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Full text of "Diogena."

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"BIBLIOTHEK 


a teak HIRSCH 


* 


Roman 


von 


Iduna Gräfin H.. 9. 


Ke 


Leipzig: 
n eck ha u | 
ER 2 


1847. 


Digitized by the Internet Archive 
in 2014 


https: //archive.org/details/diogena0? lewa 


Diogena. 


Idung Gräfin G. S. 


— — bh — — 


Leipzig 
5 A. Bro ch a u 8 


1847. 


Erſtes Bud. 


Es iſt ein Vorzug alter, adeliger Geſchlechter, daß 
ſie vermöge ihrer Stammbäume zurückblicken kön— 
nen in die Vorzeit, die ihnen ſpeciell zugehört, und 
daß ſich dadurch in dem Bewußtſein der Nachkom— 
men die Schickſalsfäden zu einem Ganzen verwe— 
ben, die für den Niedriggeborenen nur einzelne zer— 
ſtreute Thatſachen bleiben. 

Ueberhaupt, wahre, großartige Schickſale hat 
nur die Ariſtokratie! Es gehört Muße dazu, ein 
Schickſal zu haben, es iſt eine Vocation, eine Di— 
ftinetion ein Schickſal! Ein großes Schickſal adelt 
das Leben eines ſonſt ganz mäßigen, eiteln, frivo— 
len Menſchen, es fällt vom Himmel herab wie die 
edlen Prärogative der Geburt; aber es will nur 
von feinen Händen aufgefangen ſein, es will nur 
in engliſche Parks und auf perſiſche Teppiche her— 
niederfallen; denn das Schickſal iſt ſelbſt ein Ari— 
ſtokrat des Himmels. 

Oder denkt euch, ein großes, gigantiſches, ein 
ercluſiv tragiſches Geſchick fiele auf das Leben ei— 


5 


nes Handwerkers herab! Wie könnte es ſich da 
geſtalten? Noth und Sorgen treten ſo ſehr in den 
Vorgrund, der Hunger und die Arbeit ertödten alle 
Sentimentalität, die Phantaſien, die vaguen Träu— 
mereien, die idealiſchen Erhebungen fliehen vor dem 
Klappern der Werkzeuge und das ignoble Verlan— 
gen hungernder Kinder läßt den Aeltern weder für 
die poetiſchen Alluren des Herzens noch des Gei— 
ſtes freien Raum. 

Wie anders geſtaltet ſich unſer Loos, die wir nie 
arbeiten, die wir nie hungern und die wir von dem 
Erdendaſein Nichts kennen, als die Salons und 
die daran ſtoßenden Bowlinggreens, die Reiſekale— 
ſche und die eleganten Hotels; die Armen, denen 
wir mit graziöſer Nonchalence ein Almoſen zu— 
werfen, die Dienerſchaft, welche wir mit vorneh— 
mer Impertinenz ignoriren und die Frauen unſers 
Standes — Rivalinnen, mit denen wir eine Lanze 
brechen — und die ebenbürtigen Cavaliere, Skla— 
ven unſerer hochadeligen Capricen, Spielbälle un— 
ſerer phantaſtiſchen Herzensunerſättlichkeit. 

O! das Leben iſt ſchön auf dieſen Höhen der 
Eriſtenz! Wie die ewig lächelnden, leichtlebenden 
Götter des Olymps leben wir, und heißen Dank 
ſollte das bürgerliche Gros der Menſchheit Denje— 
nigen zollen, die ihm in ihren Romanen ein Ab— 


SATIN MEAN 


bild unſers Daſeins gewährten, die ihm vergönn— 
ten die Portieren zu lüften, hinter denen ſich un— 
ſere ariſtokratiſche Eriſtenz, unſere nobeln Paſſio⸗ 
nen verbergen. 

Ich liebe die Großmuth in dem Charakter des 
Edelmannes, ſie gehört zu ihm, wie der Helmſtutz 
in ſeinen Blaſon; und ich ſchätze die Milde in dem 
Herzen einer Frau, denn ſie kommt ihr zu, wie 
die blaßgelben Handſchuhe ihren zierlichen Händ— 
chen. So will ich, obgleich es mein Herz zerreißt, 
untertauchen in die ſchmerzlichen Erinnerungen mei— 
nes Lebens und mich ſacrificiren zum Beſten der 
Roture, die ſchon ſeit Jahren mit blödem, adori— 
rendem Staunen den miraculöſen Schickſalen un— 
ſers Hauſes folgte. 

Ich ſtamme von einem altgriechiſchen Hauſe ab, 
deſſen Uranfänge ſich in die Zeiten des Deukalion 
verlieren. Der erſte Ahne, deſſen Name in den 
Regiſtern unſers Geſchlechtes verzeichnet worden, 
iſt Diogenes; ſeine Laterne, mit der er Menſchen 
ſuchte, leuchtet in unſerm Wappen. Er hinterließ 
keinen männlichen Erben, er ſelbſt hatte in ſeiner 
ſchroffen, gewaltſamen Natur die Kraft ganzer Ge— 
nerationen verbraucht. Nur eine Tochter blieb von 
ihm zurück. Ihr vermachte er ſeine Laterne, ſie 
ſegnete er in ſeiner Sterbeſtunde mit den Wor— 


I 


ten: „Suche einen Menſchen, bis Du den Rechten 
findeſt.“ 

Dies myſteriöſe Wort iſt der Segen und der 
Fluch unſers Geſchlechtes geworden. An ihm ſind 
die edelſten Herzen gebrochen. Die ganze wandernde 
Raſtloſigkeit, der ganze cyniſche Idealismus, oder 
ſoll ich ſagen, der ideale Cynismus und alle Ab— 
normitäten in dem Behaviour unſers Stammva— 
ters ſind auf uns übergegangen, und machen heute 
noch die Grundzüge unſers Geſchlechtes aus, das 
ſich merkwürdiger Weiſe faſt nur durch die Geburt 
von Töchtern fortpflanzt. Die Laterne iſt ein Dun— 
kellehn geworden. 

Ich übergehe mit rückſichtsvoller Discretion 
das Leben der Frauen unſers Hauſes im Mittel— 
alter. Man iſt es ſich ſchuldig egards zu nehmen 
und nicht freiwillig dem blöden Auge der Maſſe 
die partie honteuse ſeiner Familie preiszugeben. 
Wie leicht könnten bürgerliche Frauen, in deren 
rothe, von ſchwerer Arbeit zerſtörte Hände mein 
Buch fiele, das edle, unbefriedigte Daſein meiner 
Aeltermütter misverſtehen. Wie könnte eine Frau, 
die ſich begnügt mit der kühlen Liebe eines bürger— 
lichen Regierungsrathes und mit der waſchenden und 
kochenden Pflichterfüllung in ihrer engen Sphäre, 
das große Leid einer Kaiſerin Meſſalina, einer Lu— 


. 


crezia Borgia, einer Königin Johanna von Nea— 
pel verſtehen! Wie könnte ſie die Schmerzen raſt— 
los ſuchender, ewig unbefriedigter Liebe verſtehen, 
die in jenen Frauen ſo gewaltig wurden, daß die 
glühende Liebe ſich in Haß verkehrte und die Fackel 
des Hymen ſich verwandeln mußte in den Dolch 
und in das Schwert! O, es gibt furchtbare Sen— 
ſationen, es gibt tragiſche Emotionen in dem Da— 
ſein edler adeliger Weiber, von denen ihr Nichts 
wiſſet, die ihr in den Thälern und nicht auf den 
Höhen des Lebens geboren ſeid! 

Aber die nivellirende Macht der Zeit hat auch 
unſerm Geſchlechte die Titanenkraft gelähmt. Wir 
ſind nicht mehr, was wir waren. Wir ſind ner— 
vos geworden in der engen Atmoſphäre der Städte, 
ſeit wir herabgeſtiegen ſind von den Zwingburgen 
des Mittelalters. Wir haben das heilige Himmels— 
feuer in unſerer Bruſt zu verbergen gelernt, wir 
müſſen uns menagiren. Der Dolch iſt unſerer 
Hand entfallen vor Schreck über das plebejifche 
Inſtitut der bürgerlichen Aſſiſen, unſere Empfin— 
dungen ſind dieſelben geblieben. 

Wir ſuchen heute noch das Ideal des Mannes, 
wie es unſerer Phantaſie vorſchwebt — und wir 
finden es nicht; wir dürfen die Laterne in unſerm 
Wappen noch nicht verlöſchen, der „Mann par 


— 


zen un 


excellence“ iſt noch nicht in den Horizont un— 
ſers Hauſes getreten. Wir ſuchen ihn durch alle 
Länder, durch alle Stände — vergebens! Wir fin— 
den den „Rechten“ nicht, und doch muß er da 
ſein, denn was bedeutete ſonſt die myſteriöſe La— 
terne unſers Ahnen? Was bedeutete ſein Segen, 
unſere myſtiſche Deviſe? Wir, ſeine unglückſeligen 
Töchter, ſind die ewigen Juden des Herzens; die— 
ſes Suchen hat die Herzen meiner nächſten Ver— 
wandten uſirt, die edle Toska Beiron, die geniale 
Fauſtine, die himmliſche Gräfin Renate und meine 
göttliche Mutter Sibylle hatten ihre Herzen er— 
ſchöpft in vergeblichen Liebesverſuchen und ich — 
ich verzweifle an der Liebefähigkeit meines Her— 
zens, und ich muß dennoch die Liebe ſuchen. Das 
iſt ein großes, tragiſches Geſchick! 

Das Leben meiner Mutter iſt bekannt bis zu 
dem Zeitpunkte, wo ihr der ſchöne Engel, ihre 
Tochter Benevenuta, ſtarb, dies Kind ihrer erſten 
Ehe. Benevenuta's Vater, Graf Paul, war ge— 
ſtorben. Meine Mutter hatte den brillanten Gra— 
fen Aſtrau geheirathet und ſich von ihm getrennt, 
ſie hatte gefunden, daß er nicht „der Rechte“ ſei. — 
Vergebens war es geweſen, daß der geniale 
Muſiker, der edle Meiſter Fidelis, ſie liebte, wie 
man Gott und die Sterne lieben würde, wenn 


SE, VE: 


ſie ſich in ihrer Unerreichbarkeit plötzlich als rei— 
zende, gefallſüchtige, phantaſtiſche Weiber zeigten. 
Weder Aſtrau's: „Sibylle, wach auf!“ mit welcher 
Zauberformel er das Herz meiner Mutter aus ſei— 
ner unmenſchlichen und wohl darum göttlichen Apa— 
thie zu reißen ſtrebte; noch Fidelis' tragiſche, ver— 
zweifelnde Klage: „Eine immenſe Seele, aber leer!“ 
hatten in dem Titanenweſen meiner unglücklichen 
Mutter einen Funken wahren Gefühls hervorge— 
rufen. Da ſchien es, als ob des Jünglings, des 
Grafen Wilderich Liebe ſie erwärmen wolle; aber 
war es die Kälte der Gletſcher, in deren Nähe 
ſie lebten, war es einer der Zauberſprüche, die 
über uns ſchweben, meine Schweſter Benevenuta 
liebte den Jüngling, und meine Mutter fühlte eine 
edle Aprehenſion, die Rivalin ihrer Tochter zu 
werden. Sibylle reſignirte und Benevenuta ſtarb 
aus Gram, weil Wilderich Nichts für ſie gefühlt 
hatte. Vielleicht waren aber auch die ewigen Rei— 
ſen meiner Mutter, auf denen Benevenuta ſie von 
Kindheit an begleiten mußte, und der daraus fol— 
gende Wechſel des Klimas und der Lebensweiſe 
Schuld an meiner Schweſter e und ihrem 
frühen Tode. 

Meine Mutter glaubte zu ſterben vor Schmerz 


und Leere. Die Aerzte fürchteten eine Verknöche— 
1 ** 


1 


rung des Herzens für ſie, da alle ihre Anlagen ſie 
zu dieſem Uebel prädeſtinirten. Die Luft Roms 
laſtete erdrückend auf ihr, ſie mußte fort „in die 
Welt“, wie meine Tante Toska es bezeichnet hatte, 
als der edle Sigismund Forſter um ihretwillen 
erſchoſſen worden war. „In die Welt, gleichviel 
wohin!“ rief meine Mutter ihrem Couriere zu, als 
ſie im Hotel Meloni an der Piazza di Popolo zu 
Rom ihren Reiſewagen beſtieg; und da ihr Cou— 
rier eine ſchöne Griſette im Quartier Latin zu Pa— 
ris wiederzuſehen wünſchte, ließ er den Wagen 
nach Nordweſten fahren. 

Mit geſchloſſenen Vorhängen, die Füßchen auf 
den Rückſitz gelegt und in koſtbare Kaſchmirs ge— 
wickelt, ganz allein, ſo fuhr meine Mutter durch 
die blühenden Fluren Italiens. Sie blickte nicht 
hinaus, denn ihre Seele war in ein apathiſches 
Hindämmern verſunken. Sie ſprach kein Wort, 
weder mit dem Courier noch mit ihrem Mädchen, 
das ſeit zwanzig Jahren in ihren Dienſten war. 
Wie konnte ſie auch ſprechen mit Menſchen aus 
jenen Sphären, die von den Elans einer Seele, 
wie die immenſe Seele meiner Mutter, keine Ah— 
nung haben. 

Es war im Spätherbſte, als meine Mutter plötz— 
lich das Halten ihres Wagens bemerkte und, zum 


eriten Male ſeit Rom die Augen emporſchlagend, 
ſich vor dem Hotel des Grafen Aſtrau zu Paris 
erblickte. Indignirt über dieſes Ereigniß, fragte 
ſie den Courier, wer ihr das gethan habe. Der 
Courier ſah ſie ganz verwundert an, er verſtand 
nicht einmal ihren Zorn. In ſeiner bürgerlichen 
Einfalt hatte er gemeint, wenn die Gräfin Aſtrau 
es ihm überlaſſe, ſie „in die Welt“ zu fahren, fo 
würde es wol das Natürlichſte ſein, daß er ſie 
zum Grafen Aſtrau bringe, von dem ſie nur ge— 
trennt, nie geſchieden worden war. 

Während meine Mutter noch in ſich überlegte, 
was ihr zu thun belieben würde, öffnete ein Stall— 
knecht das Portal des Hotels, eine elegante Gi— 
gue rollte daraus hervor. Otbert Aſtrau in tiefer 
Trauer, ſchöner und fascinirender als je, ſaß darin, 
an der Seite ſeines Grooms, der eine Trauer— 
livrée trug. 

Sibylle ſehen, herabſpringen, ihren Wagen auf— 
reißen und ſie in ſeinen Armen die breiten Trep— 
pen des Hotels hinauftragen, war das Werk ei— 
nes Momentes. Meine Mutter wußte nicht, wie 
ihr geſchah. Willenlos lag ſie in den Armen des 
Grafen. Seine Augen ſprühten flammendes Le— 
ben in die erſtarrten Glieder der wundervollen 
Frau. Er warf ſich vor ihr nieder, er ſtrömte alle 


„ 


Glut ſeiner Phantaſie, alle Poeſie ſeiner Dich— 
ternatur vor ihr aus. Er ſagte ihr, wie er ſie 
erſehnt ſeit lange, er klagte ihr, daß auch ihm ſeine 
Tochter, Arabella's Kind, plötzlich geſtorben ſei. 
Sibylla's Thränen um Benevenuta, die zu Eis 
erſtarrt, ſich um ihr Herz gelegt, begannen zu 
ſchmelzen und zu fließen vor der Flamme ſeines 
Auges. Sie fühlte ihr grauſenhaftes Jſolirtſein, 
der Magnetismus ſeiner Natur, der Zauber ſeines 
ganzen Weſens begannen eine Reaction in ihr zu 
erwecken, und von widerſtrebenden Gefühlen ange— 
zogen und abgeſtoßen ſank ſie, inſtinctiv ſeine Hände 
ergreifend, an ſeine Bruſt. 

Ein kurzes, traumſtilles Glück folgte dieſer Stunde. 
Ihm verdanke ich mein Daſein. Aber kaum war 
ich geboren, als die Illuſionen entſchwanden, die 
ſich verhüllend eine Weile, zwiſchen meine Mutter 
und die Wirklichkeit geſtellt. Sie hatte an Aſtrau's 
Liebe glauben wollen, ſie hatte gehofft, er werde 
dennoch „der Rechte“ ſein, nun das wilde Feuer 
ſeiner Jugend verraucht wäre. Aber was konnte 
für Sibylle ein Otbert fein, der wie alle Roues, 
und ein Roué war er immer geweſen, zu einem 
entſchiedenen Materialiſten geworden war. Der 
Tod ſeiner Tochter, das Wiederſehen Sibylla's 
hatten ihm für Momente einen Refler ſeiner Ju— 


98 


gend gegeben, und blitzſchnell hatte er combinirt, 
welche finanziellen Reſourcen eine Wiedervereini— 
gung mit ſeiner immens reichen Frau ihm, dem 
armen Weltmanne, gewähre. Meine unglückliche 
Mutter war dupirt, trotz der vielfachen Erfahrun— 
gen, die ihr Leben ihr bereits gegeben hatte. 

Wenig Tage nach meiner Geburt ſtarb mein 
Vater in einem Duelle, das er wegen einer hüb— 
ſchen Tänzerin mit dem Redacteur eines oppoſi— 
tionellen Journales hatte. Meine Mutter war 
in Verzweiflung, nicht über den Tod ihres Gat— 
ten, denn dieſer erlöſte ſie von einer freiwilligen 
Abhängigkeit, die ſie gerade deshalb wie eine dop— 
pelte Schmach empfand; aber der edle Stolz ihrer 
Seele war verwundet dadurch, daß der Mann, 
deſſen Namen ſie und ihr Kind tragen mußten, 
ſich mit einem Bürgerlichen geſchlagen hatte. Sie 
blieb ſich gleich in ſchöner Marmorkälte in jedem 
Moment ihrer Eriſtenz. 

Dieſes Evenement rief ihren alten Herzkrampf 
hervor und in der Alteration jener Tage verſchlim— 
merte ſich das Uebel der Art, daß ſie ſtarb, noch 
ehe ich getauft war. Friede ihrer Aſche und Ruhe 
ihrer Raſtloſigkeit! 

Sie hatte verordnet, daß ich, zum Andenken an 
unſern Ahnherrn und als Bezeichnung unſers 


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tragischen Geſchickes, das uns „zu ſuchen und nicht 
zu finden“ verdammt, Diogena heißen ſollte. O! 
wie iſt der Name mir eine ominöſe Vorbedeutung 
geworden. 

Meine Mutter hatte kurz vor ihrem Tode ein 
Teſtament gemacht, in dem ſie beſtimmte, daß ich, 
fern von dem Treiben und den Erregungen der 
großen Welt, auf unſern Stammgütern im Nor— 
den Deutſchlands erzogen werden ſollte. Einer 
Freundin, einem Fräulein von Dornefeld, ward 
meine Erziehung übergeben. Dieſe würdige und 
treue Pflegerin war der entſchiedenſte Gegenſatz 
von meiner Mutter. Sie hatte in ihrer Jugend 
einen adeligen Referendarius geliebt, der früh ge— 
ſtorben war, noch ehe er ſie zum Altar führen 
konnte. In treuer Liebe hatte ſie den Witwen— 
ſchleier über ihr Daſein geworfen und war ſtill 
und einſam durch das Leben gegangen, Hilfe ſpen— 
dend den Hilfsbedürftigen und überall ſich einfin— 
dend, wo es irgend eine Lücke auszufüllen gab. 
Meine Mutter hatte ihre Bekanntſchaft im Hauſe 
unſers verehrten Verwandten des Biſchofs von 
Bamberg gemacht, dem ſie eine treue Pflegerin 
geweſen war bis an ſein Lebensende. 

Mit ſtummer Irritation hatte die gute Dorne— 
feld die Eraltationen, das Meteorartige in dem 


— | 2: — 


Weſen meiner Mutter angeftaunt, das ihr bald 
miraculös, bald monſtrös erſchienen war. Aber 
ihr ängſtliches Staunen wich dem Gefühl des 
Mitleids, als ſie ſah, wie unglücklich die Frau 
war, welche kometenartig die Bahn an dem Ho— 
rizont des Lebens durchſtürmte. „O! meine Grä— 
fin!“ hatte ſie oft geſagt, „wie anders wäre Ihr 
Loos geworden, hätte man Sie früh an eine treue, 
weibliche Bruſt gelegt; hätte eine linde Frauen— 
hand die wilden Stürme dieſer Natur durch milde 
Liebe magnetiſch calmirt.“ Und mit ſolcher Con— 
viction hatte ſie dieſe Worte geſprochen, daß meine 
Mutter ſich derſelben noch auf ihrem Todtenbette 
erinnerte und mich der treuen Seele zu übergeben 
beſchloß. 

Meine erſten Erinnerungen knüpfen ſich an un— 
ſer Stammgut und an die Dornefeld. Meine 
Mutter hatte gewünſcht, mich von Allem fern zu 
halten, was meine jugendliche Seele eritiren konnte. 
Sie hatte es der Dornefeld zur Pflicht gemacht, 
für eine kräftige Entwickelung meines Körpers zu 
ſorgen, und meinem Geiſte Zeit zu gönnen, ſich 
innerlich zu developpiren, ehe man ihn nach außen 
durch Wiſſenſchaft und Kunſt zu beſchäftigen ſu— 
chen würde. Nur Frauen ſollten mich unterrich— 
ten und in meiner nächſten Umgebung leben, denn 


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meine Mutter erinnerte fich, wie früh fich ihr Ver— 
hältniß zu dem Meiſter Fidelis eigentlich entfaltet 
hatte und wünſchte mich davor zu bewahren. 

So führte ich ein wunderbares Doppelleben. 
Auf einer Seite klöſterliche Zucht und Einſamkeit, 
auf der andern ein wahrhaftes Elfenleben in Wald 
und Feld. Da mein Körper durch Uebung ent— 
wickelt und dennoch männlicher Unterricht vermie— 
den werden ſollte, wählte die gute Dornefeld eine 
Mademoiſelle Roſalinde, die früher Mitglied einer 
Kunſtreitergeſellſchaft geweſen war, zu meiner Leh— 
rerin im Reiten, und ließ eine Hallorin, Mar— 
garethe Feller, kommen, welche mich im Schwim— 
men, Turnen und Schlittſchuhlaufen unterweiſen 
ſollte. 

Roſalinde war eine ganz aparte Erſcheinung. 
Sie war ſchön geweſen, war adorirt worden von 
den brillanteſten Cavalieren, bis ein unglücklicher 
Sturz vom Pferde ihre ganze Exiſtenz boulever— 
ſirte. Sie mußte auf ihre Carriere renonciren und, 
da in der Zeit, welche ſie an das Krankenlager 
gefeſſelt verlebte, ihr Geiſt ſich mit Intenſität nach 
innen wendete, war der Wunſch nach einem rei⸗ 
nen, moraliſchen Wandel in ihr rege geworden. 
Sie hatte einen Geiſtlichen verlangt, dieſer hatte 
ſie mit ſeiner Freundin, der guten Dornefeld, in 


ee 


Rapport gebracht und jo war fie von dieſer in un— 
jer Haus aufgenommen worden, um ſich zu erhe— 
ben durch ein ruhiges Leben und mich zu bewah— 
ren vor einem unruhigen, durch männliche Leiden— 
ſchaften getrübten. ö 

An Roſalinde hing ich mit tiefſter Inclination. 
Wenn die gute Dornefeld mich mit dem Nähzeug be— 
ſchäftigen wollte, ſo ſcheiterte ihr Beſtreben an mei— 
nem ganzen Naturell. Nicht als ob ich es nicht hätte 
lernen können oder wollen; im Gegentheil, ich be— 
griff Alles ſpielend, aber die ganze Leidenſchaftlich— 
keit meiner Natur warf ſich bald auf das Stricken, 
bald auf das Tapiſſerienähen, und während ich Un— 
erhörtes in Beidem leiſtete, während ich in einem 
Tage die Arbeit von drei geübten Frauenzimmern 
verrichtete, rieb ich meine Kräfte auf und verſank 
am Abend in eine Abſpannung, die faſt an Som— 
nambulismus grenzte. Es iſt wahr, die Strümpfe, 
welche ich damals in der bewußtloſen Geſchäftig— 
keit eines Kindes ſtrickte, hatten einen unwider— 
ſtehlichen Charme, eine Weiche, eine Wärme und 
Leichtigkeit, die nie ein Anderer erreichen würde. 
Die Blumen meiner Tapiſſerie waren von einem 
Farbenſchmelz, ich möchte ſagen, einem Dufte, die 
für Naturen, welche mir ſympathiſch verbunden 
ſein mochten, geradezu berauſchend waren. Meiner 


HERE Birch 


Umgebung blieb dieſe Erſcheinung ein Räthſel! 
Ich begriff es ſpäter nur zu gut. Es iſt gleich— 
viel, auf welche Gegenſtände ſich eine immenſe 
Seele, wie die Frauen unſers Hauſes ſie beſitzen, 
richte; das Fluidum, das fie ausſtrömt, wirkt 
überall bezaubernd und dies iſt der unglückſelige 
Magnetismus, der uns die Herzen der Männer 
entgegenführt, der ſie uns unterjocht, ohne unſer 
Zuthun, zu unſerer furchtbaren Pönitenz; wir müſ— 
ſen die fremden Herzen zertrümmern, weil wir ſelbſt 
keine haben. 

Hatte ich meinen Tapiſſerie-Parorismus ausge— 
tobt, ſo ſank ich müde nieder und troſtlos ſtand 
die gute Dornefeld an meiner Seite, denn ſie wußte 
in ihrer Engelsmilde mit ſolcher impetuoſen Na— 
tur, wie die meine, Nichts zu beginnen. Dann 
kam Roſalinde wie mein guter Engel herbei. Sie 
hatte Erzählungen, die mich ganz anders ablenkten 
von mir ſelbſt, als die ſtillen Vergißmeinnicht— 
kränze, welche die gute Dornefeld zu meiner Zer— 
ſtreuung für mich flocht. Sie erzählte mir von 
Paris, vom Cirque Olympique, von Franconi. 
Sie beſchrieb mir ihr Coſtume und ihre Triumphe; 
ſie erzählte mir von den Männern, die ihr gehul— 
digt hatten, von tollkühnen Kunſtreitern und ſen— 
timentalen Dichtern, von verſchwenderiſch großmü— 


ae. 


thigen Marquis, von knauſerigen Bankiers, zärt— 
lichen Offizieren, galanten Diplomaten und von 
ganz bezaubernden Grafen. Ach! die Grafen wa— 
ren von jeher ihre und meine Paſſion. Ich wurde 
ebenſo wenig müde zu hören, als ſie zu erzählen. 
Ihre weichen, parfumirten Locken, ihre feuchtglän— 
zenden Augen, der Schmelz ihrer Zähne und das 
ganz eigenthümliche je ne sais quoi gräflichen Lieb— 
reizes ſchwebte vor meiner Seele und tauchte als 
feſtes Bild aus dem Purpurgewölk der unterge— 
henden Sonne für mich hervor, wo andere, unbe— 
deutende Kinder den lieben Gott mit ſeinen Sera— 
phim und Cherubim erblicken. 

Dann ſchwand die Abſpannung, dann fiel ich 
meiner Roſalinde um den Hals, befahl mein Pferd 
zu ſatteln und ſtürmte, in dem Sattel ſtehend, an 
Roſalindens Seite hinaus in das Freie, in die 
Welt, in die ſchöne Welt hinein, wo die bezau— 
bernden, brillanten, irreſiſtiblen Grafen waren. 
Mein Herz ſchlug dann hörbar, die ganze Glut 
unſers Familiennaturells klopfte wie Frühlings— 
ahnung in meinen jungen Adern. Mir war, als 
müſſe ich fliegen, weit, weit über die alten Eichen 
hinweg, hinweg über die Grenzen unſers Gutes, 
die Grafen zu ſuchen. So mag einem jungen 
Wandervogel zu Muthe ſein, den man im Früh— 


BR 


ling mit geſtutzten Flügeln zurückhält, in der abo- 
minabeln Enge eines Käfigs. Hinter jedem Bu— 
ſche, hinter jeder Hecke erwartete ich einen jungen 
Grafen hervortauchen zu ſehen, und wenn es dann 
ein Bauerburſche oder einer unſerer Domeſtiken 
war, ſo vermehrte dies Desapointement den in— 
ſtinctiven Degout, den ich gegen dieſe ganze Kaſte 
ſchon mit dem Leben von meiner Mutter geerbt 
hatte. 

Langte ich dann enttäuſcht und fatiguirt auf un— 
ſerm Hofe wieder an, ſo mußte die gute Marga— 
rethe kommen, um mit mir zu ſchwimmen und 
durch das friſche, kühle Element meine erſchöpften 
Kräfte zu reſtauriren. Stundenlang hatte ich mich 
gewöhnt, im Waſſer zu leben. Es war mir homo— 
gen geworden und ich bewegte mich darin ganz 
mit demſelben Behagen, mit welchem andere Kinder 
ſich auf der Erde ergötzen. Oft kehrte ich erſt ſpät 
nach Mitternacht zu der geängſteten Dornefeld zu— 
rück, die bleich, mit gefalteten Händen da ſaß vor 
den Folianten, welche über die Erziehung des weib— 
lichen Geſchlechtes geſchrieben worden ſind, und 
Gott um die Weisheit bat, das rechte Buch zu 
finden, die Zauberformel, einen Charakter wie den 
meinen zu domptiren. 

Wenn ich ſie dann ſo vor mir erblickte, mit 


er. 2 


— 


den Spuren von Thränen und liebevoller Sorge 
um mich, in ihren guten, triſten Augen, dann 
ſchwand das wilde Element in mir dahin. Aufge— 
löſt in Thränen, voll von den beſten Reſolutionen, 
kniete ich vor ihr nieder. Ich gelobte, ſie nie 
wieder durch mein Außenbleiben zu ängſtigen, ich 
ſchwor, mich nie wieder dem Tapiſſerie-Parorismus 
zu überlaſſen, ich wollte das wilde Reiten, das ve— 
hemente Schwimmen und all meine heftigen Alluren 
abandonniren. Ich bat ſie, mit mir zu beten, damit 
ich von Gott die Kraft erhalten möchte, meine Vor— 
ſätze zu erfüllen, und ſchlief zuletzt in ihren Armen 
ein, um von den jungen Grafen zu träumen, die 
mir von den höchſten Zweigen unſerer uralten Ei— 
chen und aus dem Wellengrün unſerer ſtillen Seen 
mit feinen ariſtokratiſchen Händchen ihre Liebesgrüße 
zuwinkten. 

So ſchwanden in unſerer ländlichen Einſamkeit 
Tage, Monate und Jahre dahin. Ein ganzes 
Corps weiblicher Lehrerinnen war allmälig auf 
unſerm Gute inſtallirt worden und die Vorträge 
in den Wiſſenſchaften hatten ihren Anfang, meine 
Kenntniſſe die rapideſten Fortſchritte gemacht. Ich 
ſprach alle lebenden und todten Sprachen, ich kannte 
die Geſchichte und Geographie wie ein Profeſſor, 
machte entzückende Verſe und ſang, zeichnete und 


- 


tanzte wie ein Engel. Aber dies Alles reichte 
nicht hin, mich auszufüllen; in früher Jugend war 
ich geiſtig blaſirt, ich verlangte, weil mir das Ler— 
nen keine Mühe, ſondern nur ein Zeitvertreib, ein 
Lückenbüßer war, immer nach mehr und immer 
nach Neuem. Endlich fiel ich, als ich eben ein— 
geſegnet war und mein funfzehntes Jahr vollen— 
det hatte, darauf, Heraldik zu ſtudiren. Die gute 
Dornefeld übernahm es, ſelbſt ſehr bewandert in 
dieſer Branche der Geſchichtskunde, mich darin zu 
unterrichten. Bald kannte ich alle Wappen aller 
adeligen Geſchlechter der Welt, bis hin zu den 
Braminen und Mandarinen Aſiens. Ueberall wußte 
meine Lehrerin mir freundlich Aufſchluß und ſin— 
nige Deutung zu geben; nur wenn ich ſie fragte, 
was die frappirende Laterne und die myſteriöſe De— 
viſe meines Wappens bedeuteten, ſo ſchloß ſie mich 
mit ſchwermüthigem Air an ihr Herz und ſagte: 
„O, meine Diogena, forſche nicht! Es gibt Ge— 
heimniſſe, welche Gott mit hoher Clemenz dem 
Auge des Menſchen cachiren will. Denke, dies 
ſei ein ſolches und Gott wird Dich davor bewah— 
ren, meine Diogena, daß es ſich Dir nicht zu Dei— 
nem Schaden von ſelbſt enthülle.“ 

Dies Myſterium aber ward mir zu einer wah— 
ren Tortur. Meine Seele fand keine Ruhe mehr. 


IT 


Es war mein ſechzehnter Geburtstag, als ich 
aufs neue in die Dornefeld drang, mir das Ge— 
heimniß unſers Wappens mitzutheilen. Sei es, 
daß ich es mit zu vehementer Art gefordert hatte 
oder auch, daß ſie durch eine Entſchiedenheit, die 
außerhalb ihres Naturells lag, mir ein für alle— 
mal imponiren wollte, ſie refuſirte es mir mit ei— 
ner Härte, die mich tödtlich reizte. Ich ſtürmte 
hinaus, warf mich aufs Pferd und jagte, als 
gälte es ein Fox-hunting, hinaus durch Feld und 
Wald. Ich hatte der Margarethe Feller, die in 
meinem Dienſte das Reiten erlernt hatte, befohlen, 
mich zu begleiten und meinen Schwimmanzug mit 
ſich zu nehmen. 

Es war bereits Abend, als ich, glühend von 
der gehabten Scene und dem ſtarken Ritt, an dem 
See anlangte. Ich warf mein Reitkleid ab, ließ 
mir den Schwimmanzug anlegen und ſtürzte mich 
in die limpide Flut, die mich liebend umſchloß, 
wie eine Mutter ihr Kind an ſich drückt, weich 
und doch feſt und verhüllend. Ein zauberiſches 
Abendroth war über die frühlingsgrüne Erde aus— 
gebreitet. Wohin man blickte, fielen roſige Streif— 
lichter durch das Eichengrün und glitzerten goldene 
Sonnenfunken durch die Luft. Ich ſchwelgte in 
idealiſchem Naturgenuſſe, meine Seele hatte ein 


— 


wunderbares Epanchement gegen den Schöpfer, 
wahre Jubelhymnen lebenskräftigen Vollgefühls ſtie— 
gen aus meiner Bruſt empor, die bereit war, ſich 
neuen, längſt geahnten ekſtatiſchen Entzückungen 
zu eröffnen. 

Da plötzlich drang ein unbekannter Ton an 
mein Ohr. Ich horchte auf! „Ein Poſthorn!“ rief 
die Feller, welche von Halle her dieſen Ton nur 
zu gut kannte. Ich hatte in unſerm von der 
Landſtraße entfernten Schloſſe nie ein Poſthorn 
erklingen hören. Noch einmal erſchallte der Ton 
und ehe ich es erwartet hatte, hielt ein eleganter 
Reiſewagen an dem Ufer des Sees. 

Zwei Männer ſaßen darin. Der Eine, ſchon 
über die Lebenshöhe hinaus, trug den Adel jener 
indeſtructibeln Schönheit, welcher der Vorzug ari— 
ſtokratiſcher Geſchlechter iſt. Der Jüngere — ach! 
noch jetzt ſchlägt mein Herz in ſchneller Vibration, 
wenn ich mir die ſelige Emotion jenes Momen— 
tes vergegenwärtige. 

Beide Cavaliere, denn dies waren ſie unwider— 
leglich, bogen ſich weit zum Wagen heraus, als 
ſie mich erblickten, und der Jüngere beſonders ſchien 
ganz bewildert durch meinen Anblick zu ſein. Auch 
mochte er etwas ſehr Ungewöhnliches bieten. Ich 
war damals in jener reizenden Periode des weib— 


1 


lichen Daſeins, in dem das Kind urplötzlich zum 
Weibe geworden, alle Grazie der Kindheit und 
allen Zauber des Weibes in ſich vereinigt. Der 
Roſa-Tricot, der mich umhüllte, verrieth, ſo weit 
das Waſſer mich preisgab, die mafellofe Schön— 
heit meiner adeligen Geſtalt. Meine goldblonden 
Locken hingen, wie mit brillantenen Reflexen 
überſäet, auf meine Schultern herab. Die feinen 
ſchwarzen Franzen meiner breiten, mächtigen Au— 
genlider verſchleierten die ſchwarze Iris meines 
Auges, die weich wie Sammet, doch ſo brennende 
Glut in ſich verbarg. Mädchenhafte Scham 
trieb mich, mich vom Ufer zu entfernen, und doch 
hielt der flammende Blick aus dem Auge des 
Jünglings mich magiſch gebannt in ſeinem Zau— 
berkreiſe. Nur mit langſamen Stößen ſchwamm 
ich der Mitte des Sees zu, und den Kopf zurück— 
wendend, ſah ich, wie das Auge des jungen Man— 
nes mir folgte, und hörte die Frage des Aeltern, 
ob dies der Weg nach dem Schloſſe ſei? 

Kaum war der Wagen an uns vorüber, als ich 
aus dem Waſſer ſprang, in fiebernder Haſt mich 
in die Kleider warf, das Pferd beſtieg und in 
geſtrecktem Galop dem Schloſſe zueilte. Als ich 
dort anlangte, ſaßen die Fremden auf der Terraſſe 
vor dem Gartenſaale. Ich wollte zu ihnen ge— 

2 


„ 


hen, ſie in meinem Hauſe willkommen zu heißen, 
als die Dornefeld mir entgegen kam. 

„O, meine Diogena!“ ſagte ſie, „wie glüht Dein 
liebes Antlitz, wie funkelt Dein Auge! In Dir 
bebt noch die ganze Erregung unſers heutigen 
Streites fort und doch wollte ich, Du wäreſt jetzt 
ruhig und mild, denn ein werther, unerwarteter 
Beſuch iſt uns geworden. Graf Mario und ſein 
Sohn Bonaventura ſind angelangt und begierig, 
Dich zu ſehen, mein Engel!“ 

„So laß uns zu ihnen gehen,“ rief ich, und flog 
mit der Leichtigkeit eines Vogels die Treppe zur 
Terraſſe empor. Vergebens erinnerte mich die 
Dornefeld an die Unordnung meiner Toilette, ich 
beachtete es nicht. Ich hatte gehört, daß Graf 
Mario ſich, müde des Reiſelebens, in unſerer Ge— 
gend angekauft hatte, nachdem ſeine Gemahlin, 
die geniale Gräfin Fauſtine in das Kloſter der 
vive sepolte eingetreten war „um anzubeten, im— 
merfort anzubeten“, und ſo dem Drange ihrer in— 
nern Sehnſucht zu genügen. Sie war eine ältere 
Couſine meiner Mutter geweſen und der junge 
Graf Bonaventura alſo mein Couſin à la mode 
de Bretagne. 

Ich hatte nie Jemanden von meinen Verwandten 
geſehen, ich war ohne jugendliche Geſpielen auf— 


u 


gewachſen, welch ein Wunder alſo, daß es mich 
mit warmer Sehnſucht den erſten Blutsfreunden 
entgegenzog, die ich erblickte. Mit allem graziö— 
ſen Elan meines Weſens trat ich ihnen entge— 
gen und bot erſt Mario dann Bonaventura die 
Hand. 

Graf Mario ſchien bewegt von meinem Anblick. 
Er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen 
und ſchloß mich dann, wie von unwiderſtehlichem 
Impulſe dazu getrieben, an ſeine Bruſt. 

„Verzeihen Sie einem Freunde Ihrer Mutter, 
theure Gräfin!“ ſagte er, „wenn die Aehnlichkeit 
mit dieſer und die Aehnlichkeit mit meiner unver— 
geßlichen Fauſtine mich übermannten. O! Sie 
haben die magiſchen Augen dieſer Frauen, Sie 
haben das unnachahmliche fascinirende je ne sait 
quoi, das Jenen eine ſo zauberiſche Macht verlieh.“ 

„So lieben Sie mich, Graf Mario!“ entgegnete 
ich, „wie Sie jene Frauen liebten. Denken Sie, 
ich wäre Ihre Tochter! Ich habe meine Aeltern 
nicht gekannt, ich habe einſam gelebt und ohne 
Liebe bis auf dieſen Tag und ich ſehne mich nach 
Liebe.“ 

Ein tiefer Seufzer der armen Dornefeld unter— 
brach mich und erinnerte mich daran, daß dieſe 


Worte ihr wehe gethan haben konnten. Zerknirſcht 


a 


von Reue warf ich mich an ihr Herz. „Meine 
Dornefeld,“ rief ich aus, „o! Du haſt mich geliebt; 
Du haft mich geliebt mit jener reinen, unirdiſchen 
Engelsliebe, wie die Seraphim ſie für die Kinder 
haben, die ihrem Schutze anvertraut ſind! Du haſt 
meiner nie bedurft und mir doch Alles gewährt, 
Dich verehre ich, Dich bete ich an, Du biſt zu 
hoch für meine Liebe.“ 

„Wunderbares Kind!“ ſagte Graf Mario, indem 
er mich befremdet betrachtete. „Und was denken 
Sie ſich unter der Liebe, die Sie bis jetzt vermißt 
und erſehnt haben? Was verlangen Sie von ihr?“ 

„Was ich verlange?“ wiederholte ich träumeriſch 
und verſank in ein momentanes Nachdenken. Das 
hatte ich mir ſelbſt niemals klar gemacht, mich nie— 
mals gefragt. Mein ganzes Herz hatte das Wort 
„Liebe“ wie ein Zauber erfüllt; wie die Gottheit 
dem Pantheiſten das All iſt, ſo war es mir die 
Liebe geweſen. Jetzt, da die poſitive Frage an 
mich gerichtet wurde, da Bonaventura's Augen 
mit ſehnſüchtigem Ausdruck auf mir ruhten, da 
war es mir plötzlich, als erſchlöſſen ſich die ver— 
borgenen Tiefen meiner Seele, als ſähe ich in den 
aufgethanen Schachten meines Herzens das fun— 
kelnde flammende Gold, die ſtrahlenden Brillan— 
ten und die blutrothen Rubine der Liebespoeſie 


A 


mir entgegenſtrahlen, und das ganze profunde 
Myſterium der Liebe enthüllte ſich mir wie durch 
eine inſtantane Revelation. 

Ich ſchlug die mächtigen Augenlider empor und 
ſagte, indem ich mit prächtigem Stolze die Grafen 
abwechſelnd anblickte: „Was die Liebe ſei, das weiß 
ich durch den Glauben meines Herzens ſo ſicher, 
wie der Chriſt vermöge des Glaubens weiß, daß 
und was die ewige Seligkeit iſt. Die Liebe iſt 
das Einsſein von Zweien; ich höre auf zu ſein, 
um in einem Andern erſt wieder zu werden. Es 
iſt eine Regeneration, es iſt ein Aufgehen in dem 
Geliebten, deſſen ganzes Weſen dafür mein eigen 
wird, mein eigen ganz und gar. Ein Menſch 


allein durchdringt das Geheimniß des Daſeins 


nicht; aber Zwei vereint zu einer Liebe, die durch— 
dringen es. Die wirbeln ſich empor mit der Lerche 
im Frühlicht der Sonne entgegen, die lauſchen dem 
ſchweigenden Pulsſchlag der Erde in träumeriſcher 
Nacht, die beherrſchen mit mächtigem Zauberſtab 
die ganze Skala der Gefühle, daß alle Accorde 
des menſchlichen Dafeins ſich vor ihrem Willen 
zuſammenfügen zu der wahren Sphärenharmonie, 
deren ewiger Tert das eine Wort iſt „Liebe!“ — 
„O! die Liebe!“ rief ich aus und ſank todten— 
bleich auf den Fauteuil, der mir zunächſt ſtand. 


Pa: 


Der Graf, die Dornefeld eilten mir beizuſtehen, 
aber ſchneller als ſie Beide war Bonaventura zu 
meinen Füßen niedergeſunken, und meine Hände 
in die feinen preſſend, rief er erſtatiſch: „O, Dio— 
gena! Stirb nicht! Stirb nicht! Mein Ideal! Ehe 
Du mich mit Dir emporziehſt in Deinen Himmel der 
Liebesſeligkeit, wo ich fortan wohnen muß mit 
Dir, wenn ich nicht verſinken ſoll in den Tartarus 
der Verzweiflung!“ 

Ich ſprang empor, ich warf meine Arme mit 
Enthuſiasmus zum Himmel empor und ſagte: „O! 
das iſt der Klang der Stimme, auf den mein 
Ohr gelauſcht, ſeit Töne ihm vernehmlich wurden! 
Das iſt ſie, das iſt ſeine Stimme, die Stimme 
par excellence!“ — 

Wir lagen uns in den Armen, wir miſchten 
unſere Thränen miteinander, wir erbebten unter 
den ſüßen Schauern des erſten flammenden Kuſſes. 
Ein Augenblick hatte zwei Eriſtenzen indiſſolible 
verbunden. | 

Graf Mario, die Dornefeld ſtanden wie ſprach— 
los dabei. Eine ſolche Precipitation überſtieg Al— 
les, was ſie je erlebt hatten, was man voraus— 
ſehen konnte. Wir knieten vor dem Grafen nie— 
der, wir baten um ſeinen Segen, er ſchloß uns 
gerührt an ſein Herz. „Das iſt Naturgewalt!“ 


2 ee 


jagte er, „möge die Stunde eine geſegnete ſein, 
die Euch zuſammenführte.“ 

Er ſprach mit der Dornefeld von bienseances, 
von meinem Vormunde, von der Nothwendigkeit, 
ihn zu Rathe zu ziehen, wir hörten es kaum, oder 
hörten es doch nur ſo, wie die ſeligen Bewohner 
des Jenſeits das unheilige Geräuſch des Erdenge— 
treibes vernehmen mögen. 

Bonaventura hatte mich hinabgeführt in den 
Garten zu einer Bank unter dem Schutze einer 
mächtigen Linde. Hier warf er ſich abermals ſtumm 
vor mir nieder. Hier betrachtete ich zuerſt die ganze 
magnifique Schönheit feiner Erſcheinung. Er zählte 
damals etwa zweiundzwanzig Jahre. Hoch und 
ſchlank aufgeſchoſſen, hatte er die ganze Flexibilität 
und die wundervolle Eleganz der Jünglinge aus 
altadeligen Geſchlechtern. Dunkle Locken, ſchwarz 
wie die Flügel der Rauchſchwalbe, legten ſich weich 
um ſeine geniale Stirn, und wie Sonnenſtrahlen 
aus dem ſpiegelhellen Blau eines Schweizerſees, 
mit ſo limpidem Luſtre tauchten ſeine goldbraunen 
Augen aus dem verſchwimmenden Weißblau der 
Netzhaut hervor. Ich legte meine Händchen auf ſein 
Haupt und wollte den Mund öffnen, um in Wor— 
ten die ganze heiße Fülle meiner Seele auszuhau— 
chen, da preßte Bonaventura meine Hände urplötz— 


Ze ; 


lich fait gewaltſam an ſich und ſagte leife und mit 
vor innerer Emotion fibrirender Stimme: 

„O ſchweig, ſchweig! meine Diogena! Fühlſt 
Du denn nicht, daß die Seele des Erdgebornen 
nur gradatim die Wonne des Himmels erträgt? 
Fühlſt Du denn nicht, Diogena, daß mich heute 
Dein bloßes Anſchauen außer mir wirft? Und 
willſt Du mich vernichten durch Ekſtaſe, indem Du 
noch den Zauber Deiner Rede gegen mich benutzeſt? 
Sei barmherzig, Himmliſche, und ſchweige!“ 

Ich bebte vor Wonne, wie er ſelbſt. Die ganze 
gefährliche Macht ſolchen Schweigens wuchtete ſich 
über uns und bedrohte mich mit ſeiner Gewalt. 
Wie ich nun ſo daſaß, eingewiegt in die berau— 
ſchende Wonne ſeiner Nähe, ſo fühlte ich dies Ge— 
fühl zu einer ſo exceſſiven Höhe erwachſen, daß 
meine junge Natur in ganz oppoſitionnelle Em— 
pfindung überſprang, und von einem Extrem 
in das andere vaguirte. Ich brach in das iner— 
tinguibelſte Lachen aus, ſodaß Bonaventura mich 
erſchrocken fragte, was mir begegnet ſei? 

„O mein Bonaventura!“ rief ich aus, „iſt es denn 
nicht zum Lachen, daß zwei Sproſſen altadeliger 
Geſchlechter eine Verlobung feiern, wie die unſere? 
Wo iſt da eine Spur von Etikette, von Conve— 
nienz? Wo ſind da alle Präliminarien ſolcher Ver— 


ae 


bindungen? Aber das gerade entzückt mich. Das 
gerade iſt abſolut vornehm, denn es iſt über alle 
Berechnung erhaben. So, ohne Frage um alle 
irdiſchen Intereſſen, kann ſich nur die Creme der 
Ariſtokratie verbinden, die wie die Lilien auf dem 
Felde leben, ohne zu denken, daß man arbeiten 
und ſich kleiden müſſe; dies iſt nur der Elite der 
Menſchheit möglich, bei der dieſe Rückſichten fort— 
fallen, bei der Reichthum und Adelsgleichheit und 
Sorgenfreiheit ein cela va sans dire ſind. O 
mein Bonaventura! Laß uns Gott danken, daß 
wir zur Creme der Ariſtokratie gehören und dieſe 
Wonneſtunde unſers Lebens ohne arriere-pensee 
feiern und genießen können.“ 

Bonaventura ſtimmte mir aus voller Seele bei, 
als der Graf und die Dornefeld uns zu ſuchen 
kamen und nun ſelbſt lachen mußten, da ſie uns 
erblickten; denn ein wunderlicher ajuſtirtes Paar 
hat wol nie in den Regionen, in denen wir uns 
bewegten, ſeine Verlobung gefeiert. Bonaventura, 
der nach beendigten Univerſitätsſtudien mehre Jahre 
auf Reiſen geweſen war, kehrte jetzt von dieſen 
zurück. Sein Vater war ihm bis Berlin entge— 
gengefahren, ihn auf ſeine Güter zu holen. Bo— 
naventura trug den bequemen ſandfarbenen Pale— 


tot moderner Touriſten, die ungebleichte Leinwand— 
H * * 


PR. 


weite, den grauen breitkrämpigen Filzhut und die 
leichten Kamaſchen, welche die Engländer, dieſe Mei— 
ſter des Comforts en vogue gebracht haben. Ich 
hatte ein dunkelbraunes Reitkleid, das an einer 
Seite in die Höhe geknöpft war. Da ich alle 
Kleinlichkeit und alle Gene in meiner Toilette haßte, 
ſo mochte ich von Chemiſetts und Cravatten und 
Manſchetten und all den tauſend aimables riens, 
in denen andere Frauen ihre Freude ſuchen, Nichts 
wiſſen. Ein breiter weißer Kragen, der Hals und 
Bruſt frei ließ, fiel über meine Schultern herab 
und war halb verdeckt von den Locken, die, durch 
das Waſſer beim Schwimmen geglättet und durch 
den Ritt noch nicht ganz getrocknet, in einer pracht— 
vollen Grazie, wie verdichtete Sonnenſtrahlen um 
mich her funkelten. 

Der Haushofmeiſter erſchien, uns zu melden, 
daß der Thee ſervirt ſei. Ich hatte in der Wonne 
meines Herzens nicht gedacht, daß es noch eine 
Theeſtunde auf der Welt gäbe und daß jetzt, da 
ich ſo glückſelig ſei, noch Jemand auf Erden eſſen 
werde. Wie erſchrak ich alſo, als Bonaventura, 
mir ſeinen Arm bietend, um mich in das Haus 
zu führen, mit großer Zufriedenheit in die Worte 
ausbrach: „O vortrefflich, meine Diogena! Du 
ſollſt es ſehen, wie ich Deine Gaſtfreiheit benutzen 


ae 


will. Die lange Fahrt und all die heftigen Emo 
tionen meiner Seele machen ihr Recht geltend, 
und ich bringe Dir einen wahren Homeriſchen Ap— 
petit für unſere erſte gemeinſame Mahlzeit mit.“ 

„Das freut mich für Dich!“ ſagte ich, aber eine 
Wolke des Nichtverſtehens legte ſich um meine Seele. 

Während wir an der Tafel ſaßen, während Bo— 
naventura mit großem Eifer der Mahlzeit zuſprach, 
und, alle leichten Confituren vermeidend, ſich die 
feſten, nahrhaften, kalten Fleiſchſpeiſen ausſuchte 
und dazwiſchen heiter mit ſeinem Vater und mit 
mir von ſeinem Glücke ſprach, weinte mein Herz 
im ſtillen Innern die erſten bittern Thränen her— 
ben Desappointements. 

O, er liebte mich nicht! Wie konnte er hungern 
und dürſten gleich einem gemeinen Menſchen, der 
Mann, der eben erſt von meinen Lippen den Nek— 
tar des erſten Kuſſes getrunken, der begehrt hatte, 
ich ſolle ſchweigen, damit er nicht der Wonne, dem 
Glücke erliege! Und jetzt ſprach er ſelbſt ganz hei— 
ter von den gleichgültigſten Evenements, lobte den 
Thee und erzählte von ſeinen Reiſen comme si 
de rien n’etait, und ich, ich, Diogena, ſaß an ſei— 
ner Seite! und ich liebte ihn! ich glaubte es we— 
nigſtens damals. O, was glaubt nicht ein can— 
dides Herz mit ſechzehn Jahren; was glaubt 


2 


nicht eine Diogena, deren Wappen die Laterne ift, 
und die den Rechten zu ſuchen prädeſtinirt iſt von 
dem unerbittlichen Fatum. 

Thränen traten mir in die Augen, ich vermochte 
nicht zu ſprechen, ich konnte Nichts entgegnen auf 
Alles, was mir Graf Mario Gütiges und Bo— 
naventura Zärtliches ſagten. Was fie von mei— 
nem Vormunde, von ſeiner zu fordernden Einwil— 
ligung zu unſerer Verbindung, von meinen Gü— 
tern, von meinem Beſitz und der Verwaltung deſ— 
ſelben ſprachen, das verſtand ich nicht. Das war 
ja auch Alles ganz unausſprechlich indifferent ge⸗ 
gen das große Eine, unſere Liebe. Aber je länger 
wir beiſammen waren, je mehr Graf Mario mit 
der Dornefeld über den Zuſtand meiner Untertha— 
nen zu ſprechen anfing, je eifriger hörte auch Bo— 
naventura auf dieſe Unterhaltung. Er ſagte, die 
Leute ſeien bis jetzt mit beiſpielloſem Mangel an 
Philanthropie, mit Hintanſetzung all ihrer Inter— 
eſſen behandelt; er ſehe, daß es ihnen an dem 
Nöthigſten fehlen müſſe; er ſprach von Schulen— 
anlegen, von Hofpitälern und Gott weiß, wovon 
noch — und ich ſaß an ſeiner Seite, und all dies 
wüſte Geſpräch fiel in meinen erſten ſeligen Lie— 
bestraum hinein, um mich furchtbar ſchmerzlich zu 
erwecken. Was kümmerten mich meine Untertha— 


— 37 — 

nen und ihr Elend oder ihr Glück? Was hatte 
mein prächtiger ariſtokratiſcher Egoismus zu ſchaf— 
fen mit den Thränen jener uneleganten, rothhän— 
digen Horden? Wie durften ſie es wagen, ihre 
bleichen Jammergeſtalten zu drängen bis in die 
Seele eines jungen Grafen, eines Bonaventura, 
der eine Diogeng liebte, dem eine Diogena ſich 
gelobt ſeit wenig Stunden. 

Ich hätte aufſchreien müſſen, bei dem erſten 
Verſuche zu ſprechen, und um dies zu evitiren, 
fing ich zu eſſen an mit einer krampfhaften Ve— 
hemenz. Bonaventura ſollte nicht ſehen, wie tödt— 
lich ich litt; ich wollte ihm meine furchtbare Al— 
teration nicht zeigen; ich gönnte ihm nicht, die 
Regrets zu ſehen, die es mir erregte, daß er mich 
nicht liebte. Aber ich ſtand noch nicht am Ziele 
meiner Deceptionen. Mit Entſetzen ward ich ge— 
wahr, daß das Eſſen mir deliciös ſchmeckte. Ich 
fühlte, daß ich alſo Bonaventura nicht liebte, daß 
ich ihn nicht lieben könnte, nie lieben würde; denn 
die Liebe, die ich erſehnte, die erhob den Men— 
ſchen über ſolch niedriges Bedürfniß, die emanci— 
pirte ihn von allem Irdiſchen, ſo weit es ſich nicht 
auf das geliebte Object bezog — und wir ſoupir— 
ten Beide, und wir ſollten uns heirathen, und ich 
hatte geglaubt, dieſen Menſchen zu lieben. 


Ba 


Graf Mario und Bonaventura bemerkten das 
Changement, das ſich in mir apparirt hatte, und 
mit jenen zärtlichen Soins, deren Naturen wie 
Bonaventura capabel ſind, drang er in mich, ihm 
den Grund meiner Verſtimmung zu enthüllen. Ich 
ſchwieg ſtandhaft. Da ich nicht glücklich fein konnte 
durch ihn, wollte ich wenigſtens ſo elend als mög— 
lich werden, denn meine immenſe Seele ſtrebte in— 
ſtinctiv nach dem Immenſen und begehrte alle Ra— 
dien der Seelenzuſtände zu durchlaufen. So nahm 
ich meine Reſolution, heroiſch mit dem Schmerze, 
ſtatt mit dem Glücke, den Anfang zu machen. 

Bonaventura war untröſtlich über mein Schwei— 
gen, was kümmerte mich das in meiner Abge— 
ſchloſſenheit? Ich fühlte, er war nicht der Mann, 
den ich erſehnt, er war nicht der Rechte, nicht 
mein anderes Ich ſelbſt. Er war ein Weſen, von 
dem Fatum in meinen Lebensweg lancirt, um mich 
leiden zu machen. Ich nahm dies fataliſtiſch auf 
mit ſtolzer Reſignation, unbekümmert darum, ob 
auch Bonaventura litt. Er war nur Nebenperſon 
in dieſen Schickſalswirren, deren Mittelpunkt im— 
mer eine Frau iſt, von der Trempe der Frauen 
unſers Hauſes. Sie ſind die Are, um die ſich 
in ſtupender Willen- und Anſpruchsloſigkeit die 
ganze übrige Welt zu drehen hat. 


Graf Mario von feiner himmlischen Gräfin Fau— 
ſtine und von meiner Mutter, der wunderbaren 
Sibylle, an dieſe capricieuſen Alluren der Frauen 
aus unſerer Familie gewöhnt, ſagte zu Bona— 
ventura: „Laß fie, mein Sohn, und ftöre fie 
nicht. Ihr Geiſt hat nun einmal ſeine miracu— 
löſen Alluren, und wer eine Diogena zum Weibe 
begehrt, muß ſich bei Zeiten daran gewöhnen. 
Man muß ſie lieben, denn dompliren kann man 
ſie nicht.“ 

„Oder man muß liebenswerth ſein und von 
ihnen geliebt zu werden verdienen,“ rief ich mit 
prächtiger Impertinenz, und eilte auf mein Schlaf— 
zimmer, wo ich in bittere Thränen ausbrach. 

Verwundert hatten mir die Grafen nachgeblickt. 

Am Morgen war ich müde und abgefpannt von 
der durchweinten Nacht, das machte mich anſchei— 
nend milder. Ich ging mit Bonaventura ſpazie— 
ren, ich hörte all feinen Liebesworten, feinen phi— 
lanthropiſchen Ideen, die ſein ganzes Weſen warm 
durchglühten, mit der Ruhe zu, mit der ein hoff— 
nungslos Kranker, der ſeinen Zuſtand kennt und 
reſignirt hat, auf die Troſtesworte ſeiner Freunde 
hört. Seine Liebesworte fand ich kalt, ſeine Menſch— 
lichkeitsprincipien, ſeine Ideen von der Gleichheit 
menſchlicher Berechtigung kamen mir wahnſinnig 


vor. Ich ſchwieg und lächelte; der arme Bona— 
ventura glaubte, ich ſei glücklich. 

Man hatte einen Expreſſen geſchickt, um mei— 
nem Vormunde das Evenement zu annonciren und 
ſeine Zuſtimmung zu erhalten. Sie langte am 
Abende des nächſten Tages an. Unſere Verbin— 
dung war ſo wohl aſſortirt, daß ſie das Entzücken 
aller Angehörigen machte. Die Hochzeit ſollte in 
der Mitte des Sommers gefeiert werden und dann 
ſollten wir reiſen, weil doch ein ariſtokratiſches 
Ehepaar unmöglich ruhig an Ort und Stelle blei— 
ben konnte. Mein Schwiegervater wollte während 
unſerer Abweſenheit die Verwaltung meiner Gü— 
ter übernehmen. 

Ich übergehe die erſten Tage meines Braut— 
ſtandes, den Abſchied von meinem Bräutigam. 
Ein Gefühl apathiſcher Stumpfheit war über mich 
gekommen. Manchmal meinte ich, ich müſſe Bo— 
naventura ſchreiben, daß ich ihn nicht liebe. Dann 
nahm ich die Feder zur Hand; aber kaum war 
es geſchehen, ſo blickte von dem Papiere mich ſein 
goldglänzendes Auge an. Mir war, als dränge 
der Strahl bis tief in meine Seele, ich fühlte ſei— 
nen flammenden Athem meine Stirn berühren, 
ſeine Arme mich an ſich ziehen und ſeine Stimme 
hörte ich die Worte ſprechen: „Und Du willſt nicht 


— 


er fe 


mein Weib werden?“ Dann ſchien es mir, als 
müſſe ich zu ihm fliegen, ihn um Verzeihung fle— 
hen, daß ich ihn nicht anbete. Ich wollte ihn hei— 
rathen, die Seine werden, aber — ich liebte ihn 
nicht. Ich fühlte mein Herz klopfen in geſunden, 
kräftigen Schlägen, ich hatte alſo ein Herz und 
doch liebte ich den ſchönſten Mann nicht, den viel— 
leicht die Erde je getragen hatte. Und Bonaven— 
tura war geiſtreich, edel, großmüthig! Ich war mir 
ſelbſt ein Räthſel. 

Je näher mein Hochzeitstag kam, je mehr ſtieg 
meine Beängſtigung. Da fiel ich in meiner An— 
goiſſe darauf, mich an Roſalinde zu adreſſiren, 
die mir die erſten Details über die Liebe in den 
höhern Sphären gegeben hatte. Die gute Dorne— 
feld konnte mir nicht helfen, das fühlte ich klar. 
Ihre blöde, bornirte Weiblichkeit lag ganz außer 
den Grenzen einer Diogena; aber Roſalinden klagte 
ich meine Noth. Sie hörte mir ſchweigend zu 
und ſagte: „Meine Comteſſe! Wie Sie ein ado— 
rabler, ſchuldloſer Engel ſind! Aber wer denkt denn 
daran in der vornehmen Welt, ſeinen Mann zu 
lieben? Darauf konnte nur ein ſo candides Ge— 
ſchöpf kommen, wie meine holde Comteſſe! Man 
heirathet ſeinen Mann, man wird die Mutter ſei— 
ner Kinder, aber man liebt ihn nicht; im Gegen— 


Be 


theil, man findet ihn unerträglich annuyant und 
er iſt es auch; denn er denkt an materielle Inter— 
eſſen, er will ſich ein Sort machen, das Sort ſei— 
ner Kinder ſichern, den Namen ſeines Hauſes er— 
heben und dergleichen. Er will ein Staatsbürger, 
ein Landſtand, oder gar ein Kosmopolit ſein — 
Solch ein Weſen kann man ja nicht lieben. Solch 
ein Weſen hat einen Schlafrock.“ 

„Auch in der Ariſtokratie?“ fragte ich mit Entſetzen. 

„Auch in der Ariſtokratie!“ bekräftigte Roſalinde 
unerbittlich, und fügte hinzu: „Einen Schlafrock 
und oft ſogar Pantoffeln, und es raucht Cigarren 
am Morgen und gähnt bisweilen am Abend, und 
lieſt Journale und iſt in unſerer Zeit, da er ge— 
wöhnlich Landbeſitzer und Landſtand iſt, der öffent— 
lichen Meinung des bürgerlichen Pöbels unter— 
worfen.“ 

„Aber das iſt ein Horreur!“ rief ich und ſchlug 
ſchaudernd die Händchen zuſammen; „aber ein ſol— 
ches Weſen kann man ja nicht lieben, das hat ja 
kaum Zeit an die Liebe zu denken.“ 

„Nein! es denkt auch gar nicht daran.“ 

„Aber was ſoll ich denn anfangen! rief ich in 
Verzweiflung. „Du ſiehſt es, Roſalinde, ich liebe 
meinen Bräutigam ſchon jetzt nicht, weil der ganze 
künftige Ehemann ſchon aus ſeinem Weſen her— 


EI 


vorblüht. Ich muß ihn ja haſſen und verab- 
ſcheuen, wenn er wirklich ein veritabler Ehemann 
geworden ſein wird. Was ſoll ich dann begin— 
nen? Sieh, meine Verzweiflung, Roſalinde, iſt ſo 
übermächtig, daß ſie meine Natur bouleverſirt, daß 
ſie mich zwingt, ſogar vor dir, die du mir nicht 
ebenbürtig biſt, mein Herz auszuſchütten; fühle die 
Ehre, die ich dir thue, hilf mir, rathe mir, wen 
ſoll ich lieben? Denn lieben muß ich!“ 

Ich ſchwamm in Thränen. Ich hatte mich auf 
die braune Sammetcouchette meines hellblauen 
Salons geworfen. In dunkelblaue Shawls ge— 
hüllt, die mir von Schultern und Armen herabge— 
glitten waren, ſah ich mit meinen goldblonden Lo— 
cken, wie ich ſo auf der braunen Couchette dalag, 
wie Correggio's büßende Magdalene aus, die ſich 
in bereuendem Schmerze auf den dunkelbraunen 
Steinen der Felshöhle niedergeworfen hat. 

Roſalinde kniete neben mir nieder, halb zu mei— 
nen Füßen hingezogen von dem Dankgefühl über 
die Gnade meiner Confidenz, halb überwältigt von 
dem Zauber meiner fascinirenden Schönheit. Sie 
küßte meine fabelhaft kleinen Füßchen und ſagte: „O, 
Comteſſe, menagiren Sie ihren gerechten Schmerz. 
Das Leben hat Compenſationen. Es iſt wahr, 
es iſt ein Horreur, daß man einen Ehemann nicht 


„ 


lieben kann auf jenen ariſtokratiſchen Höhen, aber 
es gibt Liebhaber, bezaubernde, müßige, magnifique 
Liebhaber, die Nichts thun, Nichts, abſolut Nichts, 
als lieben und dieſe Liebhaber liebt man.“ 

Man hat von Leuten erzählt, die plötzlich von 
einem furchtbaren Schmerze befreit, nach vielen 
langen, ſchlafloſen Nächten, mit einer fabelhaften 
Spontaneität in Schlaf verſinken, und miraculös 
geheilt erwachen. So ging es mir. Jener Re— 
velation Roſalindens folgte ſeit meinem ganzen 
Brautſtande der erſte ruhige Schlaf. Ich ſah ei— 
nen Hoffnungsſtern leuchten durch die Nacht mei— 
nes Ehelebens und mit dem Blick auf dieſen 
Stern kam Friede und Freudigkeit in mein Herz. 

Ich hatte mit Zuverſicht mein Jawort am Al— 
tare geſprochen, wir waren in die Reiſekaleſche ge— 
ſtiegen und in Baden-Baden angelangt, bald der 
Mittelpunkt der beau monde geworden, um den 
ſich die Elite dieſer Saiſon bewegte. 

Mein Mann fand viele ſeiner Reiſebekanntſchaf— 
ten in Baden ſchon anweſend und ſehr begierig, 
mich kennen zu lernen. Schon am erſten Abend 
präſentirte er mir drei junge Männer, den Fürſten 
Callenberg, einen Vicomte Servillier und einen 
Lord Ermanby, mit denen die Ausflüge für die 
nächſten Tage verabredet wurden. 


ii EEE 


Dieſe drei Männer waren von ſehr divergiren— 
den Charakteren. Fürſt Callenberg, der Sohn des 
Fürſten Gotthard von Callenberg und der edeln 
Cornelie, Witwe des Grafen Sambach, hatte ganz 
das wunderbar impaſſible Temperament ſeines Va— 
ters geerbt. Jahre lang hatte Fürſt Gotthard mit 
einer inſtinctiven, nie encouragirten Treue an Grä— 
fin Cornelie gehangen, war ihr inſtinctiv gefolgt 
und hatte conſtant geſchwiegen oder im Halbſchlum— 
mer vor ihr in den Fauteuils gelegen, ſo lange 
Euſtach Graf Sambach lebte. Da er in ſeinem 
Leben Nichts wahrhaft empfunden, Nichts ent— 
ſchieden gewollt hatte, und doch von der magne— 
tiſchen Attraction der Gräfin jahrelang wie ihr 
Schatten an ſie gebannt blieb, ſo präſumirte er, 
das werde wol Liebe fein. Er heirathete die Grä— 
fin nach dem Tode ihres Mannes und nach der 
Verſtoßung ihres Liebhabers, des bürgerlichen Le— 
nor Brand. 

Ich kannte zufällig dieſe Geſchichten und Ver— 
wickelungen, und war durch die ſuperbe Herzens— 
kälte ſeiner beiden Aeltern zu Gunſten des jun— 
gen Fürſten prävenirt. Auch entſprach er voll— 
kommen dem edeln Bilde, das ich mir von ihm 
gemacht hatte. Stundenlang konnte er mit ſeiner 
Gigantentaille mir gegenüberſtehen und mich re— 


Ba we 


gungslos anſtarren, ohne eine Sylbe zu fagen, 
ohne durch ein Zeichen zu verrathen, daß er mir 
nur zuhöre, wenn ich ſprach. Aber ſo wie ich 
mich erhob, ſtand auch er auf. Er trug meine 
Echarpe und meine Ombrelle, er machte meinen 
Stallmeiſter, wenn ich reiten wollte, holte mir 
den Mantel aus dem Wagen, ſobald es kühl 
wurde, und that all die Dienſte, die bei ordinairen 
Frauen ein indifferenter Lakei verrichtet, mit einer 
Devotion, mit einem Eifer, daß man ſah, er werde 
durch den Impuls eines tiefen, ſich ſelbſt nicht be— 
wußten Gefühls getrieben. 

Ich kann nicht ſagen, daß dieſe Art der ſtum— 
men Huldigung, ſo ſehr ſie bon genre war, mich 
weſentlich intereſſirt hätte. Ich gewöhnte mich bald 
daran, den Fürſten mir folgen zu ſehen, wie ein 
Planet ſeiner Sonne folgt, aber es ließ mich kalt. 
Nur wenn ich mit andern Männern ſprach, wenn 
ich andern, brillantern Männern einen Vorzug vor 
ihm gab, und eine Wolke ſchweren Depits ſich 
über das impaſſible Geſicht des Fürſten lagerte, 
dann machte es mir eine Art von Freude, ihn an— 
zublicken und zu denken, daß ich ſelbſt dieſem Mar— 
morherzen ein, wenn auch nur momentanes und 
factices Leben einzuhauchen verſtände. 

Und brillanter war der Vicomte Servillier al— 


mo or 


lerdings. Feurig, phantaſiereich, petillant und va— 
cillirend, wie alle Kinder der Provence, glich er 
auch in ſeinem Aeußern den ſinnigen, glühenden 
Troubadours der cours d'amour. Er machte ent— 
zückende Verſe und ſang ſie vortrefflich nach ſelbſt 
erfundenen Melodien. Gleich, als mein Mann 
mir ihn vorſtellte, ſagte er mit einem Blicke, in 
dem ſich die ganze heiße Innerlichkeit ſeiner Natur 
enthüllte: „Um Gotteswillen, Bonaventura, wie 
kannſt Du in dem Strahlenglanze dieſer Götterer— 
ſcheinung leben, ohne zu fürchten, daß ſie dich 
emporwirbelt von der Erde hinweg in die flam— 
mende Sonnenregion, der ſie entſproſſen iſt!“ 

Es lag allerdings etwas provengaliſche Jactance 
in dieſer Interjection, aber der Graf war dieſe von 
Servillier gewohnt und mich ſöhnte die Wunder— 
lichkeit der Begrüßung mit dem Auffallenden der— 
ſelben aus. Lord Ermanby ſagte gar Nichts, ſetzte 
ſich ſchweigend nieder, den röthlich blonden Locken— 
kopf gegen einen Baumſtamm, die Füße auf einen 
Stuhl gelegt, den er hin und her balancirte, wäh— 
rend er den Knopf ſeiner Badine im Munde hielt. 
Er war ein Typus von good breeding. 

Mein Leben ging nun ſeinen ruhigen Gang, 
wie das Leben aller Neuvermählten. Ich hatte 
Roſalinde mit mir genommen, da ſie durch ihre 


u ee 


frühere Liaiſons mit Männern der beau monde 
ſich eine gewiſſe elegante Ausdrucksweiſe ange— 
wöhnt hatte, die ſie mir erträglicher machte, als 
andere gewöhnliche Kammerjungfern. Zudem 
beſaß ſie aus der Zeit ihrer Seiltänzercarriere eine 
große Toilettengeſchicklichkeit, war klug und mir 
mit vollkommener Treue attachirt und hatte wirk— 
lich alle Qualitäten einer ausgezeichneten Kam— 
merfrau. 

Am Morgen ging mein Mann und ich an den 
Brunnen, wo wir unſere Freunde trafen, dann 
pflegte Bonaventura in das Leſecabinet zu gehen 
und die Tagespapiere zu durchblättern, auch Lord 
Ermanby und der Vicomte ſchloſſen ſich ihm an. 
Nur der Fürſt beſaß den Vorzug eines echten, 
deutſchen Cavalieres, ſich nicht im Geringſten um 
die Vorgänge in der Welt zu bekümmern. Die 
Welt, die Tagesereigniſſe, Politik und Literatur 
intereſſirten ihn nicht; ſeine Güter verwaltete ein 
Intendant, ſeine Revenuen wurden ihm zugeſchickt, 
er fragte nicht um Politik, nicht um Literatur, er 
lebte ein durchaus müßiges und vornehmes Daſein. 

Dieſe phänomenal ariſtokratiſche Natur fing an, 
mich allmälig zu beſchäftigen. Eines Abends kehr— 
ten wir um zwölf Uhr von einem Spaziergange 
in unſere Wohnung zurück. Unſere Freunde hat— 


3 


ten uns verlaſſen, wir waren ſeit langer Zeit zum 
erſtenmale allein, mein Mann und ich, und ich 
ließ den Thee in meinem kleinen Boudoir ſerviren. 

Es war ein comfortables, lauſchiges Plätzchen. 
Grüne Weinranken zogen ſich zu den geöffneten 
Fenſtern hinein und fielen bis auf den grünen 
Sammetdivan, auf dem ich lag. Ich hatte ein 
weißes Negligee übergeworfen, kleine blaßblaue 
Atlaspantöffelchen angezogen und lag nun ſo da, 
wie eine Nachtviole, die in holder Schönheit be— 
wußtlos blüht, unter dem ſanften Strahl des Mon— 
des. Eine Aſtrallampe mit leichtem Ueberwurf 
verbreitete ein mildes Licht und unter der ſilber— 
hellen Theevaſe ſprühte die kleine röthliche Flamme, 
in die ich träumeriſch blickte, als Bonaventura 
hereintrat. 

Er ſah mich ganz bezaubert an und knieete zu 
mir nieder. „Wie Du ſchön biſt, meine Diogena!“ 
ſagte er, „wie Du ſchön biſt!“ wiederholte er und 
ergriff meine Hände, die er küßte. 

Ich ließ es ſchweigend geſchehen. Bonaventura 
ſetzte ſich auf den Divan nieder und ſprach: „Nimm 
nur Deine Füßchen in Acht, daß ich ſie Dir nicht 
drücke, denn ſie müſſen müde ſein, meine Dio— 
gena! Du biſt heute miraculos umhergewandert 
und ich ſelbſt fühle mich fatiguirt.“ 


Bo 


Ich legte mich ſchweigend mehr gegen die Wand 
zurück, um ihm Platz zum Sitzen zu laſſen, da 
rief er: „Aber Diogena! warum antworteſt Du 
mir nicht, mein Engel! Warum ſoll ich den ſüßen 
Ton Deiner Stimme nicht hören?“ 

„Es gab eine Zeit, in der es Dir genügte, mich 
anzuſchauen; eine Zeit, in der Du zu erliegen 
fürchteteſt, wenn ich dies Glück noch durch den 
Zauber meiner Stimme erhöht hätte.“ f 

„O, das war damals!“ ſagte er ſcherzend, „nun 
bin ich aber ſchon an Deinen Schönheitszauber 
gewöhnt, er iſt mein eigen geworden und Du 
kannſt mir die ſüßen Worte Deiner Lippen gön— 
nen, ohne Furcht, daß ich vor Seligkeit Dir ſterbe, 
ſo ſelig Du mich machſt. Darin beſteht ja die 
Wonne der Gewohnheit, meine Diogena!“ 

„Ich bitte Dich, Bonaventura! verſchone mein 
Ohr mit ſolchen Worten, erniedrige mich nicht durch 
ſolche Reden. Als ob das Schöne uns nicht ewig 
neu, nicht ewig entzückend bliebe; als ob Sonne 
und Mond und Sterne, und die Natur uns nicht 
ewig die gleiche Senſation einhauchten!“ 

„Sonne, Mond und Sterne wohl, aber viel— 
leicht grade darum, weil ſie uns unerreichbar ſind, 
weil ſie trotz unſerer Sehnſucht, trotz unſers Ver— 
langens, nie zu uns herabſteigen. Thäten fie dies 


N: 


und würden ſie unſer eigen, wie ein geliebtes 
Weib, auch der Beſitz der himmliſchen Geſtirne 
würde uns zu einer ſüßen, wenn auch unentbehr— 
lichen Gewohnheit werden,“ meinte Bonaventura, 
und wollte mich zärtlich in ſeine Arme ziehen. 

Ich machte mich aber mit einer prächtigen In— 
dignation von ihm los und ſagte: „Nun, ſo will 
ich wenigſtens nicht dazu thun, Dir zur ſüßen 
Gewohnheit zu werden; ich will Dir lieber ent— 
behrlich ſein und ich bin es Dir ſchon, denn wir 
Beide verſtehen und verſtanden uns nie.“ 

„Diogena! um der Liebe willen, welche An— 
wandlung!“ rief Bonaventura, ganz foudroyirt 
von meinem wundervollen Zorn. 

„Nein, nein, Bonaventura!“ ſagte ich, und ſchüt— 
telte ſchmerzlich lächelnd mein Haupt, indem ich 
die roſigen Händchen abwehrend gegen ihn be— 
wegte, „täuſche Dich nicht, Du liebſt mich nicht, ich 
weiß es. Du ermüdeſt an meiner Seite.“ — 

„Aber Diogena! wer kann wie Du Strapazen 
ertragen, die den ſtärkſten Körper vernichten müß— 
ten. Du haſt heute zwei Stunden am Morgen 
promenirt mit dem Vicomte, dann biſt Du in 
brennender Sonnenhitze nach Karlsruhe gefahren, 
die Muſeen in Augenſchein zu nehmen, haſt das 
Schloß, die Bibliothek, die indifferenteſten Kirchen 

3 * 


u 


durchwandert. Heimgekehrt biſt Du auf die Iburg 
zu einem Dejeuner geritten, dann zu Fuß hinabge— 
gangen. Wir haben in dem wüſten Menſchenge— 
wühle des Hoͤtel d'Angleterre dinirt, haben einen 
langen Ritt über Lichtenthal hinaus in die Berge 
gemacht, zwei Stunden im Salon der Fürſtin Or— 
zelska getanzt, und ſchon, als wir nach Haufe fuh— 
ren und ich vor Ermüdung zuſammenbrach, hat 
Deine üble Laune ihren Anfang genommen. Wohl 
Dir, daß Du trotz Deiner Irritabilität und Nervo— 
ſität dergleichen Fatiguen täglich erdulden kannſt, 
ich kann es nicht und will es nicht, und Niemand 
kann das.“ 

„Der Fürſt Callenberg kann es dennoch,“ warf 
ich hin. 

„Weil er nur ein Körperleben führt, nicht denkt, 
nicht fühlt und durch dies wahnſinnig leere Trei— 
ben nicht zu Tode gelangweilt wird, wie ich.“ 

„Und was denkſt Du?“ fragte ich. 

„Ich denke, daß ich Dich davon erlöſen, Dich ei— 
ner edlen Weltanſchauung entgegenführen muß, 
weil ich Dich, liebe Diogena! weil ich nicht leben 
kann ohne Dein mildes, ſonniges Lächeln; weil 
ich die Ekſtaſe Deines Kuſſes nicht entbehren kann! 
O, Diogena! wende Dich nicht von mir. Denke 
an den erſten Abend unſers Begegnens, denke an — 


— ———— — — —— — ... «—ß 


au A 


„Spare Deine Worte, ich glaube Dir nicht mehr!“ 
ſagte ich kalt. „Du hängſt an der Erde, an der 
Zeit und ihren Intereſſen — die Liebe aber ſtammt 
vom Himmel und iſt unendlich. Sie kennt keine 
Zeit, die Menſchheit kümmert ſie nicht und ſie hat 
keinen Zweck als ſich ſelbſt. Solch eine Liebe muß 
ich finden, oder untergehen; Du haſt ſie nicht, Du 
kennſt ſie nicht und kannſt ſie nicht bieten, darum 
habe ich Nichts mit Dir gemein.“ 

Mein Buſen hob ſich in convulſiviſchem Wei— 
nen, meine Augen ſprühten in unerhörtem Luſtre, 
ich glich einer zürnenden Gottheit und war irreſi— 
ſtible. Mein Mann warf ſich vor mir nieder, er 
küßte meine Füßchen, er verſprach, ſich von allen 
vernünftigen Intereſſen loszuſagen, er wollte ſeine 
ganze ernfte Vergangenheit desavouiren und nur 
ein Leben der Liebe leben für mich. Seine Worte 
ließen mich kalt, ſeine flammenden Küſſe machten 
mich faſt ſchaudern, ich war in Deſespoir, mir 
ſelbſt ein Gegenſtand des Horreurs. Meine Kraft 
drohte zu erliegen, da nahm Bonaventura mich 
in ſeine Arme, und leiſe weinend wie ein müdes 
Kind, faltete ich troſtlos meine Händchen zum Ge— 
bete und ſchlief von ſeinen Küſſen überdeckt, in 
ſeinen Armen ein. 

Am Morgen erwachte ich in Zorn gegen mich 


BE 


ſelbſt. Ich hatte keinen Glauben in die Verſpre— 
chungen meines Mannes und dennoch ſah ich 
gleich an dem Tage, daß er Ernſt mache, ſie zu 
erfüllen. Er beſuchte das Leſecabinet nicht mehr, 
er vermied alle Männer von geiſtiger Diſtinction, 
mit denen er ſonſt zu converſiren pflegte, er wich, 
wie Fürſt Callenberg, nicht von meiner Seite. 

Servillier, eitel wie alle Franzoſen, hielt dies 
für ein Zeichen von Jalouſie, fühlte ſich dadurch 
geſchmeichelt und vermehrte ſeine Attentionen für 
mich. Mich brachte dieſes Benehmen meines Man— 
nes in eine wunderbare Poſition. Wollte ich nicht 
das Ridicule über mich nehmen, von der Laune 
eines eiferſüchtigen Gatten tyranniſirt zu werden, 
ſo blieb mir keine Wahl, als zu zeigen, daß ich 
frei ſei, die Huldigung der Männer anzunehmen. 
Ich ſchwankte, welchen von meinen Adorateuren 
ich bevorzugen wolle, denn alle Drei waren mir 
unausſprechlich indifferent. Da entſchied ein Mo— 
ment, ein Zufall meine Wahl. 

Bonaventura hatte nach wenig Tagen, da ihm 
ſeine ſogenannten ernſthaften Occupationen fehlten 
und ich unmöglich in der Laune ſein konnte, ihn 
in ſeinem Attachement an meine Perſon zu encou— 
ragiren, angefangen ſich furchtbar zu langweilen. 
So oft ich nach ihm hinblickte, ſaß er mismuthig 


| 


u 
da und ſchon mehrmals hatte ich ihn gähnen je 
hen, das machte ihn mir vollends inſupportable. 
Ich nahm gar keine Rückſicht auf ihn und es war 
mir ein Soulagement, als ich bemerkte, daß ein 
ganz unbedeutendes, ſchlichtes Fräulein von Els— 
leben, eine Couſine des Fürſten, die mit ihrem 
Vater, einem preußiſchen Gutsbeſitzer, eben ange— 
kommen war, ihn zu beſchäftigen anfing. Sie 
war eine ganz gewöhnliche, weibliche Erſcheinung, 
ein unſchuldiges Kind, das für mich dadurch ein 
Ridicule bekam, weil der Vater ſie immer „meine 
Mieze“ nannte. Eigentlich hieß ſie Aurora, nach 
ihrer verſtorbenen Mutter; aber auch dieſe war 
von dem Vater „Mieze“ genannt worden und ſo 
führte er aus Pietät den Namen auch in der 
Tochter fort. 

Aurora zu Ehren war ein Dejeuner auf dem 
alten Schloſſe veranſtaltet worden. Man ritt theils 
auf Eſeln, theils zu Pferde hinauf. Mein Mann 
machte den Cavalier Aurora's und that ängſtlich 
um ſie beſorgt, während ihr Vater ihm unabläſſig 
zurief: „Geben Sie Acht, beſter Graf! daß meine 
Mieze nicht vom Eſel fällt; halte Dich feſt Miez— 
chen! Du biſt noch nie geritten, ſo ein Eſel iſt 
eine eigenſinnige Beſtie und keine bequeme Fami— 
lienkutſche, in der man ſo ſicher ſitzt wie in Abra— 


u 


hams Schoos; biege Dich weiter nach hinten, 
Miezchen!“ und wie dergleichen Ermahnungen 
denn weiter hießen. 

Mich packte ein ſolcher Degout vor dieſen ganz 
ignobeln Menſchen, und vor Bonaventura, den 
dies höchlich zu beluſtigen ſchien, daß ich zu Ser— 
villier ſagte, der grade in meiner Nähe war: „Um 
Gottes Willen, Vicomte, laſſen Sie uns abſteigen 
und einen Fußpfad einfchlagen, denn die Anweſen— 
heit dieſer Menſchen macht mich nervos.“ 

Servillier bot mir die Hand, ich ließ mich von 
meinem Pferde herabheben, und wanderte mit 
ihm durch den Baumſchatten den Berg in die 
Höhe; wie immer folgte der Fürſt in gewiſſer Ent— 
fernung. Ganz gegen ſeine Gewohnheit ſchwieg 
Servillier eine Weile, dann ſagte er: „Wenn ich 
Sie ſo anſehe, meine Gräfin, ſo frage ich mich 
immer, welch ein ſplendides Geſtirn über dem Gra— 
fen geleuchtet hat, daß ihm eine Diogena zu Theil 
ward; ja welches Geſtirn über dieſem Jahrhun— 
dert leuchtet, daß Sie uns gegönnt ſind.“ 

„Sie find grandios in Ihren Exagerationen, 
Vicomte!“ warf ich mit der Gleichgültigkeit hin, 
mit der man ſolche banale Phraſen beantwortet 
und ſelbſt verſchwendet. 

„Meine Gräfin!“ rief er aus, „o, hören Sie 


3 


mich an!“ — Er führte mich zu einer der Bänke, 
die ſich auf dem Wege fanden, nöthigte mich dar— 
auf niederzuſitzen und legte ſich mir zu Füßen hin, 
während er anmuthig meine Hände hielt und ſie 
mit ſpielender Grazie an ſeine Lippen drückte. 
Dann erhob er ſich etwas und ſagte knieend: „Ma— 
donna! Du mußt ein Kind des Südens ſein! Nur 
der Süden erzeugt ſolch glänzend poetiſche Erſcheis 
nungen wie Du! Im ſchönen Griechenland ſtand 
die Wiege Deiner Ahnen; dort hat der goldene 
Sonnengott Deine goldenen Locken angeſtrahlt, 
dorthin, nach dem Süden gehört Deine flammende 
Exiſtenz! — O, Madonna! Du hätteſt im Mit- 
telalter leben müſſen bei uns in der ſchönen Pro— 
vence, an den Ufern des blauen Meeres, die Kö— 
nigin der Herzen und der Cours d'amour!“ 

Ich hörte ihm ſchweigend zu und träumte mich 
zurück in die Tage, von denen er ſprach, in ein 
Zeitalter, in dem Liebe ein Cultus war, und man 
die Frauen wie Göttinnen anbetete aus ſcheuer, 
blöder Ferne. Ich fragte mich, ob das die Liebe 
ſei, die ich geſucht? — Servillier blickte mit feinen 
großen, brennenden Augen ſo feſt in die meinen, 
daß es ſchien, als wolle er in den profundeſten 
Tiefen meiner Seele leſen. Ich empfand Nichts 


für ihn, mein Herz war kalt und ſtill, aber ich 
3 * * 


8 


erbebte vor ſeinem fascinirenden Blick, ſeine Glut 
dominirte mich. Ich wollte mich erheben, er ließ 
es nicht zu. Mit feſten Armen umſchlang er meine 
Taille: „Diogena! Madonna!“ rief er aus, „nicht 
dieſen kalten, herzloſen Blick, der in das Weite 
vaguirt; auf mich, Diogena! wende Deine Augen. 
Sieh mich zu Deinen Füßen, fühle meine Arme, 
die Dich enlaciren, die Dich halten, um Dich Dei- 
nem kalten, berechnenden Gatten zu entreißen, Dich 
dem Norden zu entführen, wo Schnee und Eis 
ſich um Dich lagern! — Diogena! mein Engel! 
folge mir in meine ſchöne Provence, denn Du 
mußt folgen, Du mußt mein ſein; denn ich laſſe 
Dich nicht, auf mein Wort, ich laſſe Dich nicht! 
Aber Diogena, Du haſt kein Herz!“ 

Er hatte mich an ſich gepreßt, mir ſchwindelte, 
meine Sinne drohten mich zu verlaſſen. Ich lehnte 
meinen Kopf an ſeine Bruſt, ich wußte nicht, ob 
ich träume oder wache, glücklich oder miſerabel ſei. 
Ich empfand eigentlich gar Nichts und willenlos 
duldete ich die ſtürmiſchen Küſſe und Schwüre des 
Vicomte. 

Als ich mich erholte, fiel mein erſter Blick auf 
den Fürſten Callenberg, der in einiger Entfernung 
ſtehen geblieben war. Mit der ihm eigenen Im— 
paſſibilität und Discretion hielt er meinen Shawl 


Fa. 


und meinen grünen Fächer, und that, als ob er 
ſich mit dieſem ſpielend gegen die Sonne ſchütze, 
nur um mir durch ſeine unvermeidliche Gegenwart 
nicht à charge zu fein. 

In der Ferne erblickte ich meinen Mann und 
Aurora. So wenig liebte er mich, daß er mich 
ruhig den leidenſchaftlichen Bewerbungen des Vi— 
comte überließ, die ihm nicht entgangen ſein konn— 
ten. Das ganze Gewicht des ſchmerzlichen Irr— 
thums, der mich mit ihm verbunden hatte, die 
troſtloſe Leere meines Herzens an ſeiner Seite, 
das paſſionirte Verlangen nach Liebe und Liebes— 
glück ſtanden in frappirender Deutlichkeit vor mei— 
nem innern Auge. Alles, was Bonaventura mir 
zu bieten hatte, kannte ich nun à fond, hatte ich 
ungenügend gefunden. Ich wußte, daß ſolche ekſta— 
tiſche Momente, wie er ſie in den Stunden unſers 
erſten Begegnens gehabt, eben nur Momente wa— 
ren, die ſeinen modernen Ideen von der Pflicht 
gegen die Zeit und die Menſchheit immer weichen 
mußten. Ich mußte mir geſtehen, daß er in den 
Augen der Welt ein ſehr achtbarer Charakter, das 
Muſter eines jungen Edelmannes ſei, aber er war 
nicht das Ideal eines Mannes, wie ich es mir 
geträumt hatte, wie ich es zu finden berechtigt war. 
Ich fühlte, es würde mir nicht Ruhe laſſen, bis 


a 


ich den Rechten gefunden hätte, und in dieſem Au— 
genblicke ward mir, wie durch myſteriöſe Revela— 
tion, der Sinn meines Wappens klar und zum 
Lebensgeſetze. 

Servillier hielt, wie vernichtet durch mein Schwei— 
gen, noch immer meine Hände in den ſeinen; eine 
tiefe Glut lag über ſeinem ganzen Weſen ausge— 
breitet. Eine dämoniſche Stimme in mir rief: 
Verſuche, vielleicht iſt er es. — Ich blickte ihn 
feſt an, ich wollte es mit meinem Auge in dem 
ſeinen leſen; meine fascinirende Kraft magnetiſirte 
ihn. „Diogena!“ rief er mit einer ſolchen Ge— 
walt und Intenſität der Liebe, daß der Ton tief 
in meinem Innern wiederklang; eine Ahnung mög— 
lichen Erfolges durchzuckte mich, und überwältigt 
von einer namenloſen Sehnſucht nach Glück, lehnte 
ich mein Haupt an ihn und ſagte ganz bewildert: 
„O, wenn Du lieben kannſt, lehre mich lieben!“ 

„Und Du haft nie geliebt?” fragte er, beſeligt 
von dem Gedanken, der erſte Mann zu ſein, der 
all die ſeligen Emotionen in mir hervorzurufen 
erwählt war, welche wir Liebe nennen. „Du haſt 
nie geliebt? O! Aber das iſt ja zu viel Wonne! 
zu viel! Madonna!“ 2 

„Nein! Anatole!“ ſagte ich, „nicht zu viel für 
das Gut, das ich von dir erwarte; nicht zu viel, 


2 


wenn Du ein Mann biſt, wie ich ein Weib; wenn 
Du die Kraft beſitzeſt, das Perpetuum mobile meines 
Herzens zu ſein, es unabläſſig in der immer glei— 
chen Vibration ekſtatiſchen Vollgefühls zu erhalten.“ 
„Und was muß ich dazu thun? Madonna!“ 
„Wie kann ich's wiſſen, da ich's noch nicht fand?“ 
„O! rief er, nun ſollſt Du's kennen lernen! 
Komm! komm! mein Engel! laß uns hinauf zu 
den hellſten Höhen des Berges! Laß uns hinauf ins 
Freie, und wenn die Erde in ihrer zauberiſchen Schön— 
heit ſich vor dir ausbreitet, wenn die Sonne Alles 
goldig beleuchtet, dann denke, daß ich der Beherr— 
ſcher der Welt ſein möchte, um Dir ſie zu Füßen 
zu legen, und daß ich wollte, meine Liebe wäre 
wie die Sonne, um Dein ganzes Weſen zu bele— 
ben und zu durchleuchten, wie jene die Welt.“ 
Mit einem Jubelrufe hob er mich in den Sat— 
tel und wir ſprengten mit ſolcher Eile den Berg 
hinan, daß wir, trotz des Aufenthaltes, oben in 
den Ruinen vor allen Andern angelangt waren. 
Zum erſten Male fehlte der Fürſt an meiner Seite. 
Er war in einen wunderlichen Conflict mit ſich 
ſelbſt gerathen. Als wir ſeinen Blicken entſchwun— 
den waren, fuhr er ſich mit der Hand über die 
Stirne, wie Jemand, der einen wüſten Traum 
geträumt hat. 


Ber: ei 


„Diable!“ ſagte er zu fich ſelbſt! „wie ift mir 
denn? Mir iſt ſo warm, als hätte ich eine Wette 
gehalten beim Pferderennen, und hätte die Partie 
verloren. Aber was kümmert mich denn die Com— 
teſſe mit ihrer Miene à la sainte N'y touche; 
mag ſie doch lieben wen ſie will, das iſt des Gra— 
fen Sache. Was kümmert's mich! Ich liebe ſie 
nicht, aber dieſer Servillier iſt mir odios! Wo er 
nur mit ihr ſein mag?“ 

Verdrießlich ſchlug er mit der Reitpeitſche gegen 
die zunächſt ſtehenden Bäume und trabte mediti— 
rend und übler Laune den Berg in die Höhe. 

Wie im Rauſche vergingen mir die nächſten 
Tage und Wochen. Anatole war wie ein ange— 
zündetes Feuerrad, in raſtlos brennender Bewe— 
gung. Er liebte mich wirklich; er begriff die tödt— 
liche Leere meines armen unerſättlichen Herzens, 
er begriff die Apathie, in die ich verſank, wenn 
ich nicht ewig in immer neuen Emotionen erhal— 
ten wurde. Er war erfinderiſch, wie nur die wahre 
Leidenſchaft es macht. Unabläſſig hörte ich von 
ihm ſprechen und immer in der Weiſe, welche für 
uns Frauen ſo viel Charmes hat. Bald ſprach 
man davon, daß er Unſummen an der Bank poin— 
tirt und verloren oder gewonnen habe, bald hatte 
er, der magnifiqueſte Reiter, ein Racepferd acquirirt, 


das der Großherzog zu kaufen refuſirt hatte, we— 
gen des enormen Preiſes. Da ich erklärt hatte, 
daß die impaſſible Galanterie des Fürſten mir un— 
erträglich ſei, und daß mich nur eine Huldigung 
entzücken könne, die mich wie die Liebe meines 
Schutzgeiſtes unſichtbar umſchwebe, wußte Anatole 
tauſend Mittel ausfindig zu machen, um in mei— 
ner Nähe zu ſein und unbemerkt für mich zu ſorgen. 

Machte man eine Partie auf Eſeln, ſo trat oft 
der Führer deſſelben, den ich als einen bezahlten 
Menſchen nicht beachtet hatte, leiſe an mich heran, 
als ob an dem Sattelzeuge Etwas verdorben ſei, 
und aus dem gewaltigen blonden Barte, der ihn 
für Jedermann unkenntlich machte, fragten mich 
Anatole's blühende Lippen: „Madonna, ſchlägt Dein 
Herz?“ — Aber Anatole's Anbetung fing an, die 
allgemeine Aufmerkſamkeit zu erregen, nur mein 
Mann ſchien ſie nicht zu bemerken. Fräulein Au— 
rora dominirte als Sonne an ſeinem Horizonte 
und blendete ihn ſo, daß er für mich kein Auge 
mehr hatte. Mein Stolz war auf das Empfind— 
lichſte verletzt. Eines Tages fand mich Anatole 
in Thränen. N 

Der Glanz meiner Farben war wie erblichen, mein 
Antlitz ſah wie ein klarer weißer indiſcher Mouſſe— 
lin aus, den man mit dem zarteften roſenrothen 


— 


Taffet gefüttert hätte; wie leichte blauſeidene Platt— 
ſchnürchen liefen die Adern darunter hin. 

„Du weinſt, Madonna?“ fragte er. „Biſt Du 
nicht glücklich durch meine Liebe?“ 

„Ich liebe Dich nicht, Anatole!“ ſagte ich. „Ich 
kann Dich nicht täuſchen. Du biſt brillant, Du 
biſt ſublime als Cavalier und Du liebſt mich; 
aber fühle es, mein Herz klopft ruhig und ſtill. 
Meine Nerven verſinken in ihre frühere Apathie und 
in dieſem Momente iſt es allein der Depit über 
meines Mannes Vernachläſſigung, der meinem Da— 
ſein noch einen Impuls, einen Anſchein von Le— 
ben gibt. Ach, ich fühle es, ich werde ſterben, denn 
mir fehlt die bewegende Kraft für meine Exiſtenz. 
Ich ſchlafe ein vor Unmöglichkeit zu leben.“ 

„Aber Madonna!“ rief Anatole in Verzweiflung, 
„Du empfindeſt Nichts, Nichts? Und ich verzehre 
mich in Gluten, die Deine Schönheit anfacht, 
Deine Blicke nähren! Du erwiederſt den Druck mei— 
ner Hand, Du duldeſt meine flammenden Küſſe — 
und Du liebſt mich nicht! Du ſagſt, Du empfän- 
deſt Nichts? Aber was ſoll ich denn thun, damit 
Du lebſt, ſtatt zu ſterben?“ 

„Lehre mich lieben! Lehre mich fürchten und 
hoffen, aufjauchzen und verzweifeln, laß mich die 
ganze Scala der Senſationen durchlaufen in dem 


Gedanken an Dich, und mache, daß dies nie, nie- 
mals ende und wie eine Sklavin ihrem Herren 
will ich Dein eigen ſein.“ 

Anatole kreuzte die Arme über der Bruſt, ſah 
mich mit einem langen deſidirten Blicke an, ſagte 
mit gepreßter Stimme: „Leb' wohl, Diogena!“ und 
ſprang vom Balkon, auf dem ich ſaß, hinunter in 
den Garten. 

Ein furchtbares Zittern durchflog meine Nerven. 
Ich ſchickte, als ich mich erholt hatte, meinen Die— 
ner in die Wohnung des Vicomte, mich nach ſei— 
nem Befinden zu erkundigen; man brachte mir die 
Antwort, er ſei heimgekehrt, dann ausgegangen 
und ſeine Domeſtiken packten ſeine Sachen, da er 
in einer Stunde abreiſen werde. 

Ich blieb ruhig und kalt wie immer. Er war 
mir eine Zerſtreuung geweſen, Nichts mehr, Nichts 
weniger. Dennoch fehlte er mir am Morgen und 
die Frage meines Mannes, wo mein Cavaliere 
servente geblieben ſei? die Auskunft, welche die 
Geſellſchaft von mir über ſein Verſchwinden ver— 
langte, hatten in der That etwas Embarraſſirendes. 

Ich hielt mit aller Sicherheit einer Weltfrau 
Contenance und Fürſt Callenberg und Lord Er— 
manby benutzten den Zeitpunkt, ihre nicht beach— 
teten Prätenſionen geltend zu machen. Ich war 


a EN 


nicht in der Stimmung, ſie zu encouragiren, den— 
noch nöthigte mich meine wunderbare Poſition 
dazu. Von meinem Manne gänzlich negligirt, 
von Servillier urplötzlich verlaſſen, mußte ich die 
ſehr auffallende Lücke durch eine neue Wahl füllen 
und Servillier's Abreiſe dadurch motiviren. 

Des Fürſten war ich gewiß. Er war eine je— 
ner ſeltenen Naturen, die niemals ihren Poſten 
verlaſſen; ich war ſo gewiß ihn zu finden, wie den 
Refler meiner Perſon in dem ungetrübten Glaſe 
eines Spiegels, und zudem lag in dem wunderli— 
chen Weſen des Lords ein je ne sais quoi, das 
mich agacirte. 

Er ſelbſt war dermaßen ennuyirt und blaſirt, 
daß es faſt das non plus ultra dieſes Genres war; 
aber ich habe nie einen Mann beſſer gekleidet ge— 
ſehen als ihn, nie einen Mann gekannt, der ſo 
vollkommen Gentleman war als er. Er hatte nie 
verſucht ſich an die Stelle meines Mannes zu 
drängen, ſo lange er mich in gutem Einverſtänd— 
niß mit dieſem wähnte, nie daran gedacht, die 
Rechte ſtreitig zu machen, welche ich Servillier 
ſpäter zugeſtand. Dazu war er zu delicat, aber 
dennoch glaubte ich, daß er ſie beneide, daß er 
mich liebe und daß ein Blick, ein Wort von mir 
ihn glücklich und elend machen könne. 


Als Servillier abgereiſt war und ich am näch— 
ſten Morgen auf der Promenade des Lords Arm 
annahm, war er ganz bewildert von dieſem Glücke 
und nahm es als ein Signal, mir von nun an 
ausſchließlich ſeine Zeit zu weihen. Anfangs quälte 
mich ſein Phlegma unbeſchreiblich, ſeine grenzen— 
loſe Schweigſamkeit impatientirte mich, bald aber 
fand ich darin einen Reiz, den ich nie in der Im— 
petuoſität des Vicomte empfunden hatte. Was 
kann ein Mann uns ſein, der uns unabläſſig die 
Gefühle ſeines Herzens enthüllt, der nichts Verbor— 
genes in ſeiner Seele hat, den wir auswendig 
wiſſen? 

Mit dem Lord war das ein Anderes. Er ſprach 
halbe Tage lang gar nicht und da ich dennoch feſt 
von ſeiner Liebe überzeugt war, ſo lag ein eigen— 
thümlicher Zauber für mich darin, in ſeinem ſtillen, 
kalten Antlitz nach den Gedanken, nach den Ge— 
fühlen zu ſpähen, von denen er bewegt war. Oft 
ſaß er mir dann Stunden hindurch gegenüber und 
der ſchaukelnde Stuhl und ein leiſes Gähnen ver— 
riethen mir, daß er lebe. Ich reſpectirte dies Gäh— 
nen; es war nicht, wie bei meinem Manne, das 
Gähnen nach der Arbeit und Ermüdung des Tages, 
das Gähnen der Theilnahmloſigkeit, das mich ſo 
unſäglich in ihm beleidigt hatte; es war jenes er— 


a 


habene Gähnen der Blaſirtheit, der Leere, der tödt— 
lichſten Langeweile, das mir ſympathiſch war, das 
ich vollkommen begriff. O! und es iſt auch ein 
Unterſchied zwiſchen dem Gähnen des Liebhabers 
und dem Gähnen eines Ehemannes! Das Eine 
reizt unſere Eitelkeit, das Andere vernichtet ſie; 
das Eine belebt uns, das Andere iſt der Tod. 

Lord Ermanby's Blaſirtheit intereſſirte mich, denn 
ſie war der Reflex meiner eigenen Leiden. Ich 
hatte Erbarmen mit ihm, ich beſchloß, Alles daran 
zu ſetzen, dieſen Unglücklichen zu galvaniſiren durch 
die Macht meiner Gefühle, ich wollte ihn glücklich 
machen und darin vielleicht ſelbſt eine Befriedi— 
gung finden. 

Man ſprach in jenen Tagen unabläſſig von 
Servillier's Verabſchiedung und von meiner neuen 
Liaiſon mit dem Lord. Mein Mann mochte es 
für angemeſſen halten mich darüber zur Rede zu 
ſetzen und trat eines Abends mit aller Majeſtät 
eines beleidigten Gatten in mein Zimmer, als Ro— 
ſalinde grade einem neu engagirten Kellner die 
Arrangements für meinen Theetiſch zu machen 
zeigte. 

Der Graf hieß die Dienerſchaft ſich zu entfer— 
nen, der Kellner zögerte und es frappirte mich, 
daß er mit einer Art von Angſt abwechſelnd den 


1 


Grafen und mich betrachtete; indeſſen währte das 
nur einen Moment, da Roſalinde ihn mit ſich 
hinauswinkte. Kaum waren wir allein, als der 
Graf ſich förmlich in Poſition ſetzte, um mir in 
aller Form zu imponiren. 

„Diogena!“ ſagte er, „wir ſind kaum zwei Mo— 
nate verheirathet und ſchon iſt jedes Band der 
Liebe zwiſchen uns zerriſſen. Wie ſoll das wer— 
den für die Zukunft?“ 

„Handle nach Deinem Belieben, wie Du es ja 
auch jetzt thuſt! Oder hindere ich Dich etwa dem 
blonden Fräulein zu folgen von früh bis ſpät?“ 
ſagte ich ſtolz. 

„Du biſt prächtig in dieſem Stolze, Diogena!“ 
fuhr Bonaventura auf. „Du! Du wagſt es mir 
Vorwürfe zu machen? Und war es nicht Deine 
caprizieuſe Kälte, war es nicht Deine ganz wahn- 
ſinnige Erigence, die mich von Dir trieben und 
meine Neigung für Dich erkalten machten? Zwei 
Monate ſind wir verheirathet und ſchon iſt der 
Vicomte verabſchiedet und der Lord an ſeine Stelle 
getreten, des immobilen Fürſten nicht zu gedenken!“ 

„Und wer will es mir verargen, wenn ich in 
der Immobilität des Fürſten mehr Reiz ſinde, als 
in Deiner Beweglichkeit, die ſich durch den gering— 
ſten Schatten am Himmel meiner Liebe verſcheu— 


ee 


chen läßt?“ fragte ich ſpöttiſch, denn es indignirte 
mich, daß Bonaventura, der mir kein Glück ge— 
währt hatte, es wagte, mir Vorwürfe zu machen, 
weil ich es anderwärts ſuchte. 

„So wirſt auch Du es begreiflich finden, daß 
ich, wenn ſchon nicht Glück, ſo doch Zerſtreuung 
ſuche, und Herrn von Elsleben und Aurora auf 
einem Ausflug in den Elſaß begleite, bei dem ich 
Deine Anweſenheit nicht fordere. Auch biſt Du 
ja unter dem unwandelbaren Schutze des unwan— 
delbaren Fürſten, und alſo beſſer geborgen, als 
durch die Liebe eines wankelmüthigen Mannes, 
wie ich! — Ich reiſe morgen früh!“ 

Mit den Worten verließ er mich und ich trat 
auf den Balkon hinaus, der in den Garten ging, 
da ſah ich den Lord lang ausgeſtreckt auf einer 
Bank unter meinem Fenſter liegen, das Lorgnon 
in das rechte Auge geklemmt, die Cigarre im Munde, 
ſehnſüchtig nach meinem erleuchteten Fenſter em— 
porblicken. Er ſtand auf, grüßte mich und ging 
von dannen. Der Gruß that mir wohl, denn in 
jener Stunde bedurfte ich eines Liebeszeichens, 
weil ich traurig war. 

In der Morgendämmerung hörte ich den Wa— 
gen des Grafen über den Hof rollen und ſeine 
Stimme verſchiedene Befehle geben. Nun war 


Br 


ich allein, ich fühlte mich frei, wie in den Tagen 
vor meiner Verheirathung und beſchloß eine Mor— 
genpromenade zu machen. Ich ſchellte nach Ro— 
ſalinde, der neue Kellner kam mir zu melden, ſie 
ſei in der Nacht erkrankt und der Arzt geholt, der 
ihr befohlen habe im Bette zu bleiben. Das des— 
appointirte mich, indeſſen machte ich ſelbſt meine 
Toilette und ging aus, mit dem Befehle, den Lord 
zum Frühſtück zu mir einzuladen. 

Ich war noch nicht tauſend Schritte von un— 
ſerm Hotel entfernt, als der Fürſt erſchien, mir 
ſeinen Arm und ſeine Dienſte anzubieten. So 
anerkennenswerth dieſe ewig wache, unermüdliche 
Fürſorge auch ſein mochte, ſo war es mir in die— 
ſer Stunde fatal, daß ich keinen Moment ohne 
ihn ſein konnte, ſobald ich mein Zimmer verließ, 
und in ziemlich übler Laune, ſagte ich: „Aber um 
Gottes Willen, lieber Fürſt! ſind Sie denn wirk— 
lich mein Schatten? Kann ich denn nie ſicher vor 
Ihrer Begleitung ſein? Nie einen ee: allein 
der Natur genießen?“ 

„O! meine Gräfin!“ ſagte er, „thun Sie als 
eriftirte ich nicht. Sie find allein, wenn Sie es 
ſein wollen und ich bin da, wenn Sie es 
begehren.“ 

„Aber werden Sie es denn nicht müde, mir 


ohne Lohn, ohne Hoffnung zu folgen, Nichts zu 
thun, Nichts zu denken, als“ — — 

„O, meine Gräfin! ich that und dachte niemals 
Etwas, auch ehe ich Sie ſah, und jetzt denke ich 
an Sie.“ 

„Und das befriedigt Sie?“ 

„Vollkommen!“ 

„Und Sie fragen ſich nie, ob — —“ 

„Ich frage mich Nichts. Ich ſehe Sie an, Sie 
ſind ſchön, und ich folge Ihnen, um Sie anzuſe— 
hen. Der Graf, der Vicomte berauben ſich frei— 
willig dieſes Glückes, ſo genieße ich es dreifach. 
Und nun gehen Sie allein ſpazieren, ich folge 
Ihnen in einiger Entfernung, aber nur ſo fern, 
daß mein Blick Sie erreichen kann, denn Sie ſind 
ſchön, meine Gräfin!“ 

„Unbegreiflich!“ ſagte ich zu mir ſelbſt. „Ich 
gehe aus, die Liebe zu ſuchen und finde die Treue 
— aber das iſt bleiches Silber für ſtrahlendes 
Gold!“ Ich verſank in ſchwermüthige Träume— 
reien und wanderte fort weit über Lichtenthal hin— 
aus, dem kleinen Waſſerfalle zu, und wieder zu— 
rück nach Baden, ohne daß der Fürſt ſich mir ge— 
nähert oder ein Wort mit mir geſprochen hätte. 
Als ich die Treppe vor meinem Hotel erreicht hatte, 
ſah ich, wie er, eine ſtarke, ſchwerfällige Geſtalt, 


3 


ſich mit dem Battiſttuche die Stirn trocknete und 
erſchöpft auf einer Bank Platz nahm, von der aus 
er meine Fenſter und die Thüre des Hotels beob— 
achten konnte. 

Ich erkannte mein Zimmer nicht wieder, als ich 
es betrat. Es war auf das Eleganteſte mit Blu— 
men decorirt und ein ſuperbes Album mit meinem 
Namen lag auf meinem Schreibtiſche. Ich ſchellte 
dem Kellner und fragte, wer die Sachen hierher— 
gebracht hätte? Er behauptete, ſie wären ihm von 
einem Gärtner gebracht worden, mit dem Bemer— 
ken, ich hätte ſie gekauft. 

Gleich darauf kam der Lord. Da er gar nicht 
frappirt ſchien durch die Blumenflora, die am 
Tage vorher nicht vorhanden geweſen war, drängte 
ſich mir natürlich der Gedanke auf, daß es eine 
Galanterie von ihm ſei und ich beeilte mich, ihm 
dafür zu danken. 

Er hatte ſich in eine Couchette geworfen und 
ſah mich mit ſeinem gewohnten kalten Blicke an. 
„Wovon ſprechen Sie, theure Gräfin!“ fragte er, 
„ich verſtehe Sie nicht.“ 

„Von der liebenswürdigen Attention, welche Sie 
für mich an dieſem Morgen gehabt haben, von 
den Blumen, welche ich Ihrer Güte verdanke und 
von dem ſuperben Album.“ 


Ba 


„Haben Sie Blumen erhalten?“ 

„Aber mein Gott, Mylord, ſehen Sie denn 
nicht, daß mein Zimmer in ein kleines Indien ver— 
wandelt iſt?“ 

„Ich habe mich nicht umgeſehen und bin In— 
dien ſehr gewohnt!“ antwortete er ruhig, während 
er ſich ſein Toaſt mit Butter beſtrich, da man in— 
deſſen das Dejeuner ſervirt hatte. 

„So waren Sie es nicht, dem ich die ange— 
nehme Ueberraſchung verdanke?“ 

„Unmöglich, theure Gräfin! Ich habe bis jetzt 
geſchlafen.“ 

„Bis jetzt? in dieſem wundervollen Wetter?“ 

„Wundervolles Wetter iſt mir ſehr indifferent, 
nur ſchlechtes Wetter iſt mir horrid. Zudem ſind 
die Tage ſo lang!“ 

„Aber die Welt iſt auch groß und ſchön!“ ſagte ich. 

„O, theure Gräfin! Ich kenne die Welt ſchon, 
ich habe ſie ſchon zweimal umſchifft, habe Alles 
geſehen, nun kann ich doch nicht immer von Neuem 
anfangen. Das iſt langweilig für mich und da— 
rum verſchlafe ich gern einen Theil des Tages! 
Das iſt bequem!“ 

„Und Sie ſehnen ſich nach keiner andern Exiſtenz?“ 
fragte ich ihn, förmlich erſchüttert durch ſeine Ruhe. 

„Wie kann ich mich nach Etwas ſehnen, das 


ich für unmöglich halte? Aber laſſen Sie den Thee 
nicht zu lange brühen, theure Gräfin! das macht 
ihn ungenießbar.“ 

„Ah!“ rief ich, erfreut davon, daß dieſer Mann 
doch wenigſtens in dieſer Kleinigkeit die Spur ei— 
nes Wollens oder Nichtwollens verrieth, „ſo iſt Ih— 
nen doch nicht Alles gleichgültig, Mylord!“ 

„Alles bis auf den Comfort!“ ſagte er, behaglich 
den Thee ſchlürfend, den ich ihm präſentirt hatte. 

Es entſtand eine lange Pauſe, er trank mit 
großem Genuſſe und ich betrachtete ihn mit Stau— 
nen. Ich fand die Reſignation adorable, mit der 
er ein fo troſtloſes Daſein wie das ſeine ertrug. 
Ich fing an, ihn zu achten, ihn zu beklagen; plötz— 
lich fiel mir ein Gedanke ſternenhell in die Seele und 
ſchnell ſagte ich: „Beantworten Sie mir eine Frage. 
Wenn Ihnen Alles indifferent iſt, wenn Nichts Sie 
feſſelt, welches Intereſſe haben Sie, mir zu folgen? 

„Die Neugier, theuerſte Gräfin!“ 

„Die Neugier?“ wiederholte ich. 

„Ja! die Neugier zu wiſſen, wie Sie ein glei— 
ches Schickſal wie meines, dem Sie entgegenge— 
hen, ertragen werden. Es iſt langweilig, blaſirt 
zu ſein und doch zu leben, es erfordert Kraft, He— 
roismus und ich möchte wiſſen, ob Sie die haben.“ 

„Und was werden Sie thun, Mylord?“ fragte ich. 

A 


2 08 


„Leben!“ antwortete er, und tranchirte ein Cotelett. 

Mir ſchauderte und der Lord imponirte mir. 
Ich geſtand ihm das freimüthig. 

„Das wundert mich nicht,“ entgegnete er, „das 
iſt mir ſchon oft begegnet, aber es freut mich von 
Ihnen, dabei empfinden Sie doch Etwas und 
das gönne ich Ihnen.“ 

„Und Sie empfinden Nichts? gar Nichts, My— 
lord? Sie haben keinen Wunſch?“ 

„O doch! Ich möchte mit Ihnen zuſammen 
ſterben. Ich dachte mir es geſtern, als ich Sie 
Abends ſo ſchön daſtehen ſah, in der Lampenbe— 
leuchtung, welche aus Ihrem Zimmer auf den 
Balcon fiel. Sie ſind die ſchönſte Frau, die ich 
ſeit lange erblickte. Ich möchte wiſſen, wie dieſes 
ſchöne Antlitz in der Agonie des Todes ausſieht; 
ich möchte wiſſen, was ich empfände, hätte ich 
das ſchönſte Weib umgebracht, um deren Beſitz 
andere Männer alle Thorheiten der Welt begehen 
würden — und wüßte ich das, dann, glaube ich, 
möchte ich ſelbſt ſterben wollen, weil ich dann Nichts 
mehr finden möchte, was meine Neugier reizte.“ 

„O! Du biſt entſetzlich, Mann!“ rief ich zit— 
ternd vor nie gefühlter Emotion, „aber Du biſt 
ein Mann! Warum fanden wir uns nicht früher? 
Warum lernte ich Dich nicht kennen, als Dein 


A ERS 


Männerherz noch nicht alle feine Pulsſchläge des 
Wollens, des Wünſchens und Begehrens verlernt 
hatte, als noch die Liebe Dir das Leben zur Luſt 
machen konnte? O, das Fatum iſt unerbittlich in die— 
ſem entſetzlichen Zuſpät! Eine Gigantenfeele eriftirte 
hienieden und ich fand ſie zu ſpät! Aber warum kamſt 
Du nicht früher, warum fanden wir uns nicht?“ 

Der Lord ſah mich mit ſtarrem, feſtem Blicke 
an, ſetzte die Theetaſſe nieder und ſagte nach einer 
Pauſe innerlicher Meditation: „Man hat mir in 
Kairo von Saaten erzählt, die Jahrtauſende hin— 
durch in den Pyramiden gelegen hatten und zu 
blühen anfingen in Frühlingsfriſche, als ſie dem 
Lichte der Sonne wieder exponirt wurden. Biſt 
Du die Sonne, Diogena, daß Du in meinem 
Herzen ein neues Blühen hervorrufſt? Es wäre 
remarquabel wie jenes!“ 

Indolent wie immer, blieb er in ſeiner Cou— 
chette liegen, die er bis zu meinem Sopha heran— 
rollte, dann ergriff er meine Händchen und zog 
mich empor, ſo daß ich vor ihm ſtand. 

„Ich glaube, wir lieben uns!“ ſagte ich, ohne 
recht zu wiſſen, was ich ſprach. 

„So ſcheint es mir,“ entgegnete der Lord, indem er 
meine Hände und Arme mit ſeinen Küſſen bedeckte. 

In dieſem Momente erſcholl im Nebenzimmer 


28 


ein heftiges Geklapper, ich fuhr erſchrocken empor 
und der Lord ſagte mismuthig: „Aber, theure Grä— 
fin! wie uncomfortable iſt Ihr Arrangement, daß 
man durch Geräuſch beleidigt wird in Stunden, 
in denen die Seele der Ruhe bedarf! Aendern Sie 
das für die Zukunft.“ 

Es war der neue Kellner geweſen, der eine Ta— 
blette mit verſchiedenen Geräthſchaften zur Erde 
geworfen hatte. Als ich ihm Vorwürfe deshalb 
machte, trat er dicht an mich heran und ſagte ſo 
leiſe, daß es nur für mich vernehmbar war: „Ma— 
donna! noch ein Wort mehr und Ermanby und 
ich ſind Beide verloren!“ 

Ich bebte zuſammen! Es war der Vicomte, der 
in dieſer myſteriöſen Verkleidung ſich wieder in 
meine Nähe introducirt hatte. 

Ich war wie vernichtet, ich wußte mir nicht zu 
helfen, keinen Ausweg zu finden. Eine innere 
Stimme ſagte mir, opfre den Mann, den Du nicht 
liebſt, für den, den Du liebſt! Aber das war eben 
die Verzweiflung, ich liebte ſie Beide nicht, ich ſah 
es mit erſchreckender Deutlichkeit in dieſem Mo— 
mente. Und doch rührte mich die Devotion des 
Vicomte, doch intereſſirte mich Ermanby's Apathie, 
doch lag ein belebendes Element in der Gefahr 
meiner Poſition, das mich anregte wie der Schall 


a 


der Kriegsdrommete den jungen Krieger, der fich 
thatendurſtig nach Schlachten und Kämpfen ſehnt. 

„Liebe iſt Gehorſam! Liebe iſt Glaube!“ ſagte 
ich leiſe zu Servillier. „Verlaſſen Sie mich, Ana— 
tole, wenn ich an Ihre Liebe glauben ſoll.“ 

Er that, wie ich es verlangte. Ich athmete 
auf, ſoulagirt von der Angſt dieſes Momentes, 
und entzückt über die ſchöne Hingebung des Vi— 
comte. Der Lord hatte nicht einmal den Kopf 
gewendet, er ſah ruhig auf ſeine Fußſpitzen nieder, 
plötzlich fragte er mich: 

„Wann wollen wir reifen, Diogena?“ 

„Reiſen?“ wiederholte ich verwundert, „und 
wohin?“ 

„Gleichviel!“ 

„Aber wozu denn?“ 

„Um mit einander zu ſein, ſo lange es uns 
Freude macht, ſo lange wir uns lieben.“ 

„Und dann? Und wenn wir uns nicht mehr lieben?“ 

„Dann trennen wir uns oder verſuchen, ob es 
uns tentirt zuſammen zu ſterben!“ ſagte er mit ei— 
nem Gleichmuth, vor dem ich ſchauderte. Wie 


konnte ein ſo junger Mann bereits alle Quellen 


des Lebens erſchöpft haben! Bot denn das Leben 
ſo wenig oder war er einer der Titanen, die den 
ſchäumenden Becher ſchnell bis auf ſeine Hefe lee— 


ren, um ihn dann mit Degout von ſich zu ſchleu— 
dern? Was für troſtloſe Erfahrungen, was für 
Deceptionen mußte er erlitten haben, um nicht 
mehr an Liebe, an Freude zu glauben, um nur 
im Tode einen neuen Reiz für ſeinen Geiſt zu fin— 
den! Ich dachte an mein eigenes unverftandenes 
Daſein, ich fragte mich, wie, wenn wir Beide be— 
rufen wären, die troſtloſe Leere zu füllen, die wir 
fühlen? Er feſſelte doch wenigſtens mein Intereſſe, 
er gab meinen Gedanken eine Richtung, er machte 
mir Furcht. 

Ich ſetzte mich an ſeine Seite und ſagte, indem 
ich zu lächeln verſuchte: „Sie erwarten ſchwerlich, 
daß ich Ihren Reiſeplanen beiſtimme, Mylord! Ich 
bin Graf Bonaventura's Frau —“ 

„Das eben reizt mich,“ meinte Ermanby. „Ich 
möchte wiſſen, wie er ſich dabei betragen würde, wenn 
ſein Freund ihm ſeine Frau entführte; die Deutſchen 
ſind ſo troublesome in dieſen Angelegenheiten.“ 

„Und wenn ich nun dennoch feſt erklärte, nicht 
reiſen zu wollen?“ N 

„So würde ich nicht weiter darauf beſtehen.“ 

„Und Sie behaupten, daß Sie mich lieben?“ 

„Ja, Diogena! ich liebe Dich! — O!“ rief er 
plötzlich und ein Feuer, wie ich es nie in ihm ge— 
ſehen hatte, flammte über ſein ganzes Weſen em— 


a 


por, „o, Diogena! laß den Funken unter der Aſche 
ſchlummern, die ſich über mein Herz gelegt hat.“ 

Er ſtand auf, ſeine Bewegungen waren ganz 
Nerv und voller Energie. Er ging heftig im Zim— 
mer auf und ab. Plötzlich blieb er vor mir ſte— 
hen und ſagte: „Es war eine Zeit, in der ich an 
das Leben glaubte, in der ich die Liebe erſtrebte 
und die Treue erwartete, weil ich ſelbſt treu war. 
Damals hatte ich eine Braut, ſo rein, ſo hold, 
wie das erſte Weib, das hervorging aus den Hän— 
den des Schöpfers. Sie war mir verlobt und ent— 
floh mit meinem Bruder, den ich geliebt hatte mit 
allen Fibern meines Herzens. Ich gab den Bei— 
den ein Rendez vous auf der Inſel Chios, mein 
Bruder — — doch wozu dies?“ rief er und ging 
wieder mit großen Schritten auf und nieder. Eine 
dunkle Wolke hatte ſich über ſeine Stirne gelagert, 
es war etwas Dämoniſches in ihm, ich konnte 
meine Blicke nicht von ihm wenden. 

Bebend vor angftvoller Erwartung fragte ich 
leiſe: „Und wo iſt Ihr Bruder?“ 

„Er ſtarb auf Chios“ antwortete er kalt und tonlos. 

„Und das Mädchen?“ 

„Ueberlebte ihn nicht lange!“ 

Eine dumpfe Pauſe trat ein, während welcher 


der Lord ſeine heftige Wanderung in meinem Zim— 
4 * * 


ee 


mer fortſetzte. Ich wagte nicht zu ſprechen, ich 
war dominirt von der miraculöſen Empfindung, 
welche die Vögel zwingt, der Anakonda in den 
Rachen zu fliegen, die ihnen todbringend iſt. Nach 
einer Weile ſetzte ſich der Lord ſo ruhig neben 
mich nieder, als wäre nie eine Emotion durch ſeine 
Seele gegangen. Er nahm meine Hand und ſagte 
mit ſeiner gewohnten, glacialen Kälte: „Diogena! 
höre mich recht an; es iſt Ernſt, was ich Dir 
ſage. Du biſt ſo ſchön, daß Deine Schönheit 
wie die Sonne alle Nebel, alle Gewitterwolken 
zerſtreut, die ſich über mein Leben gelagert haben. 
Mir iſt, als liebte ich Dich, als wäre mir Deine 
Liebe wirklich noch ein Beſitz, welcher der Mühe, 
ihn zu empfinden, werth wäre. So will ich Dich 
denn beſitzen. — Verſtehſt Du mich nicht, Diogena? 
Willſt Du mein ſein im Leben? Oder wollen wir ſter— 
ben zuſammen, noch heute, noch in dieſer Stunde?“ 

Mir war, als öffne ſich eine neue Welt mei— 
nen Augen. Aber dies war ja ein Mann, wie 
ich ihn geſucht hatte; ein Mann, der Nichts ver— 
langte vom Leben, als Liebe. Ich fragte mein 
Herz, was es für ihn empfände. Es ſchwieg wie 
immer. Meine Phantaſie war occupirt durch ihn; 
ich fühlte, daß ich die Seine werden könne, mit 
jener horribeln Indifferenz, mit der ich des Gra— 


. 
fen Frau geworden war; aber das war es nicht, 
was er verlangte, nicht, was ich erſtrebte. Ich 
war außer mir über die Kälte meines Herzens, 
ich wollte ja lieben, dies war eine Natur, weit 
über die Grenzen des Gewöhnlichen erhaben, 
warum konnte ich ihn nicht lieben? Warum fühlte 
ich keinen Impuls für ihn zu leben, ihm den Glau— 
ben an Glück wiederzugeben, ohne Egard, ob ich 
ſelbſt es fände oder nicht? Ich war innerlich de— 
primirt, ich verzweifelte an mir ſelbſt, am Leben. 
Ich fühlte, es würde niemals anders werden und 
mir immer läſtiger; und doch hatte ich die Appre— 
henſion vor dem Tode, die allem Lebenden ſo tief 
inne wohnt. Ich war mir incomprehenſible. Aber 
die innere Wahrheit meiner Natur trug den Sieg 
auch diesmal gloriös davon. Ich geſtand dem Lord, 
daß er mir Staunen, aber keine Liebe abgewinne. 

Er ſah mich mit einem furchtbaren Blicke an. 
„Und wozu das elende Spiel in dieſer Stunde, Dio— 
gena? fragte er. „Wozu das Verbrechen, noch ein- 
mal Leben zu erwecken in einem Herzen, das auf— 
gehört hat zu vibriren?“ fragte er. 

„O!“ rief ich, „vergib, vergib! Ich wollte ja 
verſuchen, ob ich Dich lieben könne?“ 

„Und Du glaubſt, ein Mann ſei der Spielball 
Deines thörichten Willens? Du glaubſt, ein Mann 


er Ba 


jei da, Deine müßigen eiteln Capricen zu befriedi— 
gen, weil Du ſchön biſt? Denn ſchön biſt Dual 

Ich ſchwieg. Er hielt mich am Handgelenk feſt, 
das er mit einer Vehemenz preßte, welche mir 
Thränen in die Augen trieb. 

„Liebſt Du mich?“ fragte er. 

Mein Stolz war auf das Empfindlichſte verwun— 
det; Ermanby imponirte mir, aber er ſollte es 
nicht wiſſen, weil ich ihn nicht liebte, und mit 
vollkommner Ruhe ſagte ich, während ich zu lä— 
cheln verſuchte, ein deutliches „Nein!“ 

Da ſchleuderte der Lord meine Hand von ſich 
und ſagte mit einem eiſigen Hohne: „So ſoll doch 
der Moment, in dem ich das läſtige Leben von 
mir werfe, wenigſtens dazu dienen, das kälteſte, 
hochmüthigſte Weib zittern zu lehren, jo ſoll doch 
das herzloſeſte Weib mich niemals vergeſſen.“ 

„Um Gottes Willen, Ermanby! was willſt Du 
thun?“ rief ich ſchaudernd. „Mann, um der Liebe 
willen, die ich ſuche, ſuche, ohne ſie zu finden, was 
erſinnſt Du?“ 

Ich hatte noch nicht die letzten Worte vollendet, 
als ein kleines Terzerol in des Lords Hand auf— 
blitzte, ein Knall — und Ermanby ſank lautlos 
in die Couchette zurück. Mit einem Schrei des 
furchtbarſten Entſetzens brach ich zuſammen. 


er Re 


Als ich erwachte, lag ich auf meinem Lager. 
Roſalinde ſaß an meiner Seite, durch die geöffnete 
Thüre entdeckte ich den Fürſten Callenberg, auf— 
geſtützt an einem mit Arzneigläſern beſetzten Tiſche. 
Es war Nacht, eine Lampe erhellte das Zimmer, 
der Fürſt ſchien zu ſchlummern. Ich hatte keine 
diſtincten Vorſtellungen, nur die Ahnung eines 
terriblen Evenements ſchwebte mir vague vor der 
Seele. Ich mochte meinen Erinnerungen nicht 
durch meine Kammerfrau zu Hilfe kommen laſſen, 
ich befahl ihr, den Fürſten zu rufen. 

„Wo iſt Ermanby?“ fragte ich ihn, als er an 
meinem Lager ſtand. 

„Beerdigt geſtern Morgen.“ 

Eine eiſige Hand legte ſich über meine Stirn 
und mir war, als wolle mein Bewußtſein aufs 
Neue ſchwinden, aber ich raffte die ganze Energie 
meines Wollens zuſammen und fragte, wie man 
von einem Geſtern ſprechen könne, da Ermanby 
ja noch am Morgen bei mir dejeunirt hätte. 

„Pardon! meine Gräfin!“ ſagte der Fürſt, „Sie 
haben mehr als zwei Tage in tiefem Todesſchlum— 
mer gelegen. Sonſt würden Sie ja die Vorgänge 
von geſtern und heute wiſſen!“ 

„Die Vorgänge? Und was iſt denn vorgegangen?“ 

„Sie meinen nach der Ankunft Ihres Mannes?“ 


2 


„Iſt der Graf von feiner Excurſion retournirt?“ 

„Mein Gott! auch das wiſſen Sie nicht ein— 
mal?“ fragte der Fürſt. „Sie wiſſen nicht, daß, 
als Sie aufſchrieen im Moment von Ermanby's 
Tode, Servillier hineinſtürzte, und Sie in ſeinen 
Armen hielt, in dem Moment, in dem Ihr Mann 
heimkehrte?“ Er hatte Servillier gleich am erſten 
Abende in ſeiner Verkleidung erkannt, die Excur— 
ſion mit den Elslebens war nur fingirt, er wollte 
Sie überraſchen, weil er ſicher wußte, den Vi— 
comte in Ihrer Nähe zu finden. 

„Und dann?“ fragte ich indignirt über dieſe 
Perfidie meines Mannes. 

„Nun! Dann hat er den Vicomte gefordert, ſie 
haben ſich geſchoſſen und noch am Abende iſt Ihr 
Mann nach England gegangen,“ berichtete der 
Fürſt phlegmatiſch. 

„Aber Servillier?“ 

„Iſt vierzehn Stunden nachher geſtorben; in 
meinen Armen geſtorben. Ihr Name, meine Grä— 
fin, war ſein letztes Wort.“ 

Ich ſchwieg. Eine Welt von Emotionen drang 
auf mich ein; Geiſter der Verſtorbenen, blutige 
Leichen hielten ihren wahnſinnigen Reigen vor 
meinem innern Auge. Mein Hirn ſchwindelte, 
meine Seele erbebte, mein Herz war kalt. Ich 


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ſehnte mich nicht nach meinem Gatten, ich dachte ohne 
Liebe an die beiden Männer, welche für mich und 
durch mich geſtorben waren. Ja, ſelbſt ein Ge— 
fühl des Haſſes miſchte ſich in die Erinnerung an 
ſie. Sie waren mir durch ihren Tod Gegenſtände 
des Entſetzens, und weshalb? — Hatte ich Einem 
von ihnen ein Glück zu danken? Warum hatten 
ſie ſich in die verzehrende Gluth meiner Nähe ge— 
wagt, dieſe erbärmlichen Eintagsfliegen? Warum 
hatten ſie verſucht, dieſe ſchwachen Naturen, in 
den Kreis einer Diogena zu treten, deren Some: 
tenlauf ſie fortreißen mußte aus der beſcheidenen 
Bahn, welche ſolch kleinen Seelen prädeſtinirt iſt. 
Ich richtete mich empor, groß und frei, wie 
Marius auf den Ruinen von Karthago. „Roſa— 
linde!“ ſagte ich, „legen Sie mir ein elegantes 
Reiſenegligee zurecht und laſſen Sie packen. So— 
bald es Tag wird, gehen wir nach Paris.“ 
„Darf ich Ihnen folgen?“ fragte der Fürſt. 
„Fürchten Sie nicht das Schickſal der Andern?“ 
„O nein, meine Gräfin, wie ſollte ich, da ich 
nicht die Prätenſionen habe, wie Jene. Ich kann 
ja weder hier allein zurückbleiben, noch Sie allein 
reiſen laſſen, ſo folge ich Ihnen nach Paris.“ 
Ich reichte dem Fürſten die Hand. „O!“ rief 
ich, „Sie ſind ſublime in Ihrer Treue. Das iſt 


— 88 


die wahre inſtinctive Treue des Hundes, der liebt 
und folgt, ohne zu wiſſen weshalb, ohne Dank, 
ohne Anſpruch, ohne Verlangen. O, die Thiere 
ſind unegoiſtiſcher als wir und glücklicher obenein, 
denn ſie kennen nicht das ewig wache, ewig unge— 
ſtillte Sehnen in unſerer Bruſt, das vom Him— 
mel ſtammend, hier raſtlos und vergebens nach 
Befriedigung ſucht.“ 

„Schlafen Sie noch eine Stunde, meine Gräfin,“ 
jagte der Fürſt, „ich will es auch thun — und 
dann laſſen Sie uns reiſen, es freut mich, daß 
ich doch nun weiß, wohin ich von Baden gehen 
ſoll. Ich konnte zu keinem Entſchluſſe kommen 
bis jetzt. Gute Nacht, meine Gräfin!“ Und in— 
nerlich ſagte er ſich: Welch ein Thor iſt doch der 
Graf, ſich von dieſer Frau zu entfernen, deren 
prächtige Capricen alle Tage neu ſind, ſo daß man 
vollauf beſchäftigt iſt und gar keine Langeweile 
hat, wenn man nur all das thut, was ſie ver— 
langt. Solch eine Frau, wenn ſie jung und reich 
und ſchön iſt wie dieſe Gräfin, iſt ja ein veritab— 
ler Treſor. 


Zweites Buch. 


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Ich hatte das ganze ſüdliche Frankreich nach allen 
Richtungen durchſtrichen, war über die Pyrenäen 
gegangen, hatte in Alhambra einſam ſchöne Stun— 
den, in ſüßen Erinnerungen an die goldene Zeit 
der Abenceragen verträumt und auf den Kalkfel— 
ſen Gibraltars die blonden, rothgeröckten Söhne 
Albions ihre Parademärſche halten ſehen. Wie 
Lord Byron hatte ich in Cintra geſeufzt und wie 
er war ich ohne Befriedigung geblieben. 

Wohin ich kam, umgaben mich die Huldigungen 
der Männer, alt und jung waren überwältigt von 
meinem Zauber. Fürſten knieeten zu meinen Fü— 
ßen, ſchwarzlockige Hidalgos fangen zur Nachtzeit 
unter meinen Fenſtern die glühenden Serenaden 
ihres Landes, und ſelbſt der wilde Matador ver— 
doppelte im Stiergefechte ſeine Anſtrengungen, wenn 
mein Auge auf ihm ruhte und ihn inſpirirte. Alle 
dieſe Huldigungen nahm ich an. Ich war uner— 
müdlich in der Recherche nach dem Rechten, ich 
empfand ſüße, elegiſche Rührung am Herzen eines 


3 


Abkömmlings der Abenceragen, deſſen orientaliſche 
Phantaſie mich einwiegte mit wunderſamen Träu— 
men; ich fand die aufgethaute Wärme eines jun— 
gen Irländers von der Garniſon zu Gibraltar 
pikant; ich amüſirte mich mit den Liebesextrava— 
ganzen eines Portugieſen — ich lernte ſpaniſch und 
portugieſiſch, ich copirte ſämmtliche Murillo's der 
ſpaniſchen Schlöſſer in wenig Monaten, und als 
ich nach Neujahr in Paris anlangte, war ich todt 
müde und trotz dieſer ernſten Anſtrengung, glück— 
lich zu werden, ebenſo unbefriedigt als je. 

Der Ruf meiner Schönheit war mir vorausge— 
gangen. Alle books of beauty und keep sakes 
brachten mein Portrait; ich war der Gegenſtand 
der ſtupendeſten Erwartung. Ich hatte bei den 
erſten Putzhändlerinnen ſo enorme Beſtellungen 
gemacht, daß man ſie ſelbſt in Paris ſurprenirend 
fand und geſpannt war, mich, dieſe vielgeprieſene 
Frau, zu ſehen. Der Fürſt, mein treuer Cavalier 
auf der ganzen Reiſe, war nach Paris vorausge— 
eilt, um mir ein Hotel einrichten zu laſſen und 
empfing mich mit der Nachricht, wie ſehr man 
mir entgegenharre. £ 

Das ennuyirte mich und ich beſchloß ein ganz 
neues Regime zu beginnen. Ich machte keine Vi— 
ſiten, ſah nur einmal meinen Onkel, welcher Ge— 


— 93 — 


ſandter war und mir die Scheidungsakte zwiſchen 
mir und meinem Manne zu unterzeichnen brachte, 
und verließ mein Haus gar nicht. Die Folge da— 
von war, daß alle Fenſter der gegenüberſtehenden 
Häuſer von den faſhionabelſten jungen Männern 
zu ganz enormen Preiſen gemiethet waren. Man 
macht Pari's darauf, wer der Erſte ſein werde, die 
miraculoſe Gräfin zu erblicken; der Fürſt, ſelbſt 
in Verzweiflung über mein wiederholtes Refuſiren 
ihn zu empfangen, ward ſehr recherchirt, weil man 
von ihm Auskunft über mich zu erhalten erwar— 
tete. Ich erfuhr durch Roſalinde all dieſe Extra— 
vaganzen und war degoutirt davon. 

Eine finſtere, lugubre Melancholie kam über 
mich, ich fing an die Welt und die Menſchen zu 
haſſen, dem Schickſal zu zürnen. Ich wollte ver— 
ſuchen, mir die Thüren des Jenſeit zu eröffnen. Es 
ſchien mir picant, grade in Paris, wo alle Welt 
die Genüſſe der Erde ſucht, dieſe gänzlich zu ver— 
ſchmähen und, umgeben von einem wahrhaft ebloui— 
renden Luxus, das Leben eines Anachoreten zu 
führen. 

Ich ließ neben meinem pompöſen, comfortablen 
Boudoir ein kleines, ſchlechtes Zimmer ſeiner Ta— 
peten berauben, alle Möbel daraus entfernen, den 
Kamin vermauern und das Fenſter verhängen. 


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Aus einem Kloſter ſchaffte ich mir das abgelegte 
Gewand einer verſtorbenen Nonne. Als ich es 
angelegt hatte, ſah ich mich zum letzten Male im 
Spiegel. Strahlender als je, erſchien meine fas— 
cinirende Schönheit in dieſer Verhüllung. Dann 
zog ich mich in meine Zelle zurück und beſchloß, 
den Pater Benoit holen zu laſſen, der berühmt 
war durch ſeine ſtrenge Asceſe, ſeine große Schön— 
heit und ſehr en vogue in der beau monde, um 
mich mit ihm über den Zuſtand meiner Seele und 
meines Herzens zu berathen. 

Als er die Prachtſäle meines Hotels durchwan— 
dert hatte, vermuthete er ſicher, in eines jener ele— 
ganten Betzimmer geführt zu werden, in denen die 
vornehmen Damen, kokett vor ihren prie-dieu hin- 
gegoſſen, die Sünden des vorigen Tages bereuen. 
Wie ſehr war er erſtaunt, eine Zelle, eine von 
allem eitlen Tande entblößte Frau, in voller Schön— 
heit der Jugend, vor ſich zu ſehen. Aber nicht 
minder frappirt war ich ſelbſt. 

Der Pater war ein Mann von kaum dreißig 
Jahren. Zehn Jahre lang Miſſionair in dem Innern 
von Afrika, war von der Sonne des Südens ſein 
edles Antlitz gebräunt. Seine Züge waren ſcharf 
geſchnitten wie die des Nero oder Auguſt; ſein 
Blick ruhig und ſicher, ſein Mund feſt geſchloſſen. 


Schwarzes, glattes Haar legte ſich weich um feine 
Schläfe und er trug ſein einfaches Prieſtergewand 
mit der Eleganz, mit der Diſtinction eines Fürſten. 
Seine Hände waren ariſtokratiſch fein und ſoignirt, 
wie er denn auch vortrefflich chauſſirt war. 

Einen Moment betrachtete er mich mit ſchwei— 
gendem Erſtaunen. Dann ſagte er: „Sie haben 
mich rufen laſſen und ich finde Sie hier in einem 
Zuſtande, meine verehrte Gräfin, der mich zu der 
Frage ermächtigt, welch Leid Ihre Seele bedrückt?“ 

„O mein Vater!“ rief ich, „ich bin von Gott 
verlaſſen!“ 

„Das iſt Niemand, der ihn ſucht.“ 

„Mein Vater! ein ſchwerer Fluch ruht auf mei— 
nem Geſchlechte, hören Sie mich an. Ich ſtamme 
von Diogenes, ich muß einen Menſchen ſuchen, 
wie er es that, einen Menſchen, einen Mann in 
der vollen Idealität des Wortes, den rechten Mann. 
Unzählige Frauen unſers Geſchlechtes ſind daran 
zu Grunde gegangen, denn nur das Herz und die 
Seele ſind die Wünſchelruthe, mit denen man Herz 
und Seele, mit denen man den Rechten findet, 
und — wir Alle haben weder Herz noch Seele.“ 

„Sie freveln, meine Tochter!“ ſagte der Pater. 
Aber ich ließ ihn nicht weiter ſprechen. „O!“ 
rief ich, ihn unterbrechend, „hören Sie mich an. 


Submiß dem Schickſalsſpruch unſers Geſchlechtes, 
habe ich die Liebe und den Rechten geſucht mit einer 
Ardeur, mit einer Vehemenz, die ihnen adorabel 
ſcheinen würde. Ich bin erſt ſiebenzehn Jahre und 
ſchon war ich einem Grafen verheirathet, von dem 
ich geſchieden bin; ſchon iſt ein Lord zum Selbſt— 
morde getrieben durch mich, ein Vicomte für mich 
im Duell geblieben, ein Fürſt folgt mir mit ſtu— 
pider Hundetreue, ohne zu wiſſen weshalb, noch 
warum? Unter unzähligen Hidalgos der pyrenäi— 
ſchen Halbinſel habe ich umher geſucht nach Liebe 
und nach dem Rechten, ich habe Nichts gefunden 
als paſſagere Emotionen und gewöhnliche Cava— 
liere. Ich bin der Verzweiflung nahe. Ich finde 
es unter meiner Würde, zu den Regionen der 
Bourgeoiſie hinabzuſteigen und doch fürchte ich fait, 
ich finde nicht in der Ariftofratie, was ich erſtrebe. 
Da habe ich mich in meinen Zweifeln an Sie ge— 
wendet, mein Vater! Rathen Sie mir, que faire?“ 

„Frau Gräfin!“ ſagte der Pater, „wenn Sie 
nicht ein unwürdiges Spiel mit mir treiben, vor 
dem ſchon die Heiligkeit meines Gewandes mich 
ſchützen ſollte, ſo iſt es hohe Zeit, daß Sie Ihre 
Seele in ſich ſammeln zum Gebete, ehe Sie der 
Schwindel erfaßt, der Sie hinabreißen muß in den 
Abgrund des Wahnſinns.“ 


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Er wollte ſich jegen, um mit mir zu ſprechen, 
es war kein Seſſel in dem Gemach. Da ich in 
Allem gern ganz war, ſo hatte ich, nun ich daran 
dachte, mich von allem Luxus zu debarraſſiren, 
auch die gewohnte Bequemlichkeit eines Stuhles 
verſchmäht und lag an der Erde. Ich ſah dann 
frappant wieder wie eine Magdalena Correggio's 
aus. 

Der Pater ging in das Boudoir, nahm einen 
Fauteuil und trug ihn in meine Zelle, wo er ſich 
darauf niederſetzte. Ich kniete vor ihm nieder. 

„O!“ ſagte ich, „Sie ſehen aus, mein Vater, 
als ob Sie eine Seele hätten, aus Ihren Augen 
ſpricht ein mildes, liebendes Herz. Haben Sie Er— 
barmen mit mir, geben Sie mir von dem Ueber— 
fluſſe Ihrer Seele, Ihrer Liebe einen Funken, daß 
er in mir ein Mirakel wirke. Sehen Sie, ich bin 
das unglückliche Götterbild des Pygmalion, die 
Schönheit ohne den belebten Hauch der Liebe. Lie— 
ben Sie mich, mein Vater! Sie, deſſen Herz, deſ— 
ſen Seele groß und mächtig genug waren, den in 
Heidenthum verſunkenen Völkern den Geiſt der 
Liebe einzuflößen, Sie müſſen die Kraft haben, 
auch mir eine Seele, ein Herz zu geben, auch mir 
die Gnade der Liebe zu gewähren. Lieben Sie mich, 
mein Vater! Es iſt ein Gott wohlgefälliges Werk.“ 

5 


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Ich war außer mir. Aufgelöſt in Thränen, um— 
klammerte ich ſeine Kniee und preßte meine bren— 
nenden Lippen auf ſeine eleganten Hände, die er 
mir entzog, um ſie ſegnend auf mein Haupt zu 
legen. Er betete leiſe, ich blickte zu ihm empor, 
er ſah wunderſchön aus. 

„Gräfin,“ ſagte er dann ruhig, „Sie haben 
wohl gethan, daß Sie ſich zu Buße und Andacht 
wendeten, denn Gott muß ein Wunder thun, um 
Sie von Ihrer furchtbaren Verblendung zu heilen. 
Sie haben Gott geläſtert und vergeſſen, und ſich 
an ſeine Stelle geſetzt. Sie haben ſich angebetet 
in fürchterlichem Egoismus und dem Götzen Ih— 
rer Eitelkeit die Herzen und das Leben von Män— 
nern geopfert. Nicht in der Natur des elendeſten 
Kaffernweibes fand ich die Grauſamkeit ſpielender 
Selbſtſucht, die ſich in Ihren koketten Worten ver— 
räth. Nicht Liebe haben Sie geſucht, ſondern Be— 
friedigung Ihrer Sinnlichkeit, Beſchäftigung für 
Ihre unerſättliche Phantaſie. Suchen Sie Gott 
im Geiſte, nicht in der makelloſen Schönheit eines 
Mannes, und Gott wird ſich Ihnen offenba— 
ren in jener heiligen, unvergänglichen Liebe, die 
nicht zu ſuchen braucht nach dem Rechten, weil 
jeder Menſch, auch der elendeſte, einer rechten 
Liebe werth iſt. Aber Sie wollen Nichts lie— 


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ben als ſich ſelbſt und das iſt Sünde, das ijt 
Tod.“ 

Er war aufgeftanden, ich hielt ihn zurück. „O, 
mein Vater!“ rief ich, „ſprich, ſprich immer weiter, 
Deine milde Stimme calmirt den wilden Sturm 
meines Herzens, wie Oel das Meer; die Wogen 
meines Innern legen ſich zur Ruhe, die Fluthen 
aplaniren ſich, und wie der Mond ſich ſpiegelt im 
ruhenden Meere, ſo ſchwebt Dein heilig ernſtes 
Antlitz auf dem Spiegel meines Innern. Verlaß 
mich nicht, mein Vater! halte mich nicht unwerth 
Deines Gebetes, Du, der hinabſtieg zu dem Stumpf— 
ſinn miſerabler Wilden, häßlicher Negerinnen, nie— 
drigen Pöbels. Sieh, mein Vater! ich bin Grä— 
fin, ich bin von edelſtem Stamme, ich bin ſchön, 
ich bin jung, o bete, bete mit mir, daß ich das 
Einzige erlange, was mir fehlt; gib mir die hei— 
lige Liebe Deines Herzens, gib mir Dein Herz, 
damit es lebe in meiner Bruſt und Deine Liebe 
mächtig werde in meiner Seele!“ 

Ich ſprang empor und ſchloß ihn in meine 
Arme, ein flammender Kuß Benoit's brannte auf 
meiner Stirn, dann riß er ſich los und verſchwand. 
Ich ſank auf die Erde zurück, ich träumte von den 
langen, unabſehbaren Wüſten Afrikas, verſchmach— 
tend lag ich da im öden Sonnenbrand, ich hörte 

5 ** 


— 100 — 


den Tritt von Kameelen, lange Karavanen zogen 
an mir vorüber, Niemand beachtete mich, Niemand 
hörte den leiſen Ruf, den meine erſchöpften Kräfte mir 
geſtatteten. Da kroch ich mühſam weiter und fand das 
Lager eines Negerſtammes. Schwarze, garſtige Wei— 
ber, affenartige Kinder wälzten ſich unter den Zelten 
umher, die elend aus Fellen und Tüchern bereitet 
waren. Ein ſchöner Mann ſtand inmitten des 
Lagers und theilte Worte der Liebe und Gnade 
den geiſtig Dürſtenden aus, während ich ihn ver— 
gebens um einen Tropfen Waſſer flehte, meine 
glühenden Lippen zu kühlen, um ein Wort des 
Troſtes, meine Seele zu erfriſchen. Ich ſah ihn 
ungerührt an mir vorüberſchreiten, er ſagte, ſich 
abwendend: „Sieh, Diogena! dieſe elenden, ſchwar— 
zen Weiber ſind glänzende Engel des Lichtes gegen 
Dich, denn ſie lieben den Mann, deß harte Hand 
ſie ſchlägt, und Du liebſt Nichts.“ 

„O, Dich liebe ich!“ wollte ich rufen, aber 
er war ſchon verſchwunden. 

Ich lief in mein Boudoir, ich befahl Roſalinde, 
mir noch einmal den Pater holen zu laſſen. Sie 
ſchickte fort und der Diener kam mit dem Beſcheide 
zurück, der Pater Benoit ſei im Dienſte des Klo— 
ſters beſchäftigt. Er könne erſt morgen wieder— 
kehren. 


— 101 — 


Die Nacht verging mir in tödtlicher Unruhe; 
zuweilen war mir es wirklich, als liebte ich den 
Pater, als ſei mit ſeinem Erſcheinen ein neues 
Gefühl in mir erwacht, als perlten neue Quellen 
aus den profundeſten Tiefen meiner Exiſtenz her— 
vor. Ich weinte, wenn ich an ihn dachte, ich 
wußte nicht, ob vor Liebe oder aus Depit, weil 
er kalt genug geblieben war, nicht auf meinen 
zweiten Ruf ſogleich zu retourniren. 

Am Morgen ließ ich meine goldenen Locken glät— 
ten, arrangirte meine Händchen und meine fabel— 
haft kleinen Füßchen, die in den Sandalen noch 
viel charmanter erſchienen, als in der eleganteſten 
pariſer Chauſſure, und erwartete ſehnſüchtig die 
Ankunft des Paters, denn trotz aller Meditationen 
fing ich an, mich in meiner Solitude ganz unbe— 
ſchreiblich zu langweilen. Ich grollte mit meinem 
Geſchick. Da ſah ich, ſo weit das möglich war 
bei der Diſtance, welche mich von der Bourgeoiſie 
trennte, ganz einfache Bürgerfrauen, die gar kein 
Schickſal hatten, denen Nichts arrivirt war, die 
Nichts ſuchten und die dennoch ganz zufrieden wa— 
ren. Sie hatten einen Mann, Kinder, Arbeit, 
Liebe für all dies — lauter furchtbar ignoble 
Dinge — aber ſie ſahen vergnügt und zufrieden 
aus und hatten ſo wenig Langeweile, daß ſie ſelbſt 


— 102 — 


die Agrements von Theatern und Bällen ſelten 
beſuchten, die ihre Männer ihnen offerirten, ſon— 
dern ſtill begnügt in ihrer Häuslichkeit lebten. 

Aber dies war ja ganz incomprehenſibel! Warum 
hat die kleine Frauennatur in der Begrenzung ein 
Glück, für das immenſe Seelen, wie meine, bei 
dem raſtloſeſten Suchen kein Aequivalent finden? 
Ich fühlte Widerwillen gegen die Erde, der Him— 
mel lockte mich. Ich dachte an die Gefilde der 
Seligen. O! im Jenſeits wenigſtens ſind die 
Stände ſcharf geſchieden, dort, ſagte ich mir, müſſe 
es deliciös fein. Alle Freuden, alle Genüſſe auf 
der Seite der Ariſtokratie, der Seligen; alle Pein, 
alle Schmerzen für das Gros der Verdammten. 
Darin fand ich die göttliche Gerechtigkeit wieder, 
das erhob meine Seele zur Adoration und ich 
hoffte, Gott würde mir im Himmel die Compen— 
ſation für alles Ennui der Erde bereiten. 

In dieſen Betrachtungen ſtörte mich die Mel— 
dung, daß der Pater gekommen ſei. Ich ließ ihn 
bitten, einzutreten. Aber wie erſtaunte ich, als 
ſtatt des Paters Benoit, den ich erwartet hatte, 
ein alter, düſterer Prieſter erſchien. Ich fragte 
nach ſeinem Begehren. 

„Der Pater Benoit hat mir geſagt, daß Ihre 
Seele, meine Tochter, in den Feſſeln des Böſen 


— 103 — 


ſei, und daß Sie Beiſtand ſuchen, ſie daraus 
zu erlöſen.“ 

„Und warum kommt er nicht ſelbſt?“ 

„Er iſt abgereiſt heute in aller Frühe.“ 

„Und wohin?“ 

„Zurück in die Wüſten Afrikas, wo er den 
Heiden das Wort des Lebens gepredigt hat, und 
wo er Menſchen zu retten findet.“ 

„Warum verſchmähte er, mich zu retten, deren 
Seele ſich ihm hilfeſuchend und vertrauend nahte?“ 

„Das beantworte Dir ſelbſt, meine Tochter!“ 
ſagte der Prieſter. „Er floh die Erbſünde, denn 
Du biſt die Schlange, Du biſt der Satan in ſei— 
ner verführeriſchſten Geſtalt, und wohl dem rei— 
nen Jünglinge, daß er ſich Deiner teufliſchen Arg— 
liſt entzog. Dir wäre beſſer, Dein gleißend Ant— 
litz überzöge ſich mit Ausſatz und Deine Seele 
würde rein von Schuld und Sünde!“ 

Ich richtete mich majeſtätiſch empor. Eine Thräne 
prächtigen Zornes trat in die ſchöne Iris meines 
Auges. O! grade in dem Herzen dieſes unent— 
weihten reinen Jünglings hatte ich die ewig glü— 
hende Liebe, jenes Naphtha des Lebens zu finden 
gehofft, von dem ich mich zu ernähren ſtrebte. Ich 
begriff, daß die durch tauſend Leidenſchaften uſir— 
ten Männer der beau monde mir jenes heilige, 


— 104 — 


primitive, indeſtructible Feuer nicht entgegenbrin— 
gen konnten, von dem ich allein noch Rettung 
aus meiner Blaſirtheit erwartete. Es verdroß 
mich, daß dieſer junge Mönch mich, die göttliche 
Diogena, verſchmäht hatte; mein Zorn wendete 
ſich gegen den alten Pater, der, dies fühlte ich, 
mehr oder weniger zu jener mir verhaßten Abne— 
gation Benoit's beigetragen haben mußte. Ich 
wollte dem Pater zeigen, wie wenig Einfluß er 
auf mich habe, und während er ſich zu einer fou— 
droyanten Rede vorbereitete und dieſe anfing, 
ſchellte ich Roſalinden und befahl ihr mit präch— 
tiger Impertinenz, dem Pater einen Fauteuil in 
meinem Boudoir neben meiner Toilette zurecht zu 
ſetzen, da ich heute Abend meine Antrittsviſiten 
zu machen gedächte und mich ſogleich coeffiren 
laſſen müſſe.“ 

Der Pater ſah mich bewildert an. Dergleichen 
mochte ihm noch nicht vorgekommen ſein. Er ſagte 
keine Sylbe, ſondern entfernte ſich, über mir das 
Zeichen des Kreuzes machend. 

Die Erinnerung an meine Pönitenzverſuche, an 
Benoit, hatten Etwas, das mir penibel war und 
das ich zu verſcheuchen trachten mußte. Die Ge— 
ſellſchaft erſehnte mich ſo lange, daß ich mich ihr 
wirklich ſchuldig war. Ich machte noch denſelben 


— 105 — 


Abend meine erſte Viſitentournée und nach wenig 
Tagen war ich auch hier der Mittelpunkt des ge— 
ſelligen Treibens. 

Paris war wie in einem Zaubertraum. Meine 
Anweſenheit inſpirirte die Poeten und Muſiker, 
die Dichter benutzten die intereſſanten Epiſoden 
aus meinem Leben, welche allmälig public gewor— 
den waren. Die Fabrikanten nannten ihre neue— 
ſten Producte à la belle Comtesse oder à la Dio- 
gene, und unter den jungen Cavalieren war eine 
vollkommene Concurrenz um den Beſitz meiner 
Gunſt eingetreten. ö 

Ich wanderte, geſchmückt mit allen Colifichets 
des raffinirteſten Luxus unter dieſem Treiben ein— 
her, fo kalt, jo nichtachtend, wie die himmliſchen 
Geſtirne über die Erde ſchreiten. Oftmals ver— 
ſuchte ich die Wünſchelruthe auszuwerfen, wenn 
aus den Herzen der Männer das Liebesmeer un— 
ter dem Strahl meiner Augen zu mächtiger Fluth 
emporſchäumte, aber während ich alle Herzen ent— 
zündete, blieb das meine kalt. Ich ſagte mir ſelbſt, 
dein Herz, wenn du eines haft, iſt ein Dia- 
mant, blendend, ftrahlenwerfend, hart, von Allen 
begehrt und kalt — aber auch der Diamant ver⸗ 
brennt, wenn nur das rechte, intenſive Feuer ihn 


ergreift; dies Feuer muß exiſtiren auch für mein 
5 * * 


— 106 — 


Herz, und wenn es einſt brennt, dann ſind all 
meine Skrupel auf einmal gelöſt, dann weiß ich, 
daß ich ein Herz habe und dann habe ich den 
Rechten gefunden. 

Dieſe Gedanken brachten mich auf die Geſetze 
der Schöpfung, auf Naturwiſſenſchaften, Chemie 
und Anatomie. Die oberflächliche Converſation der 
Salons war mir inſupportable geworden, ich wurde 
faſt nervös, wenn die jungen Männer wieder mit 
den ſich ewig gleichbleibenden banalen Liebesphra— 
ſen mir das matte Glühen ihrer uſirten Herzen 
andeuteten, ich hatte keine Freude, keine Zerſtreu— 
ung mehr von ihnen zu erwarten und ich war 
doch noch ſo jung, ich war Gräfin und ſchön, 
das heißt, zum Glück berechtigt. Um mich zu des— 
ennuyiren, fing ich an, mich in die Wiſſenſchaften 
zu werfen. Ich beſuchte einen Curſus um den 
andern; der Fürſt, der ſich dabei noch mehr als 
gewöhnlich langweilte, begleitete mich überall. 

Ich ließ meine Zelle in ein Laboratorium ver— 
wandeln, ich verdampfte Queckſilber, experimentirte 
mit Jod, und hatte es bald zu einer Erkenntniß 
in den tiefſten Tiefen der Wiſſenſchaft gebracht, 
die Berzelius und Faraday, denen ich in elegan— 
tem Salonjargon die tiefſinnigſten Briefe ſchrieb, 
in Entzücken verſetzten. Da brachte mir eines 


— 107 — 


Tages, als ich ermüdet von einer anſtrengenden, 
mehrtägigen Beobachtung, erſchöpft auf meine Chaise 
longue geſunken, der junge Profeſſor, welcher mir 
bei meinen Studien behilflich war, einen ſeiner 
Freunde mit, um ihn mir zu präſentiren. 

Ich hatte mir ein Coſtume arrangirt, das vor— 
trefflich für meine dermaligen Zwecke paßte. Ich 
trug eine Robe montante von graubraunem Wol— 
lenſtoffe, oben mit einer ſchwarzen Spitze geziert, 
die nur mit einer Gordeliere um die Taille befe— 
ſtigt war. Loſe Aermel ließen ſich während der 
Arbeit leicht zurückſchlagen und zeigten meine ſu— 
perben Arme mit ſchwarzen Steinkohlen-Braceletts 
geſchmückt. Um den Kohlenſtaub für meine golde— 
nen Locken zu vermeiden, hatte ich mir ein klei— 
nes ſchwarzes Käppchen von Velours anfertigen 
laſſen, das in der Form den mittelaltrigen Coeffu— 
ren gleichkam. Schwarze Stiefelchen chauſſirten 
meine Füßchen vortrefflich; das Ganze war eben 
ſo graziös einfach als diſtinguirt. 

Als die beiden jungen Männer bei mir ein— 
traten, fanden ſie mich mit dem neueſten Werke 
über den Elektro-Magnetismus beſchäftigt. Es 
war von der belebenden Wirkung deſſelben auf die 
Nerven die Rede. Ich hatte lange darüber nach— 
gedacht und mochte Etwas zerſtreut ſein, als mir 


2 Di 


der Profeſſor feinen Freund nannte. Der Diener 
präſentirte den Männern die Fauteuils und es 
entſtand eine wunderliche Pauſe, weil ich in Me— 
ditationen, der neue Gaſt in den Anblick meiner 
Schönheit verſunken war. 

Endlich raffte ich mich empor und ſagte: „Ver— 
zeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie bitte, mir 
noch einmal Ihren Namen zu wiederholen. Ich 
kenne ſämmtliche Namen aller adeligen Geſchlechter 
auswendig nebſt ihren Wappen, ich habe ein im— 
menſes Gedächtniß, indeſſen für die Namen der 
Bürgerlichen iſt es miraculös ſchwach und ſie ent— 
ſchwinden mir ſehr leicht wieder.“ 

Der Angeredete ſagte ſehr ruhig: „Ich heiße 
Friedrich Wahl.“ 

„Ein Deutſcher alſo?“ 

„Ja, gnädige Gräfin.“ 

„Und was führt Sie nach Paris?“ 

Ich hin Proſector an dem anatomiſchen Ca- 
binet.“ 

Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte mich. Ich 
fragte: „Sagen Sie mir, mein Herr, gibt es Men— 
ſchen, die das Unglück haben, ohne Herz geboren 
zu ſein?“ 

„Unmöglich! gnädigſte Gräfin!“ entgegnete Fried— 
rich, „auch iſt dies ein Mangel, über den ſich 


— 109 — 


wie mich dünkt, noch Niemand beklagt haben wird, 
am wenigſten in Ihrer Nähe.“ 

Ein glühendes Roth überflog ſein Geſicht. Der 
milde Klang ſeiner Stimme frappirte mich ange— 
nehm. Ich zog mein Lorgnon hervor, ihn zu be— 
trachten. Er machte mir einen lebhaften Eindruck. 
Groß, kräftig und regelmäßig gebaut, mit ſchönen, 
gradlinigen Geſichtsformen, großen blauen Au— 
gen, über die ſich oft ein feucht verſchwimmender 
Glanz ergoß, und mit reichem hellbraunem Locken— 
haar, war er der Typus eines Deutſchen, eine 
angenehme Diverſion unter all den dunkeln Fran— 
zoſen und fadblonden Engländern. Seine Tour— 
nure hatte Nichts von der recherchirten Nachläſſig— 
keit der eleganten Cavaliere, ſeine Toilette war 
die ſimpelſte von der Welt, ſein ganzes Maintien 
erinnerte mich an die Haltung Napoleon's, wie er 
in ſich ſelbſt ruhend, mit übereinander geſchlage— 
nen Armen dargeſtellt wird. 

Er hielt meinen Blick ruhig aus und ſagte, in— 
dem ein leiſes Lächeln über ſeine Züge glitt: „Sie 
ſcheinen kurzſichtig zu ſein, Frau Gräfin! Befehlen 
Sie, daß ich Ihnen näher rücke?“ 

Dieſe Worte von einem Manne geſprochen, der 
noch wenig Augenblicke vorher ganz fascinirt ge— 
weſen war von dem Zauber meiner Schönheit, 


— le 


machten mir einen wunderbaren Effect. Ich wollte 
dieſe Impertinenz mit einem wahrhaft ariſtokrati— 
ſchen Contrecoup vergelten und fragte: „Wollen 
Sie mir ſagen, mein Herr Wahl, was Sie zu 
mir führt? Sie bedürfen wahrſcheinlich einer Pro— 
tection, die Sie in mir zu finden hoffen und die 
ich gern gewähren will.“ 

Friedrich lächelte wieder und entgegnete: „Gnuc— 
dige Gräfin! ich bedarf keiner Protection, denn 
ich bin ganz und gar unabhängig.“ 

„Sie ſind reich?“ 

„Im Gegentheil. Ich würde Ihnen vermuthlich 
arm erſcheinen, hätten Sie Gedächtniß genug, die 
Einkünfte eines Bürgerlichen zu behalten; aber 
ich bin reich, weil ich früher ganz arm geweſen 
bin und mir alſo relativ ſehr reich erſcheine.“ 

„Und wem verdanken Sie dieſe Wandlung Ih— 
rer Verhältniſſe?“ 

„Mir ſelbſt, und ich möchte auch ſonſt Nieman— 
dem Etwas verdanken.“ 

Friedrich's Selbſtgefühl enchantirte mich, weil 
es mir in dieſer Weiſe neu war. Ich hatte mich 
bis dahin in halbliegender Stellung, mit prächtiger 
ariſtokratiſcher Nachläſſigkeit verhalten und mit der 
Kette meines Lorgnon geſpielt. Jetzt fand ich, daß 
dieſer Mann die Mühe verlohnte, ſich für ihn 


ze U 


aus den indolenten Alluren zu reißen. Ich rich— 
tete mich empor, kreuzte graziös meine Füßchen 
auf dem Tabouret und lehnte meine ſuperbe, ſam— 
metweiche, fabelhaft kleine Hand auf das dunkle 
Sophakiſſen. Sie ſah darauf aus wie eine röth— 
liche, chineſiſche Primel, die im Frühjahr zum er— 
ſten Sonnenſtrahl aus dem dunkeln Erdreich her— 
vorguckt. Ich merkte, daß Friedrich, trotz ſeines 
Selbſtgefühls, trotz ſeines forcirten Spottes, kein 
Auge von meinen Händchen verwenden konnte, 
und ich gönnte ihm generös die Freude des An— 
ſtaunens, indem ich ſie in das rechte Licht brachte. 

„Aber um Alles in der Welt, lieber Profeſſor!“ 
ſagte ich lachend zu dem Chemiker, der ſchweigend 
und ganz verwundert über dieſe originelle erſte 
Entrevue dageſeſſen hatte, „was haben Sie mir 
da für einen wunderlichen Gaſt gebracht. Ich 
glaube, Sie wollen mich perſuadiren, ftatt der che— 
miſchen Analyſen einmal einen Charakter zu ana— 
lyſiren, wer weiß, ob ich dazu das Talent habe 
und ob die Elemente nicht ſo flüchtig ſind, daß 
ich ſie nicht zu fixiren verſtehe.“ 

„Sie würden noch mehr erſtaunen, verehrteſte 
Gräfin,“ ſagte der Chemiker, „wenn Sie wüßten, 
was meinen Freund zu Ihnen geführt hat. Er 
iſt ein begeiſterter Anhänger der Jetztzeit, des Li— 


— 112 — 


beralismus, der Entwickelung der Humanität, wie 
ſie ſich jetzt unter uns offenbart, und war begierig, 
Sie, gnädige Gräfin, kennen zu lernen, weil ich 
ihm erzählt hatte, daß all dieſes für Sie gar nicht 
eriſtire.“ 

„In der That,“ fiel ihm Friedrich, abermals 
flüchtig erröthend, in das Wort, „in der That, ich 
war begierig, eine Frau kennen zu lernen, die ganz 
Paris als das Wunder der Schöpfung anſtaunt, 
deren Geiſt alle Welt anerkennt und die es den— 
noch möglich gemacht haben ſollte, ſich vor dem 
Einfluſſe der heiligſten und erhabenſten Ideen zu 
bewahren, die die bewegende Kraft unſers Jahr— 
hunderts ſind.“ 

„Alſo auf eine Proſelytin war es abgeſehen!“ 
rief ich aus. „O, mein Herr Wahl! den Gedan— 
fen desavouiren Sie gewiß, wenn Sie mich ken— 
nen. Ich bin nun einmal von einer beſondern 
Natur, ich bin wunderbar excluſiv, mein Geiſt hat 
ſeine eigenthümlichen Alluren. Vielleicht, daß ich 
mich zu groß fühle, mich in Ihre heilige Allge— 
meinheit zu verlieren, vielleicht ſcheine ich mir ei— 
nes beſondern Loſes würdig, ein Etre à part zu 
ſein. Denken Sie, was Sie wollen. Geben Sie 
mir Seraphsſchwingen, mich zum Aether zu tragen, 
oder die Fledermausflügel eines Dämons, mich hin— 


— 113 — 


abzuſenken in die nächtlichen Tiefen der Exiſtenz 
— nur vor den Alluren Ihrer ſtaubgeborenen 
Menſchen laſſen Sie mich ſicher ſein. Ich mag 
nicht im Staube leben, ich mag Nichts mit der 
Menge gemein haben, und mein Fatum iſt mir 
gnädig geweſen: ich heiße Diogena, ein Name, 
den vielleicht Niemand außer mir trägt auf Erden. 
Vielleicht hat mich dies für meine excluſiven Nei— 
gungen prädeſtinirt.“ 

Indem ich dieſe Worte ſprach, hörten wir in 
meinem Laboratorium das Platzen einer Retorte, 
und der Profeſſor, auf den dieſer Ton eine magne— 
tiſche Attraction übte, ſtand auf, um ſich zu über— 
zeugen, was geſchehen ſei. Ich blieb mit Friedrich 
allein und ſagte: „Mir wäre es ganz recht, wenn 
das ganze Laboratorium in die Luft geſprengt 
würde, den Profeſſor ausgenommen.“ 

„Und doch behauptet mein Freund, Sie wären 
mit dem Studium der Chemie leidenſchaftlich be— 
ſchäftigt,“ meinte Friedrich. 

„Ich war es, jetzt iſt die Zeit vorüber. Ich 
kenne jetzt von der Chemie Alles, was man bis 
auf dieſe Stunde entdeckt hat, ich bin zu neuen 
unerhörten Forſchungen vorgedrungen; was ich 


ſuchte, fand ich nicht, und ſo hat ihr Reiz für mich 


aufgehört.“ 


Er 


„Und darf ich fragen, welches Problem Sie 
zu löſen begehrten?“ 

„Ich hoffte aus der Art, in der ſich in der Na— 
tur die wahlverwandten Elemente ergreifen, um 
ſich unauflöslich zu faſſen und zu vereinen, eine 
Analogie zur Decouverte des Wahlverwandten in 
den Menſchennaturen zu finden. Während ich die 
Dinge in ihre Elemente auflöſte, hoffte ich den 
Weg zu der mir verwandten, mir ewig eigenen 
Menſchennatur zu finden, es reuſſirte nicht und ſo 
bin ich der todten Wiſſenſchaft müde und um eine 
Illuſton ärmer.“ 

„Das heißt um eine Wahrheit reicher!“ ſagte 
Friedrich. 

„Das iſt auch eine von den modernen Tendenz— 
phraſen, die ich haſſe. Ich ſuche die Wahrheit 
nicht, ich ſuche die Liebe und das Glück.“ 

„Sie ſuchen die Liebe? In Andern oder in ſich?“ 

„Ich fand ſie weder in jenen noch in mir.“ 

„Sie, Sie, Gräfin! Sie ſuchten nach Liebe und ver— 
gebens? Aber das iſt ja unmöglich, da Jeder anbe— 
tend und verlangend vor Ihnen niederſtürzen muß!“ 

„Was wollen Sie,“ ſagte ich indifferent, „es 
mag in einer fehlerhaften Organiſation meines 
Herzens liegen, daß die Liebe nicht in demſelben 
agiren und reagiren kann. Ich möchte das Herz 


— 15 — 


in feiner phyſiſchen Structur kennen, um es in 
ſeinen Empfindungen danach zu beurtheilen. Ich 
möchte wiſſen, wie das Fluidum, das die Welt 
beſeelt, das in dem einzelnen Menſchen agirt und 
von ihm ausſtrömt, auf die ihm verwandte Na— 
tur influirt. Mit einem Worte, ich möchte An— 
thropologie ſtudiren und Anatomie treiben. Wol— 
len Sie mein Lehrer ſein?“ 

„Haben Sie jemals eine Leiche geſehen, gnä— 
dige Gräfin?“ 

Ich dachte an Ermanby und mir ſchau— 
derte. Ein leichter Friſon fuhr über meine 
Glieder, aber ich ſchämte mich ſeiner, als einer 
unwürdigen Schwäche. Ich ſagte Friedrich, daß 
ich vor den Schrecken einer Wiſſenſchaft nicht zu— 
rückbebe; daß freilich mich die geringſte Geſchmack— 
loſigkeit in der Ausdrucksweiſe eines Menſchen 
au dernier degré degoutire, daß mich ein unhar— 
moniſches Geräuſch nervös mache, daß ich aber 
mehr ertragen könne als ein Mann, wenn es dar— 
auf ankäme, mich durch neue Senſationen aus 
meinem Ennui zu befreien. 

„So haben Sie die Gnade, Frau Gräfin! Ih— 
ren Wagen zu befehlen, und erlauben Sie mir, 
Sie heute verſuchsweiſe in die Morgue zu führen.“ 

Es geſchah. Als wir in dem feuchten, nebligen 


— 116 — 


Winterwetter durch die naſſen, dampfenden Stra— 
ßen von Paris fuhren, blickte Friedrich mehrmals 
ſeufzend zu den geſchloſſenen Fenſtern hinaus. Ich 
fragte ihn, was ihm fehle. 

„O,“ ſagte er, „in dieſem Momente, Frau Grä— 
fin, fehlt mir Nichts, aber grade das erinnerte mich 
an eine Zeit, in der ich Alles entbehrte, in der 
ich hungernd und frierend aus der Armenſchule 
in meine elende Bodenkammer heimkehrte, und 
meine kranke Mutter ohne Feuer fand, weil ſie 
für dies Erſparniß das Licht kaufte, bei dem ich 
mich für meine Lectionen vorbereitete. Meine 
Mutter iſt in der Armuth geſtorben und ich ge— 
nieße jetzt zu meinem Schmerze ohne ſie ein Wohl— 
leben, das ihr fürſtlich ſcheinen würde und das 
ich ſo gern mit ihr getheilt hätte.“ 

„Und haben Sie keinen Bruder, keine Schwe— 
ſter, die jetzt an Ihrem Succeß Theil nehmen?“ 

„Ich habe Niemand. Mein Vater ſtarb vor 
meiner Geburt, ich bin ganz allein in der Welt; 
ich habe Niemand, der liebend an mich denkt, 
Niemand, der meiner bedarf in beſonderer Liebe; 
da wendet denn das Herz ſich der Menſchheit zu 
und ſucht in ihr die Liebe ſeines Herzens.“ 

Bei dieſen Worten legte ſich wieder der feuchte 
Glanz über die Iris ſeines tiefblauen Auges. Die 


— 


Rührung in dem Angeſichte eines ſchönen Man— 
nes hat eine aparte Grazie; ein Charakter iſt ſo 
ſelten eine weiche, impreſſionable Natur. Ich fragte 
mich innerlich, was mich an dieſem deutſchen Pro— 
feſſor intereſſire, deſſen Manieren, deſſen Moquerie 
zu Anfang unſerer Entrevue wirklich ſo ſehr an 
das Beleidigende ſtreiften, daß man es nur par— 
donniren konnte, wenn man annahm, er ignorire 
den usage du monde. Endlich fiel es mir ein, 
es ſei eben dies bürgerliche Element, das mir neu 
und darum reizend ſei. Die ausgezeichnetſten 
Frauen unſeres Hauſes, Gräfin Ilda Schönholm, 
Gräfin Cornelie, meine Mutter Sibylle, Marga— 
rethe Thierſtein, Alle hatten einen bürgerlichen 
Liebhaber, eine Epiſode mit einem Bürgerlichen 
gehabt, und Alle hatten einen paſſageren Reiz 
darin gefunden. Dies beruhigte mich über die 
unwillkürliche Senfation, die ich empfand; ich hatte 
gewähnt, mein adelig Blut revoltire dagegen, daß 
ein gewöhnlicher Profeſſor, ein Friedrich Wahl, es 
ſchneller fließen machte. 

So weit war ich in meinen Meditationen gekom— 
men, als wir in der Morgue anlangten. Friedrich 
war dort bekannt. Er führte mich in den Saal, 
in dem die Leichen ausgeſtellt waren. Dort lag 
ein junger Mann, aufgedunſenen, blau unterlau— 


— 118 — 


fenen Geſichts, man hatte ihn aus dem Waſſer 
gezogen, ganz in der Nähe des Pontneuf. Ein 
Greis, mehr einem Skelett, als einer menſchlichen 
Geſtalt zu vergleichen, mumienhaft eingetrocknet, 
war ſein Nachbar. „Er iſt wol vor Hunger und 
Schwäche geſtorben,“ meinte Friedrich, und führte 
mich weiter an der Leiche eines jungen Mädchens g 
vorüber, die ſich im Kohlendampfe erſtickt hatte. 
Lange, aufgelöſte Haarflechten hingen an ihrem 
Haupte hernieder, die Augen waren ſtarr geöffnet, 
ein weißer Schaum ſtand vor dem ſchön geform— 
ten Munde. Ich bebte vor Entſetzen; der furcht— 
bare Leichengeruch drohte mich ohnmächtig zu ma— 
chen, meine Sinne ſchwanden. „O,“ ſagte ich 
zu Friedrich, „aber dies iſt ja horribel, und unter 
ſolchen Scenen des craſſeſten Todes konnten Sie 
leben? O, um des Himmels willen, aber das iſt 
inſupportabel!“ 

„Und doch, Frau Gräfin, lehrt uns nur der 
Tod das Leben verſtehen, doch finden wir, indem 
wir die todte menſchliche Geſtalt in ihrer wunder— 
baren Organiſation betrachten, das Mittel, dem 
lebenden Organismus zu Hilfe zu kommen, wenn 
ihn Störung bedroht. Aber laſſen Sie uns gehen, 
dies iſt, ich wußte es, kein Anblick für eine Dame 


wie Sie.“ 


— 119 — 


Er hatte meinen Arm genommen und wollte 
mich hinausführen. Es ſchien mir, als läge eine 
leichte Färbung von Spott auch in dieſen letzten 
Worten. Das verdroß mich. Ich überwand den 
Degout, den inſtinctiven Schauder, den ich fühlte, 
dieſer ſtolze Mann ſollte ſich nicht rühmen können, 
eine Faibleſſe an mir geſehen zu haben. Ohne die 
geringſte Flection der Stimme rief ich lächelnd: 
„O, fürchten Sie Nichts, Herr Wahl! in uns 
Frauen der Ariſtokratie iſt Muth und Race, wir 
dauern aus, wo Ihre Bürgerfrauen matt zuſam— 
menbrechen. Für die Wiſſenſchaft iſt mir kein Sa— 
crifice zu ſchwer. Führen Sie mich jetzt nach Hauſe, 
beſtellen Sie die nöthigen Beſtecke, ſorgen Sie für 
die anatomiſchen Präparate, die uns indispenſabel 
ſind und kommen Sie in drei Tagen zu mir, wir 
wollen unſern Curſus dann beginnen.“ 

„Sie ſcherzen, Frau Gräfin!“ ſagte Friedrich. 

„Was berechtigt Sie zu dem Glauben, daß ich 
dies der Mühe werth finde?“ fragte ich mit einem 
ſuperben Accent von Hochmuth, vor dem Friedrich 
erbleichte. Als ich dies ſah, fühlte ich, daß man 
dieſem Manne gegenüber andere Alluren annehmen 
müſſe, als gegen die an weibliche Impertinenz ge— 
wöhnten Männer der Salons. Ich lenkte ein, 
gab ihm mit graziöſem Lächeln mein Händchen 


— 1 


und ſagte neckiſch: „Auf übermorgen alſo, mein 
Herr Profeſſor! Sein Sie nur nicht zu rigorös 
mit Ihrer Elevin und denken Sie hübſch, daß wir 
Frauen der Ariſtokratie unſere eigenthümlichen Al— 
luren haben, für die ich im Voraus Ihre Nach— 
ſicht erbitte. Wollen Sie die haben?“ 

„Frau Gräfin,“ rief Friedrich, „o Sie wiſſen 
es, daß dieſem Blicke, dieſem Klange kein Mann 
widerſteht, warum ziehen Sie mich in einen Zau— 
berkreis, in dem ich niemals zu leben hoffen darf?“ 

„So tragiſch?“ ſagte ich. „Aber wer denkt denn 
an Zauber und Zauberkreiſe? Von Anatomie iſt 
die Rede, und ich erwarte Sie alſo übermor— 
gen. Auf Wiederſehen, mein Herr Profeſſor!“ 

Ich ſprang aus dem Wagen, er geleitete mich 
zu meinem Zimmer, wo ich ihn mit einer nobeln 
Handbewegung congediirte. 

Während ich meine Toilette machte für einen 
Ball bei dem preußiſchen Geſandten, ließ ich mei— 
nen Kammerdiener kommen und ſagte ihm, ich 
wünſche ein Changement mit meinem Labora— 
torium vorzunehmen. Der Schornſtein müſſe ver— 
mauert, die Fenſter mit Spiegelgläſern verſehen, 
ein Fenſter oben an dem Plafond angebracht wer— 
den, weil ich volle Lumiere brauche. Dann be— 
ſtellte ich einen Sectionstiſch mit einer Marmor— 


— 121 — 


platte, Schränke für anatomiſche Präparate, Glas— 
flaſchen und Spiritus zur Conſervirung derſelben 
und eine Menge von Odeurs der koſtbarſten Art, 
um während der Lectionen zu räuchern und ſich 
ſpäter damit zu desinficiren. Dabei machte ich 
die Condition, daß Alles in zwei Tagen beendet 
ſein müſſe. 

Als ich eben mein Bracelett anlegte, und Ro— 
ſalinde noch einen Esprit von Brillanten an mei— 
ner Coiffure befeſtigte, trat der Fürſt Callenberg 
ein, und blieb wie geblendet von meiner Schön— 
heit in der halb erhobenen Portiere meines Bou— 
doirs ſtehen, in das ich bereits aus dem Toilet— 
tenzimmer getreten war. 

„Sie kommen ſehr apropos, lieber Fürſt!“ rief 
ich ihm entgegen. „Ich war heute in der Mor— 
gue, um mich mit dem Anblick von Cadavern zu 
familiariſiren, da ich übermorgen meinen anatomi- 
ſchen Curſus beginne. Könnten Sie mir nicht 
die Leiche irgend eines Kindes aus einem ariſto— 
kratiſchen Hauſe verſchaffen? Es liegt mir etwas 
Unbehagliches darin, an einer Leiche von niederm 
Stande zu operiren.“ 

Der Fürſt ſah mich mit einem faſt ſtupiden 
Ausdrucke von Bewilderung an. „Aber meine 
Gräfin!“ ſagte er, „was für miraculöſe Inclinas 

6 


— 122 — 


tionen hat Ihre immenſe Seele? Sie vaguiren 
aus einem Extrem in das andere. Werden Sie 
denn niemals ein Genügen finden? Sie wiſſen, 
ich reſpectire Ihre Alluren, indeſſen dies ſcheint 
mir doch faſt zu extravagant. Sie, Sie, theure 
Gräfin! wollten die roſigen Händchen mit Blut 
beflecken? Aber wo wollen Sie denn enden?“ 

Es war die längſte Rede, welche Fürſt Callen— 
berg jemals gehalten, das erſte Raiſonnement, 
das ich jemals von ihm gehört hatte. Auch wirkte 
es auf mich wie das maiden-speech eines im— 
mer ſchweigenden Parlamentsmitgliedes. Ich ſah, 
wie ſehr der Fürſt mich lieben müſſe, um zu ei⸗ 
ner Demonſtration verleitet zu werden, die ſo ganz 
außer den Grenzen ſeiner Natur lag. Deshalb 
nahm ich mir die Mühe, ihm zu antworten, was 
ich nicht immer that. 

„Sie fragen mich, lieber Fürſt! wann ich Ruhe 
und Genügen finden würde? Sehen Sie das Le— 
ben meiner Mutter und meiner Tante Fauſtine 
an und antworten Sie ſich ſelbſt. Wir ſind die 
Incarnation der Raſtloſigkeit, der Leere, des Mü— 
ßigganges unſerer Tage; wir ſind die weiblichen 
ewigen Juden, auf uns ruht ein Fluch, wir ſind 
tragiſche Geſtalten, Vampyrnaturen — und dop— 
pelt deſtructiv, weil wir das Bewußtſein davon 


— 13 — 


haben, weil eine Eiſeskälte des ſtarrſten Egoismus 
uns unverwundlich macht. Sehen Sie denn nicht, 
Alles um mich her geht zu Grunde, die Herzen 
brechen und verbluten ſich, wohin ich wandernd 
komme, und ich muß fort, immer weiter fort — 
o, darin liegt aber ein furchtbares Malheur!“ 
rief ich, und warf mich in Verzweiflung dem Für— 
ſten an die Bruſt, in heiße Thränen ausbrechend. 

Der Fürſt hatte mich nie eblouirender geſehen, als 
in dieſem Momente. Er ſchloß mich an ſich und 
ſagte: „O, meine Diogena! dürfte ich Dich ewig 
jo halten, dürfte ich meine Arme einen Talisman 
ſein laſſen, der Dich einfriedete in eine andere 
Welt!“ 

Die enorme Liebe machte ihn faſt beredt. Eine 
Weile ruhte ich an ſeinem Herzen, dann richtete ich 
mich empor und ſagte: „O, wiegen Sie mich nicht 
ein in Reverien von Glück und Ruhe, die für 
mich nicht exiſtiren; meine tragiſche Miſſion iſt 
noch lange nicht beendet; ich muß fort und ſu— 
chen, wo ich den Rechten finde. Und nun laſſen 
Sie uns eilen, zu dem Ball bei dem Ambaſſadeur, 
ich bin zu allen Contretänzen engagirt.“ 

Zwei Tage darauf waren alle meine Befehle 
erecutirt und der anatomiſche Curſus begann. Ich 
ward der Wiſſenſchaft mit unglaublicher Leichtig— 

6 * 


— 124 — 


keit Herr, meine kleinen Händchen kamen mir wun— 
derbar bei dem Präpariren zu Statten. Mit der— 
ſelben Perfection, mit der ich früher die elegante— 
ſten Decoupuren von ſchwarzem Papier gefertigt, 
machte ich jetzt die feinſten Nervenpräparate, ſpritzte 
Venen aus und ſecirte die zarteſten Zellgewebe. 
Mein Lehrer war in der vollſten Admiration die— 
ſes ſtupenden Talentes. Vorzüglich aber inter— 
eſſirte mich das Herz, als wir nach einigen Tagen 
uns damit zu beſchäftigen anfingen. Es tentirte 
mich, dieſen Muskel, in dem ſich unſere ſublimſten 
Senſationen vibrirend kund geben, in ſeinen minu— 
tiöſeſten Details zu kennen und ich arbeitete noch 
fort, als ſchon die Dämmerung begann und Fried— 
rich ſein Meſſer aus der Hand legte. 

„Laſſen Sie uns aufhören, gnädige Gräfin!“ 
ſagte er, „es wird zu dunkel.“ 

„O, dunkel iſt Alles!“ rief ich achtlos aus. 

„Alles?“ fragte Friedrich — „auch Ihr ſon— 
nenhelles Daſein?“ 

„Unſeliger! müſſen Sie mich daran mahnen?“ 

Ich hatte die kleine Aermelſchürze von dunkelm 
Taffet abgeworfen, die ich bei der Arbeit trug, 
und war aus dem Cabinet in mein Boudoir ge— 
treten. Roſalinde präſentirte mir ein Lavoir von 
Sevresporzellan, in dem ich mich ſäuberte, reichte 


— 125 — 


es dann Friedrich, goß Odeurs über unſere Hände, 
parfumirte das Zimmer und entfernte ſich. Ich 
warf mich in einen Fauteuil zunächſt dem Kamin, 
gab Friedrich ein Zeichen, ſich ebenfalls niederzu— 
ſetzen, kreuzte meine Füßchen auf dem Tabouret 
vor dem Feuer, deſſen Gluth mich beſchien, und 
beobachtete in halber Diſtraction den ſchweigſamen 
Friedrich, deſſen Auge mit Spannung all meinen 
Bewegungen folgte. 

„Frau Gräfin!“ ſagte er endlich, „wiſſen Sie 
wol, daß Sie mich meiner Wiſſenſchaft ab— 
wendig machen? Ich werde nicht mehr wiederkehren 
dürfen.“ 

„Wie das?“ 

„O, ich empfand es geſtern, Frau Gräfin! ich 
kann nicht mehr ſeciren. Ich ſehe Nichts als Sie. 
Ich kann die Spitze meines Meſſers nicht mehr 
in die Iris einer Pupille ſtoßen, ohne daß mir 
Ihr wundervolles Auge vorſchwebt. Meine Hand 
zittert, meine Gedanken verwirren ſich, Ihr Name 
ſchwebt auf meinen Lippen, ich werde zerſtreut, 
meine Schüler kennen mich nicht wieder.“ 

„So werden Sie mindeſtens wieder den Reiz 
der Neuheit für dieſelben haben.“ 

„Sie ſcherzen,“ ſagte Friedrich, „und doch ſpreche 
ich ernſthaft über eine heilige, ernſthafte Empfin— 


— 126 — 


dung. Wollen Sie mir die Güte erzeigen, mich 
anzuhören?“ 

„Mit wahrem Intereſſe für Alles, das Sie be— 
rührt, lieber Friedrich!“ 

„So hören Sie! Ich habe Ihnen geſagt, daß 
ich einſam aufgewachſen bin, in Noth und Arbeit, 
daß ich mir langſam und ſtufenweiſe den Weg 
gebahnt habe zu der Stellung, die ich jetzt ein— 
nehme und die mir bis vor wenigen Tagen ge— 
nügte, all meinen Forderungen und Wünſchen 
entſprach. Ich lebte ein ernſtes Daſein mitten in 
dem Vergnügungswirbel und mitten unter dem 
wilden Lebensſtrudel von Paris, ganz meiner Wiſ— 
ſenſchaft angehörend mit dem Geiſte, ganz dem 
Volke mit meinem Herzen. Es war ruhig und 
friedlich in meiner Seele.“ 

Er hielt inne und ſchien zu erwarten, daß ich 
ihn unterbrechen würde, da ich dies nicht that, 
fuhr er fort: „Mein Freund, Ihr Lehrer in der 
Chemie, lernte Sie kennen und ſtatt der ernſten 
Geſpräche, die wir ſonſt auf unſern Promenaden, 
an unſerm Kamine führten, trat Ihre Strahlen— 
erſcheinung zwiſchen uns. Ich ward begierig, eine 
Frau kennen zu lernen, die im vollſten Glanze 
der Jugend und Schönheit, von den brillanteſten 
Feſten heimkehrt zu tiefſinnigen Forſchungen an 


— 127 — 


dem Schmelzofen. Mein Freund verſchaffte mir 
die Gunſt, Ihnen vorgeſtellt zu werden.“ 

Noch einmal unterbrach er ſich, fuhr mit der 
flachen Hand über die Stirn und ſagte dann, tief 
athemholend, wie Jemand, der einen entſcheidenden 
Schritt zu thun bereit iſt: „Ihre erſte Erſcheinung 
wirkte auf mich wie ein neuer Tag, wie ein neues 
Licht. Ihre ariſtokratiſch hochmüthige Weiſe ſtieß 
mich ab, beleidigte mein Selbſtgefühl; ich hätte 
Sie fliehen und verabſcheuen mögen, hätte nicht 
ein trügeriſches Gefühl, das ich damals nicht er— 
kannte, mir zugerufen: bleibe! um die Hochmüthige 
zu demüthigen. Zeige ihr durch eine Einſicht in 
das All der Wiſſenſchaft die große, geheimnißvolle 
Weltmacht, den Allgeiſt, vor dem ihr Hochmuth 
ſo thöricht iſt, wie das Revoltiren eines Inſektes 
gegen die Weltordnung. Zeige ihr, daß ſie Dei— 
nesgleichen iſt — denn das allein wollte ich, um 
Anſprüche machen zu dürfen an Sie.“ 

Ich fuhr empor, Friedrich bemerkte es und hielt 
mich zurück, indem er, vor mir niederknieend, meine 
Hände in den ſeinen feſthielt. 

„Unterbrechen Sie mich nicht, ſagte er mit ei— 
ner Art von Heftigkeit, es handelt ſich hier nicht 
um eine flüchtige Declaration. Ich ſtehe nicht 
als ein Bettler vor Ihnen, der um ihre Gunſt 


— 128 — 


fleht, ich ſtehe als ein Mann da, als ein lieben— 
der Mann, der — ſelbſt ſehr leidend — unſäg— 
liches Erbarmen hat mit Ihnen und Sie retten 
möchte, weil er die Kraft der Liebe zu ſeinem Bei— 
ſtande hat.“ 

„Und wiſſen Sie, ob ich dieſen von Ihnen an— 
zunehmen geneigt bin?“ fragte ich, während meine 
Seele in ungekannter Verehrung zu ihm empor— 
blickte. 

„Das müſſen Sie, Gräfin! ich würde verſu— 
chen, Sie dazu zu zwingen, weil ich Sie liebe.“ — Er 
ſchwieg abermals und ſchien zu überlegen, dann 
ſagte er: „Ich hielt Sie für kokett, für unterge— 
gangen in dem Schlammpfuhl niedriger Sinnlich— 
keit, die unabläſſig nach neuem Genuſſe jagt. Ich 
hatte von Ihrem Leben gehört, was man in den 
Salons und aus dieſen in die Kaffee's berichtet. 
Man nannte mir die große Zahl Ihrer begün— 
ſtigten Liebhaber — aber ich glaubte nicht mehr 
daran, als ich Sie geſehen hatte, mit Ihren Kin— 
derhändchen, mit Ihrem edeln zarten Weſen, den 
Schrecken des Todes gegenüber Stich halten — 
als ich geſehen hatte, wie Sie in dem Ernſte der 
Wiſſenſchaft Troſt und Erſatz ſuchten für ein Glück, 
welches das Leben Ihnen grauſam verſagte. Sie 
ſind nicht ſchlecht, Gräfin! o nein, nein! Ein En— 


— 129 — 


gel ſind Sie an Leib und Seele, aber Sie ſind 
ſehr unglücklich geweſen.“ 

„O, namenlos, namenlos unglücklich!“ rief ich 
aus, „einſam ohne Liebe und die Liebe ſuchend, 
die Liebe, die allein mich glücklich machen konnte, 
die ewig ekſtatiſche, nimmer verglühende Liebe!“ 

Friedrich ſah wie verklärt aus, er legte ſich meine 
Hände über ſeine Schultern und umſchlang mei— 
nen Leib mit ſeinen Armen. „Du armes, armes 
Kind!“ ſagte er ſelbſt mit der ſpielenden Grazie 
eines Kindes, „ich ahnte es gleich, was Du ſuch— 
teſt in den Herzen der Geſtorbenen — Du ſuch— 
teſt die Liebe! — Ach, meine Diogena! mein hol— 
des Engelsbild! die Liebe iſt nur in dem lebenden 
Herzen, denn die Liebe iſt das Leben! Sieh, mein 
Engel, hier, hier, fühle es, da klopft die Liebe in 
meiner Bruſt zum erſten Male in meinem Leben. 
Sieh, hier iſt ein Herz, in dem nie ein anderes 
Frauenbild lebte, als das Deine, — hier iſt ein 
unentweihter Altar — wohne hier, Du Göttliche! 
Du, Du allein und für ewig.“ 

Eine ſeltſame Wehmuth überſchlich mich. Fried— 
rich war magnifik in dieſer Ekſtaſe, die den ernſten, 
ruhigen Mann wunderbar embellirte. Es ſchmei— 
chelte mir, das erſte Weib zu ſein, das ihn die 


Gewalt der Liebe kennen lehrte; es freute mich, 
6 ** 


— 130 — 


den ſtolzen Bürgerlichen vor mir knieen zu ſehen, 
und während mich die Hoffnung, er ſei vielleicht 
der Rechte, in ſüße Emotion verſenkte, beruhigte 
mich der Gedanke, daß ja auch all die andern ex— 
cluſiven Gräfinnen ſich ihrer Liaiſon mit einem 
Bürgerlichen nicht geſchämt hätten. Vor allen 
Dingen aber gefiel er mir und ich raiſonnirte mir 
dies Alles nur vor, um mir die Regungen zu ſei— 
nen Gunſten nicht einzugeſtehen. Indeſſen hielt 
ich es meinem Range angemeſſen, ihm den Sieg 
nicht zu leicht zu machen. 

Ich machte mich ſanft von ihm los und ſagte, 
indem ich meine Rechte auf ſein Haupt legte und 
mit der Linken ſein Kinn in die Höhe hob, ſo daß 
ich ihm feſt in die ſchöne blaue Iris ſeines treuen 
Auges ſah: „Und wer bürgt Ihnen dafür, lieber 
Friedrich! daß ich überhaupt für Liebe ſenſibel, der 
Liebe capabel ſei?“ 

„O Diogena!“ rief er mit dem Tone der voll— 
ſten Conviction. 

„Sehen Sie, Friedrich! ich war verheirathet, 
der Graf hat mich geliebt, Lord Ermanby, der 
Vicomte Servillier ſind aus Liebe für mich geſtor— 
ben, Fürſt Callenberg betet mich an; ich habe ſie 
Alle zu lieben verſucht, ich habe es nicht vermocht. 
Mein Herz iſt todt geblieben und kalt, ich denke 


— 131 — 


ihrer nicht mehr. Ich ſuche heute noch nach Liebe, 
nach der Liebe, die ich meine — und —“ 

„Und?“ fragte Friedrich bebend und erbleichend. 

„Ich hoffe, ich habe ſie gefunden“ — lispelte 
ich leiſe und lehnte mich an ihn. 

„O Gott des Himmels!“ rief er und preßte 
mich mit glühender Leidenſchaft an ſich, mich mit 
ſeinen Küſſen bedeckend. 

Ach, es liegt ein eigenthümlicher Charme in der 
Fülle unentweihter Liebe. Friedrich's Ekſtaſe en— 
chantirte mich, und während ich ihm immer und 
immer wiederholen mußte, daß ich noch nie geliebt, 
daß ich immer unbefriedigt, immer kalt geweſen 
ſei, ſchwor er mit höchſter Conviction, jetzt würde 
ich lieben lernen, denn ſeine Liebe müſſe mich er— 
wärmen. 

„Sieh, Diogena!“ ſagte er, „die Liebe iſt ein 
ewig bindendes Gefühl, Du mußt mein werden 
durch den Segen der Kirche, mein Weib, meine 
Hausfrau! Du mußt da ſein, wenn ich müde bin 
von der Arbeit, mir zulächelnd, mich belebend; die 
Hebe, welche dem Hercules den Trank ewiger Ju— 
gend bietet. O Süße, willſt Du mein Weib ſein?“ 

Ich war wie aneantirt. Von Ehe, von Hei— 
rath zu ſprechen mir, der Gräfin Diogena, mir, 
der Nichte Fauſtinens, das war doch wirklich zu 


— 132 — 


bürgerlich. Aber das iſt der Fehler der Roturiers, 
ſie ſind materiell in ihren Begriffen, ſie verlangen 
ſolide Poſſeſſion, wohl hypothekirt ins Kirchen— 
buch geſchrieben. Sie verſtehen Nichts von der 
Aiſance unſerer Liaiſons, die wir binden und lö— 
ſen nach unſerm Ermeſſen. Was uns idealſte 
Poeſie ſcheint, iſt ihnen profunde Depravation. 
Das iſt ein großes Uebel mit der Bourgeoiſie. 
Ich bedachte mich einen Moment, was ich thun 
ſolle. Sagte ich ein decidirtes Nein, ſo riskirte 
ich, Friedrich, mit ſeinen ſogenannten moraliſchen 
Idealen, auf ewig von mir zu entfernen; und das 
wollte ich nicht, denn er gefiel mir, ich liebte ihn 
ſogar auf meine Fagon. Da fiel mir ein, wie 
ſich Gräfin Ilda Schönholm, auch eine nahe Ver— 
wandte meiner Mutter, klug aus dem Embarras 
gezogen hatte, und als Friedrich mich noch einmal 
fragte: „Diogena! willſt Du mein Weib ſein? 
mein treues, liebendes Weib?“ antwortete ich wie 
Jene: 

„Ich will es verſuchen!“ 

„Und wirſt Du glücklich ſein? wirſt Du mich 
lieben?“ 

„Ich will es verſuchen!“ antwortete ich wieder. 

Friedrich ließ mich los und ſah mich forſchend 
an. „Diogena!“ rief er, „mein Engel! mein 


3 


— 133 — 


Kopf verwirrt ſich, ich verſtehe Dich nicht Was 
will es ſagen, dies wunderbare: Ich will es 
verſuchen? und wie verſucht man die Ehe? — O 
mein Engel, das iſt ein häßliches, böſes Wort — 
das ſprach die kalte herzloſe Gräfin, nicht Du, 
nicht meine ſüße, ſchöne Geliebte!“ 

Friedrich war ſo ganz Glück, ſo ganz zum fro— 
hen Jüngling umgewandelt, daß er mich mit ſich 
fortriß. Er ſchilderte mir die Seligkeit der Ehe, 
wie er ſie ſich bisweilen in ſeinen einſamen Re— 
verien ausgemalt hatte, dies Du und Du engſten 
Beiſammenſeins, paiſibler Begrenzung, mit einer 
Liebe, mit einer Innigkeit, daß ich anfing, ein Pen— 
chant dafür zu fühlen und mich ſelbſt danach zu 
ſehnen. 

„O,“ rief ich, „mein Friedrich! das, was Du 
mir da ſchilderſt, iſt wol ſchön, aber unerreichbar 
für die Gräfin Diogena, ſo ſehr Deine ſüße Ge— 
liebte ſich danach ſehnt. Sieh, mein Friedrich! an 
die Gräfin hat die Welt Anſprüche, ich habe die 
Geſellſchaft zu menagiren, ich habe Egards zu neh— 
men für meine Poſition, die ich durch meine wiſ— 
ſenſchaftlichen Capricen wol ein wenig compro— 
mittirt habe, die Geſellſchaſft — —“ 

„Ach, mein Engel! wirf ſie von Dir dieſe Skla— 
verei der Geſellſchaft. Ich liebe nicht die Gräfin, 


— . e 


ich liebe Dich, Du Geliebte! Komm, meine ſüße 
Diogena! laß uns Paris verlaſſen, laß uns fort— 
gehen von hier nach irgend einem ſtillen Fleck der 
Erde, an dem Niemand uns kennt, Niemand un— 
ſere traute Einſamkeit ſtört. Willſt Du das, Liebe?“ 

„Mit tauſend Freuden!“ rief ich aus. Die Pro— 
poſition war ſo originell bei unſern beiderſeitigen 
Verhältniſſen, daß ſie mich um ihrer Originalität 
willen reizte. Friedrich verließ mich, um ſich einen 
Urlaub zu erbitten, ich erpedirte meine Viſitenkarten 
mit dem officiellen p. p. c. an alle meine Bekann— 
ten, ließ eine ſimple Toilette packen, befahl nur 
Roſalinden, ſich zu meiner Begleitung parat zu 
halten, und verbot den Domeſtiken, den Fürſten, 
auch wenn er danach frage, über meine Abreiſe 
zu avertiren. Das anatomiſche Cabinet wurde 
geſchloſſen, die Studien in den todten Herzen der 
Cadaver für's Erſte ſuspendirt, denn ich war ent— 
ſchloſſen, noch einmal mit einem lebenden, lieben— 
den Herzen zu experimentiren. 

In den Emotionen des unerwarteten Glückes, 
der erſten Liebe, unter den Präparationen für un— 
ſere Abreiſe, dachte Friedrich nicht mehr an das 
bürgerliche Amuſement einer ſolennen Copulation. 
Ich war ſein, dies ſatisfaiſirte ihn und machte ihn 
indifferent gegen die ganze übrige Welt. 


— 135 — 


Nach wenig Tagen ſaßen wir in meiner höchſt 
comfortablen Kaleſche, ohne Domeſtiken, nur Ro⸗ 
ſalinde mit uns. Dies gab ein wunderliches Di— 
lemma; denn während ich mich über die bürger— 
liche Simplicität dieſer improviſirten Reiſe diver— 
tirte, war Friedrich enchantirt von dem ungekann— 
ten Comfort, den er in einer eigenen Reiſeequi— 
page genoß. Ihn machte es glücklich, tauſend kleine 
Dienſte zu übernehmen, die ſonſt mein Kammer— 
diener mir leiſtete, und ich fand es ſüß, von ſeiner 
adorirenden Liebe bedient zu werden; ſo waren 
wir Beide ſehr heiter und animirt. Es war die 
angenehmſte Zeit, deren ich mich erinnere. 

Wir gingen von Paris nach Marſeille, ſchifften 
uns für Neapel ein und durchwanderten die In— 
ſeln und Italien nach allen Diſtancen. Friedrich's 
profunde Gelehrſamkeit bot ihm überall Stoff zu 
neuen Entdeckungen, die er vor meinem immenſen 
Geiſte niederlegte, wie ein Anderer den duftenden 
Strauß an den Buſen der Geliebten drückt. Meine 
divinatoriſchen Apercus inſpirirten ihn, und uns - 
ter ſeinen heißen Liebesküſſen dictirte er mir ganze 
Volumen voll tiefſinniger Forſchungen, die ſeinen 
Namen auf die ſpäteſte Nachwelt tragen werden. 

Dies Reiſen, getheilt zwiſchen Liebe und Wiſ— 
ſenſchaft, hatte etwas wunderbar Ausfüllendes. 


— 136 — 


Ich ennuyirte mich nie, ich gewann Geſchmack an 
einem laborieuſen Leben bei raſtloſem Reiſen, die 
Eriſtenz eines gelehrten Touriſten contentirte mich 
ſo ſehr, Friedrich's Liebe war ſo ungeheuchelt friſch 
und warm, daß ich in der That nicht daran dachte, 
ob ich ihn liebe oder nicht. Ich fragte mich nicht, 
was empfindeſt du? Ich ließ mich in dieſem paſ— 
ſiven bien étre gehen. i 

Indeß Friedrich fand, nachdem, mir ſelbſt ein 
Mirakel, dies Touriſtenleben mehr als ein Jahr 
gedauert hatte, ohne mich zu ennuyiren, dieſe Art 
der Exiſtenz unbefriedigend. Er verlangte nach ei— 
nem feſten Domicil, er wollte wieder ein bürger— 
liches Glück und häusliche Ruhe. Mich in Pa— 
ris in bürgerlicher Glückſeligkeit als Frau Profeſ— 
ſorin zu etabliren, wäre ein Heroismus geweſen, 
deſſen ich mich nicht capabel fühlte. Mir bangte da— 
vor, Perſonen meines Kreiſes während dieſes bür— 
gerlichen Idylls zu begegnen, obſchon es mich noch 
immer merveilleuſement contentirte. So ſchlug ich 
Friedrich vor, nach Piſa zu gehen und ſich dort 
um die vacante Profeſſur der Anatomie bei der 
Univerſität zu bewerben. 

Friedrich fand die Idee zuſagend, meldete ſich 
zu dem Amte und erhielt es, da ſein Ruf bereits 
ein europäiſcher war. Nach wenig Wochen war 


— 137 — 


ein ſtilles Haus an dem Katharinenplage gemie— 
thet und ich hauſte darin mit Roſalindens Bei— 
ſtand, unter dem Titel der Frau Profeſſorin. Aber 
nach dem Eintritte in dies Haus ging ein veri— 
tables Changement mit Friedrich vor. 

Er zeigte Collegia an, es meldeten ſich Zuhörer, 
ſein Auditorium ward das frequentirteſte. Das 
ſpornte ſeine Ambition, er fing an raſtlos zu ſtu— 
diren, er operirte und ſecirte den ganzen Tag. Ich 
fand es horribel, es langweilte mich tödtlich, und 
ich konnte nicht umhin, mich darüber zu beklagen. 

Wenn ich in dem ſtillen, todten Piſa die lan— 
gen Tage allein zugebracht hatte, ſo erſchien Fried— 
rich am Abende, ſtrahlend vor Satisfaction über 
irgend ein Problem, das er in Bezug auf die 
Blutkügelchen oder die Nervenphyſik decouvrirt 
hatte. — Mit komiſcher Conſequenz wollte er mich 
bereden, ich müſſe ein Intereſſe dafür haben, weil 
ich einſt ſelbſt hätte Anatomie ſtudiren wollen. Er be— 
griff nicht, daß man aus bloßer Caprice ſich für 
eine Wiſſenſchaft portiren könne, daß man ſie cul— 
tivire, um ſich zu desennuyiren, und ſie abandon— 
nire, wenn ſie dieſem Zwecke nicht mehr entſpreche. 
Es that ihm leid, mich dafür indifferent zu ſehen 
und er bot die ganze Gewalt ſeiner Liebe auf, die 
Wolken der Unzufriedenheit, der Ermüdung zu 


— 138 — 


bannen, die anfingen, ſich über meine immenſe 
Seele zu lagern. Aber auch dies gelang nur tem— 
porär. Ich hatte ſeine Liebe nun durch mehr als 
funfzehn Monate genoſſen, ſie war immer dieſelbe, 
immer ernſt und mild, bisweilen feurig und über— 
wältigend, aber das Alles kannte ich nun à fond. 

Ich regrettirte, dieſe herannahende Ermüdung 
nicht cachiren zu können, ich wollte es ernſtlich, 
es mislang. Naturen wie die meine können nicht 
heucheln, es gibt einen Grad des Egoismus, der 
die Heuchelei unmöglich macht, weil er in wahn— 
ſinniger Verblendung ſich ein despotiſches Recht 
der Selbſtbefriedigung zugeſteht und nicht einmal 
die Milde hat, das Unrecht mit möglicher Scho— 
nung zu thun. 

Eines Abends ſaß ich auf dem Balcon unſers 
Hauſes und ſah hinab durch das Laub der dich— 
ten Bäume vor unſerm Fenſter, auf den Platz. 
Einige Kinder ſpielten daſelbſt, es war ſehr ſtill. 
Friedrich kam von der Anatomie nach Hauſe, er 
war müde und lehnte ſeinen Kopf an meine Schul— 
ter, um zu ruhen, während ſein Arm mich um— 
ſchlang. Es war ein heißer, ſiroccoſchwüler Abend 
und nach wenig Minuten fühlte ich, daß Friedrich's 
Haupt ſchwer und ſchwerer auf meiner Schulter 
wurde. Er war eingeſchlafen. 


— 139 — 


Eine Thräne trat mir in die Augen, ich fühlte 
mich tief degradirt. So weit war ich geſunken, daß 
ein bürgerlicher Profeſſor es wagte, einzuſchlafen 
in meinen Armen, in den Armen der Gräfin Dio— 
gena. Mit prächtiger Indignation ſprang ich em— 
por. Friedrich fuhr auf wie elektriſirt. „Was 
gibt es, Diogena!“ fragte er erſchrocken. 

„O, Nichts, eine Kleinigkeit!“ ſagte ich kalt, 
die Gräfin Diogena wird es müde, dem Profeſſor 
Friedrich Wahl in Sklavendienſten zu huldigen. 

Friedrich ſah mich ganz bewildert an und ſagte: 
„Ich verſtehe Dich nicht, meine Diogena!“ 

„Du wirſt es begreifen, wenn ich Dir ſage, 
daß Du an meiner Seite eingeſchlafen biſt.“ 

„Dann war ich ſicher ſehr müde.“ 

„Nicht müder als ich es bin, dergleichen zu 
ertragen.“ 

„Aber mein holdes Leben!“ rief Friedrich, der 
jetzt erſt zu bemerken ſchien, daß ich wirklich irri— 
tirt ſei, „wie oft haſt Du an meinem Herzen ge— 
ſchlummert und welch ein Glück iſt mir das ge— 
weſen. Mit welch andächtiger Liebe habe ich Dein 
Köpfchen an meine Bruſt gedrückt und die ſanften 
Athemzüge Deiner Lippen belauſcht; wie kannſt Du 
zürnen, wenn ich einmal ausruhe an dem Herzen 
meines Weibes! Du thörichtes, liebes Kind!“ 


— 140 — 


Friedrich wollte mich umarmen, aber ich ließ 
es nicht zu. „Ich mag wol unverſtändig ſein, 
lieber Friedrich!“ antwortete ich, „aber ich will 
Dir bekennen, daß mir unſere ganze Lebensweiſe 
anfängt au supréème degré zu misfallen. Wir 
kommen ganz in die bequemen Alluren der Ehe 
hinein, das iſt ein Horreur. Du thuſt, als hät— 
teſt Du poſitive Rechte an mich — 

„Diogena!“ rief Friedrich, „und habe ich die 
nicht?“ 

„Und wodurch?“ 

„Du redeſt irre, Diogena!“ rief Friedrich und 
faßte meine Hand. „Wodurch? Und biſt Du 
nicht mein Weib? Haſt Du nicht liebend Dich 
mir zu eigen gegeben mit heißen, flammenden 
Worten? Biſt Du nicht mein geweſen ſeit faſt 
zwei Jahren, mein ganz und gar, ſo daß ich des 
Kirchenbundes nicht mehr begehrte, weil ich es 
empfand, es konnte deſſen nicht mehr bedürfen? 
Ich liebe Dich, ich bin Dir eigen mit Seele und 
Leib in treuſter Hingebung und Du kannſt fra— 
gen, wodurch ich ein Recht habe an Dich? Du 
fannft das fragen, das liebende Weib?“ 

„Friedrich!“ ſagte ich — und zum erſten Mal 
im Leben empfand ich einen tödtlichen Schmerz 
bei dieſen Worten, denn ich wußte, daß ich ein 


—. 


vergiftetes Stilet drücke in fein Herz — „Fried— 
rich! ich mag Dich nicht täuſchen, ich liebe Dich 
nicht mehr!“ 

Er erblaßte, trat einige Schritte von mir zurück 
und ſtand da in ſtarrer Verſteinerung. „Kann 
man denn aufhören zu lieben?“ ſagte er, wie 
Jemand in wüſtem Traume nach dem Unmögli— 
chen fragt — „kann man denn aufhören zu lie— 
ben, was man geliebt hat, wie ich Dich?“ 

„O,“ rief ich, „ich glaube, ich habe Dich nie— 
mals geliebt. Vergib mir, mein Friedrich! Du 
weißt es, ich kann wol nicht lieben. Du kennſt 
das Herz, das anatomiſche Herz in ſeinen geheim— 
ſten Verzweigungen, mein Herz iſt Dir ein My— 
ſterium geblieben, es iſt aber unergründlich, Dir, 
mir ſelbſt ein Räthſel. Du haſt gewähnt, Deine 
Liebe, eheliches Glück könne mir genügen, aber —, 
mein Friedrich, ich bin ja kein gewöhnliches Weib, 
keine gewöhnliche Frauennatur. O! ich wußte es 
wohl, als ich es Dir ſagte: Ich will es verſuchen 
Dein Weib zu ſein; ich wußte, ich könne die tödtliche 
Dauer der Ehe nicht ertragen, die vehemente Im— 
petuoſität meines Weſens revoltirt gegen die 
Dauer, gegen die unwandelbare Treue.“ 

Friedrich ſah mich an, als ſei die Welt im Ver— 
ſinken begriffen und ſagte tonlos: „Diogena! ein 


Zr 


Weib, das ſich einem Manne zu eigen gibt ohne 
den Vorſatz wandelloſer Treue, iſt ſehr elend.“ 

„O!“ rief ich mit allem prächtigen Stolze mei- 
nes ariſtokratiſchen Bewußtſeins, „ſo urtheilſt Du, 
befangen in blödſichtiger Bürgerlichkeit. Die Treue 
iſt Bornirtheit, ich bin unbegrenzt, meine Un— 
treue iſt ſublim, iſt göttlich. Was Du Wankel— 
muth nennſt, iſt die erhabene Forſchungsluſt des 
Adepten, der rückſichtslos das letzte Geldſtück, wel— 
ches die Seinen vor dem Hungertode retten ſollte, 
ſeinem Schmelztiegel übergibt, um den Stein der 
Weiſen zu finden, den er ſo wenig kennt, als ich 
das Herz, die Liebe, den Mann, den ich ſuche. 
Wir glauben Beide an die Exiſtenz eines Unmög— 
lichen, eines Mirakels, und wir müſſen es ſuchen, 
bis wir es finden.“ 

„Diogena! ich glaubte an Dich, ich liebte Dich, 
Du brichſt mir das Herz!“ 

„Ich darf die Opfer nicht achten, die es mich 
koſtet,“ ſagte ich, „denn auch ich leide in dieſem 
Momente. O, ich leide ſehr!“ rief ich, und fing 
zu weinen an. 

Als Friedrich meine Thränen ſah, ſtürzten auch 
die ſeinen unaufhaltſam hervor. „Diogena!“ 
ſagte er, „meine ganze Liebe war Dein, iſt Dein 
und das genügt Dir nicht?“ 


— 143 — 


Ich war gerührt, nahm mild ſeine Hand und 
ſagte: „Mein Friedrich! Du biſt der erſte Mann, 
den ich beklage, weil er mir nicht genügte. Aber 
ſieh! ich kann nicht anders. Deine Liebe bleibt 
ſich ewig gleich, iſt immer dieſelbe, gewährt ein 
ruhig Glück. Das habe ich nie gewollt. Ich 
verlange eine göttliche Anbetung in täglich neuer 
Form, ich verlange täglich neue, geſteigerte Gluth, 
ich verlange vielleicht Unmögliches — aber das 
Mögliche widert mich an. Ich weiß, ich bin eine 
Titanennatur, ein weiblicher Fauſt, was kann ich 
dafür, daß Ihr nur Männer, nur Menſchen ſeid. 
Schaffe mir einen Halbgott, ihn will ich lieben 
und treu ſein — wenn ich es kann.“ 

„Diogena, um Gottes willen! ein Fieberwahn— 
ſinn umnebelt Deine Seele, ſo kann kein Weib 
reden zu dem Manne, deſſen Herz ihr Bild in 
ſich ſchließt, deſſen Gattin ſie geworden. Du biſt 
krank, meine Diogena!“ 

Ich hielt ihm ruhig meine Hand hin und ſagte: 
„Fühle die gleichmäßigen Pulsſchläge meines Blu— 
tes, ich bin nie ruhiger geweſen als in dieſer 
Stunde.“ 

„Dann ſei Gott Dir gnädig in Deiner wahn— 
ſinnigen, kalten Verblendung,“ rief Friedrich und 
ſtürzte hinaus. 


BR. 


Ich blieb allein zurück, grandios in meinem Be— 
wußtſein, mich von dieſem bürgerlichen Despotis— 
mus befreit zu haben. Friedrich kehrte am Abende 
nicht zurück. Ich befahl Roſalinden, meinem Kam— 
merdiener nach Paris zu ſchreiben, daß er mein 
in Florenz warten ſolle, ließ packen und verließ 
Piſa noch in der Nacht, entſchloſſen, mich durch 
neue Reiſen von der Fatigue dieſes Stilllebens zu 
erholen. 


— — — — 


Drittes Buch. 


.. 


9. 


Mein gewöhnliches Reiſeleben nahm denn nun 
wieder ſeinen Anfang. Schon in Venedig traf ich 
den Fürſten, der in Paris durch meinen Kammer— 
diener erfahren hatte, daß ich mich von Friedrich 
getrennt habe und wieder reiſen würde. Dieſen 
Zeitpunkt hatte er abgewartet, um mir aufs neue 
ſeine Dienſte anzubieten, die mir ſehr willkommen 
waren. Ich liebte ihn nicht, aber ich war ge— 
wöhnt an ihn, ich hatte ſogar eine Art von Vor— 
liebe für ihn bekommen und ſeine Zufriedenheit 
war mir nicht indifferent. 

Ich klagte ihm, wie ich wieder um eine Illu— 
ſion ärmer geworden, jetzt reiſen müſſe, ohne Un— 
terbrechung, bis ich den Rechten entdeckte, und bat 
ihn, mir ſeine Begleitung zu gönnen, da ich viel— 
leicht gezwungen ſein könnte, meiner Recherchen we— 
gen Europa zu verlaſſen. Er war bereitwillig dazu 
wie immer. Es lag etwas wahrhaft Chevaleres— 
kes in dieſer Beharrlichkeit, das ich ſehr eſtimirte. 

Wir durchſtreiften noch einmal Italien, Frank— 

7 + 


— 148 — 


reich, Deutſchland, damit vergingen einige Jahre; 
ich machte einen Reiſeverſuch nach Norden, aber 
vergebens! — Die Herzen der Skandinavier ſind 
von einer impatientirenden Kälte, ich fühlte, dies 
ſei kein Feld für meine Beſtrebungen, und drehte 
bald wieder um. Wir gingen nach Rußland und 
England; aber Länder, in denen die Männer aus 
Zärtlichkeit ihre Frauen züchtigen und aus Ueber— 
druß mit einem Stricke um den Hals verkaufen, 
hatten keine Reize für mich, boten mir keine Hoff— 
nung auf Succeß. Ich war förmlich decouragirt. 
Ich ſah bleich und leidend aus, meine Kräfte wa— 
ren uſirt, meine Nervoſität nahm zu und meine 
Lebensgeiſter waren dermaßen deprimirt, daß der 
Fürſt, von dieſem état de langueur das Aergſte 
befürchtend, mir einen decidirten Wechſel von Klima 
und Zuſtänden proponirte, um mich neu zu animiren. 

Wir gingen durch die Türkei und Griechenland 
nach dem Orient. O, welche Sympathie flößte 
er mir ein. Nie, niemals hatte ich zwiſchen Him— 
mel und Erde Etwas gefunden, das mir mit mei— 
ner Seele zu correſpondiren geſchienen hätte, nie 
ein Emblem für meine Seele entdeckt. Jetzt lag 
es vor mir da. 

Ja, die Wüſte war das Bild meiner Seele! 
Immens, leer, von glühendem Sonnenbrande ver— 


dorrt, tödtlich dem Pilger, der ſie glaubensvoll be— 
tritt, und deſſen Daſein ſpurlos verlöſchend; ohne 
Blüthe, ohne Erquickung für den Menſchen, voll 
trügeriſcher Phantome, die ihn verlocken, um ihn 
zu vernichten. — O, die unabſehbare Wüſte war 
das Bild meiner immens leeren Seele! 

Ich warf mich auf den Boden nieder, ich küßte 
die glühende Erde, ich fühlte mich in meiner Hei— 
tath. Die Nomaden, die heute hier und morgen 
dort das luftige Lager etabliren, wie homogen wa— 
ren ſie meinen eignen Alluren, wie ähnlich ihr 
Leben dem zigeunerhaften Umherziehen der großen 
Welt, das ſo ſehr bon genre iſt. Der Orient 
entzückte, inſpirirte mich, die wunderbaren urtypi— 
ſchen Männernaturen imponirten mir, indeß hier 
konnte ich nicht einmal zu ſuchen wagen, weil bei 
der mohammedaniſchen Uncultur der Geiſter auf 
jene Blüthe des Seelenlebens gar nicht zu rech— 
nen war, die ich als Reſultat erſtrebte. 

Eines Abends hatten wir unſer Lager bereits 
wieder etablirt, die Kameele waren abgezäumt und 
ruhten in der Nähe meines Zeltes, der Kavaß 
ging geräuſchlos hin und her, die Zurüſtungen für 
unſer Souper zu machen. Ich lag auf meinen 
Polſtern, der Fürſt hielt an der Thüre Wache. 
Rund um uns her waren die Feuer angezündet, 


— 150 — 


in deren rother Beleuchtung die Burnus der Ara— 
ber erglänzten, welche unſere Escorte bildeten. Der 
Himmel mit ſeinen goldenen Sternen ruhte wie ein 
ſuperber Baldachin über uns, und Nichts unterbrach 
die ſublime Stille, als das Heulen der Schakals. 

Der Ton drang mit terribler Gewalt in meine 
Seele. — So, gerade ſo rief es oft wild, kla— 
gend und furchtbar in der Wüſte meiner Seele 
nach dem Rechten — und ich fand ihn nicht. All 
dieſe Reiſen waren ja nur Verſuche, ihn zu finden, 
mein Leben epanchirte ſich in dieſen Verſuchen, 
ich hatte nur Diſtractionen, nur temporäre Occu— 
pationen gefunden und jetzt ſeit Jahren mich einer 
Art von Indolenz ergeben, die aus gänzlicher Ver— 
zweiflung entſprungen war. Hier in der Wüſte, 
in der ſublimen Stille der Nacht, ward mir ur— 
plötzlich wieder der Glaube an die intenſive Macht 
meines Naturells und der Vorſatz rege, noch ein— 
mal das Werk zu beginnen. Das Andenken des 
edeln Robert Bruce ſchwebte vor meinem Geiſte, 
der durch eine, den zerriſſenen Faden immer neu 
knüpfende Spinne zu perſeverirender Thatkraft 
angeſpornt wurde, nachdem er ſchon förmlich de— 
couragirt geweſen war. 

Ich nahm die ganze Energie des Geiſtes zu— 
ſammen und fragte mich, was bleibt mir jetzt zu 


— 151 — 


thun? Die chriftlich europäiſche Civiliſation, die 
orientaliſche Polygamie ſind es nicht, welche den 
Gottmenſchen der Liebe hervorbringen, den ich fin— 
den muß. Europa entnervt durch Lurus und 
macht kalte Raiſonneurs aus den Männern, die 
philoſophiren, von Principien ſchwatzen, Anſprüche 
machen, wo man nur das Nieendliche empfinden 
ſoll. Der Orient, der Mohammedanismus ſtehen 
auf dem tiefſten Punkte der Entſittlichung, denn 
das Weib, dieſer Mittelpunkt der Creation, iſt 
Sklavin der männlichen Willkür, wie der Mann 
es ſein ſollte der weiblichen Caprice. Es muß 
einen normalen Zuſtand geben, ſagte ich mir, der, 
unberührt von der Civiliſation, eine naturgemäße 
Poſition der Geſchlechter gegeneinander zeigt; in 
dieſem normalen Zuſtande allein kann ſich der 
Culminationspunkt der Liebe präſentiren. Es lag 
in meinem Charakter neben aller Eleganz der 
Weltfrau ein gewiſſes ſauvages je ne sais quoi, 
das mir immer die Cooper'ſchen, wohlgewaſchenen, 
durch die Liebe dreſſirten, nobeln Wilden intereſ— 
ſant gemacht hatte. Ich glaube nicht daran, daß 
ſie ausgeſtorben ſeien; ich hoffte noch einen Deſcen— 
denten dieſer edlen Race zu entdecken, ich ahnte, 
in ihm könne ich den Rechten finden. 

Wie ein Lichtſtrahl fiel dieſer Gedanke in meine 


— 152 — 


Seele. Ich rayonnirte von der animirenden Hoff— 
nung und rief den Fürſten, um ihm meine Ideen 
mitzutheilen. Als der Fürſt aufſtand und mich 
erblickte, ſagte er, ganz bewildert von dem neuen 
Leben, das aus der ſammetweichen Iris meines 
Auges ſtrahlte: „Aber, meine Gräfin! was haben 
Sie begonnen, Sie ſehen aus, als hätten Sie 
aus dem Quell der Jugend getrunken, Sie ſind 
wieder die blendende, fascinirende Diogena, die 
ich zuerſt in Baden-Baden erblickte. Das ſind 
nun doch faſt ein zehn Jahre her.“ 

Das Entzücken des Fürſten freute mich, aber 
ſeine letzte Aeußerung machte mich penſive. Zehn 
Jahre! ein Decennium raſtloſer, vergeblicher An— 
ſtrengungen — O, welch ein trauriges Loos war 
mir geworden! Ich geſtand mir, daß ich ſieben und 
zwanzig Jahre alt, daß ich nicht fern von der äu— 
ßerſten Grenze der Jugend ſei. Das deeidirte mich, 
um ſo ſchneller an die Realiſirung meines Pla— 
nes zu gehen. 

Ich ſetzte ihn dem Fürſten auseinander, er hatte 
Capacität genug, ihn zu begreifen, obgleich er ihm 
nicht vollkommen angenehm war. Indeſſen mir zu 
folgen, war ſeine Vocation, wir erkannten es 
Beide dafür und ließen die Kameele am nächſten 
Morgen auf der Straße nach Kairo retourniren. 


— 153 — 


Wir durchflogen Meere und Länder, Nichts 
reizte mich mehr, ich hatte ja ſchon Alles geſehen, 
und oft kam mir Lord Ermanby's Ausſpruch in 
den Sinn, „man kann ja nicht immer wieder von 
Neuem anfangen zu bewundern.“ In kürzeſter 
Zeit erreichten wir Deutſchland und den Rhein. 
Die Anweſenheit eines Monarchen hatte die ganze 
ſchöne Welt an ſeinen Ufern verſammelt. Eines 
Tages ſaßen wir in Koblenz an der table d’höte, 
der Fürſt und ich. Plötzlich ſehe ich den Erſtern 
erbleichen und höre, wie er ſich bei dem Kellner 
erkundigt, ob keine andern Plätze für uns zu ha— 
ben wären. 

„Und was misfällt Ihnen an dieſen, lieber 
Fürſt?“ fragte ich graziös lächelnd. 

„O, ich meine wegen des vis-à-vis!“ entgeg— 
nete er verlegen. 

Ich nahm mein Lorgnon und blickte hinüber, 
da ſaß Graf Bonaventura, mein Mann, mit Au— 
rora Elsleben, die er geheirathet hatte, wie ich 
wußte. Bonaventura ſchien überraſcht und bewegt; 
Aurora war in fichtlicher Unruhe, man ſah Bei— 
den die Emotion ihres Innern an. Mich ließ es 
ganz kalt. Ich dachte an das Begegnen von des 
Fürſten Mutter, Gräfin Cornelie, mit ihrem frü— 


hern Geliebten Lenor Brand, und richtete mein 
7 vr 


— 154 — 


Lorgnon, als ob es gleichgültige Bekannte wären, 
freundlich grüßend, feſt auf die mir Gegenüberſitzen— 
den. Und in der That, was iſt uns ein Mann, 
den wir nicht mehr lieben? Warum haftet man 
an Impreſſionen des Herzens mit ſo ridiculer 
Conſequenz? Männer ſind für Frauen meines gei— 
ſtigen Ranges Mittel, ſich durch die Langeweile 
des Lebens zu kämpfen. Wer aber iſt thöricht 
genug, ein Ding feſthalten zu wollen in der Pie— 
tät des Andenkens, das ihm Nichts mehr iſt, weil 
er einmal glaubte, es könne ihm Etwas ſein? 
Dies ſind Schwächen kleinlicher Naturen, die mir 
vollkommen fremd ſind. 

Das Ehepaar war nicht auf dieſer Seelenhöhe. 
Sie hielten kaum die Hälfte des Diners aus 
und entfernten ſich. Der Fürſt athmete auf. „Meine 
Gräfin!“ ſagte er, „wie froh bin ich, daß der Graf 
ſich entfernte, ich litt für Sie.“ 

„Zu gütig!“ rief ich lachend, denn ich befand 
mich vortrefflich und hatte niemals beſſern Appetit. 

„So quälte Sie die Anweſenheit Ihres Man— 
nes nicht?“ 

„Sie war mir läſtig, als er noch mein Mann 
war, jetzt iſt ſie mir indifferent. Lernen Sie doch 
endlich die Göttlichkeit meiner Natur begreifen. 
Ich behalte Alles, was mir ſchmeichelt, ich igno— 


— 155 — 


rire Alles, was mir unbequem iſt. Ich lebe 
nur im Moment, und die Vergangenheit verſinkt 
ſpurlos in die Eisſchluchten meiner immenſen 
Seele, wie die unglücklichen Bergerſteiger in den 
Eisſpalten der Gletſcher. Das iſt der Vorzug 
einer immenſen Seele.“ 

„Und das wird auch mein Loos ſein?“ fragte 
der Fürſt. 

„O, gewiß! wenn ich Sie nicht mehr brauche, 
wenn ich einen Nemplacant für Sie habe, ohne 
Zweifel!“ rief ich mit entzückender Naivetät. 

Der Fürſt ſchien nachdenklich, aber ein ſüßer 
Blick meiner ſammetweichen Augen verſcheuchte ſeine 
Launen und er blieb wie immer befriedigt unter 
dem Lächeln meiner Huld. 

Wir fuhren den Rhein hinab und ſchifften nach 
London Uber, wo wir einen längern Aufenthalt 
machen mußten, uns für die projectirte Ercurſion 
nach Nordamerika zu arrangiren. Ich kaufte eine 
neue Equipage, auf deren Thüre ſtatt des Wap— 
pens mein Emblem, die troſtloſe Wüſte, gemalt 
war. Oben über dem Wagen war von Gold 
die Laterne des Diogenes, meine Laterne, ange— 
bracht, die ich aus einer gewiſſen Superſtition von 
jetzt an brennend zu erhalten beſchloß. Ich ließ 
mir und dem Fürſten paſſende Coſtume machen 


— 156 — 


und dann ſchifften wir uns auf dem Great-We— 
ſtern ein. 

Während der ganzen Reiſe verhielt ich mich ab— 
ſolut paſſiv, wie ein königlicher Tiger, der ruhig 
daliegt, bis die Zeit gekommen iſt, in der er ſein 
Opfer zu erreichen hoffen darf. Ich las alle Coo— 
per'ſchen und Sealsfield'ſchen Romane, um die Sit— 
ten der Wilden kennen zu lernen, ſtudirte die Sprache 
der Delawaren, und lernte alle Reden auswendig, 
welche Barthenia in Halm's miraculoſem Sohn der 
Wildniß, dem Tektoſagen-Häuptling Ingomar, hält. 

So vorbereitet landete ich in Neuyork und trat 
meine Excurſion in das Innere an. Man muß 
jetzt in Amerika lange reiſen, ehe man Wilden be— 
gegnet; die Welt iſt terribel civiliſirt, nirgend mehr 
ein Zug lieblicher Sauvagerie. Als wir bis zu 
den Grenzen der von Europäern bewohnten Ge— 
genden gekommen waren, ließ ich meine Equipage 
in einem der Blockhäuſer und veränderte mein Co— 
ſtume in der Weiſe, daß es dem der Myrrha im 
unterbrochenen Opferfeſte einigermaßen nahe kam. 
Der Fürſt legte ein bequemes Jagdkleid an, nahm 
ein Paar Piſtolen, eine Flinte und ein Seitenge— 
wehr mit ſich, und ſo gingen wir, von einem 
Führer geleitet, den Urwäldern zu. 

Als ich im Blockhauſe zum letzten Male in 


zu = 


den Spiegel ſchaute, mußte ich mir ſelbſt bekennen, 
daß ich unwiderſtehlich ſei. Ich ſah vollkommen 
wie eine indianiſche Squaw aus, ins Deutſch-Ari⸗ 
ſtokratiſche überſetzt. Denn ſelbſt in der leichten 
Bemalung meines Körpers, die aus lauter kleinen 
wunderlich verſchlungenen Laternchen beſtand, in 
dem Federſchmuck meines Hauptes, in meinen Fuß— 
und Armſpangen, wie in den Mokaſſins, welche 
der erſte Schuhmacher Londons gearbeitet hatte, 


lag die ganze reizende Nonchalance einer nobeln 
Gräfin. Ich trug einen Plaid, den ich für alle 
Falle mitgenommen hatte, einige Bouillon-Tafeln 


und verſchiedene Confituren in einem Körbchen 


an dem rechten Arme. In der Linken hielt ich 


die brennende Laterne. 

Es war hoch am Tage, als das flache Land, 
die fetten Wieſengründe zwiſchen den Flüſſen ſich in 
Waldungen zu verwandeln anfingen. Die Erha— 
benheit dieſer Urwälder wirkte gewaltig auf mich. 
Rieſenbäume verſchlangen liebend ihre Aeſte zu 
einem feſten Dache, Blumen rankten ſich daran 
empor und hingen wie Sterne von den höchſten 
Zweigen hernieder. Ein Teppich von weichem 
Mooſe bewegte ſich elaſtiſch ſelbſt unter meinem 
federleichten Tritte. Einzelne Vögel wiegten ſich 
in ruhiger Sicherheit auf den Aeſten und ein 


„ 


wunderbarer Duft voll entzückender Friſche wehte 
durch die Luft. 

Niedergeworfen von dieſer Erhabenheit, ſank ich 
in das Knie; unwillkürlich falteten ſich meine 
Händchen zum Gebete, und auf Delawariſch ſagte 
ich: O! Du mein Gott! der Du jeder Creatur 
das Glück der Exiſtenz gewährſt, der Du jedem 
Thiere ein Genügen gönnſt, Du wirſt ein Auge 
haben für eine Gräfin aus altem Hauſe, Du 
wirſt ihr geben, was ſie bedarf, ein immenſes, 
nie dageweſenes Glück für ihre immenſe Seele! — 
O! es wäre unbarmherzig, es wäre ein immen— 
ſes Unrecht an meiner Seele, könnteſt Du es mir 
verſagen. 

Ich erhob mich neugeſtärkt durch die Conviction 
der Erhörung. Ich war froh geworden und harm— 
los wie ein Kind. Ich fand die neue Poſition 
entzückend und ſah mit klopfendem Herzen dem 
erſten Wilden entgegen. Unſer Führer, der feit 
Jahren Handel trieb zwiſchen den letzten Block— 
häuſern und den erſten Wigwams, berichtete uns, 
daß wir uns einem ſolchen näherten. 

Als es dunkel ward, hörte ich plötzlich einen 
leiſen Ton, als ob ein ſcheues Reh durch die 
Zweige ſchlüpfe. Der Führer gab ein Zeichen 
durch eigenthümliches Pfeifen, ein ähnlicher Laut 


— 159 — 


antwortete ihm, und wie aus der Erde hervorge— 
zaubert, ſtand die Geſtalt eines Kriegers vom De— 
lawarenſtamme vor uns. 

Ich hob die brennende Laterne in die Hohe und 
nahm mein Lorgnon, das ich natürlich nicht zurück— 
gelaſſen hatte, um ihn zu beobachten. Es war 
eine Geſtalt wie ein jugendlicher Antinous aus 
rothem Granit. Schwarze ruhige Augenſterne 
tauchten aus der weißen Iris mit miraculöfer In— 
tenſität hervor, die Nüſtern ſeiner Naſe hoben ſich 
ariſtokratiſch ſtolz, wie bei einem jungen Schlacht— 
roſſe; ich ſah, ich hatte keinen gemeinen Krieger, 
ich hatte einen Häuptling vor mir. Da er füh— 
len mochte, daß ihm von uns keine Gefahr drohe, 
hielt er ſich ruhig und erwartete die Anrede un— 
ſers Führers. 

„Warum iſt Coeur de Lion nicht bei ſeinem 
Volke im Wigwam, ſondern einſam ſtreifend zu 
dieſer Stunde?“ fragte der Führer. 

„Weil die Blaßgeſichter ihm den Frieden an 
ſeinem Feuer genommen haben, weil ihre Hab— 
ſucht ihm das Land ſeiner Väter misgönnt.“ 

„Aber das Kriegsbeil iſt begraben,“ ſagte der 
Führer. | 

„Die Blaßgeſichter willen, wo es liegt, und kön— 
nen es ausgraben zu jeder Stunde. Was wollen 


Bu 


der Jäger und die weiße Squaw in dem Schat— 
ten dieſer Wälder?“ 

„Sie wollen wandern durch das Land des De— 
lawaren hinab zu den großen Seen, und haben 
die Kleidung der rothen Leute angelegt, zu zeigen, 
daß ſie in friedlicher Abſicht kommen.“ 

Coeur de Lion ſah uns prüfend an, die Waffen 
des Fürſten ſchienen ihm Zweifel zu erregen; da legte 
ich mich in das Mittel und ſagte delawariſch: „Iſt 
Coeur de Lion kein Sohn feines Volkes, daß er ei 
nem müden Weibe das Blätterlager und das Feuer 
ſeines Heerdes verſagt, wenn ſie ihn darum bittet?“ 

„Komm!“ rief er, „und folge mir! Du haſt 
die Haut der Blaßgeſichter, aber Deine Zunge re— 
det unſere Sprache und Deine Augen ſind flam— 
mend und nächtlich dunkel, wie die großen Sterne 
am Himmel der Nacht. Laß die Männer zurück 
und Du ſollſt mit mir gehen zu dem Wigwam 
unſeres Volkes in das Zelt unſerer Weiber.“ 

Der Fürſt hatte ein zauderndes Bedenken, ich 
war ohne alle Apprehenſion. Mit voller Zuverſicht 
ſagte ich Coeur de Lion, er möge vorgehen und 
ich wolle ihm folgen. Dieſes Vertrauen ſchien 
ihn ſtolz zu machen. Er ſtieß jenes eigenthümliche 
„Hugh“ aus, mit welchem die Indianer alle ihre 
Emotionen bezeichnen, und ging vor mir dem tie— 


— 161 — 


fen Walde zu. Aber kaum waren wir einige 
Schritte gegangen, als mir glücklicher Weiſe ein— 
fiel, daß mein sale volatile und meine Nägelbürſte 
in dem portativen Neceſſaire des Fürſten geblieben 
waren. Ich drehte alſo um, es mir zu holen, 
und ſchritt dann mit meinem Begleiter ruhig und 
anfangs ſchweigend vorwärts. 

Es waren myſteriöſe Senſationen, welche durch 
meinen Geiſt wogten. Tiefe Nacht und tiefe 
Stille lagerten ſich über die Erde, nicht einmal 
unſere Fußtritte waren hörbar auf dem weichen 
Mooſe. Durch dichtes Geſträuch führte mich Coeur 
de Lion mit einer Sicherheit, als ob wir im 
Bois de Boulogne ſpazierten. Vorſichtig bog er 
jeden Zweig zurück, der mich hindern konnte, und 
blickte mich an, als wolle er ſehen, ob ich Nichts 
entbehre. Ich hatte im Cooper geleſen, daß die 
Indianer die Schweigſamkeit auf Märſchen eſti— 
miren und richtete danach mein ganzes Maintien 
mit jener vornehmen Entſchloſſenheit ein, die ei— 
gentlich ein angeborenes Zeichen der Ariſtokratie 
iſt. Dies imponirte dem jungen Häuptlingsſohne, 
denn daß er dies wirklich ſei, hatte der Führer 
uns mitgetheilt. 

Wir waren wol ſchon anderthalb Stunden ge— 
gangen, mich fing zu durſten an und ich verzehrte 


— 162 — 


heimlich etwas chocolat praliné, als der Delaware 
ſich umwendete. „Die Füße der weißen Frau ſind 
klein und der Weg iſt lang,“ ſagte er, „wird ihre 
Kraft reichen, ſie bis zum Wigwam zu bringen?“ 

„Wenn der Häuptling die Straße ſieht in der 
Dunkelheit der Nacht, daß er die weiße Frau nicht 
irre führt, ſo ſoll ihre Kraft die Squaws ſeines 
Volkes beſchämen.“ 

„Der Delaware kennt ſeine Straße und die Au— 
gen der weißen Frau können ſie ihm erleuchten, 
denn ſie ſind hell!“ entgegnete er. 

Mein Herz klopfte in vorahnender Freude. O! 
dies war eine Erhörung meines heißen Gebetes. 
Gleich in dem erſten Wilden, dem wir begegneten, 
ſandte er mir den Erſehnten entgegen. Die Zei— 
chen konnten nicht trügen. Warum war es ein 
Fürſt ſeines Volkes, der an jenem Abende die Wacht 
in den Wäldern hielt, wenn ihn nicht ein günſti— 
ges Geſchick in meinen Weg ſchicken wollte. Ja, 
nur die ungebrochene Kraft des Männerherzens 
konnte die Blüthe der Liebe erzeugen, die ich ſuchte. 
Wohl war ich Friedrich's erſte Liebe geweſen, wohl 
hatte er mir die friſche Gluth ſeines Herzens ge— 
weiht, aber nur ſein Herz war mein. Sein Geiſt 
gehörte nicht mir allein, es lebte noch Etwas in 
ihm außer mir, er hatte Erinnerungen, Intenſio— 


— 163 — 


nen, Plane, die nicht mit mir zuſammenhingen. 
Das war ein Malheur. Dieſes Delawaren Seele 
war rein, ein leeres Blatt, ein großer Tempel, auf 
deſſen Altar nur die Gottheit fehlte — er war es 
werth, in ſeiner friſchen Naturwüchſigkeit, das Bild 
Diogenens allein in ſich aufzunehmen. 

In tiefer Mitternacht langten wir vor dem Wig— 
wam an. Einzelne Feuer brannten umher, die 
Wölfe fern zu halten. Das rothe Licht der Flamme 
beleuchtete magiſch die dunkeln, grünen Baum— 
hallen, die Zelte ſahen wie davon vergoldet aus. 
Ein leiſer Anruf der Wachen und wir ſchritten in 
das Lager ein. 

Coeur de Lion führte mich an eines der größern 
Zelte, hob das Bärenfell empor, das davor her— 
unterhing, und hieß mich eintreten. Er ſchritt mit 
einer brennenden Kienfackel neben mir und ſchickte 
die anweſenden Weiber und Kinder heraus. „Hier 
iſt die weiße Frau ſicher, wie in dem Hauſe ihres 
Vaters,“ ſagte er, ſteckte die Fackel zwiſchen das 
Laubgeflecht der Innenwand und wollte ſich entfernen. 

Dies war gegen meine Erwartung. Ich ge— 
ſtand ihm, daß ich lange keine Speiſe erhalten hätte 
und daß ich deren bedürfte. Er ging hinaus und 
kehrte bald mit einem geröſteten Rehrücken, einem 
Kruge Waſſer und einer Flaſche Arack zurück. 


Se 


In dem Hintergrunde der Höhle befand ſich ein 
duftiges Lager von friſchem Saſſafras, auf dem 
ich mich niederließ. Draußen um das Zelt hatten 
ſich indeß eine Menge neugieriger Männer und 
Weiber verſammelt, die nur durch die Autorität 
des Coeur de Lion von dem re zurückge— 
halten wurden. 

Ich nöthigte den jungen Häupl ſich neben 
mich niederzuſetzen und dies frugalſte aller Sou— 
pers mit mir zu theilen. Er that es, und ich ver— 
ſuchte ihm geiſtig näher zu treten, während wir aßen. 

„Warum kehrt keine der Frauen zurück, die weiße 
Frau zu begrüßen unter dem Wigwam ihres Häupt— 
lings?“ fragte ich. 

„Coeur de Lion hat keine Frau, und auch die 
Frauen ſeines Vaters ſind todt. Seine Mutter 
iſt heimgegangen in die Wohnungen des großen 
Geiſtes und die andere iſt getödtet worden, weil ſie 
ungehorſam war den Befehlen ihres Mannes.“ 

„Und der junge Häuptling hat keine Todten— 
klage für ſie? Er hat keine Liebe für ſie?“ 

„Was iſt das, Liebe?“ fragte er, während er 
mit miraculoſer Gourmandiſe die Knochen des 
Rehes benagte. 

Dieſe Frage elektriſirte mich. Sie war das 
Stichwort, das Centrum aus Halm's Sohn der 


— 165 — 


Wildniß, und mit Parthenia antwortete ich ſo— 
gleich: | 


Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein 


Schlag! — 


Ich hatte von dem Herzensinſtinkt des Häupt— 
lings erwartet, daß er nun wie der Tektoſage In— 
gomar weiter mit Fragen über dies intereſſante 
Sujet in mich dringen werde, aber ſo war es nicht. 
Ach! das Leben bleibt überall hinter unſern gerech— 
teſten Prätenſionen zurück. Der junge Wilde ſah mich 
ganz bewildert an, ſchlang ein horribles Stück des 
Rehes hinunter und trank die Hälfte des Aracks dazu. 

Aber ich wollte mich nicht decouragiren laſſen, 
obgleich dieſe Verocität des Jünglings mir ſo de— 
goutant erſchien, daß ich zu meinem sale volatile 
meine Zuflucht nehmen mußte; galt es doch die 
Entwickelung einer primitiven, nobeln Natur zu 
unſerer Beider höchſtem Glücke. 

„Hat Coeur de Lion nie daran gedacht, ein Weib 
zu ſuchen, die ihm ſein Haupthaar flechte und ſei— 
nen Kopf ruhen laſſe auf ihren Knien, wenn er 
heimkehrt, beladen mit der Beute der Jagd und 
dem Wampum, geziert mit den Skalpen ſeiner be— 
ſiegten Feinde?“ 

„Es iſt noch nicht Gras gewachſen auf dem 
Grabe ſeines Vaters,“ antwortete er, „aber ehe 


— 166 — 


es hoch genug iſt, die Sohle ſeines Mokaſſin zu 
bedecken, wird Coeur de Lion ſich Weiber gefun— 
den haben; denn der Weiber ſind viele und der 
Häuptling beſitzt Felle und Reichthum genug, ſich 
die ſchönſten zu kaufen.“ 

„Und wenn aus den Wolken hernieder, aus den 
Wohnungen des großen Geiſtes ein Weib hernie— 
derſtiege in den Wigwam des Häuptlings, ihm ge— 
ſandt vom großen Geiſte, eine ſchöne weiße Frau, 
um in freier Liebe, ohne Kaufpreis ſein eigen zu 
ſein, was würde der junge Häuptling ihr bieten?“ 

Mein Herz zitterte vor ſeiner Entſcheidung, dieſe 
Antwort mußte mir ausdrücken, auf welcher Stufe 
geiſtigen Developements er ſtände. Er ſah mich an 
mit einem Ausdruck gänzlichſter Bewilderung, er 
hatte mich gar nicht verſtanden. O, in ſolchen Po— 
ſitionen hat die Civiliſation doch ihr Gutes. Es 
iſt ſo ſüß, verſtanden zu werden. Meinem jungen 
bewilderten Wilden mußte ich es deutlicher machen. 

„Coeur de Lion,“ ſagte ich, ein unbarmherzi— 
ger Häuptling, dem mich mein Vater verkaufte, 
hat mich verjagt aus ſeinem Wigwam und mein 
Volk hat mich verſtoßen.“ 

„Ein Weib, das ihr Herr verjagt, verdient 
nicht mehr zu leben bei ihrem Volke, Dein Volk 
hat recht gethan,“ entgegnete Coeur de Lion. 


3 


„Aber die weiße Frau irrt heimathlos durch 
die Wälder und ſucht ein neues Leinwandhaus 
und einen neuen Herrn. Will Coeur de Lion ſie 
behalten und ſie ſeine Magd ſein laſſen an ſei— 
nem Feuer?“ 

Der Häuptling fuhr auf von dem Lager, eine 
plötzliche Gluth loderte in ihm empor. „Die weiße 
Frau gefällt dem Auge des Häuptlings, ſie ſoll 
bei ihm bleiben,“ ſagte er. „Sie ſoll ſein Waſ— 
ſer ſchöpfen, ſein Kornfeld hacken und ſein Wild— 
pret kochen, ſie ſoll ihn pflegen, wenn er von ſei— 
nen Kämpfen heimkehrt, ſie ſoll ſein Weib werden, 
und ſeine Kinder tragen auf ihrem Rücken, und 
er wird ſchlafen in ihren Armen.“ 

Coeur de Lion ſchwieg, und ich wartete doch 
auf die Fortſetzung ſeiner Rede, auf die Aufzäh— 
lung der Compenſationen, die er mir dafür zu— 
denke, aber er war zu Ende, wie es ſchien. So 
mußte ich mich entſchließen zu ſprechen. 

„Und was wird Coeur de Lion der weißen 
Frau dafür gewähren, wenn ſie ſein Waſſer ſchöpft, 
ſein Kornfeld hackt und ſein Wildpret kocht?“ 
fragte ich. 

„Sie ſoll ſich wärmen an ſeinem Feuer, ſie ſoll 
ſich ſättigen von den Ueberbleibſeln ſeines Mahles 
und ſie ſoll ſein Weib ſein.“ 


— 168 — 


„Und wird er ſie lieben, wie er den großen 
Geiſt liebt, wird er ſie ehren und anbeten wie ihn?“ 

„Der Delaware ehrt den großen Geiſt, denn 
der große Geiſt iſt furchtbar und kann ihn ſtrafen 
und ihn vernichten; aber der Delaware ehrt nicht 
ein Weib, denn es iſt ein ſchwaches Weib und er 
verachtet die Schwäche.“ 

„Und wird der Delaware kein Weib kaufen, 
wenn die weiße Frau ſein Eigenthum wird?“ 

„Die weiße Frau iſt ſchön und gefällt dem jun— 
gen Häuptling,“ antwortete er, „aber es find ſchon 
viele Lenze und viele Winter über ihrem gelben 
Haupthaare hingezogen. Er wird ſie behalten, ſo 
lange ihr Haar gelb iſt und ſie ſeinem Auge ge— 
fällt, und wenn ihr Haar grau wird, will er ſie 
nicht tödten, ſondern ſie leben laſſen und jüngere 
Frauen kaufen.“ 

Mir ſchauderte vor dieſer unbezwingbaren Ro— 
heit. O, wo blieben meine Hoffnungen! was fand 
ich in dieſer horribeln Realität von den Idealen 
Cooper's? Wo fand ich die Perfectibilität des jun— 
gen Tektoſagenhäuptlings? Ich begriff die ge— 
ſchmackloſe Unwahrheit jenes Gedichtes, ich fluchte 
ihr, denn fie hatte mit zu meiner Excurſion bei— 
getragen. Ich verzweifelte daran, dieſen Barbaren 
in fo viel Monaten zu civiliſiren, als Parthenia 


— 169 — 


Secunden gebraucht hatte. Ich ſollte Waffen und 
Kinder tragen, Sklavin ſein! und der Tektoſage 
trug für Parthenia ein Körbchen Erdbeeren und zer— 
brach ſeine Waffen, ihr ein Feuer daraus zu machen! 

Ich konnte die Thränen nicht unterdrücken, Thrä— 
nen des Zornes, der bitterſten Enttäuſchung. Coeur 
de Lion ſah es. Er trank den Reſt ſeines Aracks 
hinunter und ſagte, ſich zu mir wendend und ſeine 
Arme nach mir breitend: „Warum weint die weiße 
Frau? Der Häuptling will ſie ja behalten und gleich 
jetzt ſollen die Männer ſeines Volkes den Hochzeits— 
geſang für ihn anſtimmen. Noch an dieſem Tage, 
deſſen Sonne emporſteigt, ſoll ſie ſein Weib werden.“ 

Mit tiefer Indignation über feine Inſolenz ſtieß 
ich ihn von mir, er ſchien dies nicht zu achten 
und fragte mich verwundert: „Warum weigert 
ſich das Blaßgeſicht, mein Weib zu werden, da es 
zu mir kam in dieſer Abſicht?“ 

Ich war außer mir, ich empfand, daß er nicht 
eine Ahnung habe von den erhabenen Intentio— 
nen, welche mich in die Wälder geführt hatten, 
ich warf mich vor ihm nieder, umklammerte ſeine 
Kniee und ſagte ihm Alles, was mein Herz mir 
eingab. Ich ſprach von dem Leid verkannter Frauen- 
herzen mit der Inſpiration einer Prophetin, er ver— 
ſtand es nicht. Ich blickte nach der Thüre und 

8 


— 170 — 


dachte an Flucht. Der Delaware beobachtete mich 
ſcharf, er ſchien meine Gedanken zu errathen. 
„Coeur de Lion iſt leichtfüßig wie der Hirſch und 
ſein Auge ſcharf wie das Auge des Luchſes. Wo— 
hin will das weiße Weib ſich flüchten, ohne daß 
er ſie entdeckte und einholte?“ ſagte er lächelnd. 
Da faßte ich eine Reſolution. Ich ergriff den 
Tomahawk, der in der Ecke lehnte, und rief, ich 
wolle mich tödten. Und wieder lachte der Barbar 
höhniſch bei den Worten: „Die Hand der weißen 
Frau iſt klein und der Tomahawk iſt ſchwer.“ 
Er nahm ihn mir ſpielend aus den Händchen 
und band mir dieſe auf den Rücken zuſammen. 
Dann ſah er mich ruhig an und rief, indem er 
hinausging: „Die weiße Frau zieht morgen mit 
uns in das Innere der großen Wälder zu den 
Winterquartieren des Volkes. Drei Tage wird der 
Häuptling warten, ob ſie ihn bittet, ſein Weib zu 
werden; am vierten Tage wird ſie ſterben, wenn ſie 
es weigert, denn Coeur de Lion iſt kein Blaßgeſicht, 
das erzittert vor den Thränen eines Weibes.“ 
Die Angſt, die Qualen dieſer drei Tage waren 
über jede Schilderung groß, und nirgend eine Aus— 
ſicht auf Rettung. Ich war meines Erfolges in 
der Männerwelt ſo gewiß geweſen, daß ich den 
Fürſten gebeten hatte, mich ruhig im Blockhauſe 


— 171 — 


zu erwarten. Ich ſah nur zwei Auswege, beide 
gleich entſetzlich. Ich konnte mich nicht entſchlie— 
ßen, die Frau dieſes Barbaren zu werden, deſſen 
unſoignirte Hände mir ein Horreur waren, wie 
ſein Branntweintrinken und ſein Tabackrauchen; 
und ich wollte nicht ſterben. Ich war ja noch 
jung und meine Miſſion noch nicht zu Ende, ich 
hatte ja den Rechten noch nicht gefunden, die La— 
terne des Diogenes durfte noch nicht erlöſchen. 
Die Nacht des vierten Tages war ihrem Ende 
nahe. Mit wunden Füßchen ruhte ich in dem 
Zelte des Häuptlings, umgeben von einigen Wei— 
bern des Stammes, deren wüſtes Schnarchen 
mein Ohr beleidigte. Man hatte mich gezwungen, 
bei den Vorkehrungen zu den Mahlzeiten zu hel— 
fen, ich hatte kochen, Waſſer tragen und Arbeiten 
verrichten ſollen, von denen meine Händchen blu— 
teten. Wie wenig glichen ſie jetzt weißem Mouſſe— 
lin mit Roſa⸗Taffet gefüttert. Die forcirten Märſche, 
die widerwärtigen Nahrungsmittel, die ich, durch 
Hunger gezwungen, zu mir nehmen mußte, hatten 
meine Nervoſität auf das Höchſte geſteigert. Ich 
fieberte und drohte den Fatiguen und der Angſt 
meiner immenſen Seele zu unterliegen. Todes— 
bang ſpähte ich nach der Thüre und ein Schrei 
der Verzweiflung rang ſich aus meiner Bruſt, als 
8 * 


— 172 — 


die erſten Schimmer des Tages in das Zelt fielen 
und der Häuptling eintrat. 

Die Körper- und Seelenleiden mochten meine 
Schönheit alterirt haben. Der Häuptling blickte 
mich prüfend an, und wendete ſich dann mit ei— 
nem Blicke von mir ab, den ich mir nicht zu deu— 
ten wußte, während er befahl, die Zelte abzubre— 
chen und ſich zum Marſche zu rüſten. In wenig 
Momenten war dieſer Befehl executirt. Die Wei— 
ber beluden ſich mit dem Gepäcke und machten 
ſich auf den Weg, die Krieger gingen theils vor— 
aus, theils zur Bedeckung hintennach. 

Von mir nahm Niemand Notiz ich blieb allein 
zurück mit dem Häuptlinge, ahnend, daß er mei— 
nen Tod nun vollziehen werde, wenn ich länger 
ſeinen Wünſchen Widerſtand leiſtete. 

Wie ein ſtrenger Richter, wie ein junger Kriegs— 
gott im Stolze ſeiner vollkräftigen Männlichkeit 
ſtand er vor mir. Ich mußte, ſo ſehr ich ihn 
fürchtete, mir in dieſem Momente geſtehen, daß er 
von admirabler Schönheit und ſein Maintien, ſo 
weit es bei einem Wilden möglich, vollkommen 
das eines Gentlemans ſei. Weinend warf ich 
mich ihm zu Füßen — O! das war ein ſchwerer 
Moment. Ich, die göttliche Gräfin Diogena, vor 
der die Elite der civiliſirten Nationen gekniet, kniend 


— 173 — 


zu den Füßen eines hochmüthigen, unbezähmten 
Sohnes der Wildniß. Der ganze prächtige Stolz 
des ariſtokratiſchen Weibes revoltirte ſich dagegen 
und doch mußte ich knien. 

Er betrachtete mich und meine Thränen mit 
ſupremer Verachtung, dann ſagte er: „Das weiße 
Weib iſt in wenigen Tagen alt geworden und 
krank in der Freiheit der Wälder. Es iſt die 
friſche Luft des großen Geiſtes nicht werth, nicht 
mehr werth, das Weib des jungen Kriegers zu 
werden, der die kranke Frau nicht begehren kann. 
Sie kann nicht kochen und nicht die Waffen tra— 
gen, ſie weint und würde elende, feige Memmen 
gebären. Sie mag heimgehen zu den Städten der 
elenden Blaßgeſichter, für deren Männer ſie gut 
genug iſt, mit ihren zitternden Händen und ih— 
ren Thränen. Coeur de Lion wird ſich ein ge— 
ſundes, junges, ſchönes Weib ſeines Stammes 
kaufen. Die ſchwache, weiße Frau iſt ihm ein 
Greuel!“ 

Stolz wendete er ſich ab, rief einen alten Krie— 
ger ſeines Stammes herbei und befahl ihm, mich 
an das Blockhaus zurückzugeleiten. Faſt ſterbend 
erreichte ich es, der Fürſt kannte mich kaum wie— 
der. Tage und Wochen hindurch lag ich in ei— 


nem Zuſtande, der es nicht geftattete, mich nach 
8 * * 


— 174 — 


Neuyork zurückzubringen. Meine Seele litt mehr 
noch als mein Körper. 

Im Frühjahr war ich ſo weit geneſen, daß ich 
Neuyvyork verlaſſen konnte. Der Fürſt führte mich 
nach Bagneres. Meine Nervoſität war unglaub— 
lich, er blieb ewig voller Soins für mich, was 
ich natürlich in der Ordnung fand. Ich war 
ſehr ſauvage geworden, ich hatte eine Apprehenſion 
meinen Bekannten zu begegnen, wegen des Chan— 
gements, das in Folge aller meiner Aventuren 
in meinem Aeußern viſibel geworden war. Mein 
Körper war ſehr debil und doch lebte die alte 
ungeſtillte Sehnſucht in meiner Seele noch in all 
ihrer Intenſität. 

Ich fing an, Aſtronomie zu ſtudiren in der Ein— 
ſamkeit, in der ich lebte. Ich ſtrengte die ganze 
Kraft meines Geiſtes an, zu combiniren, ob ich 
vielleicht auf andern Sternen das Ziel meines 
Strebens erreichen könne. Ich las Alles, was 
über die Bewohner des Mondes geſchrieben iſt 
und erkundigte mich nach der Conſtruction eines 
Luftballons, um zu wiſſen, ob man dieſen mit 
Comfort für längere Reiſen verſehen könne. 

Bisweilen war ich unglaublich mauſſade, der 
Fürſt ſelbſt impatientirte ſich. Er war es müde, 
da er auch nicht mehr ganz jung war, den Cava— 


— 175 — 

liere ſervente zu machen, und ewig auf Reiſen 
und an den Ruheorten für meinen Comfort zu 
ſorgen, ohne ſelbſt den geringſten zu genießen. Er 
hatte jetzt oft Momente, in denen er mir Vor— 
würfe machte, über Langeweile klagte und davon 
ſprach, ſich auf ſeine Güter in Steiermark zurück— 
zuziehen, die er um meinetwillen negligirt hatte. 

Ein ſolcher Tag war es, an dem wir Beide 
moros daſaßen. Ich dachte über die Möglichkeit 
nach, den Rechten zu finden, und die ganze Troſt— 
loſigkeit des Alters dehnte ſich vor mir aus, wäh— 
rend ich mir es vergegenwärtigte, was aus mir 
werden ſolle, falls ich ihn nicht entdeckte. Ich war 
noch jung, aber durch Leidenſchaft und Strapazen 
ufirt, vollkommen paſſirt. Roſalindens Nachhilfe 
bei meiner Toilette wurde immer nöthiger. Meine 
immenſe Seele war leerer denn je. Ich fing bis— 
weilen an, zwiſchen meinen aſtronomiſchen Stu— 
dien, bei dem Scheine meiner ewig brennenden 
Laterne, die Bibel und andere Erbauungsbücher 
zu leſen. Ich ſuchte mit Verzweiflung die Spur, 
die Andeutung des Rechten in der Apokalypſe; 
ich dachte daran, ob vielleicht der Heiland der 
Rechte ſei, den ich zu finden verlangte. 

Mitten in dieſen Meditationen unterbrach mich 
der Fürſt mit der Nachricht der Einnahme von 


Ba, 


Canton, die er in einem Zeitungsblatte entdeckte. 
Ein Lichtſtrahl fiel in meine Seele. „Nach Can— 
ton!“ rief ich aus. 

Der Fürſt ſah mich an und ſagte ruhig: „Dann 
gehe ich nach Steiermark.“ 

Ich war empört. „Mein Freund,“ rief ich, „ſoll 
ich auch an der abſoluten Treue verzweifeln, da 
ich ſchon ſo unglücklich war, die rechte Liebe nicht 
zu finden? Sehen Sie, Sie dürfen mich jetzt nicht 
abandonniren, in China, jenſeits der großen Mauer, 
muß ich ihn finden. Es iſt incomprehenſibel, daß 
ich darauf nicht lange gekommen bin. Die Chi— 
neſen ſind die wahren Ariſtokraten. Sie haben die 
kleinſten Füßchen, die ſoignirteſten Nägel, die magni— 
fikſten Bärte und keine Spur von Liberalismus. 
Bei ſo viel ungemeinen Vorzügen muß auch die 
Liebe zu finden ſein, die endlich meine Seele füllt. 
O, eine unausſprechliche Zuverſicht kommt über 
mich, nur dieſe eine Reiſe noch, mein Freund, nur 
dieſen Reiſeverſuch nach China und —“ 

„Und?“ fragte der Fürſt. 

„Und wenn ich den Rechten dort nicht finde, 
ſo werde ich Ihre Frau bei meiner Rückkehr, und 
begnüge mich, die Treue zu belohnen, da ich Nie— 
mand fand, der mich lieben zu lehren verſtand.“ 

„Ich hoffe, Sie finden die Liebe, meine Gräfin!“ 


BER 


ſagte er ruhig, „denn nach der Belohnung der 
Treue gelüſtet mich nun nicht mehr.“ 

„Und Sie folgen mir dennoch? Und weshalb?“ 
fragte ich. „Aber das iſt ſublim, lieber Fürſt!“ 

„Bah! meine Gräfin!“ entgegnete er, „was 
wollen Sie? Ich habe die Caprice der Fügſamkeit, 
und da ich Nichts zu thun habe, iſt es ebenſo gut, 
ſich in China zu langweilen als anderwärts. Laſ— 
ſen Sie uns reiſen.“ 

Wir ſchifften uns in London mit der erſten Han— 
delserpedition ein, die nach China abſegelte. 


So weit gehen die Memoiren der unglücklichen 
Frau, die weitern Nachrichten verdanken wir theils 
eigener Anſchauung, theils den Mittheilungen eines 
Arztes, der in der Nähe von Paris Vorſteher ei— 
nes Irrenhauſes iſt. 

Wir hatten verſchiedene Höfe und Zellen durch— 
wandert, als wir an der Ringmauer der Anſtalt 
ein kleines Häuschen mit einem äußerſt ſauber ge— 
haltenen Gärtchen erblickten, das auf wunderliche 
Weiſe mit kleinen chineſiſchen Tempeln und andern 
Spielereien der Art beſetzt war. Es mochte etwa 
Mittag ſein, die Sonne ſtand hoch am Himmel, 
dennoch ging die Bewohnerin des kleinen Beſitzes, 


— 178 — 


eine zuſammengefallene, von Leiden gealterte Perſon, 
mit einer eigenthümlich geformten, brennenden La— 
terne umher und ſchien unruhig Etwas zu ſuchen. 
Ihr ſtarrer Blick, ihre Raſtloſigkeit hatten viel Trau— 
riges für den Beſchauer. Wir fragten, wer ſie ſei? 

O! ſagte der Doctor, ein geiſtreicher junger Mann, 
dies iſt die einſt durch ihre Schönheit in den Sä— 
len der Geſellſchaft bewunderte Gräfin Diogena. 
Ihr Wahnſinn iſt das Product einer Geiſtesrich— 
tung unter den müßigen Frauen der vornehmen 
Welt, die kaum ein anderes Reſultat zuläßt. Un— 
kluge Nachbeter der geiſtreichen George Sand ha— 
ben in gänzlichem Misverſtehen Deſſen, was dieſe 
große Frau meinte und bezweckte, eine Theorie der 
weiblichen Selbſtſucht geſchaffen, deren Höhenpunkte 
in der deutſchen Frauenliteratur jetzt erreicht ſind. 
Die Frauen bilden ſich ein, Ausnahmweſen zu ſein 
und unfähig, etwas Anderes zu lieben, als ſich ſelbſt; 
ſich für den Mittelpunkt der Welt haltend, fordern 
ſie einerſeits, wie die verderbten römiſchen Kai— 
ſer, göttliche Anbetung, und klagen andererſeits, 
daß ſie keinen Mann fänden, den ſie zu lieben 
vermöchten. Sie verſtehen ihren Egoismus nicht, 
und behaupten, nicht verſtanden zu werden; ſie ſind 
unfähig zu lieben, und jammern, daß Niemand die 
Leere ihres Herzens und ihrer Seele fülle. 


— 


Dieſe Gräfin Diogena ift durch die ganze Welt 
gereiſt, den Mann zu ſuchen, der ihr Herz ausfül— 
len, ihre Seele befriedigen könne: natürlich verge— 
bens. Krank, und erſchöpft, beſchloß ſie noch einen 
Verſuch in China zu machen und langte glücklich 
dort an. Aber auch dort fand ſie ihr Traumbild 
nicht, und dort entwickelte ſich ein Fieberwahn zur 
firen Idee, der ſich ſchon auf der Reiſe mehrmals 
gezeigt hatte. Sie bildet ſich ein, um der Sün— 
den ihrer Voreltern oder um anderer Gründe wil— 
len verdammt zu ſein, mit der Laterne des Dio— 
genes den Rechten zu ſuchen, ſo nennt ſie ihr 
Ideal, und meint, nicht eher ſterben zu können, 
bis ſie ihn gefunden haben wird. 

Ein Fürſt Callenberg, der ſie begleitete, ſah kaum 
eine Möglichkeit, ſie in dieſem troſtloſen Zuſtande 
nach Europa zurückzubringen, als er in Canton ei— 
nem gelehrten Deutſchen, einem Profeſſor der Anato— 
mie, dem berühmten Friedrich Wahl, begegnete. Die— 
fer hielt ſich feiner Studien wegen in jenen Gegen— 
den auf, und die Gräfin war während ihrer Ent— 
deckungsverſuche auch eine Zeit hindurch ſeine Ge— 
liebte geweſen. Gut und großmüthig wie er iſt, 
jammerte ihn die traurige Lage der Frau, und 


- mit ſeinem Beiſtande brachte der Fürſt fie hierher, 


wo ſie nun ſeit einigen Monaten lebt. Sie iſt 


— 180 — 


faſt immer ruhig, nur bisweilen tobt ſie und 
ſchreit, daß ſie den Rechten nicht fände. Dann 
muß man ſie mit Strenge behandeln, bis der Par— 
oxysmus vorüber iſt. Sonſt bringt ſie ihre Zeit 
mit unſchuldigen Toilettenſpielereien hin, kauft 
Schuhe von den vorzüglichſten Fabrikanten, wäſcht 
und putzt abwechſelnd ihre Hände und ihre La— 
terne und gefällt ſich in allerhand verbrauchten 
Minauderien und Koketterien, die uns eben nicht 
ſehr gefährlich ſind. 

„Und haben Sie Ausſicht, ſie herzuſtellen?“ 
fragte Einer von uns. 

„Daſſelbe wollte in dieſen Tagen der Fürſt 
Callenberg wiſſen, der nun auf ſeinen Gütern in 
Oeſtreich lebt. Wir haben aber nicht die ge— 
ringſte Hoffnung dazu. Wahnſinn aus Hochmuth 
und Egoismus pflegte immer unheilbar zu ſein.“ 

Der Doctor führte uns weiter vorwärts; im 
Fortgehen wendete ich den Kopf nochmals nach 
der Wahnſinnigen zurück; ſie ſuchte noch immer 
fort und wird ſuchen, bis ſie ſtirbt. Es war ein 
unangenehmer, unheimlicher Eindruck. 


Verbeſſerungen. 


Seite 3 Zeile 12 lies müſſigen ſtatt mäßigen 


2 


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7 


Kunkellehn ſtatt Dunkellehn 

je ne sais quoi ftatt je ne 
sait quoi 

vibrirender ſtatt fibrirender 
operirt ſtatt aparirt 

domptiren ſtatt dompliren 

weil ich Dich liebe, Diogena! 
ſtatt weil ich Dich, liebe Diogena! 
decidiren ſtatt deſidirten 
glorios ſtatt gloriös 


eben ſtatt aber 


glaubte ſtatt glaube. 


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