut)  sp(ecies).  D.  S.  M.  f.  sp.  Dentur  tales  doses  No.  VI. 


12,  Pulvermischungen,  Pulveres. 

§  532.  Bereitung  eines  gemischten  Pulvers.  Man  unterscheidet 
gröbliche  und  feine  Pulvermischungen,  je  nachdem  die 
Ingredienzien  gröber  oder  feiner  zerteilt  sind.  Die  Mischung 
geschieht  im  Pulvermörser  und  wird  so  lange  fortgesetzt,  bis 
keine  Verschiedenheit  zwischen  den  einzelnen  Teilen  des  Pulvers 
mehr  wahrzunehmen  ist.  Als  Hauptregel  beim  Pulvermischen 
merke  man  sich: 

Man  beginne  mit  den  kleinsten  Gewichtsmengen,  denen  der 
Eeihe  nach  die  grösseren  beizufügen  sind. 

Sehr  häufig  ist  von  einer  stark  wirkenden  Substanz  nur  eine  sehr  kleine 
Quantität  abzuwägen  und  mit  einer  verhältnismässig  grossen  Menge  Zucker 
oder  eines  anderen  indifferenten  Mittels  zu  mischen.  In  solchen  Fällen 
-verreibe  man  jene  kleine  Menge  zuerst  mit  wenig  Zucker  und  setze  dessen 


—     666     - 

übriges  Quantum,  später  zu.     Dies   bat  man  besonders  bei  Calomel  zu  be- 
achten, dessen  hohes  spezifisches  Gewicht  die  an  sich  kleine  Gewichtsmenge 
noch    kleiner    im   Volum    erscheinen    lässt.      Sulfurat    und   andere,    durch 
Fällung  oder  Krystallisation ,   nicht  durch  Präparation  gewonnene  Arznei- 
stoffe bedürfen  dabei  einer  mit  Druck  ausgeführten  Verreibung  mit  Zucker. 
Bsp.:  R.  Stibii  sulfurati  nigri  5,0 
Sulfuris  depurati  10,0 
Sacchari  albi  20,0. 
M(isce)  f(iat)  p(ulvis).  D.  S. 

Eine  besondere  Schwierigkeit  bieten  Mischungen  sehr  leichter,  volu- 
minöser Pulver  mit  schweren.  Soll  z.  B.  kohlensaure  oder  gebrannte  Magnesia 
mit  Zucker  resp.  einem  vegetabilischen  oder  Salzpulver  verrieben  werden, 
wie  zu  Pulv.  Magnes.  c.  Rheo,  so  füge  man  dem  letzteren  anfänglich 
ein  ihm  gleiches  Volum  der  Magnesia  zu,  und  erst  nach  vollendeter 
Mischung  die  übrige  Menge  der  letzteren.  (Durch  Schütteln  in  einer  Holz- 
büchse oder  Pappschachtel,  unter  Beigabe  einiger  eisernen  Kugeln  oder 
Gewichtsstücke,  bewerkstelligt  man  in  ganz  kurzer  Zeit  derartige  Mischungen 
der  Magnesia.) 

Soll  ein  steifes  Extrakt  einer  Pulvermischung  beigegeben  werden,  so 
verreibe  man  dasselbe  zuerst  mit  dem  verordneten  Zucker  oder  einem  vege- 
tabilischen Pulver.  Grössere  Extraktmengen  müssen  dagegen  im  Wasser- 
bad zuvor  eingetrocknet  werden.  Ätherische  Extrakte  lassen  sich,  mit  den 
übrigen  Ingredienzien  gemischt,  an  der  Luft  trocknen. 

Ätherische  Öle  lassen  sich  leicht  mit  Zucker  verreiben.  Man 
nennt  eine  solche  Mischung  Ölzucker,Elaeosaccharum, 
und  rechnet  auf  je  2  g  Zucker  einen  Tropfen  des  ätherischen 
Öles.  Die  Ölzucker  müssen  für  sich  angefertigt  und  dann  den 
übrigen  Ingredienzien  beigegeben  werden,  wenngleich  es  auch 
angeht,  das  Öl  zur  fertigen  Mischung  zuzutröpfeln ,  im  Falle  die 
letztere  vorzugsweise  aus  Zucker  besteht. 

Grössere  Partien  zu  mischender  Pulver,  z.B.  Pulvis  Liquiritiae  comp., 
lassen  sich  schnell  bewältigen,  wenn  man  sie  durch  ein  Haarsieb  schlägt. 

§  533.  Division  von  Pulvern.  Soll  eine  Pulverinischung  in  eine 
gewisse  Anzahl  gleicher  Teile  abgeteilt  werden,  so  geschieht  dies 
mit  der  "Wage  —  nicht  nach  Abschätzung  mit  dem  Löffel!  Die 
einzelnen  Teile  kommen  alsdann  in  Pulverkapseln,  welche  man 
aus  geglättetem  Papier  anfertigt.  Bei  flüchtigen  Ingredienzien, 
wie  Kampfer,  Ölzucker,  sowie  zerfliesslichen  oder  feuchtwerdenden 
Salzen,  wie  essigsaurem  Kali,  Jodkalium  u.  a.,  sind  Kapseln 
aus  Wachspapier  oder  Pergamentpapier  geboten.  In 
neuerer  Zeit  sind  Oblaten  in  Anwendung  gekommen,  zumal  für 
stark-  oder  bitterschmeckende  Pulver.  Zwei  konkave,  genau  auf 
einander  passende  Oblaten  (capsulae  aniylaceae)  werden, 
nachdem  die  untere  mit  dem  Pulver  gefüllt  und  die  obere  am 
Rande  befeuchtet  ist,  mittelst  eines  Stempels  zusammengeklebt 
und  verschliessen  den  Inhalt  nahezu  luftdicht.  Der  Patient  ver- 
schluckt sie,  nachdem  sie  in  Wasser  getaucht  worden. 


—     667     — 

Mit  der  Division  eines  Pulvergenienges  in  eine  Anzahl  glei- 
cher Teile  ist  die  vervielfältigte  Abgabe  einer  Einzeldosis 
gleichbedeutend.  Man  hat  im  letzteren  Falle  die  angegebenen 
Gewichtsmengen  mit  der  Zahl  der  Dosen  zu  multiplizieren  und 
die  dabei  resultierenden  Grössen  zu  mischen,  worauf  die  Abtei- 
lung in  die  verlangten  Dosen  erfolgt. 

R.  Hydrargyri  chlorati  mitis  0,05  R.  Hydrargyri  chlorati  mitis,  0,50 
Sacchari  albi  0,50.  Sacchari  albi  5,0. 

M(isce)    f(iat)   p(ulvis).    Dentur  tales  M(isce)  f(iat)  p(ulvis).   Divide  in  partes 
doses  No.  X.  S.  aequales  X.  D.  S. 


2.    Arzneien  zum  äußerlichen  Gebrauch. 
13.  Linimente,  Linimenta. 

§  534.  Linimente  sind  halbflüssige,  dickliche  oder  gela- 
tinöse Mischungen  zum  Einreiben  oder  zu  Umschlägen.  Man 
kennt  solche  Linimente  aus  Öl  und  ätzenden  Alkalien  resp. 
Bleiessig,  aus  Seife  und  "Weingeist. 

Das  flüchtige  Liniment,  Linimentum  ammonia- 
tum,  eine  Mischung  aus  4  Teilen  Olivenöl  und  1  Teile  Salmiak- 
geist, wird  durch  kräftiges  Schütteln  im  Glase  dargestellt.  Das 
Kampfer-Liniment,  Linimentum  camphorato-ammo- 
niatum,  verwendet  Kampferöl  statt  des  Olivenöls. 

Sollen  zu  diesen  Linimenten  Zusätze  gegeben  werden,  so  geschieht 
dies  zum  fertigen  Linimente.  Spirituöse  und  ölige  Flüssigkeiten  lassen  sich 
ihnen  leicht  zumischen,  Extrakte  dagegen  oder  feste  lösliche  Körper  be- 
dürfen zuvor  der  Auflösung  in  etwas  Wasser.  Ätherische  Öle,  Phosphor, 
steife  Salben  werdeu  aber  zuvor  in  dem  Öle  aufgelöst. 

R.   Linimenti  ammoniati  30,0  R.  Linimenti  ammoniati 

ölei  Crotonis  3,0  Unguenti  Hydrargyri  cinereiS  15,0 

M.  D.  S.     Zum  Einreiben.  M.  D.  S. 

Während  das  Crotonöl  dem  fertigen  Linimente  beigegeben  wird,  ver- 
reibt man  die  Quecksilbersalbe  zuerst  mit  dem  Baumöl  des  Linimentes 
(12  Grm.)  und  mischt  den  Salmiakgeist  (3  Grm.)  schliesslich  zu. 

Zu  den  Seifenlinimenten  gehören  der  Opodeldok,  Lini- 
mentum saponato-camphoratum,  eine  gelatinierte  Auf- 
lösung von  Seife  in  Weingeist,  sowie  das  flüssige  Seifen  - 
liniment,  Linimentum  saponato-ammoniatum,  eine 
Auflösung  von  Seife  in  verdünntem  Weingeist,  mit  Salmiakgeist. 

Mit  dem  Opodeldok  lassen  sich  nicht  leicht  andere  Arzeneimittel 
mischen:  Salben  oder  Fette  unter  schwachem  Drucke  im  Mörser,  Tinkturen 
Salze  u.  dgl.  durch  Auflösung  im  geschmolzenen  Opodeldok,  der  beim  Er- 
kalten wieder  gelatiniert. 

§  535.  An  die  Linimente  reiht  sich  der  Umschlag,  Cata- 
plasma,    ein    weicher  Brei    aus    gepulverten   Yegetabilien    oder 


-     668     — 

anderen  pulverigen  Substanzen  mit  Wasser,  welcher  auf  Lein- 
wand gestrichen  aufgelegt  wird.  Eine  derartige  Kräutermischung, 
Species  emollientes,  dient  zur  Anfertigung  erweichender 
Umschläge  im  Hause  des  Patienten.  —  Der  Senfteig,  Sina- 
pismus,  wird  noch  häufig  in  der  Apotheke  verlangt,  weicht  aber 
immer  mehr  dem  Senfpapiere;  man  zerrührt  gleiche  Teile  ge- 
pulverten Senfsamen  und  lauwarmes  Wasser. 

Zu  den  Umschlägen  gehört  auch  Plumbum  tannicum  pulti forme 
(Cataplasma  ad  decubitum),  ein  Niederschlag,  den  man  in  einer  Abkochung 
von  Eichenrinde  (Lohe)  durch  genügenden  Zusatz  von  Bleiessig  erzeugt  und 
nach  dem  Abtropfen  mit  etwas  Weingeist  vermischt. 


14,  Salben,  Unguenta. 

§  536.  Die  Salben,  Unguenta,  sind  halb  weiche  Fett- 
mischungen, deren  Hauptmasse  meist  aus  Schweineschmalz  besteht. 

a)  Ist  eine  Salbe  nur  aus  Fetten  zusammenzumischen, 
so  lässt  sich  dies  im  Mörser  (Salbenmörser) ,  häufig  auch  im 
Topfe,  worin  man  die  Salbe  dispensiert,  vornehmen. 

Man  beginne  mit  den  kleineren  Quantitäten  und  mische 
denselben  der  Reihe  nach  die  grösseren  bei.  Man  ist  deshalb 
nicht  an  die  Keihenfolge  auf  dem  Rezepte  gebunden. 

Im  Falle  die  Fette  eine  verschiedene  Konsistenz  haben,  ist 
das  festere  Fett  zuerst  im  Mörser  für  sich  zu  zerreiben  und 
dann  das  weichere  Fett  portionenweise  beizumischen. 

R.  Unguenti  Plumbi  10,0  R.  Ung.  Hydrargyri  cinerei  7,5 

„  Zinci  20,0  Olei  Hyoscyami  cocti  15,0. 

M(isce)  f(iat)  unguentum.  D.  S.  M.  f.  ungt.  D.  S. 

Harte  Fette,  wie  Wachs,  Walrat,  Kakaoöl,  Talg,  werden  vorher  in 
gelinder  Wärme  geschmolzen  und  alsdann  mit  den  übrigen  Ingredienzien 
gemischt. 

b)  Ist  eine  Fettmischung  mit  Zusätzen  nicht  fettiger 
Art  verordnet,  so  ändert  sich  die  Operation  je  nach  dem  Zusätze: 

1.  Wässerige  oder  weingeistige  Flüssigkeiten,  wie 
Bleiessig ,  Tinkturen ,  lassen  sich  nur  in  beschränkter  Menge 
Fetten  beimischen,  wenn  die  Flüssigkeit  sich  nicht  herausdrücken 
soll.  Fette  nehmen  in  der  Regel  nur  */5  ihres  Gewichtes  an 
wässeriger,  und  nur  l/6 — 1/8  weingeistiger  Flüssigkeit  auf. 

Bsp.:  R.   Unguenti  Rosmarini  compositi  25,0 
Mixturae  oleoso-balsamicae  5,0. 
M.  f.  ungt.  D.  S. 
Hierbei   ist    zu  beachten,   dass   das    Fett  vor   dem   Zusätze   der 
Flüssigkeit  im  Mörser  zu  verreiben  ist,  da  es  demselben  nicht  mehr 
adhäriert,  wenn  er  zuvor  mit  der  Flüssigkeit  benetzt  worden  ist ;  auch  wird 
die  Salbe  durch  das  Verreiben  weicher  und  nimmt  den  Zusatz  leichter  auf. 
Übersteigt  die  Menge  der   beizumischenden  Flüssigkeit  obige  Grenze, 


-     669     — 

so  gelingt  die  Salbe  dennoch  häufig,  wenn  das  Fett  sehr  weiche  Konsistenz 
besitzt.  Härtere  Fette  verdünne  man  daher  in  solchem  Falle  mit  etwas 
Olivenöl.  Eine  Salbe  mit  übermässigem  Wassergehalte  und  rahmartiger 
Beschaffenheit  ist  Ungt.  leniens;  die  geschmolzene  Mischung  aus  Wachs, 
Walrat  und  Mandelöl  wird  beim  Abkühlen  mit  dem  Rosenwasser  kräftig 
umgerührt  und  zum  Schlüsse  schaumig  geschlagen. 

2.  Extrakte  und  leicht  lösliche  Salze,  z.  B.  Jod- 
kalium, Argentuni  nitricuni,  müssen  vor  dem  Zumischen  des 
Fettes  in  der  möglichst  geringen  Menge  Wassers  aufgelöst  werden, 
wobei  die  oben  angegebene  Grenze,  bis  zu  welcher  die  Salben 
solche  Flüssigkeiten  annehmen,  wohl  zu  beachten  ist. 

Trockne  Extrakte,  wie  Opiumextrakt,  bedürfen  ebenfalls  der  Lösung 
in  Wasser.  Kampfer  verreibt  man  dagegen  mit  etwas  Olivenöl.  Löst  sich 
der  Körper,  z.  B.  Veratrin.  weniger  in  Wasser  als  in  Weingeist,  so  wende 
man  letzteren  an.  Würde  aber  die  Wassermenge  zu  gross  werden  gegen 
die  Fettmenge,  so  stehe  man  von  einer  Lösung  ab  und  zerreibe  das  Salz 
aufs  feinste  für  sich  oder  mit  etwas  Öl. 

R.   Argenti  nitrici  1,0  R.  Unguenti  cerei  20,0 

Adipis  suilli  80,0.  Extracti  Opii  0,50. 

M.  f._  ungt.  D.  S.  M.  f.  ungt.  D.  S. 

Hierhin  zählen  die  zu  extemporierenden  Salben  der  narkotischen  Ex- 
trakte, z.  B.  Ungt.  Belladonnae,  Conii,  Digitalis,  Hyoscyami,  Mezerei,  Sabinae. 

3.  Feste,  nichtlösliche  Körper,  z.  B.  Schwefel,  Zink- 
oxyd, Quecksilberoxyd,  Bleiweiss  u.  a.,  bedürfen  einer  höchst 
feinen  Präparierung.  Man  zerreibe  den  Körper  im  Mörser  für 
sich  oder  unter  Beigabe  von  etwas  Wasser  resp.  Olivenöl  aufs 
feinste,  so  dass  man  zwischen  den  Fingern  keine  rauhen 
Partikelchen  mehr  wahrzunehmen  vermag;  alsdann  mische 
man  das  Fett  portionenweise  bei.  Eine  solche  Salbe  darf  auf 
dem  Strich  keine  festen  Körnchen  zeigen. 

Hierhin:  Ungt.  Hydrargyri  albi  und  rubrum,  Tartari  stibiati. 


15.  Pflaster,  Emplastra. 

§  537.  Mischung  von  Pflastern.  Die  Pflaster,  Emplastra, 
sind  in  gewöhnlicher  Temperatur  harte  und  feste,  in  der  Hand- 
wärme erweichende  und  klebende  Arzneimittel,  welche  auf  Lein- 
wand oder  Leder  gestrichen  der  Haut  appliziert  werden.  Man 
unterscheidet:  1.  Bleipflaster,  2.  Wachs-  und  Harzmischungen, 
oft  Gummiharze,   Balsame  oder  vegetabilische  Pulver  enthaltend. 

Ist  ein  Pflaster  mit  einem  anderen  Pflaster  oder  sonstigen 
Zusätze  zu  mischen,  so  wird  es  zuvor  in  gelinder  Wärme  ge- 
schmolzen, sofern  es  von  harter  Konsistenz  ist;  z.  B.: 

R.  Emplastri  Lithargyri  compositi, 

„  oxycrocei  ^  20,0. 

M(isce)  f(iat)  emplastrum.  D.  S. 


—     870     — 

oder,    sofern    sich    dies    bewerkstelligen  lässt,    erweicht  man  sie 
durch  Kneten  in  der  Hand  (Malaxieren)  z.  B.: 

R.  Emplastri  Conii  10,0 

Meliloti  15,0, 
M.  f.  empl.  D.  S. 
Häufig  gelingt  ein  halbes  Schmelzen  durch  Übergiessen  des  Pflasters 
mit  heissem  Wasser  —  was  man  selbstverständlich  nicht  anwenden  darf, 
wenn  die  Pflastermasse  lösliche  oder  ausziehbare  Bestandteile  enthält.  Mit 
fetten  Ölen  lassen  sich  die  Bleipflaster  nicht  vollkommen  mischen,  es  gelingt 
die  Mischung  überhaupt  nur  dann,  wenn  man  das  Ganze  nur  sehr  gelinde 
erwärmt,  wodurch  das  Pflaster  halbflüssig  wird.  Beisp. :  Ungt.  diachylon  Hebrae. 

Ist  die  Pflastermischung'  in  der  einen  oder  anderen  Weise 
vollzogen ,  so  wird  sie  auf  einem  reinen  Brette  mit  Wasser  zu 
einer  Stange  ausgerollt. 

Zusätze,  wie  Harze,  Yegetabilien,  Seifen,  mineralische  Pulver, 
setzt  man  in  feingepulvertem  Zustande  der  geschmolzenen  oder 
erweichten  Pflastermasse  zu.  Kampfer  wird  mit  etwas  Öl,  Ex- 
trakte, Opium,  leichtlösliche  Salze  mit  etwas  Wasser,  Jod  mit 
Weingeist  angerieben  und  beigemischt. 
R.  Emplastri    fusci    30,0     R.   Emplastri  Cerussae     R.   Emplastri  saponati 

Baisami  peruviani  2,0.  25,0  50,0 

M.  f.  empl.  D.  S.  Camphoare  1,0.  Jodi  0,50. 

M.  f.  empl.  D.  S.  M.  f.  empl.  D.  S. 

§  538.  Streichen  der  Pflaster.  Man  streicht  die  Pflaster  auf 
Schaf leder  (aluta  oder  coreum),  Leinwand  (linteum)  oder  Taffet 
(pannum  sericeum  oder  bombycinum).  Dem  Streichen  muss  das 
Erweichen  des  Pflasters  (Malaxieren)  vorhergehen,  indem  man 
es  zwischen  den  Händen  knetet  und  mit  dem  Daumen  aufstreicht. 
Harte  Pflaster  werden  in  gelinder  Wärme  geschmolzen  und  mit 
dem  Pflasterspatel  aufgetragen.  Auch  kann  man  sie  auf  dem 
Leder  selbst  schmelzen,  durch  Aufdrücken  mit  dem  erhitzten 
Pflasterspatel  und  Ausstreichen.  Nicht  klebende  Kräuterpflaster, 
die  mit  einem  Heftpflasterrande  versehen  werden,  kann  man  direkt 
auf  gestrichenes  Heftpflaster  auftragen,  ringsum  Rand  lassend. 

In  der  Regel  streicht  man  das  Pflaster  in  der  Dicke  eines  Messer- 
rückens auf.  Heftpflaster,  sowie  Bleipflaster  und  dessen  Mischungen  werden 
dagegen  sehr  dünn  aufgestrichen.  Letzteres  Pflaster  trägt  man  gewöhnlich 
mittelst  einer  Pflaster  streich- Maschine  auf,  deren  Konstruktion,  im  ein- 
zelnen verschieden,  darin  übereinstimmt,  dass  ein  Streifen  Leinwand  oder 
Shirting  am  Boden  eines  Behälters  durchgezogen  wird,  der  mit  der  flüssigen 
Pflastermasse  gefüllt  ist.  Solche  gestrichene  Pflaster  nennt  man  Sparadrap. 
Mit  der  Zeit  verlieren  sie  ihre  Klebkraft,  die  sie  jedoch  durch  Befeuchten 
mit  etwas  Terpentinöl  oder  durch  Erwärmen  wiedergewinnen. 

In  Gestalt  und  Grösse  eines  gestrichenen  Pflasters  hat 
man  sich  nach  der  ärztlichen  Ordination  zu  halten.  Entweder 
giebt  der  Arzt  die  Grösse  der  bestrichenen  Stelle,  oder  die  Menge 
des  zu  verbrauchenden  Pflasters  an. 


671     — 

Für  je  10  qcm  kann  man  1,5  g  Pflastermasse,  von  Blei- 
pflastermischungen aber  2  g  berechnen. 

Man  unterscheidet  runde,  ovale  und  viereckige  Formen. 
Runde  Formen  wählt  man  für  kleine  Pflaster  z.  B.  von  der 
Grösse  eines  Guldens  (florini),  Thalers  (thaleri)  u.  s.  f.  Für  grös- 
sere Mengen  passen  besser  ovale  Formen,  wie  die  Grösse 
des  Handtellers  (magnitudine  volae  manus  oder  palmae  manus 
minoris);  oder  der  ganzen  Hand  (magnitudine  palmae  manus 
majoris).  Yi  er  eckige  Formen  sind  beispielsweise:  von  der 
Grösse  einer  Spielkarte  (chartae  lusoriae),  eines  Oktav-  oder 
Quartblattes  (schedae  octonariae,  quaternariae),  eines  Papierbogens 
(plagalae  chartae).  Ausserdem  giebt  es  für  Ohrenpflästerchen 
eine  Halbmondform  (forma  semilunaris.) 

E.  Emplastri  Canthariduin  ordinarii  R.  EmplastriCantharidumperpetui0,5. 

q.  s.  (7.5).  Extende    super    pannum    sericeum 

Extende    super   coreum   (alutam)  (bombycinurn)  formae  semilunaris. 

magnitudine  palmae  manus  mi-  Detur     in     duplo.       S.       Ohren- 

noris.     D.  S.     Zugpflaster.  pflästerchen. 

Man  findet  den  Flächeninhalt  einer  viereckigen  Form  durch 
Multiplikation  der  Länge  mit  der  Breite;  den  einer  runden  Form 
durch  Multiplikation  des  Halbmesserquadrats  mit  22/7;  den  einer 
ovalen  Form  durch  Multiplikation  zunächst  der  halben  grossen 
Axe  mit  der  halben  kleinen  Axe,  dann  mit  22/7. 

Hiernach  berechnet  sich  der  Flächeninhalt  eines  Guldens  auf  etwa 
•5  qcm,  eines  Thalers  auf  9  qcm,  des  Handtellers  auf  30 — 60  gern  (je  nach 
der  Grösse  der  Hand),  der  Handfläche  auf  75 — 100  qcm,  der  Spielkarte  auf 
40  qcm,  eines  Ohrenpflästerchens  auf  9  qcm. 


16,  Bougies  und  Stuhlzäpfchen, 

§  539.  Bougies,  Cereoli,  sind  konisch  zulaufende,  bis 
30  cm  lange ,  federkieldicke  Cylinder  aus  Leinwand ,  die  mit 
Wachs  getränkt  worden.  Um  sie  anzufertigen,  schneidet  man  ein 
Stück  Leinwand  in  30  cm  lange,  3 — 5  cm  breite  Streifen, 
ähnlich  einer  abgestumpften  Messerklinge,  zieht  sie  durch  ge- 
schmolzenes "Wachs  und  rollt  sie  dann  auf  einer  glatten  Fläche, 
von  der  längeren  Seite  aus,  in  einen  konischen  Cylinder  zusammen, 
mit  einem  Brettchen  in  derselben  Richtung  feststreichend. 

Auch  kann  man  Darmsaiten  benutzen,  welche,  fest  angezogen,  mit 
einem  wachsgetränkten  wollenen  Läppchen  bestrichen  werden.  Übrigens 
haben  die  Bougies  aus  Kautschuk  die  eben  beschriebenen  verdrängt. 

§  540.  Stuhlzäpfchen,  Suppositoria,  sind  3—4,5  cm 
lange,  unten  1,2 — 1,3  cm  breite  Kegel  aus  Seife,  Kakao-Öl,  einer 
Pflastermasse   oder   einer  festen  Pillenmasse.     Man  formt  sie  mit 


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der  Hand  resp.  dem  Messer,  oder  giesst  sie,  im  Falle  einer 
Kakao-Ölmischung,  in  kegelig  gerollte  Papierhüllen.  Schliesslich 
werden  sie  mit  etwas  Mandelöl  bestrichen  und  in  Wachspapier 
dispensiert. 

R.  Olei  Cacao  50.0  R.  Natfi  sulfurici  sicci  10,0, 

Cerae  5,0  Saponis  oleacei  20,0, 

leni  calore  liquefacta  in  modulos  Mellis  q.  s. 

ad  suppositoria  effundantur.  M.  f(iant)  suppositoria  V.     D.  S. 

Fiant  suppositoria  X.     D.  S. 

Sollen  dem  Kakao-Öle  Zusätze  gemacht  werden,  z.  B.  Tannin,  AloeV 
Opium,  Morphin  u.  a.,  so  mischt  man  sie  im  feingepulverten  Zustande  dem 
geschmolzenen  Fette  bei.  Extrakte  wendet  man  auch,  wenn  irgend  mög- 
lich, als  trocknes  Pulver  an.  Mischungen  von  Arzneikörpern  mit  Kakaoöl 
lassen  sich  auch  ohne  Schmelzen  zu  Suppositorien  verarbeiten.  Man  zer- 
stösst  das  Kakaoöl  in  einem  Mörser,  mischt  das  übrige  hinzu  und  giebt 
dann  etwas  Öl  oder  Wachssalbe  (nicht  mehr  als  1/5 — 1/6  des  Kakao-Öles) 
hinzu,  dass  die  Masse  knetbar  wird,  die  man  in  eine  Stange  ausrollt,  ab- 
teilt und  mit  der  Hand  in  Kegel  formt. 


Gefährliche  Arzeneistoffe  und  Mischungen. 

§  541.  Gefährliche  Arzeneistoffe.  Von  den  zahlreichen  Arzeneistoffen 
erfordern  viele  eine  gewisse  Vorsicht  bei  ihrer  Handhabung,  teils  in  Rück- 
sicht ihrer  Giftigkeit,  teils  wegen  Feuergefährlichkeit,  Zersetzbarkeit  u.  a. 

Wegen  der  starkätzenden  Wirkung  auf  die  Haut  muss  man  sich  bei 
der  Dispensation  von  Acidum  sulfuricum  concentratum,  Acidum  aceticum 
concentr.,  Acidum  carbolicum,  li'reosotum,  Acidum  nitricum  crudum  und  fumans, 
Oleum  Crotonis  u.  a.  m.  vor  Benetzung  der  Hände  und  Kleider  hüten. 

Bei  der  Abgabe  von  Aether,  Aether  Petrolei,  Benzinum,  Carboneum 
sulfurat.um,  Spiritus  aethereus  u.  a.  achte  man  auf  die  Feuergefährlichkeit 
ihres  Dunstes  und  halte  jedes  Licht  in  der  nötigen  Entfernung. 

Beim  Abwiegen  und  Verreiben  von  Rhisoma  Veratri  pulv.,  Veratrinum, 
Atropinum ,  Cantliarides  pulv.,  Euphorbium  pulv.  vermeide  man  jegliches 
Stäuben  und  halte  Augen  und  Nase,  wegen  der  höchst  gefährlichen  Wir- 
kung selbst  des  geringsten  Staubes,  in  einiger  Entfernung.  Ein  Gleiches 
ist  dringend  anzuraten  bei  Bromum  und  Aqua  clilorala,  deren  Gase  in 
hohem  Grade  gesundheitsgefahrlich  sind,  auch  wegen  ihrer  korrodierenden 
Wirkung  die  Metallfiächen  der  Wage  angreifen. 

Den  Phosphor  fasse  man  nie  mit  blossen  Händen  au,  schneide  ihn 
stets  unter  Wasser  mit  einer  Schere  und  vermeide,  dass  geschmolzener 
Phosphor  in  Berührung  mit  der  atmosphärischen  Luft  gelange,  da  er  dann 
sofort  in  Flammen  gerät. 

§  542.  Gefährliche  Mischungen.  Wenn  bei  der  chemischen  Wirkung 
zweier  Körper  auf  einander  ein  Übermass  von  Wärme  frei  wird,  so  ge- 
hört die  Mischung  derartiger  Stoffe  zu  den  gefährlichen. 

Die  konzentrierte  Schwefelsäure,  macht  beim  Vermischen 

a)  mit  Wasser  oder  Weingeist, 

b)  mit  vielen  ätherischen  Ölen,  namentlich  Terpentinöl, 

eine  solche  Erhitzung,  dass  es  stets  gefährlich  ist,  solche  Stoffe  zur  konz. 
Schwefelsäure  zu  fügen  —  vielmehr  mache  man  es  sich  zur  strengen  Regel: 


—     673     — 

Die  konzentr.  Schwefelsäure  ist  dem  Wasser  resp.  dem  Weingeist  in 
kleinen  Portionen,  unter  kräftigem  Umrühren  und  (bei  grösseren  Quantitä- 
ten) unter  Abkühlen  durch  Einstellen  in  kaltes   Wasser  beizugeben. 

Hie  und  da  soll  nach  alten  Veterinär-Rezepten  Terpentinöl  mit  Vitriolöl 
(konz.  Schwefelsäure)  gemischt  werden;  gewöhnlich  gehen  noch  einige 
andere  Öle,  Leinöl  und  Steinöl,  in  dieselbe  Mischung  ein.  Da  sich  nun  die 
Schwefelsäure  mit  den  fetten  Ölen,  wie  auch  mit  Petroleum  ohne  Be- 
denken mischen  lässt,  so  verdünnt  man  zuerst  das  Terpentinöl  mit  den 
fetten  Ölen  und  giebt  dann  portionenweise,  unter  Einstellen  des  Glases 
in  kaltes  Wasser,  das  Vitriolöl  bei. 

In  ähnlicher  Weise  kann  eine  Mischung  von  Salzsäure  mit  Salpeter- 
säure, das  sogenannte  Königsrvasser ,  gelährliche  Erhitzungen  erzeugen, 
wenn  ihr  Weingeist  oder  ein  weingeistiger  Auszug  (Tinktur)  zugefügt 
wird.  Die  Zersetzung  ist  hier  keine  augenblickliche,  sie  tritt  gewöhnlich 
erst  nach  einer  Viertelstunde  oder  später  ein  und  veranlasst,  wenn  die 
Mischung  in  einer  verschlossenen  Flasche  sich  befindet,  deren  Zertrümmerung. 

Zu  den  leicht  explodierenden  Mischungen  zählen  vorzugsweise  solche 
von  brennbaren  Materien  (zu  denen  auch  alle  organischen  gehören)  mit 
Acidum  chromicum ,  Kali  chloricum ,  Kali  hgpermanganicum  und  anderen 
sauerstoffreichen  und  leicht  reduzierbaren  Substanzen. 

Was  vom  chlorsauren  Kali  S.  172  gesagt  wurde,  gilt  auch  wörtlich 
für  das  übermangansaure  Kali.  Mischungen  desselben  mit  oxydierbaren 
Stoffen  haben  stets  eine  chemische  Zersetzung  zur  Folge;  bei  brennbaren 
Körpern  tritt  Entzündung  ein.  Übermangansaures,  wie  chlorsaures  Kali 
entzündet  sich  z.  B.  mit  Glycerin. 

Eine   Mischung    von    Chlorkalk   mit    Terpentinöl    erhitzt   sich   bei'' 
grösseren  Mengen  sogar  bis  zur  Entzündung  des  Öles.    Mit  Salmiak  und 
Wasser  erzeugt  der  Chlorkalk  den  explosiven  Chlorstickstoff. 

Ebenso  bedenklich  sind  Mischungen  von  Jod  oder  Jodtinktur  mit 
wässerigem  Salmiakgeist  oder  solchen  Medikamenten,  die  denselben  ent- 
halten, z.  B.  flüchtiges  Liniment,  Opoldeldoc  u.  a.  Zumal  ist  eine  Ver- 
reibung  des  festen  Jod  mit  einem  dieser  Linimente  explosiv,  wie  z.  B.  bei 
der  Vorschrift: 

Jod  2,0 

Linirnenti  camphorati 

—         saponati   ^  60,8. 


Sehlickuui,  Apothekerlehrlmg. 


VI.  Abteilung. 

Amtliche  Bestimmungen. 


1.  Die  Vorbildung,  Lehrzeit  und  Prüfung 

der  deutschen  Apothekerlehrlinge. 

(Bekanntmachung  des  Bundesrate« 
vom  13.  November  1875.) 

§  1.  (Prüfungsbehörde.)  Die  Prüfungsbehörden  für  die  Gehilfen- 
prüfung bestehen  aus  einem  höheren  Medizinalbeamten  oder  dessen 
Stellvertreter  als  Vorsitzendem  und  zwei  Apothekern,  von  denen 
mindestens  einer  am  Sitze  der  Behörde  als  Apothekerbesitzer  an- 
sässig sein  muss. 

Der  Sitz  der  Prüfungsbehörden  wird  von  den  Centralbehörden 
der  einzelnen  Bundesstaaten  dauernd  bestimmt. 

Der  Vorsitzende  und  die  Mitglieder  werden  für  drei  Jahre  von 
dem  Vorsitzenden  derjenigen  Behörde  ernannt,  welche  die  Aufsicht 
über  die  Apotheker  an  dem  Sitz  der  Prüfungsbehörde  führt. 

Für  die  Prüfung  von  Lehrlingen,  welche  bei  einem  der  Exa- 
minatoren gelernt  haben,  ist  ein  anderer  Apotheker  zu  bestellen. 

§  2.  (Prüfungstermine).  Die  Prüfungen  werden  in  den  Monaten 
Januar,  April,  Juli  und  Oktober  jeden  Jahres  an  den  von  dem  Vor- 
sitzenden der  im  §  1  bezeichneten  Aufsichtsbehörde  festzusetzenden 
Tagen  abgehalten.*) 

Die  Anträge  auf  Zulassung  zur  Prüfung  sind  seitens  des  Lehr- 
herrn dei  dem  gedachten  Vorsitzenden  spätestens  bis  zum  15.  d38 
vorhergehenden  Monats  einzureichen;  spätere  Meldungen  können  erst 
für  die  nächste  Prüfung  berücksichtigt  werden. 

*)  Dieser  Absatz  wurde  durch  das  Reskript  des  preussischen  Kultus- 
ministers vom  19.  Dezember  1878  dahin  abgeändert: 

Die  Prüfungen  werden  in  der  zweiten  Hälfte  der  Monate  März,  Juni, 
September  und  Dezember  jeden  Jahres  an  den  von  dem  Vorsitzenden  der 
im  §  1    bezeichneten  Aufsichtsbehörde   festzusetzenden  Tagen  abgehalten. 

Hiernach  müssen  also  auch  die  Anmeldungen  zur  Prüfung  bis  spätestens 
zum  Ende  des  vorhergehenden  Monats  (Ende  Februar,  Juni,  August,  No- 
vember) eingereicht  werden. 


—    675    — 

§  3.  (Erfordernisse  zur  Zulassung  der  Prüfung;  Vorbildung,  Dauer 
der  Lehrzeit.)     Der  Meldung  zur  Prüfung  sind  beizufügen: 

1.  das  Zeugnis  über  den  im  §  4  No.  1  der  Bekanntmachung 
vom  5.  März  1875  geforderten  Nachweis  der  wi  ssensc haftlichen 
Vorbildung; 

(Dieser  §  4  Nr.  1.  lautet: 

„Der  Nachweis  ist  zu  fähren  -durch  das  von  einer  als  be- 
rechtigt anerkannten  Schule,  anf  welcher  das  Latein  obliga- 
torischer Lehrgegenstand  ist,  ausgestellte  wissenschaftliche 
Qualifikationszeugnis  für  den  einjährig  freiwilligen  Militärdienst. 
Ausserdem  wird  zur  Prüfung  nur  zugelassen  /  wer  auf  einer 
anderen  als  berechtigt  anerkannten  Schule  dies  Zeugnis  er- 
halten hat,  wenn  er  bei  einer  der  erstgedachten  Anstalten 
sich  noch  einer  Prüfung  im  Latein  unterzogen  hat  und  auf 
Grund  derselben  nachweist,  dass  er  auch  in  diesem  Gegen- 
stande die  Kenntnisse  besitzt,  welche  behufs  Erlangung  der 
bezeichneten   Qualifikation  erfordert  werden."  *) 

2.  das  von  dem  nächstvorgesetzten  Medizinalbeamten  (Kreis- 
physikus,  Kreisarzt  u.  s.  w.)  bestätigte  Zeugnis  des  Lehrherrn  über 
die  zurückgelegte,  vorschriftsmässige ,  dreijährige  oder,  für  den  In- 
haber eines  zum  Besuche  einer  Universität  berechtigten  Zeugnisses- 
der  Reife**),  zweijährige  Lehrzeit,  sowie  über  die  Führung  des 
Lehrlings  während  der  letzteren.  Ist  bei  der  Meldung  die  Lehrzeit 
noch  nicht  vollständig  abgelaufen,  so  kann  die  Ergänzung  des  Zeug- 
nisses nachträglich  erfolgen***); 

3.  das  Journal,  welches  jeder  Lehrling  während  seiner  Lehrzeit 

*)  (Ministerial-Reskr.  vom  30.  Nov.  1878.)  ....  Demgemäss  dürfen 
nur  solche  junge  Leute  als  Apothekerlehrlinge  angenommen  werden,  welche 
das  von  einer  als  berechtigt  anerkannten  Schule,  auf  welcher  das  Latein 
obligatorischer  Lehrgegenstand  ist,  ausgestellte  wissenschaftliche  Quali- 
fikationszeugnis zum  einjährig  freiwilligen  Militärdienst  besitzen,  oder 
dieses  Zeugnis  auf  einer  anderen,  als  berechtigt  anerkannten  Schule  er- 
halten, alsdann  bei  einer  der  erstgedachten  Schulen  sich  noch  einer  Nach- 
prüfung im  Latein  unterzogen  haben  und  auf  Grund  derselben  nachweisen, 
dass  sie  auch  in  diesem  Gegenstande  die  Kenntnisse  besitzen,  welche 
behufs  Erlangung  der  bezeichneten  Qualifikation  erfordert  werden. 

**)  Die  Bekanntmachung  des  Reichskanzleramtes  vom  25.  Dezember 
1879  gestattet  die  zweijährige  Lehrzeit  den  Inhabern  des  Reifezeugnisses 
sowohl  eines  deutschen  Gymnasiums,  als  auch  einer  Realschule  erster 
Ordnung  mit  obligatorischem  Unterrichte  im  Lateinischen. 

***)  Ziffer  2  wurde  durch  das  Minist.-Reskr.  vom  19.  Dez.  1878  dahin  um- 
geändert: Das  von  dem  nächstvorgesetzten  Medizinalbeamten  (Kreisphysikus, 
Kreisarzt  u,  s.  w.)  bestätigte  Zeugnis  des  Lehrherrn  über  die  Führung  des 
Lehrlings,  sowie  darüber,  dass  der  letztere  die  vorschriftsmässige  drei- 
jährige —  für  den  Inhaber  eines  zum  Besuche  der  Universität  berechtigen- 
den Zeugnisses  der  Reife,  zweijährige  —  Lehrzeit  zurückgelegt  hat 
oder  doch  spätestens  mit  dem  Ablauf  des  betreffenden  Prü- 
fungsmonats zurückgelegt  haben  wird. 

43* 


—     676     — 

über  die  im  Laboratorium  unter  Aufsiebt  des  Lehrherrn  oder  Ge- 
hilfen ausgeführten  pharmazeutischen  Arbeiten  fortgesetzt  führen,  und 
welches  eine  kurze  Beschreibung  der  vorgenommenen  Operationen 
und  der  Theorie  des  betreffenden  chemischen  Prozesses  enthalten 
muss  (Laborationsjournal). 

§  4.  (Prüfungsgebühren.)  Nach  Empfang  der  Zulassungsverfügung, 
in  welcher  auch  der  Termin  der  Prüfung  bekannt  gemacht  wird,  hat 
der  Lehrherr  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  die  von  dem  Lehrlinge  zu 
entrichtenden  Prüfungsgebühren  im  Betrage  von  24  Mark  an  den 
Vorsitzenden  der  Prüfungsbehörde  eingezahlt  werden,  und  den  Lehrling 
gleichzeitig  dahin  anzuweisen,  dass  er  sich  vor  Antritt  der  Prüfung 
mit  der  Zulassungsverfügung  und  der  Quittung  über  die  eingezahlten 
Gebühren  noch  persönlich  bei  dem  Vorsitzenden  zu  melden  hat. 

§  5.  (Einteilung  der  Prüfung.)  Die  Prüfung  zerfällt  in  drei  Ab- 
schnitte : 

I.  die  schriftliche  Prüfung, 

II.  die  praktische  Prüfung  und 
III.  die  mündliche  Prüfung. 

§  6.  (Die  schriftliche  Prüfung.)  I.  Zweck  der  schriftlichen 
Prüfung  ist,  zu  ermitteln,  ob  der  Lehrling  die  ihm  zur  Bearbeitung 
vorzulegenden  Materien,  soweit  dieses  von  ihm  gefordert  werden  kann, 
beherrscht  und  seine  Gedanken  klar  und  richtig  auszudrücken  vermag. 

Der  Lehrling  erhält  drei  Aufgaben,  von  denen  eine  dem  Gebiete 
der  pharmazeutischen  Chemie,  eine  dem  der  Botanik  oder  Pharma- 
kognosie und  die  dritte  dem  der  Physik  entnommen  ist. 

Die   Aufgaben    werden   aus  einer  hierzu  angelegten  Sammlung  *) 


*)  In   der   Bekanntmachung  vom  1.  Mai  1876   stellte  der  preussische 
Minister  folgende   Themata  für  die  Aufsätze  zur  Benutzung  der  Prü- 
fungskommissionen zusammen : 
I.  Pharmazeutische  Chemie. 

1.  Äther.  —  2.  Alkohol.  —  3.  Alkaloide.  —  4.  Aluminium  und 
dessen  Salze.  —  5.  Antimon.  —  6.  Arsenik.  —  7.  Benzoesäure.  — 
8.  Blausäure,  Bittermandelöl,  Bittermandelwasser.  —  9.  Bleiglätte, 
Bleiweiss,  Mennige.  —  10.  Borsäure  und  Borax.  —  11.  Brom  und 
seine  Salze.  —  12.  Calcium  und  seine  Salze.  —  13.  Karbolsäure 
und  Kreosot.  —  14.  Chlor  und  Chlorwasser.  —  15.  Chloroform  und 
Jodoform.  —  16.  Eisen  und  dessen  Salze.  —  17.  Essigsäure.  —  18. 
Glycerin.  —  19.  Jod  und  seine  Salze.  —  20.  Kalium  und  seine 
Salze.  —  21.  Kohle.  —  22.  Kupfer  und  seine  Salze.  —  23.  Magnesia 
und  ihre  Salze.  —  24.  Natrium  und  seine  Salze.  —  25.  Pflaster.  — 
26.  Phosphor  und  Phosphorsäure.  —  27.  Quecksilber  und  seine  Salze. 
—  28.  Reagentien.  —  29.  Salicylsäure.  —  30.  Salpetersäure.  —  31. 
Salzsäure.  —  32.  Schwefel  und  Schwefelsäure.  —  33.  Seifen.  —  34. 
Volumetrische  Lösungen.  —  35.  "Weinstein  und  Weinsteinsäure.  — 
36.  Wismut  und  seine  Salze.  —  37.  Zink  und  seine  Salze. 


—     677     - 

•durch   das   Loos  bestimmt    und    sind   sämtlich    so    einzurichten ,    dass 
je  3  von  ihnen  in  6  Stunden  bearbeitet  werden  können. 

Die  Bearbeitung  erfolgt  in  Klausur,  ohne  Benutzung  von  Hilfs- 
mitteln. 

§  7.  (Die  praktische  Prüfung.)  II.  Zweck  der  praktischen 
Prüfung  ist,  zu  ermitteln,  ob  der  Lehrling  das  für  den  Apotheker- 
gehilfen erforderliche  Geschick  sich  angeeignet  hat. 

Zu  diesem  Behufe  muss  er  sich  befähigt  zeigen: 

1)  3  Rezepte  zu  verschiedenen  Arzeneiformen  zu  lesen,  regelrecht 
anzufertigen  und  zu  taxieren; 

2)  ein  leicht  darzustellendes  galenisches  und  ein  chemisch-phar- 
mazeutisches Präparat  der  Pharmacopoea  Germanica  zu  bereiten; 

3)  2  chemische  Präparate  auf  deren  Reinheit  nach  Vorschrift 
der  Pharmacopoea  Germanica  zu  untersuchen. 

Die  Aufgaben  ad  2  und  3  werden  aus  je  einer  hierzu  ange- 
legten  Sammlung*)    durch   das   Los   bestimmt,    die    Rezepte    zu    den 


II.  Botanik  und  Pharmakognosie. 

1.  Adeps  und  Sebum.  —  2.  Amylum  und  Dextrin.  —  3.  Castoreum. 

—  4.  Cortex  Chinae.  —  5.  Cortex  Frangulae.  —  6.  Cortex  Granati.  — 
7.  Crocus.  —  8.  Flores  Arnicae.  —  9.  Flores  Chamomillae.  —  10. 
Flores  Cinae.  —  11.  Flores  Koso.  —  12.  Flores  Sambuci.  —  13. 
Flores  Tiliae.  —  14.  Flores  Verbasci.  —  15.  Folia  Digitalis.  —  16. 
Folia  Juglandis.  —  17.  Folia  Menthae  crispae  und  piperitae.  —  18. 
Folia  Sennae.  —  19.  Fructus  Anisi.  —  20.  Fructus  Foeniculi.  — 
21.  Fructus  Juniperi.  —  22.  Gummi  arabicum.  —  23.  Herba  Ab- 
sinthii.  —  24.  Herba  Conii.  —  25.  Herba  Hyoscyami.  —  26.  Herba 
Violae  tricoloris.  —  27.  Lycopodium.  —  28.  Manna.  —  29.  Moschus. 

—  30.  Oleum  Amygdalarum.  —  31  Oleum  Jecoris  Aselli.  —  32. 
Oleum  Olivarum.  —  33.  Oleum  Ricini.  —  34.  Opium.  —  35.  Radix 
Althaeae.  —  36.  Radix  Gentianae.  —  37.  Radix  Ipecacuanhae.  — 
38.  Radix  Liquiritiae.  —  39.  Radix  Rhei.  —  40.  Radix  Sarsapa- 
rillae.  —  41.  Radix  Senegae.  —  42.  Radix  Valerianae.  —  43.  Rhi- 
zoma  Calami.  —  44.  Rhizoma  Filicis.  —  45.  Rhizoma  Iridis.  —  46. 
Rhizoma  Zingiberis.  —  47.  Saccharum.  —  48.  Seeale  cornutum.  — 
49.  Semen  Lini.  —  50.  Semen  Sinapis.  —  51.  Semen  Strychni.  — 
52.   Tubera  Jalapae.  —  53.  Tubera  Salep.  —  54.  Vina  medicinalis. 

III.  Physik. 

1.  Thermometer.  — ■  2.  Barometer.  —  3.  Wage.  —  4.  Spezifisches 
Gewicht.  —  5.  Freier  Fall  der  Körper.  —  6.  Elektrizität.  —  7. 
Magnetismus.  —  8.  Wärme.  —  9.  Adhäsion,  Cohäsion,  Attraktion. 

—  10.  Mikroskop.  —  11.  Dampfmaschine.  —  12.  Luftpumpe.  —  13. 
Aggregatzustände  der  Körper.  —  14.  Polarisation.  —  15.  Apparate 
zur  Massanalyse. 

*)  IV.  Galenische  Mittel. 

1.  Aqua  Cinnamomi.  —  2.  Cuprum  aluminatum.  —  3.  Electuarium 
e  Senna.  —  4.  Elixir  amarum.  —  5.  Elixir  e  sueco  Liquiritiae.  — 
.  6.  Emplastrum  Cantharidum  ordinarium.  —  7.  Emplastrum  Can- 
tharidum  perpetuum.  —  8.  Emplastrum  Conii.  —  9.  Emplastrum 
Lithargyri  compositum.  —  10.  Linimentum  saponata-camphoratum. 


—     678     — 

Arzeneifonnen    von    den  Examinatoren    unter   thunlichster   Benutzung 
der  Tagesrezeptur  gegeben. 

Die  Anfertigung  der  Rezepte  und  Präparate,  sowie  die  Unter- 
suchung der  chemischen  Präparate  geschieht  unter  Aufsicht  je  eines 
der  beiden  als  Prüfungskommissare  zugezogenen  Apotheker. 

§  8.  (Mündliche  Prüfung.)  III.  Zweck  der  mündlichen  Prüfung, 
bei  welcher  auch  das  während  der  Lehrzeit  angelegte  Herbarium 
vivum  vorgelegt  werden  muss,  ist,  zu  ermitteln,  ob  der  Lehrling  die 
rohen   Arzeneimittel  kennt  und  von    andern  Mitteln  zu  unterscheiden 


11.  Liquor  Animonii  anisatus.  —  12.  Mucilago  Gummi  Arabici.  — 
13.  Mucilago  Salep.  —  14.  Oxyrnel  Scillae.  —  15.  Pilulae  aloeticae 
ferratae.  —  16.  Potio  Riveri.  —  17.  Pulvis  aerophorus.  —  18.  Pul- 
vis Magnesiae  cum  Rheo.  —  19.  Spiritus  camphoratus.  —  20.  Spi- 
ritus saponatus.  —  21.  Syrupus  Althaeae.  —  22.  Syrupus  Anryg- 
dalarum.  —  28.  Syrupus  Mannae.  —  24.  Tinctura  Cannabis  Indici. 

—  25.  Tinctura  Jodi.  —  26.  Tinctura  Rhei  aquosa.  —  27.  Ungu- 
entum  Glycerini.  —  28.  TJngnentnm  Kalii  jodati.  —  29.  Unguentum 
leniens.  —  30.  Unguentum  Paraifini.  —  31.  Unguentum  Sabinae.  — 
32.  Unguentum  Zinci.  —  33.  Vinum  eamphoratum.  —  34.  Vinum 
stibiatum. 

V.  Chemisch-pharmazeutische  Präparate. 

1.  Acidum  benzoi'cuni.  —  2.  Aciduni  carbolicum  liqueiäctum.  —  3. 
Acidum  sulfuricum  dilutum.   —   4.  Ammonium  chloratum  ferratum. 

—  5.  Aqua  chlorata.  —  6.  Aqua  hydrosulfurata.  —  7.  Calcium  phos- 
phoricum. —  8.  Ferrum  chloratum.  —  9.  Ferrum  jodatum  saccha- 
ratum.  —  10.  Hydrargyrum  bijodatum.  —  11.  Hydrargyrum  jodatum. 

12.  Hydrargyrum  oxydatum  via  humida  paratum.  —  13.  Hydrargyrum 
praecipitatum  album.  —  14.  Kalium  sulfuratum.  —  15.  Liquor  Ani- 
monii acetici.  —  16.  Liquor  Kali  acetici.  —  17.  Liquor  Kali  ar- 
senicosi.   —   18.  Liquor  Plumbi  subacetici.  —  19.  Sapo  kalinus.  — 

VI.  Chemische  Präparate  zur  Prüfung. 

1.  Acidum  aceticum.  —  2.  Acidum  benzoi'cum.  —  3.  Acidum  boricum. 
- —  4.  Acidum  citricum.  —  5.  Acidum  hydrochloricum.  —  6.  Acidum 
nitricum.  —  7.  Acidum  phosphoricum.  —  8.  Acidum  salicylicum.  — 
t  Acidum  tannicum.  —  10.  Acidum  tartaricum.  ■ —  11.  Aether.  —  12. 
Aether  aceticus.  —  13.  Aqua  Amygdalarum  amararum.  —  14.  Aqua 
chlorata.  —  15.  Balsamuni  peruvianum.  —  16.  Bismuthum  subni- 
tricum.  —  17.  Calcaria  chlorata.  —  18.  Chininum  hydrochloricum. 

—  19.  Chininum  sulfuricum.  —  20.  Chloralum  hydratum.  —  21. 
Chlorofoimium.  —  22.  Ferrum  pulveratum  —  23.  Glycerinum.  — 
24.  Hydrargyrum  bijodatum.  —  25.  Hydrargyrum  chloratum.  — 
26.  Hydrargyrum  jodatum.  —  27.  Hydrargyrum  praecipitatum  album. 

—  28.  Kalium  bromatum.  —  29.  Kalium  carbonicum.  —  30.  Ka- 
lium  chloricum.   —  31.   Kalium  jodatum.  —  32.  Kalium  nitricum. 

—  33.  Magnesia  usta.  —  34.  Morphinum.  -  35.  Natrium  bicar- 
bonicum.  —  36.  Natrium  bromatum.  —  37.  Natrium  nitricum.  — 
38.   Natrium    sulfuricum.    —    39.   Stibium  sulfuratum  aurantiacum. 

—  40.  Strychninum  nitricum.  —  41.  Sulfur  praecipitatum.  — 
42.  Tartarus  depuratus.  —  43.  Tartarus  natronatus.  —  44.  Tartarus 
stibiatus.  —  45.  Zincum  oxydatum.  —  46.  Zincum  sulfuricum. 


—     679    — 

weiss,  ob  er  die  Grundlehren  der  Botanik,  der  pharmazeutischen 
Chemie  und  Physik  inne  hat,  ob  er  die  erforderlichen  Kenntnisse  in 
der  lateinischen  Sprache  besitzt  und  sich  hinlänglich  mit  den  gesetz- 
lichen Bestimmungen  bekannt  gemacht  hat,  welche  für  das  Verhalten 
und  die  Wirksamkeit  des  Gehilfen  in  einer  Apotheke  massgebend  sind. 
Zu  diesem  Behufe 

1.  sind  dem  Examinanden  mehrere  frische  oder  getrocknete 
Pflanzen  zur  Erkennung  oder  terminologischen  Bestimmung,  und 

2.  mehrere  rohe  Droguen  und  chemisch -pharmazeutische  Prä- 
parate zur  Erläuterung  ihrer  Abstammung,  ihrer  Verfälschung  und 
ihrer  Anwendung  zu  pharmazeutischen  Zwecken,  so  wie  bezw.  zur 
Erklärung  ihrer  Bestandteile  und  Darstellungen  vorzulegen; 

3.  hat  derselbe  zwei  Artikel  aus  der  Pharmacopoea  Germanica 
in  das  Deutsche  zu  übersetzen; 

4.  sind  von  ihm  die  auf  die  bezeichneten  Grundlehren  und  die 
Apotheker-Gesetze  bezüglichen  Fragen  zu  beantworten. 

§  9.  (Zeitdauer  der  Prüfung,  Anzahl  der  Examinanden.)  Für  die  ge- 
samte Prüfung  sind  zwei  Tage  bestimmt. 

In  der  Regel  dürfen  nicht  mehr  als  vier  Examinanden  zu  einer 
mündlichen  Prüfung  zugelassen  werden. 

§  10.  (Prüfungs- Protokoll.)  Über  den  Gang  der  Prüfung  eines 
jeden  Examinanden  wird  ein  Protokoll  aufgenommen,  welches  von 
dem  Vorsitzenden  und  den  beiden  Mitgliedern  der  Kommission  unter- 
zeichnet und  zu  den  Akten  der  in  §  1  bezeichneten  Aufsichts-Behörden 
genommen  wird. 

§  11.  (Zeugnis.)  Für  diejenigen  Lehrlinge,  welche  in  der  Prüfung 
bestanden  haben,  wird  unmittelbar  nach  Beendigung  der  Prüfung  ein 
von  den  Mitgliedern  der  Prüfungsbehörde  unterzeichnetes  Prüfungs- 
Zeugnis  angefertigt*)  und  dem  Lehrherrn  zur  Ausstellung  des  vom 
nächstvorgesetzten  Medizinal-Beamten  (Kreisphysikus,  Kreisarzt  u.  s.  w.) 
mit  zu  unterzeichnenden  Entlassungs-Zeugnisses  zugestellt. 

§  12.  (Nichtbeetehen  der  Prüfung.)  Das  Nichtbestehen  der  Prüfung 
hat  die  Verlängerung  der  Lehrzeit  um  6  bis  12  Monate  zur  Folge, 
nach  welcher  Frist  die  Prüfung  wiederholt  werden  muss. 

Wer  nach  zweimaliger  Wiederholung  nicht  besteht,  wird  zur 
weiteren  Prüfung  nicht  zugelassen. 

Über  das  Nichtbestehen  ist  von  der  Prüfungs-Behörde  ein  Ver- 
merk auf  der  in  ^  3  Ziffer  1  genannten  Urkunde  zu  machen. 

*)  Im  Prüfungszeugnis  ist  das  Gesamtergebnis  durch  eine  der  Cen- 
suren:  „sehr  gut",  „gut",  „genügend"  zu  bezeichnen.  (Bekanntmachung  des 
Bundesrats  vom  23.  Dezember  1882.) 


—     680    — 

§  18.  Vorstehende  Bestimmungen  treten  mit  dem  1.  Januar  1876 
in  Kraft. 

§  14.  Lehrlinge,  welche  vor  dem  1.  Oktober  1875  in  die  Lehre 
getreten  sind,  sind  zur  Prüfung  auch  dann  zuzulassen,  wenn  sie  den 
Nachweis  der  erforderlichen  Vorbedingungen  nach  Massgabe  des  §  22 
der  Bekanntmachung  vom  5.  März  1875  führen. 

Die  Vorlegung  des  Laborations-Journals  fällt  bei  den  Lehrlingen, 
welche  vor  dem  Inkrafttreten  dieser  Bekanntmachung  in  die  Lehre 
getreten  sind,  für  die  Zeit,  welche  sie  bis  zum  Inkrafttreten  der  Be- 
kanntmachung in  der  Lehre  zugebracht  haben,  da  weg,  wo  nach  den 
bisherigen  Vorschriften  die  Führung  eines  Laborations-Journals  nicht 
gefordert  wurde. 

Berlin,  den  1 3.  November  1875. 

Der  Reichskanzler. 

In  Vertretung:  (gez.)  Delbrück. 


2.  Gesetzliche  Vorschriften  über  den  Geschäfts- 
betrieb in  der  Apotheke. 

(Auszug  aus  den  Apothekerordmmgen  der  Deutschen  Staaten  mit 
Hinzuziehung'  Österreichs.) 

I.  Allgemeine  Pflichten  eines  Rezeptars.  Zu  den  mannigfachen 
Erfordernissen,  die  an  einen  gewissenhaften  Apotheker  zu  stellen 
sind,  gehören  ausser  den  ausreichenden  Kenntnissen  gewisse 
Charakter-Eigenschaften ;  vornehmlich : 

1.  Gewissenhaftigkeit  —  vor  allem  dem  Apotheker  not- 
wendig, da  das  Publikum  auf  seine  Beellität  volles  Vertrauen  zu 
setzen  gezwungen  ist,  von  ihr  auch  häufig  das  Wohl  und  Wehe 
des  Patienten  abhängt.  —  Diese  Gewissenhaftigkeit  erheischt,  bei 
der  Annahme  eines  Kezeptes,  dasselbe  ohne  Verzug,  selbst  zur 
Nachtzeit,  anzufertigen.  Besonders  gilt  dies  von  den  als  dringlich 
bezeichneten  Rezepten,  welche  vor  den  andern  anzufertigen  sind. J) 

Die  Anfertigung  der  Rezepte  geschehe  regula  artis! 

')  Preussen.  Apothekerordnung  (1801)  Tit.  III,  §  2  f.  In  gleiche 
Strafe  soll  derjenige  Apotheker  genommen  werden,  welcher  die  ihm  zu- 
geschickten Rezepte,  es  sei  bei  Tag  oder  bei  Nacht,  nicht  sogleich  ohne 
Aufenthalt  anfertigt,  den  Handverkauf  vorzieht  und  die  Patienten  ohne 
Not  auf  die  Medizin  warten  lässt.  Besonders  sollen  diejenigen  Rezepte, 
die  mit  cito  bezeichnet  werden,  sogleich  bereitet  und  die  Arzneien  den 
Boten,  welche  die  Rezepte  einhändigen,  mitgegeben  werden. 


—    681    — 

Die  Substituierung  eines  verordneten,  wirksamen  Arzneimittels, 
sei  es  ein  veraltetes ,  sei  es  ein  ganz  neues ,  durch  ein  anderes, 
vielleicht  minderwertiges,  ist  streng  zu  unterlassen.  In  fraglichen 
Fällen  muss  der  Rezeptar  Rücksprache  mit  dem  ordinierenden 
Arzte  nehmen.  Unleserlich  geschriebene  Rezepte  erfordern  vor- 
herige Anfrage  beim  Arzte;  ebenso,  wenn  der  Apotheker  einen  Irr- 
tum vermutet.2) 

2.  Reinlichkeit  —  in  der  Apotheke  nicht  weniger  nötig, 
wie  in  der  Küche.  Nicht  allein  vermeide  der  Rezeptar  jedes 
Übergiessen,  Zerbrechen  von  Gefässen,  er  halte  auch  den  Rezeptier- 
tisch  stets  frei  und  rein,-  die  Standgefässe  sauber,  die  Extrakt- 
und  Salbentöpfe  innerlich  rein  u.  s.  w.3)  Auch  schone  man  das 
Handtuch    nach    Möglickeit,    wische    damit    keine    Flüssigkeiten, 


Bayern.  Apothekerordnung  (1842)  Tit.  III,  §  59.  Der  Apotheken- 
vorstand  oder  ein  Gehilfe  muss  in  der  Regel  von  Morgens  6  bis  Abends 
10  Uhr  in  der  Offizin  und  ausser  diesen  Stunden  doch  in  deren  Nähe  sich 
befinden,  sodass  er  von  den  Arzeneisuchenden  mittelst  eines  Glockenzuges 
jederzeit  herbeigerufen  werden  kann.  —  §  62.  2.  Bei  Konkurrenz  mehrerer 
Rezepte  sind  vor  allem  die  als  dringend  ausdrücklich  bezeichneten,  so- 
dann die  für  entfernt  wohnende  Kranke  bestimmten ,  und  hierauf  die 
übrigen  nach  ihrer  Priorität,  zu  dispensieren. 

Baden.  Apothekerordnung  (1806)  §  47.  Von  den  einlaufenden  Re- 
zepten sind  zuerst  die  vom  Arzt  als  eilig  oder  dringlich  bezeichneten, 
dann  die  für  Landpatienten  bestimmten  anzufertigen. 

Ahnliches  schreibt  die  Medizinalordnung  von  Hessen  (1861  §  54), 
die  der  thüringischen  Staaten  (Sachsen-Weimarsche  M.-O.  von  1858 
§  17),  sowie  die  Österreichische  Apoth.-Instr.  von  1834,  §  15  vor. 

2)  Preussen.  Ap.-O.  III,  §  2  i).  Sollte  es  sich  zutragen,  dass  ein 
verschriebenes  Ingredienz  nicht  vorrätig  oder  sogleich  nicht  anzuschaffen 
sei,  so  darf  der  Apotheker  nicht  willkürlich  ein  anderes  dafür  substituieren 
oder  etwas  hinweglassen ,  sondern  er  hat  solches  sofort  dem  Arzte  anzu- 
zeigen und  es  diesem  zu  überlassen,  an  dessen  Statt  ein  anderes  Mittel 
von  gleicher  Eigenschaft  zu  verordnen. 

Bayern.  Ap.-O.  III,  §  62  4.  Wenn  ein  Rezept  einen  in  der  Offizin 
nicht  verfügbaren  Stoff  enthält,  so  ist  mit  Unterlassung  jeder  Substitution 
mit  dem  ordinierenden  Arzte  sich  zu  benehmen. 

Österreich  Ap.-Instr.  §  21  bestimmt  dasselbe.  —  §  22  u.  23  ver- 
ordnen die  Rücksprache  mit    dem  Arzte  bei  Unleserlichkeit  resp.  Irrtum. 

3)  Preussen.  Ap.-O.  III,  §  2  b.  Bei  der  Rezeptur  muss  die  strengste 
Genauigkeit,  Ordnung  und  Reinlichkeit  herrschen.  Sämtliche  Gefässe  und 
Instrumente  müssen  stets  rein  und  sauber,  auch  Wagen  und  Gewichte  im 
akkuraten  Zustande  gehalten  werden.  Auch  das  Reinhalten  der  iSeihetücher 
zu  Dekokten  und  Infusionen  ist  nicht  zu  vernachlässigen  u.  s.  f. 

Baden.  Ap.-O.  §  59.  Seine  Gehilfen  und  Lehrlinge  muss'  der  Apo- 
theker überhaupt  zur  Sittlichkeit  erziehen,  so  insbesondere  dazu  anhalten, 
dass  sie  sich  aller  unreinen  und  ekelhaften  Angewohnheiten,  z.  B.  des 
Ausstreichens  der  Gefässe  mit  den  Fingern,  des  Ableckens  der  Gefässe, 
des  Anhauchens  der  Pillen,  des  Kauens  der  Stöpsel  u.  dergl.  enthalten. 

Österreich.  Ap.-Instr.  §  7.  Allenthalben  muss  die  grösste  Ordnung, 
Genauigkeit  und  Reinlichkeit  beobachtet  werden. 


—     682     — 

am  wenigsten  Öl  ab,  kaue  die  Korkstopfen  nicht  weich,  blase 
nicht,  namentlich  in  Gegenwart  des  Publikums,  in  die  Pulver- 
kapseln u.  s.  f. 

3.  Gesittetes  Betragen  gegen  das  Publikum,  verbunden 
mit  Freundlichkeit ,  am  wenigsten  ein  grobes  oder  hochmütiges 
Auftreten,  selbst  nicht  bei  zudringlicher  Inanspruchnahme  seitens 
der  ungebildeten  Klasse.  Andrerseits  enthalte  sich  der  Rezeptar 
jeder  ungebührlichen  Vertraulichkeit,  unziemlicher  Spässe,  ge- 
statte auch  nicht ,  dass  in  der  Offizin  Zuschauer  ihn  stören  und 
Veranlassung  zu  unangenehmen  Szenen  geben.  Wie  das  Publi- 
kum gebeten  wird,  das  Tabakrauchen  in  der  Offizin  zu  unter- 
lassen, darf  es  sich  auch  der  Apotheker  selbst  nicht  gestatten, 
im  Apothekenlokal  zu  rauchen.4) 

4.  Yorsicht.  "Wegen  der  steten  Gefahr,  durch  Unacht- 
samkeit grosses  Unglück  anzurichten,  kann  dem  Rezeptar  nicht 
genugsam  minutiöse  Aufmerkamkeit  und  Yorsicht  anempfohlen 
werden.  Nicht  allein  hat  er  die  Rezepte  beim  Empfange  auf- 
merksam zu  überlesen,  sondern  beim  jedesmaligen  Gebrauch  eines 
Arzeneimittels  hat  er  sich  vor  dem  Abwägen  nochmals  das  Rezept 


4)  Preussen.  Ap.-O.  I,  §  18.  Übrigens  wird  von  jedem  konditionie- 
renden  Apotheker  vorausgesetzt,  .  .  .  dass  er  sich  vorzüglich  auch  eines 
guten,  moralischen  Wandels  befleissige,  gegen  jedermann  höflich  und  be- 
scheiden sei,  aller  ausschweifenden,  verführerischen  Gesellschaften  sich 
enthalte,  keine  unnötigen  und  unanständigen  Besuche  in  der  Offizin  an- 
nehme und  überall  in  der  Erfüllung  seiner  Pflichten  den  ihm  unterge- 
ordneten Lehrlingen  mit  musterhaftem  Beispiele  vorangehe. 

III,  §  2a,  .  .  .  Damit  auch  derjenige,  welcher  am  Rezeptiertisch  die 
Medikamente  zusammenmischt,  nicht  gestört  werde,  so  soll  ausser  den  in 
die  Offizin  gehörigen  Personen  niemand  zu  solchen  zugelassen  werden. 

Nach  dem  Minist.-Reskr.  v.  11.  Nov.  1820  und  v.  26.  Juli  1860  ist 
festgestellt,  dass  für  den  Ausschank  geistiger  Getränke,  wie  künstlicher 
Mineralwässer  ein  besonderes  Lokal  benutzt  und  derselbe  .nicht  von  Ge- 
hülfen oder  Lehrlingen  besorgt  werde. 

Baden.  Ap.-O.  §  59.  Seine  Gehülfen  und  Lehrlinge  muss  der  Apo- 
theker dazu  anhalten  .  .  .,  dass  sie  sich  mit  denen,  die  Arzeneien  abholen, 
nicht  in  unnötige  Unterredungen  einlassen,  noch  weniger  ein  unanständiges 
Ausfragen  der  Abholenden  sich  zu  Schulden  kommen  lassen,  oder  gar  un- 
ziemliche Scherze  treiben,  vielmehr  sich  schleunige  Förderung  und  freund- 
liche, wohlgefällige  Behandlung  bei  Tag  und  Nacht  eigen  macht.  —  §  60. 
Weniger  noch  ist  zu  gestatten,  dass  der  Arzeneisaal  zu  einem  gesellschaft- 
lichen Zusammenkunftsort  missbraucht  werde,  .  .  .  wie  denn  auch  weder  er 
selbst,  noch  einer  seiner  Gehülfen  und  Lehrlinge  jemals  mit  einer  brennenden 
Tabakspfeife  im  Arzeneisaal   oder  Laboratorium  sich  betreffen  lassen  soll. 

Baiern.  Ap.-O.  III,  §  60.  Alles,  was  irgend  auf  den  Geschäftsbetrieb 
störend  einzuwirken  geeignet  ist,  darf  in  den  Geschäftslokalen,  namentlich 
in  der  Offizin  nicht  geduldet  werden.  Es  versteht  sich  hiernach  von  selbst, 
dass  unnütze  und  zerstreuende  Gespräche,  gesellschaftliche  Zusammen- 
künfte, Trinkgelage,  Tabakrauchen  und  sonstige  derlei  Excesse  daselbst 
in  keiner  Weise  Platz  greifen  können. 


—     683    — 

anzusehen,  um  sich  des  Mittels  und  der  vorgeschriebenen  Gewichts- 
menge zu  vergewissern,  nach  Anfertigung  der  Arzenei  wiederholt 
das  Eezept  durchzugehen ,  dass  kein  Bestandteil  vergessen  und 
alles  richtig  geschehen  sei;  auch  hat  er  die  Signatur  mit  dem 
Rezepte  zu  vergleichen,  um  etwa  vorgefallene  Irrtümer  oder  Ver- 
wechslungen (z.  B.  äusserlicher  mit  innerlichen  Signaturen)  noch 
rechtzeitig  zu  verbessern.5) 

Beim  Abholen  der  Arzneien  sei  der  Rezeptar  doppelt  vor- 
sichtig und  lasse  sich  von  dem  Abholenden  stets  den  Namen  des 
Patienten  deutlich  angeben.  Niemals  verlasse  er  sich  auf  sein 
Gedächtnis ,  auch  nenne  er  nicht  selber  den  Namen ,  sich  mit 
dem  schnellen  Ja  des  Boten  begnügend.  Bei  starkwirkenden 
Arzneien  erteile  man  stets  Belehrung  und  Warnung.6) 

Um  Irrtümer  zu  verhüten,  gewöhne  sich  der  Rezeptar,  ein 
Rezept  ohne  Unterbrechung  anzufertigen;  auch  ist  es  höchst 
bedenklich  und  thunlichst  zu  vermeiden,  dass  eine  Arznei  von 
einem  anderen  beendet  werde,  als  der  sie  begonnen.7) 

5.  Verschwiegenheit.  Durch  die  Rezepte  wird  der 
Apotheker  häufig  Vertrauensmann  der  Patienten;  auch  machen 
ihm  die  Überbringer  manche  vertraulichen  Mitteilungen;  daher 
darf  er  niemals  Rezepte  jemandem  zeigen,  noch  von  dem  ge- 
wonnenen Wissen  anderwärts  Gebrauch  machen.8)  Zumal  gilt 
dies  anderen  Ärzten  gegenüber.  Das  deutsche  Strafgesetz- 
buch bedroht  (§  300)  Apotheker  und  ihre  Gehilfen,  »wenn  sie 
unbefugt    Privatgeheimnisse    offenbaren ,    die    ihnen    kraft    ihres 

5)  Preussen.  Ap.-O.  III,  §  18.  Bei  der  Rezeptur  hat  er  (der  Apo- 
thekergehilfe) alle  Behutsamkeit  und  Genauigkeit  in  Dispensierung  der 
verschiedenen  Arzneimittel  anzuwenden.  Zu  dem  Ende  rnuss  er  die  Vor- 
schrift des  Rezeptes  nicht  nur  zuvor  mit  Aufmerksamkeit  überlesen,  sondern 
auch  das  angefertigte  Medikament  nicht  eher  aus  der  Hand  stellen,  bevor 
er  nicht  das  Rezept  nochmals  mit  Bedacht  gelesen  und  von  der  ge- 
schehenen richtigen  Anfertigung  und  Signatur  sich  überzeugt  hat. 

6)  Sachsen-Weimar.  Min.- Verf.  v.  15.  Juli  1858.  §  20.  Bei  Ab- 
holung von  gefährlichen  Arzeneien  aus  der  Apotheke  hat  derjenige,  welcher 
sie  aushändigt,  dem  Empfänger  thunlichst  geeignete  Belehrung  und  Warnung 
zu  erteilen. 

7)  Bayern.  Ap.-O.  III,  §  62.  8.  Die  angefangene  Fertigung  eines  Re- 
zepts soll  so  wenig  als  möglich  durch  andere  Arbeiten  unterbrochen  werden. 

Baden.  Ap.-O.  §  45  .  .  .  und  ist  dabei  fest  darauf  zu  halten,  dass 
jeder,  der  ein  Rezept  zu  verfertigen  angefangen  habe,  solches  auch  vollende. 

y)  Preussen.  Ap.-O.  III,  §  2.  a)  .  .  .  Sowohl  die  Apotheker,  als 
deren  Gehilfen  und  Lehrlinge  sind  verbunden,  .  .  .  die  Arzeneien  nebst 
den  Rezepten  so  wenig  während  der  Anfertigung,  als  nachher  jemandem  vor- 
zuzeigen, noch  weniger  Abschriften  davon  zu  geben  oder  nehmen  zu  lassen. 

Baden.    Ap.-O.  §  55  und  56  verfügt  Ähnliches. 

Österreich.  Ap.-I.  §  19.  Nie  darf  ein  Apotheker  über  ein  Rezept 
oder  über  den  Arzt,  der  dasselbe  verordnete,  gegen  die  Personen,  welche 
die  Arzneien  abholen,  sich  Bemerkungen  erlauben. 


—     684     — 

Standes  und  Gewerbes  anvertraut  sind,  mit  Geldstrafe  bis  zu 
1500  Mark  oder  mit  Gefängnis  bis  zu  3  Monaten.  Die  Ver- 
folgung tritt  nur  auf  Antrag  ein.«  Das  österreichische  Straf- 
gesetzbuch (§  499)  belegt  in  solchen  Fällen  den  Apotheken  vor- 
stand  mit   5—50  Gulden,  den  Gehilfen  mit   1 — 4  Tagen  Arrest. 

II.  Besondere  Vorschriften  bei  Anfertigung  von  Rezepten. 
1.  "Welche  Rezepte  dürfen  angefertigt  werden?  Im 
allgemeinen  haben  sämtliche  Mediziiialordnungen  bestimmt,  dass 
nur  solche  Rezepte,  welche  von  approbierten  Ärzten,  Wund-  und 
Tierärzten  verschrieben  und  unterzeichnet  sind,  in  den  Apotheken 
angefertigt  werden  dürfen.9)  Zu  dem  Zwecke  hat  das  Rezept  die 
Unterschrift  des  verordnenden  Arztes  zu  tragen;  auch  ist  von  ihm 
das  Datum  und  der  Name  des  Patienten  auf  das  Rezept  zu  vermerken. 
Unter  gewissen  Verhältnissen  darf  der  Arzt  von  der  Nennung  des 
Patienten  Abstand  nehmen  und  statt  dessen  NN  schreiben.10) 


9)  Preussen.  Ap.-O.  III,  §  2.  k)  Da  auch  verlauten  will,  dass  noch 
hier  und  da  unbefugte  Personen  sich  mit  innerlichen  und  äusserlichen 
Kuren  befassen,  so  wird  den  Apothekern  hiermit  anbefohlen,  sich  der  Ver- 
fertigung solcher  Rezepte,  die  von  dazu  nicht  qualifizierten  Personen  ver- 
schrieben worden,  zu  enthalten,  am  wenigsten  aber  Medikamente  von 
heftiger  und  bedenklicher  Wirkung,  als  Drastica,  Vomitoria,  Mercurialia, 
Narcotica,  Emmenagoga,  namentlich  auch  Resina  und  Tinctura  Jalapae, 
von  der  Hand,  ohne  ein  von  einem  approbierten  Arzt  verschriebenes  Re- 
zept verabfolgen  zu  lassen. 

Bayern.  Ap.-O.  III,  §  62.  1.  Nur  Rezepte  berechtigter  ....  ärztlicher 
Individuen  dürfen  angefertigt  werden. 

Baden.  Ap.-O.  §  41.  Rezepte  von  nicht  approbierten  Personen  sind 
zurückzuweisen  und  dem  Physikat  anzuzeigen. 

Hessen.  Med.-O.  §  54.  Nur  solche  Arzneivorschriften,  welche  von 
approbierten  Ärzten,  Wund-  und  Veterinärärzten  vorgeschrieben  und  unter- 
zeichnet sind,   dürfen  in  Apotheken  verfertigt  werden Arzeneivor- 

schriften  von  Unbefugten  sind  dem  Kreisarzt  zu  überliefern. 

Österreich.  Ap.-Instr.  §  18  besagt  dasselbe.  —  §  27.  Kuren  inner- 
licher oder  äusserlicher  Gebrechen  zu  unternehmen,  ist  dem  Apotheker  unter 
keinen  Umständen  erlaubt. 

10)  Preussen.  Ap -0.  III,  §  2.  a)  Sobald  ein  Rezept  zur  Bereitung 
in  die  Apotheke  gebracht  wird,  auf  welches  der  Arzt  das  Datum,  die 
Jahreszahl,  den  Namen  des  Patienten  und,  wenn  dem  Apotheker  dessen 
Hand  nicht  bekannt  ist,  auch  seinen  eigenen  Namen  geschrieben  haben 
muss,  so  ist  der  Apotheker  verpflichtet,  es  ...  zu  verfertigen. 

Sachsen-Weimar.  Min.-Verf.  v.  15.  Juli  1858.  §  13.  Kein  Rezept, 
welches  ein  Mittel  enthält,  in  dessen  Handverkauf  der  Apotheker  gesetz- 
lich nicht  völlig  unbeanstandet  ist,  darf  angefertigt  werden,  wenn  es  nicht 
zugleich  die  Unterschrift  einer  zu  der  Verordnung  berechtigten  Medizinal- 
person, das  Datum,  den  Namen  des  Kranken  und  die  zur  Verhütung  von 
etwa  zu  besorgenden  Personen- Verwechslungen  noch  erforderlichen  näheren 
Bezeichnungen  des  Kranken  enthält.  Jedoch  ist  auch  die  Anfertigung 
solcher  Rezepte  erlaubt,  welche  statt  des  Namens  und  sonstiger  Bezeichnung 
des  Kranken  die  Worte:  „für  einen  Ungenannten"  enthalten. 


(385     — 

Seit  Freigabe  des  ärztlichen  Gewerbes  (nach  der  deutschen 
Gewerbeordnung  vom  21.  Juni  1869)  konnte  an  dieser  Vorschrift 
nicht  mehr  in  aller  Strenge  festgehalten,  vielmehr  musste  ge- 
stattet werden,  Rezepte  unbefugter  Personen  dann  anzufertigen, 
wenn  in  ihnen  kein  giftiges  oder  starkwirkendes  Mittel  (Tab.  B. 
und  C.  der  Pharm.  Germ.)  enthalten  ist.11) 

Einige  Staaten,  z.  B.  Bayern,  Braunschweig,  haben  bestimmt, 
dass  Cito-Rezepte  auch  dann  von  dem  Apotheker  angefertigt 
werden  müssen,  wenn  nicht  sofort  Bezahlung  erfolgt. l2) 

2.WelcheRezepte  dürfennichtrepetiert(reiteriert) 
werden?  Die  Repetition  von  Rezepten,  welche  giftige  oder 
starkwirkende  Medikamente  (Tab.  B  und  C  der  Pharm.  Germ.) 
enthalten,  erfordert  die  Anweisung  einer  approbierten  Medizinal- 
person.    Zumal  gilt  dies  für  die  Fowlersche  Arseniklösung.13) 


")  Preussen.  Min.-Reskr.  v.  8.  März  1870:  Rezepte,  welche  von 
nicht  approbierten  Ärzten  oder  Wundärzten  verschrieben  sind,  sind  Apo- 
theker nur  dann  anzufertigen  berechtigt  und  verpflichtet,  wenn  die  ver- 
schriebene Arzenei  lediglich  aus  solchen  Mitteln  besteht,  welche  im  Hand- 
verkauf abgegeben  werden  dürfen.  Ausgeschlossen  sind  hiervon  insbe- 
sondere die  in  der  Tab.  B  und  C  der  Pharmacopöe  aufgeführten  Medika- 
mente und  Gifte.  —  Der  Min.-Erlass  v.  3.  Juni  1878  macht  diejenigen 
Mittel  namhaft,  welche  nicht  ohne  ärztliche  Verordnung  im  Handverkauf 
zu  verabfolgen  sind. 

Bayern.  Kgl.  "Verordn.  v.  25.  April  1877.  §  19.  3.  Die  Apotheker  sind 
verpflichtet.  Rezepte,  welche  solche  Mittel  enthalten,  die  in  der  Tabelle 
B  und  C  der  Pharm.  Germ,  aufgeführt  sind,  uur  dann  zu  fertigen  oder 
fertigen  zu  lassen,  wenn  der  Name  des  verordnenden  Arztes,  das  Datum 
der  Verordnung,  sowie  die  Gebrauchsanweisung  deutlich  geschrieben  sind. 

Baden.  Ap.-O.  V.  §  40.  Giftige  und  drastische  Stoffe  dürfen  ...  in 
der  Rezeptur  nur  auf  Verordnung  eines  bekannten  approbierten  Arztes 
oder  Tierarztes  abgegeben  .  .  .  werden. 

1S)  Baiern.  Kgl.  Verord.  v.  25.  April  1877.  §  19.  2.  Die  Apotheker 
sind  verpflichtet,  jede  Arzenei  nach  ärztlicher  Ordination  unweigerlich  zu 
bereiten  und  abzugeben,  und  zwar  auch  an  Personen,  welche  mit  der  Be- 
zahlung von  früher  bezogenen  Arzeneien  im  Rückstand  sind,  wenn  die  Ab- 
gabe vom  Arzte  als  dringend  bezeichnet  wird. 

Braun  schweig.  Med.-O.  §  88.  Die  Abgabe  einer  mittelst  Rezepts 
verordneten  Arznei  darf  aus  dem  Grunde  vom  Apotheker  nicht  verweigert 
werden,  weil  nicht  sofort  Bezahlang  erfolgt,  wenn  schleunige  Anfertigung 
der  Arznei  vom  Arzte  gefordert  wird. 

13)  Preussen.  Ap.-O.  III,  §  2.  g)  Übrigens  sollen  solche,  von  appro- 
bierten Ärzten  und  Wundärzten  einmal  verschriebenen  und  verfertigten 
Rezepte,  welche  Drastica,  Vomitoria,  Menses  et  Urinam  moventia,  Opiata 
u.  a.  dergl.  stark  wirkende  Medikamente  enthalten,  ohne  Vorwissen  und 
Bewilligung  des  Arztes  zum  andernmale  nicht  wieder  gemacht  werden. 

Ministerialreskr.  y.  28.  Okt.  1810.  Solutio  arsenicalis  darf  nur  auf 
Rezepte  approbierter  Arzte  in  der  Quantität  von  6  Gramm  und  in  ver- 
siegelten Fläschchen  abgegeben  werden.  Die  Rezepte  dürfen  nicht  zurück- 
gegeben werden,  sondern  müssen  als  Giftscheine  aufgehoben  werden.  Eine 
Reiteratur  derselben  darf  nicht  stattfinden. 


—     686     — 

Für  Preussen  untersagt  das  Ministerial  -  Reskript  vom 
3.  Juni  1878  durchaus,  ohne  ärztliche  Ordinierung  zu  repetieren : 

1.  Brechmittel; 

2.  Mixturen  zum  innerlichen  Gebrauch,  Augenwässer,  In- 
jektionen, Inhalationen  und  Klystiere,  welche  direkte  Gifte  (Tab.  B 
der  Pharm.  Germ.),  gewisse  betäubende  Mittel  (Chloralhydrat, 
Äthylenchlorid,  ButylchloralJ,  gewisse  Corrosiva  (Krotonöl,  Senföl) 
sowie  Mutterkorn  enthalten; 

3.  Morphiuminjektionen ; 

4.  Un vermischtes  Chloroform. 

Für  die  Tinkturen  und  Extrakte  der  narkotischen  Gewächse 
(Aconitum,  Belladonna,  Cannabis  indica,  Colchicum,  Colocynthides, 
Conium,  Digitalis,  Hyoscyamus,  Lactuca  virosa,  Pulsatilla,  Stra- 
monium,  Strychnos,  Toxicodendrum  und  Opium),  für  Morphin  und 
Codein,  sowie  Jodtinktur  gestattete  obige  Min. -Ter.  die  Repetition 
von  inneren  Arzeneien,  Augenwässern,  Klystieren,  Inhalationen, 
sofern  die  in  der  Arznei  enthaltene  Menge  des  Narkoticums  nicht 
grösser  ist,  als  die  für  die  Einzelgabe  in  Tab.  A  der  Pharm.Germ. 
angegebene  Maximaldosis  beträgt. 

Für  Bayern  beschränkt ^die  Kgi.  Yerordnung  vom  25.  April 
1877  (§  19,  4)  ebenfalls  die  Repetition  von  Brechmitteln,  Atropin- 
lösungen,  Morphium-Injektionen,  stärkeren  Morphiumarzeneien  und 
Chloralhydrat  auf  schriftliche,  ärztliche  Anordnung. 

Für   Sachsen   verbietet   die   Yerordnung  vom   16.  August 


Bayern.  Ap.-O.  III,  §62.  8.  Repetitionen  drastisch  wirkender  Arze- 
neien dürfen  nur  auf  ausdrückliche  Anordnung  des  betreffenden  ärztlichen 
Individuums  vollzogen  werden. 

Würtemberg.  Min.-Ver.  v.  30.  Dezember  1875.  §  7.  Repetitionen 
von  Rezepten  dürfen,  wenn  diese  die  in  der  Anlage  aufgeführten  Stoffe 
und  Präparate  zur  innerlichen  oder  einer  dieser  gleichkommenden  Ver- 
wendung, wie  Klystieren,  Inhalationen  oder  subkutanen  Injektionen,  sowie 
besonders  stark  wirkende  Stoffe  desselben  Verzeichnisses  zum  äusserlicben 
Gebrauch  enthalten,  ohne  ausdrückliche  schriftliche  Anordnung  des  ur- 
sprünglichen Verfassers  oder  einer  anderen  hierzu  ermächtigten  Medizinal- 
person nur  in  unverdächtigen  und  dringenden  Fällen  ausgeführt  werden. 
Wo  sich  in  dieser  Beziehung  irgend  ein  Anstand  oder  Zweifel  erhebt,  ist 
vor  der  Abgabe  des  Arzeneimittels  die  ordinierende  Medizinalperson  oder 
nötigenfalls  der  Oberamtsarzt  zu  befragen. 

Baden.  Ap.-O.  V,  §  40.  Giftige  und  drastische  Stoffe  enthaltende 
Rezepte  dürfen  nicht  ohne  den  Willen  des  Arztes  repetiert  werden.  — 
§  41.  Alle  übrigen  Arzeneien  dürfen  ohne  neue  Verordnung,  auf  Wieder- 
zurückgabe der  Signatur,  aber  nicht  auf  blosse  mündliche  Bestellung  hin 
angefertigt  werden. 

Sachsen- Weimar.  Min.-Ver.  v.  15.  Juli  1858.  §  14.  Rezepte,  in 
welchen  sich  ein  giftiges  oder  sonst  heftig  oder  bedenklich  wirkendes 
Mittel  verschrieben  findet,  dürfen  nur  auf  jedesmalige  schriftliche,  mit 
Datum  und  Namensunterschrift  versehene  Anordnung  des  Verfassers  oder 
einer  anderen    dazu  befugten  Medizinalperson  wiederholt  bereitet  werden. 


—     (387     — 

1876  olme  ärztliche  Genehmigung  die  Repetition  von  Arzeneien 
mit  direkten  Giften  (Tabula  B  der  Pharm.  Germ.)  sowohl  für  den 
inneren,  als  für  den  äusserlichen  Gebrauch  (gestattet  ist  die  Repe- 
tition von  Salben  mit  rotem  und  weissem  Quecksilberpräzipitat 
und  Yeratrin),  sowie  von  Digitalin  und  Chloroform.  —  Arzeneien, 
welche  Mittel  der  Tab.  C  der  Pharm.  Germ,  in  solcher  Quantität 
enthalten,  dass  ihre  Einzeldosis  den  fünften  Teil  der  in  Tab.  A 
der  Pharm.  Germ,  aufgeführten  Maximaldosis  nicht  über- 
schreitet, ebenso  Arzeneien  mit  Chloralhydrat,  wenn  die  Maximal- 
dosis von  4,0,  solche  mit  Mutterkorn  oder  dessen  Extrakt,  wenn 
die  Maximaldosis  von  0,6  resp.  0,3  nicht  überschritten  wird,  sind 
auch  ohne  ärztliche  Ordination  zu  repetieren  gestattet,  in  gleicher 
Weise  Santoninmittel. 

3.  "Welche  speziellen  Regeln  sind  bei  der  An- 
fertigung der  Rezepte  zu  merken? 

Sobald  ein  Rezept  angenommen  wird,  hat  der  Rezeptar  das- 
selbe aufmerksam  zu  überlesen  und  sich  zu  vergewissern,  dass 
auf  demselben  keine  wesentlichen  Bestimmungen  fehlen,  noch 
gegen  die  betreffenden  amtlichen  Anordnungen  Verstössen.  Ent- 
hält es  Gifte  oder  starkwirkende  Stoffe,  so  ist  auf  deren 
Dosierung  besonderes  Augenmerk  zu  richten.  Man  findet  die 
Dosis  durch  Division  der  verordneten  Menge  mit  der  Anzahl  der 
Gaben.  Bei  einer  Mixtur  gewinnt  man  die  Zahl  der  Gaben, 
wenn  man  ihr  Gesamtgewicht  durch  das  Gewicht  der  Einzelgabe  teilt. 

Dabei  kann  man  annehmen : 

1  Esslöffel        12  g,      1  Theelöffel  3—4  g, 
1  Kinderlöffel     6  „     20  Tropfen  1   „ 

B  eispiele: 

1.  R.  Infusi  Althaeae  200,0  g 

Ammon.  chlor.        5,0 

Extr.  Hyoscyarni     1,0 

Succ.  Liquir.  dep.  8,0 
M.  D.  C.  Stündlich  1  Esslöffel  v.  z.  n. 
Für  diese  Mixtur  berechnen  sich  124/12  d.  i.  nahezu  18  Gaben,  in  jeder  der- 
selben ist   mithin    1,0/18  =  0,055  g  Extr.    Hyoscyarni  enthalten.     Nimmt 
der  Patient  täglich   12   Löffel  voll  von  der  Mixtur,   so  berechnet  sich  die 
Gesamtdosis  für  den  Tag  auf  0,66  g  Extr.  Hyoscyarni. 

2.  R,  Morph,  hydrochlor.  0,10  g 

Aqu.  Amygd.  amar.  25,0 
M.  D.  Beim  Anfall  20  Tropfen  z.  n. 
Hier  beträgt   die    Einzelgabe    20    Tropfen    =    1,0  g    die    Gesamtzahl    der 
Gaben  ist  =  25,  daher  in  jeder  Gabe  0,10/25  =  0,004  g  Morph,  hydrochlor. 
enthalten  ist.  3.  R.  Santonini  1,0  g 

afe§  Sacch.  alb.  7,5 

M.  s.  p.  Divide  in  part.  aeq.  No.  XV. 
D.  S.  Morgens  und  Abends  1  Pulv.  z.  n. 
Die  Einzeldosis  beträgt  hier  für  das  Santonin  1,0/15  =  0,066.  die  Tagesdosis 
2  X  0,066  =  0,  132  g 


—     688     — 

Im  Falle  der  Arzt  die  in  Tab.  A  der  Pharm.  Germ,  vorge- 
schriebene Maximaldosis,  ohne  ein  !  beizusetzen,  sei  es  in 
der  Einzelgabe,  sei  es  in  der  Tagesgabe,  überschritten  oder  sonst- 
wie einen  Fehler  gemacht  (etwa  durch  Versetzen  des  Komma 
in  der  Gewichtsangabe)  oder  etwas  wesentliches  zu  bemerken 
vergessen  hat,  ist  der  Rezeptar  nicht  berechtigt,  selbst  Änderungen 
auf  dem  Rezepte  vorzunehmen  (es  müsste  denn  der  Fehler  durch- 
aus klar  und  seine  Korrektur  eine  selbstverständliche  sein).  Viel- 
mehr ist  er  gehalten,  das  Rezept  dem  verordnenden  Arzte  per- 
sönlich oder  in  verschlossenem  Kouvert,  mit  dem  Gesuch  um  Kor- 
rektur zurückzustellen.  Ist  dies  in  Kürze  nicht  möglich,  so  kann 
er  sich  beim  Kreisphysikus  resp.  Oberamtsarzte  die  nötige  An- 
weisung erbitten ;  in  dringenden  Fällen  mag  es  gestattet  sein, 
die  Gewichtsmenge  des  betreffenden  Arzneimittels  auf  die  gesetz- 
liche Maximaldosis  zurückzuführen,  den  Arzt  jedoch  alsbald  da- 
von in  Kenntnis  zu  setzen. 15) 

I5)  Preussen.  Ap.-O.  III  §  2.  h)  Wenn  dem  Apotheker  in  den  ver- 
schriebenen Rezepten  ein  Irrtum  oder  Verstoss  von  der  Art,  dass  davon. 
ein  Nachteil  für  den  Patienten  zu  besorgen  sei,  bemerklich  werden  sollte, 
so  hat  er  sogleich  dem  Arzte,  welcher  das  Rezept  verschrieben,  seine  ße- 
denklichkeit  und  seine  Zweifel  bescheiden  zu  eröffnen.  Wenn  der  Arzt 
den  Verstoss  nicht  anerkennt  und  auf  Anfertigung  des  Rezeptes  nach  seiner 
Vorschrift  besteht,  so  kann  es  der  Apotheker  zwar  anfertigen,  doch  hat  er 
zu  seiner  eigenen  Rechtfertigung  den  Fall  sogleich  dem  Physikus,  oder 
wenn  dieser  das  verdächtige  Rezept  verschrieben  hätte,  dem  kompetenten 
Collegio  Medico  anzuzeigen. 

Bayern.  Ap.-O.  III  §  62.  4.  Wenn  ein  Rezept  undeutlich  geschrieben 
ist,  einen  in  der  Offizin  nicht  verfügbaren  Stoff  enthält  oder  andere  irgend 
erhebliche  Umstände  darbietet,  so  ist  mit  Unterlassung  jeder  Substitution 
oder  sonstigen  eigenmächtigen  Vorschreitens  mit  dem  ordinierenden  Arzte 
sich  zu  benehmen.  5.  Geringfügige,  das  Datum  oder  den  Namen  des  Kranken 
betreffende  Mängel  können  in  der  Apotheke  selbst  nach  Thunlichkeit 
berichtigt  werden,  desgleichen  der  Mangel  der  Gebrauchsformel  bei  nicht 
heroischen  Mitteln  im  Falle,  wenn  das  Benehmen  mit  dem  ordinierenden 
Arzte  Schwierigkeiten  unterliegt. 

Königl.  Verordn.  v.  25.  April  1877.  §  19.  5.  Im  Falle  ein  Arzt 
grössere  Gaben  eines  Arzneimittels,  als  die  im  Anhange  zur  Pharm.  Germ. 
(Tab.  A)  als  die  höchsten  aufgeführten  ohne  Hinzufügung  des  Zeichens  ! 
verordnet,  hat  sich  der  Apotheker  über  die  Zulässigkeit  der  Abgabe  der 
Arznei  zunächst  mit  einem  anderen  Arzte  zu  benehmen. 

Baden.  Ap.-O.  V.  §  44.  .  .  .  Sollten  in  Rezepten  Worte  oder  Zeichen 
unleserlich  geschrieben  sein,  oder  nicht  verstanden  werden,  oder  der 
Apotheker  Grund  finden  zu  vermuten,  es  möchte  die  Gabe  unrichtig  oder 
sonst  ein  Fehler  im  Rezept  untergelaufen  sein,  so  soll  er  nicht  selbst  ändern, 
aber  auch  nicht  gleichgiltig  dabei  bleiben,  sondern  von  dem  Verfertiger 
der  Vorschrift  Erläuterung  oder,  wenn  dieser  über  Land  wohnte,  von  dem 
Physikus  Weisung  seines  Verhaltens  wegen  fordern,  und  nur  wo  auch 
dieser  nicht  anzutreffen  und  ihm  ein  Schreibfehler  klar  wäre,  mag  er  für 
sich  ändern,   muss   es   aber  zugleich   dem  verschreibenden   Arzte  melden. 


—     689    — 

Bei  Anfertigung  des  Rezeptes  hat  der  Apotheker  alle  Medi- 
kamente abzuwiegen,  nicht  aber  dem  Masse  nach  oder  nach 
Augenschein  und  Gutdünken  zu  nehmen ,  was  speziell  bei  der 
Division  von  Pulvern  gilt.16)  Beim  Abwägen  stark  wirkender 
und  giftiger  Mittel  ist  besondere  Vorsicht  anzuwenden  und  nicht 
zu^verabsäumen,  die  eigens  dafür  dienenden  Wagen  und  Gerät- 
schaften in  Anwendung  zu  ziehen. 

Sind  die  Gewichtsmengen  noch  nach  dem  Unzen  Systeme 
verordnet,  so  hat  sie  der  Rezeptar  nach  der  amtlichen  Reduktions- 
tabelle in  Gramme  umzusetzen  und  diese  Umänderung  auf  dem 
Rezepte  selber  zu  notieren.    (Preuss.  Min.-Ver.  v.  29.  Aug.  1867.) 

Überlässt  der  Arzt  die  Quantität  eines  Mittels  dem  Er- 
messen des  Apothekers,  indem  er  ein  q.  s.  (quantum  satis)  bei- 
fügt, so  darf  der  Rezeptar  nicht  unterlassen,  die  verbrauchte 
Menge  auf  dem  Rezepte  zu  bemerken.  Dies  geschieht  häufig  bei 
Pillen,  Saturationen,  gestrichenen  Pflastern.  Wichtig  ist  die 
Notierung  sowohl  wegen  des  Preises,  wie  auch  wegen  etwaiger 
Repetition,  damit  nicht  der  reiterierende  Apotheker  die  Pillen 
dicker  oder  dünner  mache,  das  Pflaster  kräftiger  auftrage  u.  s.  f. 

Überhaupt  ist  bei  Repetition  en  doppelte  Aufmerksamkeit 

Das  Gleiche  ist  seine  Pflicht,  wenn  etwa  einer  der  verschiedenen  Stoffe 
nicht  vorhanden,  noch  schnell  zu  bekommen  wäre. 

Sachsen- Weimar.  Min.-  Verf.  v.  10.  Oktober  1872.  §  3.  Rezepte, 
auf  welchen  ein  Mittel  der  Tab.  A.  der  Pharm.  Germ,  ohne  ein  Ausrufungs- 
zeichen verschrieben  ist,  sind  dem  Arzte  zurückzusenden.  Ist  derselbe  nicht 
zu  erlangen,  so  hat  der  Apotheker  mit  Genehmigung  des  Kranken  oder 
dessen  Angehörigen  das  Rezept  dem  Amtsphysikus,  eventuell  einem  andern 
Arzte  zur  Abänderung  zu  unterbreiten. 

Österreich.  Ap.-Instr.  §  23.  Vermutet  der  Apotheker  in  der  Vorschrift 
des  Arztes  einen  Irrtum,  der  dem  Leben  des  Kranken  nachteilig  werden 
könnte,  so  hat  er  seine  Meinung  vor  der  Verfertigung  des  Rezeptes  dem 
verordnenden  Arzte  allein  in  Freundschaft  zu  eröffnen.  Wäre  dieses  aber 
wegen  zu  grosser  Entfernung  oder  Abwesenheit  des  Arztes  für  jetzt  un- 
möglich, und  hat  der  Apotheker  die  Überzeugung,  dass  in  der  Vorschrift 
des  Arztes  ein  Irrtum  unterlaufen  sei,  der  dem  Leben  des  Kranken  nach- 
teilig sein  könne,  und  kann  er  sich  nicht  mehr  mit  dem  verordnenden 
Arzte  beraten,  so  muss  er  sich  noch  vorerst,  wenn  es  möglich  ist,  mit 
einem  anderen  Arzte  hierüber  beraten;  wäre  aber  auch  dies  unmöglich, 
so  ist  es  ihm  erlaubt,  ja  es  ist  ihm  Pflicht,  das  Rezept  so  abzuändern,  dass 
es  den  gewöhnlichen  Verordnungen  vernünftiger  Arzte  entspreche.  Der 
Apotheker  wird  aber  dieses,  sobald  es  nur  möglich  ist,  dem  Arzte,  von 
dem  die  Verordnung  herrührte,  auf  eine  geziemende  Art  und  ohne  Auf- 
sehen zu  erregen  bekannt  machen. 

■16)  Preussen.  Ap.-O.  III.  §  2.  c.  Bei  Dispensierung  der  Arzneimittel 
soll  nichts  gemessen,  viel  weniger  nach  dem  blossen  Augenmasse  genommen, 
sondern  alles  ordentlich  und  genau  abgewogen  werden.  —  Sollten  auch 
noch  Arzte  im  Gebrauch  haben,  Vegetabilien  manipulweise  zu  verschreiben, 
so  sollen  diese  dennoch  gewogen,  und  statt  eines  Manipuls  bei  Kräutern  eine 
halbe  Unze,  und  bei  Blumen  drei  Drachmen  nach  Gewicht  genommen  werden. 

Schlickum,   Apothelccrle'hrliDg.  44 


—     690     — 

vonnöten,  um  zu  vermeiden,  dass  die  Arzenei  ein  verändertes 
Aussehen,  anderen  Geschmack  u.  dg-1.  erhalte.17) 

Zur  Yergewisserung  der  Person,  welche  ein  Rezept  fehlerhaft 
angefertigt,  verfügt  die  Preuss.  Min. -Ter.  v.  2.  August  1872,  dass 
der  Rezeptar  seinen  Namen  deutlich  und  leserlich  auf  dem  Re- 
zepte vermerke,  gleichviel,  ob  es  sich  um  eine  einmalige  oder 
wiederholte  Anfertigung  einer  Arznei  handle. 

Der  Signatur  hat  der  Rezeptar  sein  volles  Augenmerk  zu- 
zuwenden, nicht  allein  durch  gewissenhafte  Wiedergabe  der  ärzt- 
lichen Ordination,  sondern  auch  durch  leserliche  Schrift.18)  Zahlen 
sind  bei  den  Bestimmungen  der  Gabe  und  Zeit  des  Einnehmens 
in  Buchstaben  zu  schreiben ,  nicht  in  Ziffern.  Für  Signaturen 
innerer  Arzeneien  dient  weisses,  für  äusserliche  Medizinen  rotes 
oder  blaues  Papier. 

Schliesslich  ist  der  Taxpreis  in  arabischen  Ziffern  auf 
dem   Rezepte   zu  notieren.     Bei   Rezepten,   die   von   öffentlichen 

17)  Preussen.  Ap.-O.  III.  §  2.  e)  Da  noch  die  Erfahrung  gelehrt,  dass 
öfters  diejenigen  Arzeneien,  welche  die  Patienten  auf  Verordnung  ihres 
Arztes  zürn  zweiten  oder  öfteren  Male  machen  lassen,  nicht  vollkommen 
gleich,  sondern  in  Farbe,  Geschmack  und  Geruch  verschieden  sind  und 
hierdurch  den  Patienten  verdächtig  werden,  so  soll  derjenige  Apotheker, 
in  dessen  Offizin  dergleichen  Nachlässigkeiten  erweislich  gemacht  worden, 
in  5  Thaler  Strafe  verfallen.  Damit  man  aber  wisse,  wer  den  Fehler  bei 
der  Reiteratur  begangen,  so  soll  derjenige,  der  solche  verfertigt,  jedesmal 
seinen  Namen  auf  die  Signatur  schreiben. 

Bayern.  Ap.-O.  III.  §  61.  .  .  .  Die  Repetition  einer  Arzenei  soll, 
wenn  thunlich.  dem  früheren  Rezeptator  übertragen  werden. 

18)  Preussen.  Ap.-O.  III.  §  2.  d)  Zu  mehrerer  Verhütung,  dass  keine 
Verwechslung  der  Medikamente  sich  zutragen  möge,  soll  in  der  Apotheke 
jedesmal  der  Name  des  Patienten,  welcher  auf  dem  Rezept  steht,  ingleichen 
der  Name  des  Apothekers,  bei  welchem  das  Rezept  verfertigt  worden,  nebst 
dem  Dato,  auf  der  Signatur  bemerkt  werden.  Auch  soll  auf  der  Signatur 
die  auf  dem  Rezept  bestimmte  Gabe  und  Zeit  des  Einnehmens  nicht  mit 
Ziffern  bezeichnet,  sondern  jedesmal  mit  Buchstaben  deutlich  und  leserlich 
geschrieben  werden. 

Bayern.  Ap.-O.  III.  §  62.  b)  Die  der  gefertigten  Arzenei  beizufügende 
Signatur  ist,  je  nachdem  erstere  zu  innerlichem  oder  äusserlichem  Ge- 
brauche dient,  auf  weisses  Papier  zu  schreiben,  und  niuss  den  Namen  des 
Kranken,  die  Gebrauchsformel  und  das  Datum  —  und  zwar  bei  Re- 
petitionen  sowohl  das  Datum  der  Ordination  als  das  der  Repetition  — 
enthalten,  auch  ihrem  Inhalte  nach  den  minder  gebildeten  Abnehmern 
überdies  mündlich  noch  genügend  erklärt  werden.  Ebenso  ist  der  Signatur 
am  Rande  der  Name  des  Rezeptators  beizufügen. 

Sachsen-Weimar.  Min.-Ver.  v.  15.  Juli  1858.  §  18.  Jede  nach 
einem  Rezept  bearbeitete  Arzenei  ist  ohne  Verzug  genau  mit  der  vorge- 
schriebenen Signatur  und  mit  dem  Namen  des  Anfertigers,  oder,  falls  eine 
besondere  Anfertigung  nicht  stattgefunden  hat,  des  Verabreichers  ...  zu 
bezeichnen.  .  .  .  Für  Mittel  zum  innerlichen  Gebrauch  ist  die  Signatur  auf 
ein  weisses,  für  äusserliche  Mittel  auf  blaues  Papier  zu  schreiben. 


—     091     — 

Kassen  bezahlt  werden,  muss  zur  Erleichterung  der  Revision  der 
Preis  in  seinen  einzelnen  Faktoren  spezifiziert  werden.'9) 

4.  Wer  ist  zur  Anfertigung  der   Rezepte  befugt? 

Ausser  dem  Apotheker  ist  in  Deutschland  wie  auch  in 
Österreich  jeder  Apothekergehilfe,  welcher  in  deutschen  Landen 
sein  Gehilfenexanien  bestanden  hat,  zur  Anfertigung  der  Rezepte 
befugt.20)  Der  Bundesrat  beschloss  am  7.  Februar  1874,  dass 
der  Grundsatz  der  gewerblichen  Freizügigkeit  innerhalb  des  ge- 
samten Bundesgebiets  nunmehr  auch  auf  die  Apothekergehilfen 
ausgedehnt  werde ,  welche  in  einem  Bundesstaate  die  Gehilfen- 
prüfung bestanden  haben.21) 


10)  Preussen.  Ap.-O.  III.  §  2.d)  Alinea  2.  Ebenso  muss  die  Taxe 
der  Medikamente  auf  den  Rezepten,  wenn  sie  bei  erfolgender  Bezahlung 
zurückgegeben  werden,  mit  deutlichen  Ziffern  bemerkt  sein. 

Bayern.  Ap.-O.  III.  §  62.  7.  Bei  alsbaldiger  Bezahlung  der  Arznei 
ist  deren  Preis  auf  dem  Rezepte  in  arabischen  Zahlen  deutlich  zu  bemerken 
und  dabei,  wenn  die  Abnahme  für  eine  öffentliche  Adresse  geschieht,  nach 
seinen  einzelnen  Faktoren  genau  zu  spezifizieren. 

Baden.  Ap.-O.  V.  §  46  ...  .  und  muss  der  Preis  gleich  nach  der 
Vollendung  (zumal  wenn  das  Rezept  zurückverlangt  wird) ,  oder  bei  über- 
häuften Geschäften  doch  längstens  noch  am  nämlichen  Tage  auf  das 
Rezept  mit  leserlichen  Zeichen  annotiert  werden,  das  Arzeneimittel  mag 
gegen  baar  oder  auf  Rechnung  abgegeben  sein. 

-°)  Preussen.  Ap.-O.  I.  §  18.  .  .  .  Als  solcher  (Apothekergehilfe) 
übernimmt  er  in  der  Apotheke,  bei  welcher  er  sich  engagiert,  eben  die 
allgemeinen  Verpflichtungen,  unter  welchen  der  Prinzipal,  dem  er  sich 
zugesellt,  zur  öffentlichen  Ausübung  dieses  Kunstgewerbes  von  Seiten  des 
Staates  autorisiert  ist.  —  Reglement  v.  11.  August  1864.  §  16.  .  .  .  Der 
Apothekenbesitzer  darf  dem  Gehilfen  das  Dispensieren  von  Arzeneimitteln 
in  der  Offizin  (das  Rezeptieren)  und  die  Anwendung  von  pharmazeutischen 
Präparaten  im  Laboratorium  (das  Defektieren)  selbständig  überlassen,  ist 
aber  für  die  Arbeiten  des  Gehilfen  verantwortlich.  Während 
kurzer,  zufälliger  Abwesenheit  des  Apothekenbesitzers  ist  der  Gehilfe  dessen 
Stellvertreter.  Bei  längerer  Entfernung  vom  Geschäft  (Reisen)  aber  ist  der 
Apotheker,  falls  sein  Gehilfe  nicht  bereits  die  Approbation  als  Apotheker 
erlangt  haben  sollte,  verpflichtet,  einen  approbierten  Apotheker  als  seinen 
Stellvertreter  anzunehmen  und  dies  dem  Kreisphysikus  anzuzeigen. 

Österreich.  Min.-Erlass  vom  16.  Febr.  1860  hebt  das  Verbot,  aus- 
ländische Gehilfen  in  österreichischen  Apotheken  zu  verwenden,  für  die 
deutschen  Bundesstaaten  auf  und  gestattet  den  aus  Deutschland  kommenden 
Apothekergehilfen,  welche  daselbst  ihr  Gehilfenexamen  mit  gutem  Erfolge 
bestanden  haben,  in  Österreich  zu  konditionieren. 

21 )  Eine  ähnliche  Bekanntmachung  ist  die  der  Düsseldorfer  Regierung 
vom  28.  Januar  1877:  Nachdem  jetzt  die  Erlangung  der  Approbation  als 
Apotheker  auf  Grund  des  §  29  der  Gew.-Ordn.  für  sämtliche  Bandes- 
staaten des  deutschen  Reiches  gleichmässig  geordnet  worden  und  im  An- 
schluss  hieran  betreffs  Prüfung  der  Apothekergehilfen  durch  Beschluss  des 
Bundesrats  vom  13.  Nov.  1875  ebenfalls  für  sämtliche  Bundesstaaten 
gleichmässige  Bestimmungen  getroffen  worden  sind,  sind  jetzt  deutsche 
Apothekergehilfen  in  jedem  Bundesstaate  zu  servieren  berechtigt. 


—     692     — 

Ausländische  Gehilfen  haben  sich,  wie  auch  früher,  zuvor  einer 
Prüfung   vor  der  Gehilfen-Prüfungs-Kommission  zu  unterwerfen. 

Über  die  Lehrlinge  hat  der  Apothekenvorstand  oder  sein  Ge- 
hilfe stets  sorgsam  zu  achten;  die  Anfertigung  von  Rezepten  ist 
den  Lehrlingen  nur  unter  spezieller  Aufsicht  zu  gestatten.22) 

III.  Vorschriften  über  den  Handverkauf.  Für  den  Handverkauf 
in  den  Apotheken  gilt  im  allgemeinen  die  Yorschrift ,  nach  wel- 
cher ihm  alle  giftigen ,  gefährlichen  und  scharfwirkenden  Stoffe 
entzogen  sind.  Vorzugsweise  sind  dies  die  Arzeneimittel  der  Tab. 
B  und  C  der  Pharm.  Germ.,  mit  Ausschluss  weniger  Medikamente, 
die  altbekannte  Handverkaufsartikel  sind  und  ohne  Bedenken  als 
solche  abgegeben  werden  dürfen,  z.  B.  Bleiwasser,  Goulardsches 
Wasser,  Theriak,  Senfspiritus  u.  a.  m. 23) 

Dem    Handverkauf    unter   allen    Umständen    entzogen    sind 

Hessen.  Min.-Ver.  v.  10.  Jan.  1872.  Der  Eintritt  als  Gehilfe  in 
hessische  Apotheken  ist  jedem  Pharmazeuten  gestattet,  der  sich  durch 
Vorlage  eines  von  einer  Früfungskommision  des  deutschen  Reiches  aus- 
gestellten Prüfungszeugnisses  legitimiert.  Über  die  Zulässigkeit  von  Zeug- 
nissen, die  nicht  von  Prüfungskommissionen,  oder  die  von  ausserdeutschen 
Prüfungsbehörden  ausgestellt  sind,  entscheidet  in  jedem  Einzelfalle  das 
Ministerium. 

22)  Preussen.  Ap.-O.  III.  §  2.  a)  Sobald  ein  Rezept  zur  Bereitung 
in  die  Apotheke  gebracht  wird,  ...  so  ist  der  Apotheker  verpflichtet,  es 
entweder  selbst  zu  verfertigen,  oder  einem  tüchtigen  Gehilfen,  allenfalls 
auch  einem  Lehrlinge,  welcher  aber  wenigstens  3  Jahre  in  der  Lehre  ge- 
standen, und  sich  wohl  appliziert  haben  muss,  zur  Bereitung  zuzustellen. 
(Da  jetzt  die  Lehrzeit  auf  3  resp.  2  Jahre  herabgesetzt  ist,  muss  obige 
Bestimmung  entsprechend  modifiziert  werden.) 

Baden.  Ap.-O.  V.  §  45.  Wo  der  Apotheker  oder  Verwalter  mit 
Gehilfen  und  Lehrlingen  arbeitet,  da  soll  er  alle  drastischen  Mittel,  in- 
gleichen alle  jene,  welche  in  anderer  Hinsicht  eine  vorzügliche  akkurate 
Bearbeitung  der  Mischung  fordern,  wenn  er  sie  nicht  selbst  verfertigt,  nur 
an  Hauptgehilfen  ....  niemals  aber  an  blosse  Lehrlinge  abgeben.  .  .  . 

Sachsen-Weimar.  Min.-Ver.  v.  15.  Juli  1858.  §  16.  Lehrlinge 
dürfen  Rezepte  nur  unter  spezieller  Aufsicht  des  Apothekers  oder  eines 
Gehilfen  anfertigen. 

Österreich.  Ap.-I.  §  24.  Lehrlingen  soll  die  Verfertigung  heftiger 
Arzeneimittel  nie  überlassen  werden. 

23)  Preussen.  Der  Min.-Erlass  v.  3.  Juni  1878  führt  in  einem  Ver- 
zeichnisse diejenigen  Mittel  an,  welche  nicht  ohne  ärztliche  Ordination, 
also  auch  nicht  im  Handverkauf  verkauft  werden  dürfen.  Bemerkenswert 
ist.  dass  sich  in  demselben  nicht  vorfinden,  also  im  Handverkauf  zu- 
lässig sind:  Carbolsäure  und  Kreosot,  Salzsäure,  Salpetersäure  und 
Schwefelsäure  (Vitriolöl),  Grünspan,  Bleiweiss,  Bleiglätte  und  Mennige, 
Höllenstein,  Bleiwasser  und  Goulardsches  Wasser,  Bleizucker,  sowie  Blei- 
essig, Canthariden,  Collodium,  Kupfer-  und  Zinkvitriol,  Theriak,  Jod  und 
Jodtinktur,  Bromkalium,  Ätznatronlauge.  Zahnpillen,  Santonin,  Senfspiritus 
und  graue  Quecksilbersalbe. 

Österreich.  Ap.-Instr.  §  16.  Gelinde  wirkende,  unschädliche  Arznei- 
mittel dürfen  im  Handverkauf  aus  der  Apotheke  abgegeben  werden. 


—     G93     - 

speziell  die  Brechen  erregenden  und  die  Wehen  treibenden  Medi- 
kamente, die  drastischen  Purgier-  und  Band  Wurmmittel,  sowie 
die  Krätzesalben  (in  Preussen).24) 

Gewisse,  zum  technischen  Gebrauche  dienende  Mittel  können 
unbeanstandet  an  Gelehrte,  Künstler  oder  Handwerker,  unter  den 
nötigen  Yorsichtsmassregeln  abgegeben  werden  und,  wenn  nötig, 
mit  mündlicher  Belehrung  über  die  Schädlichkeit  resp.  Gefährlich- 
keit des  Mittels  nebst  der  Gebrauchsanweisung.  Zu  solchen 
Mitteln  zählen :  Salzsäure,  Salpetersäure  (Scheidewasser),  englische 
Schwefelsäure  (Vitriol) ,  Kupfervitriolöl ,  Zinkvitriol ,  Höllenstein; 
Bleiweiss,  Mennige,  Bleizucker,  Kleesalz  u.  a.  Die  Dispensatiort 
geschehe  in  geeigneten  Gefässen,-6)  die  mit  deutlicher  Signatur 
zu  versehen  sind.  Auch  werde  niemals  ein  solches  Mittel  an 
Kinder  oder  unzuverlässige  Boten  abgegeben. 

IV.  Über  den  Giftverkauf.  Dem  Verkauf  der  direkten  Gifte 
(Medikamente  der  Tab.  B  der  Pharm.  Germ.)  ohne  ärztliche  Ver- 
ordnung sind  sehr  enge  Schranken  gezogen.  Es  dürfen  zunächst 
von  den  verschiedenen  Giften  nur  solche,  sei  es  in  reiner  Sub- 
stanz, sei  es  in  Vermischung  mit  anderen  Stoffen  (Zucker,  Mehl,: 
Weizen,  Fleisch  u.  dgl.)  abgegeben  werden,  welche  zur  Vertilgung 
-von  Ungeziefer ,  schädlichen  Tieren  (Mäusen ,  Ratten ,  Füchsen, 
Mardern  u.  a.)  dienen  sollen.  Hierhin  zählen:  Arsenik,  Phos- 
phor, Strychnin. 

Diese  Gifte  dürfen  nur  an  ganz  unverdächtige,  sichere  Per- 
sonen abgegeben  werden,  welche  für  diesen  Zweck  einen  Gift- 
schein  als  Quittung  des  erhaltenen  Giftes  abliefern  müssen, 
worin  die  Art  und  Menge,  wie  der  Zweck  des  Giftes  anzugeben 


24)  Preussen.  Ap.-O.  III.  §  2-.  k)  .  .  .  so  wird  den  Apothekern  an- 
befohlen. .  .  .  am  wenigsten  aber  Medikamente  von  heftiger  und  bedenk- 
licher Wirkung,  als  Drastica,  Vomitoria,  Mercurialia,  Narcotica,  Emmenagoga, 
namentlich  auch  Resina  und  Tinctura  Jalapae,  von  der  Hand,  ohne  ein 
von  einem  approbierten  Arzte  verschriebenes  Rezept  verabfolgen  zu  lassen. 

Min.-Reskr.  v.  21.  Jan.  u.  11.  März  1817,  v.  20.  Aug.  1818,  v.  26.  Sept. 
1828,  vom  21.  Aug.  1827,  u.  v.  8.  Nov.  1880  untersagen  im  Handverkauf 
zu  dispensieren:  Purgier-  und  Brechmittel,  Schwefel-  oder  Krätzsalbe,  Mohn- 
köpfe, das  Chinin,  wie  auch  die  Chinarinde  unter  den  Namen  Chinapulver, 
Bandwurmmittel,  Kusso,  Gort.  rad.  Granatorum,  Rad.  Filicis  und  andere 
zu  diesem  Zweck  verlangte  Medikamente. 

Österreich.  Ap.-I.  §  17  verbietet  in  ähnlicher  Weise  den  Hand- 
A^erkauf  von  heftig  wirkenden  Stoffen  (Brechmittel,  starke  Purgiermittel, 
Quecksilberpräparate,  Opiate,  fruchtabtreibende  Mittel),  sowie  aller  der  in 
der  Arzneitaxe  mit  einem  Kreuze  bezeichneten. 

-5)  Preussen.  Min.-Reskr.  v.  27.  Okt.  1876.  Die  Verwendung  von 
Mineralwasser-  und  Licpieurflaschen ,  welche  in  ihrer  Glasmasse  die  Be- 
zeichnung ihres  ursprünglichen  Inhaltes  enthalten,  ist  zur  Abgabe  von 
Plüssigkeiten  in  der  Rezeptur  wie  im  Handverkaufe  untersagt. 


—     Ö94     — 

und  vom  Empfänger  nebst  dessen  Unterschrift  eigenhändig  zu 
bescheinigen  ist. 

Diese  Giftscheine  sind  in  der  Apotheke  aufzubewahren  und 
über  dieselben  ein  Giftbuch  zu  führen,  auf  dessen  obrigkeitlich 
paraphierten  Seiten  in  getrennten  Kolumnen  das  Datum,  der 
Name  und  Stand  des  Empfängers,  Wohnort  desselben,  Art  und 
Menge  des  Giftes,  sowie  dessen  angeblicher  Gebrauch  von  der 
Hand  des  Apotheken  Vorstandes  eingetragen  werden  muss. 

Personen ,  welche  dem  Apotheker  kein  völliges  Vertrauen 
einflössen  oder  ihm  unbekannt  sind,  haben  von  ihrer  Ortsbehörde 
ein  Beglaubigungsattest  beizubringen. 

Die  v4  Dispensation  des  Giftes  muss  in  geeigneten  Gefässen 
(nicht  in  .Papierhüllen)  geschehen ,  deren  Signatur  die  Art  des 
Giftes  deutlich  angiebt  und  der  weiteren  Sicherheit  halber  mit 
drei  Kreuzen  über  einem  Totenkopf  und  der  Bezeichnung  „Giftu 
versehen  sein  muss.     (Gift Signatur!) 

Über  den  Giftverkauf,  der  allein  dem  Apothekenvorstand 
untersteht,  bestehen  überdies  in  jedem  Bezirk  spezielle  Vor- 
schriften der  Behörden. 


Register. 


A. 

Abies  466. 
Abkochungen  659. 
Absorption  S. 
Acacia  522. 
Aceton  314. 
Acetum  256. 

—  plumbicum  216. 

—  pyrolygnosum  314. 
Achaenium  395. 
Achillea  500. 

Acbr  oniatischeLinsenö  6. 
Acidimetrie  341. 
Aciclum  aceticum  258. 

—  arsenicosuin  229. 

—  benzoicum  294. 

—  boricum  162,  163. 

—  carbolicum  316. 

—  chromicum  200. 

—  citricum  279. 

—  formicicum  260. 

—  hydrochloricum  148. 

—  laeticum  307. 

—  nitricum  137. 

—  —  fumans  138. 

—  oxalicum.  280. 

— ■  phosphoricum  142, 
143. 

—  -  pyrogallicum  283. 

—  salicylicum  295. 

—  succinicum  293. 

—  sulfuricum  133. 
dilutum  134. 

—  tannicum  282. 

—  tartaricum  276. 

—  valerianicum  260. 
Acipenser  633. 
Aconitin  302. 
Aconitum  536. 


Acorus  456. 
Acotyledones  444. 
Acrol  273. 
Adeps  632. 
Adhäsion  7. 
Ähre  373. 
Äpfelsäure  279. 
Äquivalent  93. 
Ärugo  220. 
Äther  262. 

—  aceticus  264. 
Ätherschwefelsäure  264. 
Äthyl  255. 
Äthylenchlorid  269. 
Affinität  110. 
Aggregatzustände  5. 
Agropvrum  455. 
Alant  "500. 
Alantwurzel  550. 
Alaun  197. 
Albumen  402. 
Albumin  305. 
Alburnuni  422. 
Aldehyd  257,  261. 
Algae  447. 
Algarotpulver  225. 
Alkalimetri  342. 
Alkalien  165. 
Alkaloide  297. 
Alkanna  481. 
Alkannawurzel  547. 
Alkohol  251. 

—  sulfuris  157. 
Alkoholometer  21. 
Allium  459. 
Allotropie  107. 
Aloe  459,  622. 
Alpinia  462. 
Alsineae  523. 
Althaea  538.  « 


Alumen  197. 

—  ustum  197. 
Alumina  hydrata  198. 
Aluminium  195. 

—  sulfuricum  198. 
Amalgame  234. 
Ambra  632. 
Ameisen  634. 
Ameisensäure  260. 
Amentum  373. 
Ammoniacum  616. 
Ammoniak  181. 
Ammoniakalaun  197. 
Ammonium  bromatum 

183. 

—  carbonicum  184. 

—  —  pyrooleosum  184. 

—  chloratum  183. 

—  —  ferratum  207. 

—  oxalicum  281. 

—  phosphoricum  185. 
Ammoniumsulfhydrat 

185. 
Ampelideae  526. 
Amygdalae  606. 
Amygdaleae  514. 
Amygdalin  291. 
Amygdalus  516. 
Amylium  nitrosum  265. 
Amylnitrit  264. 
Amylum  Marantae  247, 
613. 
-  Tritici  247,  613. 
Anacardium  526. 
Anacyclus  500. 
Andira  521. 
Anemone  535. 
Aneroid-Barometer  28. 
Angiospermia  438. 
Anilin  318. 


eye 


Anis  595. 
Anode  80. 
Anthemis  500. 
Anthera  387. 
Antidotum  Arsenici  230. 
Antimon  224. 
Antimon chlorür  225. 
Antimoniumcrudum  224. 
Antimonoxyd  225. 
Antimonsäure  225. 
Antimonsulfid  227. 
Antimonsulfür  227. 
Antimonwasserstoff  225. 
Antirrhineae  490. 
Apetalae  444. 
Apis  634. 
Apomorpkin  299. 
Apothecien  449. 
Aqua  Amygdalarum  290. 

—  Calcariae  188. 

—  chlorata  144. 

—  hydrosulfurata  128. 

—  phagedaenica  236. 
-  Plumbi  216. 

Aquifoliaceae  484. 
Arabin  248. 
Araeometer  21. 
Araliaceae  512. 
Archangelica  508. 
Arctostaphylos  492. 
Areca  458. 
Argentuni  foliatum  241. 

—  nitrieum  241. 
Argilla  196. 
Arillus  403. 
Aristolochia  477. 
Aristolochiaceae  476. 
Arnica  500. 
Aroideae  456. 
Arrak  253. 
Arrow-root  613. 
Arsen  229. 
Arsenicum  album  229. 

—  citrinum  231. 

—  rubrum  231. 
Arsenige  Säure  229. 
Arsenik  229. 
Arsensäure  280. 
Arsensulfid  231. 
Arsensulfür  231. 
Arsenwasserstoff  231. 
Artemisia  498. 
Arum  456. 

Asa  foetida  616. 


Asarum  477. 
Asbest  192. 
Asclepiadeae  482. 
Asparageae  459. 
Asparagus  460. 
Asperula  502. 
Aspidium  452. 
Asplenium  452. 
Astragalus  520. 
Atmosphärische  Luft 

116. 
Atom  91. 
Atomgewicht  92. 
Atropa  478. 
Atropin  302. 
Aufgüsse  658. 
Auge  66. 

Aurantiaceae  538. 
Auripigment  231. 
Auro-Natriuni  chloratum 

244. 
Aurum  foliatum  243. 
Ausdehnbarkeit  2. 
Ausdehnung  1. 
Ausläufer  351. 
Austerschalen  635. 
Avena  455. 

B. 

Bacca  398. 

Bärentraube  492,  584. 
Bärlapp  452. 
Bärlappsamen  611. 
Baldrian  504. 
Baldriansäui'e  260. 
Baldrianwurzel  552. 
Balsamea  524. 
Balsamifluae  470. 
Balsamodendron  524. 
Balsamum  Copaivae  624. 

—  peruvianum  625. 
-  tolutanum  625. 

Barometer  27. 
Barosrna  524. 
Baryt  194. 
Baryum  194. 
— ■  chloratum  195. 

—  nitrieum  195. 
Bassorin  248. 
Bast  419,  422. 
Baumöl  627. 
Be«herhülle  398. 
Beere  398. 


Beharrungsvermögen    1, 

2. 
Beifuss  498. 
Beifusswurzel  556. 
Benzin  315. 
Benzoe  619. 
Benzoesäure  294. 
Renzol  315. 
Berberideae  526. 
Berberis  526. 
Berlinerblau  287. 
Bernsteinsäure  293. 
Bertramwurzel  546. 
Biber  631. 
Bibergeil  631. 
Biberneil  508. 
Bildungsgewebe  417. 
Bilsenkraut  478,  574. 
Bilsenkrautsamen  605. 
Bismuthum  subnitricum 

222. 
Bittermandelöl  290,  291. 
Bittersalz  193. 
Bitterwässer  121. 
Blatt  359. 
Blattgold  243. 
Blattgrün  431. 
Blatthäutchen  360. 
Blattscheide  360. 
Blattsilber  241. 
Blattstiel  360. 
Blattzüngelchen  360. 
Blauholz  567. 
Blausäure  286. 
Blei  213. 
Bleiessig  216. 
Bleiglätte  214. 
Bleiglanz  213. 
Bleioxyd  214. 
Bleipflaster  274,  670. 
Bleisuperoxyd  214. 
Bleiwasser  216. 
Blei  weiss  215. 
Bleizucker  216. 
Blitz  71. 
Blitzableiter  72. 
Blüte  372,  378. 
Blütenboden  878. 
Blütenhülle  360. 
Blütenköpfchen  373. 
Blütenkolben  373. 
Blütenscheide  360. 
Blütenstände  372. 
Blütenstaub  387. 


097     — 


Blütenstiel  372. 
Blume  381. 
Blumenkrone  381. 
Blut  304. 
Blutegel  635. 
Blutfarbstoff  305. 
Blutkuchen  305. 
Blutlaugensalz  286,  287. 
Blutwasser  305.   h 
Bockshornsamen  606. 
Bolus  196. 
Bor  160. 
Boragineae  480. 
Borago  480. 
Borax  179. 
Boretsch  480. 
Borfluorwasserstoffsäure 

163. 
Borsäure  162. 
Boswellia  524. 
Bougies  669. 
Bractea  360. 
Brandharze  313. 
Brandöle  313. 
Branntwein  253. 
Brassica  529. 
Braunstein  199. 
Brayera  514. 
Brechungsexponent   des 

Lichtes  55. g 
Brechweinstein  226. 
Brechwurzel  547. 
Brennhaare  368. 
Brennpunkt  54,  63. 
Brille  67. 
Brom  151. 
Bromkalium  178. 
Bromum  151. 
Bromwasser  151. 
Bromwasserstoff  153. 
Brucin  301. 
Brückenwage  17.  W, 
Brunnenwasser  120. 
Bryonia  512. 
Bürette  345. 
Buettneriaceae  540. 
Bulbotuber  358. 
Baibus  357. 
-  Scillae  565. 
Burgunderharz  616. 
Buttersäure  260. 
Buxbaum  473. 


c. 

Cadmium  sulfuricum  213. 
Caesalpiniaceae  521. 
Caesium  187. 
Cajeputöl  626. 
Calabarbohne  606. 
Calamus  458. 
Calcaria  chlorata  190. 
-  usta  187. 
Calcium  carbonicuml89. 

—  phosphoricum  190. 

—  sulfuricum  190. 
Callitris  466. 
Calomel  237. 
Calorie  36. 
Calyx  381. 
Cambium  417. 
Campanulaceae  502. 
Campecheholz  567. 
Camphora  476,  626. 
Cannabis  472. 
Cantharides  633. 
Capillarität  7. 
Capillarröhrchen  7. 
Capita  Papaveris  596. 
Capitulum  873. 
Caprifoliaceae  504. 
Capsicum  480. 
Capsula  396. 
Caramel  249. 

Carbo  155. 
Carb olsäure  816. 
Carbolschwefelsäur  e  3 1 6 . 
Cavboneum  sulfuratum 

157. 
Carex  456. 
Caricae  599. 
Carlina  496. 
Carrageen  609. 
Caruni  508. 
Caryophylleae  528. 
Caryophylli  592. 
Caryopsis  395. 
Cassia  521. 
Castor  631. 
Castoreum  681. 
Catechu  622. 
Caulis  352. 
Cellulares  444. 
Cellulose  246. 
Centaurea  496. 
Centimeter  3. 
Centrifugalkraft  3. 


Centrifugalmaschine  3. 
Cephaelis  504. 
Gera  634. 
Cerata  648. 
Ceratonia  521. 
Cereoli  671. 
Cerussa  215. 
Cetaceum  632. 
Cetraria  449. 
Chalaza  404. 
Chelidonium  530. 
Chenopodeae  474. 
Chenopodium  474. 
Chinarinde  570. 
Chinin  300. 
Chino'idin  301. 
Chlor  144. 
Chloraethyl  267. 
Chloral  267. 
Chloralhydrat  268. 
Chlorammonium  183. 
Chlorbaryum  195. 
Chlorcalcium  191. 
Chlorhydrat  144. 
Chlorige  Säure  146. 
Chlorkalk  190. 
Chlornatrium  175. 
Chloroform  268. 
Chlorophyll  431. 
Chlorsäure  146. 
Chlorstickstoff  184. 
Chlorwasser  144. 
Chlorwasserstoff  147. 
Chlorzink  212. 
Chondrus  448. 
Chrom  200. 
Chromalaun  200. 
Chromeisenstein  200. 
Chromoxyd  200. 
Chromsäure  200. 
Chrysarobin  296. 
Chrysophansäure  295. 
Cichoraceae  495. 
Cicuta  510. 
Cinchona  502. 
Cinchonaceae  502. 
Cinchonin  301. 
Cinchoninum  sulfuricum 

301. 
Cinnabaris  239. 
Cinuamoinum  476. 
Citrone  602. 
Citronenschale  602. 
Citronensäure  279. 


698     — 


Citrullus  510. 
Citrus  540. 
Claviceps  450. 
Cnicus  496. 
Codein  299. 
Coccionella  634. 
Coccus  634. 
Cochenille  634. 
Cochlearia  530. 
Cocos  458. 
Codeinum  299. 
Coffea  504. 
Coffein  302. 
Cognak  254. 
Cohäsion  5. 
Colchicaceae  458. 
Colchicum  459. 
Colla  piscium  633. 
Collodium  247. 
Collophonium  618. 
Complementärfarben  61. 
Compositae  494. 
Compressionspumpe   32. 
Conchae  635. 
Coniferae  464. 
Coniin  302. 
Conium  510. 
Constante  Kette  77. 
Conus  400. 
Convolvulaceae  481. 
Convolvulus  481. 
Copaifera  521. 
Copaivabalsam  624. 
Coriandrum  510. 
Corolla  381. 
Coiiex  Cascarillae  567. 

—  Chinae  570. 

—  Cinnamomi  568. 

—  —  Zeylanici  568. 

—  Condurango  568. 

—  Frangulae  569. 

—  fructus  Aurantii  602. 
Citri  602. 

-  Juglandis  003. 

-  Granati  568. 

—  Mezerei  570. 

—  Quercus  569. 
Corymbus  373. 
Cotyledo  404. 
Cremocarpium  397. 
Cremor  Tartari  277. 
Crocus  460,  593. 
Croton  473. 
Cruciferae  528. 


Cubeba  470,  599. 
Cubus  12. 
Cucumis  510. 
Cucurbitaceae  510. 
Cuprum  aceticum  220. 

—  aluminatum  220. 

—  oxydatum  219. 

—  sulfuricum  219. 

—  —  ammoniatum  220. 
Cupula  398. 
Cupuliferae  466. 
Curcuma  462.  561. 
Cyan  284. 
Cyankalium  286. 
Cyansäure  284. 
Cyanwasserstoff  a  286. 
Cydonia  516. 

Cyma  374. 
Cyperaceae  455. 

D. 

Dammara  446. 
Danimarharz  616. 
Dampfmaschine  33. 
Daphne  476. 
Datura  480. 
Daucus  510. 
Decimalwage  17. 
Deckblätter  360. 
Deklinationsnadel  83. 
Decocta  659. 
Dekandria  435. 
Delphinium  536. 
Destillation  45. 

—  trokene  312. 
Dextrin  248. 
Diadelphia  435. 
Dialyse  2. 
Diamant  155. 
Diandria  435. 
Dichte  3, 

Dicotyledones  444,  464. 
Didynamia  435. 
Diffusion  7. 
Digestionen  660. 
Digitalis  490. 
Digynia  438. 

DiU  506. 
Dimorph  15. 
Dioecia  435. 
Dispersion    des    Lichtes 

59. 
Dithionige  Säure  131. 


Dodekandria  435. 
Dolde  373. 

Doldengewächse  505. 
Doldentraube  373. 
Donner  71. 
Dorema  510. 
Dorsch  674. 
Dost  486. 
Drachenblut  620. 
Drachme  4. 
Druckpumpe  29. 
Drüsenhaare  370. 
Drupa  398. 
Duramen  422. 

E. 

Ebenstrauss  373. 
Eberwurzel  546. 
Ebur  ustum  155. 
Ecballion  512. 
Echo  51. 
Ehrenpreis  490. 
Eibe  465. 
Eibisch  538. 

—  blätter  584. 

—  wurzel  548. 
Eiche  468. 
Eicheln  608. 
Eichen  391. 
Eichenrinde  568. 
Eisen  201. 
Eisenalaun  197. 
Eisenchlorid  207. 
Eisenchlorür  207. 
Eisenhut  536. 
Eisenjodür  208. 
Eisenoxyd  205. 
Eisenoxydul  203. 
Eisensalmiak  207. 
Eisensäuerlinge  205. 
Eisenvitriol  204. 
Eisenzucker  206. 
Eiweiss  305,  402. 
Elaeosaccharum  666. 
Elaeopten  289. 
Elaphomyces  450. 
Elastizität  2. 
Electuarium  661. 
Elektrisiermaschine  721 
Elektrizität  68. 
Elektrolyse  80. 
Elektromagnet  84. 
Elektrometer  73. 


6UD 


Elektromotor  76. 
PJlektrophor  72. 
Elektroskop  73. 
Element,  chemisches  77, 
88. 

—  galvanisches  76. 
Elemi  619. 
Elettaria  462. 
Elixir  642. 
Embryo  403. 
Emplastrum  648,  669. 

-  Cerussae  274. 

—  fuscum  274. 

—  Lithargyri  274. 
Emulsionen  656. 
Endocarpium  394. 
Endogenae  444. 
Endosmose  4. 
Engelwurzel  545. 
Enneandria  435. 
Enzian  481. 
Enzianwurzel  549. 
Epiblema  424. 
Epicarpium  394. 
Epidermis  424. 
Epithelium  424. 
Equisetaceae  452. 
Erdbeere  514. 
Erdrauch  532. 
Ericaceae  492. 
Ervthraea  481. 
Essig  256. 
Essigäther  264. 
Essigsäure  256. 
Eucalyptus  517. 
Eugenia  517. 
Eukalyptusblätter  582. 
Euphorbia  473. 
Euphorbiaceae  472. 
Euphorbium  621. 
Exogenae  444. 
Extractum  642. 

—  Camis  306. 

—  Ferri  pomatum  279. 

F. 

Faba  Calabarica  606. 
Fallgesetze  23. 
Farben  58. 
Farnkräuter  451. 
Faulbaum  526. 
Faulbaumrinde  569. 
Federkrone  383. 


Feigen  599. 
Fei  Tauri  309. 
Feldspat  196. 
Fenchel  506,  595. 
Fernrohr  65. 
Ferridcyankalium  287. 
Ferrocyankalium  286. 
Ferrocyanzink  286. 
Ferrum  carbonicum  205. 

—  chloratum  207. 

—  citricum  280. 

—  dialysatum  207. 

—  jodatum  208. 

—  lacticum  308. 

—  oxydatum  205. 

—  —  saccharatum  206. 

—  phosphoricum  206. 

—  pulveratum  202. 

—  pyrophosphoricum 
206. 

—  reductum  202. 

—  sesquichloratum  207. 

—  sulfuricum  204. 
Ferula  510. 
Fette  270. 
Feuerschwaram  610. 
Fibrin  305. 
Fichtenharz  618. 
Ficus  472. 
Fieberklee  585. 
Filices  451. 
Fingerhutblätter  583. 
Flechten  447. 
Fleischextrakt  306. 
Fliegen,  spanische  633. 
Florentiner  Flasche  640. 
Flores  Arnicae  591. 

—  Aurantii  591. 

—  Benzoes  294. 

—  Chamomillae  Rom. 
589. 

—  —  vulg.  588. 

—  Cinae  589. 

—  Koso  590. 

—  Lavandulae  591. 

—  Malvae  arboreae  592. 
vulg.  592. 

—  Millefolii  589. 

—  Primulae  593. 

—  Rhoeados  593. 

—  Rosae  593. 

—  Sambuci  590. 

—  Sulfuris  126. 

—  Tiliae  591. 


Flores  Verbasci  592. 

—  Zinci  210. 
Flos  372. 

—  compositus  374. 
Flügelfrucht  398. 
Fluor  151. 
Fluorbor  162. 
Fluorescenz  60. 
Fluorkiesel  162. 
Fluorwasserstoff  154. 
Flusssäure  154. 
Focus  54,  63. 
Foeniculum  506. 
Folia  Althaeae  584. 

—  Aurantii  582. 

—  Belladonnae  582. 

—  Digitalis  583. 

—  Eucalypti  582. 

—  Farfarae  585. 

—  Jaborandi  586. 

—  Juglandis  586. 

—  Lauro-Cerasi  584. 

—  Malvae  584. 

—  Melissae  581. 

—  Menthae  crispae  581, 

—  —  piperitae  581. 

—  Millefolii  585. 

■ —  Nicotianae  582. 

—  Rosmarini  582. 

—  Rutae  585. 

—  Salviae  581. 

—  Sennae  586. 

—  Stramonii  583. 

—  Trifolii  über  585. 

—  Toxicodendri  585. 

—  Uvae  Ursi  584. 
Foliolum  356. 
Folium  369. 

—  compositum  366. 
Formicae  634. 
Fowlersche  Tropfen  685. 
Fragaria  514. 
Fraxinus  484. 
Freisamkraut  577. 
Frucht  394. 
Fruchtknoten  391. 
Fruchtschale  394. 
Fruchtzucker  249. 
Fructus  394. 

—  Anisi  stell.  598. 

—  —  vulg.  595. 

—  Aurantii  immaturi 
600. 

—  Cannabis  596. 


—     700     — 


Fructus  Capsici  599. 

—  Cardamomi  597. 

—  Carvi  595. 

—  Ceratoniae  596. 

—  Citri  602. 

—  Colocynthidis  599. 

—  Coriandri  596. 

—  Foeniculi  595. 
■ —  Juniperi  600. 

—  Lauri  600. 

—  Myrtilli  602. 

—  Papaveris  596. 

—  Petroselini  596. 

—  Phellandrii  595. 

—  Rhamni  cath.  600. 

—  Rubi  Idaei  600. 

—  Sabadillae  598. 

—  Sanibuci  600. 

—  Vanillae  597. 
Frutex  353. 
Fuligo  155. 
Fumaria  532. 
Fumigationes  Chlori  146. 
Fungi  447. 

Fungus  Chirurgoruni  610. 

—  laricis  610. 
Fuselöl  254. 

G. 

Gadus  632. 
Gährung  252. 
Galbanum  616. 
Galeopsis  488. 
Galgant  560. 
Gallae  611. 
Galläpfel  611. 
Galle  309. 

Gallusgerbsäure  282. 
Gallussäure  293. 
Galmei  209. 
Galvanische  Kette  76. 
Galvanismus  76. 
Galvanometer  84. 
Galvanoplastik  80. 
Garcinia  540. 
Gefässe  410. 
Gefässbündel  417. 
Gef  ässkryptogamen  451 . 
Geigenharz  618. 
Gelatinae  661. 
Gemma  356. 
Gemmae  Populi  579. 
Gentiana  481. 


Gentianeae  481. 
Gerbsäure  281. 
Germen  391. 
Geum  514. 
Gewicht  3. 

—  spezifisches  19. 
Gewürznelken  592. 
Gewürznelkenbaum  517. 
Giftlattich  573. 
Giftsumach  585. 
Gigartina  448. 

Gips  190. 

Glandes  Quercus  608. 
Glandulae  Lupuli  612. 
Glas  161. 
Glaubersalz  176. 
Gleichgewicht  8. 
Glycerin  272. 
Glyceryl  271. 
Glycocholsäure  309. 
Glycose  249. 
Glycoside  250. 
Glycyrrhiza  520. 
Glycyrrhizin  250. 
Gnaphalium  498. 
Gold  243. 
Goldchlorid  243. 
Goldschwefel  227. 
Gonolobus  482. 
Gossypium  538. 
Gottesgnadenkraut  575. 
Gräser  454. 
Gramineae  454. 
Gramm  4. 
Gran  4. 

Granatrinde  568. 
Graphit  155. 
Gratiola  490. 
Grauspiessglanzerz   224. 
Griffel  391. 
Grossularieae  512. 
Grünspan  220. 
Grubengas  156. 
Guajacum  524. 
Guajakharz  620. 
Guajakholz  566. 
Guarana  624. 
Gummi  248. 

—  arabicum  615. 
Gummigutt  618. 
Gummiharze  293. 
Gusseisen  201. 
Guttapercha  621. 
Gutti  618. 


Guttiferae  540. 
Gymnospermia  438. 
Gynandria  435. 

H. 

Haar  öhrchen-  Anziehung 

7. 
Haematoxylon  521. 
Hagenia  514. 
Halbstrauch  353. 
Halm  352. 
Hammeltalg  632. 
Hammerschlag  203. 
Hanf,  indischer  578. 
Hanfsamen  596. 
Harn  310. 
Harnsäure  311. 
Harnstoff  310. 
Harnzucker  249. 
Harze  292. 
Haselwurz  554. 
Hauhechel  518. 
Hauhechelwurzel  544. 
Hausenblase  633. 
Haustorium  352. 
Hebel  15. 
Heber  26,  28. 
Hedera  512. 
Hefe  252. 

Heidelbeere  494,  602. 
Helichrysum  498. 
Helleborus  536. 
Helminthochorton  448. 
Hernieder  14. 
Hepar  Sulfuris  173. 
Heptandria  435. 
Herba  352. 

—  Absinthii  572. 

—  Cannabis  indicae  578. 

—  Cardui  benedicti  573. 

—  Centaurii  575. 

—  Chelidonii  577. 

—  Chenopodii    ambro-  - 

sioidis  578. 

—  Cochleariae  576. 

—  Conii  576. 

—  Galeopsidis  574. 

—  Gratiolae  575. 

—  Hyoscyami  574. 

—  Lactucae  573. 

—  Linariae  576. 

—  Lobeliae  575. 

—  Majoranae  574. 


701 


Herba  Meliloti  577. 

—  Polygalae  578. 

—  Pulsatillae  577. 

—  Serpylli  573. 

—  Spilanthis  573. 

—  Thymi  574. 

—  Violae  tricoloris  577. 
Herbstzeitlose  459. 
Hexaeder  12.  J 
Hexandria  435. 
Himbeere  514,  601. 
Hippursäure  294. 
Hirschbrunst  450. 
Hirschhorngeist  318. 
Hirschhornöl  318. 
Hirschhornsalz  184,  318. 
Hirudines  635. 

H  Öhrrohr  52. 
Höllenstein  241. 
Hohlspiegel  54. 
Hohlzahn  574. 
Hollunder  504. 

—  beeren  601. 

—  blurnen  590. 
Holzessig  314. 
Holzgeist  314. 
Holzkohle  155. 
Holzstamm  352. 
Holzteer  315. 
Honig  634. 
Honigklee  518. 
Hopfen  472. 
Hopfenmehl  612. 
Hüllkelch  374. 
Hülse  396. 
Huflattich  585. 
Humulus  472. 
Hundskamille  498. 
Hundspetersilie  506. 
Hutpilze  450. 
Hydrargyrum  233. 

—  bichloratum  236. 

—  bijodatum  238. 

—  chloratum  237. 
■ —  cyanatum  287. 

—  jodatum  238. 

—  nitricum  235. 

—  oxydatum  236. 

—  praecip.  alb.  238. 

—  sulfuratum  239. 
Hydrothionammonniak 

185. 
Hydrostatische  Wage  21. 
Hydroxyde  102. 


Hymenomycetes  450. 
Hymenoptera  634. 
Hyoscyamus  478. 
Hypericum  540. 
Byphonrycetes  450. 

I. 

Jaborandiblätter  586. 
Jahresringe  422. 
Jalape  564. 
Jateorrhiza  536. 
Ignatiusbohnen  482. 
Ikosandria  435. 
Illicium  536.. 
Imperatoria  510. 
Indicum  624. 
Indigo  624. 
Indigofera  521. 
Induktionsapparat  86. 
Infusa  658. 
Ingwer  561. 
Inhalationsapparat  29. 
Inklinationsnadel  83. 
Inula  500. 
Inulin  247. 
Involucrum  360. 
Jod  151. 
Jodblei  214. 
Jodkalium  173. 
Jodoform  269. 
Jodschwefel  153. 
Jodstärke  151. 
Jodstickstoff  184. 
Jodtinktur  151. 
Jodum   151. 
Jodwasserstoff  153. 
Johannisbrot  596. 
Johanniskraut  540. 
Ipomöa  481. 
Irideae  460. 
Iris  460. 
Isolator  69. 
Isomerie  107. 
Isomorph  15. 
Juglans  468. 
Juniperus  465. 

K. 

Kabeljau  632. 
Kadmium  213. 
Käfer  633. 
Kältemischungen  39. 


Käsestoff  306. 
Kätzchen  373. 
Kaffeebaum  504. 
Kaffem  302. 
Kakao  623. 
Kalabarbohne  606. 
Kali  169. 

—  causticum  fusmn  171. 
Kalihydrat  171. 
Kalilauge  171,  174. 
Kalisalze  171. 
Kalium  168. 

—  aceticum  172. 

—  bicarbonicum  170. 

—  bichromicum  200. 

—  bromatum  173. 

—  carbonicum  170. 

—  chloricum  171. 

—  ferricyanatum  287. 

—  ferro  cyanatum  286. 

—  hyperoxydatum  169. 

—  jodatum  173. 

—  nitricum  171. 

—  rhodanatum  288. 

—  permanganicum  199. 

—  sulfocyanatum  288. 

—  sulfuratum  173. 

—  sulfuricum  171. 

—  tartaricum  278. 
Kalk  187. 
Kalkhydrat  188. 
Kalksalze  189. 
Kalkspat  189. 
Kalkstein  189. 
Kalkwasser  188. 
Kalmus  456. 
Kalmuswurzel  559. 
Kalorie  36. 
Kalorimeter  39. 
Kamala  612. 
Kamille  498,  588. 
Kampfer  626. 
Kampferbaum  476. 
Kandis  249. 
Kapillarität  7. 
Kapsel  396. 
Kardobenediktenkraut 

573. 
Kardamom  597. 
Karpellblätter  390. 
Kartoffel  478. 
Kasein  306. 
Kaskarillrinde  567. 
Katechu  622. 


702 


Kathode  80. 
Kautschukbaum  473. 
Keil  24. 
Keim  403. 
Keimblätter  403. 
Keimpflänzchen  403. 
Kelch  381. 
Kelp  151. 
Kernobst  516. 
Kesselstein  120. 
Kiefer  465. 
Kiefersprossen  579. 
Kienruss  155. 
Kiesel  160. 
Kieselfluorwasserstoff- 

säure  163. 
Kieselsäure  160. 
Kilogramm  4. 
Kino  623. 
Kirschlorbeerblätter 

584. 
Klammerwurzel  352. 
Klatschrose  530,  593. 
Kleber  431. 
Klee  520. 
Kleesalz  280. 
Kleesäure  280. 
Klette  496. 
Klettenwurzel  547. 
Klinorhombische  Säule 

13. 
Knallgas  122. 
Knochenasche  190. 
Knochenkohle  155. 
Knolle  358. 
Knospe  356. 
Kochsalz  175. 
Königswasser  149. 
Köpfchen  373. 
Kohäsion  5. 
Kohl  529. 
Kohle  154. 
Kohlenhydrate  246. 
Kohlenoxyd  156. 
Kohlensäure  157. 
Kohlensulfid  157. 
Kohlenwasserstoff  156. 
Koloquinte  599. 
Kokosöl  628. 
Komplementärfarben  61. 
Kompressionspumpe  32. 
Konstante  Kette  77. 
Kopaivabalsam  624. 
Korbblütler  494. 


Koriander  596. 
Kork  424. 
Krameria  584. 
Krauseminze  581. 
Kreatin  306. 
Kreatinin  306. 
Kreide  189. 
Kreosot  316. 
Kreuzblütler  528. 
Kreuzdorn  526. 
Kreuzdornbeeren  600. 
Krotonöl  627. 
Kryptogamen  447. 
Kryptogarnia  435. 
Krystalle  10. 
Krystallisation  10. 
Kry  s  tallsy  steme  1 1 . 
Krystallwasser  11. 
Kubeben  599. 
Kubus  12. 

Küchenschelle  535,  577. 
Kümmel  595. 
Kupfer  217. 
Kupferalaun  220. 
Kupferkies  217. 
Kupferoxyd  219. 
Knpferoxydul  218. 
Kupfervitriol  219. 
Kusso  590. 

L. 

Labiatae  485. 
Lackmus  624. 
Lackmuspapier  323. 
Lactuca  496. 
Lactucarium  621. 
Lärche  466. 
Lärchenschwamm  610. 
Lagerpflanzen  447. 
Lakriz  623.  |§t 
Laminaria  448,  609. 
Lappa  496. 
Lapis  divinus  220. 
—  infernalis  241. 
Larix  466. 
Larvenblütler  488. 
Latente  Wärme  38. 
Latex  423. 
Latwerge  661. 
Laurineae  474. 
Laurus  476. 
Lavandula  488. 
Lavendel  488,  591. 


Lebensbaum  579. 
Leberthran  632. 
Lederkork  425. 
Legumen  396. 
Leidener  Flasche  73. 
Leinkraut  576. 
Leinsamen  605. 
Levisticum  508. 
Leuchtgas  317. 
Liehen  islandicus  609. 
Lichenes  447. 
Licht  52. 

—  elektrisches  79. 
Liebstöckel  508. 

—  wurzel  545. 
Lignum    campechianum 

567. 

—  Fernambuci  567. 

—  Guajaci  566. 

—  Quassiae  566. 

—  Sassafras  566. 
Ligula  360. 
Liliaceae  459. 
Linaria  490. 
Linde  540. 
Lindenblüten  591. 
Lineae  523. 
Linimentum  646,  667. 
Linsen,  optische  62. 
Linum  524. 
Lippenblütler  485. 
Liquidambar  470. 
Liquor  Aluminii  acetici 

198. 

—  Ammonii  acetici  185. 

—  carbonici  184. 

—  caustici  182. 

—  succinici  294. 

—  sulfurati  185. 

—  Ferri  acetici  206. 

—  — ■  oxychlorati  207. 
-  — sesquichlorati207. 

—  —  sulfuricioxyd.  204. 

—  hollandicus  269. 

—  Kalii  acetici  172. 

—  —  arsenicosi  23ü. 
-~  —  carbonici  170. 

—  Kali  caustici  171, 174. 

—  Natri  caustici  178. 

—  Plumbi   subacetici 
216. 

Liquor    Stibii     chlorati 

225. 
Liter  3. 


703     — 


Lithargyrum  214. 
Lithium  187. 

—  carbonicum  187. 
Lobelia  502. 
Lobeliaceae  502. 
Löffelkraut  530,  576. 
Löwenzahn  496. 

—  wurzel  547. 
Lorbeer  476.* 
Lorbeeren  600. 
Lorbeeröl  271. 
Luft,  atmosphärische 

116. 
Luftdruck  26. 
Luftpumpe  30. 
Lungenkraut  481. 
Lupe  64. 
Lupuli n  612. 
Lycopodiaceae  452. 
Lycopodiurn  452,  611. 
Lytta  633. 

M. 

Macerationen  660. 
Macis  608. 

Magisterium    Bismuthi 
222. 

gnesia  192. 
usta  192. 
Magnesit  194. 
Magnesium  192. 

—  carbonicum  194. 

—  citricum  280. 

—  sulfuricum  193. 
Magnet  83. 
Magnetismus  82. 
Magnetnadel  83. 
Magnoliaceae  536. 
Mallotus  473. 
Malva  538. 
Malvaceae  536. 
Malvenblätter  584. 
Malvenblüten  592. 
Mandelbaum  516. 
Mandeln  606. 
Mangan  199. 
Mangansuperoxyd  199. 
Manganum    sulfuricum 

199. 

—  superoxydatum    199. 
Manna  614" 
Manna-Esche  434. 
Mannit  250. 


Manometer  34. 
Maranta  462. 
Marantaceae  462. 
Margarinsäure  271,  274. 
Mariotte's  Gesetz  6. 
Mark  418. 
Markscheide  422. 
Markstrahlen  422. 
Marrubium  488. 
Marsh'scher    Apparat 

232. 
Mastix  619. 
Matricaria  498. 
Medicinalgewicht  4. 
Meerrettig  530. 
Meerwasser  121. 
Meerzwiebel  565. 
Meiran  574. 
Meisterwurz  510. 
Meisterwurzel  557. 
Mel  634. 
Melaleuca  517. 
Melasse  249. 
Melilotus  518. 
Melis  248. 
Melissa  486. 
Melissenblätter  581. 
Menispermeae  536. 
Mennige  215. 
Mentha  486. 
Menyanthes  482. 
Metalle  163. 
Metamerie  107. 
Metaphosphorsäure  142. 
Meter  3. 

Methylalkohol  255,  314. 
Mikroskop  62. 
Milch  306. 
Milchsäure  307. 
Milchsaft  423. 
Milchzucker  249. 
Mimosaceae  522. 
Mineralwasser  121. 
Mineralwasserapparate 

158. 
Minium  215. 
Mistel  476. 
Mixtura  sulfurica  acida 

264. 
Mixturen  651. 
Mohn  530. 
Mohnköpfe  596. 
Mohnsamen  604. 
Mohrs  Wage  21. 


Moleküle  2,  92. 
Molekulargewicht  93. 
Molekulartheorie  94. 
Molken  307. 
Monadelphia  435. 
Monandria  435. 
Monocotyledones  444. 

454. 
Monoecia  435. 
Monogynia  438. 
Monopetalae  444. 
Moos,   irländisches   609. 
-  isländisches  609. 
Morphin  299. 
Moschus  631. 
Mucilago  660. 
Muskatblüte  608. 
Muskatnuss  607. 
Muskatnussbaum  476. 
Muskatnussöl  645. 
Mutterkorn  610. 
Myristica  476. 
Myristiceae  476. 
Myronsaures  Kali  291. 
Myroxvlon  520. 
Myrrha  617. 
Myrtaceae  517. 

N. 

Nachhall  51. 
Nachtschatten  478. 
Nadelhölzer  464. 
Naphtalin  318. 
Narbe  391. 
Narcotin  300. 
Natrium  175. 

—  aceticum  180. 

—  benzoicum  294. 

—  bicarbonicum  178. 

—  bromatum  176. 

—  carbonicum  177. 

—  chloratum  175. 

—  jodatum  176. 

—  nitricum  179. 

—  phosphoricum  179. 

—  pyrophosphoricum 
179. 

—  salicylicum  295. 

—  sulfuricum  176. 
Natron  175. 
Natronhydrat  175. 
Natronlauge  175. 
Nebenblatt  359. 


704     - 


Nebenblume  383. 
Nebenstaubgefässe   383. 
Nektar  382. 
Nelkenwurz  514. 
Nicotiana  478. 
Nicotin  302. 
Niesswurz  536. 
Niesswurzel  554,  560, 
Nitrocellulose  251. 
Nitroglycerin  276. 
Nitruni  171. 
Nuces  vomicae  642. 
Nuss  398. 
Nux  398. 

—  moschata  607. 

—  vomica  605. 

0. 

Oberhaut  423,  424. 
Objektivlinse  65. 
Oktaeder  11. 
Oktandria  435. 
Okularlinse  65. 
Ölbaum  482. 
Öle,  ätherische  288. 

—  fette  270. 
Olgas  157. 
Ölsäure  274. 
Önänthe  506. 
Olea  482. 

—  aetherea  288. 
Oleaceae  482. 
Olein  271. 

Oleum  animale  318. 

—  Cajeputti  626. 
— ■  Cocois  628. 

—  Crotonis  627. 

—  Jecoris  Aselli  632. 

—  Olivarum  627. 

—  phosphoratum  140. 

—  Ricini  627. 

—  Ilosae  627. 

—  Rusci  317. 
Olibanum  617. 
Olivenöl  627. 
Ononis  518. 
Operment  231. 
Opium  620. 
Orangen  538. 
Orchideae  460. 
Orchis  460. 
Origanum  486. 
Os  Sepiae  635. 


Ostrea  635. 
Ovarium  391. 
Oxalium  280. 
Oxalsäure  280. 
Oxydation  116. 
Oxyde  100. 
Oxygenium  118. 
Ozon  140. 

P. 

Paeonia  536. 
Palmae  456. 
Palmitinsäure  271,  274. 
Panicula  373. 
Papaver  530. 
Papaveraceae  530. 
Papilionaceae  517. 
Papinscher  Topf  38. 
Pappel  468. 
Pappelknospen  579. 
Pappus  383. 
Paracorolla  383. 
Paraffin  316,  317. 
Parakresse  573. 
Parastemones  383. 
Parenchyma  408. 
Pasta  Cacao  623. 
—  Guarana  624. 
Pastillen  664. 
Pedunculus  372. 
Pendel  25. 

Pentagondodekaeder  12. 
Pentagynia  438. 
Pentandria  435. 
Pepo  398. 
Pepsin  309. 
Pericarpium  394. 
Periderma  425. 
Perigonium  381. 
Perubalsam  625. 
Petala  382. 
Petersilie  566. 
Petersiliensamen  596. 
Petiolus  360. 
Petroleum  315. 
Petroleumäther  315. 
Petroselinum  506, 
Pfaffenröhrchen  496. 
Pfannen  stein  120. 
Pfeffer  470. 

Pfeffer,   spanischer   599. 
Pfefferminze  581. 
Pfingstrose  536. 


Pflaster  648. 
Phanerogamen  454. 
Phenol  316. 
Phenolphthalein  342. 
Phosphor  139. 
Phosphorige  Säure   141. 
Phosphorsäure  141. 
Phosphorsalz  185. 
Phosphorwaserstoff  141. 
Photographie  242. 
Physeter  632. 
Physostigma  521. 
Physostigmin  303» 
Picraena  524. 
Pillen  661. 
Pilocarpin  303. 
Pilocarpus  524. 
Pilze  447. 
Pimpinella  508. 
Pinus  465. 
Piper  470. 
Pipetten  348. 
Pirus  516. 
Pistacia  524. 
Pistillum  390. 
Pix  liquida  315. 
—  navalis  317. 
Plantago  485. 
Platin  245. 
Platinchlorid  245. 
Platinmohr  245. 
Platinschwamm  245. 
Platinum    bichloratum 

245. 
Plumbum  aceticum  216,. 
—  jodatum  214. 
Plumula  403. 
Podophyllus  526. 
Polarisation  54. 
Polarisationsapparat  56, 
Pollen  387. 
Polyadelphia  435. 
Polyandria  435. 
Polygala  534. 
Polygamia  435,  438. 
Polygoneae  473. 
Polygonum  473. 
Polygynia  438. 
Polypetalae  444. 
Polypodium  452. 
Polyporus  451. 
Polystichum  452. 
Poma  acida  601. 
Pomaceae  516. 


705 


Pomeranze  540. 
Pomeranzen,  unreife  601. 
Pomeranzenblätter  582. 
Pomeranzenblüten  591. 
Pomeranzenschale  602. 
Pomuni  399. 
Populus  468. 
Porosität  1. 
Porzellan  196. 
Pottasche  169. 
Potentilla  514. 
Potwal  632. 
Primula  482. 
Primulaceae  482. 
Prisma  11. 
Prosen chyma  410. 
Prote'instoffe  305. 
Protoplasma  408. 
Prunus  516. 
Psych otria  504. 
Pterocarpus  520. 
Pulmonaria  481. 
Pulpa  399. 

-  Tamarindorum  603. 
Pulver es  665. 
Punica  517. 
Pupille  66. 
Putamen  398. 
.Pyknometer  20. 
Pyrogallussäure  283. 
Pyrometer  44. 
Pyrophosphorsäure  142. 

<}• 

Quarz  161. 
Quassia,  524,  566. 
Quecke  558. 
Quecksilber  233. 
Quecksilberchlorid   236. 
Quecksilberchlorür  237. 
Quecksilberjodid  238. 
Quecksilberjodür  238. 
Quecksilberoxyd  236. 
Quecksilberoxydul    236. 
Quecksilberpräcipitat 

238. 
Quecksilbersublimat 

236. 
Quecksilbersulfid  239. 
Quellwasser  120. 
Quendel  573. 
Quercus  468. 


Quitte  516. 
Quittensamen  607. 


R. 

Racemus  373. 
Radicula  403. 
Radix  349. 

—  Alkannae  547. 

—  Althaeae  548. 

—  Angelicae  545. 

—  Arnicae  553. 

—  Artemisiae  556. 

—  Asari  554. 

—  Bardanae  547. 

—  Belladonnae  549. 

—  Calinae  546. 

■ —  Colombo  550. 

—  Gentianae  549. 

—  Helenii  550. 

—  Hellebori  viridis  554. 

—  Ipecacuanhae  547. 

—  Levistici  545. 

—  Liquiritiae  543. 

—  Ononidis  544. 

—  Pimpinellae  545. 

—  Pyrethri  546. 

—  Ratankia.e  544.    ' 
-  Rhei  551." 

—  Saponariae  547. 

—  Sarsaparillae  555. 
— -  Scammoniae  549. 

—  Senegae  546. 

—  Serpentariae  553. 

—  Taraxaci  547. 

—  Turpethi  549. 

—  Valerianae  552. 
Ranunculaceae  534. 
Raphanus  530. 
Raps  529. 
Rautenblätter  585. 
Realgar  231. 
Receptaculum  floris  378. 
Reflexion  des  Lichtes  54. 
Regenbogen  59. 
Regenwasser  120. 
Reibung  2,  36. 
Repulsivkraft  5. 
Resina  Dainmar  618. 

—  Draconis  620. 

—  Guajaci  620. 

—  Pini  618. 
Resonanzboden  50. 


Schlickum  ,  Apothekerlehrling. 


Rettig  530. 
Rhabarber  551. 
Rhamneae  526. 
Rhamnus  526. 
Rheum  474. 
Rhizoma  351. 

—  Calami  559. 

—  Caricis  558. 

—  Chinae  562. 

—  Curcumae  561. 

—  Filicis  562. 

—  Galangae  560. 

—  Graminis  558. 

—  Iniperatoriae  557. 

—  Iridis  559. 

—  Tormentillae  558. 

—  Veratri  560. 

—  Zedoariae  561. 

—  Zingiberis  561. 
Rhodankalium  288. 
Rhombendodekaeder  12. 
Rhombische  Säule  13. 
Rhomboecler  14. 

Rhus  526. 
Ribes  512. 
Ricinus  473. 
Ricinusöl  627. 
Riedgräser  455. 
Riementang  609. 
Rispe.  373. 
Rittersporn  536. 
Rohrzucker  248. 
Rosa  514. 
Rosaceae  512. 
Rosen  593. 
Rosenöl  627. 
Rosmarinblätter  582. 
Rosmarinus  488. 
Rottlera  473. 
Rubiaceae  502. 
Rubidium  187. 
Rubus  514. 
Rum  254. 
Ruta  524. 
Rutaceae  524. 

S. 

Sabadilla  459. 
Sabadillsamen  598. 
Saccharum  248. 
Saccharum  lactis  249. 

Sadebaum  578. 

45 


706 


Safran  598. 

Sal  Ammoniaci  183. 

—  Cornu  cervi  184. 

—  duplicatum  171. 

—  Glauberi  176. 

—  Tartari  170. 

—  volatile  184. 
Salbei  581. 
Salben  647,  668. 
Salep  568. 
Salicin  250. 
Salicineae  468. 
Salicylsäure  295. 
Salix  468. 
Salmiak  183. 
Salmiakgeist  182. 
Salpeter  171. 
Salpetersäure  136. 
Sal  via  488. 
Salzäther  267. 
Salzsäure  147,  148. 
Samara  398. 
Sambucus  504. 
Samen  402. 
Samenkern  402. 
Samenlappen  404. 
Samenschale  402. 
Samenträger  391. 
Sandaraca  619. 
Sanguis  Draconis  620. 
Sanguisuga  635. 
Santonin  296. 

Sapo  medicatus  273. 
Saponaria  523. 
Sarmentum  351. 
Sassafras  476,  566. 
Sattelwage  18. 
Saturationen  655. 
Säuerlinge  121. 
Sauerkirschen  600. 
Sauerstoff  118. 
Saugheber  28. 
Saugpumpe  28. 
Saugwurzel  352. 
Scapus  372. 
Schachtelhalm  452. 
Schafgarbe  500,  585,  589. 
Schaft  372. 
Schalfrucht  395. 
Schall  48. 
Scheeles  Grün  230. 
Scherbenkobalt  229. 
Schierling  576. 
Schiessbaumwolle  247. 


Schiesspulver  171, 

Schirmtraube  373. 

Schizocarpium  397. 

Schlämmen  638. 

Schlangenwurzel  553. 

Schliessfrüchte  395. 

Schlippesches  Salz   228. 

Schlüsselblumen  593. 

Schmalz  632. 

Schmarotzerpflanzen 
352. 

Schmetterlingsblütler 
517. 

Schnellwage  18. 

Schöllkraut  530,  577. 

Schössling  351. 

Schote  398. 

Schraube  25. 

Schwammkohle  156. 

Schwammkork  425. 

Schwämme  449. 

Schwärmfäden  452. 

Schwefel  125. 

Schwefelalkohol  157. 

Schwefelammonium  185. 

Schwefelarsen  231. 

Schwefelcyankalium288. 

Schwefeleisen  130. 

S  chw  ef elkalin  m  173. 

Schwefelkies  126,  201. 

Schwefelkohlenstoff  157. 

Schwefelleber  126. 

Schwefelmilch  126. 

Schwefelsäure  131. 

Schwefelwässer  121. 

Schwefelwasserstoff  128. 

Schwefelwasserstoff- 
wasser 128,  130. 

Schweflige  Säure  131. 

Schweineschmalz  682. 

Schweinfurter  Grün  230. 

Schwerkraft  8. 

Schwerpunkt  8. 

Schwerspat  195. 

Schwertlilie  460. 

Scilla  459. 

Scitamineae  462. 

Scrophularineae  488. 

Sebum  684. 

Seeale  cornutum  610. 

Sehweite  67. 

Sehwinkel  67. 

Seidelbast  570. 

Seife  278. 


Seifenkraut  523. 
Seifenwurzel  547. 
Semen  402. 

—  Cardui  Mariae   510. 

—  Colchici  604. 

—  Cj^doniae  607. 

—  Faeni  graeci  606. 

—  Hyoscyami  605. 

—  Lini  605. 

—  Myristicae  607. 

—  Papaveris  604. 

—  Quercus  608. 

—  Sinapis  607. 

—  Stramonii  605. 

—  Strychni  605. 
Senf  529,  607. 
Senföl  290. 
Senfteig  668. 
Sennesblätter  586. 
Sepia  685. 
Serum  lactis  307. 
Sicherheitsventil  33. 
Siebe  638. 

Silber  240. 
Silberoxyd  241. 
Sileneae  523. 
Silicium  160. 
Silicula  397. 
Siliculosa  438. 
Silikate  160. 
Siliquosa  438. 
Silyburn  496. 
Simarubeae  524. 
Sinapismus  668. 
Skrupel  4. 
Smilax  459. 
Smirgel  196. 
Soda  177. 
Solaneae  477. 
Solanum  478. 
Solidago  500. 
Solutio  arsenicalis  230. 
Spadix  373. 
Spaltfrüchte  397. 
Spaltöffnungen  424. 
Spanische  Fliege  633. 
Sparatrap  670. 
Spatha  860. 
Spektralanalyse  60. 
Spektralapparat  61.  ■ 
Spektrum  59. 
Spermophorum  391. 
Spezies  665. 
Spezifisches  Gewicht  19. 


TUT 


Spezifische  Wärine  39. 
Sphaerococcus  448. 
Spica  373. 
Spicula  373. 
Spiegel  53. 
Spiessglanz  224. 
Spiessglanzbutter  225. 
Spilantlies  498. 
Spiralfaserzellen  411. 
Spiralgefässe  413. 
Spiritus  252. 
-  Ätheris  chlorati  267. 

—  —  nitrosi  265. 
Splint  422. 
Spodium  155. 
Sporangien  452. 
Sporen  449. 
Spritznasche  29. 
Sprosse  356. 
Stabeisen  202. 
Stärkemehl  247. 
Stahl  202. 
Stahlwässer  205. 
Stamina  386. 
Stamm  352. 

Stannum  chloratum  224. 
Statisches  Moment  16. 
Staubbeutel  387. 
Staubgefässe  386. 
Staubpilze  478. 
Stauden  353. 

Stearin  272. 
Stearinsäure  271,  274. 
Stearopten  289. 
Stechapfel  480. 
Stechapfelblätter  583. 
Stech  apfelsamen  605. 
Stechheber  26. 
Steinfrucht  398. 
Steinklee  577. 
Steinöl  315. 
Steinobst  514. 
Steinsalz  175. 
Stellatae  502. 
Stempel  390. 
Sternanis  598. 
Stibiuni   sulfuratum  au- 
rantiacum  227. 

—  —  nigrum  227. 

rubeum  227. 

Stickstoff  135. 
Stickstoffoxyd  138. 
Stickstoflbxyclul  138. 
Stisnna  391. 


Stinkasant  616. 
Stipites  Dulcamarae565. 
Stipula  359. 
Stockrose  538,  592. 
Stöchiometrie  93. 
Stör  633. 
Stolones  351. 
Stomata  424. 
Storax  625. 
Strauch  353. 
Strobilus  373,  400. 
Strontian  195. 
Strontianit  195. 
Strontium  194. 
Strychnaceae  482. 
Strychnm  301. 
Strychnos  482. 
Stuhlzäpfchen  671. 
Stylus  391. 
Styraceae  485. 
Styrax  485. 
Styrax  liquidus  625. 
Suber  425. 
Sublimation  45. 
Succinum  619. 
Succus  Liquiritiae   623. 
Süssholz  543. 
Suffrutex  353. 
Sulfur  auratum  227. 

—  depuratum  126. 

—  jodatum  153. 

—  praecipitatum  128. 

—  sublimatum  126. 
Summitates  Sabinae578. 

—  Thujae  579. 
Sumpfluft  156. 
Suppositoria  671. 
Syconium  400. 
Symphytum  503. 
Syngenesia  435. 
Syrupi  645. 

Syrupus  Ferrijodati208. 

T. 

Tabak  480. 
Tabaksblätter  582. 
Talg  634. 
Talk  192. 

Tamarindenmus  603. 
Tamarindus  521. 
Tanacetum  496. 
Tange  447. 
Tannin  282. 


Taraxacum  496. 
Tartarus  boraxatus  279. 

—  depuratus  277. 

—  natronatus  278. 

-  stibiatus  226. 
Taurocholsäure  309. 
Tausendgül  denkraut 

575. 
Taxus  465. 
Teer  313. 
Teilbarkeit  1. 
Telegraphie,  elektrische 

84. 
Telephon  85. 
Terebinthaceae  524. 
Terebinthina  626. 
Terpentin  626. 
Tetradynamia  435. 
Tetraeder  14. 
Tetrandria  435. 
Tetrathionsäure  131. 
Teufelsdreck  616. 
Thalamus  378. 
Thallophyta  444,  447. 
Thallus  349. 
Theemischungen  665. 
Theobrama  540. 
Thermometer  42. 
Thon  196. 
Thonerde   195. 
Thonerdehydrat  198. 
Thuja  465. 
Thymelaeae  476. 
Thymian  574. 
Thymol  289. 
Thymus  486. 
Thyrsus  374. 
Tierkohle  155. 
Tilia  540. 
Tincturae  641. 
Tinctura    Fem    chlor. 

aether.  267. 

—  Jodi  151. 
Tollkirsche  480. 
Tollkirschenblätter  582. 
Tollkirschenwurzel  549. 
Tolubalsam  625. 
Toluifera  520. 
Tormentille  514. 
Tormentillwurzel  558; 
Tragacantha  615. 
Traganth  615. 
Traube  373. 
Traubenzucker  249. 


708     — 


Triandria  435. 
Trieblager  349. 
Trigonella  520. 
Trigynia  438. 
Triticuin  435. 
Trochisci  664. 
Trugdolde  374. 
Truncus  352. 
Tuber  358. 
Tabera  Aconiti  465. 

—  Jalapae  564. 

—  Salep  563. 
Turio  356. 
Turiones  Pini  579. 
Tussilago  500. 
Typentheorie  109. 

U. 

Übermangansaure  199. 
Ulmus  472. 
Umbella  373. 
Umbelliferae  505. 
Uncaria  504. 
Undurchdringlichkeit  1. 
Unguenta  647,  668. 
Unter  chlorige  Säure  146. 
Unterchlorsäure  146. 
Untersalpetersäure  138. 
Unterschweflige  Säure 

131. 
Unze  4. 
Urticaeeae  470. 

V. 

Vacciniurn  494. 
Vagina  360. 
Valeriana  504. 
Valerianeae  504. 
Vanilla  462,  597. 
Vasa  412. 
Vasculares  444. 
Veilchen  532. 
Veilchenwurzel  559. 
Veratrin  302. 
Veratrum  459. 


Verbascum  492. 
Verbena  492. 
Verdunstung  38. 
Veronica  490. 
Verstärkungsflasche  73. 
Verwesung  117. 
Verwittern  11. 
Viola  532. 
Vitis  526. 
Vitriol,  blauer  219. 

—  grüner  204. 

—  weisser  211. 
Vitriolöl  132. 
Voltasche  Säule  78. 

W. 

Wacholder  465. 
Wacholderbeeren  601. 
Wachs  634. 
Wärme  36. 
Wärmekapazität  39. 
Wärme,  latente  38. 
Wärmeleitung  40. 
Wärmestrahlung  40. 
Wage  17. 

Walnussblätter  586. 
Walrat  632. 
Wasser  120. 

—  destilliertes  121,  639. 

Wasserfenchel  595. 

Wasserstoff  128. 

Weihrauch  617. 

Wein  253. 

Weingeist  251. 

Weinsäure  276. 

Weinstein  277. 

Weinstock  520. 

Weizenstärke  613. 

Wermut  572. 

Wickel  874. 

Wiederhall  51. 

Wismut  221. 

Wismutoxyd  222. 

Wohlverleihblumen  591. 

Wolfsmilch  473. 

Wollblume  492,  592. 


Würfel  12. 
WundschwaEim  610. 
Wurmfarn  562. 
Wurmsamen  589. 
Wurzel  349. 
Wurzelblätter  359. 
Wurzelhaube  350. 
Wurzelstock  351. 

Z. 

Zapfen  373,  400. 
Zeitlose  459. 
Zeitlosensamen  604. 
Zelle  408. 
Zellkern  408. 
Zimt  568. 
Zimtsäure  295. 
Zincum  aceticum  212. 

—  chloratum  212. 

—  ferro  cyanatum  287. 

—  lacticum  308. 

—  oxydatum  210. 

—  sulfocarbolicum  316 

—  sulfuricum  211. 

—  valerianicum 
261. 

Zingiber  462. 
Zink  209. 
Zinkblende  209. 
Zinkoxyd  210. 
Zinkvitriol  211. 
Zinkweis s  210. 
Zinn  223. 
Zinnchlorür  224. 
Zinnober  239. 
Zinnoxyd  223. 
Zinnoxydul  223. 
Zitwerwurzel  561. 
Zitwersamen  (bluten) 
589. 

Zucker  248. 

Zuckerrohr  455. 

Zündmachine  124. 

Zwiebel  357. 

Zwiebelknolle  358. 

Zvgophylleae  524. 


Dr.  Hermann  Hagers  Werke. 

Manuale  pharmaceuticum.  Vol.  I.  Proinptuarium ,  quo  et  praecepta  notata  digna 
pharmacopoearum  variarum  et  ea,  quae  ad  paranda  medicamenta  in  pharma- 
copoeas  usitatas  non  recepta  sunt  etc.  Editio  quinta.  gr.  8.  1878.    M.  15. — 

Manuale  pharmaceuticum.  Vol.  II.  Adjumenta  varia  chemica  et  pharmaceutica  atque 
snbsidia  ad  parandas  aquas  minerales.     Editio  tertia.  gr.  8.     1876.       15. — 

Manuale  pharmaceuticum.  Suppl.  Pharmacopoeae  recentiores,  Die  haupt- 
sächlichsten Pharmacopoeen  des  In-  und  Auslandes.  Xeue  Aufl.  in 
Vorbereitung. 

Anleitung  zur  Fabrikation  künstlicher  Mineralwässer  und  der  Brausegetränke,  wie 
der  mnssirenden  Limonaden  und  Weine,  nebst  Beschreibung  der  dazu  er- 
forderlichen Apparate  und  Maschinen,  gr.  8.  Mit  zahlreichen  Holzschnitten. 
Zweite  umgearbeitete,  stark  vermehrte  Auflage.     1876.  4.50. 

Pharmacopoea  homoeopathica  nova  universalis.  Medicamenta  homoeopathica  et 
isopathica  omnia  ad  id  tempus  a  medicis  aut  examinata  aut  usu  recepta.  3. — 


Oskar  Schlicknms  Werke. 

Atlas ,  pharmaceutischer.  Bildliche  Darstellung  der  pharmaceutisch  wichtigen 
Gegenstände:  Apparate,  Instrumente,  Droguen,  arzneiliche  Gewächse  und 
Thiere  in  Holzschnitten.     Lex.-8.     1876.  9.— 

Der  chemische  Analytiker.  Die  qualitative  chemische  Analyse  in  Fragen  und 
Antworten.  Nebst  abgekürzten  Methoden  zu  pathologisch-  und  gerichtlich- 
chemischen Untersuchungen,  sowie  zur  Prüfung  der  Chemikalien,  natürlichen 
"Wasser  und  der  Ackererde.     2.  Aufl.     1875.  3. — 

Der  junge  Chemiker.  Gründliche  Einführung  in  das  Studium  der  Chemie  durch 
Experimente.  Mit  einer  kurzen  Darlegung  der  neuesten  chemischen  Theorie 
und  einem  physikalisch-chemischen  Wörterbuch.     2.  Aufl.     1875.  3. — ■ 

Exkursionsflora  für  Deutschland.  Kurze  Charakteristik  der  im  Deutschen  Reiche 
wildwachs,  u.  häufiger  kultivirten  Gefässpflanzen ;  nebst  e.  Anh. :  Bestimmung 
d.  Gattungen  nach  leicht  erkennb.  Merkmalen,  für  Pharmaceuten,  Mediciner 
u.Freunde  d.  Botanik.  Reich  ill.  1881.  InTaschenf.  5. — ,  In  handl.  Lwdbd.  6. — 

Special-Wörterbuch,  lateinisch -deutsches,  der  pharmaceut.  Wissenschaften  nebst 
Erklär,  d.  griech.  Ausdrücke,  sowie  e.  Autoren-Register  d.  Botanik.  Z.  Gebr. 
bei  sämtl.  Pharmacopoeen,  dem  Hagerschen  Manuale  pharm,  u.  a.  pharm, 
u.  botanischen  Schriften  u.  Floren.  1879.  10. — .  In  eleg.  Halbfrz.  geb.  12. — 

Taschenbuch  der  Receptur  und  Defektur.    Mit  zahlr.  Holzschnitten.    1874.   3. — 

Taschenwörterbuch  der  botanischen  Kunstausdrücke  nebst  kurzer  Charakteristik 
der  einheimischen  und  pharmaceutisch  wichtigen  ausländischen  Pflanzen- 
gattungen.    Mit  zwei  systemat.  Tabellen.     2.  Ausgabe.   1875.  3. — 


Ambühl,  Dr.  G. ,  Lebensmittelpolizei.     Anleitung  zur  Prüfung  und  Beurthei- 
lung  von  Nahrungs-  und  Genussmitteln.     1883.  3. — . 

Cieszynski,  T.,  Der  polnische  Apotheker.     Polnisch-latein.  Wörterbuch,  enthaltend 
die  in  polnischen  Gegenden  gebräuchl.  Namen  der  Arzneikörper.  1880.  3. 

RÖSSig,  G.,  Convolvulaceae  in  medicinisch-pharmaceutischer  Beziehung.  1876.  1.50 

Sendner,  Dr.  med.  H,  Die  Normaldosen  d.  Arzneimittel  nach  Unzen- u.  Grammengewicht. 
Nebst  Bemerk,  üb.  Bereit.,  Zusammensetz.  u.  Bestandtheile  d.  Arzneimittel.  1.50, 

Stromeyer,  W.,  Handverkaufs-Taxe  für  Apotheker,     gr.  8.  3. — 

(Für  alle  Zeiten,  Länder  und  Verhältnisse  passend.) 


Darwinistische  Schriften. 

Nr.  1.  Haeckel,  Ernst,  Das  Protistenreich.  Eine  populäre  Übersicht  über  das 
Formengebiet  der  niedersten  Lebewesen.  Mit  einem  wissenschaftlichen  An- 
hange: „System  der  Protisten".     Mit  zahlr.  Holzschn.    1878.  M  2.50 

Nr.  2.  Jaeger,  Prof.  Dr.  G.,  Seuchenfestigkeit  und  Konstitutionskraft  und 
ihre  Beziehung  zum  spezifischen  Gewicht  des  Lebenden.     1878.  M  3.— 

Nr.  3.  Kühne,  Dr.  H.,Die  Bedeutung  des  Anpassungsgesetzes  für  die  Heil- 
kunde.    1878.  M  2.— 

Nr.  4.  du  Perl,  Dr.  Carl,  Psychologie  der  Lyrik.  Beiträge  zur  Analyse  der 
dichterischen  Phantasie.     1880.  M  3.— 

Nr.  5.  Würtenberger,  L.,  Studien  über  die  Stammesgeschichte  derAmmo- 
niten.     Mit  4  Stammtafeln.     1880.  M  8.— 

Nr.  6.  Darwin,  Ch.,  und  Krause,  E.,  Dr.  Er asmus  Darwin  und  seine  Stellung  in 
der  Geschichte  der  Descendenz-Theorie.     Mit  Portrait.     1880.  M  3.— 

Nr.  7.  Allen,  Grant,  Der  Farbensinn,  sein  Ursprung  und  seine  Entwicklung.  Ein 
Beitrag  z.  vergleich.  Psychologie.  Mit  e.  Einl.  v.  Dr.  E.  Krause.  1880.  M  5.— 

Nr.  8.  du  Prel,  Dr.  Carl,  Die  Planetenbewohner  und  die  Nebularhypothese. 
Neue  Studien  zur  Entwicklungsgeschichte  des  Weltalls.     1880.  M  3.— 

Nr.  9.  Beichenau,  W.  von,  Die  Nester  und  Eier  der  Vögel  in  ihren  natürlichen 
Beziehungen  betrachtet.     1880.  M  2. — 

Nr.  10.  Schultze,  Prof.  Dr.  Fritz,  Die  Sprache  des  Kindes.  Eine  Anregung  zur, 
Erforschung  des  Gegenstandes.     1880.  "   M  1. — 

Nr.  11.  Schultze,  Prof.  Dr.  Fritz,  Die  Grundgedanken  des  Materialismus  und 
die  Kritik  derselben.     1881.  M  2  — 

Nr.  12.  Büchner,  Prof.  Dr.  Ludw.,  Die  Macht  der  Vererbung  und  ihr  Einfluss 
auf  den  geistigen  Fortschritt  der  Menschheit.     1882.  M  2.— 

Nr.  13.     Elfeid,  C.  J.,  Die  Religion  u.  der  Darwinismus.  Eine  Studie.  1883.  M  2.— 

Nr.  14.  Philipp,  S.,Ursprungu.  Lebenserscheinungen  der  tierischen  Organismen. 
Lösung  des  Problems  über  das  ursprüngl.  Entstehen  organ.  Lebens.  1883.  M  3. — 

Nr.  15.  Schultze,  Prof.  Dr.  Fritz,  Die  Grundgedanken  des  Spiritismus  und 
die  Kritik  derselben.     1883.  M  5.— 


D 


m.     i  „    t>     +  ••+    "1  vorzügl.  Photographie  in  Visite  M  1.— 

arwin,  Charles,  Portrat    I  B  °    *  in  Cabin   M  2  _ 

(letzte  Aufnahme)       f  "  in  Gross.Foiio  M  6._ 


du  Prel,  Dr.  Carl,  Entwicklungsgeschichte  des  Weltalls.  Versuch 

einer  Philosophie  der  Astronomie.     Dritte  verm.  Auflage   der   Schrift   „Der  Kampf 
ums  Dasein  am  Himmel".     1882.  M  6. — 

Schultze,  Prof.  Dr.  Fritz,  Philosophie  der  Naturwissenschaft.    Eine 

philosophische  Einleitung  in   das    Studium  der  Natur  und   ihrer  Wissenschaften. 
2  Bände.     1882.  M  18.— 

DRUCK   VON    EMIL    HERRMANN    SEN.,    LEIPZIG. 


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