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[Werner Sombart
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„Ein Volk ſtehet auf,
das andere verſchwindet,
aber Ifſrael bleibt ewig.”
Midraſch zu Pfalm 36,
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1761 00305365
UNIVERSITY OF TORONTO
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zig o Verlag von Duncker & Humblot a 1912
PURCHASED FOR THE
University of Toronto Library
FROM THE
Joseph and Gertie Schwartz
Memorial Library Fund
FOR THE SUPPORT OF
Jewish Studies
Werner Sombart
Die
Zukunft der Juden
*
„Ein Volk ftebet auf, das andere
verſchwindet, aber Iſrael bleibt ewig“
Midraſch zu Pſalm 36
Leipzig
Verlag von Duncker & Sumblot
1912
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1912 by Duncker & Humblot in Leipzig.
Altenburg
Piererſche Sofbuchdruckerei
Stephan Seibel & Co.
Seite
Bere lurgeben . 2000 ͤ K en en 5
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IV. Arterhaltung oder Artvernihtung?. . g 34
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VII. Volkstum und Menſchtvun uu 88
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} Arsen
l. Die Aufgabe
Wieder einmal iſt Iſrael in aller Munde. Wieder
einmal beſchäftigt die Frage nach der Zukunft der
Juden weite Kreiſe der Bevölkerung in allen Kultur—
ländern, weil die Gegenwart jeden Tag „die Juden—
frage“ uns wieder zum Bewußtſein bringt. Sier
bricht fie lärmend hervor in Geſtalt blutiger Po-
grome oder unblutiger Plünderung der Judenhäuſer,
wie in Rußland oder in England; dort regt fie
die Geiſter zu leidenſchaftlichem Kampfe in Wort
und Schrift auf, wie die Disfuffion der national⸗
jüdiſchen Bewegung in der Zioniſtenpreſſe; dort
endlich ſchwält die Flamme langſam unter Roblen
weiter und wirft nur Funken heraus in den aber-
tauſend Reibereien, die in allen Ständen der Alltag
bringt. a
Zwar in der öffentlichen Diskuſſion iſt von den
Juden, wenigſtens im Weſten Europas, wenig mehr
die Rede. Das beruht auf einer ſtillſchweigenden
— 5
Verabredung der großen liberalen Preſſe: „über
Thema“ nicht zu ſprechen. Man hegt in dieſen
Kreiſen die Hoffnung, daß die Zeit das Judenproblem
ſchon löſen werde, daß man auf dem beſten Wege
der Löſung ſei, und daß nur durch das ewige
Darüberreden der Seilungsprozeß dieſer Wunde (wie
man es nennt) aufgehalten werde.
Dieſe Totſchweigepolitik, unter der vor allem
breite Teile der Judenſchaft ſelber leiden müſſen,
die anderer Meinung ſind, denen aber keine „große“
Preſſe zur Verfügung ſteht, iſt aber verwerf⸗
lich. Nicht nur weil ſie nicht tapfer, ſondern
vor allem, weil ſie kurzſichtig und unklug iſt.
Wie kann ein Menſch wirklich glauben, daß das
größte Problem der Menſchheit ſtillſchweigend aus
der Welt geſchafft werden könnte? Ahnt man
denn nicht, daß man die Gegenſätze, die man ſo
gern vertuſchen möchte, nur tauſendmal ſchärfer
macht, wenn man ihre offene, rückſichtsloſe Aus;
tragung hindert? Schätzen die Leiter der großen
liberalen Blätter ihre Leſer ſo niedrig ein, daß ſie
nicht den Mut haben, ihnen zu berichten, was heute
in breiten Kreiſen der Judenſchaft an neuen
Idealen und neuen Zielen lebt?
Die Empörung vor allem über dieſe Politik
unſerer großen liberalen Preſſe hat mich veranlaßt,
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dieſe Schrift zu ſchreiben, um, was ich vermag, dazu
beizutragen, die Erörterung des Judenproblems
wieder in das breite Licht der Öffentlichkeit hinaus⸗
zutragen. Dazu kam ein perſönlicher Grund: ich
wollte nicht den Vorwurf der Feigheit auf mir
ſitzen laſſen, der offen und verſteckt gegen mich er⸗
hoben wurde: weil ich bisher zu dem Problem
der praktiſchen Judenpolitik keine Stellung ge
nommen hätte, obwohl ich ſo ausführlich über
Juden geſprochen habe.
Man hat es mir dann wieder von anderer Seite
verargt, daß ich mit dieſer Schrift, die keine wiffen-
ſchaftliche Abhandlung, ſondern nichts als eine
Bekenntnisſchrift fein will, aus der Referve beraus-
trete, die ich mir noch in meinem Buche: „Die
Juden und das Wirtſchaftsleben“ auferlegt hatte.
Die einen haben geſagt, ich würde damit den Ein⸗
fluß meines Buches abſchwächen; die anderen haben
mir zu verſtehen gegeben, daß mich die „inner⸗
jüdiſchen“ Angelegenheiten wie der Zionismus und
die nationaljüdiſche Bewegung nichts angingen, daß
es taktlos von mir wäre, als Nicht ⸗Jude darüber
zu reden.
Beide Arten von Bedenken halte ich nicht für
berechtigt. Wenn mein Buch über die Juden und
das Wirtſchaftsleben wiſſenſchaftliche Werte hat,
BR |
fo bleiben dieſe unberührt durch das, was ich nun,
ohne Anſpruch auf „Gbjektivität“ zu erheben, als
„Menſch und zeitgenoſſe“ über die Zukunft der
Juden ſage. Meine perſönlichen Meinungen über
dieſen Gegenſtand kann jeder ſeiner Überzeugung
nach annehmen oder ablehnen, ohne daß ſich darum
feine Stellung zu meinen wiſſenſchaftlichen Aus-
führungen zu ändern brauchte. Man wird das,
was ich als wiſſenſchaftliche Erkenntniſſe in meinem
Buche über die Stellung des Judentums in der
Geſchichte ausgeführt habe, zu trennen wiſſen von
dem, was ich als perſönliche Überzeugung, als ein
perſönliches Bekenntnis hier mit Bezug auf Zu⸗
kunftsfragen vortrage.
Mit Entſchiedenheit weiſe ich aber auch den an⸗
deren Einwand zurück: ich hätte als Nicht- Jude nicht
das Recht, über die zukunft der Juden zu ſprechen.
Ja wie denn? Iſt denn die Seſtaltung dieſer zukunft
wirklich eine innerjüdiſche Angelegenheit, wie etwa
die Regelung des Gottesdienſtes oder die Abſetzung
eines Bibliothekars der jüdiſchen Gemeinde? Wer
will uns dieſen Unſinn weismachen. Vielmehr iſt
das ein Problem, von deſſen Löſung der letzte unter
uns auf das empfindlichſte berührt wird. Ob ſich
die Juden „aſſimilieren“ ſollen oder national · jüdiſche
Politik treiben, ſoll uns Nicht ⸗Juden nichts an-
— 9 —
gehen?! Ja, ich wüßte nichts, was uns mehr an-
ginge. Mein — nicht nur das Recht, ſondern die
Pflicht haben wir alle, die wir uns durch jahre
langes Studium des Judenproblems einige Sach—
kenntnis erworben haben, unſere Anſicht über die
verſchiedenen Möglichkeiten zu äußern, wie die Zu—
kunft der Juden geſtaltet werden könne, da wir da⸗
mit die Möglichkeiten unſerer Rulturentwicklung
überhaupt in Frage ſtellen.
+ *
Don dem Standpunkte aus, von dem aus
die folgenden Zeilen geſchrieben ſind, ergeben
ſich von ſelbſt die Aufgaben, die dieſe Studie
zu erfüllen hat: der Prüfung der ziele aller
Judenpolitik und ihrer Bewertung muß eine
Unterſuchung der heutigen Lage der Judenheit
auf der Erde ſowie ein Überblick über die wahr—
ſcheinlichen Tendenzen ihrer Entwicklung vorauf⸗
gehen. 0
Die Durchführung dieſes Programms (die felbft-
verſtändlich nicht mehr als eine ſkizzenhafte fein will
und kann) erheiſcht zunächſt eine Überſicht über die
Zahl und die räumliche Verteilung der Juden und
bringt ſofort eine natürliche Einteilung der Juden
— 10 — 0
in verſchiedene große Gruppen mit ſich, deren B.
Dafeinsbedingungen fo verſchieden find, daß auch
ihre zukunft eine verſchiedene ſein wird (und ſein
ſoll), die alſo auch getrennt voneinander zu be-
handeln ſind: in die Gruppen der öſtlichen und
weſtlichen Juden, wie wir ſie nennen können, wobei
den weſtlichen Juden die neu nach Amerika gekom-
menen Scharen der Oſtjuden zugerechnet werden
ſollen.
Die Ziffern ſind folgende (nach den zuverläſſigen
Zufammenftellungen Dr. Arthur Ruppins in feinem
Buche: Die Juden der Gegenwart, 2. Aufl. 1911):
Im ganzen leben jetzt auf der Erde etwa
JJ ½/ Millionen Juden, davon entfallen auf Rußland
etwas über 5 Millionen, auf Galizien etwa J Million,
auf Rumänien ¼ Million, auf Ungarn J Million;
das find etwa 6 bis 7 Millionen, die wir als
„öſtliche“ Juden bezeichnen können (wobei die
Million ungariſcher Juden, von denen ein beträcht⸗
licher Teil in Budapeſt wohnt, zur Hälfte den weft-
lichen Juden zugerechnet wird). In Weſteuropa,
das heißt alſo in Ungarn (zur Sälfte), in Öfterreich
(außer Galizien), in Italien, den Niederlanden,
Frankreich, England, Deutſchland gibt es etwa
2 Millionen Juden (in Deutſchland rund 600000).
Zu dieſen „weſtlichen“ Juden geſellen ſich nun noch
— 11 —
die amerikaniſchen Juden, deren Zahl ſich jetzt eben-
falls auf etwa 2 Millionen beläuft (von denen
18 Millionen in den Vereinigten Staaten, über
eine Million in der Stadt Neupyork leben).
Der Reſt verteilt ſich auf Aſien, Afrika und
Auſtralien.
II. Die Judennot
Der größte Teil der Juden — faſt alle öftlichen
Juden — lebt in kümmerlichen Verhältniſſen, die
ſich vielerorts zu zuſtänden der Not, des Elends,
der Verzweifelung ausgeſtalten.
Rechtlich werden ſie in Rumänien als „Fremde“,
in Rußland als Salbbürger behandelt; in beiden
Ländern find ihre ſtaatsbürgerlichen Rechte be-
ſchränkt.
Die große Maſſe der in Rußland anſäſſigen
Juden lenkt unſere Aufmerkſamkeit immer in erſter
Linie dieſem Lande zu. Rußland hat die Menge
Juden, weil es die Erbſchaft des Königreichs Polen
angetreten hat. Dort — in Polen — hatte ſich im
Laufe des Mittelalters der größte Teil der Juden,
die von überall vertrieben wurden, angeſammelt,
und von dorther haben ſie ſich dann nach Weſten
und nach Oſten ſeit dem achtzehnten Jahrhundert
über alle Länder verbreitet. Auch in das nicht
RN
polniſche Rußland waren fie bereits eingedrungen,
als vor nunmehr dreißig Jahren (1881) die Srei-
zügigkeit für Juden in Rußland aufgehoben wurde.
Seitdem mußten ſie dort ſitzen bleiben, wo ſie im
Augenblick, als das Geſetz erlaſſen wurde, ſaßen;
dieſes Gebiet iſt der ſogenannte Anſiedlungsrayon
und umfaßt Polen und 15 angrenzende Gouverne—
ments. Auf dieſem Anſiedlungsrayon, der nur ½s der
Fläche Rußlands ausmacht, wohnen doch Millionen
(94 910) Juden, fo daß fie in Polen 14,05% in den übrigen
15 Gouvernements II, 12% der Bevölkerung aus—
machen, dagegen in den 3 Gouvernements Kurland,
Livland, St. Petersburg 2,39%, in den übrigen
32 Gouvernements nur 0,19% . Innerhalb des An-
ſiedlungsrayons iſt ihre Bewegungsfreiheit noch
weiter dadurch beſchränkt, daß es ihnen (außer in
Polen) verwehrt iſt, auf das Land zu gehen; ſie
müſſen in den Städten wohnen.
Wie ſich erwarten läßt, ift die ökonomiſche Lage
dieſer ruſſiſchen Juden großenteils miſerabel: ſie
freſſen ſich gegenſeitig auf. Ich mache hier an der
Sand Ruppins einige Angaben, aus denen die wirk⸗
liche Judennot im Gſten deutlich genug uns ent—⸗
gegentritt.
Wir finden dieſe Juden in einigen wenigen Be-
werben zufammengedrängt: die meiften leben vom
N
Handel, von der Schneiderei, vom Fuhrweſen, von
Unterricht und Erziehung; in dieſen vier Berufen
waren von den in zwei typiſchen Gouvernements
des Anfiedlungsrayons (Witebsk und Mohilew)
wohnenden Juden zwei Drittel beſchäftigt. Viele
Juden haben überhaupt keinen regelmäßigen Erwerb;
ſie verſuchen auf alle erdenkliche Weiſe ſich ihr karges
tägliches Brot zu verdienen. Halpern erzählt von
einem ruſſiſchen Juden, deſſen Hauptbeſchäftigung
darin beſtand, daß er an Markttagen mit einem
Pfropfenzieher auf dem Markte erſchien und den
Bauern die Branntweinflaſchen öffnete (in Rußland
wird der Branntwein nur in verſchloſſenen Gefäßen
verkauft). Der Mann verdiente an Markttagen,
wenn das Geſchäft blühte, bis Js Ropefen. Nach
den Feſtſtellungen Brodowskis nehmen von den
150 ooo Juden, die in Odeſſa wohnen, 48 500 Armen ·
unterſtützung in Anſpruch. 63g aller verſtorbenen
Juden in Odeſſa mußten unentgeltlich, weitere 20%
mußten zu den niedrigſten Sätzen begraben werden.
In Galizien iſt das Bild nicht viel anders: auch
hier wiſſen zahlreiche Juden nicht, womit ſie am
näch ſten Tage ihren Unterhalt verdienen ſollen. Das
find jene Exiſtenzen, die Max Nordau „Auftmen-
ſchen“ genannt hat. Während in ganz Galizien die
Juden 11,09% der Bevölkerung ausmachen, ſteigt
„
ihr Anteil in der Gruppe der „Selbſtändigen ohne
Berufsangabe“ auf 51,51%, in derjenigen der „Lohn⸗
dienſte wechſelnder Art“ auf 39,80% . Jüdiſche
Handwerker, die 8— lo fl. die Woche verdienen, gelten
ſchon als bevorzugt; die Mehrzahl kommt höchſtens
auf 5—7 fl.
Auch in Rumänien haben ſich die Verhältniſſe
der Juden namentlich ſeit den 1880 er Jahren ver⸗
ſchlechtert: eine Folge vor allem der Einwanderung
aus Galizien und Rußland ſowie der Einſchrän⸗
kungen durch die Geſetzgebung.
Überwiegend find die Juden überall im Often
kleine Sandwerfer, Krämer, Schankwirte, Trödler,
Makler, Pferdeleiher, Sauſierer, Wucherer: „Lauter
notdürftige Exiſtenzen, die der geringſte Unfall über
den Saufen wirft“ (Ruppin).
Das geiſtige Leben dieſer öſtlichen Juden iſt noch
heute dasſelbe wie im Mittelalter: das Leben des
Ghetto. Bis auf eine kleine Gberſchicht Intel⸗
lektueller, denen das Leben ſauer gemacht wird durch
die Einſchränkung ihrer Bildungsmöglichkeiten (in
Rußland iſt bekanntlich die zahl der zu den höheren
Bildungsanſtalten zugelaſſenen Juden „kontingen-
tiert“), beſteht der größte Teil der öſtlichen Juden
noch aus geſetzestreuen, ſtreng orthodoxen Juden;
das heißt, fie tragen ſich lang, genießen ihren Unter-
e
richt nur in den Talmudſchulen, meiden jede Be⸗
rührung mit den „Datſch“ und ihrer Kultur, leſen
keine Bücher in fremden Sprachen und ſprechen ihren
eigenen Jargon, das Niddiſch. In Rußland wurden
(1897) von 5,2 Millionen Iſraeliten 5 Millionen
(,o o) ermittelt, deren Mutterſprache das Jüdiſche
war, während im Anſiedlungsrayon gar 98% dieſes
Idiom als ihre Mutterſprache angegeben hatten.
Gedenkt man noch der ſteten Gefahr, in denen
Gut und Leben dieſer öſtlichen Juden in jedem
Augenblicke ſchweben — die Judenmetzeleien in
Kiſchinew und an andern Grten ſind noch in jeder⸗
manns Erinnerung, und das „Kleine Pogrom“
gehort eigentlich zu den ſtändigen Tagesereigniſſen
in Rußland —, ſo entſteht ein Bild von der Lage
dieſer Judenmaſſen vor unſerm geiſtigen Auge, das
düſterer und freud; und hoffnungsloſer nicht von
der lebhafteſten Phantaſie gemalt werden könnte.
Die Lage der Juden im Gſten Europas wäre
nun aber zweifellos heute noch weit unerträglicher,
als ſie ſchon iſt, wenn nicht ſeit jener Zeit, als die
Entrechtung der Juden einſetzte, ſo große Mengen
von ihnen abgewandert wären und dadurch der
Zebensſpielraum der Zurückbleibenden ein wenig
ausgeweitet worden wäre. Die örtlichen Ver⸗
ſchiebungen, die die Judenheit durch dieſe Wande⸗
BR A
rungen im letzten Menſchenalter erlebt hat, find
ganz ungewöhnliche und wohl in keiner früheren
Zeit dageweſene. Man hat ausgerechnet, daß in
den 28 Jahren von 1881 bis Joos rund 2 Millionen
Juden aus den Ländern Oſteuropas ausgewandert
find: 1 545 000 aus Rußland, 305 ooo aus Öfterreich-
Ungarn und Joo ooo aus Rumänien. Von diefen
2 Millionen iſt der bei weitem größte Teil nach
England (Joo ooo) und nach den Vereinigten Staaten
von Amerika (1 Millionen) gegangen.
Und wie wird (kann, ſoll) ſich nun die Zukunft
dieſer öſtlichen Juden geſtalten? Die Antwort auf
dieſe Frage wird zunächſt verſchieden lauten müſſen,
je nach der Meinung, die der einzelne über die Aus-
ſichten der Juden hat, in den Ländern Oſteuropas
das volle Bürgerrecht und ſomit auch volle wirt⸗
ſchaftliche Bewegungsfreiheit zu erhalten. Wer
daran glaubt, daß „die Emanzipation“ der Juden
in Rußland in abſehbarer Zeit zu erwarten ſei, der
kann daran denken, daß auch die öſtlichen Juden
ein ähnliches Schickſal wie die weſtlichen erleben
werden (ganz gleich vorerſt, ob dieſes ſelbſt ein
glückliches zu nennen ſei oder nicht). Wer dabin-
gegen es für unwahrſcheinlich hält, daß ſich die
ſtaatsrechtliche Stellung der Juden in den öſtlichen
Ländern, namentlich alſo in Rußland, während der
Sombart, Die Zukunft der Juden. 2
i
nächſten Menſchenalter weſentlich verbeſſert, der
muß auch die Möglichkeit jener Entwicklung, wie
ſie die Juden im Weſten Europas durchgemacht
haben, einſtweilen ausſchließen.
Ich gehöre zu denen, die an eine weſentliche
Veränderung in der Rechtslage der öſtlichen Juden
in der nächſten Zukunft nicht glauben. Gerade erſt
in den letzten Jahren hat ſich die feindſelige
Stimmung gegen die Juden in Rumänien und
Rußland verſchärft: in Rumänien beginnt die
Periode der ſchärferen Politik erſt um 1899, 1900;
in Kußland gerade erſt nach Einführung der Ver⸗
faſſung. Die Schikanen häufen ſich, die kleinen
Pogrome werden in Permanenz erklärt, die Aus⸗
weiſungen nehmen an Zahl und Stärke zu, der An⸗
ſiedlungsrayon wird eingeengt, die Beſchränkung
der Studierenden wird größer (jetzt hat man auch
die „Externen“, das heißt diejenigen, die ſich außer⸗
halb der Lehranſtalten ausbildeten und dann an
dieſen ihr Examen ablegten, auf 56% „Fontingen-
tiert“, mit anderen Worten, da faſt gar keine chriſt⸗
lichen Externen da find, fo gut wie unmöglich ge⸗
macht). Nach dem, was wir von der Stimmung
in Regierungs- und Dumakreiſen wiſſen, beſteht
auch keinerlei Grund zu der Annahme, daß dieſe
Politik ſich bald ändern werde. Bis tief in die
REN
konſtitutionelle Linke hinein ift auch im ruſſiſchen
Parlament die Anſicht verbreitet, daß es unmöglich
fei, den Juden die volle Gleich berechtigung mit den
Ruffen zu geben, weil man davon den wirtſchaft⸗
lichen Ruin des ruſſiſchen Volkes erwartet; dieſes,
ſo ſagt man, ſei noch zu unreif, um den Angriffen
einer ſo ſehr überlegenen Bevölkerungsgruppe wie
den Juden ſtandzuhalten; der ruſſiſche Bauer würde
unweigerlich in die ſchmählich ſte Schuldknechtſchaft
vom jüdiſchen Wucherer geraten, und das Land
würde nicht wie im Weſten Europas unter dem
Einfluß der Juden zu höheren Formen des Wirt-
ſchaftslebens emporſteigen, ſondern in einen Zuftand
mittelalterlicher Barbarei zurückſinken.
Gleichgültig, ob dieſe Anſichten richtig ſind oder
nicht; gleichgültig, ob ſie „der Gerechtigkeit“ wider⸗
ſprechen oder nicht: für die praktiſche Politik iſt
das allein wichtige dieſes, daß ſie in weiten und maß⸗
gebenden Kreiſen gehegt werden, und daß fie vor-
ausſichtlich in abſehbarer Zeit keine Anderung er-
fahren werden.
So wird man alſo damit zu rechnen haben, daß
der heutige Zuftand zunächſt andauert: ökonomiſches
Elend und Pogrom, gemildert durch die Möglichkeit,
ſich beiden durch die Abwanderung zu entziehen.
Wie aber nun, wenn etwa dieſes einzige Ventil noch
ar
,
geſchloſſen würde? Wie, wenn die Ausfichten der Aus ⸗
wanderung ſich ebenfalls in zukunft verſchlechterten,
etwa weil die zuwanderungsländer ſich den ein-
ſtrömenden Juden verſchlöſſen?
Ich glaube nun in der Tat, daß man auch mit
dieſer Möglichkeit rechnen muß. Da in den letzten
Jahren eigentlich nur noch die Vereinigten Staaten
als Einwanderungsgebiet in Betracht gekommen
ſind, ſo wendet ſich unſere Aufmerkſamkeit in erſter
Linie ihnen zu“). Was ſich aber ganz deutlich ver⸗
folgen läßt, iſt die zunehmende Schärfe der Kritik,
die die öffentliche Meinung in den Vereinigten
Staaten an dem Menſchenmaterial, das die Ein⸗
wanderung dem Lande zuführt, übt, und das Schritt
für Schritt Nachgeben der geſetzgebenden Körper
und der Verwaltungsbehörde dieſer Kritik gegen-
über. Dieſe Entwicklung prägt ſich in der Geſchichte
der amerikaniſchen Einwanderungsgeſetzgebung aus.
Das Jahr 1882 brachte die erſte allgemeine Ein⸗
wanderungsakte, durch die zum erſten Male phyſiſch
und moraliſch minderwertige Perſonen (Kranke,
) Daß auch in England ein einftweilen „ſozialer Antiſemi⸗
tismus“ im Entſtehen iſt, iſt bekannt. Neuerdings hat ſich ein
tief eingewurzelter Judenhaß in der engliſchen Grafſchaft
Wales Fundgetan, wo im Sommer 1911 die Läden der Juden
geplündert und ausgeraubt worden ſind. Die Exzeſſe waren
ſo arge, daß man von Pogromen geſprochen hat.
Verbrecher, Perfonen, die nicht für ſich ſelber ſorgen
konnten uſw.) von der Einwanderung ausgeſchloſſen
wurden. In den Jahren 1885 bis 1888 folgen dann
die Verbote, Arbeiter mit fertig abgeſchloſſenen
Arbeitsverträgen (ſog. Contract Labour) einzuführen.
189] bis 1893 werden die Kategorien der nicht zu—
zulaſſenden Perſonen vermehrt. 1903 wird die Ropf-
ſteuer, die von jedem Einwanderer zu erheben iſt,
auf 2 $ erhöht. 1907 werden die Ausſchließungs⸗
beſtimmungen Fodifiziert und erfahren abermals eine
Verſchärfung. Und es beſteht eine ſtarke Bewegung für
weitere Verſchärfung. Die Elvins Bill forderte ſchon
den Nachweis von 100 8 Vermögen bei jedem Ein—
wanderer (das würde den größten Teil der jetzigen
Einwanderer ausſchließen; denn in den Jahren
J900 und 190] betrug das Durchſchnitts vermögen
der Einwanderer J5 $, und unter dieſen gehörten
die Juden zu den allerärmſten: während die Schotten
41,5, die Japaner 37,6, die Engländer 38,7, die
Franzoſen 37,8, die Deutſchen 28,5 $ uſw. durchſchnitt⸗
lich mitbrachten, betrug das durchſchnittliche Ein⸗
kommen, das die jüdiſchen Einwanderer nachweiſen
konnten, nur 8,7 $). Andere Bills forderten ſchon
die zurückweiſung „aller Perſonen, die ökonomiſch
nicht wünſchenswert“ () feien uſw. Dieſe Geſetze
ſind bisher nicht verabſchiedet worden. Aber ein
„ IR NO
Teil ihrer rigoroſen Forderungen wird jetzt auf
dem Verwaltungswege erfüllt. Seit Oskar Strauß
nicht mehr Staatsſekretär iſt, weht ein ſcharfer
Wind in Ellis Island: William Williams, der ſeit
10209 das Amt des Einwanderungskommiſſars im
Hafen von Neuyork innehat, handhabt nicht nur
die Geſetze ſtreng und unerbittlich, ſondern verfchärft
auch, wie behauptet wird, nach freiem Ermeſſen die
Einwanderungsbedingungen durch den Erlaß ver⸗
ſchärfender Verfügungen. So hat er ganz ohne
Geſetz es durchgeſetzt, daß ein Mindeſtgeldbetrag
von 25 8 von dem Einwanderer nachgewieſen
werden muß. Und er erreicht, daß in der Tat große
Scharen von Einwanderungsaſpiranten die Grenzen
der Vereinigten Staaten nicht überſchreiten; die ziffern-
mäßige Wirkung dieſer Politik äußert ſich nicht ſo
ſehr in der Zahl der im Hafen von Neupork zu-
rückgewieſenen Perſonen — das waren im letzten
Jahre 14 500 — als in der Menge der von den Schiff-
fahrtsgeſellſchaften (die haftbar gemacht werden) nicht
angenommenen Auswanderer, deren Zahl ſich ſchon
1907 (vor dem ſtrengen Regime Williams!) auf 65 000
belaufen hatte. Wohin aber in zukunft die Fahrt geht,
das lehrt uns außer den Maßregeln des Einwande⸗
rungskommiſſars ſelbſt der Ton, in dem deſſen Berichte
abgefaßt ſind. So ſchloß der letzte mit den Worten:
rl 2
„In the estimation of most impartial observers
a certain minority of the new immigration is undesi-
rable from the point of view of the interests of the
United States, and this question cannot properly
be considered from any other point of view. The
real issue to-day is whether or not means should
be found to keep out this undesirable minority, yet
this issue is often successfully confused by inter-
ested persons, who seek to make it appear that
those who merely advocate further reasonable re-
strictions are exclusionists and hostile to immigra-
tion as a whole“,
„Ihe time has come when it is necessary
to put aside false sentimentality in dealing with the
question of immigration and to give more consi-
deration to its racial and economic aspects, and in
determining what additional immigrants we shall
receive to remember that our first duty is to our
own country“.
(„In den Augen von ganz unparteiiſchen Be⸗
obachtern iſt eine gewiſſe Minderzahl der neuen
Einwanderung unerwünſcht vom Standpunkt der
Intereſſen der Vereinigten Staaten, und dieſe Frage
kann eigentlich von keinem andern Standpunkt aus
betrachtet werden. Die weſentliche Frage iſt heute,
ob Mittel gefunden werden, die unerwünſchte Minder—
zahl fernzuhalten oder nicht; aber dieſe Frage iſt oft
erfolgreich verwirrt worden von intereſſierten Per⸗
ſonen, welche es ſo darzuſtellen verſuchen, als ob
die, die einfach eine vernünftige Beſchränkung ver⸗
teidigen, Ausſchließer ſind und der Einwanderung
als Ganzes feindlich gegenüberſtehen. Die Zeit
ift gekommen, wo es notwendig iſt, alle
Sentimentalität beiſeite zu tun, bei Er⸗
örterung der Einwanderungsfrage, und ihrer raſſen⸗
mäßigen und wirtſchaftlichen Seite mehr Beachtung
zu ſchenken; und bei dem Beſchluß, was für neue
Einwanderer wir aufnehmen wollen, nur zu be⸗
denken, daß unſere erſte Pflicht unſerem eigenen
Lande gilt.“
Daß dieſe reſtriktive Einwanderungspolitik eines
ſchönen Tages dazu führen kann, den großen Maſſen
der jüdiſchen Einwanderer die Grenze der Vereinigten
Staaten zu ſperren, iſt keineswegs unwahrſcheinlich.
Vielleicht gelingt es ſchon durch immer weitere
Zeraufſetzung der Vermögensbeträge, die die Ein;
wanderer nachzuweiſen haben, die ja durchgängig
armen Juden von Amerika fernzuhalten. Aber auch
das halte ich keineswegs für ausgeſchloſſen, daß ſich
die Abneigung der Amerikaner gegen beſtimmte
Völker und „Raſſen“ kehrt, und daß man die Slawen
oder die Juden als ſolche von der Einwanderung
ausſchließt. Wie rigoros in dieſer Richtung die
freien Nankees verfahren können, beweiſt ihre
Chineſenpolitik. Und daß heute ſchon ein unerhört
lebhafter Saß gegen die Juden in den Vereinigten
Staaten ganz allgemein verbreitet iſt, weiß jeder-
mann. Der ſoziale Antiſemitismus iſt drüben ſtärker
als in irgendeinem Lande Europas. Und er iſt
immerfort im Wachſen begriffen, naturgemäß in
dem Maße wie die Zahl der Juden und ihre Wirk⸗
ſamkeit zunimmt. Man bedenke doch die eine Tat;
ſache, daß in der Stadt Neuyork mehr als eine
Million Juden lebt; faſt doppelt ſo viel wie in
ganz Deutſchland; mehr als ein Viertel (26 / ) der
geſamten Bevölkerung Neuyorks! Schon heute
iſt der Broadway faſt ganz von den jüdiſchen
Händlern erobert, und die wirtſchaftliche Macht-
ſphäre der Juden wächſt von Tag zu Tage; ſchon
heute iſt das ganze Brund- und Boden- (real-estate)
Geſchäft, iſt die ganze Konfektion in den Händen
jüdiſcher Säuſer. Da iſt es jeden Augenblick mög⸗
lich, daß der ſtarke „ſoziale Antiſemitismus“ eine
ökonomiſche und damit bald eine politiſche Fär⸗
bung bekommt und ſich zunächſt einmal in be-
ſonderen Einwanderungsbeſchränkungen für die
Juden äußert. In den letzten Tagen war viel die
Rede von der Aufhebung der Paßparagraphen in
BR
dem (gekündigten) amerifanifch-ruffifchen Sandels⸗
vertrage. Die liberale deutſche Preſſe hat ziemlich
arglos in der Forderung Amerikas, daß die ameri⸗
kaniſchen Bürger jüdiſcher Serkunft in Rußland
Bewegungsfreiheit genießen ſollen, den Ausfluß
echt „demokratiſcher“ Geſinnung erblickt. In Wahr⸗
heit liegt die Sache ganz anders: Amerika möchte
aus der chikanöſen Behandlung der amerikaniſchen
Juden in Rußland gern die Berechtigung ableiten,
auf dem Verwaltungswege ſich ruſſiſche (jüdiſche)
Einwanderer vom Salſe zu halten, ohne ſich diplo-
matiſche Schwierigkeiten zu bereiten. Deshalb betont
die amerikaniſche Regierung dieſen Punkt ſo beſonders
ſtark. Im Bundesparlamente find dieſe Zuſammen⸗
hänge vor einiger Zeit ganz offen erörtert worden.
Was wird aber dann aus den öſtlichen Juden,
wenn Amerika ſeine Pforten ſchließt, ſie aber in
ihrer Heimat nicht leben und nicht ſterben können.
Dann ſcheint wahrhaftig das Programm Dobedonos-
zews ſich verwirklichen zu ſollen, der die Zukunft
der ruſſiſchen Juden wie folgt prophezeite: ein
Drittel wird auswandern (dieſer Teil der Prophe⸗
zeiung iſt jetzt faſt erfüllt), ein Drittel wird ver⸗
hungern und ein Drittel wird totgeſchlagen werden.
Das Ergebnis aller dieſer Betrachtungen muß
dies fein, anzuerkennen: im Gſten Europas gibt es
Th
eine wahre Judennot, eine Judennot ganz elemen⸗
tarer Natur; eine Not des Leibes und der Nahrung.
Und aus dieſer Einſicht muß ohne viel Beſinnen
eine ganz beſtimmte Politif entſpringen: Mittel und
Wege müſſen ausfindig gemacht werden, wie man
die öſtlichen Juden an einer andern Stelle der Erde
in kompakten Maſſen (ohne alſo damit einen anderen
Volkskörper zu durchſetzen) unterbringt. Das Pro-
blem der öftlihen Juden iſt ein Unterbringungs-, ein
Derforgungs-, genauer: ein Anſiedlungs oder Um⸗
ſiedlungsproblem. Das haben denn auch einſichtige
Männer ſeit langem erkannt, und ſeit einem Menſchen ;
alter müht man ſich, die Frage der jüdiſchen Roloni-
ſation in ſachgemäßer Weiſe zu löſen.
Zier wo es ſich nicht um die Darſtellung von
Einzelheiten, ſondern nur darum handeln kann, die
großen Linien der Entwicklung herauszuarbeiten
und die großen Geſichtspunkte der Judenpolitik ins
Auge zu faſſen, kann die jüdiſche Roloniſation in
ihren verſchiedenen Phaſen nicht verfolgt, können
die hundert und aber hundert Verſuche, Juden in
Maſſen anzufiedeln, nicht aufgezählt und geprüft
werden. Sie reichen in die achtziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts und noch weiter zurück, als
man zuerſt anfing, in Paläſtina jüdifhe Kolonien
anzulegen. 1884 wurde der Verein „Esra“ zur Unter-
a AR RL
ftügung ackerbautreibender Juden in Paläftina und
Syrien gegründet; 1889 trat das OGdeſſaer Komitee
zur Förderung des Ackerbaus und des Handwerks
unter den Juden in Syrien und Paläſtina zuſammen.
1891 wurde die größte dieſer Rolonifationsgefell-
ſchaften, die Jewish Colonization Association (lca)
ins Leben gerufen.
Aber einen großen und allgemeinen Ausdruck
fanden doch dieſe Umſiedlungsbeſtrebungen erſt
in der Bewegung des Zionismus, deſſen Geburt
in das Jahr 1897 fällt, als auf dem erſten Zioniſten⸗
kongreß zu Baſel das ſeitdem in feinen Grundzügen
geltende Baſeler Programm aufgeſtellt wurde. Da⸗
nach „erſtrebt der Zionismus für das jüdiſche Volk
die Schaffung einer öffentlich rechtlich geſicherten
Seimſtädte in Paläſtina“.
Aber die Einheitlichkeit der Unterbringungspolitik
war nicht von langer Dauer. Bald nach der Be⸗
gründung der zioniſtiſchen Bewegung tauchte ein
Projekt auf, das geeignet ſchien, die jüdiſchen Roloni⸗
ſationsbeſtrebungen ganz in andere Bahnen zu lenken:
Uganda ſollte den Juden als Siedelungsgebiet über-
laſſen werden. Dieſer Plan wurde von vielen mit
Begeiſterung aufgenommen, und es bildete ſich neben
den Zioniſten die Partei der Ugandiſten. Als ſich
dann der Plan mit Uganda zerſchlug, blieb doch die
Idee zurück: irgendwo auf der Erde müſſe ein Be-
biet ausfindig gemacht werden, das der jüdiſchen
Auswanderung als Ziel dienen könnte, und wo die
Juden ſelbſtändige Kolonien, wenn möglich auch
einen ſelbſtändigen Staat errichten könnten.
Diejenigen, die dieſe Anſicht vertreten, heißen
Territorialiſten. Sie haben verſucht, der zioniſtiſchen
Organiſation die jüdiſch⸗territorialiſtiſche Orga⸗
niſation gegenüberzuſtellen, die es jedoch nicht ver⸗
mochte, größere Volkskreiſe zu gewinnen. Neben
den Zioniſten gehen noch diejenigen ſelbſtändig ihre
Wege, die zwar ihr Augenmerk auf die Rolo—
niſation in Paläſtina gerichtet haben, die aber
die weitergehenden Ziele des zionismus, die Er—
richtung eines Judenſtaates ablehnen: die „Phi⸗
lanthropen“.
Für den Draußenſtehenden iſt es ſehr ſchwer,
ſich über die Berechtigung der einen oder anderen
Partei ein Urteil zu bilden. Zumal wenn man die
verſchiedenen Rolonifationsgebiete nicht aus eigener
Anſchauung kennt. Was ſich dem unbeteiligten Be—
obachter als Tatſache aufdrängt, ſcheint mir aber
doch ein allmähliches Obſiegen der zioniſtiſchen Be-
ſtrebungen über die andern zu ſein; wohlverſtanden,
zunächſt nur, was hier einſtweilen allein in Frage
ſteht, in der Geſtaltung der jüdiſchen Roloniſation.
lo
Der Grund mag vor allem darin liegen, daß zurzeit
ein irgendwie geeignetes anderes Territorium als
Paläſtina für die Unterbringung der notleidenden
Juden nicht vorhanden iſt, Paläſtina ſelbſt aber
viele Vorzüge vor anderen Gebieten aufweiſt; es
iſt das heilige Land, das Land der Väter mit feinen
tauſend Erinnerungen und Überlieferungen, die
wieder lebendig werden für den gläubigen Juden,
wenn er den geweihten Boden betritt. Paläſtina
hat aber als Roloniſationsgebiet vor anderen Ländern
den großen, praftifhen Vorzug voraus, daß hier
allein eine langjährige Erfahrung ſchon gemacht iſt,
daß hier die Rinderfranfheiten, die jede Roloni⸗
ſation durchmachen muß, zum Teil ſchon über⸗
wunden find, daß hier allein jüdiſche Kolonien zu
wirklicher Blüte gelangt ſind.
Der gewichtigſte Einwand, der gegen Paläſtina
als Zufluchtsſtätte zunächſt der öſtlichen Juden er-
hoben werden kann, iſt der, daß, rein quantitativ
betrachtet, das Roloniſationswerk einſtweilen winzig
klein iſt und eine Unterbringung der jüdiſchen Aus⸗
wanderer in dem bisherigen Umfange durchaus unzu⸗
reichend wäre, um etwa Amerika als Wanderziel ent⸗
behren zu können. Die Zahl der Juden in Paläſtina
iſt von 34 000 im Jahre 1878 auf 55 000 im Jahre
1907, auf 95000 im Jahre J909 angewachſen. Und
ee
in Kolonien find gar erſt 7250 untergebracht worden.
Was bedeuten dieſe Ziffern, wenn wir fie den Hundert
taufenden und Millionen gegenüberftellen, die in
demſelben Zeitraum aus Oſteuropa nach Amerika
ausgewandert ſind?!
Nun verſichern aber gute Kenner Paläſtinas und
feiner Nachbargebiete, daß bei ſyſtematiſcher Kolo-
niſation ſehr viel mehr Menſchen dort angeſiedelt
werden könnten, wenn man außer Paläſtina ſelbſt
Zypern, Anatolien, Meſopotamien u. a. Länder
noch einbegriffe. Und daß auch bei eifriger Agi-
tation viel mehr Leute tatſächlich in jene Gebiete
auswandern würden.
Iſt dem wirklich ſo, dann wäre von Serzen zu
wünſchen, daß alle Beſtrebungen, die die Unter-
bringung der öſtlichen Juden als Ziel haben, auf
die Roloniſation Paläſtinas und der umliegenden
Länder ſich vereinigten, und daß dieſe Roloniſation
ſyſtematiſch und energiſch in Angriff genommen
würde; einſtweilen nur mit dem nüchternen, praf-
tiſchen Ziele, möglichft vielen Juden menſchenwürdige
Lebensbedingungen zu verſchaffen. Gb man dabei
ſo arg großen Nachdruck auf die Anſiedlung als
Bauern legen ſollte, ſcheint mir zweifelhaft. Es
wäre ſchon viel gewonnen, wenn fie als Gewerbe—
treibende oder Händler in dieſen Gegenden ihren
Unterhalt gewinnen könnten. Und es ſcheint doch
viel Ausſicht zu ſein, daß dieſe Länder wieder einmal
zu einer ähnlichen Stellung in der Vermittlung
zwiſchen Okzident und Orient gelangen, wie fie fie
jahrhundertelang im Mittelalter beſeſſen haben.
Dann aber wäre eine große jüdiſche Bevölkerung
als vorgeſchobener Poſten gegen den Grient gerade
in kommerzieller Sinfiht auch für die europäiſchen
Nationen ein großer Gewinn.
Möchten alſo die Optimiſten unter den Zioniſten
recht behalten, damit auf dieſem Wege, den fie zu
gehen vorſchlagen, wenigſtens ein Teil der „Juden⸗
frage“: die Frage nach dem Schickſal der öſtlichen
Juden, feiner Löſung zugeführt werden könnte.
III. Die Aſſimilation
Den geraden Gegenſatz zu der Lage der öft-
lichen Juden bildet das Leben der Juden in den
Staaten Weſteuropas und Amerikas. Von einer
Judennot iſt hier gewiß nicht die Rede; wenigſtens
nicht in dem Sinne, daß die Juden Not litten
an Licht und Auft. So viele armſelige und ge—
drückte Exiſtenzen es ſicher noch unter den weſtlichen
Juden — namentlich auch in Deutſchland und jetzt
auch in England und Amerika unter den neu Zu—
gewanderten — geben mag: als Ganzes genommen
hat die Judenheit ſich hier doch einen gar nicht ſchmalen
Platz an der Sonne erobert. Der Aufſtieg dieſer
Teile des jüdiſchen Volkes, die ja auch noch vor
hundert Jahren, viele unter ihnen noch vor ein,
zwei Menſchenaltern eine mißachtete, arme Volks
klaſſe gebildet haben, iſt ein beiſpiellos raſcher und
glänzender geweſen. Überall haben fie ſich im
Wirtſchaftsleben eine führende Stellung erobert.
Sombart, Die Zukunft der Juden. 3
Be.) al
Mein Buch über „Die Juden und das Wirtſchafts⸗
leben“ hatte die Aufgabe, hierfür im einzelnen die
Beweiſe zu erbringen. Man weiß jetzt, daß ein
Viertel aller Aufſichtsratpoſten in den deutſchen
Aktiengeſellſchaften und über ein Achtel aller Direktor⸗
ſtellen Juden innehaben; man weiß, daß überall,
wo man überhaupt Vergleiche anſtellen kann, die
Juden drei⸗ bis viermal ſo reich ſind wie die Chriſten,
daß ein Viertel bis ein Drittel der Einkommen⸗
ſteuern in den großen Städten, wo die Juden eine
Rolle ſpielen: in Breslau, Frankfurt a. / M.,
Mannheim, Berlin, von den Juden aufgebracht
werden.
Aber auch auf den übrigen Gebieten des Kultur-
lebens haben ſie meiſt einen Anteil erobert, der weit
größer iſt, als er ihrem ziffermäßigen Stärkeverhält⸗
nis in der Bevölkerung entſprechen würde. Dafür
laſſen ſich freilich nicht immer ſo ſchlagkräftige
Zahlen anführen, wie ich fie für das Wirtſchaftsleben
in meinem Buche beigebracht habe. Aber manche
Ziffer beſitzen wir doch, die intereſſante Aufſchlüſſe
gibt auch über die Stellung der Juden auf dem
Gebiete der geiſtigen oder geſellſchaftlichen Kultur.
So können wir z. B. ganz genau feſtſtellen, wie
viel mehr die Juden an den „Segnungen“ der höheren
Bildung teilnehmen als die Chriſten:
in den höheren Knabenſchulen entfallen auf 10000
der Geſamtbevoͤlkerung
chriſtliche Schüler jüdiſche Schüler
in Preußen 61 385
in Berlin 102 430
Von je Joo Schulkindern beſuchen höhere Knaben
ſchulen:
3,3 chriſtliche,
26,67 jüdiſche.
In Berlin, wo (1905) 31,75 / aller preußiſchen
Juden wohnten, genoſſen (Joo) eine beſſere als
Volksſchulbildung von Joo Schulkindern:
14,07 chriſtliche,
67,53 jüdiſche.
Studierende entfallen auf Jo oo: Juden 31,77;
Chriſten 3,7].
Dieſen Ziffern entſpricht ihre tatſächliche Anteil⸗
nahme an unſerm geiſtigen und künſtleriſchen Leben.
Unnütz zu ſagen, daß fie unſern Kunſt⸗, unfern
Literatur. und unſern Muſikmarkt, daß fie unſere
Theater, daß ſie unſere große Preſſe, wenn nicht
ausſchließlich in den Händen haben, ſo doch ganz
weſentlich, man darf getroſt ſagen: entſcheidend be⸗
einfluſſen.
Auch im politiſchen Leben haben ſie in der
kurzen Zeit, während welcher ſie überhaupt ſich
3 *
*
3
haben betätigen können, eine hervorragende Rolle
zu ſpielen gelernt. An der Geneſis des Aiberalis⸗
mus und noch mehr vielleicht des Sozialismus ſind
ſie weſentlich beteiligt. Sie haben eine ganze Reihe
hervorragender Staatsmänner geliefert von D' Israeli
und Gambetta bis Auzzatti und Dernburg. In
Frankreich ſollen vor kurzem von 84 Präfekturen
2J in ihren Händen geweſen fein. In Deutſchland
ſpeiſen fie mit goldenen Löffeln am Tiſche des Raifers.
Kurz: märchenhaft ſind die Erfolge, die dieſes
wunderſame Volk in ſo kurzer Zeitſſ panne ſeit ſeiner
völligen Unterdrückung bis heute überall errungen
hat, wo man ihm Freiheit gab, ſich zu betätigen.
Aber das alles find ja Tatſachen, die jedes Rind
kennt, und an die ich hier auch nur erinnere, weil
fie die Grundlage bilden für die folgenden Er⸗
örterungen über die wahrſcheinliche (oder wünſchens⸗
werte) zukunft der weſtlichen Juden. Weil nämlich
die Erfolge, die die Juden in den letzten Menſchen⸗
altern auf allen Gebieten des Rulturlebens errungen
haben, ſo große ſind; weil ſie eine ſo breite Poſition
in allen Ländern Weſteuropas und Amerikas ein-
nehmen; weil ſie ein ſo wichtiger Faktor im Daſein
der Rulturnationen geworden find; und weil ſich ihr
Einfluß und ihre Bedeutung in der Zukunft zweifel
los noch ſteigern werden: darum — ſo ſchließen zahl
NE
reiche Juden und Nichtjuden — dränge die narür-
liche Entwicklung auf „Aſſimilation“, darum ſei
das allmähliche „Aufgehen“ der jüdiſchen Elemente
in den ſie umgebenden Völkern das Ziel, auf das
alles Streben zu richten ſei. Die Schwierigkeiten,
die ſich der Erreichung dieſes Zieles entgegenſtellten,
ſeien geringe: da es keine eigentliche jüdiſche Art,
kein blutsmäßig begründetes Judentum gebe, das
ſich etwa in einen inneren Gegenſatz zu den übrigen
Völkern ſtellen könnte, da es im Grund überhaupt
keine „Juden“, ſondern nur Deutſche, Franzoſen,
Engländer moſaiſchen Bekenntniſſes gebe, ſo ſei die
einzige Schwierigkeit, die ſich einer völligen Ver
ſchmelzung von „Iſraeliten“ und Andersgläubigen
in den Weg ſtellen, die Verſchiedenheit des Bekennt⸗
niſſes: eine Schwierigkeit, die ſich offenbar leicht aus
dem wege räumen laſſe durch den Übertritt zum
Chriſtentum. Was etwa heute noch an Gegenſätzen
zwiſchen Juden und Nichtjuden vorhanden ſei, in
Sonderheit auch eine etwa feſtzuſtellende Abneigung
der übrigen Völker gegen die Juden, beruhe auf dem
Weiterwirken aus dem Mittelalter überkommener
Vorurteile, die man durch Aufklärung der Geiſter
ſchon bannen werde. Die Gegenſätze ſeien im
übrigen ſchon im Begriffe, ſchwächer zu werden und
hätten Ausſicht, mit der Zeit ganz zu verſchwinden.
„
Der „Aſſimilationsprozeß“, den man als eine Art
von Wundheilungsprozeß auffaßt, ſei in ſtetigem
Fortſchreiten begriffen. Was ihn etwa auf halten
könne, ſei die mutwillige Betonung der zwiſchen
Juden und Nichtjuden vermeintlich vorhandenen
Gegenſätze, fei die bloße Erinnerung an die Tat⸗
ſache, daß es überhaupt Juden gäbe, oder gar die
Zervorkehrung einer befondern jüdiſchen Eigenart.
Eine „Judenfrage“ ſei nur in den Köpfen einiger
„Geſchäftsantiſemiten“ vorhanden, denen ſich jetzt
unter den Juden ſelbſt allerhand „zweifelhafte“
Elemente zugeſellten (gemeint ſind die Vertreter einer
national · jüdiſchen Bewegung), die ſchlimmer feien
als die ſchlimmſten Antiſemiten. Am beſten daher,
man ſpricht „über Thema“ überhaupt nicht und
ſchweigt alles tot, was der Vertufhungspolitif
widerſprechen möchte. Ich ſagte ſchon, daß dies
vor allem auch der Standpunkt der großen,
jüdiſchliberalen Preſſe ſei, der es zu danken iſt, daß
von der nationaljüdiſchen Bewegung nicht einmal
in der Judenheit ſelber, geſchweige denn in außer⸗
jüdiſchen Kreiſen eine irgendwie genauere Rennt⸗
nis verbreitet wird. Wie viele Juden oder gar
Chriſten wiſſen denn auch nur das geringſte von
der umfangreichen nationaljüdiſchen Literatur, von
den zahlreichen Wochen⸗ und Monatsſchriften, die
den Standpunkt der „jüdiſchen Renaiſſance“, eines
aufrechten Judentums, vertreten? Sie alle, die ihre
geiſtige Tageskoſt in den Spalten der liberalen
Zeitungen rationenweiſe zugewieſen bekommen,
werden ſyſtematiſch in Unkenntnis erhalten über
die große nationale Bewegung, die in der Juden⸗
heit mächtig ihre Glieder reckt. Die Welt wird eines
Tages erſtaunen, wenn ſie wahrnimmt, daß in der
Judenheit ganz andere Kräfte rege ſind, ganz andere
Ziele erſtrebt werden, als man nach dem Verhalten
der liberalen Preſſe hätte vermuten ſollen. Aber
von dieſer jüdiſch⸗ nationalen Bewegung iſt hier noch
nicht die Rede, ſondern von jener einſtweilen noch
allmächtigen Richtung, die jene Bewegung gern in
Grund und Boden vernichten möchte, weil ſie ihre
Politik: die der fortſchreitenden Aſſimilation (wie
man meint), mutwillig ſtört. Über dieſe Politik
der Aſſimilation müſſen wir uns noch etwas ein-
gehender unterrichten, über fie müſſen wir zunächſt
uns ein ſelbſtändiges Urteil zu bilden verſuchen.
Die Frage: iſt die Aſſimilationspolitik die richtige?
zerfällt in zwei grundverſchiedene Unterfragen:
I. iſt die „Affimilstion” der Juden mit den übrigen
Völkern wünſchenswert;
2. iſt die Aſſimilation möglich.
Den erſten Teil der Frage will ich einſtweilen
u HE
unbeantwortet laſſen; ich wende mich erft dem zweiten
Teile, alſo der Frage zu: iſt eine „Aſſimilation“ der
Juden inmitten der europäiſchen Völker (in ab-
ſehbarer zeit: denn nur für dieſe bildet man fi
ja politiſche Urteile) wahrſcheinlich?
Die Antwort auf dieſe Frage wird ſehr ver-
ſchieden lauten, je nach dem Sinne, den man dem
Worte „Aſſimilation“ beilegt. In Wirklichkeit ver-
ſteht man nämlich recht mannigfache Dinge unter
Aſſimilation.
Das Wort kann zunächſt nur ſoviel bedeuten wie
Aufgeben einer Eigenart; Verzicht auf beſtimmte
Sitten und Gebräuche; Ableugnen der Zugehörig⸗
keit zu einer beſtimmten Gemeinſchaft. Verſteht man
das unter Aſſimilation, fo ſteht es natürlich in jeder;
manns freier Entſchließung, ſich ſo viel zu aſſimilieren,
als er will. Erklärt ein Jude, wie wir es ſo oft
hören: er habe nichts mehr gemein mit dem Juden
tume und ſeinen Erinnerungen und Traditionen, er
„fühle“ ſich nicht mehr als Jude, und heiligt er den
Sabbat nicht mehr und ißt Schweinefleiſch, und will
er dann das alles zuſammenfaſſend „Aſſimilation“
nennen, ſo kann ihn kein Menſch daran hindern, das
zu tun. Er iſt aſſimiliert (in ſeinem Sinne).
Dann kann „Aſſimilation“ ſo viel heißen wie
Anähnelung: ſoziale Mimikry. Der Jude kann die
*
— 411 —
Eigenarten ſeiner Umgebung ſich zu eigen machen:
kann die Sitten und Gebräuche der Völker, unter
denen er lebt, nachahmen; er kann ihre Feſte mit
feiern, kann ihren Lebensgewohnheiten ſich an—
paſſen, kurz kann ſich in die fremden Völker „hinein.
leben“, kann ſich ihrem ganzen Weſen anſchmiegen
wie der Borkenkäfer der Rinde. Um hier ans
Ziel zu gelangen, muß der energiſche Wille noch
mit einem gewiſſen Talent zur Anpaſſung verbunden
ſein, wie es den Juden zweifellos eigen iſt. Ich
habe in meinem Judenbuche den Nachweis zu er-
bringen verſucht, daß die außerordentlich große
Anpaſſungsfähigkeit gerade eine das Weſen des
Juden kennzeichnende Eigenſchaft iſt. Natürlich
gibt es Grenzen der „Aſſimilation“ in dieſem Sinne.
Namentlich wo das ſpezifiſch Blutsmäßige der Ver⸗
anlagung zutage tritt, kann auch der Jude ſich beim
beſten Willen nicht vergeſſen machen. Das gilt, wie
ich immer wieder behaupte in hohem Maße vom
phyſiognomiſchen Ausdruck und von allem, was
man Saltung und Geſte nennen kann. Immerhin
kann hier bei einem leidenſchaftlichen Willen zur
Aſſimilation auch ein hoher Grad von Anähnelung
an die Umgebung erreicht werden, deren eigene
Entſchließung jedenfalls nicht mitſpricht bei die ſe m
Aſſimilationsprozeß.
1
Ganz anders liegen nun aber die Dinge, wenn
man unter Aſſimilation drittens und letztens ſoviel
verſteht wie Verſchmelzung mit andern Volksteilen,
Vereinigung verſchiedener volklicher Beſtandteile zu
einem Volksganzen, Aufgehen einzelner Volks-
elemente in einer Volksgemeinſchaft. Dieſe Art
von Aſſimilation, die man doch eigentlich im Sinne
haben ſollte, wenn man von der Aſſimilation der
Juden ſpricht, ſteht nun aber ganz und gar nicht
mehr im Belieben eines Teiles; dazu gehören immer
zwei, ſei es, daß man die Afjimilstion im höchſten
blutsmäßigen Sinne faßt: als Blutsmiſchung durch
die Vereinigung von Mann und Weib, ſei es, daß
man fie im Fulturell-fozialen Sinne verſteht: als
reſtloſes ineinander Aufgehen der Eigenarten, der
Empfindungen und Gefühle, der Willensregungen
und Denkweiſen, mit der letzten Wirkung, daß alle
Begenfäge aufgehoben werden, daß objektiv jede
Unterſchiedlichkeit des Weſens verſchwindet, fub-
jektiv jedes Bewußtſein der Verſchiedenheit, ge⸗
ſchweige denn jedes Gefühl der Abneigung oder gar
des Saſſes, ausgelöſcht iſt. Aſſimiliert in dieſem
Sinne haben ſich etwa die verſchiedenen Beſtand⸗
teile der europäifchen Völker in der Zeit ſeit Unter⸗
gang des roͤmiſchen Reichs bis zur Ausbildung der
heutigen großen nationalen Verbände innerhalb
NEN
dieſer Verbände ſelbſt: alſo etwa die Kelten und
Germanen in Frankreich; die Slawen und Germanen
diesſeits der Weichſel; die Germanen und Romanen
in Italien uſw.
Ich glaube nun, daß die Aſſimilation der Juden
in dieſem Sinne der völligen Verſchmelzung während
der letzten Menſchenalter keine Fortſchritte gemacht
hat, und daß ſich ihr auch in der zukunft mächtige
Sinderniffe entgegenftellen werden.
Freilich: die zahl der Miſchehen zwiſchen Juden
und Chriſten nimmt beftändig zu: fie machen jetzt
(im Durchſchnitt der Jahre 1905 bis 1908) in Deutſch⸗
land 22,2% der rein jüdiſchen Ehen, im Jahre I909
25,3% ͤin Berlin (1905 / IV) gar 43,8 %%, in Sam-
burg 4,5 % aus. Und fie haben ſich raſch während
der letzten Jahrzehnte vermehrt: in Preußen kamen
im Durchſchnitt der Jahre 1876/84 erſt 101, 1885
bis 1994 24, 1895/99, 169, 1900/1904 193 auf 000
reinjüdifche 4 Ehen, während es jetzt 252 252 find.
Aber über der Blutsmiſchung der jüdiſchen Raffe
mit den Nordlandsvölkern ſcheint ein Unſtern zu
ſchweben. Es iſt faſt, als ob die Natur die Ver⸗
einigung nicht wollte. Sie rächt ſich dadurch, daß ſie
die Miſchehen mit der Geiſel der Unfruchtbarkeit
ſchlägt. Nach Dr. Wieth⸗Knudſen foll die zahl der un;
fruchtbaren Ehen (1895) überhaupt II %, die der un;
„
fruchtbaren chriſtlich ⸗jüdiſchen Ehen 35% betragen
haben. Und während auf jede jüdiſche Ehe 2,65,
auf jede chriſtliche Ehe 4,13 Rinder kamen, mußten
ſich die Miſchehen mit durchſchnittlich J,31 Kindern
begnügen. Die geringere Fruchtbarkeit der Miſchehen
dürfte zum Teil auch darauf zurückzuführen ſein,
daß gerade ſie am meiſten in reichen und modernen
Kreiſen vorkommen und gerade von ihnen ein
größerer Prozentſatz neueren Datums iſt, alſo noch
nicht fo viel Rinder haben können als ältere Ehen.
librigens finder ein großer Teil der Miſchehen
zwiſchen getauften und ungetauften Juden ſtatt,
was nicht vergeſſen werden darf.
Aber auch den Seelen deren, die Miſchehen ein⸗
geben, find Enttäuſchungen und Prüfungen reich-
licher zugemeſſen als denen, die ihr Blut rein
halten.
Die Rinder, die ihnen entſpringen: fo
wunderbar ſchön und fo hoch begabt fie oft
genug find, ſcheinen doch des ſeeliſchen Gleich-
gewichts zu entbehren, das raſſenreine Bluts-
miſchungen gewährleiſten: wir finden unter ihnen
gar zu häufig intellektuell oder moraliſch disäquili-
brierte Menſchen, die entweder ſittlich verkommen
oder im Selbſtmord oder geiſtiger Umnachtung
endigen (obwohl ſich darüber zuverläffige Ausſagen,
1
die auf mehr als der perſönlichen Erfahrung be-
ruhen, beim heutigen Stande unſeres Wiſſens nicht
machen laſſen). Was ſich aber deutlich verfolgen
läßt, iſt der häufige Durchſchlag der jüdiſchen
Phyſiognomie bei den Kindern aus Miſchehen, ſo
daß oft nach Generationen die Beimiſchung jüdiſchen
Blutes wieder offenbar gemacht wird, ſicher zum
Arger und Leid der Eltern, die ſich ja „aſſimilieren“
wollten. Und dann kommt das Bewußtſeinsmoment
hinzu, das dieſen Prozeß rückſichtslos aufhält, auch
wenn er blutsmäßig ſich vollziehen wollte. Man
weiß, daß hier Juden und Nichtjuden ſich ver⸗
einigt haben, und hält dieſes Wiſſen im Bewußt⸗
ſein feſt. Und an dieſem Wiſſen und an dem Willen,
nicht vergeſſen zu wollen, ſcheitern alle Miſchungs⸗
verſuche — einftweilen. Solange in kulturell ⸗ſozialer
Sinſicht der Unterſchied und der Begenfag zwiſchen
Juden und Nichtjuden von der großen Maſſe der
Bevölkerung hüben und drüben empfunden werden.
So ſeltſam es klingen mag: die Bewußtſeins⸗
inhalte (die natürlich ſelbſt blutsmäßig verankert
ſind) erweiſen ſich ſtärker als die Blutstatſachen.
Eine wirkliche Verſchmelzung zweier Volksteile iſt
auf dem rein mechaniſchen Wege der Vermiſchung
nicht möglich. Sie bedarf vielmehr des allgemeinen
Volks willens: immer natürlich unter der Voraus-
ſetzung, daß es ſich um die Affimilstion einer
Minderheit handelt wie hier der Juden. Wollten
ſich alſo auch ſämtliche heiratsfähige Jüdinnen und
Juden in einem Lande wie Deutſchland bereit finden,
Chriſten und Chriſtinnen zu heiraten, und wollten
auch ſoviel Chriſtinnen und Chriſten gewillt ſein,
die Ehe einzugehen: wenn die übrigen 99% der
Deutſchen dieſe Verſchmelzung nicht gutheißen, ſo
würde fie nicht zu dem erſtrebten Ziele: der Be⸗
ſeitigung der Gegenſätze, führen können. Will man
alſo die Ausſichten, die die Aſſimilation der Juden
hat, richtig abmeſſen, fo muß man fein Augen-
merk auf die Bewußtſeinsinhalte der großen Maſſen
richten, das heißt: muß fragen, ob die Gegenſätze
zwiſchen Juden und Nichtjuden in den letzten
Menſchenaltern geringer geworden ſind oder etwa
die Tendenz haben, in Zukunft geringer zu werden.
Dieſe Frage iſt meines Dafürhaltens mit großer
Entſchiedenheit zu verneinen.
Freilich: einen empiriſchen, vielleicht gar einen
ziffermäßigen Beweis dafür zu erbringen, daß dieſe
meine Anſicht den Tatſachen entſpricht, iſt un⸗
möglich. weil wir keine andere Möglichkeit haben,
den Sachverhalt zu ermitteln, als die perſönliche
Erfahrung und dieſe naturgemäß immer lückenhaft
fein wird. Aber wenn die Beobachtung fo aus:
nahmslos dasſelbe Ergebnis liefert, und wenn man
die eigene Wahrnehmung von hundert andern be⸗
ſtätigt findet, und wenn man ihre Richtigkeit aus
tauſend Anzeichen ableiten kann, ſo gewinnt auch
die perſönliche Erfahrung ſchließlich eine gewiſſe
Beweiskraft. Danach wird aber unſtreitig der
Gegenſatz zwiſchen Juden und Nichtjuden heute in
allen Kreiſen der Bevölkerung und in allen Ländern
ſtärker empfunden als früher; danach nimmt das,
was man als ſozialen Antiſemitismus nicht ganz
glücklich bezeichnet, allerorten an Stärke und Ver—⸗
breitung ſicher eher zu als ab. Ich will nicht be-
haupten, daß in dem Gefühle des Gegenſatzes oder
wenigſtens der Verſchiedenheit immer auch ſchon
ein Gefühl des Saſſes oder der Abneigung ein-
geſchloſſen wäre; aber das iſt auch nicht das Ent⸗
ſcheidende. Entſcheidend iſt die Tatſache, daß die
„völkiſche“ Eigenart der verſchiedenen Völker (um
mich dieſes etwas in Mißkredit geratenen, aber durch
keinen andern erſetzbaren Ausdruckes zu bedienen)
hüben wie drüben von der Maſſe der Nichtjuden
und auch von zahlreichen Juden heute deutlicher
empfunden wird als fage vor 30 oder vor 50 oder
159 Jahren.
Dieſe Wahrnehmung gewinnt nun aber dadurch
an Zuverläffigfeit, daß wir deutlich die Gründe für
Ban 48
die zunehmende Gegenſäͤtzlichkeit der einzelnen Volks⸗
teile verfolgen können; der unzulängliche „empiriſche“
Beweis wird alſo durch eine Art von „deduktivem“
Beweis ergänzt oder erſetzt.
Es darf wohl als eine allgemeine gültige Wahr⸗
heit angeſehen werden, daß die Gegenſätze zwiſchen
verſchiedenen Dölferraffen (das heißt alfo: nicht nahe
bluts verwandter Gruppen) um ſo ſchärfer werden
oder wenigſtens um ſo deutlicher zutage treten, je mehr
dieſe Völker oder Völkergruppen miteinander in Be⸗
rührung kommen, weil dadurch die Reibungsflächen
ſich vermehren. Solange die Neger in Amerika als
Sklaven gehalten wurden, u war von einem Saß der
Weißen gegen die Neger ka kaum die Rede; man hatte ſie
ſo weit von ſich diſtanziert, daß man gar nicht auf den
Gedanken kam, man hege Abneigung gegen ſie (wie
man gegen ein Laſttier, deſſen man ſich bedient,
keinen Saß empfindet). Nun, da der Neger in alle
Poren des amerikaniſchen Lebens eindringt, hat ſich
ein ungeheurer Groll in den Seelen der Weißen auf:
gehäuft. Die „Nationalitätsgegenſätze“, wie fie in
Europa ſeit einem Menſchenalter lebendig geworden
ſind: wem anders verdanken ſie ihr Daſein als dem
Umſtande, daß die verſchiedenen Völker durch den
Kapitalismus durcheinander gewürfelt und damit
in Berührung miteinander gebracht worden ſind.
— 9 —
Ahnlich iſt es mit den Juden gegangen. Go-
lange fie ein rechtloſes Volk waren, das eingepfercht
in ſeinem Ghetto lebte, „verachtete“ man es wohl,
weil es die Tradition ſo wollte, aber zu einem
intenſiven Gefühl der Gegenſätzlichkeit, der Feind.
ſchaft, des Saſſes kam es höchſtens einmal dann,
wenn das Volk ſich gegen die „Wucherer“ und
„Blutſauger“ auflehnte und große Abrechnung mit
ihnen hielt. Der Alltag brachte zu ſelten Gelegen.
heit, vom Juden etwas zu erfahren. Man kannte
ihn wenig, man merkte ihn wenig, man wußte oft
gar nicht, daß er da war; es gab keine Veranlaſſungen,
die das Bewußtſein einer inneren Gegenſätzlichkeit
hätten zur Entwicklung bringen können. Das änderte
ſich mit dem Augenblicke der Emanzipation, als nun
die Juden auf allen Gebieten des Rulturlebens
heimiſch wurden. Nun bekamen der Kaufmann, der
Induſtrielle, der Gelehrte, der Arzt, der Rechts-
anwalt, der Beamte, der Rünftler täglich Gelegen⸗
heit, mit Juden in Berührung zu kommen und
ihre Eigenart zu erfahren. Täglich wurden neue
Reibungsflächen geſchaffen, täglich wurde der Unter-
ſchied, wurde der Gegenſatz der beiden Völker oder
Raſſen dem einzelnen praktiſch vor Augen geführt;
kein Wunder, daß nun erſt das Bewußtſein dieſes
Unterſchiedes und dieſes Gegenſatzes allgemein wurde.
Sombart, Die Zukunft der Juden. 4
BON yo
Und auch daß die Spannung um fo größer wurde,
je enger die Gemeinſchaft der Juden mit ihrer Um-
gebung ſich geſtaltete, leuchtet ein.
So erkläre ich mir die Tatſache, daß in den⸗
jenigen Ländern, in denen die Juden noch nicht die
volle „Gleich berechtigung“ genießen, in denen ihnen
auf dem Verwaltungswege gewiſſe Stellungen vor⸗
enthalten werden, wie bei uns in Deutſchland, daß
in dieſen Ländern die Spannung zwiſchen Juden
und Nichtjuden viel geringer entwickelt iſt als dort,
wo dieſe Beſchränkungen nicht mehr vorhanden
ſind, wo die Juden freien zugang zu allen Amtern
und Würden haben, wie etwa in Frankreich (Drey-
fus!) und den Vereinigten Staaten.
Zu dieſen objektiven Gründen, die eine zu—
nehmende Schärfung des Gegenſatzes zwiſchen Juden
und Nichtjuden erklärlich machen, geſellen ſich nun
eine Reihe von Gründen mehr ſubjektiver Natur:
ebenſo wie die äußeren Umſtände hat die Art, wie
wir Menſchen und Dinge anſchauen, dahingewirkt,
daß wir heute Unterſchiede wahrnehmen, wo wir
früher keine bemerkten.
Offenbar unter dem Einfluſſe der Naturwiſſen⸗
ſchaften iſt in dem letzten Menſchenalter unſer Blick
für das Blutsmäßige im Menſchen geſchärft worden.
(Vielleicht find wir auch durch die zunehmende Ab⸗
en 5 1 —
ſchleifung, die die volklichen Eigenarten durch das
fortſchreitende Kommerzium erfahren, auf die Unter
ſchiede hingewieſen worden, die in Gefahr ſind,
verloren zu gehen.) Gleichzeitig ſind wir bewußter,
differenzierter in unſerem Empfinden, kritiſcher in
der Beurteilung menſchlicher Beſonderheiten ge-
worden. Wir ſehen am einzelnen viel mehr Eigen
arten und gerade blutsmäßig begründete Eigenarten
als die Männer der „Aufklärungszeit“ und auch noch
als die Männer in der Paulskirche, die viel mehr mit
Zilfe ideologiſcher Kategorien ſich in der Welt orien-
tierten als wir. Was wir den „Realismus“ unſerer
Zeit nennen, das äußert ſich auch hier. Uns iſt der
Sinn für die Abſtrakta abhanden gekommen, mit
denen unſere Väter und Großväter noch gern die
Welt bevölkerten; „der Menſch“, „der Staatsbürger“
ſind für uns Begriffe geworden, denen wir nicht
mehr die Bedeutung realer Erſcheinungen, ſondern
höchſtens die Bedeutung regulativer Ideen zuer-
kennen. Auch hat ſich unſer Intereſſe an der Kon-
feſſion des einzelnen verringert, das in den früheren
Zeiten fo lebhaft war, daß unter feinem Einfluſſe
alle Unterſchiede unter den Menſchen ſich in Unter⸗
ſchiede des religiöfen Bekenntniſſes auflöften.
Wenn wir heute Nathan den Weiſen leſen, ſo
oerſtehen wir nicht recht, warum alle Beteiligten
4 *
— 2 —
fi immer nur um die verſchiedenen Religionen
und ihren relativen Wert ſorgen und nicht ein
einziger einmal auf den Gedanken kommt, wes Blutes
etwa Recha und der Tempelritter waren, und daß hier
die ſonderbaren Raſſenmiſchungen doch eigentlich
die wirklichen Konflikte herbeiführen müſſen.
Dieſe veränderte Art, den Menſchen anzuſchauen,
mußte natürlich auch das Empfinden für die volk⸗
liche Eigenheit der Juden ſteigern; mußte vor allem
auch bewirken, daß der getaufte Jude in unſerem
Urteile und Gefühle Jude bleibt, da er ja nicht auch
„aus der Kaſſe austreten“ kann, der er von Bluts
wegen angehört, wie aus der jüdiſchen Religions-
gemeinſchaft.
So kann denn das Ergebnis, zu dem uns unſere
Unterſuchungen auf verſchiedenen Wegen immer
wieder hinführen, nur dieſes ſein: eine völlige Affi-
milation, ein völliges Verſchmelzen mit den euro-
paiſchen Völkern iſt den Juden bisher nicht gelungen,
wird ihnen aber wahrſcheinlich auch nie gelingen,
da a offenbar die 2 Blutsverſchiedenheit zwiſchen ihnen
und den ariſchen! Stämmen zu groß iſt.
In dieſer Feſtſtellung iſt eine tiefe Tragik ein-
geſchloſſen. Wir können immer wieder beobachten,
daß viele der beſten Juden dieſes Ziel erſtreben: ſich
ſelbſt zu überwinden und aufzugeben in ihrer Um-
— 53 =
gebung, von dem ſchweren Schickſal, das Gott ihnen
auferlegt hat: Jude zu ſein, ſich zu befreien. Und
müſſen geſtehen, daß dieſe Sehnſucht unbefriedigt
bleibt. Wir begegnen wieder einmal Ahasver auf
ſeiner Wanderung und erleben es wieder einmal,
daß der Todesmüde nicht ſterben kann. Dieſe Ein;
ſicht hat nun aber abermals die Beſten unter den
Juden zu dem Entſchluſſe gezwungen, da ſie doch als
Juden nicht ſterben können: als Juden zu leben.
Denn das iſt nur die Wahl, vor die das Judenvolk
geſtellt ift, nicht: ob es untertauchen, reſtlos ver-
ſchwinden wolle in ſeiner Umgebung, woran ein
hartes Schickſal, das aber vielleicht voller Segen
gekommen iſt, es hindert, oder ob es als Volk weiter
leben ſolle; ſondern nur dieſes: ob es feine Eigen⸗
art in alle Winde zerflattern laſſen, ob es ſich ſelbſt
wegwerfen und ſich und ſeine große Vergangenheit
verleugnen wolle (ohne doch aufzuhören, Jude zu
ſein und als Jude von allen andern empfunden zu
werden), oder ob es ſich auf ſich ſelbſt beſinnen wolle
und entſchloſſen ſei: mit ſeinem Willen und ſeiner
brennenden Leidenſchaft der ganzen Welt zum Trotz
auch in alle Zukunft als ſelbſtändiger Volkskörper
ſich zu erhalten.
IV.
Artvernichtung oder Arterhaltung?
So alſo lautet in epigrammatiſcher Form die
Alternative, vor die das Judenvolk in der Gegen-
wart geſtellt iſt, und alle Judenpolitik muß dort,
wo es nicht eigentlich eine Judennot zu beſeitigen
gilt, durch den Entſcheid beſtimmt werden, den man
zugunſten des einen oder des andern Zieles trifft.
Dabei gehe ich von der Vorausſetzung aus, daß
es eine „jüdiſche Art“, die auch außerhalb des Reli ⸗
gionsbekenntniſſes beſteht, überhaupt gibt. Mich
mit denjenigen hier auseinanderzuſetzen, die eine
ſolche beſondere jüdiſche Art leugnen, liegt mir fern.
Um ſo mehr als ich einen langen Abſchnitt in
meinem Buche „Die Juden und das Wirtfchafte-
leben“ dem Nachweis und der Kennzeichnung der
jüdiſchen Eigenart gewidmet habe. Wie ich dort
ſchon ſagte: eine fpätere Zeit wird es kaum be-
greifen, daß es in unſern Tagen Leute gegeben
hat, die den Juden als Angehörigen eines be⸗
ſtimmten Volkes oder einer beſtimmten Kaffe (auf
den Namen, den man den Juden geben will, kommt
es wahrhaftig nicht an) von einem Neger oder
einem Eskimo oder einem Pommern oder einem
Südfranzoſen nicht zu unterſcheiden vermochten.
Ich nehme alſo, wie geſagt, hier als „bewieſen“
an, daß es eine jüdiſche Art gibt.
Werde ich nun vor die Alternative geſtellt, ob
ich es für wünſchenswert erachte, daß dieſe Art er⸗
halten bleibe, ſo antworte ich: dreimal ja — aus
tauſend Gründen.
Zunächſt erſcheint es mir immer ein Gewinn.
wenn irgendwelche Art auch immer auf dieſer Erde
vor der Vernichtung bewahrt bleibe, weil mir ein
ganz großer Wert in dem Reichtum an Arten über-
haupt zu liegen ſcheint. Es mag ſich um Pflanzen-
oder Tier- oder Menſchenarten handeln. Bunt foll
die Welt ſein. Und ein Jammer iſt es, wenn eine
noch ſo unſcheinbare Pflanzenart, wenn eine noch
ſo unbedeutende Tierſpezies ausſtirbt. Vor nichts
ſollten wir eine ſolche Angſt haben wie vor der
Verarmung der Welt an Formen des Lebendigen.
Und in der Menſchheit muß ſich dieſer Wunſch,
einen Reichtum an Formen zu erhalten, zur Leiden⸗
ſchaft ſteigern. Wir erleben ja in unſerer Zeit
gerade, wie ſich der Typus Menſch immer mehr zu
einem Einheitstypus zu verflachen die Tendenz hat.
Wer die bunte Mannigfaltigkeit geſehen hat, die
unter den Auswanderern im zwiſchendeck eines großen
Amerika⸗Dampfers noch anzutreffen iſt; weſſen Serz
fi erfreut hat an den vielerlei Trachten und vieler;
lei Sprachen, an den vielerlei Gewohnheiten und
vielerlei Liedern, die hier noch ihr Weſen treiben,
und wer dann wahrgenommen hat, wie dieſe ſelbe
bunte Welt nach ein oder zwei Generationen in dem
grauen, langweiligen, eintönigen American man
untergegangen iſt, den faßt ein Grauen vor der
Zukunft des Menſchengeſchlechts, der möchte alle
Mächte des Himmels und der Sölle zum Beiſtande
aufrufen, daß fie ein ſolches brutales Zerſtörungs⸗
werk verhindern helfen. Und nun wollen die Juden
teilnehmen an dieſer Vernichtung des Artenreichtums
unter den Menſchen, indem ſie ſich ſelber aufgeben
und nichts eifriger anſtreben als ſo zu ſein, wie
andere Arten ſchon ſind!
Jede Art zu erhalten iſt ein Gewinn! Aber
natürlich ein um ſo größerer Gewinn iſt die Er⸗
haltung einer Art, je wertvoller dieſe iſt. Brauche
ich zu ſagen, daß wir im Judenvolke, wenn wir es
als Ganzes betrachten, eine der wertvollſten Arten
vor uns ſehen, die das Menſchengeſchlecht hervor⸗
gebracht hat? Welche gewaltige Lücke müßte in
der Menſchenwelt entſtehen, wenn die jüdiſche Art
verſchwände! Von allen Einzelheiten abgeſehen:
das Judenvolk iſt es, das ſeit den Propheten den
großen ethiſchen Ton in das Menſchheitskonzert
gebracht hat und durch ſeine beſten Söhne auch
heute immer wieder bringt. Das große tragiſche
Pathos, das die natürliche Welt verſittlichen will,
ſtammt doch am Ende aus Juda und iſt von
dort her in das Chriſtentum übergegangen. Dem
Griechentum ein großes Gegenbild entgegenzuſtellen,
war und iſt die Aufgabe Iſraels bis heute ge-
blieben. Und wer den Reichtum in der welt und
vorerſt in der Menſchenwelt über alles liebt, wer
die Türmung der Widerſprüche im Menſchengeiſte
als höchſtes ziel der Menſchheit ſchaut, der mag
das griechenfeindliche Judentum mit der Leiden-
ſchaft einer Nietzſcheſeele haſſen: er wird nicht
wünſchen können, daß es aus dieſer Welt ver-
ſchwinde. Wie arm würde dieſe welt werden,
wenn es in ihr nur noch grinſende Amerikaner
oder ſelbſt: wenn es in ihr nur lachende Griechen
gäbe. Wir wollen die tiefen, traurigen Judenaugen
niemals verlieren. Denn mit ihnen gingen andere
Schönheiten aus dieſer Welt heim: die wunderſame
Melancholie der jüdiſchen Dichtung, wie fie in Sein⸗
rich Seine uns offenbart worden iſt; der jüdifche
ER
Witz und vielerlei ſonſt, was uns wert iſt, und was
dieſe Welt reich macht.
Aber was uns noch darin beſtärken muß, auf
Arterhaltung zu dringen, iſt die Wahrnehmung,
daß die ſtarke Betonung der Eigenheit die Art
verbeſſern, veredeln hilft. Echte Art verkümmert,
wo ſie ſich nicht rein entfalten kann. Das erleben
wir heute fo oft. Gerade auch dieſes Gemiſch
zwiſchen jüdiſchem und deutſchem oder anderm
Weſen, wie es der Tag bringt, hat weidlich dazu
beigetragen, alle Arten zu verſchlechtern. Ich
wünſchte von Herzen, daß dieſe unnatürliche Ver⸗
mengung einmal würde ein Ende nehmen, zum
Zeil jeder beſonderen Art. Ich wünſchte es im
Intereſſe unſerer deutſchen Volksſeele, daß fie von
der Umklammerung durch den jüdiſchen Geiſt be-
freit würde, damit ſie ſich wieder in ihrer Reine
entfalten könnte. Ich wünſchte, daß die „Verjudung“
ſo breiter Gebiete unſeres öffentlichen und geiſtigen
Lebens ein Ende nähme: zum Seile der deutſchen
Kultur, aber ebenſoſehr auch der jüdiſchen. Denn
ganz gewiß leidet dieſe ebenſoſehr unter der un⸗
natürlichen Paarung. Ich habe die ganz deutliche
Empfindung, als ob dieſes emſige Beſtreben der
Juden, ihren Einfluß überall zur Geltung zu
bringen und zwar in einer möglichſt farbloſen, un⸗
nationalen Form im jüdiſchen Weſen felbft nicht
die beſten Seiten entwickelte. Ein großer Teil der-
jenigen jüdiſchen Eigenſchaften, die wir Nichtjuden
(und viele, ach! fo viele Juden) beſonders peinlich
empfinden, verdankt ihre Entſtehung und Ent⸗
wicklung der Sucht nach Aſſimilation, nach An⸗
paffung und Annäherung: der Mangel an Diſtanz
Menſchen und Dingen gegenüber; die zerſetzende
Geiſtesverfaſſung find rechte „Golus“ unarten des
Aſſimilationsjuden, die ganz gewiß verſchwinden
werden, wenn wieder der Wille zum nationalen
Judentum allgemein geworden iſt. Allein dieſer
Wille, die jüdiſche Art zu erhalten und zu entwickeln,
weckt den Sinn für die guten wie für die ſchlechten
nationalen Eigenſchaften und dringt auf die Pflege
der als gut erkannten und die Ausmerzung der als
ſchlecht erkannten hin: wirkt einen Erziehungs⸗
prozeß, der niemals ſich vollziehen kann, ſolange
man überhaupt keine beſondere jüdiſche Eigenart,
weder gute noch ſchlechte, zu kennen für gut befindet.
Gerade aber auch die Periode, in die das Juden⸗
tum jetzt eintritt mit dem Beginne der jüdiſchen Re-
naiſſance, wird in beſonders reichem Maße wertvolle
Eigenarten zur Entfaltung bringen wie alle Perioden
nationaler Wiedergeburt. Es wird viel Selbſt⸗
bewußtſein, viel Selbſtvertrauen, viel Mut, viel
Geſinnungstüchtigkeit dazu gehören, um ſich gegen
a N
Juden und Chriſten als nationalgeſinnte Juden
durchzuſetzen. Duckmäuſerei, Leiſetreterei, Kriecherei,
Streberei, wie ſie die Aſſimilationsſucht notwendig
erzeugen mußte, werden verſchwinden; der auf
rechte Jude: welch ein Gewinn für die Menſch⸗
heit in einer Zeit, da alle jene mannhaften Tugenden
fo niedrig im Kurſe ſtehen.
Und mehr noch: Gläubigkeit, Singabe, Be⸗
geiſterung, Schwung der Seele und Wärme des
Herzens werden in die junge Judenſchaft einziehen,
die den Kampf um ihr gefährdetes Volkstum auf:
zunehmen entſchloſſen iſt. Gerötete Wangen und
leuchtende Augen, die man jetzt ſchon oft unter
der jüdiſch nationalen Jugend antrifft: welcher
koſtbare Schatz iſt damit in unſerer armen Zeit
gewonnen, in der die Ideale als unnützer Balaſt
immer mehr über Bord geworfen werden, um
eine volle Ladung praktiſcher Intereſſen einnehmen
zu können! Wenn nichts für die jüdiſche Re⸗
naiſſance ſpräche als dieſe ihre idealbildende Kraft:
ſie müßte von jedem Menſchenfreund gut und will⸗
kommen geheißen werden. Und die Kreiſe, in denen
dieſe Feuer brennen, werden von Tag zu Tag größer.
Zumal unter der jüdiſchen Jugend iſt dieſe nationale
Bewegung ſchon mächtig angeſchwollen und ver⸗
ſpricht, immer breiter und tiefer zu werden.
. Die Juden unter ſich
Es geht einen Draußenſtehenden nichts an,
wie jemand ſein Saus in Ordnung bringen will.
Nur wenn das Saus in einer Siedelung mit andern
Häuſern zuſammenliegt, haben die Nachbarn ein
Recht und eine Pflicht, wenigſtens zu der äußeren
Geſtaltung des Sauſes und zu ſeiner Lage inmitten
des Dorfes ihr Votum abzugeben. Da es Feines-
wegs für die übrigen Völker gleichgültig iſt, wie
die Juden das Werk ihrer nationalen Wiedergeburt
vollbringen, fo erachte ich es nicht als taktloſes
Zineingerede in fremde Angelegenheiten, wenn ich
auch über die verſchiedenen Möglichkeiten, das
Judentum neu zu begründen, kurz meine Anſicht
äußere.
Man weiß, daß jetzt im Mittelpunkte der
national - jüdiſchen Beſtrebungen die Errichtung
eines ſelbſtändigen Judenſtaates in Paläſtina ſteht.
Dieſes Ziel bildet in dem Programm des Zionismus
e
den Kern: er fordert den Judenſtaat nicht nur im
Intereſſe einer ſegensreichen und umfaſſenden
Koloniſation in Paläſtina und den Nachbarländern,
ſondern aus der tiefen Überzeugung heraus, daß
eine Geſundung des jüdiſchen Weſens nur möglich
ſein werde, wenn es wieder einen rein jüdiſchen
Staats - und Geſellſchaftsorganismus gäbe, wenn
das Judenvolk nicht mehr nur Ranken und Schling⸗
pflanzen bilde, die ſich um fremde Bäume winden,
ſondern Wurzeln ſchlage in eigenem Mutterboden
und ſein Weſen zu ſtarken Stämmen verholzen
laſſen könne.
Ob die Ausführung eines ſo gewaltig kühnen
Planes wie die Gründung eines Judenſtaats mög⸗
lich iſt: wer möchte es wagen, darauf mit voller
Entſchiedenheit zu antworten? Ich will mein Urteil
nur dahin abgeben, daß mir die Gründe, die da⸗
gegen geltend gemacht werden, nicht ſtichhaltig zu
ſein ſcheinen. Man ſagt: die Juden hätten in
ihrer beſten Zeit niemals eine eigentlich ſtaaten⸗
bildende Kraft gehabt: ſie ſeien alſo jetzt, nach
einer Jahrtauſende währenden Entwöhnung ganz
gewiß nicht mehr in der Lage, einen ſelbſtändigen
Staat zu errichten. Iſt das ſo ſicher? An ſtaats⸗
männiſchen Genies unter den Juden hat es in den
letzten Menſchenaltern doch gewiß nicht gefehlt; es
genügt, an Namen wie Gambetta und D’TJeraeli
zu erinnern, und der mangelnde Sinn für ſtaatliche
Unterordnung bei der Maſſe könnte doch vielleicht
durch einen Hochdruck idealer Begeiſterung erſetzt
werden. Und dann noch eine ganz beſcheidene
Frage: muß der Staat denn ganz ſelbſtändig ſein?
Wäre mit einem Souzeränitätsſtaate nicht ſchon
viel gewonnen? Griechenland unter römiſcher Serr⸗
Schaft: iſt das ein zu tief geſtecktes Ziel? Oder will
man nicht wieder Vierfürſten über ſich herrſchen laſſen?
Auch daß man ſagt: die Juden ſeien nicht fähig,
Ackerbauer zu werden und ſomit das Fundamentum
eines geordneten Staates zu legen, ſcheint mir
kein allzu gewichtiger Einwand zu ſein. Zum erſten
halte ich es keineswegs für ausgeſchloſſen, daß doch
noch einmal ein Geſchlecht von Bauern unter
den Juden herangezüchtet werde: ſind die Erfolge,
die man in dieſer Richtung bisher erzielt hat, auch
gering: immerhin gibt es doch ſchon ein paar
tauſend jüdiſche Ackerbauer auf der Erde (man
rechnet Jo- I looo im ganzen). Zum zweiten läßt
ſich ſehr wohl ein ganz geordneter Staat denken,
ſei es ganz ohne Ackerbau, ſei es mit einem Acker⸗
bau, der von einer hörigen Unterſchicht minderer
Begabung betrieben wird. Phönizien, Venedig,
Holland und — der alte Judenſtaat find glänzende
— 64 —
Belege für die Möglichkeit ſolcher bauernloſer oder
bauernarmer Staatsgebilde. Und wenn es ohne
die bäuerliche Unterſchicht in früheren Zeiten mög⸗
lich war, als ſelbſtändiger Staat zu beſtehen, wie
viel mehr erſt heute in einer Zeit der entwickelten
Geld und Kreditwirtſchaft. Daß es freilich im
Intereſſe der jüdiſchen Kultur, die jetzt faſt ganz
eine großſtädtiſche, wurzelloſe geworden iſt, gelegen
ware, in der Scholle Wurzel zu ſchlagen: wer
möchte es bezweifeln? Aber iſt denn die Periode
der wurzelhaften Kultur nicht für alle Menſchen
vorbei? Wo wurzeln denn heute noch die Eng⸗
länder? Wo werden in hundert Jahren, wenn es
ſo weiter geht, die Deutſchen wurzeln? Müſſen
nun gerade die Juden wurzeln? Können fie nicht
verſuchen, die Note der „Wüſte“, die ſie ſeit jeher
in das Menſchheitskonzert hineingetragen haben,
auch weiter als ihre beſondere Note zu pflegen?
Es ſind tauſend Fragen, die ſich hier aus ſich ſelber
herausgebären, und die hier zu beantworten nicht
am Platze zu ſein ſcheint. Ich wollte nur das
fagen: daß bisher kein irgendwie zwingender Grund
vorgebracht iſt, deſſentwegen von vornherein die Er⸗
richtung eines ſelbſtändigen Judenſtaates als Utopie
erſcheinen müßte. Daß alſo der leidenſchaftliche
Wille, der in den Zioniſten lebt, einen ſolchen Staat
„
zu begründen, nicht auf ein nachweislich hoffnungs⸗
loſes Ziel gerichtet iſt und alſo nicht durch Verſtandes ·
erwägungen gebrochen werden kann.
Und das Wertvolle in dieſer ganzen Bewegung
ſcheint mir doch jener Wille ſelbſt zu ſein. Damit
die jüdiſche Renaiſſance einen Mittelpunkt habe,
auf den ſich alle Strebungen richten können, ein
Wahrzeichen, an dem ſich alle wieder zurecht finden
können, bedarf es eines ſolchen konkreten Zieles, wie
es der Gedanke eines ſelbſtändigen Judenſtaates iſt.
Auch damit irgendwo ein Grt fei, wo das jüdiſche
Weſen ſich in Reine entfalten könne, iſt es wünſchens⸗
wert, daß ſtarr · nationalgeſinnte jüdiſche Männer
und Frauen wie jetzt ſchon in Paläſtina (ehe noch
der Staat errichtet iſt) ſich zuſammenfinden und ihre
glühenden Seelen in ein gemeinſames Becken aus⸗
ſchütten können.
Die Idee des Judenſtaates darf nicht fehlen in
dem Seſamtbilde einer jüdiſchen Renaiſſance, und
wäre ſie auch nur als regulative Idee zu bewerten.
Nun entſteht freilich ſofort die andere Frage:
Welche Juden ſollen den geplanten Judenſtaat bilden?
Welche Juden ſollen in Paläſtina (und den an⸗
grenzenden Landesteilen meinetwegen) wohnen?
Wenn man früher wohl die Forderung aufgeſtellt
hat (fo tut es noch Theodor Serzl), daß 5 geſamte
Bombart, Die Zukunft der Juden.
— 66 —
Judenheit oder doch wenigſtens der allergrößte Teil
der Judenheit nach Paläſtina auswandern folle, fo
verweiſen heute wohl auch die meiſten Zioniſten
ſelbſt dieſen Gedanken in das Bereich der Träume;
hier würde, wenn man auf dieſer extremen Forderung
beſtehen wollte, die zioniſtiſche Bewegung ſofort
den Stempel der kraſſeſten Utopie erhalten. Denn
(was das Kennzeichen der Utopie iſt), ſie würde
Ziele aufſtellen, zu deren Erreichung die realen
Kräfte fehlen. Ich ſehe ganz davon ab, daß die
Unterbringung von II oder 12 Millionen Menſchen,
ſelbſt wenn man große Teile der Nachbarländer
hinzunähme, in Paläſtina und ſeiner näheren Um⸗
gebung faſt ein Ding der Unmöglichkeit wäre
(Paläſtina hat in feiner Blütezeit wohl kaum mehr
als 3 Millionen Einwohner gehabt; freilich ſind
heute die Ernährungsmöglichkeiten, wenn man die
Bevölkerung als Induſtrie⸗ und Sandelsmenſchen
denkt, ausgeweitet). Sinreichend, um den Plan
einer Überführung der geſamten Judenheit nach
Paläſtina aufzugeben, iſt die ſehr nüchterne Er⸗
wägung, daß dieſer ſtarke Idealismus, der dazu
gehörte, einen ſolchen Plan zu verwirklichen, einfach
in großem Maßſtabe nicht aufzubringen wäre.
Auch die Juden, ſelbſt die aufrechten Juden, die
an dem Gedanken einer Erhaltung und Stärkung
,
des Judentums mit Leib und Seele hängen, ſind
in ihrer großen Mehrzahl Alltagsmenſchen. Und
vom Alltagsmenſchen darf man (auf die Dauer, zu⸗
mal wenn er nicht von religiöfem Fanatismus ge⸗
packt iſt; dann freilich kann er eine Zeitlang fliegen)
keine idealen Sochſpannungen erwarten, wie fie
die Seelen etwa der Männer und Frauen zu einer
heroiſchen Lebensführung befähigen, die heute als
Träger des national · jüdiſchen Bedanfens hinaus ·
ziehen, um in dem als uralte Heimat empfundenen
„heiligen Lande“ neues Leben zum Keimen zubringen.
Und wenn doch ein Wunder geſchähe und alle
Juden morgen den Entſchluß faßten, nach Paläſtina
zu ziehen, um dort zu wohnen: wir würden es nie
und nimmer zulaſſen können. Es würde ja allein
auf dem Gebiete der Volkswirtſchaft einen Zu⸗
ſammenbruch geben, wie wir ihn bisher in keiner
noch fo großen Kriſis erlebt hätten, einen Zu-
ſammenbruch, von dem ſich unſere Volkswirt
ſchaften vielleicht niemals erholen würden. Denn
unſere reichſten, unſere betriebſamſten Bürger
würden wir ja verlieren. Wie Frankreich ſie verlor,
als die Zugenotten auswanderten. Und ſchon von
dieſem Verluſte, den damals Frankreich erlitten hat,
obwohl er ja verſchwindend klein war, wollte man
ihn mit den Wirkungen vergleichen, die ein Exodus
5 *
e
der Juden im Gefolge haben müßte; ſchon von
dieſem Verluſte hat ſich die franzöſiſche Volks⸗
wirıfchaft bis heute nicht erholt. Was aus Spanien
und Portugal geworden iſt, als es feine Juden aus-
trieb, weiß man nur allzugut. Aber auch auf allen
übrigen Gebieten der Kultur: welche unausfüllbaren
Lücken würden die Juden reißen, wenn ſie aus
unſern Ländern auszögen. Nein, daran ſollte man
wahrhaftig nicht mehr denken, daß auch nur ein erheb;
licher Teil der Juden — wohlgemerkt: der weſtlichen
Juden — ihren Wohnſitz nach Paläſtina verlegte.
Und iſt es denn, damit das jüdiſche Volk eine
Wiedergeburt erfahre und ſich auf ſich ſelbſt be⸗
ſinne, notwendig, daß alle oder auch nur die meiſten
Juden in Paläſtina wohnen? Wie war es denn
in der alten zeit? Lebten denn nicht ſchon in der
Zeit, als der zweite Tempel fiel, viel mehr Juden
außerhalb Paläftinas als in dieſem Lande ſelbſt?
Und hielten doch treu an Zion feſt? So kann man
ſich wohl denken, daß auch ein Judenvolk, das ſich
wieder als nationalen Körper fühlt, doch nur zum
kleinen Teile in Paläſtina, zum größten jedoch in
der Diaſpora lebt.
Welche Mittel es nun gibt, auch in dem in der
Diaſpora lebenden Juden das Bewußtſein ſeines
Judentums zu erhalten und zu ſtärken: das hier
REF? WARE
im einzelnen darzuſtellen, iſt unmöglich und würde
auch die Grenze deſſen überſchreiten, was mir, dem
Nichtjuden, über jüdiſche Dinge zu ſagen der Takt
erlaubt. Denn es find im weſentlichen wirklich
innere Angelegenheiten der jüdiſchen Gemeinſchaft.
Sauptſächlich wird es ſich gewiß um eine
innerliche Wandlung, um eine Geſinnungsreform
handeln: wenn der Wille zum Judentum, wenn die
Bekenntnistreue erſt wieder ſtark geworden ſind,
ſo folgen alle die übrigen Maßnahmen zur Be⸗
lebung des jüdiſchen Selbſtbewußtſeins von ſelbſt,
wie die Pflege der Tradition, die Pflege jüdiſcher
Dichtung und jüdifher Kunſt uſw. Als ein äußeres
Wahrzeichen, daß man entſchloſſen ſei, Jude zu
bleiben, als ein Symbol gleichſam werden alle auf⸗
rechten Juden bei dem moſaiſchen Bekenntniſſe aus-
harren, auch wenn fie innerlich vielleicht das jüdiſche
Religionsſyſtem längſt überwunden haben; fie
werden doch zu dieſer Religion ſtehen, wie der
Soldat zur Fahne ſteht.
Was nun aber uns wiederum bei dieſer Wieder⸗
geburt eines nationalen Judentums näheſtens an-
geht, iſt die Tatſache, daß wir fürderhin immer
weniger, wenn die national jüdiſche Bewegung, was
nicht zu bezweifeln iſt, an Stärke zunimmt, mit
aſſimilationslüſternen Juden und immer mehr mit
BERN: Kon
aufrechten Juden zuſammen leben werden, mit
Juden alſo, die vor dem Worte Jude nicht mehr
erſchrecken, ſondern die ihr Judentum zu bewahren
und zu bekennen entſchloſſen find. Es wächſt
ſomit die Frage empor: wie wird, wie kann, wie
foll das Zuſammenleben der Völker mit einer
national jüdiſch empfindenden Judenſchaft ſich ge
ſtalten? Das iſt die Frage nach der Zukunft der
Juden unter uns.
VI. Die Juden unter uns
Es iſt im Grunde eine müßige Frage: ob wir
— ſage: wir Deutſchen — uns der Juden freuen
ſollen, die das Schickſal in unſern Volkskörper
hineinverſprengt hat. Aber die müßigen Fragen
ſind meiſt die reizvollſten. Und man ſtellt ſie gern,
wenn man, wie hier, eine Antwort gewärtigen darf,
die uns froh macht. Denn ich glaube freilich, habe
es auch in dieſer Abhandlung ſchon geſagt und oft
ſchon bei früheren Gelegenheiten ausgeſprochen:
ich glaube freilich, daß wir dem Zufall (oder der
Vorſehung) Dank ſchulden für die nicht allzu karge
Zuteilung jüdiſcher Elemente zu dem ſchon recht
bunten Gemiſch, das „wir Deutſchen“ darſtellen.
zumal dort, wo wir am reinſten germaniſch ſind,
iſt das Stück Grient, das mit den Juden in unſere
graue Nordlandswelt hineinragt, ein wahres Labnis.
Denn wir möchten an lauter Blondheit ſonſt am
Ende zugrunde gehen. Rein körperlich betrachtet:
welche Buntheit bringt der dunkle orientaliſche Typ
in unſere nordiſche Umgebung! Wie ſollten wir die
— 72 —
raſſigen Judiths und Mirjams miſſen wollen. Freilich:
fie müffen raſſig fein und bleiben wollen. Den ſchwarz⸗
blonden Miſchmaſch mögen wir nicht. Und auf
geiſtigem Gebiet iſt's nicht anders. Auch hier
möchten wir Gefahr laufen, an unſerer Blondheit
zu erſticken, wenn wir nicht zwiſchen uns den Atem
der heißen, orientaliſchen Seelen unſerer jüdifchen
Mitbürger verſpürten. Das lebhafte Temperament,
die anregende Betriebſamkeit, die große Beweglich
keit ihres Beiftes: all deſſen bedürfen wir für unſere
Kultur — ich habe das Bild ſchon früher einmal
gebraucht: wie das Mehl des Sauerteigs, wenn es
Brot werden will.
Eins möchte ich wünſchen: daß die Juden, die
bei uns leben, beſſer, das heißt gleichmäßiger, über
das Land und über die verſchiedenen Kulturgebiete
verteilt wären, als ſie es jetzt an vielen Stellen
ſind. Wir würden ihrer gewiß noch mehr froh
werden, wenn ſie ſich nicht an einzelnen Punkten
zu großen Klumpen zuſammenballten und uns dann
etwas den Atem benähmen. Aber dieſen Mangel
wird die Zeit vielleicht heilen.
in wiederum vernimmt man oft aus jüdifchem
Munde die Verſicherung: man ſei auch als Jude
„mit Leib und Seele“ Deutſcher (oder Gſterreicher
oder Ruffe). Und ſpürt es auch, daß in Wahrheit
as ci
das Serz an der neuen Seimat hängt (die ja oft
eine recht alte Seimat ſchon geworden iſt, älter zu-
weilen als bei manchem von uns, die wir vielleicht
erft im 17. oder 18. Jahrhundert aus Frankreich
eingewanderte Deutſche ſind).
Sollte ſich da wirklich keine Form finden laſſen,
in der dieſe beiden Volksgruppen — die jüdiſche und
die europäifche, ſagen wir einmal = friedlich und zum
Segen beider zuſammenleben? Auch wenn die Juden
Juden bleiben und wieder mehr werden wollen?
Man hört wohl den Einwand: wenn das
national · jüdiſche Weſen wieder mehr gepflegt werden
ſoll, ſo führt das geradenweges in das Ghetto
zurück und zerſtört Kulturblüten, die nur außer-
halb der Ghettomauern erblühen konnten. Ich
halte dieſen Einwand ganz und gar nicht für be⸗
rechtigt. Die Juden unſerer Zeit und ebenſo die
Juden der Zukunft werden ſelbſt nicht eine Re⸗
naiſſance des Ghetto meinen, wenn fie eine jüdifche
Renaiſſance erſehnen. Sie werden eine Kultur
ſchaffen wollen, die zwar aus jüdiſcher Wurzel
ſtammt, die aber doch im Freien gedeihen und aus
dem Regen und Sonnenſchein des freien Geiſtes
unſerer Tage Kraft zum Wachstum ziehen ſoll.
Sie werden auch nicht darauf verzichten wollen, an
den Gütern der anderen Kulturen teilzunehmen,
ee e
wie ſie im Ghetto verzichtet haben. Sie werden
als deutſche Juden Bach und Beethoven, Goethe
und Schwind ebenſo lieben, ebenſo erleben wollen,
wie wir Deutſche Freude und Genuß aus Shake⸗
ſpeare und Michelangelo, aus Roſſini und Tolſtoi
ſchöpfen. Der „moderne“ Menſch, wenn er auch
— hoffentlich! — mit den Füßen auf dem Mutter-
boden ſeines Volkes ſteht, ragt doch mit ſeinem
Leibe in viele fremde Kulturen hinein und lebt in
ihnen. Warum ſoll ein Jude, der ſich als Jude
fühlt, nicht an deutſchem Geiſte ſeinen vollen Anteil
haben? So wie wir Deutſche vielleicht uns an
dem, was die jüdiſche Volksſeele eigenes ſchafft,
dankbaren Serzens erfreuen werden.
Aber im öffentlichen Leben, ſo ſagt man, werden
ſich Schwierigkeiten ergeben, wenn die Juden Juden
bleiben wollen. Sehen wir zu.
Im Wirtſchaftsleben wird die Stellung der
Juden jedenfalls ſich nicht verſchlechtern, wenn ſie
an ihrem Judentum feſthalten. Ich habe ja gerade
dafür in meinem dicken „Judenbuche“ den Nach⸗
weis zu erbringen verſucht, daß gerade der jüdifchen
Eigenart ein großer Teil der Erfolge zu danken
iſt, die die Juden auf dem Gebiete der wirtfchaft-
lichen Kultur errungen haben. Wenn ſich ihr
Einfluß im Wirtſchaftsleben in zukunft verringern
ge
follte, wie es faft den Anſchein hat, weil die Chriſten
inzwifchen gelernt haben, oder weil die ſpätkapita⸗
liſtiſche Wirtſchaftsweiſe mit ihrem Zuge zum
Bureaukratismus der ſpezifiſch jüdiſchen Talente
nicht mehr in ſo hohem Maße bedarf wie die
früh ⸗ und hochkapitaliſtiſche Epoche, fo werden die
Beſten im jüdiſchen Volke einem ſolchen Wandel
der Dinge nicht einmal gram ſein, weil ſie die Auf⸗
faugung ihrer Talente durch das Wirtſchafts⸗
leben und die Sinneigung der großen Maſſe ihres
Volks zum Erwerbsleben in tiefſter Seele bedauern.
Daß aber jemals eine wirkliche ökonomiſche Not
über unſere Juden kommen könnte, weil ſie am
Judentum feſthalten, wie über ihre Stammes⸗
genoſſen im Oſten, davon kann keine Rede ſein.
Denn die Entrechtung, die dafür die Vorausſetzung
wäre, liegt außer allem Bereiche der Wahrſcheinlich⸗
keit. Und mit den Rechten, die ſie heute haben,
werden fie ſich zu jeder Zeit in der kapitaliſtiſchen
Welt mit Leichtigkeit ihren Platz erobern.
Daß ſie unbeſchränkten Anteil am Staatsleben
nehmen werden, indem ſie die Rechte jedes Staats ·
bürgers ausüben und feine Pflichten erfüllen, er-
ſcheint auch als das Natürliche. Was ſollte ſich
denn ändern, wenn die Juden nun mehr als bisher
auf ihrer völkiſchen Eigenart beſtehen? Kann
man nicht ein ſelbſtbewußter Jude und ein ſehr
guter Deutſcher (im ftaatsbürgerlihen Sinne) zu
gleicher Zeit fein? Was haben das Volks-
bewußtſein und das Staatsbürgertum mitein-
ander zu tun? Freilich unſere gleichmacheriſche
zeit und die Unbegabtheit unſerer Staatsmänner
drängen auf dasſelbe Ziel hin: alle Bürger eines
Staates nun auch in kultureller und nationaler
Zinſicht zu vereinheitlichen. Aber dieſes Ziel iſt
ein höchſt verwerfliches. Es würde eine greuliche
Verarmung eines Landes wie Deutſchland bedeuten,
wenn hier auch nur alle deutſchen Stammesarten
ausgelöf cht und ein und dasſelbe Preußentum alle
Blüten deutſcher Eigenheiten zudecken wollte. Ge⸗
ſchweige denn wenn man die paar fremden Ein;
ſprengſel mit aller Gewalt in das Prokruſtesbett
der einen Kultur ſpannen wollte. Wir ſollten uns
jedes national empfindenden Polen und jedes fran⸗
zöſiſchen Franzoſen von ganzem Serzen freuen und
ſollten ihre Eigenarten, vor allem ihre Sprache,
wie einen Foftbaren Schatz hüten. Immer natür⸗
lich vorausgeſetzt, daß die Angehörigen des fremden
Volkes mit der Zugehörigkeit zu dem deutſchen
Staatsweſen ſich abgefunden haben. Wollten
ſie gegen den Staat ſich auflehnen, ſo würden ſie
Sochverräter fein und als ſolche an den Galgen
gehören. Von Rechts wegen. Dasſelbe gilt nun,
meine ich, von den Juden. Je nationaler, deſto
beſſer. Und darum können ſie die friedfertigſten,
willfährigſten, ſteuerkräftigſten () Bürger von der
Welt ſein. Sind der deutſche Schweizer, der fran⸗
zöſiſche Schweizer, der italieniſche Schweizer nicht
gute Deutſche, gute Franzoſen, gute Italiener und
doch gute Schweizer? Alſo. Nur freilich iſt „das
Regieren“ etwas erſchwert, wenn man nicht alle
„Untertanen“ über einen Ramm ſcheren kann. Aber
ſchließlich brauchen wir doch unſere zukunft nicht nur
auf die Unfähigkeit der Regierenden zuzuſchneiden.
Nun iſt aber in dieſem Zuſammenhange noch
ein Punkt zu berühren, um den der Kampf der
Leidenſchaften beſonders heftig entbrannt iſt: das
iſt die Beſetzung beſtimmter Stellen im Staate —
namentlich wohl einzelner Beamten ⸗ und Offiziers ·
ſtellen — mit Juden. Bekanntlich beſteht bei uns
in Deutſchland die ſtillſchweigende Gepflogenheit
der Behörden, manche Ämter, wie die des Offtziers
und ach! auch die des Reſerveoffiziers überhaupt
nicht, andere Amter, wie die der Verwaltung, das
Richteramt, das Amt der Univerſitätsprofeſſoren
nur in beſchränktem Umfange an Juden zu ver⸗
leihen. Sicher iſt, daß die Schwierigkeit, in ſolche
Amter zu gelangen, für den getauften Juden (wenn
s
auch nicht ganz beſeitigt, ſo doch) verringert wird,
daß alſo der aufrechte und bekenntnistreue Jude,
wenn dieſe Praxis auch in Zukunft beſtehen bleibt,
im Nachteil ift gegenüber feinem weniger ftand-
haften Stammesgenoſſen. Aus welcher Sachlage
die Frage herauswächſt: ob denn die Vorteile, die
der Getaufte genießt, und ſomit die Nachteile, die
der Aufrechte erduldet, von größerer, für das Leben
entſcheidender Weſenheit ſind.
Mir wird es außerordentlich ſchwer, dieſe Frage
zu bejahen. Offenbar fehlen mir ganz und gar die
Organe, die für dieſe delikaten Dinge erſt das rechte
Verſtändnis vermitteln. Welche Wichtigkeit kann
für den tüchtigen Mann die Tatſache beſitzen, daß
er ſich in einigen wenigen Rollen nicht betätigen
kann? Iſt es denn gar fo notwendig, Gffizier
oder gar Reſerveoffizier zu werden? Iſt es un-
erläßlich für den Forſcher, der wirklich die Wiſſen⸗
ſchaft liebt, daß er die Approbation als ordentlicher
Univerſitätsprofeſſor erhält? Sind das nicht Quis⸗
quilien für den Mann, der etwas kann und etwas
taugt, ob er irgendwo in der Hierarchie der Be⸗
amtenſchaft eine Rangftellung einnimmt? Iſt die
Welt ſonſt ſo arm an Möglichkeiten, ſein Leben
lebenswert zu geſtalten? Wie geſagt: ich begreife
dieſe Sehnſucht nach dem Staatsamt nicht. (Wie
Be).
ich übrigens auch dafür Fein Verſtändnis habe, daß
derjenige Jude, der nun ein ſolches Amt mit der
Preisgabe feiner Überzeugungen für ſich oder feine
Kinder erkauft hat, je eine ruhige Stunde erleben
kann, da ihn doch fortwährend das Gewiſſen peinigen
muß und die Angſt ihm im Nacken ſitzt: ſein
Judentum könne ihm doch noch einmal in un⸗
angenehme Erinnerung gebracht werden, und alle
Opfer an Mut und Geſinnung könnten zu guter
Letzt doch vergeblich geweſen fein.)
Ich meine alſo wirklich: daß das Spiel die Kerze
nicht wert iſt. Wenn nichts mehr winkt als ein
paar Amter und würden, ſo lohnt es wahrhaftig
nicht, ſich und ſeine Überzeugung zu verkaufen,
Verräter an ſeinem Volke zu werden.
Ganz eine andere Frage iſt es, ob aus irgend-
welchem Grunde die heute beſtehende Praxis, den
Juden manche Amter ganz oder teilweiſe zu ver-
ſchließen, nicht geändert werden ſollte. Ich kann
mir denken (und bin oft ſolchen Anſichten begegnet,
die auch innerhalb der nationaljüdiſchen und zionifti-
ſchen Kreiſe in Deutſchland — ich muß ſagen: ſelt⸗
ſamerweiſe! — heute durchaus noch die herrſchenden
ſind), daß auch ein aufrechter Jude ſagt: zwar liegt
mir nicht viel daran, irgendein Döftchen vom Staate
zu erlangen, aber es empört mein Rechtsgefühl,
De
daß ich in eine beſtimmte Stellung nicht gelangen
kann, wenn ich wollte, bloß weil ich Jude bin.
Einem ſolchen Manne würde ich antworten: daß
es hier ganz und gar nicht am Platze ſei, in
Entrüſtung zu geraten, weil ein Rechtsprinzip
erſtens gar nicht verletzt iſt und zweitens das in
Frage ſtehende Problem überhaupt nicht nach for-
malen Rechtsgrundſätzen gelöft werden kann.
Zum erſten: ich wüßte keinen Artikel der Ver⸗
faſſung namhaft zu machen, dem gemäß heute bei
uns die Amter beſetzt werden müßten. Von der
Rechtsordnung ſind zwar beſtimmte Bedingungen
aufgeſtellt, die erfüllt ſein müſſen, damit jemand in
ein Amt gelangen könne, aber keine, durch deren
Erfüllung er mechanjſch eines Amtes teilhaftig
werden müſſe. Die Berufung ſelbſt erfolgt immer
durch einen am letzten Ende perſönlichen Entſcheid:
wenn der Rultusminiſter einen Profeſſor nicht an-
ſtellt, wenn der Regimentskommandeur einen Offizier
nicht aufnimmt, ſo kann man nimmermehr von der
Verletzung eines Grundrechts ſprechen, da unſere Ver⸗
faſſung als letztlich entſcheidende Inſtanz eine Per
ſönlichkeit oder eine Gruppe von Perſönlichkeiten
anerkennt.
Das wird immer ſo ſein müſſen, wo nicht die
Amter durch Wahlen beſetzt werden; aber auch hier
N
iſt es im Grunde dasſelbe: es iſt nur das Belieben
von tauſend oder zehntauſend lebendigen Menſchen
ſtatt des eines einzelnen oder eines Kollegiums, das
entſcheidet.
Man könnte daran denken, dem Belieben der
einzelnen Perſonen, von denen die Amterbeſetzung
abhängt, in beſtimmten Normen, die einer „objek⸗
tiven“ Gerechtigkeit entſprechen könnten, Schranken
zu ſetzen oder ihren Entſchlüſſen Richtlinien vorzu-
zeichnen. Aber damit wäre wenig geholfen. Denn
entweder die Normen wären derart, daß ſie ganz
mechaniſch wirkten: wie etwa Anſtellung nach dem
Datum der Meldung oder etwas ähnliches — dann
würden ſie einen öffentlichen Unfug bedeuten. Oder
ſie ließen innere Vorzüge bei der Amterbeſetzung
den Ausſchlag geben: wie etwa die Tüchtigkeit, die
Würdigkeit, ſo würden ſie bei ihrer Anwendung
durch lebendige Menſchen doch ſofort wieder ein
ſubjektives Gepräge erfahren, da ſich Tüchtigkeit,
Würdigkeit uſw. nicht durch Ellen meſſen oder mit
Pfunden wägen laſſen, ſondern von jedem einzelnen
als etwas Beſonderes gefaßt werden: was der ein ·
zelne für das richtige hält, das entſcheidet. Und
dieſer Entſcheid wird niemals nach ab-
ſtrakten Serechtigkeitsprinzipien, fon-
dern immer im Sinblick auf das Inter
Sombart, Die Zukunft der Juden. 8
effe der Sache, der man dient, erfolgen.
Was man alſo allein einer Kritik unterziehen könnte,
wie die Dinge nun einmal liegen, wären die Grund⸗
ſätze der Zweckmäßigkeit, nach denen heute die maß⸗
gebenden Inſtanzen ihre Beamten (und Offiziere, die
ich immer mit darunter verſtehe) auswählen. Man
könnte fordern, daß dieſe geändert würden. Zu
dieſer Forderung müßte man kommen, wenn man
die Brundfäge, die jetzt zur Anwendung gelangen,
für unklug, für unzweckmäßig hielte. Sind ſie das?
Wir müſſen, um dieſe Frage zu beantworten, uns
die tatſächlichen Verhältniſſe vergegenwärtigen. Ich
wähle zwei Beiſpiele, die meiner perfönlichen Er⸗
fahrung nabeliegen: Univerſität und Offizierkorps.
Die Gepflogenheit bei der Beſetzung der Lehr-
ſtühle an den Univerfitäten ebenſo wie bei der Zu-
laſſung zur Privatdozentur iſt heute in ganz Deutſch⸗
land wohl die, daß man zwar Juden nicht grund-
ſätzlich ausſchließt, aber bei ihrer Zulaſſung oder
Wahl ſich gewiſſe Reſerven auferlegt. Das kann
man im Intereſſe der amtlich approbierten Wiffen-
ſchaft bedauern. Denn es iſt immer eine Schädigung
des wiſſenſchaftlichen Betriebes an einer Lehranſtalt,
wenn zwiſchen zwei Bewerbern um eine Stelle der
dümmere gewählt wird. Kann nun aber bei der
Beſetzung der Lehrſtühle an einer Univerſität das
3
wiſſenſchaftliche Intereſſe allein oder auch nur vor⸗
wiegend den Ausſchlag geben? Auf unſere Frage
zugeſchnitten: iſt es ein denkbarer und erträglicher
Zuftand, daß im Deutſchen Reiche ſämtliche Dozen⸗
turen und Profeſſuren an den Sochſchulen mit
Juden — getauften oder ungetauften, das bleibt
ſich natürlich ganz gleich — beſetzt wären? Da die
Juden im Durchſchnitt ſo ſehr viel geſcheidter und
betriebſamer als wir ſind, ſo könnte dieſes leicht
die Wirkung einer vollſtändig freien Zulaſſung der
Juden zu den Lehrſtellen an den Univerſitäten ſein.
Als ich in Breslau Profeſſor war, beſtand der
Lehrkörper ſchon zu einem vollen Drittel aus Juden.
Sollten die Juden ſelbſt angeſichts ſolcher Tat⸗
ſachen nicht zu der Überzeugung kommen: eine
leiſe Beſchränkung ihrer Zulaffung zu jenen Amtern
liege in ihrem höchſteigenen Intereſſe? Vielleicht
leiden die Univerſitäten weit mehr unter einer ſolchen
Beſchränkung als die Juden (die ja tauſendfache
Gelegenheit haben, ſich auch wiſſenſchaftlich, ſelbſt
naturwiſſenſchaftlich, das heißt in Wiſſensgebieten,
wo „Inſtitute“ nötig ſind, außerhalb des Rahmens
des offiziellen Cehrbetriebes zu betätigen; es genügt,
an Namen wie Friedenthal oder Ehrlich zu er⸗
innern). Aber es iſt nun einmal wirklich beſſer ſo.
zu Offizieren werden Juden bei uns überhaupt
8 6 *
nicht befördert. Auch das halte ich für eine kluge
Praxis, die ebenfalls vor allem im Intereſſe der
Juden ſelbſt gelegen iſt.
Die Kriegerkaſte ſollte man am liebſten über-
haupt nur aus Kriegerfamilien ergänzen. Die
wichtigſten Eigenſchaften, die den tüchtigen Offizier
machen (mit Ausnahme der paar wiſſenſchaftlich
arbeitenden Offiziere an leitenden Stellen und im
Generalſtabe), werden dem jungen Manne von ſeiner
Familie mitgegeben. Die Familientradition iſt eine
der allerbeſten Ausrüſtungen für den Offizier, die
Familientradition, wie ſie am treueſten nur der Adel
pflegt. Wes halb es vielleicht im Intereſſe des Offizier;
korps gelegen wäre, wenn man ſeine Stellen dem
Kriegsadel vorbehalten könnte. Schon der reiche
Rommerzienratsfohn aus dem Weſten bringt längft
nicht dieſelben Eigenſchaften mit, die den tüchtigen
Frontoffizier machen, wie der arme „Junkerſohn“
aus dem Oſten, in deſſen Familie der Gffiziers⸗
beruf ſeit Jahrhunderten vielleicht ausgeübt wird.
Ebenſo fehlt aber auch den Juden dieſe ſpezifiſche
Tradition, ſo daß hier nicht einmal, wie im Falle der
Univerfitäten, von einem moglichen Verluſt geſprochen
werden kann, den die Armee erleidet, wenn Juden
zu Offizieren nicht befördert werden. Man muß
ſich, um das einzuſehen, nur von der techniſchen
ER
Vorſtellung frei machen: als ob die Qualifikation
zu einem Amte durch die guten „Leiſtungen“ allein
erworben würde, während bei manchen Amtern
die Anforderungen ſind naturgemäß verſchieden
von Amt zu Amt — alle anderen Eigenſchaften
des Menſchen eher wie ſeine nachweisbaren
„eiſtungen“ ihn befähigen, feinen Poſten auszufüllen.
Und das Intereſſe der Juden? Das bißchen
Offizierwerden kann fie doch wirklich nicht fo arg
reizen. Eine ehrverletzende Zurückſetzung liegt für
ſie ebenſowenig in der Ausſchließung vom Offizier⸗
ſtand wie für uns Bürgerliche in der Ausſchließung
von beſtimmten Regimentern. Und fürchten ſie
denn gar nicht die ſchlimmen Folgen, die das Ein⸗
dringen gerade in das Offizierkorps für ſie im Ge⸗
folge haben könnte? Sat der Dreyfus Skandal in
Frankreich ſie gar nichts gelehrt? Ich ſagte ſchon:
wenn die ſoziale Stellung der Juden in Deutfch-
land ſo vorzüglich iſt, beſſer wie in irgendeinem
Lande Europas und Amerikas, fo ſei das nicht zu
letzt dem Umſtande zu danken, daß ſie nicht in alle
Gebiete eingedrungen ſeien und deshalb weniger
Reibungsflächen ſchüfen wie in andern Ländern.
Ganz beſonders gilt das vom Gffizierſtande. Sier
werden nun einmal — warum ſich der Erkenntnis
deſſen, was iſt, verſchließen? — die antiſemitiſchen
SEI. >
Traditionen gepflegt, als ob fie, möchte man fagen,
einen Beſtandteil der Standesehre bildeten. Das
iſt eine Tatſache, die man bedauern mag, die aber
mit dieſem Bedauern nicht aus der Welt geſchafft
wird, mit der jeder kluge Menſch rechnen muß.
Dieſer antiſemitiſche Zundftoff müßte nun aber zur
Flamme werden, ſobald jüdiſche Elemente in das
Offizierkorps hineingeſtreut würden. Denn nirgends
iſt ja die perſönliche Berührung zwiſchen den An⸗
gehörigen desſelben Berufs ſo ſtark wie bei den
Offizieren. Sie ſind die einzigen Menſchen, die ein
wirklich kommuniſtiſches Gemeinſchaftsleben führen.
Und bei dieſem ſpielt natürlich die perſönliche
Neigung und Abneigung eine entſcheidende Rolle.
Ich verſtehe wahrhaftig wieder nicht, wie einem
Juden gelüſten kann, in einem Gffizierskaſino ewig
wie auf einem Pulverfaſſe zu ſitzen als Opfer eines
ſchlecht verſtandenen formalen „Gerechtigkeits“.
fanatismus. Oder foll man ſich rein jüdiſche
Regimenter vorſtellen?
Alſo — in Summa: man ſollte wirklich —
einſtweilen! was die ferne Zukunft bringt, wiſſen
wir ja nicht — an dem beſtehenden Zuſtande nichts
ändern wollen. Er wird, ſo „unvollkommen“ er
iſt, fo viel Härten und „Ungerechtigkeiten“ er mit
ſich bringt, doch den Intereſſen, wie mir ſcheint,
En
aller beteiligten Perſonen am eheſten gerecht. Die
Juden ſelbſt ſollten nicht ganz unnützer Weiſe
Dinge verlangen, die ihnen zu allererſt ſchaden
würden. Man ſollte auch endlich aufhören, alle
dieſe delikaten Verhältniſſe nach rein äußerlichen
und notwendig ſchematiſchen „Gerechtigkeits“grund⸗
ſätzen behandeln zu wollen. Es gibt Beziehungen
zwiſchen Menſchen, die nie und nimmermehr durch
ein formales Recht zum Guten geſtaltet werden
können, deren glückliche Regelung der Klugheit und
des Taktes aller beteiligten Perſonen bedarf. Zu
dieſen Beziehungen gehören die zwiſchen den Juden
und Nichtjuden in den modernen Staaten. Sollte
ich mein Programm kurz formulieren, wie dieſes
Zufammenleben zu regeln wäre, fo würde ich fagen:
die Staaten geben ihren jüdiſchen Mitbürgern die volle
Gleichberechtigung, und die Juden werden die Klug ⸗
heit und den Takt beſitzen, dieſe Gleich berechtigung
nicht überall und in vollem Umfange auszunützen.
Würde dieſes Programm verwirklicht, ſo könnten
wir, glaube ich, gerade wenn jetzt ein Geſchlecht
aufrechter Juden in unſerer Mitte heranwächſt, der
Zukunft hoffnungsvoll entgegenſchreiten und gewiß
fein, daß ſich das Zuſammenleben mit den Juden
und der Juden mit uns zu einem harmoniſchen
und für alle Teile ſegensreichen geſtalten werde.
VII. Volkstum und Menſchtum
W aller bisherigen Betrachtung war nur vom
Volkstum die Rede, weil ich tatſächlich glaube, daß
für alle Rulturgeftaleung die Betonung der natio⸗
nalen Beſonderheiten die notwendige Vorausſetzung
iſt. Wir wiſſen heute, aus Gründen, die ich ſelbſt
im Verlauf dieſer Abhandlung wenigſtens an⸗
gedeutet habe, daß alle ſittlichen und alle künſt
leriſchen Werte nur im Rahmen einer ſtarken Volks-
gemeinſchaft zur Entfaltung gelangen können. Wir
empfinden die blutsmäßige Verſchiedenheit der ein⸗
zelnen Menſchengruppen und deſſen, was ſie an
Kulturen ausſtrahlen, wieder ſtärker als unfere
Väter und Großväter und wollen von einem ver⸗
blichenen Rosmopolitismus und Internationalismus
nichts mehr wiſſen.
Aber ich möchte doch nun auch dieſes nicht un-
ausgeſprochen laſſen: daß wir über dem Volks-
genoſſen den Menſchen nicht zu vergeſſen brauchen.
80
In zwiefachem Sinne wollen wir nur von Menſchen
und nicht von Voͤlkern hören. Dann, wenn wir
uns der ewigen und unveräußerlichen Sumanitäts-
ideale erinnern, wie ſie das Chriſtentum gepflegt
und die Großen der Aufklärung außerhalb jedes
religiöfen Rahmens wieder zur Geltung gebracht
haben. Dieſe Menſchtumsideale legen uns allen
Menſchen (ib möchte hinzufügen: aller Kreatur)
gegenüber Pflichten auf, Pflichten der Liebe, der
Barmherzigkeit, des Wohlwollens.
Es ſollte kaum nötig ſein, zu betonen, daß auch
in den Beziehungen zwiſchen Juden und Nicht
iuden dieſe Menſchtumsideale hochgehalten werden
müſſen, daß wir mit allen Mitteln die Ausbrüche
der Roheit, der tieriſchen Inſtinkte zu verhindern
trachten ſollten, wie ſie in den Verfolgungen der
Juden im Oſten immer wieder zutage treten. Aber
auch jede hämiſche und brutale Behandlung der
Juden, in denen wir immer trotz aller Begenf ätzlich⸗
keit des Blutes Menſchenbrüder erkennen, in den
ziviliſierten Ländern ſollte vor einem ausgebildeten
humanen Empfinden verſchwinden. Antiſemitismus,
wenn man darunter die Antipathie des Nichtjuden
gegen den Juden verſteht, wird es vorausſichtlich
geben, ſo lange es Juden auf dieſer Erde gibt,
das heißt alſo, ſo lange dieſe Erde dauert. Aber
BE
Judenhaß, Judenverachtung, Judenverhöhnung,
Judenmißhandlung brauchen nicht ſeine Begleiter
zu ſein.
Wir glauben heute den Männern der Auf klärung
nicht mehr, daß alle Menſchen gleich ſind; aber
wir empfinden noch wie ſie die große adelnde Kraft
der Humanitätsidee, die uns in allen Völkern doch
die eine Menſchheit erkennen läßt.
Und noch in einem andern Zuſammenhang wollen
wir nichts von Volkstum und nur etwas vom Menſch⸗
tum hören: wenn es ſich um die Auswahl unſerer
Freunde handelt. Die Eigenheiten des perſönlichen
Empfindens ſind heute wenigſtens in den Gber⸗
ſchichten aller Völker ſo ſtark differenziert, die Zufälle
des perſönlichen Schickſals ſind ſo große, daß es uns
wie eine törichte Zumutung vorkäme, wollte man
unſern perſönlichen Umgang nach den Volksgruppen
abgrenzen. Man ſoll doch nie vergeſſen, daß alles,
was man von nationaler Eigenart und von natio⸗
nalen Gegenſätzen ſagt, immer nur für die große
Menge gilt. Einzelne werden ſich aus verſchiedenen
Gruppen immer zu perſönlicher Freundſchaft zu-
ſammenfinden. Und auf einer beſtimmten Söhe des
Menſchtums verſchwinden die Gruppeninſtinkte und
auch die nationalen Beſonderheiten ganz. Alle oder
doch faſt alle Menſchenkollektivs, fo ſehr ihre Haupt ·
OL
beftandteile voneinander abgeſtoßen werden mögen,
vereinigen ſich doch in ihren Spitzen zu einer Ge⸗
ſellſchaft weſens verwandter Geiſter. Durch alle
Linien, die die Völker und Kaſſen vertikal von-
einander trennen, geht oben eine Linie quer hin-;
durch, die die Maſſe und die Bürger von den
Menſchen trennt, und oberhalb dieſer Linie gibt es
Feine nationalen Begenfäge mehr. Sier finden ſich
Japaner und Deutſche, Engländer und Ruſſen,
Neger, Juden und Chineſen zu einer einzigen, durch
reines Menſchtum verbundenen Gemeinſchaft zu;
fammen.
So beſteht alfo, ſcheint mir, in keinem Sinne
ein Gegenſatz zwiſchen Volkstum und Menſchtum:
beide haben ihre Daſeinsrechte und führen, jedes
in feiner höͤchſten Entfaltung, vereint den Reichtum
unſerer Kultur herbei.
Mittel⸗Schreiberhau (Rg.)
Weihnachten 191I.
Verlag von Duncker & Humblot in Leipzig.
Die Juden und das Wirtſchaftsleben
Werner Sombart.
Preis geheftet 9 Mark, in Halbpergament 11 Mark.
Aus den Stimmen der Preſſe:
Jahrbuch für Geſetzgebung, Derwaltung und Dolks-
wirtſchaft XXXV, 3: Sombarts Darſtellung macht durch ihre über⸗
aus ſcharfſinnige und vielſeitige Frageſtellung die Einzelforſchung
über jüdiſches Wirtſchaften und jüdiſche Wirtſchaftslehre erſt möglich und
fruchtbar. In dieſem Sinne iſt das Buch eine wiſſenſchaftliche Tat
erſten Ranges.
Citerariſches Zentralblatt 1911, Nr. 31: Der bekannte Ver⸗
faſſer des „Modernen Kapitalismus“ erfreut uns hier mit einer ſehr
willkommenen Gabe.
Die Neue Rundſchau, 1911, Seite 889 (Dr. Franz Oppenheimer):
Ein ungeheures Material iſt aus allen möglichen Wiſſensgebieten zuſammen⸗
gebracht und in der vorbildlichen Weiſe geordnet und gegliedert
worden, die Sombarts größte Begabung iſt; und dieſer Stoff iſt in einer
quellenden, lebendigen Sprache dargeſtellt, die um ſo mehr und
beſſer überredet, als ſie von tauſend glücklichen Nebengedanken und Kus⸗
blicken ſprüht, im beſten Sinne des Wortes „geiſtre ich“ iſt. Da iſt
nirgends eine Sandbank im ſchnellfließenden Strom dieſer Darſtellung.
Der Kar, I. Jahrgang, Heft 10, Juli 1911 (Dr. Hans Roſt): Ein
überaus wichtiges und lehrreiches Buch! ... Man kann das Werk
nur mit dem Gefühle aus der Hand legen, daß hier eine ſchwere, bisher
kaum in Angriff genommene Arbeit mit ſehr gutem Erfolg geleiſtet
worden iſt. . .. Kein Sozialpolitiker und kein Hiſtoriker kann achtlos an
dieſem wichtigen und weitſchauenden Buche vorübergehen.
Peſter Clond, 16. IV. 11: Wir wollen gleich erwähnen, daß es
wenige Bücher gibt, die eine jo genußreiche Lektüre gewähren, inſo⸗
fern als Geiſt, Gelehrſamkeit und Witz ſich vereinen, um dies Buch
zu einem Meiſterwerke zu geſtalten, das nicht allein durch ſeinen In⸗
halt, ſondern auch durch ſeine glänzende Sprache des Beifalls aller
gebildeten Lejer gewiß fein kann. . .. Als ſubjektives Werk, als Frucht
Derlag von Duncker & Humblot in Leipzig.
der Forſcherfähigkeit Sombarts betrachtet, iſt es wohl das Blendendſte,
was in puncto Judenfrage bisher geſchrieben wurde. Blendend, was
die Form, blendend, was den Inhalt betrifft.
Die Neue Freie Preſſe (W. v. W.): ... Dies iſt in groben Um⸗
riſſen der Inhalt des Sombartſchen Buches. Dieſe Anzeige genügt ſicher,
um die Überzeugung wachzurufen, daß wir es hier mit einer ernſthaften
wiſſenſchaftlichen Arbeit zu tun haben, welche die Frucht der emſigen
Sammlung eines Tatſachenmaterials und eines ſcharfen theoretiſchen
Denkens iſt. Hierbei finden wir zu unſerer Freude alle Vorzüge der
anderen Sombartſchen Arbeiten wieder, ſeine klare Darſtellung, eine
ſorgfältige pflege der Sprache. Wir ſehen ſchließlich wieder, daß
Wiſſenſchaftlichkeit und lange Weile nicht identiſch ſein müſſen! ... Sombart
ſucht und forſcht, ſieht ohne Vorurteil, ohne Haß und Liebe die
Dinge, wie ſie ſind, und doch iſt alles geſchaut von einem ſtarken Tem⸗
perament und von einer ſcharf ausgeprägten Individualität.
Dieſe Vorzüge werden ſeinem neuen Buche zahlreiche Ceſer ſichern.
Die Zeit, 25. III. 11 (Karl Jentſch): Es iſt keine Redensart, ſondern
der Kusdruck meiner Überzeugung, wenn ich Werner Sombarts neueſtes
Werk: „Die Juden und das Wirtſchaftsleben“ ein epochemachendes
Buch nenne. Nicht allein überſchüttet es uns mit einer Fülle bisher un⸗
bekannter, ſehr wichtiger Tatſachen, ſondern es vertieft auch
unſere Einſicht in das Weſen des Kapitalismus, die er uns in ſeinem
Hauptwerke erſchloſſen hat.
Bohemia, 1. III. 11: Das Buch iſt aktuell im guten Sinne des
Wortes
ies 13. nn Das erſte wiſſenſchaftliche Werk,
das den Gegenſtand umfaſſend behandelt, ſtammt aus der Feder Werner
Sombarts. . .. Auch über die Raſſe wird man ſtreiten können. Aber
gleichviel: das Werk iſt die Tat eines Meiſters, — und ſeine Wirkung
wird der Stärke des Geiſtes, der es hervorbrachte, entſprechen.
Berliner Börſen⸗ Zeitung, 28. II. 11: Auf nahezu 500 Groß⸗
oktavjeiten hat der rühmlich bekannte Gelehrte ein imponierendes geſchicht⸗
liches Material zur Frage zuſammengeſtellt, das in bewundernswerter
Objektivität Cicht und Schatten gleichmäßig verteilt. Der Derfajjer
wird dem Judentum gerecht.
Berliner Tageblatt, 26. IV. 11: .. Scmbarts Buch wird ſicherlich
zu weiteren nationalökonomiſchen Arbeiten über Religion und Dolkswirt-
ſchaft anregen.
B. Z. am Mittag, 10. III. 11: Wie Sombart mit großer Kühnheit
und Unbefangenheit aus dem überreichen Tatſachenmaterial, das er ane
häuft, ſeine Schlüſſe zieht und ſie — man kann jagen — zu einem Syſtem
kombiniert, das erſcheint auf den erſten Blick ſo zwingend und iſt
jedenfalls jo originell und geiſtvoll, daß an dieſem umfaſſenden
Verlag von Duncker & Humblot in Leipzig.
Werke keiner wird vorübergehen dürfen, der zu dem ebenſo leidenſchaft⸗
lich wie zumeiſt kenntnislos erörterten Thema der „Judenfrage“ etwas
ſagen will.
Augsburger Pojt-Seitung, 5. V. 11 (Roſt): Der Verfaſſer erfaßt
das jüdiſche Problem in tiefgründiger Weiſe
Kölner Tageblatt, 3. VI. 11: Es iſt ein ebenſo eigenartiges
wie intereſſantes Werk, das der bekannte Gelehrte nicht nur der
wiſſenſchaftlichen Welt, ſondern den weiteſten gebildeten Kreiſen
vorlegt. Die vornehme Ruhe und ſtrenge Sachlichkeit, mit der der Der-
faſſer ſeine Darlegungen macht und ſeine Beweiſe antritt, erhöhen den Wert
der Unterſuchung. Daß ſie ſelbſt wieder eine Fülle von Anregungen zu
neuen wiſſenſchaftlichen Arbeiten enthält, macht ſie auf Jahre hinaus zu
einem wichtigen Rüſtzeug.
Kölniſche Volkszeitung, 5. X. 11: Sombart, der bekannte
Nationalökonom, Profeſſor an der Handelshochſchule in Berlin, war ſicher
einer der Berufenſten zur Übernahme einer Arbeit wie der vorliegenden.
Seine eindringenden Studien über die Entſtehung des modernen Kapitalis=
mus überhaupt, ausgedehnte Spezialforſchungen für das vorliegende Werk
im beſonderen, ſein Wirken an einer Stelle, an der ſich zur Beobachtung
der Betätigung der Juden im modernen Wirtſchaftsleben reichlichſte Ge⸗
legenheit bietet, jein Dernögen, wirtſchaftliche und ſoziale Vorgänge ſcharf⸗
ſinnig zu analyſieren, nicht zuletzt ſeine hervorragende Darſtellungsgabe
haben hier zuſammengewirkt, um ein Buch entſtehen zu laſſen, das um
feiner Ergebniſſe willen die größte Beachtung ſehr weiter Kreije verdient
und auch ſofort gefunden hat.
neckar⸗ Zeitung, 13. III. 11: Sombarts Werk iſt eine Tat.
Es hat neue Werte geſchaffen und dem künftigen Forſcher die Richtlinien
gezeigt. Seine leichte und flüſſige Sprache wird dazu beitragen, ihm die
verdiente Verbreitung zu ſichern.
Bremer Weſerzeitung, 25. V. 11: Was er in ſeinem Cöſungs⸗
verſuche an geiſtiger Kinematographie des überbeweglichen Juden⸗
tums gibt, iſt vielleicht das Wertvollſte, was über die ſchillernde Unruhe
der jüdiſchen Pſyche ſeit langem gejagt worden iſt.
Saale⸗Seitung, 25. VII. 11: Nichts lehrhaft Trockenes und
Pedantiſches ſtört die Freude an der Cektüre dieſes Buches.
In der ihm eigenen geiſtvollen, wenn auch häufig paradoxen Weiſe weiß
Sombart auch hier ſeinen Stoff zu behandeln, ſo daß man von Anfang
bis Ende gefeſſelt wird. Das Buch wird in allen Kreiſen die größte
Beachtung finden müjjen.
Breslauer Morgen: Zeitung, 20. VII. 11: Sombarts Buch iſt
ein Gelehrtenwerk, dem der Sweck der Pikanterie und der Senſation jo
fern liegt wie die Wahrheit dem Schein; es iſt eine grundlegende Arbeit
auf einem Gebiete, das bisher vom Pfluge der Forſchung unberührt blieb,
Verlag von Duncker & Humblot in Leipzig.
und es iſt eine Kunſtſchöpfung, die allen denen einen ungetrübten Ge—
nuß bereitet, welche für die auf den Gefilden der Wiſſenſchaft nicht eben
häufige Verbindung des Geijtes mit der Schönheit Derjtändnis haben.
Dokumente des Fortſchrittes, Mai 1911: Und dies iſt eins der
wenigen zeitgenöſſiſchen Bücher, das zu ſchreiben aus mehr als einem Grunde
eine Notwendigkeit war.... Oft wird man zum Widerſpruch ge⸗
reizt, oft wird man ſtutzig über anſcheinend allzu kühne Schlüſſe und
nicht immer wird man überzeugt, aber ſtets iſt man gefeſſelt und an⸗
geregt und erhält den Geſamteindruck, daß man zwar keinem abſchließen⸗
den Werke gegenüberſteht, was Sombart ja auch ſelbſt erkennt, wohl aber
einer Pfadfinderarbeit von hoher und wahrſcheinlich außer⸗
ordentlich weitreichender Nachwirkung.
Schleſiſche Volkszeitung, 2. VII. 11: Wer fi einen Einblick in
die immenſe Bedeutung des Judentums für unſer Wirtſchaftsleben verſchaffen
will, der greife nach dieſem Werke.
Jüdiſche Rundſchau, 17. III. 11: Das neueſte Judenbuch —
Profeſſor Werner Sombarts Werk „Die Juden und das Wirtſchaftsleben“ —
hält ſich von Haß und Liebe gleich entfernt, tadelt nicht und lobt nicht, ſtellt
Reſultate wiſſenſchaftlichen Forſchens zuſammen und iſt dabei ſo packend
geſchrieben, daß ſich dieſes ökonomiſch-politiſche Werk wie ein
„ſpannender“ Roman lieſt.
Die jüdiſche Preſſe, 19. V. 11 (Rabbiner Dr. M. Hoffmann):
Geſtützt auf eine univerſale Kenntnis der geſamten in Betracht
kommenden Literatur wird die große Judenfrage aufgerollt und mit
allen einſchlägigen Problemen beleuchtet. In beſcheidener, echt wiſſenſchaft⸗
lich zurückhaltender Art wird ein Derjucd der CTöſung unternommen. So
wird das Buch unter der Hand zu einer, möchte ich ſagen, in dieſer Kürze
und Klarheit einzigen Enzyklopädie des Judentums, welche
jedem gebildeten Juden und Chriſten Aufklärung, jedem Forſcher auf dieſem
Gebiete Anregung bietet. Beſonders bemerkenswert iſt die ſeltene Un⸗
parteilichkeit, welche ſich der Derfajjer auf dieſem ſeit Jahrhunderten vom
Geſchrei der kämpfenden Parteien widerhallenden Gebiete zu bewahren
gewußt hat. Es wird nicht bloß das Buch der Saiſon ſein,
ſondern es wird das Standardwerk des ganzen Seitalters
über Juden und Judentum bleiben.
Israelitiſches Samilienblatt, 11. V. 11 (Dr. Rudolf Waſſer⸗
mann): Sicherlich wird es auch in der Praxis des Lebens, im politiſchen
Kampfe der Parteien eine Rolle ſpielen. Im einzelnen mag das Buch
manche Angriffspunkte bieten, als Geſamterſcheinung kann man nur davon
ſagen, daß Sombart mit dieſem Werk ein klaſſiſches Buch über das
Judentum und fein Verhältnis zum heutigen Wirtſchaftsleben geſchrieben
hat, indem er die Zuſammenhänge, die zwiſchen beiden beſtehen, als erſter
aufgedeckt hat.
Verlag von Duncker & Humblot in Leipzig.
ECONOMIC JOURNAL, 1911 (M. Epstein): The book is a brilliant
contribution, in Sombart’s best style, to the study of an important
problem in economic history, and both the matter and the method
merit close attention.
Israelitiſches Samilienblatt, 21. XII. 11 (S. Meijels): Das
Buch des Jahres iſt das Werk Werner Sombarts: „Die Juden und das
Wirtſchaftsleben“. Dieſes Werk iſt ein reicher Quell neuer Gedanken und
behandelt zum erſtenmal ein Gebiet ſozialökonomiſcher Natur, das bisher
von keiner Seite eine umfaſſende Darſtellung erfahren hat. Man mag ſich
zum Werke Sombarts ſtellen, wie man will, man mag darin ein Bild des
Judentums oder nur ein Dokument des Sombartſchen Geiſtes erblicken, die
Tatſache wird man nicht leugnen können, daß ſeit dem Erſcheinen des erſten
Bandes von Lazarus’ Ethik kein Buch fo viel Aufſehen in der jüdiſchen
Welt erregt hat wie das Sombartſche Werk.
Mitteilungen zur jüdiſchen Volkskunde, Heft 40: Dieſem
Buche ſind zwei Vorzüge nicht abzuſprechen: eine überſichtliche Suſammen⸗
ſtellung der bisher bekannt gewordenen hiſtoriſchen Daten über die Be⸗
deutung der Juden für das Wirtſchaftsleben und der Verſuch, hinter dieſen
Belegen einen pſychologiſchen Zuſammenhang aufzuſpüren.
Politiſch⸗Anthropologiſche Revue, Dezember 1911 (C. Müller
v. Hauſen): Das Werk iſt nicht nur eine reiche Fundgrube für jeden, der
in die Judenfrage eindringen will, es bietet auch den Schlüſſel zu manchen,
bisher ungeklärten Fragen über die ungeahnt ſchnelle Entwicklung des
Kapitalismus in der Geſellſchaft, die ſich vor unſern Augen vollzieht und
deren Abſchluß noch gar nicht abzuſehen iſt.
Straßburger Poſt, 5. XII. 11: Dieſes epochemachende Werk des
berühmten Forſchers eröffnet neue Einblicke in das kulturelle und ſoziale
Leben der Gegenwart und hat allgemeines berechtigtes Aufjehen erregt.
Neue Zürcher Zeitung, 11. XI. 11: Im Nachſtehenden ſoll ver⸗
ſucht werden, im Suſammenhange den reichen Inhalt des Werkes anzudeuten.
Es iſt allerdings nicht leicht, dieſer Reichhaltigkeit im engen Rahmen einer
kurzen Beſprechung auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Denn der
Titel läßt nicht ahnen, in wie univerſeller Weiſe der Autor fein Problem
behandelt hat.
Allgemeine Rundſchau, 2. IX. 11: Die Lektüre dieſes Buches
iſt ein hoher Genuß. Das jüdiſche Problem, an welchem Hiſtoriker, Sozio⸗
logen, Theologen, Völkerpſychologen in gleichem Maße intereſſiert ſind,
hat hier unter dem eigentlich nächſtliegenden Geſichtspunkte der Bedeutung
für das ie der 1 die erſtmalige er bzügige, wiſſen⸗
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UNIVERSITY 7 TORONTO LIBRARY
| 1
DS Sombart, Werner
1/1 Die zukunft der Juden
868
RN EI WERTET nnen
Georg Müller Verlag in Münde
In meinem Verlage erſchien farben:
Judentsufen
von Werner Sombart
Matth. Erzberger, Friedr. Naumann, Fritz meuthner
Max Nordau, Ludwig Geiger, Frank Wedekind, 5. 5.
Ewers, Seinr. Mann, Herbert Eilenberg, Joſ. Rohler, i
Rich. Dehmel, Herm. Bahr, Gberrabbiner Maybaum
und namhaften Profeſſoren deutſcher Univerſitaten 7 /
Geh. M. 2.—
u dieſem Buche wird jeder gebildete Deutſche, gleichviel welchen nei wo
und melden politifchen Richtung er angehört Stellung. nehrin: er
Di J d die ſich inſolge der immer je a
le u en tage, Affimilstionsbeftr-bungen in Deut
land, der unhaltbaren Zuſtände in Austen und der an iſemitiſchen ſozia
len Strömungen in Amerika immer mehr zuſpitzt und zu einer Entſchei⸗
dune Fränge, iſt entſprechend der iy den letzten Jahrzehnten vorgegang e
Veranderungen in ein neues Stadium getreten und verlangt eine neue PYrien⸗
tierung. In dieſem Sinne haben es hier deutſche Zochſchullebrer Politiker un;
Schriftſtellet bon Auf unternommen, das alte, jedoch nicht minder aktuel.
Dr blem zu formulieren und die Richtung für feine 2öfung anzudeuten. Die
geſchieht durch die Beantwortung der folgenden drei Fragen:
J. Welches ſind die vorausſichtlichen Folgen in geiſtiger⸗ wis
ſhaftlicher und politiſcher Beziehung im Falle der Afime- x
la tion aller Juden durch maſſenubertritte, Miſchehen HR
uf. ?
2. Weiches ind eben diefe Folgen im Falle der Verwitligung
der zie iſtiſchen Idee
a) fur di iudenreinen Staaten?
b) füt Fioniſtenſtuate ?
3. Was a wicht, wenn weder ! noch 2 eintritt? Sind. RO
flikte zu befürchten und alls ja, welcher Art werden die
Konflikte ſein? Iſt demnach J, 2 oder 3 wünſchens wert 8
Tieres Buch wird vielleicht einmal den Ausgang bilden dei 9 des
e die über kurz oder lang erfolgen muß.
Piererſche Zofbuchdruckere! Stephan Geibel & Co., Altenburg 8 »A.