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— t tp 5ig ""^
i8oo.
D Y A - N A - S O R E
ERSTER T H E T r. .
Dya-Na-Sore i. Tli.
1
VORREDE.
Hoffnungslos ward dieses Werk bey
seiner ersten Erscheinung in die
Welt geworfen. Es hat Freunde
gefunden. Ihrer Nachsicht — bin
ich seine Verbesserung schuldig.
Die Würfel liegen. Heil mir,
wenn ich nicht das schlechteste
geworfen habe.
D. ü.
N. S.
Noch mufs ich erinnern , dafs
ein Volk, dessen Daseyn in keine
4
bekannte Geschichte fallt, gar nicht
mit den Sitten, Gesetzen und Cha-
rakter bekannter, alter oder neuer
Völker verglichen werden darf. Ihr
Wohnplatz war östlich ; ihr Himmel
mild; die Stufe ihrer Bildung, wie
die Erzählung sie bezeichnet. Diefs
ist alles , was sich sagen läfst.
Benares den * *
Deine Vorwürfe sind gereclit. Lange
bin ich hier. Keine Erwartung ist er-
fülk. — Aber 'lasset sich auch finden,
was wir suchten? — Kenntnisse sind
leicht erworben, wo der Eigennutz sie
für Geld anbietet: aber auch da, wo er
sie unter Räthsel verschliefst? — Ich
glaubte ein Feenland zu betreten. Die
Nähe hat die Aussicht verändert. Es
ist nicht juehr der blaue Hügel stiller
Ferne. Es ist eine Felswand, Wald auf
AVald, wo das Auge im Gewühle irrt.
Wem Umgang glückte , w^em ruhiger
Forschgeist nicht entstünde . . von kei-
ner Meinung umhüllt, von keinem Schat-
tenbilde eigner Schöpfung verführt —
wohl ihm ! Aber nur die Zeit kann euch
geben; die Zeit, die mit unserm Eeben
6
ihr Spiel treibt, mit Entfernungen lockt
und mit unserm Ende sich quitt macht.
Einen jungen edlen Mann lernte ich
kennen; an seiner Hand könnte ich hof-
fen. — Aber der Stolz des Geheimen
macht verschlossen ; wird er wollen ?
Mit Belesenheit und viel Talent ver-
bindet er romantischen Hang einer Ein-
bildung, die aus Trümmern Welten schafft,
und im Dunkel des Alterthums reinere
Zeiten ahnet. Die Genossen seiner Jahre
scheinen ihm arm , ihre Wissenschaften
Bruchstücke eines verlornen Ganzen. —
Die Ergründung des Vergangenen hat
ihn an sich gezogen ; jeder andern Be-
schäftigung hat er entsagt.
Er ist nach Indien gegangen — seiner
anerkohrnen Heimath , dem Lande seines
Herzens — weil er hier noch Uberreste
alter Sitten, ununterbrochene Fortpflan-
zung von Gebräuchen sucht, in denen
seine Träume von dem Daseyn eines
ersten , gebildeten , ohne Andenken ver-
lornen Volkes sich bestätigen sollen,
Die Sprache der Hindus ist ihm geläufig.
Er kennt die Braminen , tritt in ihre
Lebensart, nimmt ihre Sitten.
Wenige thun ihm Genüge; diese Weni-
gen, in seinen Augen, aber auch Män-
ner — von einer über die Art gemeiner
Sterblichen so erhabenen Seele, dafs ich
ihn sagen hörte : ,,Was sind eure Sitten,
eure Klugheit, selbst euer Wissen? . . .
zerrissene Theile eines nie übersehenen
Ganzen.
„Das Edle ging unter, das Erhabene
., verlor sich im Gepränge; Verhältnisse
rissen euch fort. Nichts ist euch eigen;
.,von fremden , verlornen Völkern habt
„ihr erst sklavisch,- dann selbststolz —
,, geborgt. Aus dem tiefsten Eigennutze
einer finstern Gewalt ging zufällig und
,,nur unter den Kämpfen des w^iderstre-
,,benden Eigennutzes eure Bildung her-
,,vor. Eure Schöpfer hatten selten etwas
anderes als ein empörtes Gemüthe,
einen Irrthum, oder einen lichtfrohen
Rausch zum Mafsstab der Menschheit.
8
„Wie selten erheben sich eure Geschicht-
Schreiber zur Höhe eines Bildes , „wie
„Menschen einst waren!" Oder schrie-
„ben sie je, um ihr Volk „an der erha-
„bensten Möglichkeit . . wie Menschen
„seyn könnten," zu prüfen? In der
„Angst ihrer Zeiten' behängen sie das
„Verbrechen mit Ehre, und wagen selbst
„gegen das vergangene Böse keine Wahr-
„heit unter seiner nie aussterbenden Sipp-
„schaft. In Lob oder Tadel sucht jeder
„nur sich selbst; und die Eitelkeit,
„die Verkäuflichkeit, die Absicht, oder
„die trotzige Verzagtheit jedes einzelnen
„Geschichtschreibers — ist eure Ge-
„schichte."
„Und nach allem — wie grofs ist der
„Umfang den wir kennen? Einige Völ-
„ker. Unser Blick auf Sie — sollte uns
„die Möglichkeit höherer Völker gelehrt
„haben. Aber unser Stolz schlofs die
„Rechnung, und glaubte die Summen rück-
„schreitender Entdeckung geendet : doch
„bezeichneten Götter und Helden in
9
„jedem, dafs ein fein herkommender
„Strahl sie erhellts , dafs etwas voraus-
„ging, aus dessen Daseyn das ihrige
„sich ergänzt.' !pais ich die Belsennt-
„nisse der fabei/iaften Hoffart durchfor-
„sche, dafs ick in jenen Göttern nur
„Fremdlinge , und „in der Abstammung,
„aus der sie hervorgehen," die grofse
,,Frage der Weltgeschichte finde, die
„man lieber verachtet als berührt —
„kannst du mirs verargen? Nur die
,, Eitelkeit beschränkt sich in den engen
Kreis ihrer selbst. Ich sehe mit Zu-
„versicht aiif die dunklen Fernen der
„Menschheit, und hoffe da, wo ich
„bin . . wo emporgehobene Geister mir
„Hoffnungen zeigen."
„Der Stolz eurer Systeme hat mein
„Herz verlassen. Du glaubst ich sey
„ein Träumer. Verborgenes Wissen
scheint dir ein Eingriff in das Eigen-
„thum der Menschheit. Fordert nicht
„jede Kunst ihr Mafs von Kräften ? —
„und Wahrheit, von Tausenden nicht
lO
„geschätzt, soll allein alltäglich vertrödelt,
„dem Ungefähr zum Spiele, ohne Prü-
„fung erworben — en weggeworfenes
„Gut, und nicht der Lohn des ringen-
,,den Verdienstes , nic'it das Vorrecht
„auserwählter Geister se^n ? " Sein Auge
schafft sich Gegenstände, iie Einbildungs-
hraft ist sein Wille. Taisendfach beun-
ruhigt in der Unzulänglichkeit dessen,
was er sieht, gegen das, was er Hoff-'
nung hat zu sehen, wer sollte des ern-
sten , in sich verlornen , gutmüthigen
Schwärmers spotten ? — Gliickliche Stun-
den , wenn er unter die Bäume' zu mir
zurück eilt j wenn er den Laubgang meines
Gartens mit mir auf und nieder gehet,
wenn es eng wird in seinem Herzen, und
das Gefühl des Entfernten ihn umgiebt:
weit, weit eile ich dann mit ihm hinaus
in die Wälder, an die Klippen des Stran-
des, über die Felsenhöhen, die unsern
Wohnplatz umschliefsen. Dann fmde ich
mit ihm, was er so oft zum Inhalt seiner
Rede macht :
11
„Es sey so leicht nicht , Schönheit der
„Natur in ihr^m vollen Umfange verste-
„hen. Sie alle freylich glauhen zu füh-
„len. Der Anstrich von Empfindung, den
„sie sich gehen, macht sie stolz, den
„armseligen Roman einer Buhlschaft mit
,,ihr zu spielen, der, auf zufällige Reit-
„zungen gegründet, mit einer veralterten
,,Einbilduni5skraft endet. Ich verachte
,, diese Menschen, die hey dem Wechsel
der Jahrszeiten, beym bunten Spiel ihrer
,, Farben, beym Hauch eines Frühlings-
„lüftchens stehen bleiben, und nichts
,, sehen als das platte, gedankenlose Bild
ihrer Sinne. — Lerne Völker, Zeiten
,,und Wirkungen kennen, zurückgehen auf
,, Jahrtausende , sehen, was einst war,
,, und dann, dann sprich: — Ich empfinde
,,sie! Tritt an die Ufer des Meers, wenn
,, nicht im W^ogen seiner Wasser dir die
,, Frage seiner Entstehung beyfällt ; wenn
,,der Strom dir nur die Erscheinung eines
glänzenden Spieles ist, wenn du nicht
,,zurück gehest über alle zum Dunkel des
„ersten , der aus dem Chaos entsprang ;
„wenn diese Erde dir nicht das Bild all-
„schafFender Macht, diese Berge nicht
„ihre Geschichte, dieses Dämmern des
„Hains nicht Erinnerung vorübergegange-
,,ner Helden ist, so bist du nur ein armer
„Mann bey den Schätzen einer Welt. —
,,Ich habe Berge bestiegen, und von
ihren Gipfeln über die Ruinen der Vor-
,,zeit hinab gesehen : im Innern der Erde
,,sah ich die Zerstörung voriger Fluten,
,,das ewig wandelbare Gemälde des Da-
„seyns , und des Vergehens ; keine Ein-
,,samkeit ist so grofs , dafs nicht Gestal-
„ten der Vorwclt zu Tausenden uns be-
„gleiteten. —
,,Viel sind der Kräfte ! Viel ist gesche-
„hen, Nazionen gingen vorüber, das stille
,, Erwachen der Zukunft ruhet über Grä-
,,bern. Was dich umgiebt, trat aus Ruinen
,, hervor. Jahrtausende sind ein kleines
„Mafs, und der Geist des Menschen
„kann Gröfse erkennen , aber der Umfang
„der Gröfse verbirgt sich in eine unend-
„liehe Welt , in den gränzenlosen Raum
„und eine ewige Zukunft.
So hatte, so habe ich manches Gespräch
mit ihm. An den Glänzen der Sprache,
am äufsersten der Imaginazion, schwebt
sein Geist w*ie Licht auf dem Abgrund.
Ich sehe ungewöhnliche Dinge, wenn er
spricht , tausend halb sichtbare Gestalten
vor mir. Ich will sie festhalten, aber sie
entschlüpfen. Ich finde, dals er Träume
verkündigt: aber in dem Augenblicke, da
er redet , hält der Glaube an seinen Geist
den meinigen gefangen ; verwirrtes Ent-
zücken beherrscht mich. Wenn er weg
ist, fällts wie eine Wolke vor meinen
Augen. Die stillen Nächte des schönen
Himmels von Indien haben mich hinge-
rissen wie ihn — Lebe wohl.
Benares den ***,
Heute diesen Morgen — ich schlafe,
ich werde geweckt. Er reicht mir seine
Hand. Eine Thräije fliefst auf meine
14
Wangen. — Er ist weg. — Wann seV
ich ihn wieder ? Rings um mich ist alles
SO: öde. Briefe sind mir versprochen.
Ich sitze vor deinem Bilde. Dir zu schrei-
ben ist meine Beruhigung. Zwey Freunde
sind nun in der Ferne. O des ungewis-
sen Trostes sie einst wieder zu sehen ! —
Beiiares den
Er ist nicht mehr ! Nachricht seines To*
des ist das erste, was ich von ihm höre.
In der Stunde der Freude mufste ich
sie hören! Vergnügen ist forthin mir
nur eine Erinnerung der Trauer.
Auf seiner Rückreise in den Gebirgen
Tibeths fiel sein Pferd über Felsen hinab.
Niemand konnte ihn retten, niemand seine
Schriften erhalten. Diese Briefe, dieses
Buch, einige Zeichnungen, sind alles,
was ich von ihm habe. Ich schicke sie
dir*, das einzige Andenken eines Freun-
des , dessen Verlust ich ewig beweine,
15
dessen Umgang die seligste Erinnerung
meines Lebens bleibt.
Mache sie zu dem was sie sind, zu
einem schönen Traum deiner Seele ; und
wenn ich einst nicht mehr bin — zur
Erinnerung meines Daseyns. Die Ferne
zweyer Erdtheile konnte uns nicht tren-
nen. Wirds der Tod? — Nein.
Der Hauch des Grabes weht um mich.
Ich sehe hinaus über die Gefilde. Geist
meines Freundes! das heitere Sonnen-
licht zeigt mir den Hügel. Wo wir einst
wandelten, will ich ruhen. Sey mir
gegrüfset, o Grab. —
w
s Briefe.
Erster Brief.
Von der Gränze aus gab ich dir Nach-
richt durch unsere zurückkehrenden Be-
gleiter. Von Lahassa aus schrieb ich dir
wieder. Ich habe Doopo *) und seine
himmelan strebenden Berge durchzogen.
Einsiedler und Grabstellen habe ich in
seinen Wäldern besucht, nach Aufschlufs
geforscht, und wenig gefunden. Ich
habe den Kaukasus überstiegen , und bin
nun an seinem Fufse im Reiche Pu, **)
*) Doopo, Boutan, der an Bengalen stofscndo
Theil des Reichs Tibeth , und
**) Pu, das eigentliche Tibeth, wo der Da-
lailama herrscht. Beide erstrecken sich von
der Nordgränze von Hindostan, den Kaukasus
entlang um das nordöstliche Persien bis Kan-
dahar und Kaschmir, von dort östlicli neben
den Gränzen des Mo£:olischen Reiches bis Asam
und China.
wo halt und wHldevlos auf nackte Berge
unser Blick sich verliert. Zwischen reis-
senden Strömen, über Höhen und Haiden,
in Thälern, wo hie und da eine einzelne
Hütte, ein Wolf , Xiin trauriger Anacho-
ret zwischen Leichen und weifsen Gehei-
nen im Schauer des Nordwinds schreckt,
trieb ich mich hin. Kalt und unfreund-
lich ist der Himmel. Schneidende Winde
dringen über jenen weiten gefrornen P\.aum
des Eismeers und über die Wüsten Sibi-
riens hieb er. —
Hier ruhe ich nun, wo der hohe Prie-
ster der Tibethanischen Religion , der
grofse Dalailama , seinen Thron hat, auf
den Gebirgen von Patoli, wo seine Burg-
und sein Tempel, Tausende von Priestern
ihn bedienen. In den Augen seiner
Gläubigen mehr Gottheit, als ihr Statt-
halter, ist er das Bild ihrer Anbetung.
Pilger von allen Orten strömen zusammen.
Von der Wolga bis nach Koran, von den
entferntesten Tartarstämmen und aus
China kommen Gesandte mit reichen
Dya - Na - Sore i. Th, :2
GescliPiilien. Alles liegt vor ihm in dem
Staube, alles zittert, kein Auge wagt sich
zu öilncn.
Stumm und ohne Zeichen des Wohlge-
fallens, antwortet er selbst Fürsten nicht.
Er legt seine Hände auf ihre Schultern,
und sie glauben geheiligt zu seyn für alle
Zukunft, gereiniget von aller Schuld.
,,Sein Auge blickt in das Verborgene
„des Herzens, er ist fehlerlos und unsterb-
,,lich, sein Geist verläfst einen morschen
Körper, um einen neuen zu beziehen,
,,er sieht den Wechsel von Jahrhunder-
,,ten , ohne ihre Last zu fühlen, und
,,geht in ruhiger Dauer der Ewigkeit ent-
,5gegen." So lehren seine Schüler.
Ihre in der Urquelle reine Religion
trägt die Entstellungen des Eigennutzes.
Das Werk eines edlen Lehrers ward
Spielwerk unter Schurken. —
Bald sollte man verwünschen, dafs grofse
Männer geboren würden , wenn alles Gute,
was sie stiften , nur ein Weg des Betrugs
für Bösewichter wird. Lebe wohl.
" i9
Z w e y t e r Brief.
Die Gelehrten in China hofften lange,
Schätze der vergangenen Zeit sollten in
den Archiven des hiesigen Tempels sich
finden. Das Alter dieses gottesdienst-
lichen Reiches , dunkle Uberlieferungen
und mancher Schein der Yermuthung
berechtigten sie. Ihre Bemühungen, ihre
Reisen, ihre Versuche blieben fruchtlos.
Die Hand eines Privatmannes war zu
schwach, durch alle die Kreise von Prie-
stern zum Eingang des Heiligthums vor-
zudringen: nur das Glück, das endlich
die Wünsche des jetzigen Kaisers mit den
ihrigen vereinigte, konnte ihre Erwartun-
gen stillen. Begierig nach Resten des
Alterthums , überzeugt von ihrem mög-
lichen Daseyn, beschlofs er jeden Schritt
zur Gewifsheit^.
Sein Gesandter ist hier. Ein edler,
ernster und erfahrner Mann , durch Rei-
sen und Umgang in die verborgenen, hei-
ligen Sprachen, in die Alterthümer und
'20
Gesclil'-hte dieser Gegenden gedrungen.
Zu jzroiseriu Gewichte seiner Sendung
o o
erhielt er folgendes Beglauhigungsschrei-
hen von des Kaisers eigenen Händen:
,,Deni grofsen Vertreter der Gottheit,
,,dem Heiligen und Angebeteten.
„Wir der Kaiser von China , Herr aller
Herren der Erde, werfen uns in derPer-
„son dieses Iialao mit Anbetung und De-
„muth vor deinen geheiligten Thron, und
erbitten für uns, unsere Freunde, Reiche
,,iind Nachkommen deinen geheiligten
Segen. Verlangen nach Kunden der
„A'orzeit, die Nachricht, dals in den hei-
„ligen Sälen deines Tempels verschlos-
„sene Schätze des Alterthums liegen, die
jjselbst den Verständigsten der Gelehrten
„unbekannt sind, haben uns bewogen,
den weisen Kant- Tsou, die Stütze unse-
,,res Thrones , in dieser Gesandtschaft an
deine Heiligkeit abzuschicken, um, so
„viel an uns ist, den Gebrauch dieser
unschätzbaren Uberreste zu erneuen.
Seine , Absicht ist, zur Ivcsiiiig dicseu
,Jiei]i£jen Bücher zugelassen zu werden.
„Seine unojeineine Erfahrenheit ehemali-
„ger Sprachen wird ihn geschickt machen,
,,zu verstehen, was er findet, und nach
,,der "\A'eisheit verborgener Jahre auch
,,aus den Zeiten des ersten Alterthums zu
forschen.
"Wir haben ihm befohlen, sich zu dci-
,,nen Fiifsen zu werfen, mit allen Zci-
,,chen der Ehrfurcht, die ihm den gc-
„wiinschten Zugang eröffnen hönncn.
Gegeben im zwey und Zwanzigsten
Jahre unserer fieejTefunc;. "
K i o n g - T s i e n.
Seine Bitte wurde erhört. Er suchte;
fand. Hier eines unter melircrn.
Ijies , und möae es dir iicfallen.
' c c ■ _
Grofser Streit ist unter Lamas und
Gelehrten. Sie erschöpfen sich in ^iluth-
mafsungen , und bestreiten sicii durch
Wahrscheinlichheiten : „Iiaokium ist der
22
Verfasser ! " „Folil ists ! " „es ist der,"
,,cs ist jener I" Alle Müfsiggänger sind
erhitzt, vergessene Namen werden ge^
weckt, der Stolz sucht zu triumphiren,
ujkI der Eigendünkel kiirnpft aus Ver-
zweiflung. Du siehst, dals die Men-
schen hier ungefähr eben das sind, was
überall : heftig in Meinungen , und begie-
rig nach Dingen einer unnützen Neu-
gierde. Nicht der Sinn, der Name des
Buchs bekümmert sie.
Kant-Tsou selbst hat sich für diejeni-
gen erklärt, die es für das Werk eines
nicht zu errathenden Verfassers halten,
die weder Jahre noch Zeit bestimmen.
„Das Beste bleibt, sagte er zu mir, v/ir
„nehmen das Buch, wie es ist, ohne nach
,, leeren Namen zu fragen." Ich habe es,
so gut ich vermochte, übersetzt, weil ich
die Begierde, die ich bey mir fand, auch
bey dir vermuthe.
Meinen nächsten Brief, Gott weifs
woher du ihn erhältst: aber komm' er
auch woher er wolle, der Schein neuer
25
Hoffnungen flämmert. Dieses Buch, der
Umgang des Gesandten, so manche son-
derbare Hinweisung ! — Thorheit und
Mifstrauen vcrschliefsen die Wege; die
Bosheit verbirgt , was ihre Schande ent-
hüllte: aber wo Manner sich erkennen,
und das erhabene Bedürfnifs der Wahr-
heit Entfernungen hebt, da schwinden
die Fesseln des Daseyns, und im Ver-
borgenen wird Licht.
Lebe wohl.
Dritter Brief.
Viel habe ich gesehen, Wahrheiten im
Scheine der Erdichtuns, unoewöhnliche
Dinge unter der Hülle des Dunkels;
keine Geschichte für eure gewöhnlichen
Menschen, die den eitlen Glanz ihres
Daseyns mehr , als den Gebrauch des-
selben achten. —
Ich bin befriediget, in so ferne ich
dem Aufschlüsse meiner Holfnungen nun
in weitem Lande entgegen gelie. Wo
(las sey, wo ich bin — lieber Freund,
da stille deine Fragen. Genug, mir ist
wolil , und wird nocli immer besser: der
Gram mancher einsamen Stunde ist be-
lohnt.
F)afs ich dich bry mir hatte, zum
Mitgeweihten dieser Geheimnisse! dafs
wir ruhen könnten Hand in Hand neben
den Denkmahlen höherer Zeiten! und
zwey Herzen sich stärker fühlten in der
seligen Vereinigung ihres Wandels !
Alles, was ich dir sagen darf, ist fol-
gendes : Wir zogen durch wilde Gebirge.
Viele Tagreisen über Patoli hinweg be-
traten wir ein Thal ; waldige Felsen
hielten uns umschlossen. In der Ferne
sah ich über dunkle Höhen den bleichen
Schimmer höherer Berge. Immer finstrer,
wilder, wundersamer wurden unsre Pfade.
Die ersten jener Berge kamen näher.
Die Bahn schien geendet am Füfs ihrer
Höhe ; zwischen Felsen mulsten wir hinan.
Einen Baum am übero;ebo2:enen Gel^lüfte,
einen Strauch in den Ritzen halb ver-
witterter Trümmer, glattes Moos von
Spitze zu Spitze, von Zweig zu Zweig —
schwang ich mich ül)cr den Abgrund. ' Mit
dem letzten Tritt sah ich jenseits hinab;
ich bebte zurück . . . Ein dämmernder
Tag düsterer Schatten, tiefes Dunkel über
der Fläche des Sees; über verbranntem
Gestein Wogen von flammendem Blau,
die in die Nacht ihrer Klüfte hinweg
Jodern; langsam und weifs, aus dampfen-
den Schlünden , Rauch , der am Grunde
hinzieht; kein Laut, der sich regt, als der
Sturz loser Trümmer im Strome und der
Todtenruf des Uhus. — Da verstummte
selbst meine schreckenfrohe Seele.
Jeder Schritt schien der Schritt des
Grabes. Am Fufse seiner Felsen, ein-
sam wie eine Erscheinung, sahen wir
den Bewohner der Einöde nahen. —
Langsam, stattlich und ernst, ein Blick —
ein Ton der Stimme, vor dem selbst der
Gerechte zittert.
Wo das Thal enger und enger zwi-
sch^^n fmstern Wänden einen kleinen
Hügel hinan zog, wo, von Knochen weifs,
schrecklich von Trümmern des Todes, his
an des Sees Gestade der traurige Ahliang
lag, führte er uns hin. Wenige Bäume
standen ohen, zvv^ey Grabmähler rechts und
links , und zv^ischen ihnen der Eingang
des Gebäudes.
Das deine Wohnung? konnte ich mich
nicht enthalten ihn zu fragen.
Er. Und w^as ist hier?
Ich. Die Wohnung des Schreckens.
ILr. Sie gleht, was oft ein blühendes
Thal versagt.
Ich. Was?
Er. Ruhe.
Ich. Es kommt auf das an, was wir
sind.
Er. Weislich gesprochen. Unsere
Kräfte bezeichnen unser Daseyn. Nach
vierzig Jahren Kummer hab' ich hier
Friede gefunden! — Und in diesem öden
»7
Schweigen , in dieser menschenleeren
scheuen Wildnifs, hat ein Herz, dem alle
Güter des Lebens nicht genügten, die
Ruhe wieder erreicht, an der es zu ver-
zweifeln begann.
Wir erstiegen im Gespräch den Hügel
seiner Wohnung. Hohe Gewölbe, die
um Gräber beym düstern Lampenschein
sich schlössen, waren ihr Inneres.
Zwey Tage ruheten wir — Er zeigte
uns, was uns umgab.
Uberall Zerstörung die entgegen kom-
menden Bilder, wie dieses Thal einst blü-
hend gewesen , wie der Ausbruch unter-
irdischer Feuer seine Ausgänge verstürzt,
den Strom in einen See verwandelt hatte.
Zitternd sah ich die Lagen einst strö-
mender Lava. Meine Augen waren unstät,
meine Schritte wankten; in dampfenden
Schlünden, aus tiefen Höhlen glühte ko-
chendes Feuer; im Rollen verborgener
Flammen bewegte sich der Boden.
28
Ach in der Natur, wie itn IVIensclien,
sab ich , siinl die edelsten Kräfte die näch-
sten an Zerrüttung.
Zerstören ist oft nur ein Liherniafs an
Stärke.
Trauerndes Nachdenken uir.gab mich in
der Ivune.
Schreckend war der Antritt uusers wei-
tern Wec;es , auf hohe fürci.; < r ii ise Fel-
sen, über dampfende Tiefen, {i1)er schwan-
kende Brücken — - Oft ergrilt mich muth-
3oser Schwindel — Dank seys meinen Ge-
fährten , die jnir halfen; der Abend kam.
Aber was ich s:ih — -- vrr.s ich Ijorte, M-as
ich fand — da erwarte Zeit und Stunde —
bis ich sagen darf, was ich sagen kann.
O es sind viel Dinge zwischen Himmel und
F.rde, von denen euer Kompendium sich
niciits träumen läfst, sagt Shakspeare.
Lies, was ich dir schickte; und so man-
che Ähnlichkeit meiner Ereignisse wird dich
auf das aufmerksam machen, was mich
vielleicht erwartet. Lebe wohl.
Wolil ilmi , und Ruhe seinen Gebeinen.
Sein Jahrhundert war von'iber. Er war
kein Mann für diese Wek. Ich habe
einen Freund verloren.
Die Kräfte meines Lebens altern, und
ich kann in keinem Werke zeigen, dafs
ich war. Und warum ? Weil meine Ver-
hältnisse mir nicht erlaubten zu handeln,
und mein Herz sich erniedrigte unter die
Gewalt seiner Zeit.
O Menschheit, Menschheit, statt deinen
irrenden Gang aufs bessere zu leiten, sin-
ken wir hinweg, ein Opfer vergangener
Fehler. Oft bezweifelt der Edlere — um
seine Kräfte betrogen, den Zweck seines
Daseyns; oft scheint unser Geist uns der
Spott, unser Veriitand das Hohngelächter
einer feindseligen Macht. Wenn kommen
die goldenen Tage , da der Mensch sich
wird sagen können : — ,,die Würde meines
Wesens ist das anerkannte Gesetz meiner
Zeit ! " D e r M e n s c h . . . der Mensch,
wie er seyn könnte, ist gut, aber die
Menschen gefallen mir nicht. Eeb wohl.
30
Hätten die Umstände mir erlaubt mit
meinem Schwärmer zu ziehen — vielleicht
wäre mir besser. Unaufhörlich träume ich
mich unter seine Säulen und Tempel. Alle»
ist mir leer. Lebe wohl.
ERSTER T H E I L.
Mein Leben, clas Leben meiner Brüder,
Verwicklungen , bey denen der Eid des
Geheimnisses mir oft plötzlich das Wort
entreifst, Dinge, bey denen ich häufig in.
meinen eignen Fehlern mich blofs stelle —
AVas verlangt ihr , meine Freunde V —
Kommt hieher, wo düstres Andenken
der Vergangenheit mir in so manchem Bilde
sichtbar ist, wo stille Ferne um das Grab
meiner Brüder ihren Schleyer webt; ach
hier, wo in tausend schmerzlichen Erinne-
rungen der Gram zerrifsner Bande, das bunte
Gemisch unbelohnter Thaten und verlor-
ner Entwürfe «ich mir nahen
Kommt — kommt hieher unter diese
Schatten. Aber wisset ihr auch was ihr
verlangt? —
Ich habe Ruhe gesucht, und ihren Schein
unter diesen Bäuinen gefunden. Soll ich
verschlossene Wunden aufreilsen ? Soll ich
auf Begebenheiten zurück gehen, deren
Erinnerung ich, wie die trübe Ferne einer
verlassenen Einöde, nur am Rande meines
Gedächtnisses mir vorzuhalten v^^ünsche? —
Ihr, die ihr am Eingang des Lebens steht,
wisset ihr auch, was die Wiederholung
A erßossener Dinge Bitteres hat ? Euch ist
das Leben ein Spiel neuer Gegenstände:
]M i r traurige Stille nach überstandenem
Gewitter . . . wenn der Gang der Verhee-
iLino; unsere Lieblingsorte verödet; wenn
man dem Baume entweiciit, unter dessen
Schatten man sonst safs , die Ufer zerrissen,
die Wiesen blumenlos sind; wenns jNacht
ist rings umher, dafs der kalte feuchte Wind
die Hütte, die uns deckt, zum einzigen
treuen Uberrest unserer verlornen Seligkeit
macht.
33
Doch ihr wollts , und ich bin es eurem
Unterrichte schuldig.
Vergangenheit — ist die Schule, und
Rechenschaft über unsere Thaten, zum
Unterrichte der Nachwelt — das erste
Gebot im Gesetze des Daseyns.
Frühe hatten in der Stille meines Geistes
meine Aussichten sich auf die verborgene
Laufbahn eines häuslichen Lebens ge-
lenkt. Die Verbindungen meiner Geburt
rissen mich , ohne dafs ich meine Schritte
mir vorzählen konnte, in die Verhältnisse
eines nur allzu öffentlichen Lebens; An-
hänglichkeit an meine Brüder erhielt mich
auf einem Pfade , der mir so wenig na-
türlich war.
Wenn ihr glücklich seyn wollt, glück-
lich wie der alltägliche Mensch es
ist : so bitte ich euch , meine Freunde,
euch loszureifsen von Menschen, in de-
ren weit ausströmendem, gewaltsamen
Sinne der eurige die Freyheit seiner eig-
nen Bewegung verliert, so bitte ich euch,
an meinem Beyspiele zu lernen, wie weit
rya-Na.?oic i. Tli. "
54
Thellnehmung, Besorgtheit und Liebe
uns über unsern eignen Charakter erhe-
ben, von seinen Wünschen entfernen,
und doch seine Grundtriebe nicht än-
dern, nicht zerstören, nicht befriedigen
können. Ist aber die Pflicht, ,,für diese
Welt euch aufzuopfern," euch näher,
als der Wunsch, ,,euch selbst zu leben;"
so werft euch in den Strom, und thut,
was ihr nicht lassen könnt.
Ich verliefs meines Vaters Haus, Pflicht
beugte mich unter das Gesetz. HolFnung
gab mir Stärke . . . Ein Jahr — und es
schien vollbracht: dann konnte ich zu-
rück eilen, dann sah ich mich wieder
in den Gefilden meiner Jugend. Im ver-
schlossenen Wohnplatz der Freundschaft
. . . dem Weisen meine Thore zu öffnen,
den Thoren zu entfernen, die Welt zu
einem Schauspiele zu machen, indessen
Auf - und Niederrollen mein Geist die
Quelle seiner Erweiterung fände — war
meine Gewifsheit : und welchen uno^e-
treuen Erfolg hat meinWandel für meine
35
Aussicliteii gehabt! Die Gestalt verLor-
gener Wissenschaft warf sich mir in den
Weg; in der Überraschung meines Her-
zens zogen ihre Reitze von Schritt zu
Schritt mich immer tiefer in die stolzen
Labyrinthe ihrer Versprechungen hin.
Noch war es Zeit zurück zugehen. Aber
das Schicksal eines Volkes lag auf meinen
Brüdern, das Glück von Millionen war
in den Gang ihres Lebens verschlungen.
Ich sah nur sie. Ich folgte ihnen , bis
ich endlich, jedem Leiden blofs gestellt,
in Verhältnissen , für deren Drang ich
zu sanft war — die unglückliche Lo-
sung eines Bürgerkriegs gab , unter des-
sen Verheerung ich auf der — für mein
Herz so traurigen Laufbahn eines Krie-
gers , aufser dem allgemeinen Jammer — -
den Tod zweyer Brüder, den Fall so
manchen Freundes , und die ewig ver-
lorne Beruhigung meines Herzens zu be-
weinen fand. Grofs sollte der Mensch
seyn, das erkenne ich jetzt; aber seine
Gröfse mufste ich mit Thränen bezahlen.
36
Staatsmann und Feldherr, keines strebte
ich zu werden : ich war nur der Freund
meiner Brüder, wollte nie mehr seyn,
und wurde der Entscheider ihres Schick-
sals. So wurde der Schwächere der Zug
im Werke des Stärkern.
Nie in mir selbst befriedigt, mir selbst
ein Räthsel auf der Höhe, in der ich
wirkte — waren ihre Leiden . . . die
meinigen ; ihre Gröfse . . . mir nur ein
erborgter Stand. Bey der edelsten Erwie-
derung von ihrer Seite, im schimmern-
den Augenblick ihrer erreichten Wün-
sche — arm durch die Aufopferungen der
meinigen, war die Befriedigung ihres
Stolzes kein Genufs für mein Herz, das
im traulichen Wirkungskreise geliebter
Freunde sich mehr gefiel , als in der un-
gewissen Vergötterung ihres glänzenden
Ruhmes.
Und so, meine Freunde, beginne ich
denn die Geschichte meiner selbst und
meiner Brüder.
37'
Wir hatten die Jahre erreicht, unter
Fremden nach alter Sitte den angebornen
Gemächlichkeiten einer häuslichen Erzie-
hung entsagen zu lernen. Der Tren-
nungsabend erschien.
Jede Stelle, zum letztenmale gesehen,
ward uns heiliger. Aber das Gesetz unse-
rer Väter — wollte, der Stolz unserer
Bestimmung — wachte über uns, und
keiner klagte.
Vor uns lagen die Gefilde, aus denen
in allen Erinnerungen — die Freuden der
Jugend uns wiederkehrten zur Ahnung
künftiger Stürme.
In Ruhe und Stille verlebt, an der
Hand eines Vaters , in wechselseitiger
Liebe . . . Jahre, wie die schönste Phan-
tasie sie erschafft, Bilder an die keine
Folge hinreicht — wer giebt mir Worte
zu bezeichnen, wie Herzen sich foltern,
wenn Muth und Zeit und die Stimme der
Pflicht sie losreifst von den Gespielen
der Unbefangenheit, und in ungewisser
Trennung Bäume , Berge und Bäche uns
nun erscheinen wie Geister scheidender
Freunde I
Tihar lag am Stamme seines selbstge-
pflanztcn Baumes . . . traurend wie sein
schwächerer Bruder. Er war Mann als
Jüngling; und doch — wie schneidend
reifst das Band, mit dem Gewohnheit
uns an ihre Gegenstände knüpft!
Dya, hastig und schwankend ging auf
und nieder, die Zukunft hatte ihn ergrif-
fen, und auf den Flügeln des gereitzten,
leidenden Gefühls entführte seine flam-
mende Einbildungskraft ihn dem Kummer
des Augenblicks.
Hamor safs unter den entfernten Sträu-
chen des Ufers ; der weibliche Sonder-
ling, dessen unbestimmter Charakter mir
jetzt mehr als jemals Sorge machte.
O mein Vater! mein Vater ! rufte ich
dem kommenden geliebten Manne entge-r
gen, wir werden dich verlassen! —
,,So denke, dafs wir uns wiedersehen,
antwortete Athor. Oder glaubst du, es
■"»9
,,sey so ein leichtes, Vater seyn, und
„seine Söhne entlassen ? "
Er sah zur Erde und schwieg. Das Ge-
fühl der Zukunft über ihm, Stille über
uns allen.
,,üieser Abend — der letzte vielleicht,
„meine Kinder, begann er endlich, zwi-
,, sehen mir und euch — bleibe das Ver-
,,mächtnifs meines Daseyns, und der
,, Schutzgott eurer Herzen.
„Die Einigkeit seiner Söhne ist die
,, Seligkeit eines Vaters. Wenn ioh einst
,,todt bin , wenn das Schicksal euch tren-
,,net, wenn das Leben euch fortreifst, und
,,euer Herz siecht unter dem allzu ge-
,,wöhnlichen Gange der Dinge , oder sich
trotzig empor hebt unter Thaten und
,,Beyfall , unter Kämpfen und Ehre
„führe die Liebe, die in den Spielen der
Jugend das süfse Gefühl eurer ersten
,, Jahre war, euch zurück zur Stille der
Wahrheit, um die euer eigner Sinn euch
betrügt. Die Dauer jener Erinnerungen
,,sey euer heiligstes Gut.
„Erhaltet, was ich sammelte; denkt,
,,rlafs die Ehre eines Vaters, die Pflicht
„seiner Söhne, nie schöner erhalten werde,
,,als wenn nach Jahrhunderten späte Nach-
,, kommen noch dankhar um den von ihm
„erbauten Herd . . die Wirkung seines
,,Daseyns über sein Grab hinaus sich ver-
„längert, und der Baum , der ihm schat-
„tete, das Eigenthum seiner Enkel wird.
„Heil dem Geschlechte, dem das ange-
„stammte Erbe seiner Ahnen ein Heilig-
„thum ist ! das den Hain nicht ausrottet,
,,das die Laube verschont, dem die Wet-
„terfarbe des Alterthums hehr ist, das
nicht verschönert, weil kein Schimmer
,,ihm das Andenken derer ersetzt, de-
„ren Bild es in jeder Erinnerung liebt!
Geheiligtes Land meiner Väter, ge-
weiht durch den Staub eurer Leichen,
,,wohl dem Manne, der in den Mauern,
„die ihr bewohntet, Zeugen der Tugend,
„Warner gegen Verführung erblickt ! Die
„Reitze der Üppigkeit an diese Denk-
1^
^, mahle der Einfalt gehalten — wird er
„fühlen, was ihr wäret, und in dci
Aufrechthaltung eures unentweihten Lc-
,,bens den Stolz des seinigen suchen!
,,Wie grofs mufs ein Stamm sich entwik-
,,keln , wo , vom Geiste edler Vorfahren
durchglüht , der Sohn seine Tugenden
,,in der Verewigung ihres unentehrten
„Andenkens findet!
„Andenken, unentehrtes Andenken —
„ist das Eigenthum, dessen Rechte auch
,,im Tode bleiben, das Eigenthum, des-
,,sen Verletzung euch mit dem Fluch ge-
,,brochener Kindlichkeit belastet. Un-
„sterblich ist unser Geist, unsterblich
,,sind mit seinen Verhältnissen seine
Pflichten. Das Band ward hier geknüpft :
„sein Ende könnte es nur in unserer Ver-
,,nichtung finden.
,,Der Zwang hat aufgehört; die Ver-
„bindlichkeit ist geblieben." „Das Grab
„ändert nur, aber endet nichts.
„Und nun, meine Söhne, der Abschied
,,wird mir hart. Lafst uns heute vergei^-
42
„seil, was uns bevorstehet, und das
,, letzte Mahl dem Behagen eines kummei-
losen Herzens weihen."
Heiter war der Himmel. Im Wehen
der Abendluft neigten sich Büsche über die
Fläche des Teiches ; dämmernd schwell-
ten Schatten am Hügel , die trübe Gestalt
ehemaliger Freuden, das Gefühl vergan-
gener Zeiten.
Unsere Schwester kam; ihre zitternden
Hände in die unsern gelegt, voll Kummer,
und doch keine Klage.
Wer vertilgt den Augenblick aus der
Seele, wenn eine edel unterdrückte Zähre
im Auge der Schönheit sich endlich her-
vor drängt; wenn der Gram sich mühsam
hinter Liächeln verbirgt, und das holde
Antlitz immer stiller in die Züge der
Schwermuth zurück sinkt ?
Ich bin der Schönheit in manchem
Verhältnisse gefolgt, im Reitze der innig-
sten Ruhe, das Saitenspiel in der Hand,
im Augenblick der begeisterten Liebe,
w^o Leiden sie umwölkten , wo das erha-
benste Selbstgefühl, die ^yürcle beleidig-
ter Gröfse sie unwiderstehlich erhöhte,
wo die lebende Natur mich umgab , wo
der Künstler mich hinrifs — Nie sah
ich sie wieder in diesem himmlischen
Lichte . . . wenn ein leidendes Herz sich
verschliefst unter das zurück drängende
Bewufstseyn.
„Meine Thränen würden nur Thränen
wecken, mein Schmerz nur Schmerzen
verdoppeln. Dafs keine Thräne mir rinne !
dafs mein Schmerz sich umhülle! wenn
ich allein die verödeten Stellen besuche,
mag der Gram in aller seiner Stärke mich
umgeben ! "
O Ithora , ich blickte in deine Seele.
Noch seh' ich dein Bild — und nie sah
ich dich wieder. Ich war schwächer als
du , meine Thränen flössen. Nur Eine
von dir benetzte das Tuch, das du mir
gabst , und ich erkämpfte es , wie man
ein Heiligthum rettet, als der Feind bey
llkat unser Lao;er erstürmte.
44
Du bist nicht melir , alles ist mir ver-
loren;' nur dein Andenken blieb mir, und
der Muth — mit dem ich dir gleich, in
der Folge, neben den Leiden meiner Brü-
der die meinigen verschlofs.
JLafst mich noch verweilen beym Abend
der Trennung — als die Freude von uns
wich , und der Becher mit Trauern um-
her ging.
Es giebt Stunden, an denen auch das
Kleinste uns tlieuer und hell bleibt.
Ein Hügel weit offner Aussicht, von
hohen Bäumen umschattet, war von jeher
die festliche Stelle jeder frohen, jeder
ernsten Begebenheit gewesen. Blumen,
Schatten und Einsamkeit, süfser Duft
und feierliche Stille unter Bäumen, die
Athors Hände gepflanzt hatten, waren
unsere Gefährten. Das Thal öffnete sich
in seinen Fernen, aus ihren Wäldern
glänzten Felsen, die Flut rollte zu unsern
Füfsen, die Sonne war im Sinken.
Zum letztenmale sahen wir uns beym
väterlichen Mahle vereint.
45
„Vater des Alls, sprach Athor, der
„du die Mittel der Erhaltung zur ersten
Stufe auf dem Gang einer edlern Ent-
„wicklung zu machen wufstest, lafs uns
„nie vergessen, den Menschen auch in
„seinen kleinsten Bedürfnissen zu ehren.
„Auch im alltäglichsten das Ziel eines
„veredelten Daseyns zu finden — ward
,,uns jener gränzenweite Blick gegeben,
,,der vom Himmel zur Erde die SchÖp-
„fung umfafst, und mit einem Auge voll
„Licht, vom Staube zur Gottheit, der
Kette unendlicher Bestimmungen durch
,, Wechsel und Verhältnisse folgt. — So
,, öffnen sich uns Wege des vrahren Ge-
,,nusses, so schützet uns reine Erkennt*
„nifs gegen jene tödtende Mifsachtung,
„mit der der kurzsichtig stolze Mensch,
„der entartete Tadler der Schöpfung,
,,sich um den Werth des Daseyns be-
itrügt. "
Worte, in der Stille, von einem theu-
ren Manne gesprochen, unter Menschen,
die zum feierlich langen Abschiede sich
46
bereiten Wie viel hängt von der
Zusammenstimmung vereinter Umstände
ab , um Werth und Eindruck einer Hand-
lung, das Grofse in ihrem Schauspiele,
das Rührende ihres Wesens zu erheben!
Dafs dem Herzen der Menschen doch
nie diefs reine Gefühl entstehen möchte . . .
das in den einfachen Auftritten der Na-
tur und der Freundschaft Befriedigung
schöpft — daf s die Menschen doch ein-
mal lernen möchten: —
„Wer die Glückseligkeit nicht in einem
„Augenblick finde, für den sey ein Le-
„ben zu kurz , sie zu suchen. "
Der Gram und die Ungewifsheit und
die Gewalt, in verhaltenen Seufzern zu
athmen, hatte uns einsylbig gemacht.
„Warum so stumm , meine Kinder ?
„fragte Athor. Ists der Gram ? Eure
,, Bestimmung ist Wirken ; eure Pflicht —
,, sehen , erfahren , erkennen. Meine
„Thränen zeugen, dafs ich leide: aber
„darum bleibt doch das, was uns trennt,
„dieser Augenblick und diese Gefühle
(1er Schmuck unsers Geistes; die Na- -
,,tur weihte unser Herz zum Gedächt-
„nifs der Liebe. Einst wird dieser
Abend wie die Stille besserer Welten
„euch umschwe1)en ; wenn eure liöliere
„Bestimmung, wenn die Pflichten des
,,Daseyns , wenn Freude oder Kummer
„späterer Jahre in seine Erinnerungen
„sicii mischen.
„Wie grofs ist alles verkettet, wie
,,grofs in seinem Wesen der Mensch!
,,Wie so ganz in allem der Zw*eck einer
höhern Bildung bedeutet, dafs kein liei*
„den ihn erniedrigen kann , der Gram
„selbst ihn zu erhöhen dient!''
Tibar nickte Beyfall , den Stolz im Her-
zen, der für heroische Tugenden mit Lei-
denschaft erwacht. ,, W ahr, Vater, wahr I"
Er hat wahr geredet. Aber damals
fühlte ich noch nicht die Wahrheit. Wie
oft erklärt Jugend die erhabne Sprache
der Erfahrung für Schwärmerey I
Ich haschte nach Widerspruch.
4Ö
Ich. Und wenn nun diese Lehre nur
der Stolz einer edlen Seele, mit der sie
auf dunklen Wegen nach Licht ringt,
wäre! ist sie darum glücklicher als wir,
denen kein philosophischer Trotz den
Kelch des Trauerns versüfst ? Sinkt der
vernünftelnde Widerstand gegen wirk-
liche Leiden nicht oft plötzlich unter
der Last zögernder Erwaitungen ?
Athor. ,,Als ob die unerschütterte
„Seele sich auf Erwartungen stützt^e? —
,,Sieh den Mann — in Thun und in
Leiden. Nicht der Ruf einer gelunge-
„nen That, die W^ahrheit seiner Pflichten
,,ist sein Trieb! was er wollte . . . die
,,zufallose Güte seines Willens — ist
seine Gröfse. Wenn er in der Fülle
„seiner edelsten Kräfte auf sich selbst zu-
„rückkehrt, als Sieger, wo die ohnmäch-
„tige Tugend alltäglicher Menschen zu
„Tausenden sich verlor — Ist nicht sich
„selbst beurtheilen, sich selbst erkennen
,, . . . dieses edelste Bedürfen eines den-
,ykenden Wesens — — der reichste
„Gewinn aus clen Verbaltnissen des Da-
„seyns? Am Umfang alles Witkens und
,, Leidens, aller Tliaten, all e v Kräfte , all er
„Gröfse, in die die Menschheit über Jahr-
tausende hin unserm Blick sich entzieht —
„lernen wir gerecht seyn gegen die Schöp-
„fung und ihre Wahrheit in tausend ver-
„änderten Gestalten.
,,0 so, meine Sühne, so — ich be-
schwöre euch bey dieser Stunde der
Trennung — so trac;htet, dals ihr nie
„die Armseligkeit eurer Wünsche zur
„Gränze des Daseyns, nie die Kleinheit
,, eures Wesens , eurer Einsichten , zur
„Gränze der Natur macht.
„Erhebt euch in ihrer Gröfse; denkt,
„dafs nichts euch so sehr veredle, als das
„Gefühl ihrer ünermefslichkeit. Dann,
,,und nur dann, werdet ihr den Thoren ver-
„achten , der sich für den Mittelpunkt der
„Schöpfung erklärt. Dieser armselige Kö-
„nig der Welt, der beym Brausen eines
„Stromes erbleicht , den ein Wurm vom
„Thron seiner Majestät* stürzt, der es wagt,
I^y.i-Na-Surc i. Th.
„über Bestimmung, über Gut und Scblimm
„der Dinge, nach seinem Verhältnisse zu
„entscheiden , die Gottheit nicht als Herrn,
„sondern als den Diener seines Schicksals
„zu betrachten; hat er nicht in seinem
„Dünkel sie beschimpft, da er sich als
„den einzigen grofsen Gegenstand ihrer
„allschalFenden Güte angab, da er vergals,
„ „dafs er nur Theil , der Theil nie Zweck
„des Ganzen ist?
„Unseliger Irrthum ! — Quelle alles
„Übels. Wo findet die Unzufriedenheit, der
„Tadel des Menschen gegen das All, seinen
„Ursprung als in dir? Er, der alles für
„sich erschaffen glaubte, und so vieles ^egen
„sich fand , machte den AViderspruch sei-
„ner Hoffnungen zum Verbrechen der
„Gottheit. So wurde die Majestät eines
„grausamen Wesens erfunden, das in der
„Nacht des Schreckens, nur wach zu sei-
„ner Verfolgung, ewig mit ihm sich be-
„schäftiget, um in Leiden wie in Freuden
„das Spiel einer Laune aus ihm zu machen.
„So wurde die Lehre des Zufalls erfunden,
„flie Lehre der beiden streitenden Wesen^
„der Ursprung des Übels , der Fall unsers
Geschlechts. So nahm man sogar die
„Erdichtungen eines verflossenen goldenen
„Alters, Erwartungen jenseits des Grabes
„zu Hülfe, um zwischen Träumen der Ver-
„gangenheit und der Zukunft jeder reinen
„Betrachtung der Gegenwart, jedem Dank
„ihrer Güter sich zu entziehen.
„Beleidigte Eitelkeit und verfehlte Er-
„wartung haben die Aussichten des Daseyns
„verfälscht, und der unmündige Wahn . . .
„„Glück zum Zweck des Menschen zu ma-
^,chen<, " hat die Wahrheit verhüllt.
„Entwicklung unserer Kräfte für ein hö-
,)heres Ziel ist — unsere Bestimmung; —
„Unruhe — das Mittel; Selbstständig-
„keit — unser höchster Gewinn. Kampf
„ist unsere Gröfse , und Tugend , die nur
,,in Hinsicht auf jetzige oder künftige
„Glückseligkeit wirksam wird, blendender
„Eigennutz. Der Lohn der Güte ist —
„gut seyn , und kein Gott ist fähig;, einen
jjhöhern Preis aufzustellen, als „das
„Bewufstseyn , unsere PHicht erfüllt zu ha-
lben." Pflicht! ist das unsterbliche Wort,
„das uns über Abgründe hinweg trägt,
„und über Schrecknisse siegt. Pflicht ist
„der erhabene Beweggrund des Weisen.
„Da braucht es keine Unsterblichkeit und
„keinen Himmel , um das umstürmte Ge-
„bäude seiner Tugend zu stützen. Reines
„Erkennen ist sein Führer; Vernunft ist
„sein Gesetz; des Gesetzes Erfüllung —
„seinUrtheil. — Doch genug. Öftere Wie-
„derholung schwächt die ehrwürdige Ge-
„stalt einer Lehre, und macht Wahrheit
„nicht selten zum verachteten Gegenstand
„des Widerwillens. Ich habe kein Mifs-
„trauen ge^en euch , und so fahret wohl.
„Vielleicht entziehe ich mich eurem Ab-
„schiede. Vielleicht sehe ich euch nicht
wieder. Was ich euch noch zu sagen
„habe , ist wenig.
„Seyd wach gegen alle, die so reich an
„Gewifsheit scheinen, so reich an Versi-
„cherungen des Glücks und des Genusses,
„der Freude und ihres Besitzes; gegen die
51
, ».leise. lispelnden Schwätzer, die ihre Fiöh-
,^ichkeit so gerne zur Tugend erheben, um
„der Tugend in ihrem Innern nichts mehr
,^chuldig zu seyn. tiberall ist Selhsthe'
„friedigung — der Abgott, den jeder
„in seiner eigenen Giestalt -der Verehrung
,, aufdringt; vom Wollüstling bis zum Ge-
„rippe des Geitzes , vom Manne, der das
„Leben in eine Reihe angenehmer Em-
,,pfindungen auflöset, bis zum Wesen', das
,-)marklos und abgetödtet die finstre Ein-
„förminkeit seines Stillstandes zum Mafs-
„stab für Götter und. Menschen machen
möchte — drückt jeder seiner Weisheit
„mit diesem Worte ihren fehlerlosen Stem-
,,pe! auf.
,,Ich kenne nichts., -was der Tugend so
„ganz ihre Wahrheit entrissen hätte, als
, »dieser falsche Ehrenkranz der Selbstbe-
„friedigung. Selbst die, denen Beruhi-
„gung bey dem Gegenwärtigen, genügsame
Stille .... das Glück unseres Lebens
„scheint, möchte ich doch fragen: ,,wor-
„iu denn diese Eeruhigung, diese Stille
„bestehe?*' Vergangenheit und Zukunft,
„der Wechsel der Scenen macht die Ge2;en-
„wart zu Etwas» den Menschen zum Men^-
„sehen. Gcnufs ohne Wunsch, .W^unsch,
„ohne Uiuuhe, Unruhe ohne .Gram —
„keines besteht ohne das andere — wie
„sollten also sie geniefsen , . sie , die kein
„Streben, keinen Mangel , keinen Abstand
,,der mehr oder mindern Zufriedenheit
„kennen v/ollen ?
„Ein Wesen ohne Furcht, ohne Thor-
,,heit, ohneThräne, ohne Holfnung, das
„nie verliert und nie gewinnt, mag zu
„allem s^ut seyn ; aber wie es zum Ge-
,,fLihl seiner selbst, in dem doch alle
„Freude besteht, gelangen könne, mag
„ich nicht beantworten.
„Kräfte im Kampfe erworben — ^ sind
„der Charakter des Lebens; Rückerinne-
„run^en sind euer heiligstes Gut; stilles
„Emportreten über den Wahn seines Vol-
„kes der edelste Wettstreit. Selbstüber-
„lassen und grofs wandelt der Mann über
„den Gefahren seiner Zeit, der ohne Drang
55
„zu gefallen, ohne Ringen nach Glanz —
„handelt, „wie das höhere Gesetz sel-
tnes Daseyns gebietet. *^ Erkennen ist
,,sein Ziel; in seiner Vernunft seine Tu-
,,gend.
„Oder glaubt ihr, dafs Güte ein trüber
„Instinkt, und gut handeln keine Wissen-
„schaft sey? '
„ „Das Ziel eures Daseyns " sey euer
„Gesetz. Vergleicht eure Kräfte, seht eure
„Gebrechen , und zieht aus beiden den
„Schlufs, welche Stufe euch gezieme. So
,, mancher, der im rastlosen Streben nach
„allzu hohem sich verzehrte; so mancher,
„der ohne Stimme zu sin2;en, ohne Ta-
„lente den König zu spielen, ohne Gci-
,,stesgröise den Helden vorzustellen w^agte,
„hätte er sein Auge auf sich gerichtet,
„hatte er erkannt, was er ist; würde
„still, geehrt und glücklich ein Leben
, »geendet haben, das er mit Spott an die
Schwelle der Unsterblichkeit trug.
, »Beobachtet den Menschen; Welterfah-
,,rung werde der Probestein eurer F,nt-
„würfe. Lernt Zeiten , Sitten und Gesin-
„nungen, die Macht der Verhältnisse, die
„Stufen der Entartung , den Einflufs des
Einzelnen, das Mafs eures Jahrhunderts
„kennen; dafs kein Wahn euch verleite
„zum nutzlosen Kampfe, der die Mensch-
„heit zerrüttet ohne ihr Schicksal zu ver-
edlen.
„Thätig seyn wollen ? — Auch der un-
„ruhige Schwachkopf ist thätig! Dünkel
„ist sein Genius ; Träume sind seine Tu-
„gend. Aher, sparsam auch in Thaten —
„sich seihst das eitle Vergnügen versagen,
„immer wirken zu wollen , ** das macht
„den edlen Weisen, dem sein Volk theu-
„rer ist als sein Name; der unter IVlen-
sehen, die er zu schwach für Wahrheit
„findet, mit stolzer Entschlossenheit der
„Begierde widersteht, „den Sklaven vom
„Traume zu wecken, dem er seine Ketten
„nicht nehmen kann."
,,Das Gute wird ein Gut durch seine
„Stelle, und die edelste That, zur Unzeit
„gethan , ein Streich, der hesserungslos
57.
„erschüttert, und dem Holme alles Guten
„neue Sclieinwaffen leiliet.
,,Der Weisheit- trunkene Mensch steht
„auf vom Sitze seines Nachdenkens. —
„So will er, so soll es seyn! — ■ Er giebt
„der Zukunft Gesetze — und knüpft sich
„Regeln,, die den Zufall ausseid iefsen.
,,Er ''bat auf jede Frage seine Antwort
bereitet ; nichts soll ihn treffen, w^as
„seine Vorsicht nicht berechnete. Der
erste Schritt ist gethan , und siehe da —
,,ein Etwas ... in seiner Rolle ohne
„Verfügung! — Da steht er, und verliert
unterm Gewirre abgerissener Fäden, zwi-
„schen der Ehrenrettung seines Systems
„und der lliehenden Gelegenheit, den Au-
„genblick . . . der ihn zum Mann machen
„könnte, und zum Thoren macht.
,,Tch bitte euch, meine Söhne, ich bitte
„euch, nichts von jener Klugheit, die
„sich an Formeln bindet, nichts von jener
,,lIoirart des Wahnsinns, der die Erde zu
„beherrschen glaubt, weil er sie in sei-
,,nen eigenen Gestalten verachtet! Lernt
5a
„unter Verhältnissen wandeln, lenkt das
„Ungefähr der Umstände in euren Gang.
„Vor allem macht euch nie zu Sklaven
eines Tages, der eine Zukunft entwirft,
„die er nicht erräth , und durch ICetten
„eines Planes die Schritte eurer Lebens-
„bahn bezeichnet. Der Mensch bedarf
eines Zieles. Er braucht einen Zweck
„seines Weges , dem er nie entsage. Der
„Elick dorthin sey sein Leiter, das AVie —
entscheide die Möglichkeit jeder Lage.
„Belehrt euch. Nur macht Wissenschaft
,,nie zur todten Geschäftigkeit. Männer
,,fordre ich, nicht Gelehrte.
, »Ordnung ist — den Gesetzen des
„Daseyns gehorchen, so wie ihre Aus-
„übung sich darbietet.
„Aber der entartete Geist, für Wahrheit
„zu blöde, für Nachdenken zu schlaff —
„hat Pünktlichkeit an die Stelle der Ord-
,,nung gesetzt, kleinliche Behelfe von
,,Mafs und Zeit . . . statt des reinen Ge-
,,brauchs unserer Kräfte. Die Menschen
„haben sich Fesseln erschaffen, und klagen
59
„das Scliiclvsal an. Kleine Geister liaLen
..Schwache zur Weisheit gemacht, das Al-
,,tertliuin ■ bat Thorlieiten geheiligt, die
Gewohnheit hat I nsinn vergöttert, und
,,das betrügliche . Glück eines Zufalls hat
„Jahrhunderte irre geführt« Hütet euch
„vor allem diesem. Glaubt nie an Gröfse ;
sondern überzeuot euch, und lalst nie das
„Glück eines aufgespreitzten Schwächlings
,,euch zur Anbetung hinreifsen.
,,Vor allen Dingen aber weg von der
ersuchung, grofs scheinen zu wollen
,,in dem, worin es andere waren. Der
j.sute iNIann findet überall seinen Weg;
.,er hat nicht nöthi^ durch fremde Ahn-
,,]ichkeiten sich in die Achtung der Vv'elt
zu drängen. Die ihn erkennen^ werden
,,ihn ehren; und die ihn nicht erken-
,,nen — warum sollte er sich für blöde
Augen vergröfsern wollen ? — Kein ver-
,,derblicheres Übel als , diese Sucht, in
., andere Gestalt sich zu werfen , die lap-
,,pischen Verzierungen des Zufalls an sich
.,zureifsen. fremde Fufsstapfen zu betreten.
6o
,,uncl was, Einmal gesagt, Bewunderung
,,eiTpgte, durch ein Puppenspiel von Wie-
,,derholungen schal zu machen. Das Edelste
„verliert seinen Glanz, die Tue^end ihre
„Wirkung, das Genie seine Achtung, wenn
,,die lächerlichen Bemühungen der Nach-
,, ahmer sich wie ein Nebel um ihre ent-
,,fernte Würde herziehen.
,,Tch könnte die Entstehung seltner Men-
,, sehen vervi^ünschen, wenn ich den Schwin-
j.del, den sie verursachen, durch seine
,,L!bel alle heilsame Folgen ihres Daseyns
,, aufwiegen sehe.
, „Jeder Ort hat seinen kleingrofscn Mann,
„den der Weise verlacht und der Haufe
„bestaunt. Lafst ihm den Weihrauch sei-
„ner Jünger, in dem er Unsterblichkeit
,,athmet; Lafst ihm das Ohl ihres Lobes
„für sein dürftiges Daseyn.
,,Die sein bedürfen , mögen ihn preisen.
,,Der Tribut, den ihr ihm zolltet, wäre
„Schimpf für euren eignen Geist.
„Den grofsen Mann beurtheilen, wer
,,kann es, als wer Gröfse im Busen trögt?
öl
„Der Wunsch, eine fremde That getlian zu
„baben , ist der schönste Ausspruch über
„sie und euch. Und webe dem, der die
„ffanze Geschichte liest, und bey ruhigem
„Blute bleibt!
„Findet ihr endlich den, in dessen Tu-
„genden euer Ijeben sich zum Einklang
„der edelsten Gefühle erheljt, der euch
,, Warner ist und Gefährte, wenn der
„lebensmüde Blick hoffnungslos dem uner-
„reichten Ziele der Ehre entgegen sieht,
„o so umfafst ihn mit ganzem Herzen :
„Wohlthaten des Edlen sind eurem Haupte
Kronen der Ehre.
„Freundschaft — Blume des treiflich-
„sten Bodens! Sie wird nicht gesucht; sie
„mufs gefunden werden. Hofft nie sie zu
„besitzen, wenn ihr sie nicht als das Ei-
,,genthum eines veredelten Geistes in euch
„tragt. Freundschaft ist nur eine Fähig-
„keit der Tugend.
„Geht eure Bahn. Drängt euch nicht
„zu; verachtet aber auch den nicht, der
„euch entgegen kommt. Denkt eures
62
„Alters: geniefset die Schätze der Jugend
„mit Wahl. Klagen eignen nur unver-
„schuldeten Ijeiden. Durch die Enthül-
,,]ung unbekannter Kräfte erheben Übel
„unsere Seele. Jeder edle Kampf wird
„reineres Selbstgefühl. Nur Übel » deren
„Urheber wir sind, bleiben als Vorwurf
„für unsern Verstand, und Schimpf für
„unser Hera , das herbe Gefühl ev/iger
„Deniüthigung.
„Dennoch verachtet keinen. Der Thor
„ist nicht immer schädlich , der Weise
„nicht immer glücklich; aber wie es auch
„treffen mag, so vergesset nie, dafs innere
Wahrheit und Adel des Willens nicht
„Erfolg . . . die Richter unserer Hand-
„lungen sind.
„Noch seyd ihr jung, noch enthüllen
,,sich euch Kräfte. Macht euch reich an
„Erinnerungen, die mit bleibender Stärke
„auf euch im Alter zurückkehren; macht
,,euch reich für die Zukunft. Was habt
„ihr eignes als euer Gedächtnils? was
„habt ihr wirkliches als euer eignes Selbst,
65
„eure Kräfte und das entflohene Traumbild
„der Jugend? Sie ist die Zeit, in der mit
„ewiger Dauer die BegrüFe der Freude des
„Selbstgefühls und des Stolzes sich bilden;
„die Zeit, in der der Same für künftige
„Entschlüsse gedeiht; die Zeit, auf die das
„Alter mit dem Schmerz verlorner Liebe
„zurück sieht.
„Noch seyd ihr jung . . . die Zeit , da
„Enthusiasmus, da der Geist mit hohen
, »Wünschen nach den Idealen der Gröfse
„blickt. Handelt, wirkt, durchdringt euch
„von der Würde des Menschen, um im
„Gefühl eurer Thaten — Selbstach-
„tung, diesen ersten Ring in der Kette
„der Tugenden , zu gewinnen. Werdet
„nie gleichgültig gegen euch
„selbst — die gefährlichste Krankheit,
„die es giebt, weil sie schmerzlos am
„Marke des Lebens zehrt.
„Euch selbst zu bilden , ist das erste
„Glied in der Reihe eurer Pflichten. Wie
„könnt ihr sie erfüllen, wenn ihr euch
„selbst vergefst?
*4
Sollten eureThaten euch selbst unsicbt-
„bar sicii verlieren im Strom eurer Zeit, —
„tröstet euch: keiner hat umsonst gelebt.
„Tausende haben ruhmlos gewirkt, aber
„darum nicht vergänglich : ihr erntet , wo
„sie säeten. Wolltet ihr w^eniger thun ?
„Wenn . eitles Verdienst im iNamen der
beleidigten Tugend sein undankbares Ge-
5, schlecht bekriegt, Ruhm wie einen Tri-
„but fordert, und Vergessenheit mit Un-
„thätigkeit rächt: so seyd verkannt, s^eläs-
„tert . . . edler als Tausende: - — „lafst
„der Menschheit nicht entgelten , was euer
„Zeitalter fehlte."
,, Söhne eines gefallenen , unterdrückten,
leidenden Volks, hat eure Seele Gefühl,
„als Retter des Vaterlandes, alsEr-
,,neuerer seiner Verfassung, als Rä-
,,cher des- Unrechts dem höchsten
„Triumph menschlicher Fülle zu nahen: so
„weihe ich euch in diesem Kusse der Zer-
„störung aller Hindernisse, der Wieder-
„herstellung der Menscbheit; und jede
„Ader, die in diesem feierlichen Augen-
blicke liölicr sclilagt, ruf einst Rache
,,über euch, wenn ihr yersprecht, was
,,ilir nicht haltet.
„Sühne eines einst blühenden Stam-
,,inesl Unter den Ruinen seines Vater-
Alandes, im einsamen Grabe — verloren
,,vor den Augen der Nachwelt, schläft
„der Held und der Weise; kein Dank,
„kein Name umgiebt es, kein Jüngling
„besucht ihn. Die Rechte des Ruhras
,,sind erloschen. Unsichtbare Stille webt
,,den Schleyer der Vergessenheit, der
,,ewig dicht den Namen der Unsterb-
„Uchen deckt. Es sind eure Väter. —
Fühlt ihr Muth, ihn zu zerreifsen?
,, Fühlt ihr Muth , für Geister zu käm-
,,pfen, und erloschene Ansprüche durch
,,neue Tugenden herzustellen?
Weiht euch dem Opfer. — Hier vor
,,den Augen des Ewigen blickt in das
Dunkel der Zukunft, in dem ihr nun
,,mit dem Bewulstseyn wandeln müfst,
,,dafs eine verborgene Hand die Fort-
Dya-Na-Sore i. Th. 5
66
„schritte zu eurer Bcstiiiimung nach
euren Thaten ahwäge.
„Nun den Becher des Abschieds, und
,,dann! Wir sehen uns wieder, wo der
,,Dank vollendeter Thaten am Altare des
„Vaterlandes euch den lange verborgenen
„Ts amen eures Geschlechts zurück giebt.'*
Tibar mit stillem Ernste schlug seine
Rechte in die Hand unseres Vaters , und
sthwieg.
Tibar. Du hast mir eine grofse Aus-
sieht erölFnet. Vater! so fest ich deine
Hand jetzt halte , so fest steht der Ent-
schlufs , den Geistern meiner Vorfahren
am Altare des Vaterlandes ein Opfer zu
bringen , das ihrer und ihres Enkels wür-
dig sey.
Dya'. Ich will sie dem Grabe ent-
reifsen, ich will auf den Nacken des Un-
terdrückers treten , und , sollte er am
Himmel seinen Thron, in der Hölle seine
Ketten befestigen. Unscrn Namen, Vater
67
Athor. — Findet ihr nach vollende-
ten Thaten am wiederhergestellten Altare
eures Landes.
„Noch sprechen wir uns, noch sehen
,,wir uns. Was die Zukunft verhängt,
„kann keiner vorher sagen. Wehe dem
„Menschen, dessen Wünsche nicht an
„seine Pflichten reichen , den edler Wille
,, nicht stark und sein hohes Ziel nicht
,, unerschütterlich macht ! — Edel ist euer
„Zweck, grofs euer Lohn . . . einzuge
„hen unter die Söhne des Alterthums, das
,,Land zu sehen, wo in Licht und Recht
,,am heiligen Quelle des Ursprungs der
, ^Mensch in reiner Tugend, frey und
,,edel, dem Verderben der Zeiten trotzt,
,,und nur der Wahrheit, nicht seinem
Jahrhunderte dient. — Wenn diese Er-
Wartungen euch nicht siegen helfen — •
,,so ist meine Sorge umsonst. Beleli-
„rung soll euch nicht fehlen. Warnung
„sollt ihr hahen. Freunde gehen euch
,,vor. Freunde theilen eure Gefahr. Meine
Summe soll euch wach halten, frem-
„des Beyspiel euren Mutli stärken. —
,,Aber wenn ihr euch selbst entsteht —
„wenn in euren Herzen der Geist ehren-
voller Forteiferung nicht liegt ; wer
„hann eure Seele erheben, wenn sie ver-
,, zweifelt , oder kühn machen , wenn sie
„schwindelt? Wo innerer Wiederschein
,, nicht wirkt, ist der Strahl von aulsen
verloren.
Wollt ihr nicht - — so blei])t, — im
übersättigten Genufs eurer Ruhe, Reue
„einst am Grame eines unedel welkenden
Alters, verlorne Gelegenheit einst zu
,, bejammern. Wenns süfs wäre, sich
,, durch Schlafsucht für Gefühl und Thä-
„tigkeit zu entschädigen ; wenn die Last
,,des Lernens die Freude des Wissens
nicht überwöge ; wenn Mensch und
Thier, zu gleicher Dumpfheit verdammt,
„nur ans Hinbrüten ihres Daseyns ge-
,,bunden wären: o so wäre wahrlich das
Geschenk dieses Ijebens und die Sorge
69
seiner Erhaltung ein Una,lück, das nur
,,ein Thor zu YerUin2,ern wünschen
„konnte.
,,Wenn einst mit dem stumpfen Ge-
fühle physischen Daseyns eng unser
Blich, unsere Einbildungskraft arm, der
bunte Haufe menschlicher Dinge nur
,,ein ekles Gemisch verwirrter Erinnerun-
,,gen wird; wenn der Gram entflohener
,,luäfte uns nun der freudlosen Kälte
eines gedankenleeren Alters preis giebt ;
„we.nn eure grauen Haare der Spott der
Jünglinge, ihr vor dem elendesten Lu-
,,stigmacher zittern, und vor jedem klei-
,,nen Götzen die Knie beugen müfst;
,,wenn überall Rath sei und nirgend Auf-
,,schlufs — Vorurtheile euch quälen, und
,, fremde Furcht durchs Leben peitscht:
,,wehe , v/er im Schmerzen seines Da-
,,seyns dann rufen mufs : Verflucht sey
,,die Stunde, da ich Hohn gegen Wissen-
5, Schaft, und Bitterkeit gegen die, die
5, mich leiteten, in meine Seele legte, da
„ich muthlos zurück blieb , und die Ver-
70
„zweifliing über meine Aussichten siegen
„liefs
„Ist nicht Wissen der Stolz unserer
Natur? und Stolz das Selbstgefühl iin-
serer Seele? Ist nicht Seligheit darin,
„sich in sich selbst der Vervollkommnung
„näher finden?
„Gehet und seyd Männer, Der Weq,
„liegt vor euch , in euch der Wille.
„Was euch auch begegne, sucht in eurer
„Bestimmung den Aufschlufs. Macht das
„Gröfste zu eurem Ziele. Gemeine Vor-
„züge wären Gebrechen — an euch. Das
„Edelste, was die Natur an Einsicht,
„Biedersinn und Heldengeist hervor-
„brachte . . . Entschlossenheit, Todes-
Verachtung , Vaterlandsliebe , Festig-
„keit, Uneigennützigkeit , sey euer Loos.
„Ungewöhnliche Forderungen müssen
,, durch ungewöhnliche Tugenden erfüllt
„werden.
Ehret mich in euren Thaten, und lafst
„mich den Gram nicht erfahren , dafs das
„thiänende Auge eurer Freunde sicli mit
„verfehlter Hoffnung von euch zu wen-
„den genöthiget wäre."
Sein Anthtz ward ernst. Es dämmerte
in furchtbarer Erhabenheit. In seinem
Schweigen, in dieser schauerbaren Stille
drohte das, was uns bevorstand, mit
zehnfacher Gröfse.
D ya. Wenn unsere Hoffnungen einst
Wahrheit, unsere Wünsche Thaten sind,
dann lafst uns freuen , gerungen zu ha-
ben; dann, meine Brüder, wollen wir das
feierliche Geständnifs unserer Ijiebe im
Hocheefühl der Yollcndunü erneuern.
Athor. O Dya, Dya, so edel in dei-
nem Innern, aber auch run so viel näher
dem Verderben, daf s ich dich nach Jah-
ren gesichert, weit über jenem Abgrund
sehen möchte, der dir droht.
Dya. Was du sprichst, glaube mirs —
fühlte ich lange. Darum suche ich die
Tugend, um die Glut meines Herzens
ihr zu heiligen.
72
A t h o r. Du , Hanior , der du den Weg
deiner Brüder gehest, ohne ihje Stärke
zu haben, sey wenigstens ihr Freund.
Oder schreckt dich die Bahn? Bleihe
bcy inir.
H a m o r. Ich bleiben? — Dafs dein
finste;rer Blick, die Freude bey den Hel-
dcnereignissen deiner Lieblinge — mich
mit dem Vorwurf der Schwäche zut Bo~
den drückte ? Lais sie kämpfen , auch
ich habe Kräfte.
Athor. Du versprichst sehr viel»
Hamor. Das Ijeben hat der Vorzüge
manche, wenn ich auch die ihrigen ver-
fehle. Aber sie sind deine Liebhnge,
und ich bin verkannt. Sie sollen sich
brüsten, und ich soll ihr Knecht seyn!
Vater, Vater ! du forderst Liebe, und
giebst —
A th o r. Hört ihn nicht ; hört ihn nicht,
er ist mein Sohn !
Wehe dem Jüngling, den mit solchem
Tone sein Vater Sohn heifst!
Kalt itand Hamor vör seinem leiden-
den Vater.
Noch hier, rief der ergrimmte Dya,
weg von uns ! —
Athor. Lafs ihn. Die Zeit sey sein
Ijehrer.
Mit langsamen Schritte entfernte sich
Ilamor.
Ath or. Gehe hin in Frieden, und dafs
unser Wiedersehn einst besser sey als
unsre Trennung.
D y a. Und er soll mit uns ?
Tihar. Besser mit uns, als hier zur
Qual eines Vaters.
Athör. Da geht er hin der Undank-
bare, und höhnt zur Ehre der Empfind-
samkeit uns Barbaren, die beym Ton
einer FlÖte nicht schmelzen , aber beym
Namen Vaterland glühen. Wer hätte
geglaubt, dafs die Eitelkeit eines wei-
bisch empfindenden Knaben über Trotz
und Selbstheit , zur Verachtung seines
74
Vaters , zur Verletzung jedes Bandes stei-
gen könnte ? — Und doch — drey Söhne
gabst du mir, Gott! Wie viele, die nicht
Einen haben !
Den Becher des Abschieds! Ich lebe
in euch !
Der Becher ging herum Hand in Hand.
Jeder gab nach alter Sitte die Blume sei-
r.es Herzens, die schönste des Hains ; der
Kranz wurde geflochten . . . das Zeichen
der Trennung an Athors Lager. In der
Dämmrung seines zurück bleibenden Lich-
tes sank der Halbmond hinter Wälder
hinab. Der Nachtwind wehte. Die Blät-
ter säuselten. Am Ufer brach sich die
Welle, und der einsame Vogel schlug mit
verlornem Tone sein Lied im Räume der
Stille. —
Stille, wie edel ist deine Macht, wenn
an deiner Hand der Mensch der Vertraute
seiner selbst zu werden wagt! —
Wenn die Gröfse in deinem Schauer
ihre Entwürfe schöpft, Freundschaft bey
dir ihre Erhabenheit, der Kummer seine
Beruhigung findet, unerklärbares Wesen,
was ist die Ursache, dafs in dir jedes
Gefühl sich erweitert ? Du wandeltest an
uns vorüber, du tratst in unsern Kreis, und
sanft löste der wilde Schmerz sich in
Thriinen! —
O Stunde der Trennung, wie oft kehrt
mir dein Schweigen zurück!
AVir fürchteten zu reden , die Zukunft
in ihrer Unermefslichkeit vor uns , und
die Gegenwart in ihren Leiden. Jeder
glaubte die Bitterkeit seines eignen Ge-
fühls in der Vereinigung mit fremden
Kummer zu mehren ; jeder schwieg : Athor
entfernte sich. In ihrem Jammer stand
Ithora. ,, Morgen ! — Morgen werd' ich
fragen , wo ihr seyd. —
,,\Venn jede Blume euer Bild erneuert,
„wenn ich allein bin — — "
Die Nacht verging. Der Morgen kam,
die Sonne über Wettern, der Hain im
Dunkel , jede Blume gebeugt.
O Natur, Natur! du trauerst mit uns,
du milderst den Anblick unsers Grams
7(5
durch einen dämmernden Strahl. Wenn
unsere Seele bey Menschen umsonst nach
I/inderung sucht, nimmt — - was uns
u:ngiebt . . . die stille Gegend den Schein
des Mitgefühls an.
Aus dieser Ähnlichkeit alloemeiner Stiui-
mung kehrt die Thräne der bangen Erwar-
tung, und der Wunsch, nie getrennt zu
werden, veredelt zurück. O nie fand ich
dich schöner, Land meiner Jugend, und
nie fand ich dich wieder, als für die Wall-
fahrt weniger Tage zum heiligen Ruhplatz
eines Vaters. Das weissa2;ende Gefühl
meines Herzens blickte in die Ferne, wie
in eine drohende Wolke.
Hoffnungslos, mit thränendem Auge, sah
ich der Stunde entgegen, die uns zurück
führen sollte. —
„Zurück oder nicht zurück — sprach
„üva. — Für Pflicht geboren ist da meine
„Heimath , wo meine Bestimmung sich
„erfüllt. "
Athor war nicht vorhanden : im entfern-
ten Haine, am Grabe seines theuren Weibes
77
hatte er sicli verborgen, um diircli das An-
denkeii des V ergangenen den Schmerz der
Gegenwart zu mildern. Ithora und zwey
jüngere Brüder standen um uns her. Ein
Abschied, den keine Sprache ausdrückt!
Die Gewohnheit langer Kindheit hatte uns
verbunden.
Ich reichte ihr ein PahnbJatt von meiner
Hand. Armselige Geräthe des täglichen
Lebens, in deren Gebrauch das Andenken
mit dem Werthe sich abnutzt, war damals
nicht Sitte zu geben. Man gab Dinge, in
denen mit unv^erkennbaren Zügen der Ab-
druck des Charakters, die Gesinnungen des
Herzens sich erhielten.
Die Tugend gewann bey solchen Ge-
schenken, und jede Erinnerung an einen
Abwesenden ward ein Trieb des Recht-
thuns mehr.
7a
Altai an seine S c Ii w e s t e r.
Jugend umgiebt dich . . . Hosen des Früh-
lings, dais in dauernden Erinnerungen j
des ersten Daseyns schöner Gebrauch . . .
dir Frohsinn im Alter und die Kraft hoher
Selbstständigkeit werde.
Des arglosen Herzens unverhullte Theil-
nahme an Leben und Hoffen, am Schönen
der Wahrheit und Dichtung ist dein
Schmuck.
Vergils nie , wozu die Natur dich ersah
. . . Gefährtin — nie Sklavin eines Man-
nes — die Strenge seiner Seele und den
Trotz eines Kämpfers an die Gefühle wei-
cherer Menschheit zu ziehen. Darum hat
die Gottheit ihre Strahlen in dein Auge
gelegt, darum «ward Schönheit und ihs
besserer Sinn . . des Menschen stiller Uber-
gang in die Ahnungen eines erhabenem
Daseyns.
Ehre deine Gestalt — - das Werk einer
hohem Bestimmung ; bilde deinen Geist —
der Schönheit höchste Vollendung. W a s
wolltest cIli ricm Überdriifs entgegen setzen,
was der Vn-iie eines Wahnes, wenn kein
höheres Verdienst in des Vergänglichen
Reilie tritt; was dem Alter, wenn kein
Selbstbewufstseyn dir einsam Zufriedenheit
giebt y wenn Leerheit deine Klage, Spiel
deine Rettung, Spott dein Begleiter — des
Lebens peinigender^üruck dich unter To-
desfurcht dem Grabe zuführt?
Ferne den schwindelnden Höhen, von
denen der Mann auf Welt und Unsterblich-
keit blickt, und mit einem Fehlschritte den
Unteroang von Tausenden macht — sind
die Bahn des Kriegers und seine Triumphe
dir versagt; die Stürme der Völkerbeherr-
schung fordern rauhere Seelen und ein
kühneres Bewufstseyn : aber du lenkst
Herzen auf stillem Pfade zur Gewifsheit
des Güten , du führst den Einzelnen von
zerrissenen Hoffnungen zum Lichte deines
Werthes, du besänftigest des empörten
Geistes wogende Zerrüttung und den Un-
muth des Stolzes; dir neigen sich Män-
ner, wenn unbefriedigtes Streben in that-
losen Zeiten sie an ihrer eigenen Tugend
zur Verzweiflung triebe. In der Würde
deines Geistes liegt dein schöneres Da-
seyn. Fühle, erkenne, edel ist deine
Stelle im Gange der Menschheit. Kein
Ehrgeitz zieht dich in seine verheerenden
Kämpfe; kein Hafs der Parteyen zerreifst
dein lange gehegtes Wollen, und opfert
in mifslungener Rettung dich dem Götzen
des Tages .und seiner eigenen Schlechtheit;
kein zagendes Volk vernichtet (^as Werk
deiner Gröfse; dich ergreift nicht die Ge-
walt eines vielfach verschlungenen Da-
seyns, das deine Thaten nach unwill-
kührlichen Richtungen an dunkle Ver-
hältnisse treibt: diefs alles sind nur Lei-
den des Mannes. Tausenden öffnet er eine
Bahn, kaum Einer betritt sie. Sein Volk
ist seine Welt: die deine ist ein Herz;
von Mensch zu Mensch ist dein sichrer
Wirkungskreis berechnet; in häuslicher
Nähe lernt dein Geist sich innig und wah-
rer an das Umgebende schliefsen ; du kennst,
mit welchen du lebst; im Innern des Gemü-
thes stellt dein Reicli. Edle Gesinnun-
gen von Seele in Seele initgetheilt sind
deine Schöpfung, an die der Zufall nicht
reicht, an denen die IVIacht der Umstände
nichts verändert. Schön ist deine Stelle
im Ganzen. Ehre dich in deiner Bestim-
mung. Sey Weib, sey es ganz in sei-
nem edelsten Umfange: diefs ist deine
Gröfse ; den Mann zu spielen, dein ge-
fährlichster Traum. Achtung verdient,
wer erfüllt, was er vermag: jedes Wesen
kann nur in seiner Eigenheit gut seyn.
Weich für die Freude, empfänglich
für das leise Vorühergehen eines kaum
merkbaren Wechsels, voll Staunen beym
Ungewöhnlichen, voll schöner Achtung
für jede entschiedene That — sollte
an euch sich berichtigen, was dem
Manne im gränzenlosen Gange seines
Muthes nie klar wird . . . das beschei-
dene Mafs eines zart gebildeten Gefühles,
das im Räume eines vergänglichen Da-
seyns sich Welten aus Rosenstaub schafft,
des Kleinen geniefsend, jede Verschieden-
p3M-xs'.i-Sürc Tli. 6
iieit ergreift, und beym Kampfe des Siegers
mit süfser Bewunderung reicher belolmt —
als der Eeyfall des Starken, der ein Rich-
terspruch scheint, und dessen Lob nur
Gerechtigkeit ist.
So knüpfte die Natur männliche Tugend
an euer Dasejai.
In leichtern Wünschen leichter befrie-
digt — sind des Weltlaufs eiserne Gesetze
euch verhüllt: euch reifsen nur einzelne
Bande, keine Hoffnungen im Schoofse des
Ruhms gefafst. Nur, der Zukunft lin-
dernde Gestalten umgeben ein weich ge-
schaffenes Herz. Jede Hoffnung wird ihm
Zuversicht, jede zertrümmerte Hoffnung
der Stoff vieler neuen. Die Zeit ist euer
Arzt. Euer Gram ist vorübergehend, wie
eure Wünsche, der unsere bleibt mit dauern-
den Zügen in die Gestalten unsers Vater-
landes geschrieben ; überall öffnet sich
euch eine schöne Laufbahn , uns nur
unter einem erhabenen Volke; überall
hat die Natur euch Honig in Blumen ge-
legt, überall gedeihen eure Tugenden, ach
die unsein, wie Eichen, nur in tiefem
Boflen. Wir sind groTs oder nichts.
Mehr harrend als handelnd — hlühen
euch Erwartungen seltner getäuscht, und
die Menschen erscheinen euch hesser:
mehr an den Einzelnen und seine Ver-
hältnisse als an ein Ganzes geknüpft,
sind des Menschen Vorzüge in naher
Beziehung mehr, als sein weitres Ver-
mögen euer Kreis. Daher euer sich-
rer , näherer Sinn gegen den Unmuth
des Alltäglichen; daher jenes Stillstehen
hey weichern Gefühlen, und jenes schnel-
lere Mitleid, jene Bewunderung einzel-
ner Thaten , jener Antheil an den Leiden
einzelner (auch erdichteter) Ereignisse,
und jene Gleichgültigkeit gegen die Ge-
schichte eines Volkes. Thränen sollten
eure Gabe seyn , wo der Mann im Be-
wufstseyn gleichen Muthes — am Unter-
gange der Einzelnen nur das unerbittliche
Gesetz eines allgemeinen Opfers, oder
das kühne Vorbild seiner eignen Unbe-
zwingbarkeit findet. S o werdet ihr des
84
Ijeldeiideii sanfte Zuversicht, seine wie-
derkebrende Stärke unter Klagen . . .
Ein lindernder Blick in die Tiefe theil-
nehniender Herzen giebt ihm Glauben an
Tugenden auch jenseit des Kampffeldes.
Er lernte wagen , trotzen und wollen
unter M ä n n e rn ; er lernt tragen, hof-
fen, und den Menschen in seinen Lei-
den ehren unter euch. An äufsere Wi-
dersprüche unter steter Beschränkung
gewöhnt, übertrifft eure Ausdauer in
Leiden die unsere : aus der Erfahrung
unserer Kräfte ziehen wir das Vertrauen
unserer Selbstständigkeit und den Muth
gegen erhabnes Unglück unter Kämpfen ;
aber jedes unabwendbare Hinsiechen un-
ter kleinlicher alltäglicher Kränkung zer-
stört unseres widerstrebenden Geistes
stolze Triumphe , und ein männliches
Herz erliegt.
Aus der Abgezogenheit eurer Jugend,
aus der frühen Bestimmtheit eines stil-
len Lebens entspringt eure Stärke. Alles
bedroht euch; darum ist alles euch bedeu-
tend. Uberall macht ein engerer Kreis
euch das Kleinere wichtig. In der
schrfeckbaren Stille des Kommenden
drängt euer Ohr sich nach jedem Laute.
Darum ist Vorsicht euch näher als
Entschlüsse, Wählen näher als Wollen,
Erfahrung verwandter als Dichtung;
darum das Herz des Einzelnen, seine
IS^eigungen und sein Zweck, die Men-
schen in ihren Verschiedenheiten . . .
euch tiefer erkannt, als der Mensch
in seiner allgemeinen Natur. Darum
kann euer Urtheil Männer berichtigend
leiten, wenn kühn, im Zutrauen wie in
der Verachtung — der Stolz das ihrige
verwirrt. Wer in seiner Kühnheit euch
nicht scheuet, wer euch zu beherrschen
glaubt , liegt euch offen : Furcht bildet
euern Scharfsinn ; im Bewufstseyn min-
derer Kräfte entwickelt sich euer Ver-
stand.
Oft sind Männer im Umfange dessen,
was ihnen obliegt, kalt und ungerecht
gegen das, was andre leisten; wo aus
Cö —
rictitlgern Gesichtspunkten der Entfer-
nung euer berechnender Blick der Tliat
bis in ihr Heiligthum folgt. Gröfse be-
wundern können ist — eure Gröfse.
So knüpfte die Natur euer Daseyn an
den Wirkungskreis des Mannes.
Regsam unter stillen Träumen, ölfnen
tief in eurem Herzen sich die schönen
Keime der Liebe, in eurem bessern Sinne
ihr edleres Gedeihen. Wie im Reiche
der Ehre der Mann, so herrscht im Reiche
der Liebe das Weib, und giebt, gut oder
schlecht, Gesetze — das Glück oder Un-
glück der Menschen.
Dafs auch du der Liebe höhere Bestim-
mung erkennest, auch du voll hellern
Sinns nur das Edlere wählest, und da,
wo Leidenschaft den Mann um sich selbst
betrügt, ihn zurück führst, als Genius,
zur Würde, die ihm eignet — — wie
schön ist dein Loos ! Prüfe mit Wahr-
heit: mache die Liebe nicht zu weniger
oder mehr, als sie soll.
Es gab eine Zelt, da man Siege im
Namen der Minne erfocht: soll ich sie
verachten oder zurück wünschen? Man-
ner, hey denen der Gedanke der Ehre
nur unter der Gestalt einer Gewohnheit
fortwirkte, die der Zufall erschuf — -
Konnte das Weib, zum Richter erhoben,
ohne dafür gebildet zu seyn , vollgültig
nach Gesetzen entscheiden, die die Eitel-
keit schrieb ? ! Schwach durch wechsel-
seitige Irruno; — lao alle Gröfse im Ehr-
seitz einer Laune , und die Willkühr gab
der Tugend ihre Formen : w i r demüthig-
ten uns unter ihre kühne Verblendung.
Ihrer Herzen zarte Gefühle erloschen un-
ter Herrschsucht. Der Mann hatte die
Hälfte seines Wesens verloren.
Es kann seyn, dafs Handlungen ihr
Erwachen im Blicke eines weiblichen
Auges finden ; aber eigennutzlos ist die
Tugend . . . Wie kann ich s o nennen,
was an Lohn und Besitz, an Verhältnifs
und Hoffnungen hängt ? Der Mann steht
im Dienste der Menschheit; der Stol/i
08
eines zärtlichen Liebhabers wird nur zu
leicht eine unnütze That, oder ein üppi-
ger Reitz verkehrter Begriffe. Wehe den
Zeiten, die in ihrem Wahne der allge-
meinen Ordnung widerstreben!
Es gab eine Zeit, da die Last eines
schlaiTen Jahrhunderts unmännlich zu
einem empfindsamen Schwindel hinab
rifs ; da die Kränklichkeit müfsiger Ent-
artung sich schmelzende, ruhlose Ge-
fühle und eine Hoheit leidender Hinge-
bung erträumte ; da der König Mann bald
aufgespreitzter Held, bald als weinen-
der Schäfer zu den Füfsen seiner über-
müthigen Gebieterin lag: der Mensch
mufste fallen, sobald der Zufall eines
Lächelns über seine Wünsche entschied.
Er sank hinab zum Spiele fremden Wol-
lens , und lernte unmerklich auch im
Wichtigsten sich Ketten anlegen , die
jedes Jahrhundert einer falschen Uber-
macht trägt. Täuschungen fanden ihren
Weg durch Weiber vorbereitet, und die
todte Macht der Tyranney siegte über
Männer, die, sorglos und klein — Reclite
für einen ertriiuinten Preis vergaisen.
Fühle , welche edlere Wahrheit sich
dir öfFnet. Sey Weib, um Männer zu
begeistern, nicht um in einem irrigen
Reiche unter Sklaven zu schwindeln.
Weg von jenen kindischen Ansprüchen,
durch welche eure irrige Majestät sich zu
befestigen glaubt betrogene Gebie-
terinnen, verspottet in einer Macht, der
man huldigt um zu verderben, baut nur
die Absicht euch Altäre: dafs nie iTire
Stimme dich verlocke.
Werde wozu die Natur dich bestimmte
der Genius ruhiger Stunden: wenn
das Herz unter Stürmen sich nach Stille
sehnt , dann mag dein Gesang eine Ge-
gend erheben , dein Andenken — Ge-
wifsheit des Bessern, dein Geist der Zau-
berkreis werden , der rauhere Männlich-
keit in süfse Kollnungen schliefst. Er
werde gerecht an deiner Hand gegen
den Einzelnen; nachsichtig gegen den
Scliwächern , der im Kleinen seine Tu-
genden übt; stark in deinem erkannten
Werth für deine Sicherheit ; muthiger
für deine Rettung : er kämpfe und leide
für das hohe Bild seiner Seele — Edler
IVTuth ist die Frucht, und seine Kräfte
streben in einer schonen Bestimmung.
Aber vergessen darf er nie, dafs dein
Besitz nicht sein Zweck , dafs er bessern
Dingen bestimmt ist, als der wimmernde
Süfsiing im Schoofse falscher Empfind-
samjieit zu seyn. Wehe ihm und dir,
wenn er, fremd für Gröfse — sich an
die üppigen Truggestalten zerstörender
Gelüste kettet, wenn er edler Ereignisse
leer, ohne Vaterland, ohne begeisternde
Wahrheit, Liebe . . . für seine Beschäf-
tigung, und ihre blendende Eitelkeit . . .
für seinen Ehrgeitz hält!
Man spottet eures Wesens : und wer
verbildet es, als der falsche Sinn eines
siechen Jahrhunderts ? ! Wer spottet
euer, der nicht in seinem Spotte sich
selbst zur Erniedrigung würde. Unrich-
9^
ti<2: erhöht oder erniedrigt — - hat man
eure Bestimmung verkannt. Man hat
euch zu untergeordneten Spielwerken
gemacht, und ihr rächtet euch durch eine
erschlichene Macht. Sey edel, und strebe
freywillig die. Thorheit aller Zeiten zu
tilgen.
Man spricht von eurer Schwäche , und
doch ist sie in ihrer Grundlage nur die
schöne Individualität einer reitzbaren
Seele. Man spricht von eurer Eitelkeit;
man tadelt euren Hang zum Putz : als
ob der Mann , der auf glänzende Waffen
hält, oder der mit Thaten und Wissen
prangt, Nachsicht verdiente ? — Und ist
nicht diese Neigung zur Anmuth die Seele
eures Charakters ? bestehet nicht in ihr
diese ganze Biegsamkeit, dieses Ansich-
halten , die Wirkung eurer B^eitze ? —
Mit ihr — versagte man euch Sitt-
samkeit und Tugend; müfsigen Stunden
giebt sie Beschäftigung, sie ruft den
Wahn -der Tugend zu Hülfe, und legt
in euer Wesen die Würde, vor der schon
9^
mancher unedle Antrag zurück trat. Sie
lehrt euch, euch selbst achten, und einen
Preis auf euren Beyfall setzen.
Lafs deine Schönheit die Freundin dei-
ner Tugend werden , und dein Glück
wird nie vergehen. Lehe wohl.
Ein schmerzender Abschied, und eine
Welt neuer Gegenstände machten unsere
ersten Trennungstage zur anhaltenden Be-
täubung- Den ersten Standort sollte uns
die Hauptstadt unseres Landes geben. „Un-
bestimmt, durch ein geschäftloses Leben,
in der INähe der Üppigkeit — die erste
Probe unserer jugendlichen Selbstbeherr-
schung abzulegen." Menschen , ihre Ver-
gnügungen, ihre Geschäfte, ihre Verhält-
nisse, so manches Schauspiel, auf dessen
Erscheinung uns in unseres Vaters stillem
Hause auch nicht Eine Ahnung vorberei-
tet hatte; so schneidende Gegenbilder über-
raschten, verwirrten, bedrängten uns in zu
schneller Folge. Erschüttert widerstrebte
unser Geist, und ward fester im Wider-
streben. Ein sanfterer Übergang hätte uns
vielleicht schleichend achtlos in seine Ab-
wege gezogen.
Wie schön hatte uns die Welt ausunserm
entfernten Schutzorte ruhiger Träume
gedankt : und wie verächtlich, schal und
selbsterniedrigend nun dieses Geschlecht,
„für dessen Wohl sich aufzuopfern, unserm
heifsen Gefühle ein so edles Loos schien!"
Unbestimmtheit, wo unser Auge hinsah!
Mangel an jedem festen Ziele ! Unwissen-
heit in aller Mannigfaltigkeit ihrer Täu-
schung, ihres Stolzes, ihres Wankens,
ihrer nie befriedigten, selbstverworrenen
Leere ! Menschen in der Wiederkehr klei-
ner Leidenschaften — beschäftigt mit
Nichts , arbeitsam aus Verschwendung ,
Verschwender aus Geistesarmuth , ehrlich
aus Furclit und gehorsam um der Streiche
willen , ohne Kenntnifs ihrer selbst , ohne
Achtung ihrer wahren Natur, ohne Freund-
schaft, ohne Wärme, ohne Liebe f ohne
Zeit — im Gewirre der Langenweile,
94
die sie sich wechselseitig Schuld gaben,
lind für die sie sich wechselseitig hals-
ten! Wo blieben sie nun, die Hoffnun-
gen der Jugend ? ! die Thaten , die wir
thun wollten , und für die wir keine Ver-
anlassung fanden ? ! Wo waren sie nun,
jene romantischen Bilder der Einbildungs-
liraft, die Tausende bereit zur Aufnahme
crotser Entwürfe — nur des Schrittes
unter sie zu bedürfen glaubte, um von
Allen cri\annt, von Allen verstanden,
eins mit ihnen . . . Freunde, Theilneh-
mer, Gefährten jedes edlen Unterneh-
mens zu finden! —
Das hohe entfernte Gemälde leidender
Tugend , „durch unsere Hände dem Auf-
enthalt entrissen , wo eine schleichende
Macht in ihren Thränen sie gefesselt
hielt , " verwandelte sich schnell in die
Gestalt eines Wahnwitzigen, der im
Mifsgefühl seiner Leiden . . . die Stille
des Gefängnisses für Ruhe, die Nahrung,
die m«n ihm aus Eigennutz reichte, für
Wohlthat hielt. Die Erde däuchte uns
ein grofser Kerker; die Bankette ihrer
Mächtigen — Blahle eines Wilden , der
Menschen für seine Feste mästet, und in
ihren Martern sciiwelgt. •
Aber mehr als alles empörte uns , dafs
der Mensch selbst für das mühselige Ta-
gewerk seiner Erhaltung allen Gräueln
sich verkauft, dafs jeder Ungerechte Tau-
sende findet, und in der allgemeinen
Entwürdigung — finden mufs, die mit
rastlosem Scharfsinne — Bande des Ge-
setzes in Ketten der Willkühr verwan-
deln, um mit fühllosem Eigennutze Ivlil-
lionen zu den Fülsen der Wenigen hinzu-
schleppen , die uns alle nur darum in
unserer kriechenden Duldung verachten,
weil der entwichene Genius der Mensch-
heit ihnen nie in seiner Gröfse erschien.
O unglücklich hatten wür sie gedacht,
aber nicht selbstschuldig !
Da standen sie nun, TibarundDya, am
lange gewünschten Eintritte des Lebens :
nicht Eine theilnehmende Seele ihnen
nahe, Fremdlinge überall, verlacht in
9Ö
ihren Gesinnungen, betrogen in iluem
Vertrauen, unter Wesen — die stolz
auf Gesetze, ihre Kräfte zu zerstören,
stolz auf Erfindungen, die ihre Tugend
vernichten , stolz auf Thorheiten , und
gleichgültig für alles, was edel, was
grofs, was unsterblich ist — der Idee
eines Vaterlandes höhnten ; denen jeder
Enthusiasmus — W^ahn, jede Aufopfe-
rung — Unsinn, jede Liebe des Gemein-
besten - — Traum , jede grofse That —
nur ein gröfserer Glaube, Eigennutz —
die einzige Triebfeder, Menschenverach-
tung — die einzige Wahrheit , von ihrer
Unverbesserlichkeit überzeugt seyn — der
einzige Gewinn aller Erfahrung schien !
Dann kamen die Stimmen quälender
Tröster :
,, Warum mufstet ihr in der Verschie-
„denheit eurer Vorstellungen die Züge
„zum Bilde der Menschheit suchen ? !
Oft quält der Freund am Krankenbette
sich mit Leiden , die , Dank seiner wohl-
thätigen Fühllosigkeit , der lächelnde
97
Beklagte nicLt kennt. Oft erregen fremde
„Kla£€^n erst das eingebildete Gefühl der
„Schmerzen. Lafst die IVfenschen ; Un-
„vvissenheit ist ihr bester Trost."
Besser leidend als fühllos ! rief dann Dya,
oder sollen sie ewig dumpf — nie ihrer
Erniedrigung sieb schämen ? Auf mit ihnen!
unter Foltern — wenn nur Foltern sie er-
wecken ! der Trost: ,,Und sind sie
„e r n i e d r i g e t y — oder nur , w a s sie
,,seyn können? Konnten sie den Ersatz
„ihres Verlusts in den Graueln ihrer jetzi-
„gen Verwirrung finden — so verdie-
„nen sie ihr Schicksal, so war Gröfse nie
„ihr Erbtheil, und Verächtlichkeit ihr
„Loos; so sanken und sinken sie, wie jede
„todte Last, durch ihre eigene Schwere.
„Üafs ihr zürnt, dafs ihr leidet, dafs
„ihr Meinungen habt — — ist das ein
„Beweis, dafs es seyn sollte wie ihr
,,wünscht'? Ihr wollt uns belehren:
„wo ist der Freybrief eurer Erfahrung?
„Tst nicht Stolz eure höhere Tugend und
„Selbstgefälligkeit euer Trieb? Prüft die
rya-Na-Sorc i. Tli.
„Launen eurer Wünsche Mit dem
„Traum eurer Kräfte sinkt vielleicht das
„Bild , das den Menschen so hoch über sich
„selbst (und euch über ihn) hebt."
So schailt der kalte Klügling sich überall
Gründe , seine Unthätigkeit zu entschul-
digen : in diesem Drange nach Entschul-
digung ein Beweis, „dals auch im ver-
dorbenen Herzen , das Gefühl höherer Be-
stimmung nie aanz beruhigt schlafe."
Wer lästert, um sich zu vertheidi-
gen — ist seiner eignen Sträflichkeit
geständig.
Sähe der edle Mann nur auf Lohn und
Folgen, betrachtete er den Menschen nur
einzeln in seinen Verderbnissen, wüiste
er nicht . . was er seyn kann, wäre die
Menschheit nicht sein Bild, würde er
handeln? Aber von ibrer verdunkelten
Würde reifst sein heller Verstand die Hülle
hinvt^eg; Vorurthcil , einschläfe/nde Träg-
heit, muthlose Zweifel . . nichts wirkt
auf ihn; in seinem Busen gilt kein Grund
der Beruhigung, kein Gemeinspruch und
99
keine eigne Erhaltung; so lange sie, deren
Held er ist, noch im Staube der Erniedri-
gung leidet : das Bedürfnifs seiner Seele
ist ihre Rettung. Und ihr, die ihr nicht
fühht, wie er, ihr könnt ihn so wenig
beurtheilen, als den ]\Tann, der um seine
Geliebte zu retten sich in die Flammen
stürzt, und so manchem ein Thor scheint.
Wer nicht mit Leidenschaft den Gpoen-
stand seiner Wünsche umfafst; wer kalt
und trag noch an jedem beruhigenden
Scheinestill stehen, an jeder Unmöglich-
keit zurück gehen, an jedem schmeicheln-
den Wahne eigner Güte sich befriedigen
kann: weg mit ihm; ihm hat die Natur
das Erbgut des grofsen Menschen versagt . . .
einen hellen Verstand und eine edle Einbil-
dungskraft. Thier zu Thier geselle er sich
zur Herde, und lebe in endloser Kleinheit
stumpf bey alltäglichem Genüsse und all-
täglicher Freude!
So spreche ich jetzt, da meine Gefühle
durch den Anblick grofser Thaten, mein
Herz durch den Umgang edler Freunde
erweitert — Walirlieit mir tlieiirer ist als
meine frühere INeigung. Aber nicht ganz
so sprach und dachte ich in jenen
ersten Tagen; als ich den Kummer meiner
Brüder in ihren Augen las , ohne in mei-
nem [nnnern seine volle Auslegung zu lin-
den. Ich wollte sie trösten. Oh! ich
Icannte noch nicht den Stolz der Trostlosig-
keit, die durch nichts vom Gefühle uner-
füllter Pflichten sich abziehen liifst. Wie
klein erscheine ich mir jetzt ! Die unfafs-
liche Kraft höherer Menschen ist der Kum-
mer der schwächern : sie verkennen gerne,
wns sie nicht erreichen,
Lafst mich abbrechen. Ich bin unfähig
mich selbst in einer Gestalt einzuführen,
deren Wahrheit mir jetzt dreyfach grölsere
Selbstverläugnung kosten vi^ürde; als wenn
ihr durch nachfolgende Handlungen dem
verbesserten Manne die Schwächen des
Jünglings zu verzeihen geneigt seyd. Ks
oiebt Seelen, die aus eigner Stärke dem
zueileiv, was ihnen eignet: indels andre
nur an der Hand eines Führers unter Dranor
101
und Noth den Muth erreichen , der Bequem-r
lichkeit gegen Ehre vertauscht.
Wenn Tibar und Dya in jedem Verhalt-
nisse dem Wirkungskreise höherer Zukunft
nachspürten, ach! so hin^^ ich noch mit
tiefem Sehnen am Vergangenen, und be-
rechnete Stunde für Stunde welche
Spiele , welche Arbeit in meiner Heimatli
einst mich, jetzt meine Entfernten
beschäftigten. Die schöne Natur war mir
t heu er; aber nur theuer mit der Zärtlich-
keit eines Weichlings, der in ihren Rück-
erinnerungen am Verlornen kränkelt. Der
Mann , der für die Zukunft träumt , ist ein
Schwärmer: der Mann, der an der Ver-
gangenheit siecht . . was ist er? — Ein
Schwächling. So war ich, und weg damit.
Geist meiner Väter, wie wahr hat eure
Klugheit verordnet! Wie ganz anders ent-
wickelt sich der Mensch von seinem ange-
bornen Hause entfernt; wenn all die ein-
seitigen Verhältnisse der Aclitung und
Liebe, des Gehorsams und der Gefälligkeit
schwinden; wenn niemand uns entg<^gen
kommt; wenn aber auch unser Urtheil,
nicht mehr vom Ansehen eines Vaters be-
schränkt, sich freyer fühlt, und selbst-
überlassen entscheiden mufs, um die Wahl
unserer Schritte zu lenken ! Freylich lastet's
im Anfang : die Ruhe des Gehorsams scheint
süfser als die Unfrewilsheiten einer schwer
o
zu bebauptenden Freyheit. Aber der
Mann reift, und die Seele erhebt sich,
wo schnelle Entschlossenheit, aus Noth
erzeugt, durch Gewohnheit genährt, im
Scboofse des Muthes mit Löwen spielen
und Gefahr zur Freundin des Selbstgefühls
machen lernt.
Ein Jahr war nun vorüber, ruhmlos ver-
lebt, ohne Ereignisse, ohneGrÖfse, ohne
Thaten: aber das finstre schwarze Gewirre
des ersten Anblicks, unsere Begriffe hatten
sich näher bestimmt, unsere Meinungen
über den Menschen erweitert, der Unge-
stüm der ersten Empfindung unter so man-
103
eher Erfahrung gemildert, und der Stolz
des Jünglings — — die Begierde zu wir-
ken — in die reinere Überzeugung verlo-
ren , dafs „Wirksamkeit — von reifen
Kräften , und die Fähigkeit wohlthätig für
andre zu werden — von strenger Selbst-
bildung abhänge."
Wir sahen immer klarer, was man so
selten sehen will , „dafs mehr Irrthuni als
Verderbtheit — d.is Böse — von Ver-
wicklungen , die den Geist ohne Ubersicht
eines Ganzen durch das Einzelne unmerk-
lich fortziehen , das Gute — immer von einer
unzerstörbaren , widerstrebenden Kraft,
,,sich ein Ganzes zu bilden und für ein
Ganzes zu wollen " — — in unserm In-
nern entspringe; und dafs man nicht das
Schlimme, welches Einzelne haben, son-
dern welches sie nicht haben, und nach
allem, was Lage, Erziehung, Gesetze,
iVIeinuiiojen , und verderbte Absicht ande-
rer an ihnen verschieben, haben soll-
ten — berechnen müsse , um den wahren
GeLalt ihres W^esens und eine reine Schät-
104
zung des unzerstörbar Guten in unserer
Natur zu erlangen.
So entsclilunmierte dann allmählich jener
unzufriedne erste Drang, der so manchem
Achtzehnjährigen die Welt als einen de-
müthigenden Schauplatz verkannter Grölse
zeigt , der ihm Ekel giebt gegen alltägliche
Geschäfte, ungerechtes Gemiithe gegen
die, die ihn umgeben, und im Stolz eig-
ner Vorstellungen - — jeden Weg ihrer
Ausführbarkeit verschliefst.
Wer kann handeln, als der, der den
Menschen ganz kennt? Wer kennt ihn,
als der, der nach tausend und aber tau-
send Verhältnissen , , . Kräfte u.id Wün-
sche, Eindrücke und Vv^irkungen, Ver-
schiedenheit und Leidenschaften , Blen-
dung und Seelenflug , Einsicht und IViei-
nungen zu berechnen weifs; der den Geist
seiner Zeiten mit der Wahrheit höherer
EegrilFe, und das Bild der reinsten Weis-
heit mit der Emjjfänglithkeit seines Volkes
in Ver<7leich zu setzen — Kraft und Ent-
sagung hat?
„M uth, sagte unser Vater, sey
euer Gefährte!" Aber Muth ohne
Forschen sey Thorheit . . sahen wir nun.
„Die Bestimmung des Men-
schen sey euer Gesetz!" Aber die
Artung derer, die mit uns sind, müsse die
Anwendung vorzeichnen . . . begriffen
wir nun: überall sey der edelste Lehrsatz
nur ein Werkzeug, und sein Gebrauch
unsere Kunst , und jede Kunst eine Übung
aus vielseitigem Wissen.
Jetzt erst fingen wir an zu verstehen,
was es heifse : „Nichts stehe allein, alles
,,sey wechselseitig verbunden. Unglück-
,,lich und Unglück bringend sey, wer sich
„unwissend brüste: aber am schädlichsten
„der, der die Wahrheit nur stückweise
„erkenne, und im Stolz seiner Begriffe —
„die demüthige Wissenschaft alltäglicher
Beziehungen übersehe. Die Geschichte
„zeige uns Götterbilder der Ferne, und
„was aus dem Ganzen der Völker her-
*>vor ging : aber nur im Blick auf die , die
lOÖ —
,,mit uns leben, lerne man — was der
,i,Einzelne sey.
„Irrthum müsse früh oder spät sich ent-
hüllen: ein Wahn trage seine Zerstörung
„in sich; denn spät oder frühe müsse er in
,, seinem eigenen Drucke seine Anbeter
„empören. Aber jedes losgerissene, ver-
„einzelte Gute werde ein Glaube , gegen
„den man weniger kämpfe als seufze;
„ein Scheinlicht schwächender Erwartung ;
„oder wie ein Treibeis stürmender Flu-
„ten, durch seine eigne Gewalt zerschel-
„lend — der Untergang derer, die es be-
„stiegen. Millionen hätten jedes einzelne
„Wahre mit ihrem Blute besiegelt: Jahr-
„tausende hätten gekämpft, und um was
„sey die Menschheit einem reinem Ver-
„hältnisse näher ? ! "
Diefs waren die Regeln : und tief in
unsere Seelen legte ein thatenloses aber for-
schungsreiches Jahr den Gewinn ihrer Be«
stätigung.
Die Geschichte unseres Volkes , und der
Blick auf seinen Zustand, der Zweck, mit
107
dem man Gesetze gab, und der Geist, mit
dem man bestehende anwandte, ber/^iteten
unter dem täglich erweiterten Gesichts-
punkt, „wie Arglist und Beschränktheit
alles Menschliche beherrschen, und alles
Gewollte unter tausend Nebeneinwirkun-
gen oft o;anz zum Gegentheil werde," —
uns vor . . zur gerechten Furcht des Au-
genblicks, wenn der Gang der Dinge uns
einst zwingen würde, zu handeln, und die
Macht eines begonnenen AVerkes uns käm-
pfend an die Klippen des Daseyns triebe.
Um nicht ziellos auf dem weiten Meere
menschlicher Kenntnisse zu irren , wählte
jeder eine bestimmte Beschäftigung. So
ward das Allgemeine uns klärer durch ein-
zelne Verwendung; so traten wir Men-
schen näher durch Gleichheit der (Gegen-
stände: nur durften wir, wie Tibar stets
erinnerte, nie vergessen, dafs alles Ein-
zelne nur jNIittel, nie Zweck werden
sollte.
Sein reiferer Geist ward unser Verei-
nigungspunkt. Fr wählte Baukunst : unter
103 —
allen Künsten die, welche dem all j^e mei-
nen Daseyn der Gesellschaft am innigsten
nahet, über ein weites Feld von Kenntnis-
sen in unmittelbarer Anwendung herrscht,
und durch kühne Verknüpfungen den Geist
zur Gröfse zieht.
Er hätte den Stand eines Kriegers ge-
nommen , wenn die unglückliche Lage
unseres Vaterlandes ihn nicht zum Werk-
zeug g('gen sein Volk gemacht hätte.
Dennoch "bVieh der Blick seiner Seele un-
ablässig dahin gewandt, und in früher
Beobachtung sammelte er Fertigkeiten, in
späterer Anwendung so glänzend erwiesen.
An alle helle Menschen natürlich gezo-
gen, erschien er bald im Schimmer holF-
nungsvoller Jugend vor Freunden und
Schmeichlern. Wahre und irrende Güte,
Arglist und Parte) stolz suchten bald durch
viel versprechende Aussichten , durch den
Lockgesang, ,,man müsse sich verwenden,
man müsse früh beginnen, um früher zu
schimmern," durch tausend halb wahre
Sätze, durch Anerbieten und Zudringen
({e,n festen Gang seines Gemüthes zu
leiten.
Selbst König Elvarazim , dessen Willen
er , wo viele verzweifelten — in einem
Gebäurle mit jugendlichem Mutlie, aber
auch mit glücklicher Standhaftigkeit, „nie
Gesetze der Kunst einer Laune unterzuord-
nen/' erreicht hatte, falste so viele Nei-
gung; für ihn, dafs er beynahe mit Gewalt
seine Dienstnehmung zu erzwingen strebte.
Die Achtuno , welche Tibar für das ^yirk-
iichgrofse Elvarazims hegte, war eine
Klippe mehr für seine Weigerung : tausend
Vorbildungen erschwerten sie — „was in
der Nähe eines solchen Königs, der das
Gute mehr verkannte, als nicht suchte, er
in frühem Einflüsse leisten könne!" — -
Niemand leitete ihn , blofs die Überzeu-
gung — „dafs ein Jüngling noch zu viel
wolle, um richtig zu wollen.**
„Nur der Mann kann die Nähe eines
Königs ertragen," blieb seine letzte Ant-
wort.
HO
Elvarazim erkannte die Wahrheit, und
entliefs ihn, „nach seinen eignen Gesetzen
für ihn zu reifen.**
Dya frohlockte: Er hafste nicht selten
so irrig, als er liebte. Ihm dünkte Elvara-
zim ein Tieger, und wer ihm anhange, sein
Gefährte. Er konnte nicht glauben , dafs
ein iVfächtiger — Verdienst an andern ehre
und suche.
Dya hing sich mit immer festerm Drange
anTibar. Er ward sein Vorbild: glückliche
Verbindung, einem ungestümen Geiste
bestimmtere Haltung zu geben, und ein
Herz — durch Stolz und Erreichungslosig-
keit an Trübsinn gezogen — in sanfterer
INeigung warm, gleich und wohlwollend
unveränderlich zu machen.
Er wählte, um Tibars engerer Gefährte
zu bleiben , auch Baukunst : aber er
durchschweifte in seinen Idealen das Ge-
biet jeder Kirnst ; sein schäumender Lebens-
geist trieb ihn mehr auf Formen als An-
wendung. Er war ein glücklicher Dich-
ter; aber seine Thätigkeiten waren kühne
1 1 1
Sprünge, sein Ausbilden schnell zeich-
nende Begeisterung. Alles drängte ihn
zum Ungewöhnlichen; sein Charakter hing
wie gährender Most noch vom Zufalle ab.
Nicht, wie Tibar, sah er im Kriege —
nur ein Mittel hühern Zieles: sondern
das Daseyn alles Grofsen , aller Thätigkeit,
das höchste im Leben des Mannes.
Lange strebte Tibar, diese erste Flamme
des jugendlichen Muthes zu läutern, und
dennoch entwickelte sich erst unter Waifen
der volle Werth seines Charakters, und
was ich gefürchtet hatte — seine Hitze,
sein Ehrgeitz . . . reinigten sich in dieser
Gluth zu Strahlen veredelter Menschheit.
Mit flammenden Bildern des Ehrgeitzes
betrat er das Schlachtfeld: unter den uner-
warteten Eindrücken derleidenden Mensch-
heit lernte er ihre Thränen hoher schätzen
als seinen Ruhm.
Ich wählte, wie meine stillen Wünsche
mir vorschrieben , die Natur und ihre Er-
forschung , die Künste der ländlichen Ruhe,
112
das, wns in später Rückkehr jetzt meines
Alters letzte Bescliäftigung ward.
Hamor wählte nichts. .^Fiir sein ^rofses
„Ziel , das Studium der Menschenbeobach-
„tung, wie . er sagte, verrücke jede be-
istimmte Beschäftigung den Gesichtspunkt,
,,und mache einseitig. ** Er beobachtete,
schrieb und glaubte, weil er einzelner
Menschen flache Verschiedenheiten und
ihre Verhältnisse errieth, und in dem all-
täglichen Gange des Ubereinkommens sel-
ten irrte — er sey Menschenkenner. Die
Schaugerichte eines Hofes waren seine köst-
lichste Erwartung, und die tiefere Quelle
seines Grolles gegen Tibar — „Tibars tol-
„1er Eigensinn, wie er ihn nannte, unser
„aller hohes Glück nicht auf freundliche
,,Un^erwerfung in Elvarazims Wünsche zu
„gründen."
Unter so viel versprechend unverborge-
Tien Ereignissen, wie ich von Tibar P/^rzählte,
konnte es in einer grofsen Stadt nicht an
Mciisclien fehlen, die uns zudrängten;
die aus Iloilnung, Neugierde oder Eitel-
keit uns eine höhere Wichtigkeit gaben ;
denen wir zuweilen uns überliefsen, um
in der hoffärtigen Verzagtheit ihres Wan-
Itclsinncs uns zu belehren oder zu belusti-
gen. Ihr werdet leicht einsehen , dafs
wir wenigen uns näher schlössen. Zu
entfernt in Bedürfnissen — waren
ihre Spiele uns eine Qual, unsere Be-
schäftigungen — ihre Last: ewig fremd
in unserm Begehren und Gefühlen blie-
ben wir nur zu oft ihr geheimer S]^ott.
Einer unter den Wenigen, die der öftere
Umgang meiner Brüder wurden, ohne
darum ihrem Herzen noch ganz zu na-
hen, war Mioldaa. Uber der Gränze
vom Jüngling zum Mann, lag harter Ernst
in seinem Aufsern: aber in seine düstre
Seele hatte die Natur grofse Züge ver-
borgen, heftige Kraft unter schwermü-
thige Stille, und den begierdclosen Gleich-
sinn eines in höhern Gram verschlossenen
Gemüthes. Älter als wir — vermied er
rya-Na-Sore i. Th. Q
jeden Sclieln von Übergewicht. Oft ver-
sclilofs er sein Urtheil, um uns nicht zu
beschränken. Dennoch lenkte er uns
häufig, ohne es zu suchen . . . entschei-
dend durch seinen einfachen Ton.
Die sanftem Freuden des Lebens waren
für ihn verloren. Er hatte nach Idealen
gestrebt, nach Ruhm und kriegerischer
Ehre, und den Untergang seiner Wünsche
im Untergange seines V aterlandes gefun-
den. Fest an den Bildern seiner Jugend
war er, wie jeder edlere Geist, sich treu
in seinem Zwecke, und unfähig, ein fröh-
liches Daseyn durch selbstsorgsamen
Wechsel am Leichtsinn neuer Gegen-
stände zu erkaufen. Ein guter Gesell-
schafter für mich, den er belehrte, schien
er mirs weniger für meine Brüder, die er
in die Melancholie seines Charakters , die
er immer fester in seine Gesinnungen ver-
flocht — in die hohen Bilder, die er trauernd
zeigte. Niemand schlofs sich ihm näher
als Dya , in der düstern Heftigkeit eines
unbefriedigten Ehrgeitzes.
Iii seines Vaters Hause waren wir auf-
genommen als Söhne eines Verwandten.
Divancl war ein Mann von seltnem Geiste,
einst ein bedeutender Mann: jetzt nahe
am hohen Alter. Er hatte in den letzten
Tagen unseres Volkes unter Verwicklun-
gen und Parteyung jene Vielseitigkeit des
Betragens erworben , die allen gefällt,
aber nur selten mit einem kräftig reinen
Charakter besteht. Er hatte Ausweichen
in der Unterdrückung und Formen des
Gleichsinns gelernt : edles Gefühl ver-
schlbfs sich bey ihm unter Spott, und der
angenommene Ton der Welt zog sich kalt
hin über Dinge, welche tief in seinem
Herzen, wie ich spät erst lernte, ihre
volle , oft schmerzende Wichtigkeit be-
haupteten.
Es konnte nicht fehlen , der Gefällige
seiner Zeit, minder kühn als gut, über
Selbstverblendung erhoben, über Men-
schen und Möglichkeiten so klar — mufste
mein Vorbild, werden. Sein Haus schien
ein Haus der stillen Freude, der Vereini
llö
gungs^iunkt fein fühlenüer Mciisclien , de-
nen das Lieben in seinem Gebrauche vor-
leuclitete. Alles zog micli dabin. Ferne war
hier jedes riesenhafte, unendliche Begeh-
ren, jede selbstbeglaubte Wichtigkeit des
menschlichen Daseyns. Eine lachende
Enthüllung schimmernder Objekte; eine
spottende Entwaffnung des aufgespreitzten
Stolzes; ein kühnfroher Hohn jeder eitlen
Seligsprechung; eine arglos scheinende
Seitenbeleuchtung furchtbarer Gegen-
stände — bis ihre Schrecken sich auflos-
ten in die armselige Nichtigkeit ihres
Wahnes ; eine zarte Berührung alles Gu-
ten und Schönen in Wissen und Kunst und
Geselligkeit, und die ehrenvolle Achtung
jeder Tugend neben den, aufser ihr nichts
schonenden Geifseln des Witzes . . . wie
so ganz in meiner Stimmung war alles!
Wie so ganz , was ich suchte , und mei-
nen Brüdern so heilsam, so entgegen
strebend glaubte — jener ruhige Gleich-
muth , der allen so genannten grofsen
Angelegenheiten der Menschheit gerade
nur SP viel Achtsamkeit lieh, als <jcr
V'orsiohtige. eir^er Ansteckung — zu war-
nen und sich selbst zu bewahren.
Tibar gefiel sich hier, weil unter Wi-
flersprüchen eigne Wahrheit sich tiefer
Sründet. Aber zu «leichtÖnia schien ihm
alles Gesagte, zu wiederholt alles Lachen,
,,h1s dafs übereinstimnumg unter so viel-
ai tigen Menschen ein Werk der gleichen
Uberzeugung seyn könnte." Nur wagte
er noch nicht zu entscheiden , ob absicht-
licher Sektengeist, oder Nothwendigkeit,
höhere Gesinnungen blendender zu ver-
bergeri," das innere Triebrad wären.
Da ich alles mit der Gewifsheit, die
in mir selbst lag, nahm — däuchten Ti-
bars Zweifel mir nur innere Kränkung . . .
Götter seines Herzens ' unter geachteten
Menschen ii ich t ganz so angebetet
seben, als er wünschte.
Durthgeliens finde ^ch dajfs. ,f ih' Qc-
luüther meiner Art keine Eigenschaft des
menschlichen Geistes heglaubigter, furcht-
harer unrl fcssehider sey , als fein ergrei-
fender, lächelnder Witz.
Ilainor fand sich in einem hliihenden
Eden. Eine Geliebte in der Ersten
zu wählen, die seinem Warthe mit sicht-
harerer Aufmerksamkeit entgegen träte — -
war die höchste Sphäre, seines Ehr-
gcitzes ! seine höchste Befriedigung —
der schimmernde Firnifs des Umgangs,
der unter der Biegsamkeit allen zu gefal-
len nur den süfsern Genufs sich seihst
zu gefallen verbirgt. Zum erstenmal
erhöh er sich über uns in Vorzügen —
die wir weniger suchten: mit reichen Zü-
gen schlürfte er das genügsame Behagen,
uns zu meistern , , und als Vorbild uner-
reichbar und einzig — weit über der
edlen Schmucklosigkeit Tibars, üyas
selbstverge$seiidem Ungestüm, und der
unbezwungenen Herzlichkeit zu stehen,
die mich fortrifs , wo ich Theil nahm,
und stumm liefs ', wo ich gleichgültig
blieb. ^
llp
In einsamem Gesprächen, bey immer
näherer Vertrautheit, hatte Mioldaa sich
oft in die Schilderungen entfernter, bes-
serer Völker erweitert. Sein An<^e flo»;
auf, seine Stimme erwärmte sich dann,
sein Wesen glühte in höherer \\^ahrheit.
Unser Freund und unser Rathgeber,
drängte er uns immer näher dem Ent*
Schlüsse — im schönern Lande, imter
edlern Sitten das Gute zu sehen, das
wir einst geltend erheben sollten, ehe
die Macht der Gewohnheit und des Ein-
flusses im verringerten Abscheu des
Iläfslichen unsere Jugend abstujnpfte.
l)ya hatte durch kühne Aulserungen
IVIenschen beleidigt, deren Ungerechtig-
keit zu erhaben war, als dafs sie Tadel
ertragen hätte : Entfernung ward Klug-
heit. Nichts hielt uns zurück; das Neue
des Schauspiels war erschöpft; das Herz
der Jugend, das einen festern, innigem
Besitz, einen Freund, eine Geliebte , oder
höhere Ereignisse suciit, trieb uns hin-
weg von einem Lande, das von allem
120
nichts verspiacli. ünwideiruflicli sclinel-
1er entschieden wurde unser Vorsatz durch
einen Aufenthalt auf Divands Landgute,
durch Veranlassungen , die er häufte.
Auf einem Hügel , der \'on höhern Rei-
hen querah durch das Thal ihres wald-
hekränzten Umfangs zog, lag in freyer
Aussicht eine Wohnung, oder viehnehr
eine Masse kleiner Wohnungen , liehlicli
zwischen ihre Gebüsche verstreut ; wie
ein Tempel der geselligen Freude in
ihrer Mitte ein hoher Versainmlungs-
saal, mit seinen Säulengängen und Ahend-
hallen. Wiesenhügel unter den man-
nigfaltigen Gruppen ihrer Fruchtbäume
und den Blüthenhecken ihrer reich be-
wachsenen Quellen erhoben sich bis zum
einsamen Aufsteigen der W^älder. In
stolzer Fülle rauschte der Fall des Ga-
laor, weithin leuchtete er neben den
Schatten des Ferrit in die stillen Fer-
nen, auf denen Vergangenheit und die
edleni Ta.qjc unsers Volkes iii so man-
chem Nomen der Erinnerung ruhten.
Aber unter den ersten Überraschungen
der Gegenden und Menschen, die wir
fanden, schwieg das GcdächtniCs: die
Reitze der Gegenwart herrschten, oder
schienen es. Alles athmete Frohsinn.
Nur Mioldaa am Hügel safs einsam, und
nährte am Sonnenanhlick seinen Gram.
Tibar und Dva kehrten bald zu ihm zu-
rück. Er, und was durch Ernst der
Seele höhere AVürde giebt, verdrängten
in ihrem Herzen jeden mindern Genufs.
Sein Vater hatte versprochen, uns das
nächste zu zeigen, was diese Ge2;end
Grofses enthielte. Ich ging an seiner
Seite und^Iira, seine geliebteste Tochter.
Von Entzücken zu Entzücken schweifte
mein Auge. Hamor suchte Blumen. Ti-
bar ging still in seinem Geiste. Ihur ent-
wickelten sich nach und nach die Wege,
die er gehen müsse, um seiner Bestim-
mung zu folgen. Sein Herz von der Zu-
kunft zerrissen, verbarg sich in äufsere
122
Ruhe. Dya forschte, fragte, horte, ihm
eröffnete sich so viel. Sein Geist fand
Nahrung hegeisternder Fülle, wo Tibar
in stillem Grame nur die traurige Beleh-
rung eines sich selbst nie getreuen Ge-
schlechtes fand.
Aus dem Dunkel eines langen Waldes
auf einen freyen Abhang unter Aveit auf-
steigenden Höhen dämmerte zwischen
Bäumen jenseit des kleinen Thaies eine
graue Warte. Am Hügel hin gelangten
wir zu den Trümmern alter Tempel.
,,Gras weht über dem Gebälke, rief
Dva; Licht fällt durchs zerrissene Ge-
mäuer."
Divand. Ein Zeichen, dafs die Men-
schen nicht blieben, was sie waren.
Kine feierlichere , ernstere Haltung
überraschte mich hier in Divands Tone ;
ein Blick des innern, wühlend unter-
drückten Grames, der sich endlich ein-
mal frcy fühlt für Wahrheit und eine
Thränc.
X23
Verwüstung umgab uns. Dya seufzte
tiefer: sein trauerndes Auge starrte zwi-
schen die Lichträume verlassener Säulen.
Divand. Die Sprache der Vergan-
genheit: für manchen vielleicht ein Ruf
wieder herstellender Zukunft.
Dya. "Wer haut für neue Verwüstung ?
Divand. Wer seinem Herzen folgt,
ohne auf Dank zu rechnen,
Dya. Wie wenige!
Divand. Die meisten! wenn es nicht
einigen gefiele, den Gang unserer Nei-
gungen zu unterbrechen, um Kräfte in
todten Stillstand zu vernichten. Die
Menschen sind nicht schlimm.
Ti b a r. Aber schwach.
Divand. Desto mehr Schande für die,
die das gutwillig trauende Geschöpf,
wie ein treuloser Vormund, um das
Erbe seiner Erziehung betrügen*
Ein langer Weg,' reich an W'^echsel,
führte' üns' tiefer in die zerfallende Erha-
benheit des Vergangenen. Dya klagte,
dafs das Bild, alter Tugend im Schutte
altre.
Di V and. Kann ein Volk, das Frem-
den dient, sein Amqc zu seinen Vätern
erheben ? Sind ihm Erinnerungen nicht
Mahner seiner Schande ? Können Denk-
mahle eine Sprache hahen, wo ma;i.
andere Güter kennt?! Das Lächeln eines
Mächtigen, eines jVIenschen, dem ein
Bösewicht oft brauchbarer ist als ein
guter j\[ann, ist der Preis geworden, um
den man buhlt. Und jenes unbestech-
liche Gesetz einer Nachwelt, „dem allein
Tugend dasUrtheil über sich anvertraut,"^
hat seinen Ersatz in den Launen der We-
nigen gefunden, die, jetzt Richter der
Ehre und des Verdienstes — ihre Laster
zu Göttern des Tages machen.
Hier stehen sie — nun nur Denkmahle
jetziger Entehrung. Soll der Mensch,
der dem Sclunerz ihrer Vorwürfe ; sich
nie ganz entziehen kann, siß aufsuchen ?
DerjKunstgenosse fieylich bew-undert dic
125
Kühnheit ihres Baues , prahlt mit Verbält-
nissen , und dünkt sich grofs durch Namen,
deren Werth er in schwacher Wiederho-
lung entweihet. Aber selbst er braucht sie
nur zum Flickwerk eigner gehaltloser Er-
findung, und würde in ihrem allzu hohen
Freiste die Erniedrigung jetziger Zeit be-
zeichnet zu haben fürchten.
Der Krieg hat sie zerstört! die
Schleclitheit späterer Schmeichler würde
sie vernichtet haben, wenn nicht ein
edlerer Eroberer in der Erhaltung ihres
Kunstwerths sich ähnliche Denkmalile
vorzubereiten wünschte.
Aber ihr Geist ist untergegangen! Kann
man die Schaustücke demüthiger Unter-
\'V'^rfun'i — Denkmahle nennen ?
„Was ist ein Stein auf meinem Grabe?
ist' die Sprache des Tages. Gebt mir Spiel
und Scherz, so wandle ich ruhig bis Ver-
gessenheit mich empfangt. Ein Thor, der
für die' Nachwelt baut, der das Leben
sich verleidet, und Schmerz auf Schmerz
126
um eine ungewisse , uno;enossene Zukunft
liäuUl "
Dafs Denkmahle zerfallen, nabni Miol-
daa das Wort, ist ein Werk der Zeit.
Aber dafs auch die bessere Geschichte,
die sonst der Knabe schon in der Uber-
lieferung hörte, ins Dunkel der Verges-
senheit geht, und keine Jünglinge mehr
am Gemälde ferner Gröfse wachen, —
das ists, was mich hoffnungslos macht.
Was ist Handeln ? ! was ist Wirken ?
Divand. Jener Stern am Himmel;
ferne von uns dem Auge ein leuchtendes
Schauspiel müfsiger Beschauung , von Tau-
senden nicht einmal bemerkt ; und in sich,
selbst? — — der Inbegriff millionen-
fachen Seyns. So unser Handeln — —
ausgebreitet über Völker, vergröfsert,
besungen , vergöttert — und nach Jahr-
hunderten ? — — Der Wanderer kommt,
der Stein ist vervvittert : ein wenig Zeit,
ein wenig VJoos, ein dunkles Mährchen . .
das ist eure Unsterblichkeit!
.127
Dya. O so ruhe il(3nn Vorzeit unter
allen Thaten der Gröfse ! sterbt ! werdet
vergessen im entarteten Sinne, dessen
Verderben immer tiefer greift! In diesem
Herzen sollen Erinnerungen leben, meine
Erweckung oder mein Untergang!!
Divands Auge glänzte von Freude. Aber
er wollte den Unwillen der Entartung
durch Widerspruch stärken. Er hüllte sich
von nun an tiefer in die Gestalt eines
Gleichgültigen , der alles höher Geschehene
mifsdeutet, um seiner vernichteten Wir-
kungen willen , und das fruchtlose Ringen
des menschlichen Muthes für Bestimmung
zur Schäferruhe erklärt. „In jener Warte,
erzählte er lächelnd, verschlofs sich ein
Mann , und — schwur, nicht eher Freude
unter Menschen zu geniefsen, bis er den
Schimpf einer verlornen Schlacht gerächt
hätte . . . Was lohnt ihm das verfallene
Gemäuer? ' ■
„Eey diesem Tempel gingen hundert Krie-
ger ihrem gewissen Tode entgegen, urti
den Rückzug eines Heeres zu decken,
„Bey clieser Brücke stürzte ein edler Rit-
ter sicli in den Abgrund, um seinem Va-
terlande die Wette eines streitigen Landes
zu geninnen. AVas nützt ihm die Brücke
über seiner Leiche ? Diese Geiniiuer, wo
unseres Landes letzte Streiter frej'^willig
in riammen sich begruben . . . Was ist
ihr Werth V Bäume, in jeder Spalte fassen
Wurzeln, und bezeichnen in ihrem Wachs-
thum einst das Alter der Verwüstung.
Moos und Epheu decken dann die Fl am-
menasche alten Brandes, und machen einem
fernen Jahrhunderte unter seinen eigenen
:Leiden das — nur zum romantischen Ge-
mälde, was euch die Tlnane näherer
Erinnerungen abpreist. Der Mensch gftht
an seinem Geschlechte vorüber wie die Zeit.
Er hat für Jahrtausende nur einen Namen,
und für ihre Qualen weniger Seufzer, als
für den Vogel dej" eben todt zu seinen i'üisen
liegt. Er müfste ja vergehen unter seinen
Vorstellungen, w^enn die Klagen des Ent-
fernten so laut um ihn tönten, als die Kla-
gen des Gegenwärtigen, wenn alle Schrecken
der Zeit sich um ihn vereinten, und sein
gemartertes Auge keine Zwischenräume
sähe. "
Tibar. Aher es gieht Dinge, die im-
mer Gegenwart bleiben: nie kann der
Schmerz verlorner Tugenden altern.
Divand. Sag . . . Sollte, denn er
kann.
Das Gespräch erlosch, wie immer,
wenn ein zu schneidender Gegensatz
uns mit Erschütterungen droht.
Erweicht unter den reitzenden Ein-
drücken einer Gegend, erhoben an der
Gröfse ihrer Erinnerungen, schlofs ein
still heitrer Abend sich uns auf in seinen
änzenden Fernen. Die Sonne stand
vor uns in sinkender Klarheit: und so
wie ich sie in gleicher, jeden Kummer
beschweigender Ubereinstimmung von
allen bewundert sah, so schien mir
auch, „dafs, da aller Menschen Gefühle
an der schönen Natur sich vereinen,
auch von dort einst alles bleibende
Gute kommen müsse." Tröstend empfand
Dya-Na-Sore i. Th. o
ijo — —
ich, dafs, da eine nie versiegende Quelle
alles Guten bestehe, alle Schmerzen nur
selbstgewüllte Entfernungen von ihr,
alle Leiden nur selhsttäuschendes Ver-
hältnifs von Erscheinungen, alle Qualen
nicht dauernder als ihre Vorstellungen
sind. Und im Entzücken , „dafs der
Pvlenschen Heilung mir geolfenbaret sey,
dafs auch ohne Ehrgeitz und Volks-
gröfse — Tugend und Glück möglich
bleibe," fand ich doppelte Gewifsheit in
üivands Lieblingsgesange der Freund-
schaft.
„O Freundschaft, Freundschaft! die
mit hohem Muthe sinkende Holfnung
in Arme des Trostes fafst! Wer lenkt
den Mann, w^enn er auf glühender Ver-
zweiflung sich nicht mehr achtet, die
Wahrheit nicht mehr kennt, Spott sei-
ner Schritte, falsches Urtheil seiner Til-
gend lauern sieht ? Dann trittst du hin
mit deinem Flammenschildc, und bezeich-
nest den Bösewicht, der ihn verfolgt,
denliTthum, der ihn verkennt, und die
fehlerfrohe Leichtgläubigkeit des gefühl-
losen Schwätzers.
„Und wenn nun Ehre , Reichthum,
wenn des Lehens froher Sinn , wenn
Glanz und Macht, ein hoher Name und
Thaten der Unsterblichkeit sein Erbe
werden: dann wird dein Auge sein War-
ner, dann kettet deine Hand das lächelnde
Schicksal an seinen Wagen, dann bist
Du sein höherer Retter, sein Schutz
unterm Schwindel des Uberflusses.
„Wohlthätige Gottheit! Nie gebrach
es der Tugend an Mitteln! — Nacht
drückt die Wahrheit; Völker entehren
sich ; Jahrhunderte sinken : kann der
Einzelne Lasten vernichten, an denen
Tausende sammeln?! Die Kleinheit sei-
ner Tage fällt auf ihn ; der Name ent-
steht seinen Thaten: aber so lange noch
ein Band ist, das Einzelne inniger an
Einzelne knüpft, so lange der kleine
Kreis von Mensch zu Mensch noch zur
Möglichkeit der erhabensten Opfer leitet,
^
Lat die Gröfse nur an Glanz — nie an
Umfang verloren. Wenn das stumpfe
Gefühl, in Erniedrigung zu leben, wenn
sein Ich, wenn sein Daseyn ihn beschrän-
ken, wenn die Zeit, wenn sein Volk,
wenn entartete Menschheit ihm l^einen
Funken einer edlern Wäriiie mehr bie-
ten, bleibt selbst dem Sklaven eine Bahn,
auf der sein höheres Vermögen im Glänze
reiner Würde sich entvv^ickelt.
,,Drum Dank dir, Gottheit, die du des
Menschen Gröi.^e . . . die erhabne Em-
pfindung, ,,für andre zu leben,*' auch in
den engsten Bezirk des ruhmlosesten Krei-
ses legtest : die du den edlern Mann nie
unter seine Zeiten erniedrigest, und den
Triumph der Tugend im Muthe des Ein-
zelnen sicherst. "
Aber alles, was uns umgab, selbst die
erregten Gefühle edlerer Freundschaft
dienten, nach ihren ersten Reitzen nur,
Dyas und Mioldaas Herzen tiefer tIu
zeneifsen. Sie winkten sich. Tibar folgte
ihnen. Mit veistohlnem freudigem Blick
sah Divand ihnen nach. An den Stufen
des Tempels fanden sie sich wieder.
Sträuche wuchsen schon über den Schutt-
hügeln, einst Bäume, die Jahrhunderte
des Verfalls , abzuzählen.
„Hier dieser lind jener Tempel, erklärte
,,IVIioldaa, und der weite Umfang von
Säulen, in deren Mitte wir stehen,
,, waren einst die geheiligten Orte , w^o
,,die . edelsten Bürge;r und die gröfsten
,, Handlungen unseres Volkes ihr ewiges
,,Deakmahl finden sollten. Jetzt haben
Eroberer sie zerschlagen. An diesen
„Obelisken erkennt in den Schriftspu-
„ren — Jahrbücher ; an diesen zwey
„hohen Säulen, jetzt kahl wüe das Bild
„vereitelter Hoffnung, war jedes einzelne
,,Fels,stLick , aus dem ihr Schaft aufge-
„thürmt ist, der edelsten That eines kom-
„menden Jahrhunderts bestimmt. Hieher
,, wurde mit jedem Frühling die Schaar neu
gebildeter Jünglinge nach den Graden
„ihres Werthes in die Vorhöfe, oder die
,,Tempel selbst — unter die Bilder ihrer
„Ahnen eingeführt. Ich erinnere mich
„noch lebhaft des erstenmales, da ich hie-
„her kam. In diesen Gängen war ver-
„sammelt, was die Natur der menschlichen
„Entdeckungsjvraft aufschlofs, neben den
„Bildnissen ihrer Enthüller.
„Hier stand das Bild meines Grofsvaters,
„des Geliebten seines Volkes: von den Fein-
,,den gefangen, endete er mit eigner Hand
„sein Leben, ehe er es der Gefahr eines
„schwachen Verratlies aussetzte. Ihr werdet
„sein Dcnkraahl noch anderwärts finden.
„In jenem Haine; wurden wir vorbereitet,
„jenseits führte man uns hin, vor der Ver-
„sammlung der Ruhmvollsten im Volke —
Unheil und Ausspruch über Geschichte
„und das Verdienst einzelner Thaten zu
„hören, wenn der Forscher die Kunde ver-
,,gangener Jahre, wenn der Dichter dieGe-
,, sänge des ewigen Ruhmes hersagte , und
„alles uns hoflen liefs, dafs es immer so seyn
,, würde.
„Auf diesem kleinen Platze, den ihr schon
„vorhin heiratet, »wischen diesem ver-
„hrannten Gemäuer, flammte zum letzten-
„male, wie ein sterhendes Licht, der Geist
„unsers Volkes und erlosch. Hier geschah,
„was mein Vater erzahlte : aller Wider-
„stand gegen den Sturm war zu schwach.
„Rittis trat an die Spitze seiner Streiter:
„ „Wollt ihr dem Feind entgehen, so folgt
„mir!*' Er stürzte den Eindringenden ent-
„gegen. Sie schriehen einjniithig an einen
„Stein; „Der kennet keinen Sieger, der den
„Tod nicht achtet. " Zurück geworfen
„zwischen Flammen und Ergeben wähl-
„ten sie den Tod in den ersten."
Dya seufzte. Sie schritten über die
Steine hinweg, finster wie Schatten der
Nacht, die auf der Heide sich begegnen.
Noch stiebte die heiliae Asche zwischen
ihren Trillen. Mioldaa rifs beide heftig
umarmend an sich.
M i o 1 d a[a. Bin ich endlich wieder unter
Herzen, die dos Vergangene ehren! Ich
habe einmal gelebt, um die lange Folge
trüber Tage desto sclimerzliclier zu tragen.
Gram hat meine Seele geschwächt. OTibar,
Dya, was können unsere Hoffnungen seyn !
Tibar. Ein Wille, der nicht still steht.
Dya. Du hast doch gelebt. Ich? —
vill eicht nie!
Miüldaa. Trauriges Glück!
Dya. Wann waren diese Tage? wie?
Mioldaa. Soll ich den Schmerz ver-
gangener Erinnerung erneuen? fruchtlose
Kämpfe, den Untergang eines Volkes und
seine zerreiisenden Bilder ? Ich suchte den
Tod: er blieb mir versagt. O Dya, gieb
dich zur Ruhe.
Dya. Hast du Ruhe?
Mioldaa. Nun denn, wenn dir so viel
daran lieot, meinen Gram und die Leiden
deines Volkes zu hören! Aber ich mufs
bey seiner Geschichte, bey den Tagen, da
ich geboren wurde, beginnen.
Ihr w'ifst, wie wir einst durch Wissen-
schaft und Muth eine glänzende Stelle
behaupteten. Ihr werdet einst näher lernen,
*) Der Name des Volkes ist: „die Ingannaars. "
wie wir durch die Vernaclilässigung innern
Geistes, durch die Aboötterey glänzender
Formen, und eine muthwilJige Verwick-
lung in fremde Anoele^enheiten — an
Wahrheit verloren, was wir an Schein
<rewannen .. . Wir glaubten uns herrschend
und grofs, da wir Heere und keine Krieger,
Gold undikeinen Geineingeist hatten.
Ruhstolze Menschen, denen Überflufs
und Reichthuni das Höchste des Lebens
schien, sahen mit Unwillen . . . Muth und
die Tugenden harter Thntigkeit auf dem
Wege zur Ebre voraus eilen. ,, Sie änderten
allmäiilich die Gesinnunsen des Volkes. Sie
stellten Handel und Gewerbe, die friedli-
chen Verfeinerungen der Geiriächlichkeit
und das erweiterte Streben nach Besitz an
die Spitze; glänzender Aufwand ward
das Ziel der Bewunderung, das Ziel, nach
welchem rang, wer geachtet werden wollte.
Freygebigkeit blieb die einzig geehrte Tu-
gend: nur wer Überflufs hatte, schien ein
guter Bürger. Die irrende Menschlichkeit
weich - stiller Seelen, denen aus zarten
Gefühlen alle Kämpfe, alles Grofse, alles
Küline, alle Heldengestalten — nur zer-
störender Walin schienen , vollendete
in den reitzenden Vorbildungen einer
Schäferwelt „feinsinniger, ruhiger, ge-
niefsender, hürgerlicher Trefflichkeit" —
unwissend die Absichten ehrgeitzigen
Heichthums; gründete den Hafs alles
Kriegsgeistes, und t o d t e t e in der Ver-
achtung ,,des mangelnden, freudlosen
Standes, der nur Aufopferungen zeigte,"
das Trachten nach männlichem Geiste.
Als ein Fortschritt des Jahrhunderts wur-
den diese Meinungen vergöttert. Jeder
Witzling fand sich grofs , jeder Spötter
gerecht, jeder üppige Geck erhaben durch
Gemeinsprüche über die Thorheit des
Menschen, ,,der gegen sein eigen Ge-
schlecht wüthe wie kein Thier." Alle
schalten den Krieg,* alle brachten ihrer
eigenen Entnervung den süfsen Weih-
rauch der Vernunft , und alle vergafsen —
„dafs Kriegsgeist eines Volkes Lebens-
ilamme edlerer Männlichkeit sey. "
1^9
♦
Die giofse Veränderung ging vor. Der
Bürger wurde der lastbaren Pflicht des
Waffendienstes enthoben; zwey Stände,
die es nie seyn sollten — getrennt; Er-
werb hinfort — das höchste Staatsgesetz
alles AA'^erthes : nur höheres Eigenthum
gab höhere Rechte. Kriegern wurde
jeder Antheil an der Regierung versagt.
Ihr seht, welche Mischung von Halb-
wahrem und Irrthuni. Ihr wifst, wie viel
eine Mifsstellung des Guten schädlicher
ist, als die entschiedenste Bosheit.
Alle, denen nur Muth und innere Kraft
bey geringem äufsern Vermögen Hoffnun-
gen der Ehre gegeben hatten, ruhmbe-
deckte, hoch verdiente Menschen, w^aren
in plötzlicher Erniedrigung gekränkt.
Hafs , Grimm und Kampf der Eifersucht
zerrissen alle Gemüther. Was in jeder
Zeit neuer Parteyung geschehen mufs,
geschah . . . Alle Begriffe des Ächten,
des Löblichen, des Guten verwirrten sich.
Man nannte Recht . . . was den Sie^
der Freunde und den Schinipf der Gegner
mehrte: was nicht unmittelbar darauf
Bezug hatte, schien reitzlos. Man ver-
achtete tind bestritt so einseitig
gränzenlos, als man es ward. Wissen-
schaft, Umgang, reine Einheit des Men-
schen mit sich und dem Wahren und
Schönen aller Art erstarben. Tugend und
Laster, Ehre und Unehre veränderten
ihre Bedeutung. Alle Wege der Rüch-
kehr entfernten sich immer weiter. Der
Stolz vermehrte den Hafs , der Hafs
erweiterte die Ansprüche, der Sieg den
Trotz, der Druck die Erbitterung. Der
Eigennutz herrschte unter schimmernder
V erblendung, und niemand dachte an den
Staat, den er nannte.
S o ging ein halbes Jahrhundert in
Friede vorüber, und die Weisheit der
neuen Verfassung — war erwiesen.
Wir herrschten durch Handel. Durch
Verkäuflichkeit bestand unser Einflufs
auf andre. Ein Reich, das ferne von
uns, allen unerkannt, in tiefen Wüsten,
aus kleinen Eroberungen zu einem mäch-
tigen Volke erstarkt war, das seit einem
Jahrhunderte durch räuberische Kriege,
durch List und Unersättlichkeit nach rei-
chern Ländern , aus eigner Armuth ent-
sprossen, zur Wichtigkeit für andre em-
por gestiegen war, die Chersen, be-
drohten zwey schwache Völker, mit uns
in alten Verträgen des WafFenrechts.
Unser Name allein schien uns schon
entscheidend . . . stolz schickten wir Ge-
sandte. Unsere Freunde waren halb be-
zwungen , ehe wir noch über die demü-
thigende Nothwendigkeit eines Krieges,
an der Stelle einer verspotteten Unter-
handlung, berathschlagten.
Endlich war er entschieden. Wir glaub-
ten Armeen zu kaufen , weil wir Mieth-
linge zahlten. Durch unsere weisen Ein-
richtungen trieb nur das tiefste Elend
Menschen in diesen Stand. Er war ge-
worden, was er werden mufste — ein
verächtlicher Haufe aus einem ver-
achteten. Der stolze Wahn unserer
Stärke hielt uns zurück, jetzt, da noch
142 '
Zeit war, den möglichen Fall zu erwä-
gen, ,,wenn "unsere Bürger waffenfähig,
wenn unsere Städte Waffenplätze der
letzten Vertheidigung werden müTsten.
Heere ohne Geist , Anführer — die
einen Krieg gar nie als ihre Bestimmung
betrachtet hatten, flohen kenntnifslos
vor den lärmenden Angriff en eines dumm-
trotzigen , in sich selbst verächtlichen
Feindes. Sein Name stieg: der unsere
v/ar auf immer dahin. Unsere Bundesee-
o
nossen, denen er arglistig Frieden bot,
nahmen , verzagend an unserer Hülfe,
das giftige Geschenk. Zweyhundertjäh-
rige Bünde zerrissen. Drey Jahre Elend
und Schimpf bezeichneten die Thorheit
unserer Einrichtung. Äufsere Achtung
war verloren , unsere Stimme verspottet,
unser Daseyn seiner gröfsten Stütze . . .
des Glaubens an unsern Muth verlustig.
Im Innern ertönten Klagen, Murren, Ta-
del, des weichlich gekränkten Geistes za-
gender Widerwille, der seinem Yater-
lande wie ein verzogener Knabe den
Rücken kehrt, weil es fordert und nicht
mehr schenkt. Die Vaterlandsliebe der
meisten ist wie ihre Freundschaft: sie
gehört nur dem Glänze und dem Glück.
Alle beschuldigten alle ; aber keinem
suchte in sich die Verbindlichkeiten ein-
zelner Besserung und einzelner Opfer.
Alle bejammerten den Geist entflohener
Zeiten: aber nicht das gekränkte Ge-
fühl, sondern der leidende Eigennutz,
die leidende Gemächlichkeit jammerten,
die in fremder Aufopferung ihres eige-
nen Ruheküssens stille Lage Huden
wollten.
Man hätte nun gerne Heere erschaffen
und ein bewaffnetes Volk. Aber die Wege
des bürgerlichen Lebens waren zu weit
von diesem Ziele , die Verwicklungen zu
vielfach, zu tief alle Einrichtungen auf
Erwerbgang berechnet. Was jedes Vol-
kes Krankheiten unheilbar macht . ,. .
zu viel zerreifsen zu müssen, um un-
gewifs zu bessern — traf uns: kein
Bürger eignete sich zum Krieger; jeden
+44
Ijescliränkten seine Verhältnisse, seine
Gesundheit, seine Erziehung; jeder fand
in sich, in seinem Stande — eine ein-
zelne Ausnahme von dem, was er für
alle andre Pflicht genannt hahen würde,
wetin er nicht in allgemeinem Wider-
spruche die Stärke seines eigenen gefun-
den hätte. Laut' erhöh sich die Stimme.
Der Geitz versteckte sich hinter seine
Gewerhe, die Selhstheit hinter allgemeine
Wohlfahrt; die Gemächlichkeit nannte
die Last eines Harnisches — zerstörende
Foltern ; Mütter beweinten ihre Söhne
unterm Sonnenbrand eines Waifentages ;
Spötter lachten des zierlichen , ungethü-
men, gebrauchlosen Haufens. Man glaubte
allen Pflichten genug gethan , wenn man
Geld aufopferte.
Nur den Bedürftigsten hatte bisher die
Noth zum Söldner gemacht: jetzt^w^ei-
gerte auch er sich. Bisher hatte man
ihn verachtet, aber in der Verachtung
mit träger Ruhe sich selbst überlassen :
jetzt verachtete man ihn noch, aber
unter den Qualen der mülisamsten An-
strengung. Man glaubte Ehre und Selbst-
trieb durch Übung und Foltern zu erset-
zen, und erregte nur den Hafs des '^Lei-
denden, den Widerwillen des Zusehefs —
o;e£en einen Stand, der der Stolz des'Ge-
meinsinns seyn sollte. Man schlofs ein
Bündnifs mit den Chersen, und glaubte
Beschützer in denen erkauft zu haben,
die unsere Eroberer werden konnten.
Täglich erhoben sich neue Streitigkei-
ten. Edle Männer, denen die Wahrheit
sich darstellte, sprachen dringender für
die Wiederherstellung alter Verfassung.
Aber die bedrohte Alleinmacht des Reich-
thums, die Unfähigkeit der Anführer, die
mit jeder Verbesserung sich selbst verlo-
ren sahen, der Betrug von Tausenden
kämpfte dagegen. Die träge Sorglosig-
keit, die für ihr Vaterland ohne Wär-
me . . . öffentliche Fragen wie den Zwist
unnützer Zänker belächelt, und sich weise
dünkt, wenn sie alles verachtet — fand
sich beruhiget.
Dya-Na-Sorc i. Th. i r;
Der Krieg mit den Oraycis , durch
kleine, auf Anstiften der Chersen unbil-
lig verweigerte Forderungen , brach aus,
Ihr Bund machte uns trotzend; ihr Bey-
stand v.'ar unsere Zuversicht: er kam;
so schwach, so feig, so mörderisch gegen
uns selbst, dafs o;anze Gebenden sich
lieber dem Feinde ergaben, als Chersen
ertrugen.
Dennoch kämpf ten wir, durch Unglück
belehrt, durch den Verlust aller !Gemäch-
lichkeit ermannt, am Anblick des Unter-
gangs vereinigt — kriegskundiger , und
bis zur iN^ähe alten Geistes zurück ge-
führt, wie Genesende für dauernde Kraft
in neuen Siegen. Nach jahrelangem
Streite ohne Gewinn , sahen die Führer
der Orayas, dafs Gewalt nichts hervor-
bringe als erhöhten Vv'iderstand. Sie
dachten auf List. Der Krieg ward ein
blofses Spiel kleiner Einfälle : ermattend
in wachsamer Vertheidigung ; zum Angriff
waren wir zu schwach. Die Regenzeit
war vorüber, kein Feind erschien: wir
glaubten uns sicher.
Icli war in den Tagen der ersten Ju-
gend. Der Kriegsruf ertönte. Ein alter
Führer hatte mich erbeten ; mein Vater,
damals ein Mann hoher Würde, um ein
Vorbild zu geben, fügte sich meinem
Wunsche; ich trat in die Reihen der
Krieger. Das erste, was ich sah, was
diesen unauslöschlichen Geist in mir
weckte , war der Tod meines geliebte-
sten Freundes. O noch wenn ich ihn
denke — in dem Augenblicke , da wir
uns trennten — o Kriseha , Kriseha! —
wie ganz anders waren damals die Aus-
sichten meines Muthes ! Auf der Vor-
w-ache überfallen, sollte er mit Schweigen
sein Leben kaufen. Was ist Gefahr unter
entscheidender Pflicht ? Er rief, und
Tausende nach ihm. Er starb ; aber
seine Stimme war ihre Rettung; die
Feinde flohen. Finsteres Gehölz war die
Trauerscene. Auf seiner Leiche schwur
ich ihm ähnlich zu werden, O noch
denk' ich an die Empfindungen , da hey
den Aborten des Grabgesanois Thränen
sicli mir versagten, und ich mich nie-
derwarf auf die weiche Erde, wo er
ruhte, wo ich mich hätte begraben mö-
gen — wenn ich an den Schaaren unse-
rer Feinde ihm nicht zuvor hätte Rache
schaffen wollen.
i>lich traf die AYache. Weifs Gott,
wie sehr ich träumte, gleiches Schicksal
mit ihm zu haben. Der Nachthauch
lunschwirrte mich; in weiter Fihsternifs,
mit dem Entschlüsse des Todes , horchte
ich vor mir hin, unwillig, dafs jeder
Eaut mich betrüge. In Osten reiner
Himmel, zerstäubte, losgerissene Gewölke
über mir — erschienen Sterne und ver-
schwanden; ich blickte hinüber über den
Flufs , wie der dunkle Schimmer sich in
leisem Rauschen hob; vor mir leuchtete
der Morgenstern zwischen Wolken und
Hügeln herauf. — So strahlt, dacht' ich,
eine grofse That einzeln über .vergesse-
nem Dunkel. Da sah ich bey schwacher
Helle den dämmernden Lichtstreif eines
WaiTenziiges ; da hört' ich treten: ich rief,
und jede Vv ache, zehn tausend Stimmen
in der Nacht — und jedes glimmende,
erloschene Feuer flammte auf, Licht wards
in meiner Seele! Der Tag graute in Osten;
in langen Reihen sah ich das Heer, thal-
ein vom Hügel her und weit um mich im
unermefslichen Gefilde, Ein Tritt, Eine
Wendung. Zug um Zug sah ich sie nahen.
In dumpfem Zwielichte schvvehte der Adler
voran; Gesänge tönten; die Lanze sauste;
aus allen Gliedern fielen die Erstlinge des
Opfers.
Fest stand hinter ehernem Schilde die
Masse unsersFufsvolks, rasch auf marschir-
ten die Reihen unserer Flügel ; aber ge-
trennt im Vorrücken durch die Ungleich-
heiten des Bodens, zurück geworfen in
einzelnen, nicht mehr ein Ganzes , standen
unsere Haufen dem Schwerte oiren. Jim
Wasserrifs, der sich immer mehr erweiterte,
trennte unsere Linie: niemand kannte die
Gegend so o;enau; seit .gestern warrn wir
liier gelagert, zu spät wurd' er bemerkt; die
Feinde hatten in seine Tiefe sich versteckt.
Unaufhaltbar warfen sie sich auf unsere
Seiten. Von nun an keine Ordnung, kein
Befehl, kein Angriff im Ganzen. Einzelne
Schaaren fochten, um einzeln zu erliegen.
Noch rückten die Harste der Nachhut an.
Nie vergefslicher Anblick l Wie sie aus der
Tiefe gegen die Hügel herauf stiegen ! Um
ihre Fahnen versammelte sich, was sich
durchzureifsen vermochte.
„Tausende sind gefallen, Fluch wenn
wir fliehen ! '* war der Schlachtruf. Sänger
sangen den Leidgesang. Eldadupa an der
Spitze, zogen wir das Leichenfeld hin,
tuivviderstehlich wie Wogen brachen wir
die Reihen der Orayas; hoch und hehr,
selbst unsern Feinden Ehre werth.
„Rettet euer Vaterland und Gott geleite
euch!" rief Eldadupa, ein trefflicher Mann;
aber der Aufschlufs unseres Schicksals lag
vor seinen Augen. Zu schnell hatte die
Reiterey uns verlassen ; zu wenig kannten
ihre Führer, vom Stolz verirrt, die Stärke
fies Fiifsvolks. Hatten sie im Rückzu^j
die Feintie auch nur durch scheinbare Hal-
tungen verweilet, wir hätten in unsern
Vorschritten Höhen einer sichern Stellung,
zur Stütze der Zerstreuten, erreicht, und dem
Feinde nur einen folgelosen Sieg gelassen.
Aber diese Elenden flohen, weil sie sich
für die Krone des Heeres achteten: und
seitdem hasse ich sie, die ihre Stärke
vom Thiere borgen, und mit fremder Hülfe
kämpfen.
Eilend stürzten nun die zurückkehren-
den Pveiterschaaren der Feinde über
uns : Tod , Grimm und rettungslose Ver-
zweiflung über ein Feld voll Leichen.
Ich rettete die Fahne des Landes, drang
mit den Besten mich durch, und erreichte
eine Felsenhöhe , wo wir zwey Tage im
Kampfe, am dritten durch das Dunkel
einer schrecklichen Wetternacht entran-
nen. Ich kam zurück, und empfing den
Kranz am Altare — der letzte, der ihn
empfing! Bald nachher siegten die Orayas
über ein Volk ohne Heere, und nun,
o Vaterland! schläfst du Jahrhunderte
vielleicht — - — und giehst dir keinen
Retter! —
D y a. Und du —
M i o 1 d a a. Iclr verstehe. Fühle das Un-
glück meines Daseyns : mein Leben ist
kein freyes Eigenthum , meine Wünsche
sind gefesselt. Unter denen, die für sich
und ihre Söhne schwuren, „keine WalFen
gegen unsere jetzigen Eroberer zu führen,"
war auch mein Vater. Der eure hatte
noch keine Söhne und floh in eine ferne
Gegend.
Dya. Entsetzlich! Sie schwuren! !
M i o 1 d a a. O Dya ! Es sind der Fälle
so viele , da der Mensch zwischen gleich
theuern Pflichten wankt, und aus Tugend
irrt. Sie schwuren, um Gräuel der Ver-
wüstung, die sie nicht anders aufhalten
konnten , zu enden. Er schwur als Vater,
und fehlte als Bürger — vielleicht? —
Und was soll ich? Meinen Vater mein-
eidig machen , Verfolgung über, sein graues
Haupt, Unglück über meine Brüder . . .
für einen Ungewissen Etiolg Tausende
wagen? Längst hatte ich mich diesem
Daseyn entzo£.en, wenn ich nicht dön
Kummer meines Vaters sargte; wenn nicht
zwey \Ve£,e meine HoiFtiungen nährten :
der eine lang und uugewils — „Beleh-
rung und mögliche xA. u f r e ch tha 1 tu n g
vaterländischer Tugend unter w enigen ; "
der zweyte traurig und kaum wünschens-
werth . . . „ U n einigk eiten unter un-
sern Beherrschern selbst." Sie brüten im
Keime. Ohne meines Vaters Wort zu
brechen, kann ich dem einen Theile bey-
stehen. Sie werden unter sich zu streiten
glauben, und mit uns streiten. Ein Theil
von uns hat sich auf die. Inseln des Mee-
res , ins Innere unzugänglicher Gebirge
gerettet. Wir werden einst bessere Tage
sehen; aber wann und wie — ob nicht
Staub dann meine Gebeine deckt? — ;
liier sitze ich indefs in diesem Kerker
des unzureichendsten Daseyns Dieser
wenigen Schritte Raum/, dieses Haus^
dieser Hain alles — was raein trübe$
»54
Schicksal mir zum Gram des Verlornen
läfst. O dafs ich rippig werden, dafs ich
diesem allzu treuen Andenken entgehen
könnte wie Tausende! Aber mir wird
jeder Stern, jeder einsame Lichtstrahl,
jedes Wehen der Nebel um verborgene
Höhen, und rriehr als alles dieser Ring,
das theure Pfand eines gefallenen Freun-
des . . . zur Rückkehr schmerzender Bil-
der! Melancholie — g'^it© Gefährtin mei-
nes Lfcbens, wenn du mich einst meinem
Tode so gleichgültig entgegen führest, als
jetzt dem Abende jedes Tages; so werde
ich sterben wie ich lebe — ohne Wunsch
der Verlängerung.
Dya. O Mioldaa, was ist unser Schick-
sal, auch wenn wir das Beste wollen!
Das Auge eines Mannes ist schön, wenn
er aus Mitleid weint: aber wie viel schöner
ist die Thräne beym Unglück seines Vater-
landes!
Mioldaa lehnte sich auf Dyas Schul-
ter. Vergebt, sprach er, man sollte fremde
Heiterkeit besser ehren : aber wer kann sei-
3,)')
nein Herzen gebieten, wenn es, krank und
immer krank, in Klagen Erleichterung sucht !
D y a , O ich fühle was es seyn mufs,
wenn der Tag zur Rettuna; sich aufthut —
Wiederherstellunc^ eines Volkes, unseres
Daseyns höhere Würde! — Könntet ihr
empfinden, ihr Bedrücker, um wiev^iel edler
es ist . . . Rechte geben als nehmen — wer
würde noch unterjochen wollen! Ich bin
unabhängig, mich bindet kein Eid, keine
Rücksicht; hier meine Hand und was so ein
einzelner Mann, oder ihr, meine Brüder,
vermögt , das soll , so wahr mir Gott helfe,
geschehen.
M i o 1 d a a . Ich nehme euer Wort.
Elvarazim ist ein edler Sief^er. Er lernte
grofs fühlen unter Kämpfen: aber wenn.
Gewalt unser Gesetz, sein Wille unsere
Sicherheit, und wir kein Volk sind — was
ist der Mensch, der sein Herz verbergen,
der am Stolz fremder Völker erröthen mufs,
der sich nicht sagen kann: „Meinem Ge-
müthe fehlt nicht die Quelle aller Gröfse,
. . . ein Vaterland, das ich lieben darf, und
ein Etwas aufser mir, das micli fortreifst
über die kleinen Wünsche meiner selbst!"
Elvarazim ist ein hoher Geist: aber was
werden seine Söhne seyn , die, im Glücke
geboren, zwischen weichem Sinne und
harter Ehrsucht, zwis'chen Schwärmergüte
und listiger Raubgier ihrer Erzieher
schwanken?
Elvarazims Herrschaft ist vielleicht —
rsothwendig; heftige Heilung für ein kran-
kes Volk: aber, wie jede, weckte sie neue
IJbel und bereitet spätere, indem sie jetzige
heilt.
Nach einem langen, für beide Theile
entkräftenden Kampfe — „den Orayas Friede
und die Theilung unseres I/andes anzutra-
gen , war der Chersen tieferes Ziel vom
Anfang an gewesen. Aber sie hatten die
Kräfte der Orayas zu geringe berechnet :
das Glück unserer Eroberer vernichtete
ihren Plan. Elvarazim , der in ihnen alle
Keime einer künftigen Ubermacht erkennt,
sie durchsieht und hasset — handelt nur
im Gedanken eines Krieges g<?gen sie.
„Untergang der Chersen" ist seiner Waf-
fenleute Losungswort , das Bild eines
Chersen das Ziel, an dem sie ihre Ge-
schosse üben. Keiner darf unser I^and
])etreten. Sein Ilafs gegen sie soll kein
Geheinmifs seyn , auf dafs er Gering-
schätzung und ähnlichen Hafs in allen
erzeuge. Diefs ist meine einzige frohe
Aussicht, dafs, wenn wir für einige
Zeit untergehen mufsten, nur aus
unserm Untergang eine Macht hervor
treten konnte, die diese Feinde der
Menschheit, diese drohende Wolke rück-
kehrender Barbarey, und den Stolz ihrer
Plane vielleicht auf immer vernichtet.
„Aus seinem Volke und uns ein ein-
ziges in unbezwingbarer Stärke zu bil-
den , " lag in früher Klugheit Elvara-
zims. Jede fortdauernde Abscheidung,
die seine Wünsche hemmt, zu enden,
mufste er einen Begegnungsverein bil-
den , wo Unterschiede unmerklich in
neue Formen sich auflösten. Seine Mit-
Sieger konnten ungestüm fordern, und
in rohem Ubermuthe seine Plane durch-
kreuzen: er mufste eine Mittelmacht
schaiFen, die den ansprüchigen Stolz sei'
ner Miteroberer früher entwaffne , ohne
in uns, als sichtbarem Gegengewichte —
mit dem Gebrauch unserer Kräfte auch
ihr Selbstgefühl zu erneuen. So suchte
er aus den gemilderten und einsichts-
vollem Köpfen und den Abtrünnigen
beider Yölher eine eigne Kaste zu sam-
meln, von Allen los gerissen, gegen
Alle kämpfend, nur mit seinem Da-
seyn stehend oder fallend. Er hat allen
wetterwendischen, zeitklugen, an nichts
hängenden, verkäuflichen, ungewissen,
mattherzigen Menschen eine Wichtigheit
gebende Laufbahn eröffnet: diefs ist sein
erstes — vielleicht unvermeidliches übel.
Da er uns, Zahl und Bildung nach die
m ehre r n , nie zu eignem Bewufstseyn
erstarken lassen durfte; da er alle Erin-
nerungen, alle Leidenschaften, alle Ge-
bräuche, alles Libereinkommen verändern
oder vernichten mufste, um jede Rück-
hehv alten Geistes zu verhüten: so hot
er gleich Anfangs alles auf, was allge-
meines Zutrauen zwischen Mensch und
Mensch in Argwohn verhehren, was
Schwäche , Verschlossenheit , Trägheit,
Eigennutz und Muthlosiglieit in unbe-
gränzter Wirhsaniheit verbreitete.
Man entrils Kinder ihren Altern , tun
sie in öffentlichen Schulen nach verän-
derten Vorbildern zu erziehen : man
suchte durch stets wechselnde Einfüh-
rung vieles Neuen . . . Gemüther
gleichgültig schwankend zu beschäftigen,
alten Gewohnheiten zu entziehen, und
nach ihrer m eh rem oder mindern
Anhänglichkeit an vorige Sitten ... zu
quälen oder zu entzweyen. Zu
Tausenden in fremde Kriege geführt,
durch scheinbare Vorrechte in ihrem
Stolze mifsgeleitet, hob man das Nie-
drigste über das Hohe, kriechende Glücks-
söhne über alt erworbene Verdienste, und
regellose V/illkühr, unterm Vorwande der
Zeiten, — über Rechte und Gesetz.
Groll wachte im Verborgenen; scharf
sehende Augen erkannten das Übel. Aber
wer sollte entgegen treten? Kalte, ent-
schlufslose, vereinzelnde RechtschafFen-
heit war selbst unter Be>ssern an die
Stelle wirksamer Vaterlandsliebe getre-
ten. Ihr ' werdet noch oft in eurem Le-
ben sehen müssen . . . wie man ein ehr-
licher, rechtlicher Mann seyn könne,
aber darum doch kein guter Bürger.
Das gröfste Unglück für uns war, dais
alles Schlimme mit Verstand, alles
Gute mit zweyzüngiger Absicht, bei-
des mit grofser Einheit für gleichen
Zweck, das letzte glänzend, das erste
zum. Scheine des Bessern geschah, oder
einer Unvermeidlichkeit glich; dafs , da'
alles — nur weichlich vereinzelnd,
nichts — hart zusammen drängend zu
wirken berechnet war — der Geist sich
auflöste, und seine Kräfte verflogen ; dafs
man das Übel nicht tadeln konnte', ohne
das zu nahe liegende Gute zu ergreifen.
König mit nicht gewöhnlicher Einsicht,
wufste Elvarazim frühe die traurige Noth-
wendigkeit zerstörender Al)siohten unter
Gemeinhestes und Volksannäherung; zu
bergen. Er hatte die KräTte der Besieg-
ten gehrochen : kühn und fortgesetzt suchte
er nun ihren Herzen sich theuer zu ma-
chen , Erwartungen zu übertreften , und
die Easten eines fremden Joches unter
den Glanz seines Charakters zu verstecken.
Kühn w^eckte er nun , was brauchbar war,
aus ihrer vorigen Verfassung. Er erhob
den Kriegsstand. Er untermischte sein
Heer mit seinen neuen Bürgern. Dafs er
nichts wage, wufste er. Er führte sie
zu auswärtigen Eroberungen, eben so viel
neuen Gliedern in ihre Ketten. Der Erfolg
machte sie schwindeln. Ruf und Bewun-
derung, Gröfse der Ereignisse, und Pracht
des Heeres . . . machten bald , dafs man
alter Einfalt spottete, dafs eine schim-
mernde Bahn, auf der er sich zum be-
glaubigten Vorbilde gemacht hatte, die
Nazion ihrer selbst entwöhnte , und den
Dya - Na - Sore i. Th. l i
l62
Geist einer Eitelheit weckte ... fl i e
in der Vergroiserung ihres angebeteten
Gegenstandes sich selbst zu umstrahlen
walint : man stritt und starb für ihn.
Verführer, nicht Wohlthäter der Mensch-
heit . . . nenne ich jeden höhern Geist,
der die Gröfse seiner Talente, statt Men-
schen durch sie zum Selbstgefühl ihrer
Würde zu erheben, — zu Mäklern macht,
Menschen an die Gewalten seiner eigen-
nützigen Vergötterung zu fesseln. Nicht
die Gröfse des Einzelnen . . . Gröfse der
Menschheit sollte der Zweck seyn , der
uns alle in unsern Thaten vereint.
Aber es brauchte hier wie überall nur
Einen, der den seltenen Mann unterm
Schimmer der höchsten Thätigkeit zeigte —
um alle Jünglinge ihm zuzulocken , allen
Wirksamkeits-Schwindel zur Theilnahme zu
ziehen. Tyrann und Weichling hätten
nicht so viel geschadet als der, der es
dahin brachte, dafs er unter der Wahr-
heit persönlicher Vorzüge Herzen ver-
führte, und in seinem Dienste dem Ehr-
163
gcitz ein Ziel aufsteckte, das er nur in
Vaterlandsliebe und Vaterlandsstolz hätte
finden sollen.
Die Zwischenräume des Friedens wur-
den eine Fveihe anhaltender Feste, in all
der Verschwendung, mit der ein Neuling
sich in die Künste eines gebildeten Volkes
wirft. Er war jung, er liebte das Vergnü-
gen. Das Volk bezahlte die Kosten ; aber
es erstaunte, und fand zunehmende Gröfse
in diesem glänzenden Rausche: seine herr-
schende Leidenschaft . . . belustiget wer-
den — war erfüllt, *) um so mehr erfüllt,
*) „Panem et Circcnses" ist der gewöhn,
liehe Geist jedes Volkes. Nur durch mühsame
Bildung entwickeln sich jene eJlern abgezoge-
nen BcgiilTe von Würde des Menschen und
Bärgers. Können Handwerks - Beschättigungeu
und alUaglicher Schmutz, können vornehmer
IVIüfsiggang und eitle Repräsentazicnssucht sie
geben? Für jede Kunst bildet man Schüler;
für die edelste Wissenschaft . . . Bürger zu
seyn . . so selten. Gute Menschen gut erhal-
ten — kann Verfassung: aber gut machen
da es Elvaiazim als den ersten Theilneli-
jner überall begegnete. Die Menge Belus-
tigungen, weit entfernt zu sättigen, machte
begehrender.
Die Ehre des Königs , der die Wege des
Schwelgers eben so hinreifsend als die
^Yege des Helden ging , und seiner Ver-
trauten zu retten, alle Gränzen der Stände,
alle Achtung, Scheu und Beschämung für
ältre Sitten und ihre Uberreste zu ver-
nichten, suchte man die Nachkommen
berühmter Vorfahren , oder die , die noch
zuletzt mit Glanz den Staat verwaltet
hatten, und jetzt in ihren entlegenen Sitzen
zwischen Gram und verbissenem Stolz jnit
Armuth rangen, auf. Geld bewog viele,
zu ihrer Schande als üppige Theilnehmer
zu erscheinen. Ihr Name verdiente genannt
kann nur frühe Entwicklung ihres Geistes für
jene höliern Gesinnungen . . . die allbeherr-
schende Liebe eines Vaterlandes, das ßewufst-
seyn allgemeiner Pflichten , und die Wissen-
schaft, sie mit Weisheit auszuüben. Wei
sorgt dafür ?
165
All werrlen, wenn nicht der, der fremde
Schande erkauft, ein gröfserer Verbrecher
wäre, als der, der sich erkaufen läfst.
Weder Alter noch Würde schützten vor
Einladung xur Thorheit. Er hatte Gesell-
Schäften des Vergnügens gestiftet, die in
den Hainen von Schentu, in den neu erbau-
ten Palästen , zwischen Nacht und Taumel
das IJbermafs alles Genusses erreichten. Un-
geheure Geschenke wurden verschwendet,
unendliche Verwicklungen gewebt — Leute
von Ruf und Sitten dahin zu ziehen. Bitten
des, der Macht hätte uns zu nöthigen, sind
sie vi^eniger als Zwang? Von solchen Festen
sich absondern hiefs — gefährlicher Mifs-
muth. Der Gute besuchte sie aus Zwang,
der Schlimme aus eignem Trieb. Das Ver-
o
derben griff tiefer: Bescheidenheit mufste
unter Vorzügen der Ausschweifung dahin
sinken, und Tugend, die so schwer selbst
da sich erhält, wo sie das Ziel der Bewun-
derung ist, entweichen, wo der Scharfsinn,^
neue Freuden zu ersinnen, das einzige Talent
ward , das allgemeinen Beyfall erwarb.
i66
Doch bald lernte Elvarazim einsehen,
dafs Elirgeitz und Tugend und Nachruhm
nicht verlöscht werden dürften ; dafs er zu
weit gegangen sey; dafs Thätigkeit und
Kraft sich nicht wie unverlorne Güter
zwischen Üppigkeit und Lust in willkühr-
lichem Wechsel aufbewahren liefsen. Sein
Geist ward reifer. Er erkannte an sich, an
der Liangenweile , „mit der jeder nächste
Augenblick nach dem Vergnügen ihn anfiel,
und unter den Qualen einer gebrauchlosen
Nüchternheit vom Hafs der Anstrengung
zur geliebten Rettung des Rausches zu-
rück zog," — worin das Zerstörende
eines üppigen Lebens beruhe. Er erkannte,
warum man ihn darein verwickelt hatte.
Er ehrte das Gute mit Ernst, und wie
ein wirklich edler Geist spät oder frühe zur
bessern W ahrheit zurück kommt, so hätte er
nun mitThränen verlöschen mögen, was er
Übels im Wahne hervorbrachte. Er sam-
melte unsere unvernichteten Denkmahle,
u m im Aufleben der Künste dem Ehrgeitz
eine veredelte Nahrung zu geben : aber
167
Jfonnte er sie in ihrem vollen Sinne gelten
Jassen ?
Er beförderte Wissenscliaften : al^er
mutste er nicht dennoch in ihnen mehr
ein Pracht - und Hofgeräthe , als ein freyes
Eigenthum der Menschheit befördern?
Er verbündete sich mit Gelehrten : aber
dennoch mehr um Freunde seiner Wünsche,
als kühne Gesetzgeber strenger Wahrheit
in ihnen zu besitzen.
Überall beschränkte ihn seine Lage, seine
Erziehung, sein Stand und eine traurige
Nothwendigkeit. Er ist nun, wie ihr ihn
kennt, voll edlem Willen : aber wo soll sich
ihm volle Wahrheit erölfnen ? und wenn er
sie erkennt — wo ist der Weg sie geltend
zu machen?! Des Menschen schwerste Tu-
gend ist Reue — die, ohne Eitelkeit sich zu
zeigen, das Geschehene lieber langsam ver-
bessert, als glänzend zertrümmert.
Wo soll er Freunde finden? Die Orayas
nennen seine Güte — sträfliche Weichheit,
und jedeBeschiänkung ihres Übcrmnthes —
Unrecht, und pflichtwidrige Versagung.
i6q
Der bessere Mann unsers Volkes ist bey-
nalie uniibersteiglich von ihm getrennt, denn
jeder scheint ein Überläufer, ein Verräther,
wer ihm naht. Nur wer das wirklich Gute
höher achtet als seinen Namen, kann es wa-
gen. Aber wie viel wird er nützen, wenn
er ohne Glauben , ohne Gehiilfen , allein
steht und verhaTst?
Eine schleichende Sekte finstrer Arglist
saet den Samen des Wunderbaren, den
Verruf alles Wissens, die Lockungen ab-
gezogener Beschaulichkeit, Losreifsen von
allem Irdischen, Zufälligen, Verderbten
seiner Zeit — unter uns aus. Herrschender
Lustsinn, und grübelnder Lehrgeist mischen
sich in die träge Gleichgültigkeit, in die
spottende ErschlalTung gegen alles Äufsere.
Jeder sucht das öfFentiiche Unglück in seiner
eignen Absonderung zu vergessen, und ein
spitzfindiger, schwärmender, heiliger Egois-
mus wird die letzte Krankheit eines unheil-
baren Volkes.
So seht ihr nun , was euch einst bevor-
steht. Alle Systeme des Eigennutzes, des
Aberglaubens , der Mensclienveraclitung,
der selbsterLöhenden Zweifelsucht, hinter-
listige Ansprüche geistiger Unabhängig-
keit und geistiger Fesseln , der Stolz einer
V ernunft , die alles Grofse weggrübelt, der
Dünkel eines Gefühls, das nur im Spott
der Vernunft Erhabenheit sucht — alles
im matten, trägweichen Kampfe ohne Ei-
fer, ohne Erschütterung vermischt, ist —
der Geist eurer Zeiten; und seine tiefe
Erforschung die erste Aufgabe eurer Thä-
tigkeit.
So viel wiederholte nur Tibar von ihrem
Gespräche unter den Ruinen am folgenden
Tage.
Einzeln sah ich sie jetzt zurück kommen,
verloren in die traurige Betrachtuna; des
Gehörten. „O Natur ! rechtete ich mit
,,mir, vt^aruni in den edelsten Seelen jener
„unselige Hang des nie befriedigten Da-
,,seyns?! Warum müssen gerade sie durch
„ewig ferne Vorstellungen vom rahigen
170
„Besitze des Augenblicks sich verlieren?
„Um durch innere Unruhe sie zurück zu
„halten vom Schlummer ? — Theurer
„Preis! - - Leiden um Grulse! " Hier nah-
ten sie, finster ihre Stirne, ihr Auge voll
Gram, ungewifs in allem. Und wir —
Ich — am Eingange der nämlichen Ruinen,
so heiter ! Welch eine Berechnung für nie
Vorsicht! . . . Die Foltern ihrer zwischen
Vergangenheit und Zukunft zerrissenen
Herzen gegen die Ruhe unserer Scherze!
Aber Trost für solche Seelen wäre Ent-
ehrung. Ihre Leiden sind ihre Gröfse.
Noch fühle ich das bittre Lächeln, mit
dem Dya mich zurück wies. Ich wollte
ihn trösten; ich häufte Gemeinsprüche, und
glaubte ihn niederzuwiegen — weil er
nicht sprach.
Ach ich verdiente sein Schweigen. Ich
wollte über fremden Gram mich zum Rich-
ter machen , ,,dafs er leidende Menschheit
in seinem Herzen trug, dals er das ruhige
Glück verachtete, und stolz war in seinem.
Kummer," darüber flössen meine Thränen.
i7i
„Einst wirst du uns nicht melir bedau-
„ren, sagte mir leise Tibar- Schmerz ist
,,die Stimme der Gottheit, die durch
„edlere Gefühle vereinzelt, und durch
,,Unmuth zu Thaten ruft. Unzufrieden
„seyn heilst oft so viel — als von Tau-
senden ausgeschlossen, deren Dumpf-
,,heit sich nicht einmal zu einem Blick
„auf allgemeines Elend erhebt."
Wie oft habe ich die Wahrheit dieser
Worte erhannt !
Unser Aufenthalt bey Divand stieg un-
ter der täglich gemehrten Anhunft seiner
ausgesuchtesten Gesellschafter bis zum
Geräusche eines anhaltenden Festes.
Ich bewunderte Divands und Minka-
rags, seines zweyten Sohnes, Geist, die
einfachen Genüsse der reitzend hohen
Natur, die ihren Landsitz umgab, bey
allem Schein und Schaugerüsten mensch-
licher Belustigung — zur letzten und
überraschendsten Aussicht, und die fei-
nei n Freuden des unterrichteten Geistes —
zum Grundton des Ganzen zu erhalten.
Die Schätze feinsinniger, kunstliebender,
M issender Menschen erhöhten die Reitze
des Umgangs. Die Entfernungen einer
weit verbreitet schönen Gegend , ihre
INühe an den Thälcrn einsamer Vorberge,
die Mannigfaltigkeiten eines reichen
Landsitzes von den hohen Erinnerungen
ältrer Zeit umschlossen , erlaubten jede
Laune, jede Absonderung, jede Wahl.
Die Stille des denkenden Geistes, das
zauberische Streben fühlender Herzen,
die heitre Stimme der Fröhlichkeit , alles
sah ich hier in reitzendem Gemische sich
begegnen , sich vereinen , sich trennen,
und zwanglos einsam oder gesellig sich
äufsern , ohne dafs je aus eignen Wün-
schen . . . Ansprüche an andere wur-
den. Männer waren Jünglinge ; der Stolz
suchte hier nur zu gefallen und nicht zu
gebieten ; leise berührten sich Menschen,
die fremde Freude in ihrer eigenen ach-
teten.
Nach den alten Sitten unsers Volkes
hatten Frauen hier eine gröfsere Frey-
heit. Ihr heiterer Sinn verbreitete sich
wie ein Hauch zarter Lüfte über den auf-
geschlossenen Wohlgeruch einer Gegend.
Alles Regsame ward Bewegung, alles
Schöne ward Begeisterung, alles Zartge-
fühlte ein lieblich fortgesetzter Traum.
Sie erfreuten und herrschten über dea
Gang der Geselligkeit, wie die Hoffnung
über das Leben.
Wenn Gefahren die rasch aufflammende
Kühnheit des Geistes erweisen, so geben,
solche Tage die Probe — ob unser Cha-
rakter festes Beharren am Erkannten
aus selbstständiger Kraft, ob er Eigenheit
oder nur glänzende Liebhaberey sey.
Leicht lernt man am flüchtigen Streben
nach erneuerten Reitzen — Ausfüllunor
o
für Beschäftigung halten : leicht schwillt
man empor zum Stolz, andre zu belusti-
gen , und zur Verachtung des V e r-
schlossenen, der nur einsam für
andre wirkt. Der brausende Umtrieb
174
der Empfindung scheint — Kraft, und
der Augenblick Stillstand, der mit jedem
Ubergang zu ernsten Geschäften ent-
stehen mufs, wirft einen Schatten von
Unweith auf das, was den schönen
Schwung aufhalt . . . Spott knüpft sich
an das Förmliche , Widerwille an das
Lan2;same jedes Geschäftes: so lernen
wir in Hindernissen und Sorgen nur
Schlechtheit oder Thorheit des Men-
schen, im Vergnügen allein die Gotter-
kraft suchen — der ferne vom Wahne
.ihres Jahrhunderts alles fremde Wichtige
. . . Spiel, jeder eigene Genufs . . . Wahr-
heit ist.
]Nur einem tiefen, selbsterkennenden
Geiste werden solche Tage Erfahrungen
bleibender Wärme, kein Feuer, an dem
sein Firnifs verraucht.
Tn der stillen Einsamkeit unseres Va-
ters hatte ich mich für nichts ähnliches
zu bilden Anlafs gefunden : alles war mir
175
neu und üben a seilend , fortziebend und
durch sich selbst befriedigend. Nutzlos
würde für mich an der - mannigfaltigsten
Berührung mit Menschen und ihren vor-
über gleitenden Verhältnissen eine Zeit
geblieben seyn, die — unter dem Scheine
l?einer Beschäftigung — vielleicht die
wichtigste verschlofs . . . ,,die Kunst,
im unbewachten Sinne froher Gemüther
nach fremdem und eigenem Gehalte zu
forschen;'' hätte nicht Tibars festerer
Geist mich auf Beobachtung geleitet —
wo die wenigsten Beobachtung suchen:
hätte nicht er mir den Spiegel vorgehal-
ten, der alles Verworrene zur Bestimmt-
heit klarer Gestalten artete. Ich sah ihn
sich gleich ohne Kälte, froh ohne Hinge-
bung, w^ollend ohne Begehren, andern
alles nachsehend, streng gegen sich, über-
all mit ruhiger Haltung: indefs ich unge-
wifs und wechselnd, bald heiter in stil-
lem Umgange, bald betäubt, bald ge-
schmeichelt in ähnlichen Gefühlen, bald
unverstanden — beschämt, grollend, oft
176
liindiscli gekränkt im Getümmel irrte, wo
ich nie zureichend mit dem, was ich be-
strebte — bald zu spat, bald zu früh,
mit der besten Auslegung selten recht
sah, zurück blieb, wenn andre eilten,
allein stand, wenn ich voraus stürzte,
und, weil ich nicht irren wollte, immer
fehlte und niemals frey war.
Dya versuchte alles, hing sich an alles,
stürmte in alles, fand sich überall an sei-
ner Stelle, und doch überall vereinzelt,
gab sich heute eine Bedeutung, die er
morgen nicht mehr suchte: ohne Stolz,
ob er irrte oder errieth, lachte er über
sich selbst so gutwillig als er andre pries,
behauptete sich aber dennoch immer in
seinem eigenen Wollen, schaffte sich
Gehör im Reitze seiner schwärmerischen,
kräftigen Erhebung, in der Wärme, mit
der er sich umgab, in der Gefälligkeit,
auch einem Wagestück sich nie zu ver-
sagen.
Diese Unbefangenheit in geselligen
Verhältnissen war mir unvereinbar mit
177
seinem Streben nach Beyfall; bis spätere
Erfahrungen mich belehrten , „dafs Men-
schen — ehrgeitzig am Grofsen , beym
Vergnügen — gerade in der Gleichgül-
tigkeit gegen fehlen und nicht fehlen —
ihren Muth, und in den raschen Uber-
gängen des Sorglosfrohen — den Stolz
ihrer Kräfte suchen. "
Hamor lächelte und genofs, und fragte
wenig, wie viel andern die Stelle gälte,
die er hielt. Er glaubte am meisten zu
besitzen, weil sein trunkener Blick an
niemand so viel Freude wahrnahm, als
an sich selbst. Eigentlich bestimmten
sich seine nähern Neigungen für Miol-
daas jüngste Schwester, das heifst, ,,er
tratite ihr Sinn genug zu, ihn für den
vorzüglichsten Menschen zu halten, so
wie er sie eben darum für die vorzüg-
lichste ihres Geschlechts hielt. " Im
Grunde suchte er in seiner zärtlichen
Wette mehr den Triumph seiner eige-
nen Empfindsamkeit, als den Gewinn einer
fremden.
So le])teii wir in gleich heitern Tagen :
nur ein Fest — das Fest verlorner
Freunde, liefs einen tief verhehlten Gang
des Ernstes unter hliihenden Auen ahnen.
Seit zehn Jahren Verlorne nur wurden
namentlich im Gedächtnisse erneuert ;
aber was in düstrer Rückkehr jenseit
dieser Jahre stand — der gränzenlose,
unendliche Schmerz , der unter äufsern
Klaggesiingen . . . das Geheimnifs der
Herzen war, zeigte sich in den flam-
menden Augen. Eine sanfte Rührung
einzelnen Verlustes hätte jeden einzeln
mit seinem Kummer an das geliebte, erlo-
schene Bild aezocen. Aber liier . . .
lag ein höherer Gegenstand , allen ge-
mein, in der Ferne, der mehr Unmuth
als Trauer, mehr schmerzlich versteck-
ten Grim.m als stillen Harm erzeugte . . .
Es war das Fest des verlornen Vater-
landes. Zwey lange Säle hellblauen Mar-
mors, die sich in ihrer Mitte unter einer
Kuppel durchkreuzten, waren der Ort:
die Lichtbogen hoher Fenster auf beiden
Seiten öffneten die Aussichten nach den
bedeutenden Gegenden von Irhot und
Dara, Wyla in der Ferne, das Schlacht-
feld von Ilvar, die Ruinen, die wir be-
suchten, der Ijauf des Galaor an den
Siegfeldern hinab, alles, wms in tausend
grofsen Erinnerungen die Vergangenheit
erneute.
Die Erzbilder hoher Ahnen umgabeii
uns unter den Säulen; Trauer unter den
leeren Gestellen der Waffen und Fah-
nen und Ehrenzeichen an ihren wegge-
nommenen Siegesmahlen. Schreckliche
Leere — selbst die Unsterblichkeit edler
Menschen sollte ein Raub unsers Un-
tergangs werden ! Eine Grabstäte öffnete
ihren dunkeln Schoofs unter der Kup-
pel. Ein Sterbender sah zum letzten-
male die Sonne, und seine thranendcn
Freunde und die Aussichten ferner Ge-
gend . . ,,Er bejammerte seinen ruhmlo-
sen Tod, sein Sterben ohne Frucht fiir
die Nachwelt, sein Leben ohne Gewinn,
ohne That, ohne Veranlassung zur Aus-
Übung liölierer Kräfte!'' Ein tauschen-
des, liinieifsendes Schauspiel. Erstarb,
er ward versenkt, mit ehernen Tönen
wälzte der Grabdeckel sich über ihn
hin , in leisen Tönen erstarb der Gesang.
Ach am Grabe lernt man stolz seyn auf
ein Leben, das im Tode mit der Reue
so vieles Nichtgeschehenen endet.
Einige Unbekannte, die in ihrem Äus-
sern — Fremdlinge schienen, fielen mir
auf durch ihr stillheitres Auge, das mehr
beobachtend als theilnehmend um sich
her gerichtet war.
Die Gegenwart einiger mächtigen Ora-
vas störte nichts. Ihr edler Geist hatte
Menschheit achten lernen. Sie erkann-
ten den Wahnsinn ihrer WafFengefähr-
ten , die in uns Besiegten lieber Unter-
worfene als Freunde sehen wollten.
Sie ahneten die Folgen. Ich sah Thrä-
nen in ihren Augen, da sie in einer ver-
trauten Stunde über die Kämpfe kom-
inender Zeiten sprachen. Warum wird
doch der edle IVIann so selten gehört , er,
der doch allein der Hellsehende ist?
Es ist ein sonderbares Gefühl jugendli-
cher Herzen, wenn in den Vorsagungen
ierner Zeiten uns das traurigfrohe Vor-
gefühl unsers eigenen Beytritts ergreift:
wenn wir als stille Gegner mit leuchtend
ernstem Auge dem Manne nahe stehen,
den wir ehrend und liebend zu bekäm-
pfen wünschen und zu retten.
Einer von ihnen ergriif unvermuthet
Tibars Arm. Einst falle ich vielleicht
,,von dieser Kand! Und Elvarazim nährt
„die schöne Schlange in seinem Busen ! "
setzte er frohmüthig hinzu.
„Würde eine Schlange der Nähe sei-
„nes Busens sich verweigert haben ? "
antwortete eben so frohUichclnd Tibar.
Der Oraya. Ich habe dich bewun-
dert und geliebt.
Geist des Menschen ! ohne wahrsa-
gende Gabe, so oft dein Prophet! Wie
lange noch müssen gute Menschen in
Verhältnisse kommen, wo ihre eigene
Güte sie gegen einander wafFnet? Wenn
werden die Irrthümer der Menschheit
mit ihrem Blute abgetilgt seyn, und
keine Hand sich mehr heben dürfen zum
Angriif oder zur Yertheidigung ?
Die Ankunft mehrerer Orayas anderer
Art störte die schöne Harmonie dieser
Tage. In ihrem Stolze, ihrer Unart,
ihren Ansprüchen, ihrem Mangel an
Selbstbeschäftigung — ihrem kenntnifs-
losen Sinne — den alles Edlere nicht
befriedigte, der alles Feinere übersah,
der nur Schimmer und Geräusch suchte
im Getümmel eines Festes . . . das ihnen
als Herren huldigte, und uns als ihre
Gaulder unter die müfsige Gleichgültigkeit
ihres Beyfalls erniedrigte — erlosch
alles. Sie bemächtigten sich des Ganzen,
sie zogen ihre Freunde , ilire SchmeicU-
jer hierher , täglich sahen wir eine tmhe-
kannte Schaar : sie hildeten von uns abge-
sondert ihren Kreis, in dem — haum Di-
vand — um ihre Wünsche zu empfangen,
ein wenig Zutritt fand. Um jedes neu
angekommenen Knaben willen, dessen
Neugierde man erregt hatte , sollten
Feste wiederholt , Künstler wie Sklaven
einer müfsigcn Laune erschöpft werden ;
Bäume sollten blühen , der Wind und die
Sonne ihren Lauf ändern. Schnell for-
dern, schnell geniefsen, und schnell weg-
werfen schien ihnen Gröfse. Als Divand
eine solche AViederholung verweigerte,
weil sie , unmöglich durch sich — nur
der Unverstand begehren konnte — stieg
Pischthat's Unwille bis zur Beleidigung.
,,Er habe sein Wort gegeben; kein Oraya
nehme es zurück, am wenigsten einer
„Geliebten." Mit weiblicher HolFart
gofs sie Spott in seine Flammen, bis er
drohend, selbstbetäubt, alle verschlos-
sene Gesinnungen eines Orayas laut ver-
kündete. „Sklaven äien wir, Alles ge-
„liöie ihnen ; der Gebrauch unserer Güter
„sey geliehen, unser Daseyn ein Geschenk
,,für ihren Genufs, für ihren Dienst. Der
,, stolze Wahn, der Knechte so eigenwil-
,,lig machen könne — Gehorsam zu ver-
,, sagen, müsse endcn.^' Dya entbrannte ;
nur mit Mühe hielten Mioldaas Schwes-
tern durch Thränen seine Ausbrüche
zurück.
AlleOrayas nahmen Theil, frohlockend,
dais ihr dünn verhehlter Stolz auch dieses
Schleyers nicht mehr bedürfe. Glänzend
endete für sie ein Fest, ,,wo Pracht,
Keichthum, Ansehen und Licbensgenufs
eines Ingannaars sie längst mit bittern
Vergleichen erfüllt hatte," am Schau-
spiele seiner Demüthigung.
Alles war in Aufruhr, da die Weiber
der Orayas , die den Trotz rauher Männ-
lichkeit zur Schau trugen , denen jede
Gewaltsamkeit gerecht, keine Erniedri-
gung für uns tief genug dünkte, freudig
den Zwist vermehrten : da der stille Hafs
imsier Nazion, desto brennender, je müh-
samer er zurück hielt, mit Verzweiflung
Waffen bereitete, um lieber zu sterben
als zu dulden. Die Klagen unsrer Frauen,
die sich verbargen, die schon die Lo-
sung eines allgemein erneuerten Krieges
erkannten, die sich beriethen, „v/ie sie
schneller und vor aller Beleidigung den
Tod finden könnten," erhöhten die Scene.
Jene bessern unter den Orayas waren
lange vorher schon abgereiset, um der
Beschämung beym unwürdigen Betragen,
bey den Anmafsungen der übrigen zu ent-
gehen. Nur zwey waren den Bitten Di-
vands geblieben, der, nicht ohne Ahnung,
ihren Rückhalt suchte. ,,Tin Namen des
Königs und des Raths, deren Gesetze
v^erletzt wären, geboten sie Friede.'*
Man nannte sie Sklaven - Söldner , und
verliefs drohend das Haus.
Tibar eilte zu Elvarazim. Er w^ollte
nicht, dafs die beiden Orayas durch ihre
Klage den Hafs der übrigen auf sich
zÖ2[en.
o
i06
„So bald schon Mann P ! " bewill-
kommte ilin der König.
T i b a r . Wenn die krankenden Gefühle
des Lebens früher zum Mann reifen — so
bin ich es. Willst du Liebe, Ruhm ; sollen
wir nicht glauben, dals du zu schwach und
zu unwillig seyst, Übel zu mindern: so
hemme den gesetzlosen Ubermuth deiner
Eroberer, fähiger unsere schlafenden Kräfte
zu erree;en als zu beruhigen.
Elvarazim hörte seine Erzählung, und
liebte den Unrecht Hassenden, Gekränkten,
und doch so treu am Wahren Bleibenden
um so mehr.
Elvarazim. Deine Klage ist billig;
ich ehre deinen Muth und deine Bewes;-
"runde, sie zu wagen: aber sie verschliefst
mir auf länger die Hoffnuno[ , dich um mich
zu sehen . . . Die Strafen, die ich verhän-
gen mufs , werden vielen mehr eine Gunst
für dich, als gerecht scheinen. Ich kann dich
lieben, aber nicht geo-en Rache sichern.
Elvarazims fester Zweck mufste seyn,
den rohen Trotz seiner Gefährten nie in zu
weitem Spielräume bis zur Geringachtung
seiner selbst und seiner Gesetze aufsteigen
zu lassen. Er strafte streng, und gründete
zunelimenden Hafs um so brennender: er
sorgte für sich und die Formen der Ruhe;
aber schleichender Rachoreist quälte in
zurück fi^edrücktem Grolle bittrer, als in
lautem Trotze.
So war die Lage unsers Volkes. Mit
peinlicher Erinnerung erzähle, und mufs
ich die Ereignisse dieser Zeit erzählen;
denn aus ihren Eindrücken gingen dauernde
Gesinnungen hervor. Hier knüpften sich
vielleicht die unauflösbaren Faden unseres
Schicksals. In mein Herz, das noch kei-
nen Hafs empfunden hatte , drangen jetzt
zum erstenmale seine Foltern : das unge-
beugte Wachsthum meiner Güte war dahin;
ich liebte die Menschen noch, aber ich
fürchtete sie ; Wohlwollen blieb mein
Trieb, aber mein Vertrauen sank immer
tiefer.
Tibar kam zurück. Unsere Entfernung
wurde für notliwendig erkannt. Alle
\\ inke jMioldaas , unsers und seines Va-
ters, „über ein Volk edler, entfernter
Freunde, die unsere Zuflucht seyn soll-
ten,'-* wurden erneut. Unter dein Saale
des Todtenfestes lagen, unterirdisch vei-
lieiniliclit , in unzuü,änglichen Zimmern
alle Denkmahle edlerer Vorzeit, die, nur
hier dem Untergange entzoe^en, in trau-
riger Nacht — die Verlassenheit unseres
Zustandes um so schmerzender bezeich-
neten. Hierher führte man uns. Uber
uns am Tage standen Bilder ohne Na-
men; hier im Schoolse der Erde ihre
Namen und das Gedächtnifs ihrer Tha-
ten. ,,Wie oft sucht , hiefs die Inschrift
„am Eintritt, die Tugend ihre Zuilucht
„im Dunkel! wie oft findet das Verdienst
seine Frevstate in der Vergessenheit!
,,Ihr, denen der Schleyer sich öifnet —
,,seYd gerecht gegen die JVIenschen, und
„macht Unglück nicht zum \"or\\ urf.
„Wenn die Nacht unter tausend strnh-
„lenden Sternen uns nur mit FInsternifs
„umgiebt, so lernt doch die Seele Unend-
„lichkeit der \Yelten und eine Hoffnung
„jenseit ihrer selbst. Seyd gerecht gegen
„das Schicksal, das in der INacht trauern-
,,der Zeiten — Erhabenheit aus Strahlen
,,des fernen Verborgenen weckt. "
Hier, wo alle Hüllen fielen, wo nur
Divand und seine Vertrautesten uns um-
gaben, wiederholte Mioldaa nochmals die
nähern Ereignisse unsers Volkes: thrä-
nend wurden wir beschworen, seiner
"Rettung uns zu weihen. Leicht war ein
Versprechen, das tief in unsern Ent-
schlüssen keimte, leicht hier — wo
das Gefiihl unverdienter, immer tiefer
drückender Demüthigung aus den Bege-
benheiten der letzten Tage so nahe mit
den Bildern einer grofsen Vergangenheit
zusammen trat! Ach der Jugend schöner
Vorzug ist — jene rasche, hohe Flamme
des Willens, der getrost den Kampf gegen
sein Jahrhundert unternimmt, und zwi-
schen sich und der Tugend keine Unmög-
190
lichkeit findet. Wir werden nur klüger,
nicht besser mit dem Alter, und unsers
Herzens gefährlichste Feinde sind —
unsre Jahre .
AYenn Mioldaa seine Erzählung vom
Untergange unseres Volkes schlols:
„Nie saht ihr solche Tage! nie das
Zerbrechen alles Geliebten, alles Ver-
ehrten , alles Gewohnten ! Heute die
Majestät dieser Tempel, dieser Gerichts-
,,säle, dieser Hallen, die stille Heiligkeit
,, eurer Wohnungen, das Licht der Sonne,
,,das über der geräuschlosen Ferne wan-
„delt! und* morgen herrscht ein Frcmd-
,,ling in eurem Hause . . . den ihr
,, Feind nennt, den ihr halst, den ihr
,, verabscheut , ein schmutziger Earbar,
,,der aus zügelloser Lust zertrümmert
,,was ihr sammeltet. Eure Kinder sind
„die Spiele seiner Trunkenheit, eure
Geliebte zittert, euer grauer Vater ist
,,sein Hohn. Zerstörendes Getüuunel
„schwelgt, trümmert, raubt in euern
„Tempeln, entheiligt, was ihr verehrtet,
„besteigt in Spott den Thron eurer Ge-
„setzgehung, lacht der Würde eurer Ge-
„brauche, stümmelt aus Muth willen das
„Bild eures Helden ! Überall Flucht !
„überall Angst! überall der Ilülferuf Lei-
„dender , denen ihr nicht helfen , Tlirä-
,,nen , die ihr nicht stillen könnt,
„Flammen, die ihr nicht löschen dürft!
,,und des Mannes letzter Trost . . . Waf-
„fen, um in den Tod zu stürzen, sind
„euern gefesselten Händen versagt: ihr
„lebt, weil eine grausame Willkühr selbst
,,mit euerm Leben ihr Spiel treibt. Und
„dann, wenn ein allgemeiner Rausch
,,den Sieger in die Ermattung seiner
,,Gräuel zieht — diese Ruhe, diese
„schreckliche Stille über einer weiten
„Verwüstung;! die verglommenen Rrand-
häufen ! und die Wehklagen der Ver-
,,lassenen aus den Schlupfwinkeln ihres
„Elends; scheue, nackte Gespenster in
„der Gluth eines Tages, die der verschüt-
„teten Quelle nachgraben, die unter der
,,Geifsel ihres Gebieters Leichen ver-
scharren und nahrungslos sinken ! " — —
Wer kann auf solch ein Gemälde ohne
glühende Empfindungen sehen ? Tihar
blickte mit hoher Entschlossenheit in di.^
Zukunft. Ich betrachtete mich schau-
dernd als ein leidendes Opfer der Zeit
und der Pflicht, und entsagte allen Wün-
schen, aller Kühe, weil ich ihren Hofl-
nungen entsagt hatte.
Hamor war nicht gegenwärtig : aber
ohne unsern Zweck zu wissen, sollte er
uns begleiten.
üivand und alle hatten uns verlassen,
Mioldaa bereitete alles zu unserer Reise
und blieb. Zum erstenmal sah ich ihn in
der heitern Geschäftigkeit eines Men-
schen , dessen Geist sich erhebt für eine
neue Zukunft geliebter Wünsche. In tau-
send Äufserungen der innigsten Freude
spannte er Geist und Erwartung. Dunkel
blieben uns oft seine Beschreibungen;
19^
aber im regsamen Ijeben unserer Her-
zen wurden sie Gemälde der höchsten
Gewifsheit, ein Feenland an der Hand
der Freundschaft und Liebe, ein Hel-
dengang grofser Entschlüsse, eine ^Yie-
derkehr im Glänze rettender Kraft !
Man sollte täglich sich den Vorsatz
einer Reise zusagen, und Anstalten ma-
chen , weil nichts s o Lehen ins Leben
giefst : man sollte mit jedem, den man
lieben will, eine Reise entwerfen, weil
nichts schneller verkettet. Ein Farben-
duft schwebender Entzückung w^arf wie
ein warmer Morgen sein Licht über alles.
Die Natur schien uns höher, und unser
Herz in tausend neuen Aussichten stark
wie von einer himmlischen Berührung.
NurHamor war unzufrieden ; ,,er sollte
diese reitzende Nähe des Vergnügens
verlassen, um unser willen verlassen!
V^^as hatte unsere Laufbahn mit der sei-
nigen zum Verhältnifs ? " Er würde zu-
rück geblieben seyn, wenn nicht sein
Groll gegen Mira in einer plötzlichen
Dya - Na - Sore i. Th. i j
Entfernung ilim eine billige Rache füi
ihre Vernachlässigung gezeigt hätte. Wir
würden ihn zurück gelassen haben,
wenn er uns stark genug geschienen
hätte, auf dem schlüpfrigen Boden einer
Stadt sicher zu wandeln, oder vorsichtig
zu seyn gegen den Groll der Orayas, die
in ihm den Bruder Tibars zur Rache erse-
hen hätten.
Je näher wir der Abreise kamen, je
mehr trug Mioidaas Betragen die Überei-
lungen eines mit sich selbst ungewissen
Menschen — in Schweigen, in abgebro-
chene Beschreibungen verloren, oft plötz-
lich eine bestimmte Antwort versagend!
Hätte nicht langer Umgang seines Gemü-
thes mich versichert, ich würde, mifs-
trauend gegen ihn, auch meine Brüder
achtsamer gemacht haben. Jetzt schien
mir alles nur die verworrene Freude eines
Menschen , der nicht zu viel sagen will,
um nicht Überraschungen zu verderben,
und in seiner eignen Unbeachtung zu viel
sagt, um nicht abbrechend zu enden.
Das Unbekannte in seinen dunkeln Wor-
ten fesselte uns nur desto stärker an den
Reitz unserer eigenen Erwartung.
Übrigens waren wir gewifs, dafs Miol-
daa unser Begleiter seyn würde, und um
so gleichgültiger gegen alles Zweifelhafte.
Tadelt uns nicht: wir folgten dem
Hange des jugendlichen Herzens , dem
es leichter ist betrogen zu werden,
als Betrug zu vermuthen. Und wer
täuscht sich am öftersten, der Trauende
oder der nie Trauende?!
irj6 — —
Der Tag biacli an, Mioidaa unser Wec-
ker. Welch ein Morgen ! Roth lieh
trübten sich die Berge. An lichthelle
Vorhügel erhob sich das Thal in sei-
nen Bäumen und Dörfern und Gebü*
sehen , halb verschleyert unter Nebel-
glanz. Eine zitternde Wärme gab dem
Herzen jenen ängstig frohen Drang un-
bestimmter Gefühle.
Mioidaa blieb unser Begleiter; sein
verschlossenes Betragen schien Wech-
selfolge der Laune und des Trüb-
sinns. Schweigend in einzelnen Gefüh-
len — störte nichts den letzten Ge-
nufs einer Gegend, die, reich durch sich,
grofs durch die Geschichte, in tausend
Ereignissen unsers Vaterlandes schönste
Erinnerungen bot.
Die Sonne stand über den Mauern
von Wyla; Kassur schimmerte einsam
aus seinen Wäldern über den Hügel
von Darnos. An seinen Ufern, unter
trümmerbedeckten Höhen, lag Mandra
in der Herrlichkeit vergangener Jahre,
wo die Vorzeit sich uns eröffnet, wo
in heiliger Weihe unsers Lebens schön-
ste Tage mit stolzer Freude oder Trauer
v^erflossen waren. ]MIt dem Blicke der
Jugend hingen wir an dem geliebten,
seligen Ort, wo das Grofse in tausend
dunklen Gestalten uns ergriiFen , wo
das Schicksal sich entschieden, und alle
Hoffnungen unsrer jetzigen Bahn ihren
Lauf benommen hatten.
Glückliche Stufe des Lebens , wo ein
warmes Herz sich überall an das Erha-
bene drängt , und der Mensch nichts
mehr bedarf, als eine stolz berührende
Stunde , eine freundliche Hand , und
seine eigene Bildkraft, um ein Gott zu
werden an edlem Willen, und eine Weh
zu schaffen voll schöner Zuversicht.
Ach nur unter solcher Jugend erstarkt
der Geist zu männlichem Wachsthum.
Einst fallen Blüthcn unter Stürmen ,
Hoffnungen sinken hinweg, der Blick
in die Ferne entzückt nicht mehr unter
müder Erfahrung; aber nie verläfst uns
^9^
eine frühe gefafste Gewilsheit alles
Gilten.
Mandra, alle Reitze des Thaies zeig-
ten sich noch einmal in der Pracht ihrer
Ferne, der letzte Vorhügcl war erreicht :
jenseits üher die Niederung einer halh
bewachsenen einsamen Weide wies ein
sandiger Pfad zwischen stehenden Was-
o
Sern und einzelnen Steintrümmern zum
Eintritt der Wälder, schmaler Bäche
Wiesenränder engten sich weit zurück
in ihre Schatten.
Lange stand Mioldaa , alles uns noch
übersehen zu lassen: endlich den Hü-
gel hinab Langsam und mit Ernst
buh er an :
„Euer Weg ist bereitet ; er ist weit
und gefährlich. Wollt ihr gehen? — -
Alle. — Wir wollen. —
Mioldaa. Ist euer Muth so dau-
ernd 2 —
Dya. In laebe der Erkenntnifs —
Mioldaa. Glaubt ihr nicht? Neu-
gierde scheint oft Forschungstrieb, und
199
Stolz und Langeweile kleiden nur zu
oft sich wie erhabene Begierde.
Alle. -Zeig' uns den Weg.
Mioldaa. Dort, wo ihr zween hohe
Berge weit über niedere Reihen des Ho-
rizonts steigen seht, dorthin geht er.
Im Schoofse der Wildnifs , in die Stille
der Dämmerung, zwischen Wäldern und
Felsrissen, wo nur der Thiere nächtli-
ches Gebrüll euch begleitet, wo ihr,
allein und verlassen, niemand begegnet,
der euch Rath gäbe Wollt ihr
gehen ?
Alle. Wir wollen.
Mioldaa. Noch fiihrt ein betretener
AVeg den ersten Tag. Freundliche Woh-
nungen nehmen euch auf, gute Men-
schen. Bleibt, bis über den See ein
Kahn kommt. Geniefst der flüchtigen
Tage. Nur öde Verlassenheit umgiebt
euch fortan. Niemand darf euch begleir
ten. Jede erstiegene Hohe zeigt euch
jene weifsen Berggipfel näher. Sie sind
eure Weiser.
20O
Wo das Thal sich am reifsenden Inora
engt, sein Gestade immer wilder, sein
Tohen immer lauter wird, müfst ihr
ihm folgen. Klippen sind seine Bahn ,
er stürzt üher Felsen, ein See an ihrem
Fufse. Verbranntes Gestein in trauriger
Höhe wird sein Ufer. Schrecklich herrscht
die Stille waldumzogener Gipfel. Nur
y.uweilen stürzt in donnerndem Wieder-
hall die Stauhlast ah^erissener Steine.
Wollt ihr gehen? Hoch über steile
Wände hinweg, wo ihr schwindelnd an
ihren Abgründen hängt, wo der Boden
unter euren Blicken weicht, sagt nicht
in der Angst eures Herzens, ,,ich habe
euch verführt." Geht nicht ! —
Tihar. Ich gehe.
M i o 1 d a a. Wenn ihr wanket , der
Riesen geyer umgiebt euch in seinem
Fluge. Wenn euer Auge trübt, keine
Macht des Himmels die euch hält! —
T i b a r. Ich gehe. *
Mioldaa. Ein langes enges Thal
wird dann euer Weg. Tiefe Felsen'
gange nehmen euch auf. Wenn die
Donnerwolke wogt, der Ströme vielfa-
ches Brausen in öder Finsternifs sich
zum Abgrund stürzt — so vergefst nie,
,,dafs Schrecken nur das Mafs unsrer
Schwäche sind."
„Immer heitrer wird nun euer Pfad:
unter Wäldern blühender Bäume , über
Wiesen, am Lauf ihrer Quellen, zwischen
leichten Gebüschen, im Durchblick ihrer
Fernen, im Schatten ihrer Nähe, im Ge-
webe ihrer Farben, wo von tausend
Blumen der Duft, von tausend WohJge-
rüchen euch Kühlung weht, wo aus leich-
tem Dunkel die verwachsnen Felsen des
Giefsbachs, wo sanftem Bergen zur Krone
manche hellere Wand zwischen ihren
Tannen und Hainen im Abendroth auf-
steigt. Das Thal hinauf, nicht rechts,
nicht links, gerade hin, wo vor euch
der glänzende Felsrücken eines Berges
die Aussicht schliefst, nächtlich die
Flamme dämmert, dorthin geht eure
bessere Bahn. — O meine Freunde,
20Ü
wenn ilir in Einer Tliat eures Lebens
nur gefühlt habt , um wie viel edler
ein hohes Ziel zum Werthe des Daseyns
leite, so werden in dieser einzigen Er^
innerung, Ruhe und Furcht ihre Macht
an euch verlieren. Doch ich mufs en-
digen.
„Aus drey Thälern begegnen sich Bä-
che ; ein See entsteht. In den Tiefen
des waldigen Abhangs , aus denen der
stärkste rauscht, schimmern Gebäude,
wie aufsteigende Nebel.
„Ein würdiger Gefährte, ein Freund
eures Vaters und des meinen, empfängt
euch. Der Kranz der Vergangenheit
ruhet auf seinem Haupte . . . ein schö-
nes Leben wohlwollender Thaten. Ehre
ist sein Kleid, und die Liebe umgiebt den
Kreis seiner Freunde. Selig in der Stille
besserer Menschen, in der truglosen Ge-
wifsheit veredelter Herzen, werdet ihr
zu bleiben wünschen : aber noch ist
eure Bahn nicht vollendet. Er hat ge-
handelt ; ihr m ü f s t s. Er kann belehren :
ihr müfst lernen. Eure Pflichten gehören
der Zukunft. Er wird rathen , nie ge-
bieten : Erkenntnifs , nicht Gehorchen
ist sein Weg. Einst wird euer Herz
euch richten, wie das seinige ihn. Wohl
euch, wenn der Gedanke dessen, was
ihr hättet erreichen sollen , euch dann
nicht quälet. Ein höherer Wille werde
euer Gesetz: was euer Lehen euch ge-
währt, sey der Gewinn eurer Wahl.
„Es ist Zeit, dafs wir uns trennen, —
fuhr er nach einigem Schweigen fort.*'
(Eine verhaltene Trauer dämmerte auf
seinem Gesichte: die Kunst erzwunge-
ner Ruhe entging mir nicht.) — j>Ach
dafs ich euch wiedersähe, wie wir uns
trennen! Lehtwohl!"
Du hist ja unser Führer, rief ich.
Mioldaa. Euer Gedächtnifs ists ! Als
Bekannte scheiden wir, als Gefährten,
hoffe ich — sehen wir uns wieder.
Ich. Auf einem verworrenen Wege — -
Mioldaa. Ist der Weg des Lebens
lilärer ? — und doch verläfst euch Vater
und Lehrer.
Ich. Aber allein —
Mioldaa. Der Muth sucht den Weg ;
der Mann findet ihn.
T i b a r. Ich verstehe dich nicht.
Mioldaa. Verstehe ich euch? Ge-
wöhnt euch, das Unbegreifliche auf jedem
Schritte zu finden. Ich war euer, so lang
iieine höhere Pflicht entschied. Jetzt
seyd ihr Sklaven des Schicksals, Geht,
bis euer Verhalten euch frey spricht.
13 y a. Noch sind wir frey.
Mioldaa. Frey ?! - - Zerreifst eure
Verhältnisse. Nichts zu thun liegt in
^urer Wahl; aber Handeln ist eine Gabe
des erkannten Zieles , und wer seine
Bahn aus fremder Weisung sucht — ist
er frey? —
Dya. Wer giebt uns Gesetze?
Mioldaa. Ich, der ich eure HolT-
nungen erregte, jeder, der ihnen schmei-
chelt. Eure Wunsche sind eure Ketten.
Tretet zurück und der Freund ist gei:uri-
den; schwört Träume an seinem Her-
zen ab, die er erregte — um euch
zu prüfen, und er hat in euch, was
er suchte - - - stille Begleiter im Ge«
nusse des Daseyns.
Ich. So lehre uns.
Mioldaa. Erst Beweise eures Mu-
thes. Oder soll diefs Zagen am Ein-
tritt mir Bürge seyn ? —
Tibar wandte sich schnell : ,,Der
Freund versagt, aber er beschimpft nicht.**
Mioldaa. Da , wo ihr wandelt,
bricht die Freundschaft: wo wir uns
wiedersehen , gilt nur Erkenntnifs oder
Gehorsam.
Tibar. Ist unsere Bestimmung Wahr-
heit, welches Opfer bleibt zu grofs ?
Täuscht uns die Ferne — Mioldaa —
du warsts , der sie aufschlofs. Ich zer-
reifse Verhältnisse, ich wage es über
unsere Bahn zu entscheiden , und zwi-
schen Trug und Gewifsheit ist ein rei-
nes Herz mein einziger Richter !
M 1 o 1 d a a. So geht — ( ein schneller
Strahl von Freude schien in seinem Auge
zu flammen, aber mit tödtlicher Kälte
deckte er ihn) — ,,die Zeit mag entschei-
den, was der Verstand nicht auflöst."
Tibar eilte, ohne auch nur eines Blicks
noch mächtig zu seyn, den Thalweg
hinab. Dya folgte ihm eilig.
Noch stand ich oben vom Unerwar-
teten gefesselt: da schlich sich Hamor
an Mioldaa.
Hämo r. Ich war dein Freund vom
ersten Tage, da ich dich sah: deine
stille Trauer senkte sich tief in mein
Herz , und ein leises Mitgefühl macht
mich unzertrennlich von dir.
Mioldaa. Dich? — ( Er betrachtete
ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke. )
Hamor. Meine Brüder wandeln in
der Verblendunir ihrer Träume. Du hast
o
Recht : sie sind Sklaven ihres Wahnes.
Ich wähle: ich bin frey! — Zurück
an deine Brust — hier lockt keine HoIF«
nung und keine Aussicht mich weg.
£o7
Mioldaa. Und deine Brüder? —
Hamor. Gehen ihre Bahn.
Mioldaa. Vielleicht kannst du sie
lenken.
Hamor. Nie war ich der Richter
ihres Willens. Nie fragten sie mich;
wie einen Knahen rissen sie mich fort.
Mioldaa. Und der Knahe will mün-
dig seyn ? ! Wie könnte ich dem Heuch-
ler geben, was ich dem Träumer ver-
sagte? Lebe wohl, Hamor!
Stolz wandte er sich , ohne Grufs,
ohne Blick auf mich , langsam den Hügel
zurück.
Mein Blick starrte ihm nach: er ver-
schwand . . . Verlassenheit wie die Kälte
einer Nacht ! Einsam stand ich am Hü-
gel — Einsamkeit unter Todten ist leich-
ter. Ferne sah ich meine Brüder; Ha-
morn am Fufse des Hügels. Bitter eilte
ich an ihm vorüber:
„Willst du allein umkehren, und dei-
„nem Vater sagen, dafs er einen Sohn
„hat, der seiner unwerth ist?**
Hamors Seele schüttelte bey dem Ge-
danken , verlassen zu seyn. Getrieben
von ängstlichem Kummer, matt und star-
rend ergrilF er mein Gewand. Ich rifs
ihn fort.
Tibar, zu gut um Arges zu vermuthen,
zu sanft um nicht dem Schwachen Thrä-
nen zu verzeihen, fafste ihn mitleidig,
leitete ihn, führte ihn, und war, was
in solchen Augenblicken Tausende zu
seyn nicht verstehen - - - der Tröster,
der besänftigt ohne zu demüthigen.
O Tibar, fest wie ein Mann, und
doch so mild, wie beugen sich vor dei-
nem xVndenken jene selbstgeglaubten Hel-
den, die eine Klage nicht vergeben, weil
der Mensch ihnen fremd , und Fühllosig-
keit ihr Geheimnifs ist.
Dafs ich Hamors Betragen nicht oifen-
barte, wird euch klar seyn.
Es giebt Menschen , die der Wahrheit
treu zu seyn glauben , wenn sie bereit-
willig wie ein Henker Gebrechen auf-
decken und den Unglücklichen foltern,
209
iin dem ein edlerer Richter die Mensch-
lieit 30 gerne durch Nachsicht rettet.
Als Knahe hatte ich in mancher klei
nen Angelegenheit diese Peiniger kennen
lernen, die dem Fehlenden keine Ernie-
drigung schenken, um sich selbst in der
Höhe ihrer Tugend zu geniefsen ; die
den Vater nicht schonungslos in jedem
Leichtsinne seines Sohnes einen schreck-
baren Bösewicht ahnen machen möch-
ten ; und tief in meinem Herzen ent-
stand das Gelübde — — zu bessern,
wo ichs vermöchte, zu kränken, nur wo
ich müsse.
Ähnliche Behutsamkeit wünsche ich
euch. Schwach schien mir Hamor :
Schwäche fordert Mitleid. Furcht schien
sein Trieb : Furcht ist kein Verbrechen.
,,Ein leises Selbstgefühl , das die Scho-
nunp; anfacht, und die Härte vertilsen
würde, ist der letzte Funke für Tugend.
Oft ersteigt dann Schwäche, die sich
unbemerkt glaubt, eine Stufe des Mu-
thes : oft wird dankbares Erröthen und
Dj-a. Na-Soic i. Tli. 1 \
Achtung lies IMaimes, der die ITülle ver-
ditlitct, dicker wei^reilsen könnte, ihre
Slärke. Furcht, die sich -zu vorhergen
sucht, ist noch lieill)ar: für schamlose
Furcht, die nichts mehr zu retten hat,
sind keine Gesetze, keine Sitten, keine
ITolFnung und keinellückkehr." An diese
l>chre erinnerte ich mich. So warf ich
den Schleyer üherHauior. Sein Vertrauen
\; c)llt' i( h geu inuen. Ob ichs konnte,
werdet ihr sehen. AVer hat sich nicht
im IMenschen geirrt!
INIioldaa war unser Gespriich, Divand
lind alles Vergangene.
Tiharn und Dya schien ihr Betragen,
. . . Folge einer höhern Vorschrift . .
kühner Betrug . . oder späte Iveue eines
ühel bewachten Geheimnisses. ,,Ein Au-
genblick halte vielleicht hingerissen, Auf-
schlüsse zu geben, die man nicht geben
sollte oder wollte. Sich ein bitteres Ge-
fttiindnils zu ersparen, gaben sie uns
211
hin, um nach schlecht bestandenen Ge-
fahren hinter unsrer Muthlosigkeit eine
Entscluildigung zu finden." Ihr Stolz
war beleidigt — „sollte Schein der Ge-
fahr sie zurück halten? Mioldaa , der
in längerer Verstellung ihnen sträflicher
erschien — zu rechtfertigen oder zu ent
larven , " wurde die Reise fortgesetzt.
Nicht ganz so urtheilte ich. Minder
entschieden , minder stolz in meinem
Charakter, hatte ich unter Umstände
mich beugen, hatte ich Menschen unter
hundert Wendungen in ihren kleinlichen
Abwegen folgen lernen.
Meiner Brüder Muth quoll aus Götter-
träumen. Noch kannten sie sich nur
im Ungestüm ihrer Kräfte : noch woll-
ten sie — nur verachten oder vertrauen,
und übersahen jene Mittelwesen , die
man fürchten mufs , und erforschen;
weil das Selbstbewufstseyn halber Kraft
sich in tausend Schlingungen verbirgt.
Ich fafste den Einzelnen genauer, denn
noch hatte ich nicht zu zittern verlernt.
212
Mir leuchtete in Mioldaas Blick auf
Ilamor, in der aufwallenden Freude bey
Til>ars Trotz , in dem traurig festen
Tone seiner Rede, eine verwikeltere Ab-
sicht entgegen.
Mir war es Gewifsheit, dafs , so we-
nig meine Brüder die demüthigende
Möelichkeit auch nur ahneten — IVlifs-
o
trauen und Prüfung die Triebfedern in
Mioldaas weltklügerm Betragen wären.
So folgte ich ihnen denn auf einer
Irrfahrt, die ich gewifs bestritten haben
würde, nüt der Sicherheit der Überzeu-
gung, dafs wir von Mioldaa in den un-
])ekannten Wegen eines heinilosen For-
stes nie verlassen seyn würden. Ich
irrte, wie ihr später sehen werdet. Den-
noch ward ich oft in der Folge durch
sorgsamere Menschen - Beobachtung mei-
ner Brüder Rath und wohlthätiger Bey-
stand; aber auch ich lernte an ihrer
Ruhe , an ihrer Entschiedenheit neben
meinen Sorgen, neben meinem Irrtroste —
um wie viel höher ... in uns selbst
gefunflene Seelenkraft über den kleinlichen
Behelfen stehe, aus denen der schwächere
Mensch sich mühsam das Gerüste seines
künstlichen Muthes baut, 'der» auf
selbstvertrauende Klugheit gegründet — mit
einem Fehlsatze sinkt, und bey jedem selt-
nem Ereignisse verzweifelt.
Uberhaupt begann mit dieser Reise eine
entscheidende Periode künftiger Verhält-
jüsse unter uns. Von jetzt an stieg unter
täglichen Verwicklungen meine Zuversicht
immer schneller zur Überzeugung, „dals
nur Hingehung an sie meine Bahn sey.
Folgsamkeit ward meine Kraft, und Übung
meine Stärke. Der eitle Stolz . . . gerade
das seyn zu wollen, was andre sind,
hatte mich nie entnervt : so ward ich,
was ich werden konnte, ihr mindrer Ge-
fährte und ihr treuer Gehülfe.
2l4
Nie habt ilir den Ge1)iro;en von Guasnai*
genaliet, ihren Seen, ihren Klüften schwar-
zer Schatten, ihren Thälern später Sonne
unter wolkenthürmenflen Gipfeln. An
ihren Riesenzacken lag der Tag, INebel in
gestaltlosen Massen stiegen, verschwanden
zu hellen Gewölken über der einsamen
Stille. Tief nach unten stahl sich Licht
nur in einzelnen Strahlen. Wald um-
deckte das Ganze. Was ihr hier vor euch
seht — sind nur Thäler holder Üppigkeit,
Berge froher Gröfse, lachende Auen und
Felsen zur Kraft des Gemäldes, keine
Gestalten entscheidender Gefahr, keine
Bilder des Entsetzens.
Den ersten Abend gaben uns zwey
Wohnungen Herberge am Gestade des
Eldrana - Sees. In lieblicher freudiger Un-
schuld lebten hier jugendlich vereint zvvey
Ehen mit ihren Angehörigen.
]Nie begegnete ich offnerer Herzlichkeit,
nie sah ich Kinder zarterer Blüthe, nie des
unbefangen freyern Sinns schönere Ergüsse.
IMir schwand das Herz. Zwey Tage weil-
ten wir : wie gerne noch länger ! Ac\i
warum zieht einzelner Menschen glück-
liches Daseyn, ihre Ruhe, ihre Ahsonde-
rungr unter hoher Natur, das Gemüth so
innio; an sich, dafs noch innner der Erinne-
runji . . . Thränen fliefsen ? Edel bezeich-
net durch das reitzende Bewulstseyn ihrer
X-jage, hoben sie sich weit über den Schlag
gewöhnlicher Landleute. In ihren Gärten,
in ihren Wiesen zwischen Ufer - Gebüsche
versteckt, an Abhänge zur Bestinnntheit
schöner Verhältnisse gelehnt, herrschten
höhere Bilder. Herden umgaben uns auf
ihren HÜ2;eln , blühende Fruchtbäume in
tiefer menschenleerer Waldung. Heitrer
Gesang, stille Verträglichkeit, ein unter-
richteter Sinn, Kenntnisse, unerwartet und
überraschend, würzten unsre Tage.
Am dritten Morgen kamen von jenseits
die erwarteten Kähne. Der See nahm uns
auf; zwischen den Steinhöhen seiner Ge-
stade, zwischen den Krümmungen seiner
Felsenengen — eine immer neue Gegend.
Hoch hinauf Wälder und Weiden bis an
2l6
die GipFel, lichtgrüne Hügel, oder uner-
steigbare bauniurnhangene Bergwände.
Über Steinrisse stürzten schäumende Was-
ser. An Klippen hob in schwindenden
Lauten sich die X'^'elle. Frisches Grün
und ein heiterer Himmel, des Lichtes
magische Yertheilung und sein Wieder-
glanz in dunkler Flut machten das Schreck-
liche £;ro{s, und aus kühnen Formen ein
erhabenes Ganzes voll blühender, reitzender
Farben.
Am Mittag erreichten wir die Wohnung
unserer Schilfer; eben so reitzend, eben
so bezeichnet, die n:imlichen Wesen au
Art und Empfindung, wie unsre verlassenen
Gastfreunde; eine eben so glückliche Lage,
im engern, näher gerückten Feisthaie, auf
einer Höhe an den Ufern des Sees, und
einen Waldbach, der über Felsen herah
fiel.
Hoch in die Luft standen hier die Bögen
einer zerfallnen Wasserleitung , das erste
Vorbild dessen, was in unendlicher Gröise
uns später erwartete.
217
Einige entfernte Bewohner der Gebirfre
hatten sich gesammelt. Wettkämpfe der
Behendigkeit und Stärke, aus den erlo-
schenen Sitten unsers Volkes auf alte Hel-
denlieder gedichtete Tänze — unsere Abend-
feier : „Vorl)ilder ernsterer Zeiten , wenn
einst die Sonne unsers Vaterlandes sich
erhübe, wenn Männer wieder erringen
würden, was Weichlinge unter den Ge-
brechen der Zeit verloren."
Ach manche herbe Erinnerung wurde
geweckt. Die Ruhe der voria^en Abende
verlor sich hier am Trauern der Geschichte;
aber . . . die hellere Bestimmtheit einer
Bahn , die wir aus Mioldaas Gespräch nur
ahneten, ohne sie zu kennen, ein tieferer
Sinn ergriff unsre Gemüther : so wie
jeder Gegenstand, der aus veränderten
Lagen und Verhältnissen immer derselbe
und unerwartet und plötzlich, wie ein all-
waltender Geist, durch übereinstimmende
Ereignisse hervor tritt, uns immer über-
zeugender, fester, inniger an eine Kraft in
unserm Leben bindet, die nach einem
2l8
unendlichen Ziele in unsern Handlungen
fortringt.
Heller standen unsere Entschlüsse. Un-
sere Bestimmung umgab uns wie ein däm-
mernder IVforgen in wachsender Klarheit,
rein und erhaben im Vorgefühle lichtfro-
her Tage. i
„Seyd. Männer, und eine bessere Zu-
kunft tritt unter euren Hunden hervor : "
war unsre letzte Verabredung.
Mit der aufgehenden Sonne schieden
wir: als Gehulfen am Baue des Schick-
sals uns wieder zu beoeoncn.
Zwey Jünglinge safsen an der Weg-
scheide des Bergthals unter blühenden
Zweigen des Mindrastrauches. Ihre Stim-
men aus der Tiefe stiegen empor:
„Ihr scheidet: nach Tagen so erkannt,
„als nach Jahren. Langer Umgang ist
„kalter Seelen ängstige Nothhülfe , denen
„Ungewifsheit — das Leben in Zagen
„verwandelt, denen gemehrte Erfahrung,
„wie dichterer Graswuchs — das Pflänz-
„chen Menschheit nur immer tiefer ent-
219
„zieht. Wahrheit zum Ausspruch, Tugend
„zur Hoffnung — wandelt einsam der Held
„und der Weise. Er begegnet dem Ver-
„waudten seiner Seele, schnell sind sie
verstanden : was hat der Wahre dem
„Wahren zu verbergen! Hat die Güte
„ein Geheimnifs für den Guten ! ?
„Tm Schleyer der Zeit und des Raumes
,,umgieht sie die Trennung: nie sehen
„sie sich wieder. Aber über Meere und
„dämmernde Berge, über Fernen und Jahre
,, reicht die Liebe, ihre Sehnsucht, das Ge-
„dächtnifs und Wahrheit in unendlichem
,, Bunde. Trennung ist oft nur des Un-
„vergänglichen Blüthe.
„So scheiden wir denn in schöner Ge-
„wifsheit, in unsern Erinnerimgen der
,,eurigen sicher. Jenseits blickt ihr zu-
„rück; der Sehnsucht einsamer Schatten
,, wallt über den Fernen: Ihr ahnet Thrä-
„nen und sehet sie nicht; Wir glauben
„Seufzer und hören sie nicht. So wer-
„den Perlen unter J^eiden erzeugt: die
220
„rerlen der Freundschaft unter Graxn und
„Entfernung."
Der Nachklang einzelner Töne folgte
uns im Lufthauch auf die Höhe. Schwei-
gend, zurück denkend erstiegen wir die
ersten Waldlehnen unter den Gipfeln des
rya. In seinen JNebeln schwand d...s
Thal hinter uns hinweg, friedlich wallte
noch Rauch aus der Tiefe, die Wohnun-
gen bargen sich halb sichtbar in ihre Ge-
büsche , der See dämmerte wie eine halb
helle Wolke aus der Weite.
Abwärts nach Osten neigten sich nun
die Höhen, hinter den steilen Gipfeln
stand die Sonne, und alles Bekannte ver-
sank. Ferne weideten Gemsen , das ein-
same Reh flüchtete über die Heide. Tie-
fer in seine Stille senkte sich unser Pfad.
Oft schien er an Trümmern zu enden,
oft glitt er über Moos am Abhänge des
X'V'aldbachs; aus der Tiefe stürmten seine
Donner in die Nacht ihrer Klippen; oft
verlor sich die kaum betretene Spur unter
2^1
den Irrsalen einer winddurclistürmten Fu;!-
senlieide; ischen dt.r trauernden Verlo-
renheit einzelner Tannen , üher kriechen-
des Buschwerk und die eiuscun hohen hlü-
thenstengel der Berglilie und des Dip-
tams , stiegen die Höhen dicht schwarzer
Wahhücken jenseits ihrer Thaler empor;
wie ein zarter Dampf zog der Tag sich
um ihre Fernen.
Wenn zwischen Rosen und Enzian,
grasreiche Alpweiden blühend am Hügel,
und der Himmel über den heitern Gebirg-
rand leuchtend hinabglitt — ach war nicht
selbst dieses Licht und dieser Wechsel - - -
nur die schmerzende Wiederkehr des Ver-
lassenen — für eine heimkranke Seele?
INoch hatte Mioldaas Wegezeichnung
sich untrüglich bewährt.
Dunkel und ahnend, unerklärbar, aber
argwohnlos trat sein erheitertes Bild aus
grofsen Erscheinungen hervor. Kühner
durch überstandne Gefahren — sprachen
Berge für seine Wahrheit, der Empfang
guter Menschen für seine Güte, jeder über-
222
raschende Anblick ein Büriije mehr — für
das Zuverlässige in seinem Charakter,
Eine eintönioe gehaltlose Ebne hätte
vielleicht anders gewirkt, Mioldaas Klug-
heit aber auch dann anders berechnet. Er
kannte, wie Berggegenden auf unverartete
Gemüther in hoher Erschütt<-rung w^irken.
ünd warum? — fragte ich mich oft: ist
nicht ein Bergthal beschränkter als eine
Fläche? Weil vielleicht in der Fläche der
Mensch sich höher scheint, als das Umge-
bende, und die Erde nur ein Spielraum
ruhicrer Dauer, seine Sklavin und sein
Brotfeld. Er herrscht um zu geniefsen,
er giebt um zu empfangen. Seinem sinnli-
chen Daseyn mehr als seinem geistigen ist
geschmeichelt.
Dort, wo er verschwindet — am Fufse
der Riesenmassen, wo die Natur sich selbst
und nicht ihm zu leben scheint, wo das
Un erklärbare von tausend Veränderungen
ihn täglich bedroht, wo er erkämpfen mufs,
was er besitzt . . . wird sein Geeist gespannt
für ein Etwas, das aufser ihm herrscht,
und erorifFen vom Unfafslichen in der küli-
neu Gewagtlieit der Natur. Aus dem vtr-
viclfachten Gefühl ihrer Kraft tritt eine
edlere Bestimmtheit hervor , und am Erha-
benen in hoher Luft und Stille bildet dei;
Geist sich grofs . . durch Empfindung des
Grofsen, edel . . durch das Schone in der
Reihe eines unendlichen Fortschritts. Ge-
fahren umgeben ihn : er lernt Sicherheit —
unter Wagnissen , unter Felsen — dem
Tode trotzen , unter zerstörenden Strö-
men — die, Hüifbediirftigkeit des Men-
schen. Die Gewalt der Bedrückung naht
ihm nicht. Eine immer rege Reitzbarkeit
umweht ihn auf jeder blühenden Höhe,
unterm Wiederhall seiner Thäler und dea
magischen Erscheinungen seiner Nebel,
seiner Bforgen und seiner Ahende.
Froher und zuversichtlicher mit jeder
Stunde wandelten Tibar und Dya. Ihnen
blühte hier reicher Genufs mit jeder Blume,
jedem Fels, jeder kühnern Form — überall
224
JlieLen uncl Welt zum profsen Gemälde ihrer
Zukunft; mir nur Erinnerung zur Sehn-
sucht der Stille.
IN och hlieh ^üoldaa mir erwartet — aus
jedem Dunkel, in jedem beweglichen Schat-
ten, in jeder Felskluft . , . unser verborge-
ner Führer unter Prüfung, Aber als drey
Tage nun vorüber waren, drey Nächte ohne
Dach, als unsre Träger murrten, unsre
Yorr.ithe sich minderten, und mit neuer
Gefahr immer grauenvollere VA ildnisse uns
umfingen, da stieg mit jeder sinkenden
Hoffnung mir auch die furchtbarere Gewifs-
heit seines Verrathes. Die Zuversicht mei-
ner Brüder blieb sich gleich; sie entsprang
aus Selbstvertrauen und iV'Iuth. Mich neigte
die Schwäche zum Argwohn des Ärgsten
im Menschen, weil ich den Umfang seiner
Verstellung mehr kannte als sie, weil
Träume, nicht Muth . . . meine betrügliche
Stärke waren; und nur Scham hielt mich,
dafs ich nicht bis zu Hamors Jammer hin-
ab sank. Am v^^ierten Abend erreichten
wir das schäumende Bette des Invra, Sturz
225
Lind Verwüstung an seinen zerrissenea
Ufern , an den steilen Höhen himmelan
strebender Felsen kaum den Raum eines
Pfades.
Zwischen Schattengestalten tieferer
Spitzen hob sich Eltora, Licht im Schnee-
gewande, in stiller GrÖlse, sich selbst
zum Ziele; Nacht über der Tiefe ^ der
Sonne wiederleuchtend Roth, bis zur Däm-
merung des Wetters.
Uberhängendes Gestein einer Höhle
ward unser Obdach, wildes Gestrüppe
w^ehte hinab, dürres Holz unsre Leuchte.
Unsere Träger hatten uns verlassen.
Zum erstenmal ohne Bequemlichkeit im
harten Schoofse der Natur ! Wie trauernd
kehrten mir die ruhigem Abende mei-
ner Heimath zurück!
„Eitler Stolz zu wissen ! dachte ich mir
zu. — Was sind die ungewissen Freu-
den der Neugierde gegen das stille Beha-
gen väterlicher Gefilde ? Was sind
Hoffnungen , die ein entfernter Schimmer
verspricht, gegen jene selige Gewifsheit
Dya - Na - Sore x. Tli. i >
22Ö
Glänzend rifs sich der Mond hervor,
bis fahle Nebel, bis neues Gewölk über
ihn hinzog. Elitze flammten über den
Hügel , der Donner umgab uns , Donner
im Gebirge , wo tausendfachen Wieder-
halles endloses Rollen ihn dem Unter-
gange einer Welt ähnlich macht.
Was ist sohh ein Augenblick für die
Krinnerung I O der Wiederkehr trauern-
der Stunden unterm Toben der Natur!
Vater und Heimath! — Krank war mein
Herz. Dya hing mit brausendem Muthe
am Anblicke. — Im Leuchten der Blitze
sah er seine künftige Gröfse, sein Geist
flog auf unter Stürmen. Hamor seufzte
und sank mit thränendem Auge an die
Wand des Felsens zurück. Schlafend
lag am Grunde Tibar, bis ein Donner
ihn weckte und er sich aufhob, selbst-
überlassen und fern von uns, unterm
Dunkel einer Nebenhöhle sich hinzuge-
hen an den stillen Genufs seiner einsam
liohen Seele.
227
Herrlich! — rief Dya — ists nicht
grofs ?
Ich. Grofs , aher schrecklich.
Dya. Schrecklich? — Waruni? —
Belehendes Feuer! Wann ist der Mann
mehr IMann ? —
„0 fernhin, weithin, wo der Donner
verhallt, wo der Blitz auf und niederwogt,
dort, wo sein Strahl hinabsinkt in die
Hülle — dort leuchtet mir das Bild mei-
ner Väter. O Altai! einst so im Ange-
sichte eines Wetters gegen die Feinde
der Wahrheit, einst im herrlichen Kampfe
mit dem Triumph eines Helden zu fal-
len! — — O \^aterland! Vaterland! —
warum hin ich dir nicht, was ich seyn
möchte ? — "
Ach er war so gut. Nie verliefs ihn
der Augenblick, da alle glücklich, alle
gut, beym Namen Vaterland sich verei-
nigten. So sah ich ihn zehn Jahre später,
erreichuugslos am Grabe alles Gescheh-
nen immer denselben; sein G^^ist
2üö
blieb sich treu. Hundertmal haben ihn
die Menschen betrogen, hundertmal sah
er seine schönsten Erwartungen an ihrer
Willenlosigkeit scheitern, und wenn ich
ihn zurück führte auf seinen Verlust,
immer die Antwort : „Soll ich mich
schrecken, soll ich die Menschen entgel-
„ten lassen, was Menschen fehlten ? "
Nie übten die Zweifel des Tages eine
Macht über seine Seele — . nie ward ein
mifsrathener Versuch ihm zur absprechen-
den Kleinnmth. Die Flammen der edel-
sten Einbildungskraft umgaben sein Herz.
In ihrer Hitze verglühten die Schlacken.
Reine Erfahrung erhabener Menschheit
blieb sein Gewinn.
Ihm leuchtete der Blitz zu höherra Be-
wufstseyn ; mir nur, wie das Daseyn
sich verliert. Ihm gab er Licht ; mir nur
das Dunkel, das ihm folgte. Ihn füllte
ein fernes Land mit hoher Erwartung;
mich nur mit ungewissen Gestalten. Der
Stolz unsers Vaters zu werden — war
sein Bild; das meinige — nur seiner
stillen Zufriedenheit glücklicher Antlieil.
„Ist unser Vater nicht ein Mann?" —
gah ich damals noch Dya oft zur Ant-
wort — ,,Was können wir unter tausend
„Erfahrungen gewinnen, als die Uber-
Zeugung, dafs kein besserer scy ? Was
„das Herz unter denen nicht lernt, wo
,,kein Gefühl sich verläugnen , keine
Hoffnung sich verbergen darf, was sol-
„len Fremde unterm Kampfe des Mifs-
,,trauens mich lehren ? — Hat nicht Miol-
,,daa uns getäuscht? War Ein Lob auf-
richtig, das man uns gab ? Wer hat
,,mit Wärme uns gerathen ? Wer mit
„reinem Ernst uns belehrt? O Vater,
„Vater, warum giebt es Anordnungen,
„die den Menschen im Menschen ver-
„kennen ? "
Ihr seht, wie neu, wie nur nach den
Bedürfnissen meines unerweiterten Her-
zens entscheidend ich damals dachte.
Ach , w^ohl hat spätere Erfahrung mich
belehrt, dafs der Mensch, um Mensch zu
230
werflen, so manches wissen müsse, was
die Ruhe seines Innern bricht. Unser
Leben ist hein Schäferabend, kein Abend
vollendeter Arbeit, sondern der' Morgen,
der besinnt, und die Last eines Tages.
Erhennen ist unsre Bestimmung, und
wehe dem , der Unwissenheit für unser
Glück, und Unwissenheit zerstören für
ein Verbrechen gegen die Ruhe der
Menschheit hält.
Aber noch war ich in jener Stunde nicht
dahin gekommen . . . den Werth des
Lebens aus dem Gesichtspunkt entwickel-
ter Kräfte zu würdigen, noch war alles
Neue mir schrecklich.
Eben hörbar zog der Donner über die
Ferne. Es regnete leise, ein verlornes.
Säuseln in den Asten: der Morgen graute.
Meine Brüder schliefen , alles stille ;
allein, so scheinbar verlassen — erwachte
die Empfindung, einst so unter Fremden
zu leben — getrennt, los gerissen, ver-
einzelt. Ein Schauer der Betäubung
durchfuhr mich : meine DcnKkraft war
vernichtet. Wie hatte ich damals ühneu
liönnen, mit welcher Kraft der Mensch
unter That und Handlung sich an den
Fremdesten knüpfe , wie Vertrauen auf
Menschen nur mit dem Gebrauch ent-
stehe, und Freundschaft gedeihe, wo der
Kampf für Wahrheit Seelen vereinigt?
Glaubt mir: nur der ist unglücklich bey
dem Gemälde, das Geschichte und Erfah-
rung ihm entwerfen, nur der erliegt dem
Schreckbilde des Verderbens , der nie Ge-
legenheit fand, selbsthandelnd im Streite
für die Sache der Menschheit . . . Men-
schen zu kennen, und in die Tiefen ihres
Vermögens zu dringen.
Nie hat der wahre Held den Menschen
verachtet , nie der wahrhaft grofse Mann
seiner gespottet; beide sahen ihn v^on sei-
ner glänzendsten und seiner niedrigsten
Seite, und lernten Schlacken vom Gold
unterscheiden , das Traurigwirkliche vom
Möglichgrofsen. Darum thätig, meine
Freunde, trachtet zu handeln! Dann
bleibt euch der Mensch kein Geheimnifs,
und das Leben keine Frage; dann drückt
euch kein Morgen wie der meini£;e,
traurig in der Natur, trauriger noch im
muthlosen Hinstarren einer ungestärkten
Seele.
O noch steht sein Bild so ewig gegen-
wärtig vor meinem Innern. Seine flie-
henden, lichtfahlen jSebel an den Seiten
der Berge, sein tief schwarzes Gewölk
auf ihrer Spitze; der Eisbach zerschellte
an Felsen, das Geschrey der Geyer
wüthete in der Luft. Noch steht er vor
mir. Und warum? Er war der Schei-
depunkt, wo unentschiedene Jugend ihre
Aussichten schloCs, und die trübe Däm-
merung der Mannheit sich aufthat. Kein
Sprung geschieht in der INatur; aber es
giebt Stufen, an denen unser Ich sich
sichtbar erhebt, Augenblicke, aus deren
zufälligen Eindrücken unser Charakter
sich dauernde Formen schafft.
Bey jedem Brechen der Wasser, bey
jedem Lufthauch der Nebel über wetter-
trübe .'Wälder, bey jeder regennassen
Klippe, bey jedem Kreischen der Vögel
in der Stille eines Thaies seh' ich
mich, hol' ich mich , den vormals ernie-
drigten Menschen in seinen Klagen, in
seiner Schwäche, ein Wesen, nicht mehr
ich selbst, das mich erröthend zu jeder
Kraft und zu jeder Anstrengung spornt.
Zagend folgt' ich meinen Brüdern, bis
das letzte Naheseyn Lltoras uns mit
allen Eindrücken seiner Grölse ergrilF.
Sein Scheitel ewiges Weifs , Wälder zu
seinen Füfsen, kein Laut, als ihr Brau-
sen und der fern tobende Invra.
Urbild der Schöpfung, und in Wer-
den und Vergehen ihrer nimmer rasten-
den Kräfte Herold! Habt ihr je gefühlt,
was das Herz in der Nähe eines solchen
AVesens sich bewufst ist? Wenn Men-
schenverachtung mich ergreift, wenn
Lebenshafs und der ermattende Hauch
der Gesellschaft euch anweht, dorthin,
hin zu den Füfsen Eltoras und seiner
Brüder. Im unbestimmbaren Gefühl sei-
ner Stille, in der auch das leiseste Mur-
mein der Quelle in tler Tiefe euch niclit
entgeht, dort wird euer Herz im An-
blick des Erhabensten Muth fassen,
u])er die Kleinheiten eurer Bekümmer-
nisse zu hicheln. "Wie oft hat das stille
Wehen eines Gebirges Vv'unden in mei-
ner Seele geheilt ; die Stunde der Begei-
sterung dort empfangen , Entschlüsse in
meine Seele gelegt! — O Freunde, der
Mensch wird grofs , wo das Grofse ihn
timgiebt.
Unser Muth war erhöht, das schwer-
ste schien nicht hart. Steingerolle war
unsere Bahn: heiter wie auf Blumen
wandelten wir über ihre Spitzen. Bald
endete auch dieser Weg. Kein Fufs-
tritt haftete mehr am schroffen Geklüfte;
lose Sträuche, brüchige Steine, die der
Hand entschlüpften; alles schien vergeb-
lich. Dya wollte wagen : Stolz und
Unmuth machten ihn glühend.
Ich — hoffte auf Rath, und sah mit
trostlosem Auge nur neue Zweifel.
^55
„Der Mann, der uns bis hierher wies,
liann nicht fehlen/' rief Tibar. Er warF
sich ins Gebüsch. „Es mufs ein Weg
seyn , und wir müssen ihn finden."
Er suchte, und fand an hohen Felsen
eine Weisung, alte bemooste Schrift.
„Wenn den Wanderer am steilen Ab-
,,hang seine Hoffnungen verlassen, so
„sey ein Blick in diese Verborgenheit
„der Zeuge seiner ungeschwächt suchqn-
„den Seele. Dort, wo drey Bäume vor
,,der Felsenhluft, wo der Stein mit hän-
,,gendem Moose weit zurück in licht-
,, loser Dämmerung ein Eingang dich ßuf-
„wärts führet , mufst du steigen im Dun»
„kel, lange dich über Klippen winden:
„dann kommt eine Brücke; über den Ab-
,,grund des reifsenden Invra wiegt sie im
„Winde sich an Ketten. Ein Mann soll
nichts fürchten. Unter dir siehst du
„den Strom, tobend durch Felsen, schlei-
„che.nd und schwarz im Thale des To-
,,des zu deiner Linken von Fels zu
„Fels deinen Weg, neben dir in stil-
„1er Höhe ilie Schneegefilde. Geh und
„wage."
Wir gingen und fanden, was die Wei-
sung gesagt hatte.
Dya stieg zuerst. Er reichte mir die
Hand. Mit mächtigem Schwung rils er
mich an sich. Tibar harrte Hamors.
Hamor umarmte ihn wie zum ewigen
Abschied. Er sah in die Höhe , er warf
sich zur Erde.
,,So will auch ich dir helfen," rief Dya
und kehrte zurück. ,,Es hönnen ja —
nicht immer Blumen seyn!" Hamor
stieg und seufzte.
Mit lauter Freude erwachte nun wie-
der mein Glaube ati Mioida a, bis ein kal-
tes — ,,an dem du zweifeltest?" von
Tibar gesagt, mich zurück warf in die
sehr herbe Betrachtung, wie schwankend
mein Geist sich Beängstigungen schuf.
^37
Einsam verging nun schon der zweyte
Tag inner den Höhen Eltoras. Ein dunk-
ler Hohlweg am dritten, des Giefshachs
Steingang, von Bäumen überwölbt, von
Moos und Farrenkräutern farbenreich ge-
schmückt, still, kühl, nur von leisen
entfernten Lauten der Vögel und des
AVindes belebt, ward abwärts unser
Pfad. Felsen, hoch empor getrieben unter
luftigen Gesträuchen, unter schwarzen
Tannen, endeten ihn am Austritt eines
grünen Hügels freyer Aussicht in die
Fernen dreyer Thäler, in die Öffnungen
ihrer Bergketten. Leicht geschlungen
durch Wiesengründe einsamer Haine
und moosgrauer Felsenstürze, weither
schimmernd aus ihren Ufern, vereinig-
ten sich ihre Flüsse zum See . . . zwi-
schen kleine Inseln vielarmig verborgen,^
unter röthlichen Steinwänden , unter vor-
gestreckten Waldrücken: in hundert Bre-
chungen, und fernehin wechselten seine
blütheweifsen, dicht verwachsenen Ufer.
Wolken zogen farbenhell über leuchten-
des Wasser. Berge warfen ilire Schatten
in die Schatten des Vorgrunds. Lichter
der niederstehenden Sonne, seithalb in
langen Strahlen über die Erhöhnngen
des Thaies hingestreckt, fielen auf ent-
legene Gipfel.
Keine Wohnung belebte diese Gegend.
In stufenhellen Gebirgen, im Lichtglanz
überragender Schneewände, im Feier-
kleide des nahen Abends, grofs, weit und
alles übertreilend, wie ein stiller Aufent-
halt unerkannt erhabner W esen , schien
nur ein R.auch aus eng geschlossenen Fer-
nen auf Menschen zu deuten. Wir folg-
ten. Nichts gleicht den Reitzen unseres
Weges — blühend und im Wohlgeruch
des schwindenden Tages. Mit jedem
kleinen Fortschritte neue Seitenthäler ge-
gen das unsre geölinet . . . ein verän-
derter Blick in die Wechsel des Schattcn-
dunkels und einer frühern Nacht aus
freundlichen Tiefen.
Immer schneller eilten wir weiter.
Dampfender sank der Abend. Aus der
Finsternifs nah gescho])ener Felsen öffnete
ein stürmender Bach, breit schäumend,
hell, in grünen Fluten seine Bahn, und
uns auf schmalem Rand einen Eintritt
in das Innere eines Thaies — nach einem
so reichen Tage noch ein Zauber neuer
Schöpfung. Dem Eingang entgegen stieg
dunkel thürmend eine steile Spitze mit
durchschimmernden Bäumen gegen die
helle Gclbröthe des Himmels. Zwischen
dem Waldsaum ihrer Krone dämmerten in
einzelnen Strahlen Gemäuer und Säulen-
gänge mächtiger Gebäude.
Nach beiden Seiten abgerissene Fel-
sen — theilten sich an ihrem breiten
Fufse zwey Tliäler im dunkeln Wiesen-
grün zwischen Bäumen und Hügeln und
Fernen hoch emporragender Steintrümmer.
Tiefer sank die Dämmerung unter trü-
genden Nebeln, unter den Lichtern hoch
bestrahlter Alpen. Ein leiser Wind
schauerte durch den Einton des Baches.
über Jahrtausende und ihre Geschlech-
ter, über den Strom des Unerkannten hin-
2/^o
getrieben, uncl üLer EreiG^nlsse ohne Zahl,
umgab uns die Zeit in dunkeln Gestalten.
So wählten wir weglos das kürzere.
Thal, aus dessen näherer Ferne ein
Lichtkreis zu glänzen schien. An den
immer steilern Felsenufern stiegen wir
aufwärts. Finster schlols sich der Laub-
wald; kein Licht zeigte eine Bahn, kein
Mond war am Himmel, kein Laut ver-
rieth eine wirthbare ]Nähe.
Einsam schwankten Sterne durch die
Zweige. Zum zweytenmale war alle
Gewifsheit entflohen , und zehnfach här-
tere Verlassenheit unser Loos.
Hamor hing sich zitternd an mich. Ihn
angstigte das Hinwegsinken eines muth-
losen Lebens. Tibar suchte eine moos-
reiche Stelle zum Schlaf: Ruhe umgab
seine Seele, im Schoofse der Natur ohne
Sorge. Ihn erfreute die hohe Einsamkeit
einer Nacht und die Erwartung des Nie-
gesehenen am Morgen. Er fand, was er
suchte, am Abhang, freudig rufend, um
mich nicht zu verlieren. Vorgedrungen
241
im Gebüsche, um zu spiilien, tönten mir
nun Laute aus der Ferne. Ich rief; alle
riefen. Weither klang — eine Antwort:
matte Dämmerung nahend — näher im
Wiederscheiu an den Zweigen — in lan-
gen ScliaLten immer klarer ; Fufstritte
kommender Menschen — ein bangstiller
Augenblick !
Hamor weinte Thränen der Verzweif-
lung. Er drängte sich an mich. — Unter
fremder Gewalt verlassen zu sterben !
Vorwürfe auf den W ahnsinn seiner Brü-
der strömten aus seinem Munde: ,,Zum
„Opfer ihrer Träume hierher 'geführt,
,,hier, wo Kurzsichtigkeit sich durch ihre
, »natürliche Folge . . . Unglück und Ent-
,,schlufslosigkeit büfste, sey, was sie
treffe, selbstverschuldet. Warum aber
,,er, der Unschuldige, leide? Warum er
,,uns nachgezogen werden muCste, einer
„strahlenden Tugend zum Spotte, ein
„Schwächling, wo er nur der Vernunft
„gehorchte? O Vater, Vater! rief er
ungestüm, das sind deine Lieblinge,
Dya-Na-Sore 1. Th. 16
„gegen die icli nur der Verworfene
blieb ! — Leide, klage : du siehst deine
„Söhne nicht mehr. Hülf'los schliefst der
„verzweifelnde Stolz seine Rechnung.
Weine, denn dein Wahnbild stiirzte sie
„hinab. Einsam stehst du an deinem
Grabe, und unsre bleichen Geister um-
geben dich mit Schrecken. "
Welche Schmerzen für mich in seinen
Klagen! Ich hatte ihn mit Hoffnungen
gelockt, die andern durch Verachtung
beynahe entfernt. Mir galten seine
Thränen.
Alle Unruhe löste sich in Freude beym
Anblick derer, die aus dem Gesträuche
hervorbrachen über einen niedrigen Fels-
pfad — zwey flammende Gestalten, im
Lichtkreis ihrer Fackeln stolz und grofs,
in edler Jugend - - - die des Fremden,
des Gewagten, des Kühngeretteten sich
freut, die in jeder Handlung des Gefühls
ihrer Kräfte so froh sich bewufst stehet.
Hellblau schimmerte ihr Gewand in die
Luft, ihre Wehrgehänge erklangen, Helme
245
];ezeichiieten Krieger, was sie umgab,
war hohe Vollendung jeder Art. Sie
standen vor uns, heitere Gewifslieit im
Blick ohne Rückhalt. ües Menschen
erste Zusammenkunft ist so oft sein Ge-
setz für die Folge. Hier vereinigte das
schöne Gefühl freundlicher Erwartung
Wesen, die sich nicht kannten, und aus
edlen Hoffnungen hob unser Geist sich
mit Würde empor.
Sie führten uns schweigend : einzelne
Fragen, cinsylbiges Antworten unser Ge-
sprach.
Wenn eine dunkle Verwicklung, wenn
das Halbgewünschte und doch Unerwar-
tete in seinen Zaubergestalten uns um-
fangt — wem lüstet zu reden ? Wie auf
^Vasser unter leichten Winden, spiegeln
tausend bewegliche Bilder sich in der
Seele, zu reitzend, um nicht zu beschäf-
tigen, zu flüchtig für Bestimmtheit.
Geordnete Gänge, gefalirlos für den
Traumbefangncn, überraschten mich nicht:
das stille Gute eilt vorüber im Strome de*
Wi-ind erbaren.
Fernbin leucbtete endlicli unter wieder-
stralilenden Bäumen die reiclie Helle einer
Wobnung. Der Mond trat eben über die
Waldstrecke bervor, sein Silberlicbt zwi-
sclien den Scbatteneno,en der Berge, in
den Funkenkreisen des Baclies und in den
farblosen Bogen seines Staubfalles uns
zur Seite.
Durcb liobe Olfnungen von ibm be-
leucbtet, nabm eine Yorballe uns auf:
hinter farbigem Glase brannten die Lam-
pen änstofsender Gemächer, Farben in
Luft zerflossen, wie eines Regenbogens
sanft verliaucbte Tinten ein reicher
Anblick eines übereinstimmenden Ganzen.
Alles vv^ar stille. Wir hatten Zeit uns
zu besehen. Fenster in weiter Höhe
bis hinab; Blumen, Pflanzen, wie aus
dem Boden spriefsend, bis ins Innere fort-
gezogen , füllten ihren untern Raum.
Teppiche, grasähnllcli aus grilnem Ilierl
gewebt, fernes Pliitschcin der Spring-
wasser, Gemälde an den Pfeilern, ein-
zelne Standbilder in der Heile auf sie
geleiteter Strahleninassen — überall der
schöne bedeutungsvolle Aufenthalt den-
kender, l^unstliebender, feinsinniger Men-
schen, mit dem ersten Blicke zu unter-
scheiden von den unbestimmten, wech-
selnden Gerätben einer genulsschmach-
tenden, sich selbst uneinigen, nimmer
genügenden Weichlichkeit. Einem altern-
den und einem minder bejahrten Manne
mit einigen Jünglingen öffneten sich end-
lich die Thüren der innern Reihe. Edel
gekleidet, edel an Gestalt, holie , kühn
gebildete Menschen, dennoch nichts Frem-
des , nichts des Abscheidenden, das im
ersten Empfang schon nimmer nahende
Entfernung grimdet.
Ach wie wohl, w ie schnell anziehend
fiel meines Vaters Aehnlichkeit mir auf!
Eben die Haltung, eben die sanft ernste
Sprache, der bittend gute Ton, die Ach-
tung für Menschen und ihre Empfin-
dungen, sein Au^e, seiner Heinde Be-
wegung. In meiner Überraschung fort-
gerissen, rief ich hxut,: Vater, Vater,
,,ii])erall wo gute Menschen wolmen, finde
„ich dein Eild ! "
Der ältere umarmte mich mit schneller
TJerzlichkeit. ,,Er danke der Natur
„diese freundliche Artung unseres Gei-
,,stes, überall aus Ähnlichkeiten die Kette
„fortdauernder Empfindungen , und ein
„Ganzes unsers Lebens zu finden. Wohl
„jedem, dem der hellen Erinnerungen
,, viele gea;enwärtig wären , dem Gutes
,,tief bezeichnet im Busen liege ! er trelFe
„überall auf Verwandte und eine schnelle
,,Gewifsheit."
Schlaf und Müdigkeit waren entflohen.
Zehnfache Kraft glühte wie himmlische
AVärme in unserm Innern . . . jene ju-
gendlich rege Begierde, jenes ungewisse
Hindrängen des Geistes — zu sehen ,
zu fassen, was immer noch täuschungs-
ähnlicher als wirklich schien. — Wie
\'\ olil ist dem Menschen, wenn alles su
neu und in der Dämmerung der reichen
unbeschränkten Erwartung ihn umgiebt !
Wie grofs erweitern sich seine Wün-
sche, und wie kühn hat eine schalfenda
Hand ihn ausgestattet, dals liberall das
Überraschende an das Unendliche ziehet!
W^o kein Niederdrücken des ivleinlichen.
ihn verirrt — beflügelt jeder volle Ein-
druck seinen Geist, und nie felilt ihm
der himmlische Schwung vom W irkli-
ch enf — zu erhabener, verschönemder
Hoffnung, jener Götterspruch unsers
Tunern, ,,der uns selbstachtend nur des
l'',delsten würdig erklärt. " —
Ein Leben der regsten . Erwartung
ergriff uns; stolze Vollendung in allem,
bis auf die kleinsten Geräthschaften ; die
hohen Formen eines Jahrhunderts, das,
ferne dem unsrigen , dauernde Schönlieit
hervorzul)ringen gcstinmit war. Die ein-
fach edle Sitte der Wesen, die uns um-
gaben, ihre feine Sprache, der höh-
Geist ihres Betragens zeigte fremde, un-
sers Vollmes ungehörige, anders geartete
Menschen. Jünglinge von Männern niclit
beherrscht, und Männer in freudiger
Zuneigung von Jünglingen geachtet, be-
gegneten sich ohne Zwang, ohne Entfer-
nung, in Ernst und Froheit — auch
hier meines Vaters täuschende Rückkehr:
eben so durch Vertrauliclikeit cecen uns
bezeichnet, eben so fremd jener gewalt-
samen Weghaltung — dem Prachtkleide
versteckter Schwäche, unter welcher
rings um uns Kinder zum blinden Ge-
horsam und zur späten Verstellung er-
wuchsen. Selbstständig selbst — wufste
er Menschen selbstständig zu entwik-
keln . . . aus früherm Denken, aus
selbstgesuchter Eeurtheilung, aus Reit-
zen der Beschäftigung durch selbster-
worbenen Genufs des Wissens unterhal-
ten: darin allein suchte er das Kunst-
werk der Erziehung , und ihren achten
Gewinn - - - Bestimmtheit, jenes fol-
gerechte, gleich schreitende, eigene An-
halten in Wollen und Wirken, ohne die
249
es keine Wahrheit des Dascyns , keine
Kraft — „nach höhern Gesetzen sicli
seihst zu leiten,*^ keine Unahhängigkeit
von fremdem Einflüsse gieht.
Was mich, im schwachen Nachlnhlc,
so gefällig an euch knüpft, . . . freund*-
liches Wohlwollen, Rath und herzliche
Mittheilung , selhstüberlassene Wahl
im Gebrauch meiner Lebenserfahrun-
gen zur Sicherheit der Euren , " das um-
gab mich von meiner Kindheit an , und
fortdauernd jetzt unter diesen neu erkann-
ten Menschen: wie ein dämmernder
Morgen unter Blüthen , stieg meine Ju-
gend zum Lichte.
„Warum geht der Mensch aus freund-
lichen Händen so sorgsam hervor, ein
zartes Wesen hoher Bestimmung, Schöp-
fer und Held einer Welt der edelsten
Hoffnung — um im Zeitpunkt erreichter
Kraft unter Trümmern des Unerreich-
baren, unter selbsterkannten Traumen
schneller zu altern als er wuchs?*' —
Ach wie oft zerrifs diese Fraiie mein
Herz ! Und ihre AnU'^ ort? — Pflanze
oder iMenscli — Blumen zu Tausenden
für die Gewifsheit weniger Früchte ent-
faltet; sind . . . Reifen und Welken
uberall nur zwey gleichbedeutende AYör-
ter. In wenigen P^rüchten erschöpft,
für andre getragen, liegt jenscit unser
seihst die Frage alles Daseyns.
Leht und hlüht : noch ists für ihre
dunkle Lösung zu frühe.
Kin Mahl ist eine unhedeutende Sa-
che. Aber hier, wo das Frohseyn herz-
licher Nähe, wo ehi reifer, geläuterter
Sinn auch das Kleine in schönere Bezie-
hungen erweiterte, hier ward ein vor-
übergehender Genufs — ein dauernder
Eindruck, dessen Nachbild ich, wie ein
heiliges Geschenk, euch nur zum Lohn
edel vollbrachter Tage zuspreche.
Ach, nur das Bleibende der Erinne-
rung nenne ich Lebcnsgenufs , den ich
euch bereiten möchte, euch, die ich liehe.
251
denen ich alles zum Eibe Lluteilassen
möchte, v/as mein Daseyn Gutes und
Wahres eiitluelt.
Und heute, heute noch, v. niuai soljttj
ich es vers( Illeben ? werde das Fest der
Erinnerung gefeiert, wie ich es dort ge-
funden hatte. Eben die innre Verthei-
lung der Zimmer; eben die sanfte Helle,
heller auf bedeutendere Gegenstände <ie-
leitet; eben die Sorge des Wohlgeruchs,
die Mischung blühender Gesträuche ne-
ben Werken des Bildners; das sanfte
Ixauschen der Quellen, die vorüberge-
henden Geistcrlaute der Windharfe und
das forttönende Schweben der Wasser-
orgel sollen euch umgehen ; in meinen
Geräthschaften die nämlichen Formen,
einfach und rein, aus den ältesten Zei-
ten der Kunst, unter Menschen, denen
nicht der Wechsel, sondern das Schöne
gefiel. Alles Nothwendige habe seine
Stelle. Keine Diener. An den Wänden
bereitet die Sit/lager umher. Scyd, wie
wir dort waren. Jeder wählte seinen
Platz, entfernt oder neben andern, kam,
ging, wechselte; kein vorlauter Redner,
kein erzwungenes Gespräch, kein fehl-
erharrendcs Scliweigen, kein Beobachter
engte Freyheit, Laune, oder traulicheres
Mittheilen.
Unabhängig und unter Menschen sollt
ihr seyn. — Wie selten sind eure ge-
selligen Vergnügungen dahin berechnet !
Immer nur Zwang des Einzelnen gegen,
mehrere, Fassungslosigkeit neben Wahn,
Machteignung neben träger Hingebung,
fremde Vorbildungen neben erkünsteltem
Beyfall , und widervv iiiig verhaltener
Hohn neben verfehlter Erwartung: Ge-
bote zur Freude und ihrer Zerstöreriu-
nen — wie selten sind Versammlungen —
offne gemeinschaftliclie Quellen, aus de-
nen jeder selbst schöpft ! Achtet auf
euch selbst, ob ihr des Bessern fähig seyd.
Ich ende nun das Gemähide jenes
Abends. Zuweilen traf eine unabsicht-
lieh scheincnfle Erziililung die allge-
meine Achtsamkeit : zuweilen erhöh
sich der Gesang eines kleinen Chores.
^Vorte voll Sinn erregten einen neuen
Gang des Gesprächs; oder still und in
erweckter Empfindung safsen Freunde,
denen ein Blick, ein Händedruck in
tieferer Deutung zureichte. Der Gedan-
kenerwerh eines . thätigen Tages ward
hier zu allgemeinem Gewann, wo jeder
das Schönste und Beste darzubringen
strebte. Nie konnte es an wechselsei-
tiger Achtung, diesem einzig wahren
Grund aller Geselligkeit, fehlen, wo jeder
dem andern in sorgsamer Enthiillung
eines reichen Geistes wichtig ward, und
nie sorgsame Pflege des Geistes sinken,
wo Achtung für andre^ sie nothwendig
machte, wo die verschönernde Kunst
des Gemiithes nur in Hiilfsquellen des
\Yissens sich dauerndes Gedeihen ver-
sprach.
Einfacher Art und in geringer Verschie-
denheit war das Zugerichtete ; aber Uber-
fliifs fies TrefFlichsten aus s e 1 b s t g e z o-
g e n e n Früchten. Nie sollte der Mensch
den trägen, leicht vervielfachten Genufs
einer erfinderischen Dienstbarkeit gewöh-
nen: aber was nur Nachdenken, Arbeit
und Erwartung verschaffen können , was
früher stärket als nähret, dort wird die
Freude des Genusses unschädlich durch
die kraftbringende Arbeit seines Erwerbes.
Aber auch ein glücklicher Abend endet.
Der Schlaf gebot. Jedem ward sein
eignes Gemach ; auch hierüber gab man
meinen Fragen bestimmte Gründe. „Die
„Nacht ist unsers Geistes stilles Eigen-
„thum. Nie mufs der Zufall Menschen
„anhaltend sich zudrängen. Einsam und
„ferne heilen die kleinen Verletzungen
,,des Tages, und eine gleichdauernd zarte
„Berührung wird nur möglich , wo bey
„ausgesetztem Drucke Nerven nie erhär-
„ten. Mit sich und den Erinnerungen
„eines Tages in der Abgeschlossenheit
„seines Zimmers, des Himmels nächtliche
„Erhabenheit vor Augen, geht dem Men-
„sehen sein Tch wie eine sliafende oder
„warnende Erscheinung hervor: er lernt
„denken und handeln unter andern;
„aber Güte - - das rein abgezogene rich-
„terliche Bewufstseyn seiner verborgenen
„Triebe, nur von sich in einer prü-
„fenden Minute, wo das T3unkel der
„Erde ihn zwischen Zukunft und Ver-
,,gangenheit der Gerechtigkeit näher
„stellt."
Die riickkehrenden Gestalten des Ta-
ges drängten sich wie heller Schimmer in
mein Herz. Die Einsamkeit überwältigte
den Schlaf. Ich trat hinaus unter die
Bäume. ' Ihr Flüstern umgab mich: spä-
ter mit dem Morgen eine sanft verhallende
Stimme aus der Tiefe.
„Am Abgrund stand der Weichling und
„der Mann, dem Schicksal' an der Hand.
„Mit freyem Sinne, unbeschränkt in
„eurer Wahl — was wollt ihr? — Hier
„Ruhe ! dort Gefahr ! den Dank der
„Menschheit? oder Ijebensstille ? - —
256
„Die Stimme ruft, der Augenblick ent-
sciieidet.
„Der Weise wählt, und wählt Gefahr.
Phantome steigen auf. — Verkannt, ver-
lassen, der Mindern Spott — sieht er
auf seinem Wege verleumdet, unerreicht
am nahen Ziele sich überfallen, Macht-
habende in den Raub seines Ruhmes, Un-
würdige in seine Thaten getheilt, und
Völker blind mit Undank ihn verfol2;end;
in jeder Freude vernichtet, in jeder Holr-
nung gekränkt — verblutet sein Leben
unter langsamen Qualen.
„Er sieht, was Tausende schreckt —
Millionen entweichen, und ruhmlos ver-
hallet ihr Name; selbst den bessern Mann
erreicht nicht immer die kleine Gabe eines
armseligen Denkmahls im Tode. Et
schwindelt, er wankt; Nachruhm ist
doch ein so verzeihlicher Traum ; jede
bessere Seele hegt ihn; bis auch dieser
edlere Eigennutz schwindet, reiner Wille
das einzige Triebrad unserer Ilendlungen
wird.
257
,,lhm willixt die Pflicht aus dem Flam-
menschlunde , die Ünschuld jammert am
verlassenen Felsen, und die Menschheit
ringt mit ächzendem Geschrey unter
Schlangenhissen ihre v-v unden Hände nach
ihm. O er sieht heine Flamme, kein Meer
und kein Ungeheuer. Die Erde ehnet
sich unter seinem Schritte , und die Gott-
heit streut Blumen, wo die Tugend mit
dem grofsen Bevvufstseyn erfüllter Ge-
setze die Zuversicht ihrer Stärke auch
unter Schrecknissen nicht verliert. Er
sieht die Gefahr, er schmeichelt sich
nicht, aher er verachtet sie. Ihm ist
der Tod eine schöne Nacht. Die Sonne
ist entwichen; aber in tausend Ster-
nen wiederholt — strahlt s i e aus leuch-
tender Ferne, und in tausend Folgen -—
seine Thaten zum Throne der All-
macht hinauf, die sie zu finden weifs,
d i e ihre Bahn sieht , wenn auch der
Mensch sie nicht mehr erkennt.
,,So wählt der Edle, wählt ohne Furcht
und ohne Belohnung, und verbreitet sei-
Üya-Na-Sore i. Th. 1?
lies Lebens Woliltliat über ^ille Jahre der
Zukunft.
„Er ist tofk, der Einzelne ist unter-
gegangen ; aber sein Daseyn schwebt
über den Fortschritten einer endlosen
Zeit.
„Der Weichling wählt auch ; aber von
seiner Wahl ist so wenig zu sagen , al»
von seinem Leben.*'
Auch Tibar und Dya , dem Gesänge
folgend, begegneten mir einzeln upd oft.
Uiiisere Hände drückten sich im Vorü-
bergehn. Unsere Zungen hatten keine
Worte. Selbst da wir später Rede ge-
wannen, betraf sie entfernte Gegenstände
mehr, als das kurz vergangene. Jeder
füfichtete — möchte man sagen — in
der Verschiedenheit der Eindrücke den
stillen Besitz der seinigen oder eines
andern zu stören. Es giebt Momente
der Verschlossenheit, des ungewissen
Festhaltens seinei- selbst in der Freund-
Subaft, die, wie ein tiübwarmer Maytag,
des innersten AYaclisthums scliönste Reg-
samkeit enthalten.
Und als wir endlich unbemerkt stu-
fenweise uns hingezogen fanden in die
Mittheilung alles Gefühlten, aller Hoff-
nungen und Wünsche — welch eine
Eile der Zeit! w'elch ein Morgen ! Rein
und immer heller, Licht in jeder Wolke,
bedeutender, klärer im steigenden Roth
der Fernen , vom hohen Strahl an den
Scheiteln der Berge, bis zum fahlen
Dunstgew ölke tiefer Wälder , bis zur
Sonne selbst in ihrem Schimmer.
Erithrama trat aus der Thiire. ,,Tch
„lobe Jünglinge, welche die Unruhe lio-
„her Eindrücke dem Schlaf entreifst,
,,und freue mich, dafs euer eignes Ge-
,,müth euch unserer Lebensvreise nä-
„hert. Der Morgen ist uns heilig, hei-
„lig wie eine entscheidende AVeihe zur
Offenbarung alles Guten in uns selbst.
„INoch ist der Geist stark; ein Ganzes
vi/
260
,,mit sich selbst, und von kleinlichen
„Verhältnissen unzerrüttet — sieht er
,,in den kommenden Tag; unter grofsen
Erscheinungen erwacht, enthüllt, er sich
,,in der Freyheit seines Sinnes der Sonne,
,,und wie sie nimmt er seinen Gang . . .
einsam und grofs im stillen Räume der
,,Zeit. Nie sehen wir uns darum am
„Morgen. Durch Zufall begegnet, sind
,,es einige Minuten , die wir weilen.
„Einsam — heften sich unsre Gedanken
„auf jedes Vorhaben ; einsam — kehrt
„das bessere Bleibende des Vergangeneu
„zurück. Versuchts und zerreifst euern
,,iMorgcn , geht unter ]\[en sehen und
„kehrt zurück; und in hundert kleine
„Regungen zerstückt ist jene hohe Ein-
,,heit verloren, die, mit uns erwachend,
„wie jedes Erstlingsgefühl — einmal
„unterbrochen, nie mehr zurückkehrt.
„Ohne eine Zeit der Absonderung von
„andern, wie kann Bestimmtheit mit
,,uns sell)st, die Kraft einer edlen Selbst-
,,zugjehür entstehen ? und wann eignet
2Ö1
,,uns diese Zeit, als unterm frülien Hcr-
vortreten unabhängiger Gefiihle ? !
,,Ein Bad ist unsre Stärke in den
„mattern Stunden. Die Freude, zu voll-
enden was uns oblag, das Vorgefiibl
eines geselligen Abends, eilt mit uns
,,über den Tag hin. Jeder bat, was er
bedarf, sich gestern besorgt; Bäume
reichen ihre Früchte, die Quelle Erfri-
,,schuiig, Milch jener Hügel unter Gebü-
,, sehen. Ich zeige euch jetzt als Unbe-
kannten jede eurem Gebrauche nöthige
,, Sache. Geniefset und sevd froh, zur
,, Erhöhung und zur Reife eures Geistes;
„und was einst Gutes und Glückliches
,,aus dieser hellen Periode eures Lebens
„hervorgeht, sey unser Dank und ein
immer dauerndes Band.''
Er führte uns jenem Gebüsche zu,
zart gewählten Sträuchen an Farbe und
Blüthen. Wir fanden schattendunkeln
202
Rasen, sclimal verlängert i^nter Trauerwei-
den , bis zum Ursprung ihrer Quellen
am Hügel ; Felsentrümmer, deren einige
in natürlicher Wölbung, zwischen Ro-
sen und Epheu, zwischen Lilien und
Jesmin unter hohen Räumen empor stie-
gen. Glänzend schwarze Töpfe voll rei-
ner Milch spiegelten reihenweise sich
in hellem Wasser zwischen moosigen
Sitzen. Blumengewinde aus Ranken und
Blüthenstengeln um Steinwaken wu-
chernd, Fruchtäste hinab gebogen in ihrer
Fülle, leise schwindende Schatten im
beweglichen Laubwurfe eines üppigen
Wachsthums — bildeten ein Ganzes des
Stillschönen und Ungetrübten im Ge-
nüsse des Lebens. Kein Rild des Un-
muths schlich sich in diesen Wohnplatz
des anspruchlosen Begegnens, wo Blü-
the und Frucht, wie Hoffnung und Wirk-
lichkeit, des nie verwelkenden Daseyns
schönen Zauber um uns schufen. Schäu-
mende Milch, vom Hauch des Frühlings
angev/eht, war unser Genufs. Gebt inir
jlur eine Stunde jetzt, wie ich dort
Wochen verlebte !
Ein steigender Pfad führte uns weiter
am Hügel zur einsamen Schönheit eines
Gebäudes : am lichthohen Abhanfi weit
geräumter alter Stamme, zwischen ihren
viel getlieilten Durchsichten stieg die
Ferne empor. Eine hohe Halle mit
freyen Säuleneintritten der Vorderseite,
in der Absonderung eines Zwischengan-
ges von einer Doppelreihe stiller Gemä-
cher auf drey Seiten umschlossen, ent-
hielt, nach richtigem Lichte geordnet,
die schöne Folge hoher Kunst in ihren
Werken.
Nie hatten wir solchen Reichthum
vereinigt gesehen, in solcher Vollkom-
menheit. Unsers Vaterlands edelste
Werke waren nicht mehr, oder Trüm-
mer, von unsern Eroberern, wie ihr wifst,
als Merkzeichen alten Geistes feindlich
trotzend vertilgt. Nur in schwachen
Spuren und L'berlieferungen und bey
Mioldaa sahen wir einige. Der gesun-
204
kene Sinn unsrer Zeltgenossen stiefs
sie von sich, da er gedemüthigt an ihrer
Unerreichharkeit stand. Wer sie aufbe-
wahrte, schien ein Anhänger des Ver-
gangenen, wer sie achtete, ein Träumer,
der das Lehen an nichts verschwende:
ein wechsehider Eilgenufs zerstörte alle
Stärke der Gefühle, und das Schöne ward
höchstens ein Spielwerk des Gewinns.
Tief in unsre Seelen hatte unser Va-
ter das heilige Feuer des erstorbenen
Edlern gelegt — • Liebe der Kunst , als
beste Mitgift für eine reinere Bestimmt-
heit , uns angeeignet in allen Empfin-
dungen des Daseyns.
Hier umj2,aben uns die lange verschlos-
senen Wünsche unsers Glücks, das stolze
Bewufstseyn menschlicher Schönheit und
Kraft nahm uns auf in seinen Tempel.
Des Lebens edelste Fülle stand uns zum
erstenmale offen.
Die übrigen Zimmer waren jedes be-
sonders den Geräthen, den Schriften
einer Wissenschaft gewidmet.
£05
Ungestört und vereinzelt honnte jeder
ihrem schönen Gehrauche hier oder un-
ter den Schattenhäumen fernhin vertheil-
ter Sitze sich üherL^.ssen — die dam-
pfende , liehliche Ruhe des Thaies im
freyen Bliche. Ein langer Weg leitete
uns nun weiter durch halh dichte Geh ti-
sche, durch Bo^entrümmer alter Gänge,
zu den schlank eihohenen Pfeilern eines
leichten, in Wölhung und Stufen, in
Massen und Säulen romantischen Gehen-
des voll schöner Bildnerey. Blüthen-
streifen waren seine schwebende Hülle,
weiche Rauhen streuten ihre flüchtigen
Schatten über das Äufsere. xVlle Kinder
des Wohlgeruchs und des Auges frohe
Verlorenheit unter den Wechsellichtern
des zart bewegten Laubes — krönten
die Stunde des Bades zur lieblichsten
des Tages. Seines Felsbachs rechter
Arm schäumte die Steinrisse hinab : ru-
hig und vielgetheilt kam sein linker zwi-
schen Blüthensträuchen und den Lauben
einsamer Bäder zu jenem Gebäude, um
266
dessen hohen Ruhesaal er in die Abfälle
niedergereihter, leicht bebüschter Becken
flofs, bis tief hinab seine wieder gesam-
melten Wasser sich zum See des andern
Armes stürzten, der zwischen Ufern und
Inseln vielfacher Windung , unter Fel-
sen und Bäumen unsre Schwimmschule
war. ♦
Ein dunkler Felsgang endete von hier
am Licht erweiterter Hallen. Auf
grauen , weit gesprengten Bögen hoben
sich der Berglast wunderbare Wölbun-
gen. Eine grasige Tiefe, von stillem
Gebüsch und hoch ansteigenden Wald-
lelinen umschlossen , öiFnete sich gegen
die Ferne hoher Ruinen, die überall und
auf jeder Bahn wie Geister dämmernder
Ungewifsheit uns umschwebten. Säu-
lenschäfte unter finstern Epheuvvolken,
einzelne Stufen und Gemäuer zeigten
auch nahe um uns Spuren mächtiger
besserer Zeiten.
Gräben und Aufwürfe zu Sprüngen,
eine ehene Rennbahn, entfernte Ziele,
267
Rüstungen - - - alles bezeichnete einen
Übungsplatz. Mit leichtem Auge sali
ich darüber hin; nichts schien mir wich-
tig als die Ferne jener Ruinen ; und fast
beklagte icli , dafs die hohe Ruhe dieses
Platzes, der zwischen seinen Borgen
wie ein Tempel der Sonne in der stil-
len Gröfse ihres Glanzes mich umfing;,
den ich mir gewählt haben würde zur
abo-ezogensten Einsamkeit meiner Lieb-
Hngsträume — gestört werden sollte
durch seine Bestimmung,
Erithrama'n entging meiner Blicke
Deutung nicht. „Verachtend '? " — redete
er mich an — gegen das, was hier ge-
,,schehen soll, was du sell)st theilneh-
,,raend oft sehen w^irst. Es giebt Men-
sehen, (fast ähnelst du ihnen) denen
alles unnütz scheint , was nicht mit
,,der weichen Ruhe ihrer Gemüther sich
„vereinigt; denen die Zeit körperlicher
Übung verloren scheint für das reine
ungehemmte Fortschreiten eines zarten,
träumend guten Geistes . . . der nur in
26a
stiller Betrachtung das Leben ergreifen,
„und wissen will — mehr um zu
„weissen , als um zu handeln. Unter
Büchern sah ich dein Auge glänzen in
„der Ahnung ihrer Schätze; alles, was
„auf Beschauung und Abgezogenheit
„führt, sah ich in ausschliefsendem , un-
fehlbarem Reitze für dich : Spuren
eines weichlich hingesunkenen Geistes,
„der Genufs für Genufs — eine selbsti-
„sche Befriedigung nur unter andern Na-
,,men sucht. Es schmeichelt deinem
„Stolze ... in göttlichen Ideen, in be-
jjgierdelosem Denken, in der Entfernung
„dessen, was andre wünschen, dir selbst
sagen zu können: ,,Ich verachte,
„ w as diese Leute so rastlos be-
,,wegt, und finde in mir eine
,,reinere Schätzung alles des-
,,sen, was mich umgiebt.. ich
,,erkenne, ich bin beruhigt, ich
,,c n t s a g e , wo andre fordern
„und kämpfen, und trete in
„himmlischer Stille dem er ha-
269
,,b e n e n Ij 1 c Ii t g 1 a n z e meiner
„S e 1 b s t z u f r i e d e II Ii e i t nähe r."
,,Was ist Selbstzufricflenbeit als Eitel-
,,keit - - die , künstlich jedem fremden
„Zusanimenstofs entzogen, sich nie über
,,sich selbst belehrt ? Was ist der einsame
„Forschritt des abgesciilossenen , genie-
senden Ruhigen? . . Ein Reihen^ang
„seiner eignen Vorstellungen, täuschend,
„weil sie sich verknüpfen, glänzend, weil
,,sie nie in die Rostluft des üngewitters
„kommen. Er hat Meinungen, aber kein
„Wissen, und der Verlust seiner schönen
,,Welt hängt von einer Minute ab — die
„prüft und zerstört. Wichtiger, als du
,,noch durchsiehst, wichtig für uns und
,,die Fortdauer edlerer Menschheit ist
,, dieser und jeder ähnlich bestimmte Ort
,, . . . dafs die Kraft und der Muth
ganzer Geschlechter nicht wie ein ge-
haltloses Gut zertreten werde.
„Sehen wir nicht IS'azionen nach der
„Verschiedenheit ihrer körperlichen Ge-
„übtheit — Denkart, Sitten und Einsicht
,,äntleiu? Sehen wir sie niclit mit ihrem
,,yeira]]e stufenweise liiuab sinken bis
,,zur letzten entartenden Eitelkeit . . .
,,die in Schwäclie und kränkelnder Zart-
,,lieit ihren lächerlichen und scliändlich-
„sten Vorzug sucht? Du glaubst, jede
Stunde dem Denken entzogen sey Ver-
einst, Leibesübung der kühnern Seele
„rauh vermehrter Trotz : beobachte dich
selbst, und entscheide.
„Kraf'tfühlender nach jeder raschen
Bewegung, wärmer nach überstandener
,, Anstrengung, wird nicht höherer Muth,
„edleres Wollen, ein Herz voll schnel-
lerer Entschlüsse, dein Bewufstseyn?
„Ich mufs — um allem , was du hier
„sehen wirst, einen richtigen Gesichts-
„punkt zu geben — dich jetzt mit ei-
„n e m m a 1 e in unsern Gesinnungen un-
„terrichten. Ist nicht Gesundheit die
5, Mutter aller reinen Wahrnehmung, aller
„kränklichen irrigen Reitzbarkeit Arz-
„tin ? — Ist nicht Stärke die Tochter
,, gebrauchten Vermögens? und wie
^, Schnelligkeit durch Lhung Gewifsheit,
„so Stärke durch Zuversicht die erste
„Urheberin eures Pjluthes ? Sehen wir
„nicht überall Entschlossenheit, Geistes-
„gegenwart , Schnelligkeit der Mittel,
„Sicherheit unter Gefahren, Ertragen
„und Entsagen . . . des frühe gebildeten
Körpers ersten Gewinn, in schneller
„Fortpflanzung auf jede Regung des
„jugendlichen Geistes sich erweitern?
„Sind nicht Mäfsigkeit, einfache Genüg-
„samkeit, diese Grundlagen alles Sittli-
„chen . . . des Starkgeübten sicherer Er-
„werb ? Sahst du den Mann im vollen
„Gehalt — aus einem Jüngling hervor-
„gehen, der in Stärke und Muth , in
Ausdauer und Gewandtheit keinen Stolz
„fand? Ein wenig Trotz — ist das Salz
der Seele. Kühner Gleichmuth — des
„Edelsten nothwendige Grundlage, das
überall nur durch Ausdauer und Erhe-
„bung liber kleinliche Reitze besteht,
„Wer kann sagen, wo das Geistige und
,,der Körper sich begegnen? wer kann
272
,,tlle Glanzlinie ihrer Wirkungen -lv^-
„hen V — oder giebts eine solche?. Aus
seiner Wirksamheit sammeln wir uii-
,,sere Begriffe, aus seinen Eindrücken
entspringt die Reihe unsrer Vorstel-
,Jungen: willkührli'ch oder unwillkühr-
,,lich treibt er uns zu Unmuth oder
Freude. Was kann der bessere Mann
„besseres als eine thörichte Vernach-
„lässigung verbannen, deren Folgen er
,,aus irriger Erziehung leidend trägt?
„Wo ist der Augenblick , da der
Mensch frey auf seine Brust schlagen,
„und ohne sich selbst zu schmeicheln
„sagen kann: „Das wollte ich,
,,weil ichs erkannte: der Au-
,,genblick hatte keinen Ein-
„flufs auf mich?" Der Held seufzt
„im Fieber: der muthlose Schwächling
5,lindet eine Minute, du seine entglühte
„Seele sich über alles hinweg schwingt.
„Wer denkt am Tage wie in der Nacht?
„Die Sinne sind eure Lehrer, und ihr
„wollt den Körper verachten ? — O des
„ordnenden Verstandes, der Ideen in Rei-
chen kiuipft! Wie oft ist der erste lang
„übersehene Eindruck der Jugend sein Ge-
„bieter ! wie oft eine kränkelnde Empfind-
„liclikeit sein Gesetz? —
„Suchet Stärke in eurer Klugheit —
„wenn vielleicht nur in der Unfähigkeit
„zu geniefsen der Ileldenschein eurer
„Mäfsiauiig ruht! Sind eure Entschlüsse
„mehr — als Anwendung dessen , was ihr
„sähet und fühltet, auf das, was ihr be-
„gehrt und hoifet ? Kann ein Mensch
„über den Vergleich gehabter Emphndun-
„gen hinaus etwas denken, oder den Mau-
„gel eines nie gehabten Gliedes durch
„Einbildung sich ersetzen ? — Der abge-
„zogenste Begriff ist die täuschende Ent-
,,fernung eines Gefangenen, der die Länge
„seiner Kette fürFreyheit erhält. Ein Bild
„unserer Sinne ist ihr erstes Glied. Und
„du unser Stolz, Welt der Zukunft und
„des Unsichtbaren! — in einer schönen
„Sternennacht gezeugt, als der leise Hauch
„des Windes die Wange eines Klagenden
r)ya-Na-Soic i. Tli. ip,
„berührte — Die EinLilfliingskraft bat
„dicb geboren, und der Verstand bat mit
„liübnem Stolze sieb zum Vater des Sob>
„nes gemacbt, dessen Daseyn er in den
„Wiinscben des Herzens abnete, und den
„er nicbt kennt. Darum trotzet minder
„auf jene unbekannte Kraft in eurem In-
„nern. Ebrt euren Körper — den Lebrer
„eurer Kenntnisse , macht ihn zu dem»
„was er seyn sollte . . . rein empfan-
„gend, edel kräftig, zum bülfreicben ersten
„Werkzeuge, das euch in der Reibe der
„Wesen zur h-ntwicklung führt. Begriffe
„sollte er euch geben: Urtbcile sind für
„eine künftige Welt. Nur unter einem
„gesunkenen , sklaviscb verzagenden Volke
konnte der falsche Stolz der Körperver-
„acbtung entstehen ; nur wo man ihm in
„seinen üppigen Bedürfnissen am mei-
„sten dient, wird er in seinen edlern
„am meisten verkannt; nur wo Gescbäft-
„losigkeit, Mangel ölfentlicber Tbeilneb-
„mung , Weltllucbt , selbstzerstörende Ver-
„borgenbeit — des zerrissenen Herzens
„letzte Zuflacht wurrlen; wo alles Besorgt-
,.,heit und alles bedrohend — selbst die
„Jugend nur unter bangen Regeln kraftlos
„erwächst . . . konnte Viel wissen der Him-
,,mel des Vereinzelten, und Forschen alles
„Unwesentlichen der Schlaftrunk wanken-
„der HolFnung werden. Nur da konnte
„man der Idee eines Geistes sich hinopfern,
„der willenlos in stummer Betrachtung sich
„erniedrigt glaubt , wenn er selbsterdachte
„Grölse und spekulative Vollendung an
„eine bescheidene Wirklichkeit vertauschte.
„Du wirst bey näherer Prüfung uns fjerne
„zu^ben , dafs, da wir an alles Aufsere
„unzertrennlich geknüpft sind, Sorgfalt für
„diesen Körper und den reinen Gehalt sei-
„ner Kräfte — unserer Pflichten erste
,,Bedinorung sey. Dafs Menschen die
„Lücke entstehen liefsen, und die Vv^is-
„senschaft verloren, „sich selbst als ein
„Ganzes zu verstehen,*' — desto schlim-
„mer. Es war ein unnatürlicher, längst
„bestrafter Schritt gegen ein höheres Ge-
„setz, diesen wirivsamen Theil unsers We-
„sens seiner Übermacht in einer Welt, wo
„wir all' unsere Belehrung nur vom Sicht-
„haren empfangen — berauben, und uns
„Frey maclien zu wollen von dem, was uns
„umgiebt , um unter die Vormundschaft
„einer noch unvollkommenen Kraft zu tre-
„ten, die hier fremd ist, und ihre Vorzüge
„selbst — nur auf halb wahrscheinliche
„Ansprüche gründet. Aber Menschen v/oll-
„ten Götter werden, sobald sie nicht
„mehr erkannten, was es heifse : M e n s c h
,,seyn. Lalst uns aufrichtig sprechen.
„Der Körper ist der Lehrer der Seele; aber
,,sie hat, wie der Erbe eines Throne*,gAn-
,, Sprüche und Hoi'^nung, einst über ihrem
„Lehrer zu stehen. V^erachten sollte sie
„ihn nicht, hören sollte sie ihn; denn —
,,was auch die Einwürfe ihres Stolzes seyn
,,iiiÖ2tin — was sie sammelt, ist durch ihn,
„und ihrem W^achsthume folget sie auf
,,dem Wege, den er ihr zeigte."
Meine Gesinnungen waren zu sehr wi-
dersprochen: ich neigte mich zur Abge-
zoger*heit des Ubersinnlichen. Ich mulste
sprechen ; „dafs den Körper erheben mir
jeder gefährlichen Leidenschaft schmeicheln
heifse. Er, der Gefährte unsrer Ernie-
drigung, wie könne er herrschen und
gebieten , und der Au^renmerk unsers bes-
sern Selbstes werden?*' —
Erithrama. — Wenn ihr die Quel-
len seiner Starke und Schwäche nicht ver-
kennt, wenn ihr ihn nicht in die Ver-
dorbenheit eures AV'ollons hinein zieht,
wenn ihr ihn sorgfältig bewahrt - gegen
alles, was sein Wesen entehrt. Des Men-
schen treuester, sicherster Gefährte zur
Tugend ist — Selbstbeobachtung in allen
Pflichten des fest gebildeten Körpers, und
Wahrheit kommt nur durch ilm.
Ich. Heifst das nicht: Sinnlichkeit des
Begehrens ist Wahrheit, Wollust ist Tu-
gend? —
Erithrama. Wäs kann ich dafür, dafs
die Verworrenheit eurer Begriffe Dinge
unzertrennlich glaubt, die, ,,weil sie sich
verbinden können, sich darum doch nicht
nothwendig sind?** Ich will jerzt nicht
verweilen , oh deine Begriffe von Tugend
und Wollust die Sach'erschöpfenden sind. .
Sage mir nur: Ist nicht Liebe des Ange-
nehmen, des Passenden, des Vorzüglichem
der Anfang aller Bildung — hier in die-
sem Auge? in diesem Ohre nicht — unser
erstes Bewufstseyn? Aus der Menge folgt
Entwicklung, ein veredelter Verstand macht
jede Empfindung zum Glied in der Kette
unsers Daseyns. Wahrheit liegt in unsern
Sinnen: auf einen höhern Zweck sie bezie-
hen — ist der Anfang zur Tugend. Wenn
wir gelernt haben , wie viel jede unver-
dorbene Nerve zum bessern Wachsthum
und zur Erweiterung des Daseyns ver-
möge; wenn der Erfahrung ernstes Gesicht
uns ül)erall die Folgen der Zukunft zeigt;
wenn wir nun Acht haben, wie jeder Mifs-
brauch Verderben bis ins Innerste trägt,
jeder edle Keim, jede Fähigkeit des Bes-
sern, jede Ruhe des Daseyns einen zer-
störten Körper flieht; wenn wir zittern hey
der Erkenntnifs irre geleiteter Leidenschaf-
ten, und jedem groben Sinne beym Schrek-
ken der Zukunft entsagen: dann sucl't
die Seele bey unschädlichen Freuden den
Ersatz des Verlornen, wagt sich an erhab-
nere Bilder, sucht in sich selbst, und findet
in der Entwicklung übereinstimmender
Fähigkeiten die Ruhe einer gefahrlosen
Glückseligkeit ; dann erhebt sich der Stol;^
edlerer, reinerer Gefühle, ein höheres
Bewufstseyn erwacht mit der erkannten
Möglichkeit höherer Güte , bis das Herz
jenem Erhabensten naht . . . Pflich-
ten vor Wünschen zu achten; wo frem-
dem. Mangel Olfen, mitleidig, thätig und
gerecht, Glück nur im Glücke deä andern —
Tugend in ihrem eignen Bewufstseyn
sich befriedigt, und ihres Volkes oder der
Menschheit Beschützerin — selbst unter
Tod und Plauen Wonne findet.
,,Nur der fehlt, der vergifst, dafs der
Körper nicht in seinem eignen Namen,
sondern als Vormund der Seele handelt,
dafs er Quelle, nicht Zweck unsrer Hand-
lungen seyn soll.
„Noch stelle ich euch eine Betrachtung
vor. Kennt ihr eure Bestimmung? —
Die WalFen in der Hand — ruft euch
vielleicht ein leidendes Jahrhundert zur
Rettung. Wie kann der zitternde Weich-
ling sagen, er sev Bürger, der, ein Sklave
jeder Gewalt — ■ nur die Masse der Hülf-
losen vermehrt, oder wenn er auch noch
Muth behielt, doch, athemlos unter der
Last des Harnisches und eines brennen-
den Tages, nur hoffen mufs „dafs andre
den Sieg erkämpfen, den er w ü n s c h t ?"
Muth und Stärke sind die ersten Pflich-
ten des Mannes gegen sein Volk ; nur
durch sie tritt er in die volle Fähigkeit
des Daseyns.
„Ihr kennt euer Volk genug, um jene
zahllose Menge weinender, hoffender, za-
gender, Sieg- träumend.er, müfsiger Schwäch-
linge in ihrem Unwerthe zu übersehen,
denen Heldenmuth, Ehre und Kriegsruluii
wohl in vorübergehenden Gesprächen zum
Stoff dienen , denen aber das beschränk-
teste Daseyn erträglicher dünkt, als die
rnulie Ungemächlichkeit eines rettenden
Feld zu gs."
Wie wenifij almete mir damals die weis-
sagende Wirklichkeit dieser Lehre!
jvDat's diese meine Hände ein Schwert
fuhren lernten ! " — Wie viel verhorgene
Kräfte zieht eine eiserne Nothwendigkeit
in uns ans Licht, die unser schmeichel-
haftester Glaube uns nicht zueignete!
Er öffnete eine Thüre^ und nach einem
kurzen Wege sahen wir uns an der
Halle, die wir gestern zum erstenmale
betreten hatten — dem Sammelplatze jede,r
geselligen Mittheiinng , „wo fortan jeden
„Abend heiterer Muth und ein einfaches
„Mahl /euch empfangen.', wenn ihr ge-
„dacht, gearbeitet, gekämpft, wenn ein
„kurzes Bad euch belebt , wenn ihr euch
„frisch bekleidet habt, auch im Äufsern
„auf wechselseitige Gefälligkeit bedacht.
„Jeden Abend — fuhr er fort — tritt
„ein andrer als Vorsteher unsrer Vergnü-
£ß2 —
j^gungen auf. Es ist nlclit genug, da(s
„man erwarte und geniefse, was andre
,iangeV>en; dafs man sich zur trägen oder
„muthlosen Folge gewöhne: man mufs
„auch durch Gebieten und Entwerfen
„die Kraft eines eignen Charakters . . .
,;IVIuth und Gewifsheit erwerbenj gefällig
„und glucklich für andre zu erschalFen,
„was ihr Herz und ihr Daseyn erweitert.
„Freude für andre erdenken ist nicht
„so leicht : — jeder glaubt es zu können ;
„mancher, der es nicht vermag, schmei-
,,chelt sich trotzend, ,,es sey zu tief un-
„ter ihm , er könne Sittenrichtern , gebie-
„ten öder verdammen; geregelte Strenge
„sey seine Hoheit." Hat er berechnet,
„welchen Mangel an Herzenskenntnifs,
welchen Mangel an feinem , biegsamen,
„überlegenden Sinn er dadurch einge-
„stehe? welchen dummen Trotz — zu
»^verachten was er nicht besitze ? —
„Versucht es , und ihr werdet erstaunen,
„welch eine Schule edler, reiner Selbst-
„bildung, Selbstprüfung, Selbstdemüthi-
„gung sich euch öiTne; wie viel es forclre
,,. . '. Gemüthp.r zu leiten durch das Zar-
,, teste, und doch Unheugsamste, was sie
,,helebt - - - durch Erheiterung, die nie
,,ohne innige Theilnahme, und Theilnah-
.,me — die nur durch das ,, jedem Charak-
„ter in seiner "Verschiedenheit Fafsliche"
,, erreicht werden kann/'
So lebten wir niui neun Monate lang
ein Leben des heitersten Umgangs, des
reichsten Fortschritts an Kenntnissen und
Kraft voll hoher Ahnung, voll stolzer
Bestimmung, voll Liebe und Neigung.
Täslich wurden unsre Gefährten uns wer-
ther , täglich ihre Lehren verständlicher,
vertrauter mit dem, was wir sahen, näher
dem Aufschlufs des Verborgenen.
Freudig sanft endloh der Morgen unter
den Schätzen des Wissens. Wenn der
Tag sich spätete, eilten wir zur» Renn-
bahn. In kühner freyer Gewandtheit
erweiterte sich ein eigner Gang unsrer
Gemiither : bald ward jeder Kampf —
hohe Beziehung , und jeder Zuwachs
imsrer Kräfte — eine heilige Pflicht,
dem Vaterlande gebracht. Unmerklich
erwuchs in uns der Sinn des edlern Krie-
gers zum Zweck unsrer Zukunft. Mit
welch' andern Gefühlen betrat ich nun
diesen Ort, vor kurzem noch mit dem
Widerwillen zaghaft weicher Jugend be-
trachtet! Starke schien mir nun nicht
weiter Roheit, und der Wahn eigener
Zartheit schmeichelte mir nicht mehr.
Mit jedem Tage überzeugte mich die
steigende Mündigkeit meines Wesens, dals
ein fest gebildeter Körper des Willens
bester Gefährte sey. Weichlichen Spielen
im Bewufstseyn höherer Fertigkeit immer
entsagender; dem Gleichsinne — der in
Sieg und Verlust gerecht gegen fremdes
Vermögen ist, immer näher; immer mälsi-
ger im Bedürfen, und in fester Gesundheit
immer« zufriedner, mit der Ge£;enwart —
sah ich nun lächelnd auf meine Götterwelt
der entkörperten Beschaulichkeit zurück.
-„Und glaubst dti nun — fragte mich Eri-
„thrama, dafs die trübe Iierzlose Verkehrt-
„lieit des BTenscIiengesclilechts giolsten-
„theils aus dein Stumpfsinne lebensarmer
„Dünklinge entsprang, die . . . nerven-
schwache Täuschung ,,für göttliche Er-
leuchtung des Gemüthes" gaben, un«l
„sieches Trauern für . . „Streben des ge-
„fesselten Lichtfunkens nach astralischcr
„Wonne?" Der Schwärmer ist kein star-
„ker Geist; denn Urtheilen ist Stärke,
„und Urtlieil nur die Frucht einer reinen
„Empfänglichkeit und eines hellen Mafses
„im Gebrauch unsers Vermögens. Wenn
„Siechlinge eines thörichten Stolzes der
„Natur zum Hohne sich erhöhten — ver-
,, dienen sie Anl>etung? Und wenn ich den
„höchsten aller Träume — nur der tief-
„sten Verzagtheit zuschreibe — hab' ich
„Unrecht? — "
Ach wie wahr ist Erithramas Aus-
spruch! —
„Aber Hamor?" — fragt euer stilles
Flüstern. — Hamor trieb mit innerm Stolze
jede Übung, die zur Zierde des Körpers
zweckt. Wo hingegen Anstrengung und
2ö6
Gefahr auf kühnere Vorzüge zielten, spot-
tete er unsrer thörichten Ermüdung. Tan-
zend hüpfte er uns dann vor: „Bin ich
,,nicht stärker als ihr? Ihr ruhet
,,niatt: ich wandle leicht über Blumen.
„Euer Antlitz hagert; eure Hände sind
„Lasttragerhiinde, wo bleibt euer Sinn
„fürs erhabene Schone?"
Da hier nur Aufmunterung — nicht
Zwang, Vorbild — nicht Gebote lenkten,
so blieb er sich selbst überlassen , gerich-
tet in seiner eigenen Wahl,
Doch füllte auch er eine Stelle in unserm
Ganzen. Wenn nach dem Ringen wir aus den
o;eheili<zten Schatten des Bades hervortraten,
in all unsern Empfindungen neu und jugend-
lich stark, dann erwartete er uns oft mit
einem fröhlichen Liede , und wir gefielen
uns im leichten , muthwilligen Spott sei-
ner immer heitern Laune. Voll reicher
Bilder auf dem Saitenspiele, zauberte er
uns oft in seine Schäferwelt, oft plötzlich
in einen feierlichen Übergang trauernder,
erinnernder Gefiilile, wenn der Traum
£2ß7
einer Lit^Le, wie sie ihm vorschwebte,
wenn Sehnsucht nach Stille, wenn sein
eignes unerklärtes Drängen ihn überraschte,
oder ein seltneres Wohlwollen . . . durch
einen Leidgesang edlerer Unglücklichen
uns ganz gefällig zu leben.
Dann fand er unter unsern Jünglingen
zween würdige Begleiter : Menschen, deren
tiefverschlossene Empfindung nur im Ge-
sänge hervorging; zween minder Glück-
liche, die mich anzogen durch alles, was
des Geistes unwiderstehliche Theilnahine
erregt, durch Schönheit und Ernst, durch
die hoho Würde des unterdrückten nie
klagenden Schmerzes , durch kühnen Muth,
der sich hingab an jede Entsagung, der
nur Opfer zu bringen wufste, und keine
Erwiederung begehrte. Ach was ist rüh-
render, als jene stolze Uneigennützigkeit
des veredelten Grames, der in einer Welt
voll eigner Leiden fremdes Glück unter
Thränen erkauft, und mit blutendem Her-
zen für andre lächelt !
Die Erinnerung solcher Menschen,
lange verblüht und lange begraben, dei
Abende, die ich feiernd nüt ihnen zu-
brachte , schwebt über meinem Alter, wie
die letzten Rosenwölkchen am hohen
Himmel, wenn weit schon die Sonne
hinab ging;.
Lafst mich auf fröhlichere Bilder zu-
rückkehren. Das Herz sollte nie verges-
sen, aber auch nie an Erinnerungen krän-
keln.
Die heitersten , fröhlichsten Abende,
wahre Feste nach der Artunfj mei-
nes Geistes, waren mir die Abende ge-
meinsamer Beschäftiirung in den Gärten
unsrer Freunde, wenn ich eine reitzende
weite Gegend so nennen darf — in
nichts durch Menschensinn bezeichnet,
als in der tief gedachten Wahl und Hal-
tung ihrer Lagen, in der sorgsamen Man-
nigfaltigkeit, in der Pflege ihrer Gewächse,
im zufallsichern Gang ihrer Bäche, in
dem hohen Uberraschen verhüllter oder
geölfneter Aussichten.
Hier, wo Empfindurgen wohlwollend
an gleichem Zwecke sich begegneten,
wo aus reinem Eindrücken die Meister-
kraft bildender Ideen liervor])rach , und
zartere Empfänglichkeit — Blütben der
Anmuth und des Einzelnen über ein Gan-
zes ver])rcitete ; hier wurden unter offner
Herzlichkeit Gemüther für wechselseiti-
ges Gefallen, Augen für den malerischen
Werth der Natur verfeinert, Herzen
bestimmter für alles Bedeutende des
Schönen und Grofsen.
Nie erschien Eritlirama liebenswürdi-
ger als hier, wo er edlen Heldensinn
und Gefühle hoher Männlichkeit an die
Eindrücke des Vorhandenen, an die Be-
zeichnung dessen , was wir hervorbrin-
gen wollten, so leicht zu knüpfen wufste ;
wo er — der Greis , mit dem Eifer eines
Jünglings, uneigennützig, wie jedes grofse
Herz, kommenden Geschlechtern pflanzte,
was nur sie einst vollendet sehen konnten.
Nie war er beredter, nie das Vergan-
gene ihm gegenwärtiger in allem, was das
Pya -"N",! - Sore 1. Tl). iq
Herz an den bessern Sinn der Menscli-
heit, was das Geniüth und seine Beru-
hieune; an den Reitz eines nie ver-
schwindenden Eindrucks knüpft: nie
zeigte er sich heller und umfassender in
tiefer Kenntnifs unsers Wesens, als hier,
in dieser Kunst, in der durch Spielwerke
und falsche Wunder die meisten so ganz
in der Leere ihres verworrenen Geistes
sich bezeichnen. Aus dieser Zeit stammt
meine Liebe zu ihr, die alles Schöne in der
ISatur in seinen Bedeutungen an sich zieht.
Nichts ist mir todt, alles spricht: von
der Pflanze bis zum Baume, vom Lichte
bis zum Dunkel hat einzeln oder in der
Stellung eines Ganzen alles seinen ange-
stammten Ausdruck. Höhen beflügeln
linsern Geist; im Thale wohnt Friede,
oder Sehnsucht des Entflohnen. Schauer
ergreift uns in der stillen Finsternifs der
Tannen und ihrer Felsen, Ernst unter
Zypressen - - - Uber Gräbern trauert die
Weide, der Kasuarin und der Gewürz-
strauch in dunkler Blüthe ; Rosen gehen
291
vorüber — freundliche Vergänglichkeit
im Hauche des Enthlätterns , und ein
ätherischer Schleyer schlingt sich war-
nend schön in jeder Blume an unser
Daseyn.
Ach wie bedeutend hann jede Sache
werden , wenn die Vergangenheit sich
an ihre Gegenwart knüpft, wenn gehei-
liget durch Jugendgewohnheit , wenn
vaterländisch geweiht . . in jedem Hain
und jedem Baume das Heldenalter der
Vorzeit, die Denkzeichen edlerer Ver-
hältnisse uns begegnen, weim Väter-
geist von jedem Hügel winkt, und das
dauernde Bild des bessern Daseyns sich
an jede weit verlorne Ferne schmiegt! —
Ach wie reich ist das Herz, und wie
reich das Volk, dem alles in unvergäng-
lichen Erinnerungen spricht!
Oft hat euer Blick meine Liebe zur
Pflanzenkenntnifs , meine Achtsamkeit
des. Einzelnen mir zum Vorwurf ge-
macht.
29.2
. Tch will niclit tadeln , dafs es ein ge-
wöhnlicher Trotz der Jugend ist , im
Ghiuhen allzu lioher Kraft das Einzelne
zu verlachen. Nocli hat sie den zerstö-
renden Einflufs des verfehlten Klei-
nen zu wenig erproht, zu wenig noch
den einzig wahren M a f s s t a h alles
Grofsen erkannt . . . dafs der Tlieil so
wichtig sey und ehen so ganz in sich
seihst, als sein Ganzes.
Die Bewunderung ausgedehnter Mas-
sen — ist die dunkle Gewalt eines un-
willkührlichen Eindrucks ; die Bewunde-
runfi: des Kleinen — die Frucht des
Nachdenkens auf langer Untersuchung
gereift. Dort halten wir uns an For-
men und Ferne: hier nahen wir oft der
bildenden Kraft selbst in der Gleichheit
tausendfach wiederholter Erscheinungen.
Was ist jenes Anstaunen im Grofsen
ohne Kenntnifs des Innern, als edler
Müfsiggang, der nie sich selbst hinläng-
lich bleibt, dem bald nichts mehr genügt,
d e r immer betrachtet und nie erforscht —
dev nächste Weg; zur Bettlerarmuth' des
Daseyns ? Millionen fiihrt ihre Eitellieit
dahin» Nur wenigCj erbült . ihr titeuer
flcifsiger Sinn ,.ain' v.ers])otteten Kleiiien;
aher die Nachwelt zielit aus dem, 'Avas
sie herichtigteti-,! einen Schkii^ mehr für
die fortschreitende . Bestimmtheit ihres
Wissens, und wer verdient. den Spott ? -r-
!»KaH.ri es' eine thÖrichtere Üngerechtig-
lieit gehen , als dieses kühne Absprechen
über nützlich und kleinlich, über grofs
und verächtlich ?. Wir alle sind Mitarbei-
ter; Einzelne müssen dem Einzelnen sich
jopfern, damit ein Ganzes hoher Mitthei-
lung hervorgebe. Ehret jeden nach , sei-
ner Neigung. Könnte der Blick unifas-
senderer Geister, könnte die Allgemein-
heit des Zusamhienhangs Untrüglichkeit
gewinnen, ohne die im Kleinen vorbe-
reitete Ordnung? Nur wer die Natur
eines Gebäudes nicht kennt, wird die
Mühe . verlachen , die .Steine winkeh echt
behaut
294
Wenn ihr nur einmal gefühlt • habt,
was es sey, auf dem Rasen, da ihr
wandelt, . nicht fremd, im Haine, der
euch schattet, Vertraute der Eiche,
Freunde jedes Busches, begannt und
überall bekannt, den Geführten , den Ter-
briüfilerten einer ^rofsen Familie ' unter
verschiedenen Gestalten und Wesen euch
zu sehen! Was macht euch reicher? —
Schätzt diese friedlichen Kindel* der
Erde — ein heitres Band mehr zwischen
euch und andern im Wohlgefallen der
INTitthcilung , das sie erregen. Lernet
sie kennen, hegt sie an eurem Herzen,
verborgene Freunde des stillen leidenden
Gemüthes.
Die Trefflichkeit feinsinniger ]Men-
sehen erschuf aus Blumen einst eine
Sprache. Gefühle in fortdauernde Er-
neuerung gehüllt — ward das Leben
selbst eine Blüthenzeit immer wieder-
helirender Erinnerung. Neigungen der
zartesten Art banden sich an die Doll-
metscher der Liebe und FreundEschaft ;
wie treue Gehülfen wallten sie ülier die
freundliche Erde, und das Herz hlieh
rein und gut im Sinne ihrer Schönheit.
Oft bin ich unglücklich gewesen: ijnmer
fand ich Ruhe wieder in ihrem Umgange,
bey ihnen, die ohne Strauben jeder
Neigung sich beugen, in Freuden wie in
Leiden die Farbe der Seele annehmen, in
deren stiller Gesellschaft mein Geist kei-
nen Widerspruch, mein Herz keine Krän-
kung kennt, die endlich bis ans Grab
noch unsre Gefährten , und über der
Asche in ewiger Blüthe das stille Denk-
mahl unsers Daseyns bleiben. — O meine
Freunde! die Natur hat in weniges viel
gelegt; wohl dem , der sie versteht!
Der Blick, der vom Einzelnen durch
alle Stufen der Verhältnisse, v^om Halme
bis zum Sirius , die Keime des Daseyns,
den Fortgang des Wachsthums, die Kräfte
der Erhaltung zu verfolgen sich gewöhnt,
und mit dem Reichthujn ächter Kennt-
nisse froh in unsre Seele zurückkehrt,
ist unser höchster Gewinn.
Reich in ihrer hohen Stille endeten
unsere Ahende, vom Schönen — das nun
schwindend hinüber trat in seine Dämme-
rung, zum gränzenlosen Unerreichten ge-
tragen. Fremde Erhabenheit, vergan^
gene Thaten, der Stolz des Künftigen — i
nie treten sie uns näher als im Schweigen
des Zwielichts! — Jeder Augenblick,
der uns mit Dichtung umgiebt , jeder
Schattenkreis unbestimmter Eindrücke,
der das Bekannte mit dem Unbekannten,
das Gegenwartige mit dem Kommenden
mischt, knüpft sich näher an das Herz,
das nur im Halblichte den Raum liebli-
cher Hoitnungen findet.
Einförmig schön dünken euch vielleicht
unsre Ta^e, denen gleich, die ich euch
schilderte. Ihr irrt. Nur wenige nach
dem ersten Monate blieben uns ganz
überlassen; kurze Ruhe für öftere An-
strengung. Täglich wechselte die Anzahl
unsrer Gefährten; wir sahen neue, wir
vermifsten bekannte , ein steter Ab - und
Zuflufs. Fragen der blofsen Neugierde
durften wir nicht wagen: so blieb alles
unerkläibar. Bald luden uns einige Be-
lianntere zu einer Reise in die tiefern
Gebirge. Es war uns übeilassen, solclie
Wanderungen einzeln oder mit andern zu
unternehmen. Der' Drang, für neue
Kenntnisse, für neue Eindrüche, selbst
für das unbekannte Sehnen nach einem
dunkeln Etwas — Gemächlichkeiten des
alltäglichen Vergnügens zu entsagen, wur-
de als Folge innrer , thätig freyer
Vorstellung geachtet, auf die der Gang
des jugendlichen Geistes zur Selbststän-
digkeit gebaut ist. Er will, und findet
sich belohnt oder b.etrogen: so lernt er in
Entschlüssen sich trauen oder miistrauen.
Er mufs frey wollen können , um einst
richtig zu wollen.
„Wer ersteigt jenen Berg? Wer orräth
,,jene Blumen ? Wer macht heute noch
„diesen Weg? oder dort in jenem Thale
„wer findet den Pfad ? " Jede aLnliche
Frage fand eine schnell unternehmende
298
Antwort. Der Stolz, auch mit einer
Ij a u 11 e unserer Gefährten zu wetteifern,
liefs keinen Vorschlag schwer, keine
Mühe lästig: „nie träge als Weichlinge
zurück zu bleiben" — trieb uns über Hö-
hen, auf Felsen, über Wasser, rastlose
Nächte lang in die Weite einsamer Wäl-
der. Um der Schönheit eines Augenblicks
zu geniefsen, um eine Pflanze, die unsre
altern Freunde wünschten, zu finden,
um, durch Sterne oder Sonne geleitet, auch
im Unwegsamen mit geübtem Geiste Bah-
nen zu bestimmen — wagten wir und
wurden kühner, übten wir uns und wur-
den gewisser. Ich danke dieser Zeit die
Raschheit meines Geistes . . . früher zu
versuchen, als zu, verzweifeln , die Kraft
meiner kommenden Jahre und die Be-
stimmtheit — Menschen und Ereignisse
in ihrem Sinne zu fassen, nie betäubt und
/nie erstaunend, gegen jeden Vorschlag
gerecht, dasGrofse, Wahre und das An-
gemaiste mit schneller Würdigung zu
erkennen.
299
Glebts einen andern Weg, freyc kräf-
tige Menschen aus Jünglingen zu bilden,
als das Aneinanderreil>en ihrer Seelen, die
sich wechselseitig entflammen für alles
Erhabne und Schöne, das eine ältere
Hand ihnen nur zeigt, aber nicht auf-
dringt ?
Wir lebten in einem Gebirglande : kein
Wunder, dafs leder neu hervortretende
Berggipfel höhere Erwartungen erregte,
jedes tief verlorne Thal, jede neu ent-
deckte Aussicht uns fortlockte — wo hat
die Einbildungskraft höhere Rechte als
in Gebirgen? — oder mufsten wir
jetzt umkehren ... zu einer künftigen
Reise den Entwurf £iah. Unsere altern
o
Freunde sorgten , dafs keiner unvollführt
entschlief, dafs der Stolz, zu wagen, für
andre zu entdecken , zu dichten , zu for-
schen, dafs das hohe rege Leben der Ju-
gend die dauernde Wärme unsers Charak-
ters würde. Jede Erzählung,, jede Ver-
muthung wurde gefällig angehört, jedes
Bild unsers Erwartens in höhere Farben
gesetzt, lAebe des Grülsen, der Mutli
des Entscliicidenen , Festgewollten uns
immer naher aebracht. •
Noch war ein Grund mehr dafür: Bil-
dung zur Ivtöglichkeit , Krieger zu wer-
den . . . Übting des Auges , Beharrlich-
lieit des 3Iut hes , des VVollens und der
Ausdauer in Beschwerde und Entsagung.
Nicht — häusliche, eintönige Wesen der
Beschränhthfiit undNothdurft zu werden,
sondern ein Schicksal des gewagten, un-
ternjehmendc:n Daseyns war unser Ziel.
,,Ist nicht aUes weit über träger Gewohn-
,,heit mit Kühnheit Errungene . . . unse-
,,rer Seele edelster f "ortschritt ? — Sind
nicht Strehen , Erinnerung und Errei-
,,chen,'' wie eine alte Dichtung sagt,
,,drey Huldinnen des keimenden Lfebens,
,,das in ihren Zauberkreisen ewig jung
,,und ewig schön unter Blüthen zur Vol-
,,lenduiig wallt
t^nsere ersten Wanderungen hatten nur
in r^ienschenleere Gegenden geführt. Un-
sere*^^ spatern eistreckten sich in bewohnte
Thaler: nicht umsonst; sondern Unord-
nungen der Ströme zu hemmen , neue
Wohnplätze auszusuchen, Wege zu he-
stimmen , das Daseyn fiöhlicher Men-
schen zu sichern, war unser Ziel — für
Tihar und Dya eine lehneiche Zeit, das
Grofse auch auf dem Wege des Alltägli-
chen zu finden. Hier war es, wo der
erste in den Kenntnissen der Geweihe
und dos einzelnen Lebens sich für seine
künftige Rolle entwickelte, wo er die
Bestimmtheit seiner Mittel, die Gewifs-
heit seiner Entwürfe, wo seine kühne
Einbildungskraft Wahrheit suchen lernte
in den Gesetzen des Nothwendigen , des
Möglichen und des allmählichen Fort-
schritts.
Glückliche Tage, die ich dort verlebte!
Edler, schöner, menschlicher, zutrau-
licher, einfacher in ihrer Vereinzelung,
wie alle Gebirgsmenschen , zog jed«
Stunde mich unaufhalt^ajaer an sie, in-
niger für meine Eebenszeit an jedes
302
Gebirge , wo die Nacht in ihren Sternen,
die Strahlen der Abende , der Morgen in
seinen Schatten, Wasser und Luft, wo
alles, was uns unigiebt, bleich einer
verjüngten Lieblings weit fortdauernder
Sc.höpiung, den reinern Ciiarakter seines
Wesens, jede erstiegene Höhe ein Ganzes
neuer Erscheinungen zeigt, jede unbekann-
te Tiefe an ein Geheimnifs des Verboree-
ö
iien zieht. Nur dort, wo der Blick im star-
ren Emporsteigen getrennter Massen, wie
eben so viel einzelnen Welten, alles ein-
zeln und bestimmt und in kühner Absonde-
rung fafst, ach nur dort, scheint es,
liönne der Mensch zur schonen Gewifs-
lieit alles Grofsen in seinem Innern ge-
o
langen; nur dort entwickle sich die Ein-
bildung, zu stolz für das üppige Kleine,
in edlern Gefühlen ; dort nur gewinne
das Herz, von innigerer festerer Theil-
nahme ergriffen, eine bleibende Artung,
und in mächtigern Eindrücken , als die
flachen Entfernungen der Ebnen geben,
werde stille Erhabenheit unser Sinn.
Nie hätte so und so ganz als liier
die Kraft meines Geistes sich anderwärts
entfaltet. An die Gegenwart 'des Ver-
gangenen , an die sichtbaren Wiederher-
stellungen der Erde, an die Geschichte
ihrer Veränderungen knüpfte sich im
natürlichen Eunde jener erweiterte, leb-
haft freye Blick auf das Ganze aller
Kräfte, auf Menschen und ihre Fort-
schritte , ihren Geist , und den Wechsel
der Zeit und der Ursachen. Tiefer an
Forschen — ward ich ernster an Wol-
len; reicher an grofser Gewifsheit —
gab auch das Ungewisse mir nur gröfsere
Er\vartungen, und der Stolz einer unend-
lichen Bestimmung ward der Gefährte
meines Lebens.
Wie wahr ists , dafs aus einem offnen
Sinn für die grofsen Bilder der JNatur
alles reine, thätige angewandte Forschen
hervorgehe! Nie wird mich das Anden-
ken jener Zeit verlassen; nie das noch
tiefere einzelner Tage, die durch eine
Eigenheit unsers Geistes neben dem
HeilJankei von Jahren sich empor halten,
als ob nur sie allein den Werth des
Lebens ^n sich schlössen; zurück ee-
halten , wie ein heiliges Geheimriifs vor
unheiligen Augen, und wie eine Götter-
erscheinung , stolz und fröhlich mitge-
theilt, an jedes ähnlich geglaubte Herz.
Ach dafs der Mensch so arm ist,
seine schönsten Augenblicke für andre
nur in Worten zu besitzen! so arm,
dafs er es von einer zufälligen Stimmung
abhängen lassen mufs , ob das, was er
aus der Innigkeit seiner heiligsten Ge-
fühle mittheilt, ihrem verschlossenen Ge-
müthe nicht Schönsprache des Empfindlers
dünke! Oder weifs er denn, ob die
Sonne, die heute ein Zauberlicht scheint,
ihm selbst nicht morgen . . . nur ein
gemeines Vorübergehen der x^lltäglich-
keit ist? — Dafs ich sah, kann ich
euch sagen: wie ich sah, kann nur der
innre Sinn eigner Erinnerungen euch
verständigen. Soll ich es versuchen, euch
einen jener unvergefslich schönen Tage
5^5
zu wiederholen, den ich mit Eiithrama
hier lebte ?
Mit ihm, meinen Brüdern und eini-
gen unsrer Vertrautesten besuchten wir die
o
lang' erwür\schten Gegenden des Neun-
tru; » — keines der höchsten, aber durch
seine glückliche Stellung — das reitzend-
*ste Mittelgebirg im Umfang seiner Tha-
1er und ihrer Bergreihen bis zur Schnee-
stufe der fernsten Gipfel.
Ihr habt Berge mit mir erstiegan. Ihr
kennt den Geist, der mich umweht . . .
wie das stille Emporschweben neuer Ge-
genstände in jeder gewonnenen Höhe,
der Laut ihrer Bäche, das Blau des hin-
ab ziehenden Himmels, wie jede Sache
mich ergreift. Denkt eine frühere Ju-
gend hinzu, und dafs der vergangene
Abend mich zum erstenmal als Sieger
im Ringen, zum erstenmal als König
unsrer Feste gesehen hatte; dafs ich
in zarten glücklichen Bildern alle über-
Dya-Na-Sore i. Th. 20
3o6
rascht, dafs ich Thränen der Freude
und der Trauer erregt hatte; dafs das
Entzücken des Gelungenen, dafs das
Andenken tief gerührter Menschen, dafs
ihrBeyfall, und die Gewifsheit, ,,auch mir
stehe Macht zu üher Herzen, und die Fä-
higkeit auf Menschen zu wirken," noch
warm in mir glühte,- werdet ihr euch
wundern, wenn heute das Lehen in der
Fühlbarkeit seines höchsten, nie erkann-
ten Gehaltes auf mich eindrang ?
Ein heifser Tag hatte uns hedrückt.
Eine schmal vorgerückte Bergscheide
nahm uns auf in ihre Felsenschatten.
Links sahen wir hinab in einen weiten
hoch beschränkten Kessel dunkelhellen
Lichtes , in die Wälder seines einsamen
Umfangs : einzelne bebaute Stellen deu-
teten auf Menschen , verlorne Rauch-
wölkchen stiegen auf, wie Schatten eines
freundlichen Daseyns.
Rechts schweifte das Auge weit über
das Entfernte, jenseits in die Fläche und
Hügel des bewohnten Landes , bis zum
307
blauen Saum der Bergkette von Urka-
da Gherai. Fernher wölkte sich in un-
merklichem Grau die Spitze von Tanäar.
Ein leichter AVind zuv/eilen blies von
dort in das fahler dämmernde der Luft.
Ihre glühende Stille, jeder ermattete
Laut verkündete ein Wetter: unter
Eftrithramas Gesprächen achteten wir des
nahenden nicht. Weither über die un-
endliche Ferne zogen sich dunklere Far-
ben ; selbst unter heiterm Himmel schie-
nen die nächsten Berge immer düsterer.
Wir achteten es' nicht, bis das dumpfe
Murmeln, bis das halb gesehne Seilwin-
den der Blitze, bis der verlöschende
Strahl des Tages mich zweymal aufrief,
zur Eile zu erinnern. Tibar, des Donners
Freund , harrte in stolzer Freude dem
kommenden entgegen.
Theurer Augenblick! das Freundliche
und das Furchtbare in seltnem Bunde! - -
Hier die Nähe geliebter Menschen, und
dort (^6 abgetrübte Bahn der strahlenlo-
sen Sonne in Gewölken, die harrende,
30Ö
farbendunkle Gegend gegen den schwar-
zen Himmel in einzelnen Hügeln wie
eine näclitliche Erscheinung leuchtend ! —
Alles vereinigte sich in die Gespräche
Erithramas, der ehen jetzt mit hinreifsen-
der Wärme von den Spitzen der Felsen
— alle Wendungen der Gebirge, die
Rauchgipfel des Halkat, die Seen v#n
Erni und Gummia und ihre dunklen
Krümmen vor Augen, iind sprechender
als je — die Geschichte der Erde aus
ihren sichtbaren Spuren erklärte : ,,wie
Land und Meer im schrecklichen Kampfe
eins .an die Stelle des andern trat, Ge-
birge zerfielen, und neue sich häuften."
„Im Innern jener Schichten — Denk-
mahlen aus Jahrhunderten gehäuft, am
Ufer der Ströme, in Klüften, wo die
Nacht erloschner Flammen sich in ihren
Werken zeigt, überall gehen wir an
Wundern unergründeter Dauer vorüber,
an Quellen, die nie versiegen, an Ge-
setzen, die nie fehlen: sind w^ dem
Geheimnisse der Entstehung — dieser
Liieblingsfiage des eitlen Geistes — darum
näher ?
„Ijafst uns das Alter derErde um Äo-
nen hinaus setzen ; lafst uns das — was
wir in der Nähe zu finden verzweifeln —
am Rande eines selbsterdachten Zieles,
im täuschenden Nebel der ungemessen-
sten Entfernung zu sehen glauben : ist
die Auflösung einer Frage entfernen
— sie beantworten? — Lafst uns alle
Ursachen ihrer gegenwärtigen Gestalt
enträthseln, aus tausend Zeichen auf
vergangene Ereignisse schliefsen: haben
wir mehr gesehen, als Umstürze, die die
Oberfläche erlitt? — Ist Erscheinungen
des Daseyns erkennen, ist die Meine
Wissenschaft vorhergegangener Zufälle
die verborgene Tiefe des Ursprungs?
Was sind unsre Schöpfungsgeschichten,
als der Traum der Neugierde, die mit der
Gröfse unbegrilfener Entdeckungen spie-
let! ? —
,,Als der menschliche Geist aus der
Erfahrung des Gegenwärtigen, aus der
310
Verbindung zweyer Wahrheiten , aus der
Ähnlichkeit der Wirkungen . . . nahe
liegende, in der Deutlichkeit ihrer Fol-
gen fortdauernde Ursaclien zu enthüllen
versuchte, rifs der Stolz seiner Kräfte ihn
über ihren Umfang hinaus ; er fand in der
Möglichkeit gewagter Schlüsse —
Wirklichkeit. Was nie seinem Auge
unterworfen war - - Wirkungen im tau-
sendfachsten Gliede, an denen, wie bey
Kindern eines alten Geschlechts, die Ähn-
lichkeit des ersten Vaters unter hundert
Zufälligkeiten sich verwischte — wie will
er sie erkennen? Aber gerade diese Nacht
ohne Urkunde , in der sein Scharfsinn
mit leeren Vermuthungen irrt — die Nacht
des Unfafsliclien allein schien ihm
das würdige Geheimnifs seines Forschens,
und von Volk zu Volke wurden Träume
verewigt. Ein kühner Wahn , ,,der mit
dem Ausspruche des Verborgenen schmei-
chelt, " herrscht über Jahrhunderte mit
eisernem Zepter. Die bescheidene Wahr-
heit, ,,die das Unergründliche . . . uner-
gründet nennt," dünkte dem Viel^ordern-
den Beschimpfung. So wurden Mei-
nungen — Gesetze: die Zeit gab
ihnen ein geheiligtes Siegel. — Erhabne
Dichtungen wurden ein göttliches Ge-
heimnifs. Wir glauben, was andre
wähnten, und Glauben ist so süfs!
Wunderkräfte, die den Schleyer des Ge-
heimnisses lüpfen , sind der geweihte
Stolz des zagenden Verstandes. Grofs
zu seyn in dem, was andre wufsten . . .
krönen wir die Schöpfer unsrer Meinung
mit himmlischen Strahlen, die bis auf uns
ihren Schimmer verlängern. So wird un-
term listigen Mifsbrauch des geschmei-
chelten Wahnes . . . die bescheidne Ver-
muthung des edelsten Entdeckers — ein
Götze erniedrigender Verehrung und der
Fluch ferner Zeiten. So sucht die lächer-
liche Eitelkeit des Menschen, wie Schling-
kräuter im kräftigen Wachsthum der
edelsten Bäume, seine Nahrung; so wird
Unterwerfung — unser Stolz, und ,,die
Begierde des Verborgenen neben der
312
Tjrägheit zu denken" die Sklavenlxette
im Reiche des Geistes ; so wandelt er
überall zwischen Widersprüchen . . . Er
glaubt das Unglaubliche, um das Un-
erklärte zu erkläre n. Er will überall
wissen, und — fürchtet das Licht,
das seine Dämmerung stört. Er w'ill
frey seyn, und bindet sich selbst. Er
will glänzen, und sucht im Zauber
fremder Strahlen seinen Schimmer. Ihn
beherrscht, wer ihn täuscht; das
Unwahrscheinlichste ist das Sicherste im
Erfolg i. und gern vergifst er, dafs selbst
der Mann, der am Morgenthore dier
Schöpfung gesessen hätte, kaum sagen
könnte I — Sie entstand — umso viel we-
niger, wie sie entstand.
„Schmeichelnd ists freylich, in den
Tiefen dieses Dunkels , am Rande unsers
Wissens mit gerührter Seele über Daseyn
und Bestimmung Träume zu sammeln,
deren erhabener Sinn ,o wie ein Schleyer
geheiligter Würde, den Anblick dieser
Erde uns noch dreymal schauernder
313
macht. — T Aber gut ist dann auch, an
diesen Fernen sich bescheiden , ehe ein
irriees Begehren uns weiter führet , als
der stille Umfang unsrer gegenwärtigen
Kräfte erlaubt. Sehen, wie alles im
gleichzeitigen Begegnen unendlicher Kräf-
te entsteht, wie Tod und Leben in schö-
ner Erhaltung sich die Hand bieten, und
zwischen beiden die Natur in lächelnder
Blüthe, unterm Wechsel ihrer Formen . . .
im Innern dieselbe , ihr Ganzes nach
gleichen Gesetzen immer eins, uns um-
giebt; des Verborgenen Unergründlich-
keit vom Erklärbaren scheiden ; des Un-
endlichen Unübersehbarkeit erkennen —
ists nicht Gränzweite genug für einsterb-
liches Auge ? Erkennt euch in der Würde
des Gegebenen , um richtiger an Ver-
ständnifs, weiser im Gebrauche, den
Ubersinn des alles erläuternden Stolzes
zu meiden, der, zu eng für das, was ihn
umgiebt, das Universum nach seinen
Mifs Verständnissen richtet. Nur das
Sichtbare in reiner Beziehung erkannt
— ■ welcher Umfang von Gröfse! so er-
reichbar, so sehr dem allgemeinen An-
blick ofFen es scheint, dennoch keine
Bahn des gemeinen Verstandes , kein Ei-
gienthum des enipfindelnden Thoren , der
seine matten Sinne am Spiele ihres Zau-
bers wiegt, der nach Farben jagt, und
das stolze Gemälde ihrer täglichen Reitze
zum Taumel seines Müfsiggangs macht.
Nicht er, dei; so sehr den Schein trägt
zu empfinden, empfindet, was Natur sey.
Zu verbreitet für ein ungebildetes Auge,
zu verwickelt für mühlos üppigen Ge-
nufs ... ist sie nur das Vorrecht für
Tugend und Fleifs, nur dem Manne des
anspruchlosesten Herzens und dem Wei-
sen offen , der gleichstim mig in sei-
nem Wesen dem Wechsel ihrer Eindrücke
folgt. Bedenkt das und trachtet nach
Thätigkeit. Nur durch sie entwickelt
der Geist sich in edlem Vermögen. Trach-
tet zu wissen. Wissenschaft allein giebt
erhabnes Verständnifs , Klarheit ferne
von müfsigen Klagen und edlen Stolz
3x5
gegen die schwache Verachtung des Da-
seyns. -f.' •
„So willig tritt man dann hervor in
die Kampfe des Lobens. So gerne kehrt
man zurück ins Verborgene , wo jede
Empfindung sich entwickelt, und jede
Tugend sich befestigt. Wenn Fülle des
Wissens uns begleitet, wenn ein Herz
voll Kräfte weit umfassender Erkennt-
nifs uns in der Einsamkeit nicht das Tod-
tengerippe der Langenweile, sondern den
lächelnden Genius der Selbstberuhigung
zeigt; wenn eine Einbildungskraft hoher
Erinnerungen sich überall belebt; wenn
kein üppiges Spiel unsrer Laune, kein
armseliges Ungefähr, zwischen Leere und
und Zwecklosigkeit entstanden , uns be-
herrscht; wenn die Jugend kein ekler
Traum, wenn die Zeit keine Last, die-
ses Daseyn kein Fluch unser selbst,
und das Alter keine Hölle für uns , keine
Qual für andre wird; wem danken wir
den schönen Erfolg unsers Lebens ? —
Dem gebildeten Verstände , dem Segen
5i6
dessen, was Menschen da'chten, erfan-
den und hervorbrachten für uns , und
wir für sie. Dann kommen keine Jahre,
gegen die vergangenen zu klagen , keine
Jahre des Zweifels und der unmuthver-
sunkehen Starrsucht , die die Freude läug-
net , und unsre Fehler : zu j Vorwürfen
des Schicksals macht: dann werden wir
nie, von Verzweiflung im Innern gepei-
nigt, vom Hohngelächter der Mifsach-
tung verfolgt — den Tod fürchten, ohne
das Leben zu lieben, und gequält bis ans
Grab von unächten Vorstellungen des
einen und einem verkehrten Gebrauche
des andern — muthlos dahin siechen.
• ,>Nie geht der Mensch seinem ungewis-
sen Schicksale sicherer entgegen, als
wenn er, auch verkannt und gekränkt,
fern von Menschen . . . Wissen, Erken-
nen, Erforschen — diese treuen Gefähr-
ten einsamer Stunden, in seinem Herzen
trägt. Die Drohungen des Glücks zu
verlachen, den Spott seiner Zeitgenossen
zu erdulden , schwankt er nie am Hauche
fremder Meinung. Er ist stark, weil
er Wahrheit der Dinge , muthig, weil
er Zuversicht, Wohlthat und Liebe findet,
wo andre Schrecken , Grausamkeit und
die Verfolgungen eines unerbittlichen
Weltgeistes: frey, weil der Mensch
ihm minder unentbehrlich ist, lebt er
seiner Pflicht, weil ein furchtloses Be-
wufstseyn nicht den Beyfall fremder
Laune zu haschen bedarf. — Ehrt jede
Kunst : an einer veredelten Einbildungs-
kraft haften keine Ketten. Ehrt die Ge-
schichte : sie allein macht euch unabhän-
gig. Einsam ohne einsamen Stolz, dem
Haufen entzogen, ohne ihn zu hassen,
umgiebt euch das Daseyn in Zeiten, Sit-
ten, Meinungen und Thaten , und jede
Handlung wird ein Gewinn neuer Kräfte."
Wolken hatten sich zu unsern Füfsen
gesammelt; Blitze schlugen unter uns
hin; das erhabne Schauspiel streitender
Massen, unter den Stürmen des Werdens
3i8
schien erneut; wie auf neu erhobener
Erde standen wir allein in der Hülle des
Regens , alles verborgen , alles grau , nur
im Wiederhalle des Donners ein Mafs
der" Entfernunor.
ö
Es w^ar das erstemal, dafs ich in Ruhe
über Wettern die Nacht ihrer Schrek-
ken unter mir sah. O Tibar, wie herz-
lich dankte ich deinem Muthe mein Ver-
weilen ! Wie herzlich umarmte ich dich,
den Helden der Zukunft, auf der Spitze
deiner Felsen , düstre Schwärze hinter
dir im Nachhall der Donner aus den Ber-
gen von Tntra ! Die Siegerin Sonne trat
hervor in ihrer Herrlichkeit. Flammende
Gewölke und eine leuchtende Erde dir
gegenüber von Westen, bis zur Spitze
unsrer Höhen — lichthell wie ein Gott
standst du vor mir. Der Himmel schien
dir nahe in seinem Wetterblau, die Erde
schw^and im Farbenhauch des Abends.
O so ganz in deinem Sinne fühlte ich
jetzt, wie alles Erhabene sich verwandt
sey, und alles Grafse uns hinneige an
519
HoiFen und Wollen , und eine Welt des
Unendlichen in fortwirkenden Kräften.
Erithrama hatte sich zwischen uns ge-
lehnt. Dya mit den übrigen bildete eine
ei2;ene Gruppe. — Eine hohe feierliche
Stunde Mittheilung ohne Worte —
fafste jeder den andern im Sinne einer
unsterblichen Zukunft, und schweigend
stiegen w*ir abwärts in die Dämmerung
unsers Pfades, unterm Niederhangen trop-
fenschwerer Aste, unterm Säuseln ihrer
triefenden Blätter, augeweht vom süfsen
Dufte.
Wasser rollten laut nach allen Tiefen.
Der Mond trat herauf; die Luft war ein
zitternder Schleyer; die Gegend dampfte
in der neu erhöhten Fülle. Die Kraft des
Unendlichen wandelte in leisem Wehen
alles Lebenden vorüber.
Zwischen die Schatten tausendjähri-
ger Stämme fiel ein unoewisses Licht:
alles Grofsen und Vergangenen Erinne-
rung in schönem Sinne erkannt umgab
mich, und wahr und innig, wie noch
32ü
jetzt bey jeder Ähnlichkeit, kehrten Eri-
thramas Worte zurück.
,,Nur dein edlen, klaren Sinne erkann-
,,ter Bedeutung, der in jeder Bewegung
,, eines höhern Gesetzes sicher . . . vom
„Einzelnen zum Ganzen die Reihen der
„Veränderungen aus Jahrtausenden in
„einen Blick versammelt; der Nazionen
„vor sich ruft, und däs Entfernte um
„sich weckt: ihm nur erscheint diefs
„lebende Daseyn in der Fülle des rein-
„sten Empfanges. Sein Geist erstarkt;
„seine Einbildungskraft schöpft hellere
„Strahlen; das Edelste umgiebt ihn. Er
„ist nie einsam, denn überall begegnet
„ihm ein grofser Gedanke. Im Dunkel
„des Hains überrascht ihn das Andenken
„seiner Ahnen; er fühlt ihre Thaten,
„und vergifst bey ihren Tugenden der
„Zweifel seiner Tage. Am grauen Fels
„schwebt; ihr Bild. Im Lichtkleid des
„Nebels, beym Strahle des Mondes wallt
„ihre Gestalt am Hügel der Heide. Er
besucht ihre Gräber. Er sieht im Traum
,, ihres Dnseyns auf seine Zeiten zurück,
„sit^ht ein entartetes ofler besseres' Ge-
schlecht, und strebt, auch sich einst
„sagen zu können: ,,Tch habe nicht
,,vergebens gelebt. Ich strebte,
„ich erkannte den i>'f (; n s c h e n im
„Menschen, und handelte wie
„ich erkannte. Ich steuerte dem
„V e r d e r b e n , und r'i ( s G e s c h 1 e c h-
„ter aus dem Wahn empor, der
„ihre Seelen vergiftete. Einst
„blüht mein Grab in stillem G e-
5,filde, einst geht die Nacht des
„D aseyns an mir vorüber; aber
„in deinem Schoofse werde ich
„ruhen, ewige Zeit, dauernd wie
„du, in meinen W irkungen nie
„erloschen, nie unterdrückt, ein
„ W esen der Zukunft, ein Genius
„d er Tugend. "
„So wird alles Reichthum für ihn. So
„lebt er in der Bestimmtheit seiner Gefühle ;
,,selbststiindig im Liebte der reinsten Er-
„kenntnifs, treu dem Vorbilde der edelsten
Dya-Na-Sore i. Th. 21
322
„Menscbiielt, schöpft er aus seinem Gedaclit-
„nis^e, wie aus einer nie versiegenfleii
„Quelle. In dem , was er weiis , umgieLt
„ihn die gereinigte Kraft eines unverführ-
„haren Willens; die Denkmahle einer
„schönern Welt sind seine Begleiter ; die
„Gewifsheit der Jugend ist seine Ruhe,
„und der Glauhe an die Würde des Da-
,,seyns steht fest in der Erkenntnifs seiner
„selbst. "
Meine Hand lag in Erithramas Hand,
da wir den Hügel hinab stiegen. „War-
„um — fragte ich ihn mit einem weichen
Drucke — warum können Taoe wie diese
„nicht den Bedürfnissen der Menschheit
zureichen ? — Warum wird diese Rein-
„heit stiller Gefühle nicht die Ubereinstim-
„mung aller? Warum bleibt der schöne
„Bund ihrer Kräfte immer zerrissen?
„Warum nahen selbst die Besten sich so
„selten? — "
Erithrama. Weil der Gelegenheiten
sich zu erkennen zu wenige sind im Loose
52,5
der IviiasllicLen Alltäglichkeit, zu der sich
Menschen Iiinah stimmten
Wer darf Kind seyn ? Fremde Laune ist
sein erstes Gesetz, ihre Befriedioung sein
erster Stolz. xVlles wird ilim aufgedrun-
gen; wie sollten Gedanken und Empfin-
dungen sein werden, dem nichts eignet
als eine angenommene Form, deren müh-
same Behauptung seine KraCte verzehrt,
statt sie zu üben? Dankt eurem hessern
Schicksale diesen wie jeden ahnlichen Tag.
Tausende würden ihn nur eine drückende
Ijast genannt haben. Freyseyd ihr erwach-
sen : keine Unfehlbarkeit des Schönen und
Nichtschönen, kein fremdes Empfinden
ward die zw^angende Regel eures Gefal-
lens. Frey leht ihr auch hier, hey der
Uberzeugung, dafs nichts so bis ins Inner-
ste des Geistes Fähigkeit für das Edlere
zerrütte, Selbstheit und Herrschsucht so
einzig nur bt^fruchte, als dieser gewöhn-
liche Trrstolz älterer Menschen . . . ,,sich
allein der Regeln alles Schönen, der
Wahrheit alles Gefühls für die tausend-
artige EmpFangliclikelt unsers Wesens an«
zuinaisen. "
D y a. Und warum müssen Männer
so selten seyn ? warum müssen Jüno-
linge so selten Männern hecre^nen, um
unter ihren Händen zu werden , was sie
seyn sollten ?
Erithrania. Immer darum, weil die
Verhält nisse eures gewöhnlichen Lebens
ein viel zu geringer Schauplatz sind , um
höhere Kräfte zu entwickeln. Nicht alle
verstehen, w^enigere noch erfüllen
das Ziel ihres Wesens - - Der Mann , wie
die Natur ihn verlangte, in der vollen Be-
deutung des Worts, ist die Krone der
Schöpfung, und ein Lehen für diesen Na-
men hingegeben, ein viel zu geringer Preis
für eine grofse Sache. Geboren in der Fülle
seiner Kraft, um die Gesetze des Daseyns
in seinem veredelten V\ illen zu finden, und
durch einen Blick auf das höhere Ziel un-
sers Lebens Trrgänge, in denen der Ge-
wöhnliche sich so selbstzufrieden verwirrt,
zu meiden , kennt er nur Eine Wahr-
3^5
iieit- - Bestimmung desMensclien.
Werkzeug eines huiiern Endzwecks — -
Iiennt er sein Ich nur als eine thäli£;e
Kraft für andere, und ist beruhigt bey
jeder Ilanrllung, auch wenn sie foigenjos
scheint, weil die Überzeugung . . „keine
That werde vernichtet, jede in der leben-
digen Kraft des Universums, in der Ilribe
des unendlichen Fortschritts durch Ver-
knüpfung mit andern zur foitdauernden
Wirksamkeit" ihn leitet. Vertraut mit
der Natur, rastlos an Fleifs, scharf au
Blick, für jedes Daseyn, für jeden Stand
des Lebens sich selbst genug, ist er der
Genius, der zwischen Welt und Nach-
welt unter Sturm und Kämpfen, ein
Schreckbild schwächerer, und unerklärbar
wie das Schicksal, Wahrheit rettet,
und die Hand verbirgt, die es that.
Zerrüttung ist sein Spiel. Hindernisse
sein Erwachen. Des Lebens stille Freu-
den sind ihm ein unbekanntes Gut, Er
verachtet das gemeine Vergnügen, das, zu
schwach für seine Reitzbarkeit , zu arm
326
für seine Befriedigung nur f\a& Wahre
verhüllt; trotzt der Last eines freudelosen
Daseyns, mit dem Gleichsinne eines Her-
zens, das dem Gelispel weichlicher Empfin-
dungen sich verschli( fset. Der Donner
nur kann ihn wecken ; der Blitz nur
erw;irmt sein Herz; das Grofse nur ist sein
Reitz. Das Getümmel des Todes raachts
licl^t um ihn her: hohe Empfindung,
Genufs seiner sell)st ühereilt ihn erst da,
wo Entsetzen und zerrifsne Einpfindlich-
!keit andre ergreift. Er ist unolücklich —
denn er kennt den ^'lenschen wie er seyn
sollte, und findet ihn nicht: aher er ists
minder als ers scheint; denn seine Krän-
kungen liegen in seiner Gröfse. Die Stimme
der Alltäglichkeit und ihre Leiden — sind
Wehen der Kinder für ihn. Er geht seine
Bahn, unbekümmert um ihre einzelnen Kla-
gen. Sein Gang ist der Gang der Sonne —
Wohlthat, aber nicht gleiche Wohlthat
für alle. Menschen können nie ihn beur-
th' ilen. Ein Gott nur kann sein Richter
werden.
5^7
3Jya. Dein Gem.'ikle ist sehr grofs.
E r i t Ii r a in a. Um desto mehr zu wir-
l.eii. Oder glaubst du, der Maler zeiclme
rur dem Auge zu gefallen? Es wird eine
Zeit kommen! Du \vir.>t Männer bandeln
sehen, nnt\ die Geschichte lernen, die ihre
Thaten verewigt. In dir selbst, in der
Entwiclvlung deines eignen Charakters,
wenn er fähig ist zu halten, was er ver-
spricht, wirst du ihre Gröfse erkennen;
aber auch Tausende neben dir, auf deren
Gesinnungen kein Schauspiel der Gröfse
wirkt. IMan niufs mehr als das Gewöhn-
liche wahrnehmen können, um durch Gc>
ringachtung des Alltäglichen zum BegriH:
und Wunsch eines veränderten ^Vandels
aufgeklärt zu werden. Man mufs stark
seyn, um der Ruhe zu entsagen, empfind-
licli, um den Vorzug jeder Handlung ab-
zuwiegen, das Kleine mufs keinen Reitz,
Wohlleben keine Kraft, und die Meinung
gewöhnlicher Menschen keinen Werth für
lins haben. Dann — und nur dann wird
die S'^ele zu groisen Ideen geübt, n u r u-
328
hig im Müfsiggange , stolz durch Thä-
tigkeit - - - jenseit ihrer selbst das nie
erreichte Ziel des üaseyns suchen.
D y a. Und wer nun des allen man-
gelt? —
E r i t h r a m a. Der sey und bleibe , was
so viele sind — ein Mensch , dessen kranke
Seele ohne Erschütterung, wie eine dürf-
tigr Lampe, durch ihr eigenes Daseyn sich
aufzehrt. Die Geburt verdarb an ihm,
was Erziehung nie bessert, und keine
Lehre ist im Stande, den Widerwillen
des engen Geistes zum Trieb der Grölse zu
erweitern. Der ärgste Spötter greiser Men-
schen ist der m i tt el m äf s ig e, den die
Vorliebe seiner Lehrer zur Empfindung
eines höhern Daseyns zu bilden suchte.
Wollet nicht lauter Helden, sondern prüft,
ehe ihr das Höhere mittheilet. Es giebt
eine Verschwendung des Guten, eine Vor-
eiligkeit des Willens im Bessern, die, wie
ein übermüthig schwacher Reicher, durch
Schenken allein schon Glückliche zu
machen glaubt. Achtel das Gute mit wahr-
hafterer Einsicht - - - als eine Sache, die,
strenger als alle, nur durch Gesetze
des Verhältnisses besteht; und ihr werdet
jrerechter in eurem Eifer — Tuf^enden des
Mannes nicht von Kindern foitlern, nicht
zerstören, nicht herrschen, nicht einseitig
vorschreiben w^ollen, wo ihr das Vielsei-
tige aufsuchen, und selbst das achten
lernen solltet , w^as gemeine ?/Iensch-
heit sättiget und ergötzt. Es ist diels eine
Warnung , die man euch jugendlich flam-
menden Geistern nicht oft genug vorlegen
kann, die ihr so gern . . . eure Tugend
zum Königsrecht fremder Beherrschung
macht. Kennt ihr denn euer eicjnes Herz,
um fremde zu leiten? Lasset sie sich be-
graben mit der iXIeinung einer wichtigen
Angelegenheit in den Armen der Liebe :
auch dort keimt das Edlere. Lafst sie sich
nähren und gerecht seyn durch die klein-
liche Pünktlichkeit ihres VVandels , wenn
sie die alltäglichen Pflichten des Lebens
erfüllen. ,,Froh zu seyn" — bleibe ihr
Wahlspruch: nur das Elend macht bitter.
530
Die Iduge Erhaltung ihres Eigenthums,
r(?f]licher Fleifs hleihe die Ehre, die sie
suchen ; Furcht der Gesetze — deij^chranke
Vtirev sich seihst nicht inac]iti£en Seele, und
tri '
HolFiinng seli^ier Zukunft — ihre Stütze
hey den Aufopferungen des Eebens. Ihr
Auge fatst nur diese Gegenstände mit
Klarheit; warum wollt ihr sie auf Fernen
leiten, wo der schwächere Blick nur an
Täuschungen irrt? Lafst sie Leidenschaf-
ten fürchten, die sie doch nie zu heherr-
schen vermögen. Lafst ihnen Regeln , da
sie das Gute nie in freyer Wahrheit seihst
zu finden — stark genug sind.
Würden sie es» fassen, wenn ihr ihnen
sagtet, wie ich euch: ,,Seyd unglück-
lich, aber grofs. Denket der Würde
des Mannes; fürchtet keine Leiden-
schaft, seyd ihr Herr durcli feste Er-
kenntnifs, und macht sie zur wohlthätigen
Kraft, wie B.osse , die eure Hand lenkt.
Wandelt in den Znuherpalusten der Liehe,
Meister euer selbst in edlerem Bewufst-
seyn — auch ihre Ma^ie ist oft Wohithat,
und nöthig zu kennen, als Probe selbst"
ständiger oder schwankender Triebe.
Aber höheres Streben ist dahin, so-
bald ihr Befriedigung nur in den tägli-
chen Kleinigkeiten des häuslichen Tre-
bens sucliet. Der einzelne iMensch ist
nichts für euch. Das Ganze ist euer
Augenmerk. Euer grofses Bewufstseyn
bleibe, „dafs in dem Augenblicke, da
euer Leben aufhört, ehrenvoll oder nütz-
lich für das Ganze durch eure Thätigkeit
zu seyn, es auch ganz aufhören müsse.'*
Leidende Nutzbarkeit, Duldung und stille
Ijebensergebenheit sind nur für schwache
Seelen. Den Tod müfst ihr nie fürchten.
Diefs Daseyn ist nur Werkzeug der Zu-
kunft, sein Preis zu theuer für jeden, der
das richtige Mafs seiner Anwendbarkeit
verkennt. "
„Menschenliebe ist so oft der falsche
Name für Schwäche. Man mufs lächeln
über die Menschen, sie warnen, wie Kin-
der, und sichern auf ihren Pfaden. Aber
wer kann einen sinnlosen Haufen lieben,
532
ol'.ne sich selbst eine Lüfi^e zu sagen?
einen Iliuifen, den man nur einzeln zu
l^ennen braucht, um alle Neigung für ihn
7A1 verlieren. jMan muls ihnen Gutes
thun, weil es den Adel unsrer Seele
inid den Werth des Daseyns ausmacht:
man mufs sie zum Tode führen kön-
nen, wenn das Wohl der Nachwelt das
02)fer der jetzigen fordert.
„Man m.ufs der Menschheit wohlwol-
len, aber der Weg dazu hann nicht ohne
Unglückliche gefunden werden. Mit-
leid ? — zweydeutige Tugend! wie sel-
ten Tugend, wie oft nur armseliger Er-
satz für liöbere Kräfte ! Stille Gröfse ? —
der heimliche Neid erhob diese zum
Gegensatze gegen blendend: ich ehre
beide , wo ich sie finde , und beide gehö-
ren zum Ganzen.
„Gott ist grofs und gut. Aber führet
euren Wandel, ohne merken zu lassen,
dafs ihr mit jedem Schritt ihm Ehre zu
erzeigen glaubt. Reiner Wille ist sein
Gefallen , nicht Höflingsunterwürfigkeit.
355
Er.hafst den Scbmelcliler, der mit jedem
Wort in seine Gunst sich einzusclileiclicn
sucht. Nach seinem Willen ist der
Mensch nur gnt, nicht fromm: Bild
und Glaube sind traurige Nothwendig-
keit der Schwäche. Handelt, als oh der
Tod euer Ende wäre, gut, ohne Blick
auf ewigen Lohn. Edle Achtung euer
seihst sey euer Begleiter. Der niedrigste
Mann im Volke kann ein Bösewicht, der
elendeste kann ein Schwelger, aber edel
seyn kann nur der, der eine ewige
Wahrheit, und sich selbst — als Theil
eines höhern Ganzen erkennt. Denkt,
dafs die Natur euch erkohr, die lebens-
frohe, nimmer satte Herde zur Weide zu
führen. Die Natur gab ihn e n Freuden,
euch Thaten. Sie sind vielleicht olück-
o
lieber; aber ist Eine eurer vollgliiben-
den Minuten nicht tausend ihrer schläf-
rigen Tage Werth ? "
Nicht ohne Grund spreche ich euch
jetzt davon. Die Blenschen, die diese
Nacht euch beherbergen, verdienen Uber-
534 ~"
dachtheit der Nachsicht. Es sind Un-
glückliche: das Gefühl des Verlornen,
der unvollkommene Ersatz der Gesen-
o
wart nf^gt an ihrem Herzen. Zu
schwach, um fremder Gewalt unter edler
Hoffnung zu hegegncn , zu leidenschaft-
lich, gehlendet vom Wahn eines vor-
lihergehenden Enthusiasmus — glauhten
sie sich grofs , tugendhaft, und ihren
Vätern gleich - - - wenn sie dem ange-
wöhnten Unenthehrlichen ihrer Städte,
den leeren Bedürfnissen ihres verzärtel-
ten Sinnes entflöhen — — für ein
Glück, das sie zu träumen, aber nicht
zu besitzen vermögen: hier, sich selbst
heuchelnd, fliefsen Thranen, die sie
dem Unglück ihres Vaterlandes zueig-
nen — nur jenen verlassenen Freuden.
Es wird Mühe kosten diese verwöhn-
ten, ihrer selbst nie gewissen Menschen
zu irgend einer Bestimmtheit zurück zu
führen.
Seyd mild und achtend gegen sie : nur
indem ihr die Eitelkeit , die sie hierher
335
täuschte, wie Tugend behandelt, hann
vielleicht die Wirklicuheit entstehen.
Die Kiaft freyer Herzen, die Quellen,
an denen ihr die Wahrheit einer schö-
nen Beruhigung sucht, sind ihnen fremd.
Euer gleichheitrer Sinn mufs sie auf-
merksam machen für das, was ihr
seyd , und begierig nach der Bahn , auf
der ihr es werden konntet. Viel sol-
cher Kranken wohnen in diesen Thälern.
Der Stolz, ,,zu thun, was andre thaten,
und das Bild eines Götterlebens das
den Wenigstfähigen immer am meisten
vorschwebt , hat Tausende hierher ge-
bracht. Versucht euer erstes Probestück —
verwöhnte, verbildete, begehrende Men-
schen zum offnen Sinn des Wahren, und
ihr bestimmungsloses Seyn zum festen
Gang erkannter Würde zurück zu leiten.
Dya. Und haben sie nicht was man
bedarf - - - eine Natur hoher Gegen-
stände , ein Daseyn ohne liränkung,
euch zum Vorbilde?
33Ö
E r 1 1 b r a m a. Völker Laben Natur,
Gescbirhte, die Fortschritte des \ erstan*
des, und das Vorbild edler Zeiten: sind
sie darum fest in ihrer Güte? Wer das
edlere Gebeimnifs der Sprache selbst verlo-
ren bat, was sollen ihm ihre Zeichen?
Versucbts. Diese Leute hatten Witz,
gefällige Bildung und Reicbthum für alle
Ansprüche vergänglicher Launen, um.
neben andern zu glänzen: sie hatten
alles, nur keine Wahrheit und keinen
eignen Charakter. Aus fremder Mei-
nung ... wollten sie: der falsche
Mafsstab fremder Bewunderung war
ihr Gesetz für das Schone und Grofse.
Sie müssen hier Fremdlinge bleiben;'
denn w^er ist hier, der sie bewunderte ?
Wer dient hier im Wetteifer kleiner
Vorzüge ihrer Seelenlast zum erwecken-
den Reitze ? Das Grofse geht seinen
einfachen Gang, in der Bestimmtheit
gleichstäter Ziele; nur einem selbst-
ständigen Geist eignet der entsagende
Muth, der Ehre nach Entfernungen mifst.
Wir betraten die Wohnung dieser
Menschen. Unsre Ankunft war vorbe-
reitet. Man erwartete uns.
Welch eine Unruhe, welch ein ver-
worrenes Haschen! W^elch ein Abstand
vom frohen Empfang des Wohlwollens,
das im Begegnen des Fremdlings nur
einen Gegenstand mehr für seine Er-
giefsungen findet! Welch ein Abstand
von der Würde anspruchloser Herzen,
die eine fremde Gegenwart nicht be-
drückt , denen die Freude zu wahr ist
um auf ihre Zeichen zu denken! Uber-
all sah ich nur ängstiges , angelerntes
Streben, das niif herzlichem Sinne nie
auf Einem Boden keimen kann, ein
Mittelding von Dienstbarkeit und Hotfart.
Man glaubte uns zu befriedigen durch
Schimmer, durch zudringendes Gefallen,
durch falsche Erhöhung. Wufsten sie
denn nicht, dafs der reine Willkommen
des frohen Gemüthes , das mehr ge-
währt als anbietet, der einzig befriedi-
gende ist. ?
Dya-Na-Sore x. Tb. 22
Man sah, wie sie, aus iluei Liebens-
weise gerissen — halb froh in eitler
Selbstgenügsamkeit, halb gepeinigt in ge-
störter Ruhe, überall wählend und nir-
gend ein Ganzes, uns eine Last, sich
selbst eine Qual wurden.
Noch schwand der erste Abend min-
der drückend unter dem fortwirkenden
Pulse eines solchen Tages. Hingerissen
an die Fülle, die uns beseelte, beweg-
ten selbst diese Wesen sich freyer und
unbefangener und näher an uns. Das
Angelernte verschwand , das Bessere
siegte , der Mensch wagte furchtsam
sich im Menschen zu 'zeigen.
Wir fanden sie zu unserm Empfange
unter einigen hohen Bäumen vor dem
Hause. Lichter brannten in Menge : die
stille Heile des Mondes hätte ja ihre
Freude nicht gezeigt . . . . !
„O ihr Glücklichen, die ihr der schö-
,,nen Natur dieser Thäler in Friede ge-
„niefset!" — riefen wir, ihren wortrei-
chen Willkommen zu unterbrechen. Ihre
halte Bejahung könnte uns sagen, dafs
sie*s nicht zu seyn wufsten.
Wir sollten ins Haus : dort war alles
festlich zugerichtet; und wir? wir woll-
ten nur im Freyen seyn. Ihre Anstal-
ten waren verrückt, alles ward Ver-
wirrung. Dya durchkreuzte mit aller
Lebhaftigkeit kleiner Launen, jeden Ver-
such uns zu führen. Hoffnungslos war-
fen sie sich endlich in den Strom , der
sie forttrieb. Erithrama lächelte in stum-
mer Billigung : zuweilen fielen seine
Blicke bedeutender auf einen Alten , der
schweigend edlere Verschiedenheit zeigte.
Stimmen stiller Zvi ischenräume spra-
chen zuweilen aus der Ferne.
Mifsachtend nannte man zwey Mad-
chen, ,,die, immer absondernd, selbst\
,,unserm Empfange sich entzogen hätten,
„denen alles Urtheil gleichgültig, alles
„Wesen der andern einsam verhafst sey.
„Niemand befreunde sich ihrem abster-
„benden Gemüthe."
Mein Blick fiel auf jenen Alten. In
mühsam verhaltenem Unwillen, mit unter-
drückter Rede , mit schneller Bewegung
stand er auf.
„Es sind die Kinder meiner Seele,"
sagte er, da ich ihm später mit Dya
begegnete : „aber diese Menschen n e n-
„nen nur das Selbstähnliche — gut.
,,Ihr werdet beide kennen lernen. Schön
^„ist die Stärke ihres Geistes, aber Jugend
„und Unglück machen sie unbeugsamer,
„als sie sollten. Noch sind sie nicht ver-
„altet genug, um eigennützig trag — des
„Tbörichten zu schonen. Ihr seyd Fremd-
„linge im , Gefolge mächtig geachteter
„Menschen: euch erlaubt man allen-
falls Abweichungen , unter dem Namen
„ . . . Gewohnheit; aber dem Verlas-
„s e n e n nicht. D o ch wagt es nie, was
,,euch unterscheidet — besserer Einsicht
„laut zuzuschreiben. Die Menschen ver-
„zeihen eine Unthat und eine Thorheit;
„aber der mindeste Argwohn gegen die
„Unfehlbarkeit ihres Geistes — ist ein
„Verbrechen ohne Nachlafs, und alles
„Gute, das ihr vielleicht wirken könnt,
„wäre zum Voraus vernichtot."
Dya. Aher wer sind die, wie einsame
Geister dort an den Gebüschen ?
Anir. Wesen, denen edler Sinn aus
der Vernichtung alles Bessern um sie her
erwuchs : die Menschen stiefsen sie aus ;
die Schlechtheit ihrer Zeit brauste flutend
gegen sie.
„Eine hohe Leidenschaft gab ihnen
den Sieg. Die schöne Kraft des weibli-
chen Geistes, der unter Stürmen zum
Selbstgefühl reifte, zeigt sich an ihnen
. . . der Muth zarter Gefühle und der,
empfänglich stille Sinn alles Edlen. *)
Wenn keine dieser seltnen Erscheinun-
gen, wenn kein Weib ,,in der erhabenen
Vergangenheit besiegter Leiden" euch
*) Es ist sonderbar, dafs der anenscliliche
Stolz, dem alles Grofse und Gute iinsrer Natur
als ein gemeinsamer Vorzug werth dünken
sollte, gerade im Eirathen des Guten am we-
nigsten Scharfsinn äiilsert.
noch begegnete ; so ist rler halbe AVerth
der menschlichen Natur euch noch ein
Geheimnifs.
„Ach wie leicht und unnachahmlich
gebildet erscheinen uns die Bewegungen
unsrer Natur in solchen Gemüthern! In
tiefer Stille, wie ein schöner Bach, gehen
sie vorüber, und alles ist Bewegung;
das Umgebende spiegelt sich in ihrer
Klarheit; die Spuren des Sturmes verlö-
schen mit seinem Daseyn. So wallen sie
zum Meere der Zeit, und ilir sanfter
Lauf schmückt sich in den Blüthen seiner
Ufer.
,,Tch bin ein alter IVIann , aber meine
Seele wird nie ungerührt an der hohen
Schönheit solcher Wesen stehen.
,,Wir sind festerer Stoff, darum blei-
ben uns die Eindrücke des Widrigen.
Sie — dais ich dem Bilde treu bleibe —
wirbeln, wie ein Bach, schneller, wo sie
Widerstand finden ; aber ihr Spiegel, in
der Ruhe , wird dann wieder so glatt als
zuvor.
> I )
„O ihr Tage meiner Jugencl, schön
wart ihr, da ich auf den Hügeln von Tali,
unter den Gefährten meines Namens auf-
blühte, da ich ein Vaterland hatte und
eine Geliebte, und in der hohen Wärme
meines Herzens für beide zu siegen oder
zu sterben wufste ! stark genug, sie aus
den Händen der Feinde zu retten ; glück-
lich — da sie mir wieder begegnete in
den Hallen meiner Väter. Wenn sie mit
hoher Seele meiner Gegenwart entsagte
für die Erfüllung meiner Pflichten; wenn
sie mich thränenlos der Gefahr entgegen
ziehen sah, um nur einsam an den Ahnun-
gen meines Verlustes zu weinen; wenn
sie sanft lächelnd mir mit tiefem Her-
zensblicke in meiner schiinmcrndsten That
nur — männlichen Eitelmuth zciGIte, und
stolze Kleinlichkeit — im Pochen meines
Trotzes — Werkann dem sanften Worte
der Liebe widerstehen, wenn sie uns
gröfser erscheint als unser Herz, und ge-
rechter als unser Urtheil ? Wer fühlt sich
nicht hingerissen in die zarte Sorge eines
Wesens, das nur in tmsrer äcliten Gröfse
sich befriedigt, das nur in unsrer Erha-
benheit uns liebt, dem wir alles sind
durch Wahrheit und Güte?"
,, Schön war sie, schön im Ausdruck
des TreiFlichsten unsrer Natur: alles
Schöne ward mir ihr Abbild ; ibr Hauch
umgab mich in jedem leisen Wehen der
Luft, ihre Stimme tönte mir in jedem
Gesänge, ihr süfser Laut folgte mir bis
ins Getöse einer Schlacht, Erinnerungen
umschwebten mich . . . des -Menschen
glücklichste Stärke unter Gefahren.
„Zweymal begegnete ich» ihr in der
Gewifsheit meines Todes , ein lächelnder
Stern auf meinem dunkeln Wege.
„Ich stritt für die alten Gesetze mei-
nes Vaterlandes gegen die Neuerer sei-
nes Untergangs : Verfolgung war mein
Loos. Mifsgekannt und falsch gerichtet
schien ich ein Feind alles Bessern , und
die Verzweiflung fruchtlosen Kampfes
nagte — nein , hätte an meinem Herzen
genagt ; aber unter ihrer weichen Hand —
3-h5
verwandelte der Fluch gegen meine Zeit-
rrenossen sich in eine Thräne über ihre
Verblendung. Menschenba fs findet nicht
Platz, wo ein Mensch unverletzter Rein-
heit unserm Herzen naht.
„Ich bin alt; meine Freunde sind gefal-
len; mein Ruhm, meine Reichthiimer sind
hinweg gesunken; ich bin verlassen! Des
Mannes bitterster Gedanke — >?ein Volk
mit Schande vernichtet,** macht in furcht-
])arer Stille die Erde öde um mich her.
Aber ich bin nicht allein : ihre Erinne-
rung knüpft mich an alles Bessere und
Gute; ihr Bild suche ich in jeder Ähn-
lichkeit trefflicher Menschen. O ich bin
nicht allein, nicht verlassen, nicht öde:
wo ein edles Herz mir naht, blüht mir
ein Vaterland kommender Geschlechter;
in jeder schönen Thräne, in jedem zarten
Laute des reinen Gefühls seh' ich die Rück-
kehr meiner Jugend. Ein Blick in das
bessere Vergangene ist unsers Herzens treu-
ster Gefährte . . dafs der Glaube an Tu-
gend selbst im Unglück und Alter uns nicht
Sfö ■
verlasse. So tniipft das Verflossene micli
an das Gegenwärtige, und so kann ich
euch nicht sagen, mit welcher zarten Sorge
ich an diesen beiden Wesen hänge. Auch
sie reiften unter der Unait ihrer Zeiten
für frühen Gram, und wie mich, kann
nur die Zuversicht reinerer Herzen —
den IVIuth des Daseyns in ihnen retten.
Ich suche ihnen zu seyn, was andre
mir waren.
So gerne hätte ich diese Kinder seiner
Seele gesehen; aber sie waren hinweg in
ihre Gebüsche: der stille Pfad der Ein-
samkeit ist jeder feinern Seele unverletz-
lich. Wie ein zarter Nebel schwebte der
übrige Abend in trauernden Bildern mir
über der Freude, und meine Seele war
voll an allem Guten des Daseyns, rein
gestimmt in allumfassender Warme.
Neben meinem Lager, im Mondlicht des
Fensters, spann eine Spinne ibr Gewebe.
Auch für sie hatte in der Harmonie
347
meines Innern jeder tief gewohnte Abscheu
seine Macht verloren. Wohlwollend und
freudig- sah ich jedes Geschöpfes Bemü-
hung um sein,Daseyn; mit der zarten
Achtung alles liebenden entschlief ich, und
freudig sah ich im Erwachen , ungestört
wie ich selbst, ein Thier neben mir, das
mich sonst empörte.
Vier Tage lebten wir nun hier. Ach
wie viel dringender erwachte mit jedem,
am Abstände zu Erithramas stillen Hallen,
am Gefühle unsers bessern Schicksals, der
Wunsch ... diese und alle ihnen ähn-
liche Menschen aus der Tiefe eines ver-
kannten, vergeudeten Daseyns zu ziehen I
Wie fern von allem Guten mufs der gewe-
sen seyn , der hassend oder gleichgültig
an den Verderbnissen seiner Zeit ohneEnt-
schlufs der ^Verbesserung steht, und nie das
ewige Gelübde der Menschheit - - Men-
schen zu veredeln — wie einen hei-
ligen Eid sich abfordert!
Wir sahen die Töchter unsers freundli-
chen Alten, wie er sie nannte: einfach in
ihrem Zurückweichen, welche Haltung
unter den übrigen, welch ein rein bestimm-
ter Geist! schön und im Ausdrucke des
Edlen — zwey hohe Gestalten stiller Be-
wegung, sanft schwebend , tief ergreifend
aller Augen unwillkührlich auf sie gerich-
tet, und doch alles abgewandt und zurück
gewichen aus ihrem magischen Kreise;
bebend, wie aus geheimer Schuld, suchte
niemand ihre INähe. So wandelten sie
allein, wie alles Grofse unter Menschen,
die es läugnen möchten, wenn nicht
der Stachel seines Daseyns unter Schmer-
zen sie überzeugte. Welch ein Schauspiel
für uns , wie belustigend und wie beleidi-
gend — diese Schutzwehre von Höflich-
keit, mit der man sich gegen sie umzog !
dieses auffallende Entfernen, um ihnen
nicht ähnlich zu scheinen ! dieses Lauern
und Begegnen der Blicke bey allem fremd-
artigen ihres unbegriffenen Betragens! die-
ser stundenlange Spott, wenn sie abwe-
send waren ! War denn diesen armen Men-
schen kein anderer Reitz ihres Witzes,
ihrer Froheit, ihrer Mittheiluna mehr
übrig, als das peinigende Gegenhild ihrer
seihst? o so beklage ich eine Menschheit,
wo Millionen nur das nämliche bleibt !
Drängend beschäftigte man sich um uns;
die Eitelkeit wollte uns fühlen lassen , dafs
sie W"erth zu fassen vermöge : wir fanden
kein Mittel , jenen gleichsam Geächteten
zu nahen. Sie selbst — zu anspruchlos
und zu selbstfühlend, um den Kreis zu
durchbrechen, der uns beschlofs — harrte
ich unsers freundlichen Alten : aber er
selbst schien so ferne; er selbst sprach
nur so vorübergehend mit ihnen ; er selbst
schien so wenig gesucht von den übrigen,
so fremd und so einzeln und so anders,
dafs jede Stunde unter Wollen und Hof-
fen mit all ihren ^Vidersp^üchen uns im-
mer tiefer verwickelte in die Neugierde
eines unerklärbaren Räthsels.
Endlich trennte ein glücklicher Augen-
blick mich aus diesem Ge wirre, und wie
durch Verabredung folgte mir Anir unter
des Himmels stille Freyheit.
Ich. Wie soll ich dich verstehen? Du
verläugnest, die du liebst, und opferst,
was ihnen am willkommensten seyn
mufs - - die Zeichen deiner Achtung, der
Gefälligkeit auf gegen die, die du nicht
achtest -7- Wie soll ich dich verstehen ?
A n i r. Wie ein gerechter Mann , der
die Macht der Verhältnisse und den Geist
der Menschen kennt, das heilst, „nicht
eher urtheilen als einsehen.'* Wenn dein
Auge dir treu ist, so mufs meine Lage
unter diesen Leuten dir klar seyn
dafs ich selbst fremd, ich selbst nur durch
Kunst eines angepafsten Betragens ihnen
genug bin; dafs nur meine anspruchlose
Gemeinmüthiokeit, meine scheinbare Ent-
fernung aller W^ünsche , mein Umhüllen
alles Höhern, mein Gleichstellen ohne Un-
terwerfung, meine Alltäglichkeit neben
gerade so viel ünerklärbarem als Noth ist
ihre Neugierde zu reitzen , meine Eigen-
heiten unter Launen versteckt — mir eine
Stellt? veiscliaiTten , atif der ich geachtet
senucr — um nicht. Sklave, unbedeutend
genug — um nicht gefürchtet, beneidet
oder verfolgt zu seyn, des Guten so viel
thue als ich unbemerkt kann.
Aus Stolz sucht man mich auf, aus Stolz
und aus Unschlüssigkeit fr;jgt man mich
um Rath, weil, ich weifs nicht welche
Meinung ... es zur Ehre machte,
mein Gutachten zur Stimme zu haben,
weil diese Leute fremdes Ansehen so gerne
zum Mantel ihrer Fehler aufbewahren. *)
Der Zufall , der ihre Wünsche mit den
meinisen vereinigt, macht mich zum Wei-
sen ; ein Gutachten , das ihnen wider-
spricht, zum eigensinnigen Alten, den
seine Jahre beschränken , den sein Stumpf-
*) Mittelmäfsiger Menschen liebster Selbst-
genufs ist der Tadel fremden Ratlies, von des-
sen Fruchten sie doch leben : alles Späterrei-
fende wird der Spott ihrer kenntnifslosen
Ungeduld ; alles Unbegriffene ein Beweis ihres
eigenen Scharfsinns. — Man klagt, indem
man folgt, um beym Mifsrathen sich pro-
352
sinn zum kurzsichtigen Klügler macht.
Gepriesen oder verlacht, je nachdem der
Augenblick will, schwachinüthig beglau-
bigt in der Noth, kühnstolz übersehen in
der Ruhe — was würde mein Wirkungs-
kreis seyn, wenn ich an diese Wesen ohne
Bestimmtheit mich knüpfen, wenn ich
entscheidend, gebietend, im offnen Gange
meiner Uberzeugung den Wahnsinn be-
kämpfen wollte, der mich belehrt? wenn
ich statt Fehler, die man entschuldiget,
Tugenden zeigte, die man nicht erträgt?
Wahrheit verschenken, heifst sie entwei-
hen. Seyd wahr in euch selbst, in eurem
Willen aufrichtig, und aufrichtig
in der Absicht — Menschen zur Fähigkeit
alles Wahren zu leiten: diefs ist die
phetiscli zu rühmen. Man überläfst dem Ratli-
»eber eine Ausführung, die inan fürchtet,
um später ihn zu verlachen. Man fragt Tau-
sende um ihre Meinungen, um dann desto
stolzer sich selbst zu folgen. Wie viele
Fälle der kleinen Eitelkeit iiefsen sich noch
anführen !
355
einzige Pflicht. Aber nehmt die Gestalt,
die sie fassen. Werden sie das Edle,
das Grofse, das Ächtnienscliliche erken-
nen, so lange ihr Auge unter Täuschun-
gen kränkelt? —
Gelähmt und vereinzelt, sobald der
Verdacht eures Besserseyns in Yorur-
theilen erwacht, die euch und euren
"Wahrheiten den Zutritt der Menschen
verschliefsen , liegt im Geheimnisse
der Tugend eine Kraft, die niemand
bestreitet, gegen die niemand sich ver-
wahrt. Drum Täuschung für Täuschung,
und eure Güte um so strenger verbor-
gen, je näher sie den Gefahren der
Mifsdeutung steht. — Nur dem, der
weder beschämt, noch gebietet, der der
allgemeinen Empfänglichkeit verwandt
nur nützlich scheint, und nicht grofs,
nur klug, und nicht selbstständig, geste-
hen die Herrscherinnen der Menschheit
. . . Eitelkeit und Eigennutz — eine
unkennbare Macht zu, die Dienst-
Dya-Na-Sore 1. Th. 2^
barkeit scheint, aber in unmeixilicLen
Fortschritten ihr Reich untergräbt.
Im Trotz eigner Wahrheit entstand
jene Selbstgefälligkeit unbiegsamer Stren-
ge, jene Raufbolde der Geradheit, die
wie ein Fels in seiner Schwere nur ste-
hen oder zermalmen.
Sie opfern die Sache der Form, und
glauben sich entehrt, wenn sie Men-
schen wie Kranke langsam in ihren eig-
nen Wahnbildern heilen.
Nur die Unbeugsamkeit eines störri-
schen Eitelsinns kann die Behauptung
einer angenommenen Gestalt — ein Bild
unsrer Fassung — für wichtiger hal-
ten , als das pfiichtmäfsige Verfolgen
und Erwägen der Umstände. Ist eine
aufgedrungene Tugend, die das ewige
Gesetz des stufenweisen Fortschritts über-
springt, und den Fluch über jede Ver-
schiedenheit ausspricht, etwas andres —
ala Tyranney unter dem Majestatsreclit
eines göttlichen Namens? ein Zwang,
der anbetende Sklaven, nicht den freyen
Sinn eigner Güte hervorbringt?
Wo entspringen alle Verschiedenheiten
der Meinung über Tugend und Laster,
die man so arglistig zum Zweifel gegen
alles Festgesetzte eiweitern möchte, als
in Verschiedenheiten der Einsicht? Ver-
breitet die Triebe reiner Erkenntnifs,
und ihr habt die Alleinherrschaft der
wahren Tugend gegründet: ob als Dich-
ter, oder als donnernde Redner, ob als
leichte Gesellschafter, oder als strenge
Gesetzgeber, als Spötter, oder als Be-
geisterte - - - ist in der Sache dasselbe;
die Mannigfaltigkeit der Darstellung war
nur eine Kunst des wählenden Verstan-
des; die augenblicklich wirksamste
ist die augenblicklich beste. Zu sel-
ten sind Menschen eigner Beweglich-
keit. Die Wissenschaft, ihnen entge-
gen zu gehen, bleibt die erste im
55Ö
Geselzbuche des Verbesseiers — A ii-
muth seine erste Bedingung.
üafs ich öiientlich — jenen seltenen,
mir so theuern Wesen fremd schien,
werdet ihr nun bald wohlwollender zu
berechnen wissen. Lafst mich zeigen,
wie viel sie mir sind — und ihre
schöne Selbstständigkeit ist gefährdet.
Ich ihr an erkannter Freund und
alle höhere Bedeutsamkeit, der ich hier
nicht ganz entweichen darf, erweitert
sich auf sie. Wer wird forthin durch
ein unbewachtes Uhheil mir den Blick in
die Leerheit seines Gemüthes ölFnen ? —
Sie würden Schmeichler finden und Be-
wunderer, man würde ihnen feiner be-
gegnen ; und was wäre gewonnen ? —
Dafs ich im Gehalte der übrigen mich
um so öfter täuschte , je lässiger
man gegen die, ,,die zu achten scheinen,
was wir lieben," an strengerer Beobach-
tung wird; dafs sie — statt duldsam
*) Scheinbare Ahidichkeit mit den heiter-
sten Gestalten ihres Daseyns.
557
aus reiner Überzeugung gegen scliwä-
cbere zu werden — nun unter falschem
Beyfall und in stufenweiser Auflösung
— Mittelweseii unverträglicher Arten
würden.
Nicht, „was andre für sie zu thun
scheinen/' nicht der süfse einschläfernde
Wahn des Selbstlobes . . . „in einem
veränderten Betragen — veränderte Her-
zen und den Sieg des anerkannten Ver-
dienstes" zu lesen, nicht die kleinliche
Wechselseitigkeit des Gefälligen werde
das Gesetz ihres Lebens ; sondern das,
was jedem Einzelnen für alle obliegt —
auch ohne Erwiederung, auch verkannt
und verfolgt und gelästert - - - streng zu
seyn an eigner Wahrheit, aber mild in
jeder Pflicht für unähnliche Gefährten.
,,Wir kennen bessere Menschen in die-,
,,sen Thälern — werdet ihr mir sagen:
,,es war ja leicht sie dorthin zu führen,
„in die Ruhestätte unbedrohter Tugend,
,,wo der Geist reich wird ; ** — aber
auch zu mühlqs reich an zarten, ungc-
35Ö
trübten Gefühlen, um nicht — Schwei-
ger im Guten, Träumer im Wirklichen,
ein stolzes Kind eigner Unfehlbarkeit
zu werden, und zu eilig beglückt, um
nicht — am Ende vielleicht gleichgültig
zu schlummern. Schwache, wenig be-
gehrende Herzen, denen der leichteste
Erwerb schon Mühe ist, würde ich dort-
hin retten; aber Seelen wie die ihrigen,
können nur im Kampfe ungleichartiger
Bedrängung zur reinen Eigenheit gedei-
hen. Sie müssen wagen um zu werden,
und an Gegenbildern fremder Art den
Willen ihrer Trelflichkeit bestärken.
Euch, wie ihnen, ist dieser Aufenthalt
nöthig. Nicht umsonst führte man euch
hierher. Der Widerwille des erkannten
Schlechten ist der wärmste Lehrer des
Guten, um so wärmer, je scheinbarer
die Larve der Enthüllung widersprach.
Lernt hier jene Schaaren kennen, die
man gut nennt. Ein wenig Eigennutz,
von Furcht gebändigt ; ein wenig Wis-
sen, von Selbstgenügsamkeit überpin-
seit; viel Glauben bey wenig Prüfung;
viel rioffart bey wenig Regsamkeit; be-
wegbar oline eignes Leben; wcicli obnc
Bilclsamkeit ; Formen ihre Stütze, Mei-
nungen ihr Gesetz ; eigner Verstand bald
ihr Wahn, bald ihre Qual ■ — wanken
sie unter der Hand ihrer Führer, suchen
oder fürchten das Urthcil jeder Hand-
lung;, ehe sie noch handeln. Ihre Sitten
ein Zwangbild fremder Vorschrift; ihr
Zorn ohne Gefahr; ihr Muth eine Wal-
lung; ihr Wille ein Wechsel widerspre-
chender Wünsche, gehegt ohne Stärke,
durch Zufall erreicht, und wie ein Raub
in der Ungewifsheit zagender Herzen
genossen: so gehen sie in jeder Aus-
führung — zwischen fremdem Ijobe und
eignem Trotze eine Bahn der Unentschie-
dcnheit, die, zum Bösen zu beschrankt,
zum Guten zu selbstisch — Laster aus
falscher Schonung nicht zerstört; das
Edle in träger Furcht nicht vollendet;
Tugenden wünscht, und glücklichen Ver-
brechen gehorcht.
36o
So ernten sie , wie ihnen gebührt,
unreifen Weitzen — jammernd unter
Disteln, die sie nie auszurotten wagen,
und verlieren ein Daseyn , für dessen
Umfang sie keinen Blick haben. '
INützt diese Tage durch Beobachtung.
Das Alltäglichste ist oft das Bedeutendste.
In den heiligen Hallen Erithramas, un-
ter hohen Lehren, Denkmahlen und ähn-
lichen Gefährten, sammeltet ihr nur Sa-
men: hier zeigt sich die Erde, die ihr
befruchten sollt, und die ihr kennen
niüfst. Naht diesen Menschen: Klein-
heiten sind der Inhalt ihres Lebens; aber
nur indem ihr dieser Kleinheiten schont,
öffnet ihr euch Herzen ; nur indem ihr
allen Verwicklungen ihres engen Geistes
folgt, lernt ihr die Bahn, auf der das
Übel kam, und das Gute ihm begegnen
nmfs. Wacht gegen jene Launen der
selbstischen Abgeschlossenheit, die „nur
trefi'liche Menschen ihrer JNähe werth
findet,^' die „nur unter gleichartigen We-
sen eines höhern Sinnes Genufs sucht."
Das Herz biadet uns an Bessere; aber
unsre Pflicht an die Mittelmäfsigkeit,
die in tiefer Erwartung der Hand eines
Helfers bedürfe.
Zum Beweise, wie sehr dieser Haufe,
bey allem Stolze selbst zu urtheilen,
von fremdem Vorgange und eigner Un-
gewifsheit abhänge — habt auf ihr ver-
ändertes Betragen bey Erithramas merk-
barerer Traulichkeit gegen mich Acht.
Doppelt werdet ihr mir dann Gerechtig-
keit leisten, warum ich meine Lieblinge
dem Wetterwenden dieser Menschen ent-
ziehe. — Ich bin alt und fest: mich
machen sie nur lächeln: allein dem wei-
chen Sinne der Jugend und des Weibes,
reicher an Vertrauen als an Erfahrung,
steht der Mensch näher — als die Wahr-
heit, und er täuscht — wie ich schon
sagte, sich gern in andern, um sich selbst zu
erhöhen. Euch aber ist nöthig, als stille
Zuschauer zu beobachten, was vorgeht.
Und wir sahen, wie er gesagt hatte,
aus Erithramas Eächeln einen Strah-
502
lenglanz über ihn aufgehe-n. Ein plötz-
licher Eifer drlingte ihm alle' zu. „Je-
de Stunde ' mit ihm ^Verlebt — " stieg
zum Goldgehalt des nie ermüdenden An-
denkens. Was er vergessen — gesagt,
und ungepriescn — gethan hatte, war
nun der Inhalt des Gesprächs. Jeder hatte
,,den grofsen Mann in ihm errathen."
Jeder rühmte sich, ,,der Wolthaten von
ihm empfangen, der Weisheit aus seinem
Umgange gezogen, des Glücks unter den
Augen eines solchen Mannes zu wan-
deln." Erithrama war von Rednern be-
lagert, die in Anirs I^ob ihre Wichtig-
keit suchten.
Ach wahrhaftig, neben der ungeheu-
ren Masse von Glauben aller Art in
dieser Welt, ist nur der einzige selten —
Glaube au fremde Vernunft. Würden
Menschen sonst wagen, in ihren durch-
sichtigen Larven sich selbst zu beschim-
pfen? ! —
Immer klarer ward uns nun die Armuth
dieser Leute. Sie hatten, was ein
gebildetes Volk zur Verschönerung des
Lebens hervorbringt Beschäftigung,
Bedürfen und Wissen; das Andenken
eines unglücklichen Vaterlandes, ihre
Gefühle zu erhöhen; eine weit ;uisgc])rei-
tete Bahn stand ihnen olFen ; mit schim-
mernden Erwartungen hatten sie sich
hierher geflüchtet — um was waren sit?
besser? — Sie hatten das Entfernte ge-
wollt, weil das Nahe sie bedrückte; sie
hatten aus Vorstellungen anderer ge-
schöpft, was sie sich selbst in täusclien-
den Hoffnungen vormalten, imd nicht
erreichten — das war ihre Tugend.
Armer Mensch! dem im Reichthume
der Schöpfung mangelt, wodurch allein
er erreicht und besitzt der einfach
hohe Geist einer reinen Bestimmtheit, die
auf immer wählt, weil sie mit Erkennt-
nifs wählt; die gleichartig fortschreitet,
weil das Grofse , Wahre und Schöne ihr
nicht beschränkt unter einzelnen Wün-
schen, sondern frey nach den Beziehun-
gen eines Ganzen erscheint.
304
Gequält in ihrer fortdauernden Abhän-
gigkeit von fremden Urtheilen , die sie
nicht verstanden , indem sie sie befolg-
ten, die sie verlachten, indem sie sie
forderten , die sie hafsten , indem sie aus
selbstgeschafFenem Zwange sich unter-
warfen — was war zu hoffen von diesen
Wesen!? Und welche Aussicht, auf sie
und ihnen ähnliche einst wirken zu müs-
sen — deren Beyfall so unbedacht ist als
ihr Tadel !
Verstellung ist die Schutzwehr, hinter
der ihr kleinliches Ich allein noch einen
Schein von Selbstständigkeit findet, und
jede Verstellung — ist Pein: wen oder
was sollen sie noch lieben, da alles mit
Überlegenheit sie beherrscht, alles Grofse
ihnen nur in seiner Obermacht drückend,
alles Wahre nur erniedrigend, alles Edle
nur ein Vorwurf ihrer Minderheit scheint?
Was bleibt ihnen zur Liebe ... als ihr
Selbst und ein Weltall . . . für ihre
Furcht , für ihren Hafs oder ihren
Spott ?
Du, der du die Bahn einer grofsen
\yirksamkeit betreten willst, richte dei-
nen Blick auf dieses Gemälde, und wenn
dann dein Muth sich noch gleich bleibt,
so handle, o Gesalbter der Menschheit,
den die Vorsehung sich zum Helden
erwählte !
Mit früher Rothe, an einem Tage der
zweyten Woche , führte Anir mich auf
unmerkbaren Pfaden in ein höheres Berg-
thal; verschlossen hinter die steilen Ein-
risse alter Fluten ; Klippen und ver-
schlungene Sträuche sein Eingang. Tie-
ferhin erweiterte es sich , frisch und
grün in ungleichen Höhen : bald Teich,
bald kleiner Fall, bald jäh schäumend
über Abhänge ist ein Bach das Licht sei-
ner Dämmerung, und der Morgen nur
noch ein heller Kreis hinter den farblosen
Schatten seines Umfangs.
Im Licht ihrer höhern Lage klart eine
Wohnung sich vor dunkeln Gebüschen
366
auf; der Kühe einzelnes Geläute tönt in
die Stille. Der Morgenstern schwindet
am Hügel hin , Träume der reinsten Ge-
fühle sind meine Gefährten. Ein kleines
Gehüsch windet sich aufwärts.; der Laut
freundlicher Stimmen — die Stimmen de-
/ rer, die ich suchte, erreicht mein Ohr . . .
Anirs Töchter! Nie hörte ich holdere
Töne deines Löhes, Dya; nie dein
Bild reiner gefafst , o du unvergefsli-
cher meines Herzens , der du einst warst
und vorübergingst, dafs ich nun allein
stehe in den Erinnerungen jener Zeit!
Welch ein köstlicher Augenblick, in den
auflebenden Neigungen eines zart ver-
wandten Geistes, in der einsam hohen
Offenheit zwey edler Gemüther deinem
Bilde zu begegnen!
Wydarna gab sich schnell eine abge-
wandte Beschäftigung , da wir erschie-
nen. Schön war die Rückkehr ihrer Ge-
stalt. Wie schön zagt das Auge im uner-
warteten Verrathe unsrer Gefühle ! Sie
konnte v e r m u t h e n , wir hätten sie
f;eliürt. Mit uns zugleich trat ein junger
Vlanu aus dem Gebüsche oben am Hügel
hervor. Seine Eile, Divis unstäter in
unendlicher Froheit dorthin gezogener
Blick zeigte mir den geliebten Erw^arteten.
Wohl mir, dafs auch ich es lernte, was
solch ein Augenblick gilt; dafs nie ein
unreiner Hauch meine frohen Gefühle
entstellte ; dafs ich es ganz weifs , was
es ist . . . sich erwarten und wieder-
sehen, wenn ein leiser Ton die geliebte
Nähe verkündet ! wenn wir kommen,
wenn wir sehen , wenn alle Strahlen des
Daseyns sich sammeln in die Freude eines
Blicks 1 Was wir gethan, was wir ge-
dacht, was uns begegnet, kehrt wie ein
schöner Traum in unsre Erzählungen zu-
rück — eine Welt von Erinnerungen
liegt in einer Abwesenheit von wenig
Tagen. „Menschen haben uns belei-
digt;" aber an einem Herzen, das uns
versteht, sind ihre Gebrechen vergessen.
Das Gute erfüllt uns mit Zuversicht, das
Böse nur mit dem Bewufstseyn unsrer
36ö
Kräfte. Man wagt den Kampf gegen eine
Welt; denn der Wert]i des Daseyns ist
uns erkannt, in holder Gewifsheit er-
scheint das Leben, und der Glaube an
Menschheit steht fest in den Gefühlen
des Schönen , das wie ein Unterpfand
himmlischer Abkunft an das Unendliche
zieht.
Jerma nahte: nur Ein zögernder Blick
fiel auf mich, und Dank dir, Natur, dafs
nie ein guter Mensch seine Empfindun-
gen in meiner Gegenwart länger unter-
brach.
Anirs Augen leuchteten in der Freude
. . . vier sich entsprechender glücklicher
Menschen: keine innere Beschämung
schuf Foltern der ängstigen Behutsam-
keit, kein erniedrigendes Selbstbewufst-
seyn machte Larven und Verhüllungen
nöthig. Ach nur um unserer Thorheit
und Laster willen bleiben wir uns fremd:
in der Wahrheit rein offner Seelen ist
der Mensch des Menschen sicherer Be-
kannter. Was ist aller Zwang, als das
ziiistüientle Bekenntnifs unsrer Entar-
tung ?
Ein schöner Morgen ging uns vor-
über unter einsam stiller Vertraulicii-
heit, unterm wechselseitigen Nalien unse-
rer Ilerr.en. Gleichheit an (iesinnungcu
Mar unser Band: aber wie viel ach-
tunüswerther wurden mir noch diese
o
Menschen, da Anir auf einem entfernten
Gange mir ihre Geschichte , ihre Ver-
hältnisse , die innere Sicherheit ihrer
Herzen aufschlofs !
Hier, wo Anir, nur wenigen bekannt,
eine Wohnung hesafs, um einsam und
unabhängig sich verbergen zu können,
wenn seine Seele Nachlafs brauchte vom
widrig Alltäglichen, hier hatte er auch
Jerma eine Freystätte angewiesen ; dem
Flüchtling zerstörter Hoffnungen, an des-
sen Seele et Freude fand; dessen Schick-
sale, dessen Muth und Lebensgang er
kannte, in dessen frühe Kindheit Er den
bestimmten Samen alles Guten gestreuet
hatte. Die Ereignisse der Zeit hatten sie
Dya-Na-Sorc i. Tu. 2^
370
von elaander gerissen — aber ihre Ver-
bindung dauerte fort durch innere Unvef-
gefsliclikeit und einen Namen, den das
allgemeine Unglück nur noch gröfset
machte.
Anir war mir kein Fremdlin": unter
feinem wahren Namen . . . Hav^ird,
als einer der Wenigen unsers sinkenden
Volkes, die, frey von der Ansteckung des
Tages, ohne Eigennutz, ohne Partey-
geist — aber auch gerade defs wegen
in all ihrem Muthe, in all ihrer Einsicht,
in all ihrem Eifer und Selbstaufopfe-
rung fruchtlos und allein gekämpft
hatten, weil sie allein standen an lu-
gend, und niemand an ihren Absichten
fest hielt, sobald sie das Eigne fiir das
Allgemeine aufzugeben forderten.
Jerma empfing seine ersten Eindrücke
aas Anirs Munde. Erwacht, wie ein Jüng-
ling, den die Trauer besserer Zeiten
absondert von allem, was sich ihm dar-
bietet, dc7i kein Wunsch, kein Genufs,
kein Lol^ , keine Tauschung seiner
Zeit irre führt, biklete. er sich fest in
innerer tief gefafster Gewifsheit . • eine
j^n^r starken Seelen,, die aus wenigen
Zügen sich selbst ein bleibenrles Ganzes
zu schaffen vermögen. Kühn nnd unwan-
delbar hatte sein Geist sich auf eine Tu-
gend gerichtet, die, wenn gleich von nie-
mand belohnt, von wenigen erkannt,
darum nicht minder wahr und des mensch-
lichen Geistes allein würdig ist . . . auf
Liebe für ein unglückliches, leidendes
Land, und die Hoffnung seiner mögli-
chen Rettung.
Aber er vermied sorgfältig, sich in
seiner Absonderung andern zu bezeich-
nen — in Gefühlen, die sie nicht fafs-
ten. Still und einsam, wenigen erkannt,
glaubte man ihn traurig in unglücklicher
Liebe; denn ein anderes Unglück besse-
rer Jugend wollte sein Jahrzehend nicht
kennen. Und freylich Liebe war es ;
aber Liebe höherer Art, Liebe für den.
höchsten Gegenstand menschlicher Nei-
gung-
372
Giebt es ein gröfseres Übel, als ein
edles .Herz , das sich beigen inufs . . .
weil die Abart der Zeiten , se,inen An-
blick nicht erträgt!? — ,
Man bot ihm Ehrenstellen an , ; denn
seine Fähigkeiten waren erkannt. Jeder
Mächtige wollte in ihm sich einen An-
hängling erwerben ; die Partey der .Herr-
schenden brauchte viel yerspi^echende
iMenschen. Er hüllte sich in die Zweifel
eines an sich selbst zagenden Geistes ;
er schlug jede Stelle aus, denn in jeder
erkannte er nur ein Gelübde gegen sein
eigenes Volk.
Ernsthafte Männer nannten ihn einen
Müfsiggänger, der seine Jugend in nichts
verschleudere. Wufsten sie denn nicht,
dafs der Sinn eines Geistes, der in freyem
Muthe der Zukunft entgegen arbeitet,
der Veibindlichkeiten meidet — um nicht
den Zwang einer Handlung gegen seine
bessere Uberzeugung — zu befahren,
beschäftigter ist, als der Knabe am
.Amtstisch, der sich anwendbar glaubt,
573
weil er fremden Willen fragelos voll-
streckt, und verdienstlich, weil eino
verdorbene Meinung den Sold der Un-
ter WLiriigkeit zum Ziel des allgemeinen
Elirgeit/.es adelt?
Bald hielt man ihn für einen Träu-
mer, der aus Stolz oder Trägheit die
Wege andrer zu verlassen sich erkühne;
für einen Unfähigen, dessen übertünch-
ter Verstand an Schulweisheit kränkle;
für einen Eigennützigen, der sich
nur noch theurer zu verkaufen suche.
Seine Jugendgenossen stiegen empor,
und drückten ihn hohnlächelnd mit der
Last ihrer neuen Gröfse — wie sie
glaubten : aber in seinem Innern war es
nur der Gram, dafs Menschen, unbedacht
oder meineidig, für schamlosen Uberüuls
sich an den Unterdrücker verkauften.
Seine Freunde schalten ihn unheilbar;
achtlos stiefsen sie ihn von sich: die
Welt verlachte ihn. Aber unerschüttert
folgte er seinem innern Bewnfstseyn, und
574
wandelte über Mifsachtung so vuliig, als
einst über ihre eigennützige Achtung.
Im Stillen forschte und erhielt er Wahr-
heiten, die man öffentlich verbannte. Im
Schoofse der Wenigen, denen er erkannt
war, sammelte er Schätze der Zukunft.
Er konnte nicht laut handeln; aher in un-
hedeutend scheinenden Aufserungen warf
er Strahlen eines prophetischen Lichts
über so manche tief schleichende verderb-
liche Absicht. Oft vereitelte er so im Wi-
derstande des erweckten , unterrichteten
Eigennutzes die Alleingewalt herrschen-
der Menschen.
Tn sich und seinen wenigen Genossen
erhielt er die Fortdauer alter Kriegskunst,
die, allen Jünglingen seines Volkes entzo-
gen, in ihrer völligen Unwissenheit die
Macht der Sieger auf immer befestigen
sollte.
Aus dem Munde derer, die gegen den
Untergang seines Vaterlandes gestritten,
die in Worten oder Waffen dem allgemei-
nen Verderben zu steuern gesucht hatten,
verfafste er seine Gescliiclite : unter den
Wenigen, die sie kennen , und für kom-
mende Zelt — ein unvergänglicher Same
der Vralirheit, der Belehrung und der
Enthüllung tief liegender Ursachen und
vielfach wirkender Veibrechen.
Keine schimmernde That stellt sein Le-
hen in den Tempel des Rufs ; aber ein fort-
gesetztes Handeln der edelsten Selbststän-
digkeit ist sein unvergänglicher Schmucli.
Fühlt iiir den Mutli ihm ähnlich zu wirken ?
Wydarna, Divis Verwandte und durch
Unglück ihre Gespielin, lebte seit Jahren
in der letzten väterlichem Hause. Ihren
eignen Vater hatte sie früh verloren.
An seiner einsamen Trauer gelangte ihr
biegsamer Sinn zur Entwicklung. In
stillen dunkeln Jahren war sie seine ein-
zige Gefährtin. Tief aus ihrer Kindheit
loljiten ihr die Bilder, verschlossen und
ilüchtlg und in Wäldern gelebt zu haben.
Ihre Mutter kannte sie nicht. Allein wan-
delte sie an seiner Seite. An seiner Unruhe
lernte sie fremdes Schicksal zu ihrem eignen
37Ö
machen, und noch jung in früher Stärke
die selbst veiläugnende Kunst . . . für das
Lächeln eines geliebten Unglücklichen
sich eine heitre Laune abzuzwingen. So
w^ud sie ihres Vaters Vertraute, und seine
Gesinnungen gingen in früher Mittheilung
an sie über, warm und unvergänglich auf-
genommen in ein jugendliches Herz, das
die Gröfse eines Vaters in den Quellen
seines Unglücks fand.
Klagende Lieder waren ihre Spiele,
Bilder des Untergangs und der Zerrüttunp^
ihre erste Aussicht ins Leben. Thränen
]>cy eines Vaters Erzählungen, gruben
mit ewiger Dauer sich in ihr Inneres; ihr
lleiligthum und ihr einziges Gedächtnils
die Geschichte des sinkenden Volks , an
dessen Grab ihre Geburt, an dessen Lei-
den sie jede kindliche Erinnerung knüpfte.
Muthlos wäre sie vielleicht vergangen in
der Trauer ihrer ersten täglichen Eindrük-
ke , hätten nicht Gesänge der Vorzeit —
edlere Jahrhunderte ihr eine bessere Ge-
\vifsheit erölinet.
577
So grünclete sich auf den Stolz des Ver-
gangenen ihre Verachtung des Jetzigen:
Hoffnung der Zukunft, schwärmerische
Ijiebe gegen den, mit dem sie lebte, und
tiefer Ilafs gegen alles, was seine Leiden
hervorbrachte, wurden ihres Charakters
erste, unwandelbare Umrisse.
Was Zeit oder Umstände vielleicht gemil-
dert hätten, ward durch den Gewalttod
ihres Vaters ein einziges unwandelbares
Ganzes. Auf ihr Volk, den einzig übrigen
Gegenstand , drängten sich nun alle
h.mphndungen der Verlassenen, und zer-
störend nagten sie an ihrem Leben.
So kam sie in Divis Haus; unähnlich
allen, die ihr begegneten. Schnell erken-
nend, dafs ihres Vaters Andenken hier
nur ein beschämendes , verhafstes Gegen-
bild sey , dafs seine Gesinnungen hier nur
ein verschlossenes Heiligthum ihres In-
nern seyn müfsten. Einzehi in ihrer
Trauer, aber herrschend und frey in der
Würde eines Geistes, der den Sinn grolser
Dinge verschliefst ; unglücklich und doch
378
nie klagend — erregte sie bald Divis Be-
wunderung des Ungewöhnliclien und ihre
zarteste Tlieilnahme. Im freundlichen
Picgegnen ihrer Gemüther entspann sich
frühes Vertrauen, Innigkeit und IVIitthei-
lung.
Bald durchdrang auch Divis jugend-
licher Sinn sich mit den ewig sciiöncu
Bildern eines Vaterlands. Einzig an der
nun hängend, die in neuen, nie gekann-
ten Gefühlen der Menschheit ihr erschien
— wurden beide sich unentbehrlich. Dafs
Divi, durch eine Kindheit ruhigerer Schick-
sale erheitert, sich überall eine Dichtung
froherer HoiFnungen schuf — machte sie
zum leitenden Genius ihrer Freundin in
hellere Welten; so wie ihr selbst —
"Wydarnas feste Seele ein Vorbild reiner
Bestimmtheit und selbstständigerer Ge-
fühle ward.
So stiegen beide in der Wechselseitig-
keit alles Edlen und Guten , in der Kraft
gleich gestimmter Seelen, in der Verbor-
genheit ihrer Wünsche, zur Begeisterung
.379
des unübertrefflichsten Bundes^ weit über
die Roheit derer empor, die sie umgaben:
einzeln an Stolz und Gröfse der Empfin-
dung, durch vSchönheit bezeichnet — ein
Paar, das aller Augen auf sich zog, das
man bewunderte ohne es zu kennen,
pries ohne es zu fassen.
Ein Zufall führte ihnen Jermas Ge-
schichte in die Hand. In neuen Gefühlefi
entglühte Divi, in tieferm Andenken Wy-
darna an den Bildern des Jammers, an
den trauernden Schilderungen einer un-
glücklichen Zeit. Ein neuer Denkkreis
that sich ihnen auf. Begriffe hellerer Be-
stimmtheit gingen von seinen Entwicklun-
gen aus. In höherer Beziehung erwachte
ihnen Tugend und Laster, und der Werth
jedes einzelnen Daseyns an den Straftö-
nen des klagenden, ernst warmen Redners,
der aus Gebrechen und weit entwichenen
Erinnerungen voriger Jahrhunderte , aus
stufenweise unmerklicher Abirrung alles
Wahren und Guten — den Untertan":
380
seines Volkes eiithüilte. Aber mit stolzer
J'^reufle schöpften sie auch Muth in den
Aussichten einer kräftigen Seele, die aus
(iem Adel der Vorzeit Hoffnungen gab,
und aus dem, was PvTenschen einst w a r e n,
die Zuversicht, dafs sie es wieder seyn
könnten.
Jerma ward ihnen das Ideal der trelf-
lichsten Menschheit. Nur vorübergehend
hatten sie ihn gesehen. Oft wünschten
sie ihn in ihre Mitte. Aus zwey Herzen,
die ihn verstanden, sollte er den Dank
empfangen, der seinem Genius gebührte.
Ihr Wunsch wurdV erfüllt. Jerma er-
kämpfte in den Spielen , die man öffent-
lich feierte, den ersten Preis : ein kühn
gewagter Schritt in seinen Verhältnissen.
Schon nahte er, aus Divis Händen den
Kranz zu empfangen, schon nahm er den
Hehn ab: da entstand der Widerspruch,
,,dafs nur im Heere der Ürayas Aufge-
„nommene kämpfen und Preise eni-
„pfangen dürften - > ein Ausspruch der,
(
• 5ai-
im inn^rn Sinne, gegen alle Waßenfdhig-
keit der Besiegten gerichteten Gesetze. •
Divis Hand war schon ausgestreckt ihn
zu krönen ; mit wallender Freude sah
sie den Liehling ihrer einsamen Träume,
den Mann ihrer Dichtung ■ — grofs und
heldenähnlich und in der kühnen Stel-
lung des ungebeugten Muthes . . . der
in entfernten Zeiten Gewifsheit gegen
die jetzigen fand, vor sich. Ihr Arm
zitterte im Entzücken des Preises, den
sie darreichte ; Jermas Blick war auf
sie gerichtet, die Ubereinstimmung ihrer
Seelen erkannt , der Augenblick der
schönsten Hoffnungen erreicht — da
ertönten die Worte : „Zurück!" - - - und
im Schnaerz ihrer vernichteten Freude
zerrifs sie den Kranz , den ein Oraya
mit höhnender Stimme forderte. Verach-
tend warf sie ihn über ihn hin in den
Kampfplatz., Dumpf schweigend gab das
erschütterte Volk seine Billigung; aber
mit tiefem Ilafs schwollen die Gemüther
58^
der Orayas , mit dem tiefsteu ihres Va-
ters Busen. ■
Man erwartete Elvarazims schnelle
Rache. Aher nicht unlieb war dem Kö-
nige die Kränkung derer, die mit 'ihm
herrschen wollten, weil sie mit ihm ero-
berten. Lächelnd, wie über eine jugend-
liche Unbesonnenheit, schwieg er; und
zwischen der Erwartung dessen,- was er
thun würde," und der verfehlten Minute
- - - ,,laut schreyende Genugthuung in der
ersten Aufwallung «u fordern/' legte sich
der erste brausende Groll der Beleidigten,
Beyfall rufend begleitete das Volk seine
■Rückkehr zum Palast. Was er aus Klug-
heit gethan hatte, galt seiner Mäfsi-
gung, und zehnfacher Gewinn bhihte
ihm , wo ein minder klarer Sinn nur
Verlust gefürchtet hätte.
Er rief Jerma an seine Seile ; er
führte Jerma an der Hand. ,,Tch kann
Gesetze nicht brechen , abisr ich weifs
Verdienste zu ehren," sagte er ihm trö-
stend und mit Wahrheit.
Einige Slinimen wagten Jernias I.oL,
und Elvaiazim nickte fieundlich. Jerma
ward der Held des Tages. Ich sah ihn
in seinem Triumph. Eben war ich un-
erkannt zurück gekommen. Welch eine
lUihe in seinem Auoe! Nachdenkend
haftete er auf Elvarazim , der ihn nicht
täuschte, dem Zerstörer seines^ Volkes
an der Hand, den er hassen mufste,
und dennoch achten! — Wie wenio;en
ist ächte Bestimmtheit in solchen Fällen
gegeben . . . frey zwischen entgegen ge-
setzten Leidenschaften das Betragen zu
wählen, das unsern Gesinnungen nichts
vergiebt , und den Augenblick in seinen
Möglichkeiten fafst! Nicht gebeugt und
nicht horh fahrend , nicht schmeichelnd
und nicht abstrebend sah ich ihn; we-
der eitel in anjienommener Gl eich jiültie-
keit, noch schwankend unter irrig auf-
geregter Hoffnung. Ich sah den Mann
wie ich ich wünschte.
Ach Je»ma , für ein Leben von Kum-
mer gab solch ein Anblick mir Ersatz
384
in seinen Hoffnungen, und dem Schick-
sale waren seine Schulden erlassen. In
festerm Vertrauen auf Menschen lebe ich
seit diesem Tage. Wenn mitten im Unter-
gang alles Guten . . Gemüther solcher
Art sich noch — seihst gebildet
erheben, wer kann verzweifeln an
der Gotteskraft in unserm Eusen, und an
der Rückkehr — einer nur beschränkten,
nicht vertilgten Wahrheit ?
Jerma konnte den Festen nicht entwei-
chen, die man gab. Er sah Divi, die
in stiller Verzagtheit dem Mann entwich,
den sie höher achtete als ihr Leben. —
Was jene grofse Stunde des vernichteten
Preises entschieden hatte , sagten sie sich
endlich mit der Innigkeit des glücklichen
Gefühls; glücklich waren beide im Ge-
heimnifs ihrer Liebe ; aber wer ihre be-
geisterten Blicke sah, hatte es errathen.
Divis Vater war nicht der Letzte. Hätte
Elvaraziiu an jenem Tage seiner Tochter
j85
Tod verlangt — olme eine Thräne hätte
er gestimmt: so tief waren in des Un-
ersättlichen Herzen alle Regungen ver-
nichtet vom niedrigen Ehrgeitz, der nichts
suchte als den Wahn der Ge\^'alt. Er war
der erste, der seinem Volke entsagte;
der erste Abtrünnige, der dem Eroberer
schwur. Grimmig im Hasse des Verlas-"
senen , wie jeder Uberläufer, und überall
nur besorgt, durch gränzenlose Härte
jene neue Treue so viel sichtbarer zu
bewähren , hatte seiner Tochter Hand-
luno- ihn wie eiii vernichtender Fhich
TD
seiner Hoffnungen übereilt; jetzt ward
sie sein Triumph, da ihr Jerma im Schim-
mer künftiger Gröfse nahte , da Elvara-
zim das verrathene Gcheimnifs zweyer
2;lücklicher Wesen mit seinem kÖnig-li-
eben IVIachtwort ehrte.
Jerma hatte den Flecken seiner bishe-
rigen Geschäftsflucht mit Einem Tage
vertilgt. Er war in die lächerliche Ach-
tung der Welt zurück getreten von der
Dya-Na-Sore i. Th. 2 5
Stunde an , da man ihn auf dem allge-
meinen Wege und in gleichen Gesin«
nungen mit andern . . . dem Ehrgeitz
und der Macht — nur mit künstlicherer
Schlauheit, diensthar glaubte. Jeder kluge
Mann pries den listigen Jüngling, der
sich verkennen liefs — um mit plötzli-
cher Überraschung lür zehnfachen
Gewinn zu wagen. jeder schmeichelte
seiner künftigen Macht. Jeder haschte
den Unentschiedenen für seine Partey.
Er herrschte, weil er allein stand; der
erwartende Eigennutz baute dem Unab-
hängigen Altäre. ; Divis Vater, vor
allen , bereclmete den reinen Gewinn
einer Tochter, durch die man kühne
Geister fesselt, und die Macht einer
Leidenschaft. " Er nährte ihre Liebe
jnit günstigem Blicke: lieber noch
liätte er eine kalte Herrschsucht genährt,
für die ihre Seele zu rein war ; hinge-
geben, verblendet, ihr Gefangenerund
die sicherste Stütze seiner fortschrei-
tenden Ansprüche sollte Jerma seyn.
Vielfach waren die Faden seines Gc-
webes.
Mit Jermas Rückkelir zur allgenieine^i
Wichtigkeit erwachten auch die man-
nigfaltigen Leidenschaften der Zu-
schauer: der Neid schuf den Argwohn,
der Argwohn vielfaches Forschen. Noch
hatte niemand, der nicht öffentlich den
Siegern durch Eid und Probe sich zuge-
sellt hatte, sich erkühnt wie er. Zu
berechnet für die Folgen schien sein
Eintritt in den Kampfplatz , um ein
blofses Wag stück des jugendlichen
Unbedachts zu seyn ; zu bestimmt
für Uneigennützigkeit und edle Schwär-
nierey dünkte einem andern Tlieile sein
Charakter, um blofS für sich selbst
gehandelt zu haben; auf seine Tugen-
den gründete die Furcht ihre Besorg-
nisse. Das sinnlose Eob gutmüthiger
Schwärmer, die nie bedenken, „wie viel
argen Folgerungen sie die Bahn zei-
gen," gab neue Weisthümer — ,,das ge-
fährliche Haupt mächtiger Verbindungen,
oder wenigstens den kühnen Voitreter
des wieder erwachenden Geistes in ihm
zu ahnen."
Man glaubte, er würde fordern: er
forderte nicht; um so gröfser schienen
seine Ansprüche. Ihn zu versuchen, ihn
zu fesseln , trug man ihm eine Stelle im
Heere an. Zweydeutig sollte er wer-
den, oder ein Eigenthum des Siegers,
seines freyen Fluges beraubt durch ge-
häufte Dienstbarkeit, sich selbst verra-
thend, oder ein unw iederbringlicher Ver-
brecher gegen sein Volk.
Schwer war die Lage.
Divis Vater, der ihn für zu klug hielt,
,,um wirklich an der Thorheit vertil-
teter Meinungen zu hangen, benutzte
wenigstens die Schrecken des Argwohns . .
um seinen Eintritt in das Heer, „als
ein Sühnopfer für Divis vielleicht nie
ganz vergessene Handlung," zu beschleu-
nigen. Tiefer und von jeder Seite Jer-
mas Gemüth zu ergreifen, heuchelte er
Reue für sein bisheriges Betragen,
zeigte, „wie nur eine liolie Stelle im
„Heere, wie nur Zutrauen und Macht,
„durch Nachgeben und Verstellen erreicht,
„tief liegende Möglichkeiten einst ver-
„wirldichen konnten," oder, ,, welche
jjgrofse Fortschritte von ihnen beiden
vereint sich hoffen liefsen."
Immer einger zog er ihn in die Leiden-
schaft fiir Divi, durch tausend Handlun-
gen der edelsten Art, die er sie thun liefs ;
durch die künstlichsten Veranlassungen
. . . „ihres Geistes innerste Falten in aller
Macht des höchsten Reitzes zu enthüllen,"
suchte er seinen edelnSinn zu verstricken.
Divi selbst, in ihres Vaters Meinun-
gen getäuscht , verrieth sich und ihren
Geliebten in manchem abgelockten Worte,
und knüpfte neue Faden des Gewebes,
viele Ursachen ihres nachmaligen Schick-
sals. Sie umgab Jerma mit den Hoffnun-
gen ihres schwärmerischen Geistes; die
Rückkehr eines Vaters zur Tugend stand
in heller Gewifsheit vor ihr — des weib-
lichen Herzens schönster und gefährlich-
&i.er Wahn - - - ,,dafs seinen Thränen,
Sfcinen Bitten auch der veraltete Böse-
wicht sich nicht versagen könne." Die
Eitelkeit einer guten Seele ist der Glauhe,
,,dafs ihre Macht unw^iderstehlich sey
im Dienste der Tugend."
O Jerma , vrelch ein Geist war dir
noth, eigner Wahrheit treu zu hleihen
unter solchen Verhältnissen! Wie leicht
vergifst man beym Zauber fremder Tu-
genden den ersten Grund seiner eig-
nen . . . Standhaft iglieit für das
E r k a n n t e ! Welche HolFnungen für das
Gute schienen dir olFen ! - - - Nähe des
Königs — Macht des Einßusses — Ver-
trauen der Zukunft, die in tausend Ge-
stalten schmeichelte ! Ein minder bestimm-
ter Geist hätte sich betrogen : dein gera-
der Sinn, dein Widerwille gegen jede
zweydeutige Handlung, gegen alles Ab-
rungene, gegen alle aus liohn und
Selbstheit handelnde Wesen, deine Men-
schenkenntnifs sicherten dich.
Von dem Tage der Kampfspiele an war
mein Auge unablässig auf ihn gerichtet.
Zitternd fürchtete ich den Ausgang. Ver-
zeiht es, Jünglinge, wenn das Alter oft
schwach ist an Vertrauen auf euch. Es
fordert die Kraft eines glücklichern Le-
hens als das meine, „sich gei^enwärtig
zu bleiben in den Erinnerungen unsers
o
eignen jugendlichen Muthes."
Ich suchte ihn auf, um ihn zu unter-
stützen : er trat mir entgegen, vorberei-
tet, umfassend alles, was ihn umgab
und bedrohte. Eine selige Stunde der
reinsten Entschlüsse erneuerte unsre vo-
rige Verbindung. Seine Seele lag offen
vor mir. Er sprach : Au nehmen —
,,was der Schein mir bietet, erfüllen —
,,was man verlangt . . . wäre es etwas
anders , als mich hingeben in fremde
„Gewalt? Kann ich mir schmeicheln, nur
,,zu wirken, was ich will? kann ich
,,mir schmeicheln , einen König zu len-
,,ken, oder dem liundertäugigen Eigen-
nutze meine Absichten zu verbergen?
„INichts habe ich mehr in mir zu bekäm-
,,pfen gesucht, als jenen Selbstdiin-
„h e 1 unsrer Kräfte, ,,cler das Unwahr-
scheinliche wagt, weil er den Namen
„Tugend" wie eine Zauberformel be-
trachtet, die Geister unterthan macht,"
,,oder sich selbst - - - ,,als den Günst-
,,ling einer Macht, die den ewigen Bau
,,des Guten auf sein Daseyn gründete."
Ich kann v i e 1 1 e i c h t Gutes wirken;
,,aber auch Meinung und Muth besserer
,, Menschen zerstören, da ich nicht
,, allen mich offenbaren kann ! ein gefähr-
liebes Eeyspiel gebrauchloser oder
,,zeitkkig doppelsinniger Tugend für
„Schwache, wenn ich gelähmt, verstrickt
,, gehorchend, ein Werkzeug fremder Un-
,,gerechtigkeit — unnütz verloren gehe,
„sobald ich geheimen Argwohn durch
,, Widersetzlichheit bestätige, oder, um
„meine eigne Tugend vielleicht einst
,, betrogen, als Bösewicht fortschreite,
,,wo ich als Irriger eintrat? — O Anir,
„welch ein Scheideweg steht mir ollen
„zwischen Verwegenheit oder Verza-
„gen?" —
Kein Mittel schien uns übri^. Ich
brachte ihn hierher. Er lebte, wie ihr,
mit Erithrama , sein geliebter Schüler:
er lebt mit uns, nicht verloren für
eine thatigere Zukunft, der Gegenwart
eines unheilbaren Volkes entrissen.
L)ivi, die ich nicht genug kannte, um
nicht ihr ^^ iderstreben oder irgend eine
Übereilung zu fürchten, die Jerma selbst
nicht unbedacht in sein Schicksal verwik-
keln wollte, schien ihrem Vater mitwis-
send in seiner Entfernung : er forderte
ein Geheimnils, das sie nicht bcsais. In
zu kühnem Vertrauen hatte sie ihre
Gesinnungen gezeigt: die Besorgnisse
des Verdachts, aus ihrem Betrafen auf
ihn selbst geworfen, forderten ein Opfer,
Schonungslos gegen ein Kind, das seinem
Emporsteigen drohte, konnte ein solches
Verhältnifs — nur durch Verstofsung
enden.
594
Seine Berecbnimg hat gefruchtet. Grös-
ser wird er täsiich durch Frevel ^eeen
O DO
sein Volk. Die Bahn , die Elkannar zur
Wichtigkeit nahm , ^eht ins Unendliche.
Er ist der kälteste Doppelzüngler jeder
Meinung. Er spielt im Verborgnen , vor
den Ohren des leichtgläubigen Unglücks —
die Rolle des Patrioten , der „nicht sein
selbst, sondern seines Volkes Vertreter
zu bloiben, " das Gewand der Abtrünnig-
keit nahm; er tröstet, erhofft, er klagt
die Gebrechen des Vergangenen an: so
wird er, in vielem nicht unwahr, und um
so täuschender, der Lobredner der sie-
genden Nazion und seiner selbst. ,,Ihr
,,Joch, spricht er heuchelnd, sey die
Rache verletzter Sitten ; ihre Siege, das
einzig wieder herstellende, wenn gleich
,,herbe^ Mittel veralteter Schäden. Laster
hätten uns unfähig gemacht, uns selbst
,,zu regieren; der bessere Zweig fremder,
„kunstloser Tugend sey uns nöthig gewe-
„sen, den verdorbenen Stamm zu ver-
„edeln. Tn der Kraft ihrer kriegerischen
, »Strenge erwache die unsre: die Weich-
,.lichkeit seufze, aber sie ersterbe aucli
„unter ihrem männlichen Drucke. AVer
,,also den Eroberern die Hand reiche, führe
,,das Gute der Vergangenheit unter den
„L/eiden kurzer Tage zurück. Entbeh-
„runji; sey nur ein kleines Opfer für un-
,, entbehrliche Belehrung , verlorne Gemäch-
,,lichkeit des Einzelnen nur ein schuldiger
,,Eeytrag zur Glückseligkeit des Alls.
„Wenn widerstrebender Eigennutz, oder
,,die gedankenlose Verehrung des Alten —
Bedrückung nenne, was nur nothwendi-
.,ger Fortschritt zur bessern Erziehung
„eines Zeitalters sey; so müsse Er frey-
,,lich ungerecht scheinen, oft hart und
,,oft unerbittlich. Aber der ächte Freund
„seines Landes ertrage und verachte Vor-
,,wuirfe beleidigter iMeinung. Selbstüber-
zeugt und fest im Bewufstseyn seiner Ab-
,, sieht, mit leidendem Herzen aber heitrer
Zukunft, wandle er im Bunde der Sieger,
„glücklich — sie zu überzeugen, dals
„doch einige seines Volkes Wahrheit zu
59Ö
„erkeniiCn vermochten; glücklich —
,,in dieser Ergebenheit auch wider Wü-
llen der Lebenden das Glück der INach-
kommen zu gründen.'*
Welch eine glücklich erfundene Form
für alle, die ihm nachahmen wollen; für
alle zagende Gewissen , d/c am Raub des
Unrechts so gerne selbstberuhigt zehren;
oder für jene kühnern Geister, denen gemifs-
brauchte ^Vahrheit die sicherste Stütze
ihrer Gewalt clünkt!
Da Elkaiuiar nicht wufste , wie viel aus
Wydarnas Umgang sich Divis Gesinnun-
gen entwickelt hatten , bot er ihr Tochter-
.stelle an. Aber sie folgte einer Freundin,
und verachtete das Glück aus solchen
Uänden.
Ich rettete beide , die ich nie unbeob-
achtet gelassen, unter fremden Namen hier-
her. Seitdem bewohnt Jerma , wenn er
Mufse hat, dieses Haus. Hier sehen sie
sich , wo. der zarte Schleyer Verborgen-
heit ihre Liebe verschönert. Hier lebe ich,
wie ein Mensch unter Menschen , die die
Yj-
i^lainine innrer Wahrheit unverlöscht ge-
tragen Laben ob den Stürmen des Lebens.
Und so lebte auch ich, mit Kaiser Sehn-
sucht der Liebe, die ich in all ihrer Würde
vor mir sah ; in der wohlthätigen INähe
von Wesen, die mit hellem Gemüthe Irr-
thümer überwunden hatten. Jeden dritten
Morgen waren wir hier , Dya und Tibar,
meine Gefährten. Eine fröhliche Eile der
schönsten Erwartungen führte uns hin zur
Stärke für Tage — im Anblick unbestimm-
ter Menschen zugebracht. Unter der Last
ihrer eitlen Demuth , ihres Knechtsstolzes,
ihrer zaghaften Entstellung alles Grofsen,
ihrer ängstigen Zerstücklung alles Kühnen,
Freyen und W ahren in die kleinen Beerilfe
ihrer Selbstheit, hatten wir gealtert: an
der Übereinstimmung alles Guten und
Edeln verjüngte uns dann wieder die
Glückseligkeit unsers einsamen Umgangs,
wo Vertrauen und Mifs trauen unser
selbst — weise gepflegt unter freundlichen
595
Händen, empor keimte; wo manches Übels
verringerte, manches Heilentwurfs verän-
derte Gestalt, mancher ernsten Kümmer-
nisse lächerliche Nichtiokeit — uns klar,
manche Hoffnungslosigkeit unter gemein-
samer Erwägung — in ihren Gei^enmit-
teln zum sichern Entschlufs ward.
Zu kurz hatten wir noch im Gewühle
der Menschen , unter den niederheucrenden
Verhältnissen unsrer Zeit gelebt ; durch
lange hedrücktej ugend theuer erkaufte
Wahrheit war Jermas, Anirs und seiner
Freundinnen Vorzug.
Muthiger kehrten wir dann zurück an
unsre Beschäftigung — Gehülfen Erithra-
mas; . . . um das Innere aller Ankömm-
linge dieser vordem Thäler — die man
seit einigen Jahren in grolser Menge , zu
besserer Prüfung abgesondert, hier aufge-
nommen hatte, ihre Fortschritte, ihre
Empfänglichkeit, Hoifnvingen, die sie ga-
ben oder nahmen, zu berichtigen. Mehr
entwickelte für höhere Verwendung
/.u bemerken; für eine zu gehäufte
.^99
Zahl , um ohne feste Verfassung zu
leben — die schiclvliciiste zu ordnen . . .
war Eritlnamas Sendung; Bildung unser
selbst für Itünftige Geschäfte — ein erige
verbundener Zweck.
Wie junge Arzte zum erstenmal berufen,
standen wir am Siechbette der Menschheit,
voll Willen, voll Mitleid, aber in
desto gröfserer Verlegenheit unsrer Mit-
tel, je mehr wir ihrer kannten.
Edlere Ankömmlinge hatte man in die
Innern Thäler aufgenommen: nur Leute,
durch keine Handlung, keine höhere Kraft
ausgezeichnet , bey Landbau , Handel und
den täglichen Gewerben der Nothwendig-
keit hier versammelt. Einige Reiche,
die der Stolz hierher getrieben hatte , leb-
ten nach der W^eise viel begehrender Men-
sehen : nur in vielfachen Erwartungen,
nur in der Furcht der Macht, die aus
dem Innern der Gebirge geheirnnifsvoll
drohte , gab man ihrem Geiste eine leid-
liche Stimmung. Aber die Ungeduld eines
schneW eriiollten Glücks nagte an den Ban-
den, die sie hielten; ein Schwärmer, im
Wahnsinn seiner Vorbildungen , jeder Arg-
wollende konnte sie zerreifsen: es war
Zeit, die Stelle mangelnder Tugend durch
eine äufsere Gewalt zu ersetzen. Welch
eine Aufgabe für Erithrama , welch eine
Schule für uns . . . allzu hohen Jugend-
geist in demüthige Erfährung zu verwan-
deln !
Uns selbst überlassen in freyer Vollzie-
hung, gab Erithrama uns seine Auftrage.
Wortkarg und ernst, unser Richter mehr
als unser Helfer, erwartete er die Berichte
der Ausführung. Wie glücklich mufsten
wir seyn, im Schoofse rathender Freund.
Schaft die Quellen unsrer Sicherheit und
seines Beyfalls zu finden!
W^ir klafften jetzt, und fanden in späte-
rer Erkenntnifs sein Betragen gerechtferti-
get. Wären nicht seine Anweisungen
uns — Gebote, seine Ausführlichkeit —
ängstige Vorschriften geworden? Hätten
wir nicht en^ und stolz nur Buclistaben
eines fremden Willens zu seyn uns ge-
v/ölint, Scbmeicliler in wörtlicher Genau
keit, lohnsüchtig - ehrgeitzig, flicnsthar-
gedankenlos im Lächeln eines Gehieters?
So kannte er die Menschen. Aber aus
eigenem Denken hen-orgehend — uns
selbst, nicht ihm, sollten wir Dank wissen
für das, was wir leisteten, und überall
auf eignes Vermögen und dessen höchste
Ausbildung, als den einzig sichern Fiib-
rer in allen Fallen des thätigen jLebens,
sehen lernen. Wo ein edlerer Zweifel
uns selbstmifstrauisch machte, sollte kein
Faulpfad fremder Vorschrift uns jene zwey-
deutige Ausflucht öffnen, die ,, aus Knechts-
gehorsam gegen irrige Befehle zur Beruhi-
gung eigner Schuldlosigkeit führt. "
Zweifel an uns — sollten das Vertrauen
auf andre wecken; das Bedüifnifs eines
freundlichen Rathes — uns an die Ver-
bältnisse Edlerer knüpfen, um in Wechsel-
seitiß-keit und Liebe, an der Hand einer
leitenden, frey belehrenden Freundschaft —
Dya-Na-Sore i. Tli. • 26
^02.
Gewllshelt, in der Mktheilung —
besclieidene Gröfse, und jenes schön-
ste Geschenk iinsers Daseyns zu linden - - -
Selbstachtung auf Achtung für andre
gegründet. So führte er uns zum richti-
i^en Verstand jenes immer geraifsdeuteten
Spruches: „Man müsse zu gehorchen wis-
sen, Hin zu gebieten;" das heifst : man
üsse in s e 1 b s t ü b e r 1 a s s e n e r Ausfüh-
iiinfT fremder Auftran^e lernen, wie we-
II ig im Gange der Ereignisse sich vor-
aus bestimmen lasse, wie viel vom
Werllie des Augenblicks und dem selbst-
denkenden Geiste, des Einzelnen abhänge,
lun einst den I'ehler gewöhnlicher Befehls-
haber zu meiden, die nichts ordnen,
weil sie zu viel ordnen.
„Warum sind" — sagte er mir in einem
spätem Gespräche — „derer, die gebieten
,, können, so wenige? so wenige derer,
„die in der Erkenntnifs des menschlichen
,,, Geistes — Vertrauen, im Vertrauen —
„das genaue Mafs jeder Vorschrift, im
„Wlannigfaltigen das Vereinende, in
403
, ^tausend fieyen ILmdlungen ihrer ünter-
,,gebenen — den ^Veg zum Ziele zu fin-
„den wissen? die beseelen, statt zu zvv än-
,,iyen, die in sell)Stgcdac}iter Ubereinstim-
„mung gemeinsam handeln machen, statt
,,in die Einröimigkeit einer \vi]]»fnlosen
,,Eewegung ihreGröfse zusetzen? Warum
„sind die meisten A''orschriftler und keine
„Gesetzgeber, Ubungsmeister uva\ keine
Heerführer ? warum behandeln sie Blen-
„schen als Kinder, und sich allein als
„Wortführer jeder Einsicht? warum krau-
„kein die meisten an der Eitelkeit, „auch
j^das Kleinste vorzeichnen zu wollen, wo
„ilir Stolz sich zum Gröfsten erheben sollte
„. . . zu entwerfen und zu vollenden?^*'
„warum wollen sie den Schmid seinen
„IIa Himer, den Tischler seine Säge führen
„lehren;, da doch jedes Handwerks A n-
jjWendung, nicht das Handwerk
„selbst, und dafs jeder leiste, was er
„soll, — nicht wie, des Baumeisters
„Wissenschaft ist? — Auf tausend ähn-
„liche „Warum" kenne ich nur eine einzige
„Antwort; Weil die meisten, «iclit diircli
„die Natur, sondern durch Zufall und Ver-
„Laltnisse zu Befehligern erhohen, aus sich
,,selh&t und ihren eigenen Gebrecheii , wie
„aus einem unreinen Spiegel, die verach-
„tenden Vorhildungen der Menschheit
„schöpfen. Schwach und eng — sieht ihr
„dürftiger Geist nur das vorübergehende
„Einzelne; wie sollten sie hohe Umfassung
„in andern vermuthen? Schwach und
„unfähig scheinen ihnen alle, denen sie
„gehieten, und die sich von ihnen ge-
„hieten lassen ; aher eine geheime Ahnung
zeigt ihnen dennoch in jeder Handlung,
„die nicht aus ihrem Gutachten ent-
5, springt, eine aufstrebende Kraft, die
einst sie heurtheilt. „Ein dunkles Gefühl
„lehrt sie, durch vervielfacht kleinelnde
„Vorschriften den Blick über ihre innere
„Leerheit hinweg ziehen, wie ein schlech-
„ter Zeichner lieber unbestimmt schattirt,
„als in einfachen Umrissen seine Unwissen-
„heit darstellt. Scheinbare Genauigkeit —
,,\vird ihr Prachtkleid; die Kunst, das
„Unberleutendste aufzufassen , und unter
„des Unbedeutenden Anhäufuno; zu betäu-
„ben — ihre niederdrückende Stiiike : und
„da in der Verworrenheit kleiner Gewebe
,,jede edlere Kraft sich am leichtesten bis
,,zur Muthlosigkeit der duiupfsten Abspan-
„nung hinab ängstet ; so siegen und lierr-
„schen sie im Spott aller kvüf ligern Natu-
,,ren, als Vorbilder und Gesetzgeber zuni
dauernden Übel der Menschheit; weil
,,nun selbst reicher begabte Jünglinge nur
„im Gedächtnisse, nie im eignen Nach-
„denken gebildet, aller reinen Schätzung
„der Menschen , allem freyen Gebrauch
), ihres Vermögens entzogen , entweder
jjwerden, was andre ihnen waren . . .
„Tyrannen der Meinung , oder beym
„Drang ihres bessern Bewufstseyns käm-
„pfend gegen das allumstrickende Verge-
„hen. Und so konmit es denn wirklich
„dahin, dats ganze Zeitalter sich aller
„eignen Thätigkeit unfähig wähnen; dals
„aller freye IMuth der Ausführung, alle
„eigne Bildung erliegt zwischen der Furcht,
4oö
,,die überall Kriiclcen ihrer unw isseiiden
,, Trägheit begehrt, und dem Stolze, der
,,sie p^lobt.
„Und so lernt denn in diesem Chaos
einer halb fähioen Menge, wie man gehie-
vten, wie man in selbstüberlassener Aus-
„fülirung — stufenweise Mündigkeit Iier-
„hey führen miisse. Freylich würde man-
„ches durch engere Vorschriften sclineller
vollendet; aber nur Selbstheit, die im
Glanz ihres Werkes triumphiren will,
„strebt nacli s c Ii n e 1 1 e r m Gehorsam
„mehr, als nach reifer Bildung künf-
„tiger Meister, denen auch unsre Fehler
,,zu höherer Vollkoinmcnheit werden.
W^ie wenig oder wie viel für diesen
Augenblick gewonnen wurde, kann Kri-
thramas Bericht an die , die ihn sendeten,
euch zei.2,en. Wenn Nachsicht und unei-
gennütziger Wille, wenn Menschenkennt-
nifs und ein Geist voll edleren Vertrauens
s o sprechen nuifste ; wie w idrig mufste auf
unsern jugendlichen Geist, der nach ersten
Findi ücken rasch empiindend urtlieilte, der
Anblick dieser LiPiite, die rTiirrprluld so
mancher verlornen Mühe, die tnusenclfa-
chen Hindernisse ihrer unbildsamen Ver-
schobenheit wirken ! Hört, was er schrielj.
„Teil habe ihren AV^alleniibungfni beyge-
W'ohnt — ein ärgerliches Flickwork der
ungefühltesteu Grölsel Ihre Seelen träu-
men von Ehre, ihr Wahn schul' sich ein
Bild des Krieges : was ihn zum erhabe-
nen Gedanken der edelsten Selbstl>ildung,
zur Ausdauer in Beschwerden, zum Sinn
der Aufopferung für Wahrheit und Rechte
macht, kennen sie nicht; ihr Muth und
ihre Fertigkeit sind Münzen ohne Werth,
denen nur die lloirnunoen des Fioennulzcs
einen veränderliciien Ujnlauf geben.
„Ich besah ihre Felder , ihre Gewerbe,
die Ordnung ihrer toglichen Arbeiten.
Uberall, wo Gemächlichkeit, wo Schim-
mer oder schnell eForilfener Genufs . . .
Versprechungen geben, seh' ich IVegsnm-
keit des Geistes: wo das Grofse in freyer
Bewunderung nur seine ^igne Wahrheit
zeigt, in den stol/.en Gefiihlen der Kunsit
4^8
und des Scliönen , schuf die Eitelkeit
sich ein erzwungenes Staunen ; viel
wissen — — die hindische Aufzählung
des Mühsamen, die ängstliche Beohach-
tuug kleinlich gewählter Hindernisse,
scheint richtige Empfindung.
„In ihrem häuslichen Leben liegt Uber-
druis unter den Lasten eines mühsamen
Ansfandes schlecht verborgen; innerer
Widerwille, der Entzückungen preist,
die der Hörende verlacht.
„Der Zufall, eine Laune, eine Ab-
sicht hat sie vereinigt : die Laune
schwindet, die Absicht ist erfüllt —
Ungleichartigkeit führt nun zur Abnei-
gung, die Nähe zum Ilafs ; jede Ver-
hindung wird Qual, denn nirgend bringt
ein edler Zweck . . . edlere Ubereins tim-
niung und Achtung lierA or.
,,Mit ihren Meinungen treibt ihre
eigne Eitelkeit ein heuchlerisches Spiel ;
sie wollen das Wahre nur des Schim-
meis w egen. Ihre Prahl sucht ringt nach
Tugend; das Urtheil und die Stimme
fies Tages ist das Gesetzbuch ihrer Hand-
lungen, und wer das Lächerliche in sei-
ner Macht hat, ihr Tyrann.
,,Uns achten sie in unsrer Macht;
mich, weil ich in eurem Namen ge-
biete. tfOh Gutes an meinem Vorschrif-
ten,'* wird nur nach der Leichtheit oder
Ijast ihrer Erfüllung berechnet; eine
dumpfe Furcht hindert ihr offenes Ur-
theil; der freye Muth der erfüllt, weil
er einsieht — ist hier nur berechnende
Folgsamkeit, die gehorcht, weil sie hofft
oder fürchtet.
„Noch sind sie um nichts über den
grofsen Haufen ihres Volks, den sie
verliefsen , vorgerückt, als in der mil*
dem Gestalt ihrer Fehler, in der Kunst
sich selbst zu betrügen, in der Abson-
derung ihrer vor neuen Verderbnissen
sicherern Lage; aber ihr Geist ist noch
derselbe. Zur Kraft edler Entschlüsse
fehlt ihnen alle innere Erkenntnifs : sie
suchen in der Tugend nur e;ine Glücks-
göttin. Der Stolz , „hierher geilüchtet
/j 1 o
zu haben/' ist das Einzige, was ilmcn
einige Selbstwiirdigung giebt; vielleicht
werden sie aber auch unheilbarer
durch den Stolz, den ihr Hierseyn ihnen
giebt . . . Ein Wagstück der beleidigten
Geinächlichheit scheint ihnen ein mora-
lischer Sieg, nach dessen Anstand mehr
als dessen AVesenheit sie gcitzen. Sie
seufzen statt zu wollen, und möchten
jedes Unrecht geniefsen , aber unter
scheinbarem Rechte.
,,Ich sehe hein Mittel zur Besserung,
als sie sich selbst, ihren ohne Scheu
los gelassenen Leidenschaften, der Ge-
walt ihrer eigenen Herrschsucht eine
Zeit lang zu üljerlassen. Ich habe ihnen
unser Gesetzbuch und selbsterwählte
Obrigkeiten gegeben.
„Der Betrug, der Wahn, die schänd-
lichste Verschleuderung der edelsten
Hechte, Gedankenlosigkeit, läppischer
Ehrgeitz, die heimlichen Verträge künf-
tiger Begünstigung haben diese W^ahlen
C,eleitet. Ich habe erklärt , dafs sie
o-anz ßicli selbst überlassen — Wohl
oder Übel ihr eigenes Werk seyn wiirdc,
und habe Wort gehalten. Sie haben
Schlangen zu OberhäuTitern und Wolfe
zu llechtspflegern genommen, die für
die liurze Zurüclilialtuiie; der schleichen-
den Gesuchzeit durch Hohn undT rotz
und kühne Verkäuflichkcit sich zu ent-
schädigen rechnen. Desto besser! So
lernen sie um so früher, dafs ohne
persönliche Tugend — das beste Gesetz-
buch nicht gegen Verdrehungen schütze;
dafs freye Wahl und eine eigene Stimme
im Wucher des Eigennutzes — nur oif-
nere Schändlichkeit und zunehmendes
Verderbnifs gewinnen.
„Foltern müssen sie belehren , die
J^'olgen ihrer eigenen Gebrechen sie de-
müthigen bis zur Erkenntnifs : „dafs
eine einzelne Handlung lücht genug sey
zur Tujiend ; dafs man nur durch strenp^e
Selbstbeobachtune; zur Fähiokeit edlerer
Kechte gelange." Dann mag ein glückliche-
rer als ich sie für das Bessere voibei eitet
finden. !Nocli sind sie unli eilbar im
AVahn ihrer Güte, und zu selbstzufrie-
den im Stolz ihrer Flucht."
Eine schnelle Botschaft an Erithrama
änderte unsern Aufenthalt. Jcrma, wurde
als Anführer der Jünglinge berufen, die
zum jährlichen Schutz der Reisenden
von Delhi nach Davard sich versammel-
ten. Er machte Tibarn, seinen Geliebten
in der Ähnlichkeit ihrer Gemüther, zum
Gehülfen seines Amtes. Dya und ich
wurden die Gefährten der Unzertrenn-
lichen.
Der letzte Abend in der stillen Woh-
nung Anirs erschien, seit dem Abschiede
meines Vaters der ernsteste, tiefgefühlte,
schönste. Jerma, Anir, Divi und Wy-
darna, Erithrama, Tibar, ich und die
angekommenen Boten waren beysarn-
men. Dya hatte alle Geschiiite unsrer
Abreise übernommen: er fand zu viele
. . . um hier seyn zu können. Es
4^3
schien ein bnideiliches Opfer fiir unsre
freyere Zeit: aber gerade dieses ängstige
Entweichen , diese ungewöhnlich lär-
mende Geschäftigkeit wurden mir Ver-
räther seines Innern. Er wollte den
Abend vermeiden, er fürchtete für seine
Kräfte ; er scheute den Blick , der ihn
errathen konnte , und längst erratheri
hatte ; er zitterte vor der entscheidenden
Gewalt des Abschieds.
Dya und Wydaina bey so viel innrer
Übereinkunft, durch so manche Erzäh-
lung vorbereitet — sich zu bewundern
ehe sie sich sahen , waren dennoch in
einem entfernten V^erhältnisse geblieben.
Seine stolze Seele sah sich hingezogen
durch Achtung und Staunen , sein Herz
drängte ihn näher; seine Meinung hielt
ihn zurück. Unabliängigkeit schien
ihm Gröfse des Mannes, Unabhängigkeit
von allem, aufser den Geboten des Ver-
standes, der für Wahrheit und Bestim-
mung entscheidet, alles Hingeben an
eine vereinzelnde I^eidenschaft — das
4i4
gefährliche ^Vagstdck dos Unhosonneilen,
Er selbst wollte er seyn, frey in jedem
Wollen und nie war er frey. Alles
ergrlE- ihn mit lieldenschart ; seine Tu-
gend, seine Yateilandslicbc waren nur
eine Geliebte unter verändertem Namen ;
ein herrschendes Etwas lenkte jedes
Streben seines Geistes. In glühenden
Gefühlen ergriff ihn das Daseyn. Ein
kühnes Bild, seiner zaubernden Einbil-
dung war seine Kraft.
Lange mir unerkliirljar , sali ich wie
Anir und Erithrania ein leises Spiel mit
seinen Empfindungen triei)en : im un-
merklichen Enthüllen jeder Treiflichkeit
zogen sie ihn immer näher an Wy-
darna ; in kühn entworfenen Bildern der
Männlichkeit entfernten sie ihn durch
den Selbstkampf seines Stolr.es.
Wvdarna ging mit stillem Blicke an
ihm voriiber, in schöner Zurückhältung,
und unerrathen ihm, der mm selbst nicht
errathcu seyn wollte. Edelsinn und
Selbstachtung hielten zwcy Genu'ither
4^5
ejitfernt. Selten begegneten sie sicli im
Gespräche : nur in verstohlncr aber desto
tieferer xlchtsamkeit sammelten sie neue
y^üge zum Bilde ihres Innern. Ein Leben
geräuschloser Ereignisse reichte keine
jener schnellen Veranlassungen dar, wo,
wie bey Jernia und Divi am Tage der
Wettspiele , alle Künste des Geheimnis-
ses unter überraschenden Stürmen dahin
sinken , wo Menschen vor Menschen
unverborgen stehen, weil ein himmli-
scher innerer Strahl alle Hüllen zerreifst.
Ein fragender Blick Wydarnas , ihr
Ilinstarren nach jedem äufsern Laute,
schien Dya an diesem letzten Abende zu
erwarten. Scheinbar unabsichtlich er-
zählte Anir, ,,dafs Beschäftigung für
seine Brüder und Freunde ihn dieses
Abends freywillig beraube. Eine Thrä-
ne ihres Auges, ihre Entfernung, da
der Augenblick unsers Weggehens nahte,
zeigte den Gram der Leidenden, die
errieth und bewunderte und sich selbst
verschliefsea mufste.
4i6
D)M fuiii- in sclineller Freude auf, da
Anir ihm Wydarnas Betragen erzählte,
und sank zurück in seinen Ernst, und
trieb sich nun noch ungestümer in das
Gewühl unsrer Abreise.
Härter als je und unerklärbar schien
mir Anirs Betragen, bis ich in anhalten-
der Beobachtung seine Gründe, von ihm
selbst bejaht, errieth.
„Tn zu kühner Einbildungskraft flog
üya über das Leben, an Erwartungen rei-
cher in jeder Sache als an Erreichen: bis,
Dichtunji durch Dichtunji verdrängt — der
O DO
Gram des Nieerlangten den unbefriedigten
Geist in die Stürme des ewig begehrenden,
immer v/erhsclnden Unbestands, oder zur
dumpfen Unthätigkeit der lebensmüden,
holTnunr/slosen Entsac-uns; geführt hätte.
An der Verzweiflung des betäubenden
Genusses, an finstrer Härte, an Wunder-
glauben, oder an der Verachtung alles
Daseyns , hätte vielleicht sein Schicksal
zerstörend geendet. Ein Etwas im In-
nern, ,,das, w ie des Wahren und Schönen
ewige Regel, gegen alle Zweifel fest
stand," vvarnoth, bis bestimmtere j\Iann-
lichheit ihn dem Zeiträume des wanken-
den Ungestüms enthob. Nur Menscheit
seltner Art — durch ihre Vergangenheit
grofs , der Einbildungskraft nalie, aber
wie Geister d^ allzu nahen Wirklichkeit
entschwindend, können unter dauernden
Beziehungen — Einheit, Haltung und
Gewifsheit in solche Seelen bringen.
Wydarna war eines dieser gUicklich be-
gabten Wesen: reich und fest bezeichnet
in jeder Fülle des edelsten Bewufstseyns ;
von unveränderlichem Geiste; kühn ge-
gen die Menschen ihrer Tage; behut-
sam und schwer glaubend und täuschurigs-
los aus früher Erfahrung, aber der Ver-
gangenheit edlerer Thaten treu aus zar-
tem , innigem Glauben an die Trefflich-
keit der menschlichen Natur ; allem Scho-
nen und Guten in stiller Begeisterung
offen, und aus hellem Verstände, auch
unter den Zweifeln des Daseyns, einer
bessern Ferne gewifs ; aber neben aller
D>a-Na - £üre x. Tlu * 27
4ia
Achtung der Menschlieit, voll Zuiiu-k-
haltung gegen den Einzelnen, bis an des
Guten sicherem Vertrauen ihre Seele
sich aufsclilofs.
Schönheit war ihr eigen, eine hohe
Gestalt, Formen der reinsten Bedeutung.
Ihr Blick entschied: Begeisterung ging
von ihm aus. Frey und grofs in jeder
Bewegung, heiter in anspruchloser Stille,
und hinreilsend, wenn ihre reine Stimme
sich an Gefülile des Herzens drängte — -
war sie werth, Dyas herrschender Genius
zu werden. Aber nur in der Ferne , nur
als Wesen der Einbildungskraft durfte sie
ihm erscheinen, um dauernd und zufalllos
das strahlende Bild in der Nacht seiner
Irrungen zu bleiben. Wenn das Leben
in seine Leere ihn hinab rifs , sollte ihr
Andenken ihn umgeben mit der Zuver-
sicht des Erhabensten. Die Ruhe, die
Beharrlichkeit eines weiblichen Vorbildes
sollte den Wetteifer der seinigen wecken.
In der festen Hinneigung seiner Thaten
nach den ihrigen sollte er sich treu und
foli^ereclit bleiben lernen. Darum mufste
Erwartung zwischen beiden stehen , aljeu
kein Erreichen; Wünsclie, aber kein Be-
sitz ; die Zukunft eine Aussicht, die Ge-
genwart ein dorthin gerichteter Pfad.
Weit lagen schon die Spitzen um Anirs
Thal zurück; unsrer Blicke Sehnsucht
mit jedem erstiegenen Gipfel. Ach so
langsam und schmerzend scheint
jeder Weg, wenn das Verlassene aus der
Ferne winht, wenn die Stunde kommt,
und das Gewohnte nicht! Warum malt
die Erinnerung schöner als die Gegen-
wart? warum ist ein entbehrtes Lächeln
uns werther als ein wirkliches '? - - Man
sagt, der Mensch sey thoricht; aber - - -
unser Ge dächt niTs sind wir selbst,
und seine Bilder ein Ganzes; was uns
u m g i e b t , ist nur eine Erscheinung, die
punktenweise zwischen Augenblicke ze;-
fäUt.
420
Fester als icli glauLte, fühlte ich melr.e
Seele an das Vergangene der letzten Zcii
geheftet. Nicht die Menschen allein —
ich hatte ja Jerma und meine Erüder —
au ch jene Verhältnisse des Orts und der
Art, die uns vereinigten, werden ein
Ganzes , dessen Gewohnheit nur unter
Schmerzen zerreifst.
AVas uns am meisten hedriichte, war
Erithramas Ah\'\^esenheit. Aus langer
Übung der BerührungspLiiikt. unsrer Ge-
müther — hätten in seiner Gegenwart
unsre Empfrndungen sich minder verein-
zelt.
Welch ein Iläthsel ist der Mensch! —
Er klagt, ersucht fremde Theilnahme, und
verbirgt doch nichts sorgsamer als die
Quelle seiner Klagen ; der Zutraulich-
ste wird verschlossen , der Jüngling ver-
läugnet sich seinen Gefährten ; des Kum-
mers erster Begleiter — ist Furcht.
Nur einem lange in freywilliger Unter-
ordnung verehrten Geiste höherer Würde
enthüllt sich das Herz, das allenthalben
Alifsdeutunn;, und nur In reiner Vernunft
<]ia Fähinkeit erwartet . . . ficrecht iiher
den Ursprung fremder Schmerzen zu rirli-
ten , zu trösti^n , oder zu Iressern.
Nur in der gemeinscIiaftHclien IN älie eines
solchen Wesens aufgebh'ihtes A ertrauen
lianii Jünglinge in männlichen Jaliren
einst zü wechselseitiger OlTenheit binden,
wie auch uns einst Erithramas Andenken,
lind der gerechte Werth, in dem er uns
betrachtet hatte, ward. Noch aber waren
wir zu neu, ohne seine Gegenwart
uns ganz zu erkennen; noch schien im
kerlntnifslosen Wahn der .]u<Tend „jedem
sein Kummer zu grois , fremde 3.''assung
zu ungleichartig;'* nur Spott oder Wi-
derspruch erwartete er von andern. Der
Stolz, durch el.'ine Kräfte scark zu schci-
nen, hielt uns verschlossen.
Schön war der Tag, so reicli und so
wechselnd! ein zaubernder Gebirfrwe«;!
*) Selbst der Gloube, dafs vor ciiiem Lbircli«
diingeuden Auge -- ZiiriickiiaUcn mmüir. scy
und beleidigend , sciiUefset nuf.
422
Aussicliten hoher Ferne! alles was in
Bewunderung ergreift, selbst der Zweck
imsrer Reise, alles konnte uns nähern;
aber einzeln und in persönlicher Ein-
schränkung auf das Vergangene, blieb
jeder auf seinem abgesonderten Pfade.
Ein mühsam angeknüpftes Gespräch, zur
Entschuldigung eignen Stillschweigens
inehr versucht als gewünscht, endete
am ersten l.leinen Hindernisse. Jeder
enge Weg, für Einzelne nur gangbar, war
uns innerlich willkommen.
Jermas Auge starrte hin in die Besorgt-
heit um eine trauernde Entfernte , in das
Ungewisse seiner Rückkehr, in die Ge-
fahren seiner Stelle, die er kannte. — ■
Eine nur für den Augenblick vereinigte,
vielartige Menge über ein Räuberland
tausendfacher Schlupfwinkel zuführen - -
welche Verwicklung von Zufällen und
Sorgen, welch ein Feld der unvorgese-
hensten Hindernisse! Er verschlofs sich,
um uns nicht zu Theilnehmern seiner
Unruhe zu machen. Hätte er nicht,
4^3
v»/ohlthätiger für uns, iinserm fluiiipfcn
Grame in der Mittheilung seiner Bjesorg-
nisse eine hellere Wendung gegeben?
Liegt nicht jeder Schonung die Idee Ireni"
der Scliwüclic zum Grunde? ,
Er las in Dyas Gesicht die Bctai^hung
einer sich selbst hatim klaren Ijciden:
Schaft: wäre nicht Aussicht auf Gefahren
einer bedrückten Seele neue Spannkraft
geworden? In der Reue des Vergange-
nen grollte Dya : in so mancher Erinne-
rung erschien ihm jetzt Wydarna, jede
unergrilfene Annäherung, jede Stunde,
da durch die blindeste Unentschlossenheit
sein Geist dem ihrigen sich verlang.
Jetzt hätte er — entscheidender
gesprochen, und jetzt war alles — entflo-
hen. Im Wechsel, im Widerspruch sei-
ner selbst und seiner Bilder, bald untheil-
nehmend verschlossen, bald auffahrend
in derGluth drängender Gedanken, verlor
ejr sich oft weit in trägem Gange hinter
uns, dafs man ihn aufsuchen muiste ; oft
trieb er uns alle im ungestümen Fluge
vorwärts nach dem Ziele unsrer Reise.
Til)ar allein, am Vergangenen w e n i g*e r
als am liünft.ieen hangend — Lliel) sich
glei'ch: aber hingezogen in den Umfang
der Gemälde, die er sicii zusammensetzte,
aus allem Einzelnen unsrer Aufenthalte
in der Stadt, bey Erithrama, bey Anir,
lind 'den Wahrscheinlichkeiten unsrer
jetzigi3n und weitern Bestimmung, ging
auch -,er 'einsam" seine Bahn; aber reich
für die Folge und glücklich, dafs ehe das
Verflosseile in unabsehbarer Weite , ehe
Kenntnisse allzu gehäuft die Erinnerung
verwirrten — sein Geist unter bestimm-
ten Beziehungen einem Augenblicke zuge-
drängt wurde, „der das Gesehene in Ent-
schlüsse und Gesetze, das Erfahrne in
die reinen Resultate seiner Anwendbar-
keit verwandelte/'- Nur nach solchen
Zusammenfassungen zum Ganzen können
wir zu reinen Verhältnissen mit uns selbst
und dem Daseyn gelangen. Wie ein Feld-
messer späterer Gesichtslinien durch eine
dfste gemessene' sich veisiclic?t ^ so wird
auch uns dann alles Ilinzakoirimcnvle nur
Erweiterung , nichfs vöifel^iizche Neulielt.
Wönige fuhrt' ihr heohachtender Geist
dahin, aus sich st?lbst ein Ganzes zu
machen .'. . durch eiVi' klares Aneinan-
derreihen:- ihres ' jetzigfen^ und ' vorigen
Zustandes. ' ' 'A4l«n-^tritt nur , was Eitel-
keit oder hcrrscheaide Neigung ihnen
darreicht« schimiaaQpnd und al^gerissen
aus ihrem Lehen hervor. Wenige ent-
gehn im ^ Umgänge tief -Verehrter Men-
schen (ditrch Glück oder eigne Haltung)
der einzi'Ten Gefahr dieses Umoanjis —
— d u r c h allzu langes Verharren
unter d e r . G c w a 1 1 fremden Gei-
stes die M ü n d i g w er d u n-g ihres
eignen zu verlieren. Darum sind
der wahrhaft thätigen Menschen so we-
nige : allen schweht eine dunkle Rück-
kehr des Einzelnen vor Augen, und
ehen so einzeln , so folgelos und so un-
bestimmbar erscheinen auch ihre Thaten;
gleich Meteoren , bald hell und bald in
Grau verwölkt.
Darum ist reine Selbstständigkeit *)
so selten und Selbstdiinkel **) ihr Ersatz.
Selbstständigkeit — jene innre Gewifs-
heit dessen was wir vermögen; * * * j
Selbstdünkel — d^s ewig Irrenden Wolke
über den wahren Gehalt seines Innern,
die bald aus fremdem Liebte leuchtet,
*) Das reine Verliältnifs unsers Selbstmifs-
trauens und Selbstvertrauens zu unsr«: Schwä-
che und Stärke.
**) Dieses sonderbare Zwittergefühl ewig
an sich irrer Menschen . . . alle eigne Gewifs-
heit aus fremtlen Stimmen zu ziehen, und den-
noch bey jedem Tadel eigne Einsicht über
fremde zu setzen , das in kleiner Nachahmimg
sich grofs scheint, und den Glanz seines Vor-
bildes für eignen hält.
***) Wenn der unparteyischa V e r g l e i c h
. . . unsrer Kräfte mit nnserm Zwecke — aus
vorigen Handlungen gezogen uns das reine
Bild unser selbst, ein strenges Urtheil über
das Innre unsrer Triebfedern und ein bestimm-
tes Gesetz „für alles, was wir wagen oder nicht
wagen dürfen/* g i e b t.
= 427
bald fremdes Licht in ihre eignen Ne-
bel verdunkelt.
Tibar hatte im einsamen Fortschritt
unsrer Reise den Raum eines langen
Tages und einer Nacht für seine Uber-
legung. Entschieden für Schicksal und
Zukunft, der Wahrheit seines Willens ge-
wifs, öiTnete sein Herz sich der Ruhe, die
heller Selbstkenntnifs nie mangelt. JMit
festem Sinne ergriff er, was ihn umgab.
Als Dichter und Krieger beschäftigte
ihn die Gegend, die wir durchzogen.
An hoher Schönheit erweiterte sich sein
Geist. Prophetisch sah er die Zeit, da
in Thälern voll edler Bewohner — Berge
wie aus dunkler Vergangenheit empor stie-
gen zum Glanz unsterblicher Thaten , Fel-
sen sich krönten mit ihren Denkmahlen,
und Gröfse des Menschen in schöner Blü-
the hervor träte aus der grofsen Natur.
In der Verwicklung der Berggänge
zeigten sich ihm dann w^iederum die
Gemälde des Kampfes, der Gebrauch und
die kriegerische Wichtigkeit jeder JLage. — -
423
Uimieiklich zog er uns rliirch Fiiio^eu
und Bemerkungen an äufsere Beobach-
tungen, unmerklich ward er der Berüh-
rungspunkt," an dem unsere kranken
Seelen sich samniel'ten.
''■©ya erwachte zu Kriegsruhin" und'
Heldenträümerl. Wydar h in Andenken-
verwandelte sich in lloihiiuntiGn de>r Zii-
Itutift. Aller Wünsche Heftigkeit erhob
sich im Stolz- ihres Beyfalls. Ferne ZeU
ten wurdeii nun sein Liichtkreis und
der unsere; > -
Erinnerungen des V'ergängenen nur
Hinweiser auf unsre Pflichten, und das
Andenken geliebter Abwesenden stand
in der Verherrlichung des Daseyns, wie
ein llegenbogen widerkehrenden Lichtes
über hinab ziehenden Gewittern.
•Wie "wenige verstehen wohlthätig zwi-
schen den Bekümmernissen anderer zu
wandeln?
Wie wenig ist überlianpt die Kunst, Kla-
genden Trost und Beystand zu geben und aus
ihrem Trübsinn^ sie zu ziehen, iiocli bekannt
Niclit Fröhlichkeit, ahcr eine tief aufge-
legte Leljhaftigkeit machte Dya wieder zu
dem, was er uns immer war . . . zuui gliickli-
cheÄ Triebrad unsrer Gespräche. Leicht
and geübt! Vielleicbt giebt es nur zwey Wege,
auf denen man einen jeden einholen , und nach
seiner eigenen VYoise mit ihm fortsciireiien
iniifs.
. I. Den Aufschhifs nnsrer eignen Leiden . . »
Wir selbst, als ein Rild fnilien Kummers und
unter der Wiederkehr innrer, unvergänglicher
Schmerzen erscheinend, theilen die Aufmerk-
samkeit. So tiilTt dann jenes bekannte: Sola-
men uiijeiis Jo.ios hahuissc nialoniin — nicht
aus innerer Bösartigkeit unsrer Natur, soniierii
aus dem einfachen Grunde ein, „dafs ein ge-
theikes Interesse der Stärke jedes einzelnen
etwas nimmt;" dafs der aus dem Mitleid
erwaclfende Wille, andern zu helfen, zur Be-
schäftigung wirdj und nach und nach auch
auf die Möglichkeit führt, sich selbst zu hel-
fen; dafs, so wie man aus Eigenliebe sich selbst
für leidend hält, weil man gut ist, nun
auch andre für gut hält, weil sie leiden,
und so theils ähnlicher Menschen und eines
gröfsern Zirkels von .Vertrauen und Mittliei-
lung sich erfreut, theils aus Allgemeinheit
430
empfanglich war sein Geist, her ueni eine
groise Empfindung oft nur wie heitrer
Scharfsinn klang, der im Spott feiner Lau-
ne, nehen aller Neigung zum schwärmeri-
des Elends als Loos der Menschheit, besonders
der Bessern , sein eignes minder schmerzend,
oder soi^ar mit Stoii als Adels brief innrer
Trefflichkeit betrachtet.
II. Der zweyte Weg ist die Einbildungs-
kraft des andern für ihre gewohnten Aufflüge
iinmerklich zu reitzen, und dadurch neben der
Mannigfaltigkeit der Ideen, i\eben dem wieder-
belebten Willen , auch hier vorzüglich den
Stolz . . . diesen Zwillingsbruder der Ein-
bildungskraft, zum Mitspieler zu machen.
Will einmal durch hohe Kraft £eaen un-
verdiente Leiden der Leidende glänze n, sich
rechtfertigen, oder das Unerreichte durch
kühne Ermannung erkämpfen; so bekommt
in jedem Falle der Wille, dieser erste Gegner
aller bedrückei^den Leidenschaften, Mitstreiter,
und der Mensch wird w ieder ein Ganzes —
durch die Vereinigung aller Kräfte zu einem
frey erwählten Ziele.
Überiia\ipt. was ist eigentlich das Schädliche
des Grams? Die holTärtige Ungerechtigkeit
jedes Lciiicnden, sicii , weil er allein seine
srlien — ■ gläd^lichen Sinne, meKrlaclite als
trauerte, Unarten der Menschen mit Gut-
sinn überdeckte, und trotz der tausend
Übel die er sah — doch immer lieben und
Welt mit dem Blick edler Würdigung und
dem Vertrauen eigner Kidi'te betrachtete.
JLeiden ganz ffdilt, auch zum alleinigen
Richter des Universums zu machen; die Welt
zu verlästern, weil seine Gehebte ilini heute
nicht hichelt; oder die Menschen für fühllos,
ungereclu und kitin zu erklären, weil sie in
seinen Thaten nicht das sehen, was er selbst
sieht.
Dieses zur fortdauernden Norm seines Be-
tragens dann angenommene Uftheil ...macht,
dafs er ewig einseitig, ewig ungerecht, Men-
schen ewig mifsverstehend und von andern
nüfsverstandin — alle Möglichkeit zur Wie-
derkehr verliert, aus allem Zusammenhane;e
gerissen, imuier mehr vereinzeh, unter Wi-
dersprüchen verliegt, und wahre Tliatigkeit nie
mehr findet.
Diese Verewigtmg, diese Verwandlung jedes
einzelnen Grams in eine mifsvcrstandeue Ge-
ringschätzung der Mensche» überhaupt —
ist das Übel, dem man vorbeuo:en muj's.
432 —
Und gerade durch den lappischen Worttrost
nichts sagender Zudiinglicakeit bringen die
meisten, die sich Freunde nennen, dieses Übel
erst hervor ; „denn sich nie verstanden sehen,
nie mit Menschen in wahrhaft menschlichen
Aufserungen zusammen treffen,** iat doch wohl
des GtAmes bitterste Vervielfältigung, und nie-
mand ist hoffditiger ... als der Leidende.