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Full text of "Eine experimentelle Studie auf dem Gebiete des Hypnotismus : nebst Bemerkungen über Suggestion und Suggestionstherapie"

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EINE  EXPERIMENTELLE  STUDIE 


AUF  DKM   GEBIETE  DES 


KYP  NOTISMUS 


NEBST  BEMERKUNGEN  • 


ÜBER  SUGGESTION  UND  SUGGESTIONSTHERAPIE 


VON 


DR-  R.  v.  KRÄFFT-EBITCG, 

O.  Ö.  PROF.  F.  PSYCHIATRIE  U.  NERVENKRANKHEITEN  A.  D.  K.  K.  UNIVERSITÄT  WIEN. 


Dritte  durchgesehene,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 


STUTTGART. 

VERLAG   VON  FERDINAND   ENKE. 

1893. 


SjIjSV.I 


5*1}, 


FROM-THE-FUND-BEQUEATHED-BY 


EINE  EXPERIMENTELLE  STUDIE 


AUF  DEM  GEBIETE  DES 


HYPNOTISMUS 


NEBST  BEMERKUNGEN 


ÜBER  SUGGESTION  UND  SUGGESTIONSTHERAPIE 


VON 
DR  m  ir.  KRAFFT-EBING, 

O.  Ö.  PROF.  F.  PSYCHIATRIE  U.  NERVENKRANKHEITEN  A.  D.  K.  K.  UNIVERSITÄT  WIEN. 


Dritte  durchgesehene,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 


STUTTGART. 
VERLAG   VON   FERDINAND   ENKE. 

1893. 


3%  l     ßU,.44' 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart. 


Vorwort  zur  ersten  Auflage. 


Ein  günstiger  Zufall  hat  Ende  October  1887  eine  zu  hypno- 
tischen Studien  ausserordentlich  geeignete  Persönlichkeit  auf  die 
dem  Verf.  unterstehende  k.  k.  Nervenklinik  geführt.  Soweit  es 
Rücksichten  der  Humanität  und  therapeutische  Gesichtspunkte  ver- 
statteten, wurde  von  der  in  seltenem  Masse  gebotenen  Gelegenheit, 
Fragen  des  Hypnotismus  zu  studiren,  im  Interesse  wissenschaftlicher 
Forschung  ausgiebiger  Gebrauch  gemacht.  Eine  klinische  Demon- 
stration der  Kranken  vor  den  Hörern  der  Klinik  Hess  das  hypnotische 
„Wunder"  in  ärztlichen  Kreisen  von  Graz  bekannt  werden.  Auf 
Ersuchen  des  Präsidenten  des  Vereins  der  Aerzte  in  Steiermark 
erfolgte  die  Anstellung  von  hypnotischen  Versuchen  in  diesem 
Verein,  wozu  sich  die  Kranke  indessen  nur  ungern  und  auf  Bitten 
entschloss. 

Ueber  die  vorgenommenen  Experimente  enthalten  die  Proto- 
kolle der  Versammlungen  des  Vereins  (Oesterr.  ärztl.  Vereinszeitung 
1888,  Nr.  1  und  2)  das  Wissenswertheste. 

Die  Kritik  dieser  Versuche  war  eine  verschiedene.  Während 
die  überwiegende  Mehrzahl  der  Mitglieder  dieser  hochansehnlichen 
ärztlichen  Gesellschaft  sich  dem  Eindruck  nicht  verschliessen  konnte, 
dass  hier  ächte  und  hochinteressante  Phänomene  experimenteller 
Naturforschung  sich  darboten,  wurden  von  anderer  Seite  sowohl 
der  Werth  der  angestellten  Experimente  als  auch  die  Ehrlichkeit 
des  Versuchsobjektes  angezweifelt  und  Stimmen  laut,  dass  es  sich 
hier  um  gewerbsmässigen  Hypnotismus   und  um  Simulation  handle. 


—     4     — 

Die  rueritorischen  Einwände  entsprachen  wesentlich  den  seiner 
Zeit  im  Schosse  der  Berliner  med.  Gesellschaft  gegen  Dr.  Moll 
erhobenen  (Berliner  klin.  Wochenschrift,  December  1887).  Neu 
war  nur  die  jedem  Kenner  des  Hypnotismus  sonderbare  Forderung, 
der  Experimentator  solle,  nachdem  er  die  Versuchsperson  in  Hypnose 
versetzt,  die  Ausführung  der  Experimente  einem  anderen  Experi- 
mentator überlassen! 

Den  Vorwurf,  dass  die  Persönlichkeit,  welche  nur  ungern  sich 
zu  den  Versuchen  vor  dem  Verein  der  Aerzte  hergab,  eine  Schwind- 
lerin sei,  muss  ich  unbedingt  zurückweisen. 

Ich  kann  die  landläufige  Annahme,  dass  alle  Hysterische  zu 
Täuschung  und  Simulation  neigen,  nicht  acceptiren.  Sie  wird  durch 
zahlreiche  Ausnahmen  widerlegt,  fusst  vielfach  auf  oberflächlicher 
Beobachtung  und  mangelhafter  Sachkenntniss,  indem  sie  autosuggestive 
unbewusste  Selbsttäuschung   mit   absichtlichem  Betrug   verwechselt. 

Die  Persönlichkeit,  welche  Gegenstand  der  folgenden  Beobach- 
tungen war,  scheute  die  Experimentation  und  Demonstration  und 
war  froh,  wenn  man  sie  in  Ruhe  Hess.  Ihre  Angaben  bezüglich 
ihrer  Vita  ante  acta  erwiesen  sich  bei  eingezogener  Erkundigung 
bei  Behörden  und  Privaten  als  wahrheitsgetreu  bis  auf  romanhafte 
autosuggestive  Ausschmückungen,  Erinnerungstäuschungen  und 
Lücken  ihrer  Lebensgeschichte,  die  durch  krankhafte  Bewusstlosig- 
keitszustände  ausgefüllt  und  nicht  erinnerlich  waren.  Die  Kranke 
wäre  die  vollendetste  Schauspielerin,  die  je  gelebt  hat,  wenn  das 
was  sie  bot,  unächt  wäre.  Ueberdies  müsste  sie  dazu  Specialstudien 
in  der  Schule  Charcot's  oder  der  von  Nancy  gemacht  haben. 

Glücklicherweise  bietet  überdies  der  Hypnotismus  als  eine 
biologische  Naturerscheinung  empirisch  klare,  wahre  und  objektive 
Symptome,  deren  Nachweis  entscheidend  ist.  Hoffentlich  liefern 
die  folgenden  Blätter  dem  geneigten  Leser  die  Ueberzeugung,  dass 
der  Verfasser  es  nicht  mit  einer  Betrügerin  zu  thun  hatte  und  dass 
die  folgenden  Beobachtungen  im  Interesse  der  Physiologie  und 
Pathologie  des  Nervensystems,  nicht  minder  der  Psychologie,  der 
moralischen  Heilkunde    und    der    gerichtlichen  Medicin   werth   sind, 


gelesen  zu  werden.  Unwillkürlich  gedenke  ich  des  Mottos,  das 
Braid,  der  wissenschaftliche  Begründer  des  Hypnotismus,  seinem 
berühmten  Werk  voransetzte:  „Unbegrenzter  Zweifel  ist  ebenso 
das  Kind    der  Geistesschwäche    wie   unbedingte   Leichtgläubigkeit." 

An  Zweifeln  hat  es  auch  bei  mir  anfangs  nicht  gefehlt.  Eine 
vielmonatliche  tägliche  Beobachtung  hat  mir  diese  Zweifel  benom- 
men und  die  Thatsachen  haben  mich  genöthigt,  den  Hypnotismus 
als  eine  höchst  wichtige  Quelle  für  die  Bereicherung  unserer  Kennt- 
nisse von  der  Physiologie  des  menschlichen  Geistes  und  der  Be- 
ziehungen zwischen  psychischer  und  körperlicher  Welt  anzuer- 
kennen. 

Bedeutsame  und  praktisch  wichtige  Thatsachen  für  die  experi- 
mentelle Psychologie  und  für  die  psychische  Therapie  werden  aus 
dieser  Erkenntnissquelle  nach  meiner  Ueberzeugung  fliessen. 

Auf  Grund  dieser  Ueberzeugung  glaubte  ich  im  Interesse  der 
wissenschaftlichen  Förderung  so  mancher  praktisch,  social  und  legal 
wichtiger  Fragen  auf  dem  Gebiet  des  Hypnotismus  das  im  Verein 
mit  zahlreichen  Collegen  Beobachtete  und  Geprüfte  weiteren  ärzt- 
lichen Kreisen  vorlegen  zu  sollen;  hoffend,  dass  durch  vielseitige 
und  vorurtheilsfreie  Kritik  der  Wissenschaft  und  Wahrheit  damit 
gedient  werde.  Zum  nicht  geringen  Theil  bestimmten  mich  dazu 
überdies  zwei  aus  dem  Folgenden  klar  sich  ergebende  und  für  die 
medicinische  und  forensische  Beurtheilung  jedenfalls  werthvolle 
Thatsachen,  nämlich  1.  dass  die  Phänomene  des  Hypnotis- 
mus psychisch-suggestiver  Natur  sind,  2.  dass  die  post- 
hypnotische Suggestion  zum  Entstehen  von  Autohypnose 
führen  kann. 

Graz,  im  Mai  1888. 


Vorwort  zur  dritten  Auflage. 


Die  vorliegende  3.  Auflage  ist  ein  sorgfältig  revidirter  Ab- 
druck der  2.  und  bietet  überdies  einen  Bericht  über  den  Krank- 
heitsverlauf bei  der  Patientin,  welche  experimenteller  Gegenstand 
dieser  Studie  war. 

Anhangsweise  hat  der  Verf.  seine  seitherigen  Erfahrungen 
über  Suggestionstherapie  in  einem  kurzen  Resume  niedergelegt. 
Möge  die  kleine  Schrift  auch  in  ihrer  neuen  Gestalt  sich  Freunde 
erwerben  und  zur  wissenschaftlichen  Klärung  einer  interessanten 
Naturerscheinung  sowie  einer  richtigen  Würdigung  der  Suggestions- 
therapie einen  Beitrag  leisten. 

Wien,  im  December  1892. 

Der  Verfasser. 


Anamnese. 


Am  20.  10.  87.  Abends  wurde  von  der  Sicherheitsbehörde  Graz  der 
Klinik  eine  Ungarin  Ilma  S.,  29  Jahre,  ledig,  Kaufmannstochter,  zur  Beobach- 
tung ihres  Geisteszustandes  übergeben.  Der  Anlass  zu  ihrer  Verhaftung  war 
ein  Diebstahl.  Die  S.  hatte  sich  vor  zwei  Tagen  im  Hause  Keplerstrasse  33 
eingemiethet  und  am  20.  10.  einem  im  Wohnzimmer  der  Quartiergeberin  Siesta 
haltenden  Bediensteten  eine  silberne  Uhr  sammt  Kette  und  Medaillon,  der 
Quartierfrau  überdies  zwei  Servietten  und  ein  Leintuch  entwendet.  Die  S. 
wurde  einige  Stunden  später  im  Gasthaus  zum  Schwan  von  der  Polizei  ausge- 
forscht. Man  fand  bei  ihr  die  entwendeten  Gegenstände  vor.  Sie  erschien 
geistesverwirrt,  wusste  nichts  vom  Erwerb  und  Besitz  der  bei  ihr  gefundenen 
Gegenstände 1). 

Man  fand  bei  ihr  ein  gefälschtes  Zeugniss  folgenden  Inhalts: 
„Ich  bestätige  hiermit,  dass  J.  S.  bei  mir  als  Näherin  und  Stubenmädchen 
vom  2.  2.  1882  bis  heute  war  und  zu    unsrer  Zufriedenheit   sich    betragen  hat. 
so  dass  wir  sie  Jedermann  aufs  Wärmste  empfehlen  können. 

Budapest,  30.  9.  1887.  Frau  G.  K.,  königl.  Räthin. u 

Am  21.  10.  bei  der  Frühvisite  fand  ich  J.  S.  in  einem  ganz  dämmer- 
haften, geistesabwesenden  Zustand  mit  verglastem  Blick.  Fragen  nach  ihrer 
Vergangenheit  und  ihrem  Befinden  beantwortete  sie  nur  theilweise  und  traum- 
haft. Sie  wusste  augenscheinlich  nicht,  wo  sie  sich  befinde.  In  dieser  Ver- 
fassung2) blieb  sie  bis  zum  Morgen  des  22. 

An  diesem  Tage  traf  ich  sie  bei  der  Frühvisite  mit  ganz  anderem  Ge- 
sichtsausdruck, mimisch  und  psychisch  frei.  Sie  t  heilte  mit,  dass  sie  aus  der 
Klinik  des  Prof.  W.  in  Pest  entwichen  sei,  weil  sie  das  ewige  Hypnotisirtwerden 
unerträglich  gefunden  und  man  ihr  gesagt  habe,  sie  werde  Aufnahme  und 
Schutz  in  einem  Kloster  in  Graz  finden.  Wie  sie  aus  Pest  fort-  und  nach  Graz 
gekommen  sei,  vermöge  sie  nicht  anzugeben.  Sie  sei  heute  wieder  zu  sich  ge- 
kommen und  habe  sich  mühsam  orientirt,  dass  sie  sich  in  einem  Spital  befinde. 
Von  dem  vorgestern  begangenen  Diebstahl  erklärt  sie  mit  unbefangener  Miene, 


*)  Die  Untersuchung  wegen  dieses  Diebstahls  wurde  in  Folge  gerichts- 
ärztlicher Constatirung  eines  bewusstlosen  Zustands  zur  Zeit  der  That  am 
30.  Dec.  1887  eingestellt. 

2)  Autohypnose,  wie  die  spätere  Beobachtung  kennen  lehrte. 


nicht  das  Mindeste  zu  wissen;  ebenso  bestreitet  sie,  dass  sie  auf  der  Polizei 
gewesen  sei. 

Nach  den  Angaben  der  Patientin  war  ihr  Vater  Potator  und  endete 
durch  Selbstmord,  indem  er  sich  von  einem  Bahnzug  überfahren  Hess.  Ihre 
Mutter  war  kränklich  und  starb  apoplektisch  gelähmt.  Mutters  Vater  erschoss 
sich  in  irrsinnigem  Zustand. 

Ein  Bruder  und  eine  Schwester  starben  durch  Selbstmord.  Eine  Schwester 
leidet  an  Hysteria  convulsiva.  Patientin  äussert  die  Befürchtung,  dass  sie, 
gleichwie  ihre  Angehörigen,  einmal  durch  Selbstmord  endigen  werde.  Sie  selbst 
verabscheue  den  Selbstmord  und  suche  jeden  Gedanken  daran  zu  ersticken,  aber 
der  Antrieb  dazu  komme  ihr  oft  sturmweise.  Oft  sei  sie  schon  nahe  der  That 
gewesen,  jedoch  immer  noch  rechtzeitig  zur  Besinnung  gelangt.  Ob  nicht  das 
traurige  Verhängniss  ihrer  Familie  sich  auch  an  ihr  erfüllen  werde?  Patientin 
versichert  von  schweren  Krankheiten  in  ihrer  ersten  Jugend  verschont  gewesen 
zu  sein.  Die  Menses  stellten  sich  im  18.  Jahr  ein.  Sie  waren  in  der  Folge- 
sehr  unregelmässig  und  blieben  oft  viele  Monate  lang  aus. 

Ueber  ihre  ferneren  Gesundheitsverhältnisse  und  Lebensschicksale  erfährt 
man  aus  der  mir  im  Deceniber  1887  niedergeschriebenen  Autobiographie 
Folgendes : 

„Ich  besuchte  die  Klosterschule  bis  zu  meinem  14.  Jahre.  Ich  kränkelte 
damals,  hatte  schon  Monate  am  Fieber  gelitten  und  bekam  zudem  die  Bleich- 
sucht. Es  war  an  einem  Wintermorgen.  In  der  Stadt  war  Wochenmarkt.  Ich 
stand  am  Fenster  und  schaute  dem  Treiben  der  Menschen  zu.  Unser  Kloster 
lag  am  Ufer  der  Th.,  gegenüber  der  berühmte  Wallfahrtsort  Y.  Damals  war 
noch  keine  Verbindungsbrücke,  man  verkehrte  auf  einem  Flosse.  So  war  es 
auch  an  dem  erwähnten  Morgen.  Männer,  Weiber,  Wagen,  Pferde,  Alles  drängte 
sich  so  schnell  wie  möglich  hinüberzukommen.  Da,  auf  einmal,  mitten  im 
Strom,  brach  das  Floss.  Menschen  und  Thiere  sanken  in  einem  Knäuel  zu- 
sammen zwischen  den  Eisstössen  ins  Wasser.  Wie  mir  bei  diesem  Anblick 
wurde,  weiss  ich  nicht.  Man  sagte  mir  nachher,  ich  sei  erstarrt  wie  eine  Statue 
stundenlang  dagestanden,  ohne  ein  Lebenszeichen  von  mir  geben  zu  können1). 
Der  mich  behandelnde  Arzt  schläferte  mich  öfters  ein  und  so  wurde  ich  wieder 
gesund.  In  der  Folge  schläferten  mich  die  Klosterfrauen  ab  und  zu  zum  Spass 
ein.     Ich  schlief  fest  und  wusste  nicht,  was  mit  mir  geschah. 

In  den  folgenden  Jahren  geschah  es  nun  öfter,  dass  plötzlich  meine 
Glieder  erstarrten.  Ich  strengte  mich  in  solchen  Krisen,  die  10  Minuten,  manch- 
mal auch  1  Stunde  dauerten,  unerhört  an,  nur  einen  Finger  zu  rühren  oder 
einen  Ton  hervorzubringen,  aber  es  ging  nichts  Gegen  Ende  des  Anfalls  hatte 
ich  das  Gefühl,  als  wenn  alles  Blut  nach  dem  Kopf  steigen  möchte  und  es  in 
ihm  hämmere. 

Nach  solchen  Anfällen,  die  meistens  bei  Nacht  kamen,  fühlte  ich  mich 
am  anderen  Tag  unsäglich  matt. 

Im  16.  Jahr  forderte  mich  die  Oberin  des  Klosters  auf,  in  den  Orden 
zu  treten.  Ich  fühlte  keinen  eigentlichen  Beruf  für  das  Ordensleben,  aber  da 
mich  Alle  liebten,  da  es  mir  bangte,  diese  stillen  Räume,  in  denen  ich  meine 
Kindheit  verlebt,  verlassen  zu  sollen  und  es  meines  Vaters  Freude  und  Wunsch 


')  Schreckkatalepsie. 


—     9     — 

war.  willigte  ich  ein.  Die  3  Jahre  meines  Noviziats  waren  vorüber.  Ich  erhielt 
zum  letztenmal  Erlaubnisfl,  die  Ferien  zu  Hause  zu  verbringen.  Da  lernte  ich 
meinen  Cousin  kennen.  Er  redete  mir  aus,  ins  Kloster  zurückzukehren,  denn 
er  liebe  mich  und  könne  ohne  mich  nicht  leben.  Solche  Sprache  hatte  ich  nie 
gehört.  Was  soll  ich  weiter  sagen?  Ich  wusste,  dass  ich  unglücklich  war, 
denn  ich  liebte  ihn  auch.  Mein  Vater  war  ausser  sich,  als  er  von  dieser  ge- 
planten Verbindung  hörte.  Emerich  beschwor  mich,  mit  ihm  zu  gehen,  auch 
ohne  Einwilligung  des  Vaters,  aber  das  thun  konnte  ich  nicht. 

ich  ging  zurück  ins  Kloster  gebrochenen  Herzens.  Der  Tag  meiner  Ein- 
kleidung nahte  heran.  Stumpf,  gleichgültig  verbrachte  ich  die  Nacht  in  der 
Kapelle,  aber  beten  konnte  ich  nicht.  Ich  ging  zum  Altar  nicht  als  Braut 
Christi,  sondern  um  ein  gebrochenes  Herz  ins  Grab  zu  tragen.  Die  Ceremonie 
war  vorüber;  es  war  mir  so,  als  wenn  ich  träumte.  Die  Zeit  verstrich,  ich 
lernte  vergessen,  wenn  auch  nicht  verschmerzen.  Ich  war  von  den  Mit- 
schwestern geachtet,  von  unsrer  Oberin  bevorzugt.  Da  traf  mich  ein  Schlag 
wie  ein  Blitzstrahl  aus  heiterem  Himmel  und  seitdem  ist  mein  Leben  vernichtet1). 


J)  Die  folgenden  Mittheilungen  stimmen  fast  wörtlich  überein  mit  einem 
am  8.  11.  87  aufgefangenen  und  als  Abschied  und  Rechtfertigung  au  den 
ehemaligen  Beichtvater  der  S.  gerichteten  Brief.  Sie  plante  damals  ernstlich 
Suicidium.  Der  Schluss  des  das  Gepräge  der  Wahrhaftigkeit  an  sich  tragen- 
den Schreibens  lautet:  „Was  soll  aus  mir  werden?  Man  hält  mich  für  eine 
Diebin.  Alles  hat  sich  von  mir  gewendet  (thatsächlich  ihre  ganze  Familie), 
dieses  Leben  wird  mir  zu  schwer,  ich  werde  es  endigen,  wie  man  einen  alten 
Mantel  von  sich  wirft.     Gott  wird  mir  verzeihen!" 

Ganz  dasselbe  hat  Patientin  vor  5  Jahren  ihrem  Bruder  bekannt.  Die 
identische  Reproduction  der  Klostererlebnisse  zu  ganz  verschiedenen  Zeiten 
spricht  vorweg  gegen  Erdichtung.  Immerhin  bleibt  die  Möglichkeit,  dass  es 
sich  um  die  Reproduktion  hallucinatorisch-deliranter  Erlebnisse  handelt.  That- 
sächlich erkrankte  Patientin  nach  der  Entweichung  aus  dem  Kloster  an  hyster.- 
halluc.  Wahnsinn,  aber  sie  genas  vollständig  von  dieser  episodischen  Psychose. 
Dann  hätte  sie  aber  ihre  Delirien  corrigiren  müssen.  Patientin  hält  noch  heute 
an  der  Wahrheit  ihrer  Klostererlebnisse  fest.  Man  gewinnt  die  volle  Ueber- 
zeugung,  dass  sie  dieselben  für  wirklich  erlebt  hält. 

Obwohl  ich  Patientin  niemals  auf  einer  bewussten  Lüge  betrat,  konnte 
ich  von  ihr  keine  weitere  Klärung  des  Sachverhalts  bekommen,  da  ihre  Re- 
produktionstreue mangelhaft,  das  Gedächtniss  überhaupt  geschwächt  ist,  Er- 
innerungstäuschungen und  irrige  Lokalisation  in  der  Vergangenheit  sich  er- 
weisen lassen,  überdies  ihre  Phantasie  sehr  lebhaft  ist.  Man  gewinnt  den 
Eindruck,  dass  der  Kern  der  Sache  wahr  ist,  aber  phantasievoll  dargestellt. 
In  dieser  Weise  beurtheilt  auch  die  Verwandtschaft  die  romanhafte  Erzählung 
der  Kranken.  Auf  eine  vertrauliche  Anfrage  bei  der  Oberin  des  Klosters  er- 
hielt ich  den  Bescheid,  dass  Alles  Erfindung  sei.  Der  betr.  Brief  enthält  aber 
soviel  Unwahres,  dass  er  nicht  als  authentische  Wahrheitsquelle  betrachtet 
werden  kann. 

Nicht  ohne  Werth  ist  die  Angabe  der  Verwandten,  dass  Patientin  in 
ihrem  Wahnsinn  nach  Entweichung  aus  dem  Kloster  sich  fortwährend  gegen 
eine  hallucinatorische  Gestalt  wehrte,   beständig   von   einem  Attentat,   dem  sie 


—    10    — 

Ich  habe  bis  jetzt  über  diese  furchtbare  Entdeckung,  die  ein  Zufall  mir 
enthüllte,  geschwiegen,  aber  ich  glaube,  der  Tod  Derjenigen,  welcher  ich  mich 
zum  Schweigen  verpflichtet  habe,  löst  jedes  Versprechen;  Sie  sind  der  Zweite1), 
dem  ich  dieses  schreibe,  obwohl  mir  dies  schwer,  sehr  schwer  fällt. 

Unter  den  Klosterschwestern  war  es  Schwester  Beatrix,  die  Sekretärin 
der  Oberin,  die  mir  mit  einer  fast  strafbaren  Neigung  zugethan  war.  Ich  hatte 
sie  für  das  Muster  alles  Edlen  und  Guten  gehalten;  war  sie  doch  die  Lehrerin 
und  Führerin  meiner  Jugend  gewesen!    Ach  wie  täuschte  ich  mich! 

Eines  Abends  gingen  wir  vom  Refectorium  in  unsere  Zellen.  Ich  wollte 
mich  gerade  zur  Ruhe  begeben,  als  Schwester  Beatrix  bei  mir  eintrat,  mit  der 
Bitte,  ihr  bei  ihren  Arbeiten  zu  helfen.  Ich  willigte  ein.  Wir  mochten  bis 
etwa  10  Uhr  gearbeitet  haben,  als  ich  müde  zu  wrerden  anfing.  Da  sagte  sie, 
ich  möchte  mich  einschläfern  lassen,  dann  könnte  ich  wieder  leichter  arbeiten. 
Ich  Hess  es  mir  gefallen.  Ich  erwachte  mit  einem  Gefühl,  als  wenn  ich  von 
hinten  gepackt  würde  und  nicht  weiter  könnte.  Mit  Gewalt  riss  ich  mich  los 
und  die  Perlen  meines  Rosenkranzes  rollten  mir  zu  Füssen.  Ich  hatte  nämlich 
das  Kreuz  meines  Rosenkranzes  irgendwo  eingezwängt  und  konnte  nicht  weiter. 
In  der  Hand  hielt  ich  einen  mir  unbekannten  Gegenstand.  Vor  Entsetzen 
wollte  ich  schreien,  aber  Jemand  wehrte  es  mir  und  zerrte  mich  fort.  Ich  war 
so  bestürzt,  dass  ich  willenlos  folgte.  In  der  Zelle  angelangt,  erkannte  ich, 
dass  ich  die  Geldkassette  der  Schwester  Oberin  in  den  Händen  hielt,  und  vor 
mir  stand  bleich,  zitternd  Schwester  Beatrix.  Ich  fragte,  was  das  Alles  zu 
bedeuten  habe.  Sie  flehte  und  versprach  Alles  zu  sagen,  wenn  ich  gelobe,  von 
den  Vorfällen  der  Nacht  zu  schweigen.  Von  Mitleid,  Ueberraschung  überwältigt, 
leistete  ich  das  Gelöbniss. 

Sie  gestand  mir,  dass  sie  seit  Jahren  den  Husaren  des  Bischofs  glühend 
liebe  und  immer  gehofft  habe,  einmal  in  den  Besitz  einer  grösseren  Geldsumme 
zu  gelangen,  um  dann  mit  dem  Geliebten  ins  Ausland  zu  fliehen.  Der  Zufall 
wollte,  dass  gerade  heute,  als  sie  mit  der  Oberin  Rechnung  machte,  diese  eine 
zum  Ankauf  eines  Gutes  bestimmte  Summe  erhielt  und  in  der  Kassette  ver- 
schloss.  Dazu  hatte  Schwester  Beatrix  gerade  die  Pforteninspektion  über- 
nommen und  sie  beschloss,  diese  Gelegenheit  nicht  unbenutzt  vorübergehen 
zu  lassen. 

Die  That  allein  vollführen  konnte  oder  wollte  sie  nicht  und  so  beschloss 
sie,  mich  zur  Vollführung  ihres  Verbrechens  zu  benützen.  Im  Schlaf  führte 
sie  mich  in  einen  unbenutzten  Corridor,  von  dessen  Vorhandensein  ich  nicht 
die  mindeste  Kenntniss  besass.  Von  da  aus  bezeichnete  sie  mir  das  Arbeits- 
zimmer der  Aebtissin  und  hiess  mich  von  dort  die  Geldkassette  herausholen. 
Wenn  ich  nicht  zufällig  meinen  Rosenkranz  eingezwängt  hätte,  wäre  ich  nie 
zur  Kenntniss  dieser  verruchten  That  gekommen.  Sie  redete  mir  zu,  mit  ihr 
zu  fliehen,  da  ich  ja  auch  nicht  fürs  Klosterleben  tauge. 

Als  ich  diese  Schwester,  die  mir  von  Kindheit  auf  Tugend  und  Sittlich- 
keit gepredigt,    die  ich  mir  stets  zum  Vorbild   genommen   hatte,  jetzt  vor  mir 


glücklich  entronnen  sei,    von  einem  Eid,    den  sie   leisten    musste,    delirirte  und 
nach  überstandener  Krankheit  die  Angehörigen  beschwor,    Nichts   von  dem 
verlauten  zu  lassen,   was  sie  in  ihrem  Delir  ausgeplaudert  habe. 
*)  Recte  der  Dritte. 


-  11  — 

knieend  solch  ein  Geständnis?  ablegen  hörte  und  ihr  leidenschaftlich  erregtes 
Gesicht  sah,  da  übermannte  mich  namenlose  Bitterkeit.  Hatte  sie  doch  das 
Vertrauen  in  die  Menschheit  und  alles  Gute  und  Edle  in  mir  zerstört. 

Der  Anblick  dieses  Weibes  war  mir  unendlich  peinlich,  denn  nichts  ent- 
schuldigte ihre  wahnwitzige  That.  War  ich  nicht  viel  jünger  als  sie?  Liebte 
ich  nicht  auch  innig  [und  wahr?  Aber  seitdem  ich  das  Ordenskleid  angelegt, 
erschien  mir  selbst  der  Gedanke  an  Ihn  eine  Sünde. 

In  dieser  bittern  Stunde  lernte  ich  ausser  der  Selbstbeherrschung  die 
Menschenkenntniss.     Ich  bin  alt  geworden  in  jener  Stunde,  im  Herzen  steinalt. 

Grüner  Rasen  deckt  jetzt  das  Grab  des  Weibes,  das  so  viel  Unheil  ver- 
schuldet, mein  und  sein  eigenes  Lebensglück  vernichtet  hat.  Nach  dem  was 
geschehen,  wusste  ich  nicht,  wie  mir  war  und  was  ich  anfangen  solle. 

Die  Glocke  zur  Mette  ertönte.  Die  Schwester  ging  und  sagte:  Bis  ich 
zurückkomme,  wirst  du  überlegt  haben,  dass  ich  recht  habe. 

Aus  Furcht  verschluss  sie  die  Thüre  meiner  Zelle. 

Ich  wusste,  dass  sie  vor  einer  Stunde  nicht  zurückkommen  könne  und 
überlegte,  was  ich  jetzt  thun  solle.  Ich  hätte  das  Geld  gern  zurückgetragen, 
aber  ich  wusste  den  Weg  nicht  und  mein  Rosenkranz  war  ein  stummer  Zeuge 
wider  mich. 

Mit  der  Elenden  fortgehen,  das  wollte  ich  nicht.  Ich  weiss  nicht,  wie 
mir  der  Gedanke  kam,  aber  ich  wollte  sie,  die  mich  elend  gemacht,  auch  leiden 
sehen.  Sie  sollte  die  Früchte  ihrer  That  auch  nicht  gemessen.  Das  Fenster 
meiner  im  ersten  Stock  gelegenen  Zelle  ging  auf  den  Garten.  Ich  nahm  die 
Kassette  und  sprang  durchs  Fenster.  Wie  lange  ich  lag,  weiss  ich  nicht.  Als 
ich  zu  mir  kam,  klang  mir  das  „De  profundis"  aus  der  Kapelle  herüber.  Ich 
wusste,  dass  die  Mette  bald  zu  Ende  und  beeilte  mich,  meine  Kräfte  zusammen- 
nehmend, fortzukommen.  Ich  ging  in  die  Küche,  vertauschte  mein  Ordens- 
gewand mit  einem  Mägdeanzug,  schlich  mich  hinter  die  Kapelle,  wartete,  bis 
diese  leer,  begab  mich  in  die  Sakristei,  legte  die  Kassette  zu  den  Messgewändern, 
sicher,  dass  man  sie  dort  finden  werde.  Von  da  gelangte  ich  ins  Freie  und 
ging  schnell  weiter.  Das  Blut  rann  mir  über  das  Gesicht.  Vor  Aufregung 
und  Blutverlust  konnte  ich  mich  kaum  aufrecht  erhalten.  Ich  erinnere  mich 
nur,  dass  mir  war,  ich  sähe  lauter  Fratzengesichter,  höre  einen  wilden  Lauf 
hinter  mir  und  bekomme  von  entsetzlichen  Gestalten  ein  rothes  Tuch  vor  die 
Augen  gehalten.  Ich  lief  immer  schneller,  die  Gestalten  mir  nach,  bis  zum 
Hause  meines  Vaters,  wo  ich  mit  letzter  Anstrengung  an  der  Glocke  riss  und 
dann  bewusstlos  zusammenbrach. 

Wochenlang  schwebte  ich  zwischen  Leben  und  Tod.  „Ueberreizung  der 
Nerven  und  Fieber",  lautete  die  Diagnose  der  Aerzte.  Meine  starke  Natur 
siegte  endlich  über  die  Krankheit.  Nach  todesähnlichem  Schlaf  genas  ich  lang- 
sam körperlich,  aber  in  meinem  Geiste  war  es  Nacht  volle  zwei  Jahre.  Diese 
zwei  Jahre  sind  aus  meiner  Erinnerung  gestrichen.  Wie  aus  einem  schweren 
Traume  erwacht,  glaubte  ich  noch  immer  im  Kloster  zu  sein  und  konnte  nicht 
begreifen,  wie  ich  mich  im  Vaterhause  befinde.  Nach  und  nach  erinnerte  ich 
mich  jener  entsetzlichen  Nacht.  Ich  meinte,  dass  es  erst  gestern  gewesen  wäre. 
Mit  aller  Schonung  theilte  man  mir  meinen  gewesenen  Zustand  mit.  Ich  er- 
kannte mit  Entsetzen,  dass  mein  Vater  und  Alle  der  Meinung  waren,  ich  hätte 
das  Geld  entwendet  und  dann,    von  Reue    gepackt,    es    in  der  Sakristei  nieder- 


12 


gelegt.  Es  schnitt  mir  ins  Herz,  aber  ich  liess  sie  bei  ihrem  Glauben  (!),  hatte 
ich  doch  der  Elenden  Schweigen  gelobt!  Und  Emerich  glaubte  auch  an  meine 
Schuld!  Ich  sah  es  ihm  an!  Ach,  ich  war  dem  Wahnsinn  nahe.  Er  wusste  ja 
nicht,  dass  ich  das  blinde  Werkzeug  eines  teuflischen  Weibes  gewesen!  Aus 
dieser  Fülle  von  Schmach,  in  die  ich  gestürzt,  konnte  mich  nur  ein  Meer  von 
Liebe  retten.  Diese  Liebe  zu  mir  —  besass  er  nicht.  Er  machte  mich  fast 
wahnsinnig  durch  sein  Mitleid  und  seine  Nähe.  Das  Leben  erschien  mir  uner- 
träglich. Oft  wandelte  ich  an  den  Ufern  der  Th.,  überlegend,  was  tiefer  sei  — 
mein  Kummer  oder  das  glitzernde  Wasser  drunten,  aber  die  Erinnerung  an  den 
lieben  Gott  hielt  mich  von  meinem  grausen  Vorhaben  ab.  Ich  konnte  den  vor- 
wurfsvollen Blick  meines  Vaters  nicht  mehr  ertragen  und  beschloss,  fortzugehen. 
Eines  Tags  sagte  mir  der  Vater,  Emerich  habe  um  meine  Hand  angehalten. 
Ich  fühlte,  dass  es  zu  spät  war,  denn  Eines  stand  mir  klar  vor  der  Seele,  dass 
zwischen  uns  Beiden  das  Glück  unmöglich  ist. 

Er  hat  durch  seine  Bitte  um  meine  Hand  zwar  die  Schmach  von  mir 
genommen,  die  mich  unfehlbar  in  den  Tod  getrieben  hätte,  aber  ausgelöscht 
hat  er  jene  bitteren  Stunden  nicht.  Seine  Zweifel  an  mir  lagen  wie  ein  Fluch 
zwischen  uns. 

Einige  Tage  später  reiste  mein  Vater  in  Geschäften  fort.  Ich  hielt  die 
Zeit  für  gekommen,  meinen  Plan  auszuführen.  Aber  ich  brauchte  Geld!  Unter 
schicklichen  Vorwänden  suchte  ich  mir  welches  von  Verwandten  und  Freunden 
auszuleihen,  aber  vergebens.  Ich  konnte  mir  nicht  anders  helfen,  nahm  aus 
der  Kasse  meines  Vaters  608  fiL,  indem  ich  in  einem  Briefe  ihn  um  Verzeihung 
bat  und  ihn  zugleich  bevollmächtigte,  die  genommene  Summe  aus  meinem 
mütterlichen  Vermögen  sich  zurückzuerstatten.  Ich  war  mir  klar  bewusst,  was 
ich  verlor,  als  ich  das  Vaterhaus  heimlich  verliess. 

Von  da  an  schützte  mich  Niemand  vor  schlimmen  Erfahrungen,  vor  dem 
Einblick  in  die  Nachtseiten  des  Lebens.  Ich  fühlte  gleichwohl  in  mir  die  Kraft, 
wie  viele  Tausende,  mit  trübem,  müdem  Herzen  weiter  zu  leben  und  die  Pflicht 
zu  thun.  So  fand  ich  Entsagung  und  endlich  auch  Ruhe.  Ich  sah  ein,  dass 
nur  ein  völlig  neues  und  thätiges  Leben  •  mich  gesund  machen  könne.  Mein 
Plan  war,  nach  A.  zu  gehen  und  eine  passende  Stelle  als  Erzieherin  zu  suchen. 
Ohne  Dokumente,  ohne  Zeugnisse  wurde  ich  überall  abgewiesen.  In  den  Zei- 
tungen las  ich,  dass  mein  Vater  überall  nach  mir  forschen  liess.  Ausserdem 
wurde  ich  von  unverschämten  Anträgen  belästigt,  die  mir  das  Blut  in  den  Kopf 
trieben  und  denen  ein  alleinstehendes  Mädchen  nicht  auszuweichen  vermag. 
In  dieser  Lage  schoss  mir  die  Idee  durch  den  Kopf,  Männerkleider  anzulegen 
und  dadurch  vor  jeder  Verfolgung  mich  sicher  zu  stellen.  Gedacht,  gethan, 
Niemand  wäre  es  eingefallen,  in  dem  blassen  Studenten  von  heute  das  Mädchen 
von  gestern  zu  suchen. 

Für  diese  That  verdammte  mich  später  die  Lästerzunge!  Ich  las  in  der 
Zeitung,  dass  auf  einer  Puszta  ein  Erzieher  gesucht  werde.  Ich  reiste  hin, 
fand  Beifall   und  ward  Erzieher1)  von   2  lieben  Mädchen   von  7  und  9  Jahren. 


1  Aktenmässig  constatirt.  Patientin  fälschte  sich  Dokumente,  auf  den 
Namen  Julius  Horväth  lautend.  Sie  gestand  auch  mir  die  Fälschung  der 
Dokumente,  erinnerte  sich  dieser  Thatsache,  da  sie  im  luciden  Zustand  ge- 
handelt hatte  und  entschuldigte  sie  mit  damaliger  Nothlage. 


—    13    — 

Ich  war  schon  2  Jahre  in  dieser  Stellung.  Man  liebte  den  stillen  Lehrer  mit 
dem  Mädchengesicht.  Die  Frau  des  Hauses  gab  mir  deutlich  genug  zu  ver- 
stehen, ich  möchte  ihr  mehr  als  der  Lehrer  sein.  Sie  ahnte  ja  mein  wahres 
Geschlecht  nicht!  Aus  diesem  Grunde  verliess  ich  das  Haus  und  heschloss  nach 
Pest  zu  gehen." 

Patientin  berichtet  nun  weiter,  dass  ihre  Aussichten  auf  eine  Stellung 
sich  nicht  erfüllten,  dass  ein  Schwindler,  unter  dem  Vorwand,  ihr  eine  Stelle 
zu  verschaffen  und  dazu  einer  Caution  zu  benöthigen,  sie  um  200  fl.  prellte. 
Von  Mitteln  entblösst,  heschloss  sie  ihre  Fertigkeit  in  Handarbeiten  zu  ver- 
werthen  und  wieder  Frauenkleider  anzulegen.  Bevor  es  zur  Ausführung  dieses 
Planes  kam,  gelang  es  ihr,  einen  Posten  bei  der  B.  F.  Bahn  mit  einem  Monat- 
gehalt von  40  fl.  zu  erlangen  (anfangs  Herbst  1881).  In  dieser  Stellung  blieb 
sie  V/z  Jahre.  Um  ihr  Geschlecht  nicht  zu  verrathen,  musste  sie  mit  ihren 
Collegen  zechen  und  spielen.  Die  Situation  wurde  ihr  mit  der  Zeit  widerlich. 
Sie  legte  ihre  Stelle  nieder,  begab  sich  nach  der  Hauptstadt,  um  es  in  Frauen- 
kleidern zu  versuchen,  ehrlich  ihren  Lebensunterhalt  zu  erwerben.  Durch  Ver- 
wendung ihrer  Quatierfrau  gelang  es  ihr,  eine  Stelle  als  Näherin  in  einem 
vornehmen  Hause  zu  bekommen. 

(Autobiographie.)  „Ich  war  schon  etliche  Wochen  dort  und  zufrieden. 
Was  nun  geschah,  kann  ich  noch  heute  nicht  fassen,  aber  es  ist  buchstäblich 
wahr,  wenn  auch  unbegreiflich.  Eines  Tags  befand  ich  mich  im  Gefängniss 
und  erfuhr,  dass  ich  das  ganze  Silberzeug  der  Herrschaft,  welches  offen  auf 
dem  Tisch  lag,  zusammenraffte,  es  verkaufte  und  mit  dem  Erlös  zur  Stadt- 
hauptmannschaft ging  und  mich  als  Diebin  anklagte." 

Patientin  wurde  auf  die  Beobachtungsabtheilung  des  Rochusspitals  in 
Pest  gebracht  (22.  5.  85). 

Prof.  Dr.  Laufenauer  hat  in  der  ungar.  med.  Wochenschrift  Orvosi  hetilap, 
1885,  Nr.  31  interessante,  das  Bisherige  theilweise  richtigstellende  Mittheilungen 
über  Patientin  nebst  einem  Gutachten  veröffentlicht. 

Ich  ergänze  diese  Mittheilungen  durch  Thatsachen,  welche  mir  der  ehren- 
werthe  Bruder  der  Patientin  zur  Verfügung  stellte.  Patientin  war  begabt,  von 
schwärmerischem,  verschlossenem  Naturell,  phantasievoll,  träumerisch,  weshalb 
sie  vom  Vater  öfters  gerügt  wurde.  Sie  besuchte  vom  7.  Jahre  ab  die  Kloster- 
schule als  Externe.  1874  redete  die  Oberin  den  Eltern  und  dem  Mädchen  zu, 
sie  ganz  ins  Kloster  zu  geben,  damit  sie  sich  als  Lehrerin  ausbilde  und  später 
ihr  Fortkommen  als  Gouvernante  finde.  Patientin  trat  als  Aspirantin  für  das 
Lehrfach  (nicht  als  Novize)  ein,  blieb  einige  Jahre  im  Kloster,  fing  auf  Ferien 
zu  Hause  eine  Liebelei  mit  einem  Ingenieur  an,  liebte  ihn  überschwänglich, 
gab  sich  ihm  geschlechtlich  hin.  Der  Vater  sandte,  als  er  die  Streiche  der 
Tochter  erfuhr,  dieselbe  sofort  ins  Kloster  zurück.  Sie  setzte  gleichwohl  Brief- 
wechsel mit  dem  Geliebten  fort,  that  im  Kloster  nicht  mehr  gut,  erhielt 
Rügen  über  Rügen,  entfloh  am  2.  2.  79  Nachts,  indem  sie  aus  dem  Fenster 
sprang,  wobei  sie  sich  am  Kopf  verletzte.  Sie  kam  blutend,  in  höchster 
Aufregung  heim,  bekam  nun  schwere  hysteroepileptische  Anfälle,  erkrankte 
an  hallucinatorischem  Wahnsinn,  lag  bis  Oktober  79  im  Delirium,  war 
oft  ganz  bewusstlos,  genas  aber  vollständig.  Der  Zeitpunkt  der  endlichen  Ge- 
nesung lässt  sich  nicht  feststellen.  Dass  man  Patientin  nach  ihrer  Krankheit 
daheim    vorwurfsvoll    ansah    und   für   eine  Diebin    hielt,    bestreitet    der  Bruder. 


14 


Patientin  dürfte  also  damals  noch  unter  dem  Einfluss  von  Wahnideen  ge- 
standen haben. 

Alles  weitere  von  der  Patientin  bisher  selbst  Berichtete  dürfte  bis  auf 
Unwesentliches  und  gewisse  Ausschmückungen  und  zeitlich  unrichtige  Lokali- 
sationen abgerechnet,  auf  Wahrheit  beruhen.  Wegen  hysteroepileptischer  An- 
fälle kam  Patientin  im  Sommer  83  und  im  Januar  85  auf  kurze  Zeit  ins 
Rochusspital  in  Pest.  Auch  einige  autohypnotische  Zustände,  in  welchen  sie 
sich  von  der  Wohnung  der  Eltern  grundlos  entfernte  und  erst  nach  Wochen 
wieder  zum  Vorschein  kam,  ohne  über  ihren  Verbleib  etwas  zu  wissen,  sind 
durch  Mittheilungen  des  Bruders  nachgewiesen. 

In  einem  solchen  Ausnahmezustand  muss  sie  sich  befunden  haben,  al& 
sie  im  April  85  wegen  des  obenerwähnten  Diebstahls  von  Silberzeug  verhaftet 
wurde.  Da  sie  fortgesetzt  davon  nichts  zu  wissen  behauptete,  Erscheinungen 
von  conträrer  Sexualempfindung  bot  und  massenhaft  hysteroepileptische  Anfälle 
bekam,  wurde  sie  am  22.  5.  85  auf  das  Beobachtungszimmer  des  Rochusspitals 
gebracht.     Aus  dem  damaligen  Stat.  praes.  ist  hervorzuheben: 

R.  Hemianästhesie  mit  Einschluss  der  Sinnesorgane.  In  den  Oberextremi- 
täten, besonders  der  rechten,  Tremor;  tiefe  Reflexe  gesteigert,  Genitalien  normal 
entwickelt.  Vegetative  Organe  ohne  pathologischen  Befund.  Aecht  hysterischer 
Charakter.  Psychische  Hyperästhesie,  grosse  Emotivität,  auf  geringfügige  An- 
lässe hysteroepileptische  Krämpfe  (fast  täglich).  Episodisch  schreckhafte  Vi- 
sionen. Sehr  labile  Vasomotoriusfunktion.  Ethische  Defekte,  grosse  Gemüths- 
reizbarkeit.  Sehr  lästig  in  der  Abtheilung  durch  Aeusserungen  conträrer 
Sexualempfindung.  Gedächtniss  lückenhaft,  für  einzelne  Episoden  fehlend 1). 
Mangelhafte  Reproduktionstreue,  Erinnerungsschwäche,  zügellose  Phantasie. 

Die  Beobachtimg  wurde  am  30.  6.  85  abgeschlossen,  die  Unzurechnungs- 
fähigkeit der  Patientin  für  die  incriminirten  Handlungen  erwiesen.  Nach  Ein- 
stellung des  Untersuchungsverfahrens  wurde  sie  entlassen,  ihr  der  Bruder  als 
Curator  bestellt  und  ihr  in  der  Familie  des  Schwagers  Unterkunft  gewährt. 
Patientin  war  es  peinlich,  von  den  Angehörigen  immer  beobachtet  und  wie  eine 
Unzurechnungsfähige  betrachtet  zu  werden.  Sie  entfloh  nach  Pest,  wurde  von 
Neuem  Näherin. 

Aus  den  Gerichtsakten  geht  hervor,  dass  Patientin  am  19.  8.  86  von 
einem  Nähmaschinendepot  durch  die  Vorspiegelung,  sie  werde  den  Kaufpreis 
von  65  fl.  in  monatlichen  Raten  ä  4  fl.  bezahlen,  eine  Nähmaschine  erhalten 
hatte.  Nach  deren  Erhalt  entfernte  sie  sich  heimlich  Nachts  aus  ihrer  Woh- 
nung, verkaufte  die  Maschine  an  einen  Hausirer  um  10  fl.  und  vergeudete  den 
Erlös.  Wo  sich  die  S.  bis  zum  Oktober  herumgetrieben  hatte,  war  nicht  zu 
eruiren.  Sie  selbst  hatte  von  der  ganzen  Episode  von  Mitte  August  bis  Anfang 
Oktober  86  nur  die  vage  Erinnerung ,  sich  ziellos  herumgetrieben  zu  haben. 
Aktenmässig  ist  constatirt,  dass  sie  am  6.  10.  86  als  Stubenmädchen  bei 
Wittwe  G.  in  Pest  um  11  Uhr  eintrat,  dieser  schon  um  V/i  das  ganze  Silber- 
zeug und  2  Mitdienstboten  die  Ausweisbücher  stahl,  auf  Grund  des  einen  als 
Marie  Küffner  am  12.  10.  beim  Buchdrucker  R.  als  Dienstmädchen  einstand, 
schon  nach  wenig  Stunden  mit  dem  Silberzeug  und  den  ihr  zum  Putzen  über- 
gebenen   Kleidern    durchging.      Sie    wurde    bald    verhaftet,    erschien   ganz    un- 


')  Autohypnotische  Zustände. 


i:. 


befangen  und  gab  in  den  Verhören  an,  sie  wisse  von  nichts.  Sie  habe  An- 
fälle, in  welchen  sie  des  Bewusstseins  und  der  Erinnerung  für  die  in  solchem 
Zustand  begangenen  Handlungen  beraubt  sei. 

Die  S.  kam  auf  das  Beobachtnngszimmer  (13. — 28.  10.  86).  Das  Gut- 
achten der  Aerzte  ging  dahin,  dass  die  S.  an  zeitweisen  Krampfanfallen  leide, 
solche  auch  gelegentlich  simulire,  dass  jedoch  kein  Einfluss  auf  ihre  Zurech- 
nungsfähigkeit durch  diese  Anfälle  an  constatiren  sei.  Darauf  erhob  die 
Staatsanwaltschaft  die  Anklage. 

In  der  Hauptverhandlung  am  2.  12.  86  wies  Gerichtsarzt  Prof.  Ajtay 
nach,  dass  die  Angeklagte  hypnotisch ')  sei,  zeigte,  dass  sie  durch  blosses  Vor- 
halten eines  Bleistiftes  in  „magnetischen  Schlummer"  gerathe,  in  welchem  sie 
nicht  nur  spontan,  sondern  auch  durch  Suggestion  zu  jeder  That  fähig  sei,  ja 
auch  posthypnotisch  durch  Suggestion  solche  Handlungen  ohne  Bewusstsein 
ihrer  Bedeutung  und  Folgen  verüben  könne. 

Das  Gutachten  lautete:  „Das  Leiden  der  S.  ist  keine  Epilepsie,  sondern 
eine  verwandte  schwerere  Erkrankung  (Kataleptico-Hysterie),  vermöge  welcher 
die  S.  nicht  bloss  temporär,  sondern  dauernd  unzurechnungsfähig  ist,  denn  ihr 
Bewusstsein  ist  nie  ganz  frei,  schwankt  zwischen  gänzlicher  und  theilweiser 
Bewusstlosigkeit. "  In  Folge  dieses  Gutachtens  wurde  die  S.  wegen  Bewusst- 
losigkeit  zur  Zeit  der  Begehung  ihrer  incriminirten  Handlungen  (§  76  ungar. 
Stgsb.)  freigesprochen.  Später  machte  man  mit  der  S.  hypnotische  Experimente, 
die  Aufsehen  erregten  und  Inhalt  umfangreicher  Feuilletons  in  den  haupt- 
städtischen Blättern  wurden. 

Ajtay  deponirte  anlässlich  der  Begutachtung  der  S.  überdies,  dass  sie  mit 
angeborener  conträrer  Sexualempfindung  behaftet  sei. 

Diese  Annahme  scheint  auf  Grund  von  Mittheilungen,  welche  die  S. 
später  in  Graz  machte,  im  Sinn  einer  gezüchteten2)  weiblichen,  krankhaften 
Liebe  einer  Correktur  bedürftig. 

„Man  beurtheilt  mich  unrichtig,  wenn  man  glaubt,  dass  ich  mich  dem 
weiblichen  Geschlecht  gegenüber  als  Mann  fühle.  Ich  verhalte  mich  vielmehr 
in  meinem  ganzen  Denken  und  Fühlen  als  Weib.  Habe  ich  doch  meinen  Cousin 
so  geliebt,  wie  nur  ein  Weib  einen  Mann  lieben  kann. 

Die  Aenderung  meiner  Gefühle  entstand  dadurch,  dass  ich  in  Pest,  als 
Mann  verkleidet,  Gelegenheit  hatte,  meinen  Cousin  zu  beobachten.  Ich  sah, 
dass  ich  mich  in  ihm  arg  getäuscht  hatte.  Das  bereitete  mir  furchtbare  Seelen- 
qualen. Ich  wusste,  dass  ich  nie  im  Stande  sein  werde,  einen  Mann  zu  lieben, 
dass  ich  zu  jenen  gehöre,  die  nur  einmal  lieben.  Dazu  kam,  dass  ich  in  der 
Gesellschaft  meiner  Collegen  von  der  Bahn  die  anstössigsten  Gespräche  an- 
hören, die  verrufensten  Häuser  besuchen  musste.  Durch  die  so  gewonnenen 
Einblicke  in  das  Treiben  der  Männerwelt  bekam  ich  einen  unüberwindlichen 
Widerwillen  gegen  die  Männer.  Da  ich  aber  von  Natur  sehr  leidenschaftlich 
bin  und  das  Bedürfniss  habe,  mich  einer  geliebten  Person  anzuschliessen  und 
mich  derselben  ganz  hinzugeben,  fühlte  ich  mich  immer  mehr  zu    mir    sympa- 


*)  Patientin  behauptet,  dass  sie  von  1879  ab,  wo  sie  das  Kloster  verliess, 
bis  zum  Zusammentreffen  mit  Prof.  A.  von  Niemand  mehr  hypnotisirt  worden  sei. 

-)  Vgl.  des  Verfassers  Monographie  „Psvchopathia  sexualis".  7.  Autf. 
p.  123  ff. 


—    16    — 

tbischen  Frauen  und  Mädchen,  besonders  durch  Intelligenz  hervorragenden, 
mächtig  hingezogen." 

Patientin  wurde  Ende  Decernber  1886  der  I.  med.  Klinik  in  Pest  zu 
fernerer  Behandlung  übergeben. 

Herr  Docent  Dr.  Jendrässik,  dem  ich  für  seine  werthvollen  Mittheilungen 
über  die  S.  zum  grössten  Dank  vei-pflichtet  bin,  constatirte  bei  der  Aufnahme 
das  typische  Bild  einer  schweren  Hysterie  mit  ziemlich  grossen  Attaquen,  rechts 
Hemianästhesie  mit  Einschluss  der  Sinnesorgane.  Die  S.  hatte  anfangs  1 — 2 
Anfälle  täglich  und  so  heftig,  dass  sie  in  einem  Separatzimmer  verpflegt  wer- 
den musste.  Nach  einem  Monat  wurden  die  Anfälle  seltener,  kehrten  nur  mehr 
alle  2—3  Wochen,  schliesslich  nur  gelegentlich  nach  Monaten  wieder.  Nach 
heftiger  Gemüthsbewegung  im  August  1887  kamen  sie  gehäuft  zurück. 

Im  luciden  Zustand  war  Patientin  immer  sehr  ordentlich  und  bescheiden, 
jedoch  sehr  gemüthserregbar.  Sie  erwies  sich  als  fleissig,  geschickt  und  intel- 
ligent. Mit  der  Zeit  verliebte  sie  sich  in  eine  barmherzige  Schwester.  Die 
Leidenschaft  war  eine  sinnliche  und  Patientin  dadurch  oft  recht  störend.  Die 
S.  wurde  während  ihres  Aufenthalts  auf  der  Klinik  oft  hypnotisirt,  nicht  bloss 
von  den  dazu  berechtigten  Aerzten,  sondern  auch  von  nicht  dazu  autorisirten 
und  sogar  von  Laien,  wozu  Impuls  durch  hypnotische  Versuche  an  der  S.,  die 
Futter  für  Feuilletons  der  Journale  wurden,  gegeben  war.  Die  S.  wusste  im 
luciden  Zustande  nie  das  Geringste  von  dem,  was  man  mit  ihr  im  hypnotischen 
Zustande  vorgenommen  hatte,  aber  die  Schwester,  in  welche  sie  sich  verliebt 
hatte,  theilte  ihr  alles  mit  und  eines  Tages  las  die  Kranke  sogar  ein  Feuilleton 
über  die  an  ihr  gemachten  Experimente.  Da  gerieth  sie  in  grosse  Erregung 
und  bekam  ihre  Anfälle,  die  seit  Monaten  cessirt  hatten,  wieder.  Jene  Schwester 
rieth  ihr  zu  fliehen,  sich  nicht  mehr  gefallen  zu  lassen,  dass  man  ihr  die  5 
Wundmale  Christi  (durch  Suggestion  am  linken  Fuss)  beibringe,  ihr  Brand- 
wunden ansuggerire.  Sie  solle  nach  Graz  in  ein  Kloster  fliehen,  man  werde 
ihr  dazu  behilflich  sein.  Eines  Tages  wurde  die  S.  wieder  hypnotisirt  und  am 
andern  Tag  sah  sie  den  Buchstaben  J  an  ihrem  rechten  Arme  eingebrannt.  Da 
wurde  ihr  Entschluss,  zu  fliehen,  fest. 

Es  besteht  gegründeter  Verdacht,  dass  eine  von  unberechtigter  Seite 
unternommene  Hypnose  mit  posthypnotischer  Suggestion  den  Entschluss,  nach 
Graz  in  ein  Kloster  zu  fliehen,  zur  That  werden  Hess.  Thatsache  ist  nur,  dass 
die  S.  sich  12  fl.  von  Mitkranken  verschaffte,  sowie  Kleider  aneignete  und  am 
4.  10.  87  aus  der  Klinik  entfloh. 


Status  praesens. 

Patientin  ist  über  mittelgross,  gut  genährt,  etwas  anämisch,  von  intelli- 
gentem Gesichtsausdruck.  Der  Schädelumfang  beträgt  55,5  cm.  Auf  dem 
rechten  Parietalbein  findet  sich  eine  oberflächliche  Narbe  ohne  Knochenver- 
änderung, angeblich  herrührend  von  einem  vor  7  Jahren  erlittenen  Sturz.  Das 
Auge  hat  einen  neuropathischen  Ausdruck.  Die  Pupillen  sind  mittelweit,  gleich 
und  reagiren  prompt.  Patientin  behauptet,  seit  7  Jahren,  im  Anschluss  an 
heftige  Gemüthsbewegungen,  an  hysteroepileptischen  Anfällen  zu  leiden.  Als 
Aura  empfinde  sie  Kälte  im  ganzen  Körper,  ascendirendes  warmes  Gefühl  vom 


Epigastrium  aus,  dann  empfinde  sie  Globus.  Das  Bewusstsein  schwinde  nun. 
indem  sie  einen  gellenden  Schrei  ausstosse.  Sie  könne  im  Fallen  sich  noch 
stützen.  Nach  der  Schilderung  der  Umgebung  handle  es  sich  um  tonische  und 
clonische  coordinirto  Krämpfe,  untermischt  mit  deliranten  Zuständen,  in  welchen 
sie  sich  oft  in  den  Arm  beisse.  Die  Dauer  der  Anfälle  betrage  eine  Viertei- 
bis halbe  Stunde.  Nach  heftigen  Anfällen  sei  sie  tagelang  schwer  besinnlich, 
sehe  Alles  in  gelblichrothem  Schein,  habe  heftiges  Sausen  und  Rauschen  im 
Kopf,  schreckhafte  Phantasmen,  Kopfschmerz,  Temperaturen  bis  zu  40  °  C.  Die 
Anfälle  hätten  Wochen  bis  Monate  cessirt,  seien  im  September  1887  bis  zu 
13  an  einem  Tage  wiedergekehrt.  Gemüthsbewegungen  seien  von  grossem 
Einfluss  auf  deren  Wiederkehr.  Bei  ihrer  grossen  Gemüthsreizbarkeit  und 
Emotivifät  traten  jene  sehr  leicht  ein. 

Patientin  bietet  rechts  Hemianästhesie  mit  Einschluss  der  Sinnesorgane. 
Die  grobe  Muskelkraft  ist  auf  der  rechten  Seite  etwas  herabgesetzt.  Die  rechte 
Oberextremität  befindet  sich  in  beständigem  Tremor.  Es  besteht  epigastrische 
Myodynie,  die  Ovarialgegend  ist  nicht  druckempfindlich.  Von  hier  aus,  sowie 
vom  Epigastrium  sind  keine  Anfälle  zu  provociren.  Patientin  ist  fieberlos. 
Von  Seiten  der  vegetativen  Organe  bestehen  keine  Funktionsstörungen.  Eine 
Genitalexploration  wird  verweigert. 

Patientin  hat  1.  auf  der  rechten  Thoraxhälfte  gegen  das  Schultergelenk 
zu  eine  wulstige,  bläulichrothe  Narbe  (Keloid),  eine  mittelgrosse  Damenscheere 
darstellend. 

2.  Mitten  auf  dem  rechten  Oberarm  findet  sich  eine  ähnliche  ovale  Narbe, 
1,5  cm  breit,  1  cm  lang. 

3.  Auf  der  rechten  Schulter  eine  wulstige,  2  cm  lange,  1  cm  breite  Haut- 
narbe, der  Hälfte  eines  K  ähnlich. 

4.  Auf  dem  rechten  Schulterblatt  eine  pigmentirte  Linie,  welche  an  die 
Contouren  eines  Messcy linders  erinnert,  wenigstens  läuft  dieselbe  in  eine 
Schneppe  aus. 

5.  Auf  der  Mitte  des  rechten  Vorderarms  eine  J-förmige  pigmentirte 
Linie,  deren  oberes  und  unteres  Drittel  zwar  flach,  aber  narbig  sind. 

Patientin  behauptet,  man  habe  ihr  diese  Narben  in  Hypnose  gemacht, 
wenigstens  habe  ihr  dies  die  Wärterin  (Schwester)  berichtet.  Sie  selbst  wisse 
nichts  davon.  1  sei  mit  einer  Scheere,  2  mit  einem  Schlüssel,  3  mit  einem 
Monogramm,  4  mit  einem  Glascylinder,  5  mit  einem  Buchstaben,  sämmtlich  für 
glühend  heiss  ausgegeben,  entstanden. 

Die  betr.  Stellen  seien  nach  der  Experimentation  jeweils  mit  einem  Ver- 
band bedeckt  und  dieser  sei  versiegelt  worden. 

Ihre  rechtsseitige  Hemianästhesie  bestehe  seit  etwa  2  Jahren.  Sie  habe 
dieselbe  zufällig  entdeckt,  indem  sie  bemerkte,  dass  sie  nichts  in  der  rechten 
Hand  halten  konnte,  wenn  sie  die  Augen  abwandte.  Die  genaue  Prüfung  der 
Sensibilität  mit  dem  Tasterzirkel  ergibt  als  kleinste  Spitzeudistanz,  bei  welcher 
zwei  Eindrücke  wahrgenommen  werden,  an  der  linken  Körperoberfläche :  Stirne 
23  mm,  Wange  15,  Nase  10,  Ober-  und  Unterlippe  4,  Hals  16,  Nacken  17, 
Brust  (Infraclaviculargrube)  31,  Epigastrium  32,  Rücken  28,  Oberarm  Streck- 
seite 27,  Beugeseite  19,  Vorderarm  Streckseite  25,  Beugeseite  22,  Dorsum  der 
Grundphalanx  des  Mittelfingers  22,  des  Zeigefingers  10,  Fingerbeere  des  Zeige- 
fingers 4,  des  Mittelfingers  4,  Oberschenkel  Streckseite  39,  Unterschenkel  Streck - 
v.  Erafft-Ebing,  Hypnotismus.    ö.  Aufl.  2 


—    18    — 

seite  44,  Fussrücken  25,  grosse  Zehe  Volarseite  20  mm.  Diese  Masse  ergeben 
beim  Vergleich  mit  den  Weber 'sehen,  dass  die  Empfindungskreise  auf  der  linken 
Körperhälfte  annähernd  normale  sind,  und  dass  jedenfalls  keine  Hyperästhesie 
besteht.     Die  Untersuchung  der  Augen  (Doc.  Dr.  Birnbacher)  ergab  Folgendes: 

Patientin  gibt  an,  sie  sei  auf  dem  rechten  Auge  vollkommen  amaurotisch 
und  habe  nicht  einmal  quantitative  Lichtempfindung. 

Versucht  man  jedoch  das  Stereoskop,  so  zeigt  sich  klar,  dass  Patientin 
auch  mit  dem  rechten  angeblich  amaurotischen  Auge  ziemlich  kleine  Buch- 
staben liest. 

Vom  linken  Auge  wird  mit  -j-  V10  eme  Sehschärfe  von  5/io  erreicht. 

In  der  Nähe  liest  Patientin  Jäger  Nr.  2  fliessend  in  30  cm.  Die  oph- 
thalmoskopische Untersuchung  ergab  auf  beiden  Seiten  Hypermetropie ,  sonst 
ganz  normalen  Augengrund  und  reine  brechende  Medien.  Vom  linken  Auge 
werden  Farben  richtig  erkannt,  jedoch  ist  das  Gesichtsfeld  für  Weiss  und  für 
Farben  nach  aussen  oben  und  innen  bis  nahezu  an  den  Fixationspunkt  ein- 
geschränkt. 


Krankheitsverlauf. 

Patientin  bot  während  ihres  über  7  Monate  dauernden  Aufenthaltes  in 
der  Grazer  Nervenklinik  das  gewöhnliche  und  ziemlich  stationäre  Bild  einer 
Hysteroepileptischen . 

Grosse  gemüthliche  Reizbarkeit,  labile  Stimmung  mit  Vorwalten  depres- 
siver Stimmungszustände  bis  zu  oft  recht  bedenklichem  Taed.  vitae,  häufig  ganz 
unmotivirt  umschlagend  in  Zustände  von  übermüthiger  Laune  mit  Neigung  zu 
Scherzen  und  selbst  Bosheiten,  waren  bemerkenswerthe  Erscheinungen  in  der 
affektiven  Sphäre. 

Die  Intelligenz  der  Patientin  erschien  von  Anlage  eine  die  Norm  überragende, 
und  zahlreiche  Gedichte  und  Aufsätze  bewiesen,  dass,  neben  ungewöhnlicher 
Bildung,  Phantasie,  Gemüth  und  Verstand  keine  erkennbare  Einbusse  erfahren 
haben.  In  bemerkenswerthem  Contraste  damit  standen  aber  die  Schwäche  der 
Reproduktionstreue,  massenhafte  Erinnerungstäuschungen  und  unrichtige  Lokali- 
sationen in  der  Vergangenheit.  Dadurch,  sowie  durch  viele  Lücken  der  Er- 
innerung, hervorgerufen  durch  autohypnotische  und  sonstige  Bewusstlosigkeits- 
zustände,  war  eine  zusammenhängende  Aufrollung  der  Vita  anteaeta  nicht 
möglich. 

Eine  fatale  Eigenschaft  bildete  die  conträre  Sexualempfindung  der 
Patientin,  die  zu  beständiger  Abwehr  und  Aufmerksamkeit  nöthigte.  Bemer- 
kenswerth  und  gegen  die  Annahme  einer  angeborenen  Perversion  sprechend 
war  immerhin  die  Schamhaftigkeit  der  Patientin  im  Verkehr  mit  den  Aerzten. 

Die  Hemianästhesie  blieb  unverändert.  Hysteroepileptische  Insulte  wur- 
den am  22.  24.  10.,  20.  11.,  2.  12.,  31.  12.,  7.  1.,  10.  3.,  6.  5.  beobachtet.  Nur 
ganz  gelegentlich  und  meist  im  Zusammenhang  mit  Insulten,  kamen  flüchtige 
Hallucinationen  und  Delirien  vor. 

Der  Schlaf  war  meist  schlecht,  unruhig,  unerquicklich.  Häufig  klagte 
Patientin  über  Anorexie,  Cardialgie,  Erbrechen,  Intercostalneuralgie,  Kopfschmerz. 

Die  Eigenwärme  war  selten  eine  normale.    Anlässlich  Gemüthsbewegungen, 


—    19    — 

neurotischer  Beschwerden  ,  besonders  aber  hysteroepileptischer  Insulte  wurden 
Temperaturen  bis  41,5  beobachtet,  aber  ohne  die  begleitenden  sonstigen  objek- 
tiven und  subjektiven  Symptome  des  Fiebers. 

Häufig  schwankte  die  Eigenwärme  binnen  24  Stunden  zwischen  36,5  bis 
39,5.  Durchschnittlich  war  sie  übernormal.  Gleichwohl  hat  das  Gewicht  der 
Patientin  während  der  Zeit  ihres  hiesigen  Aufenthalts  um  mehrere  Kilo  zu- 
genommen. 

Die  Menses,  welche  bis  zum  März  niemals  constatirt  werden  konnten, 
stellten  sich  am  10.  3.  ein  und  kehrten  am  10.  4.  und  5.  5.  spärlich  wieder. 

Inwiefern  eine  grosse  Zahl  der  Krankheitssymptorae  experimentell  und 
therapeutisch  beeinflusst  wurde,  lehrt  das  folgende  Tagebuch  der  hypnotischen 
Versuche.  Bei  dem  Umstand,  dass  Patientin  abnorm  gemüthsreizbar  ist,  mit 
Taed.  vitae  behaftet,  zu  hysteroepileptischen  Anlallen  und  autohypnotischen 
Zuständen  geneigt,  in  welchen  sie  sich  und  Anderen  Schaden  zufügen  kann, 
überdies  leicht  hypnotisirbar  und  in  diesem  Zustand,  sowie  durch  posthypnotische 
Suggestion  zu  verbrecherischen  Handlungen  veriührbar,  ferner  mit  conträrer 
Sexualempfindung  behaftet  und  unfähig,  ihre  krankhaften  Triebe  zu  benieisterm 
erscheint  es  Pflicht,  nach  geschlossener  Beobachtung  Patientin  einer  Humanitäts- 
anstalt ihres  Heimathlandes  zuzuführen.  Die  bisherige  Erfahrung  lässt  es  mög- 
lich erscheinen,  dass  die  bedauernswerthe  Kranke  auf  dem  Wege  fortgesetzter 
therapeutischer  hypnotisch-suggestiver  Beeinflussung  einer  besseren  Zukunft  ent- 
gegengefahrt werde. 


Hypnotische  Versuche. 


Herrn  Docent  Dr,  Jendrässik's  Experimente1). 

Herr  Dr.  J.  theilte  mir  am  20.  11.  1887  gütigst  mit,  dass 
die  Hypnotisation  durch  Vorhalten  eines  Bleistifts,  durch  Wischen 
an  der  Stirn,  leichten  Schrei  („hopp"),  durch  imperative  Suggestion 
„schlaf  ein"  oder  einfache  Erklärung  „Sie  schlafen"  jeweils  leicht 
gelang. 

Patientin  war  im  hypnotischen  Zustand  kataleptiform,  abulisch, 
aber  durch  Suggestion  äusserst  leicht  beeinflussbar. 

Das  Aufwachen  erfolgte  durch  Anblasen  oder  durch  die  Auf- 
forderung zu  erwachen. 

In  letzter  Zeit  hat  der  Experimentator  beobachtet,  dass  die 
Experimente  nicht  mehr  so  gut  gelingen,  auch  scheine  der  Schlaf 
nicht  mehr  so  tief  und  rein  wie  früher.  Auch  habe  Patientin  Zeiten 
spontaner  Verwirrtheit  und  Bewusstseinsstörung  und  zeige  neuer- 
dings Neigung  zum  Simuliren.  Das  Resume  der  Experimente  des 
Herrn  Dr.  J.  ist  folgendes: 

1.  Vornahme  kataleptischer  Körperstellungen. 

2.  Hervorrufung  von  Contrakturen  durch  Drücken  oder  Frot- 
tiren  eines  Körpertheils.  Jene  schwinden  durch  stärkeres  Frottiren 
oder  durch  verbale  Suggestion. 

3.  Suggestion  eines  Vogels  in  der  Hand.  Patientin  liebkost 
ihn.  Sugg.  es  sei  eine  Schlange  —  Entsetzen.  S.  eines  Bades  — 
Patientin  wäscht  sich  behaglich.  S.  es  sei  sehr  kalt  —  Frösteln, 
Zittern,  Zähneklappern.  S.  gereichtes  Wasser  sei  Wein  —  Pa- 
tientin trinkt  das  Wasser  für  Wein.  S.  berauscht  zu  sein  —  Singen, 
Taumeln.     S.  drohenden  Erbrechens  —  Patientin  übergibt  sich. 


*)  Verein  der  Aerzte  in  Budapest  5.  3.  87.    Ausführl.  Mittheilungen  von 
Dr.  Jendrässik  im  neurolog.  Centralblatt  1888,  Nr.  10  und  11. 


—    21    — 

4.  S.  sie  werde,  erwacht,  ein  Hund  sein,  der  nur  bellen  könne. 
Erweckt  geht  Patientin  auf  allen  Vieren  und  bellt.  Patientin  wird 
neuerlich  hypnotisirt  und  die  S.  behoben. 

5.  S.  Dr.  X.  posthypnotisch  zu  ermorden.  Man  gibt  Patientin 
ein  gerolltes  Papier  und  suggerirt  es  als  Dolch.  Erwacht  schleicht 
sie  sich  hinter  Dr.  X.  und  sticht  mit  der  Holle  wüthend  nach  ihm. 
Ein  drohender  Anfall  wird  im  Entstehen  dadurch  verhindert,  dass 
Dr.  X.  sie  mit   „hopp"   anschreit.     Patientin  wird  sofort  kataleptisch. 

6.  S.  von  Lähmung  einer  Extremität.  Patientin  behält  sie 
so  lange  (selbst  tagelang),  bis  man  die  Lähmung  durch  erneute 
Hypnose  und  Suggestion  aufhebt.  In  dieser  sugg.  Lähmung  sind 
die  tiefen  Reflexe  gesteigert. 

7.  Man  kann  Patientin  Hemianästhesie  auf  die  andere  Seite 
suggeriren  oder  auf  beiden  Seiten  entstehen  lassen  oder  ganz  auf- 
heben, aber  nicht  auf  die  Dauer. 

8.  S.  von  Taubheit.  Lässt  man  diese  nach  der  Enthypnotisi- 
rung  unbehoben,  so  reagirt  Patientin  nicht  auf  die  stärksten  acu- 
stischen  Reize ,    nicht    einmal   auf   ein  Gong  von  1  m  Durchmesser. 

In  neuer  Hypnose  kann  man  Patientin  wieder  hörend  machen. 
Man  kann  sie  auch  partiell  taub  machen,  z.  B.  für  eine  bestimmte 
Stimme,  einen  bestimmten  Klang. 

9.  Man  kann  Blindheit  suggeriren.  Suggerirt  man  ihr  dazu 
eine  gute  Stimmung,  so  macht  sie  sich  nichts  daraus. 

Man  kann  ihr  auch  suggestiv  temporär  ihren  Farbensinn 
wieder  herstellen. 

Man  kann  ihr  einzelne  Personen  oder  auch  die  ganze  Gesell- 
schaft absuggeriren.  Im  ersten  Fall  z.  B.  ist  sie  höchst  erstaunt, 
dass  eine  Uhr,  ein  Hut  u.  s.  w.  durch  die  Luft  sich  bewegen,  da 
sie  nur  die  Gegenstände,  nicht  den  (absuggerirten)  Träger  der- 
selben sieht. 

Suggerirt  man  ihr,  sie  solle  sich  von  X.  oder  Y.  nicht  hypno- 
tisiren  lassen ,  so  kann  dieser  machen  was  er  will ,  es  gelingt 
ihm  nicht. 

10.  Man  kann  ihr  auf  weissem  Blatt  eine  Photographie  sug- 
geriren. Sie  kennt  dann  das  betreffende  Blatt  aus  den  übrigen 
weissen  Blättern  heraus. 

Zeichnet  man  ihr  auf  Papier  ein  (1  mit  dem  Finger  hin ,  so 
sieht  sie  das  suggerirte  d.  Kehrt  man  nun  das  Papier  um,  so  sieht 
sie  p  und  im  Spiegelbild  q. 

Noch  besser  gelingt  der  Versuch  mit  t>  —  q  —  p. 


—    22    — 

11.  Ein  Blatt  Schreibpapier  an  den  linken  Unterschenkel  ge- 
bunden und  als  Senfpapier  suggerirt,  erzeugt  am  anderen  Morgen 
Röthung  und  kleine  Blasen. 

Wenn  man  Patientin  Morgens  den  Rand  einer  Zündholz- 
schachtel   (     )    an    den    rechten   Unterarm    drückte,    ein   andermal 

interscapular    den    Rand    eines    Messcylinders     f     \  ,     oder    eine 


Dose  (f     j)    am  Oberarm  und  diese  Gegenstände  als  glühend  sug- 


gerirte,  so  war  jeweils  am  Nachmittag  eine  Brandblase  in  Form 
des  betreffenden  Objekts  zu  sehen  und  eine  Brandwunde,  deren 
Narben  noch  vorhanden  sein  müssen.  Wenn  man  ihr  auf  die  linke 
Seite  etwas  drückte  und  als  glühend  suggerirte,  so  entstand  die 
Brandwunde  auf  der  rechten  Seite  symmetrisch  und  im  Spiegelbild, 
z.  B.  eine  Wäschemarke  a  wurde  auf  die  linke  Schulter  gedrückt. 
Es  entstand  das  Bild  b  auf  der  homologen  rechten  Seite  mit  ganz 
scharfen  Rändern.     Das  richtige  Bild  wäre  gewesen  c. 


V 


Wer  die  Scheere  x)  ihr  angedrückt  und  als  glühend  suggerirt 
hat,  war  nicht  herauszubringen.  Es  muss  einer  der  Praktikanten 
gewesen  sein.  Es  ist  ein  bedauerliches  Beispiel  von  der  grossen 
Wirkung  der  Suggestion.  Fieber  zu  suggeriren  gelang  nicht. 
Patientin  wurde  zwar  unwohl,  aber  der  Thermometer  blieb  bei 
37,4  stehen. 

Ebenso  wenig  gelang  es,  Blutungen  zu  suggeriren.  Es  ent- 
standen bloss  rothe  Flecke  (Hyperämie)  an  den  betreffenden  Stellen. 

12.  Grosse  Wirkung  hat  der  Magnet.  Hat  man  mit  ihm  mani- 
pulirt,  so  kann  man  mit  Allem,  was  man  dann  in  die  Hand  nimmt, 
die  gleiche  Wirkung  erzielen,  aber  früher  nicht.  Ein  Handtuch 
z.  B. ,    das    den  Magnet   bedeckte  und  das  man  Patientin  zum  Ab- 


:)  Nach  Mittheilung  der  barmherzigen  Schwester  war  daselbst  eine 
eiternde  Wunde,  die  sehr  schmerzte  und  2  Monate  zur  Heilung  bedurfte.  Die 
Wunde  wurde  mit  Carbolspülungen  und  Carbolcharpie  behandelt. 


23 


wischen  in  die  Hand  gibt,  macht  sofort  die  heftigste  und  schwer  zu 
lösende  Contractur  in  beiden  Händen.  Ein  gewöhnliches  Handtuch 
macht  diese  Wirkung  nicht. 

Auch  Transfert  gelingt  leicht  mit  dem  Magnet,  ebenso  Be- 
seitigung suggerirter  Taubheit. 

Dr.  Jendrässik  schliesst  seine  interessanten  Mittheilungen  mit 
folgenden  Bemerkungen: 

„Ich  habe  kaum  nöthig  zu  sagen,  dass  die  Experimente  mit 
der  grössten  Vorsicht  gemacht  wurden,  und  dass  z.  B.  bei  den  Brand- 
suggestionen eine  Täuschung  ganz  ausgeschlossen  ist. 

Am  vorletzten  Tage  vor  ihrer  Flucht  suggerirte  ich  ein  J  auf 
ihren  linken  Unterarm  als  heiss.  Der  Buchstabe  war  auf  ein  Papier 
gezeichnet  und  ich  berührte  sie  nur  auf  einen  Augenblick  mit  einer 
Falte  des  Blatts. 

Ist  das  nichts?  Die  suggerirte  Brandwirkung  bleibt  nach  meiner 
Erfahrung  nur  dann  aus,  wenn  inzwischen  (d.  h.  bis  zur  suggestiven 
Wirkung)  ein  hysteroepileptischer  Anfall  eintritt.'' 


Tagebuch  der  hypnotischen  Versuche  in  Graz. 


Vorbemerkungen. 

Patientin  gibt  sich  nur  widerwillig  zu  solchen  Versuchen  her 
und  erst  nachdem  man  sie  auf  Ehrenwort  versichert  hat,  dass  alle 
Brandsuggestionen  unterbleiben  werden.  Mit  der  Zeit  gelingt  es,, 
ihr  Vertrauen  zu  gewinnen  und  sie  fügt  sich  willig  bezüglichen 
Bitten.  Angenehm  sind  der  Patientin  aber  niemals  derartige  Experi- 
mente. Sie  duldet  ihre  Anstellung  aus  Gefälligkeit  gegen  die  Aerzte, 
denen  gegenüber  sie  sich  mit  der  Zeit  zu  Dank  verpflichtet  fühlt. 
Die  hypnotischen  Studien  werden  immer  nur  in  Gegenwart  einer 
Anzahl  von  Aerzten  portis  clausis  vorgenommen  und  die  Zeugen 
verpflichtet,  der  Patientin  von  den  Vorgängen  in  der  Hypnose  nichts 
zu  berichten. 

Prof.  v.  Krafft  behält  sich  das  Recht  vor,  Patientin  zu  hypno- 
tisiren.  Im  Nothfall  und  ausnahmsweise  tritt  für  ihn  der  Assistent 
Dr.  Kornfeld,  einmal  auch  Dr.  Werner  und  die  barmh.  Schwester 
ein.  Einmal  erfolgt  unbeabsichtigte  Hypnose  durch  Dr.  Gugl,  der 
Patientin  die  Augen  zuhält,  während  Krafft  Sensibilitätsprüfungen  an 
Patientin  anstellt.  Das  Gleiche  ereignet  sich  einmal,  indem  eine 
Mitpatientin  der  J.  die  Hand  auf  die  Stirne  legt. 

Die  Hypnose  gelingt  binnen  20 — 30  Sekunden  durch  Anblicken, 
Befehl,  leichten  Druck  auf  die  Bulbi  oder  durch  Wischen  auf  der 
Stirne  mittelst  der  Hand  des  Hypnotisirenden.  Diese  Methode  ist 
Patientin  die  zusagendste. 

Im  Moment  des  Eintritts  der  Hypnose  schaut  Patientin  jeweils 
noch  einmal  den  Experimentator  an,  wie  um  sich  sein  Bild  einzu- 
prägen. Dann  schliessen  sich  die  Augen  halb  und  erscheinen  nach 
rechts  aussen  und  unten  eingestellt.  Patientin  verharrt  in  der  Po- 
sition, die  sie  im  Moment  des  Einschlafens  inne  hatte.     Sie  gleicht 


—    25    — 

einer  Statue.  Nur  gelegentlicher  Tremor  der  Augenlider  und  der 
oberen  Extremitäten  und  ruhige,  langsame  Athmung  verrathen,  dass 
die  Statue  belebt  ist. 

Der  Puls  ist  80 — 90,  solange  Patientin  sich  selbst  überlassen 
bleibt.  Das  Bild  des  hypnotischen  Zustandes  ist  unveränderlich  in 
allen  Hypnosen  das  gleiche,  was  die  Experimentation  sehr  erleichtert. 
Die  Dauer  der  Sitzungen  wurde  auf  3  Stunden  ausgedehnt. 

Die  Sinnesthätigkeit  ist  aufgehoben  bis  auf  acustische  Ein- 
drücke auf  dem  linken  Ohr  und  Schmerzeindrücke  auf  der  linken 
Körperhälfte.  Patientin  reagirt  auf  starke  Schalleindrücke  durch 
leichtes  Zusammenschrecken,  auf  Nadelstiche  (links)  mit  Runzelung 
der  Stirne  und  Contraction  des  Corrugator  supercilii.  Die  übrigen 
Sinne  sind  unerregbar,  selbst  für  die  stärksten  Reize. 

Die  Muskulatur  ist  in  kataleptiformem  Zustand,  jedoch  ohne 
die  Erscheinungen  der  Flexibilitas  cerea. 

Sich  selbst  überlassen  bleibt  Patientin  Statue.  Bei  noch  so 
langer  Beobachtung  zeigen  sich  weder  mimisch  noch  sonst  motorisch 
irgend  welche  Spuren  psychischer  spontaner  Vorgänge. 

Durch  Suggestion  wird  bei  Patientin  jede  Bahn  ihres  Central- 
organes  erschliessbar  und  jegliche  psychische  Leistung  möglich,  aber 
diese  ist  eine  rein  maschinelle ,  automatische.  Die  Maschine  steht 
still,  sobald  der  suggestive  Auftrag  vollzogen  ist.  Die  automatische 
Leistung  ist  eine  äusserst  präcise ,  vollkommene.  Zu  ihrer  Aus- 
führung bedarf  Patientin  der  betreifenden,  durch  Suggestion  auf- 
geschlossenen Sinnesapparate.  Suggestionswege  sind  der  auditive 
und  der  sensitive,  einschliesslich  der  muskulären  Bahnen.  Sug- 
gestiver Beeinflussung  ist  aber  nur  Derjenige,  welcher  die  Hypnose 
bewirkte,  fähig.  Die  tiefen  Reflexe  sind  in  der  Hypnose  nicht  ge- 
steigert. Für  die  Vorgänge  in  diesem  Zustand  besteht  ausserhalb 
desselben  absolute  Amnesie.  Derselbe  lässt  sich  im  Sinne  Charcot's 
und  Bernheim's  als  somnambuler  experimenteller  Schlafzustand  be- 
zeichnen. 

Die  Ueberführung  aus  dem  hypnotischen  Zustand  (=  II)  in 
den  normalen  luciden  (=  I)  gelingt  leicht  durch  Anblasen  oder  durch 
blossen  Auftrag  zu  erwachen. 

Patientin  geht  in  I  durch  einen  Zwischenzustand  der  Schlaf- 
trunkenheit über,  in  welchem  sie  sich  die  Augen  reibt,  die  Glie- 
der reckt. 

Dauerte  die  Hypnose  lange,  wurde  in  derselben  viel  mit  Patientin 
experimentirt,  so  klagt  sie  in  I  Kopfweh,  Müdigkeit,  Unbehaglich- 


—    26    — 

keit,  ebenso  wenn  ein  anderer  als  der  gewöhnliche  Experimentator 
die  Hypnose  vornahm.  Diese  Beschwerden  können  aber  der  Patientin 
durch  die  Erklärung,  sie  werde  sich  nach  dem  Erwachen  wohl  fühlen, 
absuggerirt  werden.  Eine  schädliche  Wirkung  der  unter  obigen 
Oautelen  unternommenen  Hypnosen  auf  den  Krankheitszustand  wurde 
nie  beobachtet. 

Das  Ergebniss  der  Experimente  wurde  jeweils  in  der  Sitzung 
selbst  protokollirt. 

Tagebuch. 

24.  10.  87.  Hypnose  (Zustand  II)  durch  Anblicken.  Sofortiges 
Gelingen.     Erweckung  durch  Anblasen. 

26.  10.     II  durch  leichten  Druck  auf  die  Augen. 

30.  10.  II  durch  Stirnstreichen.  Da  Patientin  schlaflos  ist  und 
Amylenhydrat  wenig  leistet,  Suggestion  von  nun  ab  von  8  Uhr 
Abends  bis  6  Uhr  früh,  gut  zu  schlafen.    Präciser  prompter  Erfolg. 

31.  10.  II  nur  mehr  durch  Stirnstreichen.  Drohender  hystero- 
epileptischer  Insult  dadurch  verhindert. 

1.  11.  Patientin  fällt  der  barmherzigen  Schwester  (Wärterin) 
durch  Küssen  u.  s.  w.  lästig.  In  II  Suggestion  derlei  künftig  zu 
unterlassen.     Das  Küssen  unterbleibt  fortan. 

Durch  centrifugales  Streichen  der  Haut  werden  beliebige  Ex- 
tremitäten in  Contruction  versetzt,  durch  centripetales  Streichen  die 
Contracturen  gelöst.  Durch  Aufdrängung  plastischer  Stellungen  wird 
die  Mimik  entsprechend  beeinflusst. 

Man  suggerirt  Patientin,  sie  sei  ein  Kind,  lässt  sie  mit  einer 
Puppe  spielen,  gibt  ihr  Salz  als  Zucker  zu  essen. 

Sie  wird  in  ein  7jähriges  Schulmädchen  verwandelt,  muss 
Prüfung  ablegen.     Sie  schreibt  dictando  ihren  Namen: 


44J4/MJL' 


schülerhaft,  mühsam,  langsam,  unorthographisch. 

Man    suggerirt  ihr ,    sie  sei  jetzt  erwachsen ,  solle  zu  Grünsten 
ihres   früheren  Arztes   in  Pest    testiren.     Sie    schreibt    dictando   ein 


—    27    — 

legales   Testament.     Man    diktirt    ihr   neuerlich    ihren  Namen.     Sie 
schreibt  nun: 


^»      yC^vm^     c/osh tf/rut/t^s 


Sie  schreibt  leicht  und  fliessend  was  man  will,  u.  A.  einen 
Schuldschein  über  500  fl. 

Sie  bekommt  den  Auftrag,  erweckt  Dr.  H.  aufzusuchen,  ihm 
die  Hand  zu  reichen  und  „danke"  zu  sagen.  Diese  posthypnotische 
Suggestion  wird  prompt  erfüllt. 

4.  11.  Das  Hypnotisiren  ist  Patientin  lästig.  Sie  bereitet 
sich  zur  Flucht  vor.  In  II  wird  ihr  suggerirt,  nicht  zu  entweichen. 
Dieser  Gedanke  kehrt  in  I  nicht  wieder. 

Patientin  wird  aufgetragen,  in  II  den  Dr.  K.  zu  ermorden  und 
ihr  zu  diesem  Zweck  ein  Zahnbürstchen  in  die  Hand  gegeben.  Sie 
leistet  anfangs  Widerstand ,  entschliesst  sich  nicht  ohne  seelischen 
Kampf  zur  That,  schleicht  sich  aber  dann  wie  ein  Bravo  an  das 
Opfer  und  sticht  wüthend  nach  demselben,  so  dass  man  ihr  Einhalt 
gebieten  muss. 

Bisher  bemühte  sich  der  Experimentator ,  vor  Patientin  in  II 
leise  oder  in  lateinischer  Sprache  mit  der  Umgebung  zu  sprechen. 
Da  sich  constant  zeigt,  dass  nur  dann  von  ihr  appercipirt  wird,  wenn 
man  an  sie  direkt  das  Wort  richtet,  so  entfällt  künftig  meist  diese 
Vorsichtsmassregel. 

5.  11.  Versuch  der  Einwirkung  medicamentöser  Substanzen 
in  II,  wie  sie  Prof.  Luys  beobachtet  hat.  Es  werden  der  Patientin 
nacheinander  1 — -5,0  Pilocarpin ,  Atropin ,  Apomorphin ,  Alkohol  in 
versiegelten  Fläschchen  umgehängt  und  der  eventuelle  Erfolg  von 
Prof.  Dr.  v.  Schroff  beobachtet.  Es  wird  keine  Reaktion  wahr- 
genommen. 

9.  11.  Der  Versuch  wird  heute  mit  Tinct.  Thymiani  5,0  in 
versiegeltem  Fläschchen  wiederholt  in  II.  Während  der  10  Minuten 
dauernden  Application  wird  das  Gesicht  roth  und  turgescent,  der 
linke  Bulbus  etwas  prominent  und  der  Halsumfang  steigt  von  30 
auf  33,5  cm.  Vermehrte  Pulsation  der  Gefässe  tritt  nicht  ein.  Der 
Puls  steigt  von  90  auf  120. 

Diese  Erscheinungen  werden  bei  späteren  Versuchen  nicht  mehr 


—    28    — 

constatirt.  Es  ist  anzunehmen,  dass  die  beobachteten  Thymianreak- 
tionen  einfach  durch  Druck  des  engen  Kleides  auf  die  Halsvenen  zu 
Stande  kamen ,  da  Patientin  mit  vorgestrecktem  Kopf  (das  Fläsch- 
chen  wurde  ihr  an  den  Nacken  gebunden,  durch  die  Manipulationen 
daselbst  der  Hals  nach  vorne  an  das  enganschliessende  Kleid  ge- 
drängt und  durch  die  kataleptische  Muskulatur  daselbst  fixirt)  wäh- 
rend der  Dauer  des  Versuchs  verharrte. 

Eine  erhebliche  Pulsbeschleunigung  kam  auch  sonst  gelegent- 
lich in  II  vor. 

13.  11.  In  II  wird  Patientin  suggerirt,  ihr  linker  Arm  sei 
gelähmt.  Derselbe  bietet  sofort  das  Bild  einer  schlaffen  Lähmung, 
ist  anästhetisch,  mit  Transfert  der  Sensibilität  auf  die  rechte  Ober- 
extremität;  die  tiefen  Reflexe  sind  gesteigert,  die  vasomotorischen 
Nerven  gelähmt  (Hautreize  erzeugen  sofort  eine  Hyperämie,  die  sich 
erst  nach  langer  Zeit  ausgleicht). 

Durch  Suggestion  der  Arm  sei  wieder  heil,  stellt  sich  sofort 
der  Status  quo  ante  her. 

14.  11.  87.  Demonstration  im  Verein  der  Aerzte  in  Steier- 
mark 1). 

Anwesend:  68  Mitglieder  und  17  Gäste. 

Lokal:  Nervenklinik  im  allgemeinen  Krankenhause. 

„Nachdem  die  Sensibilität  bei  verhaltenen  Augen  geprüft  und 
die  rechtsseitige  Hemianästhesie  constatirt  worden  ist,  ersucht  Prof. 
Kr  äfft  Patientin,  ihn  ein  wenig  scharf  anzusehen.  Ein  paar  Secunden 
darauf  ist  sie  hypnotisch;  bei  halb  gesenkten  Augenlidern  gleicht 
ihr  Gesichtsausdruck  dem  einer  Maske ,  eine  classisch  starre  Miene 
ohne  jede  Reaktion,  die  Augen  stier,  starr,  amaurotisch.  Sie  reagirt 
nun  nur  mehr  auf  die  Anreden  des  Experimentators  und  folgt  nur 
seinen  Befehlen  und  Eingebungen;  alle  anderen  Anwesenden  sind 
für  sie  Luft.  Aus  dem  Auditorium  an  sie  gestellte  Fragen  beant- 
wortet sie  nicht,  an  sie  ergehende  Aufforderungen  befolgt  sie  nicht; 
hingegen  thut  sie  alles ,    was  der  Experimentator  von  ihr  verlangt. 

Prof.  Kr  äfft  entblösst  ihr  den  linken  Arm  und  streicht  auf 
der  Haut  desselben  in  centrifugaler  Richtung;  eine  totale  Starrheit, 
Coutraktur  ist  die  Folge;  durch  Streichen  in  centripetaler  Rich- 
tung ist  dieser  Zustand  sofort  wieder  beseitigt.  —  Reize,  welche 
in  lucidem   Stadium   (I)  nicht  die  geringste  Reaktion  ergaben,  lösen 


*)  Aus    dem    Protokoll    der   XI.    Monatsversarnmlung    in:    Oesterr.    ärztl. 
Vereinszeituncj. 


—    29 

nun  die  auffallendsten  Reflexeontraktionen  aus:  so  verursacht  Streichen 
des  M.  zygomaticus  mit  dem  Stiel  des  Percussionshammers  eine 
deutliche  Contraktion  dieses  Muskels,  ebenso  am  Levator  labii 
u.  dgl. ;  ein  in  einiger  Entfernung  von  der  betreffenden  Körperstelle 
gehaltener  Hufeisenmagnet  macht  die  Gesichtsmuskeln  deutlich 
zucken,  erregt,  vor  den  Lippen  gehalten,  einen  süffisanten  Gesichts- 
ausdruck u.  s.  w. ;  an  der  hervorgestreckten  Zunge  bewirkt  er 
sichtlich  starke  Contraktionen  der  Zungenmuskeln  und  bewegt  die 
Zungenspitze  nach  jener  Seite,  wo  er  gehalten  wird. 

In  plastische  Attitüden  gebracht,  verharrt  Patientin  in  den- 
selben und  nimmt  den  entsprechenden  Gesichtsausdruck  an.  In  die 
Attitüde  des  Zornes  gebracht,  wird  auch  die  Miene  zornig,  kehrt 
aber  sofort  zur  klassischen  Maskenruhe  zurück,  sowie  die  Stellung 
gelöst  wird.  In  die  Position  einer  Betenden  mit  erhobenen,  gefalteten 
Händen  gebracht,  heben  sich  die  Augenlider  und  die  Bulbi  sind 
auch  nach  oben  gedreht;  bei  Lösung  der  Stellung  wird  die  Miene 
wieder  traumhaft  dement.  Die  Geberde  der  Abwehr  erzeugt  die 
Miene  des  Schreckens;  die  vor  die  Nase  gehaltenen  gespreizten 
Finger  jene  der  Geringschätzung,  die  Bewegungen  der  Arme,  als 
würfe  die  Patientin  Kusshändchen,  geben  ihrem  Antlitz  einen  freund- 
lichen Ausdruck. 

Auf  die  Anrede  des  Experimentators:  „Fräulein  S.,  Ihr  linker 
Arm  ist  ja  ganz  lahm,  versuchen  Sie  doch  einmal,  Ihren  linken 
Arm  zu  heben",  bemüht  sich  dieselbe  vergebens,  dem  Befehle  Folge 
zu  leisten;  der  kurz  vorher  noch  in  kataleptischer  Starre  gewesene 
Arm  fällt,  passiv  erhoben,  schlaff  herunter  und  es  ist  eine  vollständige 
„schlaffe  Lähmung"  vorhanden,  der  Muskeltonus  gleich  Null,  der 
früher  hyperästhetisch  gewesene  Arm  vollständig  gefühllos.  Während 
früher,  im  Zustande  der  kataleptischen  Contraktur,  Nadelstiche 
empfunden  wurden  und  um  so  heftigeres  Stirnrunzeln  zur  Folge 
hatten,  je  proximaler  sie  erfolgten ,  kann  man  jetzt  beliebig  am 
Arme  herumstechen;  keine  Reaktions-  oder  Schmerzäusserung  gibt 
sich  in  der  mimischen  Gesichtsmuskulatur  zu  erkennen,  ja  selbst 
die  stärksten  elektrischen  Pinselströme,  die  kein  Simulant  aushalten 
würde,  werden  spurlos  ertragen.  Hingegen  erweist  sich  jetzt  die 
Gegen-Extremität ,  welche  früher  anästhetisch  war,  als  ästhetisch; 
es  ist  ein  vollkommener  Transfert  eingetreten,  ein  Transfert,  der 
sich  auf  die  beiden  oberen  Extremitäten  beschränkt,  aber  nur  für 
den  Experimentator  existirt;  im  Gesichte  ist  die  Hemianästhesie 
nach   wie   vor   die  gleiche   geblieben.     Es  handelt  sich  nun  darum. 


—    30    — 

die  Lähmung  wieder  auszugleichen.  Auf  die  Anrede  des  Experi- 
mentators, er  habe  durch  das  Andrücken  eines  Siegelstöckels  den 
Arm  wieder  beweglich  gemacht  und  die  Lähmung  sei  geschwunden 
(„Fräulein  S. !  Ich  kann  Ihnen  sagen,  dass  die  Cur  vollkommen 
gelungen  ist!"),  bewegt  die  Patientin  ihren  Arm  wieder,  drückt  ihm 
über  Aufforderung  kräftig  die  Hand,  und  auch  der  Transfert,  dieses 
grösste  Räthsel  des  psychisch-hysterischen  Experimentes,  ist  wieder 
geschwunden,  die  linke  Extremität  ist  wieder  empfindlich,  die  rechte 
anästhetisch. 

Nun  führt  Prof.  Krafft  eine  Reihe  von  Suggestions-Experi- 
menten vor,  welche  Transmutationen  der  Persönlichkeit  der  Kranken 
zur  Folge  haben.  Auf  die  Anrede:  „Guten  Tag,  kleines  Ilmchen, 
was  bist  Du  doch  für  ein  putziges  Mädchen,  schon  2x/s  Jahre  alt, 
wir  wollen  ein  bischen  spielen,  komm!"  benimmt  sich  die  Patientin 
als  wäre  sie  noch  ein  ganz  kleines  Mädchen,  setzt  sich  auf  den 
Boden  hin,  spielt  mit  der  Puppe  (einem  Stück  Brennholz),  legt  sie 
in  die  Wiege  (auf  einen  Sessel),  gibt  ihr  Zucker  (in  Wirklichkeit 
Salz) ,  isst  selbst  davon  und  sagt,  er  sei  süss,  lässt  sich  hierauf  in 
den  Garten  führen  (im  Kreise  herum) ,  zupft  von  einem  der  an- 
wesenden Herren,  von  dem  der  Experimentator  behauptet,  er  sei 
ein  Ribiselstrauch,  die  Ribisel  ab  und  führt  die  Hand  zum  Munde, 
als  ob  sie  dieselben  essen  wollte,  schüttelt  einen  andern  als  Pflaumen- 
baum, bückt  sich  und  liest  die  Pflaumen  auf  u.  s.  w. 

Wie  mit  einem  Schlage  ändert  die  Anrede :  „Potztausend!  wie 
aber  das  Ilmchen  rasch  gewachsen  ist;  jetzt  ist  sie  schon  8  Jahre 
alt  und  ein  Schulmädchen ! "  die  Situation.  Patientin  entgegnet  auf 
die  Frage:  wie  alt  bist  du?  „8  Jahre",  setzt  sich  auf  die  Schul- 
bank  und  nun  entwickelt  sich  folgendes  Frage-  und  Antwortspiel : 

Prof.:  Hast  Du  auch  was  gelernt? 

Pat.:    „Ja." 

Prof.:  Sag'  mir  einmal,  woraus  hat  Gott  die  Welt  erschaffen? 

Pat.  mit  mädchenhafter  Stimme:  „Der  liebe  Gott  hat  die  Welt 
aus  nichts  erschaffen." 

Prof. :  Was  hat  der  liebe  Gott  dann  gemacht  ? 

Pat.  denkt  nach  und  sägt  dann  in  derselben  staccatirten  Be- 
tonung wie  vorhin:    „Der  liebe  Gott  heiligte  den  siebenten  Tag." 

Prof.:  Was  war  das  für  ein  Tag? 

Pat.:   „Und  das  war  ein  Sonntag." 

Prof. :  Was  weisst  Du  aus  der  Naturgeschichte  ?  Was  ist  der 
Wolf  für  ein  Thier? 


—   31    — 

Fat.:    „Der  Wolf  gehört  zu  die   Raubthiere." 

Prof.:  Und  der  Elephant? 

Pat.  schweigt. 

Prof. :    Kannst  Du    mir  die  Hauptstädte  von  Ungarn  nennen  ? 

Pat.  schweigt. 

Prof.:    Kannst  Du   mir    die  Hauptflüsse    von  Ungarn  nennen ? 

Pat.:  .Die  Donau,  die  Theiss "  weiter  bringt  die  Pa- 
tientin trotz  augenscheinlichen  Nachdenkens  nichts  hervor. 

Prof. :  Kannst  Du  auch  schreiben  ?  Schreib  einmal  Deinen 
Namen   auf! 

Pat.  nimmt  Papier  und  Feder  und  schreibt  mit  kindlichen 
Zügen  und  kindlichen  Fehlern  (g  statt  k  u.  s.  w.)  ihren  Namen  auf. 

Weiter  verlangt  Prof.  Krafft  von  ihr,  sie  möge  mit  ihm  über 
die  Stiege  heraufkommen,  aber  Acht  geben,  es  seien  zehn  Stufen. 
Er  führt  sie  dabei  an  der  Hand  im  Kreise  herum.  Patientin  hebt 
vorsichtig  die  Beine,  als  würde  sie  eine  Stiege  emporsteigen,  genau 
beim  11.  Schritte  schlägt  sie  ein  gewöhnliches  Tempo  ein,  als  ginge 
sie  auf  ebenem  Boden. 

Nun  suggerirt  ihr  der  Vortragende,  sie  sei  gar  kein  Mädchen, 
sondern  ein  Mann,  sei  zu  den  Soldaten  gekommen  und  müsse  exer- 
ciren.  Patientin  richtet  und  streckt  sich  wie  ein  Soldat,  bedient 
sich  eines  dargereichten  Regenschirmes  als  Gewehr,  markirt  Wache 
stehen,  präsentirt  auf  den  Ruf:  „Ein  Offizier",  schlägt  an  und  schiesst 
auf  den  Ruf:  „Der  Feind,  der  Feind!"  trinkt  ein  Glas  Wasser  in 
langen  Zügen  bis  auf  den  Grund  als  Ungarwein  aus ,  raucht  ein 
Zahnbürstel  als  Cigarre,  fängt  auf  die  Anrede:  .,Du  bist  ja  ganz 
betrunken"  zu  schwanken  an  und  wackelt  fürchterlich,  kaum  zum 
Erhalten ,  thut  dann ,  als  ob  sie  sich  übergeben  würde ,  trinkt  ein 
Glas  Rothwein  als  Wasser,  und  steht  auf  die  Versicherung,  jetzt 
sei  Alles  wieder  gut,  allein  und  gerade  da  wie  zuvor. 

Auf  die  weitere  Suggestion,  sie  sei  verheirathet  und  habe 
schon  ein  kleines  Kind ,  nimmt  sie  ein  ihr  gereichtes  Kopfkissen 
als  Kind  in  die  Arme,  wiegt  es  in  den  Schlaf,  singt  ein  ungarisches 
Lied  dazu,  gibt  dem  Kleinen  über  Aufforderung  scheinbar  Brei  zu 
essen  und  wischt  nach  jedem  Löffel  voll  am  Kissen  so  herum,  als 
würde  sie  zur  Seite  geflossenen  Brei  zum  Mäulchen  des  Kleinen 
hineinwischen. 

Als  Beweis,  wie  eine  Hypnotisirte  zu  einem  Verbrechen  miss- 
braucht werden  könne ,  dictirt  ihr  später  Prof.  Krafft  einen  Brief 
in  die  Feder,    der  eine  Verleumdung  enthält,  ferner  eine  Quittung 


—    32    — 

über  tausend  Gulden.  Patientin  schreibt  alles  flink  und  fehlerlos, 
mit  regelmässigen  weiblichen  Schriftzügen,  wartet  nach  jedem  nieder- 
geschriebenen Dictate,  das  letzte  Wort  wiederholend,  auf  das 
weitere,  die  reine  Schreibmaschine,  und  weiss  doch  von  Allem 
nichts.  Ihren  Namen  unterschreibt  sie  jetzt  richtig,  füessend  und 
deutlich. 

Sodann  gibt  der  Vortragende  noch  das  Beispiel  einer  post- 
hypnotischen Suggestion.  Er  redet  der  Patientin  ein,  sie  solle  beim 
Verlassen  dieses  Zimmers  einen  an  der  Thüre  lehnenden  Regen- 
schirm aufspannen  und  jenem  Herrn  geben,  der  am  Kasten  bei  der 
Marienstatue  steht.  Hierauf  erweckt  er  die  Patientin  durch  die  An- 
rede:  „Fräulein  S.!  werden  Sie  doch  wieder  wach!" 

Sie  schlägt  die  Augen  auf,  hüstelt  ein  wenig  und  ihre  bisher 
maskenartig  starren  Züge  gewinnen  zugleich  wieder  Leben  und  Be- 
wegung.     „Ich  bin  müde." 

Prof.  Krafft  streicht  jetzt  mit  dem  Griffe  des  Percussions- 
hammers  über  dem  Zygomaticus,  er  contrahirt  sich  nicht;  der  Mag- 
net erzeugt  jetzt  keine  Muskelcontrakturen,  alle  Erscheinungen  der 
Hypnose  sind  wieder  geschwunden.  Ueber  Aufforderung  des  Vor- 
tragenden, auf  ihr  Zimmer  zu  gehen,  verlässt  die  Patientin  das 
Versammlungslokal;  an  der  Thüre  hält  sie  plötzlich  inne,  nimmt 
den  dort  lehnenden  geschlossenen  Regenschirm,  haftelt  ihn  auf, 
spannt  ihn,  windet  sich  mitten  durch  die  Anwesenden  mit  geöff- 
netem, über  dem  Haupte  gehaltenem  Schirme  durch  und  überreicht 
den  Schirm  dem  am  bezeichneten  Kasten  lehnenden  Dr.  H.  — " 

16.  11.  Versetzung  in  IL  Anwesend  Prof.  Dr.  Lipp.  Suggestion 
eines  kalten  Bades.  Sofort  allgemeiner  Tremor,  fibrilläre  Zuckungen 
der  Oberextremitäten  und  Querfaltung  der  Haut  in  der  Handwurzel- 
gegend  (Cutis  anserina).  Bei  Suggestion  warmen  Bades  schwinden 
sofort  diese  Erscheinungen.  Patientin  wäscht  und  streicht  sich  mit 
Wohlbehagen.  Suggerirte  Lähmung  der  linken  Oberextremität, 
gleich  14.   11. 

17.  11.  Patientin  hat  links  Intercostalneuralgie.  Dieselbe 
wird  in  II  mit  Erfolg  absuggerirt. 

Bei  Berührung  der  Bulbi  treten  keine  Reflexe  auf.  Pupillen 
wie  immer  in  Hypnose ,  gleich ,  mittelweit.  Patientin  erklärt  auf 
Befragen,  sie  sehe  den  Experimentator.  Die  Augenstellung  nach 
unten  und  aussen  ändert  sich  aber  nicht.  Bei  verschlossenen  Augen 
behauptet  sie  nichts  zu  sehen. 

Die    Augen    werden    freigegeben.      Auf  die    Frage,    wie   viel 


—    38    — 

Personen  im  Zimmer  seien,  zählt  Patientin  richtig  7.  Nun  wird 
ihr  mitgetheilt,  die  barmherzige  Schwester  sei  soeben  fortgegangen 
(unwahr)  und  kehre  erst  in  einer  Stunde  zurück.  Gefragt,  wie  viel 
Personen  jetzt  im  Zimmer,  zählt  sie  6.  Sie  wird  in  I  versetzt. 
Die  Schwester  bleibt  bei  ihr,  redet  sie  wiederholt  an ,  ist  aber  für 
sie  Luft.  Genau  nach  einer  Stunde  begrüsst  sie  die  Schwester  mit 
den  Worten:  „Guten  Morgen,  Schwester,  wo  stecken  Sie  heute  den 
ganzen  Tag?"  Patientin  beklagt  sich  heute  über  das  häufige  H)rp- 
notisirtwerden.     Sie  fühle  sich  davon  matt  und  angegriffen. 

20.  11.  Heute  Versetzung  in  II  behufs  genauerer  Prüfung 
der  Wirkung  des  Magnets.  Der  Magnet  erzeugt  kräftige  Contraktur 
in  linker  Oberextremität  nach  vorausgehendem  Erzittern  der  Mus- 
keln ;  auf  rechter  (hemianästhetischer)  Oberextremität  entsteht  nur 
Tremor.  Die  linke  Oberextremität  wird  nun  durch  Suggestion  in 
schlaffe  Lähmung  versetzt  (s.  14.  11.).  Es  entsteht  Transfert  der 
Sensibilität  nach  der  rechten  Oberextremität.  Nun  bewirkt  der 
Magnet  rechts  starke  Contraktur,  links  bloss  Tremor. 

Die  Lähmung  wird  durch  Suggestion  behoben.  Sofort  schwindet 
der  Transfert  und  sind  die  Reaktionen  auf  den  Magnet  wieder  gleich 
denen  vor  der  suggerirten  Lähmung. 

Der  Tremor,  welchen  der  Magnet  auslöst,  lässt  sich  durch  auf- 
gelegte Kupfer-  oder  Silbermünzen  sofort  beheben,  die  Contraktur 
durch  centripetales  Streichen. 

Versuch  einer  Prüfung,  ob  eine  differente  Wirkung  zwischen 
Nord-  und  Südpol  besteht. 

Am  rechten  (hemianästhetischen)  Arm  bewirkt  Nordpol  nur 
schwachen  Tremor,  Südpol  schwache  Contraktur.  Am  linken  (sen- 
siblen) Arm  ruft  Nordpol  schwache,  Südpol  energische  Contraktur 
hervor.  Dieser  Versuch  wird  bei  verbundenen  Augen  mehrmals 
und  jeweils  mit  dem  gleichen  Resultat  wiederholt. 

Nach  Application  des  Magnets  (2  —  5  cm  entfernt)  erzielt  man 
analoge  Wirkung  mit  einem  beliebigen  Schlüssel.  Auch  die  Grösse 
und  Stärke  der  Magnete   erweist  sich  irrelevant. 

Am  20.  Abends  hystero-epileptischer  Anfall  nach  Aerger  über 
die  Nachtwärterin.  Damit  sind  die  bisherigen  erfolgreichen  Sugge- 
stionen (Pat.  solle  der  Schwester  mit  Zärtlichkeiten  nicht  mehr  lästig 
fallen,  von  8 — 6  Uhr  Nachts  schlafen)  vernichtet. 

24.  11.  Versetzung  in  IL  Suggestion  von  Taubheit.  Voller 
Erfolg.  Magnet  stellt  Hörvermögen  nicht  her,  wohl  aber  die  Worte: 
„■Sie  hören",  auf  die  Streckseite  des  linken  Vorderarmes  geschrieben. 

v.  Krafft-Ebing,  Hypnotismus.    3.  Aufl.  3 


—    34    - 

Erfolgreiche  Suggestion  quoad  Schwester  und  Schlaf. 

Suggestion  linksseitiger  Facialislähmung.  Es  entsteht  rechts- 
seitige Lähmung  und  linksseitige  Anästhesie.  Minimale  faradische 
Erregbarkeit:  Kathode  For.  stylomastoideum  rechts  7,8,  Rollenabstand 
links  9,4. 

Weder  der  Nord-  noch  der  Südpol  des  Magnets,  noch  andere 
Hautreize  erzeugen  nun  im  Suggestionsgebiet  Contraktur  (weder 
rechts  noch  links).  Die  Lähmung  wird  wegsuggerirt.  Sofort  ist 
links  die  Sensibilität  wieder  hergestellt  und  rechts  Anästhesie  vor- 
handen. Minimale  faradische  Reaktion  nun  rechts  bei  8,3,  links 
9,4  Rollenabstand.  Der  Magnet  erzeugt  nun  rechts  blosse  Spur, 
links  kräftige  Contraktur.  Ein  Schlüssel  ist  links  =  Magnet,  rechts 
wirkungslos.  Posthypnotische  Suggestion,  ein  Heiligenbild  von  der 
Wand  abzuhängen  und  in  ein  anderes  Zimmer  zu  tragen ,  wird 
prompt  besorgt.  Gleich  darauf  über  den  Verbleib  des  Bildes  be- 
fragt, weiss  Patientin  nichts  davon.  Sofort  in  II  versetzt,  berichtet 
sie,  dass  sie  es  in  das  Altarzimmer  getragen  habe.  Warum?  Das 
weiss  sie  nicht.  TJeberhaupt  weiss  Patientin  nie  etwas  in  I  von 
posthypnotischer  Suggestion,  wohl  aber  in  II. 

2.  12.  Hystero-epileptischer  Insult.  Sofort  wieder  zudringlich 
gegen  die  Schwester  und  schlechter  Schlaf.  Neue  Suggestionen. 
Bald  darauf  schreibt  Patientin  an  die  Schwester:  „Mir  ist  so  wehe, 
es  ist  mir,  als  hätte  ich  etwas  verloren,  es  ist  mir  so,  als  ob  ich 
Sie  nicht  mehr  ansehen  sollte,  darum  thut  mir  das  Herz  so  wehe." 

3.  12.  In  IL  Suggestion  1  Stunde  später  Stuhl  zu  bekommen 
(nach  mehrtägiger  Obstipation).  Der  Stuhl  tritt  präcis  nach  1  Stunde 
ein.  (Temperatur  1.  12.  Abends  39,3,  2.  12.  Mittags  38,4,  Nach- 
mittags 39,  Abends  39,2),  Suggestion  am  3.  Abends  38,  am  4.  früh 
37  zu  messen.  Die  Temperaturen  entsprechen  dem  suggestiven 
Auftrag. 

7.  12.  In  IL  Suggestion  Abends  9  Uhr  38,5  zu  messen,  am 
8.  früh  37.  (Temperatur  (3.  12.  Mittags  36,4,  Abends  37,1.)  Die 
Temperatur  wurde  am  7.  Abends  8  ^2  Uhr  gemessen.  Patientin 
wollte  es  nicht  zulassen.  Das  Thermometer  blieb  liegen,  zeigte  um 
83/4  Uhr  37,1  in  axilla.  Gegen  9  Uhr  fügte  sich  Patientin  willig. 
Präcis  9  Uhr  38,5.  Am  8.  früh  37.  Auf  neue  Suggestion  in  II 
misst  Pat.  am  8.  Abends  36. 

8.  12.  Constatirt  wird  die  Wirkungslosigkeit  des  Magneten 
in  I,  ferner,  dass  Patientin  Worte,  die  man  ihr  auf  die  Volar- 
oder  Streckseite    des   linken   Vorderarms,    der  linken  Thoraxhälfte, 


—    35    - 

des  linken  Epigastriums,  der  Vorderseite  des  linken  Schenkels  und 
der  linken  Wade  schreibt,  appercipirt. 

Patientin  wird  nun  in  II  versetzt.  Sofort  wirkt  der  Magnet, 
aber  nur  im  Bereich  der  der  Empfindung  nicht  verlustigen  Stellen. 
Nach  suggerirter  linker  Anästhesie  (mit  Transfert)  tritt  die  Wirkung 
rechts  ein  und  bleibt  links  aus. 

Ein  Handtuch,  das  den  Magnet  bedeckte,  Wasser,  das  in  der 
Nähe  des  Magnets  stand  und  zum  Händewaschen  gereicht  wird, 
rufen  sehr  starke  Contraktur  hervor,  aber  nur  dann,  wenn  sie 
vom  Experimentator  gereicht  werden.  In  fremder  Hand 
sind  sie,  gleichwie  der  Magnet,  absolut  wirkungslos.  Diese 
Versuche  werden  bei  verbundenen  Augen  mehrmals  mit  gleichem 
Erfolg  wiederholt. 

Schleicht  sich  der  Experimentator  mit  dem  Magnet  von  hinten 
an  die  Patientin,  so  tritt  jeweils  sofort  die  Contraktur  ein. 

Nachdem  sich  Jener  die  Hände  gewaschen  und  mit  einem  frisch 
aus  dem  Kasten  geholten  Handtuch  die  Hände  getrocknet  hat, 
reicht  er  der  Patientin  ein  ebensolches.  Nun  bleibt  die  Contrak- 
tur aus. 

Der  Experimentator  schlägt  nun  ein  Gong.  Patientin ,  die 
mit  verbundenen  Augen  dasitzt,  erklärt  auf  Befragen,  einen  Schall 
zu  hören.  Das  Gong  wird  von  Dr.  X  in  derselben  Weise  weiter- 
geschlagen. Patientin  hört  auch  diese  Schläge,  aber  sie  empfindet 
die  von  fremder  Hand  ausgeführten  unangenehm.  Es  wird  ihr 
Taubheit  suggerirt.  Sie  erscheint  taub,  reagirt  nicht  mehr  auf 
gewaltige  Gongschläge.  Der  Magnet  stellt  die  Hörfähigkeit  nicht  her, 
wohl  aber  das  auf  den  Vorderarm  geschriebene  Wort   „Höre". 

9.  12.  Versetzung  in  II  durch  Assistent  Dr.  Kornfeld.  Die 
Hypnose  gelingt  mühsam  und  nur  unter  Zureden  des  Professors, 
Patientin  möge  sich  hypnotisiren  lassen.  Dr.  K.  beherrscht  nun 
ganz  die  Kranke,  der  Professor  vermag  nicht  mit  ihr  in  Rapport 
zu  treten,  auch  nicht  sie  durch  verbale  Suggestion  zu  erwecken, 
was  Dr.  K.  mühelos  gelingt. 

Auffallender  weise  zeigt  sich  aber  in  den  Händen  des  neuen 
Experimentators  der  Magnet  absolut  wirkungslos.  In  sofortiger 
neuer  Hypnose  durch  Prof.  Krafft  wirkt  der  Magnet,  sogar  durch 
die  Kleider  hindurch. 

Von  den  anwesenden  sechs  Aerzten  werden  vier  absuggerirt. 
Erwacht,  behandelt  Patientin  die  vier  Herren  wie  Luft.  Einer  der 
Herren  (Ungar)  spricht  Patientin  ungarisch  an.    Sie  erschrickt  heftig 


—    36    — 

und  bekommt  einen  hystero-epileptischen  Insult,  der  durch  II  aber 
sofort  sich  beseitigen  lässt.  Merkwürdig  war  nur,  dass  Patientin 
die  drei  anderen  deutsch  sprechenden  Herren  nicht  appercipirte. 


12.   12.     XIII.  Monatsversammlung  des  Vereins  der  Aerzte. 

Anwesend  104  Mitglieder  und  Gäste. 

Nachdem  dieselbe  Patientin,  wie  in  der  Versammlung  vom 
14.  v.  Monats,  vorgerufen  war,  wurden  an  ihr  neuerdings  Sensibilität, 
Reflexe  u.  dgl.  im  nicht  hypnotischen  Zustand  geprüft.  Es  erwies 
sich  wieder  die  linke  Seite  empfindlich ,  die  rechte  anästhetisch. 
Tiefe  Reflexe  sind  minimal  oder  doch  sehr  massig ,  das  Anhalten 
eines  Hufeisenmagneten  erregt  nirgends  Muskelcontraktionen,  Körper- 
temperatur in  der  Axilla  gemessen  37°  C. 

Nach  kurzem  Reiben  der  Stirne  der  Patientin  zeigt  deren 
Gesicht  den  charakteristischen  maskenartigen  Ausdruck  der  einge- 
tretenen Hypnose;  Patientin  ist  jetzt  nur  mehr  auf  zweierlei  Reize 
empfänglich :  einerseits  akustisch,  andererseits  sensibel  auf  der  ästhe- 
tischen linken  Körperseite ,  beides  aber  nur  für  die  Persönlichkeit 
des  Experimentators. 

Prof.  Krafft  suggerirt  ihr  nun  zunächst,  sie  werde  heute  Abend 
nach  8  Uhr  bloss  35,5°  C.  Temperatur  messen1). 

Sodann  redete  ihr  der  Vortragende  ein,  sie  sei  im  Bade ,  das 
Wasser  sei  aber  zu  kalt,  sie  werde  sich  erkälten  (Patientin  fängt 
zu  zittern  an),  sie  werde  einen  Schnupfen  bekommen  von  dem  all- 
zukalten Bade  (Patientin  niest  einige  Male  heftig  und  natürlich,  ein 
gewiss  unwillkürlicher  Reflex),  man  habe  aber  nun  heisses  Wasser 
gebracht  und  nunmehr  sei  es  recht  behaglich  im  Bade  (Patientin 
reibt  sich  wohlgefällig  mit  den  Händen  an  den  Schenkeln),  da  sei 
plötzlich  das  warme  Wasser  wieder  abgeflossen  (Patientin  zittert 
heftig  und  zeigt  Gänsehaut  am  Arme). 

Patientin  wird  vom  Vortragenden  in  die  Position  einer  Betenden 
versetzt.  Sofort  nimmt  die  bisher  ausdruckslose  Miene  den  ent- 
sprechenden mimischen  Ausdruck  an,  die  Augen  wenden  sich  nach 
oben  und  die  oberen  Lider  werden  aufgeschlagen.     Dieser  Ver- 


J)  Die  unmittelbar  nach  aufgehobener  Sitzung  gemessene  Temperatur 
war  (um  8  Uhr)  37,1°,  um  729  Uhr  36°,  am  folgenden  Morgen  35,9°,  Mittags 
35,7°  und  erhielt  sich  dieselbe  bis  zum  nächsten  hystero-epileptischen  Anfalle 
auf  subnormaler  Höhe. 


37    — 

such  gelingt  nur  dem  Experimentator.  Andere  Herren 
bemühen  sich  vergebens. 

Nun  legt  ihr  der  Vortragende  eine  Anzahl  weisser  Blätter  vor, 
wie  sie  zu  Receptnotirungen  verwendet  werden ,  und  suggerirt  ihr 
auf  einem  derselben  seine  Photographie.  Das  betreffende  Blatt  nimmt 
der  Vortragende  unter  dem  Vorwande,  eine  Dedication  darauf  zu 
schreiben ,  wieder  an  sich,  markirt  es  auf  der  Rückseite,  mischt  es 
wieder  unter  die  anderen  Blätter  und  fordert  die  Patientin  abermals 
auf,  die  (suggerirte)  Photographie  sich  herauszunehmen.  Patientin 
sieht  sich  die  Blätter  aufmerksam  an ,  geräth  in  heftige  Erregung 
und  schwitzt;  schliesslich  nimmt  sie  ein  Blatt  heraus,  aber  nicht  das 
richtige.  Prof.  Krafft  muss  durch  Reiben  an  der  Stirne  ihre  Hyp- 
nose vertiefen,  um  einem  hystero-epileptischen  Anfalle  vorzubeugen. 

Nun  suggerirt  ihr  der  Vortragende  Gefühllosigkeit  im  linken 
Arme ,  und  sofort  ist  der  früher  hyperästhetische  linke  Arm  voll- 
kommen anästhetisch  geworden.  Selbst  der  stärkste  farado-elek- 
trische  Pinselstrom,  den  kein  Simulant  aushalten  würde,  wird  ohne 
jede  Reaktion  ertragen,  hingegen  ist  der  andere,  vorhin  anästhetische 
Arm  empfindlich  geworden,  was  durch  Proben  erhärtet  wird.  Dieser 
Transfert  existirt  aber  nur  für  den  Experimentator, 
für  andere  Herren  (aus  dem  Auditorium),  welche  mit  der  Nadel 
sich  davon  überzeugten,  existirte  er  nicht. 

Ein  auf  der  ästhetischen  (nun  rechten)  Körperseite  vom  Ex- 
perimentator in  einiger  Entfernung  von  der  Plica  cubiti  angehaltener 
Hufeisenmagnet  erzeugt  sofort  heftige  Muskelcontrakturen,  ebenso 
ein  Magneteisenstab  (rascher  und  kräftiger  bei  angehaltenem  Süd- 
pole) ,  endlich  auch  ein  hölzerner  Kinderspielwaarenmagnet. 
Auf  dem  für  ihn  anästhetischen  linken  Arm  vermag  der  Vor- 
tragende keine  Contrakturen  zu  erzielen.  Hieraus  geht  hervor, 
dass  nicht  die  physikalischen  Kräfte  des  wirklichen  Magneten,  son- 
dern wesentlich  die  Hände  des  Experimentators  das  Erregende  sind. 
Immerhin  erweist  sich  auch  heute  der  Südpol  wirksamer  als  der 
Nordpol.  Einige  centripetal  ausgeführte  Handstriche  des  Experi- 
mentators beseitigen  die  heftigste  Contraktur  sofort  wieder,  indess 
andere  Anwesende  vergebens  sich  bemühen,  durch 
Streichen  die  Contraktur  zum  Schwinden  zu  bringen. 
Das  Streichen  ist  wirkungslos ,  sowie  der  Experimentator  einen 
fremden  Handschuh  anzieht,  es  wirkt,  sowie  er  ihn  wieder  ab- 
gezogen hat.  Auf  den  ästhetischen  Arm  aufgeschriebene  Zahlen 
oder  einfache  Worte  werden  gelesen;   vom  anästhetischen  Arme  be- 


—    38    — 

müht  die  dazu  aufgeforderte  Patientin  sich  vergebens ,  gleichfalls 
abzulesen. 

Auf  die  weitere  Suggestion,  dass  ihr  selber  linke  Arm  nun 
auch  gelähmt  sei,  tritt  zur  Anästhesie  sofort  auch  motorische  Läh- 
mung; auf  die  Mittheilung,  dass  Alles  wieder  heil  sei,  sind  Lähmung, 
Gefühllosigkeit  und  Transfert  wieder  geschwunden.  Patientin  hebt 
den  Arm  wieder  auf  Greheiss,  wäscht  sich  die  Hände  und  trocknet 
sich  dieselben  mit  einem  Handtuch  ab,  welches  über  einem  Magnet 
gelegen  war.  Während  des  Abtrocknens  werden  die  Hände  steif 
und  hält  sie  das  Handtuch  in  den  contrahirten  Fäusten,  bis  ihr 
Prof.  Krafft  durch  centripetales  Streichen  der  Arme  die  Contraktur 
wieder  löst. 

Auf  die  Suggestion  hin,  sie  sei  taub,  geberdet  sich  die  Pa- 
tientin vollständig  rindentaub,  die  stärksten  Schläge  auf  einem  Tam- 
Tam  berühren  sie  schlechterdings  nicht;  sie  zuckt  mit  keiner  Fiber. 
Würde  der  Experimentator  sie  jetzt  anblasen  und  dadurch  aus  der 
Hypnose  erwecken,  so  würde  sie  zusammenschrecken  und  vollständig 
taub  bleiben,  zumal  der  Experimentator  vergessen  hatte,  ihr  vor- 
her einzureden,  sie  werde  binnen  der  und  der  Zeit  wieder  hörend 
sein.  Charcot  hat  angegeben,  dass,  wenn  man  den  Patienten  unter 
solchen  Umständen  einen  starken  Magneten  auf  der  ästhetischen 
Seite  eine  Zeit  lang  ans  Ohr  hält,  diese  wieder  hörend  werden. 
Prof.  Krafft  thut  dies,  so  lange  er  den  mehrere  Kilo  schweren 
grossen  Hufeisenmagneten  emporgehoben  zu  halten  im  Stande  ist; 
nach  einigen  Minuten  muss  er,  weil  ihn  die  Kräfte  verlassen,  davon 
abstehen  und  hat  nichts  erzielt,  als  eine  Contraktur  des  Sternocleido- 
mastoideus  derselben  Seite.  Doch,  wenn  auch  die  Brücke  der  audi- 
tiven Suggestion  zwischen  ihm  und  der  Patientin  vollständig  ab- 
gebrochen ist,  der  Hautgefühis-Suggestion  bleibt  die  Patientin  doch 
noch  unterworfen.  Er  schreibt  auf  ihren  ästhetischen  Arm  lang- 
sam und  deutlich  „Höre!"  und  siehe  da,  die  Taubheit  ist  ver- 
schwunden. Die  Patientin  beantwortet  die  Anrede:  „Das  ist  schön, 
dass  Sie  jetzt  wieder  hören"  mit  „Ja". 

Zum  Schlüsse  noch  eine  posthypnotische  Suggestion:  Prof. 
Krafft  sagt  der  noch  hypnotisirten  Patientin,  die  fremden  Herren 
seien  alle  schon  weggegangen,  nur  er,  die  beiden  Herren  Assistenten 
und  die  barmherzige  Schwester  seien  noch  da.  Hierauf  erweckt  er 
sie  aus  der  Hypnose.  Patientin  schlägt  die  Augen  auf,  weiss  sich 
an  nichts  zu  erinnern ,  zählt  über  Aufforderung  die  anwesenden 
Personen,  sich  selbst  als  die  fünfte  und  geht  auf  ihr  Zimmer,  ohne 


—    39    — 

die  mindeste  Notiz  von  den  Anwesenden  zu  nehmen,  welche  ihr 
zwar  den  Weg  zur  Thüre  frei  lassen,  aber  ungenirt  untereinander 
sprechen,  der  Patientin  „gute  Nacht"  zurufen  und  ab  und  zu  an  sie 
anstreifen.  Patientin  wischt  sich  ganz  unbefangen  an  den  Berüh- 
rungsstellen, wie  wenn  sie  sich  angestossen  hätte. 

16.  12.  Patientin  war  in  letzter  Zeit  wiederholt  in  einem 
traumhaften  unbewussten  Zustand  mit  ganz  verglasten  Augen  von 
dem  Wartpersonal  gefunden  worden  (Autohypnose?),  aus  welchem 
sie  nach  Minuten  bis  Viertelstunden,  wie  aus  tiefem  Schlafe,  zu 
sich  kam. 

Heute  wurde  sie  Nachmittags  2  Uhr  von  2  Mitpatientinnen 
auf  dem  Schlossberg  aufgefunden.  Sie  taumelte,  sah  verstört  aus, 
erbrach  mehrmals  Rothwein,  schlug  dann  um  sich,  begann  zu  schreien 
und  wurde  mühsam  nach  dem  nahen  Spital  zurückgebracht.  Sie 
erklärte  sterben  zu  wollen,  sie  könne  nicht  länger  so  leben.  Ins 
Bett  gebracht,  klagt  sie  heftiges  Brennen  in  der  Magengegend  und 
im  Schlund,  wirft  sich  vor  Schmerzen  herum,  schreiend,  um  sich 
schlagend.  Sie  behauptet  Datura  Strammonium  gepflückt  und  sich 
damit  vergiftet  zu  haben.  Dort,  wo  sie  war,  wächst  keine  Datura, 
überdies  entspricht  der  Zustand  nicht  dem  einer  Strammonium  Ver- 
giftung. Gleichwohl  collabirt  Patientin  zusehends  (Puls  120,  matte 
Herztöne,  tief  blasses  collabirtes  Gesicht,  kalte  Extremitäten). 

Die  Vermuthung  geht  auf  Autosuggestion  bevorstehen- 
den Todes  durch  vermeintlichen  Genuss  vom  Strammonium,  in 
Autohypnose. 

Der  Collaps  dauert  trotz  Reizmittel  fort.  Patientin  macht 
Aeusserungen:  „Ist  es  wirklich  so  schwer  zu  sterben?"  schreibt  auf 
einen  Streifen  Papier:  „Ilma  stirbt,  bete  für  sie."  Man  versucht  sie 
durch  Hypnotisirung  aus  diesem  Zustand  zu  befreien  und  dann  in  I 
überzuführen.  Es  gelingt  mühsam,  sie  in  II  zu  bringen.  Man  sug- 
gerirt  ihre  baldige  Genesung,  Schlaf  bis  7  Uhr,  dann  Abendessen 
und  neuerdings  Einschlafen  und  gesundes  Erwachen  am  17.  früh. 
Sofort  schwindet  der  Collaps ,  alle  Suggestionen  erfüllen  sich ,  nur 
schläft  die  Patientin  bis  73/-i,  nimmt  dann  ihr  Abendessen  und  schläft 
dann  wieder. 

17.  12.  Heute  früh  erwacht  Patientin  ganz  erstaunt  dar- 
über ,  dass  sie  im  Bett  sei.  Sie  weiss  nur ,  dass  sie  am  Vortag 
Nachmittags  eine  Pflanze  fand,  die  sie  für  Datura  hielt,  von  der  sie 
einige  Tage  vorher  gelesen,  einen  Theil  des  Stengels  kaute,  um  zu 
sterben. 


40 


18.  12.  Vor  3  Tagen  war  der  Patientin  Assistent  Dr.  Hellwig 
als  auf  3  Tage  verreist  in  II  absuggerirt  worden. 

Dr.  Hellwig  macht  nach  wie  vor  seine  Visiten  bei  der  Patientin. 
Sie  sieht  und  hört  ihn  nicht,  ist  aber  ganz  verstört  und  entsetzt, 
weil  sie  unsichtbar  die  Thüre  gehen  sieht,  Schritte  hört,  in  ihrer 
Gegenwart  von  unsichtbarer  Hand  die  Blätter  eines  Buchs  um- 
geblättert werden. 

Einmal  erscheint  Dr.  Hellwig  absichtlich  bei  Patientin  mit 
Cigarre.  Sie  sieht  die  brennende  Cigarre  und  Rauchwolken,  ist  über 
die  Phänomene  ganz  verblüfft  und  meint,  wenn  diese  Geistereien 
fortdauern,  werde  sie  noch  verrückt.  Sonst  bietet  ihr  psychischer 
Zustand  während  dieser  3  Tage  nichts  Auffälliges. 

Nach  Ablauf  der  suggerirten  Zeit,  nämlich  heute  bei  der 
Frühvisite,  sieht  sie  sofort  Dr.  Hellwig  und  begrüsst  ihn  als  zu- 
rückgekehrt. 

18.  12.  Anwesend  Prof.  v.  Jaksch,  v.  Helly,  Klemensiewicz, 
Rembold,  Rollet,  v.  Schroff,  Dr.  Anca,  Birnbacher,  die  Assistenzärzte. 

Prof.  v.  Krafft  versetzt  Patientin  in  IL  Dr.  Birnbacher  con- 
statirt:  Pupillen  gleichweit,  3  mm,  Reaktion  auf  Licht  sowohl  direkt 
als  consensuell  prompt  vorhanden.  Der  intraoculäre  Druck  scheint  im 
Moment  der  Untersuchung  gesteigert.  Wenn  man  mit  einem  Gegen- 
stand direkt  auf  das  Auge  losfährt,  entsteht  keine  Bewegung  der  Lider. 

Schlagen  des  Gong  macht  keine  Reaktion.  Um  zu  beurtheilen, 
ob  Patientin  den  Experimentator  hört,  erzählt  er  Details  fatalster 
Art  aus  ihrem  Leben.  Keine  mimische  Reaktion.  Prof.  Rollet  ver- 
sucht Hervorrufung  mimischer  Reaktionen  durch  plastische  Attitüden 
ohne  Erfolg,  ebenso  erfolglos  Contrakturen  durch  Streichen  der 
Haut.  Nun  tritt  der  Experimentator  in  Aktion  gegenüber  der  bis- 
her ganz  reaktionslosen  Patientin.  Mimische  Reaktionen  und  Streich- 
contrakturen  gelingen  sofort.  Experimentator  suggerirt  Prof.  Rol- 
lets  Hände  als  die  seinigen  —  kein  Erfolg.  Contrakturen  vermag 
nur  der  Experimentator  zu  lösen.  * 

Prof.  Rollett  producirt  5  ganz  gleich  aussehende,  gleich  grosse 
und  schwere  Holzcylinder,  die  er  gezeichnet  hat. 

A.  Versuch  an  linker  (sensibler)  Oberextremität. 
Cylinder  0  =  0 

3  =  starke   Contraktur   durch   Streichen  gelöst 

4  =  o    „  .,  „  „  n 

1  =  0 

2  =  0. 


—    41    — 

B.  Versuch  an  linker,  durch  suggestiven  Transfert  anästhetisch 
gemachter  Oberextremität. 

Cylinder  0  =  0 
4  =0 
3=  0 

2  =  0 

1  =  0. 

C.  Versuch  an  durch  suggestiven  Transfert  empfindlich  ge- 
machter rechter  Oberextremität. 

Cylinder  0  =  0 
4  =  0 

3  =  leichte  Contraktur 

2  =  0 
1  =  0. 

D.  Versuch  an  wieder  empfindlich  gemachter  linker  Ober- 
extremität. 

Cylinder  0  =  0 

4  :=   0 

3  =  starke  Contraktur 
1  =      .. 

Nach  den  Versuchen  gibt  Prof.  Rollett  bekannt,  dass  0  und  4 
einen  Harzkuchen,  der  mit  Bleiglätte  dem  Gewicht  der  anderen 
Cylinder  egalisirt  war,  1  ein  mit  Bleischroten  gefülltes  Glasrohr, 
2  einen  Messingstab    und  3  einen  starken  Magnet  enthielten. 

Patientin  wurde  durch  Suggestion  taub  gemacht.  Prof.  v.  Jaksch 
schrieb  ihr  auf  den  Arm:  Höre!  Hierauf  reagirte  die  Patientin  eben- 
sowenig, wie  auf  das  Streichen  des  in  Muskelcontraktur  befindlichen 
Armes  durch  einen  Fremden.  Nun  schrieb  ihr  Prof.  Krafft  auf  den 
Vorderarm:  Höre!  Es  fruchtete  auch  nichts;  dasselbe  noch  einmal 
gethan  half  wieder  nichts.  Jetzt  war  Prof.  Krafft  in  grosser  Ver- 
legenheit; er  untersuchte  die  Sensibilität,  sie  war  vorhanden.  Nun 
schrieb  er  auf  den  Oberarm :  Höre !  und  sofort  kehrte  das  Gehör 
wieder.  Wahrscheinlich  war  die  Stelle  des  Vorderarmes  durch  das 
Herumhantiren  in  ihrer  Sensibilität  schon  abgebraucht  und  ermüdet. 

Zum  Schluss  klebt  der  Experimentator  der  Patientin  zwei 
Stückchen  englisches  Pflaster  auf  den  Rücken  und  suggerirt  sie  als 
Vesicantia1).      Ausserdem    zeichnet    er    mit  dem  Percussionshammer 


')  Diese  Suggestion  blieb  erfolglos. 


42 


ein  Kreuz  7  cm  lang  auf  die  Haut  über  dem  Biceps  des  linken  Arms 
und  suggerirt  Patientin,  dass  am  folgenden  Tage  daselbst  um  12  Uhr 
ein  rothes  Kreuz  erscheinen  solle.     Versetzung  in  I. 

19.  12.  Die  Möglichkeit,  dass  diese  Suggestion  sich  erfülle, 
wird  bezweifelt.  Um  11  Uhr  heute  wundert  sich  Patientin,  dass 
sie  am  rechten  Oberarm  eine  juckende,  excoriirte  Stelle  habe.  Sie 
könne  sich  doch  nicht  erinnern,  sich  daselbst  verletzt  zu  haben.  Sie 
will  Morgens  beim  Waschen  schon  etwas  bemerkt  haben.  Die  Unter- 
suchung ergibt,  dass  am  rechten  Arm  an  ganz  homologer  Stelle,  wie 
es  am  Vortag  links  markirt  war,  ein  rothes,  7  cm  langes  Kreuz  mit 
theilweise  durch  Kratzen  excoriirter  Fläche  zu  sehen  ist.  Der  Quer- 
balken ist  weniger  ausgebildet  und  verblasst  bis  5  Uhr  Abends  bis  auf 
ein  1  cm  breites,  excoriirtes  Stück  des  linken  Kreuzarms.  Um  5x/2Uhr 
wird  Patientin  in  II  versetzt  und  ihr  suggerirt,  punkt  7  Uhr  Abends 
Sackstrasse  Nr.  14  im  1.  Stock  (Lokal  des  Vereins  der  Aerzte)  zu 
erscheinen.  Dort  werde  sie  den  Professor  treffen,  ein  Fenster  öffnen 
und  dann  ein  ungarisches  Lied  singen.  Wieder  in  I  versetzt,  arbeitet 
Patientin  unbefangen  und  heiter  fort.  Mit  dem  Glockenschlag  7 
wird  sie  unruhig,  setzt  sich  den  Hut  auf  und  verlangt  tief  aufathmend 
und  mit  auffällig  veränderter  Miene  von  der  Schwester,  ihr  die  Thür 
zu  öffnen.  Befragt,  wohin  sie  wolle,  antwortet  Patientin,  sie  müsse 
fort.  Sie  wird  immer  ungeduldiger,  und  jede  Verspätung  im  Oeffnen 
der  Thüre  scheint  ihre  Erregung  zu  steigern.  Raschen  Schrittes  eilt 
Patientin  ihrem  Ziele  zu,  ohne  mit  dem  sie  begleitenden  Arzt  ein 
Wort  zu  wechseln  oder  sich  über  dessen  Begleitung  zu  wundern. 
Auf  wiederholte  Fragen  gibt  sie  nur  unwillig  Antwort  und  fragt 
beim  Cafe  Polarstern,  wo  ein  Dienstmann  sei,  bei  dem  sie  die  Sack- 
strasse erfragen  könne. 

Auf  die  Weisung  des  Arztes ,  sie  möge  geradeaus  auf  den 
Hauptplatz  gehen  und  dort  in  die  Strasse  rechts  einbiegen ,  geht 
Patientin  sehr  rasch  vorwärts,  vom  Arzte  streng  im  Auge  behalten. 
Ecke  der  Sack-  und  Sporgasse  sucht  Patientin  die  Orientirungstafel 
und  eilt,  die  Hausnummern  lesend,  bis  zum  bestimmten  Haus,  die 
Stiege  hinauf  bis  ins  Vorzimmer;  hier  überlegt  Patientin,  welcher 
der  richtige  Eingang  wäre  und  trifft  genau  den  in  das  Versamm- 
lungslokal. 

Patientin  schreitet  unbekümmert  um  die  dort  versammelte 
Menge  auf  ein  Fenster  zu,  zieht  den  Vorhang  auf,  öffnet  das  Fenster 
und  singt  ein  magyarisches  Liedchen.  Professor  nimmt  nun  Pa- 
tientin beim  Arm,  sie  den  Anwesenden  vorstellend.    Patientin  sieht 


—    43    — 

ganz  verdutzt,  ängstlich  um  sich,  wird  durch  das  Erblicken  eines 
ihr  bekannten  Arztes  etwas  ruhiger,  entfernt  sich  wieder,  nachdem 
Professor  sie  entlassen,  in  Begleitung  des  Assistenten,  der  ihr  hier- 
her gefolgt  war.  Kaum  ist  Patientin  aus  dem  Lokal  hinausgetreten, 
so  weiss  sie  die  Stiege,  auf  der  sie  früher  heraufgekommen,  nicht 
mehr  zu  finden.  Fragt:  „Wo  bin  ich  denn  und  wie  bin  ich  her- 
gekommen?"   Wird  sehr  ängstlich  und  aufgeregt. 

Patientin  weiss  den  Namen  der  Strasse  und  die  Hausnummer 
nicht  mehr,  weiss  nicht,  welche  Richtung  sie  einzuschlagen  habe, 
erinnert   sich    auch    auf  die  Vorgänge  im  Versammlungslokal  nicht. 

Hoch  oben  in  der  Sporgasse  weiss  Patientin  erst,  wo  sie  ist, 
und  zeigt  auf  den  Schlossbergdurchgang. 

Patientin  verlangt  nun  Aufklärung  darüber,  wo  sie  gewesen, 
und  meint  zur  Antwort  des  Arztes,  dass  sie  beim  Professor  war, 
„der  Herr  Professor  wird  recht  böse  werden." 

Auf  die  Begleitung  des  Arztes  und  die  Angabe  der  Strasse 
kann  sich  Patientin  auch  nicht  mehr  erinnern  und  der  sie  be- 
fragenden Schwester  über  ihre  Entfernung  keinerlei  Auskunft  geben. 

22.  12.  Versetzung  in  II.  Patientin  weiss  alles  im  posthyp- 
notischen  Zustand  Geschehene,  aber  nicht  das  Mindeste  davon  in  I. 
Eine  Mitpatientin  hat  heute  in  der  Zeitung  von  den  Vorgängen  im 
ärztlichen  Verein  gelesen  und  die  Indiscretion  gehabt,  es  Patientin 
mitzutheilen.  Patientin  ist  dadurch  sehr  erregt,  bestürzt  und  wankend 
in  ihrem  Vertrauen  zum  Professor  geworden. 

Die  suggerirte  rothe  Stelle  in  Kreuzesform,  welche  an  homo- 
loger Steile  im  hemianästhetischen  Bezirk  auftrat,  macht  trophoneu- 
rotische  Veränderungen  durch  im  Sinne  einer  oberflächlichen  Necrose 
der  Haut.  Auf  dem  scharf  abgeschnittenen  Schorf  und  seiner  Um- 
gebung besteht  Schmerz-  und  Tastempfindung  im  Bereich  von  2  cm, 
während  am  ganzen  übrigen  Arm  die  Sensibilität  fehlt.  Es  handelt 
sich  um  Transfert,  denn  auf  der  gleichnamigen  Stelle  links  fehlt 
die  Sensibilität  in  Kreuzesform  (anästhetischer  Längsstreif  9  cm 
lang  und  5  cm  breit,  Querstreif  7  cm  lang  und  2  cm  breit). 

24.  12.  Die  Excoriation  verheilt  mit  ganz  leichter  Narben- 
bildung. Der  bisher  constant  gefundene  Transfert  ist  geschwunden, 
die  Sensibilität  in  Statu  quo  ante. 

25.  12.  Patientin  hat  (offenbar  in  autohypnotischem  Zustand) 
ein  Leintuch  escamotirt.  In  Zustand  II  versetzt,  weiss  sie  nichts 
von  dessen  Verbleib. 

Posthypnotische  Suggestion,    der  Schwester    mitzutheilen,    vro 


—    44    — 

das  Leintuch  sich  befinde.  Die  Suggestion  wird  wirksam,  bewirkt 
aber  neuerliche  Autohypnose.  In  dieser  weiss  Patientin,  was  sie 
in  früheren  autohypnotischen  Zuständen  gemacht.  Sie  gesteht  der 
Schwester  unter  Thränen ,  dass  sie ,  ohne  zu  wissen  warum ,  das 
Leintuch  ins  Feuer  geworfen  habe. 

Vermuthung,  dass  Autohypnose  ein  III.  besonderer 
Zustand  sei  und  zwar  mit  zwei  Modificationen,  je  nach- 
dem er  spontan  oder  durch  posthypnotische  Suggestion 
entstanden  ist. 

26.  12.  Heftige  Diarrhöe  mit  Colik.  Versetzung  in  IL  Sug- 
gestion: Diarrhöe  höre  auf  und  Bestellung  von  geformtem  Stuhl 
Abends  8  Uhr.  Patientin  wird  scharf  überwacht.  Keine  Colik  mehr, 
keine  Stühle.     Abends  8  Uhr  fester  Stuhl,  von  5  Aerzten  controlirt. 

30.  12.  In  II  Suggestion,  Abends  8  Uhr  genau  37,0  zu 
messen;  pünktliche  Erfüllung. 

31.  12.  In  II  Suggestion,  heute  Abend  38,5,  Morgens  früh 
37,0  zu  messen. 

Ein  gegen  Abend  aufgetretener  hystero-epileptischer  Insult 
durchkreuzt  die  Suggestion  und  macht  sie  unwirksam. 

1.   1.  88.    Patientin  mass  gestern  Abend  36,9,  heute  früh  38. 

4.  1.  In  II  erfolgreiche  Absuggerirung  von  Kopfweh.  Sug- 
gestion, Abends  8  Uhr  36,0  zu  messen. 

5.  1.  Temperatur  gestern  Abend  36,6,  heute  früh  36,0. 

Patientin  geräth  neuerlich  öfters  in  Zustände  von  Autohyp- 
nose,  wahrscheinlich  durch  Pixiren  von  Gegenständen ,  besonders 
glänzenden. 

7.  1.  Um  den  psychischen  Zustand  in  posthypnotischer  Sug- 
gestion genauer  zu  studiren,  erhält  Patientin  heute  in  II  den  post- 
hypnotischen Auftrag,  Abends  Q3I±  Uhr  in  der  Wohnung  des  Pro- 
fessors mit  der  Wärterin  zu  erscheinen,  um  dort  für  sie  bereit 
liegende  Lektüre  abzuholen. 

Abends  6^2  Uhr  hystero-epileptischer  Insult  aus  Kummer 
über  die  bevorstehende  Entfernung  der  geliebten  barmherzigen 
Schwester. 

Es  gelingt,  durch  Versetzung  in  Hypnose  den  Anfall  zum 
Schwinden  zu  bringen.  Patientin  erwacht  spontan  aus  II  um  63/4Uhr. 
Nach  gemachter  Toilette  wird  sie  nachdenklich,  unruhig,  fängt  an 
zu  weinen,  weil  sie  etwas  vergessen  habe.  Sie  ringt  nach  Erinnerung, 
wird  aufgeregt,  stampft  unwillig  den  Boden.  Zur  barmherzigen 
Schwester  sagt  sie:    „!So  theile  mir  doch  mit,  was  ich  thun  soll  — 


—    45    — 

gehen  wir  —  ich  weiss  ja  nicht  wohin?  Du  weisst  doch,  dass  ich 
vergessen  habe,  was  ich  thun  soll.'"  Allmählig  geräth  Patientin  in 
einen  eigenthümlichen,  der  Aussenwelt  entrückten  Zustand  (Auto- 
hypnose ?) ,  in  weichein  sie  vor  sich  hinstarrt.  Nach  etwa  einer 
halben  Stunde  kommt  Patientin  zu  sich,  reagirt  wieder  auf  Anreden, 
sagt  zur  Schwester:  „Gehen  wir,  ich  fühle,  dass  du  es  weisst,  was 
ich  thun  soll;  so  sage  doch,  wohin  ich  gehen  soll.  Du  weisst  es, 
ich  aber  habe  es  vergessen." 

Patientin  wird  wieder  unruhig,  müht  sich  ab,  die  Erinnerungs- 
spur aufzufrischen.  Um  81/*  Uhr  wird  sie  von  Dr.  K.  in  II  ver- 
setzt und  ihr  suggerirt,  der  Professor  lasse  sie  grüssen,  untersage 
ihr  ferneres  Grübeln  und  befehle  ihr,  die  Nacht  über  gut  zu  schlafen. 
Um  8]/-2  Uhr  geht  Patientin  zu  Bett  und  schläft  die  ganze  Nacht 
ohne  Unterbrechung. 

8.  1.  Die  gestrige  posthypnotische  Suggestion  wird  heute  in 
II  wiederholt  und  zwar  auf  präcis  6  Uhr  Abends. 

Patientin  ist  bis  kurz  vor  der  bestimmten  Zeit  auf  der  Ab- 
theilung beschäftigt,  unterhält  sich  mit  den  Mitpatienten.  Plötzlich 
verlässt  sie  diese,  eilt  in  ihr  Zimmer,  um  den  Hut  aufzusetzen,  und 
geht  mit  ernster  Miene  auf  die  Schwester  zu  mit  den  Worten : 
„Also  gehen  wir,  liebe  Schwester!" 

Auf  die  Frage  wohin,  antwortet  sie:  „Sie  wissen  schon,  kommen 
Sie  nur  mit." 

Mit  deutlicher  Ungeduld  verharrt  Patientin  an  der  Thüre,  um 
dann  eiligen  Schrittes  ihrem  Ziele  zuzugehen.  Unterwegs  spricht 
Patientin   ab    und    zu    mit    der  Schwester,    ohne  aber  auch  nur  ein 

.Wort  über  die  Suggestion  zu  verlieren;  nur  in  der  H Strasse 

erkundigt  sie  sich  nach  der  G Strasse,  der  Wohnung  des  Pro- 
fessors.   Die  Hausnummern  der  G Strasse  links  ablesend,  geht 

Patientin  am  Hause  vorüber,  wird  sichtlich  verlegen,  kehrt  wieder 
um  und  bleibt  am  bestimmten  Hause  stehen,  nach  einer  Ordinations- 
tafel  suchend.  Patientin  überlegt  eine  Weile,  merkt  die  an  ihr  vor- 
übergehenden Assistenten  nicht,  spricht  nichts  zur  Schwester  und 
zieht  kräftig  am  Glockenzug. 

Im  Hausflur  angelangt,  eilt  sie  die  gerade  gegenüberliegende 
Stiege  hinauf. 

Patientin  erscheint  mit  verglastem  Auge,  wie  schlaftrunken, 
in  ganz  hypnotischer  Verfassung  im  Zimmer,  theilt  mit,  sie  möchte 
Bücher  abholen.  Zum  Sitzen  veranlasst,  kennt  sie  zwar  die  an- 
wesenden  Aerzte  (Dr.  Hellwig,   Kornfeld,    Anca,    Professor),    ant- 


—    46    — 

wortet  auf  ihre  Fragen,  nimmt  aber  von  ihnen  weiter  keine  Notiz, 
schaut  traumhaft,  verwundert  um  sich.  Als  man  ihr  Wein  servirt, 
wird  sie  unruhig,  will  fort:  sie  sei  ja  bloss  zum  Bücherholen  hier, 
nicht  zum  Weintrinken.  Im  Salon  zeigt  man  ihr  Bilderwerke ;  sie 
macht  ganz  läppische  Bemerkungen  über  die  einzelnen  Bilder, 
blättert  mechanisch  in  den  Büchern  herum,  scheint  nur  zu  per- 
cipiren ,  nicht  aber  zu  appercipiren.  Als  man  im  Nebenzimmer 
Musik  macht,  begleitet  sie  den  Rhythmus  mit  taktmässigem  Wiegen 
des  Kopfes. 

Patientin  spricht,  wenn  man  sie  anredet,  aber  spontan  fast  gar 
nicht.  Einer  fortlaufenden  Gedankenreihe  ist  sie  nicht  fähig.  Sie 
verliert  sich  im  Schauen;  nach  einer  Weile  sagt  sie  zur  Schwester: 
„Gehen  wir  fort." 

Aufgefordert  zu  bleiben  und  noch  andere  Bücher  anzusehen, 
verliert  sie  sich  wieder  in  Anstarren  von  Büchern ,  in  denen  sie 
automatisch  Blatt  um  Blatt  umwendet. 

Episodisch  vertieft  sich  die  Autohypnose  so,  dass  sie  von 
Allem,  was  um  sie  vorgeht,  keine  Notiz  nimmt.  Man  kann  ihr  bei- 
spielsweise ins  Gesicht  schauen,  sie  gewahrt  es  nicht.  Was  man 
ihr  sagt,  führt  sie  wie  ein  Automat  aus. 

Man  constatirt,  dass  Patientin  von  einem  vor  mehreren  Wochen 
ausserhypnotisch  stattgefundenen  Abholen  von  Büchern  im  Hause 
des  Professors  keine  Kenntniss  hat.  In  der  Vermuthung,  dass  sie 
in  autohypnotischem  Zustand  seiner  Zeit  von  Pest  fort  sei,  wird  sie 
bezüglich  der  Umstände  ihrer  Reise  von  Pest  nach  Graz  gefragt. 
Bisher  wusste  sie  darüber  weder  im  luciden  noch  im  experimentell 
hypnotischen  Zustand  etwas. 

Heute  weiss  sie  Bescheid.  Sie  berichtet,  dass  sie  die  bezüg- 
liche Suggestion,  nach  Graz  zu  gehen,  von  der  Schwester  Silvestra 
(in  der  Hypnose?)  erhielt.  Sie  sei  bis  Kis-Czell  zu  Fuss  gegangen, 
habe  dazu  etwa  11  Tage  gebraucht.  Von  da  sei  sie  mit  der  Bahn 
nach  Graz  gefahren,  sei  dort  im  goldenen  Engel  abgestiegen  und 
habe  3  Tage  dort  logirt. 

Alle  Details  ihres  Grazer,  Aufenthalts  bis  zur  Arretirung  weiss 
sie  nicht,  offenbar,  weil  Episoden  des  luciden  Zustandes,  für  welche 
im  Autohypnotismus  die  Erinnerung  fehlt,  unterliefen. 

So  weiss  sie,  dass  sie  im  Mutterhaus  der  barmherzigen  Schwestern 
sich  vorstellte  (thatsächlich).  (Man  erfährt,  dass  sie  dort  auffällig 
war,  traumhaft  verloren.)  Da  sie  dort  nicht  Aufnahme  fand,  sei  sie 
zu  den  Ursulinerinnen  gegangen. 


47    — 

Die  weitere  Prüfung  des  Bewußtseins  ergibt,  dass  Patientin 
von  Allem,  was  sie  im  luciden  und  im  experimentell  hypnotischen 
Zustand  erlebt  hat,  jetzt  nichts  weiss.  Wohl  aber  erinnert  sie  sich 
der  Vorgänge  der  neulichen  posthypnotischen  suggestiven  Situation 
im  Verein  der  Aerzte  bis  zum  Rückweg  in  die  Sporgasse,  wo  offenbar 
Patientin  nach  vollzogenem  Suggestionsauftrag  wieder  in  die  lucide 
Phase  überging.  Patientin  singt  auf  Ersuchen  eine  Strophe  des 
neulich  im  Vereinslokale  gesungenen  ungarischen  Liedes.  Sie  er- 
innert sich  überhaupt  aller  bisherigen  posthypnotischen  Suggestionen. 
Sie  weiss,  dass  sie  neulich  (in  Autohypnose)  ein  Päckchen  Schriften 
aus  dem  Spital  trug  und  am  Schlossberg  versteckte.  Sie  erinnert 
sich  der  „Daturavergiftung"  mit  allen  Details.  Sie  habe  es  aus 
Taedium  vitae  gethan.  Sie  erinnert  sich  nicht  des  damaligen  Rück- 
transports in  das  Spital.  Patientin  erinnert  sich  nicht,  des  Professors 
Uhr  (mit  der  sie  gestern  hypnotisirt  wurde)  schon  einmal  gesehen 
zu  haben.  Sie  greift  in  diesem  posthypnotischen  Suggestiv- 
zustand nicht  nach  derselben.  Patientin  ist  in  heutiger  Situa- 
tion, wie  in  experimenteller  Hypnose,  ohne  Initiative  und  Willen. 
Sie  reagirt  nur ,  wenn  das  Wort  an  sie  gerichtet  wird.  Sie  hat 
aber  Erinnerung  für  die  Thatsachen,  die  in  diesem  Zustand  erlebt 
wurden.  So  weiss  sie  z.  B. ,  dass  sie  jetzt  das  dritte  Glas  Wein 
vor  sich  stehen  hat.  Patientin  wird  verabschiedet  um  73/<t  Uhr  und 
erhält  den  Auftrag,  morgen  früh  bei  der  Visite  die  erste  Strophe 
des  ungarischen  Liedes  den  Aerzten  zu  singen. 

Patientin  verlässt  mit  der  Schwester  des  Professors  Haus ;  vor 
dem  Thore  angelangt,  sucht  sich  Patientin  zu  orientiren,  weiss 
nicht,  nach  welcher  Seite  sie  sich  wenden  soll,  blickt  die  Schwester 
erschreckt  an  und  fragt,  wo  sie  sei.  Die  Aufklärungen  der  Schwester 
und  der  Aerzte  beruhigen  Patientin  nicht;  sie  wird  immer  unruhiger, 
ängstlicher,  macht  der  Schwester  Vorwürfe,  packt  sie  fest  am  Arm, 
sie  beschuldigend ,  irgend  etwas  gegen  sie  (Patientin)  im  Schilde 
zu  führen.  Patientin  erinnert  sich  nicht,  beim  Professor  gewesen 
zu  sein ,  wundert  sich  ,  in  ganz  unbekannter  Gegend  zu  sein ,  will 
sich  von  der  Schwester  losmachen,  weil  diese  sie  auf  den  Bahnhof 
führen  wolle. 

Auf  vieles  Zureden  der  Assistenten  scheint  Patientin  etwas 
ruhiger  zu  werden,  schliesst  sich  ihnen  an,  aber  erst  im  Stadtpark 
weiss  sie,  wo  sie  sich  befindet,  indem  sie  aufs  Paulusthor  zeigt. 

Patientin  ist  es  äusserst  unbehaglich  und  drückend ,  nicht  zu 
wissen,  wie  sie  plötzlich  auf  die  Strasse  gekommen.     Zu  Hause  an- 


—    48    — 

gelangt,  schlägt  sie  zornig  die  Thüren  zu,  ist  über  die  Schwester 
äusserst  ungehalten,  spricht  mit  ihr  kein   Wort. 

Genaue  Ueberwachung  der  Patientin  erscheint  nothwendig,  da 
sie  aus  Verzweiflung  über  die  unaufgeklärte  Situation  auf  der 
Strasse  sich  ein  Leid  zufügen  könnte.  Dies  geht  auch  aus  ihren 
Aeusserungen  dem  Dr.  H.  gegenüber  hervor,  dem  sie  erklärt,  nicht 
länger  so  leben  zu  können;  denn  entweder  sei  sie  verrückt  oder 
nicht  wie  andere  normale  Menschen  angelegt. 

Mit  vieler  Mühe  wird  Patientin  endlich  beruhigt  und  ihr  ver- 
sprochen, morgen  darüber  Aufklärung  zu  geben. 

9.  1.  Patientin  bekommt  heute  Aufklärung  über  die  gestrigen 
Vorkommnisse  und  beruhigt  sich.  Sie  weiss  in  I  nichts  von  den- 
selben und  schildert  ihre  Verlegenheit,  wie  sie  sich  gestern  Abend 
(in  I)  auf  der  Strasse  befand,  ohne  zu  wissen,  wie  sie  aus  dem  Spital 
dahin  kam. 

Patientin  weiss  aber  auch  in  II  heute  nichts  von  den  gestrigen 
Erlebnissen  in  posthypnotischer  Suggestion. 

Wahrscheinlich  besteht  für  die  Zeitdauer  einer  solchen  ein 
III.  Zustand ,  der  eintritt ,  sobald  die  posthypnotische  Suggestion 
aktuell  wird  und  der  schwindet,  sobald  die  posthypnotische  Sug- 
gestion erfüllt  ist. 

Dieser  III.  Zustand  wäre  als  ein  auto hypnotisch  er 
aufzufassen,  und  das  Be wusstwerden  der  bis  zur  Zeit  der 
Ausführung  latenten  posthypnotischen  Suggestion  würde 
neuerdings  (auto)hypnoti  sirend  wirken. 

In  III  gegebene  Suggestionen  scheinen  unwirksam,  wenigstens 
kam  die  für  heute  in  I  zu  leistende  Suggestion  der  Absingung  des 
2mal  in  III   gesungenen   ungarischen  Liedes  nicht  zur  Ausführung. 

Da  heute  die  geliebte  barmherzige  Schwester  das  Spital  ver- 
lässt  und  dies  nicht  ohne  heftige  Gemüthsbewegungen  und  Gefahr 
von  Anfällen  abgehen  kann,  bekommt  Patientin  in  II  die  Suggestion, 
um  12  Uhr  Mittags  einzuschlafen  und  ununterbrochen  bis  10  Uhr 
früh  des  andern  Tages  zu  schlafen.  Beim  Erwachen  hat  sie  38,0 
zu  messen.  Patientin  weigert  sich,  nimmt  aber  die  als  Befehl  wieder- 
holt gegebene  Suggestion  schliesslich  an. 

Präcis  12  Uhr  schläft  Patientin  auf  dem  Stuhl  ein.  Sie  wird 
später  entkleidet  und  zu  Bett  gebracht.  (Man  hatte  vergessen,  ihr 
„Schlaf,  ausgekleidet,  im  Bett"  zu  suggeriren.  —  Die  hypnotischen 
Suggestionen  werden  immer  buchstäblich  befolgt.)  —  Patientin  schläft 
22  Stunden  in  continuo. 


-    49    — 

10.  1.  Schlag  10  Uhr  erwacht  Patientin.  Ihr  erstes  Wort 
ist:  „Schwester,  bringen  Sie  den  Thermometer.''  Die  Messung  er- 
gibt 37  statt  38.  Patientin  klagt  Kopfweh,  ihr  Verhalten  ist 
sonderbar,  traumhaft,  unwirsch.  Patientin  ist  nicht  orientirt.  Das 
Ganze  macht  den  Eindruck,  als  ob  sie  noch  in  durch  posthypnotische 
Suggestion  erzeugtem  III  sich  befinde.  Sie  wird  in  II  versetzt  und 
ihr  das  Kopfweh  absuggerirt.  Nach  Ueberführung  in  I  ist  sie  so- 
fort wohl,  mimisch  frei,  wundert  sich  aber  höchlich,  im  Bett  zu 
sein ,  sie  sei  doch  vorhin  noch  auf  dem  Stuhl  gesessen.  Ihr  ange- 
botenes Frühstück  weist  sie  zurück  mit  dem  Bemerken,  sie  habe  ja 
erst  zu  Mittag  gegessen.  Es  zeigt  sich,  dass  Patientin  glaubt,  es 
sei  Montag  (0.  1.)  Mittag. 

Nur  mit  Mühe  überzeugt  man  sie,  dass  sie  22  Stunden  ge- 
schlafen hat. 

11.  1.  Drohender  Anfall.  Versetzung  in  IL  Suggestion,  keine 
Anfälle  mehr  zu  bekommen.  Erfolgreiche  Absuggerirung  von  Car- 
dialgie,  Dyspepsie. 

12.  1.  Autohypnose  mehrere  Minuten  lang  durch  Anstarren 
der  Gasflamme. 

14.  1.  Gestern  in  II  erfolgreiche  Suggestion,  am  13.  Abends 
38,5,  heute  früh  37  zu  messen. 

18.   1.     In  II  Absuggerirung  von  bedenklichem  Taedium  vitae. 

21.  1.  Patientin  vermisst  eine  auf  ihre  Bitte  ihr  geschenkte 
Photographie  des  Professors.  Sie  glaubt  sie  entwendet,  was  nicht 
denkbar  ist.  In  II  weiss  sie  auch  nichts  über  deren  Verbleib.  Mos- 
lichkeit,  dass  Patientin  sie  in  III  irgendwohin  gesteckt  hat.  Heute 
in  II  Auftrag,  um  51/*  Uhr  die  Photographie  zu  suchen  und  an 
ihren  alten  Platz  zu  stellen.  Präcis  51/*  Uhr  kommt  Patientin  aus 
ihrem  Zimmer  und  meldet,  die  Photographie  sei  wieder  am  alten 
Platz.  Patientin  ist  in  I.  Wenn  sie,  wie  es  wahrscheinlich,  in  III 
war,  so  war  sie  es  nur  sehr  kurze  Zeit. 

27.  1.  Patientin  wurde  heute  Nacht  in  autosomnambulem 
Zustand  vorgefunden.  Sie  hatte  die  Füsse  durchs  Fenstergitter  ge- 
steckt. Heute  bei  Morgen visite  wird  Patientin  im  Fauteuil  gefunden, 
das  Gesicht  in  die  Hände  gestützt.  Sie  reagirt  auf  keine  Anrede 
und  sieht  die  eingetretenen  Aerzte  nicht.  Verglaster  Blick,  katalepti- 
former  Zustand  der  Muskulatur. 

Der  Professor  sitzt  ihr  gegenüber  und  beobachtet  sie.  Plötzlich 
nimmt  das  bisher  maskenartige  Gesicht  einen  leuchtenden  Ausdruck 
an.    Patientin  hat  das  Tiktak  der  Uhr  des  Gegenübersitzenden  per- 

v.  Krafft-Ebing,  Hypnotismus.    3.  Aufl.  4 


—    50    - 

cipirt.  Sie  fährt  ganz  traumhaft  nach  der  Uhr,  hakt  sie  aus  und 
versteckt  sie  in  einer  Spalte  ihres  Lehnsessels. 

Dr.  A.  setzt  sich  nun  der  Patientin  gegenüber.  Sie  stösst  ihn 
aber  mit  dem  Fusse  weg. 

Dr.  M.  hebt  nun  seine  Uhr  an  das  linke  Ohr  der  Patientin ; 
nun  folgt  sie  der  Spur,  macht  geschickt  die  Uhr  los  und  versteckt 
sie  im  Sack  ihrer  Kleider.  Dasselbe  passirt  dem  Dr.  K.  mit  der 
Uhr.  Sie  hat  nun  beide  Uhren  im  Sack,  geht  an  die  geschlossene 
Zimmerthüre  und  klopft  an,  bis  man  sie  öffnet;  draussen  auf  dem 
Corridor  klopft  sie  an  die  zweite  verschlossene  Thüre ;  diese  wird 
geöffnet  und  Patientin  geht  ganz  planmässig  vor  bis  zu  den  dort 
in  Kübeln  stehenden  Oleanderbäumen,  gräbt  mit  den  Fingern  die 
Erde  auf  und  verscharrt  in  derselben  die  Uhren. 

Patientin  kehrt,  ohne  ihre  Begleitung  wahrzunehmen,  in  ihr 
Zimmer  zurück,  erwacht  dann  hier  aus  ihrem  Traumzustand  so  weit, 
dass  sie  die  früher  begonnene  Strickerei  und  das  Lesen  eines  Buches 
fortsetzt. 

Dass  Patientin  im  Zustande  III  ist,  ergibt  sich  daraus,  dass  sie 
die  Visite  gar  nicht  wahrnimmt. 

Auf  wiederholte  Fragen  nimmt  Patientin  keine  Notiz.  Der 
Professor  macht  der  Patientin  das  aufgeschlagene  Buch  auf  ihrem 
Schosse  zu ;  sie  wird  verdriesslich ,  sucht  wieder  die  betreffende 
Seite.  Nun  singt  der  Professor  ein  paar  Takte  eines  Liedes  —  so- 
fort Katalepsie  durch  Schreck. 

Dr.  A.  hebt  ihr  die  Uhr  ans  linke  Ohr.  Patientin  fährt  gierig 
auf  die  Uhr  los  und  steckt  sie  in  die  Tasche. 

Dr.  M.  spielt  mit  zwei  Silbergulden;  der  metallische  Klang 
erregt  sofort  die  Aufmerksamkeit  der  traumhaften  Person,  die  Züge 
verklären  sich,  sie  greift  sofort  nach  dem  Gelde  und  fährt  damit  in 
die  Tasche. 

Der  Professor  foppt  sie  mit  dem  Klang  von  Schlüsseln;  sie  lauscht, 
geht  auf  die  Tasche  des  Professors  los ;  sie  begeht  einen  förmlichen 
Raub,  stösst,  drückt,  kämpft  mit  dem  Besitzer  derselben,  bis  sie 
dieselben  hat,  und  gibt  sie  auch  in  die  Tasche. 

Patientin  versucht  nun,  die  Schlüssel  fortzutragen;  sie  pocht 
an  der  Thüre,  und  als  man  sie  nicht  hinauslässt,  versteckt  sie  die 
Schlüssel  schliesslich  hinter  dem  Ofen. 

Im  autohypnotischen  Zustand  ist  Patientin  in  Bezug  auf  Sen- 
sibilität gleich  Status  I  und  IL 


—    51    — 

Sie  hört  das  Tiktak  der  Uhr  auch  auf  dem  rechten  Ohr. 
Patientin  hört  nicht,  sieht  nicht,  was  sonst  um  sie  vorgeht. 

Patientin  wird  nun  durch  Streichen  der  Stirne  in  den  Zu- 
stand II  versetzt;  sofort  ist  der  Rapport  mit  dem  Professor  her- 
gestellt und  Zustand  III  in  II  verwandelt. 

Patientin  erklärt,  sie  sei  traurig,  sie  könne  aber  den  Grund 
nicht  anführen,  weil  mehrere  Herren  im  Zimmer  seien.  Sie  sehe 
fünf  Personen,  sie  mögen  hinausgehen. 

Patientin  führt  nun  Familienverhältnisse  an,  die  sie  zu  Thränen 
rühren.  Der  Professor  erinnert  Patientin  an  seinen  Auftrag,  keine 
Gemüthsaufregung  zu  haben:  „Sie  dürfen  sich  nicht  aufregen!" 
Patientin  antwortet:    „Ja,  weil  ich  muss,  ich  muss." 

Patientin  wird  durch  Befehl,  zu  erwachen,  in  I  versetzt,  ist 
verwundert,  die  Visite  bei  sich  zu  sehen,  und  fragt,  wann  die  Herren 
eingetreten  seien. 

Neue  Hypnose.  Suggestion:  „Ich  verbiete  Ihnen,  das  Bett  zu 
verlassen,  ausser  zu  Leibesbedürfnissen."     (Gemeint  war:    Nachts.) 

28.  1.  In  Zustand  I  zurückversetzt,  verstand  Patientin  die 
Suggestion ,  das  Bett  nicht  zu  verlassen ,  falsch ,  legte  sich  gleich 
nachher  zu  Bett,  befand  sich  demnach  in  posthypnotischer  Sug- 
gestion den  gestrigen  Tag  über.  So  erklärt  sich ,  dass  Patientin 
von  den  Vorgängen  des  gestrigen  Tages  nichts  weiss  und  glaubt, 
dass  heute  Freitag  (27.)  sei. 

Durch  das  Fixiren  der  Stricknadeln  war  Patientin  gestern  in 
Autohypnose  verfallen.  Patientin  erzählt  heute,  dass  sie  erst  um 
3  Uhr  Nachmittags  zu  sich  kam  und  zu  essen  verlangte. 

Patientin  weiss  von  allem  bis  3  Uhr  Nachmittags  Vorge- 
fallenen nichts. 

Patientin  wird  während  der  Morgenvisite  durch  Anrufen: 
„Schlafen  Sie!"  in  Hypnose  versetzt  und  ihr  suggerirt,  keine  An- 
fälle mehr  zu  bekommen;  sie  dürfe  auch  ferner  nicht  mehr  sich 
selbst  einschläfern  durch  Anblicken    von   glänzenden  Gegenständen. 

In  Zustand  I  zurückversetzt,  wird  Patientin  aufgefordert,  eine 
glänzende  Uhr  an  der  Wand  anzublicken ;  es  zeigt  sich ,  dass  die 
Suggestion,  unempfindlich  zu  sein  gegen  glänzende  Gegenstände,  nicht 
eintrifft.  Patientin  geräth  im  Gegentheil  durch  Anblicken  der  Uhr 
in  Autohypnose. 

Patientin  ist  entschieden  im  Zustand  III,  denn  sie  reagirt 
nicht  auf  den  Experimentator.  Sie  sucht  in  den  Taschen  herum 
nach  den  Uhren,   die  sie  gestern  escamotirt  hat,    und  befindet  sich 


—    52    — 

wieder  genau  in  der  Situation,  in  welcher  sie  am  Vortag  aus  III 
nach  II  übergeführt  wurde. 

Patientin  geht,  nachdem  die  Tasche  leer  ist,  zu  den  Oleander- 
bäumen, gräbt  die  Uhren  aus,  ist  sehr  bestürzt,  als  sie  nichts  findet. 
Augen  offen,  Blick  wenig  verglast. 

Patientin  bemerkt  nur,  was  mit  ihren  Ideen  in  Beziehung  steht. 

Patientin  zieht  sich  bestürzt  zurück ,  sucht  in  den  Taschen, 
findet  nichts,  geht  auf  ihr  Zimmer  zurück,  sucht  vergebens  die  drei 
Uhren  im  Polster  des  Lehnstuhles,  geräth  in  bedenkliche  Erregung, 
zittert  vor  Aufregung. 

Patientin  wird  durch  Streichen  in  Zustand  II  übergeführt.  So- 
fort schwindet  ihre  Aufregung;  die  ganze  Bewusstseinswelt  von  III 
ist  latent  geworden.  Sie  weiss  nichts  vom  Uhrenraub  im  Zustand  III. 
Im  Zustand  II  ist  ihr  das  Ticken  einer  vorgehaltenen  Uhr  peinlich, 
sie  greift  darnach,  aber  mehr  als  Abwehrbewegung. 

Hypnotische  Suggestion:  „Sie  dürfen  und  werden  nicht  mehr 
von  selbst  in  Schlaf  gerathen  durch  Anblicken  glänzender  Gegen- 
stände; bemühen  Sie  sich,  diese  nicht  anzublicken.  Sie  werden  in 
diesen  künstlichen  Schlaf  nicht  mehr  kommen  und  überhaupt  von 
nun  an  von  9  Uhr  Abends  bis  6  Uhr  früh  schlafen!" 

1.  2.  Von  nun  an  fast  täglich  II  zur  Ausführung  folgender 
therapeutischer  Suggestionen : 

1.  „Sie  können  und  dürfen  keine  Anfälle  mehr  bekommen." 
(Diese  sind  seit  7.  1.  ausgeblieben.) 

2.  „Sie  können  und  dürfen  beim  Anblick  glänzender  Gegen- 
stände nicht  mehr  einschlafen." 

3.  „Sie  können  und  dürfen  sich  nicht  selbst  umbringen." 

4.  „Sie  haben  von  9  Uhr  Abends  bis  6  Uhr  früh  zu  schlafen." 
Patientin  wird  genöthigt,  jeweils  diese  Suggestionen  herzusagen. 

Sie  thut  es  rein  automatisch;  nur  bei  Suggestion  3  findet  jeweils 
ein  seelischer  Kampf  und  ein  lebhaftes  Mienenspiel  statt.  Auch  sagt 
sie  3  nicht  in  geschäftsmässigem  Tone  wie  die  anderen  Suggestionen, 
sondern  mit  vor  Erregung  zitternder  Stimme  her.  Anfälle  bleiben 
fortan  aus,  vorsichtige  Versuche  mit  Anblickenlassen  glänzender 
Gegenstände  führen  keine  Aütohypnose  herbei,  von  Taedium  vitae 
wird  nichts  mehr  bemerkt,  Patientin  schläft  von  9  bis  6  Uhr. 

11.  2.  In  II  Versuch  einer  „Suggestion  mentale".  Der  Professor 
concentrirt  seine  Gedanken  darauf,  dass  Patientin  seine  Uhr  weg- 
nehmen soll.  Patientin,  aufgefordert,  den  Gedanken  zu  errathen, 
geräth  in  Unruhe,  mäht  sich  ab,  so  dass  man  den  erfolglosen  Ver- 


such   abbricht   mit  der  Erklärung,  Experimentator  denke  an  nichts 
weiter. 

12.  2.  Heftige  Gemüthsbewegung.  Patientin  wundert  sich, 
dass  sie  diesmal  keinen  Anfall  bekam.  Der  bezüglichen  Suggestion 
ist  sie  sich  nicht  bewusst. 

14.  2.  2mal  Abends  erfolgreich  Temperatur  36,0  suggerirt. 
Gestern  wegen  Verstopfung  Stuhl  erfolgreich  auf  11  Uhr  bestellt. 
Auf  heute  Abend  6  Uhr  Diarrhöe  mit  Colik  suggerirt.  Präcis 
Abends  6  Uhr  profuser  wässeriger  Stuhl  (Transsudaten?)  mit  ge- 
formtem Darminhalt.  Da  Patientin  kurz  vorher  Blase  entleerte  und 
chemische  Untersuchung  der  Flüssigkeit  nur  sehr  wenig  Urate  er- 
gab, kann  die  Flüssigkeit  nur  als  Darmsekret  gedeutet  werden. 
Patientin  kommt  vom  Leibstuhl,  über  Kollern  und  Leibschneiden 
klagend  und  sich  den  Leib  mit  den  Händen  drückend. 

15.  2.  In  heutiger  Hypnose  wird  Patientin  wegen  Uhren- 
escamotirung  (die  sie  in  III  ausgeführt  hatte)  zur  Rede  gestellt. 
Sie  weiss  nichts  davon.  Da  Patientin  aber  thatsächlich  ihrem  Bruder 
einmal  die  Uhr  in  eine  Matratze  versteckt  hat,  wird  direkt  darauf 
inquirirt.  Patientin  weiss  davon  und  erzählt,  ihr  Bruder  habe  sie 
damals  in  Hypnose  (II)  versetzt  gehabt.  Von  den  Uhren,  die  sie 
in  III  an  sich  genommen  hat,  weiss  sie  nach  wie  vor  nichts. 

16.  2.  In  I  wird  constatirt,  dass  Patientin  aufrechtem  Nasen- 
loch nicht,  links  normal  Gerüche  empfindet.  In  II  versetzt,  reagirt 
Patientin  auf  gar  keine  Gerüche.  Durch  Suggestion  werden  links 
üble  Gerüche  (z.  B.  Asa  foetida)  als  Rosenöl,  Balsam,  vitae  Hoff- 
manni  als  Menschenkoth  empfunden.  Patientin  wird  suggerirt,  sie 
werde  auf  rechter  Nase  nun  ebensogut  wie  links  riechen.  Patientin 
riecht  nun  rechts  und  bezeichnet  richtig  üble  und  gute  Gerüche, 
aber  die  Suggestion  ist  nicht  erfüllt,  insofern  Transfert  des  Riech- 
vermögens und  zugleich  der  Sensibilität  von  links  nach  rechts  auf- 
getreten ist  (linke  Nase  bietet  Anästhesie  und  Anosmie).  Während 
der  Dauer  des  Transferts  sind  beliebige  Geruchssuggestionen  rechts 
möglich.  Nach  Versetzung  in  I  geschwundener  Transfert  und 
Status  quo  ante.  In  II  wurden  heute  zwei  Esslöffel  Ricinusöl  als 
Champagner  gegeben  und  suggerirt,  dass  genau  nach  48  h.  am  18. 
ein  geformter  Stuhl  eintreten  müsse  und  inzwischen  kein  Stuhl  er- 
folgen dürfe. 

18.  2.  Präcis  9  Uhr  früh  erstmaliger  und  geformter  Stuhl. 
Heute  in  II  Suggestion,  dass  künftig  die  rechte  Oberextremität 
wieder  sensibel  sein  müsse.     Sofortige  Wiederkehr  der  Sensibilität. 


—    54    — 

Sie    erhält   sich   qua  Schmerzempfindlichkeit;    die  tactile  und  Tem- 
peraturempfindung bleibt  auf  die  Vola  nianus  beschränkt. 

19.  2.  In  II  dauernde  Wiederherstellung  der  Sensibilität  auf 
rechter  Gesichtshälfte.  Sie  erhält  sich  objektiv,  d.  h.  auch  für  andere 
Personen  als  den  Experimentator. 

21.  2.  Heute  kurze  Autohypnose  durch  Anblick  glänzender 
Kugel  trotz  aufrechtem  suggestiven  Verbot.  Patientin  weiss  von 
Autohypnose  in  II,  entschuldigt  sich,  darüber  zur  Rede  gestellt,  sie 
könne  nichts  dafür. 

In  II  wird  von  Patientin  verlangt,  dass  sie  am  folgenden 
Morgen  einen  an  der  linken  Scapula  auf  den  Kleidern  mit  einer 
Bleifeder  gezogenen  Kreis  als  rothen  Streifen  auf  der  Haut  er- 
scheinen zu  lassen  habe.  Heute  Suggestion  in  II,  vom  22.  früh  an 
drei  Tage  lang  37,0  zu  messen. 

(Am  21.  M.  36,8,  M.  37,  A.  37,4.)  Am  22.  M.  37,1,  M.  37, 
A.  37;  23.  M.  37,  M.  37,  A.  37;  24.  M.  37  (wegen  Occlusivverband 
in  Axilla  nicht  weiter  messbar). 

22.  2.  Der  Kreis  ist  nicht  zu  sehen.  Patientin  in  II  darüber 
zur  Rede  gestellt,  antwortet:  „Sie  haben  das  nicht  gut  gemacht, 
Sie  haben  es  auf  die  Jacke  statt  auf  die  Haut  gemacht."  Die  Sug- 
gestion wird  wiederholt  und  diesmal  der  Kreis  direkt  auf  der  Haut 
gezogen. 

23.  2.  Heute  ist  der  Kreis  da,  aber  an  homologer  Stelle  an 
der  rechten  Scapula,  genau  4  cm  im  Durchmesser,  wie  der  am  Vor- 
tag links  gezeichnete.  Er  wird  gebildet  durch  eine  rothe,  2 — 5  mm 
breite  Rinne ,  innerhalb  welcher  die  obersten  Hautschichten  fehlen 
und  ein  gelbgrauer  Schorf  besteht.  Patientin  hat  im  Gebiet  des 
Kreises  Jucken.  Schmerz-,  Berührungs-  und  Temperaturempfindlich- 
keit sind  hier  vorhanden,  aber  sie  sind  nicht  transferirt,  denn  die 
homologe  Stelle  links  ist  nicht  anästhetisch.  Prof.  Lipp  gibt  sein 
Gutachten  dahin  ab,  dass  dieser  suggerirte  Kreis  weder  mit  Nadeln 
noch  durch  sonstige  mechanische  oder  chemische  Mittel  erzeugt  sein 
kann.     Spuren  entzündlicher  Reaktion  fehlen  durchaus. 

24.  2.  In  Gegenwart  yon  Prof.  Lipp  bekommt  Patientin  heute 
in  II  einen  aus  Zinkblech  geschnittenen  Metallbuchstaben  K  nach 
innen  vom  linken  Schulterblatt  auf  die  Haut  gedrückt,  und  wird 
ihr  befohlen,  dass  morgen  Nachmittag  genau  im  Umfang  der  Platte 
eine  blutrothe  Hautfläche  zu  finden  sein  muss.  Zugleich  wird,  um 
Reizeffekte  zu  vermeiden ,  suggerirt ,  an  dieser  Stelle  dürfe  kein 
Jucken  entstehen.    Darauf  wird  Thorax  und  Rücken  von  Prof.  Lipp 


—    55    — 

mittelst  Gazebinde  und  Watte  so  gedeckt,  dass  die  Suggestionsstelle 
absolut  unzugänglich  ist,  der  Verband  4mal  versiegelt,  ein  Deck- 
verband gemacht,  dieser  noch  2mal  versiegelt  und  das  benutzte 
Siegel  von  Prof.  Lipp  mitgenommen.  Patientin  weiss  offenbar  nichts 
von    den  Vorgängen    der  Hypnose ,    nachdem    sie    in  I  versetzt   ist. 

25.  2.,  Nachmittags.  Versetzung  in  IL  Prof.  Lipp  nebst  zahl- 
reichen Aerzten  untersuchen  den  Verband,  finden  ihn,  sowie  die 
Siegel  unverletzt. 

An  der  suggerirten  Stelle  eine  5,5  cm  lange,  4  cm  breite  un- 
regelmässig gestaltete  Platte,  an  welcher  die  Hornschicht  der  Haut 
losgelöst  und  noch  durch  am  Rande  der  blossgelegten  Fläche  hän- 
gende Fetzen  erkennbar  ist.  An  den  Rändern  ist  diese  Platte  feucht, 
während  der  mittlere  Theil  noch  von  dem  Rest  der  Hornschicht 
bedeckt  ist,  die  sich  sehr  trocken  anfühlt  und  gelblich  aussieht. 
Die  unmittelbare  Nachbarschaft  der  Platte  ist  geröthet.  Von  dem 
rechten  Rand  derselben  geht  ein  4  cm  langer,  2  cm  breiter  Schenkel 
schief  nach  rechts  unten,  ein  3  cm  langer  nach  rechts  oben.  Auch 
auf  diesen  Schenkeln  ist  die  Oberhaut  gelockert,  leicht  abziehbar 
und  nässt  die  unterliegende  Hautschicht.  Die  Umgebung  der 
Schenkel  ist  geröthet,  jedoch  ohne  alle  Spur  von  Entzündung. 

Damit  der  Verlauf  dieses  suggestiv  erzeugten  trophoneuroti- 
schen  nekrobiotischen  Processes  ungestört  verfolgt  werden  kann, 
wird  Schmerzlosigkeit  suggerirt  und  das  Verbot,  den  Rücken  von 
jemand  Anderem  als  den  Aerzten  ansehen  zu  lassen. 

26.  2.  Der  kürzlich  suggerirte  Kreis  stellt,  ähnlich  wie  das  im 
December  suggerirte  Kreuz  beschaffen  war,  einen  gelblichen  Schorf 
dar  mit  hyperämischen  Rändern ,  aber  ohne  alle  entzündliche  Re- 
aktion. Die  Platte  von  gestern  stellt  eine  pergamentartige  trockene 
Fläche  dar.  Die  beiden  Schenkel  sind  epidermislos  und  hyper- 
ämisch. 

29.  2.  Der  Kreis  stösst  sich  als  Schorf  ab.  Darunter  eine 
geröthete  Hautfläche  mit  nachwachsender  Epidermis.  Die  Platte 
ist  wie  Pergament.  Der  obere  Schenkel  blasst  ab,  am  unteren 
Schenkel  Schorf-  und  spurweise  Eiterbildung.  Heute  Suggestion, 
Abends  und  die  folgenden  zwei  Tage  36,0  zu  messen.  Temperatur 
heute  früh  38,3,  Mittags  38,6,  Abends  40,0  (intercurrente  heftige 
G  emüthsbe  wegung). 

Am  1.  3.  M.  36,  M.  36,  A.  36,1;  2.  3.  M.  36,1,  M.  39,2, 
A.  37,2  (Mittags  intercurrente  heftige  Gemüthsbewegung). 

2.  3.     Die    pergamentartige    Platte    und    der    rechte    untere 


—    56    — 

Schenkel    stossen    sieh   ab.     An    den  Abstossungsstellen  Hyperämie 
und  reichliche  Epidermisbildung. 

5.  3.  Jucken  an  der  Snggestionsstelle.  Patientin  weiss  nicht, 
was  sie  Juckendes  auf  dem  Rücken  hat.  In  II  neue  Suggestion, 
kein  Jucken  zu  verspüren. 

6.  3.  Kein  Jucken  mehr.  Beginnende  Ueberhäutung  von  Kreis 
und  Platte. 

8.  3.  In  II  Suggestion,  Herz  schlage  zu  schnell,  es  dürfe  in  I 
tagsüber  nur  80  Schläge  machen.  Negativer  Erfolg  (tagsüber 
90—108—96  Pulse). 

9.  3.  Die  stabilen  Suggestionen  (vgl.  1.  2)  werden  in  II  fast 
täglich  mit  gutem  Erfolg  wiederholt.  Auch  die  suggestiv  wieder- 
hergestellte Hautsensibilität  auf  rechter  Oberextremität  und  Gesicht 
erhält  sich. 

Da  Patientin  sich  viel  mit  Erinnerungen  an  Suicidium  der  An- 
gehörigen beschäftigt  und  darüber  verstimmt  ist,  wird  ihr  sug- 
gerirt:  „Ich  nehme  aus  Ihrem  Gedächtniss  den  Tod  Ihrer  An- 
gehörigen." Patientin,  sofort  gefragt  über  Todesart  ihrer  Ver- 
wandten, antwortet:   „Ich  weiss  es  nicht." 

10.  3.  Anlässlich  heftiger  Gemüthsbewegung  nach  Menses 
starker  hystero-epileptischer  Insult  Nachmittags.  Im  Anschluss  daran 
tiefer  spontan  hypnotischer  Zustand  im  Sinn  eines  Lethargus  — 
keine  Reaktion  auf  Sinnesreize,  Glieder  völlig  resolvirt,  nicht  kata- 
leptiform,  tiefe  Reflexe  gesteigert. 

Man  versucht,  Patientin  in  II  zu  versetzen  und  so  mit  ihr  in 
Rapport  zu  treten.  II  gelingt.  Patientin  gibt  nun  Antwort,  ist 
wieder  kataleptiform. 

Es  zeigt  sich,  dass  der  letzte  Insult  alle  Suggestionen  zerstört 
hat.  Es  besteht  wieder  rechts  Hemianästhesie.  Auf  die  Frage, 
wodurch  Angehörige  gestorben,  antwortet  sie:  „Durch  Selbstmord". 
Durch  Suggestion  werden  andere  Aerzte  befähigt,  mit  Patientin 
in  Rapport  zu  treten.  Prof.  sagt  zur  Patientin:  „Herr  Dr.  X  wird 
an  Sie  eine  Frage  richten."  Patientin  antwortet  auf  diese  eine  Frage, 
hört  aber  die  folgenden  des  Dr.  X  nicht. 

Als  man  einen  anderen  Herrn  auf  drei  Fragen  accreditirt, 
werden  ihm  drei  beantwortet,  aber  keine  weitere. 

Die  früheren  Suggestionen  vom  1.  2.  werden  wiederholt,  ferner 
versichert,  dass  die  Angehörigen  eines  natürlichen  Todes  gestorben 
sind.     Nun  wird  Patientin  in  I  übergeführt. 

12.  3.    In  II  Auftrag,  an  die  ausgetretene  Schwester  einen  Brief 


—    57    - 

mit  Erklärung  ihrer  Zuneigung  und  Liebe  zu  schreiben.  Patientin 
schreibt  denselben  fliessend.  Als  man  zwischen  Augen  und  Papier 
einen  Carton  hält,  erklärt  sie,  nicht  weiter  schreiben  zu  können, 
und  hält  inne.  Nachdem  der  suggestive  Auftrag  erfüllt  ist,  ver- 
sinkt Patientin  wieder  in  tiefe  Apathie.  Heute  früh  Suggestion, 
heute,  morgen  und  übermorgen  constant  36,0  zu  messen. 

Phonographischer  Versuch:  Patientin  spricht  Alles  nach,  ganz 
automatisch,  mit  derselben  Betonung  wie  der  Experimentator,  so- 
bald dieser  einen  Finger  der  Patientin  an  Stirn  oder  rechte  oder 
linke  Schläfe  auflegt  und  etwas  spricht.  Das  Sprechen  braucht 
nicht  gegen  Patientin  gerichtet  zu  sein.  Von  anderen  Körperstellen 
aus  kein  Erfolg,  auch  dann  nicht,  wenn  an  den  wirksamen  Stellen 
der  Experimentator  Patientin  mit  Stab  oder  behandschuhtem  Finger 
berührt.  Andere  Personen  vermögen  keine  phonographische  Leistung 
zu  erzielen. 

Für  den  Experimentator  ist  es  gleichgültig ,  ob  er  die  rechte 
oder  die  linke  Stirnschläfenseite  berührt.  Patientin  ist  sowohl  in  II 
als  in  I  unfähig,  irgend  welche  sensible  Reize  selbst  bei  Willens- 
intention rechts  zu  percipiren. 

13.  3.     In  II  phonographischer  Versuch  gleich  gestern. 

15.  3.  Temperatur  am  12.  3.  Mittags  36,1,  Abends  36,0; 
am  13.  3.  M.  36,2,  M.  36,0,  A.  36,0;  14.  3.  M.  36,0,  M.  36,0, 
A.  36,6  (11.  3.  M.  38,2,  M.  39,4,  A.  38,8;  12.  3.  M.  38,1;  15.  3. 
M.  37,3,  M.  37,  A.  37,6). 

Heute  in  I  Prüfung  der  Sensibilitätsverhältnisse  der  Stirnhaut 
durch  Professor  K.  Dr.  Gugl  hält  dabei  Patientin  die  Augen  zu. 
Plötzlich  hört  Patientin  auf,  K.  zu  antworten.  Es  zeigt  sich,  dass 
sie  durch  Dr.  G.  in  II  gerathen  ist.  Sie  reagirt  auf  G.,  nicht  aber 
auf  den  gewohnten  Experimentator. 

G.  macht  die  phonographischen  Experimente.  Professor  K.  bittet 
ihn,  Patientin  sagen  zu  wollen:  „Professor  K.  ist  ein  Schwindler", 
und  ihn  dann  für  eine  Frage  bei  Patientin  zu  accreditiren.  Patientin 
sagt  automatisch  ihr  Sprüchlein.  Der  Professor  fragt  in  gereiztem 
Ton:  „Warum  konnten  Sie  mich  einen  Schwindler  nennen?''  Nun 
wird  Patientin  bestürzt  und  stösst  in  grosser  Erregung  die  Worte 
hervor:   „Weil  es  mir  gesagt  wurde". 

Nach  Ueberführung  in  I  durch  den  ungewohnten  Experimen- 
tator klagt  Patientin  Kopfweh  und  fühlt  sich  sehr  unbehaglich. 
Professor  K.  versetzt  sie  mühsam  und  mit  ungewöhnlichem  Zeit- 
aufwand neuerlich  in  II. 


—    58    — 

Es  zeigt  sich  nun ,  class  Dr.  G.  noch  immer  plionographisch 
Patientin  beeinflussen  kann ;  sonst  hat  er  aber  keine  Macht  mehr 
über  Patientin,  existirt  nicht  für  sie. 

Durch  Professor  K.  in  I  übergeführt ,  fühlt  sich  Patientin 
ganz  wob]. 

18.  3.  In  II  heute  Injektion  von  0,02  Pilocarpin,  muriat.  mit 
der  Suggestion,  es  geschehe  zu  Heilzwecken,  es  dürfe  aber  kein 
Speicheln  und  Schwitzen  eintreten.  Patientin  bietet  bald  darnach 
zorniges  Mienenspiel,  und  befragt,  stösst  sie  gereizt  die  Worte  her- 
vor:  „Ich  kann  Ihnen  nicht  alle  Tage  folgen!" 

Salivation  und  Schwitzen  treten  schwach,  aber  deutlich  ein, 
die  anderen  Pilocarpinwirkungen  sehr  intensiv,  bis  zu  Cyanose  und 
leichtem  Collaps.     Der  Erfolg  muss  als  negativ  bezeichnet  werden. 

22.  3.  Patientin  wird,  statt  wie  gewöhnlich  mit  der  Hand, 
heute  scherzweise  durch  Stirnstreichen  mit  einer  zarten  Bürste  leicht 
hypnotisirt.  Sie  scheint  in  Zustand  II,  reagirt  auf  den  Experi- 
mentator. Dieser  will  die  stabilen  therapeutischen  Suggestionen 
aufgesagt  haben.     Patientin  müht  sich  ab,  weiss  keine. 

„An  was  ist  Ihr  Grossvater  gestorben?"  —  „Er  hat  sich  er- 
hängt." Professor  vermuthet  einen  unbemerkt  gebliebenen  Anfall, 
der  die  Suggestion  zerstörte,  oder  die  Möglichkeit,  dass  durch  einen 
ungewohnten  (physischen)  Reiz  statt  des  gewohnten  (psychischen  ?) 
eine  vorläufig  undefinirbare  Modification  von  II  entstanden  sei. 

Patientin  wird  durch  Aufforderung,  zu  erwachen,  enthypnoti- 
sirt,  gleich  darauf  durch  Stirnstreichen  mit  der  Hand  wieder  in  II 
versetzt.     Nun  weiss  sie  alle  Suggestionen  und  leiert  sie  ab. 

Neuer  Versuch  mit  Tr.  Thymian.  Das  Fläschchen  wird  am 
Nacken  angelegt,  aber  der  Nacken  weiter  nicht  berührt  und  der 
Hals  frei  gelassen.     Keine  Reaktion  auf  Thymian. 

Nun  wird  das  Fläschchen  entfernt,  das  Kleid  oben  zugeheftet, 
der  Kopf  durch  Auflegen  der  Hand  im  Nacken  vorgeschoben  und 
das  Kinn  etwas  gehoben.  (Die  Position  wie  bei  den  früheren 
Thymianversuchen,  vgl.  pag.  27.) 

Durch  so  provocirte  Contraktur  der  Nackenmuskeln,  Andrängen 
des  Halses  gegen  den  engen  Rand  des  Kleides  tritt  sofort  Cyanose 
und  Turgescenz  des  Gesichts  auf  und  Aufschwellen  des  Halsumfangs 
von  34  auf  37  cm.  All  dies  verliert  sich ,  als  man  Patientin  auf- 
fordert, den  Kopf  zu  senken,  und  damit  der  Druck  auf  die  Hals- 
venen wegfällt. 

23.  3.  Nach  heftiger  Gemüthsbewegung  Abends  8  Uhr  hystero- 


—    59    — 

epileptischer  Anfall.  Mittelst  II  gelingt  es,  denselben  zu  coupiren. 
Der  posthypnotischen  Suggestion,  zu  schlafen,  folgt  Patientin.  Aber 
der  Schlaf  wird  wiederholt  durch  schreckhafte  Traumbilder  (Er- 
scheinung des  Vaters,  der  Suicidium  befiehlt)  gestört.  In  dieser 
Nacht  schreibt  sie,  aus  dem  Schlaf  aufgestört,  auf  ein  Blatt:  „Lug- 
bild :  Traum ;  die  ganze  Welt  eine  Lüge.  Es  ist  nur  eine  Phan- 
tasie, dass  wir  existiren."  Den  Rest  der  Nacht  bringt  Patientin 
ruhig  schlafend  zu. 

28.  3.  Patientin  wurde  inzwischen  nicht  in  II  versetzt.  Heute 
geschieht  dies,  um  sich  über  die  Permanenz  der  therapeutischen 
Suggestionen  (vgl.  1.  2.)  zu  vergewissern.  Es  zeigt  sich,  dass  die 
längere  Pause  der  Reproduktion  jener  abträglich  war.  Patientin 
bringt  sie  mühsam,  stockend,  mit  peinlicher  Anstrengung  zuwege. 
Ueber  ihre  Zerstreutheit  zur  Rede  gestellt  und  zur  Folgsamkeit 
ermahnt,  äussert  Patientin:   ..Ich  will,  was  Sie  wollen." 

Sie  weiss  in  II  nichts  von  ihren  Erlebnissen  in  III  und  I. 

Frage:  „Ist  es  Ihnen  unangenehm,  wenn  ich  Sie  das  Alles 
frage?"  Antwort:  „Ich  muss,  wenn  Sie  fragen;  mir  ist  es  nicht 
angenehm." 

Auf  eine  Reihe  von  Fragen  bezüglich  der  Erlebnisse  in  I  und  III 
müht  sich  nun  Patientin  ab,  zu  antworten,  und  erwidert  stereotyp: 
„Ich  weiss  es  nicht." 

Man  befiehlt  ihr,  auf  3  zu  zählen  und  dann  zu  erwachen,  statt 
dass  wie  sonst  der  Experimentator  bis  3  zählte.  Patientin  zählt 
auf  3,  schlägt  dann  die  Augen  auf,  befindet  sich  aber  nach  dieser 
ungewohnten  Procedur  des  Erwecktwerdens  nicht  in  I,  sondern 
in  III. 

Nun  weiss  sie  Alles  bezüglich  ihrer  in  III  unternommenen  Reise 
von  Pest  nach  Graz,  sowie  bezüglich  der  Erlebnisse  des  Grazer 
Aufenthalts  bis  zur  Aufnahme  im  Spital. 

Den  Uhrdiebstahl  am  20.  10.  87  erklärt  sie  damit,  dass  die 
an  der  Wand  aufgehängte  Taschenuhr  ihr  durch  ihr  Ticken  un- 
angenehm gewesen  sei.  Dass  sie  auch  Weisszeug  mitgenommen,  ist 
ihr  nicht  bewusst. 

Patientin  wird  mühsam  und  unter  Widerstreben  von  ihrer  Seite 
durch  das  gewöhnliche  Stirnstreichen  in  II  übergeführt.  Sofort 
nehmen  Haltung,  Gesichtsausdruck  das  diesem  Zustand  entsprechende 
Gepräge  an.  Die  vorigen  in  III  gestellten  und  auf  in  III  Erlebtes 
bezüglichen  Fragen  werden  wiederholt,  aber  Patientin  weiss  sich 
an  nichts  zu  erinnern. 


—    60    - 

Es  zeigt  sich ,  dass  auch  die  gewöhnlichen  therapeutischen 
Suggestionen  verwischt  sind,  so  dass  sie  neuerdings  gegeben  werden 
müssen. 

Offenbar  hat  der  spontane  oder  provocirte  III.  Zu- 
stand die  gleiche  destruirende  Wirkung  auf  post- 
hypnotische Suggestionen  wie  der  hystero-epileptische 
Anfall. 

Die  Ueberführung  in  I  gelingt  nun  leicht  durch  Befehl,  bei  3 
(vom  Experimentator   gezählt)  aufzuwachen. 

31.  3.  Heute  II  mit  Hersagen  der  Heilsuggestionen.  Auf 
Befehl ,  selbst  auf  3  zu  zählen  und  dann  aufzuwachen,  kommt  Pa- 
tientin neuerlich  in  III.  Sie  weiss  alles  früher  in  III  Passirte,  be- 
antwortet alle  bezüglichen  Fragen  wie  am  Vortag,  steckt  eine  ihr 
ans  linke  Ohr  gehaltene  Uhr  unwillig  in  die  Tasche ,  weiss ,  in  II 
übergeführt,  nichts  von  III,  auch  nichts  von  der  soeben  ausgeführten 
Escamotirung  der  Uhr,  auch  nichts  von  den  therapeutischen  Sug- 
gestionen, die  nochmals  gegeben  werden,  und  erwacht  auf  3,  vom 
Experimentator  gezählt,  in  I,  lächelnd  und  zufrieden,  nachdem  ihr 
noch  suggerirt  war,  heiter  und  angenehm  zu  erwachen. 

6.  4.  Seit  dem  3.  4,  an  welchem  Tage  Professor  eine  Reise 
angetreten  hatte,  wurde  nicht  hypnotisirt.  Heute  hystero- epileptischer 
Anfall.  Darauf  heftiges  Taed.  vitae.  In  II  durch  Dr.  Kornfeld 
versetzt,  weiss  Patientin  die  therapeutischen  Suggestionen  nicht  mehr 
(destruirende  Wirkung  des  Anfalls).  Sie  werden  neuerlich  gegeben. 
Darauf  in  I  befriedigender  Status  quo  ante. 

10.  4.     Menses  bis  11.  4. 

11.  4.  Heftige  Cardialgie  und  blutiges  Erbrechen.  In  II 
Mittags  12  Uhr  Suggestion,  bis  5  Uhr  Nachmittags  zu  schlafen  und 
schmerzlos  zu  erwachen.  Um  3  Uhr  Erwachen  in  III.  Patientin 
erhält  nun  einen  Brief  des  Professors,  sie  habe  am  12.  4.  bei  der 
Morgenvisite  einzuschlafen  in  Gegenwart  der  Assistenten,  die  Heil- 
aufträge aufzusagen  und  sich  dann  von  Dr.  K.  erwecken  zu  lassen. 
Patientin  legt  den  Brief  uneröffnet  bei  Seite. 

Um   5   Uhr  (Aufhören ,  der  posthypnotischen  Schlafsuggestion 
kommt  Patientin  in  I,  liest  sofort  den  Brief,  findet  ihn  unverständ- 
lich,  bittet  um  Aufklärung,  wird  auf  den  12.  früh  vertröstet. 

12.  4.  Patientin  schreibt  heute  früh  in  I  an  Professor  u.  A.: 
„Aber  ich  verstehe  Ihren  Brief  nicht  ganz.  Ew.  Gnaden  schreiben, 
ich  solle  dem  Herrn  Dr.  K.  was  aufsagen  und  dann  von  ihm  ge- 
weckt   werden.     Vermuthlich    hatten    Sie    vergessen    zu   schreiben, 


—    61    — 

was  ich  ihm  aufsagen  solle,  denn  soviel  ich  mir  den  Kopf  zer- 
breche, kann  ich  den  Sinn  dieses  Satzes  nicht  verstehen." 

Bei  der  Morgenvisite  wird  Patientin  in  I  gefunden.  Auf  den 
daliegenden  Brief  aufmerksam  gemacht,  geräth  sie  sofort  in  III.  Sie 
weiss  vom  Brief,  erklärt  auf  die  Frage,  wie  viel  Personen  im  Zimmer 
seien:  „Es  sind  drei  (ich,  Sie  und  der  Assistent)."  Thatsächlich 
sind  aber  noch  zwei  Aerzte  und  die  barmherzige  Schwester  anwesend. 

Es  stellt  sich  heraus,  dass  Patientin  im  Briefe  des  Professors 
selesen  hatte:  mit  dem  Assistenten  statt  mit  den  Assistenten.  Sie 
reagirt  in  diesem  Zustand  nur  auf  Dr.  K.  mit  dem  anderen  Assi- 
stenten, nicht  auf  die  anderen  anwesenden  Personen.  Sie  escamotirt 
den  beiden  Assistenten  ihre  ihr  vorgehaltenen  Uhren  und  reagirt 
auf  die  der  Anderen  nicht.  Den  anderen  Assistenten  (Dr.  Hellwig) 
weiss  sie  nicht  mit  Namen  zu  benennen  und  bezeichnet  ihn  kurzweg 
als   „der  Herr  Assistent". 

Nachdem  Dr.  K.  wiederholt  vergeblich  Patientin  gefragt  hat: 
„Was  hat  Ihnen  der  Professor  aufgegeben?"  wird  sie  von  ihm  durch 
Stirnstreichen  in  II  versetzt. 

Kaum  ist  sie  in*  II,  so  sagt  sie  unaufgefordert  die  vier  thera- 
peutischen Suggestionen  auf.  Dr.  K.  will  dazu  noch  die  Magen- 
schmerzen absuggeriren;  Patientin  nimmt  diese  Suggestion  aber 
nicht  an  und  äussert  unwillig:  „Sie  sollen  mich  jetzt  erwecken." 
Durch  einfachen  Befehl  geschieht  die  Ueberführung  in  I. 

18.  4.  Patientin  fiel  in  letzter  Zeit  durch  sexuelle  Zudring- 
lichkeit der  Nachtwärterin  lästig.  Auch  wird,  besonders  prä- 
menstrual,  Masturbation  constatirt. 

Der  von  seiner  Reise  zurückgekehrte  Professor  suggerirt  Pa- 
tientin in  II  die  Nachtwärterin  ab  und  verbietet  Patientin  Unkeusch- 
heit  in  Gedanken,  Worten  und  Werken.  Mühsam  gelingt  die  An- 
nahme dieser  Suggestion. 

20.  4.  Patientin  ist  ganz  verstört,  weil  sie  Gespenster  fühle, 
von  unsichtbarer  Hand  Sessel  bewegen,  Thüren  öffnen  sehe  u.  s.  w. 
(Handlungen  der  absuggerirten  Nachtwärterin). 

Um  Patientin  zu  beruhigen,  wird  ihr  in  II  die  Rückkehr  der 
Nachtwärterin  verkündet,  zugleich  aber  die  Keuschheitssuggestion 
mit  den  übrigen  Suggestionen  eingeschärft. 

Nun  wird  Patientin  suggerirt,  3  zu  zählen  und  zu  erwachen. 
Sie  geräth  in  III.  Ueberführung  in  II  gelingt  mühsam.  Nun  weiss 
wieder  Patientin  nichts  von  den  fünf  Suggestionen.  Diese  und  die 
Rückkehr  der  Nachtwärterin  müssen  wiederholt  werden. 


—    62    — 

Der  Professor  befiehlt  angenehmes  Erwachen,  wenn  er  3  ge- 
zählt habe.     Bei  3  tritt  I  ein. 

24.  4.  Seitdem  II  seltener  vorgenommen  und  Suggestionen 
damit  seltener  abgehört  werden,  hat  Patientin  grösste  Mühe,  sie 
zu  reproduciren ;  jedoch  zeigt  ihr  Verhalten,  dass  sie  wirken.  Nach 
jeweiliger  Auffrischung  der  Suggestionen  werden  sie  äusserst  prompt, 
ohne  Besinnen  hergesagt!  II  mit  Suggestionen  von  nun  an  min- 
destens jeden  zweiten  Tag!    Vermeiden  von  III.  Zustand! 

3.  5.  In  I  heute  bei  1,6  Milli- Ampere  (12  Leclanche-Elemente) 
minimale  Zuckung  im  linken  Ulnarisgebiet  bei  extramuskulärer 
galvanischer  Reizung  mit  KaS.  Nach  eine  Weile  geschlossener 
Kette  minimale  (secundäre)  Erregbarkeit  bei  1,4  MA  (10  Elemente). 
Patientin  wird  in  II  versetzt  und  links  Lähmung  der  Oberextremität 
suggerirt.  Sofort  schlaffe  Lähmung,  Transfert  der  Sensibilität  auf 
rechte  Oberextremität,  minimale  tiefe  Reflexe,  vasomotorische  Pa- 
rese. Minimale  primäre  Erregbarkeit  (=  oben)  bei  0,9  MA 
(6  Elemente),  secundäre  bei  gleicher  Stromstärke.  Im  Zustand  der 
suggerirten  Lähmung  ist  somit  die  galvanische  Erregbarkeit  vom 
.  Nerven  aus  erheblich  gesteigert. 

Die  Besichtigung  des  Rückens  ergibt  heute,  dass  der  am  22.  2. 
saggerirte  Kreis  als  hyperämischer  Streif  nach  wie  vor  sichtbar  ist. 
Die  am  24.  2.  suggerirte  Platte  erscheint  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung livid  roth  durch  Hyperämie,  beziehungsweise  Erweiterung 
der  Hautgefässe.  Der  rechte  untere  Schenkel  des  K  ist  noch  deutlich 
sichtbar.  Auf  der  ganzen  Fläche  sind  die  oberen  Hautschichten 
verdickt. 

Patientin  wird  in  II  aufgetragen,  dictando  zu  schreiben  und 
bei  vorkommendem  r  ein  h  zu  setzen.  Sie  schreibt:  „Hosen  heifen 
heichlich  hückwähts  im  Grahten." 

5.  5.  Heute  Menses  ohne  Beschwerden.  Da  menstrual  Anfälle 
zu  fürchten  sind,  erhält  Patientin  in  II  5,0  Brom  als  Ungarwein 
zum  Trinken.  In  I  wundert  sich  Patientin,  dass  sie  einen  so  sal- 
zigen Geschmack  empfinde. 

6.  5.  Patientin  heute  verstört.  Sie  klagt  der  Schwester  über 
heftigen  Schmerz  unter  der  linken  Mamma,  vermuthet,  dass  der 
Professor  sie  Nachts  gebrannt,  und  bittet,  die  Schwester  möge  ihr 
ein  Asyl  im  Kloster  verschaffen,  wo  sie  vor  derlei  Eingriffen  sicher 
sei.  Die  Weigerung  der  Schwester  führt  eine  nhystero-epileptischen 
Insult  herbei.  Der  herbeigerufene  Assistenzarzt  Dr.  Hellwig  ver- 
sucht II  durch  Stirnstreichen.     Patientin    geräth  aber   in  III,    fragt 


-    63    — 

die  Schwester,  ob  sie  ihr  das  vor  drei  Monaten  in  der  Sackstrasse 
gesungene  Lied  singen  dürfe,  singt  es,  dämmert  dann  herum,  klagt 
Schmerz,  bitterlich  weinend,  schläft  dann  zwei  Stunden,  erwacht 
über  Schmerzen,  weist  die  angebotene  Hypnose  durch  Dr.  Korn- 
feld ab,  verlangt  sie  stürmisch  von  der  Schwester,  die  endlich  sich 
dazu  herbeilässt  und  durch  Stirnstreichen  eine  Art  von  II  erzielt, 
Nun  gibt  Patientin  folgende  Aufschlüsse  über  die  Entstehung  des 
Schmerzes:  „In  letzter  Nacht  kam  ein  alter  Mann  zu  mir;  er  sah 
aus  wie  ein  Priester,  kam  in  Begleitung  einer  barmherzigen  Schwester, 
auf  deren  Collet  ein  grosses  goldenes  B  war.  Vor  dieser  fürchtete 
ich  mich.  Der  alte  Mann  war  lieb  und  freundlich.  Er  tauchte  in 
die  Tasche  der  Schwester  eine  Feder,  schrieb  mir  mit  dieser  auf 
die  Haut  unter  der  linken  Brust  ein  W  und  ein  B.  Einmal  tauchte 
er  schlecht  ein  und  machte  mitten  in  die  Figuren  einen  Klex. 
Dieser  Punkt  und  das  B  schmerzen  mich  ungemein,  nicht  aber  das 
W.  Schon  vor  vier  Tagen  erschien  mir  der  Mann  mit  einem  rothen 
Kissen  in  den  Händen.  Auf  diesem  Kissen  war  ein  W  zu  sehen. 
Der  Mann  deutete  dieses  W  dahin,  ich  sollte  in  die  M. -Kirche  zum 
Beichtstuhl  W  beichten  gehen.  Er  verbot  mir,  von  seinem  Besuch 
etwas  zu  sagen,  und  trug  mir  auf,  ich  solle  beten,  dass  ich  nicht 
schlecht  werde;  ich  könne  mir  nicht  das  Leben  nehmen,  sonst  werde 
ich  nicht  in  den  Himmel  kommen.  Er  erweckte  mich,  indem  er 
mir  die  Hand  auf  die  Stirne  legte,  und  ging  fort." 

Nach  dieser  Mittheilung  schrie  Patientin  laut  auf  und  sagte: 
„Da  steht  der  Mann  wieder,   jetzt  hat  er  Ketten  an  den  Händen." 

Nachdem  Patientin  durch  die  Schwester  mit  Stirnstreichen  be- 
handelt worden,  wird  sie  ruhig,  dämmert  eine  Weile  herum  und 
schläft  dann  auf  der  Fensterbank  ein.  Die  Nacht  verläuft  ruhig, 
theilweise  in  Schlaf,  möglicherweise  im  Zustand  III. 

7.  5.  Eine  eingehende  Prüfung  der  Situation  lässt  die  An- 
nahme, dass  von  unbefugter  Hand  heimlich  eine  Hypnose  ver- 
sucht wurde,  unmöglich  erscheinen  und  nur  die  Möglichkeit  zu, 
dass  JPatientin  die  Affaire  mit  dem  Priester  delirirt  und  hallu- 
cinirt  hat. 

Patientin  erwachte  heute  früh  in  I,  klagte  heftigen  Schmerz 
unter  der  linken  Mamma.  Nachmittags  empfängt  sie  den  Professor 
unwirsch,  gereizt  und  wirft  ihm  vor,  er  habe  ihr  Nachts  die  Schmerzen 
zugefügt.  Es  bedarf  der  Abgabe  des  Ehrenworts,  dass  dem  nicht 
so  sei,  um  Patientin  zu  versöhnen.  Nun  steht  sie  selbst  aber  be- 
züglich ihrer  Schmerzen  und  Wunden  vor  einem  Räthsel. 


—    64    — 

Die  Untersuchung  ergibt  als  Stelle  der  Schmerzen  eine  herz- 
förmige Figur  unter  der  linken  Mamma.  Innerhalb  derselben  sind 
oberflächliche,  aber  bis  auf  das  Corium  dringende  Substanz  Verluste, 
die  einige  Aehnlichkeit  mit  einem  umgekehrten  W  und  B  haben. 
Zwischen  beiden  findet  sich  eine  hyperämische  hervorragende  Haut- 
stelle von   1J2   cm  mit  einigen  ebensolchen  Punkten. 

Die  B-Figur  und  die  Hervorragung  sind  sehr  schmerzhaft.  Die 
Figuren  sind  speckig  weiss,  an  einzelnen  Stellen  durch  oberfläch- 
liche Vertrocknung  hornartig.  Die  figuralen  Ränder  stellen  einen 
hyperämischen  Saum  dar.  Nirgends  Spuren  von  Entzündung  inner- 
halb dieser  sonderbaren  neurotrophischen,  der  früheren  experimentell 
bewirkten  identischen  Hautveränderung. 

Damit  gewinnt  die  Annahme,  dass  diese  Verletzung  die  Folge 
einer  Suggestion  auf  hallucinatorisch  delirantem  Wege 
sein  mag,  Berechtigung.  Patientin  wird  vom  Professor  nun  in  II 
versetzt  und  über  die  Entstehung  jener  Verletzung  befragt.  Sie 
erzählt  verbotenus  wie  am  6.  5.  der  Schwester.  Als  der  Professor 
seine  therapeutischen  Suggestionen  abhören  will,  sagt  Patientin  die 
von  der  hallucinatorischen  Persönlichkeit  gegebenen  (s.  o.)  auf  und 
weiss  nichts  von  jenen. 

Die  therapeutischen  Suggestionen  werden  neuerlich  gegeben, 
Schmerzen  und  Erinnerung  für  die  hallucinatorische  Episode  ab- 
suggerirt. 

In  I  versetzt,  befindet  sich  Patientin  wohl  und  ist  heiter. 

11.  5.  Bisher  unter  täglicher  Hypnose  mit  Heilsuggestionen 
ganz  wohl.  Patientin  weiss  in  II  nichts  von  den  absuggerirten 
hallucinatorischen  Vorkommnissen.  Gleichwohl  erfüllt  sich  heute  die 
posthypnotische  hallucinatorische  Suggestion  bezüglich  der  Beichte 
am  Beichtstuhl  W. 

Patientin  erhielt  vom  Professor  auf  ihre  Bitte  die  Erlaubniss, 
in  die  Kirche  zu  gehen. 

Um  4  Uhr  Nachmittags  geräth  sie  mit  eintretender  Erfüllung 
der  hallucinatorischen  posthypnotischen  Suggestion  in  III,  geht,  be- 
gleitet von  einer  Wärterin,  in  die  M. -Kirche,  sucht  den  Beicht- 
stuhl W,  kniet  ihm  gegenüber  bis  6^2  Uhr,  zuckt  zusammen,  als 
der  Geistliche  W.  kommt  und  seinen  Stuhl  betritt.  Sie  legt  nun 
ihre  Beichte  ab,  kehrt  heiter  ins  Spital  zurück  und  meint,  sie  hätte 
durchgehen  müssen,  wenn  sie  keine  Erlaubniss  zum  Kirchgang  be- 
kommen hätte. 

Es    sei    sonderbar   in    der  Kirche   gewesen.     Sie    habe   gleich 


-    65 


den    Priester   W.    erkannt    und    er    sie;    jedoch 
würde  sie  ihn  jetzt  nicht  mehr  erkennen. 

Heute  in  II  posthypnotischer  Auftrag,  am 
folgenden  Tag  um  4 1/-*  Uhr  ins  „Altarzimmer'-  zu 
gehen  und  dort  ein  Gebet  zu  verrichten.  Diese 
Suggestion  geschieht,  um  Patientin  ohne  Emotion 
den  Hörern  der  Klinik  demonstriren  zu  können. 

12.  5.  Patientin  erscheint  pünktlich  zur 
Leistung  der  posthypnotischen  Suggestion  in  III, 
wird  nach  Erfüllung  derselben  unruhig,  ängst- 
lich, und  rasch  in  II  übergeführt.  Alle  mög- 
lichen sensiblen  und  auditiven  suggerirten  Ex- 
perimente gelingen  in  befriedigender  Weise. 

Patientin  schreibt  (vgl.  S.  26),  in  ein 
"jähriges  Schulmädchen  verwandelt,  ihren  Namen 
wie  nebenstehend. 

Episodisch  wird  sie,  durch  inadäquate  Er- 
weckung mittelst  Selbstzählen  auf  3  in  III  ver- 
setzt, zur  Uhrendiebin;  durch  Stirnstreichen 
wieder  in  II  gebracht,  weiss  sie  nichts  von  den 
soeben  in  III  stattgefundenen  Vorgängen.  Nach 
3stündiger  Hypnose  wird  Patientin  befohlen,  auf 
ihr  Zimmer  zu  gehen.  Dort  befiehlt  ihr  der  Experi- 
mentator nach  Wiederertheilung  der  durch  III 
vernichteten  Heilsuggestionen,  sobald  er  auf  3 
gezählt,  angenehm  zu  erwachen. 

Patientin  erwacht  in  I,  weiss  von  allem 
seit  drei  Stunden  Vorgefallenen  nichts,  ist  aber 
aufgeregt,  gereizt.  Nochmalige  II  und  Ein- 
schärfung der  Heilsuggestionen  schafft  endlich 
Ruhe,  aber  die  Nacht  ist  fast  schlaflos. 

14.  5.  Die  neurotrophischen  Veränderungen 
machen  unter  einfachem  Verband  ihre  von  frühe- 
ren Experimenten  her  bekannten  Veränderungen 
zur  Heilung  durch. 

Heute  in  II  Frage:  „Woher  haben  Sie  diesen 
hässlichen  rothen  Fleck  links  auf  dem  Rücken?" 
Antwort:  „Sie  haben  mir  ihn  befohlen,  indem 
Sie  eine  Platte  andrückten." 

Suggestion:   „Ich  befehle,  dass  dieser  häss- 

v.  Krafft-Ebing,  Hypnotismus.    3.  Aufl. 


66 


liehe  rotlie  Fleck  sobald  als  möglich  wieder  verschwinde  und  die 
Haut  daselbst  so  weiss  werde  wie  früher."  Patientin  verspricht 
diese  Suggestion  zu  erfüllen. 

17.  5.  Unter  täglicher  Wiederholung  dieser  Suggestion  in  II, 
wobei  mit  dem  Finger  auf  dem  Fleck  gestrichen  wird,  erscheint 
die  Farbe  heute  durch  Verengerung  der  Gefässe  nur  mehr  rosa- 
roth.  Die  Infiltration  der  Haut  im  suggestiven  Gebiet  schwindet, 
so  dass  diese  nicht  mehr  prall  gespannt  erscheint,  sondern  sich 
faltet.  Die  Figur  unter  der  linken  Mamma  ist  andauernd  ohne 
entzündliche  Reaktionserscheinungen.  Die  erodirten,  bis  in  die  tie- 
feren Schichten  des  Corium  dringenden  Stellen  werden  schmäler  und 
beginnen  sich  durch  reichliche  Epidermisbildung  von  den  Rändern 
her  zu  überhäuten.  Fernere  Geisterbesuche  werden  suggestiv 
verboten. 

21.  5.  Patientin  wird  heute  in  II  in  verschiedene  frühere 
Altersstufen  versetzt  und  zum  Schreiben  ihres  Namens  angehalten. 
Sie  schreibt  als  5jähriges  Mädchen: 


als  Öjähriges: 


als  7 jähriges: 


^i^Jh^ /C±aAaAA/ 


/L-Oisl/&lL 


als  8jähriges: 


yp^ 


67 


als    lOjähriges: 


als  15jähriges: 


M  sfafe*/  ^ 


tsy^ 


als  20j ähriges: 


cy^C^^^t^L^^--" 


24.  5.  Bei  heutiger  zur  Abhörimg  der  Heilsnggestionen  unter- 
nommener II  fällt  es  auf,  dass  Patientin,  bevor  sie  in  II  geräth. 
nicht  die  Augen  zum  Arzt  aufschlägt.  Die  Untersuchung  ergibt, 
dass  Patientin  zwar  in  II  ist,  jedoch  nur  unvollkommen,  insofern 
sie  früherer  Erlebnisse  in  II  und  in  posthypnotischer  Suggestion 
sich  nicht  erinnert,  die  Heilsuggestionen  nicht  aufzusagen  weiss 
und  auf  bezüglichen  i\.uftrag  erklärt:   „Ich  habe  sie  vergessen." 

Patientin  ist  entschieden  nicht  recht  in  Rapport  mit  dem  Arzt 
und  folgt  nicht  prompt  seinen  Aufträgen.  Sie  Hess  sich  in  letzter 
Zeit  nur  ungern  zu  II  herbei,  da  sie  von  der  therapeutischen  Be- 
deutung dieser  Eingriffe  wie  überhaupt  von  den  Vorgängen  in  II 
im  I.  Zustand  nichts  weiss.  (Beweis  dafür  folgende  Beobachtung: 
Es  wird  constatirt,  dass  Patientin  sich  Papierstückchen  vor  der 
Visite  morgens  zwischen  Ober-  und  Unterkleid  steckt.  Sie  hat 
nämlich  aus  ihrer  oft  derangirten  Toilette  nach  der  ärztlichen 
Visite  geschlossen,  dass  ihr  in  II  die  Jacke  geöffnet  wird  [that- 
sächlich  um  nach  den  rothen  Flecken  und  Wunden  am  Thorax  zu 
sehen].  Um  nun  sicher  zu  gehen,  dass  dies  geschah,  versah  sie 
sich  mit  Papierstückchen,  deren  unbemerktes  Herausfallen  beim 
Oeffnen  der  Jacke  in  II  sie  dann  in  I  darüber  aufklärte,  dass  man 
ihr  dieselbe  wirklich  geöffnet  habe.) 


-    68    — 

Es  wird  Patientin  nun  nochmals  die  Stirne  gestrichen  und 
ihr  eindringlich  befohlen,  den  Arzt  anzublicken.  Patientin  kommt 
diesem  Auftrag  nach,  und  jetzt  um  die  Heilsuggestionen  befragt, 
sagt  sie  dieselben  fliessend  her  bis  auf  die  Schlafsuggestion,  bei 
welcher  sie  sich  an  die  Stunden  nicht  zu  erinnern  weiss. 

Bezüglich  des  zum  genügenden  Rapport  in  II  erforderlichen 
vorherigen  Anblickens  des  Experimentators  theilt  Dr.  Kornfeld  mit, 
dass,  als  er  am  15.  4.  wegen  heftiger  Cardialgie  zu  hypnotisiren 
sich  veranlasst  sah,  es  ihm  nicht  gelang,  Patientin  suggestiv  zu  be- 
einflussen und  von  ihr  die  Heilsuggestionen  hergesagt  zu  bekom- 
men. Patientin  darüber  in  II  zur  Rede  gestellt,  sagte:  „Ich  kann 
Ihnen  nicht  folgen,  weil  ich  Sie  nicht  angeschaut  habe." 

Sie  erhielt,  von  Dr.  Kornfeld  nun  den  Auftrag,  zu  erwachen, 
ihn  anzuschauen  und  dann  sofort  wieder  einzuschlafen.  Patientin 
folgte,  gerieth  neuerlich  in  II,  leierte  auf  Geheiss  nun  anstandslos 
die  üblichen  Heilsuggestionen  ab,  bekam  noch  den  Auftrag,  bis 
7  Uhr  Abends  zu  schlafen  und  ohne  Magenschmerz  zu  erwachen. 
Sie  versprach  alles  pünktlich  zu  befolgen  und  hielt  ihr  Wort. 

30.  5.  Patientin  fühlt  sich  in  letzter  Zeit  so  wohl  wie  noch 
nie  seit  ihrem  Aufenthalt  in  Graz.  Unter  Portsetzung  der  Heil- 
suggestionen in  II  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag  bleiben  die  An- 
fälle trotz  mehrfacher  kürzlicher  heftiger  Gernüthsbewegungen, 
veranlasst  durch  eine  andere  hysteroepileptische  Kranke,  aus,  nicht 
minder  die  autohypnotischen  Anfälle.  Patientin  weist  darauf  hin, 
dass  sie  am  28.  5.  ein  grell  von  der  Sonne  beschienenes  Blechdach 
lange  Zeit  anblicken  konnte,  ohne  einzuschlafen.  Sie  freut  sich 
dieser  Thatsache,  weiss  aber  nicht  den  Grund  dafür  und  hält  jene 
für  ein  Zeichen  spontaner  erfreulicher  Besserung  ihrer  Krankheit. 
Auch  die  Keuschheitssuggestion  haftet  befriedigend. 

Patientin  gibt  in  der  Abtheilung  nicht  zu  den  geringsten 
Klagen  mehr  bezüglich  ihrer  conträren  Sexualempfindung  Anlass. 
Auch  die  Geistererscheinungen  kehrten  unter  dem  Banne  der  Sug- 
gestion nicht  wieder.  Von  Taedium  vitae  keine  Spur,  so  dass  ge- 
rade bezüglich  der  lästigsten  und  wichtigsten  Symptome  der  Krank- 
heit der  therapeutische  Einfluss  der  Saggestion  ein  unleugbarer  ist. 

Seltsamerweise  ist  dies  neuerlich  aber  nicht  mehr  der  Fall 
mit  der  Schlafsuggestion.  Diese  allein  ist  aus  der  Reihe  der  Heil- 
suggestionen ausgefallen,  erscheint  vergessen  und  nicht  reproducirbar. 
Wenn  man  Patientin  in  II  die  Suggestionen  abfragt,  haftet  die 
Schlafsuggestion  nicht  oder  nur  lückenhaft,  wenn  man  sie  erneuert, 


69    — 

und  gelangt  auch  nicht  zur  Wirkung.  Patientin  war  in  den  letzten 
Nächten  schlaflos,  klagte  sehr  darüber  und  acceptirte  dankbar 
Amylenhydrat,  das  zu  4,0  günstig  wirkte. 

Der  suggestive,  jeweils  in  II  beeinflusste,  ursprünglich  livid 
rothe  Fleck  ist  seit  17.  5.  nur  mehr  rosaroth;  sonst  ist  er  unver- 
ändert und  seine  völlige  Beseitigung  auf  suggestivem  Wege  bleibt 
fraglich. 

Da  Patientin,  „um  vollends  gesund  zu  werden",  weitere  Hyp- 
nose ablehnt,  wird  das  Beobachtungsjournal  geschlossen  und  et- 
waige neuerliche  Hypnose  eventuellen  dringenden  therapeutischen 
Bedürfnissen  (Bekämpfung  drohender  Anfälle  u.  s.  w.)  vorbehalten. 


Das  in  der  1.  Auflage  hier  abschliessende  Tagebuch  erhielt 
wider  Erwarten  baldige  Fortsetzung.  Die  im  Folgenden  berich- 
teten weiteren  Beobachtungen  dürften  das  wissenschaftliche  In- 
teresse in  hohem  Mass  beanspruchen,  insofern  sie  weitere  Aufschlüsse 
über  die  Entstehungsbedingungen  von  II  und  III  geben,  das  neuer- 
liche Nichthaften  der  Schlafsuggestion  erklären  und  einen  weiteren 
bei  Patientin  erzielbaren  hypnotischen  Zustand  (Fascination)  aufzeigen. 

2.  6.  Patientin,  die  bisher  sich  ruhig  und  geordnet  verhalten 
und  nichts  Besonderes  geboten  hatte,  wird  heute  bei  der  Morgen- 
visite in  III  vorgefunden.  Sie  sitzt  im  Hemd  am  Tisch,  den  Kopf 
in  die  Hand  gestützt,  hält  ein  Heiligenbild  umklammert.  Sie  re- 
agirt  nicht  auf  die  Umgebung,  wiegt  den  Kopf.  Die  Miene  ist 
ausdruckslos,  wie  schlafend,  die  Augen  sind  halb  geöffnet,  nach 
rechts  unten  eingestellt,  verglast,  wie  amaurotisch.  Patientin  ist 
kataleptiform,  die  linke  Körperhälfte  ästhetisch.  Ab  und  zu  werden 
leichte  Zuckungen  in  der  linken  Oberextremität  wahrgenommen. 

Es  handelt  sich  offenbar  um  einen  Zustand  besonders  tiefer 
Autohypnose  (III b). 

Allmälig  gelingt  es  Patientin  durch  eine  an  das  linke  Ohr 
gehaltene  Taschenuhr  in  der  bekannten  Weise  reagiren  zu  machen. 
Durch  wiederholtes  Ansprechen,  Anrufen,  Anfassen  stellt  sich  ein 
Rapport  mit  Professor  her,  während  Assistent  und  Wärterin  un- 
appercipirt  bleiben. 

Auf  Vorhalt  sagt  Patientin  weinerlich:  „Ich  habe  die  Gebote 
nicht  halten  können."  Es  zeigt  sich,  dass  durch  den  Anfall  von 
Autohypnose  die  therapeutischen  Suggestionen  vergessen  sind,  je- 
doch  besteht   laut   vorstehender   Aeusserung   eine    Erinnerungsspur. 


-    70    — 

Um  Patientin  aus  dieser  Situation  zu  befreien,  wird  II  versucht. 

Patientin  leistet  aber  Widerstand,  und  trotz  erzwungenem  An- 
blicken und  kräftigem  Stirnstreichen  gelingt  es  nicht,  Patientin  in 
II  überzuführen.  Sie  folgt  zwar  dem  Befehl,  sich  ins  Bett  zu  be- 
geben, liegt  dann  aber  —  offenbar  in  vertieftem  III.  Zustand,  ganz 
so  wie  sie  beim  Eintritt  der  Visite  vorgefunden  wurde,  da;  sie 
reagirt  Anfangs  nicht  auf  den  Professor,  auch  nicht  auf  die  vor- 
gehaltene  Uhr.  Erst  nach  längerer  Beschäftigung  mit  der  Patientin 
vermindert  sich  die  Intensität  von  III  und  wird  ein  Rapport  wieder 
möglich. 

Um  die  Situation  zu  klären,  wird  Patientin  befohlen  auf  3  zu 
zählen  und  dann  zu  erwachen.  Wie  zu  erwarten  war,  erwacht 
sie  in  dem  posthypnotischen  Suggestionszustand  entsprechender,  wenig 
intensiver  III  c  Verfassung.  Sie  weiss  nun  alles  in  autohypnoti- 
schem und  posthypnotischem  Zustand  ihr  früher  Begegnete,  nichts 
aber  von  den  therapeutischen  Suggestionen. 

Ein  gewisser  Grad  von  Willen  steht  Patientin  zu  Gebote. 

Sie  widersetzt  sich  dem  Versuch,  sie  durch  Stirnstreichen  in 
II  zu  bringen  und  als  sie  das  Streichen  nicht  verhindern  kann, 
vermeidet  sie  es  wenigstens  den  Professor  anzublicken.  Sie  geräth 
in  eine  niedere  Stufe  von  II  und  unter  die  Botmässigkeit  des 
Experimentators,  antwortet  auf  die  Frage,  wie  es  ihr  gehe,  „mir 
geht  es  nicht  gut,  mir  thut  der  Kopf  weh"  und  auf  die  weitere, 
„warum  haben  Sie  mich  nicht  angeblickt":  „Ich  habe  keine  Zeit 
dazu  gehabt". 

Dass  II  aber  unvollkommen  ist  und  der  psychische  Apparat 
der  Patientin  nur  unvollkommen  beherrscht  wird,  ergibt  sich  klar 
daraus,  dass  die  Hervorrufung  von  Contracturen  unmöglich  ist, 
und  dass  auch  phonographische  Experimente  misslingen. 

Es  wird  nun  gesagt:  „Frl.  Ilma,  ich  werde  Sie  einschläfern, 
damit  Sie  Ihr  Kopfweh  verlieren.  Ich  werde  zu  diesem  Zweck  Ihre 
Stirne  streichen,  Sie  werden  mich  fest  anblicken  und  sich  mein 
Bild  einprägen."  Nun  fügt  sich  Patientin  dem  Gebot.  Alles  ge- 
schieht wie  befohlen  und  Patientin  befindet  sich  im  gewöhnlichen 
II  Zustand.  Sofort  gelingen  Contracturen,  Lösung  derselben  durch 
centripetales  Streichen  und  phonographische  Versuche. 

Die  therapeutischen  Suggestionen  werden  neuerdings  gegeben. 
Patientin  wiederholt  sie,  wobei  aber  das  Verbot  des  Selbstmords 
mit  grosser  Unlust  acceptirt  wird.  Darauf  wird  Patientin  in  I 
übergeführt. 


Nachmittags  wird  gemeldet,  dass  Patientin  in  Autohypnose 
gerathen  sei.  Dr.  Werner  findet  Patientin  in  III  b  und  versucht 
sie  durch  Stirnstreichen  in  II  überzuführen.  Dadurch  wird  III  ab- 
geschwächt und  Rapport  erzielt.  Patientin  blickt  auf  und  erklärt 
W.  spontan:  „Ilma  kann  dem  W.  nicht  folgen,  bevor  die  Seh. 
(eine  Patientin)  sie  nicht  aufgeweckt  hat."  Es  stellt  sich  heraus, 
dass  Patientin  Seh.  der  über  Kopfschmerz  klagenden  Ilma  im 
Verlauf  des  Nachmittags  wiederholt  mitleidig  die  Hand  auf  die 
Stirne  gelegt  hatte  und  sie  dadurch  offenbar  hypnotisch  beein- 
flusst  hat. 

Die  herbeigerufene  Patientin  Seh.  wird  beauftragt,  der  Ilma 
zu  suggeriren:  „Ilma  wachen  Sie  auf,  lassen  Sie  sich  jedoch  sogleich 
von  W.  wieder  einschläfern."  Diesem  Auftrag  der  Seh.  gehorcht 
Ilma  sofort  und  nun  gelingt  II  leicht  dem  Arzte.  Patientin  er- 
hält die  Suggestion  bis  Abends  6  Uhr  zu  schlafen,  dann  zu  essen 
und  ruhig  weiter  zu  schlafen.  Patientin  erwacht  um  6  Uhr,  isst, 
schläft  jedoch  nicht  mehr  ein. 

4.  6.  Patientin  wird  heute  im  Garten  bei  der  Morgen visite 
angetroffen  und  ganz  en  passant  in  II  versetzt,  wobei  sie  den  Arzt 
nicht  recht  anblickte.  Sie  schien  aber  vollkommen  in  II  und  da 
Menses  eingetreten  und  Spuren  sexueller  Regung  bemerklich  sind,, 
wird  bei  Ertheilung  der  Suggestionen  besonderer  Accent  auf  Keusch- 
heitssuggestion gelegt.  Patientin  geräth  darüber  in  auffallende, 
weil  sonst  nicht  beobachtete  zornige  Erregung.  Da  Professor 
eilig  ist,  wird  rasch  auf  3  gezählt.  Patientin  kommt  nicht  in  I, 
sondern  in  eine  Art  III.  Dr.  Kornfeld  vermuthet,  dass  zu  schnell 
gezählt  wurde.  Auf  neuerliches  langsames  feierliches  Zählen  ge- 
räth Patientin  in  I.  Sie  ist  nicht  wie  sonst  freundlich,  son- 
dern.  unwirsch,  gereizt  und  schreibt  einige  Stunden  später  folgen- 
des Billet: 

„ Als   Sie    mich   heute    früh    im    Garten    einschläferten, 

war  es  mir  als  ob  ich  sprechen  sollte,  aber  ich  konnte  doch  nicht 
Dasjenige  sagen,  was  ich  im  Sinne  hatte.  Ich  hörte  und  sah  Alles, 
was  um  mich  war,  allein  ich  war  meiner  Bewegung  nicht  mächtig. 
Ich  hörte,  als  Sie  jemand  von  den  Aerzten  sagten:  „,das  ist  wieder 
etwas  Neues,  notiren  Sie,  „,bei  Suggestion  „,ein  keusches  Beneh- 
men zu  haben'",  wurde  Patientin  unwillig  und  erwachte  beim 
Zählen  nicht  wie  sonst'",  worauf  Dr.  K.  dem  Umstand  die  Schuld 
gab,  Sie  hätten  rascher  als  sonst  gezählt.  Darauf  weckten  Sie 
mich  noch  einmal  und  erst  darauf  bekam  ich  den  völligen  Gebrauch 


—    72    — 

der  Glieder  und  des  Willens.  Ich  beschreibe  Ihnen  dies  darum 
so  ausführlich,  damit  Sie  mir  glauben  und  es  nicht  für  Halluzina- 
tion halten.  Es  wurde  mir  durch  diesen  Umstand  Vieles  erklär- 
lich, was  ich  früher  nicht  verstehen  konnte." 

Patientin  verwahrt  sich  wieder  in  bitteren  Worten  gegen  den 
Vorwurf  der  Unkeuschheit.  Bei  mündlicher  Rücksprache  bestätigt 
Patientin,  sie  sei  bloss  willenlos,  nicht  aber  der  Aussenwelt 
entrückt  gewesen,  habe  Alles  gehört  was  um  sie  gesprochen 
wurde,  sich  aber  gar  nicht  ausgekannt,  was  das  Alles  zu  be- 
deuten hatte. 

5.  6.  Da  Patientin  schlaflos  ist  und  darunter  sehr  leidet,  wird 
heute  II  hervorgerufen  und  besonderes  Gewicht  auf  die  Schlaf- 
suggestion gelegt.  Patientin  nimmt  diese  Suggestion  durchaus  nicht 
an  und  motivirt  ihre  Weigerung  auf  Eindringen  in  folgender  interes- 
santer Weise :  Sie  sei,  wenn  sie  die  bezügliche  Suggestion  bekomme, 
nicht  im  natürlichen  sondern  im  künstlichen  (posthypnotisch  sug- 
gestiven) Schlaf.  In  diesem  künstlichen  Schlaf  könne  sie  eine 
frühere  Suggestion,  nämlich  sich  nichts  auf  die  Haut  machen  zu 
lassen,  nicht  erfüllen.  Wenn  sie  auf  des  Arztes  Gebot  schlafe,  sei 
sie  nicht  Herrin  der  Situation  und  könne  es  nicht  hindern,  dass 
der  alte  Mann  (Hallucination  im  posthypnotischen  III  Zustand)  ihr 
wieder  auf  die  Haut  schreibe,  was  doch  verboten  sei.  Da  diese 
zwei  Suggestionen  miteinander  in  Collision  stehen,  könne  sie  die 
Schlafsuggestion  nicht  annehmen. 

Auf  die  Frage,  was  man  denn  thun  müsse,  um  ihr  zu  gutem 
Schlafe  zu  verhelfen?  bekommt  man  die  Antwort: 

„Da  müssen  Sie  es  machen  wie  Professor  Jendrässik." 

Wie  hat  er  es  gemacht? 

„Das  kann  ich  nicht  sagen.  Da  müssen  Sie  mich  einschläfern 
wie  Professor  J.  es  that." 

Wie  that  er  es? 

„Das  kann  ich  nur  sagen,  wenn  Sie  es  mir  befehlen." 

Ich  befehle  es  Ihnen. 

Patientin  mit  vor  Erregung  zitternder  und  erhobener  Stimme: 
„Er  that  es  durch  Anblicken,  indem  er  den  Magnet  mir  auf  den 
Kopf,  und  darüber  seine  Hand  gelegt  hatte,  aber  das  thut  mir 
sehr  weh." 

Patientin  nimmt  nun  die  3  ersten  Heilsuggestionen  an  und 
sagt  sie  auf.  Darauf  wird  sie,  nach  vorheriger  Suggestion  guten 
Erwachens,  in  I  versetzt. 


—    73    — 

7.  6.  Patientin  hat  trotz  Morphiochloral,  ein  anderes  Mal  trotz 
4,0  Ainylenhydrat  schlaflose  Nächte  zugebracht.  Sie  bedauert  tief 
das  Verschwinden  des  früheren  (suggestiven)  guten  Schlafs  und 
weiss  sich  ihre  Schlaflosigkeit  nicht  zu  erklären. 

Um  ihr  zum  Schlaf  zu  verhelfen,  wird  heute  II  nach  dem 
Recept  der  Patientin  zu  erzielen  versucht.  Sie  sträubt  sich  an- 
fangs dagegen.  Da  kein  Magnet  gerade  zur  Hand  ist,  benutzt 
man  eine  Magnetatrappe  aus  Pappendeckel. 

Kaum  ist  Patientin  durch  festes  Anblicken  und  Aufforderung 
einzuschlafen  (während  die  Atrappe  und  die  Hand  des  Experimen- 
tators auf  ihrem  Kopfe  ruhen)  beeinflusst  worden,  so  entsteht  ein 
neuer,  bisher  bei  Patientin  nicht  beobachteter  Zustand,  der  sich  als 
Fascination  bezeichnen  lässt. 

Patientin  hängt  nämlich,  die  Augen  offen,  mit  ihrem  Blick 
förmlich  an  denen  des  Experimentators,  blickt  ihn  unverwandt  an 
und  imitirt  zwangsmässig  und  getreu  jede  Geberde  und  Bewegung, 
die  der  Experimentator  vornimmt. 

Auf  die  Frage:  „Warum  schlafen  Sie  nicht?"  antwortet  Pa- 
tientin: „Weil  der  Herr  Professor  der  Ilma  die  Gebote  nicht  so 
geben,  dass  sie  gesund  werden  kann." 

Wie  soll  ich  die  Gebote  geben? 

„Professor  K.  soll  der  Ilma  befehlen,  dass  sie  ein  für  alle- 
mal keine  Selbstmordgedanken  haben  darf;  Professor  K.  soll  ferner 
der  Ilma  befehlen,  dass  sie  ein  für  allemal  in  keinen  unzu- 
rechnungsfähigen Zustand  gerathen  darf,  denn  sie  ist  nicht  nur 
dann  unzurechnungsfähig,  wenn  sie  beim  Anblicke  glänzender  Gegen- 
stände einschläft,  sondern  auch  dann,  wenn  sie  leidenschaftlich  und 
zornig  ist.  Ferner  soll  Professor  K.  der  Ilma  sagen,  dass  sie  ein 
für  allemal  keinen  Anfall  bekommen  darf.  Das  soll  der  Professor 
der  Ilma  befehlen,  dann  wird  sie  von  selbst  schlafen.  Das  müssen 
Sie  nicht  mir,  sondern  der  Ilma  sagen." 

Wo  ist  Ilma? 

„Ilma  ist  in  Ihrem  Auge." 

Wie  soll  es  Professor  machen,  dass  Ilma  die  Gebote  hält? 

„Professor  soll  sie  Ilma  geben,  indem  er  ihr  quer  über  die 
Stirne  streicht  und  sich  dabei  umwendet." 

Hört  Ilma  oder  hören  Sie? 

„Ich  höre  Sie,  Ilma  ist  im  Auge  des  Professors." 

Wie  heissen  Sie? 

„Ich  bin  jetzt  nichts,  ich  bin  das  Bild." 


—    74    — 

Wollen  Sie  wieder  Ilma  werden? 

„Ja,  denn  ich  fühle  grosse  Schmerzen  in  den  Augen  und  auf 
dem  Kopf." 

Kann  Professor  K.  der  Ilma  nicht  direct  befehlen,  dass  sie 
gut  schläft? 

„Das  kann  Professor  nicht  mehr,  weil  er  das  schon 
verdorben  hat,  weil  Ilma  keinen  natürlichen  Schlaf 
schläft,    wenn   sie    vom    Professor    seinem   Befehl   schläft." 

Während  Patientin  zwangsmässig  jede  Geste,  Grimasse,  Hand- 
lung des  Experimentators  imitirt,  erklärt  sie  bei  einer  beliebigen 
aufgetragenen  Handlung  dazu  unfähig  zu  sein,  „ich  bin  nichts,  ich 
bin  das  Bild  in  Ihrem  Auge,  ich  kann  es  nicht  thun,  weil  mein 
Bild  in  Ihrem  Auge  ist.  Ich  kann  jetzt  keine  Befehle  annehmen, 
das  kann  Ilma  thun,  die  Befehle  kann  nur  Ilma  annehmen.  Mir 
thut  das  Auge  sehr  weh." 

(Professor  bedeckt  seine  Augen  mit  der  Hand.)  „Professor 
K.  verdeckt  das  Bild,"  (Patientin  wird  unruhig,  ängstlich.)  Auf 
die  Frage,  wie  sie  von  Pest  nach  Graz  gekommen  sei,  antwortet 
Patientin : 

„Das  kann  Ihnen  Ilma  sagen." 

Haben  Sie  eine  Uhr  weggenommen? 

„Das  hat  Ilma  gethan." 

Wie  lang  war  Ilma  im  Kloster? 

„Das  wird  Ihnen  Ilma  sagen,  wenn  Sie  ihr  befehlen." 

Wünschen  Sie  in  Ilma  verwandelt  zu  werden? 

„Ja. 

Professor  K.  streicht  nun  Patientin  quer  über  die  Stirne  und 
theilt  ihr  mit,    dass  er    sie   in  Ilma  verwandelt.     Sofort   entsteht  I. 

Patientin  erinnert  sich  bloss,  dass  ihr  Professor  etwas  auf  den 
Kopf  gelegt  habe.  Für  die  ganze  Zeit  der  Fascination  besteht 
Amnesie.  Patientin  wird  nun  auf  gewöhnliche  Weise  und  ohne 
sich  zu  sträuben  in  II  versetzt.  Sie  erinnert  sich  der  früheren 
Gebote  nicht. 

Es  werden  ihr  nun  wörtlich  die  von  ihr  bezeichne- 
ten Suggestionen  in  der  von  ihr  gewünschten  Weise  er- 
theilt.     Sie  nimmt  sie  an  und  wird  in  I  gebracht. 

Patientin  fühlt  sich  auffallend  wohl  und  spricht  in  den  fol- 
genden Tagen  wiederholt  ihre  Ueberzeugung  aus,  dass  sie  nun  end- 
lich genesen  werde. 

12.  6.     Heute   nochmals   Menses   (profus).     Patientin   hat   in- 


—    75    - 

zwischen  sich  wohl  befunden  und  gut  geschlafen.  Patientin  soll 
morgen  über  Auftrag  des  königl.  ungar.  Ministeriums  nach  einer 
heimathlichen  Versorgungsanstalt  abgeholt  werden. 

Patientin  möchte  hier  bleiben,  hofft  hier  gesund  zu  werden, 
äusserte  wiederholt,  sie  könne  sich  nicht  in  den  Gedanken  finden, 
von  hier  fortgebracht  zu  werden. 

Eine  Berathung  ergibt,  dass  man  Patientin  nicht  in  I  nach 
Pest  verbringen  kann,  ohne  heftige  hysteroepileptische  Anfälle  mit 
deren  weiteren  Consequenzen  zu  riskiren. 

Sie  in  II  zu  transportiren  geht  nicht,  da  sonst  der  hypnoti- 
sirende  Arzt  mitmü'sste,  um  die  „Statue"  bewegungs fähig  zu  machen. 
Ueberdies  wäre  plötzliches  Erwachen  auf  der  13  Stunden  langen 
Eisenbahnreise  möglich.  Bei  dieser  Sachlage  erschien  es  am  hu- 
mansten und  praktisch,  die  Kranke  in  III  und  zwar  im  Zustand 
posthypnotischer  Suggestion,  demselben,  in  welchem  sie  wohl  die 
Herreise  gemacht  hatte,  heimreisen  zu  lassen.  Patientin  wird 
ahnungslos  zu  diesem  Zweck  in  II  versetzt,  es  werden  zum  letzten- 
mal die  neuerlich  nach  ihrer  eigenen  Redaction  aufgestellten  Heil- 
suggestionen gegeben  und  abgehört  und  vor  der  Ueberführung  in  I 
wird  folgende  posthypnotische  Suggestion  ertheilt: 

„Sie  werden  morgen  früh  6^2  Uhr  sich  reisefertig  machen 
und  mit  einem  Landsmann  um  lvi2  Uhr  früh  ruhig  und  angenehm 
nach  Pest  reisen.  Sobald  Sie  zu  Bett  gebracht  sind,  werden  Sie 
angenehm  erwachen." 

Patientin  nimmt  diese  Suggestion  ohne  irgendwelche  psychische 
Bewegung  an  (Morgens  9  Uhr)  und  ist  bis  Nachmittags  sehr  guter 
Laune.  Da  wird  sie  gedrückt,  spricht  von  trüben  Ahnungen,  es 
stehe  ihr  ein  Unglück  bevor,  sie  vermuthe,  dass  sie  morgen  schon 
abreisen  werde.  (Sie  folgert  dies  aus  einem  Gerücht,  dass  sie  be- 
treffende Aktenstücke  aus  Pest  gekommen  seien  und  aus  einer  Be- 
merkung eines  der  Aerzte,  „diese  Handarbeit  bringen  Sie  heute 
wohl  nicht  mehr  fertig".) 

Patientin  klagt  Nachmittags  Dr.  K.  gegenüber,  wie  tief  un- 
glücklich sie  sei  —  es  stehe  ihr  Zuchthaus,  Irrenhaus  oder  Selbst- 
mord bevor.  Sie  werde  sich  gegen  letzteren  wehren,  solange  sie 
religiösen  Halt  besitze.  Wenn  sie  ihre  Vergangenheit  überschaue 
und  an  die  Zukunft  denke,  komme  sie  sich  als  das  unglücklichste 
aller  Geschöpfe  vor.  Vor  dem  morgigen  Tag  graue  ihr,  schon 
weil  er  der  Todestag  ihres  Vaters  sei.  Komme  sie  in  eine  Irren- 
anstalt, so  werde  sie  ihren  Schwur  (Selbstmord?)  halten. 


—    76    - 

Es  gelingt  Patientin  zu  trösten,  abzulenken.  Sie  bittet  um 
Amylenhydrat  (4,0)  und  schläft  um  11  Uhr  ein. 

13.  6.  Patientin  schlief  gut  bis  5  Uhr  früh,  erwachte  gut  ge- 
launt, machte  sich  um  Ö1^  Uhr  reisefertig,  nahm  ohne  besondere 
Gemüthsbewegung  Abschied,  für  alles  Genossene  dankend,  für  ihre 
Fehler  und  Streiche  um  Verzeihung  bittend.  Sie  wird  dann  dem 
Begleiter  vorgestellt  und  verlässt  mit  ihm  programmmässig  um 
7^2   Uhr  das  Spital,  um  nach  dem  Bahnhof  zu  fahren. 

Dass  Patientin  sich  nicht  in  I  seit  dem  Aktivwerden  der  post- 
hypnotischen Suggestion  befand,  geht  daraus  hervor,  dass  sie  rein 
geschäftsmässig,  ohne  jegliche  Gemüthsbewegung,  ohne  nach  dem 
Ziel  der  Reise  zu  fragen,  ohne  ein  Wort  des  Abschieds  für  den 
Professor,  der  seit  dem  Montag  sie  nicht  mehr  gesehen  hatte,  sich 
auf  den  Weg  machte. 

Sie  stand  dabei  offenbar  unter  „fremdem  Willen"  und  führte 
das  ihr  Aufgetragene  ohne  alle  Kritik  und  Reflexion  aus.  Bemer- 
kenswerth  ist,  dass  sie  der  Schwester  vor  der  Abreise  sagte,  sie 
fühle  es  wohl,  dass  sie  jetzt  nicht  im  normalen  Zustande  sei.  Allen 
Beobachtern  fiel  der  „hypnotische"  Ausdruck  der  jedenfalls  tief 
veränderten  Miene  auf. 

Auf  dem  Bahnhof  beobachtete  sie  noch  Dr.  Hellwig.  Als  sie 
seiner  ansichtig  wurde,  entschuldigte  sie  sich,  nicht  zu  Hause  sich 
von  ihm  verabschiedet  zu  haben,  that  dies  in  aller  Form,  ihm  für 
seine  Bemühungen  dankend  und  bestieg  dann  in  heiterer  Laune 
den  Zug. 

Dem  Beobachter  war  Patientin  auf  dem  Bahnhof  nicht  weiter 
auffällig,  ausser  durch  einen  traumhaften  Gesichtsausdruck  und  den 
stieren,  wie  amaurotischen  Blick. 

Jedenfalls  war  sie  nicht  in  I,  sondern  in  einem  den  früheren 
hypnotischen  Suggestionszuständen  analogen  psychischen  Ausnahms- 
zustand  (III  c),  jedoch  in  durch  den  posthypnotischen  Auftrag  offen- 
bar ziemlich  grossen  Spielraum  gewährender  psychischer  Verfassung. 
Sie  folgte  unter  fremdem  Willen  mit  gebundener  Marschroute  einem 
ihr  bezeichneten  Ziel  ohne  Fähigkeit,  Reflexion  und  Kritik  an  der 
ihr  suggerirten  Leistung  zu'  üben,  jedoch  innerhalb  dieser  Leistung 
vollkommen  befähigt  zu  spontaner  aktiver  und  überlegter  Einzel- 
handlung. 

Aus  dem  Reisebericht  des  Begleiters  (Irrenanstaltsoberwärter) 
ist  hervorzuheben,  dass  Patientin  sich  gar  nicht  erkundigte,  wohin 
man  sie  bringe,  gar  nichts  dabei  fand,  dass  sie  mit  dem  Bediensteten 


einer  Irrenanstalt  reise,  in  dieser  angekommen  (obwohl  sie  sonsl 
ein  Ort  des  Schreckens  für  sie  in  I  war),  gar  nicht  fragte  wo  sie 
sei,  sich  über  den  neuen  Aufenthaltsort  nicht  wunderte,  Alles  ganz 
natürlich  fand,  sich  ganz  behaglich  fühlte.  In  dieser  Verfassung 
befand  sich  die  Patientin  auch  noch  die  folgenden  Tage,  so  dass 
die  Vermuthung  gerechtfertigt  erscheint,  mit  der  Erfüllung  der  post- 
hypnotischen Suggestion  sei  sie  noch  nicht  in  I  zurückgekehrt,  son- 
dern habe  sich  noch  bis  auf  Weiteres  in  einem  III-Zustand,  unter 
dem  fortdauernden  psychischen  Einfluss  (Willen)  des  Experimentators 
befunden. 

Dass  Patientin  während  der  Reise  nicht  in  I  sich  befand,  lässt 
sich  auch  daraus  vermuthen,  dass  sie  selbst  im  eigenen  Lande  und 
mit  den  Landsleuten  deutsch  und  nicht  ungarisch  sprach,  sehr 
gesprächig  war,  von  verschiedenen  Erlebnissen  in  111-Zuständen 
erzählte,  gegen  ihre  I-Art  und  Weise  anstössige  Gespräche  führte. 
u.  A.  die  Untreue  so  mancher  Weiber  gegen  ihre  Männer  für  ganz 
berechtigt  hielt  und  zehn  Cigarren  hintereinander  rauchte ! 

Unter  Anderem  äusserte  Patientin  ihre  Verwunderung,  dass 
sie  erst  am  Morgen  gewusst  habe,  dass  und  wohin  sie  reise! 

Am  29.  Juli  hatte  Herr  Primararzt  Dr.  Bolyo  in  Pest, 
in  dessen  Beobachtung  und  Behandlung  Patientin  sich  seither  be- 
findet, die  Güte,  mir  folgende  Notizen  über  sie  zukommen  zu 
lassen : 

„Das  Benehmen  unserer  Patientin  ist  bisher  tadellos.  Ausser 
der  noch  bestehenden  Hemianästhesie  zeigt  sie  absolut  nichts  Patho- 
logisches. Sie  hatte,  seitdem  sie  hier  ist,  keinen  Anfall;  ihr  Be- 
wusstsein  war  nie  gestört;  Appetit  und  Stuhlgang  in  Ordnung.  Ihr 
Schlaf  war  immer  gut.  Psychisch  zeigt  sie  gar  keine  Abnormitäten. 
Die  Menstruation  stellte  sich  bisher  ganz  regelmässig  schon  zwei- 
mal ein. 

Seitdem  sie  hier  ist,  wurde  aber  auch  mit  der  Hypnose  gar 
kein  Versuch  gemacht.  Wir  ignoriren  vollständig  die  Aeusserungen. 
welche  Patientin  über  die  hypnotischen  Experimente  macht,  deren 
Gegenstand  sie  in  Graz  war.  Wir  Avolleu  abwarten ,  bis  bei  der 
Kranken  derartige  pathologische  Zustände  auftreten  werden,  welche 
eine  nur  zu  Heilzwecken  erwünschte  Hypnose  für  nothwendig  er- 
scheinen lassen  werden." 

Am  20.  11.  88  theilte  der  Arzt  der  Patientin  freundlichst  mit, 
dass  der  psychische  Zustand  andauernd  ein  günstiger  ist  und,  ab- 
gesehen von  zeitweise  hervortretendem  perversem  Sexualtrieb, 


—    78    — 

Patientin  zu  keiner  Klage  Anlass  gebe.  Sie  sei  fleissig,  folgsam, 
frei  von  hysterischen  Krampfanfällen,  schlafe  gut,  menstruire  regel- 
mässig, fühle  sich  psychisch  gesund  und  sei  es  auch  körperlich  bi& 
auf  einen  hartnäckigen  chronischen  Magencatarrh. 

Zu  hypnotischen  Einwirkungen  fand  sich  bisher  keine  Veran- 
lassung. 

Ob  diese  günstige  Wendung  des  Zustands  auf  einer  Intermission 
der  Neurose  oder  auf  dem  Aufhören  der  hypnotischen  Experimente 
beruht,  oder  das  Resultat  der  autosuggestiven  Richtig- 
stellung der  in  der  Hypnose  vom  7.  6.  ertheilten  Befehle 
ist,  muss  vorläufig  dahingestellt  bleiben. 

Auffallend  ist  immerhin,  dass  Alles  in  der  Folge  so  zutrifft, 
wie  es  suggerirt  wurde,  mit  Ausnahme  des  perversen  Sexual- 
triebs, der  suggestiv  unberücksichtigt  blieb. 

Wäre  diese  Deutung  richtig,  so  würde  dadurch  der  thera- 
peutische Werth  redactionell  richtiger  Suggestionen  eine- 
weitere Bestätigung  erfahren. 

Dann  böte  aber  die  Wiederholung  der  am  7.  6.  der  Patientin 
nach  ihrer  eigenen  Redaktion  gegebenen  suggestiven  Befehle,  bei 
neuerlicher  Störung  ihres  guten  Befindens ,  Handhaben  für  eine 
endliche  mögliche  Genesung  und  würde  ärztlich  als  eine  Pflicht  er- 
scheinen. 


Aus  einem  mir  unterm  3.  11.  92  von  der  Direction  der  kgl. 
ungarischen  Irrenanstalt  freundlichst  zugesendeten  Bericht  über  meine 
frühere  Kranke  erfuhr  ich,  dass  sie  den  Winter  1888/89  über  durch 
Aeusserungen  ihres  perversen  Sexualtriebs  recht  lästig  war,  jedoch  trotz 
aller  nöthigen  Repressivmassregeln  keine  hystero-epileptischen  Anfälle 
bekam.  Vorn  April  89  ab  wurde  sie  ruhiger,  arbeitete  fleissig  und 
vermochte  sich  zu  beherrschen.  Am  10.  9.  89  nach  einer  heftigen 
Gemüthsbewegung  erster  hystero- epileptischer  Insult,  dem  am  23.  10.,. 
23.  11.,  12.  12.  89  weitere  folgten.  Pat.  bekam  nun  Bromkali  und 
wegen  Schlaflosigkeit  Morphium,  wurde  dauernd  ruhig,  anständig, 
arbeitsam ,  hatte  einen  letzten  Krampfanfall  am  27.  3.  90.  Da 
Patientin  in  der  Folge  immer  ruhig,  ernst,  folgsam  war,  nicht  mehr 
intriguirte,  ihre  Lage  richtig  und  vernünftig  auffasste,  keine  Anfälle 
mehr  bot,  auch,  trotz  scharfer  Ueberwachung,  keine  sexuelle  perverse 


—    79    — 

Triebe  mehr  kund  gab,  wurde  sie  am  28.  8.  91  genesen  aus  der 
Anstalt  entlassen. 

Während  ihres  Aufenthalts  in  derselben  wurde  Patientin  kein 
einziges  Mal  hypnotisirt,  sogar  der  Versuch  dazu  war  strenge  unter- 
sagt und  wurde  nur  „solange  Patientin  sich  unruhig  und  wider- 
spenstig benahm,  strenge  Disciplin  angewendet". 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  günstige  Aus- 
gang in  diesem  Falle  dem  traitement  moral,  wie  es  eine  gut  ge- 
leitete Heilanstalt  zu  bieten  vermag,  zuzuschreiben  ist.  Interessant 
im  Sinne  posthypnotischer  Suggestionswirkung  bleibt  immerhin  die 
Thatsache,  dass  Patientin  vom  7.  6.  88  bis  zum  10.  9.  89  sich  der 
suggestiven  Directive  entsprechend  verhielt  und ,  trotz  genügender 
äusserer  Anlässe,  von  Krampfanfällen  verschont  geblieben  war. 


Epikrise. 


Die  zu  vorstehenden  hypnotischen  Experimenten  benutzte  Per- 
sönlichkeit ist  vermöge  ihrer  Neurose  (Hysteria  gravis)  und  beson- 
derer Veranlagung  in  hohem  Grad  zur  Versetzung  in  hypnotische 
Zustände  befähigt.  Als  solche  sind  jederzeit  experimentell  herstell- 
bar ein  Zustand  von  Kataleptiko-Somnambulismus  (II)  und  ein 
solcher  von  Autohypnose  (III). 

Im  relativ  normalen  und  luciden  Zustand  (I)  bietet  die  Ver- 
suchsperson das  Erscheinungs-  und  Zustandsbild  einer  Hysteria 
gravis  mit  den  gewöhnlichen  neurotischen  und  psychisch-elementaren 
Funktionsstörungen  einer  solchen. 

Durch  gewisse  Proceduren  gelingt  es  leicht,  Patientin  in  den 
Zustand  II  zu  versetzen.  Diese  Proceduren  (Stirnstreichen,  Augen- 
compression,  Anblicken,  einfacher  Befehl  u.  s.  w.)  dürften  auf  Sug- 
gestion (sensible ,  auditive)  beruhen  und  sich  in  letzter  Linie  auf 
eine  rein  psychische   Beeinflussung  zurückführen  lassen. 

Diese  gelingt  nur  dann,  wenn  Patientin  dem  Willen  des  Ex- 
perimentators gefügig  ist. 

Bemerkenswerth  ist,  dass  sie  jeweils  im  Moment  der  eintre- 
tenden hypnotischen  Beeinflussung  die  Augen  zu  dem  Experimen- 
tator aufschlägt,  so  zu  sagen  sein  Bild  in  die  Nacht  des  unbe- 
wussten  hypnotischen  Zustands  mit  hinübernimmt.  Zeigt  sich  schon 
dadurch  die  rein  psychische  und  suggestive  Entstehungsweise  von 
II,  so  wird  dies  noch  deutlicher,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  die 
Intensität  von  II  und  der  Grad  der  Beherrschbarkeit  der  Versuchs- 
person durch  den  Experimentator  ganz  von  der  Innigkeit  des  Rap- 
ports abhängt,  in  welchem  sie  zu  ihm  sich  befindet.  Damit  erklärt 
sich  der  theilweise  Misserfolg  bei  inadäquaten  Einschläferungsver- 
suchen    (z.  B.    Streichen  mit  einer  Bürste  statt  mit  der  Hand),  bei 


—    81    — 

zufälligem  oder  absichtlichem  Nichtanblicken  des  Experimentators 
während  der  Hypnotisirung,  die  Schwierigkeit  für  Andere,  II  zu 
erzielen,  die  Unvnllkommenheit  des  Einflusses  Dieser  im  Gegensatz  zu 
dem  des  gewohnten  Experimentators  u.  s.  w.  (man  vergleiche  be- 
sonders die  Beobachtungen  vom  4.  (5.).  In  II  befindet  sich  die  Hirn- 
rinde der  Patientin  in  einem  tiefen  Hemmungszustand,  der  spontane 
Apperceptionen  ausschliesst.  Perceptionen  sind  aber  im  Bereich  des 
Acusticus  und  der  cutanen  Empfindung  auf  der  linken  Körperhälfte 
möglich.  Für  ihre  Ueberführung  in  Apperceptionen  liegen  keine 
Beweise  vor.  Sie  ist  bei  der  tiefen  Hemmung  der  sensorischen 
Gebiete  der  Hirnrinde  auch  nicht  annehmbar. 

Die  Perception  beschränkt  sich  auf  Gehörs-  und  Schmerzein- 
drücke und  dadurch  ausgelöste  einfache  Reflexe.  Diese  Hemmung 
vermag  nun  der  Experimentator  jeweils  durch  Suggestion  zu  be- 
seitigen. Dieser  merkwürdige  Einfluss  ist  nur  diesem  möglich. 
Suggestive  Wege  sind  der  sensible  und  der  auditive.  Durch  solche 
Suggestion  kann  der  Experimentator  jederzeit  beliebige  Hirngebiete 
erschliessen ,  d.  h.  von  der  Hemmung  befreien.  Der  virtuell  zu 
Gebot  stehende  Hirnmechanismus  arbeitet  dann  höchst  exakt,  aber 
nur  so  lange  und  so  weit,  als  er  suggestiv  beeinflusst  ist.  Bemerkens- 
werth  ist  die  Präcision  und  Logik,  mit  welcher  die  psychische  Seite 
dieses  Mechanismus  arbeitet.  Eine  unklare  zweideutige,  unlogische 
Suggestion  setzt  Verwirrung  und  Unsicherheit.  Nur  ganz  präcis 
gegebene  Suggestionen  kommen  tadellos  zur  Ausführung. 

Sich  selbst  überlassen,  erscheint  die  Versuchsperson  auf  Grund 
der  tiefen  Hemmung  aller  Spontaneität  verlustig.  Sie  gleicht  einer 
Statue  und  nichts  in  ihrer  Miene  verräth,  dass  geistige  Vorgänge, 
wenn  auch  nur  in  Form  von  Traumbildern,  in  ihr  ablaufen. 

Auch  wenn  diese  Statue  durch  Suggestionen  belebt  wird,  ist 
der  Mangel  jeglicher  höherer  geistiger  Funktion  (Urtheil,  Kritik, 
Wille  u.  s.  w.)  auffallend.  Sie  gleicht  dem  „l'homme  machine" 
La  Mettrie's,  sie  ist  ein  reiner  Automat.  Damit  ist  sie  ein  willen- 
loses Werkzeug  in  der  Hand  des  Experimentators,  höchstens  dass 
oberflächliche  und  suggestiv  leicht  zu  beseitigende  Gemüthsbewe- 
gungen  auftreten.  Dies  gilt  aber  nur  für  den  vollentwickelten  II. 
Zustand.  Ist  derselbe  ein  unvollkommen  entwickelter,  so  ist  die 
Hemmung  keine  vollständige  und  Wille,  Apperception  u.  s.  w.  nicht 
gänzlich  gebunden ,  ebensowenig  Amnesie  in  I  für  das  in  II  Er- 
lebte vorhanden  (vgl.  4.  6.).  In  diesen  unvollkommen  entwickelten 
II-Zuständen  ist  aber  auch  der  gewohnte  Experimentator  nicht  un- 

v.  Krafft-Ebing,  Hypnotismus.    3.  Aufl.  6 


—    82    — 

beschränkter  Beherrscher  des  psychischen  Mechanismus  der  Ver- 
suchsperson, vermag  z.  B.  nicht  Contrakturen,  phonographische  Ex- 
perimente u.  s.  w.  an  ihr  zu  bewirken. 

Befindet  sich  Patientin  in  vollständiger  Hypnose  (II),  so  ist 
die  Macht  des  Experimentators  über  die  Versuchsperson  eine 
schrankenlose.  Die  von  ihm  suggestiv  geschaffenen  Zustände 
und  Veränderungen  (z.  B.  Transferfc)  bestehen  aber  nur 
für  ihn,  sie  sind  psychisch,  subjektiv,  nicht  objektiv. 

Die  suggestiv  erschlossenen  Hirngebiete  sind  sehr  anspruchs- 
fähig. Da  die  Leitungsbahnen  und  Sinnesapparate  sich  nicht  hyper- 
ästhetisch erweisen ,  kann  die  gesteigerte  Anspruchsfähigkeit  nur 
als  eine  centrale  (psychische)  gedacht  werden. 

Die  rein  psychische  Bedeutung  dieser  Veränderung  ergibt  sich 
daraus,  dass  nur  vom  Experimentator  ausgehende  Reize  und  erst 
nachdem  die  Aufmerksamkeit  der  Versuchsperson  suggestiv  wach- 
gerufen ist,  zur  Wahrnehmung  gelangen.  Dies  ergibt  sich  u.  A. 
aus  der  Thatsache,  dass  nur  dem  Experimentator  die  Hervorrufung 
und  Lösung  von  Contrakturen  auf  der  Bahn  cutaner,  sensibler  Re- 
flexe, nur  ihm,  offenbar  durch  muskuläre  sensible  Bahnen  vermittelt, 
die  Hervorrufung  mimischer  Ausdrucksweisen  durch  der  Person 
gegebene  plastische  Attitüden  gelingt.  Auch  der  Magnet,  unbe- 
schadet seiner  zuzugebenden  spasmogenen  Wirkung  in  II 
und  des  Ueberwiegens  der  Wirkung  des  Südpols  über  die 
des  Nordpols,  wirkt  nur  in  der  Hand  des  Experimentators. 

Diese  Wirkung  ist  jedenfalls  eine  reflektorische  via  sensibler 
Hautnerven,  denn  an  anästhetischen  Stellen  ist  sie  Null.  Die  diese 
Wirkung  vermittelnden  Centralorgane  erscheinen  durch  lange  Inan- 
spruchnahme erschöpfbar.  Die  Auffrischung  ihrer  Leistung  z.  B. 
durch  Transfert  wirkt  erregbarkeitssteigernd.  Aus  Allem  geht  her- 
vor, dass  das  Ausschlaggebende  bei  den  Versuchen  ein  psychischer 
Faktor  zwischen  Versuchsperson  und  Experimentator  ist.  Mit  an- 
deren Worten:  Alles  geschieht  durch  Suggestion  und  die 
Wege,  auf  denen  sie  möglich  wird,  sind  die  acustische 
und  die  sensible  (cutane  und  muskuläre)  Leitungsbahn. 

Die  enorme  Erhöhung  der  Anspruchsfähigkeit  der  Centren 
ergibt  sich  u.  A.  aus  dem  Umstand,  dass  auch  nach  dem  Magnet 
gehandhabte  nicht  magnetische  Körper  in  der  Hand  des  Experi- 
mentators spasmogene  Wirkung  haben,  sowie  dass  Patientin  das 
Schlagen  des  Gong  durch  einen  Anderen  nicht  bloss  percipirt,  son- 
dern auch  unangenehm  davon  berührt  wird. 


-    83    — 

Noch  merkwürdiger  erscheint  die  Thatsache  der  Möglichkeit 
der  erfolgreichen  Suggestion  in  Centren  und  Bahnen,  welche  für 
den  bewussten  Willen  in  normaler  psychischer  Verfassung  jeden- 
falls nicht  erreichbar  sind.  Es  werden  dadurch  Möglichkeiten 
der  Beeinflussung  körperlicher  Funktionen  durch  unbe- 
wusste  psychische  Vorgänge  aufgezeigt,  die  für  das 
krankhafteNervenlebenvonhöchstemlnteresseundgrosser 
Bedeutung  sind. 

Manche  dieser  Suggestionen,  wie  z.  B.  die  Hervorrufung  von 
Gänsehaut  durch  die  suggestive  Vorstellung  von  Kälte,  die  Suggestion 
von  Schlaf,  Eintritt  der  Stuhlentleerung  u.  s.  w.  kommen  noch  in 
physiologischer  Breite  vor  oder  finden  wenigstens  darin  ihre  Ana- 
loga ;  manche  andere  sind  Alltagserscheinungen  bei  Nervenkranken, 
namentlich  Hysterischen,  die  Lähmung  von  Extremitäten,  Blindheit, 
Taubheit  u.  dgl.  durch  Autosuggestion  bekommen  und  von  den 
verschiedensten  funktionellen  Leiden  durch  Suggestion  im  nicht 
hypnotischen  Zustande  Seitens  des  Arztes,  oft  unter  Zuhilfenahme 
von  Scheinarzneien  u.  dgl.,  befreit  werden. 

Für  die  gegenwärtige  Wissenschaft  unerklärbar  stehen  die 
Suggestionen  im  Gebiet  vasomotorischer  und  trophischer  Nerven 
und  wärmeregulirender  Centren  da.  Dass  derlei  Wirkungen  nicht 
bloss  durch  psychischen  Einfluss  (Befehl)  des  Experimentators,  son- 
dern sogar  durch  hallucinatorische  Suggestion  möglich  sind,  lehren 
die  Erfahrungen  vom  6.  5.  Sie  bilden  eine  Brücke  zu  dem  Gebiet 
der  autosuggestiven  Wirkungen  auf  leibliche  Vorgänge,  deren  Vor- 
kommen (bei  Hysterischen  z.  B.  in  Form  von  Blutschwitzen,  Auf- 
treten von  Wundmalen  u.  s.  w.)  auf  dem  Gebiet  der  Neuropatho- 
logie  nicht  anzuzweifeln,  aber  noch  viel  zu  wenig  gewürdigt  ist. 

Wir  haben  jene  suggestiven  Wirkungen  an  Patientin  oft  ge- 
nug experimentirt  und  mit  allen  Cautelen,  um  für  ihre  Richtigkeit 
einstehen  zu  können.  Manches  Andere,  wie  z.  B.  die  Suggestion 
ins  Herznervengebiet,  die  suggestive  Paralysirung  der  Wirkung  von 
Medicamenten  ist  misslungen.  Ich  getraue  mich  nicht  zu  behaupten, 
dass  derlei  nicht  bei  einer  anderen  Versuchsperson  gelingen  könnte. 
Die  Fernwirkung  von  Medikamenten  (Luys)  hat  sich  als  ein  Irrthum 
herausgestellt. 

Mit  Versuchen  einer  möglichen  Transposition  der  Sinne  haben 
wir  uns  nicht  weiter  beschäftigt,  da  sie  bisher  sich  als  Betrug  und 
Selbsttäuschung  herausgestellt  hat  und  mit  den  elementaren  Gesetzen 
der  Physiologie  im  Widerspruch  steht. 


—    84    — 

Auch  die  Clairvoyance  haben  wir  bei  Seite  gelassen,  da  sie 
gegen  einen  der  ersten  Sätze  der  empirischen  Psychologie  verstösst 
und  eine  Steigerung  der  geistigen  Funktionen  bei  der  Versuchs- 
person in  keiner  Weise  zu  Tage  trat.  Der  einzige  Versuch  einer 
.Suggestion  mentale"  des  Errathens  der  Gedanken  des  Experimen- 
tators durch  die  Patientin  machte  Fiasko,  resp.  musste  aufgegeben 
werden,  da  Patientin  sich  peinlich  abmühte  und  Gefahr  lief,  einen 
lrystero-epileptischen  Anfall  zu  bekommen.  Die  Vermuthung,  dass 
in  allen  Fällen,  wo  Suggestion  mentale  gelungen  sein  soll,  eine 
Selbsttäuschung  durch  unbeabsichtigte  Suggestionen  von  Seite  des 
Experimentators  im  Spiele  war,  scheint  mir  berechtigt. 

Die  Suggestionen  bezüglich  der  Transformation  der  Persön- 
lichkeit, die  Schaffung  hallucinatorischer  Situationen  und  gefälschter 
Wahrnehmungen,  so  verblüffend  sie  für  den  Laien  und  so  interes- 
sant sie  als  experimentelle  Leistungen  für  die  psychiatrische  Wissen- 
schaft sein  mögen,  beanspruchen  am  wenigsten  allgemeines  wissen- 
schaftliches Interesse,  da  sie  als  Autosuggestionen  des  Traums  und 
des  Irrsinns  massenhaft  Analogien  bieten.  Bemerkenswerth  bleibt 
immerhin  der  Einfluss  dieser  psychischen  suggestiven  Einwirkungen 
in  therapeutischer  Hinsicht.  Von  diesem  therapeutischen  Faktor 
wurde  ausgiebiger  und  für  die  uns  beschäftigende  Patientin  nicht 
unwichtiger  Gebrauch  gemacht. 

Ihre  im  concreten  Fall  bald  versagende  Wirkung,  ihre  Zer- 
störung durch  beliebige  III-Zustände  oder  hystero-epileptische  An- 
fälle würde  zur  grössten  Skepsis  bezüglich  ihres  therapeutischen 
Werthes  nöthigen,  wenn  nicht  zahlreiche  Fälle  aus  fremder  und  aus 
eigener  Erfahrung  ihn  erwiesen.  Ich  halte  die  hypnotische  Sug- 
gestion für  eine  werth volle  Bereicherung  der  Therapie  der  func- 
tionellen  Nervenkrankheiten. 

Eine  Erscheinung  im  Gebiet  der  Suggestion  geänderter  Per- 
sönlichkeit scheint  mir  noch  der  Erwähnung  werth.  Patientin  schreibt 
in  ein  Schulmädchen  verwandelt,  ganz  anders  als  in  der  Gegenwart. 
Schriftproben  aus  der  Schulzeit  der  Patientin  stehen  mir  leider  nicht 
zu  Gebot,  aber  es  liegt  nahe  zu  vermuthen,  dass  die  Schrift  des 
suggestiven  Schulmädchens  der  wirklichen  aus  der  Schulzeit  ent- 
spricht und  dass  die  neuerlich  gemachte  Behauptung,  dass  das  Ge- 
dächtniss  längst  historisch  gewordener  geistig-körperlicher  Lebens- 
phasen unter  günstigen  Umständen  reaktivirt  werden  kann,  Berech- 
tigung hat. 

An   der  Versuchsperson   konnte    noch  eine  weitere  III.  Modi- 


—    85   — 

fication  ihrer  psychischen  Leistung  experimentell  erzielt  werden  und 
zwar  dadurch,  dass  man  sie  durch  ungewöhnliche  (inadäquate)  Pro- 
ceduren  aus  II  (experimentelle  Hypnose)  in  I  oder  auch  aus  I  in 
II  überführen  wollte. 

In  diesem  Zustand  (lila)  ist  die  Hemmung  des  Seelenorgans 
keine  so  vollständige  ,  wie  in  der  experimentellen  Hypnose  (II). 
Patientin  vermag  Perceptionen  zu  machen  (speciell  acustische  und 
optische)  und  hört  und  sieht  auch  andere  Personen  als  den  Experi- 
mentator, aber  Alles  vollzieht  sich  auf  traumhafter  Bewusstseins- 
stufe  in  diesem  Zustand.  Jedenfalls  fehlen  auch  hier  Spontaneität, 
Wille  und  klare  Apperception.  Verhängnissvoll  werden  der  Patien- 
tin in  diesem  Zustand  optische  und  acustische  Reize,  indem  sie  der  sie 
auslösenden  Gegenstände  (Silberzeug,  Uhren  u.  dgl.)  ganz  automa- 
tisch sich  bemächtigt  und  damit  zur  unbewussten  Diebin  wird. 

Dieser  III.  Zustand  kann  aber  auch  spontan  entstehen  (Auto- 
hypnose) aus  I  durch  Anblicken  von  glänzenden  Gegenständen,  so 
z.  B.  durch  Schauen  auf  die  Stricknadeln  bei  der  Strickarbeit. 

Dieser  Zustand  von  Autohypnose  stellt  eine  Modifikation  b  des 
vorigen  experimentell  erzeugten  (III a)  dar,  insofern  die  Hemmung 
sich  in  ihrer  Tiefe  der  von  II  nähert.  Auch  hier  sind  von  Er- 
regungswegen nur  der  acustische  und,  insofern  glänzende  Gegen- 
stände Vermittler  der  Äutohypnose  waren,  auch  der  optische  offen. 
So  sind  „ Diebstähle"  möglich.  Nur  in  dieser  Richtung  ist  eine 
automatische,  bewusstlose,  aber  gleichwohl  complicirte  und  präcise 
Leistung  möglich. 

Von  höchstem,  namentlich  forensischem  Interesse  ist  die  bei 
Patientin  gefundene  empirische  Thatsache,  dass  sie,  sobald  eine  ihr 
in  II  aufgetragene  posthypnotische  Leistung,  sofern  sie  einen  Zu- 
stand oder  eine  complicirte  Handlung  involvirt,  zur  Ausführung  ge- 
langt, in  Autohypnose  geräth,  d.  h.  die  Suggestion  wirkt,  so- 
bald sie  actuell  wird,  hypnotisirend. 

Aus  dieser  Thatsache ,  die  ich  auch  in  anderen  Fällen  con- 
statiren  konnte,  erklärt  sich  die  hemmungslose,  blinde  und  wider- 
standslose Ausführung  der  Befehle  des  Experimentators.  Patientin 
gleicht  in  diesem  Zustand  der  posthypnotisch  suggestiven  Auto- 
hypnose ,  einem  von  bestimmten  Ideen  getriebenen  Schlafwandler. 
In  der  Ausführung  suggerirter  Leistungen  besteht  auch  hier  die 
grösste  Präcision. 

Ausserhalb  des  suggestiv  erschlossenen  Ideenkreises  besteht  Nacht 
oder  ist  die  psychische  Leistung  auf  blosse  Perception  eingeschränkt. 


-    86    — 

In  diesem  Zustand  der  posthypnotischen  Autohypnose  ist  die 
Hemmung  jedoch  geringer  als  in  III a  und  III  b,  so  dass  jener  als 
eine  Modification  c  des  III.  Zustands  unterschieden  zu  werden  ver- 
dient. Dass  diese  drei  Modiiicationen  aber  zusammengehörige 
Phasen  ein  und  desselben  Grundzustandes  sind,  ergibt  sich  daraus, 
dass  für  das  in  den  verschiedenen  Modification en  Erlebte  Erinne- 
rung besteht. 

Mit  geleisteter  posthypnotischer  Suggestion  kehrt  I  allmählig 
zurück.  Dieser  Uebergang  ist  höchst  peinlich  bis  zum  Gefühl,  den 
Verstand  zu  verlieren,  insofern  III  die  Continuität  des  I-Daseins 
episodisch  unterbrach  und  Patientin,  unbewusst  für  in  III  geschaffene 
Situationen,  sich  keine  Rechenschaft  und  Erklärung  dafür  zu  geben 
vermag,  wenn  sie  in  I  zurückgekehrt  ist. 

Dieser  peinliche  Zustand  kann  vermieden  werden,  indem  man 
Patientin  in  die  frühere  Situation,  in  welcher  sie  in  III  kam,  wäh- 
rend künstlich  hergestellter  II  zurückversetzt  und  den  Status  quo 
ante  durch  Ueberführung  in  I  herstellt. 

Die  Ueberführung  in  II  gelingt  aus  allen  IHZuständen  mit 
denselben  Mitteln  wie  die  aus  I  in  II  und  ist  ein  werthvolles  Hilfs- 
mittel, um  spontan  entstandene  III-Zustände  rasch  zu  beseitigen. 
Die  rein  psychische  Entstehung  und  Bedeutung  von  II  wird  auch 
dadurch  in  ein  helles  Licht  gesetzt;  dass  die  Ueberführung  in  I 
auf  rein  psychischem  Wege  (Suggestion)  zwar  leicht,  aber  nur  dem 
Experimentator  gelingt,  dass  es  jedoch  einer  direkten  Suggestion 
desselben  bedarf  (z.  B.  Selbstzählen  auf  3,  nicht  Zählen  der  Ver- 
suchsperson), wenn  nicht  statt  I  III  entstehen  soll. 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  in  III  posthypnotische  Sug- 
gestionen nicht  erzielbar  sind. 

Eine  oft  wiederholte  Experimentation  lehrte  zur  Evidenz,  dass 
die  drei  verschiedenen  Bewusstseinszustände,  welche  an  Patientin  zu 
beobachten  und  herzustellen  sind,  typisch  congruent  und  offenbar 
gesetzmässig  unter  identischen  Bedingungen  sich  vorfinden.  Darin 
liegt  jedenfalls  einer  der  wichtigsten  Beweise  für  die  Aechtheit 
dieser  Zustände  und  gegen  Simulation. 

Es  zeigt  sich  aber  weiters,  dass  diese  drei  verschiedenen  Be- 
wusstseinszustände absolut  nichts  mit  einander  gemein  haben  als 
dieselbe  Person,  bei  der  sie  beobachtet  werden. 

Diese  drei  verschiedenen  Bewusstseinskreise  schneiden  sich 
niemals  —  jeder  hat  sein  eigenes  Gedächtniss,  bis  auf  den  III c- 
Zustand ,    dessen   Erlebnisse    qua   in    II    bestellter   posthypnotischer 


—    87    — 

Suggestion  in  II  wieder  erinnerlich  sind.  Damit  ist  ein  Tripelbe- 
wusstsein  erwiesen,  jedes  auf  Grundlage  einer  eigenartigen  Nerven- 
mechanik. 

Die  Kranke  stellt  somit  drei  psychische  Existenzen  dar.  In 
I  eine  gewöhnliche  Hystero-epileptische  bei  voller  Helligkeit  des 
Bewusstseins,  in  II  eine  in  tiefem  Hemmungs-  oder  Schlafzustand 
Befindliche,  aber  partiell  erweckbar  und  zu  maschineller,  automa- 
tischer, höchst  präciser  Leistung  durch  Suggestion  beliebig  ver- 
wendbar. In  III  gleicht  sie  einer  Nachtwandlerin,  in  beschränktem 
seelischen  Gebiet  spontan  leistungsfähig  auf  Grund  autosuggestiver 
oder  posthypnotischer,  von  dritter  Person  suggerirter  Ideen,  aber 
auf  der  Stufe  eines  traumhaft  vertieften  Bewusstseins. 

In  dieser  Verfassung  wird  sie  gelegentlich  zur  schuldlosen 
Diebin.  Sie  steht  aber  auch  in  Gefahr,  jederzeit  das  willenlose 
Werkzeug  des  intellectuellen  Urhebers  eines  Verbrechens  zu  werden. 

Dass  mit  der  Namhaftmachung  des  II  und  der  verschiedenen 
III-Zustände  die  hypnotischen  Reaktionsmöglichkeiten  dieser  merk- 
würdigen Kranken  nicht  erschöpft  sind ,  lehren  die  Erfahrungen 
vom  7.  6.  88.  Patientin  gerieth  damals  durch  einen  von  den  bis- 
herigen abweichenden  psychischen  Eingriff  in  einen  bisher  an  ihr 
nicht  beobachteten  Zustand  der  sog.  Fascination  (Donato,  Bre- 
maud).  Bei  dem  gegenwärtigen  Stand  der  Wissenschaft  dürfte  es 
geboten  sein,  die  beobachtete  Thatsache  einfach  zu  registriren,  zu- 
mal da  die  Umstände  neuerliche  Hervorrufung  behufs  genaueren 
Studiums  nicht  gestatteten.  Es  lässt  sich  nicht  einmal  genau  fest- 
stellen,  ob  diese  „Fascination"  ein  unvollständiger  IL  oder  ein  III. 
Zustand  war.  Von  hohem  Interesse  bleibt  das  Schwinden  des  Per- 
sönlichkeitsbewusstseins  in  diesem  Zustand,  in  welchem  Patientin 
sich  als  reiner  Automat  fühlt  und  verkörpert  nur  noch  als  „Bild" 
im  Äuge  des  Experimentators  weiss. 

An  eine  Gaukelei  hier  zu  denken,  wird  auch  der  grösste 
Skeptiker  im  Gebiet  des  Hypnotismus  nicht  veranlasst  sein.  Für 
die  vorurtheilsfreie  wissenschaftliche  Forschung  wird  das  vorstehend 
Beobachtete  und  Berichtete  hoffentlich  Werth  besitzen  und  An- 
regung gewähren. 


ScMnsswort. 


Jedermann  weiss  heutzutage,  dass  der  Hypnotismus  nicht  auf 
einem  sogenannten  thierisch-magnetischen  Einflüsse  beruht,  sondern 
auf  einem  psychischen  (moralischen) ,  den  der  Experimentator  oder 
Arzt  auf  den  zu  Hypnotisirenclen  ausübt.  Die  vorstehende  Studie 
lieferte  erschöpfende  Beweise   für    die  Richtigkeit  dieser  Annahme. 

Diesen  gegenwärtigen  Standpunkt  der  Wissenschaft  den  Phä- 
nomenen des  Hypnotismus  gegenüber  hat  übrigens  schon  1784  die 
französische  Akademie  der  Wissenschaften  mit  ihrem  Berichterstatter 
Bailly  vertreten.  Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  aus  Arago's  Ge- 
dächtnissrede auf  Bailly,  gehalten  in  der  französischen  Akademie  der 
Wissenschaften  am  26.  Februar  1844,  folgende  bezeichnende  Stelle 
im  Bericht l)  des  berühmten  Naturforschers  hier  abzudrucken.  „In- 
dem man  der  eingebildeten  Ursache  des  thierischen  Magnetismus 
nachspürte,  hat  man  die  wirkliche  Macht  kennen  gelernt,  welche  der 
Mensch  auf  seine  Mitmenschen  ohne  unmittelbares ,  nachweisbares 
Dazwischentreten  eines  physischen  Agens  ausüben  kann.  Bailly  hat 
nachgewiesen ,  dass  die  einfachsten  Handbewegungen  und  Zeichen 
mitunter  sehr  mächtige  Wirkungen  zur  Folge  haben ,  ja  dass  die 
Einwirkung  des  Menschen  auf  die  Einbildungskraft  zu  einer  Kunst 
ausgebildet  werden  kann,  wenigstens  solchen  Personen  gegenüber, 
welche  an  die  Möglichkeit  solcher  Einwirkung  glauben." 

Zu  diesem  Citat  aus  Bailly's  Bericht  macht  Arago  die  feine 
Bemerkung:  „endlich  hat  diese  Arbeit  gezeigt,  in  welcher  Weise 
unsere  Fähigkeiten  durch  Experimente  untersucht  werden  müssen, 
auf  welchem  Wege  es  der  Psychologie  eines  Tages  gelingen  wird, 
in  die  Reihe  der  exakten  Wissenschaften  einzutreten." 


*)  Franz   Arago's   sämmtl.  Werke,   herausgegeben   von   Hankel,   Leipzig 
1854,  Band  II,  S.  242. 


89 

Man  sollte  glauben,  dass  durch  diese  Aussprüche  so  hervor- 
ragender Männer  der  Wissenschaft  die  Bahn  für  die  Ausbildung  des 
sogenannten  Hypnotismus  zu  einem  wichtigen  Zweig  der  moralischen 
Heilkunde  geebnet  und  die  Psychologie  bestrebt  gewesen  wäre,  sich 
dieses  werthvollen  empirischen  Mittels  zu  ihrem  Fortschritt  zu 
bedienen. 

Für  den  Kenner  der  neueren  Geschichte  der  Medicin  und  der 
Psychologie  ist  es  schmerzlich,  zu  constatiren,  dass  dieses  Wissens- 
gebiet in  den  Händen  von  Charlatans  und  Dilettanten  blieb,  bis  1841 
Braid  in  bescheidenen  Anfängen ,  dann  Charcot  sowie  die  Forscher 
in  Nancy  mit  wissenschaftlicher  Exaktheit  in  den  siebziger  Jahren 
den  Grund  zur  heutigen  Lehre  vom  Hypnotismus  legten.  So  ge- 
schah es,  dass  die  exakt  sein  wollende  medicinische  und  die  psycho- 
logische Wissenschaft  fast  ein  Jahrhundert  achtlos  an  psychischen 
Thatsachen  vorüberging,  die  berufen  sind,  theoretisch  und  praktisch 
künftig  eine  bedeutende  Tragweite  zu  gewinnen  und  schon  gegen- 
wärtig das  Interesse  von  Laien  wie  Vertretern  der  Wissenschaft  in 
hervorragender  Weise  in  Anspruch  nehmen. 

Denjenigen,  welche  noch  in  der  Gegenwart  sich  ablehnend  den 
Thatsachen  des  Hypnotismus  gegenüber  verhalten ,  möge  Arago's 
Ausspruch  l)  nicht  vorenthalten  bleiben : 

.,Ich  kann  dem  Geheimniss vollen  nicht  beistimmen,  in  das  sich 
diejenigen  wirklichen  Gelehrten  hüllen,  welche  gegenwärtig  Ver- 
suchen über  Somnambulismus  beiwohnen.  Zweifel  zeugt  von  Be- 
scheidenheit und  hat  nur  selten  den  Fortschritten  der  Wissenschaft 
geschadet,  während  man  von  der  Ungläubigkeit  nicht  dasselbe  be- 
haupten könnte.  Denn  wer,  ausser  im  Bereiche  der  reinen  Mathe- 
mathik,  das  Wort  unmöglich  anwendet,  ist  mindestens  unvorsichtig. 
Sobald  es  sich  um  die  Organisation  lebender  Wesen  handelt,  wird 
ein  vorsichtiges  Zurückhalten  zur  Pflicht." 

So  urtheilte  Arago  —  im  Jahre  1844. 

J)  Op.  cit.  S.  254. 


Anhang:  über  Suggestion  und  Suggestionstherapie. 


Seit  dem  erstmaligen  Erscheinen  vorstehender  Brochure  hat 
der  Hypnotismus  als  Naturerscheinung  und  Heilmethode  eine  Be- 
deutung bei  Laien  wie  auch  Vertretern  der  Wissenschaft  erlangt,  die 
von  Jahr  zu  Jahr  noch  zuzunehmen  scheint.  Da  dieser  bescheidenen 
experimentellen  Studie  ein  unerwarteter  literarischer  Erfolg  be- 
schieden war  und  sie  offenbar  eine  weite  Verbreitung  findet,  halte 
ich  es  für  opportun,  einem  Wunsche  der  Verlagsbuchhandlung  Folge 
leistend,  ein  Resume  meiner  Erfahrungen  auf  dem  Gebiet  der  Sug- 
gestion und  ihrer  Anwendung  in  der  Heilkunst  im  Anschluss  an 
meine   „experimentelle  Studie"   zu  geben. 

Angesichts  der  vortrefflichen  Darstellungen,  welche  die  Lehre 
vom  Hypnotismus  seitens  hervorragender  Aerzte,  wie  z.  B.  Moll, 
Forel,  Wetterstrand  gefunden  hat,  kann  ich  mich  kurz  über  das 
muthmassliche  Wesen ,  die  Erscheinungsformen ,  Technik  u.  s.  w. 
des  sogen.  Hypnotismus  fassen. 

Phänomenal  nähert  sich  der  Zustand  des  Hypnotischen  dem 
des  Schlafenden.  Irrig  wäre  es  aber,  Identität  der  Erscheinungen 
behaupten  zu  wollen.  Der  hypnotische  Schlaf  ist  nur  ein  schlaf- 
ähnlicher, künstlich  geschaffener,  nicht  natürlicher  und  in  verschie- 
denen seiner  Aeusserungsweisen  gewissen  spontan  entstandenen,  ent- 
schieden krankhaften  Schlafzuständen  (Lethargus,  Somnambulismus), 
wie  wir  sie  bei  Neurosen  (Hysterie)  kennen,  durchaus  analoger. 

Jenen  hypnotischen  Zustand  mit  diesen  zu  identificiren,  etwa 
im  Sinne  einer  „künstlich  erzeugten  Neurose"  oder  einer  „acuten 
Geistesstörung"  geht  nicht  an,  denn  der  Hypnotismus  beschränkt 
sich  nicht  auf  solche  Bilder,  sondern  hat  eine  viel  umfassendere 
Phänomenologie.  Ueberdies  sind  die  Zustände  von  hypnotisch  provo- 
cirtem  „Lethargus"  oder  „Somnambulismus"  nicht  identisch  den 
spontan   bei    Hysterischen   sich    darbietenden.     Auch    die   Annahme, 


—    91    — 

dass  die  erwähnten  Erscheinungsformen  hypnotischer  Beeinflussung 
nichts  Anderes  als  Zustünde  von  künstlich  provocirtem  bis  dahin 
latentem  Hysterismus  seien,  ist  der  eigenen  und  fremden  Erfahrung 
gegenüber  nicht  stichhaltig,  welche  das  Vorkommen  jener  durch  hyp- 
notische Einwirkung  bei  völlig  gesunden,  vorher  und  nachher  niemals 
hysterisch  gewesenen  Personen  erweist. 

Für  eine  übersichtliche  Betrachtung  und  namentlich  für  prak- 
tische Zwecke  verlohnt  es  sich  nicht,  die  mannigfachen  Abstufungen 
der  Bewusstseinsverdunkelung,  welche  im  hypnotischen  Zustand  zur 
Beobachtung  gelangen,  zu  berücksichtigen. 

Es  genügt  zwei  Zustände  oder  richtiger  Gradstufen  der  Hyp- 
nose festzuhalten:  den  der  Schlaftrunkenheit  und  des  Schlafes. 

Der  entscheidende  Unterschied  zwischen  beiden  ist  damit  ge- 
geben, dass  der  Hypnotisirte  im  ersteren  Zustand  der  Apperception 
der  Vorgänge  in  der  Aussenwelt  nicht  verlustig  ist,  sich  alles  mit 
ihm  in  diesem  Zustand  Vorgegangenen  hinterher  erinnert,  da  ja 
sein  Selbstbewusstsein    keinen   Augenblick    verloren    gegangen  war. 

Im  Zustand  des  hypnotischen  Schlafs  dagegen,  der  ein  schein- 
bar natürlicher  tiefer  Schlaf  oder  ein  comaartiger  (Lethargus)  oder 
ein  somnambulismusartiger  sein  kann ,  fehlt  während  seiner  Dauer 
das  Bewusstsein  der  Aussenwelt  und  die  Fähigkeit  der  Beein- 
flussung durch  Reize  derselben.  Das  in  dem  Zeitraum  dieses  Zu- 
stands  mit  dem  Schläfer  Vorgefallene  wird  nach  dem  Erwachen 
nicht  erinnert,  der  Zustand  der  (tiefen)  Hypnose  bildet  eine  eben- 
solche Lücke  in  der  Continuität  seines  bewussten  Daseins,  wie  es 
der  natürliche  tiefe  traumlose  Schlaf  unterbricht. 

Für  eine  besondere  Art  des  tiefen  hypnotischen  Schlaf zustands 
besteht  noch  die  Eigenthümlichkeit ,  dass  Derjenige,  welcher  die 
Hypnose  herbeigeführt  hat,  mit  dem  Schlafenden  sich  in  geistigen 
Verkehr  (Rapport)  zu  setzen  vermag,  und  dessen  centrale  Sinnes- 
thätigkeit  und  geistige  Funktion  erschliessen  und  lenken  kann. 

Für  das  in  solchen  Zuständen  von  hypnotischem  Somnambulis- 
mus Erlebte  hat  die  betreffende  Person  nach  dem  Erwachen  kein 
Bewusstsein,  aber  die  Erinnerung  für  das  intrahypnotisch  Erlebte 
kehrt  in  neuer  bis  zu  Somnambulismus  sich  erstreckender  Hypnose 
wieder  (doppeltes  Bewusstsein). 

Die  Zahl  Derer,  welche  durch  hypnotischen  Einfluss  in  mehr 
minder  ausgesprochene  Schlaftrunkenheit  (engourdissement)  versetzt 
werden  können,  ist  unbegränzt  und  unter  günstigen  seelischen  und 
Aussenbedingungen  dürfte  wohl  Jedermann,  um  so  leichter,  je  willens- 


92 


und  denkkräftiger  er  ist,  in  diesen  Zustand  zu  gelangen  vermögen. 
Anders  ist  es  mit  dem  des  tiefen  hypnotischen  Schlafs.  Er  tritt 
nur  bei  etwa  15  °/o  der  Versuchsindividuen  ein  und  setzt  entschieden 
eine  besondere  hypnotische  Disposition  des  centralen  Nervensystems 
voraus,  die  sich  allerdings  häufig  bei  Hysteropathischen,  aber  auch 
bei  ganz  Gesunden  findet. 

Interessant  ist  die  Thatsache,  dass  man  bei  dergestalt  dispo- 
nirten  Individuen  zuweilen  auf  Hautstellen  (fast  ausschliesslich  am 
Kopf)  stösst,  von  denen  aus  leichtes  Streichen  genügt,  um  tiefen 
hypnotischen  Schlaf  herbeizuführen  (hypnogene  Zonen  —  Pitres). 
Während  in  den  Zuständen  der  Schlaftrunkenheit  Bewusstsein,  Auto- 
wille und  Kritik  nur  ganz  geringfügig  beeinflusst  sind,  erscheint  der 
in  tiefem  Schlaf  Befindliche  bewusstlos,  reaktionslos  und  hilflos  der 
Aussenwelt  gegenüber  und,  soweit  ein  Rapport  mit  ihm  hergestellt 
werden  kann,  ein  nahezu  willenloses  Werkzeug  in  der  Hand  des 
Experimentators,  der  nur  von  diesem  ausgehende  Sinnesreize  wahr- 
nimmt (Rapport);  in  seinem  Denken  ganz  von  ihm  geleitet  werden 
kann ,  und  bei  der  schrankenlosen  Suggestibilität ,  welche  dieser 
willen-  und  bewusstlose  Zustand  mit  sich  bringt,  alle  möglichen 
psychischen  Situationen  suggerirt  bekommen  und,  rein  automatisch, 
zu  den  verschiedensten  Handlungen  gebracht  werden  kann. 

Diese  Thatsache  hat  Bestürzung  bei  der  Gesellschaft  und  in 
foro  erregt,  weil  sie  die  Möglichkeit  von  Delicten  an  oder  durch 
solche   „bewusstlose"   Personen  nahe  legt. 

Diese  Möglichkeit  ist  thatsächlich  vorhanden  und  leider  finden 
sich  in  der  wissenschaftlichen  Literatur  bereits  zahlreiche  Fälle,  wo 
in  tiefem  hypnot.  Schlaf,  besonders  Lethargus  befindliche,  also  be- 
wusst-  und  hilflose  Frauenspersonen  Opfer  schändlicher,  unsittlicher 
Attentate  wurden,  oder,  im  Somnambulismus  befindlich,  durch  listige 
Suggestion  das  gleiche  Schicksal  erfuhren.  Minimal  ist  dagegen  die 
Gefahr,  dass  verbrecherische  Naturen  in  Somnambulismus  versetzte 
Medien  aktiv  als  Werkzeug  zu  strafbaren  Handlungen  benutzten. 

Die  bezüglichen  Darstellungen  von  Schauerromanen  („Jean 
Mornas",  „Alphonsine",  „unter  fremdem  Willen")  entsprechen  glück- 
licherweise nicht  der  Wirklichkeit. 

Das  „hypnotische  Verbrechen"  existirt  bisher  nur  in  der  Ein- 
bildung der  Romanciers,  die  sich  auf  Laboratoriumexperimente 
stützen,  nicht  auf  Erfahrungen  des  öffentlichen  Lebens  und  des 
Forums.  Diese  pikanten  und  Gruseln  erregenden  Romane  beun- 
ruhigen und  verwirren  ganz  unnöthis-  die  Gemüther  und  flössen  den 


—    93    - 

Leuten  Scheu  vor  der  möglicherweise  einmal  nöthigen  ärztlichen 
Suggestivbehandlung  ein,  gleichwie  Mancher,  der  elektrisch  behandelt 
weiden  soll,  den  Schreck  vor  dem  elektrischen  Schlag,  den  er  in 
der  physikalischen  Schulstunde  einmal  bekommen  hat,  zeitlebens 
nicht  überwindet. 

Eine  Gefahr  droht  aber  scheinbar  dem  freien  Willen  der  sich 
zu  Hypnose  Hergebenden,  insofern  den  Schlafzustand  überdauernde, 
in  diesem  gegebene,  nach  einer  bestimmten,  eventuell  ziemlich  langen 
Frist  befohlene  (-posthypnotische")  Suggestionen  zum  Vollzug  ge- 
langen können  und  sobald  sie  aktuell  werden,  einen  neuen  („auto- 
hypnotischen") Auto  willen  und  Selbstbestimmungsfähigkeit  aus- 
schliessenden  Zustand  während  ihrer  Dauer  herbeiführen. 

Aber  auch  diese  posthypnotische  Suggestion  ist  keine  Gefahr, 
mit  der  die  Gesellschaft  und  die  Justiz  zu  rechnen  haben.  Sie  ist 
nicht  praktisch,  weil  sie  nur  höchst  selten  gelingen  und  verhältniss- 
mässig  leicht  den  intellektuellen  Urheber  des  Verbrechens  eruiren 
lassen  wird. 

Ueberdies  sind  Hypnotisirte  keineswegs  so  willenlos  und  bestim- 
mungsunfähig da  wo  es  sich  um  die  Ausführung  eines  Verbrechens 
handelt.  L'homme  machine,  der  Automatismus  des  Handelns  ist  bei 
solchen  Individuen  cum  grano  salis  zu  nehmen. 

Wenn  es  solche  in  tiefste  Hypnose  versenkte  und  schranken- 
los suggestible  Persönlichkeiten  gibt,  so  sind  sie  enorm  selten.  Sie 
laufen  nicht  so  gleich  in  zahlreichen  Exemplaren  herum,  wie  in 
Samarow-Meding's  Roman  -Unter  fremdem  Willen" ,  dessen  natur- 
wissenschaftliche Voraussetzung  sein  müsste,  dass  seine  hypnotischen 
Opfer  in  einem  Laboratorium  vorher  abgerichtet  worden  wären. 

So  erklärt  sich  die  Thatsache,  dass  die  Verbrecher  bisher  vor 
der  Verwerthung  des  Hypnotismus  zu  criminellen  Handlungen 
zurückschreckten  und  vom  Standpunkt  des  Fachmanns  wäre  auch 
Keinem  zu  rathen,  sich  eines  solchen  teuflischen  Mittels  zu  bedienen. 
da  ihm  die  Entdeckung  fast  verbürgt  werden  könnte.  Wenn  in 
neueren  Criniinalprocessen  (auch  in  den  Delirien  Geisteskranker 
kommt  das  Gespenst  der  Suggestion  neuerlich  vor),  z.  B.  in  dem 
berühmten  Process  Bompard  -  Gouffe  die  Vertheidigung  zum  Aus- 
kunftsmittel der  Behauptung  hypnotischen  Zwangs  zur  Entlastung 
griff,  so  machte  sie  regelmässig  Fiasko,  indem  jener  Zwang  sich  als 
Autosuggestion  oder  Wachsuggestion  seitens  eines  Dritten  auswies. 

Gleichwohl  gebietet  die  Vorsicht  daran  zu  denken,  dass  der 
Versuch  oder  selbst  das  Gelingen  eines  hypnotisch-suggestiven  Ver- 


__    94    — 

brechens  nicht  ausser  dem  Bereich  der  Möglichkeit  steht,  ganz  zu 
geschweigen  des  thatsächlichen  Vorkommens  der  Schändung  von 
durch  hypnotischen  Schlaf  willenlosen  und  bewusstlosen  Frauens- 
personen. 

Schon  diese  Gefahr  lässt  fordern,  dass  der  Staat  polizeilich 
Hypnotisirung  anders  als  zu  Heilzwecken,  nicht  dulde  und  solchen 
groben  Unfug,  falls  er  trotzdem  vorkommt,  bestrafe. 

Aber  auch  jeder  anständige  Arzt  wird,  schon  in  seinem  eigenen 
Interesse  und  um  vor  jeglicher  übler  Nachrede  geschützt  zu  sein, 
niemals  ohne  Zeugen  Personen  in  tiefe  Hypnose  versetzen. 

Abgesehen  von  polizeilichen  Verordnungen,  die  sich  auch  gegen 
den  Unfug  öffentlicher  hypnotischer  Vorstellungen  zu  richten  haben, 
dürfte  der  Staat  kein  Interesse  am  Hypnotismus  haben,  denn  in 
§  51  Deutsch.  Strafgesetzb.  eventuell  §  52  (unwiderstehliche  Gewalt) 
und  Oesterr.  §  2  lit.  c  eventuell  auch  lit.  g  (unwiderstehlicher 
Zwang)  sind  gesetzliche  Grundlagen  gegeben,  um  das  Werkzeug 
bezw.  Opfer  des  mit  Hypnotismus  arbeitenden  Verbrechers  gericht- 
lich zu  beurtheilen. 

Jedenfalls  muss  der  Zustand  des  in  tieferen  Graden  hypnoti- 
scher oder  posthypnotischer  Beeinflussung  befindlichen  Individuums 
als  ein  wehr-  —  willenloser,  im  Sinne  des  Gesetzes  —  als  Zustand 
von  krankhafter  Bewusstlosigkeit  bezeichnet  werden. 

Der  Verantwortliche  für  alle  suggerirten  intra-  und  posthypno- 
tisch  etwa  zu  Stande  gekommenen  Verbrechen  könnte  natürlich  nur 
der  suggerirt  Habende,  als  der  intellektuelle  Urheber  sein. 

Auch  hier  hat  das  Strafgesetz  Handhaben  genug,  z.  B.  das 
deutsche  in  §  48.  52.  111.  159.  160.  179.  182.  240. 

Wenn  ich  auch  das  hypnotische  Verbrechen  im  Allgemeinen 
für  keine  gesellschaftliche  Gefahr  halten  kann,  so  muss  ich  doch,  in 
Uebereinstimmung  mit  Moll,  das  Gelingen  der  posthypnotischen  Sug- 
gestion des  Selbstmords  für  möglich  halten ,  ebenso  die  suggestive 
Bewirkung  eines  Abortus  (vgl.  mt  Lehrb.  d.  gerichtl.  Psychopathol. 
3.  Aufl.  S.  346). 

Eine  wichtige,  das  Publikum  und  das  Forum  interessirende 
Frage  geht  schliesslich  noch  dahin,  ob  eine  Person  gegen  ihren 
Willen  hypnotisirt  werden  könne  und  ob  dies  auf  Distanz  mög- 
lich ist. 

Diese  Frage  muss  bejaht  werden,  aber  nur  hinsichtlich  Per- 
sonen, die  durch  sehr  häufige  Hypnotisirung  oder  gar  Fascination 
ganz  unter  der  Botmässigkeit  ihres  Hypnotiseurs  sich  befinden  und  mit 


—    95    — 

ihrem  eigenen  Willen  nicht  dagegen  aufkommen  können.  An  solchen 
Personen  ist  sogar  die  Möglichkeit  einer  Hypnose  par  distance, 
eventuell  sogar  durch  Telephon,  brieflichen  Auftrag  möglich,  unter 
allen  Umständen  durch  List  oder  durch  physikalischen  Shok  (plötz- 
licher greller  Lichtschein  oder  Schall)  oder  auch  im  Schlaf  und  even- 
tuell vermittelst  der  Reizung  hypnogener  Zonen  (s.  o.). 

Im  Allgemeinen  ist  aber  daran  festzuhalten,  dass  eine  ge- 
sunde, noch  nicht  Hypnose  unterworfen  Gewesene  nur 
mit  ihrer  Zustimmung  und  mit  Unterstützung  ihres 
eigenen  Willens  in  hvpnotischen  Zustand  versetzt 
werden  kann,  und  zwar  nur  in  Gegenwart  des  ihr  Ver- 
trauen einflössenden  und  sympathischen  Hypnotiseurs. 

Mit  der  Geltendmachung  dieser  Thatsachen  und  Erfahrungen 
dürfte  das  Interesse,  welche  das  gesunde  Laienpublikum  und  das 
Forum  an  Fragen  des  Hypnotismus  nehmen  können,  befriedigt  sein. 

Anders  ist  es  mit  der  Verwerthung  desselben  im  Dienste  der 
wissenschaftlichen  Forschung  und  der  praktischen  Heil- 
kunde. 

Hier  stehen  wir  an  den  Anfängen  unseres  Wissens,  ganz  ab- 
gesehen von  der  Frage  nach  dem  Wesen  der  hypnotischen  Er- 
scheinungen und  den  Wirkungen  hypnotischer  Eingriffe  auf  die 
Dynamik  des  Centralnervensystems,  Fragen,  die  vielleicht  nie,  wenn 
aber  jemals,  nur  durch  unermüdliche  Forschungen  zu  beantworten 
sein  werden. 

Mit  echt  deutscher  Gründlichkeit  hat  man  sich  früher  mit  Er- 
klärungsversuchen beschäftigt,  als  die  phänomenale  Seite  der  Sache 
klargestellt  war. 

Wissenschaftlich  erscheint  mir  die  Hypnose  von  grossem 
Werth  für  die  Forschung  auf  wichtigen  Gebieten  der  empirischen 
Psychologie,  insofern  jene  ein  Mittel  bietet,  um  experimentell  eine 
Dissociation  der  complicirten  Phänomene  des  Seelenlebens  hervor- 
zurufen und  damit  ihr  Studium  zu  erleichtern.  Dies  gilt  besonders 
hinsichtlich  der  Energien  und  Modificationen  des  Bewusstseins  und 
des  Studiums  psychischer  Wirkung  auf  körperliche  Zustände  und 
Vorgänge. 

Klinisch  kann  die  Hypnose  Nützliches  leisten  als  Hilfsmittel 
zur  differentiellen  Diagnose  von  organisch  oder  bloss  funktioneller 
bedingter  Erkrankung. 

Therapeutisch  scheint  die  Hypnose  berufen  psychische  und 
körperliche    krankhafte  Erscheinungen  günstig  zu  beeinflussen ,    in- 


—    96    — 

sofern  sie  eine  zielbewusste  willkürliche  Hervorrufung  von  Stimmungen, 
Strebungen,  Gedankenrichtungen  und  körperlichen  Zuständen  anstrebt 
oder  wenigstens  die  ungünstige  Wirkung  solcher  zu  eliminiren 
trachtet. 

Dieser  Erfolg  lässt  sich  erhoffen  in  allen  Fällen,  wo  es  sich 
um  blosse  funktionelle  nicht  organische  Veränderungen  handelt  und 
erwarten  da,  wo  eine  Vertiefung  der  Hypnose  bis  zu  wirklichen 
Schlafzuständen  und  eine  grosse  Suggestibilität  erzielbar  sind. 

Der  Arzt  ist  meines  Erachtens  nicht  nur  berechtigt,  sondern 
auch  verpflichtet  bei  funktionellen  Erkrankungen  des  Nervensystems 
zur  hypnotischen  Behandlung  zu  greifen,  sobald  das  Leiden  durch 
anderweitige  Mittel  und  durch  Wachsuggestion  nicht  behebbar  er- 
scheint. 

Die  Wirkung  der  Hypnose  geschieht  auf  psychischem 
Wege,  durch  sogen.  Suggestion.  Jene  ist  nur  ein  Mittel  zum  Zweck 
dieser,  unbeschadet  der  Fälle,  wo  sie  an  und  für  sich  Zweck  er- 
scheint, d.  h.  durch  Hervorrufung  eines  empnndungs-  und  bewusst- 
losen  Zustands  wirkt  und  damit ,  einer  Narkose  gleich ,  dem  er- 
krankten Nervensystem  Schlaf,  Ruhe,  damit  Ausgleichung  von  Er- 
regungszuständen und  Ernährungstörungen  vermittelt. 

Diese  Seite  hypnotischer  Behandlung  ist  noch  wenig  ver- 
werthet.  Sie  könnte  als  eine  Ergänzung  der  Weir-Mitchell'schen 
Behandlungsmethode ,  als  Schlaf-  und  Beruhigungsmittel  nach  ge- 
fahrvollen Gemüthsbewegungen,  anlässlich  periodisch  wiederkehren- 
der psychisch-körperlicher  Erregungszustände  (Menses) ,  drohender 
Krampfanfälle ,  endlich  auch  zur  Vornahme  kleinerer  Operationen, 
schmerzlosen  Durchführung  von  Geburten  verwendet  werden. 

Das  Wesentliche  und  Wichtigste  ist  aber  die  Hypnose  als 
Mittel  zum  Zweck  der  —  Suggestion.  Die  Beurtheilung  der 
Schlafsuggestion  muss  von  der  Thatsache  ausgehen,  dass  die  Sug- 
gestion eine  der  gewöhnlichsten  Erscheinungen  des  wachen 
Lebens  ist  und  sei  es  als  Fremd-  oder  als  Autosuggestion,  jeden- 
falls existirt  hat,  seit  Menschen  mit  einander  in  geistigem  Verkehr 
standen. 

Im  guten  wie  im  bösen  Sinne,  theils  bewusst,  theils  unbewusst, 
übt  diese  psychische  Macht  beständig  ihren  Einfluss  und  zum  grössten 
Theil  beruht  die  Wirkung  des  Erziehers  auf  das  Kind,  und  der 
moralische  Einfluss  des  Arztes  auf  seinen  Kranken,  auf  der  Macht 
seiner  das  Denken,  Handeln  und  Fühlen  seines  Clienten  zielbewusst 
beeinflussenden  (Ein)reden. 


—    97    - 

Es  gibt  unzählige  Fälle,  in  welchen  die  Wachsuggestion 
nicht  oder  nicht  genügend  wirkt,  weil  ihr  die  Autosuggestion  des 
Kranken  Widerstand  leistet  und  sich  mächtiger  erweist,  indem 
sie  in  fehlerhafter  Erziehung,  Beschränktheit,  Aberglauben,  Cha- 
rakteranomalien  ,  zur  zweiten  Natur  gewordenen  Gewohnheiten, 
Leidenschaften ,  veranlagten  oder  gezüchteten  krankhaften  Bedürf- 
nissen (z.  B.  Alkohol,  Morphium),  krankhaften  Stimmungen,  Gefühlen 
u.  s.  w.  eine  gewaltige  Stütze  findet.  Eine  Menge  von  funktionellen 
Störungen  im  Nervenapparat,  wirkliche  Krankheitszustände  dar- 
stellend, sind  geradezu  die  Wirkung  autosuggestiver  Einflüsse.  Es 
sei  hier  nur  erinnert  an  viele  Lähmungen  bei  Hysterischen,  ganz 
zu  geschweigen  von  dem  Einfluss  der  Einbildungskraft,  welcher  bei 
Neurasthenie,  traumatischer  Neurose,  Hypochondrie  u.  s.  w.  zu 
Tage  tritt. 

Bei  all  diesen  psychisch  vermittelten  Krankheitssymptomen  und 
Symptomencomplexen  ist  ein  psychischer  Faktor  im  Spiel ,  dessen 
Eliminirung  bezw.  Unschädlichmachung  Hauptziel  der  Therapie  sein 
muss.  Hier  hilft  nicht  die  Arznei,  ausser  es  wäre  durch  Suggestion. 
Ist  aber  die  Wachsuggestion,  wie  leider  so  oft,  unvermögend  den 
autosuggestiven  Einfluss  zu  bannen,  so  muss  man  der  Wissenschaft 
grossen  Dank  wissen,  wenn  sie  die  Mittel  an  die  Hand  gibt,  den 
Einfluss  der  Fremdsuggestion  zu  stärken  und  die  Macht  der  Auto- 
suggestion zu  mindern.  Dieses  empirische  Mittel  ist  eben  die  Hyp- 
nose, indem  sie  den  Autowillen  und  die  Kritik  des  Kranken  herab- 
setzt bis  zur  Aufhebung  und  gleichzeitig  die  Suggestibilität  für  den 
fremden  Einfluss  gewaltig  erhöht. 

Es  handelt  sich  hier  aber  nicht  um  einfaches  Ausreden  von 
Einbildungen,  wie  der  Laie  meint,  nicht  um  Leistungen  der 
Logik,  Dialektik,  sondern  um  complicirte  psycho-physiologische  Vor- 
gänge, die  nur  der  psychiatrisch  und  neurologisch  gebildete  Arzt  ver- 
stehen und  mit  Aussicht  auf  Erfolg  beeinflussen  kann.  Der  Schwer- 
punkt des  Erfolges  liegt  in  der  richtigen  Redaktion  der  Suggestionen, 
denn  da  wo  sie  überhaupt  haften,  werden  sie  mit  peinlicher  Ge- 
nauigkeit von  dem  beeinflussten  Individuum  befolgt. 

Die  richtige  Redaktion  setzt  demnach  nicht  bloss  einen  be- 
trächtlichen Grad  von  Menschenkenntniss  überhaupt,  sondern  volle 
Klarheit  über  die  Entstehungsbedingungen  des  Krankheitszustands 
und  eine  detaillirte  Kenntniss  des  Falles  in  allen  seinen  körperlichen 
und  seelischen  Beziehungen  voraus. 

Nur    in    der   Hand    des    erfahrenen    Arztes   erscheint   mir   die 

v.  Kvafft-Ebing,  Hypnotismus.    3.  Aufl.  7 


—    98    — 

Suggestivbehandhmg  ein  werthvolles  Heilmittel,  dessen  Bedeutung 
immer  allseitiger  zur  Geltung  gelangen  wird.  In  ihrer  praktischen 
Verwerthung  steht  die  Hypnose  als  eine  Art  psychischer  Operation 
nicht  hinter  den  Anforderungen  zurück,  welche  hinsichtlich  einer 
leiblichen  an  den  Chirurgen  gestellt  werden  müssen. 

Ein  Universalheilmittel  kann  die  Hypnose  aber  ebensowenig 
sein  als  das  Wasser ,  die  Elektricität  und  die  Massage ,  schon  des- 
halb nicht,  weil  sie  nur  in  dem  allerdings  grossen  Gebiet  der  funk- 
tionellen Nervenkrankheiten  verwerthbar  ist  und  in  ihrem  Erfolg 
abhängig  erscheint,  nicht  bloss  von  dem  Wissen  und  Können  des 
Arztes,  sondern  auch  von  dem  guten  Willen  und  gewissen  seelischen 
und  körperlichen  Dispositionen  (Afficirbarkeit  und  Suggestibilität) 
des  Kranken. 

Es  ist  sehr  zu  bedauern ,  dass  es  heutzutage  noch  hervor- 
ragende Aerzte  gibt,  welche  aus  Unwissenheit  oder  aus  Vorurtheil  die 
Thatsachen  der  hypnot.  Suggestion  ignoriren  und  damit  auf  eine  Heil- 
potenz von  grosser  Bedeutung  zu  ihrem  Schaden  und  Derer,  welche 
bei  ihnen  Hilfe  suchen,  verzichten.  Sie  verweisen  dabei  auf  die  Macht 
der  Wachsuggestion,  die  allerdings  in  der  Hand  des  grossen  und 
berühmten  Arztes  eine  Potenz  von  nicht  geringer  Bedeutung  ist, 
nie  aber  einen  direkten  Einfluss  auf  leibliche  Vorgänge  durch  Ver- 
mittlung der  Psyche  gewinnen  kann. 

Derlei  ist  nur  in  den  tieferen  Schlafzuständen  (Hypnose)  mit- 
telst Suggestion  möglich.  Diese  bisher  nicht  besprochene  Seite  der 
hypnotischen  Suggestivtherapie  ist  aber  praktisch  eine  sehr  wichtige. 
Die  Beobachtung  zahlloser  Nervenkranken  zeigt  den  interessanten 
Einfluss  psychischer  Einwirkungen  (Vorstellungen)  auf  leibliche  Vor- 
gänge auf.  Ein  häufiges  und  zutreffendes  Beispiel  sind  durch  rein 
psychischen  Einfluss  (Autosuggestion)  hervorgerufene  (psychische) 
Lähmungen,  d.  h.  durch  die  hemmende  Wirkung  einer  bezüglichen 
(Lähmungs) Vorstellung  aufgehobene  Möglichkeit  der  Geltendmachung 
früherer  Bewegungsanschauungen  bis  zu  förmlicher  Seelenlähmung, 
wobei  das  funktionell  veränderte  Centrum  überdies  der  Innervations- 
gefühle  verlustig  sein  und  die  „psychische"  Lähmung  noch  von 
Störungen  der  Circulation  (Anämie),  gesunkenem  Mukseltonus, 
Steigerung  der  tiefen  Reflexe  und  cutaner  Anästhesie  im  Lähmungs- 
gebiete begleitet  sein  kann. 

Nur  ganz  ausnahmsweise  wird  es  der,  wenn  auch  noch  so  au- 
toritativen (ärztlichen)  Fremdsuggestion  möglich  sein,  diese  auto- 
suggestive   Lähmung    ohne  Weiteres  zu  beheben,    ebensowenig  ihr 


-    99    — 

gelingen,  gestörte  Funktionen  des  .Schlafs,  der  Menstruation,  der 
Cireulation  u.  s.  w.  zu  belieben. 

Dies  vermag  aber  —  wenigstens  in  tieferer  Hypnose,  die 
Schlafsuggestion,  indem  hier  Nervengebiete  durch  seelischen  Einfluss 
beherrschbar  werden,  die  im  wachen  Zustand  solchem  Einfluss  nicht 
oder  nur  indirekt  und  unvollkommen  erreichbar  sind.  Diese  direkte 
Beeinflussung  der  Leiblichkeit,  von  welcher  die  vorausgehende  ex- 
perimentelle Studie  schöne  und  unanfechtbare  Beispiele  aufweist,  ist 
aber  von  grosser  Bedeutung,  denn  nur  sie  sichert  der  Fremdsug- 
gestion jenen  Einfluss ,  den  im  wachen  Leben  höchstens  die  Auto- 
suggestion, und  zwar  nur  bei  ganz  vereinzelten  Individuen  (z.  B. 
blutschwitzenden  hysterischen  Jungfrauen)  erreicht. 

Ist  die  Psychotherapie  auf  Wachsuggestion  beschränkt  oder 
ist  nur  in  leichteren  Graden  hypnotische  Beeinflussung  ausführbar, 
so  vermag  jene  nur  indirekt  Einfluss  auf  die  leiblichen  Vorgänge 
(Cireulation ,  Verdauung ,  Schlaf  u.  s.  w.)  zu  gewinnen ,  indem  sie 
geeignete  Stimmungen,  Gefühle,  Vorstellungen,  Strebungen  hervor- 
ruft und  damit  auf  jene  einwirkt. 

Im  Allgemeinen  kommt  es  therapeutisch  darauf  an,  dauernd 
krankhafte  Funktionen  zur  Norm  zurückzuführen,  also  auf  post- 
hypnotische Suggestion,  wie  der  technische  Ausdruck  lautet. 

Praktisch  wichtig  ist  also  die  Dauerwirkung  der  Suggestion. 
Diese  ist  individuell  höchst  verschieden  und,  abgesehen  von  der  ge- 
nügenden Hypnotisirbarkeit  und  Suggestibilität  (unbeständige,  halt- 
lose, oberflächliche,  bornirte,  verschrobene  Menschen  sind  schwer 
suggestibel)  des  Kranken,  sowie  von  der  Persönlichkeit  des  Arztes 
(autoritative  Stellung,  richtige  Redaktion  der  betreffenden  Suggestion), 
vielfach  abhängig  von  äusseren  störenden ,  weil  das  Gernüth  er- 
regenden ,  eine  Fortdauer  von  Schädlichkeiten  und  Krankheits- 
ursachen bedeutenden  oder  auch  direkt  contrasuggestiven  Momenten. 
Dazu  kommen  innere  Umstände ,  z.  B.  Krampfanfälle ,  welche  die 
Suggestion  im  Gedächtniss  der  unbewussten  geistigen  Persönlichkeit 
u.  s.  w.  auslöschen.  So  geschieht  es ,  dass  die  Dauerwirkung  der 
Suggestion  bei  demselben  Individuum  und  bei  verschiedenen  eine 
äusserst  variable  ist,  nach  Umständen  blos  Stunden,  unter  besonders 
günstigen  aber  selbst  Jahre  anhält. 

Auffrischung  der  Suggestion  vermag  die  ursprüngliche  Wir- 
kung jederzeit  wiederherzustellen. 

Es  geschieht  häufig,  dass  von  verschiedenen  gleichzeitig  einem 
Individuum   gegebenen  Suggestionen   nur    einzelne  realisirt,    andere 


—  100  — 

aber  nicht  erfüllt  werden.  Das  kann  abhängen  von  zu  grosser 
Cumulirung  der  Suggestionen  (was  im  Allgemeinen  zu  vermeiden 
ist),  von  unrichtiger  Redaktion  derselben,  von  psychischer  oder 
körperlicher  Unerfüllbarkeit  oder  auch  von  Widerstreben  der  Psyche 
des  Kranken.  Es  wäre  unrichtig  zu  glauben,  dass  dieser  schranken- 
los dem  Willen  des  Arztes  ausgeliefert  ist.  Nicht  blos  bei  crimi- 
nellen Suggestionen  (s.  o.) ,  sondern  auch  bei  indifferenten  zeigt 
sich  ein  Rest  von  Autowillen,  von  electivem  Vermögen  des  Kran- 
ken, der  z.  B.  zur  zweiten  Natur  gewordene  schädliche  Gewohn- 
heiten (Alkohol-,  Tabak-,  Morphiummissbrauch,  Onanie  u.  s.  w.) 
nicht  ohne  Weiteres  aufgeben  mag  oder  aufzugeben  vermag  und 
erst  allmählig  zur  Annahme  der  Contrasuggestion  fähig  wird.  Wieder- 
holt erlebte  ich,  dass  Alkoholisten  und  auch  Masturbanten  bei  spä- 
teren Sitzungen  nicht  in  Hypnose  (Engourdissement)  zu  bringen 
waren,  weil  sie  psychischen  Widerstand  leisteten.  Sie  gestanden 
hinterher,  dass  sie  es  thaten,  weil  sie  fühlten,  dass  sie  dadurch  zur 
Fortsetzung  ihrer  Gewohnheit,  die  sie  nicht  missen  wollten,  unfähig 
wurden!  Der  Kampf  der  Fremdsuggestion  gegen  den  autosuggestiven 
Widerstand  kann  ein  langer  und  mühsamer  sein. 

Der  Mittel,  durch  welche  wir  Jemand  in  hypnotischen  Zustand 
versetzen  können,  sind  verschiedene.  Sie  lassen  sich  in  psychische, 
physikalische  und  chemische  eintheilen,  aber  in  letzter  Linie 
wirken  sie  alle  doch  nur  psychisch,  d.  h.  durch  Suggestion,  indem 
sie  die  Vorstellung  des  Schlafes  erwecken,  wobei  unter  günstigen 
Bedingungen  das  Vorgestellte  wirklich  eintritt. 

Physikalische  Hilfsmittel  (gleichmässiges  einschläferndes,  d.  h. 
ermüdendes,  langweilendes  Geräusch,  z.  B.  durch  Gongschläge  oder 
Taschenuhr,  Stimmgabel  u.  dgl.  oder  Anstarren  eines  glänzenden 
Gegenstandes)  haben  nur  eine  die  Suggestion  unterstützende,  weil 
die  Vorstellung  des  Schlafes  begünstigende  Wirkung.  Dasselbe  gilt 
für  das  gleichförmige  Streichen  des  Körpers  (Passes),  das  man  irr- 
thümlich  in  seiner  Wirkung  aus  einem  „magnetischen  Fluidum"  er- 
klärte, sowie  für  die  Zuhilfenahme  von  Chloroform  (Wetterstrand),  mit 
Hilfe  dessen  körperlich  und  psychisch  Ruhe  geschaffen  und  Schläfrig- 
keit erzeugt  wird. 

In  letzter  Linie  ist  die  Hypnose  des  Kranken  eigentlich  Auto- 
hypnose, die  Rolle  des  Arztes  nur  eine  unterstützende,  Hindernisse 
künstlich  wegräumende. 

Den  Vorzug  verdient  vor  allen  anderen  Methoden  jedenfalls  die 
ausschliesslich   psychische    Mittel   verwerthende  (Nancyer   Methode). 


—  101  — 

Man  hat  vielfach  von  Gefahren  der  hypnotischen  Behand- 
lnngsweise  gesprochen. 

Für  Den,  welcher  sich  auf  den  ganz  ungerechtfertigten  Stand- 
punkt stellt,  dass  Hypnose  eine  künstlich  erzeugte  Neurose  oder  gar 
eine  künstliche  Geisteskrankheit  sei,  ist  die  Sache  natürlich  ent- 
schieden. Ganz  gleichgültig  ist  der  durch  Hypnose  erzielte  Ein- 
griff allerdings  nicht,  aber  die  erfahrenen  Praktiker  stimmen  darin 
überein,  dass  eine  sachverständig  und  den  Umständen  des  indivi- 
duellen Falles  angepasste  Behandlung  niemals  Schaden  stiftet. 

Was  man  bei  hypnotischer  Behandlung  zuweilen  beobachtet, 
sind  zunächst  unmittelbare  Folgewirkungen  im  Sinne  von  Betäubung, 
Eingenommenheit,  Kopfweh,  lästiger  Schlafsucht.  Sie  treten  sammt 
und  sonders  nicht  ein,  wenn  man  die  Erweckung  aus  der  Hypnose 
rein  suggestiv  auf  psychischem  Wege  vornimmt  und  nicht  unter- 
lässt,  völliges  Wohlsein  nach  dem  Erwachen  zu  suggeriren. 

Eine  weitere  Möglichkeit  ist  das  Auftreten  von  (hysterischen) 
Krampferscheinungen ,  namentlich  bei  erstmaliger  Hypnose.  Sie 
können  sogar  bei  Individuen  vorkommen,  die  bisher  im  Lauf  ihrer 
mehr  oder  weniger  latenten  oder  manifesten  Neurose  nie  convulsive 
Erscheinungen  geboten  hatten  und  sind  dann  störend  und  für  den 
Arzt  unangenehm. 

Derlei  Erfahrungen  konnte  man  schon  zur  Zeit  Mesmer's  ma- 
chen. Diese  Krampferscheinungen  sind  die  Wirkung  psychischer, 
besonders  emotioneller  Erregung,  wie  sie  auch  durch  alle  möglichen 
anderen  emotionirenden  Einflüsse  bei  Hysterischen  jederzeit  vorkommen. 
In  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  sind  jene  Krämpfe  aber  einfache 
Wiederholungen  schon  längst  bestandener  und  doch  recht  be- 
deutungslos ,  zumal  da  sie  erfahrungsgemäss  cessante  causa  rasch 
wieder  schwinden,  ja  ihr  Auftreten  in  der  Hypnose  von  einem  ge- 
schickten Arzt  im  Keime  erstickt  werden  kann.  An  ein  paar 
Krämpfen  mehr  oder  weniger  liegt  im  Verlauf  einer  Hysteria  gravis 
jedenfalls  nichts.  Gebraucht  man  die  Vorsicht  bei  Hysteropathischen 
ausschliesslich  nach  der  psychischen  (Nancyer)  Methode  zu  hypnoti- 
siren  und  klärt  man  die  Personen  über  die  Harmlosigkeit  und  Ein- 
fachheit hypnotischer  Einflussnahme  auf,  so  kann  man  sich  auch 
solche  Anfälle  ersparen ,  wenigstens  bei  Individuen,  die  vernünftig 
und  einsichtsvoll  sind  und  keine  Autosuggestionen  aus  hypnotischen 
Schauerromanen  sich  gebildet  haben.  Eine  ernstere  Gefahr  ist  die, 
dass  bei  sehr  sensitiven  Personen  und  bei  zu  häufiger  und  langer 
Anwendung  der  Hypnose    autohypnotische  Zustände  sich  einstellen. 


—  102  — 

Auch  diese  Folgen  schwinden  rasch,  wenn  man  die  Hypnose 
aussetzt  oder  wenigstens  die  Methode  ändert.  Unter  allen  Um- 
ständen hat  man  in  der  Suggestion  selbst  ein  einfaches  Mittel,  um 
ihre  Wiederkehr  hintanzuhalten  (abzusnggeriren).  Zudem  kommen 
solche  Autohypnosen   nur   selten    und   nur  bei  Hysteria  gravis  vor. 

Dass  sachverständige  Hypnose  irgend  eine  Neurose  jemals  er- 
zeugt habe,  ist  durch  nichts  bewiesen. 

Man  hat  endlich  der  hypnotischen  Suggestionstherapie  vor- 
geworfen, dass  sie  nur  eine  symptomatische  sei  und  der  Indicatio 
causalis  nicht  gerecht  werde.  Difficile  est,  satiram  non  scribere ! 
Bei  vielen  anderen  Krankheiten  und  Behandlungsmethoden  muss  der 
Arzt  häufig  froh  sein ,  wenn  er  nur  der  Indicatio  symptomatica 
entsprechen  kann.  Es  geschieht  das  neuerlich  oft  mit  Mitteln 
(Morphium!)  und  unter  Gefahren,  die  viel  weniger  bemessen,  vor- 
hergesehen werden  können  und  viel  schwerer  wiegen  als  die  psy- 
chische Behandlung  durch  Hypnose. 

Auch  der  Einwand,  dass  die  Suggestion  nur  ephemeren  Werth 
habe,  ist  hinfällig  gegenüber  der  Erfahrung,  dass  sie  oft  dabei  recht 
lange  wirkt,  intensiver,  sicherer  und  ungefährlicher  als  unsere 
heroischsten  Febrifuga  und  Narcotica,  sodass  man  sich  leichter  zum 
„repetatur  dosis"   entschliesst  als  bei  diesen. 

Die  Frage  der  Leistungsfähigkeit  der  hypnotischen  Be- 
handlung muss  als  eine  zur  Zeit  noch  offene  betrachtet  werden. 
Auf  manche  Erfolge  sieht  sie  schon  jetzt  zurück,  gar  manche  wird 
sie  voraussichtlich  noch  erleben  und  vor  Allem  gebührt  ihr  das 
Verdienst,  das  Interesse  und  das  Verständniss  für  Psychotherapie 
und  functionelle  Nervenerkrankungen ,  das  mit  dem  Aufblühen  der 
pathologischen  Anatomie  stark  geschmälert  wurde,  wieder  erweckt 
zu  haben. 

Den  Laien,  welche  alle  möglichen  incurablen  Uebel,  selbst 
Blindheit,  Taubheit,  durch  organische  Veränderungen  gesetzte  Läh- 
mung und  andere  Leiden  zum  Hypnose  ausübenden  Arzt  schleppen, 
kann  nicht  genug  gesagt  werden,  dass  die  Hypnose  keine  Panacee 
für  Krankheit  ist  und  nur  einen  Theil  des  Krankheitsgebietes  be- 
einflussen kann. 

Gewisse  Heisssporne ,  die  alle  möglichen  Leiden  mit  hypnoti- 
scher Heilkunst  angehen,  sollten  bedenken,  dass  sie  damit  immer 
Gefahr  laufen,  eine  an  sich  berechtigte  und  nach  Umständen  recht 
nützliche  Seite  der  Therapie  in  Misskredit  und  sich  selbst  in  den 
Verdacht   der  Charlatanerie    zu  bringen.     A  priori  erscheint  es  an- 


—   103  — 

gezeigt,  sich  dieses  psychischen  Heilmittels  bei  der  Behandlung 
psychisch  Kranker,  bei  denen  ja  die  Wachsuggestion  nur  un- 
vollkommene Leistungen  aufweist,  zu  bedienen. 

In  der  That  wäre  die  autoritative  Bestimmung  der  Gefühle, 
Gedanken,  Strebungen  derartiger  Kranker,  die  suggestive  Beseitigung 
gefährlicher,  lästiger  Symptome,  wie  z.  B.  Hallucinationen,  Wahn- 
ideen eine  grosse  Leistung!  Für  den  auf  den  Gebieten  der  Psychiatrie 
und  des  Hypnotismus  Erfahrenen  müssen  sich  vorweg  Zweifel  be- 
züglich eines  Erfolges  ergeben  und  zwar  1.  weil  psychisch  Kranke 
nur  ausnahmsweise  in  jener  geistigen  Verfassung  der  Aufmerksam- 
keit, Unbefangenheit,  Gemüthsruhe  und  Willenkraft  sind,  die  zum  Ge- 
lingen der  Hypnose  überhaupt  erforderlich  ist;  2.  weil  viele  psychische 
Erkrankungen  auf  organischen  Veränderungen  im  Gehirn  beruhen  und 
die  Suggestivbehandlung  doch  nur  functionelle  Störungen  beheben 
kann;  3.  weil  gewisse  Symptome,  wie  z.  B.  viele  Wahnideen  und 
auch  Hallucinationen,  wenn  auch  nicht  gerade  nachweisbar  die  Folge 
organischer  Veränderungen,  doch  so  complicirte,  im  psychischen 
Mechanismus  so  fest  fundirte  Phänomene  sind ,  dass  sie  suggestiv 
kaum  angreifbar  erscheinen  und  die  Redaktion  der  gegen  sie  ge- 
richteten Suggestionen  überaus  schwierig  wäre. 

Theoretisch  ergibt  sich  damit  die  Vermuthung,  dass  Erfolg 
hypnotisch-suggestiver  Behandlung  nur  bei  sogen,  functionellen 
Psychosen  (Psychoneurosen)  erwartet  werden  kann  und  zwar  wesent- 
lich bei  Kranken,  bei  welchen  Krankheitsbewusstsein  vorhanden  ist 
und  die  psychologische  Eignung  zu  Hypnose  überhaupt  bestehe. 

Im  Allgemeinen  würden  demnach  für  diese  Behandlung  ge- 
eignet erscheinen:  blosse  Störungen  im  Gemüthsleben,  formale  Stö- 
rungen im  Vorstellen,  speciell  Zwangsvorstellungen,  Wahnideen,  in- 
sofern sie  bloss  autosuggestiv  fundirte  falsche  Ideen ,  nicht  aber 
Primordialdelirien  oder  erklärende  Ideen  Melancholischer  sind;  endlich 
erworbene  krankhafte  Triebrichtungen.  Der  herrschenden  psychiatri- 
schen Terminologie  entsprechend  wären  es  also  die  Melancholia  sine 
delirio ,  das  Heer  der  Neuropsychosen ,  speciell  Hysterie ,  Hypo- 
chondrie, Neurasthenie,  Psychose  in  Form  von  Zwangsvorstellungen, 
der  Alkoholismus,  Cocainismus,  Chloralismus,  Morphinismus,  Nicotis- 
mus,  psychische  Impotenz,   conträre  Sexualempfindung. 

Im  Allgemeinen  entspricht  der  Erfolg  den  theoretischen  Vor- 
aussetzungen und  Bedingungen.  Als  der  Behandlung  zugänglich  er- 
scheinen nach  eigener  und  fremder  Erfahrung  nicht  nur  krankhafte 
Stimmungen,  Affekte,  Gefühle,  Triebe,  selbst  krankhafte  Vorstellungen 


—  104  — 

und  Sinnestäuschungen ,  sondern  auch  körperliche  Störungen ,  wie 
z.  B.  Agrypnie,  Anorexie,   Obstipation,  Neuralgie. 

Erfolge  wurden  von  den  verschiedensten  Beobachtern  in  allen 
Ländern  erzielt:  bei  Melancholia  sine  delirio,  Wahnsinn,  besonders 
alkoholischem  und  hysterischem,  hysterischen  Psychosen  überhaupt, 
chronischen  Intoxicationen,  namentlich  Alkoholismus  und  Morphinis- 
mus; besonders  bemerkenswerth  sind  die  Leistungen  hypnotischer 
Therapie  gegenüber  Dipsomanie,  conträrer  Sexualempfindung 
(v.  Schrenck-Notzing).  Auch  die  Folie  du  doute  lässt  sich  günstig 
beeinflussen.  Symptomatisch  sind  krankhafte  Triebrichtungen,  be- 
sonders sexuelle,  alkoholische,  Morphium-  und  Cocainhunger,  An- 
griffspunkte für  eine  Suggestivbehandlung. 

Ein  dankbares  Feld  für  diese  bietet  das  Gebiet  der  Neurosen 
dar.  Dies  gilt  aber  nicht  für  alle  und  namentlich  nicht  für  die 
allgemeinen  und  constitutionellen  Neurosen. 

Gerade  bei  der  Neurasthenie,  wo  an  jedem  Symptom  der 
vielgestaltigen  Krankheit  Autosuggestionen  sich  entwickeln  können 
und  eine  kräftige  Contrasuggestion  ein  grosser  Segen  für  Arzt  und 
Patient  wäre,  leistet  die  hypnotische  Behandlung  wenig.  Zunächst 
deshalb,  weil  Neurastheniker  schwer  hypnotisirbar  sind,  da  sie  nur 
ausnahmsweise  in  ruhige  Gemüthsstimmung  und  zur  Fixirung  ihrer 
Gedanken  zu  bringen  sind.  Nachhilfe  mit  etwas  Chloroform  erleichtert 
nicht  selten  die  Aufgabe.  Ueber  tiefes  Engourdissement  kommt  man 
aber  nur  selten  hinaas.  Für  leichtere  Fälle  ist  dieses  ausreichend. 
Die  psychische  Methode  ist  jedenfalls  die  beste.  Die  physikalische 
(Braidismus)  verbietet  sich  meist  wegen  neurasthenischer  Asthenopie 
und  Steigerung  der  Kopfbeschwerden. 

Zu  allen  Schwierigkeiten  kommt  noch  die  mangelhafte  Sug- 
gestibilität  dieser  Kranken,  beziehungsweise  das  Uebergewicht  ihrer 
Autosuggestionen ,  unter  welchen  die ,  incurabel  zu  sein ,  eine  der 
fatalsten  ist.  So  geschieht  es ,  dass  man  meist  mit  der  Besserung 
von  einzelnen  Symptomen  (Stimmung,  Schlaf,  Muth,  Selbstvertrauen 
u.  s.  w.)  sich  begnügen  muss. 

Aber  auch  die  Anregung  zu  ablenkender  Beschäftigung,  der  Kampf 
gegen  autosuggestive  Ideen  organischer  Leiden  (Herz-,  Hirn-,  Rücken- 
markskrankheit), unterstützt  durch  Absuggerirung  peinlicher  Enrpfin- 
dungen,diejene  au  tosuggestivenldeen  unterhalten,  muss  versucht  werden. 

Daneben  kann  die  Beseitigung  ätiologisch  wichtiger  Mastur- 
bation, die  Bekämpfung  krankhafter  Furcht  (Agoraphobie  u.  s.  w.) 
und  lästiger  Zwangsvorstellungen,  Aufgabe  der  Therapie  sein. 


—  105  — 

Jedenfalls  wird  die  psychische  Behandlung,  die  bei  solchen  Pa- 
tienten Hauptsache  ist,  auf  hypnotischem  Wege  meist  mächtig  ge- 
fordert und  erzielt  man  ungleich  mehr  als  mit  blosser  Wachsuggestion. 

Nutzlos  erscheint  mir  die  Suggestivbehandlung  der  Epilepsie. 
Diese  Neurose  wurzelt,  selbst  wenn  sie  nicht  auf  palpabeln  ana- 
tomischen Veränderungen  beruht,  doch  zu  tief  in  der  organischen 
Mechanik  des  Gehirns,  um  Aussicht  auf  wirksame  Beeinflussung 
durch  Psychotherapie  zu  bieten,  und  in  den  Fällen,  wo  gleichwohl 
ein  günstiger  Einfluss  durch  solche  beobachtet  worden  sein  soll, 
liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  ein  diagnostischer  Irrthum  im  Sinne 
einer  Hysteroepilepsie  vorlag. 

Auch  bei  Athetose  und  Paralysis  agitans  hat  die  hyp- 
notische Behandlung  keine  Erfolge  aufzuweisen.  Dagegen  erzielt 
man  solche  ab  und  zu  bei  Chorea.  Ein  recht  dankbares  Feld  für 
Suggestivtherapie  bietet  dagegen  die  hysterische  Neurose.  Die 
ärztlichen  Journale  wimmeln  von  der  erfolgreichen  Behandlung 
hysterischer  Lähmungen,  Neuralgien  u.  s.  w. 

Manche  Enttäuschungen  bezüglich  des  erwarteten  Erfolges  und 
namentlich  seiner  Dauer  bleiben  auch  hier  nicht  erspart.  Von  nicht 
geringer,  zuweilen  geradezu  pädagogischer  Wirkung  kann  die  hyp- 
notische Suggestion  auf  Stimmung,  Vorstellen,  Streben  bei  dieser  so 
vielfach  von  Autosuggestionen  abhängigen  Neuropsychose  sein. 

So  leicht  hypnotisirbar,  als  man  vielfach  meinte,  sind  Hysterische 
aber  keineswegs.  Die  eventuell  leichte  Hypnotisirbarkeit  verbürgt 
zudem  nicht  die  Suggestibilität.  Diese  ist  abhängig  von  seelischen 
Eigenschaften,  die  bei  Hysterischen  gerade  oft  zu  wünschen  übrig  lassen. 

Ich  kenne  zur  Zeit  kein  besseres  Mittel  zur  Bekämpfung 
hysterischer  Krampf  an  fälle,  als  die  Hypnose.  Bei  individuell  richtiger 
Methode  hört  die  Geneigtheit  derartiger  Kranker,  anlässlich  hyp- 
notischer Sitzung  Krämpfe  zu  bekommen,  sehr  bald  auf. 

Häufig  ist  allerdings  die  Dauer  des  Erfolgs  bei  Krampfhysterie 
eine  recht  kurze.  Dann  sind  aber  meist  ungünstige  Aussenverhält- 
nisse,  die  beständige  Einwirkung  von  ursächlichen  Momenten  daran 
schuld.  Ein  neuer  Insult  zerstört  die  Wirkung  der  Suggestion,  so- 
dass dieselbe  erneuert  werden  muss. 

Gegenüber  den  bloss  gebesserten,  auf  Zeit  günstig  beeinflussten 
Fällen  stehen  aber  zahlreiche  von  dauernder  Genesung. 

Ich  beschliesse  dieses  Resume  mit  der  Skizze  eines  Falles,  der 
mindestens  beweist,  dass  die  Hypnose  nicht  eine  hysterische  Neu- 
rose hervorruft. 


100  — 


Hysteria  gravis.    Genesung  bei  hypnotischer  Suggestiotherapie. 

Am  6.  10.  90  wurde  Fräulein  P.  B.  18  Jahre  alt  auf  meiner  psychiatri- 
schen Klinik  aufgenommen.  In  der  Familie  der  Erkrankten  sind  Geistes-  und 
Nervenkrankheiten  bisher  nicht  vorgekommen. 

Pat.  wurde  im  8.  Monat  ihres  Fötallebens  geboren.  Ursache  der  vor- 
zeitigen Geburt  sei  ein  Sturz  gewesen,  den  ihre  Mutter  erfahren  hatte.  Sie  litt  nicht 
an  Convulsionen,  auch  nicht  an  Kinderkrankheiten,  bot  eine  normale  Entwick- 
lang in  den  ersten  Lebensjahren,  erlitt  mit  4  Jahren  eine  schwere  Gehirn- 
erschütterung ohne  erkennbare  Folgen,  zeigte  vom  6. — 13.  Jahre  Anfälle  von 
nächtlichem  Aufschrecken  und  Nachtwandeln,  war  nervös,  erregbar,  zornmüthig, 
jedoch  geistig  geweckt  und  lernte  gut. 

Mit  13]/2  Jahren  trat  die  1.  Menstruation  ohne  Beschwerden  ein  und  ver- 
lief in  der  Folge  normal,  bis  auf  ein  4monatliches  in  keiner  Weise  motivirtes 
Ausbleiben  derselben. 

1889  erlitt  Pat.  einen  heftigen  Schreck  durch  Explosion  einer  Lampe, 
wobei  sie  am  Halse  oberflächliche  Brandwunden  davontrug.  Im  Anschluss  an 
diesen  Shok  wurde  sie  schreckhaft,  reizbar,  ängstlich,  vergesslich,  schlief  un- 
ruhig, träumte  schwer,  sprang  öfter  aus  dem  Schlafe  auf.  Die  Menses  wurden 
schwächer,  es  stellte  sich  Meteorismus  ein.  Im  Mai  90  erfuhr  Pat.  eine  heftige 
Kränkung.  Sie  wurde,  indem  man  sie  mit  einer  Anderen  verwechselte,  be- 
schuldigt, ein  Rendezvous  mit  einem  Herrn  gehabt  zu  haben.  Sie  war  seitdem 
schweigsam,  einsilbig,  zerstreut  und  bot  einmal  nach  dem  Erwachen  einen 
2  Stunden  währenden  Zustand  völliger  Unorientirtheit  über  ihre  Person  und  Lage. 

Anfang  Juli  „Ohnmachtsanfall"  unter  vorausgehender  Erythropsie  (sah 
Alles  blutig,  dabei  Flimmern  vor  den  Augen). 

Am  29.  Juli  gerieth  Pat.  über  geringfügigen  Anlass  in  zornigen  Affekt, 
wurde  ganz  verwirrt,  sah  die  Bäume  herumfliegen,  wälzte  sich  auf  dem  Boden, 
faselte  von  „Blut",  verlor  das  Bewusstsein  und  bot  nun  durch  3  Stunden  das 
Bild  eines  schweren  hysteroepileptischen  Zustands  (Schaum  vor  dem  Munde). 
An  diesen  reihte  sich  ein  14tägiger  deliranter  Dämmerzustand  (protrahirte 
periode  du  delire?)  —  in  welchem  sie  frühere  Erlebnisse,  selbst  ihre  „tiefsten 
Geheimnisse"  vor  sich  hinplauderte,  sang  und  lachte,  episodisch  aber  auch 
Schreckhaftes  delirirte. 

Am  12.  8.  kam  sie  plötzlich  zu  sich,  fühlte  sich  sehr  matt  und  hatte 
völlige  Amnesie  für  den  Zeitraum  der  Krankheit. 

Am  26.  8.  nach  einer  neuerlichen  Gemüthsbewegung  Exacerbation  der 
hysterischen  Neurose  —  Weinkrämpfe,  epigastrische  Myodynie,  r.  Ovarie  und 
von  Anfang  September  ab  2mal  .täglich  klassische  Anlalle  von  Hysteroepilepsie. 
Als  Aura  zeigt  sich  r.  Ovarialschmerz,  über  das  Epigastrium  nach  dem  Kopf 
irradiirend,  dann  Einsetzen  des  Anfalls  mit  epileptoider  Phase,  darauf  arc  de 
cercle,  grands  mouvements  (Purzelbäume,  Herumklettern  auf  Möbeln  u.  s.  w.) 
und  protrahirte  periode  du  delire  (sieht  den  Tod  mit  Sense  vor  sich,  singt  Lieder, 
um  ihn  zu  verscheuchen  u.  s.  w.).  Da  die  Anfalle  sehr  heftig  werden  und  die 
delirante  Phase  bis  zu  ~°\\  Stunden  sich  protrahirt.  Pat.  auch  Suicidversuche 
macht,  wird  die  Spitalbehandlung  nöthig. 


—   107  — 

Bei  der  Aufnahme:  r.  Ovarie,  cutane  Hyperästhesie  im  Epigastriuni,  ver- 
störtes, leidendes  Aussehen,  schlechte  Ernährung.  Schädel  regelmässig,  55,5  cm 
Umfang.  Pat.  bietet  seit  der  Zeit  ihres  Eintritts  2mal  täglich  klassische  Anfalle 
von  Hysteroepilepsie  von  20—25  Minuten  Dauer,  mit  völliger  Amnesie'. 

•   Intervallär  reizbar,   verstimmt,  wenig  Appetit,  Schlaf  unruhig,  r.  Ovarie'. 

Von  Anfang  October  ab  bleibt  der  Anfall  rudimentär  und  auf  die  periode 
du  delire  beschränkt,    höchstens  dass  deren  Abschluss  einige  Klonismen  bilden. 

Am  15.  10.  erster  Versuch  einer  Hypnose.  Die  Bernheim'sche  Methode 
gelingt  nicht  wegen  mangelhafter  Concentrationsfähigkeit  und  Fixationsfähig- 
keit  der  Augen.  Stirnstreichen  und  Verbalsuggestion  bewirken  tiefes  Engourdisse- 
ment.  Suggestion  eine  Viertelstunde  zu  schlafen  und  dann  in  vollem  Wohl- 
befinden zu  erwachen,  erfüllt  sich  verbotenus.  Die  sonstige  Behandlung  be- 
schränkte sich  auf  Halbbäder.     Täglich  Anfälle  (Delir.). 

18.  10.  Durch  Stirnstreichen  und  Verbalsuggestion  einzuschlafen,  wenn 
das  Alphabet  bis  p  vorgesetzt  wird,  gelingt  heute  Somnambulismus.  Suggestion: 
„Der  Anfall  wird  erst  übermorgen  wiederkommen." 

19.  10.  Pat.,  die  von  dem  Inhalt  der  intrahypnotischen  Suggestion  nichts 
weiss,  empfindet  heute  nur  eine  leise  Mahnung  eines  drohenden  Anfalls.  Sie 
wundert  sich  darüber,  da  sie  doch  sonst  täglich  Anfälle  hatte. 

20.  10.  Blosse  Aura  eines  Anfalls.  Hypnose  (Somnambulismus)  durch 
Stirn  streichen.  Suggestion:  Sie  werden  heute,  morgen  und  übermorgen  frei 
von  Ihrer  Krankheit  sein,  am  Donnerstag  nur  eine  leichte  Mahnung  haben. 

22.  10.     Volles  Wohlbefinden. 

Da  Pat.  noch  nicht  in  der  Klinik  vorgestellt  ist  und  die  Suggestionen 
augenscheinlich  den  Krankheitszustand  mächtig  beeinflussen,  entschliessen  wir 
uns  ein  experimentum  crucis  zu  machen,  um  behufs  klinischer  Demonstration 
eventuell  einen  Anfall  zu  provociren.  Pat.  wird  in  Hypnose  versetzt  und  ihr 
folgende  Suggestion  gegeben:  „morgen  Nachmittag  10  Minuten  vor  5  Uhr  kommen 
Sie  zu  mir  und  den  Herrn  Aerzten  in  den  Hörsaal.  Präcis  5  Uhr  werden  Sie  noch 
einen  Anfall  Ihrer  Krankheit  haben;  derselbe  wird  aber  sehr  leicht  sein  und 
es  wird  mir  gelingen,  durch  das  wohlthätige  Stirnstreichen  und  den  wohlthätigen 
Nervenschlaf  Sie  von  Ihrer  Krankheit  zu  befreien.  Dieser  Anfall  wird  der  letzte 
sein  in  Ihrer  Krankheit.  Sie  werden  von  da  an  keinen  Anfall  mehr  haben  und 
gesund  und  fröhlich  zu  Ihren  Angehörigen  zurückkehren." 

25.  10.  Pat.  erscheint  noch  vor  der  Zeit  (s.  u.)  im  Hörsaal  und  wird  klinisch 
vorgestellt.  Von  den  Hörern  weiss  Niemand  um  die  Suggestion.  Die  Uhr  des 
Hörsaals  zeigt  bereits  über  5  Uhr  —  an  Pat.  ist  nichts  Auffälliges  zu  bemerken. 
Um  5  Uhr  6  Minuten  wird  Pat.  mimisch  verändert,  blass,  unruhig,  verliert  plötz- 
lich das  Bewusstsein  und  bietet  einen  leichten  hysteroepileptischen  Insult. 
Darauf  Hypnose  und  Suggestion:  „Sie  sind  nunmehr  von  Anfällen  vollkommen 
frei  und  werden  bald  genesen  heimkehren."  Amnesie  für  die  Suggestion.  Der 
Vergleich  der  Uhren  der  Anwesenden  mit  der  Wanduhr  zeigt,  dass  diese  um 
6  Minuten  vorgeht,  Pat.  somit  genau  als  es  in  Wien  5  Uhr  war,  ihren  sug- 
gerirten  Anfall  bekommen  hatte. 

Hätte  Pat.  bewusst  und  absichtlich  einen  Anfall  markirt,  so  wäre  offen- 
bar, da  sie  keine  Taschenuhr  hatte  und  der  falsch  zeigenden  Wanduhr  gerade 
gegenüber  sass,  der  Anfall  erfolgt,  als  die  um  6  Minuten  vorgehende  Uhr  im 
Hörsaal  5  Uhr  zeigte. 


—  108  — 

4.  11.  Bisher  frei  von  Anfällen.  Subjektiv  volles  Wohlbefinden,  keine 
Ovarie  mehr.     Genesen  entlassen. 

4.  3.  91.  Die  frühere  Pat.  erscheint  auf  Wunsch  auf  der  Klinik.  Sie 
bietet  das  erfreuliche  Bild  blühender  Gesundheit  und  versichert  seit  der  Ent- 
lassung vollkommen  gesund  zu  sein. 

17.  12.  92.  Frl.  B.  berichtet  brieflich  auf  eine  bezügliche  Anfrage :  „ich 
kann  nur  Gutes  berichten,    denn  ich  erfreue  mich  meiner  vollsten  Gesundheit." 

28.  12.  92.  Patientin  stellte  sich  heute  selbst  vor.  Sie  sieht  blühend 
aus,  versichert  niemals  mehr  seit  der  Entlassung  aus  der  Klinik  Beschwerden 
im  Sinne  ihrer  früheren  Krankheit  gehabt  zu  haben.  Die  eingehendste  Unter- 
suchung nach  Stigmata  hysteriae  fällt  ganz  negativ  aus.  Die  Genesene  ist  der 
Meinung,  die  Suggestivtherapie  habe  ihr  Heilung  gebracht,  denn  von  da  ab 
sei  ihr  ganz  anders  zu  Muth  geworden,  während  sie  früher  trotz  aller  Medika- 
mente sich  täglich  schlechter  gefühlt  und  an  ihrer  Genesung  bereits  ge- 
zweifelt habe. 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 
Lehrbuch 

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Crerielitlielien  Psychopathologie 

mit  Berücksichtigung 
der  Gesetzgebung  von  0 esterreich,  Deutschland  und  Frankreich 

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Prof.  Dr.  R.  v.  Krafft-Ebing. 

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8.     1892.     geh.    M.  6. — 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart.