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Full text of "Einführung in die experimentelle Entwickelungsgeschichte (Entwickelungsmechanik)"

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EINFÜHRUNG 


IX  DIE 


EXPERIMENTELLE 


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ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 


(ENTWICKE  LUXGSMEOHANIK) 


VON 


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Dr.  OTTO   MAAS, 


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MIT    135  FIGUR  EX   IM   TEXT. 


WIESBADEN. 
VERLAG    VON    J.    F.    BERGMANN. 

1903. 


Verlag  von  J.  F.  BEL' UM  ANN  in  Wiesbaden. 


Handatlas 

der 

Hirn-  und  Rückenmarksnerven 

in  ihren  sensiblen  und  motorischen  Gebieten. 
Zum  Gebrauch  für  praktische  Aerzte  und  Studirende. 

Von 

Prof.  Dr.   C.  Hasse, 

Geh.  Med.-Rath  und  Direktor  der  Kgl.  Anatomie   zu  Breslau. 

Zweite  vermehrte  Auflage.     Vierzig  Farbentafeln. 
Preis  geb.  M.  12.60. 


Ein  ganz  ausgezeichnetes  Werk,  das  jedem  Arzte  zur  rascheu  Orientirung 
über   das   Verbreitungsgebiet    peripherer   Nerven    hochwillkommen  sein   dürfte. 
Durch  die  Anwendung  von  Farbendrucken    (es  sind  sämmtliche  Tafeln  kolorirt) 
ist  die  Uebersichtlichkeit  der  Abbildungen  eine  ganz  vorzügliche. 
Der  Handatlas  verdient  die  weiteste  Verbreitung. 
Die  Ausstattung  des  Werkes  ist  mustergiltig. 

Hermann  Schlesinger  (Wien) 
in  Centralblatt  f.  d.  Grenzgebiete  d.  Medizin  u.  Chirurgie. 


Vorlesungen 

über  die 

Zelle  und  die  einfachen  Gewebe 

des 


thierischen  Körpers. 


Mit  einem  Anhange: 

Technische  Anleitung  zu  einfachen  histologischen  Untersuchungen. 

Von 
Dr.  R.  S.  Bergb, 

Dozent  der  Histologie  und  Embryologie  an  der  Universität  Kopenhagen. 


Mit  13S  Figuren  im  Texte. 


Preis:  M.  7. 


EINFÜHRUNG 


IN  DIE 


EXPERIMENTELLE 

ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 

(ENTWICKELUNGSMECHAN1K). 


EINFÜHRUNG 


IN  DIE 


EXPERIMENTELLE 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 


(ENTWICKE  LUNGSMECHANIK) 


VON 


Dr.  OTTO   MAAS, 

a.  o.  PROFESSOR   AN   DER   UNIVERSITÄT   MÜNCHEN. 


MIT   135  FIGUREN  IM  TEXT. 


WIESBADEN. 
VERLAG    VON    J.    F.    BERGMANN. 

1903. 


Alle  R echte  vorbehalten. 

Nachdruck  verboten. 

Übersetzungen,  auch  in's  Ungarische,  vorbehalten. 


Druck  von  Carl  Ritter  in  Wiesbaden. 


Vorwort. 


Die  neue  Richtung  der  Entwicklungsgeschichte ,  die  mit  so 
grossem  Erfolg  das  Experiment  zur  Ermittelung  von Entwickelungs- 
faktoren  eingeführt  hat,  ist  derart  gewachsen,  dass  ihre  Ergebnisse 
nicht  mehr  in  blossem  Anschluss  an  die  allgemeine  oder  vergleichende 
Entwickelungslehre  behandelt  werden  können,  sondern  einer  beson- 
deren Darstellung  bedürfen.  Das  vorliegende  Buch  ist  aus  Vor- 
lesungen hervorgegangen,  die  zu  diesem  Zweck  seit  einigen  Jahren 
für  Studierende  der  Medizin  und  Naturwissenschaften  vom  Verfasser 
an  hiesiger  Universität  gehalten  wurden.  Es  soll,  wie  der  Name 
sagt,  eine  »Einführung«  sein;  es  sucht  daher  an  Bekanntes  anzu- 
schliessen  unter  Rücksicht  auf  die  beschreibende  Entwicklungs- 
geschichte, und  es  kann  nicht,  wie  ein  Handbuch,  alles  enthalten, 
was  auf  diesem  Gebiet  geleistet  wurde,  sondern  nur,  was  dem  Ver- 
fasser aus  didaktischen  Gründen  zum  Vortrag  geeignet  erschien. 
Gleichwohl  dürfte  von  den  Tatsachen  und  Experimenten,  die 
sich  auf  die  eigentliche  Entwickelung,  vom  befruchteten  Ei 
ab  beziehen,  nichts  Wesentliches  ausgelassen  oder  unerörtert  geblieben 
sein;  die  Fragen  der  allgemeinen  Biologie  dagegen,  soweit  sie  nicht 
mit  der  Entwickelung  direkt  zusammenhängen,  konnten  nur  kürzere 
Behandlung  finden.  Besondere  Beschränkung  hat  sich  der  Verfasser 
in  der  Darstellung  reiner  Theorien  auferlegt,  zum  Teil  weil  hier  die 
Forscher  untereinander,  sogar  die  gleichen  Forscher  in  verschiedenen 
Arbeitsperioden  sehr  divergieren,  zum  Teil  weil  Theorien  schon  über- 
genug Erörterung  in  eigenen  Publikationen  gefunden  haben. 


[Y  Vorwort. 

Dennoch  ist  versucht  worden,  die  verschiedenen  Experimente 
nicht  nur  äusserlich  aneinander  zu  reihen,  sondern  der  Darstellung 
einen  inneren  Zusammenhang  zu  geben  und  auch  scheinbar  entlegene 
Gebiete  der  Entwickelungsphysiologie  mit  einander  zu  verknüpfen. 
Die  einzelnen  Abschnitte  sind  darum  nicht  trennbar,  sondern  die 
späteren  Kapitel  bauen  auf  Folgerungen  und  operieren  mit  Begriffen, 
die  in  früheren  gewonnen  wurden.  Selbsttätige  Forscher  und  Theore- 
tiker der  Entwickelungsphysiologie  werden  im  vorliegenden  Buch 
kaum  Neues  finden,  höchstens  dass  ihnen  die  Art  der  Verknüpfung 
und  manche  gelegentliche  Bemerkung  Anlass  zu  weiterem  Experi- 
mentieren oder  —  zum  Widerspruch  bietet.  Der  Verfasser  wird  für 
Anregungen  jeder  Art  dankbar  sein,  die  ihm  in  dieser  Hinsicht  von 
Fachgenossen  zukommen. 

München,  im  März  1903. 


Inhaltsübersicht 


Einleitung. 

Seite 
I.  Kapitel.     Die  verschiedenen  Richtungen    in   der  Entwickelungs- 
geschichte    und    die  Entstehung   der    sog.  Entwickelungs- 
mechanik  oder  der  experimentellen  Richtung. 

Physiologische  und  morphologische  Betrachtungsweise  in  der  Ent- 
wickelungsgeschichte.  Rückschlag  auf  die  phylogenetische  Richtung. 
Einführung  des  Experiments  und  Beanspruchung  causaler  Erklärung. 
„Entwickelungsmechanik",  Entwickelungsphysiologie  und  experimentelle 
Embryologie 1 

I F.  Kapitel.      Die    Bedeutung    des    biologischen    Experiments    im 
Vergleich  zur  Beobachtung. 

Unterschied  des  Organismus  vom  Anorganischen  im  Verhalten  nach 
Eingriffen.  Ausnutzung  der  vergleichenden  Methode  zur  Erklärung  der 
Form.  Gegenseitige  Unterstützung  der  vergleichenden  und  experi- 
mentellen Methode 5 

III.  Kapitel.     Die  Möglichkeiten  des  Experimentieren  s.     Äussere 

und  innere  Faktoren  der  Entwickelung. 

Eingriffe  an  der  Umgebung  des  Entwickelungs-Objekts  und  am  Objekt 
selbst.  Äussere,  innere  und  „ spezifische"  Faktoren  der  Entwickelung 
und  deren  ungleiche  Bedeutung  für  den  Entwickelungsverlauf   ....         9> 

IV.  Kapitel.     Die  Entwicklungstheorien  und  deren  Anregungen 

zum  Experiment. 

Die  evolutionistische  oder  Zerlegungstheorie  von  Weismann.  Quali- 
tativ ungleiche  Kernteilung.  Mosaikarbeit  nach  R  o  u  x.  Die  epigenetische 
Theorie  nach  0.  Hertwig,  Driesch.  Vermittelungsmöglichkeit  zwischen 
den  Extremen.  Die  entscheidende  Bedeutung  des  Experiments  zwischen 
den  Theorien.     Stoffeinteilung  des  vorliegenden  Buches 12 


7379; 


VI  Inhaltsübersicht. 

Praktische  Vorbemerkungen. 

Seite 
Y.  Kapitel.     Die  verschiedenen  Phasen  und  Arten  der  Entwicke- 
ln n  g  und  ihre  Beziehung  zum  Experiment. 

Sonderung  des  Entwickelungsverlaufs  in  Einzelprozesse.  Termino- 
logie. Direkte  und  larvale  Entwickelung.  Technik  des  Eingriffs.  Bevor- 
zugte Objekte;  das  Froschei  und  das  Seeigelei  und  deren  normale  Ent- 
wickelung      17 

Darstellung  der  Experimente. 

A.  Spezifische  und  innere  Paktoren  der  Entwickelung. 

VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.    A.  Eier  mit 

späterer  und  fakultativer  Regulation. 

Historisches.  Isolierung  und  Verlagerung  der  Blastomeren.  Experi- 
mente an  S  e  e  i  g  e  1  e  i  e  r  n  bis  zur  animal-vegetativen  Scheidung.  Prin- 
zipieller oder  gradueller  Unterschied?  Experimente  an  Amphibien - 
eiern.  Gegensätzliche  Resultate  und  deren  Deutung.  Wichtigkeit  der 
plasmatischen  Substanzen  und  ihrer  Verteilung.  Die  Begriffe  der  pro- 
spektiven Bedeutung  und  der  prospektiven  Potenz 23 

VII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien,   Fortsetzung. 

B.  Eier  mit  sofortiger  und  absoluter  Regulation. 

Experimente  an  Meduseneiern.  Einstellung  der  Plasmasubstanzen. 
Experimente  an  Amphioxuseiern.  Allmähliche  Einschränkung  der 
Wertigkeit  der  Furchungszelle.  Experimente  an  Knochenfisch- 
eiern.     Doppelbildungen  bei  meroblastischen  Eiern 42 

VIII.  Kapitel.    Die  Experimente  an  Furchungsstadien,  Fortsetzung. 

C.  Eier    mit    beschränkter    und    unbestimmter   Regulation 
und  Eier  ohne  Regulation. 

Experimente  an  As  ci  dien  eiern.  Verlagerung  und  Isolierung  der 
Blastomeren  bei  C  t  e  n  o  p  h  o  r  e  n  e  i  e  r  n.  Die  Plasmaverteilung  und  deren 
Starrheit.  Die  determinierte  Normalfurchung  bei  Anneliden  und  Mol- 
lusken.    Experimente  an  Mollusken-  und  Anneliden  eiern    .     .     .       52 

IX.  Kapitel.    Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei  und  die  Frage 

der  Eistruktur. 

Die  Bedeutung  des  Eibaues  für  die  Entwickelung.  Die  sog.  organ- 
bildenden Keimbezirke  und  die  sog.  Isotropie  des  Eies.  Experimente  der 
Plasmaentnahme  am  ungefurchten  Ei  in  verschiedenen  Tiergruppen.  Nach- 
weis eines  verschiedenen  Eibaues.  Der  Eibau  und  die  Verteilung  plas- 
matischer  Substanzen  eine  „spezifische"  Eigenschaft.  Eiorganisation, 
Furchung  und  Bau  des  Erwachsenen  in  ihrem  event.  Causaluexus. 
(Theoretisches,    Kern  und  Plasma,   und  Unzulänglichkeit  der  Zelltheorie)       64 


Inhaltsübersicht.  VII 

Seite 

X.  Kapitel.     Die  Versckmelzungsexperiniente    und    das   Problem 

der  v  i  t  a  1  i  s  t  i  s  c  h  e  n  Proportionalität. 

Die  Bedeutung  der  Verschmelzung  für  die  Fragen  der  Differenzierung 
und  des  Eibaues.  Natürliche  Verschmelzung  bei  Ascaris,  künstliche  bei 
Seeigelkeimen.  Verschiedener  Grad  der  Einheit.  Die  Proportionalität 
der  Zeilenzahl  in  Doppel-,  Einfach-,  Halb-,  Viertels-  etc.  Bildungen. 
Nötigung  zu  einer  vitalistischen  Erklärung? 76 

XI.  Kapitel.    Das  Differenzierungsproblem  und  die  E  xperimente 

auf  späteren  Stadien. 

Die  Keime  als  aequipotentielle  Systeme.  Die  allmähliche  Einengung 
der  prospektiven  Potenz,  a)  Experimente  bei  Echiniden,  Urdarm, 
Wassergefässsystem  etc.  b)  bei  Amphibien,  Ectoderm,  Medullarplatte. 
(Einschaltung  der  Born'schen  Transplantationsversuche.)  Die  Zerlegung 
des  Entwickelungsgangs  in  „celluläre  Elementarprozesse ".  Begriff  der 
dadurch  entstehenden  primären,  sekundären  etc.  Elementarorgane  und 
deren  Verhältniss  zur  Keimblätterlehre 84 

XII.  Kapitel.     Die   Experimente    der  Materialentnahme    am    aus- 

gebildeten Körper  und  die  Regeneration. 

Verschiedene  Fassung  des  Begriffs  Regeneration.  Das  Wieder- 
inkrafttreten der  prospektiven  Potenz.  A.  Herkunft  des  regene- 
rierenden Materials.  Experimente  an  "Würmern,  Seesternen, 
Fischen,  Amphibien.  Die  histologische  Ausbildung  des  Regenerats. 
Gleiches  aus  Gleichem?  Die  Regeneration  der  Tritonlinse.  Regeneration 
und  Keimblatt,  Regeneration  und  Elementarorgan 98 

XIII.  Kapitel.     Die   typische  Regeneration   und   die  Experimente 
der  Heteromorphose. 

B.  Ausgestaltung  des  regenerierenden  Materials.  Abhängig- 
keit vom  Ganzen.  Korrelative  Einflüsse.  Unvollkommene  Regeneration. 
Experimente  bei  Medusen,  Reptilien,  Vögeln.  Atypische  Regene- 
ration (Heteromorphose).  Experimente  bei  Würmern,  Amphibien. 
Mehrfachbildungen.  Die  Augen  resp.Antennenneubildungbei  Crustaceen. 
Die  Heteromorphosen  bei   der  Linsenneubildung.     Regenerationstheorien     113 


B.   Innere  Faktoren  der  Entwickelung\ 

XIV.  Kapitel.     Die   Korrelation    der   Teile    und    die   Experimente 
an  funktionierenden  Organen.    (A.  Chemische  Korrelationen). 

Die  Regeneration  von  Leber,  Niere,  Blutkörperchen.  Die  Wirkung 
der  Experimente  an  der  Schilddrüse  auf  den  Körper.  Die  Sexualorgane 
und  ihre  Wirkung  auf  den  Gesamtorganismus.     Folgen  der  Kastration  .     130 


VIII  Inhaltsübersicht. 


Seite 


XV.  Kapitel.     Weitere    gegenseitige   Beeinflussungen    der  Teile. 

(B.  Mechanische  Korrelationen).    Die  „funktionelle  Struktur" 
und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment. 

Die  direkte  und  indirekte  mechanische  Beeinflussung  von  Geweben. 
Struktur  des  Bindegewebes  und  der  Knochen  bei  Wirbeltieren.  Die 
Hartgebilde  bei  niederen  Tieren.     Das  Skelett  der  Spongien     .     .     139' 

XVI.  Kapitel.  Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen 
(Organanlagen)  auf  frühen  Stadien  der  Entwickelung  und 
ihre  gestaltende  Wirkung.  Experimente  und  Theorie  der 
formativen  Reize. 

Die  Reiztheorie  und  ihr  Verhältnis  zur  abhängigen  und  Selbstdifferen- 
zierung. Experimente  in  der  späteren  Entwickelung  der  Echinodermen- 
larven  und  Amphibienembryonen.  Weitere  innere  Faktoren  der  Ent- 
wickelung: Oberflächenspannung,  ungleiches  Wachstum,  Faltenbildung, 
Zellteilung 152 


C.    Äussere  Faktoren  der  Entwickelung1. 

XVII.  Kapitel.  Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 
der  Entwickelung.     a)  Die  physikalischen  Vorbedingungen. 

Die  Schwerkraft.  Der  osmotische  Druck.  (Osmose  und  Wachstum.) 
Das  Licht.  Die  Temperatur.  (Maximum,  Minimum,  Optimum.)  (Gestalt- 
bildender  Einfiuss  oder  Energiequelle.) 16(> 

XVIII.  Kapitel.  Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 
der  Entwickelung  (Fortsetzung),  b)  Die  chemischen  Vorbeding- 
ung e  n. 

Die  notwendigen  Gase  (embryonale  Atmung).  Embryonale  Nahrungs- 
aufnahme.    Die  im  Wasser,   besonders  im  Seewasser  notwendigen  Stoffe     184 


Literaturverzeichnis. 


Das  Verzeichnis  enthält  diejenigen  Schriften,  auf  welche  im  Text  Bezug  ge- 
nommen ist.  Noch  ausführlichere  Litteraturangaben  finden  sich  in  den  Driesch'schen 
Referaten  (1899  und  1902).  über  einzelne  Abschnitte  (Regeneration)  bei  Przibram. 
über  andere  Kapitel  bei  Korscheit  und  Heider.  Eine  grosse  Menge  der  ein- 
schlägigen Litteratur  ist  in  dem  von  Roux  1895  gegründeten  Archiv  für  Entwicke- 
lungsmechanik  publiziert. 

I.  Schriften  allgemeinen  und  theoretischen  Inhaltes,  Referate,  Lehrbücher  etc. 

Bergh,  R.  S.     Über  den  Begriff  der  Heteromorphose.    Arch.  f.  Entw.  Mech.  III.  1896. 
Bütschli.  O.     Bemerkungen  über  die  Airwendbarkeit  des  Experiments  in  der  Ent- 
wiekeluugsmechanik.     Ibid.  V.   1897. 

—  Mechanismus  und  Vitalismus.     Leipzig  1901. 

Delage,  Y.    La  structure  du  protoplasma  et  les  theories  sur  l'heredite  et  les  grands 

problemes  de  la  biologie  generale.     Paris  1895. 
Driesch,  EL     Analytische  Theorie  der  organischen  Entwickelung.     Leipzig  1894. 

—  Die  Maschinentheorie  des  Lebens.     Biol.  Centr.  16.  1896. 

—  Über  den  Wert  des  biologischen  Experiments.  Arch.  f.  Entw. -Mech.  V.  1897. 
Die  Lokalisation  morphogenetischer  Vorgänge,  ein  Beweis  vitalistischen 
Geschehens.     Ibid.  8.  1899. 

—  Die  organischen  Regulationen.     Leipzig  1901. 
Kritisches  und  Polemisches.     Biol.  Centr.  22.  1902.  I— III. 

Fischel,  A.    Entwickelung  und  Organ differenzierung.    Arch.  f.  Ent. -Mech.  XV.  1903. 

Haacke,  W.     Grundriss  der  Entwickelungsmechanik.     Leipzig  1893. 

Hahn,    H.     Anatomische    und    physiologische    Folgeerscheinungen    der   Kastration. 

Sitzungsber.  Ges.  Morph,  u.  Phys.  München  1902. 
Heider,  K.     Das  Determinationsproblem.     Verb.  Deutsch.  Zool.  Ges.  1900. 
Herbst,  C.     Über    die  Bedeutung    der  Reizphysiologie    für    die    causale  Auffassung 

von  Vorgängen  in  der  tierischen  Ontogenese.  I.  u.  IL     Biol.  Centr.  14  u.   15. 

1894/1895. 

—  Formative  Reize  in  der  tierischen  Ontogenese.     Leipzig  1901. 
Hertwig,  O.    Zeit-  und  Streitfragen  der  Biologie.     I.  Präfoimation  oder  Epigenesis. 

Jena  1894.     II.  Mechanik  und  Biologie.     Jena  1897. 

—  Die  Zelle  und  die  Gewebe.     II.  Theil.     Jena  1897. 

—  Handbuch  der  vergleichenden  und  experimentellen  Entwickelungslehre  der 
Wirbeltiere.     Einleitung.  Jena  1901. 


X  Literaturverzeichnis. 

Daraus: 
Hertwig,  R.     Furchungspr ozess.     Jena  1903. 
His,  W.     Unsere  Körperform    und   das    physiologische    Problem    ihrer   Entstehung. 

Leipzig  1875. 

—  Über  mechanische  Grundvorgänge  tierischer  Formbildung.     Arch.  Anat.  Phys. 
Anat.  Abt.  1894. 

—  Das   Prinzip     der   organbildenden   Keimbezirke    und    die   Verwandtschaft    der 
Gewebe.     Ibid.  1901. 

Korscheit,  E.  und  Heider,  K.  Lehrbuch  der  vergleichenden  Entwickelungs- 
geschichte  der  wirbellosen  Tiere.     Allg.  Teil  I.  Jena  1902. 

Loeb,  J.  On  some  facts  and  principles  of  physiological  Morphology.  Biol.  Lect. 
Woods  Holl  1893/94. 

Morgan,  T.  H.     Regeneration.     New-York  und  London  1901. 

Naegeli,  C.  Mechanisch -physiologische  Theorie  der  Abstammungslehre.  München 
und  Leipzig  1884. 

Przibram.  H.     Regeneration.  Ergeb.  Phys.  I.  Jahrg.  Wiesbaden  1902. 

—  Experimentelle  Biologie    der  Seeigel.     Aus  Bronn,    Classen  und  Ordnungen 
IL  Bd.  III.  Abt.  Echinod.  Leipzig  1902. 

Rabl,  C.     Homologie  und  Eigenart.     Verh.  Deutsch,  path.  Ges.  1900. 

Reinke.  F.     Grundzüge  der  allgemeinen  Anatomie.     Wiesbaden  1901. 

Roux,  W.  Gesammelte  Abhandlungen  überEntwickelungsmechanik.  Leipz.  1895.  (s.  u.) 

Über  die  Selbstregulation  der  Lebewesen.     Arch.  f.  Entw.-Mech.  XIV.  1902. 
Spencer,  H.     Die  Prinzipien  der  Biologie.     (Übers.)     Stuttgart  1876. 
Zur  Strassen,  O.     Über  das  Wesen  der  tierischen  Formbildung.     Verh.  Deutsch. 

Zool.  Ges.  1898. 
Weismann,  A.     Das  Keimplasma.     Jena  1892. 

—  Vorlesungen  über  Descendenztheorie.     Jena  1902. 

Whitmann.    C.  O.     The   Inadiquacy    of  the    cell   theory    of  development.     Journ. 

Morph.  VIII.  1893. 
Wilson.  E.  B.    The  cell  in  development  and  inheritance.    IL  edit.    New-York  und 

London  1900. 
Wolff,  G.     Mechanismus  und  Vitalismus.     Leipzig  1902. 

II.  Spezielle  Arbeiten. 

Albrecht.  E.  Ein  Fall  von  Pankreasbildung  in  einem  Meckel'schen  Divertikel. 
Sitzungsber.  Ges.  Morph.  Phys.     München  1901. 

Barfurth,  D.  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Regeneration  der  Keim- 
blätter bei  den  Amphibien.     Anat.  Hefte  3.  1893. 

—  Die  experimentelle  Regeneration  überschüssiger  Gliedmalsenteile  bei  Amphibien. 
Arch.  f.  Entwickelungsmech.  I.  1894. 

Bataillon,  E.  Evolution  de  la  fonetion  respiratoire  chez  les  embryons  d'Amphibiens 
et  de  Teleosteens.     C.  R.  et  Mein.  Soc.  Biol.  1896. 

—  La  pression   osmotique  et   les  grands    problemes    de  la  biologie.     Arch.  Entw.- 

Mech.  XL  1901. 
Biederma n n ,  W.    Untersuchungen  über  Bau  und  Entstehung  der  Molluskenschalen. 
Jen.  Zeitschr.  36.  N.  F.  1901. 


Literaturverzeichnis.  XI 

Bock,  M.  von.     Über  die  Knospung   des  Ckaetogaster  diaphanus.     Ibid.  31,   N.  F. 

34,  1897. 
Born,  G.  Über  den  Einfluss  der  Schwere  auf  das  Froschei.  Arch.  Mikr.  Auat.  14. 1885. 

—  Über  Druckversuche  an  Froscheiern.     Anat.  Auz.  8.   1*9:1. 

—  Über  Verwachsungsversuche  mit  Amphibienlarven.    Arcb.  f.  Ent.  Mech.  4.  1897. 
Boveri,    Th.     Über    die    Polarität    des    Seeigeleis.     Verh.   phys.   Ges.   Würzburg. 

N.  F.  34.  1901. 

—  Die   Polarität    von    Ovocyte,    Ei    und   Larve    des    Strongylocentrotus    lividus. 
Zool.  Jahrb.  Abt,  f.  Anat.  14.  1901. 

Über  mehrpolige  Mitosen  als  Mittel  zur  Analyse  des  Zellkerns.    Verh.  phys.- 

med.  Ges.  Würzburg.  N.  F.  35.  1902. 
Bunge,    H.    S.     Weitere    Untersuchungen    zur  Atmung    der  Würmer.     Zeitschr.    f. 

physiol.  Chemie  Bd.  XIV.  1890. 
Chabry,  L.     Contribution   ä   l'embryologie   normale   et  teratologique   des  Ascidies 

simples.     Journ.  Au.  und  phys.  23.  1887. 
Chun,  C.     Die  Dissogonie.     Festschrift  für  Leuckart.  1892. 
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VIII.  Über  die  Vertretbarkeit  der  Anlagen  von  Ektoderm   und  Entoderm. 
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Einleitung, 


I.  Kapitel. 

Die  verschiedenen  Richtungen  in  der  Entwickelungsgeschichte  und 
die  Entstehung  der  sog.  Entwickelungsmechanik  oder  experimen- 
tellen Richtung. 

Physiologische  und  morphologische  Betrachtungsweise  in  der  Entwickelungsgeschichte. 

Rückschlag   auf   die   phylogenetische    Richtung.     Einführung    des    Experiments    und 

Beanspruchung     kausaler     Erklärung.      ^Entwickelungsmechanik" .     Entwickelungs- 

physiologie  und  experimentelle  Embryologie. 

Man  pflegt  in  den  biologischen  Wissenschaften  eine  Scheidung 
zwischen  physiologischen  und  morphologischen  Disziplinen  zu  machen, 
also  zwischen  solchen,  die  die  Lebensäusserungen  der  Organismen 
erforschen,  und  solchen,  die  ihre  Formausprägung  beschreiben  und 
eventuell  erklären.  Die  Entwickelungsgeschichte  fügt  sich  dieser 
Scheidung  nicht,  sondern  lässt  sich  je  nach  der  Betrachtungsweise 
bald  zur  einen,  bald  zur  anderen  Seite  rechnen.  Wie  ein  Organismus 
einen  neuen  hervorbringt,  wie  dieser  unfertige  Organismus  sich 
beständig  ändert,  wächst,  das  ist  eine  Lebenstätigkeit  im  aus- 
gezeichnetsten Sinne,  und  somit  wäre  die  Entwickelungsgeschichte 
den  physiologischen  Disziplinen  einzureihen.  Auf  der  anderen  Seite 
legt  man  aber  besonderen  Wert  auf  die  For m zustände,  die  während 
der  Entwickelung  durchlaufen  werden,  und  die  man  miteinander  und 
mit  dem  erwachsenen  in  Beziehung  zu  bringen  sucht ;  die  »gestaltende 
Tätigkeit  der  Entwickelung  wird  Gegenstand  der  Forschung,  und 
die  Entwickelungsgeschichte  somit  eine  morphologische  Disziplin. 

Je  nach  der  allgemeinen  oder  individuellen  Forschungsrichtung 
ist  bald  die  eine,  bald  die  andere  Seite  bevorzugt  worden.  In 
früheren  Zeiten  war  naturgemäss  die  physiologische  Betrachtungs- 
weise im  Vordergrund;    die    im   Laufe    der   Einzelentwickelung    zu 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgeschichte.  \ 


2  I.  Kapitel.    Die  verschiedenen  Richtungen  in  der  Entwickelungsgeschichte 

Tage  tretende  Lebenstätigkeit,  das  beständige  Geschehen  an  sich 
erregte  Interesse,  und  schon  damals  suchten  Forscher,  »jede  einzelne 
Stufe  der  Entwickelung  als  Folge  der  vorangegangenen  zu  begreifen«. 
Je  mehr  aber  sich  die  entwickelungsgeschichtlichen  Untersuchungen 
über  das  ganze  Tierreich  ausdehnten,  um  so  mehr  gewann  die 
morphologische  Seite  an  Interesse.  Die  verschiedenen  Gestalten 
der  Entwickelungsstufen  in  einzelnen  Tierklassen  schienen  ent- 
sprechende Verschiedenheiten  zu  zeigen,  wie  die  Erwachsenen  und 
so  die  Typenlehre  C  u  vi  er  s ,  die  Idee  verschiedener  Baupläne  im 
Tierreich  zu  stützen.  Als  nachher  wieder  umgekehrt  die  Idee  einer 
allgemeinen  Blutverwandtschaft  der  Tiere  zur  Vorherrschaft  gelangte, 
und  die  Deszendenzlehre,  gestützt  auf  Darwins  Begründung,  ihren 
letzten  gewaltigen  Vorstoss  machte,  da  war  es  wieder  die  morpho- 
logische Seite  der  Entwickelungsgeschichte,  die  Beweismaterial  zu 
liefern  hatte.  Die  verschiedenen  For  m  zustände ,  welche  der 
Organismus  in  seiner  Entwickelung  zu  durchlaufen  hatte,  wurden 
für  geschichtlich  bedeutsam  erklärt,  und  der  Parallelismus,  der  sich 
zwischen  der  Einzelentwickelung  und  der  Stammesgeschichte  zeige, 
von  Haeckel  als  biogenetisches  Grundgesetz  proklamiert.  Manche 
Larvenformen  wurden  geradezu  als  Rekapitulationen  von  Vorfahren- 
tieren angesehen,  und  aus  Einzelentwickelungen  wurden  nach  Aus- 
scheidung des  »Unwesentlichen«  oder  »Gefälschten«  ganze  Stamm- 
bäume der  betreffenden  Tiergruppen  konstruiert.  Das  Studium  der 
Einzelentwickelung  schien  also  nur  dazu  zu  führen,  Verwandtschafts- 
beziehungen zwischen  einzelnen  Tiergruppen  festzustellen,  und  die 
Entwickelungsgeschichte  war  dadurch  zu  einer  blossen  Hilfswissen- 
schaft geworden. 

Der  Rückschlag  hierauf  konnte  nicht  ausbleiben ;  man  wurde 
sich  wieder  bewusst,  dass  die  Entwickelung  auch  ein  »um  seiner 
selbst  willen«  zu  studierendes  Problem  sei,  und  dass  man  in  die 
physiologischen  Abhängigkeiten  ihres  Geschehens  näher  eindringen 
könne  und  solle.  Hauptsächlich  kam  das  zum  Ausdruck  auf  dem 
rein  physiologischen  Gebiet  der  Entwickelungsgeschichte,  nämlich  in 
der  Lehre  von  Zeugung  und  Befruchtung,  die  zur  morphologischen 
Vergleichungs-  und  Verwandtschaftslehre  niemals  Beziehungen  haben 
konnte,  weil  ja  diese  Vorgänge  im  ganzen  Tierreich  prinzipiell  gleich 
verlaufen.  Hier  wurden  durch  die  Brüder  Hertwig,  Boveri. 
Wilson  u.  A.  bedeutsame  Entdeckungen  gemacht,  und  bei  diesen 
Entdeckungen  hatte  nicht  nur  die  blosse  Beobachtung,  sondern,  wie 
in  der  Physiologie,   auch   das  Experiment  eine  Rolle  gespielt.     Diese 


und  die  Entstehung  der  sog.  Entwickelungsmechanik.  3 

Betrachtungsweise  und  Methodik  begann  dann  auch  bei  den  »ge- 
staltenden« Wirkungsweisen  der  Entwickelung,  bei  den  embryonalen 
Wachstumsvorgängen  etc.  Eingang  zu  finden,  und  so  entstand,  schon 
früher  durch  W.  Roux  inauguriert,  jetzt  von  ihm  programmartig 
festgelegt,  eine  bewusst  ent wickelungsphysiologische  und 
experimentelle  Richtung,  die  sich  immer  mehr  ausgebreitet  und 
schon  fast  zu  einer  ebenso  grossen  Menge  von  Einzelarbeiten  geführt 
hat  wie  vorher  die  vergleichende  Richtung.  Als  Hauptvertreter  sind, 
ausser  Roux  selbst,  H.  Driesch,  O.  Hertwig,  die  Amerikaner 
E.  B.  Wilson,  H.  T.  Morgan  u.  A.  zu  nennen. 

Diese  moderne  Richtung  der  Entwickelungsgeschichte  beansprucht, 
im  Gegensatz  zur  früheren  descriptiven,  kausal  zu  sein,  d.  h.  den 
Ursachen  nachzugehen,  welche  den  Entwickelungsprozess  bewirken, 
sie  sucht  Abhängigkeitsfaktoren  in  demselben  zu  ermitteln  und 
bedient  sich  hierzu  des  Experiments,  indem  sie  solche  Abhängigkeits- 
faktoren in  bewusster  Weise  variiert  resp.  ausschaltet.  Die  End- 
absicht wäre  die  Zerlegung  des  Entwickelungsvorganges  in  immer 
einfachere  Komponenten,  die  Zurückführung  der  Vorgänge  auf  die 
im  Bereiche  des  Anorganischen  erkannten  Wirkungsweisen,  so  dass 
ein  immer  geringerer  Rest  von  »Lebens «-Vorgängen  unerklärt  zurück- 
bliebe. Ob  und  in  wie  weit  dies  möglich  ist,  darüber  gehen  selbst 
unter  den  Vorfechtern  der  neuen  Richtung  die  Ansichten  sehr  aus- 
einander. Die  einen  sind  der  Ansicht,  dass  auch  die  gestaltenden 
Wirkungsweisen  des  Organismus,  wie  sie  sich  in  der  Entwickelung 
äussern,  in  letzter  Instanz,  wenn  auch  heute  noch  nicht,  so  doch 
später  und  theoretisch,  durch  die  Kräfte  der  Physik  und  Chemie 
erklärt  werden  könnten;  dieser  Anschauungsweise  scheint  das  zuerst 
für  die  neue  Richtung  geprägte  Wort  »Entwickelungsmechanik« 
seinen  Ursprung  zu  verdanken.  Auf  der  andern  Seite  wird  die 
Ansicht  vertreten,  dass  dieses  Ziel  überhaupt  nicht  erreichbar  ist, 
sondern  selbst  nach  Abzug  von  wirklich  als  physikalisch-chemisch 
erkannten  Vorgängen  die  Prozesse  im  Bereich  der  lebenden  Natur 
ihre  Besonderheiten  hätten,  die  sich  im  Anorganischen  nicht  wieder- 
fänden. Diese  Ansicht  ist  als  Lehre  von  der  »Autonomie  der  Lebens- 
vorgänge« oder  als  Neovitalismus  bezeichnet  worden. 

Bei  solcher  Divergenz  der  Meinungen  ist  an  Stelle  des  Wortes 
Entwickelungsmechanik  das  neutralere  Entwickelungsphysiologie 
vorgeschlagen  worden.  Allein  auch  dieser  Ausdruck  erscheint  zu 
weitgehend,  da  er  ein  viel  grösseres  Verständnis  der  komplizierten 
Vorgänge    und    zahlreichen    ineinandergreifenden    Komponenten    des 


4  I.  Kapitel.    Die  verschiedenen  Richtungen  in  der  Entwicklungsgeschichte. 

Entwickelungsprozesses  voraussetzt,  als  uns  einstweilen,  selbst  nach 
Annahme  und  Abzug  einer  vitalen  Komponente  möglich  ist.  In 
vielen  Fällen  können  wir  nur  die  eine  oder  die  andere  keimen 
lernen  und  manchmal  nicht  einmal  dies,  sondern  nur  Zeit  und 
Lokalisation  ihres  Eingreifens  feststellen.  Daher  empfiehlt  es  sich, 
den  indifferenten  Ausdruck  »Experimentelle  Ent  wi  ckelungs- 
ge schichte«  anzuwenden  und  damit  alle  die  Ergebnisse  zusammen- 
zufassen, die  durch  das  Experiment  an  sich  entwickelndem 
Material  gewonnen  wurden.  Die  Anwendung  des  Experiments 
ist  das  wesentliche  Kennzeichen  der  neuen  Richtung. 

In  das  Bereich  der  Untersuchungen,  die  organisches  Geschehen  in  einfachere 
Komponenten  zu  zerlegen  suchen,  gehören  auch  solche,  die  von  der  anorganischen 
Seite  aus  an  die  Fragen  herantreten  und  durch  chemisch-physikalische  Versuche 
gewisse  .Strukturen  und  Vorgänge  des  Organismus  verständlich  zu  machen  suchen. 
Diese  wichtigen  Bestrebungen  einer  „ Zellmechanik"  oder  „ Protoplasmamechanik " 
haben  jedoch  zur  Entwicklung  keine  direkten  Beziehungen  und  können  darum  hier 
nur  gelegentliche  Erwähnung  finden.  Auch  fallen  ausserhalb  dieses  Rahmens  die- 
jenigen Experimente,  die  sich  auf  die  Vo  rentwickelung.  auf  die  Zeugung  und  Be- 
fruchtung, beziehen  und  die  mit  gestaltender  Wirkung  nur  gelegentlich  in  Verbindung 
treten.  Dagegen  bieten  die  Vorgänge  der  Regeneration,  also  Experimente  am 
Erwachsenen,  mit  „Wiederentwickelung"  von  Material,  zu  den  Experimenten  während 
der  Embryonalentwickelung  so  vielfache  Beziehungen  (s.  p.  127),  dass  sie  von  einer 
Entwickelungsphysiologie  untrennbar  sind  und  hier  mitbehandelt  werden. 

Trotz  der  erwähnten  Beschränkungen  haben  die  experimentell 
entwickelungsgeschichtlichen  Untersuchungen  schon  bis  jetzt  zur  Auf- 
klärung zahlreicher  biologischer  Probleme  beigetragen,  andere  Probleme 
wesentlich  modifiziert  und  neue  Fragestellungen  gegeben.  Es  werden 
dadurch  nicht  nur  Anatomie  und  Zoologie,  sondern  auch  Physiologie 
und  Pathologie,  wie  auch  naturphilosophische  Fragen  sehr  wesentlich 
berührt.  Aber  auch  von  Folgerungen  abgesehen,  sind  zahlreiche  der 
gewonnenen  Tatsachen,  wie  auch  die  Art  des  Experimentierens  selbst 
für  den  Naturforscher,  Arzt  und  weitere  Kreise  von  Interesse. 


II.  Kapitel.     Die  Bedeutung  des  biologischen  Experiments.  5 

II.  Kapitel. 

Die  Bedeutung    des  biologischen   Experiments   im  Vergleich  zur 

Beobachtung. 

Unterschied    des    Organismus    vom    Anorganischen    im    Verhalten    nach    Eingriffen. 

Ausnutzung    der    vergleichenden    Methode    zur   Erklärung    der    Form.     Gegenseitige 

Unterstützung  der  vergleichenden  und  experimentellen  Methode. 

Das  Experiment  am  lebenden  Organismus,  also  die  Hervorrufung 
anormaler  Zustande  zur  Erkenntnis  des  normalen  Geschehens,  wird 
sehr  verschieden  beurteilt;  denn  ein  Organismus  verhält  sich  bei 
einem  Eingriff  nicht  wie  die  anorganische  Natur,  sondern  kann  und 
wird  Ausgleichsvorrichtungen  in  Kraft  treten  bissen,  um  sich  mit 
den  veränderten  Verhältnissen  abzufinden.  Solche  Vorgänge  des 
Ausgleichs,  ganz  allgemein  »Regulationen«  genannt,  können  ein- 
treten, ob  der  Eingriff  in  der  äusseren  Umgebung  des  Organismus 
oder  am  Organismus  selbst  erfolgt  ist,  und  es  fragt  sich,  ob  dieses 
Geschehen  dann  noch  dem  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  ver- 
gleichbar ist.  Es  ist  dann  zwar  nicht  mehr  absolut  normal,  aber 
doch,  wenn  nur  solche  Faktoren  dabei  eine  Rolle  spielen,  die  auch 
in  der  ungestörten  Entwickelung  wirken.  ;  gesetzlich  normal«  und  zu 
Schlüssen  auf  das  Normale  geeignet.  Es  ist  jedoch  klar,  dass  die 
Entscheidung  darüber,  was  dabei  ein  Faktor  der  ungestörten  Ent- 
wickelung ist  und  was  nicht,  eine  schwierige  ist,  und  in  der  Tat 
sind  auch  bei  einer  Reihe  selbst  grundlegender  Experimente,  z.  B. 
bei  der  Eiteilung,  die  Forscher  in  der  Deutung  auseinandergegangen. 
Vor  allem  ist  hierbei  eine  möglichst  genaue  Kenntnis  der  normalen 
Entwickelung  Bedingung. 

Angesichts  dieser  kritischen  Betrachtung  und  problematischen 
Bedeutung  des  Experiments  wird  auf  der  andern  Seite  für  die  be- 
schreibende Forschung  durch  geeignete  Methodik  eine  höhere  Bedeu- 
tung erstrebt.  Dieser  Gedanke  ist  bereits  von  Cuvier  ausgesprochen 
worden;  er  hat  die  Naturwissenschaften  nach  dem  Grad  der  Exakt- 
heit in  drei  Stufen  eingeteilt:  »sciences  de  calcul«,  hierzu  rechnet  er 
Mathematik,  Astronomie  und  einen  Teil  der  Physik  (Dynamik);  »sciences 
d'experiment«,  hierzu  zählen  bei  ihm  Chemie  und  der  übrige  Teil 
der  Physik;  »sciences  d' Observation«,  die  beschreibenden  Naturwissen- 
schaften. Cuvier  sagt  nun,  dass  man  auch  die  letzteren  durch 
geeignete  Methode,  nämlich  durch  den  Vergleich,  einen  Grad  höher 
in    dieser    Stufenreihe    erheben    und    zu    einer    science    d'experiment 


6  II.  Kapitel.     Die  Bedeutung  des  biologischen  Experiments 

machen  könne.  So  wie  der  Physiologe  im  Laboratorium,  so  habe 
auch  die  Natur  ihre  Tiere  in  verschiedene  Bedingungen  gebracht, 
die  einen  in  helles  Licht,  die  andern  in  beständige  Dunkelheit,  die 
einen  unter  starken,  die  andern  unter  geringen  atmosphärischen 
Druck  etc.,  und  so  wie  der  Physiologe  ein  oder  das  andere  Organ 
verkürze  oder  wegnehme,  so  sei  beim  einen  Tier  dies,  beim  andern 
jenes  Organ  stärker  ausgebildet  oder  ganz  verkümmert.  Es  lägen  also 
von  der  Natur  vorbereitete  »especes  d'experiment«  vor,  und  es  bedürfe 
nur  des  Vergleichs  mit  Berücksichtigung  der  verschiedenen  Lebens- 
bedingung und  Funktion,  um  daraus  die  geeigneten  Schlüsse  zu  ziehen. 
Diese  Art  der  Vergleichung  ist  natürlich  grundverschieden  von 
dem  morphologischen  Vergleich,  den  die  Entwickelungsgeschichte 
früher,  selbst  bei  weit  auseinander  stehenden  Formen,  im  Dienst  der 
Verwandtschaftslehre  betrieb.  Als  beispielsweise  bei  Wirbeltieren, 
Mollusken,  Echinodermen,  Coelenteraten  u.  a.  in  der  Entwickelung 
ein  ähnliches  Stadium  gefunden  wurde,  bestehend  aus  zwei  Lagen, 
einer  äusseren  und  inneren,  da  diente  dies  zum  Beweis  der  gemein- 
samen Abstammung  aller  dieser  Tiergruppen,  ja  zur  Rekonstruktion 
eines  Vorfahrentiers.  Nach  einer  rein  physiologischen  Betrachtungs- 
weise jedoch  kehren  gewisse  Formzustände  in  der  Entwickelung  ver- 
schiedener Tiere  nur  deshalb  mit  so  grosser  Konstanz  wieder,  weil 
»sie  unter  allen  Verhältnissen  die  notwendigen  Vorbedingungen  liefern, 
unter  denen  sich  allein  die  folgende  höhere  Stufe  der  Ontogenese 
hervorbilden  kann«.  Nach  der  Cu  vi  einsehen  Methodik  müssten  zu- 
nächst eine  Reihe  von  sehr  nahe  stehenden  Tieren  in  Bezug  auf  ihre 
geringen  Verschiedenheiten  der  Organisation  untersucht  werden,  und 
erst  wenn  durch  den  Vergleich  ein  Einblick  in  die  Gesetzlichkeit  der 
Verschiedenheit  gewonnen  ist,  sollte  zu  weiter  auseinander  stehenden 
Gruppen  geschritten  werden. 

Wir  können  die  Methodik,  die  Cuvier  für  die  ausgebildeten 
Tiere  anriet,  in  der  Entwickelungsgeschichte  anwenden,  sei  es,  um 
direkt  entwickelungsphysiologische  Aufschlüsse  zu  erhalten,  sei  es  in- 
direkt, um  die  Schlüsse  aus  wirklichen  Experimenten  gegen  die 
früher  erwähnten  Bedenken  sicherer  zu  machen.  Wir  haben  uns 
dabei  aber  von  dem  beim  morphologischen  Vergleich  oft  gemachten 
Fehler  zu  hüten,  zu  weit  auseinander  stehendes  in  Beziehung  zu 
bringen.  Wir  dürfen  zu  solchen  physiologischen  Folgerungen  nicht 
zwischen  zwei  Tiertypen,  z.  B.  Mollusken  und  Wirbeltieren  vergleichen, 
sondern  müssen  innerhalb  der  einen  Gruppe  z.  B.  der  Mollusken 
bleiben   und   uns   hier  noch   weiter,    z.    B.   auf    die   Lamellibranchier 


im  Vergleich  zur  Beobachtung.  7 

beschränken.  Wenn  wir  bei  einer  Reihe  von  Muscheln  gefunden 
haben,  dass  sie  einen,  deren  Eier  eine  andere  Quantität  und  Ver- 
teilung von  Dottermaterial  besitzen  sich  auch  anders  entwickeln,  oder 
dass  solche,  die  sich  im  süssen  Wasser  befinden,  bestimmte  Abweich- 
ungen des  Entwickelungsganges  von  den  im  Meer  lebenden  /.eigen, 
so  wird  geschlossen  werden  dürfen,  dass  im  letzteren  Fall  der  Unter- 
schied im  umgebenden  Medium,  im  ersteren  der  in  der  Eistruktur 
an  den  beobachteten  Unterschieden  des  Entwickelungsganges  schuldig 
oder  mitschuldig  ist. 

Noch  bedeutsamer  in  anderer  Hinsicht  wird  diese  Methode  der 
beobachtenden  Entwicklungsgeschichte,  wenn  sie  nicht  mehrere  Arten 
ins  Auge  fasst,  sondern  die  Verschiedenheiten  der  Entwickelung 
zwischen  Individuen  ein  und  derselben  Art  feststellen  kann,  wie  sie 
in  zahlreichen  Fällen  auch  ohne  experimentelle  Störung  im  Ent- 
wickelungsgang  vorkommen  können.  Auch  hier  experimentiert  die 
Natur  gewissermafsen  selbst,  und  es  sind,  wie  man  sich  zutreffend 
ausgedrückt  hat,  »die  Endprodukte  der  individuellen  Entwickelung 
konstanter  als  die  Arten  ihrer  Herstellung«.  Namentlich  bei  niederen 
Tieren,  z.  B.  Medusen,  hat  man  solche  weitgehenden  Schwankungen 
innerhalb  des  normalen  Entwickelungsganges  kennen  gelernt;  aber 
auch  bei  hoch  organisierten  Wirbeltieren  treten  sie  noch  zu  Tage.  Ihr 
Studium,  das  bis  jetzt  noch  etwas  vernachlässigt  ist,  kann  wesentlich 
zur  Aufklärung  darüber  beitragen,  was  nach  einem  Experiment  noch 
mit  den  gewöhnlichen  Mitteln  der  Ontogenese  reguliert  (s.  o.  p.  5)  wird, 
und  so  die  aus  dem  Experimentverlauf  zu  ziehenden  Schlüsse  be- 
deutend festigen.  Auf  diese  Weise  stehen  sich  vergleichend-deskriptive 
und  experimentell-kausale  Entwickelungsgeschichte  nicht  so  gegen- 
sätzlich  gegenüber,  wie  es  nach  den  Auslassungen  mancher  Forscher 
scheint,  sondern  können  sich  zu  gemeinsamem  Endziel  in  die  Hände 
arbeiten. 

Trotzdem  werden  beide  nicht  ganz  gleichwertig  erscheinen,  son- 
dern es  wird,  wenigstens  für  die  Ermittelung  kausaler  Abhängigkeits- 
verhältnisse, das  Experiment  einen  grösseren  Wert  haben,  während 
die  vergleichende  Beobachtung,  wie  die  obigen  Ausführungen  zeigen, 
mehr  helfend  dazutritt,  sei  es  vorbereitend  oder  nachträglich  sichernd. 
Manche  Forscher  gehen  soweit  den  rein  deskriptiven  Untersuchungen 
die  Berechtigung  zu  positiven  Aussagen  überhaupt  abzusprechen;  sie 
vermöchten  »höchstens  ein  Negatives  zu  leisten,  nämlich  zu  zeigen, 
dass  ein  angeblich  gefundenes  Allgemeingesetz  nicht  allgemein  ge- 
wesen sei«  und  auch  das  nur   »bei  relativ  einfachen  Dingen«. 


8  II.  Kapitel.     Die  Bedeutung  des  biologischen  Experiments. 

Dies  scheint  uns  zu  weit  gegangen,  namentlich  wenn  wir  an 
den  Vergleich  verschiedener  normaler  Entwickehui^si  Möglichkeiten  bei 
derselben  Art  denken.  Es  kommt  z.  B.  bei  Crustaceen  vor,  dass  die 
gleiche  Spezies  einen  verschiedenen  Entwickelungsgang  einschlägt,  je 
nachdem  sie  sich  im  Seewasser  oder  im  Brackwasser  entwickelt. 
(Palaemonetes  varians  nach  Boas.)  Der  Schluss,  dass  also  der  Salz- 
gehalt die  Ursache  dieser  Verschiedenheit  sei,  ist  wohl  erlaubt.  Durch 
das  Experiment  kann  dies  gesichert  und  nachgewiesen  werden,  dass 
dieses  nicht  nur  die  Mit- Ursache,  sondern  die  bestimmende  oder 
alleinige  Ursache  der  betreffenden  Veränderung  war.  Darin  scheint 
uns  die  erhöhte  Bedeutung  des  Experiments  zu  liegen,  wie  sie  noch 
mehr  bei  Änderungen  im  Entwickelungsobjekt  selbst  zu  Tage  tritt.  Wir 
sehen  z.  B.  bei  Amphibieneiern  den  Nahrungsdotter  am  vegetativen 
Pol  reichlicher  angehäuft,  wie  am  animalen ;  die  Furehungsteilungen 
gehen  am  animalen  Pol  schneller  vor  sich  wie  am  vegetativen,  wo 
die  Teilstücke  grösser  bleiben,   aber  doch  wird  das  Ei  total  gefurcht. 

Fier.  1. 

r—  h 


-d 


Froschei,  durch  den  Einfluss  der  Centrifugalkraft  während  der  Entwickelung  gesondert 
in  eine  Keimscheibe  und  eine  unentwickelt  gebliebene  Dottermasse  (d),  h  =  Furchungs- 

höhle.     Nach  0.  Hertvvig. 

Bei  den  Knochenfischen  ist  der  Unterschied  im  Dottergehalt  zwischen 
animaler  und  vegetativer  Seite  des  Eies  noch  grösser;  hier  kommt 
es  auch  nur  zu  einer  partiellen  Furchung,  indem  sich  am  animalen 
Pol  eine  Keimscheibe  ausbildet  und  der  vegetative  Pol  ungefurcht 
zurückbleibt,  Die  vergleichende  Methode,  die  nicht  im  Dienst  der 
Deszendenzlehre  sondern  der  physiologischen  Erklärung  arbeitet,  wird 
den  Schluss  ziehen,  dass  die  verschiedene  Quantität  und  Verteilung 
des  Dotters  Schuld  an  der  Verschiedenheit  beider  Furchungsarten  sei. 
Doch  könnten  bei  den  komplizierten  Bedingungen  noch  weitere  Ur- 
sachen in  Frage  kommen.  Durch  das  Experiment,  nämlich  durch  Ein- 
wirkung der  Zentrifugalkraft  auf  das  sich  entwickelnde  Froschei  (s.  p.  170) 


III.  Kapitel.     Die  Möglichkeiten  des  Experimentierens.  \) 

können  dessen  Dottermengen  noch  mehr  nach  dem  vegetativen  Pol 
zu  verlagert,  also  diT  Gegensatz  zwischen  animaler  und  vegetativer 
Hälfte  vergrössert  werden,  ähnlich  wie  beim  Fischei;  und  das  Froschei 
furcht  sich  alsdann  nicht  total  wie  sonst,  sondern  partiell  wie  ein 
Fischei  (s.  Fig.  1).  Damit  ist  die  ausschlaggebende  Bedeutung  der 
Dotterverteilung  für  den  Verlauf  der  Furchung  sicher  erwiesen. 

Die  Bedeutung  des  Experimentes  liegt  also  darin,  dass  es  in 
bestimmter  Weise  gerichtet  ist,  dass  es  einen  bestimmten 
Faktor  der  Entwicklung,  der  schon  durch  die  Beobachtung  auffiel, 
umändert  resp.  ausschaltet.  Planlos  angestellte  Experimente  dagegen, 
wie  sie  bei  dem  Anschwellen  der  neuen  Richtung  ebenfalls  vorkommen, 
werden  in  ihrer  Bedeutung  für  die  kausale  Erkenntnis  der  Ent- 
wickelungsvorgänge  noch  hinter  der  einfachen  Beobachtung  zurück- 
bleiben. Vielfach  haben  auch  die  planmässigen  Experimente  dazu 
geführt,  die  vorherige  Fragestellung  ganz  zu  verändern  und  neue 
Probleme  aufzustellen,  an  die  man  vorher,  ohne  experimentellen  Ein- 
griff gar  nicht  gedacht  hatte. 


III.  Kapitel. 

Die  Möglichkeiten  des  Experimentierens.         Äussere  und  innere 

Faktoren  der  Entwickelung. 

Eingriffe    an    der    Umgebung    des    Entwickelungs  -  Objekts    und    am    Objekt    selbst. 
Äussere,    innere    und  „spezifische"   Faktoren  der  Entwickelung    und  deren  ungleiche 

Bedeutung  für  den  Entwickelungsverlauf. 

Die  bisher  erwähnten  Beispiele,  sowohl  von  »Naturexperimenten«, 
wie  von  bewusst  angestellten  Eingriffen,  sind  mit  Absicht  doppelt 
gewählt  worden,  um  von  vornherein  auf  die  zwei  verschiedenen 
Möglichkeiten  hinzuweisen,  die  das  Experiment  in  der  Embryologie 
einschlagen  kann.  Dasselbe  kann  sich  erstens  auf  die  Umgebung 
des  sich  entwickelnden  Objekts  erstrecken,  auf  die  äusseren  Faktoren 
oder  Vorbedingungen  der  Entwickelung,  zweitens  auf  das  sich  ent- 
wickelnde Objekt  selbst.  Man  kann  im  ersten  Fall  beispielsweise  die 
Temperatur  um  das  Entwiekelungsobjekt  verändern  oder  die  Wirkung 


10  III.  Kapitel.     Die  Möglichkeiten  des  Experimentierens. 

der  Schwerkraft  modifizieren,  oder,  wenn  es  sich  z.  B.  um  ein  Meerestier 
handelt,  die  chemische  Zusammensetzung  des  umgebenden  Seewassers 
variieren;  im  zweiten  Fall  kann  man  Teile  des  sich  entwickelnden 
Objekts  aus  ihrer  normalen  Lage  bringen,  so  z.  B.  den  Furchungs- 
y.ellen  andere  Lagebeziehungen  geben,  oder  man  kann  dieselben  ganz 
isolieren  und  einzeln  zur  Entwickelung  zu  bringen  suchen,  oder  man 
kann  mehr  oder  minder  entwickelte  Teilstücke  verschmelzen  und 
noch  vieles  andere. 

Für  die  Ermittelung  von  Gesetzlichkeiten  der  Entwickelung  sind 
beide  Klassen  von  Experimenten  verwendbar,  jedoch  von  sehr  ver- 
schiedener Bedeutung.  Die  Experimente  an  der  Umgebung  des 
Objekts  richten  sich  auf  die  äusseren  Faktoren  der  Entwickelung. 
Letztere  sind,  wie  man  sich  ausgedrückt  hat,  nur  Vorbedingungen, 
die  zwar  für  das  Entwickelungsgeschehen  als  solches  unerlässlich  sind, 
aber  keine  wirklich  gestaltende  Wirkung  ausüben.  Schon  ein  »Natur- 
experiment« beweist  dies.  Wir  sehen  im  selben  Meerwasser  zahlreiche 
Eier  sich  unter  den  gleichen  Bedingungen  von  Wärme,  Licht,  Salz- 
gehalt etc.  nebeneinander  entwickeln,  Eier,  die  sich  äusserlich  sogar 
sehr  ähnlich  sehen  können,  wie  z.  B.  die  verschiedener  Medusen  oder 
Echinodermen,  und  doch  entwickeln  sich  ganz  bestimmte  spezifische 
Tierformen  aus  den  einen  und  aus  den  andern. 

Noch  besser  wird  dies  durch  den  Verlauf  wirklicher  Experimente 
erläutert,  Man  kann  z.  B.  durch  Änderungen  der  Schwerkrafts- 
einwirkung oder  durch  Pressung  beim  Froschei  wohl  die  Lage  der 
ersten  Furchungsebenen,  überhaupt  den  Zellteilungsmodus,  verändern, 
aber  dennoch  entsteht  ein  regulärer  Embryo  der  betreffenden  Frosch- 
spezies. Oder  man  kann  durch  Temperaturerniedrigung  den  Ent- 
wicklungsgang verlangsamen  resp.  völlig  sistieren;  wenn  man  dann 
aber  wieder  die  geeigneten  Temperaturen  eintreten  lässt,  so  erfolgt 
die  Weiterentwickelung  zur  bestimmten  Art.  Wenn  wirklich  Ab- 
weichungen durch  Änderung  solch  äusserer  Faktoren  hervorgebracht 
werden,  so  sind  sie  teratologi scher,  nicht  formbildender  Natur. 
Man  kann  durch  Substituierung  von  Salzen  im  Meerwasser,  z.  B. 
indem  man  das  Natrium  der  verschiedenen  Salze  durch  Lithium  er- 
setzt, die  Entwickelung  der  Seeigel  wesentlich  beeinflussen  und  erhält 
dann  charakteristisch  veränderte  sog.  »Lithiumlarven«,  aber  diese 
sind  Lithiumlarven  der  betreffenden  Spezies. 

Im  Organismus  selbst,  und  schon  in  seinem  ersten  Stadium, 
dem  Ei,  müssen  also  die  »spezifischen  Ursachen«  für  den  Entwickelungs- 


Äussere  und  innere  Faktoren  der  Entwickelung.  1 1 

gang  gelegen  sein.  Wir  sagen  absichtlich  im  Organismus  und 
nicht  Ei  allein,  weil  wir  diesen  für  das  Wichtigere  und  Über- 
geordnete zu  halten  berechtigt  sind.  Dass  die  spezifischen  Ursachen, 
wie  Natur-  und  willkürliche  Experimente  lehren,  schon  im  Ei  enthalten 
sind,  ist  eine  notwendige  Folge  davon,  dass  die  Eizelle  auf  dieser  Stufe 
den  gesamten  Organismus  darstellt,  Die  Eizelle  als  solche  muss  also 
in  einer  für  uns  einstweilen  unbekannten  AYeise  eine  Beschaffenheit 
besitzen,  vermöge  deren  sie  Träger  der  Arteigenschaften  ist  und  die 
für  jede  Spezies  verschieden  sein  muss.  Ob  für  diese  Beschaffenheit 
auch  eine  besondere  innere  Struktur  des  Eies  anzunehmen  ist,  ist 
eine  Frage  eigener  Art,  die  ebenfalls  zum  Experiment  Anlass  bietet 
und  noch  besondere  Besprechung  finden  wird.  Ebenso  ist  es  fraglich, 
ob  die  ganze  Zelle  oder  nur  ihr  Kern  vermöge  der  unbekannten  Be- 
schaffenheit Träger  der  Arteigenschaften  ist.  Auch  hier  hat  wieder 
das  Experiment  zur  Entscheidung  wesentlich  beigetragen. 

Da  also  die  Eizelle  die  Fälligkeit,  oder  wie  gesagt  werden  könnte, 
die  Tendenz  in  sich  trägt,  bei  entsprechenden  äusseren  Vorbeding- 
ungen den  erwachsenen  Organismus  zu  liefern,  so  stellt  sich  der 
Entwicklungsgang  am  Objekt  selbst  dar  als  ein  »Sichtbarwerden  der 
vorher  unsichtbaren  Arteigenschaften«  (0.  Hertwig),  oder  als  ein 
Eintreten  »wahrnehmbarer  Mannigfaltigkeit«  (Roux).  Wie  dies 
jedoch  im  Entwickelungsgang  bewirkt  wird,  darüber  existieren  zwei 
ganz  entgegengesetzte  Theorien,  die  hier  eine  Darstellung  erfordern, 
sowohl  weil  sie  von  weiter  tragender  biologisch-philosophischer  Be- 
deutung sind,  als  auch,  weil  sie  in  besonders  reichem  Mafs  Veran- 
lassung zum  Experimentieren  gegeben  haben. 


12  IV.  Kapitel.     Die  Entwickelungstheorien  und 


IV.    Kapitel. 
Die  Entwickelungstheorien  und  deren  Anregungen  zum  Experiment. 

Die  evolutionistische  oder  Zerlegungstheorie  von  Weismann.  Qualitativ  ungleiche 
Kernteilung.  Mosaikarbeit  nach  Roux.  Die  epigenetische  Theorie  nach  0.  Hertwig. 
Driesch.  Vermittelungsmöglichkeit  zwischen  den  Extremen.  Die  entscheidende 
Bedeutung  des  Experiments  zwischen  den  Theorien.    Stoffeinteilung  des  vorliegenden 

Buches. 

Wenn  sich  der  Entwickekmgsgang,  ganz  allgemein  gesprochen, 
als  ein  Eintreten  wahrnehmbarer  Mannigfaltigkeiten  am  sich  ent- 
wickelnden Objekt  darstellt,  so  fragt  es  sich,  auf  welche  Weise  -  -  die 
Arteigenschaften  der  Zelle  immer  vorausgesetzt  -  -  diese  Mannigfaltig- 
keiten zu  Stande  kommen.  Nach  der  einen  Ansicht,  die  besonders 
von  Weis  mann  durchgeführt  worden  ist,  sind  die  Verschiedenheiten, 
die  während  des  Entwickelungsgangs  am  Objekt  auftreten  und  sich 
nach  und  nach  als  Anlage  besonderer  Bildungen  zu  erkennen  geben, 
schon  von  allem  Anfang  vorhanden,  nur  eben  noch  nicht  sichtbar. 
Die  verschiedenen  Qualitäten  sind  im  Ei  und  zwar  in  dessen  Kern 
vereinigt  und  werden  im  Lauf  der  Entwicklung  nur  zerlegt,  indem 
die  Qualitäten  für  vorn  und  hinten,  rechts  und  links,  für  die  ver- 
schiedenen Organs}rsteme  und  für  die  verschiedenen  Gewebsarten  auf 
die  verschiedenen  Zellen  resp.  Zellkerne  verteilt  werden.  Es  setzt 
dies  eine  qualitativ  ungleiche  Kernteilung  voraus,  trotzdem  wir  in 
der  Ontogenese  stets  quantitativ  genaue  Karvokinesen  eintreten  sehen 
(abgesehen  von  wenigen  für  Keimzellen  konstatierten  Fällen),  und 
ferner,  dass  die  Beschaffenheit  und  Leistung  einer  Zelle  von  ihrem 
Kern  beeinnusst  resp.  regiert  wird.  Wenn  sich  also  im  Lauf  der 
Ontogenese  gewisse  Zellen  oder  Zellgruppen  von  andern  unterscheiden 
und  nach  und  nach  zu  besonderen  Organen  etc.  werden,  mit  anderen 
Worten,  wenn  »D  i  f  f  e r  e  n  z  i  e  r  u  n  g  e  n«  eintreten,  so  hätten  wir  eine 
durch  das  Wesen  der  Zellen  selbst,  durch  die  Beschaffenheit  ihres 
Kerns  begründete  Verschiedenheit,  eine  »Selbstdifferenzierung«  vor 
uns.  Die  ersten  Stadien  der  Ontogenese,  die  Zerlegung  des  Eies  in 
eine  Anzahl  von  Zellen,  die  Furchung,  hätte  dann  schon  eine  für  das 
erwachsene  Tier  bestimmende  oder  »determinierende«  Bedeutung; 
jede  Zelle  wäre  ein  Baustein  mit  festgelegtem  Schicksal  und  die 
Furchung  demnach,  nach  Roux 's  treffendem  Ausdruck,  »Mosaik- 
Arbeit«. 


deren  Anregungen  zum  Experiment.  13 

Eine  völlig  entgegengesetzte  Ansicht  vom  Wesen  des  Entwicke- 
lungsprozesses  wird  von  O.  Hertwig,  Driesch  (bis  1900)  u.  A. 
vertreten.  Danach  sind  die  Mannigfaltigkeiten,  die  im  Lauf  der  Ent- 
wickelung  immer  mehr  hervortreten,  nicht  von  allem  Anfang  an 
vorhanden,  sondern  werden  erst  durch  den  Entwicklungsgang 
selbst  erzeugt.  Schon  durch  den  Vermehrimgsprozess  an  und  für 
sich  werden  immer  zahlreichere  und  verwickeitere  Beziehungen 
zwischen  den  einzelnen  Zellen  untereinander  und  mit  dem  Ganzen 
hervorgebracht;  es  ergeben  sich  neue  und  verschiedenartige  Be- 
rührungsflächen und  freie  Flächen  u.  s.  w.,  kurz,  die  Zellen  geraten 
unter  ungleiche  Bedingungen,  räumlich  und  zeitlich  (0.  Hertwig). 
Eine  besondere  Art  der  Kernqualitäten  für  die  verschiedenen  Zellen, 
eine  qualitativ  ungleiche  Teilung  wird  hierbei  nicht  angenommen, 
sondern  jede  Zelle,  auch  in  ihrer  weitgehendsten  Differenzierung,  ist 
mit  ihrem  Kern  Trägerin  der  gesamten  Arteigenschaften.  Wenn 
also  im  Lauf  der  Entwickelung  sich  Verschiedenartigkeiten  unter 
den  Zellen  und  Zellgruppen  geltend  machen,  »Differenzierungen« 
eintreten,  so  sind  diese  durch  die  verschiedenen  Verhältnisse  bedingt, 
in  die  die  Zellen  geraten  sind:  wir  haben  eine  »abhängige  Diffe- 
renzierung« vor  uns.  Auf  die  ersten  Stadien  des  Entwickelungs- 
prozesses  angewandt,  bedeutet  dies:  die  Furchimg  ist  nur  eine  einfache 
Zellteilung,  eine  Verkleinerung  des  Eies  in  gleichwertige  Stücke,  denen 
für  den  erwachsenen  Zustand  keine  besondere  Bestimmung  zukommt, 
Oder  anders  ausgedrückt,  das  Schicksal,  »die  prospektive  Bedeutung«  der 
einzelnen  Blastomere  ist  eine  Funktion  ihrer  Lage  im  Ganzen  (Driesch). 

Es  ist  einleuchtend,  dass  zwischen  diesen  beiden  grundver- 
schiedenen Ansichten  das  Experiment  eine  gewisse  Entscheidung 
treffen  resp.  vermitteln  kann.  Wenn  man  ein  Ei  im  zweiteiligen 
Stadium  halbiert  und  mit  Sorgfalt  zur  Weiterentwickelung  bringt,  so 
wird  bei  Richtigkeit  der  ersten  Ansicht  von  der  Selbstbestimmung 
der  Zellen  daraus  nur  ein  halber  Embryo  hervorgehen;  bei  Richtig- 
keit der  zweiten  Ansicht  von  der  Zerlegung  in  gleichwertige  Stücke 
wird  eine  verkleinerte  Ganzbildung  entstehen.  Dieses  nicht  ganz 
einwandsfreie  Raisonnement  (s.  u.  pag.  32)  hat  den  ersten  Anlass  zu 
den  zahlreichen  Experimenten  über  die  Eifurchung  gegeben,  die  von 
Roux  am  Froschei  inauguriert  und  dann  an  diesem  Objekt  sowohl, 
wie  in  vielen  anderen  Tiergruppen  mittelst  der  verschiedenartigsten 
Technik  angestellt  wurden. 

Es  muss  gleich  gesagt  werden,  dass  die  Ergebnisse  dieser  Experi- 
mente zu  keiner  generellen  Übereinstimmung  geführt  haben,  sondern 


14  IV.  Kapitel.     Die  Eutwickelungstheorien  und 

dass  zwischen  einzelnen  Tiergruppen  sowohl  wie  zwischen  einzelnen 
Stadien  derselben  Tierform  recht  beträchtliche  Unterschiede  in  der 
Gleichwertigkeit  der  Zellen  bestehen.  Man  könnte  annehmen,  dass 
dies  auf  einer  schrittweisen  Einengung  der  Tätigkeit  der  Blasto- 
meren beruht,  so  dass  die  Ontogenie  mit  fortschreitender  Furchung 
mehr  und  mehr  den  Charakter  der  Mosaikarbeit  annimmt  (Wilson), 
oder,  es  könnte  sein,  dass  hierin  die  ersten  allgemeinen  Stadien 
der  Ontogenese  sich  prinzipiell  von  den  späteren  der  Organ- 
bildung unterscheiden,  dass  also  die  erste  Herstellung  der  Anlage 
eines  Organs  durch  abhängige  Differenzierung  bewirkt  werde,  die 
weitere  Ausbildung  desselben  dagegen  auf  Selbstdifferenzierung  be- 
ruhe (D  r  i  e  s  c  h  ,  H  e  i  d  e  r).  Aber  auch  dies  erscheint  bei  ver- 
schiedenen Tiergruppen  verschieden,  so  dass  die  Frage  vielleicht  gar 
nicht  generell  gestellt  werden  darf,  und  das  ganze  Problem 
anders  formuliert  werden  muss.  Diese  weiteren  Fragen  sollen  noch 
ausführliche  Erörterung  finden,  wenn  wir  von  dem  reichen  Tatsachen- 
material von  Experimenten  Kenntnis  genommen  haben,  das  in  fast 
allen  Tiergruppen  gewonnen  worden  ist. 

Es  erscheint  danach  nicht  geraten,  die  beiden  erörterten  theo- 
retischen Richtungen  mit  den  Schlagwörtern  Evolution  und  Epigenese 
zu  bezeichnen ;  diese  haben  in  der  Geschichte  der  Entwickelungslehre 
früherer  Jahrhunderte  einen  andern  und  viel  schrofferen  Sinn  gehabt, 
indem  die  Evolutionisten  in  der  Entwickelung  nur  ein  »Aufrollen«, 
Grösserwerden  von  schon  in  der  betreffenden  Gestalt  Vorhandenem 
erblickten,  die  Epigenetiker  dagegen  eine  völlige  Neubildung  an  einem 
vorher  unorganisierten  Stoff.  Die  obengenannte  sog.  evolutionistische 
Richtung  von  Weismann  und  Roux  nimmt  keineswegs  an,  dass 
die  im  Keim  vorausgesetzten  Mannigfaltigkeiten  bereits  eine  bestimmte 
Form  zeigen,  ebensowenig,  wie  die  sog.  epigenetische  verkennt,  dass 
die  Eizelle  eine  Organisation  besitzt.  Ja,  die  Gegensätze  sind  noch 
weiter  überbrückt.  Auch  diejenigen  Epigenetiker,  die  im  ganzen 
Entwicklungsgang  nur  eine  abhängige  Differenzierung  sehen,  rechnen 
mit  den  im  Organismus  der  Zelle  enthaltenen  Faktoren;  »denn  die- 
selben spielen  ja  schliesslich  bei  allem,  was  im  Organismus  geschieht 
die  Hauptrolle.«  (O.  Hertwig.)  Und  auch  die  »Neoevolutionisten« 
können  nicht  verkennen,  dass  im  Entwicklungsgang  selbst  gegebene 
Beziehungen  der  Teile  untereinander  wie  zum  Ganzen  auf  das 
Schicksal  der  Teile  resp.  der  Zellen  bestimmend  einwirken,  so  dass 
nach  Roux  selbst  das  Wirken  einer  abhängigen  oder  korrelativen 
Differenzierung  neben  der  Selbstdifferenzierung  möglich  ist. 


deren  Anregungen  zum  Experiment. 


15 


Praktisch  ergibt  sich  für  uns  hieraus  die  Notwendigkeit,  die 
inneren,  am  Objekt  selbst  zu  ermittelnden  Ursachen  schärfer  zu 
sondern  und  ausser  den  spezifischen  Ursachen  innere  Ursachen 
im  engeren  Sinn  zu  unterscheiden,  d.  h.  solche,  die  nicht  schon 
im  Ei  vorhanden,  sondern  sich  aus  Beziehungen  zwischen  den  ein- 
zelnen Teilen  erst  während  der  Entwickelung  ergeben.  In  der  Eizelle 
sind  sie  als  solche  noch  nicht  vorhanden,  resp.  von  den  spezifischen 
Ursachen  nicht  trennbar,  auch  auf  frühen  Stadien  des  Entwicklungs- 
prozesses oft  nur  schwer  zu  erkennen,  werden  aber  dann  immer 
deutlicher  wirksam  und  sind  im  erwachsenen  Zustand  als  Bezieh- 
ungen zwischen  einzelnen,  auch  entfernten  Teilen  des  Organismus 
schon  lange  bekannt  und  als  »Korrelationen«  beschrieben. 

Aus  dieser  Unterscheidung  von  1.  spezifischen,  '2.  inneren 
und  3.  äusseren  Ursachen  des  Entwickelungsprozesses  ergibt  sich 
auch  eine,  allerdings  etwas  gewaltsame  Einteilung  unseres  Stoffes. 
Es  werden  zunächst  die  Experimente  an  Blastomeren,  also  frühen 
Furchungsstadien  zu  besprechen  sein.  Diese  betreffen  sowohl  spezi- 
fische wie  innere  Ursachen,  führen  aber  auch  zu  weiteren  Problemen 
und  stellen  ein  besonderes  Gebiet  dar,  in  das  auch  noch  gewisse  Experi- 
mente an  späteren  Entwickelungsstadien  einzuschliessen  sind.  Diesem 
Gebiet  reihen  sich  auch  die  Versuche  über  Regeneration  beim  Er- 
wachsenen an.  nicht  etwa,  als  ob  die  Vorgänge  nach  Blastomeren- 
entnahme  ebenfalls  als  Regeneration  anzusehen  wären,  sondern  weil 
bei  der  Regeneration  dieselben  Probleme  in  Frage  kommen,  einerseits 
die  Wirkung  der  spezifischen,  im  Zellmaterial  selbst  liegenden  Faktorei 
und  die  Möglichkeit  einer  Selbstdifferenzierung,  andererseits  die  inneren) 
Faktoren,  die  durch  die  Lage  des  Regenerats  im  ganzen  gegeben  sind, 
also  die  abhängige  Differenzierung.  Es  wird  dann  versucht  werden, 
in  diese  Wirkung  des  Geizen  auf  die  Teile,  der  Teile  auf  einander, 
also  in  die  inneren  Faktoren,  eine  Einsicht  zu  gewinnen,  indem  sie 
zunächst  am  Erwachsenen  betrachtet  werden.  Das  Studium  dieser 
Korrelationen  führt  zu  den  Reizwirkungen,  die  von  Teil  zu  Teil,  sowohl 
direkt,  als  auch  indirekt  durch  die  Funktion  ausgeübt  werden.  Dabei 
wird  die  Roux'sche  Anschauung  von  der  funktionellen  Anpassung 
und  die  Herb  st 'sehe  Theorie  der  formativen  Reize  Erörterung  finden. 
Vom  erwachsenen  Zustand  wird  dann  in  der  Ontogenese  rückwärts 
gegangen  und  dann  an  die  früher  erörterten  inneren  Faktoren,  also 
die,  welche  sich  durch  den  Entwicklungsgang  selbst  ergeben,  auf 
Grund  der  Reiztheorie  angeknüpft  und  so  der  Anschluss  an  die 
Experimente    in   Furchungs-   und    späteren   Stadien    hergestellt.     Bei 


^ 


16      IV.  Kap.    Die  Entwicklungstheorien  u.  deren  Anregungen  zum  Experiment. 

der  allgemeinen  Fassung,  die  man  dem  Begriff  »Reiz«  geben  kann, 
lassen  sich  hier  diejenigen  Wirkungen  anreihen,  die  nach  Änderung 
der  äusseren  Ursachen,  also  der  Umgebung  des  Objekts  eintreten. 
Diese  äusseren  Faktoren  müssen  aber,  da  die  zahlreichen  Experimente 
zu  anderen  Fragen  und  Disziplinen  in  Beziehung  stehen,  gesondert 
behandelt  werden. 

Die  vielfachen  Einflüsse,  die  die  entwickelungsphysiologischen 
Experimente  auf  allgemein  biologische  Fragen  wie  Keimblätterlehre, 
Deszendenztheorie,  das  Lebensproblem  gehabt  haben,  sollen  dagegen, 
um  Theoretisieren  zu  vermeiden,  nicht  in  einem  eigenen  Abschnitt, 
sondern  jeweils  im  Anschluss  an  die  betreffenden  Tatsachen  kurz 
erörtert  werden. 


Praktische  Vorbemerkungen . 


V.   Kapitel. 

Die   verschiedenen  Phasen   und  Arten  der  Entwickelung  in  ihrer 

Beziehung  zum  Experiment. 

Sonderung  des  Entwickelungsverlaufs  in  Einzelprozesse.    Terminologie.    Direkte  und 

larvale   Entwickelung.     Technik    des   Eingriffs.     Bevorzugte    Objekte :    das    Froschei 

und  das  Seeigelei  und  deren  normale  Entwickelung. 

Bei  allen  Eingriffen  in  den  normalen  Gang  der  Entwickelung, 
mögen  dieselben  an  den  äusseren  Bedingungen  oder  am  Objekt  selbst 
stattfinden,  ist  die  Entwickelungs  p  h  a  s  e ,  in  der  das  Objekt  gerade 
steht,  von  grosser  Bedeutung  für  den  Verlauf  des  Experiments.  Es 
sind  daher  einige  Vorbemerkungen  über  die  verschiedenen  Stadien 
zu  machen,  welche  in  jeder  Entwickelung  unterschieden  werden 
können.  Vom  Standpunkt  der  reinen  Entwiekelungsphysiologie,  die 
jedes  Stadium  als  notwendige  Folge  des  vorhergehenden  zu  begreifen 
sucht,  ist  eine  solche  Scheidung  eine  künstliche  zu  nennen;  dennoch 
aber  macht  sich  in  jedem  Entwicklungsgang  eine  solche  Scheidung 
in  aufeinander  folgende  Einzelprozesse  nach  besonders  markanten 
Stadien  bemerkbar,  ob  man  darin  einfach  einen  »Entwickelungs- 
rhythmus«  oder  einen  Hinweis  auf  die  Stammesgeschichte  sieht,  und 
schon  aus  praktischen  Gründen,  um  eine  kurze  Terminologie  für 
einzelne  Zeitpunkte  der  Entwickelung  zu  gewinnen,  müssen  sie  unter- 
schieden werden. 

Die  erste  Phase  ist  notwendigerweise  eine  fortschreitende  Zell- 
teilung, die  Zerlegung  des  Eis  in  einzelne  Teilstücke,  die  sogenannte 
Furchung,  ein  Ausdruck,  der  noch  aus  der  Zeit  herrührt,  bevor 
die  Zellenlehre  aufgestellt  war.  Das  Ende  dieses  ersten  Abschnittes 
ist  schwer  zu  definieren,  da  es  sich  mit  den  Anfängen  des  zweiten 
durchdringt,  und  ist  in  verschiedenen  Tiergruppen  früher  oder  später 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwicklungsgeschichte.  2 


18  V.  Kapitel.     Die  verschiedenen    Phasen    und  Arten  der 

zu  legen.  Es  wird  als  Keimblasenstadium  oder  Blastula  bezeichnet, 
ein  Name,  der  indifferent  auch  da  anzuwenden  ist,  wo  keine  Blasen- 
form vorliegt . 

Die  /.weite  Periode  kennzeichnet  sich  durch  die  Anordnung  des 
gefurchten  Materials  in  verschiedene  Schichten,  die  sog.  Keimblätter, 
eine  Bezeichnung,  die  ebenfalls  aus  einer  Zeit  lange  vor  Entdeckung 
der  Zelle  stammt,  da  man  das  Blatt  als  ein  Ganzes  ansehen  musste  und 
wo  man  vom  Hühnchen  her  die  Anlage  nur  in  blattförmig  ausgebreiteter 
Gestalt  kannte.  Diese  Schichten,  die  sonst  übrigens  in  den  seltensten 
Fällen  die  Form  von  Blättern  haben,  zeigen  zu  einander  wie  zur 
Aussenwelt  verschiedene  Lagebeziehungen  und  werden  als  äusseres 
Keimblatt,  Ectoderm,  und  inneres  Keimblatt,  En toder m,  unter- 
schieden. Das  betreffende  Stadium  heisst  mit  einem  für  uns  in- 
differenten Namen  Gastrula.  Schon  vor  dessen  Erreichung  kann 
sich  eine  mittlere  Schicht,  Me  so  denn,  anlegen,  sei  es  in  einzelnen 
Zellen  zwischen  die  ersten  beiden  Schichten  wandernd  und  dann  als 
Mesenchym  bezeichnet,  sei  es  als  Ganzes  Schicht-  resp.  blattartig  sich 
abhebend.  Wenn  man  in  der  Entwickelung  einfach  eine  Folge  von 
Vorgängen  zur  Erreichung  des  fertigen  Zustandes  sieht,  so  sind  diese 
verschiedenen  Schichten  nur  eine  Vorbereitung  der  nunmehr  folgenden 
Anordnung  des  Zellmaterials  für  die  verschiedenen  Organsysteme. 
Als  selbständiger  Komplex  kann  eine  Summe  von  solchen  Organ- 
anlagen noch  vor  der  Organdifferenzierung  auftreten,  »zusammen- 
gesetzte Primitivanlage«  ;  diese  kann  mit  dem  zusammenfallen,  was 
wir  Keimblatt  nennen,  braucht  es  aber  nicht  zu  tun  (Meisenheimer). 
Ebenso  können  umgekehrt  die  Anlagen  eines  und  desselben  Organ- 
systems in  topographisch  verschiedenen  Schichten  stehen.  Es  wird 
uns  der  Keimblattbegriff  noch  nach  Kenntnisnahme  von  Experimenten 
zu   beschäftigen  haben  (s.  p.  97  und  112). 

Das  folgende  Stadium  ist  das  der  Organbildung  und  zwar  müssen 
wir  hier  die  blosse  Anlage,  die  organologische  Sonderung,  und 
die  weitere  Ausbildung  bis  zum  geweblich  differenzierten  Zustand,  die 
histologische  Sonderung,  trennen.  Diese  Unterscheidung  ist 
mit  der  Roux 'sehen  vom  embryonalen  Leben,  der  organ b i  1  d enden 
Periode,  im  Gegensatz  zum  funktionellen  Leben  nicht  ganz  identisch, 
sondern  es  fallen  die  organologische  und  histologische  Sonderung 
meistens  noch  beide  unter  den  Roux 'sehen  Begriff  des  embryonalen 
Lebens.  Nur  in  den  wenigsten  Fällen  wird  nach  Sonderung  des 
Zellmaterials  die  Funktion  allmählich  einsetzen  und  damit  die  histo- 
logische Ausprägung  Hand  in  Hand  gehen;  meistens  wird  die  histo- 


Entwickelung  in  ihrer  Beziehung  zum   Experiment.  19 

logische  Ausprägung  schon  sehr  weit  gediehen  sein,  ehe  die  Funktion 
eintritt  und  eintreten  kann.  Für  die  Betrachtung  von  gestaltenden 
Wirkungen  der  Funktion  in  der  Ontogenese  und  die  hierher  ge- 
hörigen Experimente  ist  dies  von  Wichtigkeit. 

Am  weitesten  ist  die  gewebliche  Ausprägung  vor  Einsetzen  der 
Funktion  bei  denjenigen  Tieren  gediehen,  die  sich  innerhall)  des 
mütterlichen  Körpers  entwickeln,  also  bei  der  sog.  direkten  oder 
zusammengedrängten  Entwickelungsweise,  während  bei  Tieren,  die 
schon  in  sehr  frühen  Stadien  oder  sogar  schon  vom  Ei  an  frei 
werden  und  ihre  Lebenstätigkeiten  ausüben  müssen,  die  Funktion  so 
früh  wie  möglich  eintreten  wird.  Allerdings  ist  dieselbe  dann  meist 
weder  qualitativ  noch  quantitativ  der  beim  Erwachsenen  gleich,  wie 
denn  im  Jugendstadium  auch  meist  sich  besondere  Formausprägungen 
geltend  machen,  die  vom  Erwachsenen  verschieden,  wieder  rückgängig- 
gemacht  werden.  In  diesem  Fall  ist  noch  eine  weitere  Phase  der 
Entwickelung,  das  Larvenleben,  zu  unterscheiden.  Dies  wird 
immer  dann  eintreten,  wenn  die  Jugendstadien  unter  anderen 
äusseren  Bedingungen  leben  wie  die  Erwachsenen.  Diese  äusseren 
Verhältnisse  zeigen  sehr  mannigfache  Abstufungen  der  Verschieden- 
heit, so  z.  B.  bei  Larven  und  Imagines  der  Insekten  oder  bei  den 
Amphibien;  bei  vielen  Meerestieren  z.  B.  Echinodermen  bestehen  die 
Verschiedenheiten  darin,  dass  die  Jugendstadien  eine  sehwebende, 
planktonische  Lebensweise  führen,  die  Erwachsenen  dagegen  am 
Grund  sitzen  oder  kriechen.  Die  Jugendzustände  bilden  dabei  ver- 
schiedene Vorrichtungen  für  diese  schwebende  Lebensweise  aus,  die 
nachher  wieder  eingehen.  Bei  der  Betrachtung  etwaiger  gestalten- 
der Wirkungen  der  äusseren  Bedingungen  sind  solche  larvalen, 
adaptiven  Formverhältnisse  von  denen  der  eigentlichen  Organisation 
begrifflich  zu  unterscheiden ;  dies  ist  z.  B.  bei  der  Verwertung  der 
Herb  st 'sehen  Befunde  über  die  Einwirkung  äusserer  Bedingungen 
an  Seeigellarven  wohl  zu  berücksichtigen.  Auch  ist,  was  Larven  und 
Larvencharakter  genannt  wird,  in  verschiedenen  Tiergruppen  nicht 
immer  dasselbe  und  bei  der  Deutung  von  Experimenten  auseinander 
zu  halten. 

An  Tieren  mit  sog.  direkter  Entwickelung  ist  im  allgemeinen 
weniger  Gelegenheit  zum  experimentellen  Eingriff  geboten.  Wenn 
sie  sich  innerhalb  einer  festen  Hülle  entwickeln,  so  kann  wenigstens 
noch  Veränderung  der  äusseren  Faktoren,  wie  der  Temperatur,  ein- 
wirken, z.  B.  bei  Vogeleiern ;  der  Eingriff  am  Objekt  selbst  ist  da- 
gegen   wesentlich    erschwert.      Nahezu    oder    ganz    unmöglich    wird 


20  V".   Kapitel.     Die  verschiedenen  Phasen   und  Arten  der 

derselbe,  wenn  die  Entwickelung  vollständig  innerhalb  des  mütterlichen 
Körpers  vor  sich  geht,  wie  bei  Säugetieren.  Immerhin  sind  auch  bei 
deren  schon  geborenen  Jungen  nicht  alle  Organsysteme  voll  ent- 
wickelt: ein  wichtiges  System,  die  Geschlechtsorgane  und  was  mit 
ihnen  zusammenhängt,  sind  noch  weit  zurück  und  hier  ist  in  der 
Tat  noch  Gelegenheit  zu  sehr  wichtigen  Eingriffen  gewesen  (s.  p.  136). 

Im  ganzen  wird  sich  aber  die  experimentelle  Embryologie  an 
solche  Objekte  halten,  die  in  jeder  Phase  einen  Eingriff  gestatten, 
also  an  die  mit  freier,  meist  larvaler  Entwickelung,  wie  sie  in  allen 
Tiergruppen  in  einzelnen  Vertretern  vorkommen.  Einige  dieser 
Objekte  werden  aber  ganz  besonders  bevorzugt,  sind  sozusagen  zu 
»Versuchskaninchen  der  Entwickelungsphysiologie«  geworden,  nämlich 
das  Frosch  ei  und  Seeigele  i.  Es  spielen  hierbei  zunächst  rein 
äusserliche  Gründe  mit,  nämlich  dass  Material  von  beiden  in  ver- 
schiedenen Spezies  leicht  und  in  grosser  Menge  erhalten  werden 
kann,  sowie  dass  die  normale  Entwickelung  hier  aufs  beste  bekannt  ist. 
Ausserdem  sind  aber  auch  innere  Gründe  mafsgebend,  die  den  Ent- 
wickelungsgang  bei  diesen  Formen  dem  Experiment  und  das  Experi- 
ment der  Deutung  zugänglicher  machen. 

Das  Froschei  ist  von  ansehnlicher  Grösse  (bei  Rana  fusca 
von  etwa  1,5  mm  Durchmesser)  und  besitzt  eine  ziemlich  reichliche 
Einlagerung  von  Dottermaterial  in  Form  kleiner  Plättchen  besonders 
nach  dem  vegetativen  Pol  zu.  Dadurch  werden  die  Teilstücke  der 
Furchung  am  animalen  Pol  merklich  kleiner  und  zahlreicher  als  am 
vegetativen  (vergl.  Fig.  2 — 4) ;  jedoch  ist  der  Unterschied  nicht  so 
beträchtlich,  dass  es  zur  Bildung  einer  gesonderten  kleinen  und 
schwer  angreifbaren  Keimscheibe  käme,  sondern  noch  das  ganze  Ei 
tritt  in  Furchung  ein.  Eine  sehr  starke  braune  Pigmenteinlagerung 
kennzeichnet  die  animale  Seite  bis  weit  nach  der  vegetativen  Seite 
hin;  diese  selbst  bleibt  rein  weiss.  Die  Gastrulaeinstülpung  rindet 
an  einer  schon  dadurch  leicht  kenntlichen  Stelle  (Fig.  5  w),  am  Über- 
gang der  animalen  in  die  vegetative  Hälfte,  der  sog.  Randzone  statt. 
Damit  ist  dann  auch  die  Richtung  für  die  Chorda  gegeben  und  ferner 
die  Lage  für  Rückenrinne  und  Hirnplatte.  Dies  schafft  Verhältnisse, 
die  bei  und  nach  einem  Eingriff  gut  zu  übersehen  sind.  Auch  der 
allmähliche  Schluss  des  Nervenrohrs,  der  Zusammenhang  mit  dem 
Urmund  ist  in  dieser  Hinsicht  für  den  Experimentator  von  Bedeutung, 
ebenso  wie  das  ausgezeichnete  Heilungsvermögen,  das  noch  auf 
späteren  Stadien  ausgeschnittene  Stücke  besitzen. 

Das  Seeigelei  (verschiedener  Spezies)  ist  klein  und  verhältnis- 
mässig durchsichtig ;  es  lässt  daher  vieles  schon  im  Leben  ohne  Auf- 


Fig.  2. 


Entwickelung  in  ihrer  Beziehung  zum  Experiment.         .  21 

Fig.  3.  Fig.  4. 


Fig.  2,  3,  4.     Normale  Furchung    des   Froscheis   {Bona  fusca).     Nach  0.    Schultz e. 
Fig.  2.     Einschneiden  der  ersten  Furche.    Ei  in  der  Ansicht  von  vorn. 
Fig.  3.     Ei  in  normaler  Acht-teilung  (dritte  Furche)     Ansicht  von  vom. 


Fig.  4.     Vorgeschrittene  Teilung.     Ansicht  von  hinten. 


Fig.  5. 


Fig.  6. 


m 


Fig.  5  Sagittalschnitt  des  Ei  nach  beendeter  Furchung  mit  beginnender  Urmund- 
einstülpung  (»),  Furchungshöhle  (f)  (nach  0.  Schultze). 

Fig.  6.  Kückenfläche  eines  normalen  Froschembiyos  mit  noch  auseinanderstehenden 
Medullarwülsten  Im)  nach  Koux. 


Fisr.  7. 


Fie:.  8. 


in 


m 
P 


Fig.  7.     Ahgefurchtes     Seeigelei     (Strongylocentrotus    Jiridus)     nach    Boveri.       Die 

Polarität  spricht  sich  im  Pigmentring  Qj)  aus. 
Fig.  8.     Schnitt    durch    ein   späteres  Stadium    (nach  Boveri).      Bildung  des  primären 

Mesenchyms  {m)  aus  den  unpigmentierten  Zellen  des  vegetativen  Pols. 


•22  V.  Kapitel.     Die  verschiedenen  Phasen  und  Arten  der  Entwicklung. 


hellungs-  und  Färbungsmittel  sehen  und  nach  einem  Experiment 
kontrolieren.  An  der  Blastula  mit  weitem  Hohlraum  macht  sich  eine 
Einwanderung  von  Mesenchynizellen  ins  Innere  bemerkbar,  die  bald 
eine  charakteristische  Anordnung  einnehmen.  Die  primäre  Urdarm- 
einstülpung  ist  zeitlich  gesondert  von  dem  folgenden  Prozess  der 
Abspaltung  von  Wassergefässsystem  und  Leibeshöhle.  Besonders  be- 
merkenswert sind  die  Larvenanhänge,  die  durch  Skeletstäbe  aus 
kohlensaurem  Kalk  gestützt  werden  und  bei  den  einzelnen  Spezies 
eine  charakteristische  Form  haben.  Diese  Kalkstäbe  entwickeln  sich 
sehr  früh ;  es  lassen  sich  also  an  ihnen  leicht  Einwirkungen  erkennen, 
besonders  nach  Änderung  der  chemischen  Zusammensetzung  des 
Meerwassers ;  ausserdem  geben  sie  durch  Zahl  und  Anordnung  einen 
Anhalt  zur  Beurteilung  der  Individualität  bei  Halb-,  Viertel-  und 
Doppelbildungen  etc.  Auch  die  Weiterentwickelung  bietet  durch  die 
frühe  Ausprägung  des  Wassergefässsystems  und  dessen  Dreiteilung 
gut  zu  übersehende  Verhältnisse. 


Fi?.  9. 


Fig.  10. 


-'h—ha 


w 


IV 


Fig.  9  u.  10.     Normale  Pluteuslarven  von  Echinus  microtitherciilatii*  nach  Seeliger. 
Fig.     9.     Nach  2  Tagen  Prohlansicht. 

Fig.  10.     Nach  4  Tagen,  Ansicht  von  vorn.     Tca  =  Kalkstäbe,  m  =  Mesen- 
chynizellen, iv  =  Winiperschnur  an  den  Armen,  d  —  Darm. 

So  sind  diese  beiden  Objekte  zum  Experiment  besonders  taug- 
lich, und  wenn  auch  natürlich  nach  und  nach  sehr  zahlreiche  und 
verschiedenartige  Tiergruppen  zur  Verwendung  kamen ,  so  haben 
doch  bei  Aufstellung  neuer  Fragen  Froschei  und  Seeigelei  stets 
wieder  zuerst  herhalten  müssen. 


Darstellung  der  Experimente. 


A.   Spezifische   und  innere  Faktoren   der 

Entwickelung. 


VI.  Kapitel. 
Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 

A.    Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation. 

Historisches.  Isolierung  und  Verlagerung  der  Blastomeren.  Experimente  an  See- 
ige leiern  bis  zur  animal-vegetativen  .Scheidung.  Prinzipieller  oder  gradueller 
Unterschied?  Experimente  an  Amphibieneiern.  (Gegensätzliche  Resultate  und 
deren  Deutung.  Wichtigkeit  der  plasmatischen  Substanzen  und  ihrer  Verteilung. 
Die  Begriffe  der  prospektiven  Bedeutung  und  der  prospektiven  Potenz. 

Den  Experimenten  an  Furchungsstadien  kommt,  wie  schon  ein- 
leitend erörtert,  eine  besondere  Bedeutimg  zu,  insofern  als  sie  mit 
prinzipiellen  Fragen  und  Theorien  der  Entwickelungsgesehiehte  nahe 
verknüpft  sind.  Wenn  während  des  Entwickelungsganges  die  im  Ei 
vorhandene  Erbmasse  nach  Qualitäten  auf  die  verschiedenen  Zellen 
verteilt  wird,  so  wird  ein  Teilstück,  ein  Elastomer,  wenn  es  isoliert 
wird,  weil  nur  mit  begrenzten  Fähigkeiten  ausgestattet,  nur  einen 
bestimmten  Teil  (x  2,  14  etc.)  des  Embryo  liefern  können.  Wenn 
aber  alle  Zellen  zunächst  gleichwertig  sind,  und  das  Schicksal  der- 
selben nur  durch  die  Lage  bestimmt  wird,  so  muss  sich  ein  isoliertes 
Blastomer,  weil  es  sich  ja  dann  nicht  in  Beziehung  zur  Xachbarhälfte 
resp.  zu  Xachbarzellen  entwickelt,  sondern  allseitig  frei  als  Ganzes, 
zu  einem  ganzen,  nur  verkleinerten  Embryo  ausbilden.  Ferner  muss 
bei  Richtigkeit  dieser  Ansicht  die  Lage  der  Teilstücke  zu  einander 
wesentlich  verschoben  werden  können,  ohne  dass,  wenn  sie  wirklich 
gleichwertig  sind,  eine  Abnormität  als  Endresultat  eintritt.  Man  hat 
also  zweierlei  Methoden  um  die  Wertigkeit  der  Blastomeren  zu  prüfen; 
man  kann  sie  1)  isolieren,  entweder  einzeln,  im  2.,  4.  und  mehrteiligen 


2  I  VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 

Stadium  oder  in  Gruppen  (I  s  o  1  i  e  r  u  n  g  s  e  x  p  e  r  i  m  e  n  t  e)  oder  2)  man 
kann  ihre  gegenseitige  Lage  ändern,  ihren  Verband  lockern  (Ver- 
lagerungsexperimente). Da  die  ersteren  Versuche  wegen  der 
dem  Organismus  zukommenden  Ergänzungsfähigkeit  öfters  sehr  ver- 
schiedenartigen Deutungen  ausgesetzt  ist,  so  bildet  die  zweite  eine 
notwendige  Ergänzung  dazu. 

Solche  Isolierungsexperimente  können  in  einzelnen  seltenen 
Fällen  von  der  Natur  selbst  angestellt  werden.  Es  ist  bei  Medusen- 
eiern wiederholt  bemerkt  worden,  dass  während  der  Furchung  sich 
Zellen  soweit  vom  Verband  der  übrigen  entfernten,  bis  eine  völlige 
Continuitätstrennung  eintrat,  ohne  dass  allerdings  das  Endresultat 
dieser  freiwilligen  Trennung  zur  Beobachtung  kam.  Bei  einer  an- 
deren Tiergruppe,  den  Ctenophoren,  hat  die  Natur  gelegentlich  einem 
Forscher  die  Resultate  solcher  Isolationen  unter  die  Augen  gebracht, 
zu  einer  Zeit  allerdings,  wo  die  oben  erwähnten  Entwicklungs- 
theorien noch  nicht  in  dieser  Schärfe  formuliert  waren.  Chun  fand 
im  Plankton  Keime  der  Eucharis  von  nur  halber  Normalgrösse 
und  mit  nur  4  anstatt  8  Rippenanlagen.  Er  war  schon  damals  der 
Meinung,  dass  solche  Keime  nur  der  Hälfte  des  Blastomerenmaterials 
ihre  Entstehung  verdankten,  und  dass  Brandung  und  Wellenschlag 
die  Ursache  solcher  Blastomerentrennung  sein  könnten.  Er  hat  deren 
Einfluss  künstlich  nachzuahmen  versucht,  indem  er  die  gefurchten 
Eier  schüttelte,  und  ist  dadurch  —  von  ganz  gelegentlichen  Eingriffen 
Haeckels  bei  Siphonophoreneiern  abgesehen  —  der  erste  erfolgreiche 
Experimentator  am  tierischen  Ei  gewesen.  Die  von  ihm  angewandte 
Technik,  die  Schüttelmethode,  ist  dann  auch  bei  vielen  anderen 
marinen  Tieren  mit  Erfolg  geübt  worden. 

Versuche  an   Seeige  leiern. 

Es  sind  besonders  die  Eier  der  Seeigel,  die  aus  den  früher  aus- 
führlich erörterten  Gründen  hier  zum  bevorzugten  Objekt  geworden 
sind.  Driesch  hat  mit  verschiedenen  Methoden  deren  Blastomeren 
zur  Isolation  gebracht,  durch  Wärme,  durch  Schütteln  im  Reagens- 
glas, am  besten  aber  nach  einem  durch  Herbst  entdeckten  Ver- 
fahren (s.  p.  193)  durch  Übertragung  in  kalkfreies  Seewasser.  Nach 
dessen  Einwirkung  werden  die  isolierten  Blastomeren  wieder  heraus- 
gefischt und   in   gewöhnlichem   Seewasser   zur  Weiterzucht   gebracht, 

Die  isolierten  Blastomeren  (von  Echinus  microtuberculatus)  setzten 
darauf  ihre  Zellteilungen  in  reger  Weise  fort,  lieferten  aber  zunächst 
Produkte,    an   denen   die   Unvollkommenheit    des   Ausgangsmaterials 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation. 


25 


O/2'  V-i *)  etc-  Blastoiner)  noch  deutlich  zu  erkennen  war.  In  be- 
sonders ausgesprochenen  Fällen  war  das  Endresultat  der  Furchung 
eine  halbe  Blastula,  also  eine  offene  Halbkugel  von  Zellen ;  in  anderen 
Fällen  zeigte  sich  nur  anfangs  eine  mehr  oder  minder  deutliche  Defekt- 
furchung  (Fig.  13).  Stets  aber  wurde  der  Defekt  wieder  nachträglich 
ausgeglichen,  indem  sich  die  Zellen  einander  näherten  und  einen 
vollkommenen  Schluss  der  Öffnung  herstellten.    Das  Eintreten  dieses 


Fig.  11. 


Fig.  12. 


Fig.  13. 


Fig.  11  u.  12.  Auseinandergehen  der  Furchungszellen  von  Echinus  in  Ca  freiem 
Medium  (nach  Herbst).    Fisj.  11  vierzelliges,  Fig.  12  achtzelliges  Stadium. 

Fig.  13.  Defektfurchuug  des  Seeigeleis  (nach  Driesch)  aus  1/0  Elastomer  gezogen. 
8  Zellen  (halbes  1/16  Stadium).     Vgl.  Fig.  22. 


Fiff.  14. 


Fi?.  15. 


Fig.  14.     Unvollkommene    Blastula    (aus    Halbbildung),    die    sich    aber    zu    schliessen 

beginnt  (nach  Driesch). 
Fig.  15.     Vollkommen   geschlossene,    nur  verkleinerte  Ganzblastula   aus  V2  Blastemen 

Ausgleichs  kann  zeitlich  sehr  verschieden,  früher  oder  später,  er- 
folgen ;  manchmal  sind  die  Zellen  schon  zu  einer  kompakten  Gesamt- 
form zusammengeglitten,  lange  ehe  die  Furchung  zu  Ende  ist.  Diese 
Regulationsfähigkeit  hängt,  wie  Driesch  beobachtet  hat,  mit  der 
Saison  und  Reifezeit  zusammen,  wo  für  jede  Spezies  ein  entsprechendes 
Optimum  wahrzunehmen  ist,  und  ist  ausserdem  auch  bei  verschiedenen 

x)  XJ2  Blastomer  bedeutet  eine  der  Blastomerem  im  Zweizellenstadium  der 
Furchung,  1/4  Blastomer  eine  der  Blastomeren  im  Vierzellenstadium,  2/s  Blastomer 
zwei  zusammenhängende  Blastomeren  des  achtteiligen  Stadiums  u.  s.  w. 


26  VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 

Spezies   verschieden;    so    z.    B.    ist    bei   Sphaerechinus    granularis    der 

Furchungszellenhaufen,  auch  bei  Halbprodukten,  von  vornherein 
kompakt  und  geschlossen.  Allen  Formen  aber  gemeinsam  ist  die 
mit  resp.  nach  Zusammenschluss  erfolgende  reguläre  Weiterbildung. 
Die  verkleinerten  Blastulae  (Fig.  15)  erhalten  ihren  Urdarm,  und  die 
aus  7a  un(l  aus  lU  Material  gezogenen  gelangen  auch  noch  zu  einem 
ganz  normalen,  nur  entsprechend  verkleinerten  Pluteusstadium. 

Analoge  Resultate  ergeben  sich  bei  resp.  trotz  willkürlich  ver- 
ändertem Ablauf  der  Furchung.  Ein  solcher  kann  nach  E.  B.Wilson 
z.  B.  durch  vorübergehende  Einwirkung  von  Äther  auf  die  befruchteten 
Eier  erfolgen.  Die  dabei  enstehenden  Furchungsbilder  sind  von  den 
normalen  ganz  verschieden,  brauchen  nicht  die  reguläre  Verteilung 
in  zwei  Kränze  (wie  Fig.  22)  zu  zeigen,  sondern  können  eine  ganz 
unregelmässige  Zahl  und  Lagerung  der  Mikromeren  aufweisen  (Fig.  16), 
und  doch  entstehen  aus  diesen  irregulären  Zellhaufen  bei  nachheriger 
Übertragung  in  gewöhnliches  Seewasser  normale  Larven. 

Fi??.  16. 


Fig.  16.     Verlagerung  der  Furchungszellen  durch  Aethereinwirkung(nachE.B.  Wilson). 

Eine  andere  Methode,  um  die  Furchungszellen  schon  von  vorn- 
herein in  eine  atypische  gegenseitige  Lagerung  zu  bringen,  hat 
Driesch  angewandt,  indem  er  die  Furchung  vom  Ei  ab  unter 
Druckwirkung  vor  sich  gehen  liess.  Dies  kann  einfach  auf  dem 
Objektträger  unter  dem  Deckglas  geschehen,  das  durch  eine  Borste 
am  völligen  Aufliegen  verhindert  wird  ;  der  Verdunstung  muss  durch 
Einschluss  der  Präparate  in  eine  feuchte  Kammer  (der  mit  Wasser- 
dampf gesättigte  Raum  einer  Glasglocke)  während  der  Entwicklung 
entgegengewirkt  werden.  Noch  besser  geschieht  die  Einwirkung  des 
Druckes  in  dem  Ziegler 'sehen  Durchströmungskompressorium,  das 
eine  stete  Zufuhr  frischen  Seewassers  und  Regulierung  des  Druckes 
erlaubt.     Durch   den   Druck    kann    man   alsdann   bewirken,    dass   die 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation.  -_>7 

Zellen  sich  vermöge  der  Einstellungsrichtimg  ihrer  Spindeln  (s.  p.  164) 
so  teilen,  dass  sie  nicht  in  mehrere  Kränze,  sondern  von  vornherein 
in  eine  Ehene  zu  liegen  kommen.  Das  8-  und  das  16 -Zellenstadium 
repräsentiert  dann  eine  Platte  von  Zellen,  bei  denen  also  »dasjenige, 
was  unten  hin  gehört,  seitlich  liegt,  sowie  ferner  das,  was  zusammen 
gehört,  getrennt  liegt«.  Wenn  man  nun  den  Druck  zeitig  genug 
wieder  aufhebt,  nämlich  noch  im  16 -Zellenstadium,  so  entwickeln 
sich  aus  diesen  16  von  der  Normalentwickelung  so  verschieden  ge- 
lagerten Zellen  dennoch  normale  Larven. 

Fig.  17.  Fig.  18. 


Fig.  17  u.  18.     Änderung  der  Lage  der  Furehungszellen  durch  Pressung  (nach  Drie seh) 
im  4-  und  S-Zellen-Stadium ;   Zellen  in  einer  Ebene. 

Diese  prägnanten  Resultate  hat  man  natürlich  zur  Entscheidung 
zwischen  den  eingangs  erwähnten  Entwicklungstheorien  zu  verwerten 
versucht.  Daraus  dass  man  »die  Konstituenten  des  gefurchten  Keims 
beliebig  verlagern  kann,  ohne  die  Erzielung  normaler  Endprodukte 
zu  stören«,  wird  geschlossen,  dass  keine  Verteilung  der  Fähigkeiten 
auf  verschiedene  Zellen  resp.  deren  Kerne  stattfindet,  sondern  dass 
die  Furehungszellen  zunächst  gleichwertig  sind;  ebenso  weist  darauf 
hin,  dass  eine  Zelle  von  zweien  oder  vieren,  unter  die  Bedingungen 
als  Ganzes  gebracht,  auch  fähig  ist,  ein  Ganzes  zu  liefern.  Zur 
Erklärung  dieser  Tatsachen  muss  die  entgegengesetzte  Ansicht,  die 
von  der  ungleichen  Kern-  und  Qualitätenteilung,  besondere  Hilfs- 
hypothesen von  Reservefähigkeiten  machen,  die  im  Idioplasma  ent- 
halten sind  und  nur  in  besonderen  Fällen  zu  Tage  treten.  Diese 
Anschauung  legt  besonderes  Gewicht  auf  die  zuerst  noch  erkennbare 
»Halbheit«  der  Produkte,  sowie  darauf,  dass  die  Fähigkeit  der  Ganz- 
bildung keine  absolute  ist. 

Bis  zu  welcher  Etappe  der  Teilung  den  einzelnen  Furehungs- 
zellen noch  die  Möglichkeit  der  Ganzbildung  innewohnt,  kann  eben- 
falls experimentell  geprüft  werden  durch  sorgfältige  Aufzucht  von 
1/2  und  J/4,  x/8,  1/16,  1/32  Blastomeren,  die  auf  eine  möglichst  schonende 
Methode  isoliert  wurden,  wie  es  Driesch   mit  kalkfreiem  Seewasser 


28  VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 

gelang.  Es  ergab  sich,  dass  kleinere  Teilstücke  wie  lji  Elastomere 
es  nicht  mehr  zur  Pluteuslarve  bringen  konnten;  die  x/8  Blastomere 
lieferten  noch  Gastrulae  mit  Darmgliederung  und  Andeutung  von 
Skelet,  die  1j16  Blastomere  noch  in  günstigen  Fällen  eine  Gastrula, 
aber  ohne  Darmteilung,  die  1/32  Blastomere  brachten  es  meist  nur 
zur  Blastula,  und  noch  kleinere  Teilstücke  vollführen  nach  der 
Isolierung  nur  noch  einige  Zellteilungen  aus,  ehe  sie  eingehen. 

Es  fragt  sich,  ob  diese  Unterschiede  der  Entwickelungsfähigkeit 
nur  quantitativ  begründet  sind,  indem  die  Produktion  einer  ganzen 
Pluteuslarve  nicht  unter  einer  Minimalquantität  von  Plasma  möglich 
wäre,  oder  ob  wirkliche  Unterschiede  vom  vierzelligen  Stadium  ab 
zwischen  den  Blastomeren  (s.  Fig.  21)  eintreten,  ohne  dass  man  des- 
wegen an  eine  qualitativ  ungleiche  Kernteilung  zu  denken  brauchte. 
Die  Normalentwickelung,  sowie  verschiedene  weitere  Experimente 
geben  hierüber  Aufschluss. 

Das  Seeigelei  (Strongylocentrotus  lividus)  zeigt  nach  den  neue- 
sten Ermittelungen  von  Boveri  von  allem  Anfang  eine  polare 
Struktur,  die  auch  äusserlich  sich  in  einem  Pigmentring  an  der 
vegetativen  Seite  bemerkbar  macht,  der  den  Pol  selbst  freilässt 
(Fig.  19).  Im  Vierzellenstadium,  das  durch  zwei  meridionale,  also 
den  Axenverhältnissen  entsprechende,  Teilungen  entsteht,  sind  alle 
vier  Zellen  noch  gleichmäfsig  mit  Plasma-  und  Pigmentverteilung 
bedacht  (Fig.  20);  das  Achtzellenstadium  dagegen  entsteht  durch 
eine  Querfurche,  so  dass  Pigment  etc.  fast  ausschliesslich  auf  die 
vegetative  Seite  entfallen  (Fig.  21).  Die  vier  animalen  Zellen  teilen 
sich  nun  noch  einmal  meridionai,  so  dass  ein  Kranz  von  acht  Zellen 
entsteht,  die  vier  vegetativen  dagegen  so,  dass  ein  kleiner  pigment- 
loser  polarer  Teil  zu  einer  besonderen  Zelle  wird  (Fig.  22).  Diese 
vier  Mikronieren  kennzeichnen  also  im  Gegensatz  zur  bisherigen 
Ansicht  den  vegetativen  Pol.  Sie  vermehren  sich  weiter  und  bilden 
durch  Einwanderung  das  Mesenchym  (Fig.  24) ;  die  pigmentierten 
Zellen  liefern  den  Urdarm  und  seine  Derivate,  die  animale  Hälfte 
den  Ektoblast  und  seine  Differenzierungen  (Fig.  25). 

Es  ist  danach  verständlich,  wie  auch  abgesehen  von  der  Plasma- 
menge  durch  die  Plasma  Verteilung  eine  Verschiedenheit  der  1/s- 
Blastomere,  von  der  ^-Blastomere  entsteht.  So  wenig  wie  an  eine  quali- 
tativ verschiedene  Kernteilung  braucht  dabei  an  eine  dem  Erwachsenen 
entsprechende  Mikrostruktur  des  Eies  gedacht  zu  werden ;  auch  nicht 
daran,  dass  die  Plasmasubstanzen  in  den  beiden  Ei-  resp.  Furchungs- 
hälften   prinzipiell  und    absolut  verschieden   seien,    sondern  nur 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation. 


29 


Fig.  19. 


Piff.  20. 


Fig.  21. 


Fiff.  22. 


Fig.  23. 


Fig.  24. 


m 
P 


m 


Fig.  25. 


-   in 


ha 


P 

Fig.  19 — 25.  Entwicklungsstadien  des  Strongylocentrotus  lividus  (nach  Boveri),  um 
die  vom  Ei  herrührende  Polarität  zu  zeigen,  die  sich  in  der  Lage  des 
Pigmentrings  (p)  ausspricht. 

Fig.  19.  Befruchtetes  Ei. 

Fig.  20.  4-Zellenstadium. 

Fig.  21.  8-Zellenstadium  (obere  animale,  untere  vegetative  Hälfte). 

Fig.  22.  16-Zellenstadium  mit  den  Mikromeren  am  vegetativen  Pol. 

Fig    23.  Junge  Blastula    (in   der  Zellgrösse   spricht  sich  die  Polarität 

nicht  mehr  aus,  wohl  aber  im  Pigmentring). 

Fig.  24.  Bildung  des  primären  Mesenchyms  m. 

Fig.  25.  Gastrula  mit  den  Skeletanlagen  ha  und  sekundärem  Mesenchym. 


30 


VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 


daran,  dass  von  der  einen  Protoplasma-  oder  Deutoplasmaart  mehr 
in  der  einen,  von  der  anderen  mehr  in  der  anderen  Hälfte  liegt. 
Dass  es  kein  prinzipieller,  sondern  nur  ein  gradueller  Unterschied  ist, 
geht  aus  weiteren  Isolierungs versuchen,  die  ebenfalls  Driesch  ange- 
stellt hat,  hervor. 

Man  muss  sich  fragen,  ob  bei  den  ^-Blastomoren,  die  es,  wie 
oben  erwähnt,  bis  zur  Gastrula  mit  Darmgliederung  und  Skelett- 
andeutung bringen  können,  ein  Unterschied  hervortritt,  je  nachdem 
solche  der  animalen  oder  vegetativen  Hälfte  zur  Aufzucht  verwandt 
werden.  Dies  ist  in  der  Tat  der  Fall.  Bei  den  Produkten  der  vege- 
tativen Hälfte  herrscht  eine  viel  grössere  Sterblichkeit,  die  über- 
lebenden aber  gastrulieren  fast  sämtlich  und  zwar  normal;  die  aus 
den  animalen  Blastomeren  gezogenen  Blastula  sind  zwar  langlebiger, 
aber   bringen  es  viel  seltener  zur  Gastrula,    bleiben   auch  öfters  ohne 


Fig.  26. 


Fig.  27. 


Fig.  26.  Echinusgastrula.  Aus  einer  animalen  Zelle  des  Achterstadiums  gezogen. 
Mit  nur  2gliederigem  Darm,  ohne  Mesenchym.  Lange  Wimpern  am  einen 
Pol  (nach  Driesch.) 

Fig.  27.  Gastrula  aus  Makromere  des  i/ie  Stadiums  gezogen  mit  Mesenchym  und 
Dreistrah  lern. 


Mesenchym ;  meistens  verbleiben  sie  als  Blastula  mit  klaren  Zellen  und 
langen  Wimpern,  ohne  einen  Urdarm  auszubilden.  Der  Unterschied 
ist  sonach  zwar  kein  absoluter,  in  dem  sowohl  die  animalen  wie  die 
vegetativen  Achterblastomeren  es  bis  zur  Gastrula  bringen  können, 
ist  aber  doch  merklich  vorhanden,  indem  die  einen  eine  viel  grössere 
Neigung  zur  animalen  Betätigung  (Ausbildung  langer  Wimpern),  die 
anderen  zur  vegetativen  (Gastrulation  etc.)  zeigen. 

Die  Ermittelung  dieser  Verhältnisse  hat  nicht  in  der  geschilderten  Reihenfolge, 
zuerst  Erforschung  der  Normalentwicklung,  dann  Experiment  stattgefunden,  sondern 
umgekehrt;  es  ist  dies  ein  gutes  Beispiel  dafür,  wie  die  experimentelle  Entwicklungs- 
geschichte   die    Kenntnis    der   Normalentwickelung   fördern    kann.     Es   galt   bis   vor 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation.  31 

kurzem  als  ausgemacht,  dass  die  Mikromerenbiklung,  gerade  weil  sich  hier  zahl- 
reichere kleinere  Zellen  zuerst  zeigten,  den  animalen  Pol  kennzeichnete.  Dies  war 
war  von  Selenka  beschrieben  und  in  alle  Lehrbücher  mit  Abbildungen  über- 
gegangen. Da  es  ohne  Widerspruch  geblieben  war.  so  musste  auch  noch  Driesch 
dies  annehmen  und  im  Gegensatz  zur  obigen  Darstellung  beschreiben,  dass  die 
animalen  Zellen  besser  gastrulieren.  die  vegetativen  vorwiegend  nur  Langwimper- 
blastulae  bilden.  So  verwunderlich  dies  ihm  schien.  Hess  er  sich  doch  bei  der  Zahl 
und  Genauigkeit  seiner  Experimente  in  seinem  Befund  nicht  irre  machen  und  sprach 
die  Ansicht  aus.  im  Gegensatz  zu  Selenka 's  herrschender  Angabe,  dass  der  Mikro- 
merenpol  der  wahre  vegetative,  d.  h.  darmbildende  sei.  Dies  ist  dann  von  Boveri 
in  einer  ausgezeichneten  Untersuchung  der  Normalentwickelung  bestätigt  und  weiter 
ausgeführt  worden. 

Driesch  hat  damals  aus  seinen  Versuchen  geschlossen,  dass 
eine  »gewisse  Differenz  des  Eiplasmabaus  in  animal-vegetativer  Rich- 
tung   besteht,    welche der   Sonderentwickelung    einzelner 

Elemente  derselben  Widerstände  verschiedener  Intensität  entgegen- 
setzt«. Boveri  war  geneigt  eine  durch  die  stoffliche  Verteilung  im 
Ei  begründete  (s.  u.  p.  69)  prinzipielle  Verschiedenheit  der  animalen 
und  vegetativen  Blastomeren  anzunehmen;  er  hat  hervorgehoben, 
dass  Zoja  aus  animalen  Blastomerenhaufen  von  Strongylocentrotus 
niemals  Gastrulae  erzielt  habe,  und  Driesch  aus  einem  einzelnen 
animalen  Blastomer  nur  höchst  selten.  Driesch  hat  darum  seine 
Versuche  etwas  abgeändert,  indem  er  neuerdings  ganze  animale 
Gruppen,  im  Achter-  und  Sechszehnerstadium  zur  Entwicklung 
zu  bringen  suchte  und  damit  ein  günstigeres  Resultat  erzielte  als  mit 
einzelnen:  von  21  Fällen  verblieben  15  Langwimperblastulae, 
6  aber  gastrulierten  und  5  davon  brachten  es  noch  bis  zum  Pluteus. 
Er  schliesst  also,  dass  der  Unterschied  zwischen  animaler  und  vegetativer 
Hälfte  kein  prinzipieller  sein  könne,  sondern  dass  das  Stehenbleiben 
isolierter  Einzelzellen  auf  früherem  Stadium  mehr  auf  allgemeinem 
Zellmangel  als  auf  ihrer  exklusiv  animalen  Natur  beruht.  Er  er- 
kennt  den  Einfluss  der  stofflichen  Verschiedenheit  im  Plasma  an,  be- 
tont aber,  dass  diese  unter  normalen  Umständen  wohl  »determinierend«, 
aber  nicht  absolut  »fixierend«  auf  das  Schicksal  der  Zellen  wirke. 

Auch  wirkliche  Verlagerung  ganzer  Zellen  und  Zellgruppen 
beweist  einerseits  eine  grosse  Vertauschungsfähigkeit,  also  eine  grosse 
Gleichwertigkeit  der  Konstituenten,  andererseits  aber  doch  eine  gewisse 
Einschränkung  dieser  Gleichmässigkeit  in  späteren  Stadien.  Frühere 
Experimente  von  Driesch  ergaben,  dass  man  z.  B.  im  Achtzellen- 
stadium, das  normaler  Weise  in  zwei  Ebenen  zu  je  vier  Zellen  ge- 
lagert  ist   (s.  Fig.  21),   durch  Schütteln    diesen  Verband  lockern  und 


32  VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 

das  Furch  ungsbild  wesentlich  verändern  kann;  die  auftretenden 
kleinen  Zellen  am  vegetativen  Pol  zeigten  dann  eine  abweichende 
Lagerung;  das  Endresultat  war  aber  dennoch  eine  normale  Larve. 

In  Rücksicht  auf  die  Ergebnisse  an  Strongylocentros  und 
die  dort  erscheinende  Bedeutung  der  »stofflichen  Sonderheit«  hat 
Driesch  diese  Lockerungsversuche  auf  späteren  Stadien  bei  Echinus 
erneuert.  Wenn  im  entsprechenden  Stadium  die  vegetativen  Achter- 
zellen auseinander  gedrängt  wurden  und  in  dieser  anormalen  Lage 
verblieben,  so  ergaben  sich  Larven  mit  zwei  Därmen  und  zwei 
Skeleten,  also  partielle  Doppelbildungen,  ähnlich  wie  bei  Amphioxus 
und  den  Fischen  (s.  p.  50).  Wenn  der  animale  Teil  sehr  verzerrt 
wurde,  der  entgegengesetzte  Mikromerenpol  aber  zusammenblieb, 
so  entstand  zwar  zunächst  eine  sehr  unregelmässige  äussere  Form, 
aber  doch  eine  Einheitsbildung  des  Darms  und  aller  Teile  und 
schliesslich  ein  normaler  Pluteus. 

Es  ergeben  sich  also  bei  den  Echinodermen  zwar  keinerlei  An- 
zeichen für  eine  qualitativ  ungleiche  Verteilung  des  Kernmaterials 
in  den  ersten  Stadien  der  Entwickelung,  aber  doch  Verschiedenheiten, 
die  weiterhin  zwischen  den  Blastomeren  nach  und  nach  eintreten; 
diese  sind  ohne  eine  solche  Hypothese,  lediglich  aus  der  Verschieden- 
heit der  vom  Ei  übernommenen  stofflichen  Verteilung  abzuleiten.  Ob 
das  prinzipiell  und  für  alle  folgenden  Phasen  der  Entwickelung  giltig 
ist,  wird  noch  bei  Experimenten  an  späteren  Stadien  zu  erörtern  sein. 

Versuche   an   Amphibieneiern. 

Die  Experimente  an  Amphibien  eiern  lassen  sich,  weil  bei 
ihnen  gewisse  Verschiedenheiten  in  der  Verteilung  plasmatischer  Sub- 
stanzen eine  augenfällige  Rolle  spielen,  am  besten  hier  anschliessen, 
obschon  sie,  wenigstens  die  von  Roux  am  Froschei,  zeitlich  voran- 
gegangen sind.  Bei  letzterem  war  auch  Gegenstand  der  Fragestellung, 
ob  durch  die  ersten  Ebenen  der  Furchung  bereits  bestimmte  Rich- 
tungen des  Embryo  festgelegt  werden.  Die  erste  Ebene  kann,  wie 
die  Beobachtung  des  normalen  zeigt,  in  den  meisten  Fällen  mit  der 
Medianebene  des  zukünftigen  Tieres  zusammenfallen,  so  dass  die 
beiden  ersten  Blastomeren  das  Material  für  rechts  und  links  dar- 
stellen, m  u  s  s  es  aber  nicht.  Diese  Frage  steht  in  engem  Zusammen- 
hang mit  der  Frage  von  der  Wertigkeit  der  Blastomeren,  ist  aber 
nicht  mit  ihr  identisch,  was  zu  manchen  Missverständnissen  Ver- 
anlassung gegeben  hat;  denn  auch  bei  Annahme  einer  Qualitäten- 
verteilung  würden  bei   einem   symmetrischen  Bau  rechte   und   linke 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation. 


33 


Körperhälfte,  also  im  obigeD   Fall  die  beiden  ersten  Furchungskugelu 
noch   mit  gleichen  Qualitäten  ausgestattet  sein,    und   eine  qualitative 

Scheidung  erst  darnach  eintreten,   wenn  vorn  und  hinten  oder  dorsal 
und  ventral     festgelegt     würde. 

Roux  hat  eine  Alleinentwickelung  eines  Blastomeren  beim 
Froschei  dadurch  herbeizuführen  gesucht,  dass  er  im  zweizeiligen 
Stadium  eine  der  beiden  Blastomeren  mit  einer  heissen  Nadel  anstach, 
tun  sie  durch  diese  Schädigung  an  der  weiteren  Entwickelung  zu 
hindern.  Da  es  möglich  ist,  dass  durch  die  Hitze  hierbei  auch  die 
andere  Blastomere  geschädigt  wird,  so  wurde  dieselbe  Nadel,  ohne 
sie  wieder  zu  erwärmen,  zur  Kontrole  noch  in  mehrere  andere  Eier  ge- 
bohrt. In  der  Tat  zeigten  sich  dreierlei  Möglichkeiten  des  Experiment- 
verlaufs:  einmal  konnten  beide  Blastomeren  so  verletzt  sein,  dass  die 
Entwickelung  überhaupt  unterblieb,   ein  anderes  Mal,  wie  gewünscht. 


Fig.  28. 


Fig.  29. 


x 


—  in 


Fig.  28.     Halbe  Blastula  am  Frosch  im  Querschnitt,  durch  Anstechen  einer  Furchungs- 
kugel  des  zweiteiligen  Stadiums  erhalten  (nach  Roux).    f  =  Furchuugshöhle. 
Fig.  29.     Halbembryo  auf  gleiche  Weise  erzielt,  in  Kückeiiansicht.     Vgl.  Fig.  6. 
in  =  Medullarwulst,     x  =  geschädigte  Hälfte. 

nur  eine,  und  in  dritten  Fällen  konnte  auch  die  angebohrte  sich  an 
der  Entwickelung  wie  die  normale  beteiligen.  Hier  kommt  nur  der 
mittlere  Fall  in  Betracht.  Die  allein  gebliebene  Blastomere  entwickelte 
sich  ungestört  weiter  und  zwar  so,  wie  wenn  die  andere  noch  intakt 
dabei  läge,  es  kam  zu  einer  halben  Morula,  einer  halben  Gastrula 
etc. ;  Bildungen,  die  stets  einer  medianen  Hälfte  entsprechen  und 
schliesslich  auch  zu  einem  halben  Embryo  (s.  Fig.  l,(.»),  »Hemi- 
embryo   lateralis <.     Solche   Embryonen    verbleiben    aber,    wie    Roux 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgeschiehte.  3 


:;i 


VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 


selbst  weiter  beobachtet  hat,  nicht  in  ihrer  Halbheit,  sondern  ergänzen 
sich  nach  und  nach  aus  verschiedenen  Quellen,  sowohl  durch  Ver- 
wendung der  »abgestorbenen«  Eihäute  wie  durch  Hinüberwachsen 
der  entwickelten  Partie  zu  einem  ganzen  Tier.  Dabei  wird  nach  der 
Roux 'sehen  Auffassung  gewissermafsen  die  fehlende  Hälfte  an  die 
schon  vorhandene  nachträglich  angesetzt,  ein  Prozess,  den  Roux 
»Postgeneration«   benennt. 

Ganz  andere  Deutungen  nicht  nur,  sondern  auch  teilweise  andere 
Resultate  ergaben  sich  am  gleichen  Material  für  0.  Hertwig.  Er 
hat  ebenfalls  eine  der  beiden  ersten  Blastomeren  abzutöten  gesucht, 
sowohl  mittelst  der  heissen  Nadel  als  auch  mittelst  des  galvanischen 
Stroms.  Nach  dem  Experiment  zeigten  seine  Eier  eine  freiwillige 
Drehung    derart,    dass    die    unverletzte    Hälfte    anstatt    seitlich    nach 


Fig.  30. 


Fisj.  31. 


/' 


// 


,-  m 


Fig.  30  u.  31.  Verkleinerte  Ganzbiidungen,  trotz  Anstichs  einer  Furchungskugel 
(nach  0.  Hertwig).  Das  Ei  hat  sich  so  gedreht,  dass  die  unverletzte 
Furchun°;shälfte  nach  oben  gelagert  ist 

Fig.  30.     Auf  dem  Blastulastadium. 

Fig.  31.     Gastrulastadium  (Sa?ittalschnitt). 
f=  Furchungshöhle,     x  =  geschädigte  Hälfte,     u  =  Urmund. 


oben  zu  liegen  kam.  O.  Hertwig  beobachtete  niemals  Halbbildungen, 
sondern  erhielt  als  Endresultat  stets  Embryonen,  die  zwar  mitunter 
untergeordnete  Defekte  aufwiesen,  aber  doch  nur  als  Ganzembryonen 
aufgefasst  werden  konnten.  Die  Prozesse,  die  diese  Ganzbildung 
bewirken,  sind  in  seinen  Augen  kein  nachträgliches  Ansetzen  der 
fehlenden  Körperhälfte,  sondern  von  vornherein  die  der  normalen  Onto- 
genese  unter   bedeutenden   Materialumlagerungen   und  Regulationen. 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation.  35 

Da  bei  der  Beurteilung  dieser  Vorgänge  die  Zeitfolge  eine 
grosse  Rolle  spielt,  der  Entwickelungsgang  in  der  unberührten  und 
die  Ergänzungen  in  der  geschädigten  Hälfte  aber  nur  auf  Schnitt- 
serien studiert  werden  können,  so  ist  es  klar,  dass  hier  der  Inter- 
pretation ein  grosser  Spielraum  geöffnet  ist,  und  dass  das,  was  als 
»Postgeneration«,  und  das,  was  als  »direkte  Entwickelung  mit  Ura- 
Laererung«  anzusehen  ist,  sehr  verschieden  beurteilt  werden  kann. 
Damit  sind  aber  die  Verschiedenheiten  der  Resultate  selbst  nicht 
aufgeklärt;  denn  einerseits  ist  die  Möglichkeit  der  Ganzbildung, 
wie  man  auch  immer  den  Prozess  dabei  benennen  mag,  erwiesen; 
andererseits  aber  ist  auch  die  Möglichkeit  des  Eintretens  einer  Halb- 
bildung unzweifelhaft,  und  letztere  ausser  von  Roux  noch  von 
Barfurth,  Walter  und  Endres  beobachtet  worden.  0.  Hertwig 
hat  darum  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  bei  Roux  u.  A.  der 
Halbembryo  deshalb  zu  Stande  gekommen  sei,  weil  auch  die  geschädigte 
Hälfte  noch  vorhanden  ist,  und  darum  die  überlebende  wie  im  Verband 
des  Ganzen  sich  entwickelt,  Wenn  es  gelänge,  diese  Halbheit  aufzu- 
heben, so  müsste  von  vornherein  eine  Ganzbildung  eintreten.  Beim 
Froschei  ist  aus  mechanischen  Gründen  eine  wirklich  völlige  Isolierung 
der  beiden  Blastomeren  nicht  möglich,  da  sie  auseinander  gebracht 
beide  kollabieren.  Auch  0.  Hertwig  musste  darum  die  »getötete« 
Hälfte  am  Ei  belassen  und  es  fragt  sich  daher  aufs  neue,  warum 
bei  seinen  Versuchen  die  Halbheit  aufgehoben  war.  Die  Drehung, 
die  er  an  seinen  Eiern  nach  Eintritt  des  Versuchs  beschreibt,  sowie 
weitere  Experimente  von  anderer  Seite  geben  hierzu  einige  Auf- 
klärung. 

0.  Schultze  hat  Froscheier  zwischen  horizontalen  Glasplatten 
gepresst  und  nach  der  ersten  Furchungsteilung  umgedreht.  Es 
machte  sich  dann  in  beiden  Furchungszellen  das  Bestreben  geltend, 
die  Teilchen  wieder  in  die  normale,  der  Schwerkraft  entsprechende 
Lage  zu  bringen,  also  die  pigmentierten  Teile  wieder  nach  oben, 
die  Dottermenge  mehr  nach  unten.  Nach  kurzer  Zeit  waren  so, 
ähnlich  wie  bei  den  Versuchen  von  Wetzel,  s.  u.  (Fig.  32)  die 
beiden  Furchungszellen  in  ihrem  Verband  etwas  auseinander  gerückt, 
was  sich  durch  Scheidung  der  pigmentierten  Partie  in  zwei  Teile 
ausspricht,  zwischen  die  sich  ein  weisser  Streifen  Dottermasse  trennend 
hineinschiebt.  Aus  diesen  Eiern  gingen  dann  Doppelblastulae  und 
Gastrulae  und  sodann  Zwillinosembrvonen  von  halber  Grösse  hervor 
(Fig.  33).  In  dieser  komplizierten  und  sinnreichen  Versuchsanordnung 
ist   schliesslich  nur  eine  Methode  zur  möglichst  besten  Isolierung  der 


.'!('>  VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 

Blastomeren  zu  sehen,  wie  sie  auf  andere  Weise  beim  dotterreichen 
Froschei  nicht  zustande  zu  bringen  ist.  Der  eine  Teil  bildet  für  den 
anderen  gewissermafsen  den  heilenden  Schluss  einer  nicht  durchgreifend 
gemachten  Wunde;  es  besteht  zwischen  den  beiden  Teilen  nur  mehr 
eine  äusserliche  Verbindung,  so  wie  bei  den  Experimenten  von  Born 
mit  künstlich  aufeinander  gesetzten  Stücken,  die  sich  innerlich  un- 
abhängig von  einander  weiter  entwickeln  (s.  p.  95).  Ebenso  sind  hier 
die  Teilchen  innerlich  von  einander  getrennt,  indem,  wie  Wetzel  näher 
beobachtet  hat,  eine  Umordnung  aus  dem  ursprünglich  halbseitigen 
Lageverhältnis  in  ein  doppelseitiges  eintritt  (Fig.  32),  und  also  nicht  mehr 
gleichartige  Protoplasmapartien  in  beiden  Blastomeren  neben  einander 

Fig.  32.  Fig.  33. 


Fig.  3*2.     Doppelblastula   des    Frosches.      Schnitt  durch   ein   komprimirtes    und    nach 
Beginn  der  ersten  Furche  gedrehtes  Ei  (nach  Wetzel). 

Fig.  33.     Doppelbildung  (nach  0.  Schultze)  mit  offenen  Medullarwülsten. 

liegen.  Bei  den  Roux'schen  Versuchen  mit  Halbembryonen  ist  also 
wahrscheinlich  die  ursprüngliche  Lagerung  der  Plasmateilchen  im  Ei 
der  beiden  Blastomeren  zu  einander  erhalten  geblieben,  während  bei  den 
0  H er twig 'sehen  mit  Ganzbildung,  wie  die  Drehung  schon  an- 
deutet, eine  Umordnung  eingetreten  ist,  und  sich  dadurch  das  über- 
lebende Blastomer  als  Ganzes  von  dem  daneben  liegenden  zerstörten 
abgeschlossen  hat,  Ahnliches  beweisen  Experimente  von  Morgan, 
der  nach  Schädigung  einer  Blastomere  eine  Anzahl  solcher  Eier  um- 
gekehrt, die  anderen  zur  Kontrole  in  der  Lage  belassen  hat.  Die 
ersteren  entwickelten  sich  dann  zu  einer  ziemlich  vollkommenen 
Ganzbildung  wie  bei  0.  Her  twig,  die  letzteren  dagegen  zu  Halb- 
embryonen wie  bei  Roux;  im  letzteren  Fall  war  die  Anordnung  der 
Plasmateilchen  die  gleiche  geblieben,  wie  im  ungestörten  Ei,  im 
ersteren  Fall  war  durch  die  Schwerkraft  eine  Umordnung  eingetreten, 


A.  Eier  mit  spätere]-  und  fakultativer  Regulation.  37 

so   dass   die  gesunde   Blastomere   ihre   innere  Beziehung   zu   der   ge 
schädigten  aufgegeben  hatte.1) 

Es  geht  aus  allen  diesen  Versuchen  hervor,  abgesehen  von  der 
Gleichwertigkeit  der  beiden  Blastomeren,  dass  das  Ei  eine  bestimmte 
polare  Anordnung  der  plasmatischen  Substanzen  besitzt,  und  dass 
wenn  Verschiedenheiten  im  Schicksal  der  Zellen  eintreten,  diese  durch 
verschiedene  Verteilung  und  Einstellung  der  plasmatischen  Substanzen 
bewirkt  werden. 

Ronx  ist  nun  in  seinen  Experimenten  über  das  Zweizellenstadiuin 
hinausgegangen,  das  doch  schliesslich  nur  symmetrische,  aber  gleich- 
wertige Hälften  bietet,  und  hat  auch  nach  der  zweiten  Furche,  also 
im  Vierzellenstadium,  Teilentwickelungen  versucht,  wo  sich  im  Normal- 
fall vordere  und  hintere  Hälfte  scheiden.  Seine  Ergebnisse  hier  sind 
nicht  so  präzis  und  zahlreich ;  einmal  wurde  nach  Abtütung  einer  von 
4  Blastomeren  ein  '■''  4  Embryo  erhalten,  in  andern  Fällen  aus  2  Blas- 
tomeren  von  4  ein  Hemiembryo  anterior;  ein  Hemiembryo  posterior 
aus  den  beiden  andern  Blastomeren  gelangte  nicht  zur  Beobachtung. 
Roux  schliesst  immerhin  aus  seinen  Befunden,  dass  eine  qualitative 
Scheidung  des  Materials  während  der  Furchung  stattfindet  und  dass 
die  Entwickelung  von  der  zweiten  Furche  an  »Mosaikarbeit«  ist. 

Dementgegen  sin«  1  a  ueh  hier  V  e  r  1  a  g  e  r  u  n  g  s  e  x  p  e  r  i  m  ente 
zu  erwähnen,  die  O.  Hertwig  angestellt  hat.  Es  wurden  Froscheier 
zu  Beginn  der  Furchung  durch  Druck  von  Glasplatten  dorsoventral 
oder  seitlich  zusammengepresst  und  dadurch  sehr  verschiedenartige, 
von  der  normalen  Scheidung  abweichende  Bilder  bis  zu  späteren 
Stadien  hervorgerufen.  Wenn  nun  wirklich  eine  qualitative  Scheidung 
des  Materials  stattfände,  und  die  Erbmasse  sich  auf  verschiedene 
Kerne  verschieden  verteilte,  so  müssten  aus  solchen  Furchungsab- 
normitäten  auch  ganz  absonderlich  zusammengestückte  Embryonen 
hervortreten.  Dies  ist  aber  durchaus  nicht  der  Fall;  vielmehr  tritt, 
wenn  die  Pressung  zeitig  wieder  aufgehoben  wird,  eine  ganz  normale 
Endbildung  ein.     Wenn    also    Verschiedenheiten    in    den    Fähigkeiten 

Vi  Durch  eine  sinnreiche  Variierung  des  S  chultz  e 'sehen  Experiments  hat 
neuerdings  Moszkowski  trotz  der  Drehung  in  Zwangslage  nach  der  Zwei-  resp. 
Vierteilung  noch  normale  Einzellarven  erzielt.  Er  liess  die  Entwickelung  bei  sehr 
erniedrigter  Temperatur  vor  sich  gehen :  dadurch  werden  die  Teilungen  sehr  ver- 
zögert, und  es  können  sich  in  den  Blastomeren  die  leichteren  und  schwereren  Teile 
dem  normalen  entsprechend  anordnen,  ehe  weitere  Furchen  eintreten.  So  wird  als- 
dann ein  normales  Ganzes  als  Endprodukt  erzielt  (vergl.  auch  die  Experimente  über 
die  Schwerkraft  p.  169). 


38  VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an   Furchungsstadien. 

der  einzelnen  Zellen  oder  Zellcomplexe  sich  geltend  machen,  so 
können  dieselben  nicht  durch  eine  qualitativ  ungleiche  Scheidung, 
spez.  des  Kernmaterials  bedingt  sein,  sondern  durch  ungleiche  Plasma- 
verteilung erklärt  werden.  Diese  ist  schon  vom  Ei  ab  vorhanden, 
und  die  einzelnen  Zellen  werden  je  nach  dem  Verlauf  der  Furchung 
verschiedenartig  bedacht.  Im  Zusammenhalt  des  Ganzen,  der  ja  bei 
den  erwähnten  Druckexperimenten  erhalten  bleibt,  ist  diese  Ungleich- 
heit der  einzelnen  Elemente  ohne  Bedeutung ;  es  zeigt  sich  dies  auch 
darin,  dass  die  Normalentwickelung  vielfach  in  Verlauf  und  Anord- 
nung der  Furchen  variiren  kann,  wie  besonders  Kopsch  durch 
photographische  Festlegung  verschiedener  Stadien  bewiesen  hat;  ein- 
zelne Zellen  oder  Zellenkomplexe  aber  werden  sich  verschieden 
verhalten,  je  nachdem  sie  durch  die  Furchen  verschiedenartig  mit 
Plasmasubstanzen  ausgestattet  sind. 

Eine  Bestätigung  dieser  Anschauungen  und  Ergänzung  in  mancher 
Hinsicht  bieten  Experimente,  die  an  Tritoneiem  (Triton  taeniatus) 
von  verschiedenen  Forschern  angestellt  worden  sind.  Hier  ist  im 
Gegensatz  zum  Froschei  Isolirung  von  Blastomeren  unter  besonderen 
Cautelen  möglich.  Dieselbe  ist  Endres  dadurch  gelungen,  dass  er 
in  der  Richtung  der  ersten  Furchungsebene  eine  feine  Schlinge  an- 
brachte, diese  allmählich  zuschnürte  und  dann  die  letzte  Substanz- 
brücke, die  beide  Blastomeren  verband,  mit  der  heissen  Nadel  durch- 
stach. Herlitzka  hat  die  Durchschnürung  ohne  Schädigung  dadurch 
bewirkt,  dass  er  eine  Schlinge  aus  desinfiziertem  Frauenhaar  an  einem 
Apparat  anbrachte,  der  eine  allmähliche  und  gleichmässige  Zuziehung 
erlaubte.  Man  kann  sich  nach  dem  über  die  Plasmaverteilung  beim 
Froschei  gesagten  vorstellen,  dass  bei  den  Experimenten  hier  eine 
Umordnung  der  plasmatischen  Substanzen  während  des  Schnürens 
eintritt,  derart,  dass  sich  an  der  frei  werdenden  Fläche  eine  Art 
Rindenplasma  ausbildet,  während  das  freigelegte  Plasma  ins  Innere 
tritt  und  so  das  Blastomer  nach  der  inneren  Anordnung  ein  isoliertes 
Ganze  wird  (vergl.  auch  die  Maas'schen  Versuche  an  Medusen).  Die 
Produkte  der  Versuche  von  Herlitzka  und  Endres  waren  nicht 
immer  gleich.  Eine  Weiterentwickelung  trat  zwar  stets  an  beiden 
Teilprodukten  ein.  vielfach  wurden  auch  beide  Blastomeren  zu  nor- 
malen Embryonen,  in  andern  Fällen  aber  nur  der  eine,  während  die 
andere  Hälfte  wenig  über  die  Gastrulation  hinaus  kam. 

Diese  Unterschiede  hat  Spemann  durch  weitere  besonders 
sorgfältig  angestellte  Experimente  aufzuklären  gesucht.  "  Er  hat 
nicht    nur  in   frühen   Stadien,    sondern   auch   noch   bei    der   Blastula 


A.  Eier  mit  späterer  und  fakultativer  Regulation.  39 

•Gastrula  etc.  Durchschnürungen  vorgenommen.  Dazu  ist  es  nötig,  die 
Schlinge  bereits  bei  der  ersten  Furche  sanft  anzulegen,  um  sie  erst 
im  späteren  gewünschten  Stadium  zuzuziehen  und  eine  vollkommene 
Sonderung  herbeizuführen.  Auf  diese  Weise  gewinnt  die  Ligatur 
eine  neue  Bedeutung,  sie  wird  zu  einer  Marke,  die  die 
erste  Furche  so  festlegt,  dass  sie  noch  am  Xervenrohrstadium 
und  Embryo  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  Achsen  kontroliert  werden 
iann.     Es    hat    sich    in    der   Mehrzahl    der    Fälle   gezeigt,    dass    beim 

Piff.  34. 


Fig.  34.     Ei    von   Triton    unter    mittelstarker  frontaler  Schnürung   (nach  Spemann). 
An  der  dorsalen  Hälfte  Urmundeinstülpung,  an  der  ventralen  Abgrenzung 
des  Dotterfeldes. 


Triton  die  erste  Furche  nicht  gleichwertige  symmetrische  Hälften 
scheidet,  sondern  vorn  und  hinten  trennt,  indem  die  Längsaxe  des 
Embryo  quer  zur  Ligatur  fiel;  in  anderen  Fällen  allerdings  lag 
auch  hier,  wie  beim  Frosch,  die  erste  Furche  in  der  Symmetrieebene 
des  Embryo.  Aus  diesen  Variationen  der  Normalentwickelung  würden 
sich  die  Unterschiede  in  den  experimentellen  Ergebnissen  sehr  einfach 
erklären.  Wenn  der  Ausgangspunkt  des  Versuchs  wie  im  letzten  Fall 
gelagert  war,  also  die  Furchungszellen  symmetrisch,  gleichwertig 
waren,  so  konnten  aus  beiden  kleine  (Tanzembryonen  erzielt  werden ; 
wenn  aber  wie  in  den  meisten  Fällen  der  Normalentwickelung  die 
erste  Furche  eine  ungleiche  Scheidung  vornimmt,  so  konnte  nur  ein 
Teilstück  zur  Ganzbildung  kommen ;  das  andere  entwickelte  sich  zwar 
auch  weiter,  gelangte  aber,  analog  den  Versuchen  an  Seeigeln  mit 
ungleichen  Blastomeren,  nicht  bis  zur  gleichen  Phase.  Nach  den 
neuesten  sehr  eingehenden  Ermittelungen  Spemann  s  entspricht  diese 
•erste   resp. .  zweite    Furche,    durch    welche    wirklich    ungleichwertiges 


40 


VI.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien. 


IVIaterial  gesondert  wird,  nicht  der  Scheidung  in  vorn  und  hinten,, 
sondern  in  Rücken  und  Bauchhält'te.  Das  Resultat  ist  aber  das  ent- 
sprechende, nämlich  dass  nur  eine  I lallte  einen  verkleinerten  Ganz- 
embryo hervorbringt,  die  andere  dagegen  eine  Bildung  mit  merklichen 
Defekten.  Spemann  schliesst  darauf  neuerdings  auf  eine  ver- 
schiedene Fälligkeit  der  beiden  Blastomeren.  Rieh.  Hertwig 
dagegen  hält  trotzdem  beide  Blastomeren  für  gleich  potent  und  glaubt, 
dass  nur  in  der  einen  Hemmungen  eintreten  durch  die  Verhältnisse 
des  Nahrungsdotters,  der  in  der  unteren  Hälfte  sich  im  Vergleich 
zum  üblichen  Zellmaterial  reichlicher  aufstaut. 


Für.  35. 


Fig.  36. 


Fig.  35  u.  36.     Halbembryomen  von  Triton  nach  Spemann  aus  ,  verschieden  weitigen  * 
Furchungskugeln  erhalten. 

Fig.  35.     Embryo   von   etwa   halber   Grösse    und  normalen  Proportionen, 

entstanden  aus  der  dorsalen  Keimhälfte. 
Fig.  36.     In  mehrfacher  Beziehung  defekter  Embryo,  entstanden  aus  der 

ventralen  Keimhälfte. 


Es  kommt  also  für  das  Schicksal  der  einzelnen  Elastomere,, 
sowohl  in  der  Normalentwickelung,  als  nach  Isolation,  wesentlich  in 
Betracht,  in  welcher  Weise  durch  die  Furchen  das  protoplasmatische 
Material  verteilt  wird.  Diese  Verteilung  ist  morphologisch  nicht  immer 
genau  festgelegt  und  kann  ohne  das  Endresu  ltat  zu  stören  sowohl 
in  der  normalen  Entwickelung  erheblich  variieren,  als  auch  durch 
Experiment  (Druck  s.  o.,  Schwerkraft  s.  p.  167)  erheblich  abgeändert 


A.  Hier  mit   späterer  und  fakultativer  Regulation.  41 

werden.  Schon  daraus  geht  hervor,  dass  es  sieh  nicht  um  prinzi- 
pielle qualitative  Unterschiede  zwischen  den  Furchungszellen  handeln 
kann.  Wie  man  sieh  die  quantitativ  verschiedene  Verteilung  ver- 
schiedener Substanzen  im  Ei  und  in  den  Blastomeren  vorzustellen 
hat,  das  bildet  den  (legenstand  vielfacher  Diskussion  und  weiterer 
Experimente,  die  noch  an  besonderer  Stelle  zu  besprechen  sind. 


Als  ganz  allgemeines  Ergebnis  sämtlicher  bisher  erwähnter  Ex- 
perimente ist  noch  hervorzuheben,  dass  die  Leistung,  die  die  einzelne 
Furchungszelle  unter  besonderen  Umständen  ausführen  kann,  durch- 
aus nicht  gleich  zu  setzen  ist  der  Leistung  in  der  ungestörten  Ent- 
wicklung, sondern  letztere  meist  erheblich  übertrifft.  Man  hat,  nach 
Driesch,  um  einen  kurzen  und  treffenden  Ausdruck  zu  haben,  das 
Schicksal  einer  Zelle  in  der  Normalentwickelung  als  ihre  «prospek- 
tive Bedeutung  ,  das  alles  aber,  was  unter  besonderen  Umständen 
( Isolierung  etc. )  aus  ihr  werden  kann,  als  ihre  «prospektive  Potenz» 
bezeichnet.  Auch  diese  ist,  wie  die  letzterwähnten  Experimente  be- 
weisen, Einengungen  unterworfen,  die  in  gewisser  Proportion  zum 
normalen  Schicksal,  zur  prospektiven  Bedeutung  stehen.  Diese  Ver- 
hältnisse sind  in  den  einzelnen  Tiergruppen  verschieden;  daher  sind 
vor  ihrer  Erörterung  noch  die  Furchungsexperimente  zu  besprechen, 
die  in  zahlreichen  andern  Tiergruppen  angestellt  worden  sind. 


42  VII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 


VII.  Kapitel. 
Die  Experimente  an  Furchungsstadien.    (Fortsetzung.) 

B.  Eier  mit  sofortiger  und  absoluter  Regulation. 

Experimente  an  Meduseneiern.  Einstellung  der  Plasmasubstanzen.  Experimente 
an  Amphioxus eiern.  Allmähliche  Einschränkung  der  Wertigkeit  der  Furchungs- 
zelle.    Experimente  an  K n  o  ch  e  n  f  i  s  c  h  e  i  e  r  n.    Doppelbildungen  bei  meroblastischen 

Eiern. 

Versuche  an  Meduseneiern. 

Die  Eier  der  Medusen  bieten  für  Isolierungsversuche  günstige 
Objekte,  da  sie  schon  im  natürlichen  Zustand  eine  gewisse  Neigung 
zum  Auseinandergehen  der  Blastomeren  und  danach  wieder  eine  grosse 
Abrundungs-  und  Regulierfähigkeit  zeigen.  R.  Zoja  hat  bei  einer 
Reihe  von  Medusenarten,  deren  Eier  dazu  gross  genug  waren,  Ver- 
suche der  Durchtrennung  mit  einer  scharfen  lanzettförmigen  Nadel 
gemacht.  Dadurch  ist  natürlich  eine  bessere  Möglichkeit  zur  willkür- 
lichen Erzielung  von  Teilstücken  bestimmter  Kleinheit,  (',2,  V4,  Vs — Viu) 
gegeben,  als  bei  den  Zufällen  der  Schüttelmethode.  Aus  grösseren 
Teilstücken  wurden  von  Zoja  durchaus  normale  Larven  erzielt,  die 
die  Fähigkeit  zum  Ansetzen  hatten.  Die  isolierten  Blastomeren 
rundeten  sich  sofort  ab,  auch  die  Furchungsstadien  zeigten  keine  Halb- 
heit oder  Defekte,  sondern  einen  allseitigen  Zusammenschluss  der 
Zellen.  Interessante  Unterschiede  ergaben  sich  in  der  Fähigkeit  der 
Weiterentwickelung  zwischen  grösseren  und  kleineren  Teilstücken  bei 
verschiedenen  Arten.  Bei  Clytia  flavidula  entstand  aus  1/g,  ^4»  Vs  U1K^ 
noch  Vir,  Blastomer  eine  Planulalarve,  die  sich  ansetzte  und  zur 
Hydroidbildung  anschickte,  bei  Laodice  cruciata  gelangte  noch 
V16  Blastomer  bis  zum  Larvenstadium,  jedoch  nicht  zum  Ansetzen, 
dagegen  brachte  es  das  V8  Stadium  noch  bis  zum  Hydroiden.  Bei 
Mitrocoma  annae  gelangte  nur  das  1/8  und  V4  Stadium  bis  zur 
Larve;  bei  Liriope  mucronata,  einer  Meduse,  die  keinen  Hydroid- 
polypen  ausbildet,  sondern  direkt  wieder  zur  Meduse  wird,  gelangte 
das  V4  Blastomer  nur  zum  zweiblättrigen  Stadium,  das  Va  Material 
bildete  aber  eine  vollkommene,  nur  verkleinerte  Meduse.  Es  besteht 
also  hier  wie  bei  Echinodermen,  eine  Abnahme  in  der  Fähigkeit  der 
■Ganzbildung,  je  nach  der  Grösse  des  Blastomers.    Dass  diese  Abnahme 


B.  Eier  mit  sofortiger  und  absoluter  Regulation.  43 

bei  verschiedenen  Medusen- Arten  verschieden  und  nicht  an  eine  be- 
stimmte Teilung  gebunden  ist,  weist  auch  hier  darauf  hin.  keinen 
prinzipiellen  Unterschied  anzunehmen,  sondern  plasmatische  Ver- 
teilungen verantwortlich  zu  machen. 

Darüber,  wie  über  die  Ursache  der  guten  Regulierungsfähigkeit 
hat  Maas  Versuche  bei  einer  andern  Meduse,  Äegineta  ftavescens,  an- 
gestellt, deren  auffallend  grosse  Eier  leichtes  Manipulieren,  be- 
sonders Verlagerungen  gestatten.  Die  bei  Echinodermen  und  Am- 
phibien erwähnten  Versuche  einer  Uniordnung  der  Furchungsteilungen 
in  Folge  von  Pressung  der  Eier  sind  in  ihrer  Deutung  nicht  ganz 
einwandfrei.  Man  könnte  vom  Standpunkt  der  qualitativ  ungleichen 
Kernteilung  sich  vorstellen,  dass  hier  ebenfalls  die  Qualitäten  zerlegt 
werden,  nur  in  einer  anderen  Folge  und  nach  einem  anderen  Schema 
wie  in  der  Normalentwickelung,  aber  dennoch  mit  ähnlichem  Resultat. 
Das  ist  wohl  eine  künstliche  Hilfsannahme,  die  aber  doch  nicht  ganz 
al »zuweisen  ist:  die  Furchung  geschieht  ja  hier  von  vornherein  unter 
Druck;  von  einer  wirklichen  Verlagerung  »einer  beliebige  Vertauschung 
der  Furchungskugeln«  kann  nur  dann  die  Rede  sein,  wenn  bereits 
gebildetes  Blastomerenmaterial  auseinander  geschüttelt  wird,  und  solche 
Versuche  haben  ja  auch  bei  Echinodermen  keine  einheitliche  Ergebnisse 
geliefert  (s.  p.  32).  Bei  den  Furchungsstadien  von  Äegineta  ist  eine  totale 
Verlagerung  leicht  zu  bewerkstelligen,  indem  man  die  Eier  mehrmals 
in  eine  weite  Pipette  herein  saugt  und  mit  einiger  Kraft  unter  Wasser 
wieder  herausspült.  Es  lassen  sich  alsdann  alle  möglichen  Abweich- 
ungen von  der  normalen  Lage  hervorbringen,  im  extremen  Fall 
sogar  eine  Kette  hintereinanderliegender  Zellen,  wie  bei  einer  Faden- 
alge (Fig.  37).  Die  Zellteilung  schreitet  aber  ruhig  weiter  vorwärts, 
und  indem  sieh  kleinere  Teilstücke  um  die  grösseren  herumlegen, 
tritt  allmählich  Absonderung  und  Zusammenschluss  ein  l).  Wenn  die 
einzelnen  Kerne  hier  besondere  Qualitäten  enthielten,  müsste  aus 
derartig  wirklich  durcheinandergeschütteltem  Material  gar  nichts  oder 
eine  Monstrebilduug  hervorgehen ;  statt  dessen  werden  aber  Medusen 
mit  Gallerte,  Schirmrand  und  Tentakeln  erzielt  (Fig.  38),  die  kaum 
irgendwelche  Unregelmässigkeit  erkennen  lassen. 


i)  Dem  von  Driesch  und  Fischel  gemachten  Einwand  gegenüber,  dass  mög- 
licherweise da  die  Zellen  in  eine  der  natürlichen  Lagerung  ähnliche  Position  zurück- 
kehren, möchte  ich  bemerken,  dass  die  Experimente  so  zahlreich  und  die  Verlagerungen 
und  nachfolgenden  Teilungen  so  verschiedenartig  sind,  dass  es  nach  aller  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung fast  ausgeschlossen  ist,  dass  auch  nur  in  einigen  Fällen 
eine  Normallagerung  wieder  hergestellt  wurde. 


44         VII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 

Fig.  37. 


Fig.  38. 


1  KA    (  P 

- 


nw 

ent 

Fig.  37.     Verlagerung   der  Blastomeren   der  Meduse  Aegineta   zu   einer   einzigen   Zell- 
reihe (nach  Maas). 
Fig.  38.     Schnitt  durch  die  daraus  gezüchtete  normale  Meduse  (nach  Maas). 


Fig.  39  u.  40. 


Fi?.  41. 


Fig.  39,  40,  41.  Furchungsstadien  der  Meduse  Aegineta,  um  die  verschiedene  Ein- 
stellung des  Exoplasmas,  je  nach  freier  Fläche  und  Berührungsfläche  zu 
zeigen.     (Nach  Maas.) 


B.  Eier  mit  .sofortiger  und  absoluter  Regulation.  4ö 

Bei  diesen  Umlagerungen  machen  sich  an  den  ein/einen  Blasto- 
meren auch  Veränderungen  in  der  Verteilung  der  plasmatischen  Sub- 
stanzen geltend.  Jedes  Blastomer  zeigt  wie  das  Ei  an  seiner  freien 
Aussenfläche  eine  dicke  Schicht  von  Rinden-  oder  Exoplasma,  im 
Innern  dagegen  ein  Endoplasma  von  anderem  chemischem  und 
optischem  Verhalten,,  das  nur  von  einem  feinen  Exoplasmanetz  durch- 
zogen wird  (Fig.  40);  ebenso  ist  auch  die  Beschaffenheit  der  einem  anderen 
Blastomer  zugekehrten  Fläche.  Wenn  nun  diese  Flächenberührung 
durch  Verlagerung  aufgehoben  wird,  so  bekleidet  sich  die  dadurch 
entstehende  freie  Fläche  sehr  schnell  mit  einer  ansehnlichen  Schicht 
von  Rindenplasma;  umgekehrt  zieht  sich  dies,  wenn  wieder  nach- 
träglich ein  Kontakt  zweier  Zellen  eintritt,  von  der  Grenzfläche  zurück, 
und  das  Endoplasma  dringt  wieder  vor.  Auch  in  der  normalen  Ent- 
wickelung,  wo  die  Zellen  während  ihrer  Teilungen  oft  weit  von 
einander  geraten,  können  solche  Plasmaverschiebungen  im  Leiten  wie 
an  fixiertem  Material  beobachtet  werden  (Fig.  40,  41  u.  42).  Ähnliche 
Vorgänge  hat  man  sich  jedenfalls  auch  beim  Tritonei  vorzustellen,  wenn 
infolge  der  Durchschnürung  eine  freie  Fläche  geschaffen  wird,  nur 
dass  da  die  Verteilungsänderung  nicht  so  prompt  eintritt;  beim  Froschei 
tritt  sie  noch  schwerer  und  nur  unter  besonderer  Nachhilfe  ein,  in 
anderen  Fällen  gar  nicht,     (s.  p.  59). 

Dieser  schnellen  Plasmaregulierung  ist  jedenfalls  hier  die  Ab- 
rundung  der  verlagerten  Furchungsstadien  zu  danken;  ebenso  ist  sie 
bei  Isolierungsversuchen  wirksam.  Maas  hat  seine  Isolierungen  derart 
angestellt,  dass  er  auf  dem  4  teiligen  Stadium  die  Blastomeren  zu  je 
2  und  2,  auf  dem  8  teiligen  zu  je  4  und  4  mit  der  geschliffenen  Nadel 
von  einander  trennte.  Im  ersteren  Fall  resultierten  stets  Ganzbildungen. 
im  zweiten  P^all  hing  dies  davon  ab,  ob  die  beiden  Teilhälften  von 
je  4  Blastomeren  gleich  gross  waren.  In  der  Normalentwickelung 
variirt  dies ;  es  kann  die  dritte  Furche  entweder  das  eine  oder  das 
andere  Bild  liefern.  Waren  die  4  Blastomeren  in  beiden  Kränzen 
gleich,  so  resultierten  nach  der  Zerschneidung  aus  beiden  Hälften  Ganz- 
bildungen in  einem  überraschend  guten  Prozentsatz  der  Aufzucht; 
waren  aber  4  grosse  und  4  kleine  Blastomeren  vorhanden,  so  waren 
die  Zuchtprodukte  aus  beiden  verschieden.  Aus  den  kleineren  gingen 
nur  Zellplatten  hervor,  die  nach  einiger  Zeit  abstarben ;  aus  den 
grösseren  jedoch  entstanden  nach  einer  sehr  unregelmässigen  Weiter- 
furchung  Larven;  allerdings  in  einem  viel  ungünstigeren  Prozentsatz 
der  Zucht,  wie  oben. 


46 


711.  Kapitel.     Die  Experimente  an   Furrliungsstadien.     (Fortsetzung.) 


Auch  diese  Unterschiede  hängen  jedenfalls  mit  Unterschieden  in 
der  Plasmaverteilung  zusammen.  Die  kleinereu  Zellen,  die  zudem 
noch  kugelig  abgerundet  sind,  enthalten  zu  wenig  Endoplasma  im 
Verhältnis  zu  ihrer  Oberfläche  und  zum  Gesamtvolumen,  um  die 
Entodermbildung  auszuführen ;  die  grossen  enthalten  im  Verhältnis 
etwas  zu  viel,  daher  wird  die  Teilung  unregelmässig  und  es  bleiben 
oft  und  lange  im  Inneren  grosse  deutoplasmahaltige  Stücke  zurück ; 
manche  gehen  zu  Grunde,  aber  die  Entwickelung  ist  immerhin  möglich. 
Der  Fall  hier  bietet  Analogien  zu  dem  Unterschied  der  Entwickelungs- 
fähigkeit  der  ljs  Stücke  bei  Echinodermen,  je  nachdem  diese  aus  der  ani- 
malen  oder  vegetativen  Hälfte  stammen  (s.  p.  30).  Hier  können  die  Hälften 
nicht  als  animale  und  vegetative  bezeichnet  werden,  und  der  Unter- 
schied ist  kein  prinzipieller,  sondern  ein  quantitativer,  was  vielleicht 
auch  für  die  Verhältnisse  bei  Echinodermen  einen  Hinweis  gibt, 

Versuche  au  Amphioxuseiern. 

Die  Eier  von  Amphioxus  zeigen  ähnliche  weitgehende  Fähigkeiten 
der  einzelnen  Blastomeren ;  die  Experimente  haben  aber  ihre  besondere 
Bedeutung  dadurch,  dass  der  normale  Furchungsmodus  hier  nicht 
variiert,  sondern  ein  ganz  bestimmtes  und  genau  bekanntes  Bild  liefert, 
sodass  von  vornherein  schon  in  den  ersten  Stadien  der  Furchung 
gesagt  werden  kann,  ob  sich  ein  isoliertes  Stück  wie  ein  Ganzes  ver- 
hält oder  als  ob  es  im  Verband  geblieben  wäre.  Die  Normalfurchung 
wie  der  Experimentverlauf  ist  von  E.  B.  Wilson  beobachtet  worden. 


Fig.  42. 


a 


Fig.  42.     Gastrulae  am  Amphioxus,   aus   dem   ganzen  Ei   und   aus  der  J/2,  1U  nnd  Vs 
Blastomere  gezüchtet  (nach  Wilson). 

Die  isolierten  1j2  Blastomere  furchen  sich  sofort  so  weiter,  wie 
es  ein  ganzes  Ei  tut  und  zeigen  keine  Andeutung  einer  Halbbildung. 
Sie  entwickelten  sich  zu  kleinen  Larven,  die,  abgesehen  von  kleinen 
Unregelmässigkeiten    am  Schwanzende,    vollkommen    normal    waren. 


B.  Eier  mit  sofortiger  und  absoluter  Regulation. 


47 


Die  l/4  Blastomeren  variieren  etwas  in  ihrer  Furchimg,  die  Mehrzahl 
furcht  sich  ebenfalls  noch  wie  ein  Ganzes,  andere  aber  zeigen  Teil- 
furchung,  um  sich  erst  später  abzuschliessen  und  zu  regulieren.  Sir 
gelangten  dann  noch  über  das  Gastrulastadium  hinaus,  aber  nur  in 
einem  Fall  bis  zur  Larve.  Wenn  die  beiden  ersten  Furchungszellen 
nicht  völlig  getrennt,  sondern  nur  etwas  verlagert  werden,  so  entstehen 
Furchungsbilder  am  einzelnen  Blastomer,  die  zwischen  Ganzbildung 
und  Teilfurchung  in  der  Mitte  stehen  und  schliesslich  entwickeln  sich 
Doppelbildungen,  die  teilweise  zusammen  hängen.  Die  Orientierung 
der  Zwillinge  hing  von  der  Lage  ab,  die  die  auseinandergedrängten 
Blastomeren  eingenommen  hatten.  Wir  haben  somit  eine  unvoll- 
kommene Isolierung,  ähnlich  wie  bei  den  Amphibienversuchen  von 
Wetzel  und  Schultz e  vor  uns  und  ebenfalls  einen  Abschluss  durch 
andere  plasmatische  Substanz.  In  solcher  schneller  und  regulierender 
Abschliessung  ist  auch  jedenfalls  der  Grund  zu  suchen,  warum  hier 
von  vornherein  die  Furchung  der  isolierten  Stücke  wie  ein  verkleinertes 
Ganzbild  darstellt. 


Fig.  43. 


Fig.  44. 


Fig.  45. 


Fig.  43.  Verlagerung  der  Blastomeren  des  Amphioxus  (nach  Wilson).  In  diesem 
16er  Stadium  sind  zwei  Hälften,  jede  aus  8  Zellen  im  annähernden  Bilde 
einer  Ganzf'urchung  zu  sehen. 

Fig  44  u.  45.  Aus  solchen  Verlagerungen  hervorgegangene  Doppelgastrulae  (nach 
Wilson). 

Noch  kleinere  Teilstücke,  ';s  Blastomeren,  zeigten  sehr  verschiedene 
Furchungsbilder,  aber  immer  der  Teilfurchung  zuneigend.  Das  Resultat 
variierte  von  einer  Zellplatte  bis  zu  einer  Blastula.  ein  Gastrulastadium 
kam  Wilson  dabei  nie  zu  Gesicht,  soll  jedoch  von  Driesch  noch 
mitunter  erzielt  worden  sein.  Die  Vie  Stücke  bildeten  meist  nur  ge- 
krümmte Zellplatten,  seltener  mehr  geschlossene  Blastulae. 

Es  ist  bemerkenswert,  dass  hier  trotz  so  grossen  Regulierungs- 
Vermögens  eine  so  rasche  Abnahme  der  Entwickelungsfähigkeit, 
besonders  vom  l/4  bis  zum  7s  Blastom erenstadium  eintritt.  Dies  kann 
verschieden  gedeutet  werden,  je  nachdem  man  der  einen  oder  anderen 


48  VII.  Kapitel.     Die  Experimente  an   Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 

Entwickelungstheorie  zuneigt.  Der  Unterschied,  der  während  der  Fur- 
chung  hervortritt,  konnte  hierein  prinzipieller  sein,  nach  Weismann 's 
Anschauungen,  indem  die  2,  resp.  4  ersten  Blastomeren  noch  gleich- 
wertig sind,  dann  aber  eine  Scheidung  der  Fähigkeiten  (Idioplasmen), 
also  Selbstdifferenzierung  einträte.  Wilson  selbst  hat  sich  dahin 
ausgesprochen,  dass  die  Furchung  in  späteren  Stadien  den  Charakter 
einer  Mosaikarbeit  annehme,  also  jedes  Teilstückchen  seine  Be- 
stimmung in  sich  trage.  »In  frühen  Stadien  mag  die  morphologische 
Bedeutung  einer  Zelle  durch  ihre  Lage  bestimmt  sein,  in  späteren 
Stadien  trifft  dies  weniger  zu,  und  am  Ende  kann  die  Zelle  mehr 
oder  minder  völlig  unabhängig  von  ihrer  Lage  werden,  indem  ihre 
Substanz  sich  endgiltig  und  dauernd  geändert  hat.«  Schon  aus  diesen 
Worten  geht  hervor,  dass  auch  Wilson  dabei  keine  prinzipielle 
Scheidung  der  Kernqualitäten  im  Sinn  von  Weismann  im  Auge  gehabt 
hat,  sondern  eine  Determinierung  der  Zelle  durch  die  Einwirkungen  des 
Entwickelungsganges  selbst  auf  die  schon  vom  Ei  an  vorhandenen 
Eigenschaften.  Er  betont  auch,  dass  die  Abweichungen  von  der  Normal- 
furchung,  welche  1/2 — ^/16  Blastomeren  bei  der  Einzelentwickelung 
zeigen,  schrittweise  zunehmen,  fast  proportional  dem  Alter  (resp. 
der  Kleinheit)  der  Ausgangsform.  Es  ist  somit  anzunehmen,  dass 
auch  die  Unterschiede  in  der  Entwickelungsf ähigkeit  keine  prin- 
zipiellen sind,  sondern  graduelle,  die  durch  verschiedene  Plasmaver- 
teilung genügend  erklärt  werden  können.  Dass  sich  die  1/8  Blasto- 
meren in  den  Experimenten  von  Wilson  und  Driesch  etwas  ver 
schieden  verhalten,  rührt  vielleicht  daher,  dass  sie  von  verschiedenen 
Teilhälften  stammen,  die  in  dieser  Hinsicht,  ähnlich  wie  bei  Echino- 
dermen  und  Medusen  erläutert,  verschieden  bedacht  worden  sind. 
Auch  hat  Driesch  an  dem  Achtzellenstadium  von  Am/phioxus  noch 
eine  Verlagerung  der  Zellen  in  eine  Ebene  ausführen  können,  ohne 
dadurch  die  Bildung  normaler  Larven  zu  stören.  Wilson  hat  auch 
zuerst  darauf  hingewiesen,  dass  die  Teilung,  nach  welcher  ein  solcher 
Unterschied  in  der  Entwickelungsfähigkeit  der  Blastomeren  eintrete, 
bei  verschiedenen  Tiergruppen  früher  oder  später  stattfindet;  schon 
dadurch  also  ist  ein  Hinweis  gegeben,  keinen  plötzlichen  prinzipiellen 
Unterschied  anzunehmen. 

Versuche  an  Eiern  von  Fischen. 

Die  Experimente,  die  an  Eiern  der  Teleostier,  spez.  an  Fundulus 
heteroclitus,  von  Morgan  gemacht  wurden,  zeigen  ebenfalls  eine  grosse 
Regulierungsfähigkeit  und  Ersatzmöglichkeit  der  Einzelzellen.    Sie  sind 


B.  Eier  mit  sofortiger  und  absoluter  Regulation.  I'.i 

darum  besonders  zu  erwähnen,  weil  es  sich  um  meroblastische  Eier 
handelt,  also  solche,  bei  denen  durch  die  grosse  Menge  des  Dotter- 
plasmas sich  dieses  vollständig  von  dem  sich  furchenden  Keim  scheidet, 
der  wie  eine  Kappe  darüber  Heul.  Die  heisse  Nadel  schädigt  hier, 
wohl  wegen  der  Dünne  der  Plasrnaschicht,  beide  Anfangsblastomeren  ; 
man  kann  aber  hier  auch  durch  blosses  Anstechen  und  nachfolgenden 
Druck  das  Protoplasma  zum  Ausspritzen  bringen  und  dadurch  eine 
Elastomere  isolieren.  Deren  Grenzfläche  nach  dem  verschwundenen 
Blastomer  zu  rundet  sich  dann  sofort  ab,  und  die  Furchungsteilungen 
gehen  an  dem  Teilstück  von  vornherein  vor  sich  an  einem  Ganzen; 
auch  wird  ein  normaler,  nur  etwas  kleinerer  Embryo  daraus  geliefert. 
Die  durch  das  Experiment  übrig  gebliebene  Elastomere  hat  die  Auf- 
gabe, den  ganzen  Dotter  zu  umwachsen,  was  ihr  auch  gelingt;  der 
•entstehende  Embryo  ist  dadurch  auch  bedeutend  grösser  wie  '  .,  normal. 

Fig.  46. 


Furchung    eines    Fundultts    nach    Abtötung    einer    Blastomere    des    2  -  Zellenstadiums. 
Im  8-Zellenstadium  begriffen  nach  sofortiger  Abrundung  (nach  Morgan). 

Dies  beweist  die  Abhängigkeit  der  Grösse  von  der  Gesamtmenge  des 
Plasmas,  nicht  nur  des  gefurchten  Materials.  Gewöhnlich  scheidet  die 
■erste  Furche  zwei  gleich  grosse  Hälften;  diese  sind  aber,  wie  Morgan 
durch  Markierungsversuche  gezeigt  hat,  durchaus  nicht  immer  den 
beiden  symmetrischen  Hälften  des  Embryo  entsprechend.  Für  das 
Resultat  der  Halbentwickelung  ist  diese  verschiedene  prospektive 
Bedeutung  der  Teilstücke  in  der  Normalentwickelung  ohne  Einfluss, 
anders  also  wie  bei  Amphibien  (s.  p.  40)  von  Spemann  angenommen 
wurde;  auch  kann,  wenn  die  erste  Furche  ungleich  grosse  Blasto- 
meren geliefert  hat,  das  Experiment  mit  dem  gleichen  Endresultat 
gemacht,  und  aus  der  grösseren  sowohl  wie  der  kleineren  ein  ganzer 
normaler  Embryo  erzielt  werden,  ebenso  nach  Zerstörung  von  3  der 
4  ersten  Blastomeren.  Ferner  können,  auch  wenn  die  Furchung 
weiter  vorgeschritten  ist,  einzelne  Teilstücke  in  der  geschilderten  Weise 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgeschichte.  4 


50 


VII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 


durch  Ausfliessen  entfernt,  also  gewissermassen  Stückchen  des  Mosaik- 
bildes entfernt  werden  (vergl.  hierzu  das  ßild  der  Furchung  eines 
anderen  Fisches,  Fig.  47).  Es  tritt  sehr  bald  ein  Zusammenschluss 
der   Zellen    ein    und    der    entstehende   Embryo   zeigt   keinerlei    Miss- 


Fig.  47. 


Fig,  47.     Furchung  von  Betone  acus  (nach  Kopsch). 

bildung.  Auch  sonst  können  mit  diesen  Eiern  in  frühen  wie  späteren 
Stadien  sehr  beträchtliche  Form-  und  Materialveränderungen  vor- 
genommen werden,  ohne  den  Ablauf  der  Entwickelung  zu  stören^ 
Einiges  daran,  wüe  die  Dotterentnahme  am  ungeteilten  Ei  wird  noch 
in  anderem  Zusammenhang  zu  besprechen  sein. 


Es  sind  mehrfach  Doppelbildungen  an  meroblastischen  Eiern, 
sowohl  in  der  Natur,  als  nach  Experimenten  beobachtet  worden,  bei 
Forelle,  Eidechse,  Vögel  etc.  Dieselben  finden  zum  Teil  ihre  Erklärung 
wohl  darin,  dass  sich  das  Material  zweier  Blastomeren,  resp.  Hälften 
gegeneinander  verschoben  und  durch  Plasmaveränderungen  wie  in 
den  oben  erwähnten  Fällen  experimenteller  Erzeugung  abgegrenzt  hat. 
Dadurch  ist  dann  eine  unvollkommene  Isolierung  (s.  p.  36)  eingetreten, 
und  jedes  der  isolierten  Stücke  versucht  eine  Ganzbildung. 


B.   Eier  mit   sofortiger  und  absoluter   Regulation.  .">] 

Bei  Leuciscus  hat  Bataillon  gelegentlieh  von  Versuchen  über 
den  osmotischen  Druck  (s.  p.  172)  solche  Doppelbildungen  und  über- 
haupt monströse  Mehrfachbildungen  erhalten,  wenn  er  die  Eier  in 
Salz-  oder  Zuckerlösung  von  bestimmter  Konzentration  brachte  und 
dann  zur  Weiterentwickelung  in  gewöhnliches  Wasser  übertrug.  Es 
hatte  sich  dabei  offenbar  auf  frühem  Stadium  der  Verband  der 
Blastomeren  gelockert,  und  nachher  wurden  die  einzelnen  Partien  als 
verkleinerte  Ganzbildungen  entwickelt,  jedoch  zusammengehalten 
durch  den  gemeinsamen  Dotter.  Es  geht  dies  auch  daraus  hervor, 
dass  er  bei  einem  holoblastischen  Fischei,  wo  also  die  Furchung 
völlig  die  Kugeln  trennt,  bei  Petromyzon  planeri,  mittelst  der  gleichen 
Methode  zwei  völlig  getrennte  Embryonen  erhielt.  Solche  »Blasto- 
tomie«,  wie  es  Bataillon  nennt,  konnte  auch  mitunter  freiwillig  zu 
Stande  kommen,  und  die  Entwickelung  der  Zwillingslarven  von  der 
ersten  Furche  bis  zum  Ausschlüpfen  verfolgt  werden.  Für  die  Frage 
von  der  Gleichartigkeit  des  Eibaus  (s.  p.  65)  ist  dies  natürlich  von 
besonderer  Bedeutung. 

Dass  Mehrfachbildungen  an  solchen  meroblastischen  Eiern  auch 
noch  auf  andere  Weise  und  auf  späteren  Stadien  zu  Stande  kommen, 
geht  auch  aus  den  Versuchen  von  Kopsch  hervor  (s.  p.  94);  immer 
aber  ist  das  gleiche  Prinzip  zu  konstatieren,  dass  ein  Teil,  aus  seiner 
Lagebeziehung  als  Teil  gebracht,  sich  vermöge  seiner  Fähigkeiten, 
entsprechend  der  neuen  Situation,  als  ein  Ganzes  entwickelt. 


52  VI J 1 .   Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 


VIII.   Kapitel. 
Die  Experimente  an  Furchungsstadien.    (Fortsetzung.) 

C.  Eier  mit  beschränkter  und  unbestimmter  Regulation  und  Eier 

ohne  Regulation. 

Experimente  an  A  sei  dien  eiern.  Verlagerung  und  Isolierung  der  Blastomeren  bei 
C  t  e  n  o  p  h  o  r  e  n  e  i  e  r  n.  Die  Plasmaverteilung  und  deren  Starrheit.  Die  determinierte 
Normalfurchung  bei  Anneliden  und  Mollusken.     Experimente  an  Mollusken-  und 

Annelideneiern. 

V e r s u c h e  an  Ascidieneie r n. 

Bei  den  Aseidien  werden  schon  während  der  normalen  Furchung 
ganz  bestimmte  Teile  des  Tieres  festgelegt;  die  erste  Furche  entspricht 
der  späteren  Medianebene,  die  zweite,  die  2  grössere  von  2  kleineren 
Blastomeren  trennt,  scheidet  vordere  und  hintere  Körperhälfte.  Da 
sich  hier  sehr  frühzeitig  eine  charakteristische  Larve  mit  Sinnes- 
organen,  Schwanz  und  stützender  Chorda  ausbildet  (Fig.  51),  so  lag  es 
nahe,  experimentell  zu  prüfen,  ob  diese  Mosaik  der  Furchung  auch 
einer  Mosaikverteilung  der  Fähigkeiten  entspräche,  oder  mit  anderen 
Worten,  ob  die  Zellen  gleichwertig  seien  und  ihr  Anteil  am  Bau  des 
Körpers  durch  ihre  Lage  bestimmt  werde,  oder  ob  sie  ihr  Schicksal, 
für  alle  Fälle  bestimmt,  in  sich  tragen.  Die  bereits  früh  von  Chabry 
ausgeführten  Experimente  schienen  der  letzteren  Ansicht  im  Sinne 
Weismanns  Hecht  zu  geben.  Es  gelang  ihm  durch  Anstechen 
eine  Blastomere  von  zweien  abzutöten  und  daraus  nach  unvollkommener 
Furchung  und  Gastrulation  defekte  Larven  zu  erzielen,  die  er  gerade- 
zu als  Halbindiyiduen  bezeichnet.  Diese  »Halblarven«  verbleiben 
innerhall)  der  Hülle,  besitzen  eine  einreihige,  aus  wenigen  Zellen 
zusammengesetzte  Chorda,  nur  eine  (von  zwei  symmetrischen)  Cloaken- 
öffnungen  und  eine  von  drei  Haftpapillen ;  ferner  fehlt  von  den  Sinnes- 
organen bald  der  Otolith  und  bald  das  Auge  (oc),  was  auf  den  Ausfall 
des  hierzu  bestimmten  Blastomerenmaterials  zurückgeführt  wird. 

Driesch  und  später  Cr  am  p  ton  haben  ebenfalls  Isolierungen  an- 
gestellt, aber  eine  andere  Auslegung  gegeben.  Schon  die  Furchung  ist 
nach  ihnen  keine  Halbfurchung,  sondern  zeigt  eine  gewisse  Regulierung. 
Von  der  eines  ganzen  Eies  mit  seinem  regelmässigen  Teilungsverlauf  ist 
sie  zwar  sehr  verschieden,  aber  doch  tritt  früh  ein  Zusammenschluss  zu 
einem   »regellos  soliden«  Typus  ein.    Die  Gastrula  ist  danach  ebenfalls 


C.  Eier  mit  beschränkter  und  unbestimmter  Regulation. 


53 


keine  Halbbildung,  sondern  zeigt  einen  kreisrunden  Blastoporus  mit  all 
mählichem  Schluss.  Die  erste  Chordaanlage  ist.  worauf  Driesch 
besondere  Aufmerksamkeil  gelegt  hat,  mehrschichtig,  wie  in  der 
normalen  Larve;  erst  später  wird  ein  nur  einreihiger  Zellstrang 
daraus,  was  aber  auch  in  der  Normalentwickelung  der  Fall  ist,  nur 
dass  hier  die  Anzahl  der  ihn  zusammensetzenden  Zellen  entsprechend 
geringer  ist.     Den  kleinen  Larven  fehlen  die  Haftpapillen  entweder 


Piff.  48. 


Fig.  49. 


Fi s.  50. 


-  ch 


St 


d 


Fig.  51. 


oc 


Fig.  48.     Ascidien  -  Furchung ;    Abtötung   einer   Blastomere   des  zweiteiligen  Stadiums 

mach  Chabry). 
Fig.  49.     Daraus  hervorgehende  Gastrula,  an  der  zerstörten  Eihälfte  ansitzend. 
Fig.  50.     Daraus    gezüchtete    defekte   Ascidienlarve    (nach    Chabry).     ch  =  Chorda, 

d  =  Darm,  st  =  Stirnpapille,  n  =  Nervenrohr. 
Fig    51.     Normale  Larve  zum  Vergleich  damit. 

ganz  oder  sind  nur  in  Ein-  oder  Zweizahl  vorhanden,  der  Otolith  fehlt 
häufig  ganz,  der  Augenfleck  ist  meistens  ausgebildet,  wenn  auch  nicht 
so  vollkommen  wie  beim  normalen.  Driesch  hat  danach  seine 
Larven,  wie  bei  Echinodermen,  als  Ganzbildungen  von  halber  Grösse 
gedeutet,  denen  nur  gewisse  Organe  von  minderer  Bedeutung  fehlen. 
Diese  Defekte  sind  nicht  durch  das  Ausbleiben  bestimmt  qualifizierter 


54         VIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 

Blastomeren  im  Sinn  der  qualitativ  gleichen  Kernteilung  zu  deuten; 
sie  können  auch  hervorgerufen  werden,  wenn  man  das  ungefurchte 
Ei  durch  Verunreinigung  des  Wassers  oder  grelle  Belichtung  schädigt 
und  dann  zur  Weiterentwickelung  bringt;  sie  beruhen  demnach  auf 
plasmatischer  Grundlage. 

Man  wird  aber  die  Eier  der  Ascidien  bezüglich  ihrer  Fähigkeiten 
nicht  ohne  Weiteres  mit  denen  der  Echinodermen  zusammenstellen 
dürfen.  In  den  ersten  Stadien  gehen  sie  bezüglich  ihrer  Regulierung 
darüber  hinaus  und  zeigen,  wenn  auch  keine  ganz  normale,  so  doch 
keine  Defektfurchung  und  Halbgastrulae,  wie  die  Echinodermen ;  später 
bleiben  sie  umgekehrt  in  ihrem  Ausgleichsvermögen  weit  hinter  den 
Echinodermeneiern  zurück  und  zeigen  zahlreiche  Defekte,  während 
bei  Echinodermen  trotz  Halbfurchung  etc.  ein  ganz  normaler  Fluteus 
mit  seiner  komplizierten  Wimperschnur  und  all  seinen  Kalkstäben  ent- 
steht. Auch  wenn  die  Defekte  nicht  durch  die  Mosaiktheorie  erklärt 
werden  dürfen,  so  sind  sie  als  typisch  wiederkehrend  doch  sicherlich 
nicht  so  bedeutungslos,  dass  man  den  Ascidienkeini  in  allen  seinen 
Teilen  als  gleichwertig,  »aequipotentiell«  bezeichnen  dürfte.  Hier 
müssen  jedenfalls  noch  weitere  Experimente  angestellt  werden,  sowohl 
an  Ascidien  selbst,  wie  an  anderen  Tiergruppen,  die  sich  bezüglich  der 
Furchung  ähnlich  verhalten. 

Versuche  an  Ctenophoreneiern. 

Bei  den  Ctenophoren  nimmt  die  Normalfurchung  ebenfalls  einen 
sehr  genau  gerichteten  Verlauf,  indem  von  allem  Anfang  bestimmte 
Körperebenen  und  Quadranten  festgelegt  werden.  Die  ersten  beiden 
Furchen  schneiden  das  Ei  meridional;  die  dadurch  entstehenden  4 
Blastomeren  entsprechen  den  späteren  4  Quadranten  des  Körpers; 
die  dritte  Furche  verläuft  ebenfalls  meridional,  schneidet  aber  4  etwas 
kleinere  und  höher  gelagerte  Blastomeren  von  den  4  grösseren  ab. 
Diese  4  kleineren  sind  in  einer  Ebene  einander  paarweise  genähert, 
in  der  anderen  paarweise  durch  die  grösseren  entfernt,  so  dass  hier- 
durch die  doppelte  oder  2  strahlige  Symmetrie  des  Ctenophorenkörpers 
bereits  angedeutet  ist. 

Alle  S  Blastomeren  unterscheiden  sich  mehr  durch  Lagerung 
als  durch  Volumen  und  können  als  Makromeren  bezeichnet  werden. 
Dann  aber  scheiden  sich  am  Pol  durch  Querteilung  8  viel  kleinere 
Mikromeren  ab,  die  eine  den  Makromeren  entsprechende  Verteilung 
zeigen  (Fig.  55).     Die  Zahl  der  Mikromeren  wird  dann  sowohl  durch 


C.  Eier  mit  beschränkter  und  unbestimmter  Regulation.  55 

Selbstteilung  wie  durch  weitere  Abschnürung  aus  Makromeren  ver- 
mehrt. Schon  bei  der  Normalfurch ung  muss  der  geringe  Zusammen- 
schluss  der  Blastomeren,  die  grosse  Formselbstständigkeit  und  Ab- 
rundung,  die  das  einzelne  Teilstück  zeigt,  auffallen. 

Die  Isolierungsversuche,  die  hier  gelegentlich  von  Chunan  Bolina 
angestellt  worden  waren  und  zu  Halbbildungen  geführt  hatten  (s.  p.  24), 
stehen  in  ihrem  Resultat  im  Gegensatz  zu  den  (Tanzbildungen  bei 
Echinodermen  und  anderen  <  Mrjekten.  Sie  wurden  deshalb  an  Beroe  ovata 
von  Driesch  und  Morgan  wiederholt,  nicht  mit  der  Schüttelmethode, 
sondern  indem  die  Eier  mittelst  feiner  Scheren  samt  der  Hülle  in 
günstigen  Stadien  zerschnitten  wurden.  Es  zeigte  sich  dann  während 
der  Furchung  eine  ausgesprochene  Halbheit,  es  entstanden  nur  vier 
Mikromeren,  die  auch  bei  weiterer  Vermehrung  eine  Halbanordnung 
noch  beibehielten ;  erst  später  trat  eine  allseitige  Umwachsung  der 
Makromeren  ein,  die  ebenfalls  noch  länger  ihre  Halbanordnimg  zeigten. 
Das  Resultat  war  eine  Larve,  die  anstatt  8  Wimperplatten  nur  deren 
4  besass,  bei  der  jedoch  der  Magen  nicht  halb  war.  sondern  ein  ge- 
schlossenes Rohr  bildete  und  anstatt  der  normalen  4  Entodermsäcke 
deren  2  und  einen  kleinen  unsymmetrischen  zeigte. 

Besonders  sorgfältige  Experimente  sind  durch  Fischel  angestellt 
worden ;  es  gelang  ihm  durch  Pinzette  und  Messer  die  Isolierung  und 
sodann  auch  die  Aufzucht  isolierter  Stücke  innerhalb  der  unver- 
letzten Ei  hülle;  event.  konnte  sogar  die  Eihülle  selbst  an  bestimmter 
Stelle  als  isolierende  Falte  zwischen  die  Teilstücke  geschoben  werden. 
Es  wurden  nicht  nur  auf  dem  2-,  sondern  auf  dem  4-,  8-  und 
16  teiligen  Stadium  Isolierungen  vorgenommen  (Fig.  52)  und  zwar 
sowohl  in  gleich  grosse  wie  in  ungleiche  Stücke,  z.  B.  3/8,  2/8,  lj8  etc. 
Blastomeren.  Es  konnten  so  innerhalb  einer  Eihülle  2,  3  und  4  Lärvchen 
zur  Entwicklung  kommen ;  alle  aber  waren  in  bezug  auf  die  Ausbildung 
der  Wimperrippen  nur  Teilbildungen,  und  die  Zahl  der  Rippen  an  allen 
Lärvchen  zusammen  betrug  nie  mehr  wie  8,  also  die  Normalzahl  des 
einzelnen  unverletzten  Tieres.  In  einem  Fall  z.  B.  konnten  ein  Lärvchen 
mit  vier,  eines  mit  drei  und  eines  mit  einer  Rippe  (Fig.  54),  im  anderen 
Fall  zwei  mit  drei  Rippen,  eine  mit  zwei,  in  wieder  anderen  Fällen 
zwei  von  je  vier  Rippen  (Fig.  53),  oder  vier  von  je  zwei  Rippen  inner- 
halb einer  Eihülle  zur  Aufzucht  kommen.  Bei  genauer  Verfolgung 
des  Einzelstückes  ist  zu  konstatieren,  dass  '  .,  Blastomer  eine  Larve 
mit  vier,  ein  ^4  eine  Larve  mit  zwei  Rippen  und  '  8  eine  Larve  mit 
einer  Rippe  bildet,  Einzelne  l/lö  Blastomeren  konnten  nicht  gezüchtet 
werden,  weder  von  der  grossen  noch  von  der  kleinen  Zellenhälfte;  wenn 


56        VIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an   Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 

man  aber  auf  diesem  Stadium  Teilungen  so  vornimmt,  dass  immer Makro- 
meren  und  Mikromeren  zusammen  bleiben,  so  ergiebt  sich  immer  eine 
Larve  mit  entsprechender  Rippenzahl  je  nach  der  Anzahl  <ler  ver- 
wendeten   Makro-    und    Mikromeren.     Dass    die    Larve    kein    halbes, 


Fiar.  52. 


Fig.  53. 


Fig.  52.     Auseinanderdrängung  des  Blastomerenmaterials  der  Ctenophore  Beroe  ovata 

(nach  Fisch  el).  innerhalb  der  Eihülle 
Fig.  53.     Die  daraus  hervorgehenden  Larven,  jede  mit  Dann  und  Sinnespol,  aber  nur 

je  4  Rippen  (nach  Fischel). 

sondern  ein  allseitig  geschlossenes  Magenrohr  besitzt,  giebt  Fischel 
zu,  betont  aber  mit  Recht  dessen  Assymmetrie ;  die  nach  der  Iso- 
lierungsseite zugekehrte  Wand  bleibt  in  Dicke  wie  histologischer  Aus- 
prägung sehr  hinter  der  normalen  zurück  und  stellt  kaum  mehr  vor 


C.  Eier  mir  beschränkter  \\\x\  unbestimmter  Regulation. 


57 


als  ein  verschliessendes  Narbengewebe.  Dass  noch  etwas  mehr  wie 
die  Hälfte  der  Entodermtaschen  vorhanden  ist.  kann  nach  Fischel 
rein  mechanisch  durch  andersartige  Einstülpung  des  gleichen  Materials 
aufgefasst  werden,  nicht  als  ein  Beweis  der  gegenseitigen  Vertret- 
barkeit der  entodermalen  Zellen.  Von  F i s c h e  1  und  A.  wurden  daher 
diese  Versuche  als  ein  Beweis  einer  durch  die  Furchung  gegebenen 
fortschreitenden  Spezifikation  im  Sinne  der  Mosaiktheorie  aufgefasst. 
Auch  die  Anhänger  der  entgegengesetzten  Theorie  können  liier  nicht 
von   einer    »Ganzbildung   mit   nur   untergeordneten  Defekten«    reden, 


Fig.  54, 


Fig.  54.     Drei  aus   einem  Ei    hervorgegangene    Larven,    die    eine    mit    4-.    die    andere 
mit  3,  die  dritte  mit  1  Rippe  (nach  Fischel). 


sondern  erkennen,  wenigstens  in  den  ectodermalen  Organen,  spez. 
den  Rippen  die  ausgesprochene  Halbbildung  an.  Sie  erklären  die- 
selbe aber  auf  Grund  plasmatischer  Verschiedenheiten,  etwa  so  dass 
schon  vom  Ei  das  für  die  Ausbildung  der  Rippen  besonders  not- 
wendige Plasma  lokalisiert  sei  und  entsprechend  gelagert  auch  auf 
die  einzelnen  vier  resp.  acht  Blastomeren  übergehe. 

Laut  Fischel's  Anschauung  enthalten  dann  die  von  den  acht 
Makromeren  stammenden  Mikromeren  das  Material  für  die  Rippen- 
elemente ganz  allein  und  bringen  es  ganz  seihständig,  unabhängig 
von  Ort  und  Nachbarschaf t  zurEntwickelung,  als  selbständig  arbeitende 
Mosaikteilchen.  Er  hat  hierzu  Verlagerungsversuche  angestellt.  Im 
16  zelligen    Stadium    wurden    die    8    Mikromeren    aus   ihrer  normalen 


,")S         VIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchinigsstadien.     (Fortsetzung.) 

Lage  (Fig.  55)  heraus  auf  zwei  verschiedene  Seiten  des  Eies  ver- 
schoben (Fig.  56),  und  es  ergab  sich  eine  Larve,  die  eine  der  Ver- 
schiebung der  Mikromeren  ganz  analoge  Verteilung  ihrer  Rippen  auf- 
wies: anstatt  in  einem  Pol  liefen  die  acht  Rippen  in  zwei  verschiedene 
Sinnespole  zu  je  vier  Rippen  zusammen  (Fig.  57).  Auch  bei  Ver- 
lagerung einzelner  Mikromeren  zeigen  sich  entsprechende  Verschie- 
bungen einer  Rippe.  Wenn  man  Verschiebungen  vornimmt,  nachdem 
bereits  die  Mikromeren  zahlreicher  geworden  sind,  verlagert  man 
nicht  das  Anlagematerial  einer  ganzen  Rippe,  sondern  nur  das  einzelner 
Elemente.  Infolgedessen  treten  keine  Verlagerungen  ganzer  Rippen 
(ausser  wenn  grosse  Gruppen  von  Mikromeren  verschoben  wurden)  ein, 
wohl  aber  Unregelmässigkeiten  an  der  einzelnen  Rippe,  Zickzack- 
verlauf und  andere  Unordentlichkeiten. 


Fi?.  55. 


Fi?.  56. 


P 


Fig. 


P 


Fig.  55.    Normales  lßzelliges  Furchungsstadium. 

Fig.  56.     Dasselbe  nach  Vorlagerung  der  Mikromeren  (ml)  (nach  Fischöl). 
Fig.  57.     Daraus   hervorgehende    Doppelbildung  mit   einem  Darm    und  zwei  Sinnes- 
polen p,  von  deren  jedem  4  Rippen  ausgehen  (nach  Fischel). 

Diese  Versuche  entsprechen  also  durchaus  den  Forderungen  der 
Mosaiktheorie,  aus  durcheinander  gewürfeltem  Material  einen  in  ent- 
sprechende Unordnung  geratenen  Keim  aufzubauen.  Dennoch  ist  es 
nicht  nötig,  hierfür  eine  qualitativ  ungleiche  Kernteilung  anzunehmen, 
auch  nicht  eine  solche,  die  erst  auf  einem  späteren  Stadium,  dem  der 
Mikromerenbildung,  hier  also  bei  den  ]/i6  Blastomeren  einsetzt. 

Die  Anhänger  der  Mosaiktheorie  haben  ja  mehrfach  eine  Gleich- 
wertigkeit der  ersten  Furchungsstücke  noch  zugegeben,  z.  B.  wenn 
dadurch  bilateral-symmetrische  Hälften  geliefert  werden,  und  die 
qualitative  Scheidung  erst  darnach  eintreten  lassen.  Hier  bei  den 
( 'tenophoren  sind  in  diesem  Sinne  nicht  nur  die  beiden  ersten  Teil- 
hälften, sondern  auch  noch  die  vier  Quadranten  in  Bezug  auf  alle 
späteren  Organsysteme  gleichmässig  bedacht,    unTl    in   Bezug   auf  die 


C.  Eier  mit  beschränkter  und  unbestimmter  Regulation.  59 

Kippen  sind  dies  sogar  noch  die  acht  ersten  Blastomeren.  Dennoch 
aber  sind  die  Blastomeren  der  Ctenophoren  in  ihrer  Ergänzungsfähig- 
keit durchaus  beschränkt  und  diese  Beschränkung,  die  bei  anderen 
Tiergruppen  allmählich  eintritt,  ist  hier  schon  von  allem  Anfang  an 
vorhanden,  trotz  der  viel  länger  wie  bei  anderen,  den  bilateral  sym- 
tometrischen,  Tieren  bestehenden  innerlichen  Gleichwertigkeit  des  Blas- 
merenmaterials.  Es  können  auch  nicht  die  plasmatischen  Unterschiede 
allein  sein,  die  den  Ctenophoren  eine  Sonderstellung  zuerteilen,  denn 
die  zwei,  vier,  resp.  acht  Blastomeren  sind  mit  der  Verteilung  der 
plasmatischen  Substanzen  noch  gleichmässig  bedacht,  sondern  es  liegen 
hier  noch  besondere  Verhältnisse  vor.  Diese  bestehen  in  der  mangelhaften 
Ausgleichsfähigkeit  der  Plasmaverteilung  nach  Störungen,  im  Gegen- 
satz zum  Verhalten  der  Medusen.  Im  Hinblick  auf  die  Verschieden- 
heiten, die  für  die  Ausgleichsfähigkeit  der  plasmatischen  Substanzen 
innerhalb  der  Amphibien  beobachtet  sind,  hat  die  Annahme  einer  der- 
artigen Verschiedenheit  auch  bei  Coelenteraten  keine  Schwierigkeiten 
und  sie  wird  auch  durch  die  tatsächliche  Beobachtung  bestätigt.  Es  bleibt 
auch  bei  Ctenophoren  nach  der  Isolierung  im  Gegensatz  zur  schnellen 
Ausgieichsfähigkeit  der  Medusen  die  relative  Lagebeziehung  der  ver- 
schiedenen Plasmaarten  erhalten.  Auch  in  der  Normalentwickelung 
zeigt  jeder  Quadrant,  Octant  eine  grössere  Unabhängigkeit  von  der 
Nachbarschaft  als  in  anderen  Tiergruppen;  es  kann  z.  B.  in  einem 
Quadranten  die  Furchung  unregelmässig  sein,  ohne  dass  die  anderen 
Quadranten  dadurch  betroffen  werden;  ebenso  setzt  der  Quadrant 
oder  Octant  seine  Entwickelung  unbeirrt  als  solcher  fort,  wenn  ihm 
die  Nachbarschaft  genommen  und  eine  freie  Fläche  gegeben  ist. 
Natürlich  ist  diese  »Starre«  der  Plasmaorganisation  keine  absolute, 
ebensowenig  wie  die  Unabhängigkeit  der  Teile  in  der  Normalent- 
wickelung. Aus  einem  »rippenbildenden«  Blastomer  des  1ji6  Stadiums 
allein  ohne  das  zugehörige  Makromer  ist  noch  keine  Wimperplatte 
erzielt  worden,  und  ebenso  wird  auch  bei  Isolierung  die  entstandene 
freie  Fläche  nach  und  nach  wenigstens  etwas  ausgeglichen.  Aber  die 
Plasmarinde  ist  hier  sehr  dünn  im  V ergleich  zur  normal  freien  Fläche : 
die  Umwachsung  durch  die  Mikromeren  geht  hier  langsamer  und 
ungleichmässiger  vor  sich,  und  noch  an  der  Larve  ist  die  Defekt- 
seite, auch  ausser  dem  Fehlen  der  Rippen  durch  die  dünne  und 
mangelhafte  histologische  Ausprägung  der  betreffenden  Magenwand 
gekennzeichnet. 

Wenn   man  demgemäfs   bestimmte  Plasmaunterschiede   und   ihr 
Verharren  an  derselben  Stelle  für  die  Teilfurchuug  und  Teilausbildung 


(30         VIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 

der  Ctenophoren  verantwortlich  macht,  so  darf  man  doch  das  Bildungs- 
plasma für  die  Rippen  nicht  ausschliesslich  in  den  acht  ersten  Mikro- 
meren  und  vorher  an  ganz  bestimmten  Stellen  der  Blastomeren  resp. 
des  Eies  annehmen.  Man  würde  sonst  den  gleichen  Fehler  allzu 
scharfer  Lokalisation  machen,  den  in  anderer  Weise  die  Idioplasmen- 
theorie  begeht.  Dass  keine  so  scharfe  Begrenzung  bestellt,  zeigt  sieh 
schon  darin,  dass  in  der  Normalentwickelung  das  Mikromerenmaterial 
nicht  allein  von  den  acht  ersten  Mikromeren  durch  Teilung  stammt, 
sondern  auch  durch  weitere  Abschnürung  von  den  Makromeren  aus 
vervollständigt  wird;  ferner  sprechen  Versuche  der  Plasmaentnahme 
am  ungefurchten  Ei  dagegen,  das  Rippenmaterial  derart  lokalisiert 
zu  denken  (s.  p.  67).  Wie  man  sich  eventuell  die  Eistruktur  vor- 
stellen kann,  wird  im  Zusammenhang  mit  anderen  Experimenten, 
die  an  ungefurchten  Eiern  verschiedener  Tierpruppen  angestellt 
worden   sind,  noch  später  zu  erörtern  sein. 

Versuche  an  Eiern  von  Mollusken,  Anneliden   etc. 

Bei  den  Anneliden,  Mollusken  und  anderen  verwandten  Tier- 
gruppen hat  die  Furchung  einen  sehr  bestimmten  Charakter;  die 
einzelnen  Zellen  konnten  bei  sehr  vielen  verschiedenen  Formen  in 
übereinstimmender  Weise  von  den  ersten  Teilungen  bis  zu  ihrem 
definitiven  Schicksal  verfolgt  werden  und  besitzen  eine  ganz  scharf 
umschriebene  »prospektive  Bedeutung.«  Wir  sehen  im  allgemeinen 
vier  Mikromeren  «,  b,  c,  r/,  und  vier  Makromeren  A,  B,  C,  D,  auf- 
treten, die  ersten  vermehren  sich  weiter  durch  Teilung,  die  letzteren 
geben  noch  weitere  Mikromeren  ab,  die  aber  untereinander  nicht 
gleichwertig  erscheinen,  je  nach  dem  Makromen,  aus  dem  sie  stammen. 
Die  Abspaltungsprodukte  von  den  drei  gewöhnlichen  Makromeren  A, 
B,  C  (a.,,  b2,  er,  a:i,  bA,  c3)  zeigen  nichts  auffallendes,  sondern  reihen 
sich  den  übrigen  Mikromeren,  res}),  ihren  Abkömmlingen  an ;  die 
Abspaltungszellen  aus  dem  vierten  Makromer  (D)  dagegen  sind  in 
meist  zwei  Generationen  (d.2  und  d4)  durch  Grösse  und  Lagerung  von 
den  übrigen  verschieden  und  haben  für  den  Aufbau  des  Embryo 
besondere  Bedeutung.  Sie  werden  darum  Somatoblasten  genannt  und 
liefern  zustimmen  die  Mehrzahl  der  ecto-  und  besonders  mesodermalen 
Organe  (Nervensystem,  Exkretionsorgane,  Coelom  etc.),  die  Masse  der 
kleinen  Mikromeren  bilden  die  Larvenhaut  und  deren  Organe  (Pol- 
platte etc.)  and  die  Makromeren  A,  B,  C  und  was  von  1)  bleibt,  den 
Darm  und  seine  Derivate.    Die  vier  ersten  Furchungszellen  sind  also 


C.  Eier  mit  beschränkter  und  anbestimmter  Regulation. 


61 


i> 


Fig.  "»''S 


Fiff.  59. 


ß 


-  <h 


d2  =  r  -- 


Fig.  60. 

b-2     b\  i  Oj  Cf2 


«li 


Fig.  61, 


Fig.  62 


d%  =  x 


C 


D 


-  rh 


Fi?.  58,  59,  60,  61.  Normale  Molluskenfurchung  (Dreissensia  pölymorphd)  nach 
Meisenheim  er. 

Fig.  58.     4zelliges  Stadium  vom  animalen  Pol  aus.    Äfc  =  Richtungskörper. 
Fig.  59.     Abschnürung    des   ersten  Mikromers   (Übergang   zum    5zelligen 

Stadium). 
Fig.  60.  i  16zelliges  Stadium  (12  Mikro-,  4  Makromeren)  vom  animalen  Pol. 
Fig.  61.     Dasselbe  vom  vegetativen  Pol  aus. 

Fi?.  62.  Defektfurchung  einer  Mollusken  {Ilyanassa)  nach  Cr  a  rapton,  aus  isolierter 
Blastomere  hervorgegangen,  mit  6  Zellen,  also  der  Hälfte  des  12-Zellen- 
stadiums  entsprechend. 


62         VIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  Furchungsstadien.     (Fortsetzung.) 

untereinander  in  der  Normal-Entwickelung  nicht  von  gleicher  Be- 
deutung, da  eine  derselben  durch  die  Lieferung  der  Somatoblasten 
bedeutend  mehr  zu  leisten  hat  und  sich  auch  schon  durch  Grösse 
und  Gehalt  von  Deutoplasma  vor  den  drei  andern  auszeichnet. 

Bei  vielen  Schneckeneiern  ist  dies  schon  äusserlich  erkennbar, 
indem  eine  lokasierte  Dottermenge,  nur  durch  eine  Substanzbrücke 
mit  dem  übrigen  Plasma  zusammenhängend  und  darum  »Dotter- 
lappen« genannt,  dem  Blastomer  anhängt  (Fig.  63,  64,  65).  Dadurch 
wird  schon  bei  der  ersten  Teilung  eine  Verschiedenheit  zwischen  den 
ersten  beiden  Blastomeren  bedingt,  bei  der  zweiten  Teilung  bleibt 
der  Dotterlappen  in  dem  vierten  Blastomer  D  zurück,  eben  dem, 
dessen  sich  abschnürende  Mikromeren  eine  besondere  Bedeutung 
haben. 

Fig.  63.  Fig.  64.  Fig.  65. 

A  A 


dl  dl 

Fig.  63,  64.  65.     Frühe   normale  Furchungsstadien   an  llyanassa   (nach  Crampton). 
Fig.    63    und    64    zeigen    die   Einschnürung    des  Dotterlappens    yoi-  und 

während    der    ersten    Furche    und    damit   die    Möglichkeit    der 

Abtrennungsoperation. 
Fig.  65  zeigt  den  Dotterlappen  wieder  mit  der  einen  Zelle  ganz  vereinigt 

(so  wie  später  mit  D  Fig.  61). 

Bei  diesem  ausgesprochenen  Mosaikcharakter  der  Normalfurchung 
verdienen  Isolierungen  der  Blastomeren  erhöhtes  Interesse.  Crampton 
hat  bei  der  Schnecke  Ihjanassa  u.  a.  Formen  solche  dadurch  bewirkt, 
dass  durch  einen  Wasserstrom  im  Zuchtaquarium  die  Teilungsstadien 
zum  Auseinandergehen  gebracht  wurden.  Wenn  im  Zweizellenstadium 
getrennt  wurde,  so  furchte  sich  jedes  1/2  Blastomer  genau  so  weiter, 
als  wenn  es  im  Verband  des  Ganzen  geblieben  wäre.  Die  Furchung 
war  deutlich  nur  halbseitig  (Fig.  62),  und  ausserdem  zeigte  sich  ein 
wichtiger  Unterschied  zwischen  den  beiden  Blastomeren,  indem  nur 
das   mit    dem   Dotterlappen   versehene    die   besonders    gelagerte   und 


C.  Eier  mit  beschränkter  und  unbestimmter  Regulation.  63 

ausgezeichnete  Mesodermmikromere  zu  liefern  vermochte.  Bei  beiden 
trat  später  stets  eine  Abrundung  und  ein  kompakterer  Zusammen- 
schluss  der  Zellen  ein ;  doch  starben  die  Produkte  vor  der  Weiter- 
entwickelung ab.  Isolierte  lji  Blastomeren  zeigten  deutliche  Viertels- 
furchung;  die  Produkte  aus  den  drei  gewöhnlichen  Zellen  A,  B,  C 
bildeten  ihre  Mikromeren ,  die  es  schliesslich  zu  einer  gewissen 
Umwachsung  der  Mikromeren  und  sogar  zu  einer  teil  weisen  Bildung 
des  Wimperringes  brachten;  bei  dem  vierten,  mit  dem  Dotterlappen 
versehenen  Elastomer  ging  es  ebenfalls  zunächst  im  Sinn  der  Teil- 
furchung  weiter;  doch  reichte  Teilungs-  und  Lebensfähigkeit  nicht 
aus,  um  es  noch  bis  zur  charakteristischen  Generation  der  Mesoderm- 
mikromere zu  bringen.  -/,  und  y/4  Blastomeren  zeigten  entsprechende 
Halb-  resp.  Dreiviertelsbilder  der  normalen  Furchung.  Wenn  man 
im  8  Zellenstadium  isoliert,  wo  also  4  Makromeren  und  4  Mikro- 
meren vorhanden  sind,  so  furchen  sich  die  1IS  Mikromere  als  Teile 
weiter,  gehen  aber  bald  ein,  die  einzelnen  1/8  Makromere  sind 
überhaupt  nicht  mehr  teilungsfähig;  ein  2/8  Stadium,  aus  einem 
Mikromer  und  einem  Makromer  bestehend,  verhält  sich  dagegen  wie 
im  Viertel.  Die  isolierten  1/16  Zellen  sind  allesamt  nicht  mehr  teilungs- 
fähig; nur  dann,  wenn  nachträglich  wieder  einige  zusammen  geraten, 
können  auch  noch  weitere  Teilungen  erfolgen.  Hier  liegt  also  von 
der  allerersten  Furche  ab  eine  ganz  begrenzte  Leistungsfähigkeit  der 
Blastomeren  vor;  die  Unterschiede,  die  in  den  einzelnen  Stadien  und 
Blastomeren  zu  erkennen  sind,  zeigen  deutliche  Beziehung  zum 
plasmatischen  Gehalt,  wie  dies  noch  mehr  bei  Versuchen  am  ganzen 
Ei  hervortritt  (s.  p.  05). 

Bei  Anneliden  ist  dies  ebenfalls  wahrzunehmen.  Leider  liegt 
gerade  hier,  wo  die  Normalfurchung  geradezu  Zelle  für  Zelle  bis 
zur  Organbildung  des  Embryo  resp.  der  Larve  verfolgt  werden 
konnte,  kein  einziger  Isolierungs-  und  nur  ein  A'erlagerungsversuch 
vor.  E.  B.  Wilson  liess  bei  Nereis  die  Furchung  unter  Pressung 
vor  sich  gehen  und  erhielt  ein  8  Zellenstadium,  bei  dein  die  Blasto- 
meren in  einer  Ebene  lagen  und  nicht  4  Makro-  und  4  Mikromeren. 
sondern  durch  Deutoplasmagehalt  8  etwas  kleineren  Makromeren 
entsprachen.  Dann  wurde  die  Pressung  aufgehoben,  und  es  schnürten 
sich  8  Mikromeren  von  den  8  Makromeren  ab.  Da  das  normale 
16-zellige  Stadium  12  Mikromeren  und  4  Makromeren  besitzt,  die  16 
ersten  Kerne  also  sonst  12  Mikromeren-  und  4  Makromerenkerne  sind, 
so  schliesst  Wilson,  dass  auch  hier  von  einer  qualitativ  ungleichen 
Kernteilung   nicht   die   Rede    sein   könne,    sondern   der   Plasmagehall 


<34  IX.  Kapitel.     Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei 

bestimmend  wirke.  Mit  der  Aushilfsannahme  einer  zeitlichen  Ver- 
schiebung der  ungleichen  Kernteilung  und  eines  späteren  Ausgleichs 
(Anachronismus)  können  deren  Anhänger  hier  nicht  durchdringen,  da 
sich  noch  in  der  Larve  beim  normalen  Tier  4,  hier  dagegen  8  Makro- 
nieren erhalten.  Die  Unterschiede,  die  Mosaik  der  Normalfurchung, 
sind  also  auch  durch  Plasma  bedingt  und  diese  »cytoplasmic 
localisation«   muss  schon  in  der  Eizelle  vorhanden  sein. 


IX.  Kapitel. 

Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei  und  die  Frage  der 

Eistruktur. 

Die  Bedeutung  des  Eibaues  für  die  Entwickelung.  Die  sog.  organbildenden  Keim- 
bezirke und  die  sog.  Isotropie  des  Eies.  Experimente  der  Plasmaentnabme  am 
ungefurchten  Ei  in  verschiedenen  Tiergruppen.  Nachweis  eines  verschiedenen  Ei- 
baues. Der  Eibau  und  die  Verteilung  plasmatischer  Substanzen  eine  „spezifische" 
Eigenschaft.  Eiorganisation.  Furchung  und  Bau  des  Erwachsenen  in  ihrem  event. 
Causalnexus.    (Theoretisches,  Kern  und  Plasma,  und  Unzulänglichkeit  der  Zelltheorie.) 

Die  in  den  vorangehenden  Kapiteln  geschilderten  Versuche  an 
Furchungsstadien  zeigen,  dass  "sowohl  zwischen  den  einzelnen  Tier- 
gruppen als  auch  zwischen  verschiedenen  Stadien  derselben  Tierform 
beträchtliche  Unterschiede  in  der  Wertigkeit  der  Blastomeren  und 
der  Regulationsfähigkeit  zum  Ganzen  bestehen.  Diese  Unterschiede 
konnten  in  Beziehung  gebracht  werden  zu  Unterschieden  in  der 
Quantität,  Verteilung  und  Ausgleichsfähigkeit  von  plasmatischen  Sub- 
stanzen und  bis  zum  Ei  selbst  zurück  verfolgt  werden.  Es  liegt 
daher  nahe,  den  Beweis  für  die  Bedeutung  des  Eibaues  in 
der  Entwickelung,  der  durch  die  Furchungsexperimente  indirekt 
erbracht  wurde,  auch  direkt  zu  führen  durch  Experimente  der 
Plasmaentnahmen  und  Verlagerungen  am  ungefurchten  Ei,  und 
dadurch  der  Frage  der  Eistruktur  näher  zu  treten. 

Wenn  man  bei  vielen  Tieren  sieht,  wie  schon  im  Ei  gewisse 
Axen-  und  Symmetrieverhältnisse  gegeben  sind,  die  auf  die  Furchungs- 
stadien und  dann  auf  den  Embrvo  übergehen,  so  könnte  man  sich 
vorstellen,  dass  das  Ei  eine  ganz  bestimmte,  zu  den  Teilen  des  er- 
wachsenen Tieres  in  Beziehung  stehende  Organisation  besässe.  Natür- 
lich nicht  im  Sinne  der  Präformationstheorie  des  18.  Jahrhunderts  so, 


und  die  Frage  der  Eistruktur.  t\~> 

■dass  das  Ei  nur  ein  verkleinertes  Abbild  des  Erwachsenen  sei,  und 
die  einzelnen  Teile  nur  zu  wachsen  brauchen,  aber  doch  so,  dass 
räumlich  ganz  festgelegte  Beziehungen  beständen  zwischen 
Anlagesubstanzen  im  Ei  und  den  Organen  des  Erwachsenen. 

Diese  Anschauung  wurde  früher  von  His  als  Prinzip  der 
organbildenden  Keim  bezirke  in  die  Embryologie  eingeführt; 
sie  zeigt  Verwandtschaft  zu  den  Anschauungen  von  Weis  mann  und 
Roux;  nur  dass  die  mosaikartige  Verteilung  der  Ungleichheiten  nicht 
im  Kern,  sondern  im  Plasma  gedacht  wird  und  schon  von  vornherein 
im  Ei  vor  jeglicher  Kernteilung  vorhanden  ist. 

Dass  eine  solche  Lokalisation  der  Anlagesubstanzen,  wenn  über- 
haupt einmal  vorhanden,  doch  nicht  Regel  sein  kann,  wurde  schon 
früh  durch  Experimente  am  ungefurchten  Ei  bewiesen.  Den  Brüdern 
Hertwig  gelang  es,  durch  Schütteln  etc.  unbefruchtete  Echiniden- 
eier  noch  zu  zerlegen  und  kleinere  Bruchstücke  zu  befruchten  und 
bis  zur  Gastrulation  aufzuziehen;  Boveri  und  später  Delage  er- 
zielten sogar  noch  Pluteuslarven  daraus.  Pflüger  glaubte  beim 
Froschei  eine  völlige  Umordnung  der  Substanzen  herbeigeführt  zu 
haben  und  schloss  daraus,  wie  aus  den  obigen  Experimenten,  auf 
eine  Gleichwertigkeit  aller  Teile  des  Eiplasmas,  wofür  er  den  wenig 
glücklichen  Namen  Isotropie  des  Eies  einführte.  Es  hat  sich 
später  gezeigt,  dass  bei  den  Pf  lüg  er 'sehen  Versuchen  gar  nicht  die 
vermutete  Umordnung  der  plasmatischen  Substanzen  eingetreten  war 
(s.  p.  168),  und  dass  auch  bei  anderen  Tiergruppen  wie  bei  Echiniden 
selbst  nicht  eine  solche  Gleichwertigkeit,  sondern  nur  eine  Isotropie 
um  eine  bestimmte  Axe  herum  besteht.  Zwischen  den  beiden  zu 
extremen  Ansichten  von  der  Isotropie  einerseits,  der  Präformation 
im  Ei  andererseits,   sind  die  Experimente  in  der  Lage  zu  vermitteln. 

Bei  der  Schnecke  Ilyanassa,  wo  die  Furchungsexperimente  schon 
eine  gewisse  Beziehung  zum  »Dotterlappen«  erkennen  Hessen  (s.  p.  62), 
hat  Crampton  diesen  Dotterteil  noch  vor  dem  Einschneiden  der 
ersten  Furche  abgetrennt,  einer  Operation,  die  wegen  der  schon 
normal  vorhandenen  Einschnürung  (s.  Fig.  64)  leicht  gelingt.  Das 
Makromer  D,  das  sonst  diesen  Dotteranteil  behält,  war  somit  den 
übrigen  Makromeren  gleichgestellt;  im  normalen  Fall  bildet  dieses 
Makromer  ein  besonders  ausgezeichnetes  Mikromer,  dein  die  Mesoderm- 
bildung  obliegt;  hier  blieb  die  ganze  Mesodermbildung  völlig  aus. 
Nicht  dass  auch  die  betreffende  Zelle  (rf4)  ausgeblieben  wäre ;  dieselbe 
unterschied    sich    jedoch   weder   durch  Lagerung  noch  Schicksal   von 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgeschichte.  f> 


m 


IX.  Kapitel.     Die  Experimente  am  ungefurchten   Ei 


den  anderen  Mi  kremieren.  Es  wurden  daraus  noch  Embryonen  mit 
Wimperstreifen  gezüchtet,  die  aber  vor  der  Erreichung  des  Veliger- 
stadiums  abstarben. 

Bei  Myzostoma  hat  Driesch  am  lebenden  Ei  eine  deutliche 
Schichtung  des  Plasmas  in  drei  durch  Färbung  und  Konsistenz  ver- 
schiedene Zonen  beobachtet,  die  von  der  Schwerkraft  ganz  unabhängig 
ist  (Fig.  66).  Im  weiteren  Verlauf  der  Furchung  gehen  dann  in  die 
durch  besonderes  Schicksal  ausgezeichneten  Mikromeren,  die  »Somato- 
blasten«  (d2  und  #,  s.  o.  p.  60),  auch  besondere  Deutoplasmateile 
über,  die  in  die  anderen  Mikromeren  nicht  eintreten.  Auch  mit  den 
übrigen  plasmatischen  Substanzen  werden  die  verschiedenen  Furchungs- 
zellen  ungleich  bedacht,  besonders  nach  Auftreten  der  Mikromeren 
(Fig.  68,  69).  Dies  stimmt  mit  den  experimentellen  Ergebnissen  an 
Ilyanassa  gut  überein,  und  Driesch,  der  sich  hier  ausnahmsweise 
mit  der  blossen  Beobachtung  des  Normalen  begnügt  hat,  spricht 
geradezu  von   >organogenen  Substanzen«. 


Fisr.  66. 


Fig.  67. 


Fi£f.  68. 


Fi?.  69. 


Fig.  66,  67,  68,  69.     Furchung  von  Myzostoma  (nach  Driesch). 

Fig.  66  zeigt  die  Schichtung-    des  Eies    in   drei  Zonen,    die    in    ungleich- 
massiger  Verteilung  auf  die  Blastomeren  übergeht. 


Fi?.  69. 


Nur  eine  der  4  Blastomeren  enthält  die  sog.  Dottersubstanz. 


Dass  man  sich  solche  Substanzen  nicht  streng  lokalisiert  zu 
denken  braucht,  beweisen  Experimente  der  Plasmaentnahme  an 
Ctenophoreneiern,  die  zunächst  zu  einem  anderen  Zweck  angestellt 
waren.  Um  zu  zeigen,  dass  die  früher  erwähnten  Teilbildungen, 
die  aus  einzelnen  Blastomeren  von  Beroe  hervorgehen,  nicht  durch 
ungleiche  Kernqualitäten  bedingt  sind,  schnitten  Driesch  und 
Morgan  solche  Eier  sofort  nach  Befruchtung  auseinander.  Das 
kernhaltige  Stück  teilte  sich  weiter  und  lieferte  (entsprechend  der 
Schnittrichtung  längs  der  Eiaxe)  eine  Teilbildung,  trotzdem  es  ja 
den  Kern  resp.  alle  dessen  Abkömmlinge  wie  ein  normales  Ei 
enthielt.  Asymmetrisch  defekte  Eier  lieferten  auch  asymmetrisch 
defekte  Larven  mit  nur  4  oder  6  Rippen.  Diese  offenbare  Beziehung 
der  plasmatischen  Verteilung  im  Ei  zur  späteren  Organisation  bringt 


und  die  Frage  der  Eistruktur.  l',7 

das  His 'sehe  Prinzip  der  organbildenden  Keimbezirke  in  Erinnerung; 
jedoch  kann  dies  nur  in  sehr  modifiziertem  Sinn  angewandt  werden. 
Driesch  hat  selbst  hervorgehoben,  dass  man  von  einem  bestimmten 
»Rippenplasma«  nicht  reden  und  sich  den  Bau  des  Eies  nicht  zu 
kompliziert  vorstellen  dürfe.  Ziegler  hat  noch  vor  dem  Durch- 
greifen der  ersten  Furche  den  unteren  Teil  des  Eies,  also  die  Partie, 
aus  der  laut  den  bisherigen  Untersuchungen  die  rippenbildenden 
Mikromeren  entstehen,  entfernt.  Trotzdem  bildeten  sich  bei  solchen 
Eiern  die  betreffenden  Mikromeren  und  dann  die  normalen  8  Rippen, 
so  wie  ja  auch  in  der  Xormalentwickelung  ausser  den  ersten  8  Mikro- 
meren noch  weitere  »Rippenbildner«  nicht  nur  durch  Teilung  der  H 
ersten,  sondern  durch  Abschnürung  aus  den  Makromeren  dazu- 
kommen. Schon  dies  zeigt,  dass  eine  plasmatische  Anlage  für  die 
Rippen  im  Ei  nicht  lokal  scharf  umschrieben  ist;  Anlagesubstanz 
;ils  solche  ist  vorhanden,  aber  nur  im  allgemeinsten  Sinn.  Man 
kann  vielleicht  von  einer  dem  Aufbau  eines  bestimmten  Organ- 
systems am  ehesten  dienlichen  Substanz  reden,  darf  sich  aber  dies 
Bildimgsmaterial  nur  relativ  notwendig  und  nur  in  Verbindung  mit 
allen  übrigen  Substanzen  vorstellen,  und  von  einer  absoluten  Lokali- 
sation kann  noch  weniger  gesprochen  werden.  Man  kann  sich  das 
Ei  wohl  als  »ein  im  Ganzen  organisiertes,  aber  doch  nicht  wie  ein 
mosaikartiges  Gebilde«   denken. 

Auch  bei  Ascidien  konnten  von  Driesch  durch  Schädigung 
des  Plasmas  ungefurchter  Eier  gewisse  Hemmungen  in  der  Aus- 
bildung der  Larvenorgane,  z.  B.  des  Ütolithen  oder  Pigmentflecks 
oder  der  Haffpapülen  hervorgerufen  werden.  Bestimmt  lokalisierte 
Beziehungen  des  geschädigten  Eiplasmas  wurden  hierbei  nicht  be- 
obachtet, 

Dass  den  so  ausgleichsfähigen  Eiern  der  Medusen  und  Knochen- 
tische ein  ziemlich  einfacher  Eibau  zukommen  muss,  wird  schon 
indirekt  durch  den  Verlauf  der  Furchungsexperimente  bewiesen; 
»sonst  wären  einzelne  Blastomeren  nicht  so  schnell  zum  Ganzen  um- 
gestaltbar«. Beobachtung  und  Experiment  verlauf  weisen  bei  Medusen 
auf  eine  gleichmässige  Verteilung  von  mindestens  2  Substanzen  in 
allen  Radien  hin.  Direkte  Versuche  und  Entnahme  plasmatischer 
Substanzen  am  ungefurchten  Ei  sind  bei  Medusen  bisher  nicht  an- 
gestellt worden  und  bei  der  Zartheit  des  Materials  wohl  auch  schwer 
ausführbar,  wohl  aber  bei  Knochenfischen  von  Morgan.  Hier 
konnte  bei  Fundulus  der  mächtige  Dotter  bis  fast  zu  zwei  Drittel 
seiner  normalen  Menge  reduziert  werden  und  doch  entstanden  ganze 


(58  IX.  Kapitel.     Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei 

und  normale  Embryonen,  also  ein  Verhalten,  das  dem  von  Ilyanassa 
direkt  entgegengesetzt  ist.  Unter  eine  bestimmte  Dottermenge  kann 
aus  mechanischen  Gründen  nicht  herabgegangen  werden ;  wenn  die 
Dottermenge  nicht  mehr  grösser  ist,  wie  die  darüber  liegende  eigent- 
liche Protoplasmasubstanz,  so  zeigt  letztere  keine  Furchung;  resp. 
wenn  man  die  Entfernung  des  Dotters  während  der  Furchung  vor- 
genommen hat,  hören  die  Teilungen  auf.  Auch  innerhalb  des  eigent- 
lichen Furchungsplasmas  muss  bei  diesen  und  wohl  auch  bei  anderen 
Fischen  die  Verteilung  der  Substanzen  eine  durchaus  gleichmässige 
sein,  die  Furchen  schneiden  darum  in  ganz  gleichgültiger  Weise  ein. 
Selbst  dann,  wenn  die  ersten  Blastomeren  ausnahmsweise  an  Grösse 
sehr  verschieden  sind,  kann  aus  jeder  derselben  ein  ganzer  Embryo 
hervorgehen  (s.  o.  p.  49). 

Dass  bei  den  Amphibien  eine  besondere  Eistruktur  vorhanden 
sein  muss,  d.  h.  dass  plasmatische  Substanzen  in  bestimmter  Weise 
um  eine  Axe  und  auch  bilateral  zu  einer  Symmetrieebense  angeordnet 
sind,  ist  schon  oben  beim  Verlauf  der  Furchungsexperimente  erörtert 
worden.  Die  gegenseitige  Anordnung  dieser  Substanzen  oder  auch 
ihre  Gesamtlage  kann  auf  verschiedene,  später  noch  zu  besprechende 
Weise  (s.  p.  168)  verändert  werden.  Die  Furchung,  die  im  normalen 
Verlauf  durch  diese  Verteilung  bestimmt  wird,  kann,  wie  0.  Hertwig 
und  Born  gezeigt  haben,  durch  solche  Deformationen  des  Eies  sehr 
abweichen,  aber  die  Lage  der  Medianebene,  die  Orientierung  des 
Embryo  hängt  dann  nicht  von  der  ersten  Furche  und  dem  weiteren 
Furchungsveriauf,  sondern  auch  im  deformierten  Ei  von  den 
Differenzen  der  Plasmaverteilung  ab. 

Bei  den  Eiern  der  Seeigel  ist  eine  bestimmte  polare  Anordnung 
verschiedener  plasmatischer  Substanzen  um  eine  Axe  in  einer  Form 
durch  direkte  Beobachtung  am  lebenden  Objekt  vermöge  der  Färbung 
und  des  optischen  Verhaltens  der  Plasmasorten  erkannt,  bei  anderen 
Arten  durch  das  Experiment  erschlossen  worden.  Driesch  hat  bei 
Echt  uns  befruchtete  Eier  in  Stücke  zerschüttelt  und  die  Furchung 
solcher  Fragmente  beobachten  können.  Dieselbe  verlief  sehr  ver- 
schieden, aber  stets  als  Teilfurchung,  ungefähr  entsprechend  der  Lage 
des  Fragments  im  ganzen  Ei.  Driesch  hat  ferner  unbefruchtete 
Eier  im  Fragmente  zerlegt  und  solche  nachträglich  befruchtet,  auch 
diese  zeigten  solche  Teilfurchung.  Es  ist  daraus  zu  erschliessen,  dass 
im  Plasma  des  Eies  schon  eine  bestimmte  Ordnung  resp.  Organi- 
sation besteht,  und  ferner,  dass  diese  nicht  erst  mit  der  Befruchtung 
durch    die    Bahn    des    Spermatozoons    eintritt,    wie    dies    Roux    bei 


und  die  Frage  der  Eistruktur.  (',() 

Amphibien  nachzuweisen  suchte,  sondern  schon  von  vorn  herein  vor- 
handen ist. 

Bei  Strongylocentrotus  hat  Boveri  diese  Polarität  in  der  Anord- 
nung der  Substanzen  bis  zur  Ovocyte  zurückverfolgt.  Im  Ei  sind 
(s.  p.  28)  mindestens  drei  verschiedene  protoplasmatische  Substanzen 
zu  erkennen,  deren  Anordnung  bis  zum  Pluteus  festgehalten  wird 
(vergl.  Fig.  19 — 25).  Da  durch  die  Pigmentierung  diese  Polarität 
hier  sichtbar  ist,  so  ist  ein  zu  Experimenten  sehr  geeignetes  Objekt 
gegeben.  Boveri  hat  durch  Pressungs-  und  Streckungsversuche 
dem  Ei  eine  andere  geometrische  Axe  aufgezwungen,  die  mit  der 
Struktur axe  einen  Winkel  bildet;  die  in  der  Entwicklung  ein- 
tretenden Differenzierungen  richteten  sich  jedoch  nach  letzterer.  Unter 
Umständen  wurden  auch  zwei  Urdärme  oder  zwei  Mesenchymringe 
erzeugt,  je  nach  der  Verlagerung  oder  Auseinanderziehung  der  be- 
treffenden Zonen  im  Ei.  Die  Versuche  mit  Bruchstücken,  sowohl 
solchen,  die  vor,  als  nach  der  Befruchtung  gewonnen  waren,  ergaben 
meist  Teilfurch ung,  stimmten  also  mit  den  Driesch 'sehen  überein 
und  waren  hier  durch  das  die  Lage  markierende  Pigment  besonders 
instruktiv.  Eine  Reihe  von  Fällen  ergab  auch,  wie  bei  Driesch, 
Ganzfurchimg.  Driesch  hatte  sich  die  Eiorganisation  bei  den  Echi- 
niden  unter  einer  polar-bilateralen  Orientierung  der  kleinsten 
Teilchen  vorgestellt;  die  Fälle  der  Ganzfurchung  können  aber 
laut  Boveri  nur  durch  eine  polar-bilaterale  Schichtung  des  ge- 
samten Eiplasmas  erklärt  werden,  indem  dann  die  Schichtung 
wieder  wie  am  Ganzen  hergestellt  wTird,  oder  die  Fragmente  schon 
durch  die  Richtung  der  Bruchlinie  die  Schichtung  des  Ganzen  auf- 
weisen und  darum  Ganzfurchung  lieferten.  Dies  letztere  konnte  in 
einer  Reihe  von  Fällen  tatsächlich  nachgewiesen  werden ;  bei  Bruch- 
stücken z.  B.,  die  durch  Dehnung  sich  in  der  Richtung  der  Axe 
getrennt  hatten  und  nach  Abrundung  alle  Zonen  in  gleichem  Ver- 
hältnis aufwiesen,  wie  das  Ei  selbst.  War  dagegen  die  Trennung 
senkrecht  zur  Axe  erfolgt,  so  verhielten  sich  die  Bruchstücke  ver- 
schieden, und  die  rein  animalen,  pigmentlosen  gelangten  nicht  bis  zur 
Gastrulation.  Dadurch  wird  auch  die  früher  geprüfte  Gleichwertigkeit 
einer  animalen  und  vegetativen  Elastomere  (s.  pag.  30)  fraglich,  ein 
Problem,  das  noch  bei  Experimenten  an  späteren  Stadien  zu  berühren 
sein  wird. 

Andere  Echinideneier  beweisen  durch  den  analogen  Verlauf  der 
Experimente,  dass  ihnen  die  Schichtung,  die  bei  Stnmyijlocentrotiis  so 
auffällig   hervortritt,    ebenfalls    zukommt,  wenn  auch  nicht  äusserlich 


70  IX.  Kapitel.     Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei 

schon  sichtbar;  der  Pigmentring  ist  es  ja  nicht,  der  die  Eigenschaften 
verleiht,  sondern  ist  ja  nur  eine  Folge  und  ein  Symptom  der  den 
ganzen  Plasmakörper  durchsetzenden  Schichtung.  Diese  dient  laut 
Boveri  dazu,  »die  verschiedene  Qualität  der  späteren  Primitivorgane 
in  einfacher  Weise  vorzubereiten.«  Die  Furchung  ist  dabei  nicht  das 
Wesentliche,  sondern  sie  hält  sich  nur  annähernd  an  die  Struktur, 
und  »die  drei  ersten  Kränze  von  Furchungszellen  entsprechen  nur 
annähernd  aber  nicht  genau  den  drei  Primitivorganen«.  Es  besteht 
also  auch  hier  bis  zu  einem  gewissen  Grad  ein  Abhängigkeitsverhältnis 
der  Organbildung  von  der  Eistruktur,    aber  nicht  von  der  Furchung. 


Aus  allen  erläuterten  Experimenten  ergeben  sich  einerseits  wich- 
tige Beziehungen  der  Entwickelungsfragen  zur  Struktur  der  Eizelle, 
andererseits  Andeutungen  über  deren  Organisation  überhaupt.  Wenn 
wir  auch  sonst  die  A  r  t  eigenschaften  der  Zelle  als  etwas  Gegebenes 
hinnehmen  und  zugestehen  müssen,  dass  ihre  Wirksamkeit  sich  der 
mechanischen  Kenntnis  entzieht,  so  können  wir  doch,  gerade  auf 
Grund  der  besprochenen  Versuchsergebnisse,  von  diesem  Unerklär- 
baren einiges  abziehen,  was  sich  begrifflich  analysieren  lässt.  Wir 
können  im  Ei  eine  Reihe  von  Organisationseigentümlichen  erkennen, 
die  untrennbar  von  den  unanalysierbaren,  spezifischen  Eigenschaften 
sind,  und  wir  können  einige  von  der  Wirksamkeit  dieser  Eigen- 
schaften für  den  Entwickelungsprozess  verstehen. 

Wir  sehen,  dass  im  Plasma,  selbst  einfach  gebauter  Eier,  mehrere 
verschiedene  Substanzen  vorhanden  sein  können,  die  in  charakte- 
ristischer Weise  in  der  Zelle  angeordnet  sind.  Damit  ist  nicht  allein 
das  eigentliche  Protoplasma  und  der  in  vielen  Eiern  vorhandene 
Nahrungsdotter,  auch  Deutoplasma  genannt,  gemeint,  sondern  ver- 
schiedene Substanzen,  die  noch  innerhalb  des  eigentlichen 
lebenden  Protoplasmas  ausser  dem  Nahrungsdotter  enthalten  sind 
und  die  auch  in  Zellen  mit  geringem  und  in  Zellen  ohne  jeden 
Dottergehalt  vorkommen  können.  Als  Nahrungsdotter  wären  dagegen 
chemisch  analysierbare,  nicht  lebende  Substanzen  zu  bezeichnen, 
die  in  mehr  oder  minder  grossen  Mengen  in  der  Zelle  aufgehäuft 
sind,  und  von  den  Zellen  während  der  Entwickelung  gleichsam  ge- 
fressen werden,  wenn  der  Embryo  Nahrung  von  aussen  nicht  auf- 
nehmen kann;  so  bei  den  Eiern  der  Vögel,  Fische,  Cephalopoden 
u.  s.  w.  Ihre  Anordnung  in  der  Eizelle  wird  durch  mechanische 
Ursachen,   Schwere,  Spannungsverhältnisse  etc.,    bestimmt,    wie  noch 


und  die  Frage  der  Eistruktur.  71 

zu  erläutern  sein  wird;  zur  Organisation  des  erwachsenen  Tieres 
stehen  sie  nur  in  äusserlieher  Beziehung.  Anders  verhalten  sich  die 
oben  erwähnten  Substanzen  des  eigentlichen  lebenden  Protoplasmas, 
deren  Anordnung  von  der  Schwere  und  anderen  rein  physikalischen 
Beziehungen  unabhängig  ist  und  eine  spezifische  Organisation  der 
Zelle  selbst  darstellt1)  Solche  Substanzen  kommen  auch  bei  Eiern 
von  Tieren  vor,  die  keinerlei  Reservenahrung  bedürfen,  weil  sich  so- 
gleich eine  selbständige  sich  bewegende  und  ernährende  Larve  bildet. 
Sie  kennzeichnen  sich  gegenseitig  durch  verschiedenes  optisches 
Verhalten,  verschiedene  Durchsichtigkeit,  Konsistenz,  Zähigkeit,  Be- 
wegungsfähigkeit und  manchmal  auch  Pigmentierung.  Ihre  gegen- 
seitige Anordnung  ist  in  einigen  Fällen  eine  sehr  labile,  so  dass 
Eibruchstücke  und  einzelne  Blastomeren  leicht  wieder  eine  ver- 
kleinerte Eiorganisation  herstellen,  in  anderen  Fällen  ist  ein  solcher 
Ausgleich  nur  schwer  und  langsam  möglich ;  in  einzelnen  Fällen 
ist  die  Anordnung  eine  sehr  starre,  so  dass  der  Ausgleich  ganz 
unterbleibt. 

In  den  Eiern  der  Coelenteraten  können  mindestens  zwei,  in  denen 
der  Echinodermen  mindestens  drei  verschiedene  solcher  Substanzen 
auseinandergehalten  werden,  und  es  ist  leicht  anzunehmen,  dass  noch 
mehrere,  unseren  optischen  und  mikrochemischen  Hilfsmitteln  einst- 
weilen nicht  zugängliche  Substanzunterschiede  vorhanden  sind,  die 
ebenso,  wie  die  schon  bekannten,  zur  Organisation  in  Beziehung 
stehen.  Allzu  zahlreich  wird  man  sich  indessen  diese  Substanzen 
nicht  vorstellen  dürfen ;  es  können  ja  schon  sehr  viele,  verschieden- 
artige Kombinationen  bei  wenig  Substanzen  durch  verschiedenartige 
Anordnung  zu  stände  kommen,  und  bei  den  einzelnen  Spezies  wird 
man  für  die  Plasmaarten  ausserdem  immer  noch  ihre  spezifischen, 
nicht  näher  analysierbaren  Eigenschaften  voraussetzen  müssen,  sowie 
ja  z.  B.  das  Hämoglobin  des  Pferdes  ein  anderes  ist,  wie  das  des 
Hundes,  oder  des  Menschen,  eine  Bindegewebsfaser  des  Kaninchens 
etwas  anderes  wie  die  Bindegewebsfaser  einer  Katze.  Auch  wenn  die 
äusseiiiche  histologische  Ähnlichkeit  noch  so  gross  ist,  ist  immer 
noch  eine  spezifische  Verschiedenheit  anzunehmen  und  in  vielen 
Fällen  auch  nachweisbar. 


])  Auch  von  F.  Lillie  wird  nach  einer  Untersuchung  der  Reifung  und 
Furchung  für  das  so  spezifisch  gehaute  Molluskenei  (Unio)  angegeben,  dass  die 
Differenzierungen,  die  sich  erkennen  lassen  (und  zwar  lässt  sich  polare,  bilaterale 
und  anterio-posteriore  nachweisen],  nichts  mit  der  Dotterverteilung  zu  tun  haben, 
sondern  im  eigentlichen  plasmatischen  Bau  begründet  sind. 


72  IX.  Kapitel.     Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei 

Auch  die  Anordnung  selbst  wird  man  sich  nicht  zu  verwickelt 
vorzustellen  brauchen ;  weder  unter  dem  Bild  einer  Mikrostruktur 
des  Erwachsenen,  noch  als  strenge  Lokalisation  bestimmter  »organ- 
bildender« Substanzen,  sondern  die  spezifischen  Plasmaeigen- 
schaften  vorausgesetzt,  wird  die  einfache,  mehr  oder  minder  aus- 
gieichsfähige  Schichtung  von  Plasmaarten  genügen,  die  Ergebnisse 
in  der  normalen  und  experimentellen  Entwicklung  zu  erklären. 

Wenn  die  Substanzen  in  allen  Radien,  resp.  Axen  gleichmäfsig 
verteilt  sind,  wie  bei  den  kugeligen  Eiern  der  Medusen,  dann  und 
nur  dann  hat  man  ein  wirklich  isotropes  Ei;  in  anderen  Fällen, 
wo  eine  polare  Anordnung  festgestellt  werden  kann,  wie  bei  den 
Echinodermen,  besteht  die  Isotropie  nur  um  eine  bestimmte 
Axe;  in  weiteren  Fällen  kommt  durch  Gestalt  des  Eies,  wie  bei 
Cepalophoden,  oder  durch  Lagerung  der  Substanzen,  wie  bei  Am- 
phibien, eine  bilateral-symmetrische  Anordnung  zu  stände  und  in 
anderen  Fällen  ist  diese  Anordnung  noch  etwas  komplizierter  (siehe 
z.  B.   Myzostowa). 

Sind  bei  einem  isotropen  Ei  die  einzelnen  Plasmaarten  gegen- 
einander ausgleichsfähig,  so  können  auch  Teile  des  Keimes,  Eifrag- 
mente  oder  Blastomeren  sich  zum  Ganzen  bilden ;  dann  ist  der  Keim 
äquipotent;  ebenso  kann  bei  ausgleichsfähigen  Eiern  von  anderer 
Plasmaanordnung  eine  Aquipotenz  um  eine  bestimmte  Axe, 
oder  nach  bestimmten  S  ym  me  tri  e  ebenen  vorhanden  sein. 

Bei  der  Verwertung  dieser  Verhältnisse  in  der  Entwickelungs- 
geschichte  hat  man  die  Bedeutung  der  nicht  lebenden  Dotter- 
substanzen und  die  der  eigentlichen  Protoplasma -Verschieden- 
heiten, ferner  die  frühen  Stadien  der  Entwickelung,  die  Furchung, 
und  die  später  organdifferenzierenden  Prozesse  auseinander  zu  halten. 

Die  Menge  und  Lage  des  Dotters  übt  bekanntermafsen  einen 
Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Furchung  aus,  indem  dessen  nicht 
lebende  Substanz  für  das  lebende  und  teilungsfähige  Protoplasma 
gewissermafsen  ein  Hindernis  bildet.  Es  wird  dadurch  die  Form 
und  Grösse  der  Embryonal zellen  entsprechend  der  Verteilung  des- 
Dotters im  Ei  beeinflusst,  Wo  solche  Dottermassen  im  Ei  lagen,  da 
geht  die  Furchungsteilung  langsamer  und  schwerer  vor  sich  und  es 
bleiben  grössere  dotterbeladene  Blastomeren  von  geringerer  Zahl 
zurück.  Wenn  die  Anhäufung  zu  stark  ist,  kann  sogar  die  Teilung 
unterbleiben  oder  während  der  Furchung  allmählich  aufhören,  so 
dass   sich   das  Ei   nur   partiell   furcht,     Die  Differenzierung   geht  bei 


und  die  Frage  der  Eistruktur.  73 

partiell   gefurchten   Eiern   gän/lich   innerhalb   der  dotterfreien  Keim- 
scheibe vor  sich. 

Für  die  Ausprägung  der  Organsysteme  ist  diese  Dotterverteilung 
und  die  ihr  folgende  Furchung  also  ohne  besondere  Bedeutung.  Anders 
verhält  es  sich  dagegen  mit  den  besprochenen  Substanzunterschieden 
innerhalb  des  lebenden  Protoplasmas;  bei  ihnen  ist  in  der  normalen 
wie  in  der  experimentell  abgeänderten  Entwicklung  eine  bestimmte 
Beziehung  zur  Organausbildung  gegeben,  ob  man  nun  diese  Plasma- 
substanzen direkt  als  Ursachen  der  Differenzierung  oder  nur  indirekt 
als  Material  auffasst,  das  zur  weiteren  Ausbildung  der  eigenen  (Selbst-) 
Differenzierung  am  dienlichsten  ist.  Die  drei  Zonen  des  Echinodermen- 
eies  entsprechen  den  drei  Primitivorganen  der  Larve,  der  sog.  Dotter- 
lappen des  Schneckeneies  ist  notwendig  zur  Ausbildung  des  Mesoderni^. 
ein  bestimmtes  Rindenplasma  des  Ctenophoreneies  ist  notwendig,  wenn 
die  Wimperrippen  ausgebildet  werden  sollen;  kurzum  ein  Abhängig- 
keitsverhältnis der  späteren  Organisation  von  der  Schichtung  der 
lebenden  Substanzen  im  Ei  ist  mehr  oder  minder  deutlich  erkennbar. 
Dagegen  ist  bei  diesen  Substanzen  eine  Abhängigkeit  des  Furchungs- 
modus  nicht  notwendig.  Die  Furchung  kann  diese  Substanzen  in 
durchaus  gleich  gültiger  resp.  gleichartiger  Weise  auf  die  einzelnen 
Blastomeren  verteilen,  wie  z.  B.  bei  Teleostieren,  oder  sie  kann,  wie  bei 
Echinodermen  u.  a.  zunächst  die  einzelnen  Zellen  gleichmässig  aus- 
statten, dann  aber  eine  annähernde  Scheidung  der  Substanzen  herbei- 
führen, oder  sie  kann,  wie  bei  Anneliden,  Mollusken  etc.  von  vornherein 
ganz  bestimmte  Substanzen  dieser  oder  jener  Zelle  zuerteilen.  In 
den  seltensten  Fällen  ist  die  Scheidung  der  Substanzen  so  exklusiv : 
bei  Echinodermen,  wo  die  späteren  Teilungen  drei  Zellenkränze  von 
ungleichem  Material  liefern  (s.  Fig.  22),  hat  Boveri  betont,  dass 
diese  drei  Kränze  nur  annähernd,  nicht  genau  den  drei  Primitiv- 
organen entsprechen.  Die  Furchung  steht  also  in  keiner  direkten 
Beziehung  zur  Organbildung.  Beide  Vorgänge,  Furchungsverlauf 
und  Lokalisation  der  Organbildung,  sind  zwei  Folgen  einer  gleichen 
Ursache,  der  Eiorganisation,  die  aber  unter  sich  in  keiner 
Beziehung  ste-hen.  Man  hat  sich  also  davor  zu  hüten,  aus  der 
zeitlichen  Folge:  Eiorganisation,  Furchung,  Organausbildung  auf 
einen  Kausalzusammenhang  aller  drei  Vorgänge  zu  schliessen. 
Derselbe  kann  indirekt  vorhanden  sein,  nämlich  dann,  wenn  die 
Furchung  den  Plasmaverteilungen,  die  im  Ei  gegeben  sind,  ent- 
sprechend folgt;  er  muss  aber  nicht  vorhanden  sein,  da  die 
Furchung   auch   ganz    anders   verfahren    kann,    und   doch  die  Organ- 


74  IX.  Kapitel.     Die  Experimente  am  ungefurchten  Ei 

differenzierung  ihren  Zusammenhang  mit  der  Eiorgauisation  nicht 
verleugnet,  Für  die  Beurteilung  der  Furchungsexperimente  ist  die 
scharfe  Scheidung  dieser  drei  ursächlichen  Verhältnisse  von  besonderer 
Wichtigkeit  (s.  p.  84). 

Man  hat  auch  weiterhin  das  Zustandekommen  dieser  Organi- 
sation oder  Struktur  des  Eies  zu  ermitteln  gesucht  und  in  der  Periode 
der  Reifung  und  Vorentwickelung  des  Eies,  so  lange  sich  dasselbe 
noch  im  Ovarialzusammenhange  befindet,  mancherlei  Momente  ge- 
funden, die  für  die  Verteilung  von  Plasmasubstanzen  verantwortlich 
gemacht  werden  können.  Bei  den  Echinodermen  entspricht  die  Rich- 
tung der  Polarität  des  Eies  der  Lage  der  werdenden  Eizelle  im  Keim- 
epitbel;  die  nach  der  Stützlamelle  der  Ovarialwand  aufsitzende  Seite 
entspricht  dem  animalen,  die  ins  Lumen  gerichtete  Seite  dem  vege- 
tativen Pol  (Boveri).  In  anderen  Fällen  kann  die  Richtung,  aus 
welcher  die  heranreifende  Eizelle  ihre  Nahrung  bezieht,  von  Einfluss 
auf  die  Plasmaverteilung  sein  (Korschelt).  Aber  dies  erklärt  nicht 
alles,  sondern  es  verbleiben  noch  spezifische  Eigentümlichkeiten  zurück, 
die  wir  eben  nur  mit  der  spezifischen  Natur  der  betreffenden  Eizelle 
erklären  können.  Die  Eizellen  in  der  Form,  wie  sie  zur  Fortpflanzung 
bereit  sind,  sind  ebenso  wie  die  anderen  Organe  des  Tierkörpers  ein 
endgültiges  Differenzierungsprodukt  (»ultimäres  Organ«  Driesch, 
s.  pag.  97)  in  der  Entwickelung  der  betreffenden  Tierart,  das  ebenso 
wie  alle  anderen  ultimären  Organe,  wie  die  Mundwerkzeuge  einer 
Insektenspezies,  das  Hörepithel  eines  Wirbeltieres  etc.,  die  bestimmten 
spezifischen  Eigentümlichkeiten  der  betreffenden  Tierart  ausgeprägt 
erhält,  Sowie  das  Hämoglobin,  die  Bindegewebsfaser,  die  Linsenzelle 
einer  jeden  Spezies  verschieden  ist,  ebenso  sind  es  auch  die  Geschlechts- 
zellen. Schliesslich  gehen  also  die  auf  Grund  der  Experimente  analy- 
sierten Eigenschaften  der  Eizelle  in  die  spezifischen,  die  wir  einstweilen 
-als  etwas  gegebenes  hinnehmen  müssen,  über. 

Bei  dieser  Anschauungsweise  sind  die  spezifischen  Eigentümlichkeiten  von 
Plasma  und  Kern  nicht  auseinandergehalten ;  die  Eizelle  ist  ein  Ganzes,  Eikern  und 
Plasma  gehören  zusammen,  wie  denn  auch  in  der  Natur  niemals  eine  lebende  Zelle 
ohne  Kern  oder  ein  Kern  ohne  Plasma  (auch  beim  Spermatozoon  nicht)  vorkommt. 
Plasma  und  Kern  stehen  während  des  ganzen  Lebens  in  beständiger  Wechsel- 
beziehung und  in  Substanzaustausch,  der  sich  unter  Umständen  sogar  optisch 
sichtbar  macht,  und  in  vielen  Stadien  des  Zelllebens  ist  das,  was  dem  Kern  und  das, 
was  dem  Plasma  angehört,  nicht  auseinanderzuhalten. 

Wenn  nach  einer  anderen  Anschauung  der  Kern  (oder  sogar  nur  bestimmte 
Teile  desselben,  das  Chromatin)  alleinige  Träger  des  die  Art  repräsentierenden 
Plasmas    sind,    so    ist   es    bei  Annahme    einer    Selbstdifferenzierung    nur   die    straffe 


und  die  Frage  der  Eistruktur.  75 

Konsequenz  dieser  Anschauung,  dass  man  im  Kern  auch  den  Sitz  für  alle  qualitativen 
Veränderungen  während  der  Entwickelung  sieht,  wie  es  Weismann,  Roux  etc.  tun. 

Diese  qualitativ  ungleiche  Kernteilung  ist  am  nachdrücklichsten  von  0.  Hert- 
wig  bekämpft  worden;  für  ihn  enthält  jede  Zelle  in  jedem  Stadium  das  ganze 
Idioplasma  der  betreffenden  Art;  aber  auch  für  ihn  liegt  der  Sitz  dieses  Idioplasmas 
nur  im  Kern.  Die  Verschiedenheiten,  die  in  der  Entwickelung  und  durch  dieselbe 
eintreten,  müssen  demzufolge  ihren  Sitz  ausschliesslich  im  Plasma  haben.  Wenn 
beim  Beginn  der  Entwickelung  nur  der  Kern  von  Ei  resp.  von  Sammelzelle  der 
Träger  der  Arteigenschaften  ist,  so  wird  damit  für  ihn  das  Plasma  im  befruchteten 
Ei  eine  nebensächliche  „Form,  der  sicn  der  werdende  Embryo  besonders  auf  den 
Anfangsstadien  der  Entwickelung  in  vielfacher  Beziehung  anpassen  muss".  „Die  in 
der  sich  entwickelnden  Stoffmasse  enthaltenen  Richtungen  gehen  einfach  von  dem 
einen  Stadium  auf  das  nächste  über." 

Eine  vermittelnde  Ansicht  für  die  Bedeutung  von  Kern  und  Plasma  ist  jüngst 
von  Boveri  ausgesprochen  worden.  „Die  Struktur  des  Eiplasmas  besorgt  das  Pro- 
morphologische, gibt  die  allgemeinste  Grundform,  den  Rahmen,  innerhalb  dessen 
alles  Spezifische  vom  Kern  ausgefüllt  wird".  Dem  Protoplasma  kann  man  weder  be- 
liebiges nehmen,  noch  verlagern.  „Das  ganz  eigentümliche  Ineinandergreifen  des  einfach 
gebauten,  sich  differentiell  teilenden  Protoplasmas  und  des  kompliziert  strukturierten, 
sich  in  seiner  T  otali  tat  vervielfältigenden  Kerns"  kann  die  Differenzierung, 
die  im  Verlauf  der  Entwickelung  eintritt,  erklären. 

Die  geringe  Bewertung  des  eigentlichen  Plasmas  im  Gegensatz  zum  Kern  trifft 
wohl  bezüglich  der  nicht  lebenden  Dottersubstanzen  zu;  hier  sehen  wir  in  der  Tat,  wie 
0.  Hertwig  hervorhebt,  dass  nahe  verwandte  Tiere  sehr  differieren  und  „dass  die  im 
Dottermaterial  enthalteneu  Anlagen  der  Eizelle  im  Hinblick  auf  die  Endform,  die 
erreicht  werden  soll,  als  untergeordnete  Faktoren  zu  bezeichnen  sind."  In  bezug  aber 
auf  die  eigentliche  Struktur  des  Eies,  die  Verteilung  bestimmter  anderer  lebender  plas- 
matischer  Substanzen,  sehen  wir.  dass  sich  grosse  Gruppen  des  Tierreichs  über- 
raschend einheitlich  verhalten  und  dass  dies  Verhalten  trotz  grosser  Verschieden- 
heit im  Dotter  gleichartig  sein  kann.  Dies  zeigen  Beobachtung  und  Experiment  an 
Echinodermen,  Mollusken,  Anneliden  etc.  Bei  diesen  Substanzen  gehört  die  Ver- 
teilung zu  ganz  spezifischen  Eigenschaften  der  Eizelle,  die  also  darnach  nicht  allein 
im  Kern  enthalten  sind.  Die  Übereinstimmung  des  Embryo  mit  der  Verteilung  im 
Ei  ist  nicht  eine  einfache  Anpassung,  sondern  umgekehrt,  die  Eiform-  und  Eiorgani- 
sation  ist  ein  Resultat  der  spezifischen  Form. 

Die  allzu  geringe  Beachtung  der  Eistruktur  ist  wohl  auf  eine  Überschätzung 
der  Zellentheorie  zurückzuführen,  der  neuerdings  mehrfach,  so  von  Whitman,  die 
Unzulänglichkeit  der  Zellentheorie "  für  die  Entwickelungslehre  entgegengehalten 
worden  ist.  Selbst  wenn  man  das  befruchtete  Ei  mit  allen  spezifischen  Eigen- 
schaften ausgestattet  -denkt  und  alle  weiteren  äusseren  und  inneren  Bedingungen 
dazu  kommen  lässt,  um  den  Entwickelungsgang  zu  inscenieren,  so  genügt  dies  nicht 
zu  der  Erklärung  der  Entwickelung,  sondern  es  beherrscht  die  Spezifität  des 
Organismus  die  Formbildung  auf  jedem  Stadium.  Man  muss  sich  nur  voi-stellen. 
dass  nicht  nur  das  fertige  Tier,  sondern  jedes  einzelne  Stadium  der  Entwickelung 
die  Spezies  repräsentiert,  bis  zum  Ei  zurück.  Auf  diesem  Stadium  stellt  sich  also 
der  Organismus  vorübergehend  als  Zelle  dar;  aber  nicht  dieses  Ei.  diese  Zelle, 
bildet  den  Organismus,  sondern  der  Organismus  bildet  Zellen. 


76  X.  Kapitel.     Die  Verschmelzungsexperimente  und  das 

Das  Hauptproblem  der  Entwickelung,  die  Frage  nach  den  Ur- 
sachen der  Differenzierung,  wird  sonach  durch  die  Experimente  am 
Ei  im  Furchungsstadien  noch  nicht  einheitlich  beantwortet,  wohl 
aber  geklärt  und  vereinfacht,  indem  mehrere  lösbare  Sonderprobleme 
von  ihm  abgetrennt  werden  können,  und  sich  seine  Beziehung  zur 
allgemeinen  Frage  vom  Wesen  der  Organisation  ergibt.  Auch  noch 
einige  andere,  hier  anzuschliessende  Experimente  an  frühen  Ent- 
wickelungsstadien  werden  versuchen,  dieser  Frage  vom  Wesen  der 
Organisation  und  vom  Charakterischen  der  Lebensvorgänge  näher  zu 
treten. 


X.   Kapitel. 

Die  Verschmelzungsexperimente  und  das  Problem  der  vitalistischen 

Proportionalität. 

Die  Bedeutung   der  Verschmelzung   für   die  Fragen   der  Differenzierung  und  des  Ei- 
baues.     Natürliche  Verschmelzung   bei  Ascaris,   künstliche  bei  Seeigelkeimen.     Ver- 
schiedener Grad  der  Einheit.    Die  Proportionalität  der  Zellenzahl  in  Doppel-,  Einfach-, 
Halb-,  Viertels-  etc.  Bildungen.     Nötigung  zu  einer  vitalistischen  Erklärung? 

Seit  man  Isolierungsexperimente  vorgenommen  hat,  um  dem 
Problem  der  Differenzierung  in  der  Entwickelung  näher  zu  treten, 
hat  man  auch  zu  gleichem  Zweck  sich  bemüht,  die  Verschmelzung 
zweier  Keime  zu  stände  zu  bringen.  Der  Ausgangsgedanke  dabei  war: 
wenn  die  einzelne  Zelle  ihr  Schicksal  in  sich  trägt,  so  müssen  aus 
einem  solchen  Vereinigungsprodukt  Doppelembryonen  von  normaler 
Grösse  hervorgehen;  wenn  aber  die  Lage  im  Ganzen  das  Schicksal 
bestimmt,  so  muss  oder  kann  sich  wenigstens  ein  einheitlicher 
Embryo  von  doppelter  Grösse  entwickeln.  Nachdem  man  durch 
die  verschiedenartigen  Ergebnisse  der  Furchungsexperimente  erkannt 
hatte,  welche  Rolle  die  Art  der  Zerlegung  des  Plasmas  bei  letzteren 
spiele,  und  wie  dadurch  die  Deutung  kompliziert  wurde,  war  man  nun 
eifriger  bemüht,  dieser  Frage  am  unzerlegte n  Ei  durch  Ver- 
schmelzung zweier  Individuen  näher  zu  treten,  denn  es  war  durch 
dies  Experiment  auch  Aufschluss  über  die  Eistruktur  zu  hoffen. 
Viele  Versuche  in  verschiedenen  Tiergruppen  waren  indessen  ver- 
geblich,  und   auch   bis  heute  ist  das  Experiment  der  Verschmelzung 


Problem  der  vitalistiscben  Proportionalität.  77 

noch  nicht  ganz  einwandfrei,  wenigstens  nicht  auf  dem  erwünschtesten 
Stadium,  zu  stände  gebracht  worden. 

Schon  früher  hatte  Metschnikoff  bei  einer  Meduse,  Mitrocoma 
Annae,  die  Verschmelzung  mehrerer  Blastulae  zu  einer,  und  die 
Entwicklung  des  Verschmelzunsproduktes  zu  einer  grossen  Larve 
beobachtet ;  da  aber  bei  den  Hydromedusen  sich  aus  der  Planulalarve 
ein  Hvdrorhizastock  bildet,  der  sich  verzweigt  und  auch  im  normalen 
Fall  verschiedene  Hydranthen  bildet,  mithin  also  die  Individualität 
der  Larve  wie  des  sich  festsetzenden  Stadiums  sehr  wenig  aus- 
gesprochen ist,  so  ist  hier  kein  entscheidendes  Ergebnis  über 
Doppelindividuen  zu  erlangen. 

Bei  Würmern,  nämlich  dem  wegen  seiner  Kernverhältnisse  so 
vielfach  untersuchten  Nematoden  Ascaris  megaloc&phala .  kommen 
gelegentlich  sogenannte  Rieseneier  vor,  die  besonders  Zur  Strassen  . 
näher  untersucht  hat.  Dieselben  haben  eine  etwa  doppelte  Plasma- 
menge,  ihre  Schale  ist  eingebuchtet,  sanduhrförmig,  die  Zahl  ihrer 
Chromosomen  beträgt  das  Doppelte  oder  Anderthalbfache  des  Nor- 
malen (8  oder  6  bei  Uvalens  anstatt  4).  Es  liegt  hier  gleichsam  ein 
Verschmelzungsexperiment  vor,  das  die  Natur  angestellt  hat ;  es  wurde 
geschlossen,  dass  die  Rieseneier  mit  8  Chromosomen  verschmolzene 
Eizellen  darsteilen,  die  auch  doppelt  befruchtet  seien,  resp.  zwei  nach 
der  Befruchtung  verschmolzenen  Eizellen  entsprechen,  und  die  mit 
6  Chromosomen  zwei  vorher  verschmolzenen  Eizellen,  die  nur  einmal 
befruchtet  sind.  Aus  den  ersteren  entwickelten  sich  zusammen- 
hängende Doppelbildungen,  aus  den  letzteren  Einheitsbildungen  von 
doppelter  Grösse. 

Das  Problem  ist  mit  diesem  Naturexperiment  aber  nicht  gelöst. 
Was  aus  der  Beobachtung  hervorgeht,  ist,  wie  Zur  Strassen  und 
Driesch  hervorheben,  dass  »eine  im  einzelnen  spezifizierte  Ei- 
struktur«,  eine  strenge  Lokalisierung  von  Keimbezirken,  eine  Mikro- 
struktur, nicht  vorhanden  ist.  Aber  der  Wunsch,  aus  zwei  Keimen, 
die  alle  Bedingungen  zu  zwei  Individualitäten  in  sich  tragen,  einen 
einheitlichen  Embryo  zu  erreichen,  ist  nicht  erfüllt,  da  die 
Objekte,  die  im  Plasma  wie  im  Kern  die  Vorbedingungen  zu  zwei 
Individuen  enthielten,  auch  Zwillingsbildungeu  lieferten;  die  einheit- 
lichen Riesenembryonen  gingen  aber  von  einem  Ei  aus,  das  einen 
allerdings  übernormalen  Kern  besass.  Man  könnte  hier  höchstens 
sagen,  dass  zwei  Eier  dem  Plasma  nach  die  Rolle  von  Blastomeren 
gespielt  hätten,  nicht  nach  dem  Kern.  Aber  auch  dies  ist  noch  zu 
viel    gesagt,    da    ja    die   Eier   schon   auf   dem    Ovocytenstadium   ihre 


78 


X.  Kapitel.     Die  Verschmelzungsexperimente  und  das 


Individualität  aufgegeben  haben  und  zu  einer  völligen  Verschmelzung 
ihres  Plasmaleibes  gelangt  sind,  so  dass  wir  ein  Rieseneivor  uns 
haben,  das  nur  in  der  Menge  seiner  Teile  von  einem  gewöhnlichen 
verschieden  ist.  Auch  im  inneren  Bau  muss  eine  völlige  Regulierung 
zu  einem  vergrösserten  Ganzen  und  eine  Schichtung  wie  im  normalen 
Ei  von  vornherein  stattgefunden  haben.  Dies  zeigt  sich  im  Verlauf 
der  Furchimg,  die  im  normalen  Fall  sehr  eigentümlich  determiniert 
ist.  Die  Rieseneier  furchen  sich  genau  auf  die  gleiche  Weise  als 
vergrössertes  Ganzes,  trotz  der  Hindernisse,  die  ihnen  die  mitunter 
nicht  ganz   ausgeglichene   doppelte  Eischale  bietet   (Fig.  70,  71,  72). 


Fig.  70. 


Fig.  71. 


Fig.  72. 


Fig.  70,  71,  72.  Furchung  eines  sog.  Kieseneis  von  Ascaris  megalocephala  (nach 
Zurstrafsen).  Aus  Verschmelzung  zweier  Ei-Individuen  entstanden. 
Trotz  der  Grösse  und  des  Hindernisses  der  eingeschnürten  Schale  geht  die 
Furchung  wie  an  einem  Einzelindividuum  vor  sich. 


Bei  Seeigeln  ist  Driesch  nach  vielfachen  Versuchen  endlich 
eine  Vereinigung  zweier  wirklicher  Individuen  geglückt,  allerdings 
auf  einem  späteren  Stadium,  als  für  die  einwanclsfreie  Auslegung 
wünschenswert  wäre.  Wenn  man  kalkfreies  Seewasser  alkalisch 
macht,  so  gelingt  ein  gewisses  Zusammenheften  vorher  schon  mecha- 
nisch etwas  geschädigter  Keime.  Diese  Methode  wurde  auf  geschüttelte 
Eier  und  Furchungsstadien  von  Echinus  und  Sphaerechinus  angewandt, 
und  man  erhielt  dadurch  im  Blastulastadium  Verschmelzungen.  Zu- 
erst zeigte  sich  noch  die  Zusammensetzung  aus  zwei  Individuen  in 
der  biskuitförmigen  Gestalt  der  Blastula,  dann  aber  wurde  diese  Ein- 
schnürung, offenbar  durch  die  osmotischen  Verhältnisse,  ausgeglichen. 

Die  Weiterentwickelung  dieser  grossen,  anscheinend  einheitlichen 
Blastulae  bot  sehr  instruktive  Verschiedenheiten.  In  manchen  Fällen 
resultierten  vollkommene  Doppelbildungen,  zwei  aneinander  hängende 
Pluteuslarven,  jede  mit  dem  charakteristischen  Kalkskelet,  der  Wimper- 
schnur  und   dem    dreigeteilten   Darm    (Fig.  73).      In   anderen   Fällen 


Problem  der  vitalistischen  Proportionalität. 


79 


Fig.  !'■'>. 


--  sk 


"d 


d 


Fi  ff.  74. 


Fig.  75. 


..</ 


d 


—^sh 


d 


sk 


Fig.  78.    74,   75.     Aus    verschmolzenen    Echinidenkeimen    (Sphaerechinus)    entstandene 
Pluteuslarven.  in  verschiedener  Regulation  (nach  Driesch). 

Entwickelung     eines    Verschmelzungsprodukts    zum    Zwillings- 

pluteus  ohne  Eegulation. 

Aus  drei  Blastulis  gebildetes  Yerwachsungsprodukt  zum  Pluteus. 

Drei  Därme  (dj   sind  vorhanden    (zwei    davon    rudimentär  und 

mundlos);  die  Gesamtform  mit  Arm  und  Skelet  (sk)  ist  ziemlich 

einseitlich. 

Aus  zwei  Blastulae  entstandener,   innerlich  und  äusserlich   ein- 


zig. 
Fig. 


74. 


Fig.  75. 


seitlicher  grosser  Pluteus. 


80  X.  Kapitel.     Die  Verschmelzungsexperimente  und  das 

prädominierte  ein  Individuum,  zwei  Därme,  aber  nur  ein  Mund,  ein 
grosses  und  ein  rudimentäres  Kalkskelet  waren  vorhanden.  Sehr 
interessant  war  der  Fall,  dass  es  ausser  lieh  zu  einer  völligen  Ein- 
heitsbildung kam;  der  Pluteus  zeigte  seine  normalen  Fortsätze,  Kalk- 
stäbe, alles  nur  in  vergrüssertem  Mafsstab;  innerlich  waren  aber 
mehrere  Därme  (Fig.  74)  vorhanden.  Manchmal  konnten  zwei  ge- 
trennte Darmanlagen  noch  nachträglich  verschmelzen.  Das  bemerkens- 
werteste Resultat  war  jedoch  das,  dass  in  nicht  wenigen  Fällen  von 
vornherein  Einheitsbildung  auftrat,  dass  eine  Gastrula  mit  nur 
einem,  nur  entsprechend  vergrössertem  Urdarm  erschien,  eine 
einheitliche,  nur  doppelt  so  starke  Mesenchymbildung  und  endlich 
ein  grosser,  vollkommen  proportionaler  Einheitspluteus  (Fig.  75). 
Das  Ziel  einer  Verschmelzung  zweier  Indivuen  ist  damit  wirklich  als 
erreicht  anzuerkennen,  selbst  dann,  wenn  man  nicht  allen  Stadien 
den  gleichen  Grad  von  Individualität  zuerkennen  will  und  im 
normalen  Hänfen  von  Furchungszellen  eine  ähnliche  Vereinigung 
von  mehreren  »Zellindividuen«  sehen  will,  wie  hier  bei  der  Ver- 
schmelzung; dann  wäre  nur  das  Ei  und  der  Pluteus  Individuen, 
ehe  zwischenliegenden  Stadien  aber  teilbar.  Die  Bedeutung  des 
Experiments  für  die  Frage  der  abhängigen  Differenzierung  wird 
durch  diese  Betrachtungsweise  nicht  gemindert. 

Die  Verschiedenheit  der  Ergebnisse  der  Verschmelzungsexperimente 
findet  durch  die  im  Strongylocentrotus-Eii  beobachtete  und  bei  Echinus 
und  Sphaerechinus  ebenfalls  anzunehmende  Schichtung  des  Plasmas 
ihre  vollkommene  Erklärung.  Die  Schichtung  geht  vom  Ei  auf  die 
folgenden  Stadien,  auf  die  Blastula  über.  Wenn  die  Axen  zweier 
Keime  bei  der  Verklebung  annähernd  parallel  stehen,  so  ist  die  Ein- 
heitsbildung zu  erwarten ;  stehen  sie  im  scharfen  Winkel,  die  Doppel- 
bildung. Dazwischen  sind  Übergangsfälle  denkbar;  die  vegetativen 
Pole  stehen  weiter  auseinander,  die  animalen  etwas  genähert  oder 
umgekehrt;  dann  wird  je  nachdem  eine  bessere  Regulierung  der 
einen  oder  anderen  entsprechenden  Organe  möglich  sein;  dies  zeigen 
die  Fälle  mit  einheitlichem  Skelet  aber  mehreren  Därmen.  Auch  die 
neuesten  Verlagerungsversuche  auf  späteren  Stadien,  die  Driesch 
vorgenommen  hat  und  die  unter  Umständen  partielle  Doppelbildungen 
ergeben  (s.  p.  32),  stimmen  mit  dieser  Erklärung  überein,  wonach 
dem  vegetativen  Pol  eine  gewisse  allgemein  (wenn  auch  nicht  absolut) 
determinierende  Wirkung  zukommt. 

Für  die  eingangs  gestellte  Frage  von  der  Selbstbestimmung  oder 
der   abhängigen  Differenzierung  der  Teile  ist  dieses  Verschmelzungs- 


Problem  der  vitalistischen  Proportionalität.  81 

•experiment  zweier  Keime  von  grosser  Wichtigkeit.  Beim  entgegen- 
gesetzten Fall  des  Ausgleichs,  wo  aus  halben  Keimen  und  weniger 
noch  Ganzbildungen  entstehen,  konnte  vom  Standpunkt  der  Weis- 
mann'sehen  Lehre  noch  die  künstliche  Annahme  von  Reserve - 
idioplasmen  im  Kern  gemacht  werden;  diese  hätten  dann  bei 
Störungen  die  nötig  werdenden  Mehrleistungen  zu  übernehmen.  Wie 
man  sieh  aber  die  festgelegte  Rolle  des  Idioplasmas  zu  denken  hätte, 
im  vorliegenden  Fall  bei  Wenigerleistung,  darüber  bringt  kaum  eine 
Hilfshypothese  hinweg,  während  die  Lage  im  ganzen  und  die  Be- 
ziehung  der  Plasmateile   zu    einander   den  Prozess  genügend  erklärt. 

Auch  noch  in  anderer  Beziehung  ist  das  Verschmelzungs- 
experiment von  grosser  Bedeutung  und  vielfach  diskutiert  worden, 
nämlich  für  die  Frage  von  der  Besonderheit  der  vitalen  Vorgänge. 
Die  Verschmelzungsprodukte  zeigen  nämlich  in  ihren  einzelnen  Teilen 
unter  einander  wie  in  ihrer  Beziehung  zum  Ganzen  eine  geradezu 
»wunderbare«  Proportionalität,  Der  Darm  eines  solchen  Einheits- 
pluteus  ist  bedeutend  grösser  wie  der  normale,  hat  aber  zur  Gesamt- 
form das  gleiche  Verhältnis  wie  ein  normaler,  ebenso  die  vergrösserten 
Skeletstäbe.  Die  einzelnen  Zellen,  die  die  Larve  zusammensetzen, 
sind  von  gleicher  Grösse  wie  im  normalen  Tier,  aber  in  der  doppelten 
Zahl  vorhanden.  Die  Mesenchymzellen  sind  unschwer  zählbar;  im 
normalen  Fall  sind  es  bei  Sphaerechinus  30 — 35,  hier  entstehen  aus 
der  verschmolzenen  Blastulawand  60 — 65;  ähnliche  Verhältnisse,  so- 
weit sie  der  Schätzung  zugänglich,  zeigen  die  Zellen  der  anderen 
Elementarorgane,  des  Darms  etc. 

Die  gleiche  merkwürdige  Proportionalität  tritt  bei  den  Halb-  und 
Viertelsbildungen  hervor.  Alle  Teile  sind  in  ganz  entsprechendem 
Verhältnis  zur  Zwergbildung  verkleinert,  Darm,  Kalkstäbe  etc.  am 
richtigen  Ort  und  in  richtiger  Proportion  vorhanden.  Auch  hier  ist 
die  Zellengrösse  dieselbe,  wie  im  normalen  Tier,  die  Zahl  dagegen 
die  halbe  u.  s.  w.  Bei  Sphaerechinus  zeigen  die  Halblarven  zwischen 
14- —  1 7  Mesenchymzellen  anstatt  30- — 35,  und  im  Darm,  der  halben 
wie  der  Viertelslarven,  lässt  sich  eine  ähnliche  Verminderung  ersehen. 

Ein  besonders  günstiges  Objekt  für  die  Zählung  der  Zellen 
bildet  die  Chorda  der  Ascidienlarve  durch  die  Grösse  und  einfache 
Anordnung  der  Elemente.  Auch  hier  konnte  Driesch  bei  Halb- 
larven die  halbe  Zahl  zusammensetzender  Zellen  mit  überraschender 
Genauigkeit  feststellen,  ebenso  mehr  oder  minder  genau  bei  Echino- 
dermenlarven  anderer  Gattungen,  Echinus,  Asterias  u.  s.  w.  Auch 
bei    aus    eine  m    Ei    erhaltenen    Doppelbildungen    von    Triton    hat 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgeschichte.  (; 


82  X.  Kapitel.     Die  Verschmelzunfesexperimente  und  das 

Herlitz ka  eine  entsprechend  verminderte  Zellenzahl  im  Darm  und 
in  den  Muskelsegmenten  beobachtet.  Rabl  hat  gezeigt,  dass  die 
Linsen  kleinerer  Individuen  desselben  Wirbeltieres  nicht  etwa  kleinere, 
sondern  weniger  Zellen  von  normaler  Grössse  besitzen. 

Die  Grösse  und  Beschaffenheit  der  Zelle  ist  also  etwas  für 
die  betreffende  Tierart  ganz  spezifisches,  auch  für  jedes  Stadium 
bestimmtes. 

Die  Furchung  stellt  ein  bestimmtes  Verhältnis  von  Zell-  und 
Kerngrösse  für  die  Elementar organe  her,  das  für  jede  Spezies  konstant 
ist,  und  wenn  dies  Verhältnis  erreicht  ist,  ist  der  Furchungsprozess 
zu  Ende. 

Die  Zellen,  die  den  Ausgangspunkt  für  die  Kalkausscheidung 
bilden,  haben  eine  ganz  bestimmte  Grösse,  ebenso  die  Zellen,  die  den 
Urdarm  bilden  etc.  Ist  der  Ausgangspunkt  der  Entvvickelung  nur  das 
Halb-  oder  Viertelmaterial,  so  wird  dennoch  die  spezifische  Zellgrösse 
für  jedes  Entwickelungs-  und  Differenzierungsstadium  beibehalten; 
es  müssen  also  dementsprechend  in  diesen  Fällen  Zellteilungen 
ausbleiben ,  im  anderen  Fall ,  bei  der  Materialverschmelzung  mehr 
Zellteilungen  stattfinden,  um  die  spezifische  Zellbeschaffenheit  für 
das  betreffende  Stadium  zu  erreichen.  Dieses  Festhalten  an  der  be- 
stimmten spezifischen  Zellgrösse  für  bestimmte  Stadien  trotz  ver- 
schiedener Quantität  von  Ausgangsmaterial  ist  schon  an  und  für 
sich  merkwürdig;  noch  mehr  wird  es  dies  im  Zusammenhang  mit 
der  genauen  Proportionalität  aller  Teile,  aller  örtlichen  Abstände, 
wo  sich  Differenzierungen  einstellen.  Der  Mund  der  Echinodermen- 
larven  ist  eine  durch  Darmdurchbruch  erfolgende  Neubildung 
an  einer  ganz  bestimmten  Ortlichkeit ;  bei  den  Halblarven  erfolgt 
dieser  Durchbruch  in  ganz  entsprechendem  Abstand.  Der  Darm  der 
Larve  zeigt  ferner  eine  charakteristische  Dreiteilung  (Fig.  78,  p.  91); 
diese  vollzieht  sich,  ohne  dass  in  den  Zellen  vorher  irgend  welche 
Änderungen  oder  Anreizungen  gesehen  werden  können,  in  ent- 
sprechend vergrössertem  oder  verkleinertem  Mafsstabe  an  den  Doppel- 
oder Halblarven  (Fig.  79).  Die  betreffenden  Larven  sind  aus  der 
vegetativen  Hälfte  einer  Asterias-g&struia,  erzielt  (s.  u.  p.  90).  Sie 
haben  also  als  Bildungsmaterial  für  ihren  Darm  das  volle  Entoderm 
wie  die  Ganzlarven  gehabt;  dennoch  ist  ihr  Darm  nur  von  halber 
Grösse  und  ungefähr  halber  Zahl  der  zusammensetzenden  Zellen, 
entsprechend  der  um  die  Hälfte  kleineren  Gesamtform,  und  auch 
seine   drei   einzelnen  Abschnitte   sind   entsprechend   verkleinert.     Für 


Problem  der  vitalistischen  Proportionalität.  83 

die     Organgrösse     gilt     also     das    Gleiche     bezüglich     der     strengen 
Proportionalität  wie  für  die  Zellgrösse. 

Trotzdem  sich  also  die  Differenzierung  nach  der  verschiedenen 
Quantität  des  Ausgangsmaterials,  einer  variablen  Grösse,  richten 
niuss,  richtet  sie  sich  zu  gleicher  Zeit  auch  nach  der  Zellengrösse 
und  den  Proportionen  der  betreffenden  Art,  also  einer  konstanten 
Grösse;  und  in  dieser  Thätigkeit  des  Organismus  sieht  Driesch 
einen  Vorgang,  der  nur  durch  besondere  im  leitenden  Organismus 
wirkende,  in  der  anorganischen  Natur  nicht  bestehende  Gesetzlich- 
keiten erklärt  werden  kann,  einen  Beweis  für  die  »Autonomie 
der  Lebens  Vorgänge«.  Diese  Auffassung  ist  von  vielen  Seiten 
bekämpft  und  besonders  scharf  von  Roux  als  eine  »einseitige 
Ausdeutung  des  zur  Zeit  noch  Unbekannten«  bezeichnet 
worden.  Ob  dies  »zur  Zeit  noch  Unbekannte«,  der  Unterschied 
zwischen  organischer  und  anorganischer  Natur,  jemals  gelöst  werden 
wird,  ist  ja,  wie  Du  Bois  Reymonds  zum  Ubermafs  zitiertes 
»Ignorabimus«  zeigt,  von  vielen  Naturforschern  überhaupt  bezweifelt 
worden;  eine  neue,  noch  so  intensiv  arbeitende  Forschungsrichtnng 
wird  darin  nicht  so  schnell  eine  entscheidende  Antwort  geben  können 
und  dürfen.  Immerhin  hat  aber  diese  Richtung,  wie  Drieschs 
Beispiel  zeigt,  durch  Experiment  und  logische  Analyse  das  dem 
organischen  Körper  Eigentümliche  präziser  analysiert  und  heraus- 
geschält, anstatt  sich,  wie  vorher  oft,  nur  mit  einem  Appell  an  »das 
Wunderbare«  zu  begnügen. 


84  XL  Kapitel.     Das  Differenzierungsproblem  und  die 


XL   Kapitel. 

Das  Differenzierungsproblem   und  die   Experimente  auf  späteren 

Stadien. 

Die  Keime  als  äquipotenzielle  Systeme.  Die  allmähliche  Einengung  der  prospektiven 
Potenz,  a)  Experimente  hei  Echiniden,  Urdarm,  Wassergefässsystem  etc.,  h)  bei 
Amphibien,  Ectoderm,  Medullarplatte.  (Einschaltung  der  Born 'sehen  Trans- 
plantationsversuche.) Die  Zerlegung  des  Entwickelungsgangs  in  „cellulare  Elementar- 
prozesse".  Begriff  der  dadurch  entstehenden  primären,  sekundären  etc.  Elementar- 
organe und  deren  Verhältnis  zur  Keimblätterlehre. 

Das  vielerörterte  Problem  von  den  Ursachen,  insbesondere  von 
Art  und  Zeit  der  Differenzierung  in  der  Entwicklung,  hat  durch  die 
Experimente  an  Furchungsstadien  keine  einheitliche  Beant- 
wortung erfahren.  Es  rührt  dies  daher,  dass  für  den  Verlauf  dieser 
Experimente  eine  Reihe  von  Momenten  malsgebend  sind,  die  zunächst 
mit  dem  Differenzierungsproblem,  wie  es  von  Weis  mann  etc. 
formuliert  ist,  gar  nicht  direkt  zusammenhängen,  nämlich  die  Ei- 
struktur,  die  Ausgleichfähigkeit  und  Verteilung  plasmatischer  Sub- 
stanzen und  die  Art  und  Weise,  wie  die  Furchung  mit  diesem 
Material  verfährt  (s.  o.  p.  73).  Nur  bei  einem  vollständig  isotropen 
Ei,  das  in  all  seinen  Teilen  die  gleichen  Fähigkeiten  aufwiese,  also 
einem  »äquipotenten  Keim«,  könnte  eigentlich  die  Frage  nach  dem 
Differentwerden  rein  gestellt  werden.  Bei  den  Eiern  sehr  vieler 
Tiere  ist  aber,  wie  Beobachtung  am  normalen  und  Experimentverlauf 
erwiesen  haben,  über  gewisse  Radien-  und  Symmetrie  Verteilungen 
schon  von  vornherein  durch  Plasmalagerung  im  Ei  entschieden,  wird 
die  Ausbildung  bestimmter  Organsysteme  von  dem  Vorhandensein 
bestimmter  plasmatischer  Substanzen,  wenn  auch  nicht  abhängig, 
so  doch  begünstigt.  Je  nachdem  die  Furchung  mit  diesen  Substanzen 
verfährt,  werden  gleichwertige  oder  verschiedenartige  Stücke,  die 
lediglich  durch  Plasmamangel  an  der  Weiterbildung  gehemmt  sind, 
hervorgebracht,  und  schon  deswegen  ist  das  Ergebnis  von  Experimenten 
an  Furchungsstadien  für  die  im  Lauf  der  Entwickelung  eintretende 
Verschiedenartigkeit  nicht  rein  und  muss  je  nach  Tiergruppe  und 
Stadium  verschieden  ausfallen.  Immerhin  können  Schlüsse  darauf 
gezogen  werden. 

Die  positiven  Resultate  der  Ganzbildung  nach  Teilung  in  den 
ersten  Stadien  der  Entwickelung  bei  Echinodermen ,  der  Medusen, 
des  Amphioxus  lassen  sich  nur  im  Sinn  einer  auf  diesem  Stadium 


Experimente  auf  späteren  Stadien.  85 

noch  qualitativ  gleichen  Kernteilung  verwerten,  und  die  uegat  iven 
bei  Mollusken.  Ctenophoren  etc.  bedürfen  zu  ihrer  Erklärung  keiner 
ungleichen  Kernteilung,  sondern  lassen  sich  durch  die  Verteilung  der 
vorhandenen  Plasmadifferenzen  und  deren  Lagerung  während  der 
Furchung  hinreichend  ausdeuten.  Die  blosse  Tatsache,  dass  sich  ein 
Blastomer  anders  entwickelt,  wenn  es  isoliert  ist,  als  wenn  es  im 
Verband  des  Ganzen  geblieben  ist,  also  die  Ganzbildung  bei  Material- 
entnahme ,  ferner  die  positiven  Ergebnisse  nach  Verlagerung  und 
Verschmelzung  sprechen  für  die  Wichtigkeit  der  durch  die  Ent- 
wickelung  selbst  gegebenen  Faktoren,  also  im  Sinne  einer  Epigenese ; 
denn  es  werden  durch  diese  Experimente  neue  Bedingungen  gegeben, 
denen  der  Organismus  im  Rahmen  seiner  spezifischen  Eigenschaften 
folgt ,  und  es  ist  kaum  möglich ,  anzunehmen ,  dass  durch  Prä- 
formation im  Idioplasma  des  Eies  so  viele  Entwickelungsmöglich- 
keiten  vorgesehen  sind,   als  Störungen  eintreten  können. 

Es  folgt  daraus  auch  ferner,  dass  ein  grosser  Unterschied  be- 
stehen kann  zwischen  dem,  was  Keimesteile,  Blastomeren  in  der  nor- 
malen Entwickelung  leisten,  der  prospektiven  Bedeutung,  und  dem. 
was  sie  überhaupt  leisten  können,  der  prospektiven  Potenz,  die  ge- 
wöhnlich viel  grösser  ist.  Es  können  in  der  Normalentwickelung 
merkliche  Spezialisierungen  und  dadurch  Verschiedenheiten  zwischen 
den  einzelnen  Zellen  auftreten ;  diese  letzteren  haben  aber  die  Fähig- 
keit der  Mehrleistung  und  darum  können  die  Keimesteile  unter- 
einander doch  trotz  äusserer  Verschiedenheiten  noch  innerlich  gleich 
sein,  ein  »äquipotenzielles  System«  bilden.  Erst  dann,  wenn 
nicht  mehr  alle  Teile  für  einander  eintreten  können,  ist  ein  wirklich 
innerlicher  Unterschied  zwischen  den  Keimesteilen  eingetreten;  die 
prospektive  Potenz,  nicht  die  prospektive  Bedeutung,  ist  also  das 
Kriterium  der  Differenzierung. 

Die  evolutionistische  Richtung  Weis m anns  hat  diesen  Ergeb- 
nissen insofern  Rechnung  getragen,  als  sie  nicht  mehr  auf  jeder 
Etappe  eine  Zerlegung  der  Fähigkeiten,  des  Idioplasmas  des  Kerns 
annimmt,  sondern  nur  in  bestimmten  Stadien,  »wenn  an  einem  Ort 
des  Keims  nachweisware  Differenzen  eintreten.«  Nach  der  entgegen- 
gesetzten Ansicht  jedoch  könnte  eigentlich  eine  solche  innerliche 
Differenzierung  niemals  eintreten.  Jede  Zelle  des  Körpers  in  allen 
Stadien  besitzt  die  Erbmasse  in  ihrem  Kern  und  »trägt  dadurch  die 
Möglichkeit  in  sich ,  unter  geeigneten  Bedingungen  aus  sich  das 
Ganze  zu  reproduzieren«.  Die  Erfahrung  zeigt  jedoch,  dass  diese 
Fähigkeit  nicht  in  solchem  Mafs  vorhanden  ist. 


Mi  XL  Kapitel.     Das  Differenzierungsproblem  und  die 

Wenn  daher  <las  Differenzierungsproblem  noch  einmal  experi- 
mentell geprüft  werden  soll,  so  darf  dies  nicht  mehr  auf  frühen 
Stadien  geschehen,  wo  auch  Weis  mann  eine  Gleichwertigkeit  der 
Zellen  res]».  Kerne  zugeben  kann,  sondern  auf  solchen  Stadien,  wo 
/wischen  den  Zellen  nachweisliche  Verschiedenheiten  eingetreten  sind. 
Die  wohlbekannten  Verhältnisse  bei  Echiniden  bieten  hierzu  Gelegen- 
heit. Eine  gewisse  Verschiedenheit  war  bei  den  Furchungsstadien 
der  Seeigel  schon  von  der  dritten  Teilung  ab  zwischen  Blastomeren 
des  einen  und  anderen  Pols  zu  bemerken,  allerdings  auf  Grund  plas- 
matischer  Unterschiede,  die  ihnen  vom  Ei  ab  und  durch  Teilungs- 
richtung übermittelt  waren.  Es  ist  daher  zunächst  zu  ermitteln,  wie 
weit  diese  Verschiedenheit  des  Schicksals  auch  auf  die  Fähigkeiten 
der  Blastomeren  übergreift;  denn  wenn  sie  eine  prinzipielle  wäre,  wie 
z.  B.  bei  Mollusken,  so  brauchte  die  Frage  des  Eintretens  einer 
Differenzierung  nicht  mehr  erörtert  zu  werden,  sondern  eine  solche 
Verschiedenheit  bestände  schon  vornherein.  Driesch  hat  deshalb 
die  Wertigkeit  der  späteren  Blastomeren  bei  Echinus  einer  genaueren 
Nachprüfung  unterzogen  und  wiederholt  gefunden,  dass  auch  rein 
animale  Blastomeren,  allerdings  seltener,  zu  Gastrulation  und  Weiter- 
bildung kommen  können  (s.  o.  p.  oO),  namentlich  dann,  wenn  sie 
nicht  ganz  vereinzelt  sind,  sondern,  wenn  es  sich  um  einen  ganzen 
Haufen  rein  animaler  Zellen  (4  von  8,  8  von  16  des  ganzen  Keimes) 
handelt.  Trotz  der  verschiedenen  stofflichen  Zusammensetzung  kann 
dann  die  aus  animalen  Blastomeren  bestehende  Hälfte  zur  Ganz- 
bildung kommen,  wie  auch  die  vegetative,  weil  offenbar  die  grössere 
Quantität  des  Plasmas  die  Vertretbarkeit  der  Substanzen  resp.  Blasto- 
meren erleichtert,  während  dieser  Ausgleich  bei  einzelnen  1/8  und  1/16- 
Blastomeren  naturgemäfs  viel  schwerer  ist.  Die  Quantität  des  Plasmas 
an  und  für  sich  spielt  bei  der  Ergänzungsfähigkeit  eine  Rolle  und 
kann,  wie  zahlreiche  Experimente  erwiesen  haben,  nicht  unter  ein 
gewisses  Minimum  herabgehen.  Schon  das  Keimesminimum,  das  es 
nur  zur  Gastrulation  bringen  soll,  beträgt  bei  Echinus  lj16  und  unter 
Umständen  (wahrscheinlich  bei  einen  richtig  vegetativen  Teilstück) 
noch  l/32 ;  x/64  Keime  bringen  es  höchstens  zur  Blastula.  Es  ist  daher 
auch  von  einzelnen  1/8  und  1l1Ct  Blastomeren  nicht  die  Leistung  wie 
von  einer  Gruppe  zu  erwarten,  ohne  dass  darum  die  Qualität  von 
Plasmasubstanzen  in  Betracht  käme. 

Die  Möglichkeit  anderer  als  normaler  Verwendung  der  Keim- 
zonen erhellt  aus  einem  Vergleich  der  aus  1/4  und  aus  einem  vege- 
tativen 1/8-Blastomer  gezogenen  Larven  (vgl.  Fig.  21) ;  beide  erhalten 


Experimente  auf  späteren  Stadien.  S  , 

vom  Mikromerenfeld  und  annähernd  vom  gefärbten  Ring  denselben 
Teil,  nämlich  je  1j4;  dennoch  aber  besitzt  die  1/s  Larve  nur  halb  so 
viel  Mesenchymzellen  wie  die  1ji  Larve  und  auch  nur  einen  etwa 
halb  so  grossen  Harm  (s.  o.  p.  82).  Die  Bestimmung  der  Keimesteile 
durch  die  plasmatischen  Verschiedenheiten  ist  also  bei  Echiniden 
keine  absolute,  sie  macht  sich  in  der  Normalentwickelung  und  bei 
Verlagerungen  geltend  (s.  o.  p.  32)  aber  kaum  bei  Isolierung;  es 
findet,  wie  Driesch  es  ausdrückt,  wohl  eine  »Determinierung,  aber 
keine  Fixierung«  statt;  mit  anderen  Worten:  die  prospektive  Potenz 
auch  dieser  späteren  Blastomeren  ist  noch  grösser  als  ihre  pro- 
jektive Bedeutung,  die  einzelnen  Keimesteile  können  sich  gegen- 
seitig vertreten,  der  Echinidenkeim  ist  noch  auf  diesem  Stadium  ein 
äquipotenzielles  System. 

Es  fragt  sich,  bis  zu  welchem  Stadium  der  Entwicklung  dies 
noch  ausgesagt  werden  kann.  Die  zeitlich  sich  anschliessenden  Ex- 
perimente sind  auf  dem  Blastulastadium  von  Sphaerechinus  durch 
Driesch  angestellt  worden,  ehe  es  zur  Absonderung  der  Mesenchym- 
zellen und  zur  Ausbildung  des  Urdarmes  gekommen  war.  In  Tropfen, 
die  eine  konzentrierte  Menge  von  Blastulis  enthielten,  wurde  mit  der 
Scheere  beliebig  hineingeschnitten,  die  dadurch  erhaltenen  Teilstücke 
gesichtet  und  zur  Weiterzucht  gebracht  (Fig.  76).  Die  Schnittwunde 
schliesst  sich  sofort,  die  Stücke  bleiben  aber  zuerst  mit  krauser,  faltiger 
Wandung  am  Boden  des  Gefässes  liegen ;  in  wenigen  Stunden  sind  sie 
prall  und  schwimmen  munter  umher,  und  von  91  kamen  alle  mit 
Ausnahme  von  4  zur  "Weiterent Wickelung.  Das  Resultat  ist  nicht 
ganz  einwandfrei,  da  man  nicht  willkürlich  animale  und  vegetative 
Hälften  —  und  darauf  allein  kommt  es  an  —  trennen  konnte,  sondern 
bei  der  Kleinheit  der  Objekte  auf  beliebige  Schnittrichtung  ange- 
wiesen. Doch  ist  kaum  anzunehmen,  dass  nicht  unter  den  91  Fällen 
■eine  grössere  Anzahl  von  gewünschten  Hälften  gewesen  wären,  oder 
dass  gerade  die  4  von  91  solche  rein  animalen  Stücke  repräsentierten. 
Zusammengehalten  mit  den  vorher  erwähnten  Versuchen  sprechen 
auch  diese  Ergebnisse  für  eine  noch  vorhandene,  wenn  auch  allmäh- 
lich schwerer  durchdringende  Äquipotenz  und  Ausgleichsfähigkeit. 

Noch  einen  Schritt  weiter  in  der  Ontogenese  wird  die  Beschränkung- 
deutlicher.  Es  wurden  Larvenstadien  von  Sphaerechinus  und  Echiwis 
zerschnitten,  welche  die  Mesenchymbildung  vollendet  hatten  und  sich 
zur  Gastrulation  anschickten  (Fig.  77),  und  es  wurden  aus  dem 
operierten  Material  solche  Stücke  ausgelesen,  welche  rein  »animal« 
waren,    d.  h.  weder   Mesenchvm-    noch    Darmzellen    aufwiesen.     Von 


SS 


XI.  Kapitel.     Das  Differenzierungsproblem  und  die 


99  solcher  animalen  Fragmente  bei  Sphaerechinus  brachte  es  weitaus 
die  grössere  Hälfte  nicht  einmal  mehr  zur  Gastrulation,  obwohl  die 
Stücke  durchaus  gesund  umherschwammen  und  eetodermale  Organe 
lieferten.  Von  25  animalen  Echinus larvenstücken  gastrulierten  kaum 
5,  und  von  M  animalen  Larvenfragmenten  von  Asterias  [das  Material 
vom  Seestern  bietet  eine  gute  Ergänzung  durch  etwas  anderen  Ver- 
lauf des  Urdarmes  (s.  p.  90)]  kam  trotz  mehrtägiger  Weiterzüchtung 


Fig.  76. 


© 
© 


Fisr.  77. 


Fig.  76  u.  77.  Schemata  der  Leistungsfähigkeit  der  animalen  und  vegetativen  Hälfte 
des  Echinidenkeimes,  nach  Morgan  (im  Anschluss  an  Driesch'sche 
Experimente),  und  zwar  Fig.  76  während.  Fig.  77  nach  erfolgter  Gastru- 
lation getrennt.  Die  kleinen  Figuren  rechts  zeigen  das  spätere  Schicksal 
der  Teilprodukte.  Im  Beginn  der  Gastrulation  getrennt,  sind  beide  Hälften 
zur  Gastrulation  und  Pluteusbildung  befähigt,  nachher  nur  diejenige  Hälfte, 
die  alle  Elementarorgane  (Ectoderm,  Urdarm,  Mesenchym)  besitzt. 

der  gesunden  Keime  keiner  zur  Gastrulntion.  Es  ist  also  daraus  zu 
schliessen :  sobald  die  am  vegetativen  Pol  entstandenen  Organe,  Darm 
und  Mesenchym,  wirklich  angelegt  sind,  sind  die  übrigen  Zellen  des 
Keims  nicht  mehr  im  Stande,  bei  Isolierung  diese  Organe  noch  ein- 
mal zu  bilden;  auch  umgekehrt  können  die  isolierten  Urdärme  nicht 
das  fehlende  Ektoderm  ergänzen.  Es  ist  also  eine  deutliche  Ein- 
schränkung der  prospektiven  Polenz  unter  den  Keimeszellen  einge- 
treten.  Da  dieselben  Zellen  vorher,  allerdings  unter  Schwierigkeiten,. 


Experimente  auf  späteren  Stadien.  S'.i 

die  Ergänzung  noch  leisten  konnten,  so  müssen  durch  die  Abscheidung 
des  Mesenchyms  und  Urdarms  Veränderungen  am  ganzen  Keim,  also 
auch  an  diesem  entfernten  animalen  Pol  stattgefunden  halten,  wo- 
durch er  des  letzten  Restes  der  Ergänzungsfähigkeit  beraubt  worden 
ist.  Auch  dies  spricht  dafür,  die  Ursachen  der  fortschreitenden 
Differenzierung,  der  Einschränkung  der  Potenz,,  in  plasmatischen  Be- 
wirkungen  zu  suchen,  die  allmählich  durch  die  Entwickelung  selbst 
eintreten,  und  nicht  in  einer  plötzlich  auf  dieser  Etappe  einsetzenden 
ungleichen  Verteilung  der  Kernqualitäten. 

Leider  ist  in  anderen  Tiergruppen  die  Einschränkung  der  prospek- 
tiven Potenz  auf  späteren  Stadien  bisher  nur  wenig  experimentell 
geprüft  worden.  Bei  Amphibien  hat  Samassa  im  Achterstadium 
des  Froscheis  die  vier  animalen  Blastomeren  durch  galvanische  Tötung 
der  vier  vegetativen  zur  alleinigen  Weiterentwickelung  zu  bringen 
versucht  und  umgekehrt.  Die  betreffenden  Hälften  setzen  ihre  Ent- 
wickelung als  solche  zunächst  ungestört  fort;  es  treten  aber  keinerlei 
Ausgleichungen  ein  und  die  Bildungen  sterben  in  unreifen  Stadien 
ab.  Es  besteht  also  auch  hier  eine  Beschränkung  in  der  Entwickeluno-s- 
fähigkeit,  sobald  sich  die  Zellen  der  animalen  und  vegetativen  Sphaere 
geschieden  haben.  Diese  Beschränkung  ist,  wie  schon  die  Isolierungs- 
versuche dargetan  haben  (s.  p.  40),  durch  die  Verteilung  plasmatischer 
Substanzen  bedingt;  ob  sie  schon  auf  so  frühem  Stadium  eine  abso- 
lute ist,  kann  nach  dem  etwas  gewaltsamen  Samassa 'sehen  Experi- 
ment in  Anbetracht  der  diffizilen  Regulierungsverhältnisse  des  Frosch- 
eies noch  nicht  entschieden  gelten  (vergi.  oben  Spemann). 

An  etwas  späteren  Stadien  von  Amphibien  hat  Barfurth  Ver- 
suche der  Materialentnahme  gemacht.  Wenn  bei  Verletzungen  im 
Gastrulastadium  durch  Ektodermentfernung  die  weisse  Schicht,  das 
Entoderm,  blossgelegt  wurde,  so  war  letzteres,  selbst  auf  frühen  Stadien 
der  Einwucherung,  nicht  mehr  im  Stande,  von  sich  aus  ein  neues 
Ektoderm  zu  liefern,  sondern  dieses  ergänzte  sich  vom  übrigen  Ekto- 
derm  aus.  Auch  die  anderen  Keimblätter  vermögen  sich  nur  inner- 
halb  ihrer  selbst  zu  ergänzen ;  es  besteht  also  auch  hier  eine  Ein- 
schränkung der  prospektiven  Potenz  der  »Keimblätter«,  oder  besser 
der  ersten  (primären)  Elementarorgane  (s.  p.  96). 

Eine  andere  Frage  ist,  wie  sich  die  Zellen  solcher  Elementar- 
organe nicht  gegenüber  den  Zellen  anderer  Elementarorgane,  sondern 
unter  sich  verhalten,  in  bezug  auf  ihre  gegenseitige  Ausgleichsfähig- 
keit, prospektive  Potenz.  Dieser  Frage  ist  besonders  D  r  i  e  s  c  h  durch  sinn- 
reiche Versuche  an  späteren  Stadien  von  Echinodermen  näher  getreten. 


90  XI.    Kapitel.     Das  DiffereiizHTUii.ijsproltleiii  und  dio 

Wir  sehen  hier  in  der  Normalentwickelung,  dass  sich  der  Darm  in  ganz 
bestimmter  Weise  gliedert,  ganz  bestimmte  Ausstülpungen  an  fester 
♦Stelle  für  Coelom  und  Wassergefässsystem  bildet  u.  s.  w.  Es  fragt 
sieh  also  auch  hier  wieder,  ob  diese  Leistungen  an  ganz  bestimmte 
Zellen  gebunden  sind,  die  diese  Qualität  durch  ihr  Kernplasma  über- 
mittelt erhalten,  oder  ob  diese  Veränderung  ganz  beliebige  Urdarm- 
zellen,  je  nach  der  Lage  treffen  kann.  Dies  kann  natürlich  durch  das 
Experiment  entschieden  werden,  indem  man  für  die  Urdarmzellen 
neue  Bedingungen  schafft. 

Wenn  man  Gastrulae  von  Echiniden  zerschneidet,  so  dass  sie  in 
kleinere  Stücke  zerfielen,  die  alle  drei  Zellsorten  enthielten,  so  lieferten 
■die  Stücke,  die  überhaupt  leben  blieben,  normale,  nur  ganz  kleine 
Plutei,  mit  typischem  dreigliedrigem  Darm.  Es  mussten  in  Folge  der 
Zerschneidung  ganz  andere  Zellen,  sowohl  im  Ektoderm  für  die 
Wimperschnur,  als  auch  im  Entoderm  für  die  einzelnen  Darmteile 
verwandt  werden,  als  in  der  Normalentwickelung  vorgesehen  war; 
also  ist  die  prospektive  Potenz  der  Ektoderm zellen  unter  sich 
und  der  Entodermzellen  unter   sich  die  gleiche. 

Noch  deutlicher  zeigt  sich  dies  bei  Seesternlarven.  Bei  der 
Gastrula  von  Asterias  glacialis  reicht  der  Urdarm  nicht  so  hoch  herauf, 
und  an  seinem  distalen  Ende  markiert  sich  sehr  bald  die  Endblase, 
die  sich  nachher  als  Anlage  des  Coelom-Wassergefässsystems  abschnürt 
(Fig.  78).  Wenn  man  nun  Gastrulae  so  zerschneidet,  dass  dem  vege- 
tativen Teil  nur  etwa  die  Hälfte  des  Ektoderms  bleibt  und  auch  vom 
Entoderm  gerade  der  Teil,  der  die  Blase  bildet,  entfernt  wird,  so 
stellen  sich  ektodermale  wie  ento dermale  Organe  trotz  der  erheblichen 
Substanzentnahme  typisch,  nur  proportional  verkleinert,  wieder  her. 
Es  wird  eine  neue  Blase  (iv)  von  Zellen  geliefert,  die  sich  an  der 
Bildung  der  alten  gar  nicht  beteiligt  hatten,  und  der  restierende  Darm 
teilt  sich  in  drei  Abschnitte  (dl}  d2>  d.d),  für  die  dann  ebenfalls  andere 
Zellen  wie  normaler  Weise  verwandt  wurden.     (Fig.   79). 

Ebenso  können  die  einzelnen  Mesenchymzellen  für  einander  ein- 
treten.    Diese  Zellen  äussern    sich,    ehe   sie   die   Kaikabscheidung  be- 
ginnen, am  Ektoderm  zu  einer  typischen,  bilateralen  Figur  (Fig.  80). 
Durch  Schütteln  hat  Driesch  dieselben  im  ganzen  Halbraum  umher 
zerstreut   (Fig.   81);    gleichwohl    trat    ihre    Ordnung    nach    und    nach 
wieder  ein  (Fig.  82) ;  es  ist  kaum  anzunehmen,  dass  da  auch  nur  ein 
kleiner  Teil    der  Zellen   wieder   an    die  richtige   ehemalige   Stelle   ge- 
kommen wäre,  und   dennoch  erfolgt  die  Ausbildung    der  Skelettstäbe 


Experimente  auf  späteren  Stadien. 


91 


des  Pluteus  in  typischer  Weise  Die  Mesenchymzellen  sind  also  wie 
die  des  Ektoderms  und  des  primären  Darms  unter  sich  von  gleicher 
prospektiver  Potenz,  können  einander  vertreten. 


Fig.  78. 
Fig.  79. 


(h 


Fig.  7^ 
w 


d. 


.A 


Fi?.  79. 


w 


<l, 


Normale  Bipinnarialarve  von  Asterias  von  der  Seite. 

Bipinnaria,  aus  dem  vegetativen  Stück  einer  Gastrula  hervorgegangen  (nach 
Driesch).  Trotzdem  diese  die  gleiche  Menge  Entoderm  erhielt,  ist  doch 
die  Proportionalität  der  Darmteile  zur  verkleinerten  Gesamtform  gewahrt. 

w  =  Wassergefässblase.     d\,  (k,  ^3  =  Teile  des  Darms. 


Fig.  80. 


Vie.  81. 


Fisr.  82. 


Fig.  80.  Nonnale  Lagerung  der  Mesenchymzellen  von  Ecliinns  vom  vegetativen  Pol 
aus.     Ein  Kranz,  der  bilateral  symmetrische  Anhäufungen  aufweist. 

Fig.  81.    Mesenchym  durch  Schütteln  derangiert  (Larve  von  der  Seite). 

Fig.  82.  Mesenchymzellen  haben  trotz  Schütteln  selbständig  die  normale  Lagerung 
eingenommen;  auch  Darmanlage  etc.  normal. 

Auch  letztere  Potenz  wird  wieder  eingeschränkt,  sobald  die  be- 
treffenden Organe  sich  wirklich  und  räumlich  abgesondert  haben.  Wenn 
man  nach  erfolgter  Abschnürung  der  Vasocoelomsäcke  (Fig.  78,  w)  eine 
Durchtrennung  vornimmt,  so  hat  der  zurückbleibende  Teil  des  Darms 
die  Fähigkeit  zur  Neubildung  dieser  Säcke  eingebüsst.  Die  gleichen 
Zellen  haben  die  Fähigkeit  vorher   noch   besessen;   es    ist   also   nicht 


92  XI.  Kapitel.     Das  Differenz ierungsproblem  und  die 

anzunehmen,  dass  sie  ihre  Qualitäten  in  sich,  resp.  in  ihrem  Kern 
tragen,  sondern  man  ersieht  aus  dem  Experiment,  dass  ihre  Leistungen 
durch  Wirkung  auf  ihr  Plasma,  d.  h.  auf  die  ganze  Zelle  als  solche 
bestimmt  werden.  Die  Ausstossung  der  Coelomsäcke  aus  dem  Verband 
des  Urdarms  muss  auf  die  zurückbleibenden  Zellen  eine  bestimmte, 
einstweilen  chemisch  nicht  analysierbare  Wirkung  haben,  ähnlich 
wie  Ausscheidung  der  Mesenchym-  und  Darmzellen  früher  auf  die 
zurückleibenden  Blastodermzellen,  die  dadurch  zu  »Ektoderrnzellen« 
mit  begrenzter  Fähigkeit  werden. 

Auch  die  Fähigkeit  der  Mesenchymzellen  wird  nach  erfolgter 
Skelettbildung  eingeschränkt ;  bei  Durchschneidung  einer  Larve,  die 
bereits  ihre  grossen  Kalkstäbe  ausgebildet  hat,  können  in  einem  Frag- 
ment, das  keine  Kalkkörper  enthält,  keine  ueuen  Stäbe  mehr  gebildet 
werden ,  auch  wenn  noch  genügend  andere  Mesenchymzellen 
vorhanden  sind.  [Hierbei  spielen  allerdings  noch  andere  Bedingungen 
mit,  die  bei  den  chemischen  Reizwirkungen  (s.  p.  154  und  194)  zu 
besprechen  sind.]  Die  Zellen  eines  Elementarorgans,  z.  B.  des  Ur- 
darms, sind  also  unter  sich  prospektiv  gleich;  die  prospektive  Potenz 
verschiedener  Elementarorgane ,  (sekundärer  Elementarorgane, 
z.  B.  Coelomsack,  eigentlicher  Darm)  in  Bezug  aufeinander,  ihre 
gegenseitige  Ergänzungsfähigkeit  ist  jedoch  beschränkt. 

Diese  Einengung  der  Fähigkeiten  im  späteren  Lauf  der  Ontogenese 
ergibt  sich  auch  aus  einigen  Experimenten  von  Spemann  in  der  Am- 
phibienentwickelung.  Wenn  man  einen  Tritonembryo,  in  dem  die 
Medullarplatte  angelegt  ist,  durch  eine  Ligatur  quer  durchschnürt, 
so  bildet  das  hintere  Stück  der  Medullaranlage  neue  Kopfanlagen; 
es  entwickelt  sich  so,  als  wenn  sein  neues  künstliches  Vorderende 
ein  normales  Vorderende  wäre.  Es  legen  sich  in  entsprechender 
Entfernung  Hörblasen  an,  das  Medullarrohr  bildet  ein  Hirn  mit  typischer 
Nackenbeuge  (trotzdem  sich  am  abgeschnürten  vorderen  Stück  dies 
ebenfalls  entwickelt) ;  die  Zellen  der  Elementarorgane  treten  also  hier 
für  einander  ein  und  besitzen  die  Fähigkeit  einer  grossen  Mehr- 
leistung, allerdings  in  den  Grenzen  des  Elementarorgans.  Wird  die 
Durchschnürung  jedoch  erst  dann  vorgenommen,  wenn  die  Medullar- 
wülste  scharf  abgegrenzt  sind,  so  kann  das  hintere  Stück  keine  neuen 
Kopf  an  lagen  ausbilden,  sondern  entwickelt  sich  als  Teilbildung,  wie 
wenn  es  im  Verband  des  Ganzen  geblieben  wäre,  weiter.  Es  hat 
demnach  gegenüber  dem  früheren  Stadium  eine  wesentliche  Ein- 
schränkung der  Potenzen  auch  innerhalb  der  Medullaranlage  statt- 
gefunden. 


Experimente  auf  späteren  Stadien. 


93 


Den  ersterwähnten  Versuch,  die  Mehrleistung  der  Medullarrohran- 
lage  auf  früheren  Stadien  betreffend,  hat  Spemann  seitdem  nicht 
mit  positivem  Ergebnis  wiederholen  können,  und  will  ihn  daher  neuer- 
dings als  zweifelhaft  zurücknehmen,  bis  er  durch  weitere  Experimente 
erhärtet  werden  kann.  Bestehen  bleibt  aber  jedenfalls  die  Ein- 
schränkung der  Fähigkeit  auf  dem  späteren  Stadium,  nur  müsste  der 
Eintritt  dieser  Beschränkung  dann  event.  schon  auf  etwas  früherem 
Stadium  angenommen  werden,  falls  der  Versuch  nicht  einwandfrei  war. 
Eine  andere  Angabe  in  gleicher  Richtung  bleibt  bestehen  ;  wenn  man  die 
Ligatur  in  medianer  Richtung  anbringt,  so  dass  die  Medullarplatte 
längs  geteilt  wird,  so  bildet  das  Vorderende  zwei  vollständige,  neben- 
einander gelegene  Kopfteile.  Eine  Mehrleistung  ist  also  unzweifelhaft 
vorhanden;  wir  haben  gewissermassen  zwei  verkleinerte  Ganzbildungen 
jede  aus  halbem  Material  vor  uns,  wie  wir  es  entsprechend  früher 
an"  Blastomeren  gesehen  haben. 


Fig.  83. 


Fig.  83.     Embryo    von    Trutta  fario.     Experimentell    erzeugte    hintere    Spaltbildung 

(nach  Kopsch). 


94 


XI.   Kapitel.     Das  Differenzierungsproblem  und  die 


Aehnlich  dürften  nach  die  Versuche  von  Kopsch  an  Forellen- 
embryonen aufzufassen  sein.  Er  hat  auf  einem  jungen  Stadium  genau 
in  der  Medianlinie  der  erst  später  zu  Tage  tretenden  Embryonalanlage 
die  Zellen  des  äussersten  Randabschnittes  mittelst  des  elektrischen 
Stroms  behandelt.  Es  ergab  sich  dann  eine  mediane  Spaltung  des 
Keims  (Fig.  83).  Vorn  verblieb  die  Bildung  einheitlich,  resp.  ent- 
wickelten die  Teile  als  Hälften,  hinten  aber,  wo  die  Differenzierung 
zur  Zeit  des  Eingriffs  noch  nicht  so  weit  gediehen  war,  ergaben  sich 
zwei    Ganzbildungen.      Solche    Doppelbildungen    bei    meroblastischen 


// 
\ 


ch 


Fig.  84. 

m 

i 

in 

i 

ch 


Fig.  84.     Schnitt  durch  Doppelbildung  des  Saiblings  (nach  Oellacher). 

m  =  Medullarrohr,  ch  =  Chorda,  n  =  Nierengang,  d  =  Darmteil,  l  =  Leber. 

Eiern  können  auclr  einer  Spaltung  des  Materials  auf  noch  früheren 
Stadien  ihre  Entstehung  verdanken  und  sind  bei  Fischen  (Fig.  84) 
und  Eidechsen  häufig  beobachtet  (vergl.  p.  51). 


Hier  lassen  sich  am  ehesten  die  eigenartigen  Transplantations- 
und Auf  pfropf  ungsversuche  anschliessen,  die  Born  an  den  Larven 
verschiedener  Amphibien  angestellt  hat.  Die  Larven  vieler  Anuren 
zeigen  besonders  im  Stadium,  wo  das  Medullarrohr  sich  schliesst,  der 
Kopf  sich  absetzt,  und  der  Schwanz  hervortritt,  ein  ausgezeichnetes 
Heilungsvermögen,  indem  die  Epidermis  sich  in  kürzester  Zeit  über 
die  Wundfläche  schiebt,  Infolge  dieser  raschen  epithelialen  Bedeckung 
können  beliebige  Teilstücke  bis  zum  Aufbrauch  des  in  den  Zellen 
enthaltenen  Dottermaterials,  bis  etwa  3  Wochen,  erhalten  bleiben  und 
sich  weiter  entwickeln.  Die  Entwickelung  dieser  Fragmente  zeigt 
keinen  Ausgleich,  sondern  geschieht  durchaus,  wie  wenn  sie  im  Verband 


Experimente  auf  späteren  Stadien. 


!»•■ 


des  Ganzen  geblieben  wären.  Auch  der  Mangel  von  Organen,  die 
sonst  auf  den  ganzen  Körper  des  Erwachsenen  Einfluss  haben,  wie 
Herz  und  Gehirn,  macht  sich  nicht  fühlbar.  Dies  beweist  natürlich 
nicht  prinzipiell  die  Selbstdifferenzierung,  sondern  in  logischem  und 
zeitlichem  Ausschluss  an  die  früheren  Versuche  nur,  dass  je  mehr 
sich  die  Organe  ausbilden,  je  mehr  sozusagen  sich  die  primären 
Elementarorgane  in  sekundäre,  tertiäre  etc.  sondern,  die  in  sich  zwar 
prospektiv  gleich,  aber  untereinander  verschieden  sind,  desto  mehr 
auch  natürlich  die  Teile  ihre  erlangte  Differenzierung  beibehalten 
müssen. 


Fig.  85. 


Fig.  86. 


Fig.  85  und  86.     Verwachsüngs  versuche  mit  Amphibienlarven  nach  Born. 

Fig.  85.     Kanae  esculentae,    13  Wochen  nach  der  Vereinigung.     Nach  Born.     Janus- 

artige  Gehirnvereinigung.     14  Tage   später   als    diese  Abnahme  vollkommen 

metamorphosiert.     Das    grössere  Fröschchen   trägt   das  kleinere  dauernd  auf 

dem  Rücken. 
Fig.  86.     Eanae  esculentae,  13  Wochen  nach  der  Zusammensetzung.    Gleichsinnige  Bauch- 

vereinigung.    Nach  Born:  Über  Verwachsungsversuche  mit  Amphibienlarven. 

Die  Lage  und  Nachbarschaft  erweist  sich  auch  bei  diesen  Ver- 
suchen trotz  selbständigen  Weiterwachsens  dennoch  als  nicht  gleich- 
gültig. Wenn  bei  der  Transplantation  entsprechende  gleichartige 
Organsysteme  zusammen  kommen,  so  verwachsen  sie  miteinander; 
es  kann  ein  Stück  Magen  mit  einem  Stück  Enddarm,  ein  Stück 
Medullarrohr  mit  einem  Fragment  verschmelzen,  aber  nicht  ein  ento- 
dermaler  Teil  mit  einem  ektodermalen  oder  umgekehrt.  In  den 
letzteren  Fällen  bleibt  stets  eine  Narbe  von  verlötendem  Bindegewebe 
dazwischen;  ebenso  wenn  gleiche  Organsysteme  verschiedener  Spezies 


96  XL   Kapitel.     Das  Differenzierungsproblem  und  die 

zusammenwachsen,  wenn  z.  B.  der  Darm  von  JRana  mit  dem  Magen 
A'on  Ali/t  es  zusammengepfropft  wird.  Es  kann  in  solchen  Fällen  wohl 
zu  einer  gewissen  physiologischen  Verbindung  der  Teilstücke 
durch  die  Blutbahn  kommen;  eine  wirklich  organische  und  morpho- 
logische Vereinigung  der  Teilstücke  erfolgt  nur  dann,  wenn  sich  gleiche 
Organe  gleicher  Spezies  zusammenfinden.  Diese  Verwandtschaft  macht 
sich  sogar  auf  Entfernung  geltend;  selbst  wenn  die  betreffenden 
Systeme  von  der  Schnittfläche  entfernt  liegen,  nähern  sie  sich  durch 
eine  Art  gegenseitiger  Anziehung,  so  dass  gleichartiges  zusammen- 
wächst. Der  Zusammenschluss  kann  so  vollkommen  werden,  dass 
man  aus  der  Verlötung  zweier  symmetrisch  gewählter  Hälften  ein 
ganzes  Tier  erhält,  das  sich  in  nichts  von  der  aus  einem  intakten 
Ei  gezogenen  Larve  unterscheidet.  Nach  dem  Erörterten  kann  auch 
dieser  Versuch  natürlich  nicht  im  Sinn  einer  Mosaiktheorie  aus- 
gelegt werden. 


Die  vorher  besprochenen  Erscheinungen,  besonders  bei  Echino- 
dermen,  im  fortschreitenden  Verlauf  der  Entwickelung  haben  zur 
Festlegung  von  Begriffen  und  zu  Definitionen  für  die  Phasen  der 
Entwickelung  geführt,  die  sich  ohne  Rücksicht  auf  den  stammes- 
geschichtlichen Vergleich  rein  an  die  Analyse  der  Vorgänge  selbst  zu 
halten  suchen. 

Wenn  sich  eine  oder  eine  Anzahl  von  Zellen  durch  Qualität  und 
Lage  anderen  gegenüber  als  etwas  einheitliches  kennzeichnen,  so 
geschieht  dies  durch  einen  »cellulären  Elementarprozess.« 
Die  Ontogenese  setzt  sich  aus  einer  Reihe  solcher  auf- 
einanderfolgender Elementarprozesse  zusammen.  Das 
Resultat  eines  cellulären  Elementarprozesses  wird  als  celluläres 
Elementarorgan,  oder  Elementarorgan  schlechtweg  bezeichnet.  Die 
Furchung  ist  bei  den  Echiniden  der  erste  celluläre  Elementarprozess; 
das  Blastoderm  ist  demnach  das  erste  Elementarorgan,  ein  primäres 
Elementar organ.  Seine  Zellen  haben  untereinander  die  gleiche 
prospektive  Potenz.  Die  Ausbildung  der  Mesenchymzellen  und  des 
Urdarms  sind  weitere  celluläre  Elementarprozesse;  der  Urdarm  der 
Echinodermenlarve  ist  ein  s  e  k  u  n  d  ä  r  e  s  E 1  e m  e  n  t  a  r  o  r  g  a  n .  ebenso 
das  Mesenchym  und  das  Ektoderm.  Die  sekundären  Elementarorgane 
sind  einander  gegenüber  nicht  mehr  prospektiv  gleich,  wohl  aber  die 
Zellen  jedes  sekundären  Elementarorgans  unter  sich.  Aus  dem  Ur- 
darm entwickelt  sich  durch  einen  weiteren  cellulären  Elementarprozess, 


Experimente  auf  späteren  Stadien.  97 

durch  Abschnürung,  dieCoelom-Wassergefässblase;  diese  wie  der  zurück- 
bleibende wirkliche  Darm  stellen  tertiäre  Elementarorgane  dar. 
Die  Blase  teilt  sich  in  Coelomsäcke  und  Wassergefässeanlage ;  auch 
deren  Zellen  sind  untereinander  prospektiv  gleich ;  der  Darm  gliedert 
sich  in  drei  bestimmte  Abschnitte.  Diese,  wie  die  Wassergefässan- 
lage  etc.  sind  q u a r t ä r e  Elementarorgane. 

Der  Begriff  eines  Keimblattes  kann  unter  Umständen  mit  dem 
eines  primären,  oder  sekundären  Elementarorgans  zusammenfallen, 
oder  kann  eine  Summe  von  späteren  Elementarorganen  darstellen, 
muss  dies  aber  nicht, 

In  solcher  Weise  kann  man  den  Prozess  einer  Ontogenese  unter 
stetiger  Einschränkung  der  prospektiven  Potenz  weiter  verfolgen  bis 
zu  den  nltimären  Elementarorganen.  Dies  sind  solche,  an  denen 
keine  neuen  Elementarprozesse  insceniert  werden,  sondern  welche  nur 
in  sich  gleichförmige  Veränderungen  zeigen ;  z.  B.  Wachstum  unter 
Erhaltung  der  Proportionen. 

Die  gleichen  Begriffe  wie  bei  den  Echiniden  Hessen  sich  bei 
der  Amphibienentwickelung  für  Blastoderm,  Ektoderm,  Medullarwulst, 
Hirn-  und  Rückenmarksanlage,  einzelne  Hirnabschnitte  etc.  anwenden 
und  ebenso  an  ihnen  die  fortschreitende  Einengung  der  Fähigkeit 
und  Vertretbarkeit  konstatieren.  Dass  wir  für  diese  Einschränkung 
keine  Zerlegung  der  Kernqualitäten,  sondern  im  Lauf  der  Entwicklung 
allmählich  hervortretende  plasmatische  Unterschiede  verantwortlich 
machen  können,  scheint  auch  aus  den  oben  erörterten  Experimenten 
an  späteren  Stadien  hervorzugehen,  soweit  diese  spärlichen  Versuche 
einstweilen  überhaupt  eine  Deutung  zulassen. 


Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwiekelungsgeschichte. 


|IS  XII.  Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme 

XII.  Kapitel. 

Die  Experimente  der  Materialentnahme  am  ausgebildeten  Körper 

und  die  Regeneration. 

Verschiedene  Fassung  des  Begriffs  Regeneration,  das  Wiederinkrafttreten  der 
prospektiven  Potenz.  A.  Herkunft  des  regenerierenden  Materials.  Experimente 
an  Würmern,  Seesternen,  Fischen,  Amphibien.  Die  histologische  Aus- 
bildung des  Regenerats.  Gleiches  aus  Gleichem?  Die  Regeneration  der  Triton- 
linse.    Regeneration  und  Keimblatt,  Regeneration  und  Elementarorgan. 

Die  Versuche  an  späteren  Stadien  der  Entwickelung,  die  im 
vorigen  Kapitel  erläutert  wurden,  haben  gezeigt,  dass  mit  dem  Fort- 
schreiten der  Ausbildung  der  prospektiven  Potenz,  die  allgemeine 
Fähigkeit  einzelner  Zellen  und  Zellkomplexe,  eine  allmähliche  Ein- 
schränkung erleidet.  In  vielen  Fällen  liess  sich  auch  deutlich  erkennen, 
dass  diese  Einschränkung  nicht  innerhalb  der  Zellen  selbst,  etwa  durch 
eine  qualitativ  verschiedene  Kernteilung  gegeben,  sondern  durch  Um- 
stände der  Entwickelung  bedingt  war,  die  auf  das  Gesamtplasma  der 
Zellen  wirkten  (s.  p.  88).  Ebenso  nun  wie  den  Zellkomplexen  ihre 
Fähigkeit  der  Ergänzung  nach  und  nach  genommen  wird,  lässt  sich 
auch  vorstellen,  dass  ihnen  diese  Fähigkeit  durch  besondere  Umstände 
wieder  verliehen  wird;  dies  muss  in  der  That  für  die  Ergänzung  in 
Verlust  geratener  Teile  des  Erwachsenen,  für  die  Regeneration 
angenommen  werden. 

Die  Definition  des  Begriffes  Regeneration  wird  von  verschiedenen 
Autoren  sehr  verschieden  gegeben.  Einige  fassen  ihn  so  weit,  dass 
sie  auch  die  Vorgänge  der  Ganz-Entwickelung  am  verminderten  Ei- 
und  Furchungsmaterial  darunter  verstehen,  trotz  dem  hier  ja  keine 
Ergänzung  eintritt,  sondern  eine  etwas  abgeänderte  Normalentwickelung 
an  quantitativ  geringerem  Material;  andere  fassen  ihn  so  eng,  dass 
sie  ihn  nur  dann  anwenden  wollen,  wenn  es  sich  um  besondere  in 
der  Normalentwickelung  nicht  zu  Tage  tretende  Vorgänge  und  Fähig- 
keiten der  Ergänzung,  um  sog.  »sekundäre  Potenzen«  handelt.  Im 
eigentlichen  Sinn  des  Wortes  ist  Regeneration  als  die  Wieder- 
schaffung eines  schon  vorhanden  gewesenen  zu  bezeichnen, 
kann  also  nicht  für  die  Vorgänge  an  vermindertem  Furchungsmaterial 
gebraucht  werden.  Mit  welchen  Mitteln  das  zu  ergänzende  geschaffen 
wird,  kommt  für  diese  Begriffsfassung  zunächst  nicht  in  Betracht  und 
bildet  erst  den  Gegenstand  der  besonderen  Untersuchung. 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration.  99 

Schon  im  normalen  Lebensgang-  eines  Organismus  können  grössere 
Teile  regelmässig  in  Verlust  geraten  (z.  B.  bei  der  Ausstossung  der 
Uterusschleimhaut  bei  deziduaten  Säugern,  dem  Abwerfen  der  Geweihe 
bei  Cerviden,  der  Abstreifung  des  Chitins  und  seiner  Anhänge  bei 
Arthropoden)  und  müssen  dann  wieder  erneuert  werden;  es  handelt 
sich  um  eine  normale  oder  »physiologische  Regeneration«.  Wenn 
dagegen  durch  einen  Eingriff  oder  durch  sonstige  anormale  Umstände 
eine  Neubildung  nötig  wird,  z.  B.  wenn  der  Schwanz  einer  Eidechse 
abbricht  und  zur  Neubildung  kommt,  oder  wenn  das  Auge  eines 
Crustaceen  abgeschnitten  und  wieder  gebidet  wird,  so  kann  man  von 
pathologischer  oder  besser  »accidenteller«  Regeneration  sprechen.  Diese 
Ausdrücke  beziehen  sich  jedoch  mehr  auf  die  Art  des  Verlustes, 
als  auf  die  Art  der  Erneuerung,  denn  der  Vorgang  der  Erneuerung 
selbst  hat  nichts  Pathologisches  an  sich,  sondern  erstrebt  im  Gegen- 
teil die  Erreichung  des  Normalen. 

Wodurch  eine  derartige,  das  fehlende  ersetzende  Ausprägung 
des  Regenerats  bewirkt  wird,  ob  durch  in  den  Zellen  liegende  Fähig- 
keit der  Selbstdifferenzierung  oder  durch  abhängige  Differenzierung, 
also  durch  die  Beziehung  zum  Ganzen,  und  warum  die  Neubildung 
im  einen  Fall  prompt  erscheint,  im  andern  Fall  ausbleibt,  ist  die 
eine  Frage,  durch  welche  die  Regeneration  für  die  allgemeine 
Entwickelungsphysiologie  von  Bedeutung  wird.  Die  andere  Frage 
ist  die,  aus  welchem  Material  von  Zellen  und  Geweben  die  Neu- 
bildung entsteht,  und  diese  soll  zunächst  erörtert  werden. 

Es  liegen  hierfür  verschiedene  Möglichkeiten  vor.  Erstens  könnte 
das  Regenerat  in  allen  seinen  Teilen  aus  entsprechenden  zurückge- 
lassenen Organen  und  Geweben  des  Muttertieres  entstehen,  so  dass 
sich  Muskel  aus  Muskeln,  Knochensubstanz  aus  Knochen,  Nerven  aus 
Nervenzellen  u.  s.  w.  bildet,  Zweitens  könnte  für  bestimmte  Gewebe 
ein  festgelegter  Entstehungsherd,  eine  Matrix,  ähnlich  wie  in  der 
Normalentwickelung,  die  Bildung  übernehmen,  wie  z.  B.  bei  der  Aus- 
scheidung des  Chitins,  oder  bei  der  Bildung  der  Chordazellen  von  den 
Chordascheidenzellen.  Drittens  könnte  das  Regenerat  anfänglich  nicht 
aus  verschiedenen  solcher  Bildungsherde,  sondern  aus  einer  gleich- 
artigen Masse  indifferenter,  gleichsam  embryonal  gebliebener  Zellen 
sich  zusammen  setzen,  die  dann  die  Differenzierung  in  die  einzelnen 
Bildungsherde  erst  noch  einmal  durchmachen  müssten.  Viertens 
könnte  es  der  Fall  sein,  dass  Zellen  bei  der  Ergänzung  ganz  neue, 
ihnen  sonst  nicht  zukommende  Fähigkeiten  zeigten  und  ihnen  sonst 
fremdartige,  ungleichartige  Gewebe  bilden  könnten. 


7* 


]()(>  XII.   Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme 

Alle  diese  Möglichkeiten  scheinen  in  den  einzelnen  Regenerations- 
prozessen  in  verschiedenen  Tiergruppen  ihre  Verwirklichung  zu  finden. 
Die  Entscheidung  ist  im  einzelnen  Fall  deswegen  so  schwierig,  weil 
die  cellulären  Prozesse,  die  zur  ersten  Bildung  wie  zur  späteren  Aus- 
gestaltung des  Regenerats  führen,  nur  an  Schnittseriell  konservierten 
Materials  studiert  werden  können.  Um  die  aufeinanderfolgenden 
Stadien  zu  erschliessen,  ist  man  daher  auf  den  Vergleich  verschiedener 
Individuen  in  verschiedenen  Zeiträumen  angewiesen ;  da  aber  der 
Prczess  der  Regeneration  in  einzelnen  Individuen  und  auch  in  ein- 
zelnen Teilen  des  Regenerats  nicht  gleichmässig  schnell  abläuft,  so 
hat  diese  Methode  viele  Unsicherheit.  Auch  treten  mannigfache  Um- 
formungen der  Zellen  ein,  so  dass  sie,  wenn  nicht  alle  zwischen- 
liegenden  Stadien  vorliegen,  oft  nicht  wiederzuerkennen  wären.  Aus- 
geprägte Zellen  können  eine  indifferente  Form  annehmen,  ehe  sie 
sich  im  Regenerat  wieder  differenzieren,  und  es  ist  oft  einer  Zelle 
schwer  anzusehen,  ob  sie  »noch«  oder  »schon«  indifferent  resp.  wieder 
ausgeprägt  ist. 

Die  Unsicherheit  der  Resultate  wird  einigermassen  durch  die 
grosse  Zahl  der  Experimente  ausgeglichen.  Es  sind  jedoch  nicht  alle 
Tiergruppen  in  gleichem  Masse  für  einen  Eingriff  geeignet,  sondern 
die  Fälligkeit  der  Wiederergänzung  hängt,  abgesehen  von  der  Organi- 
sationshöhe, noch  von  anderen,  tiefer  liegenden  Ursachen  ab.  Vom 
Standpunkt  der  natürlichen  Zuchtwahl  hat  man  die  Erklärung  darin 
gesucht,  dass  diejenigen  Tiere  das  Regenerations vermögen  in  höchstem 
Grade  besitzen,  die  schon  in  natürlichem  Zustand  am  meisten  Un- 
bilden und  Verletzungen  ausgesetzt  sind,  was  aber  viel  bestritten 
worden  ist  (s.  p.  128).  Jedenfalls  wird  der  Experimentator  auf 
bestimmte  Tiergruppen  dadurch  angewiesen,  und  das  sind  in  erster 
Linie  die  Würmer  (besonders  Anneliden)  und  die  Lurche. 

Bei  lubifex  und  anderen  im  Süsswasser  lebenden  Gliederwürmern 
sind  von  B  ü  1  o  w ,  Hasse,  H  e  p  k  e ,  von  Wagner  u.  A.  zahlreiche 
Experimente  verschiedenartiger  Verstümmelung  gemacht,  und  darnach 
die  Histologie  des  Regenerats  studiert  worden.  Beim  Abschneiden  des 
Vorderendes  tritt  sofort  ein  allseitiger  Wund  verschluss  ein,  auch  das 
offene  Darmende  krümmt  sich  wieder  zusammen,  und  es  beginnt  eine 
sehr  lebhafte  Proliferation,  die  sich  besonders  im  Ektoderm  erkennen 
lässt.  Das  neue  Material  gibt  zum  einen  Teil  dem  neu  auftretenden 
Zentralnervensystem  Entstehung  (Oberschlundgangiien,  den  Commis- 
suren,  Unterschlundganglien  und  dem  an  das  stehen  gebliebene  Bauch- 
mark anschliessenden  Strang),    zum  anderen  Teil   entstehen    aus   der 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration. 


101 


ektodermalen  Wucherung  aeue  Muskeln.  Ein  neuer  Pharynx  wird 
vom  zurückgebliebenen  entodermalen  Darin  geliefert,  dem  sieh  eine 
nur  minimale  ektodermale  Einstülpung  zum  Durchbruch  nach  aussen 
anschliesst,  während  in  der  Embryonalentwickelung  dieser  Pharynx 
ganz  vom  Ektoderm  aus  geliefert  wird.  Nach  einiger  Zeit  ist  der 
neue  Kopf  fertig  und  funktionsfähig. 

Aehnliche  Vorgänge  der  Regeneration,  die  teils  eine  gleichartige 
Verwendung  der  Gewebe  zur  Neubildung,  teils  kleinere  und  grössere 
Abweichungen  zeigen,  sind  von  He  sehe  ler  u.  a.  Autoren  bei  den 
landbewohnenden  Anneliden,  den  Regenwürmern  studiert  worden,  nur 
dass  hier  ein  Zapfen  von  Lymphzellen,  der  beim  Wundverschluss 
auftritt,  die  gewebliche  Verfolgung  erschwert  (Fig.  87,  ly).     Darm-  und 


Fig.  87. 


Fig.  88. 


Fig.  89. 


>/, 


n 


Fig.    87,    88,    89.     Stadien    der    histologischen    Regeneration    des   Regenwurms    nach 
Hescheler. 

Fig.  87.     Wundverschluss  durch  Narbengewebe  [ly).     Darm  hlind. 

Fig.  88.     Nach    11    Tagen;    beginnender    Darmdurchbruch.     Ober-    und 

Unterschlundganglion  («)  gebildet. 
Fig.  89.     Vollendete  Regeneration   von   einem  jüngeren  Exemplar,  nach 
21  Tagen. 


102  SIL  Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme 

Ektoderm verschluss  der  Wunde  erfolgen  etwas  später  und  ebenso  eine 
lebhafte  Verwucherung  von  Zellen  im  Ektoderm,  die  dann  z.  T.  in 
den  Lymphzellenzapfen  zu  liegen  kommen.  Auch  im  zurückbleibenden 
Nervensystem  macht  sich  eine  starke  Proliferation  geltend,  sogar  in 
Ganglien,  die  vom  Schnittende  entfernt  liegen,  und  diese  vom  Nerven- 
system selbst  gebildeten  Elemente  machen  jedenfalls  einen  grossen  Teil 
der  Ganglien-  und  Nervenmasse  des  Regenerats  aus,  dem  sich  event. 
neues,  vom  Ektoderm  neugebildetes  Material  anschliesst.  Der  Pharynx 
wird  ebenfalls  nicht  vom  Ektoderm,  sondern  vom  zurückbleibenden 
Darm  gebildet;  doch  ist  hier  eine  ektodermale  Beteiligung  nicht  ganz 
auszuschliessen,  weil  das  embryonale  ektodermale  Stomodaeum  etwas 
weiter  nach  hinten  reicht,  als  die  Schnittstelle.  Die  Lymphzellen 
nehmen  nach  H  e  s  c  h  e  1  e  r  keinen  Anteil  an  der  Organbildung  im 
Regenerat,  also  dürfen  wir  in  ihnen  keine  indifferenten  Zellen  sehen, 
die  als  bequeme  Aushülfe  alles  leisten  können.  Im  Gegenteil  zeigt  sich, 
dass  manches  scheinbar  Indifferente  erst  nachträglich  so  geworden  ist, 
indem  Zellen  vom  Ektoderm  und  wohl  noch  aus  anderen  Teilen  in 
diesen  Zapfen  »indifferenter«  Lymphzellen  einwandern. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  vollzieht  sich  der  Aufbau  der  neuen 
Teile  bei  der  natürlichen  ungeschlechtlichen  Vermehrung  oder  Knos- 
pung, die  vielen  dieser  niedrigen  Anneliden  zukommt  und  häufiger 
eintritt  als  die  geschlechtliche  Fortpflanzung.  Bei  Chaetogaster  diaphanus 
sind  nach  von  Bock,  die  Tiere  vom  Herbst  bis  zum  Frühjahr  in 
beständiger  Knospung  begriffen,  ohne  dass  man  die  Spur  geschlecht- 
licher Vermehrung  finden  kann.  Wenn  der  Wurm  eine  gewisse  Länge 
erreicht  hat,  treten  in  einiger  Entfernung  vom  Afterende,  in  der  sog. 
Knospungszone,  Neubildungen  in  den  Geweben  auf,  die  bestimmt 
sind,  einerseits  einen  neuen  Kopf  für  das  hintere  Tier,  andererseits 
ein  neues  Afterende  für  das  vordere  Tier  entstehen  zu  lassen.  Noch 
vor  der  Ablösung  der  primären  Sprosstiere  entsteht  an  ihnen  wieder 
eine  Knospungszone  u.  s.  f.,  bis  schliesslich  eine  ganze  Tierkette  vor- 
handen ist,  an  der  das  Material  der  Neubildung  in  sehr  verschiedenem 
Zustand-  zu  studieren  ist.  Nach  von  Bock  bildet  sich  das  neue 
Nervensystem,  bestehend  aus  oberen  Schlundganglion,  Commissuren 
und  Bauchmark  aus  einer  ektodermalen  Zellen  Wucherung  unter 
Beteiligung  der  Ganglienzellen  des  alten  Bauchmarks.  Aus  dieser 
genetisch  also  zwiespältigen,  dann  einheitlichen  Zellenmasse,  gehen 
durch  strangförmiges  Auswachsen  jederseits  die  Commissuren  und 
dann  durch  Verdickung  die  oberen  Schlundganglien  hervor;  zu 
letzteren   kommt   noch   eine   weitere   ektodermale  Zellwucherung  ver- 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration.  103 

vollständigend  hinzu.  Ebenso  erfährt  auch  das  auswachsende  Bauch- 
niark  noch  nachträgliche  Vergrösserung  durch  neu  hereinwuchernde 
Ektoderm zellen.  So  gehen  also  Bildung  aus  neuem  ektodermalem 
Material  und  Beteiligung  von  altem  Nervensystem  beständig  ineinander 
über.  Hiermit  erklärt  sich  z.  T.  wohl  auch  die  Neubildung  des  Vorder- 
und  Enddarmes,  bei  dem  ein  anderes  Material  zur  Neubildung  verwandt 
wird.  Es  bildet  sieh  eine  ventrale  Aussackung  der  zurückgebliebenen 
entodermalen  Darm  wand,  der  nur  ein  ganz  geringfügiger  ektodermaler 
Anteil  zum  Durchbruch  nach  aussen  entgegenkommt  (Fig.  90).     Der 


ph 

Fig.  90.    Neubildung   des   sonst   entodermalen   Pharynx   (ph)   bei  der  Knospung   von 
(Imetogaster,  vom  Mitteldarm  (d)  aus  (nach  von  Bock). 

Enddarm  bildet  sich  sogar  rein  entodermal.  Auch  Rabes  hat  bei 
Pfropf  versuchen  an  Lumbricus,  die  er  in  verschiedener  Kombination 
vornahm,  gefunden,  dass  fehlende  Stücke  vom  Nervensystem,  wenn 
•es  sich  nur  um  kleine  Portionen  handelte,  vom  alten  Bauchmark 
geliefert  wurden,  dass  dagegen  die  Hypodermis  in  Anspruch  genommen 
wurde,  wenn  die  Ersatzleistung  eine  grössere  war. 

Es  ergiebt  also  bei  der  Regeneration  der  Anneliden,  dass  im 
Allgemeinen  die  »Neigung«  besteht,  Gleiches  aus  Gleichem  zu  bilden. 
Ist  Gleiches  nicht  oder  vielleicht  nicht  in  genügendem  Mafs  vorhanden, 
so  participieren  zunächst  ähnliche,  »verwandte«  Gewebe,  d.  h.  solche, 
die  mit  dem  verlorenen  in  einem  genetischen  Zusammenhang  gestanden 
haben.  Um  uns  rein  entwickelungsphysiologischer  Ausdrucksweise  zu 
bedienen,  solche  Gewebe,  die,  wenn  wir  ein  oder  mehrere  Elementar- 
prozesse in  der  Ontogenie  zurückgehen,  noch  mit  dem  zu  ersetzenden 
Material  ein  einheitliches  Elementarorgan  (s.  o.  p.  96)  gebildet  haben. 
Das  ist  z.  B.  der  Fall  bei  dem  Nervensystem  und  der  äusseren  Körper- 
haut. Die  prospektiven  Potenzen  ihrer  Zellen,  die  im  Lauf  der  Ent- 
wickelung  eine  Einschränkung  erlitten  haben,   erfahren  bei  den  Vor- 


104 


XII.  Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme 


gangen  der  Sprossung  und  Regeneration  wieder  eine  Erweiterung,, 
(wodurch,  ist  eine  besondere  Frage),  und  so  tritt  die  schon  differenzierte 
äussere  Körperhaut  wieder  mit  ein  bei  der  Neubildung  des  Nerven- 
systems. Aehnliches  ist  der  Fall  bei  der  nachträglichen  Bildung  der 
Muskeln  durch  die  äussere  Körperhaut,  nur  müssen  wir  hierbei  noch 
einige  Elementarprozesse  weiter  zurückgehen  und  den  Begriff  der 
Keimblätter  vorläufig  bei  Seite  lassen.  Dann  erscheint  auch  die  Neu- 
bildung des  Pharynx  aus  dem  entodermalen  Darm  anstatt  aus  dem 
Ektoderm  nicht  so  merkwürdig,  zumal  ein  gewisser  ektodermaler  An- 
teil auch  bei  der  Neubildung  meist  nicht  ausbleibt,  und  wir  auch  in 
der  normalen  Ontogenie  die  Anteile  solcher  lokal  ineinander  über- 
gehender Elementarorgane  sich  öfter  verschieben  sehen. 

Bestimmter  lauten  die  Angaben  bei  Vertebraten  über  Gewebs- 
verwendung.  Die  niedersten  Wirbeltiere,  die  Fische  sind  bisher  zu 
solchen  Versuchen  wenig  herangezogen  worden,  weil  es  lange  Zeit 
nach  Fraisse's  Erhebungen  galt,  dass  bei  Exstirpation  von  Stücken 
der  Schwanzflosse  der  Forelle  sich  die  Regeneration  auf  einfache 
Wundheilung    und    Vernarbung     beschränke.      Neuerdings    ist    von 


Fig.  91. 


ch 


k- 


r 


Fig.  91.  Histologisches  Bild  der  Eegeneration  von  Vertehraten.  Sagittalschnitt  durch 
das  Hinteren  de  eines  Embryos  der  Bachforelle  (nach  Nussbaum  und 
Sidoriak). 

r  =  in  Regeneration  begriffenes  Muskelsegment,  k  =  Knorpel.  ch=  Chorda. 

m  =  normale  Muskel. 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration.  105 

Anderen,  zuletzt  auch  von  J.  Nussbaum  und  Sidoriak  ausführ- 
lich gezeigt  worden,  dass  fast  alle  Gewebe  und  Organe  im  höchsten 
Grade  regenerationsfähig  sind,  allerdings  jedes  zunächst  in  seinem 
Rahmen  (Fig.  91).  Als  Versuchsobjekt  hat  hier  die  Bachforelle  und 
zwar  in  sehr  jugendlichem,  aber  schon  durchaus  geweblich  differen- 
ziertem Stadium  gedient. 

Der  sich  leicht  regenerierende  Schwanz  der  Urodelen,  Anuren- 
larven  und  Eidechsen  bietet  zum  Studium  der  Regeneration  ein 
günstiges  Objekt,  weil  er  eine  Reihe  verschiedener  Organe  und  Ge- 
webe auf  kleinem  Raum,  auf  einem  Querschnitt  nebeneinander  ent- 
hält, Haut,  Muskeln,  Knochen,  Centralnervensystem  etc.  Es  zeigt  sich 
auch  hier,  dass  die  Masse  von  Zellen,  die  zu  Beginn  das  Regenerat 
zusammensetzt,  unter  sich  nicht  vollständig  gleichwertig  sind,  nicht 
indifferent  gebliebene  Zellen  des  Muttertieres  darstellen,  die  jede 
Leistung  erfüllen,  sondern  dass  diese  Zellenmasse  des  Regenerats 
trotz  unter  Umständen  einheitlichen  Aussehen  von  sehr  verschiedenen 
Gewebssorten  des  Muttertieres  herrührt.  Die  Leukoeyten  haben  nur 
die  Rolle  der  Stoffwechselzufuhr  und  Verarbeitung  und  werden  selbst 
nie  zu  festen  Geweben. 

Die  betreffenden  Untersuchungen  sind  an  zahlreichen  Spezies 
von  F  r  a  i  s  s  e  in  extensiver  und  an  einigen  besonders  günstigen 
Objekten  von  Barfurth  in  genauerer  Weise  angestellt  worden.  Die 
neue  Haut  entwickelt  sich  bei  Urodelen  aus  Zellen  der  alten,  die 
aber  noch  etwas  indifferent  und  nicht  zu  Drüsen-  oder  Sinnes- 
zellen spezialisiert  waren ;  das  neue  Nervensystem  (Rückenmarksende) 
wächst  vom  Schnittende  des  alten  aus,  speziell  beteiligen  sich  die 
den  Zentralkanal  umgebenden  Zellen.  Von  den  vorletzten  Wirbeln 
proliferieren  Zellen,  die  eine  zuerst  knorpelige  Röhre  um  das  neue 
Nervenrohr  abscheiden;  in  dieser  Knorpelröhre  zeigen  sich  dann 
einzelne  Kalkablagerungszentren,  die  die  Anlage  der  neuen  Wirbel 
bilden.  Die  neuen  Muskeln  entstehen  von  Zellen,  die  von  den  vor- 
handenen Muskeln  -auswachsen. 

Ähnlich  verläuft  die  Regeneration  beim  Schwanz  der  Kaulquappe. 
Ein  Unterschied  ist  hier  insofern  gegeben,  als  dessen  Stützgewebe  nur 
aus  Chorda,  nicht  aus  Knorpel  oder  Knochen  besteht.  Infolgedessen 
wird  auch  nur  Chorda  regeneriert,  und  es  kommt  gar  nicht  zur 
Bildung  von  Skeletsubstanz ,  während  in  der  Regeneration  des 
Urodelenschwanzes  direkt  Skeletsubstanz  gebildet  wird,  ohne  vor- 
herige Bildung  von  Chorda.  Die  neue  Chorda  entsteht  beim  Frosch- 
larvenschwanz   nicht    aus    den    blasigen    Zellen    der    alten    Chorda, 


10G  XII.  Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme 

sondern  aus  der  Chordascheide.  Vom  Standpunkt  der  Keimblätter- 
lehre aus  hat  man  dies  auffällig  finden  wollen,  da  die  Chordascheide 
mesodermal  sei,  die  Chorda  selbst  aber  entodermalen  Ursprungs  in 
der  Ontogenie.  Es  liegt  hier  jedoch  ein  ähnlicher  Fall  vor,  wie  eben 
bei  den  Würmern  erläutert,  nämlich  dass  die  Vereinigung  mehrerer 
späterer  Elementarorgane,  wenn  man  in  der  Ontogenie  rückwärts 
geht,  zu  einem  früheren  Elementarorgan  nicht  mit  dem  zusammen 
zu  fallen  braucht,  was  man  Keimblatt  heisst.  Die  Chordaanlage  fällt 
mitunter  topographisch  in  das  Bereich  der  Darmanlage,  das  ist  jedoch 
nicht  immer  der  Fall;  sie  kann  auch  mit  mesodermalen  Bildungen 
zuerst  zusammenliegen.  Aus  dieser  Diskrepanz  zwischen  natürlicher, 
allmählich  von  primären  zu  späteren  Elementarorganen  fortschreiten- 
der Entwickelung  und  der  künstlichen  Scheidung  der  »Keimblätter« 
erklären  sich  wohl  die  Widersprüche,  die  für  die  Chordaentstehung 
in  der  Ontogenie  der  Wirbeltiere  sich  finden. 

Dass  kein  solch  prinzipieller  Unterschied  zwischen  Chordascheide 
und  Zellen  der  Chorda  selbst  vorhanden  ist,  scheint  auch  aus  der 
Angabe  von  Barfurth  hervorzugehen,  wonach  ein  Unterschied  in 
deren  Beteiligung  besteht  je  nach  dem  Alter,  in  welchem  an  der 
Larve  der  Eingriff  vorgenommen  wird.  In  ganz  jungen  Larven  von 
Siredon  können  noch  die  Chordazellen  selbst  die  Neubildung  über- 
nehmen, in  älteren  hört  dies  allmählich  auf,  es  beteiligen  sich 
die  Scheidenzellen  daneben;  wenn  Skeletsubstanz  später  gebildet  ist, 
dann  besorgen  die  Scheidenzellen  dies  allein,  und  die  Chordazellen 
haben  die  Fähigkeit  der  Neubildung  verloren.  Es  ist  dies  ein  ähn- 
liches Verhalten,  wie  bei  der  gemischten  Entstehung  des  Anneliden- 
nervensystems im  Regenerat,  das  teilweise  aus  altem  Nervensystem, 
teilweise  aus  vom  Ectoderm  neugebildetem  Material  sich  zusammen- 
setzt ;  die  gegenseitige  Beteiligung  kann  im  Einzelfall  sehr  verschieden 
sein ;  beide  Entstehungsherde  sind  aber  nicht  prinzipiell  verschieden, 
sondern  hängen  auf  dem  Stadium  eines  früheren  Elementarorgans 
zusammen,  auch  wenn  sie  hier  eventuell  topographisch  in  ver- 
schiedenen Keimblättern  liegen  können. 

Die  Neubildung  beim  Verlust  des  Schwanzes  der  Lacertilier  ist 
eigentlich  kein  vollkommenes  und  richtiges  Regenerat  (s.  u.  p.  115). 
Es  bildet  sich  das  gegliederte  Skelet  nicht  wieder,  sondern  nur  ein 
einheitlicher  Knorpelstab,  der  auch  keiner  Chordabildung  entspricht, 
In  diesem  Stab  können  dann  später  einige  Verknöcherungsstellen  auf- 
treten, aber  so  unregelmässig  in  Lage  und  Ausprägung,  dass  man 
von   Wirbeln    nicht    reden    kann.     Auch   das   Nervensystem   ist   sehr 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration.  J()7 

unvollkommen;  die  Muskeln  sind  dagegen  besser  ausgebildet.  Alle 
Gewebe,  Muskeln,  Haut,  Nerven-  und  Skeletsubstanz,  auch  wenn 
letztere  in  der  Formausprägung  dem  alten  nicht  entsprechen,  ent- 
stehen histologisch  aus  den  entsprechenden  Schichten  des  zurück- 
bleibenden Stumpfes. 

Auch  bei  der  Neubildung  von  Gliedmafsen,  die  bei  verschiedenen 
Urodelen  studiert  wurde,  herrschen  ähnliche  Verhältnisse :  die  F  o  r  m  - 
ausprägung  des  Regenerats  entspricht  nicht  immer  vollkommen  dem 
verloren  gegangenen,  histologisch  aber  hält  es  sich  genau  an  die 
Gewebe  des  zurückgebliebenen  Stammes.  Ferner  ist  bei  der  physio- 
logischen Regeneration  an  Vertebraten  das  Eintreten  der  gleichen 
Gewebe  zum  Ersatz  in  vielen  Fällen  festgestellt.  Die  verloren  ge- 
gangene Uterusschleimhaut  regeneriert  sich  aus  zurückgebliebenem 
Epithel,  die  darunter  liegende  Mukosa  erhält  durch  neue  Lymph- 
zellen ihre  frühere  Beschaffenheit. 

Daraus  ein  allgemein  gültiges  Gesetz,  dass  nur  »Gleiches  aus 
Gleichem«  entsteht,  abzuleiten,  wird  schon  durch  die  erwähnten  Be- 
funde an  Würmern  vereitelt,  noch  mehr  durch  neue  Versuche  an 
Wirbellosen l) ;  aber  auch  an  Vertebraten  zeigen  verschiedene  Befunde, 
dass  die  Eigenart  oder  Spezifität  der  Gewebe  nicht  so  weit  geht.  Es 
erhellt  dies  besonders  aus  den  berühmten  Experimenten  der  Linsen- 
exstirpation  bei  Urodelen,  die  von  Golucci,  dann  unabhängig  davon 
von  Wolff,  später  von  Erich  Müller  und  in  noch  ausgedehnterer 
Weise  von  Fi  sehe  1  angestellt  worden  sind.  Man  kann  bei  Triton  wie  bei 
Salamandra  durch  eine  Staaroperation  die  Linse  vollständig  entfernen ; 
nach  einiger  Zeit  regeneriert  sie  sich  vollständig,  und  zwar  stammt 
das  Regenerat  weder  aus  Resten  der  exstirpierten  Linse  [dies  ist 
durch  die  Total erstirpation  ausgeschlossen] ,  noch  vom  verletzten 
Hornhautepithel,  sondern  vom  Rand  der  Iris,  dessen  bereits  hoch- 
gradig differenziertes,  pigmenterfülltes  Epithel  sich  hierzu  ent-  und 
umdiffenzieren  muss. 


l)  Nach  Experimenten,  die  besonders  Przibram  angestellt  hat.  besitzen 
auch  die  Crinoiden  eine  sehr  grosse  Restitutionsfähigkeit,  und  es  können  dabei 
andere  Gewebe  und  Organe  für  einander  eintreten,  so  z.  B.  vermag  der  blosse 
Kelch  die  ganze  Scheibe  wieder  herzustellen.  An  Ascidien  hat  Driesch  operiert 
und  von  Clavdlina  lepadiformis  Individuen  so  getrennt,  dass  die  eine  Hälfte  den 
Kiemenkorb,  die  andere  jeweils  den  Eingeweidesack  enthielt.  Nach  4  Tagen  waren 
alle  Individuen  vollständig  oder  nahezu  zu  ganzen  Ascidien  regeneriert.  Es  vermag 
also  der  Eingeweidesack  den  histologisch  so  verschiedenen  Kiemenkorb  zu  ersetzen 
und  umgekehrt. 


Ins  XII.  Kapitel.     l>ie  Experimente  der  Materialentnahme 

Um  den  Verlauf  der  Regenerationsvorgänge  zu  würdigen,  ist 
eine  Erinnerung  an  die  Entstehung  der  Linse  und  benachbarter 
Augenteile  in  der  Normalentwickelung  am  Platz.  Auf  einem  Stadium,  wo 
sich  nicht  nur  das  gesamte  Zentralnervensystem  vom  übrigen  Ektoderm 
als  Elementarorgan  abgetrennt,  sondern  auch  durch  weitere  Elementar- 
prozesse in  einzelne  Abschnitte  differenziert  hat,  als  Rückenmark,  Gehirn 
und  dessen  Teile  (»Elementarorgane  späterer  Ordnung«,  s.  o.  p.  97), 
bildet  sich  in  der  Gegend  des  Zwischenhirns  durch  einen  weiteren 
Elementarprozess  die  primäre  Augenblase.  Ihre  anfängliche  weite  Aus- 
stülpung schnürt  sich  immer  mehr  vom  Hirn  ab ;  zu  gleicher  Zeit  bildet 
sich  vom  darüber  liegenden  Ektoderm  her  eine  Einstülpung,  die  Anlage 
der  Linse  (Fig.  92  A  o).  Diese,  sowie  die  Anlage  des  Glaskörpers  be- 
dingen eine  Eindellung  der  Augenblase  zu  einem  zweiwandigen  Becher 
(Fig.  92  B) ;  dessen  äussere  Wand  stellt  z.  T.  die  Anlage  der  Pigment- 
schicht, der  Iris,  dessen  innere  die  Anlage  der  Netzhaut  dar  (u  und  r). 

Fig.  92. 


Fig.  92.     Bildung  der  Wirbeltierlinse  in  der  Normalentwickelung. 

Diagramme  der  Entwickelung  des  Auges  vom  Hühnchen  nach  Remak 
(Unters,  z.  Entw.  d.  Wirbeltiere),  h  Ektoderm,  I  Linse,  o  Linseneinstülpung, 
x  Verdickung  an  deren  Rande,  r  und  u  vordere  resp.  hintere  Wand  der 
primitiven  Augenblase  (Retina,  Tapetum  nigrum).  vli  Glaskörper.  In  C  ist 
die  Verbindung  mit  dem  Gehirn  nicht  getroffen. 

Mit  der  folgenden  Loslösung  der  Linse  vom  Ektoderm  sind  die 
cellulären  Elementarprozesse  im  ganzen  erledigt;  histologische  Aus- 
prägung und  Wachstum  besorgen  das  Weitere.  Speziell  in  der  Linse 
werden  die  Unterschiede  zwischen  den  Zellen  der  vorderen  und 
hinteren  Wand  immer  beträchtlicher;  die  ersteren  bleiben  zeitlebens 
als  gewöhnliches  Linsenepithel  erhalten,  die  letzteren  wachsen  ausser- 
ordentlich in  die  Länge  und  werden  zu  den  Linsenfasern,  deren 
Gestalt  und  Anordnung  die  Eigentümlichkeit  der  Linse  bedingt. 

Bei  der  Neubildung  nach  der  Exstirpation  erscheint  die  Linsen- 
anlage an  einer  ganz  anderen  Stelle.    Am  Rand  der  Iris,  da,  wo  der 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration. 


109 


pigmentierte  Teil  (/>)  in  die  innere  Wand  des  Bechers  übergeht,  bildet 
sich  durch  starke  Zellvermehrung  eine  knopfförmige  Verdickung 
(Fig.  93  a  .r).  Ursprünglich  sind  die  betreffenden  Zellen  noch  stark 
pigmentiert,  dann  aber  nehmen  sie  ein  klares  indifferentes  Aussehen 
an.  Die  histologische  Weiterentwickelung  dieses  allmählich  grösser 
werdenden  Spheroids  geschieht  nur  merkwürdigerweise  ganz  auf  die- 
selbe Art  wie  im  embryonalen  Linsensäckchen.  Zwischen  den  Zellen 
erscheint  ein  Spalt,  der  die  vorderen,  das  Linsenepithel,  von  den 
hinteren  trennt  (Fig.  93c),  die  auswachsen  und,  zu  Linsenfasern 
werdend,  die  charakteristische  konzentrische  Lagerung  annehmen. 
Schliesslich  schnürt  sich  die  Bildung  ab  und  nimmt  die  Lage  der 
normalen  Linse  ein  (Fig.  93  d,  94). 


a 


Fig.  98  a— d. 
C 


/'  "- 


./• 


Fig.  93  a,  b,  c,  d.     Regeneration  der  Linse  vom  Irisrand  aus  nach  Wolf  f. 


Die  verschiedenartige  Herkunft  dieser  neuen  Linse  von  der 
normalen  embryonalen  hat  zu  vielerlei  Erörterungen  geführt.  Dass 
völlig  »Gleiches  aus  Gleichem«  bei  der  Linsenexstirpation  entstehen 
könnte,  ist  ja  schon  deswegen  ausgeschlossen,  weil  die  Linse  mit 
ihrem  Epithel  vollständig  entfernt  wurde;  aber  es  könnte  doch  ein 
näher  >  verwandtes«  Material  für  die  Neubildung  benutzt  werden, 
z.  B.  die  äussere  Haut,  trotz  ihrer  Differenzierung,  da  mit  ihr  ja 
das  Linsensäckchen  auf  dem  Stadium  eines  früheren  Elementar- 
organs   noch  zusammengehangen  hat,    und  nicht  gerade  der  Irisrand, 


110 


XII.  Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme 


dessen  aus  der  Wand  des  Vorderhirns  stammendes  Material  bei  keinem 
Vertebraten  den  geringsten  Zusammenhang  mit  der  Linsenbildung 
hat.  Wenn  wir  allerdings  um  eine  ganze  Anzahl  von  Elementar- 
prozessen in  der  Ontogenese  zurückgehen,  dann  sind  auch  Haut-  und 
und  Linsenmaterial,  sowie  Zentralnervensystemanlage  noch  in  einem 
Elementarorgan  vereinigt,    dem  Ektoderm    (in  diesem  Fall  deckt  sich 


Fig.  94. 


Fig.  95. 


■J(O) 


Fig.  94  und  Fig.  95.     Eegeneration  der  Linse  nach  Fischel. 

Fig.  94.  Meridionalschnitt  durch  ein  Auge,  54  Tage  9  Stunden  nach  der  Linsen- 
extraktion. Am  oberen  Pupillarrande  hängt  die  neugebildete  Linse.  Der 
Glaskörper  ist  stark  geschrumpft.  Sp  Spalt  zwischen  Chorioidea  und  Retina. 
Vergr.  1/45.     Nach  Fischel. 

Fig.  95.  Regenerierte,  soeben  abgelöste  Linse.  Die  Ablösungsstelle  sowohl  an  ihr, 
wie  an  der  Iris  noch  kenntlich.  Die  Iris  unregelmässig  gefaltet,  infolge  von 
Läsionen  bei  der  Operation.  Vergr.  1/205.  L  Linse,  J  (o)  obere  Hälfte. 
Nach  Fischel:  Über  die  Regeneration  der  Linse. 


der  Keimblattbegriff;  mit  dem  des  Elementarorgans).  Aber  dieses 
Stadium  liegt  so  weit  und  durch  so  zahlreiche  Differenzierungen 
davon  getrennt,  dass  die  Verwendung  des  Irismaterials  darum  nicht 
minder  merkwürdig  erscheint.  Vielleicht  spricht  bei  dessen  Ver- 
wendung mit,  class  es  der  exstirpierten  Linse  so  benachbart  liegt, 
während  die  näher  verwandte  äussere  Haut  durch  das  dicke  Mesoderm- 


am  ausgebildeten  Körper  und  die  Regeneration.  1 1 1 

lager  der  Corneaunterlage  von  derselben  entfernt  ist.  Diese  Be- 
dingungen der  Regeneration  sollen,  ebenso  wie  die  grosse  theoretische 
Bedeutung  des  Experiments,  bei  der  Erörterung  der  Abhängigkeit 
vom  Ganzen  noch  weitere  Besprechung  finden;  hier  handelt  es  sich 
besonders  darum,  zu  zeigen,  dass  auch  bei  Vertebraten  andersartiges- 
Material  zur  Neubildung  verwandt  werden  kann,  sowie  dass  dieses 
Material  bereits  vollständig  differenziert  sein,  seine  Eigenart,  seine 
histologische  sog.   »Spezifizität«  bereits  erreicht  haben  darf. 


Gerade  das  Beispiel  der  Linsenneubildung  zeigt,  noch  schlagender 
wie  die  erwähnten,  bei  Würmern  u.  s.  w.,  »dass  eine  histologische 
»Spezifität«  innerhalb  der  Zellen  eines  und  desselben  Organismus 
nicht  existiert.  Schon  der  Ausdruck  »Spezifität«,  den  viele  Histo- 
logen  für  die  Gewebsarten  anwenden,  ist  nicht  glücklich,  denn  er 
überträgt  den  ganz  anders  gemeinten  Begriff  der  Spezies  im  Tierreich 
auf  die  verschiedenen  Zellsorten  und  Gewebe  einer  und  derselben 
Art,  die  doch  in  diesem  Sinn  niemals  »spezifisch«  von  einander  ver- 
schieden sein  können,  auch  wenn  sie  eine  gewisse  eigene  Ausprägung 
bereits  erlangt  haben  und  normaler  Weise  nicht  mehr  ineinander 
übergehen. 

Es  ist  von  O.  Hertwig  in  besonders  klarer  Weise  auseinander- 
gesetzt worden,  wie  wenig  die  geweblichen  Verschiedenheiten  der 
Zellen,  die  die  Histologen  spezifisch  nennen,  gegenüber  den  wirklich 
spezifischen  Zelleigenschaften,  die  die  Tierart  als  solche  charakteri- 
sieren, in  betracht  kommen.  Letztere  stellen  eine  Organisation  dar, 
welche  die  Zelle  von  einer  Mutterzelle  ererbt  hat,  und  »deren  Eigen- 
tümlichkeit in  der  über  unermessliche  Zeiträume  sich  erstreckenden 
Kette  des  organischen  Entwickelungsprozesses  begründet  und  be- 
festigt ist« ;  erstere  sind  Eigentümlichkeiten,  welche  die  Zelle  durch 
vorübergehende  Bedingungen  im  Lauf  der  Einzelentwickelung  er- 
worben hat.  Diese  Umbildungen  der  gesamten  plasmatischen  Natur 
können  allerdings  sehr  weit  gehen,  und  es  ist  daraus  erklärlich, 
wenn  Gewebe  eine  gewisse  Eigenart  erlangen  und  nicht  mehr  in- 
einander übergehen;  denn  die  verwickelten  Bedingungen,  welche  zu 
ihrer  Ausprägung  geführt  haben,  »sind  nicht  in  jedem  Moment  .  .  . 
im  Handumdrehen  wieder  herzustellen«.  Theoretisch  ist  eine  solche 
Herstellung  aber  denkbar,  und  sie  findet  in  den  erwähnten  merk- 
würdigen Fällen  der  Regeneration  tatsächlich  statt. 

Diese  Fälle  der  Verwendung  andersartigen  Materials  hängen 
mit    denen    der   Verwendung    »verwandten«    und    gleichen   Materials 


112  XII.  Kapitel.     Die  Experimente  der  Materialentnahme. 

stufenweise  zusammen.  Die  Organe  resp.  Gewebe  können  die  bereits 
erlangte  »Spezifizität«  wieder  gradweise  aufgeben,  sich  um  einen  oder 
mehrere  Elementarprozesse  »verjüngen«  und  auf  das  Stadium  früherer 
Elementarorgane  zurückkehren.  Gerade  die  Materialentnahme  scheint 
den  Anlass  zu  solchen  Verjüngungsprozessen  zu  liefern,  so  dass 
Anlagen,  die  unter  den  Bedingungen  der  natürlichen  Entwicklung 
latent  geblieben  waren,  zur  Ausbildung  kommen  und  von  einer 
bestimmten  Stufe  ab  eine  Wiedererzeugung  »Regeneration«  im  eigent 
liehen  Sinne  eintritt. 

Die  Stufe,  bis  zu  der  die  Gewebsverjüngung  geht,  kann  sehr 
verschieden  sein ;  sie  kann  im  extremsten  Falle  so  weit  zurück  liegen, 
dass  die  Zellen  im  Regenerat  wieder  alle  Fähigkeiten  wie  in  frühen 
Stadien  der  Entwicklung,  etwa  wie  im  abgefurchten  Keim,  haben. 
Die  Anlage  der  Neubildung  stellt  dann,  wenn  es  sich  um  Wieder- 
herstellung von  verschiedenartigen  Organen  handelt,  ein  äqui- 
potentielles System  dar.  In  den  meisten  Fällen  jedoch  geht  die 
Verjüngung  nicht  so  weit;  die  Anlage  des  Regenerats  stellt  dann 
eine  Summe  von  verschiedenen  Elementarorganen  dar,  die  einander 
gegenüber  nicht  gleichwertig,  aber  in  sich  selbst  noch  äquipotentiell 
sind,  etwa  wie  beim  Stadium  einer  Echinidengastrula  oder  einem 
Vertebratenembryo  nach  Bildung  des  Nervensystems  und  Darmrohrs 
(s.  o.  p.  90).  Mit  dem  Begriff  des  Keimblatts  kann  ein  solches 
Elementarorgan  oder  die  Summe  späterer  Elementarorgane  zusammen- 
fallen, muss  aber  nicht,  wie  wiederholt  betont  werden  muss;  je 
nachdem  können  auch  die  Gewebsverwendung  und  Organentwickelung 
beim  Regenerat  mit  der  Keimblätterscheidung  in  Einklang  stehen  oder 
nicht,  und  noch  grössere  Diskrepanz  zeigen  wie  die  Normalentwickelung. 


Alles  bisher  erörterte  bezieht  sieh  auf  den  Aufbau  des  Regenerats, 
auf  seine  Herkunft.  Man  kann  jedoch  im  Regenerationsverlauf  zwei 
Phasen  auseinander  halten,  eine  Anlage  und  eine  Ausgestaltung. 
Wie  sich  die  Anlage  zusammensetzt,  ist  auf  Grund  der  in  der 
experimentellen  Embryologie  neu  gewonnenen  Begriffe  in  Vorstehen- 
dem erläutert.  Wie  und  warum  sie  sich  ausgestaltet,  das  Fehlende 
richtig  oder  je  nachdem,  unvollkommen  oder  gar  nicht  ersetzt,  ob 
hierzu  zur  Erklärung  die  in  den  Zellen  der  Anlage  liegenden  Fähig- 
keiten ausreichen,  dies  bildet  eine  weitere  Frage,  zu  deren  Klärung 
man,  wie  in  der  Embryonalentwickelung,  wieder  das  Experiment 
herangezogen  hat. 


XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration.  113 


XIII.  Kapitel. 

Die    typische   Regeneration    und    die    Experimente   der   Hetero- 

morphose. 

B.  Ausgestaltung  des  regenerierenden.  Materials.  Abhängigkeit  vom  Ganzen. 
Korrelative  Einflüsse.  Unvollkommene  Regeneration.  Experimente  bei  Medusen. 
Reptilien.  Vögeln.  Atypische  Regeneration  (Heteromorphosei.  Experimente  bei 
Würmern,  Amphibien.  Mehrfachbildungen.  Die  Augen- resp.  Antennenneubildung 
bei  Crustaceen.  Die  Heteromorphosen  bei  der  Linsenneubildung  der  Wirbel- 
tier e.     Regenerationstheorien. 

Schon  in  den  frühesten  Zeiten  der  Biologie  haben  die  Vorgänge  der 
Regeneration  auch  theoretisches  Interesse  erregt,  und  man  hat  die 
Frage  aufgeworfen,  warum  in  so  vielen  Fällen  das  Fehlende  richtig  und 
»zweckentsprechend«  wieder  hergestellt  werde.  Man  hat  vielfach  in 
dieser  Leistung  des  Organismus  etwas  »Metaphysisches«  gesehen, 
etwas,  das  über  die  Gesetze  der  anorganischen  Welt  hinaus  gehe,  und 
selbst  zahlreiche  neuere  Erklärungen  haben  sich  von  dieser  Vorstellung 
nicht  frei  gemacht. 

Wir  sehen  einen  Komplex  indifferenter  Zellen,  oder  mehrere 
unter  sich  verschiedene,  aber  in  sich  indifferente  Komplexe  von  Zellen, 
»Elementarorgane«,  sich  in  ganz  bestimmter  Weise  ausgestalten  und 
schliesslich  einen  bestimmten  fehlenden  Teil  des  Organismus  und 
gerade  nur  diesen  liefern.  Wohl  sind  ja  unter  Umständen  einzelne 
Zellgruppen  in  ihrer  prospektiven  Potenz  beschränkt,  die  einen  können 
nur  Muskeln,  die  anderen  nur  Nerven,  die  anderen  nur  Skelett  liefern ; 
aber  warum  diese  Zellen  dann  gerade  bestimmte  Knochenteile, 
bestimmte  Muskelgruppen  u.  s.  w.  wieder  erstehen  lassen,  trotz  der 
in  ihnen  hegenden  offenbar  grösseren  und  allgemeinen  Potenz  der 
Knochen-  und  Muskelbildung  etc.,  das  bildet  eine  in  der  philo- 
sophierenden Biologie  immer  wiederkehrende  Frage.  Die  Antwort 
des  reinen  Empirikers  lautet  zunächst:  weil  diese  Zellgruppen  sich 
im  Gegensatz  zur  Embryonalentwickelung  nicht  selbständig,  sondern 
in  steter  Beziehung  zum  Ganzen  entwickeln,  und  weil  diese  Beziehung 
sich  in  jeder  Etappe  der  Regeneration  bis  zum  »Fertigsein«  geltend 
macht.  »Der  Organismus  als  Ganzes  übt  eine  solche  Kraft  über  das 
neu  sich  bildende  Glied  aus,  dass  es  zur  Wiederholung  seines  Vor- 
gängers wird.« 

Maas.  Einführung  in  die  experimentelle  Entwiekelungfgeschichte.  3 


114  XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 

Man  hat  dagegen  eingewandt,  dass  dies  nur  eine  Umschreibung 
der  Thatsachen  sei,  und  dass  gerade  diese  Wirkung  des  Ganzen  auf 
die  Teile  »etwas  Metaphysisches«  an  sich  trage.  Dies  zeige  sich 
besonders  dann,  wenn  der  Einfluss  des  Ganzen  so  mächtig  sei,  dass 
sich  das  »Streben«,  das  Fehlende  wieder  ganz  zu  machen,  auch  ent- 
gegen der  den  zurückbleibenden  Elementen  sonst  innewohnenden 
Kraft  geltend  mache,  wenn  also  Richtiges  sozusagen  aus  unrichtigein 
Material  ergänzt  wird,  wie  bei  der  Linsenregeneration  und  in  anderen 
merkwürdigen  Fällen. 

Doch  ist  dieser  Einfluss  des  Ganzen  nicht  so  absolut  wirksam 
und  nicht  ausschliesslich  für  den  Ablauf  der  Regenerationsvorgänge 
verantwortlich.  Das  ist  schon  daraus  ersichtlich,  dass  in  vielen  Fällen 
die  Regeneration  unvollkommen  ist,  ja  auch  ganz  ausbleibt;  ferner 
daraus,  dass  die  Regeneration  sich  öfters  nicht  im  Rahmen  des  Ganzen 
hält,  sondern  darüber  hinausgeht,  indem  mehr  gebildet  wird  als  fehlte, 
oder  endlich  daraus,  dass  manchmal  etwas  gebildet  wird,  was  sonst 
nicht  an  dieser  Stelle  gestanden,  u.  U.  ein  anderes  Organ.  Für  diese 
Vorgänge  eines  unrichtigen,  dem  normalen  Ganzen  nicht  ent- 
sprechenden Wiederaufbaues  (und  nur  für  diese)  sei  der 
Ausdruck  H  e  t  e  r  o  m  o  r  p  h  o  s  e  angewandt  im  Anschluss  an 
Loeb. 

Die  Vorgänge  der  Heteromorphose  haben  als  »unzweckmäfsig« 
oder  dem  Einfluss  des  Ganzen  nicht  entsprechend  besonderes  Interesse ; 
man  hat  sie  daher  künstlich  hervorzurufen  gesucht  und  hat  sie  an 
solchen  Fällen,  sowie  an  Material,  das  man  ursprünglich  für  wirkliche 
Regeneration  bestimmt  hatte,  studiert. 

Einen  Fall  sehr  unvollkommener,  fast  ausbleibender  Regeneration 
bieten  die  Medusen,  während  gerade  sonst  bei  Coelenteraten  die  Fähig- 
keit der  natürlichen  Sprossung  sehr  ausgebildet  ist.  Wenn  man  von 
der  Meduse  Gonionemus  verfem  Stücke  ausschneidet,  so  schmelzen  die 
Schnittenden  eines  Teilstückes  zwar  zusammen,  und  es  bildet  sich 
wieder  eine  Glockenform ;  aber  die  fehlenden  Teile  werden  nicht 
wieder  ersetzt.  Wenn  man  z.  B.,  wie  Morgan  gezeigt  hat,  den  Schnitt 
in  der  angegebenen  (Fig.  96)  Richtung  ausführt,  so  behält  jedes  Teil- 
stück nur  seine  ursprünglichen  2  Radialkanäle  (Fig.  97)  und  nur  der 
halbe  Magenteil  schliesst  sich  zu  einem  ganzen  Rohr ;  auch  keine 
neuen  Tentakeln  bilden  sich,  höchstens  am  Treffpunkt  der  Schnitt- 
enden. Auch  1/4  Stücke  und  und  kleinere  überleben  und  bilden  noch 
event.    einen  neuen  Magen   aus   dem   Entoderm    eines    Radialkanals, 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose. 


115 


aber  sonst  nichts,    trotzdem  sie  in  richtiger  Glockenform  schwimmen 
und  Wochen  hindurch  gefüttert  und  erhalten  werden  können. 


Piff.  96. 


Fig.  97  a. 


Fie.  97  b. 


Fig.  96  und  97.  Unvollkommene  Regeneration  einer  Meduse  (Gonionemus  vertens)  nach 
Morgan.  Fig.  96  zeigt  die  Linie  der  Operation  an  der  ganzen  Meduse  an, 
Fig.  97  a  und  b  das  unvollkommene  Regenerat  von  oben  und  von  der  Seite 
mit  nur  2  Radiärkanälen. 


Eine  sehr  unvollkommene  Regeneration  stellt  auch  der  neu- 
gebildete Eidechsenschwanz  dar,  sowohl  was  seine  gewebliche  Aus- 
prägung, als  was  seine  ganze  Form  betrifft.  Vom  Nervensystem  finden 
sich  in  ihm  nur  Rudimente ;  sein  Stützgewebe  ist  anderer  Art  wie  im 
normalen ;  richtige  Wirbel  enthält  er  keine,  und  seine  Gesamtform  ist 
kürzer  und  gedrungener. 

Hierher  lassen  sich  auch  Versuche  einer  Linsenregeneration 
rechnen,  die  Barfurth  am  Hühnchenembryo  gemacht  hat.  In 
erwachsenem  Zustand  zeigen  die  Vögel  überhaupt  keinerlei  Er- 
gänzungsvorgänge dieser  Art;  dem  Embryo  kommt,  wie  durch 
Kopsch  gezeigt  wurde,  in  anderen  Geweben  auf  frühen  Stadien  eine 
gewisse  Regenerationskraft  noch  zu.  Barfurth  hat  an  Hühnchen- 
embryonen des  2. — 4.  Tages  die  Anlage  der  Linse  und  des  Augen- 
becherrandes  verletzt,  die  hierzu  notwendige  Lücke  in  der  Eischale 
nach  Kopsch 's  Methode  mit  Deckglas  und  Wachsring  verschlossen 
und  dann  die  Bebrütung  fortgesetzt.  Man  hat  bei  diesen  diffizilen 
Versuchen  die  Stärke  der  Verletzung  nicht  ganz   in   der  Hand,   und 


116 


XIII.   Kapitel.     Die  typische  Regeneration 


die  Ergänzungen  verlaufen  darnach  in  ziemlich  verschiedener  Weise. 
Bei  einer  nur  oberflächlichen  Verletzung  hatte  der  später  fixirte  Embryo 
Augenbecher  und  Linse  wie  normal  gebildet;  bei  einer  sehr  starken 
Schädigung  wurde  gar  kein  Auge  mehr  gebildet,  Mesenchymgewebe 
war  an  die  Stelle  gerückt,  und  die  gewöhnliche  Epidermis  hatte  die 
Wunde  verschlossen.  Bei  Verletzungen  mittleren  Grades  ■  und  diese 
haben  hier  besondere  Beziehung  —  zeigten  sich  deutliche  Wieder- 
herstellungsbestrebungen für  Augenbecher  sowohl  wie  Linse,  allerdings 
in  sehr  unvollkommener  Form.  Einmal  wurde  ein  linsenartiger  Körper 
zwar  vom  Ektoderm,  aber  an  einer  ganz  anderen  Stelle  geliefert  (s.  p.  157); 
sonst  scheint  die  neue  sehr  unvollständige  Linse  -  -  es  ist  allerdings 
am  6.  Tage  schon  konserviert  worden  —  vom  Augenbecher  aus,  also 
wie  bei  den  bekannten  Tritonversuchen  (s.  p.   109)  zu  entstehen. 

Diesen  Experimenten  mit  dem  Resultat  einer  unvollkommenen 
Neubildung,  deren  Zahl  sich  noch  vergrössern  liesse,  stehen  solche 
gegenüber,  bei  denen,  wie  es  scheint,  ein  Zuviel  gebildet  wird.  Zu- 
nächst sind  solche  Fälle  zu  erwähnen,  bei  denen  wohl  eine  Verletzung, 
aber  keine  Materialentnahme  stattgefunden  hat. 


Fig.  98.  Durch  Operation  erzeugte  Doppelbildungen  bei  Planarien  nach  Morgan. 
a  mit  zwei  Köpfen,  b  mit  doppeltem  Hinterende  und  neuem  Kopf  am  Ende 
des  Spaltes,  c  Schnitt  noch  weiter  nach  vorn  geführt,  jede  der  beiden  Kopf- 
hälften complettiert. 

Van  Duyne,  Barde en,  Morgan  u.  A.  haben  bei  niedrigen, 
ungegliederten  Würmern  Einschnitte  in  das  Körperparenchym  ge- 
macht und  das  Zusammenheilen  künstlich  verhindert.  Es  ergaben 
sich  dann  je  nach  der  Körperregion  Doppelbildungen.  War  der 
Schnitt  in  der  Kopfregion  geschehen  (Fig.  98  a),  so  bildet  sich  ein 
zweiter  Kopf  mit  eigenen  Augen  und  neuem  Mund ;  war  der  Ein- 
schnitt in  der  Schwanzregion  gemacht,  so  entstand  ein  zweiter  Schwanz 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose.  117 

(Fig.  98  b).  Ähnliches  Inkrafttreten  von  Potenzen  der  Zellen  je 
nach  der  Lage  zeigt  sich  bei  Einschnitten  am  Ascidienkörper,  wie 
Loeb  ermittelt  hat.  Bei  diesen  Tieren  stehen  die  Mund-  und  die 
Auswurf söffnung  nebeneinander;  beide  sind  zu  besonderen  Röhren 
verlängert,  die  am  Rande  mit  Augenflecken  besetzt  sind.  Man  kann 
nun  durch  Einschnitt,  auch  sehr  weit  von  beiden  Normalöffnungen, 
die  Bildung  einer  neuen  Mund-  resp.  Kloakenröhre,  ja  einer  ganzen 
Anzahl  solcher  Rühren  hervorrufen,  jede  mit  entsprechender  Ver- 
längerung und  mit  Augenflecken  trotz  Vorhandensein  der  beiden  nor- 
malen Röhren.  Bei  Seesternen  können  laut  King  überschüssige 
Arme  neu  auftreten,  wenn  der  Schnitt  die  Scheibe  zwischen  zwei 
alten  Armen  getroffen  hat. 

Unter  die  gleichen  Gesichtspunkte  fällt  die  Doppelbildung  von 
Schwänzen  bei  Amphibienlarven  und  Eidechsen,  wie  sie  eintritt,  wenn 
der  alte  Schwanz  nicht  abgetrennt,  sondern  nur  angeschnitten  und 
verschoben  ist.  Auch  die  Erzeugung  einer  zweiten  Linse,  wie  sie 
Fischel  gelungen  ist,  wenn  die  normale  Linse  nicht  exstirpiert, 
sondern  nur  abgedrängt  wurde,  ist  so  aufzufassen.  Ueber  letzteres 
Experiment  ist  noch  in  anderem  Zusammenhang  zu  reden. 

Besonders  hat  Tornier  die  Erzeugung  solcher  überschüssigen 
Bildungen  bei  Vertebraten,  und  zwar  am  Schwanz  von  Lacerta  agilis 
und  an  den  Gliedmafsen  von  Triton  cristatus  betrieben.  Ein  zwei- 
facher Schwanz  bei  Lacerta  wurde  von  ihm  hervorgebracht,  indem 
das  normale  Schwanzende  abgebrochen  und  nahe  am  Bruchende  eine 
weitere  Wunde  gemacht  wurde;  durch  zwei  solcher  Wunden  am 
Schwanzstummel  entstanden  dreischwänzige  Eidechsen.  Solche  Mehr- 
fachbildungen  können  auch  dadurch  erzeugt  werden,  dass  in  den 
Schwanz  ein  schiefer  Anschnitt  gemacht  wird;  jeder  der  angeschnittenen 
Wirbel  bildet  dann  den  Ausgangsherd  für  die  knorpelige  Axe  eines 
neuen  Schwanzes.  Histologisch  sind  diese  Bildungen  unvollkommen, 
wie  oben  erörtert;  morphologisch  sind  sie  über  dem  normalen.  Bei 
Amphibienlarven  sind  sie  auch  geweblich  korrekt;  solche  Doppel- 
schwänze hat  Bar  für  th  beider  Kaulquappe  künstlich  hervorgerufen 
und  bei  der  Neunaugenlarve  auch  als  natürliche  Missbildung  ge- 
sehen. 

Auch  bei  der  Gliedmafsenbildung  nach  operativen  Eingriffen 
kann  ein  Zuviel  hervorgerufen  werden,  indem  die  Wunden,  wie  es 
Tornier  und  Barf  urth  gethan  haben,  besonders  gross  oder  künstlich 
kompliziert  gemacht  wurden.     Beim   Triton  ist  auf  diese  Weise  nicht 


118 


XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 


Fig.  99  a. 


Fisr.  99  b. 


Fi?.  99  c. 


Fig.  99   a,   b,    c.     Schwanzregeneration    bei   Eidechsen    mit    Mehrfachbildungen    (nach 
Röntgenphotographieen  von  Tornier). 

a  Durch  künstliche  Einknickung  erhalten  bei  Lacerta  agilis. 
b  Ein  natürlicher,  doppelt  regenerierter  Schwanz  von  Tejus  tejon. 
c  Durch    unvollkommenen    Schrägbiss    (bei    dem    2    Wirbelreste    hängen 
blieben)  hervorgebrachte  Dreifachbildung  an  Lacerta  viridis. 


nur  die  Erzeugung  mehrerer  Glieclmafsen,  sondern  besonders  über- 
schüssiger Zehen  gelungen,  dann  z.  B.  wenn  je  die  beiden  äusseren 
Zehen  samt  einem  Stück  Tibia  und  Fibula  entfernt  wurden,  so  dass 
nur  die  mittlere  Zehe  stehen  bleibt  (Fig.  101).  Ferner  hat  Tornier 
überschüssige  Zehen-  resp.  Gliedbildung  dadurch  hervorgerufen,  dass 
er  durch  einen  Faden  das  regenierende  Ende  des  Tritonfusses  ein- 
schnürte. Es  weist  dies  darauf  hin,  dass  auch  bei  Säugetieren  solche 
überzählige  Bildungen  an  Gliedmafsen  durch  Einschnürung  während 
des  Fötallebens,  Faltenbildung  des  Amnions,  hervorgebracht  werden 
können;  die  Wirkung  solcher  »amniotischer  Fäden«  ist  den  Gynä- 
kologen lange  bekannt  (vergl.  die  Zusammenstellung  von  Winckel's). 
Die  Potenzen  der  Zellen,  die  der  Lage  nach  in  Kraft  treten,   werden 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose. 
Fiff.  100. 


119 


Fisr.  101b. 


Fig.  100. 


Fig. 


101. 


Doppelbildung  einer  Gliedmafse  von  Triton  cristatus,  erhalten  durch  Ampu- 
tation des  unteren  Endes  hei  gleichzeitiger  starker  Verletzung  des  Ober- 
schenkels nach  Tom i er. 

a  Amputation  der  1.,  2.,  4.,  5.  Zehe  von  Triton,  sodass  etwas  vom  Tarsus 
und  ein  Stück  von  tibia  und  flbula  verloren  geht,  und  nur  die  3.  Zehe  mit 
verschmälerter  Basis  zurückbleibt. 

b  Die  daraus  entstehende  Mehrfachbildung  (nach  Tornier). 


Fig.  102. 


Fig.  102.  Dreijähriger  Axolotl  mit  doppelt  regenerierter  linker  vorderer  Extremität. 
Die  Nebenhand  hat  nur  3,  die  eigentliche  Hand  4  digiti,  wie  es  der  Norm 
entspricht  (nach  Bar  fürt  h). 


durch  den  Eingriff,  resp.  durch  die  anormalen  Bedingungen,  auf 
mehrere  Herde  verteilt.  Es  ist  das  also  hier  in  späteren  Stadien 
derselbe  Vorgang,  wie  er  in  früheren  bei  der  Keimscheibe  der  Fische 
und  den  Doppelbildungen  (s.  p.  94)  und  in  noch  früheren  Stadien 
eigentlich  schon  bei  der  Furchung  besprochen  wurde. 


120  XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 

Um  so  weniger  braucht  zu  Erklärungen  solcher  Überbildungen 
in  der  Natur  und  bei  der  Regeneration  an  einen  phylogenetischen 
Rückschlag,  einen  Atavismus  gedacht  zu  werden,  etwa  an  eine  Vor- 
fahrenform, die  mehr  als  die  der  Spezies  heute  zukommenden  Glied- 
malsen  gehabt  habe;  die  Vorgänge  der  Mehrbildung  von  Zehen  etc. 
stehen  in  einer  Reihe  mit  den  an  Planarien,  Ascidien,  Echinodermen 
etc.  eben  erläuterten  Mehrbildungen,  und  man  wird  aus  diesen  nicht 
schliessen,  dass  die  Vorfahren  der  Ästenden  z.  B.  6,  7  oder  mehr 
Arme  gehabt  haben. 

Bei  anderen  Heteromorphosen  sind  die  phylogeneti sehen  Er- 
klärungen noch  weiter  hergeholt.  Die  Schuppen  am  Schwanz  ver- 
schiedener Reptilien  nehmen  laut  Boul enger  ein  vom  normalen  ver- 
schiedenes Arrangement  an,  das  an  andere  Spezies  erinnern  soll. 
Wenn  man  aber  bedenkt,  dass  das  Regen  erat  in  diesem  Fall  inner- 
liche und  ge webliche  Verschiedenheiten  vom  normalen  zeigt,  ist  diese 
kleine  äusserliche  Verschiedenheit,  wie  Morgan  betont,  nicht 
überraschend,  und  man  wird  ihr  keine  so  weittragende  Bedeutung 
zumessen.  Ahnliches  gilt  für  Crustaceengliedmafsen,  die  bei  der  Neu- 
bildung öfters  in  anderer  als  typischer  Weise  gebildet  werden.  Bei  den 
subtilen  Unterschieden,  die  hierin  zwischen  den  Spezies  und  Genera 
der  Crustaceen  bestehen,  kann  es  wohl  einmal  vorkommen,  dass  eine 
Unregelmässigkeit  sich  der  Klauenbildung  einer  anderen  Gattung 
nähert,  ohne  dass  man  hierin  etwas  anderes  als  eine  durch  Mangel 
an  Bildungsmaterial  bedingte  Unregelmäfsigkeit  zu  suchen  hätte.  In 
einigen  Fällen  ist  es  sogar  von  Przibram  nachgewiesen,  dass  bei 
längerem  Zuwarten  nach  verschiedenen  Häutungen  allmählich  die 
richtige  Gliedmafsenbildung  wieder  hergestellt  wird.  In  weiterer  Hin 
sieht  ist  ein  Experiment  des  gleichen  Forschers  beim  Krebs  Alpheus 
interessant.  Wenn  bei  diesem  die  grosse  kompliziert  gebaute  Schere 
entfernt  war,  so  gestaltete  sich  die  kleinere  einfachere  als  grosse 
Zwickschere  aus ;  für  die  grössere  trat  als  Regen  erat  eine  der  kleineren 
ähnliche  Bildung  auf,  so  dass  schliesslich  die  Rollen  von  rechts  und 
links  vertauscht  sind. 

Am  deutlichsten  zeigt  sich  die  Abhängigkeit  vom  regenerierenden 
Körper  und  seinem  Bildungsmaterial  bei  der  bekanntesten  aller  Hetero- 
morphosen, dem  Ersatz  eines  Stielauges  der  Dekapodenkrebse  durch 
ein  antennenähnliches  Organ.  Diese  Heteromorphose  ist  durch  Herbst 
in  besonders  sorgfältiger  Weise  an  zahlreichen  Gattungen  studiert 
worden.  Es  zeigte  sich,  dass  wenn  die  Augen  samt  dem  Stiel,  der 
das  Augenganglion  enthält,    exstirpiert  wurden,    dann  niemals  wieder 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose. 


121 


Fig.  103. 


Fig.  103.     Alpheus  aus  Cuvier,  regne  aniraal,   um   die  normale  Verschiedenheit  der 
rechten  und  linken  Schere  zu  zeigen. 


Fitr.  104. 


Go 


Fig.  104.  Entstehung  eines  antennenähnlichen  Gebildes  (von  Palinurus  vulgaris)  statt 
des  linken  Auges  nach  Exstirpation ,  rechts  das  normale  Auge  (nach 
Herbst).    C=  Gehirn,  Go=  Ganglion  opticum,  0  =  Auge,  At  =  Antennula. 


122  XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 

ein  Auge,  sondern  nur  eine  heteromorphe  Neubildung  erzeugt  wird, 
die  mehr  oder  weniger  einer  Antennula  gleicht;  am  besten  ist 
dabei  der  distale  Teil  mit  den  Riechhaaren  ausgebildet  (Fig.  104  At). 
Wurde  aber  der  Stiel  mit  seinem  Inhalt  geschont,  so  entstanden, 
besonders  deutlich  bei  Palaemon  und  Eupagurus,  auf  den  Stielstumpfen 
die  Anlagen  neuer  Augen.  Überraschend  war  es  zunächst,  dass  bei 
Arten  der  Krabbe  Porcellana  die  Augenregeneration,  trotz  völliger 
Entfernung  des  Stiels,  dennoch  eintrat;  es  zeigte  sich  aber  dann,  dass 
bei  dieser  Gattung  das  Ganglion  nicht  wie  sonst  im  Stiel,  sondern 
im  Kopf  liegt  und  dem  Gehirn  direkt  ansitzt,  so  dass  auch  bei  Stiel- 
entnahme das  Ganglion  geschont  wird.  Ahnlich  verlaufen  die  Experi- 
mente bei  Isopoden,  wo  überhaupt  kein  Augenstiel  vorhanden  ist.  Bei 
Augenexstirpation  an  diesen  Tieren  bleibt  das  Ganglion  im  Kopf  erhalten, 
und  es  entwickeln  sich  ebenfalls  neue  Augen  auf  der  Wundfläche. 

Die  nächstliegende  Folgerung  wäre  die.  das  Ganglion  als  solches 
für  die  Neubildung  verantwortlich  zu  machen,  d.  h.in  ihm  das  ergänzende 
Baumaterial  für  die  Neubildung  zu  erblicken.  D  r  i  e  s  c  h  hat  dagegen  das 
Ganglion  nur  als  Teil  des  Nervensystems  aufgefasst  und  in  dem  Vorgang 
einen  Einfluss  des  Nervensystems  als  des  Ganzen  auf  die  Art  des  Rege- 
nerats  erkennen  wollen,  wohl  in  seinem  leitenden  Gedanken,  dass  »jedes 
regulative  Geschehen  vom  fertig  gedachten  idealen  Ganzen  abhänge«. 
Nach  dem  was  von  der  normalen  Entwickelung  bekannt  ist,  erscheint 
jedoch  die  erstere  einfachere  Annahme  zur  Erklärung  vollkommen 
ausreichend.  Ganglion  opticum  und  eigentliches  Auge  sind  zuerst 
ein  einziges  Elementarorgan  (Fig.  105);  dann  scheiden  sie  sich  durch 
einen  »cellulären  Elementarprozess«  (s.  p.  96)  in  die  gangliogene 
Schicht,  aus  der  das  Ganglion,  und  in  die  retinogene  Schicht,  aus 
der  das  eigentliche  Auge  mit  seinen  weiteren  3  Schichten  hervorgeht. 
(Fig.  105,  1).  c).  Nach  Exstirpation  des  letzteren  ist  also  das  Ganglion 
dasjenige  Organ,  das  noch  auf  späteren  Stadien  der  Entwickelung 
als  alle  anderen  mit  dem  Auge  zusammengehangen  hat,  und  dieses 
>uächstverwandte«  Gewebe  (s.  p.  103)  wird  am  ehesten  zum  Ersatz 
in  Betracht  kommen ,  wenn  vom  eigentlichen  Auge,  den  Stäbchen, 
Krystallkegeln  etc.  nichts  mehr  vorhanden  ist.  Ist  auch  dieses  Ersatz- 
organ nicht  mehr  vorhanden,  dann  sind  alle  übrigen  zu  weitläufig- 
verwandt,  als  dass  sie  nach  ihrer  Differenzierung  noch  für  das  Auge 
eintreten  könnten,  und  es  erfolgt  eine  dem  vorhandenen  Zellmaterial 
und  seinen  Potenzen  entsprechende  Bildung.  Bei  dieser  Anschauung 
kommt  es  nicht  in  Betracht,  ob  das  restierende  Ganglion  durch  An- 
schnitt zur  Wucherung  gebracht  das  neue  Auge  allein  bildet,    oder 


und  die   Experimente  der  Heteromorplutse. 


123 


nur  zum  Teil,  indem  es  die  Hypodermiszellen  nach  der  Anschauung 
von  Herbst  durch  formative  Reizwirkung  zur  Umwandlung  im  Augen- 
elemente anregt.  Die  Rolle  der  Hypodermiszellen  kann  niemals  eine 
ausschliessliche,  sondern  nur  die  der  Mitbeteiligung  sein,  und  die 
Ganglionzellen  kommen  stets  als  Bildungsmaterial  ins  Spiel. 


Fig.  105  a. 


Fig.  105  b. 


Fi?.  105  c. 


9 

Fig.  105  a,  b,  c.  Drei  Stadien  aus  der  Entwicklung  des  Hummers,  um  die  gemein- 
same Entstehung  von  Ganglion  opticum  und  eigentlichem  Auge  zu  zeigen. 
Schemata  nach  eigenen  Präparaten. 

a  Gangliogene  (g)  und  retinogene  (r)  Schicht  noch  vereinigt, 
b  Trennungslinie  durchgeführt. 

c  Histologische  Ausprägung,  Scheidung  der  Retina  r  in  die  3  Schichten 
[Cornea  (c),  Krystallkegel  (Je)  und  Stäbchen  (sj\. 

Das  Wenige,  was  über  Regeneration  von  Molluskenstielaugen 
bekannt  ist,  nämlich  dass  hier  die  Exstirpation  des  Fühlerganglions 
nicht  die  Wiederbildung  des  Auges  verhindert  (Carriere),  spricht 
ebenfalls  für  diese  Anschauung.  Hier  legt  sich  nämlich  in  der  Normal- 
entwickelung das  Auge  nicht  in  Verbindung  mit  dem  Centralnerven- 
system  an,  wie  bei  den  Crustaceen,  sondern  spät  als  selbständige 
Ektodermeinstülpung  am  Fühler.  Es  kommt  also  als  »nächstver- 
wandtes« Bildungsmaterial  nicht  die  Ganglionmasse,  sondern  die  äussere 
Haut  in  Betracht.  Es  können  demnach  diese  Fälle  in  gewisser  Be- 
ziehung mit    der  Linsenneubildung  bei  Tritonen  verglichen    werden. 


124  XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 

Unter  den  gleichen  Gesichtspunkt  fallen  einige  neuere  Versuche 
Morgans  am  Regenwurm  (Allolobophora  foetidä),  die  ebenfalls  einen 
bestimmten  Einfluss  des  Nervensystems  auf  die  Ausgestaltung  des 
Regenerats  darthun  sollen,  die  aber  wohl  ihre  einfachere  Erklärung 
im  Prinzip  der  möglichsten  Verwendung  des  nächstverwandten  Ge- 
webes finden.  Morgan  hat  an  diesem  Wurm  ein  Stück  aus  der 
Mitte  der  ventralen  Körperwand  herausgeschnitten ;  das  vordere 
Ende  des  Nervenstranges  war  zugleich  mit  dem  Wandstück  mit- 
entfernt worden,  die  übrigen  longitudinalen  Organe  erhalten.  Die 
seitlichen  Ränder  schliessen  sich,  aber  es  bildet  sich  »wegen  Abwesen- 
heit des  Nervenstranges«  kein  neuer  Kopf  am  Vorderende;  dagegen 
keimt  in  derselben  Höhe,  wto  der  alte  Nervenstrang  endet,  in  der 
ventralen  Mittellinie  ein  neuer  Kopf,  zusammengesetzt  aus  einigen 
Segmenten.  Derselbe  kann  einen  Darmtraktus  enthalten  oder  nicht, 
je  nachdem  der  alte  verletzt  wurde  oder  nicht;  stets  enthält  er  einen 
Bauchstrang,  der  am  Vorderende  des  alten  entspringt.  Wenn  ein 
Darm  da  ist,  wird  auch  eine  Kommissur  um  ihn  herum  gebildet  und 
ein  Gehirn.  Die  Körperwand  des  Regenerats  scheint  normal,  Nephri- 
dien  fehlen 

Wird  nach  Entfernung  der  vorderen  Segmente  ein  Fenster  aus  der 
Bauch  wand  ausgeschnitten,  so  bleiben  zwei  Vorderenden  des  Nerven- 
strangs übrig  und  es  entwickeln  sich  meist  zwei  Köpfe  (einer  kann 
versagen),  ein  vorderer  grosser  und  ein  hinterer  kleiner.  Beide  Ver- 
suche sollen  (nach  Morgan)  lehren,  dass  zur  Enstehung  eines  neuen 
Kopfes  das  Vorhandensein  eines  neuen  Schnittendes  des  Nervenstranges 
notwendig  ist,  das  eines  Ernährungskanals  nicht,  Diese  Auffassung 
mag  gelten,  wenn  man  den  Begriff  Kopf  sehr  duldsam  fasst;  einen 
Darm,  der  doch  eigentlich  auch  zum  Vorderende  gehört,  bildet  das 
Regenerat  doch  nur  dann,  wenn  auch  der  alte  Darm  angeschnitten  ist. 
Es  mag  wohl  eine  Abhängigkeit  vom  Vorhandensein  des  Nervensystems 
als  bildenden  Gewebsmaterials  für  das  neue  angenommen  werden, 
aber  darin  einen  Einfluss  des  leitenden  Gesamtnervensystems  zu  sehen, 
die  »nervösen  Centren  als  normative  Reizquelle«  anzusehen,  besteht 
ebenso  wenig  Anlass  als  beim  erörterten  Fall  der  Crustaceenaugen. 


Aus  allen  Versuchen  geht  hervor,  dass  im  wesentlichen  zwei 
verschiedene  Einflüsse  für  den  Verlauf  der  Neubildung  wirksam  sind, 
wie  mit  einigen  Modifikationen  nach  ().  Hertwig  hervorgehoben 
werden  kann.     1.  Die  Potenzen,  die  in  dem   regenerierenden  Gewebe 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose.  125 

und  den  Zellen  selbst  liegen,  die  wir  aber  nicht  so  unbeschränkt  wie 
die  embryonalen,  anzunehmen  brauchen  und  2.  der  Einfluss  des 
Ganzen ;  nicht  nur  die  Lagebeziehung,  in  der  sich  das  Regenerat 
entwickelt,  sondern  dieser  correlative  und  übergeordnete  Einfluss 
{s.  p.   130)  im  weitesten  Sinne. 

Auch  die  von  Driesch  erhobene  Fragestellung,  was  die  »Aus- 
lösung« der  Regeneration  bewirke,  die  Wundfläche  oder  das  Nicht- 
mehrvorhandensein eines  Teils,  spricht  eigentlich  nur  das  Schwanken 
zwischen  diesen  beiden  Einflüssen  aus  und  zeigt,  dass  bald  die  einen, 
bald  die  anderen  überwiegen.  Wenn  eine  Wundfläche  gebildet  wird, 
so  ist  es  die  Potenz  der  betreffenden  Zellen,  die  in  Tätigkeit  tritt : 
bei  den  Einschnitten  an  Planarien,  Ascidien  etc.  wirkt  zunächst  diese 
in  der  proliferenden  Kraft  der  Zellen,  und  der  Einfluss  des  Ganzen  tritt 
zurück ;  sonst  würden  nicht  zwei  Planarienköpfe,  zahlreiche  über- 
schüssige Ascidienröhren  etc.  entstehen.  In  anderen  Fällen  überwiegt 
der  Einfluss  des  Ganzen,  das  Fehlen  einer  Bildung  an  einer  bestimmten 
Örtlichkeit;  sonst  würden  nicht  ungewöhnliche  Fähigkeiten  der  Nach- 
barzellen zu  Tage  kommen  und  andere  Gewebssorten  das  Fehlende 
ersetzen  als  normal,  wie  es  bei  der  Linse  der  Tritonen  der  Fall  ist, 
selbst  dann,  wenn  sie  nicht  vollkommen  entfernt,  sondern  nur  von 
ihrem  gewöhnlichen  Ort  künstlich  abgedrängt  wird. 

Gerade  die  vielfachen  Modifikationen,  die  bei  der  Linsenregene- 
ration durch  sinnreiches  Variieren  der  Bedingungen,  wie  es  Fischel 
versucht  hat,  möglich  sind,  geben  nach  seinem  Vorgang  den  besten 
Anlass,    die  Wirkung  der  beiden  Einflüsse  gegeneiu ander  abzuwägen. 

Es  ist  zunächst  bemerkenswert,  dass  nicht  nur  gerade  die  Zellen 
des  Irisrandes,  sondern  a  1 1  e  Zellen  der  Iris  und,  wie  es  scheint,  auch 
vier  Retina,  also  alle  Elemente  des  Augenbechers  die  Fähigkeit  haben, 
sich  in  Linsenfasern  umzuwandeln.  Durch  geeignete  Operation  kann 
man  die  Linse  nicht  nur  von  einer  ganz  anderen  Stelle  der  Iris  aus  als 
dem  Pupillarrand  zur  Bildung  bringen,  sondern  man  kann  auch  durch 
mehrfache  Reize  oder  Anschnitte,  ähnlich  wie  die  zahlreichen  Röhren 
der  Ascidien,  zahlreiche  kleinere  linsenartige  Bildungen,  sog.  Lentoide 
hervorrufen.  Auch  Fischel  legt  darauf  Gewicht,  dass  die  Zellen  des 
Augenbechers  ja  in  der  Entwicklung  doch  mit  den  Linsenzellen  gleicher 
Abstammung  vomEktoderm  sind,  also  in  unserem  Sinn  auf  dem  Stadium 
früherer  Elementarorgane  zusammenhingen.  Diese  in  ihnen  steckenden 
gemeinsamen  Potenzen  können  dann  durch  einen  geeigneten  Reiz  in 
Aktion  gesetzt  werden.  Ein  solcher  Reiz  kann  durch  die  Operation 
selbst    gegeben    sein.     Ob    auch    das    »Nichtmehrvorhandensein«    als 


126 


XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 


solcher  Reiz  wirkt,  ist  schwerer  zu  entscheiden.  Wenn  man  die  alte 
Linse  im  Auge  belässt  und  nur  abdrängt,  so  entsteht  trotzdem  ein  neues 
Lentoid.  Dies  spricht  an  und  für  sich  noch  nicht  gegen  die  Wirkung  des 
Fehlens  im  Ganzen;  denn  am  richtigen  Platz  ist  die  Linse  ja  in  diesem 
Fall  nicht  mehr  vorhanden,  sondern  wurde  in  den  Glaskörperraum  ge- 
drängt. Fisch el  hat  ferner  nach  der  Exstirpation  der  Linse  Kartoffel- 
oder Brodstückchen  von  geeigneter  Grösse  an  deren  Stelle  in  das  Auge 


Fi-    106. 


Fig.  107. 


Sp 


L'  - 


J(o) 


-  J(u) 


Sp 

Fig.  106,  107.  Anormale  Bildungen  bei  der  Regeneration  des  Triton-Auges  nach 
Fischel. 

Fig.  106.  Meridionalschnitt  durch  ein  Auge,  in  welchem  sich  nach  der  Exstirpation 
der  Linse  zwei  vollkommen  normale,  mit  einem  Teile  ihres  Körpers  über- 
einander gelegene  Linsen  vom  oberen  Pupillenrande  aus  entwickelt  haben. 
Sp  Spalt  zwischen  Chorioidea  und  Retina.  Vergr.  1/47.  Nach  Fischel. 
107.  Unter  der  in  gewöhnlicher  Weise  regenerierten  Linse  (L)  findet  sich,  dem 
Pupillarrande  der  unteren  Irishälfte  J (u)  anliegend  aus  der  Pars  iridica 
retinae  stammendes  kleines,  mit  den  wesentlichen  Charakteren  einer  Linse 
ausgestattetes  Gebilde  L'.  148  Tage  nach  der  Operation.  Vergr.  1/47. 
Nach  Fischel. 


Fig 


gesetzt  und  auf  geschickte  Weise  zum  Einheilen  gebracht.  Auch  in 
diesen  Fällen  kam  es  zur  Bildung  von  neuen  Lentoiclen,  wobei  der 
Reiz  des  Fremdkörpers  bei  der  Neubildung  eine  erkennbare  Rolle 
spielte.  Fischel  ist  also,  wie  viele  mit  ihm,  geneigt,  den  Anlas s 
zur  Neubildung,  doch  nicht  als  vom  Ganzen   ausgehend  und   durch 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose.  127 

Fehlen  verursacht,  sondern  als  durch  speziellen  Reiz  von  den  Zellen 
und  ihren  Fähigkeiten  selbst  ausgehend,  anzusehen l).  Wenn  aber 
dieser  Reiz  einmal  in  Tätigkeit  getreten  ist,  dann  wird  der  Erfolg 
der  Weiterbildung  durch  die  Beziehung  zur  Umgebung,  zum  Ganzen, 
oder  in  Fischel's  Ausdruck,  durch  die  »örtlichen  Verhältnisse«  be- 
stimmt. Je  günstiger  diese  spez.  zur  »Ausfaltung«  des  proliferierenden 
Materials  sind,  desto  ähnlicher  kann  das  Produkt  einer  normalen  Linse 
werden ;  in  vielen  Fällen  kann  aber  das  Resultat  anders  ausfallen, 
z.  B.,  wenn  sehr  unvollkommene,  oder  gar  zwei  kleine  Linsen  statt 
einer  normal  grossen  gebildet  werden  u.  s.  w.  (Fig.  106).  Die  Em% 
wickelung  des  ausgefalteten  Materials  innerhalb  des  Linsenbläschens, 
die  Hervorbringung  der  eigentlichen  Linsenstruktur,  ist  ebenfalls  auf 
solche  korrelative  Einflüsse  der  Zellen  untereinander  zurückzuführen ; 
»ihre  Lage,  Nachbarschaftsbeziehung  etc.  bestimmt  auf  uns  un- 
bekannte Weise  den  Entwickelungsgang. «  Fischel  erkennt  also 
wohl  die  Wirkung  des  Ganzen  als  korrelativen  Einfluss  an,  sobald 
einmal  die  Neubildung  in  Gang  gesetzt  ist,  nicht  aber  als  ursächliches 
auslösendes  Moment  der  Neubildung  selbst.  Hierfür  nimmt  er  in 
allen  Fällen  den  durch  die  Operation  verursachten  Reiz  in  Anspruch, 
wodurch  die  den  Zellen  p  r  i  m  ä  r  zukommenden  Fähigkeiten  in  Aktion 
gesetzt  werden.  Es  sind  also  in  seiner  scharfsinnigen  Erklärung  die 
Vorgänge  bei  der  Linsenneubildung  keine  anderen  als  wie  bei  jeder 
anderen  Regeneration. 

Auch  i.  Allg.  dürfen  wir  sagen :  es  sind  mit  einiger  Abänderung 
zwar,  jedoch  prinzipiell  die  gleichen  Einflüsse,  die  bei  der  Regeneration 
hervortreten,  wie  bei  der  Normalentwickelung.  Es  sind  vor  allem  die 
spezifischen  Eigenschaften  der  Zellen  des  betreffenden  Organismus,  nur 
dass  sie  hier  meist  nicht  in  ihrer  vollen  Fähigheit  wirken  können,  und 
ferner  die  Abhängigkeit  vom  Ganzen.  In  der  Normalen t wicke- 
lung befinden  sich  beide  Einflüsse  sozusagen  im  Gleich- 
gewicht, weil  hier  der  Entwickelungsgang  von  einem  Stadium  ausgeht, 
wo  das  Ganze,  die  Spezies  nur  eine  einzige  Zelle  darstellt  und  weil 
das  Spezifische  kontinuierlich  auf  jeder  Etappe  bis  zum  vollendeten 
Stadium  gewahrt  bleibt.  Durch  einen  Eingriff  jedoch  werden 
diebeidenEinflüsse  ausser  Gleichgewicht  gebracht,  und 
es  überwiegt  bald  die  eine,  die  Potenz  der  Zellen,    die   über   den  ge- 


*)  Driesch  wendet  dagegen  ein,  dass  wenn  nach  Ersatz  der  Linse  durch  ein 
Kartoffelstückchen  doch  Restitution  eintritt,  und  der  Fremdkörper  höchstens 
mechanisch  deformierend  wirkt,  das  doch  für  die  Rolle  des  „Nichtmehrvorhanden- 
seins'' spricht. 


128  XIII.  Kapitel.     Die  typische  Regeneration 

steckten  Rahmen  hinausgeht,  bald  der  andere,  der  Einfluss  des  Ganzen, 
der  die  Zellen  auch  zu  ungewöhnlichen  Leistungen  veranlasst. 


Die  Vorgänge  der  Regeneration  haben  viele  weitere  Erörterungen 
angeregt,  die  über  das  rein  biologische  Gebiet  hinausgehen.  Man  hat 
sie  als  Beweismaterial  für  die  Wirkung  der  natürlichen  Zuchtwahl 
aufgefasst  und  angenommen,  dass  die  Regenerationskraft  erst  im 
Lauf  der  phylogenetischen  Entwicklung  durch  Anpassung  erworben 
sei ;  zuerst  bei  niederen  Tieren,  die  allen  Unbilden  am  meisten  ausgesetzt 
erscheinen,  bei  den  höheren  Tieren  nur  an  den  Teilen  noch  erhalten 
resp.  besonders  ausgebildet  wurde,  die  einer  Schädigung  am  meisten 
ausgesetzt  wären.  Die  Tatsachen  sprechen  nicht  hierfür;  denn  auch 
innere  Organe,  die  gar  keiner  Verletzung  ausgesetzt  sind,  regenerieren, 
und  bei  den  äusseren  besteht,  wie  besonders  Morgan  ausführlich 
erörtert  hat,  keinerlei  Beziehung  zwischen  der  Chance  der  Schädigung 
und  der  Regenerationskraft,  Man  darf  daher  in  der  Regenerations- 
fähigkeit eine  allgemeine  Eigenschaft  der  lebenden  Substanz  erblicken, 
wie  es  ().  Hertwig  ausspricht,  oder  wenn  man  von  einer  Züchtung 
spricht,  eine  Eigenschaft,  die  jedem  Organismus  angezüchtet  ist,  weil 
jeder  Organismus  sich  erhalten  muss.  Roux  hat  deswegen,  wie  früher 
Moebius  das  Wort  »erhaltungsgemäfs«,  so  neuerdings  das  Wort 
«dauerfähig«  als  allgemeine  dem  Organismus  zukommende  Eigen- 
schaft an  Stelle  von  »zweckmäfsig«  gesetzt,  um  nicht  bei  dem 
organischen  Geschehen  eine  ausserhalb  desselben  liegende ,  von 
anthroponiorphistischen  Vorstellungen  nicht  frei  zu  machenden 
Begriff,  wie  Zweck,  anzuwenden. 

Gerade  für  die  ursächliche  Wirkung  des  Zwecks,  also  für  eine 
Teleologie,  allerdings  im  modernen  Sinne,  sind  auch  die  Erscheinungen 
der  Regeneration,  und  spez.  die  Linsenneubildung  verwertet  worden 
von  H.  Wolff,  dem  ersten  pianmäfsigen  Experimentator  hieran. 
Fischel  hat  gegen  dessen  Auffassung  nach  eigenen  neuen  Ver- 
suchen eingewandt,  dass  der  Verlauf  durchaus  nicht  immer  so  zweck- 
gemäfs  sei,  sondern  dass  Linsen  von  ungenügender  Lichtbrechung, 
an  falscher  Stelle  oder  gar  mehrere  Linsen,  neben-  und  hintereinander 
zu  Stande  kommen  können  (s.  Fig.  106  u.  107).  Das  Ungenügende  des 
Ablaufs  im  einzelnen  würde  aber  doch  nicht  prinzipiell  gegen  die 
W o  1  f  f  sehe  Ansicht  sprechen  ;  wichtiger  sind  Fischeis  schon  oben 
aufgeführte  Auslegungen  des  Regenerationsverlaufs  an  sich.  Wie  bei 
jedem  biologischen  Vorgang  ist  dabei  »Ablauf  und  Erfolg  in  dem 
betreffenden  organischen  System  völlig  festgelegt«,  »einsinnig«  »ohne 
Rücksicht  auf  Wert  und  Nutzen«. 


und  die  Experimente  der  Heteromorphose.  129 

Auch  einer  dritten  Richtung  haben  die  Experimente  der 
Regeneration,  speziell  die  Linsenneubildung  theoretisches  Material 
geliefert,  nämlich  der  Anschauung  von  der  Eigenart  der  Lebens- 
vorgänge, dem  modernen  Vitalimus,  wie  ihn  gegenwärtig  Driesch 
vertritt.  Wir  sehen  bei  der  Regeneration  nach  seiner  Anschauungs- 
weise Ȋquipotentielle  Systeme,  aber  mit  komplexen  Potenzen  ent- 
stehen; komplex,  weil  sie  nicht  ein  einzelnes  leisten,  sondern  eine 
Leistungsfolge«,  und  solche  Potenzverteilung  ist  nach  ihm  mit  materiali- 
stischen, d.  h.  rein  physikalisch-chemischen  Mitteln  nicht  zu  denken. 

Die  Erörterung  dieser  Theorien  führt  über  den  Rahmen  unserer 
Besprechungen  in  das  rein  philosophische  Gebiet.  Mit  dem  schon 
früher  zitierten  Wort  einer  »einseitigen  Ausdeutung  des  zurzeit  Un- 
bekannten« sind  die  jüngsten  Driesch 'sehen  Anschauungen  nicht 
widerlegt;  auch  die  Gegner  seiner  Theorie,  wie  z.  B.  Roux,  geben 
zu,  dass  den  Vorgängen  der  Regeneration  »bei  dem  gegenwärtigen 
Stand  unserer  Erkenntnis  oder  vielmehr  unserer  Unkenntnis  etwas 
Metaphysisches  anhaftet«,  oder  sie  erkennen,  wie  Lisch el,  an,  »dass 
es  Tatsachen  gegenüber,  die  uns  sonst  vollkommen  rätselhaft  und 
unerklärbar  erscheinen  müssen,  immer  schon  einen  grossen  Gewinn 
bedeutet,  wenn  wir  sie  auf  ein  allgemeines,  wenn  auch  vor  der 
Hand nicht  näher  erklärbares  Gesetz  zurückzuführen  ver- 
mögen«. Während  laut  Driesch  das  Unzureichende  der  materialisti- 
schen Auffassung  bewiesen  ist,  vertritt  Roux  wie  andere  die  Ansicht, 
dass  wir  zur  Zeit  weder  das  vitalistische  Geschehen,  noch  die  zu- 
reichende Fähigkeit  der  rein  physikalisch-chemischen  Ableitungen  be- 
weisen können,  und  rät  einstweilen  zum  verzichtenden  Abwarten. 

Es  mag  darauf  hingewiesen  werden,  dass  manche  Vorgänge  der 
Einwirkung  des  Ganzen  auf  die  Teile,  oder  scheinbare  Fernwirkungen 
der  Teile  eines  Ganzen  aufeinander,  sogen.  Korrelationen,  die  lange 
ebenso  rätselhaft  schienen,  mit  der  Zeit  zum  Teil  eine  ausreichende 
biologische  Erklärung  gefunden  haben;  z.B.  die  Wirkung  der  Schilddrüse 
im  Gesamtorganismus;  dass  von  anderen  Korrelationen  wenigstens  ein 
Teil  ihrer  Komponenten  bekannt  und  aufgelöst  wurde;  wir  dürfen 
daher  auf  diesem  Weg  auf  für  diese  rätselhafte  Wirkung  des  Ganzen 
auf  die  Teile,  wie  sie  bei  der  Regeneration  zu  bemerken  ist,  mit  der 
Zeit  ein  Verständnis  erwarten,  olme  zu  einem  neuen,  vitalistischen 
Prinzip  zu  greifen.  Es  soll  sich  darum  hier  die  Erörterung  dieser 
Wechselbeziehungen  der  Teile  untereinander,  die  sich  als  innere  Ur- 
sachen auch  im  Entwickelungsgang  geltend  machen,  hier  anschliessen. 


Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgeschichte. 


B.  Innere  Faktoren  der  Entwickelung. 


XIV.  Kapitel. 

Die  Korrelation  der  Teile  und  die  Experimente  an  funktionierenden 

Organen. 

Die   Regeneration   von   Leber,   Niere,  Blutkörperchen.     Chemische  Korrelationen. 
Die  Wirkung   der  Experimente    an   der   Schilddrüse   auf  den   Körper.     Die   Sexual- 
organe, und  ihre  Wirkung  auf  den  Gesamtorganismus.     Folgen  der  Kastration. 

Noch  in  der  Zeit  vor  der  entwickelungsphysiologischen  Richtung 
waren  einige  gestaltende  Wirkungen  von  Teilen  des  Organismus  auf- 
einander bekannt  und  unter  dem  Namen  Korrelation  vielfach  er- 
örtert, besonders  in  Darwinistischen  Schriften.  Im  Sinne  der  neueren 
Entwicklungslehre  sind  Korrelationen  Erscheinungen,  bei  denen  ein 
Organ  auf  direktem  Weg,  etwa  durch  ein  ihm  eigenes  Stoffwechsel- 
produkt, oder  durch  Berührung  oder  sonstwie  ein  anderes  beeinflusst. 
Es  ist  daher  eine  Einteilung  der  Korrelationen  in  chemische,  physi- 
kalische, durch  Nervenleitung  übermittelte  etc.  möglich. 

Solche  Beeinflussungen  sind  in  den  meisten  Fällen  nur  von  einem 
Organ  auf  ein  zweites  oder  drittes  bekannt,  sie  sind  aber  selbst- 
verständlich zwischen  allen  Organen  direkt  und  indirekt  anzunehmen, 
sodass  dadurch  der  Organismus  als  Ganzes  beeinflusst  wird  und 
darin  wieder  umgekehrt  der  sog.  Einfluss  des  Ganzen  auf  die  Teile 
besteht.  Sie  spielen  darum  die  Hauptrolle  bei  der  Regulation  im 
weitesten  Sinne  von  Driesch,  ein  Vorgang  am  lebenden  Organis- 
mus, durch  welchen  eine  Störung  seines  normalen  Zustandes  kom- 
pensiert wird.  Die  Störung  braucht  nicht  gerade  eine  Materialent- 
nahme zu  sein,  sondern  kann  auch  in  einer  Formveränderung,  Ver- 
biegung  etc.  bestehen ;  in  letzterem  Fall  bewirkt  die  Korrelation  einen 
»Ausgleich  durch  Verlagerung  und  Wachstum«,  im  ersteren  Fall 
veranlasst  sie  die  Regeneration.  Dieser  Zusammenhang  von  Kor- 
relation und  Regeneration  zeigt  sich  besonders  deutlich  bei  der  Re- 
generation innerer  Organe,  die  in  diesem  Kapitel  besprochen 
werden  soll. 


XIV.  Kapitel.     Die  Korrelation  der  Teile.  131 

Wir  kennen  im  erwachsenen  Zustand,  dank  der  Physiologie,  für 
die  meisten  der  einzelnen  Organe  die  Bedeutung  und  Funktion; 
die  gegenseitige  Beeinflussung  der  Organe,  die  Korrelation  ist 
darum  am  besten  zu  studieren,  wenn  diese  Organe  ausgebildet  sind 
und  funktionieren,  und  demnach  bei  einer  Störung,  einer  Material- 
entnahme diese  bekannte  Funktion  sistiert  oder  verändert  wird. 
Ebenso  ist  aber  eine  Korrelation,  wenn  auch  nicht  in  so  aus- 
gesprochenem Grade,  bei  werdenden  Organen  vorhanden  und  als 
gegenseitige  Beeinflussung  der  Teile  und  schliesslich  der  Zellen  bis 
in  die  frühesten  Stadien  der  Entwickelung  festzustellen.  Es  sind  dies 
die  sog.  »inneren  Faktoren«  der  Entwickelung;  diejenigen,  die  sich 
durch  den  Ent wickelungsgang  selbst  ergeben.  Diese  allererste 
Periode  der  Entwickelung  hat  in  dieser  Hinsicht  vielfache  experi- 
mentelle Behandlung  erfahren,  wie  in  früheren  Kapiteln  auseinander- 
gesetzt worden  ist;  und  hier  sind  die  spezifischen  Faktoren  mit  den 
inneren  zugleich  erörtert  worden.  Die  mittlere  Periode  jedoch,  die 
Organanlage,  ist  dem  Experiment  weniger  zugänglich.  Zwar  liegen 
auch  hier,  besonders  neuerdings,  zahlreiche  interessante  Versuche  vor; 
doch  ist  deren  Deutung  schwierig,  weil  die  Organe,  wenn  sie  noch 
nicht  funktionieren,  sich  nicht  in  der  gleichen  Weise  beeinflussen,  wie 
in  der  funktionellen  Periode,  und  darum  auch  ihre  Ausschaltung  oder 
eine  Störung  nicht  denselben  Effekt  hat.  Zum  besseren  Verständnis 
sind  daher  zuerst  die  Korrelationen  am  ausgebildeten  Körper,  also 
zwischen  funktionierenden  Organen  zu  betrachten,  wie  sie  durch 
zahlreiche  Versuche  und  teilweise  durch  die  pathologische  Anatomie 
bekannt  sind.  Diese  Korrelationserscheinungen  am  Erwachsenen  sind 
also  doppelt  wichtig ;  einerseits  werfen  sie  ein  Licht  auf  das  Zustande- 
kommen der  Regeneration  im  allgemeinen,  andererseits  lassen  sie 
uns  die  Korrelationswirkungen  im  werdenden  Organismus,  die 
»inneren  Faktoren«  verständlicher  erscheinen. 

Eine  Regeneration  eines  inneren  Organs,  die,  wie  die  Prometheus- 
fabel zeigt,  wohl  schon  den  Alten  bekannt  war,  findet  bei  Entnahme 
von  Leb  er  Substanz  statt.  Nach  Exstirpation  einzelner,  selbst  grosser 
Teile,  ist  der  zurückbleibende  Rest  nicht,  funktionsgestört ;  er  beginnt 
aber  doch  ein  sehr  energisches  Wachstum.  Daran  beteiligen  sich  so- 
wohl die  Leberzellen,  als  auch  die  entwickelungsgeschichtlich  ver- 
wandten (auf  frühem  Stadium  noch  mit  ihnen  ein  Elementarorgan 
bildenden)  Zellen  der  Gallenkapillaren,  und  man  sieht,  was  im 
normalen  ausgewachsenen  Zustand  niemals  vorkommt,  Kernteilungs- 
figuren in  den  Leberzellen  als  Anzeichen  dieser  Vermehrung. 


132  XIV.  Kapitel.     Die  Korrelation  der  Teile  und  die 

Auch  das  neugebildete  Gewebe  ist,  wie  immer  fortgesetzte  Ent- 
nahmen zeigen,  ebenso  regenerationsfähig,  wie  das  ursprünglich  ver- 
bliebene. Die  regenerierte  Lebersubstanz  ist  weniger  kompakt,  wie 
die  normale,  kann  aber  dafür  um  so  grösseren  Umfang  gewinnen, 
sodass  anzunehmen  ist,  dass  die  ursprüngliche  Substanzmenge  er- 
reicht wird. 

Die  Anregung  zur  Neubildung  geht  hier  nicht  von  der  Wund- 
fläche aus ;  auch  kann  kein  formbestimmender  Einfluss  des  Ganzen 
angenommen  werden,  sondern  der  Reiz  ist  in  der  chemischen  Be- 
schaffenheit der  Blutbestandteile  zu  suchen,  die  in  die  Leber  gelangen. 
Im  Säugetierkörper  erfüllt  die  Leber  die  Aufgabe,  bestimmte  Stoffe, 
die  ihr  in  vorbereiteter  Weise  von  Darm  und  Milz  durch  den  Blut- 
strom zugeführt  werden,  weiter  zu  verarbeiten  und  zwar  einerseits 
zu  Gallenbestandteilen,  die  ausgeschieden  werden,  andererseits  zu 
Glykogen,  das  weitergeführt  wird.  Bei  Verminderung  der  Substanz 
wird  ein  grosser  Überschuss  solcher  zur  Verwandlung  in  Galle  und 
Glykogen  bestimmter  Stoffe  in  dem  kleinen  Leberrest  vorhanden  sein 
und  dadurch  einen  Reiz  zur  Vermehrung  ausüben,  der  so  lange 
wirkt,  bis  ein  ungefährer  Ausgleich  hergestellt  ist. 

Ein  weiterer  Fall,  wo  korrelative  Wirkungen  bei  der  Regeneration 
innerer  Organe  tätig  sind,  bietet  sich  bei  Entfernung  der  Niere.  Es 
ist  sowohl  am  Menschen  von  Chirurgen  eine  solche  ausgeführt,  als 
auch  am  Tiermaterial  die  Wirkung  der  Exstirpation  experimentell 
geprüft  worden.  Es  zeigt  sich  stets  eine  sehr  starke  Vergrösserung 
der  anderen,  noch  verbleibenden  Niere.  Besonders  ist  die  Rinden- 
substanz daran  beteiligt,  wo  die  gewundenen  Harnkanälchen  liegen, 
deren  Zellen  im  normalen  Leben  die  Ausscheidung  der  im  Blut  ge- 
lösten Harnstoffe  besorgen.  Man  sieht  die  ganzen  Epithelien  umfang- 
reicher, die  einzelnen  Zeilen  grösser  werden,  und  zahlreiche  Kern- 
teilungsfiguren erscheinen  in  ihnen ;  alles  Zeichen  der  starken  Gewebs- 
vermehrung,  die  darauf  ausgeht,  die  verminderte  Substanz  wieder  auf 
gleiche  Höhe  zu  bringen.  Dies  kann  manchmal  so  weit  gehen,  dass 
die  zurückbleibende,  einseitige  Niere  Umfang  und  Gewicht  ver- 
doppelt. 

Die  Erklärung  des  Ausgleichs  ergibt  sich  durch  die  entsprechende 
chemische  Beeinflussung  wie  bei  Verminderung  der  Lebersubstanz. 
Alle  Gewebe  und  Organe  des  Körpers  scheiden  durch  den  Lebens- 
prozess  verbrauchte  Stoffe  ins  Blut  aus,  die  dann  durch  die  Tätigkeit 
der  Nieren zellen  weiter  verarbeitet  und  gänzlich  ausgeschieden  werden ; 


Experimente  an  funktionierenden  Organen.  133 

bei  Nierenexstirpation  wird  deren  Verhältnis  zum  vorhandenen  Nieren- 
gewebe viel  grösser;  die  chemische  Fabrik  der  Niere  muss  sozusagen 
neue  Arbeiter  einstellen,  und  es  wird  durch  den  Reiz  der  über- 
schüssigen harnfähigen  Substanzen  solange  ein  Reiz  zur  Vermehrung 
der  Nierenepithelien  etc.  ausgeübt,  bis  ein  annähernder  Ausgleich  er- 
reicht ist. 

Dass  nicht  an  gleicher  Stelle  ein  Wiederersatz  der  exstirpirten 
Niere  eintritt,  sondern  dass  die  zurückbleibende,  so  entfernt  liegende 
diesen  physiologischen  Ersatz  leistet,  ist  wohl  ein  Hinweis  darauf, 
dass  nicht  das  Ganze  in  dunkler  form  bestimmender  Weise  hier 
einwirkt,  sondern  der  chemische  Reiz,  und  ferner  dafür,  dass  die 
Ersatzfähigkeit  des  gleichen  resp.  nächst  verwandten  Gewebes  be- 
stimmend ist. 

In  ähnlicher  Weise  wirkt  auch  bei  atmenden  Organen,  seien  es 
Kiemen  oder  Lungen,  das  mit  Kohlensäure  beladene  Blut,  welches 
daselbst  seine  Kohlensäure  gegen  Sauerstoff  austauschen  will,  auf  die 
betreffenden  Organe  vergrössernd  ein.  Hier  hat,  um  Cuviers  Aus- 
drucksweise zu  gebrauchen,  die  Natur  gewissermafsen  selbst  die 
Experimente  angestellt ;  wenn  wir  verschiedene  Tierarten  mit  ge- 
ringerem und  mit  intensiverem  Lebensprozess  betrachten,  so  sehen  wir 
Hand  in  Hand  mit  dieser  physiologischen  Mehrleistung  auch  eine 
Vergrößerung  der  atmenden  Fläche  durch  Alveolenbildung,  Ein-  und 
Ausstülpung  etc.  auftreten.  In  der  Einzelentwickelung  ist  natürlich 
diese  vergrösserte  Atemfläche  schon  angelegt,  ehe  sie  in  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  zur  Verwendung  gelangt,  nur  die  Abflachung  der  Wand- 
zellen, die  Ausbildung  des  eigentlichen  Atemepithels  erfolgt  erst  mit 
der  ersten  Atmung  selbst.  Hierbei  sind  aber  Druckverhältnisse  und 
wohl  auch  oxygenotaktische  Wirkungen  (s.  p.   157)  mafsgebend. 

Durch  ein  Experiment  lässt  sich  beim  Grottenmolch,  Proteus 
anguineuSj  der  sowohl  Kiemen  wie  Lungen  gleichzeitig  funktionierend 
besitzt,  der  korrelative  Einfluss  des  mit  Kohlensäure  beladenen  Blutes 
zeigen.  Wenn  man  ihn  in  sehr  seichtem  Wasser  hält,  so  entwickeln 
sich  die  Lungen  gut  und  die  Kiemen  treten  zurück;  zieht  man  ihn 
dagegen  künstlich  in  tiefem  Wasser,  so  gewinnen  die  Kiemen  eine 
sehr  grosse  Ausdehnung  und  die  Lungen  verschwinden  nahezu.  In 
beiden  Fällen  vergrössert  das  mit  Kohlensäure  beladene  Blut  diejenige 
Atemiiäche,  in  der  es,  je  nach  den  Lebensumständen  zirkuliert. 

Eine  ähnliche  Korrelation  in  chemischer  Beziehung,  jedoch  ohne 
eigentlich  gestaltende  Wirkung   zeigt   sich  bei  starker  Entnahme  von 


134  XIV.  Kapitel.     Die  Korrelation  der  Teile  und  die 

roten  Blutkörperchen.  Diese  sind  es  ja  gerade,  die  mit  ihrem 
Hämoglobingehalt  den  Austausch  von  Kohlensäure  gegen  Sauerstoff  in 
den  Atem organen  vermitteln.  Bei  ausgiebiger  Verminderung  wird  den 
zurückbleibenden,  weil  ja  der  Lebensprozess  unverändert  geblieben 
ist,  eine  im  Verhältnis  viel  zu  grosse  Leistung  aufgebürdet  und  da- 
durch eine  Vermehrung  angeregt.  Diese  Vermehrung  kann  nicht 
durch  die  fertigen  roten  Blutkörperchen  geschehen,  weil  diese  ihren 
Kern  eingebüsst  haben  und  eigentlich  keine  Zelle  selbst,  sondern  ein 
Zellprodukt  darstellen;  sie  geschieht  daher  vom  genetisch  nächstver- 
wandten Gewebe,  und  zwar,  wie  die  Experimente  an  Reptilien, 
Vögeln  und  Säugetieren  zeigen,  besonders  vom  Knochenmark  aus. 
Die  Fettzellen  daselbst  verschwinden,  es  finden  sich  zahlreiche  Jugend- 
formen kernhaltiger  Blutkörperchen,  und  die  erforderliche  Menge  ist 
anscheinend  bald  wieder  hergestellt.  Eine  ähnliche  Vermehrung 
kann  man  auch  erreichen,  wenn  man  nicht  mechanisch,  durch  Blut- 
körperchenentnahme, sondern  rein  chemisch  vorgeht,  indem  man 
durch  gewisse  Injektionsmittel  das  Hämoglobin  zerstört. 

Auch  die  vielbesprochene  Wirkung  der  Schilddrüse  ist  eine 
Korrelation  chemischer  Art ;  doch  hat  sie  keine  eigentliche  gestaltende 
Bedeutung.  Es  wirkt  kein  normativer  Reiz  laut  Herbst,  sondern 
»ihr  Einfluss  ist  nur  eine  der  zahlreichen  Bedingungen,  von  denen 
die  normale  Reaktionsfähigkeit  der  Gewebe  auf  gestaltauslösende 
Reize  abhängt«.  Dennoch  ist  sie  in  diesem  Zusammenhang  zu  be- 
sprechen, weil  ihre  Tätigkeit  ein  Licht  wirft  auf  gewisse,  zunächst 
noch  rätselhaftere  Korrelationen  bei  den  sekundären  Sexualcharakteren. 
Die  Schilddrüse  ist,  wie  durch  zahlreiche  Experimente  und 
chemisch-physiologische  Untersuchungen  festgestellt  ist,  ein  Organ, 
in  welchem  die  Beschaffenheit  des  ihr  in  reichlichem  Netzwerk  zu- 
strömenden Blutes  verändert  wird ;  es  werden  in  ihr  gewisse  Stoffe 
aus  dem  Blut  herausgebildet  (so  ein  mit  Jod  verbundener  besonderer 
Eiweisskörper,  das  Thyreo] odin),  und  zum  Teil  in  ihr  aufgespeichert, 
zum  Teil  weiter  geleitet.  Auch  die  Schilddrüse  secemiert  also;  aber 
weil  ihre  Produkte  nicht  wie  bei  den  Speicheldrüsen,  der  Niere  etc. 
nach  aussen  abgegeben,  sondern  aufbewahrt  werden,  oder  teilweise, 
wohl  durch  die  Lymphbahnen,  ins  Blut  zurückgelangen,  so  kann  sie 
nur  als  ein  Organ  interner  Sekretion  bezeichnet  werden.  Es  ist  da- 
her begreiflich,  wenn  bei  ihrer  Entfernung  oder  teilweisen  Zerstörung- 
schwere  Schädigungen  eintreten,  weil  ja  ihre  chemische  Korrelation, 
die  notwendige  Veränderung  des  Blutes  ausbleibt.  Es  folgt  bei  der 
totalen  Entfernung  meist  bald  der  Tod ;  bei  der  partiellen  eine  schwere 


Experimente  an  funktionierenden  Organen. 


135 


Störung,  die  sich  in  mangelhafter  Knochenausbildung,  in  Absterben 
von  grossen  Teilen  der  Körperhaut,  auch  in  Gehirnschädigungen  u.  a. 

äussert.  Der  verbliebene  Rest  der  Schilddrüse  vermag  den  Anforde- 
rungen des  chemischen  Betriebs  nicht  zu  genügen,  und  da  die  Ersatz- 
fähigkeit des  zurückbleibenden  Gewebs  im  Gegensatz  zu  Leber, 
Niere  etc.  hier  sehr  gering  oder  gleich  Null  ist,  so  ist  kein  Ausgleich 
möglich. 

Fißr.  108. 


Fig.  108.  Sagittalschnitt  durch  das  Vorderende  eines  Krötenembryo,  um  die  Ent- 
stehung von  Hypophyse  und  Tlryrioidea  zu  zeigen  (z.  T.  nach  Goette). 
c  =  Gehirn,  ch  =  Chorda,  p  =  Parietalorgan.  hy  =  Hypophysenanlage, 
d  =  Kopfdarm,  tli  =  Schilddrüsenanlage. 


Sehr  bemerkenswert  ist,  dass  unter  Umständen  nach  teilweiser 
Schilddrüsenentfernung  ein  anderes  Organ,  die  Hypophyse  des  Gehirns, 
eine  Wucherung  und  vermehrte  Tätigkeit  der  Zellen  zeigt.  Die 
Hypophyse  kann  in  früheren  Stadien  der  Entwicklung  in  einen 
gewissen  genetischen  Zusammenhang  mit  der  Schilddrüse  gebracht 
werden,  beide  stammen,  wenn  auch  in  zeitlichen  Abständen  von 
demselben  Mutterboden,  einem  Elementarorgan  (s.  Fig.  108).  Es  ist 
daher  nach  dem  im  vorigen  Kapitel  erläuterten  verständlich,  dass  bei 
mangelnder  Regenerationskraft  der  Schilddrüsensubstanz,  das  nächst- 


136  XIV.  Kapitel.     Die  Korrelation   der  Teile  und  die 

verwandte  Gewebe  sozusagen  versucht,  dafür  einzutreten;   der  Erfolg 
ist  allerdings  nur  ein  teilweiser. 

Dass  es  sich  nicht  um  einen  morphologisch  bestimmenden  Ein- 
fluss  des  Ganzen,  sondern  um  eine  chemische  Korrelation  handelt,, 
zeigt  sich  auch  darin,  dass  die  schwere  Schädigung  ausbleibt,  wenn 
die  Schilddrüse  zwar  von  ihrem  Platz  entfernt,  aber  an  anderer  Stelle 
(der  Bauchhöhle)  dem  funktionierenden  Organismus  wieder  »einverleibt« 
wird.  Es  wird  das  noch  ferner  bekräftigt  dadurch,  dass  die  schon 
eingetretene  Störung  aufgehoben  oder  gemindert  werden  kann  durch 
blosse  Verfütterimg  von  Schilddrüsensubstanz,  oder  noch  besser  durch 
Eingabe  des  spezifischen  chemischen  Körpers,  des  Thyreojodins. 

An  derartige  chemische  Korrelationen  lassen  sich  am  besten  die 
auffälligen  Erscheinungen  der  sekundären  Sexualcharaktere  an- 
reihen, also  gestaltlicher  Ausprägungen  am  Körper,  die  entsprechend 
dem  Geschlecht  auftreten,  die  aber  von  den  Geschlechtsdrüsen  selbst 
entfernt  liegen  und  auch  mit  der  Ausübung  der  Geschlechtsfunktion 
in  keinem  oder  nur  sehr  lockerem  Zusammenhang  stehen.  Als  be- 
kannteste Beispiele  mögen  wie  immer  die  Geweihe  der  Hirsche,  die 
Sporen  und  der  Kamm  des  Hahns  und  der  Bart  des  Mannes  her- 
halten. Der  Zusammenhang  mit  den  Geschlechtsdrüsen  schien  in 
einer  lange  bekannten,  wenn  auch  bislang  rätselhaften  Weise,  dadurch 
hervorzugehen,  dass  bei  Entfernung  der  Genitaldrüsen  auch  Störungen 
an  den  so  entfernt  liegenden  Organen  der  sekundären  Sexualcharaktere 
eintraten.  Die  Wirkungen  der  Kastration,  in  unzähligen  medizinischen 
Schriften  einzeln  niedergelegt,  sind  von  Herbst  und  besonders  von 
Herrn.  Hahn  zusammengestellt  und  kritisch  gesichtet  worden. 
Hahn  hat  auch  die  Wirkungen  an  den  Ausfuhrwegen  und  Anhangs- 
drüsen der  Geschlechtsorgane  selbst  herangezogen,  weil  diese  Erschei- 
nungen ebenfalls  keine  direkten  Wirkungen,  sondern  Korrelationen 
darstellen. 

Es  können  sonach  Lokal-  und  Fernwirkungen  der  Kastration 
unterschieden  werden.  Beim  männlichen  Geschlecht  erfolgt  nach 
beiderseitiger  Hodenentnahme  (nicht  nach  einseitiger)  eine  Reduktion 
der  Prostratadrüse,  und  zwar  wrird  davon  die  glanduläre  Substanz 
mehr  wie  die  fibröse  betroffen,  so  dass  die  ganze  Drüse  kleiner  und 
fester,  jedoch  ebenso  funktionsunfähig  wie  beim  alternden  Individuum 
wird.  Entsprechend  wirkt  die  Kastration  auf  den  Uterus,  nur  dass 
hier  die  Muskelsubstanz  ebenso  von  der  Reduktion  betroffen  wird, 
wie  die  Schleimhaut,  Gemeinsam  mit  dem  männlichen  Geschlecht 
ist,    dass   gerade  der   sonst  funktionierende  Gewebsanteil  am  meisten 


Experimente  an  funktionierenden  Organen.  137 

rückgebildet  wird,  sowie  dass  eine  erhebliche  Wirkung  der  Kastration 
auf  diese  Teile  nur  dann  eintritt,  wenn  sie  in  jugendlichem  Alter 
vorgenommen  ist.  Das  gleiche  gilt  für  den  Einfluss  auf  die  Brust- 
drüsen und  die  Milchabsonderung,  die  sich  ebenfalls  bei  im  Alter 
nach  der  Tragzeit  kastrierten  Tieren  nicht  mehr  nennenswert  ver- 
ändern. 

Noch  mehr  gilt  die  Bedeutung  der  Zeit  der  Kastrationsvornahme 
für  diejenigen  Effekte,  die  nicht  am  Genitaltraktus  selbst,  sondern 
teils  am  Gesamtkörper,  teils  an  bestimmten  Organsystemen  (als 
sekundäre  Sexualcharaktere)  sich  geltend  machen,  und  die  von  Hahn 
zusammen  als  Fernwirkungen  der  Kastration  bezeichnet  werden. 
Wenn  der  Eingriff  im  jugendlichen  Alter  vorgenommen  wurde,  so 
treten  namhafte  Veränderungen  am  gesamten  Skelett  ein,  am  Becken  etc. ; 
doch  sind  dies  keine  Hinneigungen  zur  Ausprägung  des  andern  Ge- 
schlechtes, sondern  Veränderungen  allgemeiner  Art,  die  in  chemisch 
mangelhafter  Beschaffenheit  des  Knochenmaterials  ihren  Grund  haben. 
Es  treten  ferner  gewisse  Störungen  in  der  Ausbildung  verschiedener 
Hautanhänge,  der  Behaarung  etc.  ein;  auch  der  Kehlkopf  bleibt  auf 
jugendlicher  Form  stehen.  In  ausgereiftem  Zustand  des  Körpers  vor- 
genommen, hat  die  Kastration  nicht  mehr  diese  Wirkung;  nur  die 
Cerviclengeweihe,  die  ja  immer  wieder  periodisch  erneuert  werden, 
werden  auch  dann  durch  die  Kastration  betroffen.  Auch  diese  Tat- 
sache spricht  für  den  Chemismus  dieser  Korrelation.  Noch  mehr 
eine  Reihe  weiterer  Veränderungen,  die  sich  in  der  Blutbildung,  im 
Gesamtstoffwechsel  geltend  machen,  und  die  im  Gegensatze  zu  den 
obigen  Erscheinungen  besonders  im  weiblichen  Geschlecht  studiert 
worden  sind.  Auch  die  leichte  Mästung,  die  bei  kastrierten  Tieren 
zu  erreichen  ist,  darf  zu  diesen  allgemeinen  chemischen  Einflüssen 
gerechnet  werden.1) 

Wir  sehen  also,  dass  die  Keimdrüsen  zu  sehr  verschiedenartigen 
Teilen  des  Körpers  in  Beziehung  stehen,   und   es   fragt   sich,    welche 


!)  Ein  lehrreiches  Gegenstück  zu  dieser  Mästung  bildet  die  bekannte  Tat- 
sache, dass  Fische,  die  zum  Laichen  flussaufwärts  wandern,  z.  B.  der  Lachs,  während 
dieser  langen  Wanderung  nichts  fressen,  sondern  die  Weiterausbildung  von  Ovarien 
und  Hoden  auf  Kosten  ihrer  eigenen  Gewebe,  besonders  der  Muskulatur  geschehen 
lassen.  Dies  Verhältnis  ist  so  festgelegt,  dass  umgekehrt,  wenn  die  Tiere  durch 
künstlichen  Anreiz  zum  Fressen  gebracht  werden,  eine  Reduktion  der  Geschlechts- 
organe eintritt,  und  Reifung  und  Eiablage  je  nachdem  ausbleiben.  Die  Korrelation 
wird  hier,  nach  Hof  er  s  Vermutung,  durch  den  Blutstrom  vermittelt:  nach  dem 
Fressen  tritt  eine  reichliche  Umspülung  des  Darms  ein,  und  so  wird  den  Genital- 
drüsen eine  beträchtliche  Blutzufuhr  entzogen. 


l;',S  XIV.  Kapitel.     Die  Korrelation  der  Teile. 

Vorstellungen  können  wir  uns  machen,  über  die  Art  der  von  ihnen 
ausgehenden  Reize  und  über  deren  Wege.  Man  hat  zunächst  an 
Nervenreize  zu  denken.  Allerdings  war  nach  dem  bekannten  Versuch 
von  Goltz,  der  nach  Durchschneidung  des  Lendenmarks  bei  einer 
Hündin  noch  Konzeption,  Gravidität  und  Geburt  normal  verlaufen 
--ali,  und  nach  der  Rein  sehen  nervösen  Isolierung  des  Uterus  vom 
spinalen  und  sympathischen  System,  die  keine  Atrophie  des  Uterus 
zur  Folge  hatte,  ausgeschlossen,  dass  eine  solche  Beeinflussung  vom 
Rückenmark  oder  Sympathikus  her  stattfinde.  Jedoch  hatte  man 
dann  in  der  Keimdrüse  selbst  ein  besonders  ernährendes  Nerven- 
zentrum, wenigstens  für  den  übrigen  Teil  des  Sexualapparates  an- 
genommen. Dagegen  spricht  jedoch ,  dass  halbseitige  Kastration 
keinerlei  Einfluss,  auch  nicht  auf  die  Teile  der  entsprechenden  Seite 
hat,  und  ferner  lassen  sich  die  Allgemeinwirkungen  z.  B.  auf  den 
Stoffwechsel,  auf  das  Längenwachstum  des  Skeletts  nicht  damit  er- 
klären. Am  entschiedensten  sprechen  jedoch  gegen  solche  trophische 
Nervenbahnen  die  vielen  interessanten  Experimente  der  Transplantation 
der  Keimdrüsen,  wie  sie  an  Hunden,  Kaninchen,  Meerschweinchen 
und  Hähnen  angestellt  worden  sind.  Man  kann  die  Keimdrüsen 
noch  so  weit  wegverpflanzen,  so  dass  von  einer  Erhaltung  einer 
Nervenbahn  keine  Rede  mehr  sein  kann;  wenn  nur  die  Einheilung 
gelingt,  bleiben  alle  Folgeerscheinungen  aus,  das  Tier  kann  zeugen 
resp.  gebären,  nähren,  wie  ein  normales.  Umgekehrt  kann  man  auch 
die  beeinflussten  Teile  verpflanzen;  so  hat  Ribbert  beim  neugeborenen 
Meerschweinchen  die  Mammardrüsen  unter  die  Haut  der  Aussenseite 
der  Ohren  transplantiert.  Als  einige  Zeit  darauf  das  Tier  trächtig 
wurde  und  Junge  warf,  erfolgte  die  Milchabsonderung  aus  der  Mamma 
hinter  dem  Ohr!  Die  Anregung  kann  also  nur  durch  die  Blutbahn 
und  demnach  auf  rein  chemischem  Wege  erfolgt  sein.  Der  Chemis- 
mus der  Korrelation  zeigt  sich  auch  darin,  dass  nach  schon  erfolgter 
Kastration  ein  Teil  der  Folgeerscheinungen  wieder  aufgehoben  oder 
verhindert  werden  kann ,  wenn  man  Keimdrüsensubstanz  an  die 
operierten  Tiere  verfüttert,  analog  dem  Verhalten  der  Schilddrüse. 

Man  kann  also  den  Keimdrüsen  im  Organismus  ausser  ihrer 
eigentlichen  Leistung  noch  eine  chemische  Funktion  zusprechen. 
Man  braucht  sich  dies  nicht  so  vorzustellen,  dass  da  zwei  völlig  ge- 
trennte Aufgaben  vorlägen,  die  Erzeugung  der  Geschlechtsstoffe  und 
ausserdem  eine  innere  Sekretion  von  chemischen  Stoffen,  die  Wachs- 
tum  und   Stoffwechsel   regulieren,    sondern  darf  vielleicht  annehmen, 


XV.  Kapitel.     Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.  139 

dass   durch   die   Produktion   der   Geschlechtsstoffe   selbst    schon    eine 
derartige  Veränderung  des  Gesamtchemismus  hervorgebracht  wird. 

Wie  man  sich  die  gestaltende  "Wirkung  im  einzelnen  vorzu- 
stellen hat,  bleibt  freilich  noch  aufzuklären;  doch  haben  die  Experi- 
mente viel  dazu  beigetragen,  durch  Zerlegung  der  Wirkungsweise  und 
Erklärung,  wenigstens  einiger  Komponenten,  auch  den  andern  das 
Mystische  zu  nehmen. 


XV.  Kapitel. 

Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.    Die  funktionelle  Struktur 
und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment. 

Die    direkte   und   indirekte    mechanische   Beeinflussung^ von  Geweben.     Struktur 

des    Bindegewebes    und    der    Knochen    bei    Wirbeltieren.     Die    Hartgebilde    bei 

niederen  Tieren.     Das  Skelett  der  Spongien. 

An  die  erörterten  gegenseitigen  chemischen  Beeinflussungen 
der  Organe  und  Gewebe  lassen  sich  mechanische  Beeinflussungen 
anreihen,  infolge  deren  sich  am  Körper  bestimmte  Einrichtungen 
ausbilden,  also  ebenfalls  Korrelationen,  die  eine  gewisse  gestaltende 
Wirkung  auslösen. 

Die  mechanische  Inanspruchnahme  hängt  mit  der  Funktion  des 
betreffenden  Organs  zusammen.  Es  sorgt  z.  B.  die  glatte  Muskulatur 
im  Wirbeltierkörper,  die  um  Hohlräume  herum  angeordnet  ist,  für 
deren  Entleerung  und  bildet  sich  in  entsprechenden  Zügeu  aus.  Ist 
durch  Hindernisse,  sagen  wir  in  der  Blase  durch  Verengerung  der 
Harnröhre,  eine  vermehrte  Ansammlung  von  Flüssigkeit  Regel  ge- 
worden, so  verstärkt  sich  auch  die  Muskulatur  in  entsprechenden 
Lagen.  Ein  anderes  bekanntes  Beispiel  bieten  die  Knochen  der 
Wirbeltiere;  sie  werden  durch  ihre  Funktion  in  gewissen  Richtungen 
besonders  in  Anspruch  genommen.  Die  eigentliche  Knochensubstanz 
ordnet  sich  darum  jenen  nach  den  Konstruktionsprinzipien  der 
Ingenieure  in  gewissen  Druck-  und  Zuglinien  an,  und  auch  nach 
Veränderungen  bei  Knochenbrüchen  bilden  sich  diese  Konstruktions- 
linien der  jeweiligen  neuen  Inanspruchnahme  entsprechend  aus  (s.  u. 
p.  146).  Auch  von  wirbellosen  Tieren  Hessen  sich  zahlreiche  ent- 
sprechende Beispiele  anführen.  Der  Schalenbau  der  Foraminiferen, 
den  besonders  Rhumbler  untersucht  hat,   die  Schwebstacheln  vieler 


140  XV.   Kapitel.     Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.     Die  funktionelle 

Planktontiere,  die  den  Reibungswiderstand  des  Wassers  erhöhen, 
wären  hier  zu  nennen. 

Man  hat  also,  weil  die  gestaltliche  Ausprägung  einen  Zusammen- 
hang mit  der  Funktion  erkennen  lässt,  nach  ßoux'  Vorgang  hier 
von  einer  »funktionellen  Struktur«  gesprochen  und  die  Erscheinungen 
als  »funktionelle  Anpassungen«  zusammengefasst.  Es  lässt  sich 
jedoch  nicht  leugnen,  dass  hiermit  ziemlich  heterogene  Dinge  ver- 
einigt werden.  Es  ist  zunächst  nicht  immer  eine  rein  innere  mecha- 
nische Beeinflussung,  sondern  gerade  in  den  meisten  Fällen  wirken 
Druck  und  Zug  etc.  von  aussen.  Allerdings  kommt  dann  im  Körper 
doch  wieder  eine  gegenseitige  Wirkung  der  Gewebe  aufeinander  durch 
diese  äussere  Veranlassung  zu  Stande.  Ferner  ist  die  Wirkung  nicht 
immer  eine  gestaltende,  sondern  oft  nur  eine  rein  quantitative.  Das 
gilt  besonders  bei  Muskel-  und  Drüsensubstanz,  wo  durch  stärkere 
Inanspruchnahme  meist  nur  eine  einfache  Vermehrung  zu  erkennen 
ist.  Bei  der  Anpassung  der  Knochen  handelt  es  sich  dagegen  um 
eine  wirklich  gestaltliche  Ausprägung,  und  ebenso  bei  andern  binde- 
gewebigen Strukturen.  Endlich  ist  auch  die  Reizwirkung  in  ver- 
schiedenen Fällen  eine  verschiedene,  und  wird,  je  nach  dem  Stand- 
punkt, bald  mehr  als  chemisch,  bald  als  mechanisch  ausgelegt.  Bei 
der  vermehrten  Tätigkeit  der  Muskeln  werden  chemische  Spaltungs- 
produkte erzeugt,  die  ähnlich  wie  oben  bei  den  Drüsen  erläutert, 
einen  Reiz  zur  vermehrten  Zelltätigkeit  ausüben ;  bei  der  Ausbildung 
der  Knochenstruktur  soll  es  sich  um  die  rein  mechanische  Wirkung 
eines  auslösenden  Reizes  auf  die  ohnehin  kalksalzausscheidenden 
Zellen  handeln ,  also  um  eine  sogen.  Mechanomorphose.  Indes 
lassen  sich  mechanische  und  chemische  Reizwirkung  nicht  derart 
schulmäfsig  trennen.  Auch  bei  der  unzweifelhaft  chemischen  Reiz- 
wirkung auf  die  Muskelzellen  spielt  doch  der  mechanische  Reiz 
zunächst  mit,  und  ebenso  ist  umgekehrt  der  mechanische  Reiz  auf 
die  Knochenbildner  von  chemischer  Wirkung  begleitet,  so  dass 
ihm  geradezu  eine  ernährende  (trophische)  Wirkung  zugeschrieben 
wird. 

Alle  erwähnten  Formverhältnisse,  die  Ausbildung  und  Anord- 
nung der  Muskelzüge,  die  Schichtung  der  Knochensubstanz  u.  a. 
werden  in  der  Embryonalentwickelung  ohne  Eingreifen  der  Funktion 
und  dennoch  funktionsentsprechend  angelegt.  Die  dabei  wirkenden 
Differenzierungsgesetzlichkeiten  sind  uns  zur  Zeit  unbekannt,  und  das 
Wort  »Vererbung«  bezeichnet  in  diesem  Fall  nur  eine  Umschreibung 
der  Tatsachen.     Alle  diese  Strukturen   haben   aber   das  Gemeinsame, 


Struktur  und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment.  141 

dass  sie  auch  noch  im  ausgebildeten  Organismus  veränder- 
lich und  weiterer  Ausbildung  fähig  sind,  je  nach  den  Leistungen, 
die  an  sie  herantreten.  Die  Wirkung  solcher  veränderten,  sei  es 
gesteigerter  oder  herabgesetzter,  Leistungen  kann  in  der  Pathologie, 
also  durch  Naturexperimente,  und  ebenso  durch  willkürliche  Experi- 
mente studiert  werden,  und  wirft  ein  Licht  auf  die  entsprechenden 
Vorgänge  während  der  Entwickeln  n  g. 

Es  empfiehlt  sich,  7Ainächst  eine  Reihe  solcher  gegenseitiger 
Beeinflussungen  der  Organe,  mechanischer  Korrelationen,  im  normalen 
Organismus  kennen  zu  lernen,  die  durch  die  Funktion  veranlasst 
werden,  und  bei  denen  eine  gestaltende  Wirkung  ausgelöst  wird,  und 
dann  erst,  nach  deren  Vergleich,  die  Veränderungen  zu  betrachten, 
die  unter  besonderen  Bedingungen  eintreten  können.  Beispiele  bietet 
zunächst  die  quergestreifte  Muskulatur  und  die  mit  ihr  in  Zusammen- 
hang stehenden  Organe.  Wenn  man  nach  Cuviers  Vergleichsmethode 
(s.  Kapitel  II)  die  homologen  Muskelgruppen  verschiedener  Tier- 
gattungen in  Parallele  stellt,  so  sieht  man,  dass  die  Zahl  und  Stärke 
der  Bündel  je  nach  der  Inanspruchnahme  grösser  ist.  Die  Kaumuskeln 
der  Raubsäuger  sind  z.  B.  besonders  stark  entwickelt ;  in  korrelativem 
Zusammenhang  damit  steht,  dass  die  Ansatzstelle  am  Skelett  für  eine 
solche  Muskulatur  besonders  ausgebildet  sein  muss;  es  ist  in  diesen 
Fällen  ein  Knochenkamm,  eine  Crista  auf  dem  Schädeldach,  mehr 
oder  minder  stark  entwickelt.  Ein  entsprechendes  Beispiel  zeigt  die 
Klasse  der  Vögel  an  ihrem  Brustbein,  das  infolge  der  ausserordent- 
lichen Entwickelung  der  Flugmuskulatur  eine  sehr  hohe  Crista  sterni 
zu  deren  Ansätze  trägt.  Bei  den  im  Verhältnis  besten  Fliegern,  den 
Kolibris,  ist  die  Höhe  dieses  Kamms  noch  beträchtlicher,  wie  der 
sagittale  Durchmesser  des  ganzen  Brustkorbes ;  ähnlich  ist  es  bei  den 
grossen  Raubvögeln;  bei  den  Hühnervögeln  ist  der  Kamm  sehr  viel 
kleiner,  aber  noch  vorhanden,  bei  den  grossen  Laufvögeln  fehlt  er 
gänzlich.  Dass  in  korrelativer  Weise  alsdann  auch  die  motorischen 
Nerven  und  die  versorgenden  Blutgefässe  stärker  oder  schwächer 
ausgebildet  sein  müssen,  ist  selbstverständlich. 

Ebenso  wie  durch  den  V ergleich  verschiedener  Objekte,  lässt  sich 
auch  experimentell  an  ein  und  demselben  Organismus  die  Wirkung 
vermehrten  Gebrauchs  der  Muskulatur  nachweisen.  Durch  Roux  ist 
hierbei  das  Gesetz  der  »dimensionalen  Aktivitätshypertrophi/<  aufgestellt 
worden,  wonach  das  Organ  nur  in  denjenigen  Richtungen  vergrössert 
wird,  die  stärker  in  Anspruch  genommen  werden.  Das  lässt  sich  an 
verschiedenen  Beispielen  feststellen,  in  denen  ein  Muskel  je  nachdem 


142        XV.  Kapitel.     Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.     Die  funktionelle 

bald  im  Querschnitt,  bald  in  der  Länge  eine  Zunahme  erfährt,  und  so 
ist  auch  bei  der  willkürlichen  Muskulatur  nicht  bloss  eine  quantitative, 
sondern  auch  eine  gewisse  gestaltliche  Wirkung  dieses  Funktionsreizes 
gegeben.  Eine  »Inaktivitätsatrophie«  ist  durch  Nichtgebrauch  ebenfalls 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  konstatieren;  es  findet  aber  hierbei  kein 
völliges  Schwinden  statt,  sondern  ein  Rest  von  Muskulatur  bleibt  stets 
erhalten,  die   morphologische  Ausprägung  bleibt   gewahrt. 

Wie  mit  dem  Schwund  der  Muskulatur  andere  korrelative  Ver- 
änderungen Hand  in  Hand  gehen,  ist  aus  einem  vielerwähnten  Beispiel 
Hürthles  zu  ersehen.  Diesem  gelang  es,  am  Kopf  des  Kaninchens 
durch  halbseitige  Durchschneidung  des  bewegenden  Nerven  einen  ent- 
sprechenden Schwund  der  Muskulatur  herbeizuführen ;  aber  auch  die 
Kopfknochen  der  betreffenden  Seite  zeigten  eine  mangelhafte  Aus- 
bildung. Da  es  sich  hierbei  um  ganz  junge  Tiere  handelt,  so  spielt 
der  Versuch  schon  in  die  Ontogenese  hinein. 

Sehr  zahlreich  sind  die  Fälle,  wo  sich  bei  der  glatten  Musku- 
latur in  Stärke  und  Anordnung  eine  Beziehung  zur  Inanspruchnahme 
erkennen  lässt,  Lehrreiche  Beispiele  bieten  die  Sphinkterbildungen  bei 
niederen  Tieren,  z.  B.  an  den  Oskula  der  Schwämme,  wo  sich  vom 
jungen  Stadium  an  eine  stetige  Vermehrung  und  entsprechende  An- 
lagerung der  kontraktilen  Zellen  erkennen  lässt.  Auch  die  Sphinkter- 
bildungen, die  an  Pharynx  und  After  der  Trochophora  der  Würmer 
eintreten,  sobald  deren  Darm  funktioniert,  sind  hier  zu  erwähnen,  und 
sie  böten  wohl  Gelegenheit  zur  näheren  experimentellen  Untersuchung. 

Hierhergehörige  Naturexperimente  lassen  sich  aus  dem  Material 
der  pathologischen  Anatomie  beibringen,  zumal  bei  den  Veränderungen 
in  Wandungen  der  Blutgefässe,  aber  auch  bei  anderen  Störungen ;  so 
z.  B.  wenn  bei  Carcinom  des  Magens  der  Pylorus  verengt  ist,  und 
daselbst  eine  Verstärkung  und  auch  am  Magen  eine  Veränderung  der 
glatten  Muskelzüge  eintritt.  In  den  meisten  dieser  Fälle,  ob  sie  Gefäss- 
wand,  Darmwand  etc.  betreffen,  lässt  sich  nicht  nur  eine  einfache  Ver- 
mehrung, sondern  auch  eine  entsprechende  A  n  o  r  d  n  u  n  g  in  Ringen, 
gekreuzten  Zügen  etc.  wahrnehmen,  wie  es  aus  der  dimensionalen 
Inanspruchnahme  folgt. 

Am  eindruckfähigsten  erscheint  unter  den  Geweben  die  Binde- 
substanz im  weitesten  Sinn,  bei  der  nicht  bloss  durch  Vergleich,  sondern 
vielfach  direkt,  eine  Wirkung  auf  den  Reiz  der  Funktion  konstatiert 
werden  kann.  Auch  hier  bietet  die  pathologische  Anatomie  zahlreiche 
Beispiele.  Aus  der  normalen  Gestaltung  sind  von  Roux  eine  Anzahl 
komplizierter  aber  sehr  instruktiver  Fälle  eingehend  erläutert  worden. 


Struktur  und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment. 


143 


Fig.  109. 


So  zeigt  z.  B.  das  Trommellfell  zwei  Fasersysteme  stärkster  Inanspruch- 
nahme, ein  radiäres  und  ein  circuläres,  und  entsprechende  Abweichungen 
in  der  Richtung   auf   die  übertragenden 
Gehörknöchelchen  (Fig.  109).     Auch  die 
Konstruktion  der  Blutgefässe  ist  hierher 
zu  erwähnen,  ferner  der  wunderbare  Bau 
der  Ruderschwanzflosse  des  Delphins,  bei. 
der  sich  Festigkeit  und  Biegsamkeit  ver- 
einen   müssen,    und   wo   ebenfalls   ganz 
bestimmte    Konstruktionslinien    erkannt 
werden  können  (s.  Fig.   110). 

Aber  auch  ohne  zu  so  komplizierten 
Fällen  zu  greifen,  bietet  schon  die  all- 
gemeine Anordnung  des  faserigen  Binde- 
gewebes im  Wirbeltierkörper  an  und  für 


Faserverlauf  im  Trommelfell 
(nach  Herman n). 


Fig.  110. 


\ 

\     L 

Schwanzflosse    des    Delphins.      Nach    Roux:    Gesammelte   Abhandlungen    über   Ent- 

wickelungsmechanik  der  Organi.-men. 


144         X"V.  Kapitel.     Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.     Die  funktionelle 

sich  Beispiele  der  gestaltenden  Wirkung  der  Funktion.  So  entstehen 
je  nach  der  Inanspruchnahme  und  deren  Richtungen  Sehnen,  Bänder 
oder  umhüllende  Fascien,  die  der  Ausdehnung  und  elastischen  Zu- 
sammenziehung fähig  sind.  Die  scharf  abschneidende  Linie,  die  im 
erwachsenen  Zustand  den  Muskel  von  der  Sehne  trennt,  entsteht  in  der 
Entwickelung,  wie  Mollier  berichtet,  erst  nach  und  nach.  Muskel- 
und  Sehnenfaser  entstehen  aus  einem  kontinuierlichen  Gewebe,  jede 
Muskelfibrille  geht  kontinuierlich  in  eine  Sehnenfibrille  über  (Fig.  lila); 
in  einer  ganzen  Muskelfaser  liegen  aber  diese  Übergangsstellen  zu- 
nächst nicht  in  gleicher  Höhe,  sondern  in  einer  unregelmäfsig  ge- 
zackten Linie.  Erst  mit  der  weiteren  Ausbildung  bildet  sich  die 
scharfe  Grenzlinie  heraus  (Fig.  111b).  So  lässt  sich  auch  hier  die 
gestaltende  Wirkung  der  Funktion  in  die  Ontogenese  zurückverfolgen. 


Fi?.  111. 


a 


Fig.  111.     Muskel  und  Sehnenentwickelung. 

a  Muskel   und  Sehnenfaser   ohne  scharfe  Grenze  ineinander  übergehend, 


b  mit  scharfer  Grenze  im  ausgebildeten  Zustand. 


Das  in  der  Anatomie  meist  hervorgezogene  Beispiel  einer  solchen 
>  funktionellen  Struktur«  ist  die  Ausprägung  des  Knochens  der  Wirbel- 
tiere. Die  Funktion  ist  hierbei  in  weitestem  Sinne  zu  verstehen,  sei 
es  nur  einfach  stützend,  in  der  Ruhelage  des  Körpers,  oder  in  Ver- 
bindung mit  Muskeln  arbeitend ;  die  mechanische  Beeinflussung  erfolgt 
stets  mehr  oder  minder  indirekt,  durch  Zug  und  Druck  von  aussen 
resp.  unter  Vermittelung  der  Muskeln  und  des  Bindegewebes.  Stets 
werden  die  Linien  der  grössten  Inanspruchnahme  am  stärksten  aus- 
gebildet und  enthalten  am  meisfen  Knochensubstanz.  Dies  kommt 
nach    den    erläuterten    Grundsätzen    von    Roux   u.  a.    auf    folgende 


Struktur  und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und   Experiment.  145 

Weise  zu  Stande.  Es  pflanzt  sich  Druck  resp.  Zug,  also  der  funktionelle 
Reiz  des  Gewebes,  an  bestimmten  Stellen  in  bestimmten  sog.  trajek- 
toriellen  Richtungen,  die  sowohl  von  der  Druckaufnahme-  wie  Abgabe- 
fläche abhängig  sind,  am  stärksten  fort.  Die  Tätigkeit  der  Knochen- 
bildner (Osteoblasten)  wird  dadurch  wachgerufen  und  an  diesen 
Stellen  resp.  Richtungen  entsprechend  viel  Hartsubstanz  ausgeschieden, 
und  so  werden  diese  Richtungslinien,  die  sog.  Trajektorien  gebildet. 
Umgekehrt  fehlt  den  ausserhalb  dieser  Züge  liegenden  Stellen 
der  mechanische  Reiz,  und  zwar  umsomehr,  je  mehr  sich  die 
Trajektorien  selbst  ausbilden ;  hier  wird  also  keine  neue  Knochen- 
substanz gebildet,  sondern  dadurch,  dass  überall  die  Knochenzerstörer 
(Osteoklasten)  in  Tätigkeit  sind  und  Knochensubstanz  auffressen, 
schliesslich   in   diesen  weniger  beanspruchten  Stellen  Lücken  erzeugt, 

So  muss  eigentlich  jeder  Knochen  eine  funktionelle  Struktur 
besitzen;  da  jedoch  bei  sehr  vielen  Knochen  die  Beanspruchnahme 
in  sehr  wechselnder  Lage  geschieht,  die  Funktion  als  Stütze  oft  nicht 
so  ausgesprochen  ist,  und  sich  die  Richtungen  der  Inanspruchnahme 
in  mannigfachster  Weise  durchkreuzen  können,  so  ist  die  funktionelle 
Struktur  oft  sehr  verwickelt  und  nicht  leicht  erkennbar,  sondern  spricht 
sich  nur  darin  aus,  dass  die  Knochensubstanz  überhaupt  nicht  kom- 
pakt, sondern  in  der  bekannten  »spongiösen«  Weise  angeordnet,  also 
jeder  Knochen  mit  einem  Minimum  von  Material  konstruiert  ist.  Deut- 
licher wird  die  Struktur  bei  den  einfachen  typischen  Röhrenknochen, 
die  ja  eine  weniger  allgemeine  Inanspruchnahme  erleiden.  Es  werden 
bei  ihnen,  da  sie  mehrmals  länger  als  breit  sind,  die  äusseren  Teile 
1  »ei  Biegungen  etc.  stets  stärker  gespannt  als  die  inneren ;  infolgedessen 
wird  die  äussere  Partie  dichter  und  dichter  bis  zur  fast  völligen  Kom- 
paktheit, die  innere  loser  und  lockerer  bis  zu  völligem  Schwund  und 
zur  Bildung  einer  Markhöhle  und  so  wird  die  allgemeine  Form  des 
Röhrenknochens  erreicht.  Wo  die  Funktionen  noch  mehr  spezialisiert 
sind,  kann  man  besondere  Richtungen  noch  besser  erkennen,  so  z.  B. 
am  unteren  Ende  der  Tibia.  Hier  soll  der  von  oben  kommende  Druck 
auf  eine  ganze  Fläche  übertragen  werden;  es  lösen  sich  demnach  die 
kompakten  Röhrenwände  in  einzelne  Belastungsstrebepfeiler  auf,  die 
sich  auf  die  ganze  untere  Fläche  verteilen.  Das  Gleiche  trifft  für 
das  Fersenbein  zu  (s.  Fig.   112). 

Das  schönste  und  bekannteste  Beispiel  bietet  das  obere  Ende 
des  Oberschenkelknochens,  dessen  Struktur  als  Krankonstruktion  zu 
deuten  ist.  Wenn  man  in  einen  solchen  Kran  von  entsprechender 
Inanspruchnahme,  rein  nach  Ingenieurprinzipien,  die  Druck-  und  Zug- 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwickelungsgescliichte.  10 


146         XV.  Kapitel.     Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.     Die  funktionelle 

Union  einzeichnet,  so  sind  diese  in  schlagender  Weise  den  Linien 
gleich,  die  die  Natur  selbst  als  Baumeisterin  im  Innern  des  Knochens 
hervorgebracht  hat  (Fig.  113).  Man  kann  zwei  Züge  von  Knochen- 
bälkchen  unterscheiden,  einen  von  der  Trochanterseite  und  einen  von 
der  Adduktorenseite  ausgehenden.  Beide  stehen  senkrecht  zur  Ober- 
fläche des  Knochens,  dessen  kompakte  sich  hier  entsprechend  auf- 
löst, und  beide  kreuzen  sich  in  rechtem  Winkel.  Die  Adduktoren- 
bälkchen  entsprechen  den  Druck-,  die  Trochanterbälkchen  den  Zug- 
linien der  mechanischen  Konstruktion. 


Fig.  112. 


Fig.  113. 


Fig.  112.     Schliff  durch  den  Calcaneus,   um    die  Anordnung  der  Kiiochenbälkchen  zit 

zeigen. 
Fig.  113.     Schema   der  Anordnung   der   Knochenbälkchen   im  Oberschenkelende   nach 

Druck-  und  Zuglinien  (nach  H.  Mayer). 


Diese  durch  Herrn,  von  Mayer  am  normalen  Knochen  studierten 
Verhältnisse  finden  ihre  lehrreiche  Ergänzung  durch  das  Natur- 
experiment in  pathologischen  Fällen,  deren  Erforschung  besonders 
Julius  Wolf  f  zu  danken  ist,  Hier  bilden  sich  neue  Strukturen  aus, 
die  nicht  den  morphologischen  Verhältnissen  des  Knochens,  sondern 
der  neuen  Beanspruchung  entsprechen.  Schon  ganz  allgemein  kommt 
dies  in  einem  Befund  aus  früherer  Zeit  zum  Ausdruck,  wonach  bei 
einem  Hund  nach  teilweiser  Entfernung  der  Tibia,  sich  der  andere 
Unterschenkelknochen,  die  Fibula,  entsprechend  vergrösserte  und  ver- 
stärkte. Noch  schlagender  sind  die  Fälle,  wo  auch  die  innere  Struktur 
untersucht   werden   konnte,   und   wo    sich  z.   B.    bei   schief  geheilten 


Struktur  und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment. 


147 


Knochenbrüchen  oder  sonst  krankhaften  Veränderungen  eine  ganz 
neue  Architektur  von  Druck-  und  Zuglinien,  den  neuen  statischen 
Verhältnissen  entsprechend,  herausbildete.  Die  Erklärung  ergibt  sich 
in  gleicher  Weise  wie  für  die  normalen  Fälle.  Die  alten  Trajektorien- 
linien  sind  nicht  mehr  in  Gebrauch,  lösen  keinen  Reiz  aus,  sondern 
lassen  die  Osteoklasten  in  ihrer  zerstörenden  Wirksamkeit  aufkommen; 
umgekehrt  müssen  die  Knochenbildner  an  neuen  Stellen  ihre  Tätig- 
keit entfalten,  und  so  entwickelt  sich  die  veränderte  Struktur.  Man 
sieht  also,  dass  ganz  allgemein  gesprochen  ein  mechanischer  Reiz  auf 
bestimmte  Zellen  eine  chemisch  anregende  Wirkung,  die  Kalksalze 
auszuscheiden  ausübt.  Es  kann  sich  auf  diese  Weise  auch  an  Stellen, 
wo  normaler  Weise  kein  Knochen  ausgeschieden  wird,  bei  besonderen 
Reizungen,  vom  Bindegewebe,  also  vom  nächstverwandten  (s.  p.  109) 
aus,  die  Bildung  von  Knochenstrukturen  mit  wirklichem  kohlensaurem 
Kalk  erfolgen,  wie  es  z.  B.  bei  den  sog.  Exerzier-  und  Reitknochen 
der  Fall  ist.  Diese  allgemeine  Vorstellung  der  Reizwirkung  auf  be- 
stimmte, zur  Ausscheidung  von  Kalk  befähigte  Zellen,  ist  für  die  Auf- 
fassung  vieler  Vorgänge   in   der  Ontogenese  von    grosser  Bedeutung. 

Fig.  114. 


Fig.  114.     Segel  (s)  der  Siphonophore   Velella  mit  Befestigung  (b). 


Viel  weniger  untersucht  und  überhaupt  bekannt  sind  Beispiele 
funktioneller  Struktur  von  wirbellosen  Tieren,  obschon  sich  auch  hier 
sehr  instruktive  Fälle  auffinden  lassen.  Einen  der  besten  Beweise 
ingenieurmäfsiger  Konstruktion  in  der  Natur  liefert  das  Segel  der 
Siphonophore  Velella.  Dieses  kammartige  Organ  ist  zum  Windtreiben 
oberhalb  der  Wasserfläche  bestimmt,  während  die  Tierkolonie  selbst 
direkt  unterhalb  schwimmt,  an  dem  kreisrunden  Deck  unten  ange- 
wachsen   (Fig.   114).      Das    Segel    muss    also    straff    aufrecht    stehen, 

10* 


148  XV.  Kapitel.      Weitere  Beeinflussungen   der  Teile.     Die  funktionelle 

dem  Wind  folgen  können  und  entsprechend  am  Deck  befestigt  sein. 
Dieses  selbst  muss  aber  in  horizontaler  Lage  schwimmen  bleiben  und 
darf  durch  die  Windstösse  des  Segels  nicht  umkippen.  Beide  Auf- 
gaben sind  durch  entsprechende  Konstruktion  der  faserigen  Gallerte, 
die  hier  das  gewöhnliche  Bindegewebe  vertritt,  gelöst.  Das  Deck  ist 
doppelt,  mit  einem  pneumatischen  Hohlraum,  der  durch  Pfeiler  in 
mehrere  Kanmern  geteilt  ist,  und  das  Segel  ist  durch  ganz  besondere 
Verstärkungen  in  der  Gallerte  befestigt,  die  in  den  bekannten  Druck- 
und  Zuglinien,  jedoch  hier  noch  in  speziell  angepasster  Richtung,  vom 
Segel  nach  dem  Deck  zu  umbiegen.  In  einer  besonderen  Arbeit  soll 
dies  noch  Erläuterung  finden,  hier  nur  durch  die  Abbildung  auf  die 
auffällige  Verteilung  der  Verstärkungslinien  hingewiesen  werden. 

Eine  Tiergruppe,  bei  der  die  mechanische  Inanspruchnahme  zur 
Ausprägung  der  Hartgebilde  in  besonders  deutlicher  Beziehung  steht, 
sind  die  Spongien ;  doch  sind  auch  hier  die  Verhältnisse  in  dieser 
Hinsicht  bis  jetzt  zu  wenig  gewürdigt,  Es  kommt  dreierlei  ver- 
schiedenes Material  zur  Ausbildung  des  Skeletts  in  Betracht,  Nadeln 
von  kohlensaurem  Kalk,  Nadeln  von  Kieselsäure  und  eine  Hornsub- 
stanz,  Spongin.  Das  Spongin  und  die  Kieselnadeln  können  sich  zu 
Skeletten  verbinden,  bei  denen  Festigkeit  mit  Biegsamkeit  zusammen 
wirken  muss.  Für  die  einzelnen  Nadeln,  die  1,  3,  4  resp.  6 strahlige 
Gebilde  sein  können,  hat  schon  F.  E.  Schulze  einen  Zusammenhang 
der  Achsenausbildung  mit  der  mechanischen  Leistung  zu  konstruieren 
versucht.  Noch  besser  ist  dies  für  das  Gesamtskelett  möglich, 
besonders  wenn  die  einzelnen  Kieselnadeln  durch  Spongin  zusammen- 
gehalten werden.  Letzteres  zeigt  sehr  verschiedene  Ausprägung; 
manchmal  ist  es  nur  eine  Kittmasse,  die  die  Nadelenden  verlötet, 
manchmal  bildet  es  baumartige  Züge.  Im  grossen  und  ganzen  zeigen 
die  in  der  Tiefe  lebenden  Formen  mehr  ein  reines  Kieselskelett,  die 
an-  der  Oberfläche  befindlichen  mehr  Hornsubstanz,  bis  schliesslich 
das  Spongin  ganz  überwiegt  und  so  eine  grössere  Elastizität  er- 
zeugt wird. 

Man  kann  durch  den  Vergleich  der  verschiedenen  Wohngebiete 
einerseits  und  der  Formengruppen  andererseits,  der  Cu  vier 'sehen 
Methode  folgend  (s.  Kap.  II,  p.  6),  nach  Keller  geradezu  die  Be- 
hauptung aufstellen,  dass  »die  mechanische  Ursache,  welche  zur 
Sponginbildung  und  damit  auch  zur  Entstehung  und  Weiterent- 
wickelung der  sponginführenden  Monaktinetliden  und  Hornschwämme 
führte,  in  dem  bewegten  Wasser,  mit  seiner  starken  Beanspruchung 
auf  Druck  und  Zug  zu  suchen  ist«. 


Struktur  und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment. 


149 


Fig.  115. 


Sehr  deutlich  zeigen  auch  <lie  Hexaktmelliden,  wo  die  Ki«-s<'l- 
nadeln  auch  ohne  Spongin  sich  zu  Gitterzügen  anordnen  und  mit 
ihrer  Kieselsubstanz  verlöten  können,  solche  Beziehung  der  mechani- 
schen Beanspruchung  zur  Ausbildung  des  Hartskeletts.  Dies  spricht 
sich  bei  vielen  Gattungen  und  besonders  deutlich  bei  der  bekannten 
Euplectella  aus  zunächst  in  der  Röhren- 
form; es  wird  auf  diese  Weise  grosse 
Tragfähigkeit  mit  einem  Minium  von  Mate- 
rial erreicht.  Zweitens  wird  die  Festigkeit 
erhöht  durch  longitudinale  Nadelzüge  oder 
Rippen,  die  wieder  durch  zirkuläre  Rippen 
zusammengehalten  werden.  Drittens  aber 
sind  noch  zwei  ganz  besondere  Züge  an 
diesen  Röhrenformen  charakteristisch,  die 
beide  spiralig  um  den  Stamm  verlaufen  und 
sich  gegenseitig  in  rechtem  Winkel  kreuzen 
(Fig.  115).  Keller  erinnert  hier  an  einen 
Satz  aus  der  Festigkeitslehre:  »Wirkt  auf 
die  Wand  eines  Hohlzylinders,  der  an  der 
Basis  fixiert,  am  entgegengesetzten  Ende 
frei  ist,  von  der  Seite  her  ein  senkrecht 
zum  Zylindermantel  gerichteter  Druck,  so 
entstehen  Druck-  und  Zugkurven,  die  unter 
einem  Winkel  von  45°  von  der  Basis 
emporsteigen  und  zwei  Kurvensysteme 
bilden,  welche  sich  unter  rechtem  Winkel 
schneiden.«  Diesen  Kurvensystemen  ent- 
spricht mit  einer  Genauigkeit,  wie  sie  bei 
organischen  Gebilden  nicht  grösser  zu  er- 
warten ist,  der  Verlauf  der  Spiralrippen 
von  Euplectella. 

Bei  Kalkschwämmen,  bei  denen  die  Nadeln  einzeln  stehen,  wurde 
durch  Maas  auf  entsprechende  Anordnungen  hingewiesen.  Bei  Sykon- 
röhren  stehen  die  Drei-  und  Vier-Strahler  so,  dass  ihr  längster  Strahl 
mit  der  Längsachse  zusammenfallt,  die  schiefen  Strahlen  aber  so,  dass 
die  einen  fast  in  die  Verlängerung  fallen  und  sich  hier  ebenfalls  ohne 
Verschmelzung,  durch  blosses  Nebeneinanderlegen  ein  Gitterwerk, 
spiralig  um  den  Stamm  herum  ausbildet,  soweit  er  nicht  durch  Tuben 
verändert  ist  (Fig.  119).  Hier  konnte  das  Zustandekommen  des  Gitter- 
werks  auch   ontogenetisch    beobachtet   werden.     So    lange    der  junge 


Schema  des  Nadelgerüsts  des 
Schwammes  Euplectella  nach 
Keller.  Die  horizontalen  und 
vertikalen  Linien  bezeichnen 
das  eigentliche  Röhrengerüst, 
die  Diagonalen  die  aufgesetzten 
Rippen  (Druck-  u.  Zugkurven). 


150         ^v-  Kapitel.     Weitere  Beeinflussungen  der  Teile.     Die  funktionelle 


Fiar.  116. 


b'ig.  117. 


Fig.  118. 


Struktur  und  ihre  Abänderung  durch  Natur  und  Experiment. 

Fig.  119. 


151 


Pig.  116.  117,  118,  119.  Stadien  ans  der  Entwickelung  des  Kalkschwammes  Sycon 
(nach  Maas),  um  die  allmählich  sich  einstellende  „ funktionelle  Struktur" 
des  Gerüsts  zu  erläutern. 

Schwamm  noch  ein  unförmliches  Säckchen  ist  ohne  Auswurfsöffnung, 
liegen  auch  die  betreffenden  Nadeln,  die  schon  zahlreich  vorhanden 
sind,  noch  wirr  durcheinander;  erst  wenn  die  Röhrenformung  und 
Streckung  eintritt  und  wenn  der  Wasserstrom  nach  Bildung  des 
Osculums  seine  bestimmte  Richtung  hat,  lässt  sich  allmählich  die 
Anordnung  erkennen  (Fig.  116,  117).  Auch  die  später  gebildeten 
Nadeln   werden   dann    entsprechend   orientiert    (Fig.    118,    119).     Der 


152  XVI.  Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen 

Zusammenhang  der  Beanspruchung  mit  der  Kalkausscheidung  ist  hier 
nicht  so  direkt  erkennbar  wie  beim  Wirbeltierknochen;  indessen 
müssen  auch  hier  Reize  gegeben  sein,  die  die  Kalkausscheidung  der 
Zellen  an  bestimmte  Punkte  lokalisieren.  Vorgänge  aus  der  Onto- 
genese anderer  Gruppen  werfen  hierauf  einiges  Licht, 

Hiermit  ist  das  Gebiet  der  Korrelation  in  der  Ontogenese 
betreten,  die  sich  zum  Teil  als  auslösende  Wirkung  von  Reizen  dar- 
stellen und  besondere  Besprechung  verdienen. 


XVI.  Kapitel. 

Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen  (Organanlagen) 
in  frühen  Stadien  der  Entwickelung  und  ihre  gestaltende  Wirkung. 

Experimente  und  Theorie  der  formativen  Reize. 

Die  Reiztheorie  und  ihr  Verhältnis  zur  abhängigen  und  Selbstdifferenzierung.    Experi- 
mente in  der  späteren  Entwickelung  der  Echinodermenlarven  und  Amphibienembryonen. 
Weitere  innere  Faktoren  der  Entwickelung  :  Oberflächenspannung,  ungleiches  Wachs- 
tum, Faltenbildung,  Zellteilung. 

Wie  im  erwachsenen  Organismus  Wechselbeziehungen  (Kor- 
relationen) existieren,  indem  »ein  Organ  auf  direktem  Weg  oder  durch 
Stoff  Wechselprodukte  oder  durch  Berührung,  oder  sonstwie  ein  anderes 
beeinflusst«,  ebenso  müssen  auch  in  früheren  Stadien  zwischen  den 
einzelnen  Teilen  solche  Beziehungen  und  Beeinflussungen  vorhanden 
sein.  Schon  im  vorigen  Kapitel  konnte  einzelner  Beziehungen  ge- 
dacht werden,  die  nicht  den  ganz  reifen,  sondern  mehr  jugendlichen 
und  umbildungsfähigen  Organismus  betrafen,  aber  immerhin  auf 
einem  Stadium,  wo  die  Organe  bereits  Tätigkeit  ausüben,  also  in  der 
Periode  des  >< funktionellen  Lebens«  nach  Roux schein  Ausdruck. 
In  der  noch  früheren  Periode,  der  eigentlichen  Embryonal-Entwicke- 
lung,  wo  sich  die  Organe  erst  anlegen,  sind  solche  Beziehungen  gewiss 
ebenfalls  vorhanden,  nur  aber  schwerer  nachzuweisen.  Es  müssen 
auch  hier  Berührungen  und  andere  mechanische  Beeinflussungen  von 
Zellen  und  Zellkomplexen  (Organanlagen)  stattfinden  und  Wirkungen 
auslösen ;  ebenso  können  chemische  Beeinflussungen  stattfinden,  nur 
alles  in  geringerem  Grad,  weil  es  sich  erst  um  werdende  Teile  handelt, 
und  schwerer  analysierbar,  weil  in  ständigem,  oft  nicht  zu  trennendem 
Zusammenwirken  der  Aussenwelt  und  ihrer  Bedingungen. 

Es  ist  das  Verdienst  von  Herbst,  die  Wirkung  solcher  »form- 
bildenden Reize«    sowohl  im  allgemeinen   erörtert,    als   auch  versucht 


in  frühen  Stadien  der  Enhvickelung  und  ihre  gestaltende   Wirkung.         153 

zu  haben,  wie  weit  sich  Gestaltungen  der  frühen  Periode,  die  vor 
der  wirklichen  Ausprägung  der  Organe,  aber  nach  der  Furchung 
(s.  Kapitel  VI — X)  und  ersten  Sonderling  des  Materials  liegt,  auf 
solche  Reizwirkungen  zurückführen  lassen.  Die  Definitionen  von 
Reiz  und  Reizwirkung  fallen  verschieden  aus,  je  nach  dein  allge- 
meinen Standpunkt,  den  man  zu  den  Entwickelungstheorien  ein- 
nimmt, und  hängen  mit  der  Frage  nach  abhängiger,  resp.  Selbst- 
differenzierung zusammen. 

Nach  der  einen  Anschauung  kann  ein  solcher  Reiz  nur  eine 
auslösende  Wirkung  haben.  Das  Charakteristische  des  Geschehens 
geht  von  der  gereizten  Zelle  resp.  Zellgruppe  aus,  die  auf  eine  ganz 
bestimmte  Antwort,  sozusagen  eingestellt  ist.  Wie  im  Auge  nicht 
nur  Licht,  sondern  auch  mechanische  und  elektrische  Reize  etc. 
eine  Lichtempfindung  auslösen,  so  ist  auch  jede  embryonale  Zelle 
und  Zellgruppe  vom  Ei  her  ganz  spezifisch  beschaffen.  Die  gleiche 
Reizwirkung  kann  an  ihr  durch  verschiedene  Einflüsse  ausgelöst 
werden,  und  umgekehrt  müssen  Zellen  verschiedener  Organismen  und 
selbst  verschiedene  Zellsorten  desselben  Organismus  auf  den  gleichen 
Reiz  verschieden  antworten.  Diese  Ansicht  entspräche  der  Selbst- 
differenzierung. 

Von  der  anderen  Seite  wird  betont,  dass  doch  auch  die  Art 
des  Reizes  von  Wichtigkeit  ist,  und  die  Qualität  des  Anstosses  auf 
die  Qualität  des  Effektes  wirkt.  Es  können  also  verschiedene  Reize 
auf  das  gleiche  System  verschiedene  Wirkung  haben.  Damit  wird 
nun  nach  Herbst  einer  reinen  Auslösungstheorie  für  die  ganze  Ent- 
wickelung  das  Wort  geredet.  Das  Schicksal  von  Geweltszellen  gleicher 
Potenz  hängt  von  ihrer  Lage  im  Ganzen  ab  resp.  davon,  welchen 
Reizen  sie  ausgesetzt  werden.  Dies  entspräche  dem  Standpunkt  der 
abhängigen  Differenzierung;  allerdings  nicht  vollkommen  rein,  wie 
schon  die  einschränkenden  Worte  »von  gleicher  Potenz«  beweisen. 
Ebenso  wie  in  der  früher  besprochenen  Periode  der  Furchung  etc. 
greifen  auch  hier  die  beiden  Differenzierungsmöglichkeiten  ineinander 
ein;  es  ist  keine  scharfe  Scheidung  zu  machen,  sondern  von  Fall  zu 
Fall  vorzugehen.  Anstatt  der  Theorien  mögen  die  Experimente  zum 
Wort  kommen.1)  Es  sind  auf  diesem  Gebiet  allerdings  nur  wenige 
mitzuteilen;  die  vielverwendete  Pluteuslarve  des  Seeigels  ist  auch  hier 
ein  Versuchsobjekt  gewesen. 


U  Diese  Versuche  schliessen  sich  an  die  in  Kap.  XI  erörterten  über  die  Ein- 
engung der  prospektiven  Potenz  an  und  hätten  auch  z.  T.  in  diesem  Zusammenhang 
besprochen  werden  können. 


154  XVI.  Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen 

Im  normalen  Fall  bilden  sich  nach  Ausprägung  der  Gastrula  und 
der  Anlage  des  Wassergefässsystems  die  eigentümlichen  Schwebfortsätze 
•des  Körpers,  die  Arme  (s.  p.  22,  Fig.  9  u.  10),  zugleich  mit  dem  Auf- 
treten und  Auswachsen  von  larvalen  Skelettstäljen,  die  für  diese  Arme 
als  Stütze  funktionieren.  Pouch  et  und  Chabry  haben  durch  Aus- 
fällung des  Kalkes  im  Seewasser,  Herbst  durch  Zusatz  von  Kalium 
und  anderen  Salzen,  die  Bildung  der  Kalkstäbe  unterdrückt,  und  es 
unterblieb  auch  alsdann  die  Bildung  der  Arme.  Dadurch  wird  ein 
kausaler  Zusammenhang  zwischen  beiden  Bildungen  sehr  wahrschein- 
lich ;  vollkommen  bewiesen  wird  er  durch  ein  anderes  Experiment 
von  Herbst.  Dieser  hat  Larven  in  einem  künstlichen  »See«wasser 
gezogen,  bei  dem  in  allen  Salzbestandteilen  das  Natrium  durch 
Lithium  ersetzt  war  (also  Chlorlithium,  Lithiumnitrat  etc.)  und  da- 
durch sogen.  Lithiumlarven  mit  einer  Reihe  von  typischen  Besonder- 
heiten erzielt,  Zu  letzteren  gehört  auch  die  Verlagerung  der  kalk- 
bildenden Mesenchym zellen  aus  der  normalen  symmetrischen  An- 
ordnung (vergl.  Fig.  80).  Wenn  man  nun  diese  Larven  aus  dem 
Lithiumgemisch  in  gewöhnliches  Seewasser  zurückbrachte,  so  bildeten 
•die  verlagerten  Mesenchymzellen  anstatt  2  Kalkstäbe,  deren  3,  4  und 
5  an  andern  Stellen,  und  es  entstanden  entsprechend  viele  Arme, 
ebenso  atypisch  wie  die  Stäbe  gelagert  (vergl.  Fig.  131  und  132, 
p.  195).  Es  sind  also  nicht  nur  diejenigen  bestimmten  Ektoderm- 
zellen  zur  Armbildung  befähigt,  die  dies  in  normalem  Zustand  tun, 
.sondern  alle  Ektodermzellen,  und  wo  die  Berührung  des  Kalkstabes 
hintrifft,  wird  eine  Ektodermzellengruppe  zum  Auswachsen,  zur  Arm- 
bildung angeregt.1) 

Es  muss  gleich  gesagt  wTerden,  dass  diese  »abhängige  Differenzie- 
rung« kein  allgemeiner  Befund,  nicht  einmal  für  die  Echinidenlarven 
ist.  In  einem  andern  Fall,  wo  man  ebenfalls  an  die  formative  Wirkung 
•eines  Berührungsreizes  denken  könnte,  nämlich  bei  der  Mundbildung 
der  Larve  nach  Anlegen  des  Urdarms,  ist  eine  unabhängige  Diffe- 
renzierung nachgewiesen.  Im  normalen  Zustand  bricht  der  Mund 
nach  einer  seichten  Einstülpung  da  im  Ektoderm  durch,  wo  sich  das 
Ende  des  Urdarms  hinlegt.     Aber  auch  Larven,    bei  denen  man  den 


!)  Wie  auch  bei  den  früheren  Stadien  erörtert,  ist  die  prospektive  Potenz 
einer  Zelle  immer  grösser  als  ihre  prospektive  Bedeutung.  Hierher  gehört  auch  der 
von  Alb  recht  erörterte  interessante  Fall  von  Pankreas  bildung  in  einem 
Me  ekel' sehen  Divertikel,  also  an  einer  Stelle,  die  sonst  beim  Pankreasgewebe 
bildet,  die  aber  genetisch  auf  dem  eines  früheren  „ Elementarorgans "  mit  ihm 
zusammenhängt. 


in  frühen  Stadien  der  Entwickelung  und  ihre  gestaltende  Wirkung.         155 

Urdarm  hatte  nach  aussen  wachsen  lassen  (vergl.  Fig.  128  auf  p.  183). 

bildeten  trotzdem  an  richtiger  Stelle  ihren  Mund.  Hier  sind  es  also 
ganz  bestimmte  Ektodermzellen,  die  zur  Bildung  befähigt  sind  und 
sich  differenzieren,  ob  ihnen  der  Reiz  zukommt  oder  nicht. 

Einen  sehr  ähnlichen  Fall,  wo  sich  beim  Zusammentreffen  be- 
nachbarter Organe  für  eine  Bildung  eine  formative  Reizwirkung 
nachweisen,  für  eine  andere  Bildung  ausschliessen  lässt,  liefert  die 
schon  in  anderem  Zusammenhang  (bei  der  Regeneration)  erörterte 
Linsenbildung  der  Wirbeltiere,  die  in  bezug  auf  die  Differenzierungs- 
frage besonders  von  Spemann  studiert  wurde.  Es  spielen  da  auf 
verschiedenen  Mutterboden  Prozesse,  die  räumlich  und  zeitlich  inein- 
andergreifen:   1.  die   Umbildung    der   Augenblase    zu   einem   Becher. 

2.  die  Entstehung  und  Ablösung   der  Linse   aus   der  Epidermis   und 

3.  die  Aufhellung  der  entsprechenden  Epidermisstellen  zum  Cornea- 
epithel. 

Fig.  120. 


Fig.  120.    Bildung  der  Wirbeltierlinse  in  der  Normalentwickelung. 

Diagramme  der  Entwickelung  des  Auges  vom  Hühnchen  nach  Remak 
(Unters,  z.  Entw.  d.  Wirheitiere),  h  Ektoderm,  l  Linse,  o  Linseneinstülpung, 
x  Verdickung  an  deren  Rande,  r  und  u  vordere  resp.  hintere  Wand  der 
primitiven  Augenblase  (Retina,  Tapetum  nigrum).  vh  Glaskörper.  In  C  ist 
die  Verbindung  mit  dem  Gehirn  nicht  getroffen. 

Man  könnte  daran  denken,  dass  bei  der  Umbildung  der  Augen- 
blase zu  einem  doppelwandigen  Becher  die  Einwucherung  der  Linse 
eine  direkt  einstülpende  Wirkung  hätte  (Fig.  120a),  oder  wenigstens 
einen  Reiz  ausübte.  Aber  dies  ist  nicht  der  Fall.  An  Embryonen 
von  IIa  na  fusca,  an  denen  eben  die  Meduliarwülste  sichtbar  wurden, 
hat  Spemann  mit  der  heissen  Nadel  oder  noch  besser  mit  dem 
Galvanokauter  entsprechende  Defekte  erzeugt.  Die  kleine  Augenblase 
kann  sich  in  einen  richtigen  Augenbecher  verwandeln,  ohne  die 
Epidermis  zu  erreichen  (Fig.  121,  oc);  für  dieses  Geschehen  liegt 
also  Selbstdifferenzierung  vor. 


156 


XVI.  Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen 


Dagegen  wird  die  Epidermis  in  ihrer  linsenbildenden  Tätigkeit 
beeinflusst  durch  den  Reiz,  den  der  Augenbecher  bei  Berührung  auf 
sie  ausübt.  Bleibt  der  Augenbecher  in  der  Tiefe  liegen  (wenn  das 
verkleinerte  Material  nicht  zum  Erreichen  der  Epidermis  genügt,  oder 
wenn  es  ganz  zerstört  ist),  so  tritt  in  der  Epidermis  keine  Spur  einer 
Linsenwucherung  auf;  erreicht  der  Augenbecher  dagegen  später  die 
Epidermis,  so  kann  in  dieser  noch  nachträglich  eine  Linse  ausgeprägt 
werden. 

Fig-.  121. 


_—-  oc 


■h 


Fig.  121.  Querschnitt  durch  einen  Froschembryo  mit  operierter  Linsenanlage.  Auf  der 
normalen  Seite  (rechts)  Auge  mit  Linse  (I)  und  aufgehellter  Epidermis  (e), 
links  Augenbecher  (oc)  in  der  Tiefe;  von  Linse  und  von  Aufhellung  der 
Epidermis  keine  Spur,  pi  =  pigmentierte  Epidermis,  n  =  Nervenrohr, 
ch  =  Chordarest. 


Ohne  einen  solchen  Reiz  unterbleibt  auch  die  Aufhellung  der 
entsprechenden  Epidermiszellen  zur  Cornea.  Ein  Querschnitt  durch 
ein  einseitig  operiertes  Tier  liefert  hierzu  ein  instruktives  Bild 
(Fig.  121);  links  Epidermis,  überall  dunkel  pigmentiert,  keine  Linsen- 
bildung, in  der  Tiefe  ein  reduzierter  Augenbecher;  rechts  an  ent- 
sprechender Stelle  aufgehellte  (pigmentlose)  Epidermis,  Linsenbildung 
und  grosser  Augenbecher. 

Herbst  scheint  auch  hier  anzunehmen,  dass  alle  Ektoderm- 
zellen,  oder  mindestens  die  des  Kopfabschnitts  die  Fähigkeit  der 
Linsenbildung  haben,  und  die  Bildung  an  der  jeweils  vom  Berührungs- 
reiz getroffenen  Stelle  erfolge.  Spemann  ist  in  dieser  Hinsicht 
zurückhaltender,  da  bei  den  bisherigen  Versuchen  immer  noch  die 
Möglichkeit  vorhanden  ist,  dass  doch  nur  eine  Stelle  der  Epidermis 
die  Linsenbildungsfähigkeit   hat,    und   allerdings   dann   noch  auf  den 


in  frühen  Stadien  der  Entwickelung  und  ihre  gestaltende   Wirkung.         157 

Anstoss  warten  muss  (»Auslösungsreiz«  >.  Das  entscheidende  Experi- 
ment, ein  anderes  Stück  Haut  an  die  normale  Linsenbildungsstelle 
zu  verpflanzen,  ist  nicht  gelungen;  auch  die  Abdrängung  des  Augen- 
bechers an  eine  andere  Epidermisstelle  ist  noch  nicht  einwandfrei 
ausgeführt.  Nach  allem  jedoch,  was  für  frühere  Stadien  über  die 
prospektive  Potenz  bekannt  ist,  die  stets  die  prospektive  (normale) 
Bedeutung  übertrifft,  ist  doch  anzunehmen,  dass  im  normalen 
Geschehen  nur  eine  Stelle  den  Anstoss  erhält,  die  anderen  unter 
Umständen  aber  auch  reagieren  könnten.  Dies  scheint  auch  aus 
den  allerdings  noch  unvollkommenen  Experimenten  von  Barfurt h 
an  Hühnchenembryonen  der  Fall  zu  sein  (s.  p.  116),  wo  nach  Ver- 
letzung eine  unvollkommene  Augenblase  regeneriert  wurde  und  dann 
eine,  wenigstens  linsenähnliche  Bildung,  auch  an  atypischer  Stelle 
erschien. 

Ebenso  wie  solche  Berührungen  wirken  auch  chemische  Reize 
innerhalb  des  Organismus  von  einer  Zelle  oder  Zellgruppe  auf  die 
andere,  können  Zellen  zum  Hinwandern,  Anlegen  an  bestimmte  Orte 
veranlassen  und  dadurch  gestaltliche  Wirkung  am  Ganzen  ausüben. 
Im  Dottersack  eines  Knochenfisches,  (Fundulus)  ist  beobachtet,  dass 
die  Pigmentzellen  auf  die  jungen  Gefässe  zuwandern  und  sich  deren 
Wand  anlegen.  Das  Zuwandern  erfolgt  erst  nach  Eintritt  wirklicher 
Zirkulation  und  unterbleibt  laut  Loeb,  wenn  durch  Kalisalze,  die 
im  übrigen  die  Entwickelung  nicht  stören,  eine  Hemmung  der  Herz- 
pulsation  des  Embryo  bewirkt  wird.  Der  morphologische  Rahmen 
ist  wie  normal  vorhanden,  auch  bei  den  Gefässen;  es  wird  also  aus 
dem  Aufhören  der  Wanderung  der  Pigmentzellen  auf  eine  chemo- 
taktische (speziell  oxygenotaktische)  Bewegung  der  Zellen  geschlossen. 
Auch  bei  anderen  Vorgängen  der  Ontogenese,  wo  sich  bestimmte 
Zellen  an  bestimmte  Orte,  speziell  Oberflächen  hinbegeben,  wird  da- 
nach auf  solche  Chemotaxis  resp.  Oxygenotaxis  geschlossen,  z.  B. 
bei  der  Furchung  der  Arthropoden,  wo  die  zuerst  im  Innern  liegenden 
Kerne  allmählich  an  die  Oberfläche  wandern  und  das  Blastoderm 
bilden.  Sehr  wahrscheinlich  spielen  auch  solche  chemische  Reize 
eine  Rolle  bei  einem  in  der  Ontogenese  vieler  Tiergruppen  vor- 
kommenden Modus  der  Darmbildung,  nämlich  dann,  wenn  dotter 
haltiges  Material  zu  bewältigen  ist,  und  andere,  ebenfalls  entodermale 
Zellen  dieses  allmählich  nach  Art  von  amöboiden  Zellen  einzeln  auf- 
arbeiten, sich  epithelial  anlegen  und  nach  und  nach  zur  späteren 
Darmwand  werden,  wie  es  z.  B.  bei  einigen  Turbellarien,  Dekapoden, 
Mollusken  beobachtet  ist. 


158 


XVI.  Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen 


In  diesen  Fällen  ist  die  chemische  Reizbarkeit  von  Zellen,  die 
danach  in  der  Ontogenese  bestimmte  Orte  aufsuchen,  nur  sehr  wahr- 
scheinlich gemacht  durch  vergleichende  Beobachtung,  in  einem  Falle 
jedoch  auch  von  Drie  seh  experimentell  bewiesen,  nämlich  wiederum 
bei  der  Larve  der  Seeigel.  Hier  nehmen  normalerweise  die  Mesenehym- 
zellen, die  späteren  Kalkerzeuger,  eine  bestimmte  Anordnung  ein,  zu- 
nächst radiär  und  dann  nach  Ausprägung  der  Gastrula  bilateral,  in- 
dem durch  die  Gastrulation  zwei  laterale  Häufchen  neben  dem  Urdarm 
entstehen,  die  durch  einen  Ring  verbunden  sind  (Fig.  122  a).  Drie  seh 
hat  solche  Larven  geschüttelt,  auch  in  frühen  Stadien ;  die  Zellen 
kehrten  in  die  richtige  Anordnung  zurück  und  auch  solche,  die 
schon  gleich  bei  ihrem  Austritt  aus  dem  Blastoderm  zerstreut  waren, 
suchten  ihre  richtigen  Standorte  in  der  Nähe  des  Ektoderms  auf 
(Fig.   122c).     (Natürlich   ist  hier   nicht   für    jede    einzelne   Zelle   die 


Fig.  122  a — c. 


a 


9>9?o{ 


aeoefi0 


b 


Fig.  122.     Normale  und  trotz  Schütteln  wiederkehrende  Lagerung  der  Mesenehymzellen 
von  Echinus. 

a  Normale  Lagerung  der  Mesenehymzellen  von  Echinus  vom  vegetativen 
Pol  aus.    Ein  Kranz,  der  bilateral  symmetrische  Anhäufungen  aufweist, 
b  Mesenchym  durch  Schütteln  derangiert  (Larve  von  der  Seite), 
c  Mesenehymzellen     haben     trotz     Schütteln    selbständig     die    normale 
Lagerung  eingenommen,  auch  Darmanlage  etc.  normal. 


Lagerung  bestimmt,  da  sie  ja  untereinander  gleichwertig,  von  gleicher 
prospektiver  Potenz  sind  und  für  einander  eintreten  können.)  Das 
Aufsuchen  der  typischen  Lagerung  auch  vom  atypischen  Ort  aus, 
schloss  jede  andere  bewegungsbestimmende  Möglichkeit  aus  ausser 
eine  direkte,  von  ektodermalen  Stellen  ausgehende  Wirkung,  wahr- 
scheinlich chemischer  Art.  Bei  in  Lithium  salzen  gezogenen  Larven 
hat  das  Mesenchym  ebenfalls  eine  für  den  speziellen  Fall  typische, 
aber    von    der    normalen    abweichende   Anordnung;    da    dieselbe   bei 


in  frühen  Stadion  der  Entwickelung  und  ihre  gestaltende  Wirkung.         159 

allen  Lithiumlarven  gleichmäfsig  wiederkehrt,  so  ist  zu  schliessen, 
dass  die  Reizstellen  im  Ektoderm  anders  gelagert  sind  wie  normal, 
aber  doch  für  Lithiumlarven  typisch,  und  dass  dal  »ei  die  veränderte 
chemische  Beschaffenheit  des  Wassers  resp.  der  Zellen  ihre  Rolle  spielt. 


Ebenso  wie  chemische  Reize  spielen  auch  mechanische  Be- 
einflussungen, die  sich  durch  das  Wachstum  selbst  ergeben,  bei  den 
I  restaltungsprozessen  im  Embryo  mit.  So  wie  im  erwachsenen  Körper 
funktionierende  Organe  und  Gewebe  aufeinander  mechanisch  einwirken, 
ebenso  können  auch  bei  entstehenden  Geweben  und  Organe  gewisse 
mechanische  Beeinflussungen  gegenseitig  stattfinden,  obschon  man  sich 
immer  die  scheinbare  mechanische  Einheit  als  zusammengesetzt  aus  zahl- 
reichen einzelnen  lebenden  Individualitäten,  den  Zellen,  zu  denken  hat. 

Einen  sehr  vielfach  diskutierten  Fall  dieser  Art  bilden  die  Faltungs- 
prozesse, die  sich  an  Epithelien  während  der  Entwickelung  zeigen, 
und  besonders  deren  bedeutsamster,  die  Bildung  des  Urdarms  oder 
die  Gastrulation.  Schon  frühe  und  vor  der  eigentlichen  entwickelungs- 
mechanischen  Richtung  haben  einzelne  Forscher,  wie  Goette  und 
His  hier  das  mechanische  Moment  zur  Geltung  zu  bringen  gesucht. 
Es  wurden  dabei  nicht  die  einzelnen  Zellen  als  Individualitäten  auf- 
gefasst,  sondern  in  ihrem  Verband  zu  Membranen,  Blasen  als  etwas 
Einheitliches  gedacht,  das  physikalischen  Gesetzen  der  Spannung, 
Dehnung,  Torsion  etc.  wie  andere  Membranen,  Blasen,  Stäbe  etc. 
unterworfen  sei.  Eine  Berechtigung  dazu  war  schon  insofern  gegeben,, 
als  die  phylogenetische  Erklärung,  darin  die  Bildung  des  Darmhohl- 
raums eines  Urtiers  zu  erblicken,  auf  Schwierigkeiten  stiess.  Ferner 
können  sich  solche  Faltungen  und  Einstülpungen  in  der  Entwickelung 
mehrfach  hintereinander  folgen,  die  bedeutsame  Urdarminvagination 
braucht  nicht  einmal  die  erste  zu  sein,  zweitens  verläuft  die  Bildung 
des  Urdarms  sehr  oft  nicht  in  Form  einer  Einstülpung,  sondern  kann 
auch  durch  Einwuchern  eines  soliden  Zellpfropfs  oder  sogar  durch 
selbstständiges  und  getrenntes  "Wandern  einzelner  Zellen  erfolgen. 

Für  den  ersten  Fall  bietet  die  Entwickelung  zahlreicher  Muscheln 
ein  Beispiel.  Hier  ist  die  erste  Einstülpung  meist  die  Anlage  der 
(zunächst  unpaaren)  Schalendrüse,  die  darum  auch  fälschlich  öfters 
für  die  Bildung  des  Urdarms  gehalten  wurde,  dann  erst  erfolgt  die 
eigentliche  Gastrulation.  Aber  auch  wo  die  Gastrulation  der  erste 
wahrnehmbare  Einstülpungsvorgang  ist,  können  nachher  andere  Ent- 
wicklungsprozesse,  wie  Amnionbildung,  Nervenrohranlage  etc.  unter 


1(30  XVI.   Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen   und  Zellkomplexen 

dem  gleichen  Bild  der  Imagination  verlaufen,  lauter  solche  »Gastru- 
lationen«  bildend.  Es  ist  daher  die  Faltenbildung  ein  allgemeiner 
im   Wachstum  mechanisch  begründeter  Vorgang 

Die  Erklärung  wird  folgendermafsen  gegeben.  Für  die  Bildung 
einer  neuen  Gestaltung  ist  ungleiches  Wachstum  anzunehmen  inner- 
halb eines  Zellverbandes;  denn  wenn  alle  Zellen  gleiehmäfsig  wachsen, 
so  würde  nur  das  Bestehende  vergrössert.  Eine  bestimmte  Zellgruppe 
sucht  infolge  der  Vermehrung  auf  die  Nachbarschaft  zu  drücken,  da 
aber  das  Auseinanderweichen  nicht  wie  beim  gleichmäfsigen  Wachstum 
möglich  ist,  so  wird  die  passive  Umgebung  nach  His  gleichsam  einen 
festen  Rahmen  bilden  um  den  sich  dehnenden  und  eine  grössere 
Oberfläche  beanspruchenden  Teil,  daher  die  Faltenbildung  in  Form 
von  Ein-  und  Ausstülpung. 

Rhumbler  hat  die  mechanische  Analyse  des  Vorgangs  noch 
weiter  geführt,  davon  ausgehend,  dass  es  sich  nicht  um  einen  Aus-, 
sondern  um  einen  Einstülpungsprozess  handelt,  Er  macht  geltend, 
dass  die  erörterten  Spannungen  etc.  allein  nicht  hinreichen  zur  Er- 
klärung ;  sonst  müsste  bei  der  Gestalt  der  Blastulazellen  (jede  einzelne 
bildet  einen  Keil,  mit  dem  Rücken  nach  aussen,  der  Schneide  nach 
innen),  aus  rein  mechanischen  Gründen  eine  Ausstülpung  erfolgen. 
Auch  der  Druck  der  Eihülle,  die  dem  stärkeren  Wachstum  einen 
Widerstand  von  aussen  entgegensetzt  und  in  manchen  Fällen  mit- 
wirkt, genügt  nicht  zur  Erklärung,  ebensowenig  kann  eine  saugende 
Wirkung  der  verminderten  Blastocoelflüssigkeit  zu  gunsten  der  Ein- 
stülpung entscheiden,  vielmehr  ist  eine  aktive  Beteiligung  der  Ekto- 
•dermzellen  auch  beim  Invaginationsvorgang  anzunehmen,  eine  Gestalt- 
veräuderung  durch  Umorientierung  der  Keilform  und  ein  selbständiges 
Wandern,  wie  bei  manchem  scheinbaren  Umwachsungsprozess,  z.  B. 
•der  Amphibiengastrulation  Also  ist  auch  hier  die  Invagination  kein 
solch  einfacher  passiver  Vorgang,  bei  dem  man  Zellplatten  mit  toten 
Membranen  vergleichen  könnte,  sondern  die  einzelnen  Zellen  wirken 
für  sich.1)  Noch  offenbarer  ist  dies  natürlich  bei  der  typischen 
Immigration,  besonders  der  multipolaren,  des  Entoderms. 

Selbst  wenn  man  aber  solche  mechanischen  Spannungen  etc.  als 
durchaus  bestimmend  für  die  Einstülpung  annehmen  könnte,  wräre  damit 
hier  doch  nicht  einer   abhängigen  Differenzierung  das  Wort  geredet; 


!)  Von  Driesch  wird  übrigens  gegen  diese  Wachstums-  und  Spannungsver- 
hältnisse hervorgehoben,  dass  hei  der  Echinidengastrula  gerade  die  vegetativsten 
Zellen  die  kleinsten    sind,    und    dass    auch  während  der  Gastrulation  das  Gesamt. 


volumen  des  Keimes  stetig  wächst. 


in  frühen  Stadien  der  Entwicklung  und  ihre  gestaltende  Wirkung.         161 

•denn  es  sind  immer  Wachsturnsdifferenzen  und  Verstärkungen  in 
bestimmten  Zellen,  die  als  eigentliche  Ursache  der  Spannung  voraus- 
gehen müssen,  und  diese  Zellen  kennzeichnen  sich  schon  an  der  Blas- 
tula als  deutlich  differenziert.  Es  verdient  Hervorhebung,  dass 
eigentlich  keine  reine  Blastula,  also  eine  aus  ganz  gleichmäfsig  aus- 
sehenden und  gleichwertigen  Zellen  bestehende  Blase  bekannt  ist, 
sondern  sich  der  entodermale  Teil  mehr  oder  minder  deutlich  aus- 
prägt durch  die  Verteilung  der  Plasmasubstanzen  in  den  Zellen,  die 
einfach  vom  Ei  auf  dieses  Blastulastadium  übergeht.  Von  einer  wirk- 
lich abhängigen  Differenzierung  könnte  man  nur  dann  reden,  wenn 
durch  die  Einstülpung  selbst  erst  die  Verschiedenheit  der  gastralen 
Zellen  hervorgerufen  würde,  und  wenn  ganz  gleichgültig  bald  dieser, 
bald  jener  Pol  der  Blastula,  das  heisst  jede  Stelle  des  Blastoderms  sich 
einstülpen  könnte.  Das  hat  z.  B.  De  läge  von  der  sehr  primitiven 
Larve  eines  Schwamm  es,  Oscarella,  angenommen;  es  wurde  aber  auch 
hier  von  Maas  nachgewiesen,  dass  es  immer  ein  schon  von  Anfang 
bestimmter  Pol  des  Eies,  resp.  der  Blastula  ist,  an  dem  sich  die  Ein- 
stülpung vollzieht,  nur  dass  dieser  Pol  seine  äusserliche  Verschieden- 
heit erst  im  freien  Blastulastadium  nach  und  nach  annimmt. 

Die  Faltenbildungen  wiederholen  sich  bei  der  Bildung  anderer 
Organe,  z.  B.  der  Anhangsdrüsen  des  Darms;  hier  kann  man  wieder  die 
gleiche  Frage  stellen,  ob  die  Verschiedenheit  des  Materials  schon  vorher 
vorhanden  war  oder  erst  durch  die  Verlegung  in  die  Falte  hervor- 
gebracht wird,  und  in  verschiedenem  Sinn  entscheiden,  wie  dies  bereits 
in  einem  früheren  Kapitel  von  der  prospektiven  Bedeutung,  prospektiven 
Potenz  und  deren  allmählicher  Einschränkung  erörtert  wurde  (s.  p.  89). 


Alle  diese  Dehnungs-,  Pressungs-  und  Faltungsprozesse,  bei  denen 
sicherlich  mechanische  Momente  mitspielen,  stellen  aber  nur  eine 
Seite  der  zahlreichen  Korrelationswirkungen  dar,  die  sich  im  Verlauf 
der  Ontogenese  durch  den  Entwickelungsvorgang  von  selbst  ergeben; 
schon  von  allem  Anfang  an  liegt  in  der  Zellteilung  selbst  ein 
wesentliches  Grundphänomen  für  alle  Formbildung. 

Durch  die  Zellteilung  an  und  für  sich  wird  eine  Reihe  mannig- 
faltiger gegenseitiger  Beziehungen  geschaffen,  die  sich  stets  weiter 
ändern   und   von   formativem  Einfluss   sein   müssen ').     Schon   durch 


!)  Von  Lillie  wird  zwar  angegehen.  dass  bei  den  Eiern  des  Chaetopterus 
pergamentaceus  nach  etwa  stundenlangem  Aufenthalt  in  KCl  und  nachheriger  Über- 
tragung in  normales  Seewasser,  die  Zellteilung  unterbleibt,  und  doch  am  Ei  Diffe- 
renzierungen eintreten  sollen.    Das  Ektoplasma  vakuolisiert  sich,  wie  das  Ektoderm 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  P'ntwickelungsgeschichte.  11 


162  XVI.  Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexeu 

die  abnehmende  Grösse  der  Teilstücke  ändern  sich  die  quantitativen 
Relationen  von  Kern  und  Plasma,  die  wie  besonders  von  R.  Hertwig 
gezeigt  worden  ist,  für  das  Leben  der  Zelle  sehr  bedeutsam  sind.  Im 
Anfang  der  Entwicklung  ist  verhältnismäfsig  viel  weniger  Kernsub- 
stanz  gegenüber  der  Plasmasubstanz  vorhanden,  wie  am  Ende  der 
Furchung  (s.  p.  82),  und  durch  diese  veränderte  Relation  können, 
wenn  sie  zu  einem  bestimmten  Grad  gediehen  ist,  neue  Prozesse  aus- 
gelöst gedacht  werden.  Auch  qualitativ  müssen  sich  Kern  und  Plasma 
im  Lauf  der  Teilungen  ändern,  auch  wenn  man  eine  qualitativ  gleiche 
Kernteilung  wie  früher  auseinandergesetzt,  annehmen  muss.  Die 
Plasmateilung  und  -Verteilung  geschieht  ja  während  der  Furchung 
nicht  gleichmäfsig ;  verschiedene  Mengen  verschiedener  plasmatischer 
Substanzen  kommen  in  verschiedene  Zellen  zu  liegen,  und  da  Kern 
und  Plasma  doch  nicht  von  einander  zu  trennen  sind,  sondern  in 
steter  Wechselbeziehung,  auch  wirklichem  Stoff austausch,  stehen,  so 
wird  dadurch  nach  und  nach  immerhin  eine  qualitative  Verschieden- 
heit der  Kerne  hervorgebracht,  auch  wenn  die  Karyokinesen  selbst 
ganz  unparteiisch  verfahren. 

Weiterhin  ändert  sich  durch  die  blosse  Zellteilung  das  Verhältnis 
von  Oberfläche  zur  Masse.  Ein  gewisses  Verhältnis  ist  hier  beim 
Wachstum  eines  lebenden  Organismus  im  allgemeinen  und  einer  Zelle 
im  besonderen  nicht  überschreitbar,  weil  ja  die  Masse  im  Cubus,  die 
Fläche  im  Quadrat  wächst  und  schliesslich  letztere  für  die  Bedürfnisse 
an  Gas-  und  anderen  Stoffaustausch  der  vergrösserten  Masse  nicht 
mehr  genügen  würde.  Im  Verlauf  der  Furchung  wird  dies  Ver- 
hältnis für  die  einzelne  Zelle  immer  günstiger  gestaltet,  und  dadurch 
ergeben  sich  immer  mannigfachere  Beziehungen  für  den  Stoffaustausch 
und  den  Verkehr  mit  den  Nachbarzellen.  Für  die  Bewegungser- 
scheinungen kommt  nach  den  Untersuchungen  von  Rhumbler  be- 
sonders das  Oberflächenplasma  in  Betracht,  und  manche  physikalischen 
Gesetze  der  Oberflächenspannung  können  nach  ihm  direkt  auf  den 
Organismus  spez.  die  Zelle  angewandt  werden ;  schon  deswegen  ist 
also  die  durch  die  Furchung  geschaffene  Vermehrung   der  Zell- 


der  Trochophora,  es  bilden  sich  Cilien,  der  Dotter  sammelt  sicli  innen  zn  einer 
dichten  Masse ;  manchmal  sei  sogar  eine  regionale  Übereinstimmung  mit  der  Trocho- 
phora  vorhanden.  Diese  Ergebnisse  scheinen  noch  einer  Bestätigung  zu  bedürfen, 
wenn  man  an  die  vielfachen  pathologischen  Veränderungen  denkt,  die  dabei  möglich 
sind,  und  an  die  Abstufungen  der  Tinktionsfähigkeit.  Vielleicht  sind  ektodermale 
abnorme  Kerne  übersehen  worden,  und  der  grosse  sich  „diffus  färbende  Kernbezirk" 
im  Innern  entspricht  der  Summe  der  Makromerenkerne. 


in  frühen  Stadien  der  Entwickelung  und  ihre  gestaltende  Wirkung.         163 

aus senf lachen  von  Bedeutung;  noch  mehr  aber  darum,  weil  sich 
verschiedenartige  Oberflächen  ergaben:  freie  Flächen  nach  aussen, 
andersartige  freie  Flächen  nach  der  Innenhöhle,  und  ferner  Berührungs- 
flächen der  Teilstücke  miteinander.  Besonders  von  Rhumbler  sind 
die  Verhältnisse  des  Oberflächenplasmas  je  nach  der  Verschiedenheit 
der  betreffenden  Flächen  studiert  worden.  Wie  sich  bei  einzelnen 
Eiformen  das  Oberflächenplasma  im  Verlauf  der  Furchung  zu  den 
neugeschaffenen  Flächen  verhält,  ist  an  verschiedenen  Objekten  von 
mehreren  Autoren  beobachtet  worden.  Bei  den  Eiern  der  Medusen 
(Aegineta  flavescens)  folgt  es  nach  Maas  stets  den  neuen  Flächen, 
auch  nach  Eingriffen;  es  werden  dadurch  für  den  natürlichen  Ent- 
wickelungsgang  die  Mannigfaltigkeiten  sehr  vermehrt  und  für  den 
gestörten  Verlauf  Regulierungen  geschaffen. 

Die  erwähnten  Mannigfaltigkeiten  werden  schon  durch  die  Teilung 
an  und  für  sich  erreicht,  auch  wenn  sie  immer  aequal  wäre ;  dies  ist 
aber  kaum  der  Fall,  sondern  fast  in  jeder  Furchung  sehen  wir- sehr 
bald  Grössenunterschiede,  bestimmte  Richtungen  der  Teilungen  bevor- 
zugt und  auch  einen  verschiedenen  Rhythmus,  so  dass  die  Verschieden- 
artigkeit der  durch  den  Entwickelungsprozess  erreichten  Produkte 
noch  gesteigert  wird.  Es  fragt  sich  auch  hier,  inwieweit  solche 
Differenzierungen  durch  den  Gang  der  Entwicklung  selbst  erst 
hervorgerufen  werden,  oder  ob  sie  präformiert  sind.  Wir  können 
uns  hier  kurz  fassen,  zum  Teil  weil  hierbei  cytologische  Fragen  in 
Betracht  kommen,  die  »Zellmechanik«  aber,  wie  früher  erwähnt, 
ausserhalb  des  Rahmens  der  eigentlichen  Ent  wickelungs- 
physiologie  liegt,  zum  Teil  weil  es  sich  hier  um  blosse  Theorien 
handelt,  unsere  Ausführungen  sich  aber  jeweils  an  Experimente  an- 
schliessen  sollen.  Die  Experimente  aber,  die  vorliegen,  sind  teilweise 
schon  bei  denen  über  die  Eifurchung  besprochen  worden ,  teils 
kommen  sie  noch  bei  den  äusseren  Bedingungen  der  Entwickelung 
zur  Erörterung ;  denn  gerade  die  äusseren  Bedingungen  wirken  auf 
Rhythmus  und  Richtung  der  Teilungen,  ohne  allerdings  positiv 
formbildend  zu  sein. 

Dass  sich  bestimmte  Grössenunterschiede  der  Zellen  heraus-" 
bilden,  ist,  wie  schon  in  früheren  Kapiteln  bemerkt,  den  Verhältnissen 
der  Plasmaverteilung  im  Ei  zuzuschreiben.  Der  Kern  selbst  sucht  nach 
O.  H  e  r  t  w  i  g  s  treffendem  Ausdruck  stets  die  Mitte  seiner  Wirkungs- 
sphäre einzunehmen,  und  hier  leitet  er  die  Zellteilung  ein.  Die  Ver- 
teilung des  eigentlichen  aktionsfähigen  Protoplasmas  im  Gegensatz  zu 
Dotter-   und   anderen  Einlagerungen   ist  in   der  Zelle  meist  räumlich 

11* 


1()4  XVI.   Kapitel.     Die  Korrelationen  von  Zellen  und  Zellkomplexen 

etwas  ungleich;  schon  dadurch  werden  sehr  bald  Unterschiede  unter  den 
Produkten  hervorgebracht.  Je  mehr  eigentliches  aktionsfähiges  Proto- 
plasma die  Zellen  enthalten,  desto  mehr  sind  sie  zur  Teilung  befähigt. 
Dies  kann  durch  experimentelle  Veränderung  des  Dottergehalts  nach- 
gewiesen werden  (s.  auch  die  Versuche  über  Zentrifugalkraft  p.  170). 
Es  wird  also  die  schon  angebahnte  Ungleichheit  im  -  Laufe  der  Ent- 
wickelung  noch  gesteigert ;  die  ungleiche  r äumliche  Verteilung  und 
das  zeitliche  Vorauseilen  unterstützen  sich  gegenseitig  in  der 
Wirkung,  eine  immer  grössere  Verschiedenheit  der  Produkte  zu  er- 
zielen. Man  kann  nicht  sagen,  dass  die  Entwicklung  selbst  die 
Ursache  der  Ungleichheit  ist ;  vielmehr  liegt  letztere  schon  in  der  Ei- 
struktur  begründet  und  wird  durch  den  Entwicklungsgang  sozusagen 
nur  ausgelöst.  Was  vorher  kaum  wahrnehmbar  war,  tritt  dann  in 
deutliche  Erscheinung . 

Die  Teilungsrichtungen  sind  nach  dem  jetzt  und  früher 
gesagten  ebenfalls  zunächst  von  der  Massenverteilung  im  Ei  abhängig. 
Bei  der  Einstellung  des  Kerns  in  die  Mitte  seiner  Wirkungssphäre 
(nach  0.  Hertwig)  kommt  die  Achse  der  Spindel  in  die  Richtung 
des  grössten  Durchmessers  des  bei  der  Teilung  tätigen  Protoplasmas 
zu  liegen.  Wenn  durch  äussere  Bedingungen  die  Wirkung  dieser 
Faktoren  abgeschwächt,  oder  die  Verteilung  selbst  geändert  wird,  so 
kann  auch  die  Richtung  der  Spindeln  resp.  der  Teilungen  verändert 
werden,  ein  Anachronismus  in  der  Folge  der  Teilungen  auftreten, 
wobei  aber  die  spätere  Gestaltung  meist  nicht  beeinflusst  resp.  trotz 
der  atypischen  Teilungsrichtungen  zur  normalen  reguliert  wird. 
Diese  Untersuchungen  fallen  daher  weniger  in  das  Bereich  der  Ent- 
wickelungsphysiologie  in  unserem  Sinne  (s.  p.  4),  als  in  das  der  Zell- 
und  Protoplasmamechanik,  ein  Gebiet,  das  durch  Rhumbler, 
Meves  u.  a.  spezielle  Bearbeitung  erfahren  hat, 

Der  Rhythmus  der  Zellteilungen  trägt  ebenfalls  zur  Vermehrung 
resp.  zum  Deutlich  werden  der  schon  im  Keim  vorhandenen  Mannig- 
faltigkeiten bei,  indem  die  zuerst  wenigen  und  gleichzeitigen  Teilungen 
in  den  einzelnen  Zellen  und  Zellgruppen  nach  und  nach  ungleichzeitig 
werden.  Zum  Teil  hängt  dies  ebenfalls  mit  den  erwähnten  Ungleich- 
heiten der  Plasmaverteilung  zusammen,  zum  Teil  sind  die  Ursachen 
nicht  ersichtlich,  wie  bei  den  Cephalophodeneiern,  wo  in  der  Keim- 
scheibe zwei  Gruppen  von  Furchungszellen,  zwischen  denen  man 
keine  durchgreifenden  Plasmaunterschiede  nachweisen  kann,  derart 
in  der  Teilung  abwechseln,  dass  immer  eine  Gruppe  Karyokinesen 
zeigt,  während  die  andere  in  Ruhe  ist  und  umgekehrt. 


in  frühen   Stadien   der  Entwickelung  und  ihre  gestaltende   Wirkung.  165 

Der  Teilungsrhythmus  steht  auch  mit  der  früher  erörterten 
Eigentümlichkeit  in  Beziehung,  wonach  jeder  Spezies  für  ihre  be- 
stimmten Organzellen  eine  bestimmte  Zellgrösse  zukommt.  Wenn 
diese  erreicht  ist,  werden  die  Teilungen  bis  zur  Einleitung  neuer 
Elementarprozesse  sistiert.  Am  halbierten,  geviertelten  etc.  verdoppelten 
Furchungsmaterial  sind  bei  Regulierung  halb,  vierteis,  resp.  doppelt 
soviel  Organzellen  vorhanden,  wie  im  typischen  Fall,  jedoch  von 
normaler  Grösse ;  die  Teilungen  müssen  demnach  je  nach  dem  ein- 
zelnen Fall  von  selbst  früher  aufhören,  resp.  um  eine  Phase  länger 
andauern.  So  kommen  wir  auch  hier  zu  dem  von  Driesch  für  den 
Organismus  angenommenen  besonderen  »vitalen  Geschehen«. 

Ebenso  hängt  der  Rhythmus  der  Teilung  innig  zusammen  mit 
der  Frage  nach  den  Ursachen  der  Zellteilung  überhaupt,  die  wir 
ebenfalls  einstweilen  als  »vitales  Phänomen«  bezeichnen  müssen.  Der 
embryonale  Lebensprozess  besteht  und  offenbart  sich  zunächst  fast  aus- 
schliesslich als  Zellteilung;  gerade  in  diesem  Nichtruhen,  Sichweiter- 
teilen  ist  die  Ursache,  resp.  der  Anstoss  zu  all  den  Prozessen  der  Ent- 
wickelung gegeben,  besteht  die  Auslösung  der  im  Ei  bereits  vorhandenen 
Mannigfaltigkeit  zu  der  des  Organismus.  Was  aber  eine  Zelle  aus 
der  Ruhe  bringt  und  die  Teilung  anregt,  darüber  hat  man  sich  im 
allgemeinen  keine  Vorstellungen  gemacht;  man  begnügt  sich  gewöhnlich 
mit  dem  Hinweis,  dass  die  Zellteilung  auf  dem  Zellwachstum  beruht. 
Nur  neuerdings  hat  R.  Hertwig  versucht,  zum  Teil  gestützt  auf 
die  Erscheinungen  des  Furchungsprozesses,  zum  Teil  auf  Grund 
experimenteller  Untersuchungen  an  Protozoen  unsere  Vorstellungen 
über  die  Vorgänge,  welche  zur  Zellteilung  führen,  genauer  zu  gestalten. 
Er  geht  davon  aus,  dass  ein  bestimmtes  Grössenverhältnis  von  Kern 
und  Protoplasmamasse  für  jede  Zelle  gegeben  ist.  Bei  der  Ernährung 
wächst  zunächst  das  Plasma,  bis  das  zunehmende  Missverhältnis  von 
Kern  und  Protoplasma  einen  ansehnlichen  Grad  erreicht  hat  und  ein 
bestimmtes  Mafs  von  Spannung  zwischen  Kern  und  Protoplasma  sich 
entwickelt.  Dann  gewinnt  der  Kern  die  Fähigkeit  auf  Kosten  des 
Protoplasma  zu  wachsen;  dabei  entstehen  Veränderungen  in  beiden 
Zellteilen,  welche  zur  Teilung  führen.  Hertwig  erklärt  die  rasche 
Aufeinanderfolge  der  Teilungen  beim  Furchungsprozess  durch  den 
Hinweis,  dass  hier  anfänglich  ein  enormer  Unterschied  zwischen  Kern 
und  Protoplasmamasse  vorhanden  ist,  so  dass  nach  jeder  Teilung  die 
für  eine  spätere  Teilung  nötige  Spannung  vorhanden  ist,  Ein  Ruhe- 
punkt würde  erst  erzielt  werden,  wenn  die  normale  Ration  von  Kern 
und  Protoplasmamasse  erreicht  ist. 


C.  Äussere  Faktoren  der  Entwickelung. 


XVII.  Kapitel. 
Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen  der  Entwickelung. 

4.  Die  physikalischen  Vorbedingungen. 

Die  Schwerkraft.     Der  osmotische   Druck.     (Osmose  und  Wachstum.)     Das 
Licht.     Die    Temperatur.     (Maximum,    Minimum,    Optimum.)     (Gestaltbildender 

Einfluss  oder  Energiequelle?) 

Wie  der  erwachsene  Organismus  so  steht  auch  der  sich  ent- 
wickelnde in  beständigem  Verkehr  mit  einer  Aussenwelt.  Je  nach 
der  Art  der  Entwickelung,  die  in  freiem  Wasser,  in  einer  Eihülle, 
oder  im  mütterlichen  Körper  vor  sich  gehen  kann,  ist  der  Kreis  der 
Aussenwelt  freier  oder  eingeengter,  der  Verkehr  mit  ihr  direkt  oder 
mehr  indirekt;  stets  aber  werden  sich  deren  Verhältnisse,  die  physi- 
kalischen sowohl,  z.  B.  die  Temperatur,  als  die  chemischen,  z.  B.  die 
Zusammensetzung  des  umgebenden  Wassers,  in  ihrer  Wirkuug  bemerk- 
bar machen. 

Diese  Wirkung  auf  die  Entwickelung  darf,  wie  in  früheren 
Kapiteln  ausgesetzt  wurde,  nicht  überschätzt  werden;  man  wird 
nimmermehr  sagen  dürfen,  wie  es  von  manchen  Forschern  geschieht, 
dass  auch  die  Verhältnisse  der  Aussenwelt  »die  Gestaltbildung  des 
Embryo  beherrschen«  ;  man  wird  diese  Ursachen  nie  gleichstellen 
dürfen  mit  den  im  Organismus  selbst  liegenden  Ursachen  des  Ent- 
wickelungsganges,  sondern  in  ihnen  nur  Vorbedingungen  sehen,  die 
für  den  regelrechten  Ablauf  der  Entwickelung  notwendig  sind. 

Zum  Teil  wirken  äussere  Verhältnisse  wie  andere  Reize,  indem  sie 
gewisse  in  der  Natur  des  Organismus  vorgesehene  Dinge  zur  Auslösung 
und  so  Vorgänge  der  Ontogenese  zum  Ablauf  bringen;  als  solcher  ist  ihrer 
bereits  bei  der  Theorie  der  formativen  Reize  gedacht  worden.  Zum 
Teil  stehen  sie  dem  eigentlichen  Formgeschehen  noch  ferner;  es  treten 
wohl  bei  ihrem  Fehlen  Missbildungen  auf,  die  aber  nicht  für  gestal- 
tende Wirkung  sprechen,  sondern  nur  als  Hemmungen  des  normalen 


XVII.  Eapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen.  167 

Ahlaufs  aufzufassen  sind.  Zum  Teil  sind  sie  sogar  nicht  absolut 
notwendig,  sondern  nur  relativ;  in  einer  bestimmten  Menge  wirken 
sie  am  günstigsten,  können  aber  bis  zu  minimalen  Quantitäten  ent- 
behrt werden.  Bei  der  Wärme  werden  unterhall)  einer  gewissen 
'Temperaturgrenze  die  Embryonen  in  ihrer  Entwickelung  zum  Still- 
stand gebracht,  oberhalb  einer  gewissen  Grenze  deformirt;  innerhalb 
dieser  Grenzen  geht  die  Entwickelung  je  nach  der  Höhe  der  Tempe- 
ratur, nur  langsamer  oder  schneller,  vor  sich.  Das  sind  Dinge,  die 
auch  beim  anorganischen  Geschehen  eintreten  —  auch  chemische 
Umsetzungen  finden  häufig  nur  von  einer  bestimmten  Temperatur 
ab  statt  und  werden  mit  steigender  Temperatur  beschleunigt  — ,  die 
also  zum  Wesen  des  Formgeschehens,  nach  Driesch's  Ausdruck, 
nur  sehr  lockere  Beziehungen  haben. 

Die  äusseren  Bedingungen  waren  das  Nächstliegende,  an  dem  das 
Experiment  einsetzen  konnte;  ihre  Überschätzung  ist  daher  nur  eine 
Folge  der  historischen  Entwickelung  der  entwickelungsphysiologischen 
Richtung.  Man  experimentierte  und  wenn  man  einen  Faktor  der 
Aussenwelt  für  ein  Geschehen  als  notwendig  erkannt  hatte,  so  glaubte 
man  damit  in  die  Spezüizität  des  Geschehens  selbst  einen  Einblick 
gewonnen  zu  haben;  man  verwechselte,  in  Driesch's  Terminologie 
zu  reden,  blosse  Mittel  der  Ontogenese  mit  wirklich  determinierenden 
Faktoren. 

Namentlich  bei  einer  äusseren  Bedingung,  der  Schwerkraft, 
i>t  diese  Überschätzung  für  die  Formausprägung  zu  Tage  getreten. 
In  dieser  Frage  liegen  eigentlich  die  frühesten  Ansätze  einer  bewusst 
experimentellen  Richtung  in  der  Embryologie,  die  Versuche  von 
Pflüger  am  Amphibienei.  Schon  durch  blosse  Beobachtung  ist 
folgendes  festzustellen.  Beim  braunen  Grasfrosch  (Rana  fusca)  ist 
Plasma  und  Dotter  polar  differenziert  und  verteilt;  der  animale  Pol 
braun  gefärbt  nach  oben,  der  vegetative,  weisslich  gefärbte  nach 
unten  gerichtet,  die  Eiaxe  also  genau  senkrecht.  (Beim  grünen  Gras- 
frosch (R.  esculenta)  ist  die  Axe  vom  weissen  zum  pigmentirten  Pol 
•etwas  schief  gestellt.)  Die  erste  Furche  in  der  Entwickelung  steht 
nun  ebenfalls  senkrecht,  zu  ihr  werden  die  sich  anlegenden  Organe 
normaler  Weise  symmetrisch  orientiert,  die  erste  Furche  entspricht 
also  der  Medianebene  des  Tieres,  es  wird  also  auch  »die  Lagerung 
der  Organe  von  der  Schwerkraft  bestimmt,  die  »Schwerkraft  beherrscht 
die  Organisation«  (Pflüger).  Es  geschieht  dies  dadurch,  dass  das 
befruchtete  Ei  als  Ganzes  in  seiner  Gallerthülle  sien  immer  so  drehen 
kann,  dass  der  weisse  Pol  mit  dem  schweren  Nahrungsdotter  ganz  nach 


168  XVII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

unten  kommt  bei  (R.  esculenta  mit  der  erwähnten  Abweichung).  Diese 
selbsttätige  Drehung  des  ganzen  Eis  glaubte  nun  Pflüger  verhindern 
zu  können.  Wenn  man  die  Eihülle  nicht  oder  nur  wenig  quellen  lässt, 
so  haftet  sie  dem  Ei  fest  an;  das  Ei  befindet  sich  in  der  sog.  Zwangs- 
lage, kann  sich  nicht  drehen.  Es  ergeben  sich  dann  sehr  verschiedene 
Stellungen  der  Eiaxe,  des  pigmentierten  und  weissen  Pols  zur  Gravi- 
tationsebene.  Trotzdem  aber  fand  Pf  lüg  er  die  Medianebene  des 
sich  entwickelnden  Tieres  senkrecht  stehend,  die  kleinen,  animalen 
Blastomeren  oben,  auch  wenn  da  weisses,  statt  braunes  Material  lag, 
die  grossen  vegetativen  stets  unten,  das  Nerven  röhr  stets  oben,  den 
Blastoporus  unten  seitlich  etc.  Daraus  zog  Pflüger  den  Schluss, 
dass  die  Eiorganisation  nichts  mit  dem  Aufbau  des  Embryo  zu  tun 
habe,  sondern  dass  dieser  im  weitgehendsten  Sinne  der  Epigenese 
durch  die  in  der  Entwicklung  selbst  dazukommenden  Umstände,, 
wie  hier  die  Schwerkraft,  bestimmt  werde. 

Fig.  123  a,  b. 
a  b 


Fig.  123.     Nornialstehendes  Froschei, 

a  Einschneiden  der  ersten  Furche.     Ei  in  der  Ansicht  von  vorn, 
b  Ei  in  normaler  Acht-teilung  (dritte  Furche),  Ansicht  von  vorn. 

Dieser  Schluss  war  irrig;  denn  es  hat  sich  herausgestellt,  dass 
bei  den  in  Zwangslage  gehaltenen  Eiern  nur  die  äussere  Schicht 
fixiert  ist,  im  Innern  aber  trotzdem  eine  Umordnung  der  Teile,  ent- 
sprechend der  Schwerkraft,  eintritt.  Die  Pigmentverteilung  giebt  also 
nicht  wie  im  normalen  Ei  das  Bild  der  nach  der  Schwere  verteilten 
Dottermassen  wieder,  sondern  betrifft  nur  die  alleräussersten  Schichten, 
wie  namentlich  Born  durch  Experimente  mit  an  bestimmter  Stelle 
markierten  Eiern  und  nachfolgende  Zerlegung  in  Schnittserien  dar- 
getan hat;  im  Innern  herrscht  die  gleiche  Substanzverteilung  wie  im 
normalen  Ei.  Bei  dem  ganzen  Vorgang  handelt  es  sich  also  nicht  um 
eine  »rätselhafte  Einwirkung  der  Schwerkraft«  auf  gleichwertige  Teile 


der  Entwickelung.     A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen.  169 

des  »isotropen«  Eies,  die  dadurch  verschieden  würden,  sondern  wie 
O.  Hertwig  und  Roux  erläutern,  sind  die  erwähnten  Tatsachen 
der  Entwicklung  lediglich  Folgen  des  Aufbaues  des  Froscheies  au-* 
Substanzen  verschiedener  Schwere. 

Von  0.  Schul tze  ist  der  sog.  richtende  Einfluss  der  Schwer- 
kraft neuerdings  auf  verschiedene  Weise  zu  beweisen  versucht  worden; 
doch  scheinen  diese  Anschauungen  durch  Roux,  Kathariner  u.  A. 
endgiltig  widerlegt  zu  sein.  Deren  Experimente  gehen  in  verschiedener 
Anordnung  auf  dasselbe  Ziel  hinaus,  nämlich  Eier  während  der  Ent- 
wickelung  in  beständig  wechselnde  Anordnung  zur  Gravitationsebene 
zu  bringen;  Roux  bewirkt  dies  durch  beständiges  Rotieren  der 
Gefässe  mit  den  Froscheiern  in  einer  vertikalen  Ebene  um  eine  hori- 
zontale Axe,  Kathariner  durch  einen  beständigen  Wasserstrom  in 
dem  Gefäss,  so  dass  die  Eier  fortwährend  herumkugeln.  Die  Ent- 
wicklung verlief  durchaus  normal,  ohne  dass  es  wegen  der  kurzen 
Dauer  der  jeweiligen  Lage  und  der  Zähigkeit  des  Materiales  zu 
störenden  Uniordnungen  hätte  kommen  können  (vgl.  auch  Moszkowski 
oben  p.  37). 

Es  wird  von  Kor  sehe  lt  und  Heider  mit  Recht  darauf  hin- 
gewiesen, dass  man  schon  aus  einer  grossen  Reihe  von  Tatsachen 
der  beschreibenden  Entwicklungsgeschichte  ohne  jedes  Experiment 
den  richtenden  Einfluss  der  Schwerkraft  ausschliessen  könne.  Insekten- 
eier, die  in  sich  eine  polare  Orientierung  zeigen,  werden  vom  Weibchen 
in  der  verschiedenartigsten  Lage  zur  Schwerkraft  angeklebt  und  ent- 
wickeln sich  alle  ganz  gleichmäfsig;  ebenso  die  Eier  von  Crustaceen, 
die  an  den  Beinpaaren  angeheftet,  mit  diesen  beständig  bewegt  und 
gedreht  werden.  Noch  überzeugender  sind  die  Eier  von  Rotatorien, 
die  kugelige  Kolonien  bilden;  bei  denen  also  jedes  einzelne  Tier 
radiär  steht,  und  ausserdem  sich  die  ganze  Kolonie  in  beständig 
kugelnder  Fortbewegung  befindet,  samt  den  Einzeltieren  und  den 
daran  haftenden  Eiern. 

Hier  ist  auch  noch  das  schon  mehrfach  erwähnte  Experiment 
von  O.  Hertwig  anzuschliessen,  wonach  im  Froschei  die  Anordnung 
der  Substanzen  in  noch  weitgehenderem  Mafse  als  im  normalen  der 
Schwerkraft  folgen  kann,  wenn  nämlich  die  Zentrifugalkraft  in  der 
geeigneten  Weise  einwirkt.  Es  werden  alsdann  bei  Umdrehung  im 
Centrifugenapparat,  dessen  Geschwindigkeit  man  varriieren  kann,  die 
Dotterplättchen  noch  mehr  nach  der  vegetativen  Hälfte  gebracht,  als 
im  normalen  Ei,  und  man  kann,  wenn  man  den  Furchungsprozess 
unter  den  gleichen  Umständen  fortgehen  lässt,    nach  24  Stunden  ein 


170  XVII.  Kapitel.     Die  Experimente  ;wi  den  äusseren  Bedingungen 

Stadium  erhalten,  bei  dem  nur  die  animale  Hälfte  des  Eies  gefurcht 
ist  (Fig.  124),  die  vegetative  wie  bei  einem  Vogelei  unzerlegt  geblieben 
ist,  also  das  holoblastische  Ei  in  ein  meroblastisches  überführen. 
Durch  früheres  Aufhören  der  Centrifugenwirkung  kann  man  die 
Eier  noch  zu  normaler  Entwickelung  bringen;  doch  ist  begreiflicher- 
weise infolge  der  Umordnung  der  Eisubstanzen  eine  grosse  Neigung 
zu  Missbildungen  vorhanden. 


Fig.  124. 


h 


—  d 


i'ioschei,  durch  den  Einfluss  der  Centvifugalkraft  während  der  Entwickelung  gesondert 
in  eine  Keimscheibe  und  eine  unentwickelt  gebliebene  Dotterinasse  (d),  h  =  Furchungs- 

höhle.     Nach  0.  Hertwig. 

Auch  bei  der  Regeneration  kommt  der  Schwerkraft  kein  leitender 
Einfluss  zu.  Die  Versuche,  die  an  Hydroidpolypen  in  dieser  Rich- 
tung angestellt  worden,  sind  nicht  eindeutig,  da  bei  dem  Auswachsen 
von  «Wurzeln«  resp.  Stammstücken  dieser  festsitzenden  Tiere  noch 
andere  Faktoren  in  Frage  kommen.  Bei  der  Linsenregeneration  hat 
hier  Wolff  eine  sinnreiche  Variation  des  Versuches  angestellt.  Die 
Tritonen  wurden  gelähmt  und  in  Rückenlage  gehalten;  dennoch  ent- 
stand die  neue  Linse  vom  morphologisch-oberen,  nich  topographisch- 
oberen Teil  der  Iris.  Es  ist  also  auch  hier  eine  Beteiligung  der 
Schwerkraft  an  der  Lokalisation  des  Vorganges  angeschlossen. 


Eine  weitere  physikalische  Vorbedingung,  die  bei  allen  Lebens- 
prozessen, und  besonders  bei  dem  in  Flüssigkeit  lebenden  Organismus 
in  Betracht  kommt,  ist  der  osmotische  Druck.  Das  Wasser,  auch 
das  süsse,  noch  mehr  natürlich  das  Seewasser,  enthält  Salze  von 
bestimmter  Konzentration;  auch  die  Körperflüssigkeiten,  der  Zellinhalt, 
sind  als  Lösungen  von  bestimmter  Konzentration  aufzufassen.  Die 
Moleküle    einer    Lösung    üben,    mit    Konzentration    und   Temperatur 


der  Entwicklung.    A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen.  171 

steigend,  einen  Druck  auf  die  umgebende  Wand  aus;  befindet  sich 
jenseits  der  umgebenden  Wand  eine  Lösung  geringerer  Konzentration, 
so  wird  die  Wand  durch  den  Druck  gespannt,  und  es  wird  so  viel 
Wasser  nach  der  stärkeren  Lösung  herüberdringen,  bis  die  Konzen- 
tration auf  beiden  Seiten  die  gleiche  ist.  Es  wird  also  nach  rein 
physikalischen  Gesetzen  zwischen  Körperflüssigkeit  einerseits  und 
dem  Medium  andererseits  ein  osmotisches  Gleichgewicht  bestehen, 
resp.  sich  herstellen,  und  es  ist  seit  langem  bekannt,  dass  Änderungen 
in  den  normalen  osmotischen  Verhältnissen  Schädigungen  und  unter 
Umständen  auch  Ausgleiche  zur  Folge  haben. 

Das  Gesagte  gilt,  wenn  die  Oberflächen  der  Organismen  resp. 
der  Entwickehmgsstadien  durchlässig  sind,  und  wenn  die  Objekte 
selbst  als  Lösungen  gedacht  werden.  Das  geschieht  mit  mehr  und 
minder  Recht;  im  einen  Fall  sind  die  Zellen  selbst  der  Sitz  der  osmo- 
tischen Kräfte  (hierzu  muss  die  Zelle  als  eine  mit  Salzlösung  gefüllte 
Blase  aufgefasst  werden),  im  anderen  Fall  handelt  es  sich  um  Zell- 
aggregate, z.  B.  eine  Blastula,  eine  wirkliche  Blase,  in  deren  Innern 
sich  die  betreffende  Lösung  findet;  in  weiteren  Fällen  sind  es  richtig 
membranartig  abgeschlossene,  histologisch  differenzierte  Gebilde  und 
Hohlräume  (Gefässe,  Dottersack  etc.),  zwischen  denen  und  der  Aussen- 
welt  sich  die  osmotischen  Druckverhältnisse  ausgleichen  müssen. 

Fig.  125. 


Fig.  125.     Furchung  des  Froscheies  in  Kochsalzlösung.    Nach  0.  Hertwig. 

Bei  allen  mit  Veränderung  des  Salzgehaltes  ausgeführten  Ver- 
suchen, die  noch  besonders  bei  den  chemischen  Bedingungen  zu  be- 
sprechen sind ,  spielt  auch  der  veränderte  osmotische  Druck  eine 
Rolle;  vielfach  ist  überhaupt  nicht  zu  entscheiden,  was  chemischer 
und  was  osmotischer  Effekt  ist.  Bei  den  Versuchen  von  O.  Hertwig, 
der  Froscheier  in  Salzlösung  gebracht  hat.  ist  jedenfalls  —  vielleicht 
abgesehen  von  einer  Giftwirkung  des  Chlornatriums  s.  u.  —  der  ver- 
änderte osmotische  Druck  von  besonderer  Bedeutung.  WTenn  die 
Eier  nach  Befruchtung  in  Kochsalzlösung  gebracht  wurden,  so  zeigte 


172  XVII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

sich  ein  merkliches  Zurückbleiben  der  Furchung,  besonders  am  vege- 
tativen Pol  (Fig.  125),  der  sich  ja  ohnehin  schwerer  und  langsamer 
furcht.  Hier  schnitten  die  Furchen,  die  an  den  Kochsalzeiern  über- 
haupt auftraten,  oft  nur  oberflächlich  ein,  so  dass  es  im  extremen 
Fall  zu  einem  meroblastischen  Ei  kam.  Daraus  erklären  sich  die 
nachfolgenden  Missbildungen:  Vergrößerung  und  unvollkommener 
Schluss  des  Blastoporus,  eventuell  auch  unvollkommener  Schluss  im 
Bereiche  der  Hirnanlage. 

Am  nachdrücklichsten  hat  sich  Bataillon  für  die  Wirkung 
des  osmotischen  Druckes  ausgesprochen,  zuerst  nach  seiner  Versuchs- 
reihe an  PetromyzoneieTii  in  verschieden  konzentrierten  Lösungen. 
Da  Wasserverlust,  der  im  Gewebe  bei  der  Übertragung  in  stärkere 
Lösung  stattfindet,  wirkt  bei  der  Entwickelung  verzögernd  und  kann 
sie  vorübergehend  ganz  aufheben.  Bei  Petromyzon  Planerl  geht  die 
Furchung  bei  0,2%  Kochsalz  (oder  einer  isotonischen  Lösung)  noch 
regelmässig  weiter;  Kochsalzlösungen  von  0,5 — 0, 8  °/0  stören  das  Fort- 
schreiten der  Furchung;  bei  1  °/n  wird  dieselbe  gänzlich  unterbrochen. 
Die  Störung  ist  unabhängig  von  der  chemischen  Zusammensetzung 
und  folgt  nur  dem  osmotischen  Druck. 

Noch  mehr  Polgert  Bataillon  dies  aus  seinen  Versuchen  an 
Amphibieneiern,  er  hat  dieselben  in  sehr  verschiedene  Flüssigkeiten 
gebracht  und  wendet  sich  nach  seinen  Erfahrungen  dagegen,  denselben 
eine  spezifische  Wirkung  auf  die  Art  der  Hemmung  zuzuschreiben. 
Eine  ganze  Anzahl  von  a  priori  berechneten  isotonischen  Lösungen 
verschiedener  Stoffe  haben  dieselben  Störungen  in  der  Gegend 
des  Blastoporus  veranlasst.  »Der  teratogene  Reiz  der  angewendeten 
Substanz  bemisst  sich  nach  ihrem  Molekulargewicht  und  dem  isotoni- 
schen Koeffizienten.« 

Auch  bei  Seeigeleiern  hat  Loeb  durch  Konzentration  der  Salz- 
lösung nach  Hinzufügen  von  Chlornatrium  eine  Verlangsamung 
der  Furchung  gefunden  und  häufig  ein  Ausbleiben  der  Plasmateilung, 
auch  wenn  der  Kern  schon  geteilt  war. 

Hier  sind  wohl  auch  die  Wirkungen  anzuschliessen,  die  von 
E.  B.  Wilson  bei  Ätheranwendung  beobachtet  worden  sind.  Die 
Eier  von  Toxopneustes  varlegotus  wurden  in  verschiedenen  Stadien  in 
eine  2 — 2,5  °/0  (nach  Volum)  Ätherlösung  gebracht  und  dann  wieder 
in  normales  Seewasser  übertragen.  Bei  unvollständiger  Erholung 
findet  auch  nur  unvollkommene  Ausbildung  der  Strahlungen  statt. 
Die  Kernteilung  findet  zwar  regulär  statt,  aber  die  Zell  1  e  i  b  teilung 
unterbleibt,     So  bilden  sich  Syncytien  mit  bis  zu  64  Kernen.    Wenn 


der  Entwicklung.     A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen.  1 T -  > 

die  Übertragung  in  normales  Seewasser  auf  früheren  Stadien  (von 
4_16  Kernen)  erfolgt  ist,  so  ergibt  sich  eine  vollständige 
Furchung,  aber  ganz  im  Sinn  der  superfiziellen  Furchung  wie  bei 
den  centrolecithalen  Eiern  der  Arthropoden  (Fig.  126).  Die  Tiefe 
<les  Einschneidens  der  Furche  ist  proportional  der  Erholung  resp.  der 
Ausbildung  der  Plasmastrahlung.  Später  können  noch  schwimmende 
Embiyonen  aus  solchen  Stadien  hervorgehen.  Die  Ähnlichkeit  mit 
Hemmung  der  Teilung,  wie  sie  beim  Froschei  bei  sehr  verschiedenen 
Einflüssen  sich  besonders  am  vegetativen  Pol  bemerkbar  macht,  ist 
in  die  Augen  fallend. 

Fig.  126. 


Fig.  126.     Durch  Äther  erzeugte  superficielle  Furehung  eines  Seeigeleies  (nach  Wilson). 

Die  Folgen  der  Verdünnung  des  Salzgehaltes  auf  die  Seeigel- 
eier sind  laut  Driesch  ähnlich,  was  ebenfalls  für  eine  reine  Wirkung 
des  osmotischen  Druckes  in  all  diesen  Fällen  spricht,  Laut  Gur- 
witsch  haben  bei  Froscheiern  verschiedene  Salzlösungen  eine  unter- 
schiedliche Wirkung,  bei  den  einen  tritt  mehr  die  eine,  bei  den  andern 
mehr  die  andere  Hemmungsbildung  auf.  Auch  für  verschiedene 
andere  Amphibieneier  hat  Ch.  B.  Wilson  gefunden,  class  der  hem- 
mende Einfluss  der  Salzlösungen  in  verschiedenen  Embryonalzellen 
verschieden  ist  und  sich  bei  den  dotterreichen  weniger  mobilen  Zellen 
eher  geltend  macht,  als  bei  den  aktiven  Pigmentzellen.  Auch  ver- 
schiedene Spezies  verhalten  sich  verschieden. 

Derartige  Fälle  werden  noch  unten  bei  der  experimentellen  Ver- 
änderung chemischer  Bedingungen  an  anderen  Objekten  zur  Sprache 
kommen,  hier  sei  nur  noch  auf  die  wichtige  Rolle  hingewiesen,  die 
osmotische  Prozesse  beim  Wachstum  im  allgemeinen  spielen. 

Nach  zahlreichen  Beobachtungen  der  Pflanzenphysiologen  hat 
insbesondere  Davenport   auch   beim  tierischen  Organismus  darauf 


174  XVII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

aufmerksam  gemacht,  wie  eine  reichliche  Wasseraufnahme  gerade  in 
der  Hauptzeit  des  Grössen  Wachstums  erfolgt.  Es  gleichen  dabei  die 
stärker  konzentrierten  Säfte  in  Zellen  oder  Höhlungen  des  Embryo 
ihren  osmotischen  Druck  gegen  das  umgebende  Medium,  die  wässerige 
Lösung  aus.  Dave np ort  selbst  hat  gezeigt,  dass  spätere  Stadien 
von  Amphibienlarven  im  Verhältnis  wesentlich  wasserreicher  sind  als 
frühere.  Loeb  hat  gefunden,  dass  abgeschnittene  Tubularien  in 
verdünntem  Seewasser  rascher  nachwachsen.  Herbst  hat  die  be- 
deutungsvolle Rolle  osmotischer  Druckwirkungen  im  Blastocoel  für 
das  Gesamtwachstum  der  Seeigellarven  nachgewiesen,  indem  er  die 
umgebenden  Salzlösungen  entsprechend  änderte,  und  Driesch  hat 
gezeigt,  dass  manche  auf  andere  Weise  hervorgebrachten  Deformationen 
durch  blosse  Wirkung  osmotischen  Drucks  wieder  ausgeglichen  werden 
können.  Dabei  kommt  natürlich  nicht  nur  Aussenwelt  allein  in 
Betracht,  sondern  es  spielen  auch  Druck beziehungen  zwischen  den 
Körperhöhlen  einerseits  und  dem  Innern  der  einzelnen  Zellen  anderer- 
seits eine  Rolle,  also  Faktoren,  die  sich  erst  durch  den  Entwickelungs- 
gang  selbst  erheben,  und  die  zum  Teil  schon  in  früheren  Kapiteln 
(s.  Gastrulation)  berührt  wurden.  Wenn  manche  Zellen  und  Zell- 
gruppen stärker  wachsen,  so  ist  vielleicht  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  stärkerer  osmotischer  Druck,  grössere  Konzentration  der  hier 
vorhandenen  Lösungen  schuld ;  ein  Ausgleich  wird  durch  Wasserauf- 
nahme herbeigeführt  und  dadurch  ein  Gesamtwachstum  und  weitere 
Formgestaltung  vermittelt. 


Das  Licht,  die  für  die  Pflanzenwelt  wichtigste  Lebensbedingung, 
wurde  auch  für  den  tierischen  Organismus  und  seine  Formbildung 
von  Bedeutung  gehalten.  Man  glaubte  mindestens,  dass  die  Intensität 
des  Lebensprozesses  durch  das  Licht  erhöht,  die  Entwicklung  im 
Dunkeln  verlangsamt  werde,  und  man  hielt,  da  man  auch  bei  einigen 
Tieren  Bewegungen  nach  und  von  der  Lichtquelle  nachweisen  konnte, 
auch  einen  richtenden  Einfluss  des  Lichtes  auf  die  Organanlagen 
nicht  für  ausgeschlossen.  Es  hat  lange  gebraucht,  bis  man  sich  von 
diesen  Vorstellungen  losmachen  konnte  und  erkannte,  dass  der  Ent- 
wickelungsprozess,  namentlich  in  den  ersten  Phasen,  vom  Licht  gänz- 
lich unabhängig  ist. 

Früher  wurde  behauptet,  dass  die  Amphibieneier  im  Dunkeln 
sich  nicht  entwickeln  könnten,  bereits  in  Entwickelung  begriffene  sich 


der  Entwickelang.     A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen.  175 

in  ihrer  Ausbildung  sehr  verzögerten;  es  hat  sich  aber  herausgestellt, 
dass  man  in  den  Dunkelkästen  nicht  für  genügende  Gaserneuerung 
gesorgt  hatte,  und  dass  die  erwähnten  Wirkungen  bei  ordentlicher 
Durchlüftung  ausblieben. 

Driesch  hat  eine  planmäfsige  Serie  von  Versuchen  an  Eiern  aus 
ganz  verschiedenen  Tiergruppen,  bei  Bana}  Echinus  und  einer  Schnecke 
(Flanorbis)  angesteht;  er  hat  jeweils  einen  Laich  in  verschiedene 
Teile  geteilt  und  die  einzelnen  Portionen  teils  in  normales  Tageslicht, 
teils  in  völliges  Dunkel,  teils  in  Licht  von  bestimmter  Qualität  ge- 
bracht, indem  er  einzelne  Farben  des  Spektrums  nahm  oder  sie 
kombinierte.  Es  ergab  sich  keinerlei  Unterschied  in  der  Entwicke- 
lung,  weder  für  Helle  und  Dunkel,  noch  für  die  einzelnen  Farben, 
weder  für  die  Furchung,  noch  für  die  Organanlage,  weder  fördernd 
noch  hemmend.  Ebensowenig  ist,  wie  Roux  nachgewiesen  hat, 
irgend  ein  richtender  Einfluss  des  in  bestimmter  Richtung  einfallenden 
Lichtes  festzustellen;  die  Furchung,  wie  die  nachfolgende  Lagerung 
der  Organe,  ist  davon  ganz  unabhängig. 

Für  spätere  Perioden  der  Entwickelung,  wenn  die  Organe  an- 
gelegt sind  und  sich  nur  durch  Wachstum  vergrössern,  ist  vielleicht, 
wenn  auch  kein  richtender,  so  doch  ein  fördernder  resp.  hemmender 
Einfluss  verschiedener  Lichtqualitäten  anzunehmen.  Yung  hat  an 
Eiern  von  Amphibien,  Knochenfischen  und  Mollusken  (bes.  Tinten- 
fischen) Versuche  angestellt;  Dunkelheit  soll  nach  ihm  den  Ent- 
wickelungsgang  verzögern,  noch  mehr  rotes  oder  grünes  Licht  allein 
(also  je  zwei  ganz  entgegengesetzte  Lichtsorten) ;  violettes  Licht  soll 
noch  mehr  wie  weisses  die  Entwickelung  befördern.  Es  läge  also 
eine  sehr  merkwürdige  Kurve  der  Lichteinwirkung  im  Spektrum  vor, 
mit  2  Maxima  und  2  Minima. 

Für  die  Regeneration  schon  ausgebildeter  Organe  soll  laut  Loeb 
das  Licht  nötig  sein,  indem  bei  den  Hydranthen  von  Eudendrium,  die 
durch  das  Sammeln  leicht  abfallen,  die  Neubildung  unterbleibt,  wenn 
man  die  Stöcke  im  Dunkeln  hält,  die  Kontrolltiere  im  Licht  dagegen 
ihre  Polypenköpfchen  normalerweise  regenerieren.  Peebles  hat  sich 
bei  Hydra  davon  nicht  überzeugen  können,  gibt  aber  für  Eudendrium 
jetzt  ebenfalls  zu,  dass  es  im  Dunkeln  keine  neuen  Hydranthen  bildet, 
sondern  nur  Stolonen  an  deren  Stelle  sprossen  lässt.  Ein  Einfluss 
verschiedener  Lichtsorten,  den  Loeb  behauptet  hatte,  konnte  nicht 
nachgewiesen  werden,  Dass  Planulalarven  sich  im  Dunkeln  weiter 
normal  entwickelten,  festsetzten  und  Polypen  bildeten,  hatte  auch 
Loeb  gesehen;   für   den   normalen  Gang   der  Entwickelung  ist  also 


17(J  XVII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

auch  hier  das  Licht  nicht  notwendig,  und  bei  Tubulär ia,  Bougainvillea 
u.  a.  Polypen  erwies  sich  das  Licht  auch  für  die  Regeneration  als 
belanglos.  Es  sind  hier  jedenfalls  Verschiedenheiten  möglich,  je  nach 
den  Belichtungsverhältnissen,  unter  denen  die  Tiere  normalerweise 
leben ;  es  ist  schade,  dass  man  Tief seetiere  darum  nicht  in  ihrem 
Entwickelungsgang  daraufhin  prüfen  kann. 

Ein  wirklieber  Einfluss  des  Lichtes  in  der  Tierwelt  ist  aber 
nachzuweisen  in  Bezug  auf  die  Färbung  der  Körperoberfläche,  wie 
sie  durch  Pigmentzellen  geschieht.  Hier  kann  in  der  That  durch 
Veränderung  oder  Fehlen  der  Belichtung  ein  wesentlicher  Unterschied 
in  der  Färbung,  insbesondere  bei  sich  entwickelnden  Tieren  hervor- 
gebracht werden.  Solche  Versuche  sind  von  F lern  min g  und  be- 
sonders von  Fischel  an  Salamanderlarven  angestellt  worden.  Hier 
werden  die  Tiere,  die  man  im  Halbdunkel  hält,  merkwürdigerweise 
nicht  schwächer,  sondern  stärker  pigmentiert;  wenn  sie  dagegen  auf 
heller  weisser  Unterlage  im  Lichte  gezüchtet  werden,  so  tritt  eine 
Bleichung  ein,  auch  wenn  alle  übrigen  Bedingungen  (Temperatur, 
Fütterung)  die  gleichen  sind,  wie  ein  Kontroll  versuch  erwies.  (Die 
gleiche  Bleichung  kann  auch  durch  Einwirkung  erhöhter  Temperatur 
erzielt  werden.)  Die  blassere  Färbung  kommt  dadurch  zu  stände, 
dass  1.  das  Pigment  an  Menge  geringer  ist,  2.  die  sonst  grossen, 
verästelten  Zellen  rund,    kontrahiert,  resp.  ohne  Fortsätze  erscheinen. 

Bei  der  Entwickelung  von  Fundulus  entstehen  im  Licht  zahl- 
reiche schwarze  und  rote  Pigmentzellen  (s.  o.  p.  157),  die  die  Gefässe 
umhüllen  und  Dottersack  und  Embryo  ganz  undurchsichtig  machen; 
im  Dunkeln  dagegen  tritt  nur  innerhalb  des  Körpers  in  bestimmten 
Organen,  die  es  notwendig  brauchen,  z.  B.  der  Retina,  Pigment  auf; 
im  Dottersack  und  sonst  kaum,  und  die  Färbung  erscheint  bleich  und 
durchsichtig. 

Höhlentiere,  die  ständig  im  Dunkeln  leben,  zeichnen  sich  vor 
ihren  Verwandten  durch  Rückbildung  des  Pigments  aus;  dies  ist  bei 
Spinnen  in  Grotten  zu  sehen ;  auch  bei  dem  bekannten  Molch  der 
Adelsberger  Grotte.  Von  diesem  ist  ferner  bemerkenswert,  dass  er 
wieder  dunkler  werden  kann,  wenn  er  im  Aquarium  im  Licht  ge- 
züchtet wird.  Die  Einwirkung  des  Lichts  ist  also  bei  verschiedenen 
Formen  auf  das  Pigment  verschieden;  manche  werden  im  Hellen, 
manche  im  Dunkeln  gebleicht.  Die  allgemeinen  Lebensverhältnisse 
der  Tiere  spielen  hier  jedenfalls  mit,  sodass  die  Erklärung  von  ver- 
schiedenen Faktoren,  nicht  vom  Licht  allein,  abhängt.  Erwähnens- 
wert ist  auch  die  Neigung  vieler  Alpentiere  zur  Dunkelfärbung,  zum 


der  Entwickelung.     A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen.  177 

Melanismus,    wie    sie    bei    Reptilien    (Kreuzotter,    Ringelnatter,    Berg- 
eidechse) und  bei  Insekten  (Schmetterlingen)  hervortritt. 

Von  der  »formbildenden«  Wirkung  des  Lichts  lässt  sich  also 
nur  sagen,  dass  es  zur  Pigmententwickelung  in  Beziehung  steht.  Ein 
fördernder  oder  hemmender  Einfluss  des  Lichts  im  allgemeinen  auf 
den  Ent wickelungsgang  ist  für  frühere  Stadien  nicht  anzunehmen, 
für  spätere  sehr  problematisch ;  ein  richtender  Einfluss  des  Lichts  auf 
die  Entwickelung  ist  überhaupt  ausgeschlossen. 


Viel  bedeutsamer  für  die  Entwickelung  erweist  sich  die  Tempe- 
ratur. So  wie  es  für  den  Lebensprozess  der  erwachsenen  Tiere  seit 
langem  bekannt,  ist  auch  für  den  ungestörten  Ablauf  der  Entwicke- 
lung eine  gewisse  Temperatur  notwendige  Bedingung.  Über  die 
Höhe  dieser  Temperatur  lässt  sich  nichts  allgemeines  aussagen ;  denn 
sowohl  nahe  verwandte  Tiere,  wie  solche,  die  in  gleichem  Medium 
leben,  verhalten  sich  in  dieser  Beziehung  verschieden.  Die  einen 
können  hohe  wie  niedere  Temperaturgrade  ertragen;  die  Spanne  der 
Thermometerskala,  innerhalb  deren  sie  ihren  Lebensprozess  ausüben, 
ist  sehr  weit  bemessen;  sie  werden  als  »eurytherm«  bezeichnet,  und 
das  spricht  sich  auch  in  ihrem  Entwicklungsgang  aus.  Andere  Tiere 
sind  an  engere  Grenzen  gebunden,  »stenotherm« ;  es  kann  aber  dieser 
engere  Raum  in  sehr  verschiedener  Höhe  der  Skala  liegen;  man 
kann  von  warm-  und  kaltstenothermen  Tieren,  oder  von  wärme-  und 
kälteliebenden  reden,  und  dies  spricht  sich  ebenfalls  im  Entwickelungs- 
prozess  aus. 

Es  erhebt  sich  also  für  den  einzelnen  Fall  die  Frage,  bei  welch 
maximaler  und  bei  welch  minimaler  Temperatur  der  Entwickelungs- 
prozess  noch  fortgehen  kann :  zweitens,  ob  diese  Maximal-  und 
Minimaltemperaturen  gleichbedeutend  mit  einer  innerlichen  Schädigung, 
einem  wirklichen  Aufhören  des  Entwickelungsprozesses  sind,  oder  nur 
mit  einer  zeitweiligen  Hemmung,  dergestalt,  dass  nach  Eintritt  nor- 
maler Bedingungen  der  Verlauf  wieder,  wie  bei  einem  aufgezogenen 
Uhrwerk  in  Gang  käme.  Damit  ist  auch  die  allgemeine  Frage  nach 
dem  Wesen  der  Wärmewirkung,  die  man  als  formbildend  oder  nur 
als  Energiequelle  angesprochen  hat,  angeschnitten. 

Zunächst  ist  hier  die  Wirkung  extrem  herabgesetzter  Temperatur 
zu  prüfen,  weil  ja  die  Natur  selbst  hier  schon  experimentiert,  und 
die   Eier  vieler   Tiere   normalerweise   dem    Gefrieren   ausgesetzt    sein 

Maas,  Einführung  in  die  experimentelle  Entwiekelungsgeschichte.  \2 


178  XVII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

können.  Das  ist  bei  vielen  Süsswassertieren  der  Fall,  die  in  ver- 
schiedenen Stadien  der  Entwickelung  überwintern ;  auch  Insekteneier 
müssen  in  sehr  verschiedenen  Stadien  in  der  Lage  sein,  ausser- 
ordentlichen Kältegraden  zu  widerstehen.  Es  ertragen  jedoch,  wie 
das  Experiment  gezeigt  hat,  auch  Eier  von  Tieren,  die  normalerweise 
wohl  niemals  in  solch  erniedrigte  Temperatur  geraten,  sondern  auf 
sehr  hohe  gestimmt  sind,  eine  starke  Abkühlung  und  sogar  ein  Ein- 
frieren ohne  Schaden,  so  das  warm  stenotherme  Hühnerei.  Es  sind 
die  Experimente  von  Colasanti  unwidersprochen,  wonach  Hühner- 
eier in  einer  Temperatur  von  —  10  °  fast  eine  Stunde  gehalten  wurden, 
sodass  sie  völlig  einfroren ;  nach  vorsichtigem  Überführen  in  gewöhn- 
liche Temperaturen  gingen  daraus  durchaus  normale  Embryonen  hervor. 

Wichtiger  sind  längere  Unterbrechungen  bei  weniger  niedriger 
Temperatur.  Es  ist  den  Geflügelzüchtern  bekannt,  dass  befruchtete 
Eier  ihre  Entwickelungsfähigkeit  längere  Zeit,  kühl  gehalten,  bewahren 
und  später  unter  zusagenden  Bedingungen  noch  zur  Ausbildung  ge- 
bracht werden  können.  Das  Huhn  verlässt  täglich  sein  Nest  auf 
kurze  Zeit,  und  auch  eine  längere  Abkühlung  von  8 — 12  Stunden  ist 
ohne  Schaden  ausprobiert  worden.  Dareste  hat  das  experimentell 
verwertet;  er  hat  Hühnerembryonen,  die  bereits  ein  Herz  besassen, 
zwei  Tage  in  -f-  10  °  gehalten,  also  bedeutend  unter  der  normalen 
und  minimalen  (s.  u.)  Temperatur,  dann  wieder  weiter  bebrütet;  die 
Entwickelung  wurde  wieder  aufgenommen,  jedoch  zeigten  sich  vielerlei 
Missbildungen  und  häufiges  Absterben.  Kaestner  hat  diese  Ver- 
suche an  grösserem  Material  unter  genauer  Unterscheidung  des  Zeit- 
punktes der  Kälteeinwirkung  wiederholt.  Am  ersten  Tage  der  Ent- 
wickelung aus  dem  Brutofen  herausgenommen,  konnten  die  Eier 
6  Tage  Kälteruhe  ertragen,  ohne  bei  nachträglicher  Wiederbebrütung 
anormal  zu  werden ;  später  vertrugen  sie  nur  noch  kürzere  Unter- 
brechungen. 

Die  Entwickelung  des  Hühnerkeims  ist  von  28 — 43  °  möglich  ; 
normal  nur  von  35 — 39  °,  unter  35  und  über  39  °  ergeben  sich  leicht 
Missbildungen  (innere  Schädigungen  und  Hemmungen  im  Keim- 
material); unter  28  steht  die  Entwickelung  überhaupt  still  und  zwar 
vollkommen,  wie  sich  Kaestner  überzeugen  konnte,  1.  durch  Öff- 
nung von  Kontrolleiern  während  der  Kälteruhe.  Diese  standen  dann 
genau  auf  dem  Stadium,  das  der  Dauer  des  Aufenthaltes  im  Brut- 
ofen entsprach;  2.  durch  nachträgliche  Bebrütung;  das  Auskriechen 
des  fertigen  Hühnchens  erfolgte  dann  um  regelmäfsig  so  viel  Tage 
später,  als  die  Unterbrechung  gedauert  hatte. 


der  Entwickelung.     A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen.  179 

Ein  interessantes  Gegenstück  zu  diesen  Versuchen  liefern  die 
Eier  der  sich  im  Wasser  entwickelnden  Tiere,  Fische,  Amphibien  etc. 
Es  ist  dabei  zu  bemerken,  dass  der  Begriff  Kaltblüter  nicht  mit  dem 
Begriff  eurytherm  zusammenfällt,  sondern  dass  auch  bei  solchen  Tieren 
Schwankungen  um  eine  gewisse  Grenze  öfters  schlecht  ertragen  werden, 
nur  geht  die  Sistierung  der  Entwickelung  vom  Optimum  an  abwärts 
nicht  so  plötzlich  vor  sich,  sondern  die  Entwickelung  verlangsamt 
sich  mit  niedriger  Temperatur  immer  mehr;  es  ist  daher  die  untere 
Grenze,  bei  der  eine  Entwickelung  überhaupt  noch  statt  hat,  nicht 
mit  der  Schärfe  zu  bestimmen,  wie  beim  Hühnchen. 

Eier  der  Gattung  Salmo  (Lachs,  Forelle)  können  sich  noch  bei 
Temperaturen  von  2 — 0  °  weiter  entwickeln,  bei  noch  weiterer  Er- 
niedrigung tritt  eine  Sistierung  der  Entwickelung  ein,  die  aber  ohne 
Schaden  ertragen  wird,  wenn  nicht  wirkliche  Eiskrystalle  innerhalb 
des  Eis  auftreten.  Ältere  Eier,  bei  denen  die  Augen  sichtbar  sind, 
sind  empfindlicher  als  jüngere  Stadien. 

Beim  Frosch  soll  nach  Raub  er  unter  5°  keine  Weiterentwicke- 
lung mehr  stattfinden,  nach  anderen  jedoch  auch  noch  unterhalb 
dieser  Temperatur,  jedoch  äusserst  langsam.  Nach  O.  Hertwig 
wird  beim  Froschei  nach  der  Befruchtung  eine  völlige  Kälteruhe 
durch  Abkühlung  auf  0  °  hervorgebracht ;  der  Furchungsprozess  kann 
durch  allmähliche  Erwärmung  wieder  normal  in  Gang  gebracht 
werden.  Nach  der  ersten  Teilung  hat  O.  Hertwig  mehrtägige 
Kälteruhe  bei  0°  ohne  Missbildungen  beobachtet;  O.  Schultze  hat 
sogar  ein  Gastrulastadium  14  Tage  bei  0  °  gehalten  und  nachher  zur 
normalen  Larve  gebracht.  Allerdings  behauptet  letzterer  Forscher, 
dass  ein  völliger  Stillstand  überhaupt  nicht  stattfinde,  sondern  nur 
eine  extreme  Verlangsamung.  Es  ist  dies  aber  wohl  nur  ein  Streit 
um  Worte ;  denn  vorher  schon,  auch  bei  höherer  Temperatur  als  0  °, 
tritt  ja  eine  mit  der  Kälte  zunehmende  allmähliche  Verlangsamung 
ein  (nicht  wie  beim  Hühnchen  ein  schnelles  Aufhören),  bis  eben 
die  Veränderungen  zeitlich  unmessbar,  die  Zellteilungen  unm essbar 
langsam  werden. 

Nach  allen  diesen  Versuchen  am  Hühnchen  wie  am  Kaltblüter 
wirkt  also  die  Temperatur  wie  eine  Energiequelle  für  den  Verlauf 
der  Entwickelung  an  und  für  sich,  nicht  auf  das  morphologische 
Geschehen.  Den  Wärmeabfluss  aus  der  »Quelle«  und  seine  Umwand- 
lung in  »Entwickelungsenergie«  können  wir  uns  zwar  nicht  im  Ein- 
zelnen vorstellen,  aber  wir  sehen,  dass  je  langsamer  die  Quelle  fliesst, 
je   mehr   sie   versiegt,    desto   mehr   sich  auch  der  Entwickelungsgang 

12* 


180 


XVII.   Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 


bis   zu   völligem 


Aufhören   verlangsamt. 


Diese   rein   äusserliche   Be- 


ziehung der  Temperatur  zum  Entwickelungsprozess  als  notwendig 
nur  zur  Abwickelung  geht  auch  aus  dem  interessanten  Versuch 
O.  Hertwigs  hervor,  der  4  Froscheier  des  gleichen  Laiches  sich  in 
verschiedenen  Temperaturen  entwickeln  Hess,  das  erste  bei  10  °,  das 
zweite  bei  15°,  das  dritte  bei  20°,  das  vierte  bei  24 u.  Am  dritten 
Tage  stand  das  erste  Ei  auf   dem  Stadium  der  Gastrula,   das   zweite 


Fig.  127  a— d. 


a 


Fig.  127.     Vier  Froscheier,  die  sieh  in  verschiedener  Temperatur  drei  Tage  entwickelt 
haben  (nach  0.  Hertwig), 

a  entwickelt  hei  10°,  auf  dem  Gastrulastadium  mit  rundem  Blastoporus, 
h  entwickelt  bei  15°,  mit  Medullarplatte,    deren  Bänder  zu  Wülsten  er- 
hoben sind, 
c  entwickelt   bei  20°.     Embryo    mit   Kiemenhöckern    und   beginnendem 

Ruderschwanz, 
d  entwickelt  bei  24°.     Embryo  mit  Kiemenbiischeln  und  langem  Ruder- 
schwanz. 


zeigte  Medullarplatten  und  Wülste,  das  dritte  Streckung,  Kopf, 
Kiemenanlage  und  ein  abgesetztes  Schwanzende,  das  vierte  Kiemen- 
büschel, Ruderschwanz  mit  allen  inneren  Teilen  (Fig.  127  a — d).  In 
keinem    Ei   ist    irgend    eine   Abnormität   vorhanden,    nur    stellen    sie 


der  Entwickelung.     A.   Die  physikalischen  Vorbedingungen.  181 

trotz  der  gleichen  Zeit  infolge  der  ungleichen  Temperatur  zeitlieh 
verschiedene  Stadien  dar.  Das  erste  Ei  wird  bei  gleich  niedriger 
Temperatur  noch  weitere  10  Tage  brauchen,  um  das  Stadium  zu  er- 
reichen, das  das  vierte  Ei  schon  jetzt  einnimmt;  aber  es  wird  es 
erreichen,  und  die  Temperatur  ist  somit  nur  Energiequelle  für  den 
Ablauf  des  Prozesses,  ohne  an  ihm  selbst  morphologisch  tätig  zu 
sein.1)  Mit  Recht  macht  Driesch  auf  die  Analogie  mit  chemischen 
Vorgängen  aufmerksam,  die  auch  von  gewisser  Temperatur  ab  vor 
sich  gehen  und  mit  steigender  beschleunigt  werden,  »Vorgänge,  die 
wir  hier  ebensowenig  verstehen  wie  dort«,  die  aber  mit  dem  forma- 
tiven  Geschehen  nur  in  äusserlichem  Zusammenhang  stehen. 

Die  letzterwähnten  Versuche  führen  bereits  auf  den  Einfluss 
erhöhter  Temperatur,  da  die  Vorgänge  bei  24  °  eine  Beschleunigung 
über  die  normale  Entwickelungsdauer  darstellen.  Auch  noch  höhere 
Temperaturen  werden  ertragen,  doch  wirken  sie  auf  die  Dauer 
schädlich.  Diese  obere  Temperaturgrenze  ist  je  nach  der  normalen 
Lebensweise  verschieden,  bei  Eiern  von  Sahno  trutta  und  fario,  die 
im  Winter  laichen,  ist  die  äusserste  Grenze  nach  Raub  er  schon  bei 
12 — 15°  gelegen,  und  das  ist  wohl  noch  zu  hoch  gegriffen;  denn 
schon  oberhalb  7  °  wird  die  Entwickelung  leicht  anormal,  das 
Optimum  liegt  unter  4  °.  Bei  anderen  Fischen,  die  im  Sommer 
laichen,  liegt  die  obere  Grenze  bedeutend  höher.  Ebenso  liegt  sie  bei 
Bana  esculenta,  der  in  späterer  Jahreszeit  laicht,  höher  als  bei  Bana 
fusca.  Die  schädlichen  Wirkungen  zeigen  sich  in  einer  Art  Wärme- 
lähmung, aber  schon  bei  nicht  so  extremer,  anormal  erhöhter  Tempe- 
ratur dadurch,  dass  gewisse  Eiteile  resp.  plasmatische  Substanzen 
mehr  davon  betroffen  werden  wie  andere.  Die  vegetative  Hälfte,  in 
der  die  Teilungen  schon  ohnehin  langsamer  und  schwieriger  vor  sich 
geht,  wird  davon  zumeist  betroffen,  hier  unterbleiben  die  Teilungen 
ganz,  und  schon  gebildete  Blastomeren  können  nachträglich  wieder 
zusammenfliessen.  Dementsprechend  erklären  sich  die  resultierenden 
Miss-  resp.  Hemmungsbildungen.     Dass  es  sich  um  eine  schädigende 


!)  Einen  analogen  Fall  bietet  die  Entwickelung  der  Fische.  Hier  wird  von 
den  Züchtern  geradezu  von  bestimmten  „  Tagesgraden u.  die  zur  Entwickelung  nötig 
sind,  gesprochen.  Die  Tagesgrade  stellen  das  Produkt  von  Zeit  und  Temperatur 
dar;  so  z.  ß.  sind  für  den  Lachs  bis  zum  iVusschlüpfen  ungefähr  408  Tagesgrade, 
also  204  Tage  bei  2  o.  oder  102  Tage  bei  4»,  oder  136  Tage  bei  3<>  etc.  bis  zum 
Ausschlüpfen  erforderlich.  Natürlich  müssen  hierbei  die  Maxima  und  Minima  be- 
rücksichtigt werden,  und  wir  werden  bei  121/4  Tagen  und  32°  keinen  Lachsembryo, 
sondern  eine  Missbildung  zu  erwarten  haben  (s.  p.  183). 


182  XVII.   Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

Wirkung-  auf  die  Eibestandteile  und  nicht  um  einen  direkten  Einfluss 
der  Wärme  auf  die  Form  handelt,  zeigt  sich  auch  darin,  class  die 
genau  gleiche  Wirkung,  Zurückbleiben  und  Aussetzen 
der  vegetativen  Hälfte  in  der  Furchung,  auch  als  schädigende 
Nachwirkung  der  Kälte  und  anderen  äusseren  Einwirkungen 
beobachtet  wird.  Die  Deformation  ist  also  nur  Folge  der  im  ganzen 
verlangsamten  Teilung,  und  von  einer  gestaltbildenden  Wirkung  der 
Temperatur  kann  danach  keine  Rede  sein. 

Für  das  Hühnerei  ist  42  °  die  obere  Grenze  der  Entwicklung ; 
bei  43  °  findet  ein  direktes  Absterben  ohne  Möglichkeit  der  Erholung 
statt,  aber  schon  über  39°  entstehen  leicht  Missbildungen. 

Auch  die  Eier  verschiedener  Echinodermen  haben  nicht  alle  ein 
gleich  hohes  Optimum,  bei  Strongt/locentrotus  lividus  liegt  die  günstigste 
Temperatur  laut  Vemon  zwischen  17 — 22°;  bei  Sphaereohinus  granu- 
lär is  treten  laut  Driesch  Wirkungen  erhöhter  Temperatur  auf  die 
Entwickelung  bei  30 — 31°,  bei  Echinus  microtuberculatus  bereits  bei  26" 
auf.  Die  Furchung  verläuft  alsdann  mit  wesentlicher  Beschleunigung. 
Das  Charakteristische  dafür  ist,  dass  das  zwischen  einer  jeden  Teilung 
normaler  Weise  sich  einschiebende  Ruhestadium  mit  Aneinander- 
schmiegen  der  Blastomeren  in  der  Wärme  ausfällt,  und  die  Teilungen 
viel  schneller  aufeinanderfolgen;  auch  treten  unregelmäfsige Lagerungen 
und  häufig  anormale  Grössenverhältnisse  der  Blastomeren  auf.  Wenn 
die  Eier  dann  wieder  in  gewöhnliche  Temperatur  zurückgebracht 
werden,  so  ergeben  sich  trotzdem  aus  den  meisten  dieser  unregel- 
mäfsigen  Furchungsstadien  normale  Plutei;  ein  Resultat,  das  die 
geringe  formbildende  Kraft  der  Wärme  dartut,  aber  auch  für  die 
Beurteilung  der  Furchung  und  das  Determinationsproblem  (s.  p.  84) 
von  Wichtigkeit  ist.  Noch  höhere  Temperaturen  verursachen  dauernde 
Schädigung,  resp.  Absterben.  — 

Auch  spätere  Stadien  unterliegen  noch  dem  Einfluss  der  Wärme ; 
der  Urdarm  wird  nach  aussen  ausgestülpt  (sog.  Exogastrula).  Es  fragt 
sich  aber,  ob  hier  nicht  auch  osmotische  Prozesse  im  Spiel  sind,  da 
doch  durch  die  Wärme  in  der  Zuchtschale  Verdunstung  eintritt  und 
der  Salzgehalt  erhöht  wird ;  gerade  die  Aus-  statt  Ein  stülpung  des 
Darms  scheint  darauf  hinzuweisen.  Für  die  allgemeinen  Fragen  der 
abhängigen  oder  Selbstdifferenzierung  sind  diese  Experimente  von 
grosser  Bedeutung,  insofern  als  auch  der  nach  aussen  gekehrte  Darm 
seine  typische  Dreiteilung  erfährt,  und  indem  sich  die  Mundbucht  am 
Ektoderm  auch  ohne  Berührung  des  Darms  anlegt   (Fig.   128a  u.  b). 


der  Entwickelung.     A.  Die  physikalischen  Vorbedingungen. 


1  s:-i 


Auch  hier  bei  Seeigeln  hat  sich  herausgestellt  nach  Vernon, 
dass  der  schädigende  sowohl  wie  der  fördernde  Einfluss  der  Tempe- 
ratur nicht  auf  allen  Stadien  gleich  ist.  Zur  Zeit  der  Befruchtung 
ist  er  am  grössten  und  nimmt  mit  fortschreitender  Entwickelung  ab. 
Beim  Froschei  und  Hühnchenei  scheinen  umgekehrt  Temperatur- 
anomalien, mindestens  Erniedrigung  auf  frühen  Stadien  besser  ertragen 
zu  werden. 

Fig.  128  A.  B. 


A  Exogastrula,   B  darmlose,  junge  Pluteuslarve  eines  Seeigels,  durch  Einwirkung  von 

Wärme   erhalten,    nach  Driesch    (Mitth.  zool.  Station  Neapel,   Bd.  11).     Den  beiden 

Larven  hängt  der  Urdarm  aussen  an;  im  Inneren  ist  das  Kalkskelett  sichtbar. 


Für  die  Anschauung,  die  Wärme  nicht  als  gestaltbildenden  Faktor, 
sondern  als  Energiequelle  für  den  Entwickelungsablauf  aufzufassen, 
bieten  die  Experimente  bei  erhöhter  Temperatur  nur  eine  Ergänzung 
zu  den  erörterten  bei  herabgesetzter  Temperatur.  Innerhalb  der  er- 
wähnten Grenzen  hat  eine  vermehrte  Wärmezufuhr  eine  Beschleunigung 
eine  verminderte  Wärme  Verzögerung  des  Ablaufs  zur  Folge.  Das 
Optimum  entspricht  nicht  der  höchsten  Temperatur,  bei  der  die  Ent- 
wickelung überhaupt  noch  vor  sich  geht,  liegt  aber  dem  Maximum 
näher  als  dem  Minimum.  Eine  Überschreitung  des  Maximums  hat 
meist  eine  zerstörende  Wirkung  auf  den  Keim  oder  wenigstens  einzelne 
Teile  zur  Folge;  ein  Heruntergehen  unter  das  Minimum  wird  dagegen 
meist  ertragen  bis  zum  Gefrieren,  und  zwar  in  sehr  verschiedenen 
Entwickelungsständen,  je  nach  den  allgemeinen  hiologischen  Verhält- 
nissen der  Art. 

Audere  vermeintliche  Wirkungen  der  Wärme  auf  die  Formaus- 
prägung  haben  sich  als  nicht,  oder  nicht  ausschliesslich,  durch  Tempe- 
ratur hervorgebracht  erwiesen.  So  z.  B.  rührt  der  Einfluss,  den  man 
auf  die  Geschlechtsbestimmung  bei  Rotatorien  angenommen  hatte,  von 
der  durch  die  Wärme  veränderten  Nahrung  her,  indem  die  Infusorien  etc. 


184  XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  ausseien  Bedingungen 

der  Zuchtgefässe  andere  waren.  Auch  die  viel  erörterten  Experimente 
an  Schmetterlingen,  bei  denen  durch  Einwirkung  von  Kälte  und 
Wärme  Änderung  in  der  Flügelfärbung  hervorgebracht  wird,  haben 
nicht  in  der  Temperatur  eine  einheitliche  Erklärung,  sondern  stehen 
mit  einer  ganzen  Reihe  Faktoren  in  Zusammenhang.  Zudem  gehören 
diese  Versuche  in  das  Gebiet  der  »Umwandelungsphysiologie«,  nicht 
der  Entwickelungsphysiologie,  so  dass  sie  hier  nicht  besprochen  werden 
können. 


XVIII.  Kapitel. 
Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen  der  Entwickelung. 

B.  Die  chemischen  Yorfoedingungen. 

Die  notwendigen  Gase  (embryonale  Atmung).     Embryonale  Nahrungsaufnahme.    Die 
im  Wasser,  besonders  im  Seewasser  notwendigen  Stoffe. 

Der  Organismus  steht  als  solcher  in  beständigem  Stoff  austauscht 
mit  seiner  Umgebung ;  er  entnimmt  ihr  Stoffe  in  gasförmiger,  flüssiger 
und  fester  Gestalt,  um  sie  in  seinem  Innern  zu  verarbeiten,  teils  zum 
Aufbau  zu  verwenden,  teils  in  anderer  Weise  an  die  Umgebung  wieder 
abzugeben.  Die  organisch-chemischen  Prozesse  innerhalb  des  Organis- 
mus müssen  auf  diese  Weise  von  der  chemischen  Beschaffenheit  des. 
Mediums  beeinflusst  werden,  und  es  fragt  sich,  inwieweit  diese  Be- 
ziehung schon  während  der  Entwickelung  besteht  und  ihren 
Einfluss  auf  die  Entwickelung  selbst  äussert. 

Es  kommen  zunächst  die  gasförmigen  Stoffe  in  Betracht,  es 
fragt  sich  z.  B. :  bedarf  der  Entwickelungsprozess  ebenfalls  des  Sauer- 
stoffs, noch  ehe  Lungen  resp.  Kiemen  vorhanden  sind?  Zweitens 
kommen  die  Stoffe  in  Betracht,  die  von  aussen  her  zum  Aufbau  des 
Körpers  aufgenommen  werden.  Soweit  dies  durch  den  Darmkanal 
geschieht,  gehört  deren  Erörterung  der  Ernährungsphysiologie  an ;  da 
aber  in  vielen  Fällen  die  noch  unreifen  Larven  bereits  fressen,  so  ist 
auch  hier  eine  Beeinflussung  der  Entwickelung  noch  möglich.  Am 
ehesten  ist  diese  anzunehmen,  wo  der  Organismus  direkt  aus  seiner 
Umgebung  —  das  ist  besonders  bei  den  im  Wasser  lebenden  Tieren 
der  Fall  ohne  Vermittelung  des  Darmkanals,  Stoffe  aufnimmt,  um 
sie  verändern  und  in  seinem  Innern  zu  verwerten ;  es  sei  nur  an  den 
Gehäusebau    der   Tiere    erinnert.     Da    müssen    sich    die    chemischen 


der  Entwickelung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen.  185 

Verhältnisse  des  Mediunis  schon  während  der  Entwickelung  geltend 
machen.  Es  bleiben  aus  dem  ganzen  Gebiet  der  Stoffaufnahme,  ab- 
gesehen von  den  wenigen  Fällen  der  Larvenfütterung,  zwei  Gebiete 
übrig    für    die    experimentelle    Bearbeitung    in    der    Entwickelungs- 

physiologie:  1)  die  notwendigen  Gase.  2)  die  im  Wasser  enthaltenen 
Stoffe  resp.  Salze. 

Die  erste  Frage  ist  die  der  embryonalen  Atmung.  Man  kann 
sich  vorstellen,  dass  zum  Entwickelungsprozess  an  und  für  sich 
Energie  verbraucht  wird,  dass  bei  diesem  Lebensprozess  der  fort- 
schreitenden Zellteilung,  Neuanordnung  etc.  Oxydationen  geliefert 
werden  bis  zur  Kohlensäurebildung,  und  dass  demnach  ein  Sauerstoff- 
bedürfnis besteht.  Es  ist  ferner  vorstellbar,  dass  dies  auch  ohne 
Lungen  resp.  Kiemen  befriedigt  werden  kann,  da  ja  auch  viele  er- 
wachsenen Tiere  keine  besondere  Atmimgsorgane  bestitzen  (z.  B.  bei 
Crustaceen  oft  nahe  Verwandte  von  kiementragenden  kiemenlos  sind) 
und  ihren  Gasaustausch  direkt  durch  die  Körperoberfläche  besorgen. 
Der  Nachweis  des  Gaswechsels  an  embryonalen  Stadien  kann  nur 
mit  besonderen  Methoden  geschehen,  die  eine  genaue  Messung  des 
Sauerstoffs,  der  Kohlensäure  etc.  gestatten,  und  deren  besondere  Be- 
schreibung in  das  Gebiet  der  Physiologie  gehört. 

Das  Hühnerei  hat  hier  das  erste  Versuchsobjekt  gebildet.  Es 
ist  durch  Preyer  und  Pott  festgestellt  worden,  dass  schon  vom 
ersten  Tage  der  Bebrütung  an  der  Hühnchenembryo  0  aus  der 
Luft  aufnimmt  und  0  0.2  abgibt.  So  gering  die  absolute  Menge  dieses 
Gasstoffwechsels  ist,  so  ist  er  doch  merklich  grösser  als  am  unbe- 
fruchteten Ei.  Auch  haben  die  Autoren  das  Verhältnis  der  ausge- 
schiedenen Kohlensäure  zum  aufgenommenen  Sauerstoff  gemessen 
und  dabei  ganz  entsprechende  Werte  gefunden,  wie  für  die  gewöhn- 
liche Atmung. 

Dies  wäre  eigentlich  reine  Physiologie  des  Embryo,  nicht  Ent- 
wickelungsphysiologie.  Von  einem  Beitrag  zu  letzterer  kann  man 
erst  dann  reden,  wenn  nicht  nur  die  Stoffe  des  normalen  Gasaus- 
tauschs  geprüft,  sondern  die  Verhältnisse  experimentell  abgeändert 
werden,  qualitativ  und  quantitativ,  wenn  andere  Gase  zur  Anwendung 
kommen  etc.,  so  dass  man  fragen  kann:  welche  sind  notwendig  zum 
Zustandekommen  des  normalen  Embryo? 

Das  Atembedürfnis  ist  natürlich  nicht  so  gross;  infolgedessen 
hat  die  O-verminderung  keinen  so  leicht  nachweisbaren  Einfluss ; 
denn  etwas  O,  so  viel  als  zur  embryonalen  Atmung  nötig,  ist  leicht 
vorhanden.     Aus    Eiern  z.  B.,    die   man    mit    mehreren  Lagen  Papier 


186  XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

und  Klebestoff  dicht  umhüllt  hatte,  entwickelten  sich  zur  richtigen 
Zeit  normale  Hühnchen.  Aber  schon  in  verdünnter  Luft  ist  ein  Lang- 
samerwerden bis  zum  Stillstand  zu  beobachten,  besonders  von  der 
Bildung  der  Blutgefässe  an,  wie  Kontroll  versuche  deutlich  zeigen.  Bei 
völligem  Abschluss,  der  durch  Überfirnissen  der  Eier  erzielt  wird, 
tritt  Ersticken  ein  und  zwar  um  so  eher,  je  weiter  das  Hühnchen 
gediehen  ist,  besonders  nach  Bildung  der  Allantois,  welcher  ja  eine 
respiratorische  Funktion  zukommt,  In  schlechter,  stagnierender  Luft 
ist  eine  Schädigung  des  Keims  zu  konstatieren,  ebenso  in  einer 
Wasserstoffatmosphäre.  Zuerst  geht  da  die  Entwicklung  noch  weiter 
(wahrscheinlich  ist  der  wenige  in  den  Membranen  etc.  vorhandene  0 
hierzu  noch  genügend) ;  dann  aber  zeigen  sich  deutliche  Schädigungen 
und  Missbildungen,  ebenso  bei  teilweisem  Firnissen.  Die  letzteren 
sind  nur  aus  O-Mangel  im  allgemeinen,  nicht  aus  der  besonderen  Lage 
der  O-quelle  zu  erklären. 

Eine  Entwicklung  in  reinem  Sauerstoff  anstatt  in  Luft  hat  da- 
gegen keine  sonderliche  Wirkung;  es  wird  zwar  etwas  mehr  0  auf- 
genommen als  normal,  aber  auch  etwas  mehr  C  02  abgegeben,  so  dass 
der  Coefncient  der  gleiche  bleibt.  Die  Entwicklung  selbst  war  bei 
diesen  Versuchen  weder  beschleunigt,  noch  zeigten  sich  Missbildungen 
an  den  Embryonen. 

Am  Froschei  hat  Samassa  eine  Reihe  von  orientierenden  Ver- 
suchen angestellt,  zunächst  ebenfalls  die  O-entziehung  kontrolliert, 
indem  er  die  Eier  eine  Stunde  nach  der  Befruchtung  teils  in  eine 
H-atmosphäre  brachte,  teils  in  eine  Atmosphäre,  in  der  der  Sauer- 
stoff durch  pyrogallussaures  Kali  absorbiert  wurde,  also  in  Stickstoff. 
Nach  vier  Tagen  herausgenommen  zeigten  sich  die  Eier  beider  Portionen 
auf  dem  Blastulastadium,  wie  es  bei  den  Kontrolleiern  schon  am 
ersten  Tage  auftrat,  Die  Wirkung  war  also  zunächst  eine  sehr  starke 
Verzögerung.  Wieder  in  normales  Wasser  gebracht,  zeigten  die  Eier 
eine  Fortentwickelung,  aber  mit  sehr  erheblichen  Störungen  (spina 
bifida  aller  Art,  keine  Umwachsung  der  vegetativen  Hälfte  etc.),  also 
Bildungen  wie  sie  als  allgemeine  Hemmungen  und  Verlangsamungen 
auch  bei  anderen  äusseren  Einwirkungen  auftreten. 

Von  dieser  verhältnismäfsig  geringen  Schädigung  ist  die  Wirkung 
der  Kohlensäure  sehr  verschieden  und  kommt  direkt  einer  Ver- 
giftung gleich.  Wenn  man  frisch  befruchtete  Eier  in  C  0L,  bringt, 
so  tritt  gar  keine  Teilung  oder  nur  eine  einzige,  und  diese 
in    sehr   unregelmäfsiger  Form   auf.     Schon   ein   kürzerer  Aufenthalt 


der  Ent wickclung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen.  187 

(unter  24  Stunden)  genügt  zur  völligen  Abtötung;  die  darnach  in 
normales  Wasser  gebrachten  Eier  erholen  sich  nicht  mehr,  furchen 
sich  nicht,  auch  nicht  unregelrnäfsig,  weiter,  sondern  sind  abge- 
storben. 

Die  Wirkung  verminderten  Druckes  in  verschiedenen  Abstufungen 
hatt  Rauber  geprüft;  zunächst  waren  dabei  keine  besonderen  V]\- 
regelmäfsigkeiten  der  Entwickelung  wahrzunehmen,  nur  ein  etwas 
spateres  Ausschlüpfen  der  Kaulquappen;  aber  bei  weiter  herabge- 
setztem Druck,  Verminderung  um  1/4 — l  2  Atmosphäre,  wobei  der 
Gehalt  des  Wassers  an  O  ungefähr  proportional  dem  Druck  abnimmt, 
trat  eine  grössere  Empfindlichkeit  und  Sterblichkeit  auf;  bei  1/2 
Atmosphärendruck  gelangten  nur  2  von  137  Eiern  zum  Ausschlüpfen. 
Bei  direkter  Einwirkung  der  Luftpumpe  tritt  schnelles  Absterben  ein. 

Bei  reinem  Sauerstoff  hat  Samassa  keine  Missbildungen  und 
keine  Beschleunigung  der  Entwickelung  gefunden.  Die  Menge  des 
O  ist  nach  ihm  ohne  EinfTuss  auf  die  Geschwindigkeit  des  Ablaufs, 
Die  Wirkung  von  N  und  H  soll  wie  die  der  Kohlensäure  auf  ihrem 
eigenen  schädigenden  EinfTuss  beruhen,  nicht  auf  O-mangel;  das  Ei 
von  Rana  temporaria  soll  in  den  ersten  20  Stunden  vom  0  der  Um- 
gebung ganz  unabhängig  sein. 

Dazu  hat  Godlewski  eine  Reihe  weiterer  sehr  genauer  Ver- 
suche angestellt.  Ihm  scheint  aber  nur  für  die  ersten  Stadien,  d.  h. 
die  Furchungsperiode,  bewiesen,  dass  das  Ei  den  Sauerstoff  von 
aussen  entbehren  könne.  0  ist  aber  trotzdem  auch  da  vorhanden; 
»die  kleinen  Mengen,  die  sich  im  Wasser,  in  der  Gallerte  und  im 
Gewebe  selbst  befinden  und  nicht  entfernen  lassen,  werden  wahr- 
scheinlich bis  auf  die  letzten  Spuren  verbraucht  und  ermöglichen  den 
Ablauf  der  Furchungsperiode.«  Das  0-bedürfnis  macht  sich  schon 
gleich  vom  Beginn  der  ersten  Furchung  an  geltend ;  auch  eine  C  ü2-aus- 
scheidung  findet  schon  während  der  ersten  Stunde  der  Entwickelung 
nachweislich  statt  (Samassa  hatte  die  Kohlensäure  früher  erst  am 
vierten  Tage,  dann  in  minimaler  Menge  am  Ende  des  ersten  Tages 
gefunden).  Die  Atmungsenergie  nimmt  mit  fortschreitender  Ent- 
wickelung zu.  Laut  Bataillon  (eigentlich  dem  ersten  Experimentator) 
steigt  die  Kurve  nicht  gleichmäfsig  an,  sondern  geht  je  nach  den 
Entwickelungsprozessen  höher  hinauf  und  sinkt  wieder 

Ganz  andere  Verhältnisse  des  O-Bedürfnisses  zeigen  die  Eier 
verschiedener  Parasiten,  bei  denen  die  Entwickelungsfähigkeit  ohne  0 
und  in  anderen  Medien  geprüft  wurde.    Noch  nach  mehr  wöchentlicher 


188  XVIII.   Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

Einwirkung  von  C02,  N  u.  s.  w.  ergab  sich  bei  den  Eiern  von  jiscaris 

me<;alocephala  keine  Schädigung,  sondern  nur  ein  teilweiser  Stillstand, 
nach  welchem  sie  sich  wieder  in  normalen  Verhältnissen  ungestört 
weiter  entwickelten.  Umgekehrt  war  ihnen  eine  reine  O-Atmosphäre 
und  auch  Steigung  des  Sauerstoffdruckes  verhängnisvoll;  der  Sauer- 
stoff wirkt  hier  nach  P.  Bert,  wie  sonst  die  Kohlensäure  als  Gift.  Es 
hängt  dies  jedenfalls  mit  der  Lebensweise  dieser  Parasiten  zusammen, 
die  auch  im  normalen  Zustand  0  »nur  in  minimaler  Menge  oder 
gar  nicht  zum  Leben  notwendig  haben«,  wie  Bunge  angibt,  Dieser 
hat  Ascaris  mystaas-Exemplare  in  Kochsalzlösung  viele  Tage  ausser- 
halb des  Darms  ohne  O  gehalten;  gleichwohl  zeigten  sie  Stoff  Wechsel- 
Vorgänge,  Kohlensäureproduktion.  Es  ist  von  Weinland  nachge- 
wiesen, dass  solche  Zersetzungen  ohne  0  stattfinden  können  und  zwar 
durch  Zerlegung  von  Kohlehydraten  (Glykogen),  an  denen  der  Körper 
dieser  Tiere  auffallend  reich  ist.  Bei  so  verschiedenen  Verhältnissen, 
die  wie  Wein  1  and  bemerkt,  auch  für  andere  Parasiten,  Trematoden 
und  Cestoden  gelten,  ist  natürlich  in  Bezug  auf  Sauerstoffbedürfnis 
und  Empfindlichkeit  gegen  sonst  schädigende  Gase  ein  umgekehrtes 
Verhältnis  zu  erwarten  wie  bei  freilebenden  Formen. 

Aber  auch  bei  freilebenden  Formen  scheint  das  O-Bedürfnis  und 
die  Empfindlichkeit  sehr  verschieden  zu  sein  und  in  Beziehung  zur 
Lebensweise  zu  stehen.  Die  Eier  des  Fisches  Ctenolabrus  sterben  ohne 
0  ab,  furchen  sich  in  H  nur  2 — 3  mal,  wenn  noch  etwas  0  zurück- 
geblieben war,  sonst  blieb  die  Furchung  überhaupt  aus;  in  C02  tritt 
rasches  Absterben  ein.  Die  Eier  von  Fundulus  dagegen  können  12 
bis  15  Stunden  ohne  Ü  verbringen  und  sich  wTeiter  furchen  bis  zur 
Bildung  einer  ansehnlichen  Keimscheibe.  Laut  Driesch  ist  bei 
letzteren  »offenbar  im  Keimes  in  n  e  r  n  für  chemische  Energiepotentiale 
gesorgt,  welche  bis  zu  einem  gewissen  Grad  die  energetische  Rolle  der 
Oxydationen  ersetzen  können.«  Das  muss  gewiss  der  Fall  sein,  so  wie 
bei  Ascaris  durch  Zerlegung  der  Glykogene;  aber  die  erste  Ursache 
hier  wie  dort  ist  die  andere  Lebensweise.  Ctenolabrus  ist  eine  pelagi- 
scher  Fisch,  gegen  Schwankungen  aller  Art,  Wärme,  Wasserzusammen- 
setzung etc.  sehr  empfindlich;  Fundulus  lebt  am  Boden,  in  einem 
schlechter  ventilierten  Medium.  Auch  bei  Fundulus  nimmt  die  Empfind- 
lichkeit mit  fortschreitender  Entwickelung  zu. 

Die  Sauerstoffzufuhr  ist  also  für  die  Entwickelungsvorgänge  der 
Tiere,  von  Sonderfällen  wie  Parasiten  abgesehen,  eine  Notwendigkeit, 
Das  Bedürfnis   ist  verschieden  gross  bei  verschiedenen  Arten  und  in 


der  Entwickelung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen.  1S9 

einzelnen  Stadien  der  Entwickelung,  im  allgemeinen  zuerst  sehr 
gering  und  dann  allmählich  ansteigend.  Der  Sauerstoff  vermittelt 
Oxydationen,  die  eine  Energieproduktion  darstellen,  ist  also  seihst 
als  Energiequelle  zu  bezeichnen;  die  Parasiten  verschaffen  sich  die 
Energieproduktion  auf  andere  Weise. 


Dass  bei  den  chemischen  Beeinflussungen  der  Entwickelung  auch 
die  Nahrungsaufnahme  herangezogen  werden  kann,  dann  nämlich, 
wenn  noch  unfertige  Stadien  bereits  fressen,  ist  oben  erwähnt  worden. 
Allerdings  ist  der  Einfluss  auf  die  »Gestaltbildung«  sehr  untergeord- 
neter Art,  Bei  Spinnern  (Gastropacha  pini)  und  namentlich  beim  be- 
kannten deutschen  Bärenspinner  (Arctia  caja)  ist  es  Koch  gelungen, 
durch  Fütterung  mit  bestimmten  Blattsorten  statt  der  gewöhnlichen 
Nährpflanze  abweichende  Färbungen  zu  erreichen.  Die  Unterschiede 
der  Bienenköniginnen  von  den  Arbeitern  werden  bekanntlich  dadurch 
hervorgerufen,  dass  zu  ersteren  bestimmte  Larven  durch  besondere 
Kost  (qualitativ  und  quantitativ)  in  besonderen  Zellen  herangezogen 
werden;  die  Staaten  regulieren  dies  nach  Bedarf.  Diese  durch 
Nahrung  hervorgebrachten  Unterschiede  sind  nicht  so  merkwürdig, 
da  es  sich  ja  hier  nicht  um  Erzeugung  einer  besonderen  Form 
handelt,  sondern  die  Arbeiter  ja  nur  Weibchen  mit  verkümmerten 
Genitalorganen  sind  und  die  Veränderungen  in  den  Genitalorganen 
notwendigerweise  andere  Korrelationen  (s.  p.  137)  verursachen. 

Bei  den  Termiten  soll  auch,  was  merkwürdiger  wäre,  das  Ver- 
hältnis von  Soldaten  und  Arbeitern,  die  beide  verkümmerte  Weibchen 
darstellen ,  reguliert  werden  können.  Bemerkenswert  ist ,  dass  Ab- 
stufungen zwischen  den  verschiedenen  Ausprägungen  existieren, 
Arbeiter,  Soldaten  etc.  nicht  immer  so  scharf  unterschieden  werden 
können,  was  jedenfalls  sehr  für  die  Wirkung  der  erörterten  Einflüsse 
spricht. 

Dass  die  Nahrung  auf  die  Skelettbildung  wirkt,  ist  Physiologen 
und  Ärzten  lange  bekannt;  die  Zusammensetzung  der  Milch,  speziell 
ihr  Gehalt  an  Salzen  ist  für  die  Knochenbildung  des  Kindes  von 
grosser  Bedeutung.  Durch  zahlreiche  Fütterungsversuche  ist  nach- 
gewiesen, dass  bei  Entziehung  von  Salzen  an  jugendlichen  Stadien 
der  Säuger  an  den  Knochen  eine  der  ßhachitis  ähnliche  Degeneration 
eintritt,  bei  Erwachsenen  die  organische  Grundlage  des  Knochen- 
gewebes zwar  erhalten  bleibt,   aber  alle  Kalksubstanz  nach  und  nach 


190  XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

schwindet,  sodass  die  Knochen  weich  werden,  und  die  Erscheinungen 
der  Osteoparese  eintreten.  Umgekehrt  kann  durch  Hinzufügung 
gewisser  Salze,  durch  Phosphor  und  Arsen,  die  Knochenbildung  in 
ganz  anormaler  Weise  gesteigert  werden,  so  dass  namentlich  an  den 
Epi-  und  Diaphysen  ganz  andere  Bildungen  auftreten,  u.  A.  die  ganze 
Markhöhle  von  wirklichem  Knochengewebe  ausgefüllt  sein  kann. 
Andere  Salze,  in  denen  das  Ca-Jon  entsprechend  ersetzt  ist,  haben 
ebenfalls  Anomalien  bei  Verfütterung  zur  Folge. 

Wichtiger  für  den  sich  entwickelnden  Organismus  sind  die 
Stoffe,  die  er  aus  dem  umgebenden  Medium,  d.  h.  wenn  er  sich  im 
Wasser  befindet,  direkt  aufnimmt,  weil  ja  diese  Stoffe  schon  vor  dem 
Fressen  von  allem  Anfang  der  Entwicklung  in  Betracht  kommen. 
Der  Gehalt  an  Salzen  ist  deswegen  stets  von  Bedeutung  nicht  nur 
im  Seewasser,  sondern  auch  im  Süsswasser;  denn  letzteres  ist  ja 
ebenfalls  nicht  rein,  sondern  enthält  ebenfalls  zahlreiche  Salze,  wenn 
auch  andere  und  in  geringerer  Quantität  wie  das  Seewasser. 

Man  kann  sich  vorstellen,  dass  (lotterreiche  Eier  sehr  viele  zur 
Entwickelimg  nötige  Substanzen  bereits  in  ihrem  mitbekommen;  das 
wird  z.  B.  durch  die  Experimente  an  Labraxeiern  bewiesen,  die  in 
ihrer  Entwickelung  von  verschiedenen  sonst  nötigen  Stoffen  des 
Meerwassers  unabhängig  sind.  Aber  auch  solche  Eier  werden  sich 
nie  von  den  chemischen  Verhältnissen  des  Mediums  ganz  emanzipieren 
können,  schon  weil  der  osmotische  Druck  in  Betracht  kommt;  das 
wird  u.  a,  durch  die  oben  angeführten  Versuche  am  Froschei  be- 
wiesen (s.  p.  171). 

Ein  dotterarmes  Ei  wird  oine  Reihe  von  Stoffen  direkt  aus  dem 
Wasser  aufnehmen  müssen,  man  braucht  nur  an  den  kohlensaueren 
Kalk  für  das  Skelett  zu  erinnern.  Hier  liefern  die  Echinodermen 
und  speziell  die  Seeigel  ein  sehr  geeignetes  Versuchsobjekt,  da  bei 
ihnen  sehr  früh  ein  larvales  Kalkskelett  zur  Ausbildung  kommt. 
Pouch  et  und  Chabry  haben  die  Entwickelung  von  solchen  Eiern  in 
kalkarmen  resp.  kalkfreiem  Seewasser  vor  sich  gehen  lassen  und 
dabei  alle  Abstufungen  im  Zurückbleiben  der  Kalkstäbe  erhalten, 
von  solchen  Larven  an,  bei  denen  sie  nur  unvollkommen  ausgebildet 
waren,  bis  zu  solchen,  wo  sie  vollkommen  fehlten.  Es  fehlten  als- 
dann auch  die  charakteristischen  Armfortsätze;  sonst  aber  wrar  alles 
regulär  vorhanden,  Wimperschnur,  Darm  und  auch  das  Mesenchym, 
das  sonst  die  Skelettstäbe  erzeugt. 

Planmässige  Versuche  nicht  nur  über  die  Bedeutung  des  Kalks, 
sondern  über  die  Rolle  aller  im  Seewasser  vorhandenen  Stoffe  in  der 


der  Entwicklung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen. 


191 


Entwickelung  hat  besonders  Herbst  in  sehr  grossem  Umfange  an 
Echinodermeneiern  angestellt;  dann  auch  Loeb  an  Fischen  und 
ebenfalls  an  Echinodermen.  Die  Herbst'schen  Versuche  sind  in 
mehrfacher  Beziehung  von  Wichtigkeit,  wenn  auch  nicht  gerade 
immer  für  die  Wirkung  chemischer  Beeinflussung.  Manche  der 
Experimente  zeigen  atypische  Bildungen,  die  durch  veränderten 
osmotischen  Druck  hervorgerufen  werden,  wenn  man  andere  Salze 
nimmt;  in  anderen  Fällen  werden  als  Giftwirkungen  zu  bezeichnende 
l  nterdrückungseffekte  hervorgerufen,  sodass  man  positiv  von  einer 


Fig.  129. 


Fig.  130. 


s-a 


Ua: 


Fig.  129.  Seeigellarve  in  einem  Gemisch  von  Seewasser  und  Chlorlithium  gezogen, 
sog.  Lithiumlarve,  nach  Herbst  (Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.,  Bd.  55).  m  Mesen- 
chymzellen,  ua  Urdarmabschnitt,  h  Hautabschnitt,  est  Verbindungsstück. 
Die  Larve  war  5  Tage  alt. 

Fig.  130.  Andere  sog.  Lithium larve  mit  zapfenartigem  Fortsatz  am  animalen  (a)  und 
aussenliegenden  Urdarmabschnitt  (v)  am  vegetativen  Pol.  Mesenchymzellen 
und  Kalkstäbe  innen.     Nach  Herbst  (1895). 


chemischen  Wirkung  auf  die  Form  reden  dürfte.  Manchmal  werden 
auch  bei  gewissen  Salzen  typische  Veränderungen  in  den  Larven 
hervorgerufen;  das  ist  z.  B.  bei  den  schon  mehrfach  erwähnten  sog. 
Lithiumlarven  der  Fall,  die  Herbst  erhalten  hat,  indem  er  die  Eier 
von  Sphaerechinus  granularis  in  einem  Seewasser  aufzog,  indem  das 
Natrium  der  Salze  durch  Lithium  ersetzt  war  (also  mit  Chlorlithium, 
Lithiumsulfat  etc.).  Es  ergeben  sich  sehr  charakteristische  Exogast- 
rulae  in  eigentümlicher  Herstellungsweise.     Die  Blastula    streckt  sich 


192  XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  <l<-n  äusseren  Bedingungen 

und  bildet  dann  durch  Einschnürung  zwei  Abschnitte,  deren  kleiner 
dem  Urdarm,  der  also  nach  aussen  gestülpt  ist,  und  deren  grösserer 
dem  Ektoderm  der  Gastrula  entspricht.  Mesenchym  ist  vorhanden, 
auch  der  Wimpemng  ausgebildet;  aber  keine  Kalkstäbe  und  dem- 
entsprechend auch  keine  Arme  (s.  p.   154). 

Am  bedeutsamsten  für  unsere  Erörterungen  sind  jene  Versuche 
ATon  Herbst,  die  darauf*  hinausgehen,  festzustellen,  welche  Stoffe 
(Elemente  resp.  Salze)  durch  andere  in  isotonischer  Lösung  ohne 
Schaden  vertretbar  sind  und  welche  nicht,  also  welche  absolut  notwendig 
sind;  ferner  welche  von  allem  Anfang  und  stets  gebraucht  werden, 
und  welche  nur  von  einem  gewissen  Stadium  ab  und  für  bestimmte 
Prozesse.  Es  hat  dies  erst  nach  und  nach  aus  einer  sehr  grossen 
Zahl  von  Einzelversuchen  gefolgert  werden  können;  Herbst  hat 
darüber  eine  zusammenfassende  Übersicht  geliefert,  der  wir  hier 
folgen. 

Von  absolut  notwendigen  Elementen,  ohne  deren  Vorhandensein 
im  Seewasser  die  Entwicklung  der  Echinodermen  nicht  ungestört 
abläuft,  sind  Natrium,  Kalium,  Chlor,  Schwefel,  Magnesium,  Kalk 
und  vielleicht  Eisen  zu  nennen.  Eine  Vertretbarkeit  ist  nicht,  oder 
nur  in  sehr  engen  Grenzen  bei  einigen  möglich,  z.  B.  kann  Kalium 
durch  Calsium  und  Rubidium,  Chlor  durch  Brom  ersetzt  werden, 
nicht  aber  Schwefel  durch  Selen  und  Tellur. 

Von  Verbindungen  ist  vor  allem  als  notwendig  das  Hydroxyl, 
OH,  zu  nennen  oder  mit  anderen  Worten,  eine  gewisse  Alkalinität 
des  Wassers,  die  durch  die  Bicarbonate  geliefert  wird.  Damit  stimmt 
L  o  e  b  's  Befund  überein,  dass  durch  Alkalien  schon  in  geringer  Menge 
die  Entwickelung  beschleunigt,  durch  Säuren  verzögert  wird.  Der 
Grund  für  beides  liegt  vielleicht  in  einer  Beförderung  resp.  Verzöge- 
rung der  Oxydationsvorgänge  und  damit  der  synthetischen  Prozesse. 
Das  Hydroxyl  ist  nach  Herbst  bei  Sphaerechinus  und  EcJiinus  speziell 
notwendig  zur  regelmässigen  Ausgestaltung  der  Larvenform;  ohne  das- 
selbe kommen  Faltungen  verschiedener  Art  an  den  Blastulae  vor,  die 
z.  T.  durch  Erhöhung  der  Alkalinität  wieder  ausgeglichen  werden 
können.  Auch  die  Grössenzunahme  der  Larven  wird  durch  OH  be- 
fördert und  die  Wimperbewegung  gesteigert. 

Chlor  ist  durchaus  notwendig  und  spielt  eine  allgemeine  Rolle 
in  der  Ontogenese.  Wenn  man  ein  Seewasser  mit  HC02Na  an  Stelle 
von  Cl  Na  nimmt  und  die  anderen  Chloride  durch  Sulfate  ersetzt,  so 
beginnt  die  Furchung  nur  gerade,  verläuft  aber  längst  nicht  zu  Ende ; 
in  der  Kontroikultur,  bei  der  ebenfalls  dasCINa  entsprechend  ersetzt 


der  Entwickelung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen.  198 

ist,  die  aber  die  anderen  Chloride  noch  enthält,  gedeiht  die  Entwicke- 
lung wenigstens  bis  zur  Blastula.  Auch  in  allen  späteren  Stadien 
erweist  sich  das  Wasser  mit  Cl  stets  jenem  ohne  Cl  in  Bezug  auf 
Entwickelungsfähigkeit  und  Erhaltung  der  Lebenstätigkeit  überlegen. 

Kalium  ist  ebenfalls  schon  für  die  Furchung  notwendig.  In 
K-freiem  Wasser  verläuft  die  Furchung  verschiedener  Ech/nusarten 
nicht  bis  zu  Ende;  bei  Sphaerechinus  entwickeln  sich  zwar  ohne  K 
noch  Blastulae;  dieselben  sind  aber  klein  und  trübe  und  brauchen 
viel  länger  als  die  Kontrolleier  bis  zum  Blastulastadium.  Auf  späteren 
Stadien  ist  K  überhaupt  nicht  zu  entbehren  und  zwar  insbesondere 
für  das  Wachstum  des  Keims,  das  durch  Wasseraufnahme  geschieht. 
Auch  für  die  Wimperbewegung  und  Kontraktion  spielt  es  eine  Rolle. 

Calcium  ist  schon  von  allem  Anfang  nötig.  Ca-freies  Seewasser 
ist  ein  Mittel,  um  die  Furchungszellen  auf  jedem  Stadium  zur  Iso- 
lierung zu  bringen.  Man  kann  anstatt  einer  Blastula  etwa  1000  ein- 
zelne wimpernde  Zellen  erhalten.  Auch  an  späteren  Stadien  und 
anderen  Tieren  (Larven  von  Polymnia  und  Cione)  gelang  es,  durch 
Ca-Entziehung  eine  Lockerung  der  Zellen  herbeizuführen.  Werden 
schon  teilweise  zerfallene  Keime  wieder  in  normales  Seewasser  gebracht, 
so  wird  ein  weiterer  Zerfall  sofort  sistiert,  und  es  werden  sogar  schon 
etwas  gelockerte  Zellen  wieder  zu  festerem  Verband  zusammengeführt. 

Für  spätere  Stadien  ist  Calcium  natürlich  erst  recht  notwendig 
und  zwar  in  Form  des  kohlensauren  Kalks  selbst.  Die  St ein - 
m an n 'sehe  Ansicht,  dass  die  Organismen  selber  durch  ein  Stoff- 
wechselprodukt (Ammoniumkarbonat)  C03Ca  aus  dem  im  Meerwasser 
vorhandenen  S04Ca  erst  erzeugten,  ist  von  physiologisch-chemischer 
Seite  durch  Biedermann  widerlegt,  und  auch  Herbst  hat  be- 
wiesen, dass  die  Seeigellarven  C03Ca  direkt  aus  dem  Meerwasser 
aufnehmen. 

Damit  sind  wir  bereits  bei  Betrachtung  der  Stoffe,  oder  in 
moderner  Ausdrucksweise,  der  Jonen  angelangt,  die  nicht  von  allem 
Anfang  an,  sondern  erst  auf  späteren  Stadien  der  Entwickelung  von 
Bedeutung  sind.  Da  sind  zunächst  die  Sulfate,  resp.  das  SOt-Jon  zu 
nennen.  Die  verschiedenen  untersuchten  Echinodermen  verhalten 
sich  hierin  ebenfalls  etwas  verschieden.  Bei  Asterias  (]hi<'i<ilis  (nicht 
bei  den  Echinideni  spricht  sich  der  S04-Mangel  in  geringerer  Grösse 
aus ;  auch  werden  die  Larven  faltig,  indem  zwar  das  Ektoderm  durch 
Zellteilung  an  Fläche  zunimmt,  aber  der  osmotische  Druck  im  Blasto- 
coel  zu  seiner  Straff  Spannung  nicht  ausreicht.  Der  Darm  bleibt  bei 
allen  Formen,  auch  Echiniden,  ohne  S04  sehr  rudimentär,  besonders 

Maas,  Eiiifiihruntr  in  die  experimentelle  Entwickeiung?geschieute.  13 


194  XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

bei  Sphaerechinus •  seine  Gliederung  in  drei  Abschnitte  bleibt  aus. 
Ausserordentlich  deutlich  ist  sodann  die  Beteiligung  des  S04  an  der 
Pigmentbildung,  indem  diese  im  S04-freien  Medium  bei  Sphaerechinus 
und  Echinusl&Yyen  absolut  unterdrückt  ist.  Werden  die  Larven  in 
gewöhnliches  Seewasser  zurückgebracht,  so  kann  die  Pigmentbildung 
nachgeholt  werden,  wenn  der  Aufenthalt  in  der  künstlichen  S04-freien 
Mischung  nicht  zu  lange  gedauert  hat. 

Auch  bei  der  Skelettbildung  spielt  S04  eine  Rolle,  was  sich 
erstens  in  einer  Verzögerung  der  Kaikabscheidung  im  S04  freien 
Medium  und  zweitens  in  Anomalien  äufsert,  die  bei  ungenügender 
Sulfatmenge  am  Skelett  zu  bemerken  sind.  Es  besteht  auch  normaler 
weise  das  Skelett  der  Pluteuslarven,  wie  das  der  Kalkschwämme, 
nicht  aus  reinem  Kalkspat,  sondern  enthält  Beimengungen  von  S04  Ca. 
Durch  die  Unregelmäfsigkeiten  der  Skelettbildung  wird  auch  die 
Architektonik  der  Larvenform,  also  die  normalerweise  bestehende 
Bilateralität  beeinflusst,  Dies  äussert  sich  zunächst  in  einer  abnormen 
Lagerung  der  kalkbildenden  Mesenchymzellen,  die  an  ihrem  Ent- 
stehungsherd nahe  am  Urdarm  liegen  bleiben,  anstatt  sich  entfernt  von 
ihm  dem  Ektoderm  anzuschmiegen  (s.  Fig.  80  u.  82).  Noch  auffallender 
wird  die  Störung,  wenn  die  Keime  wieder  in  S04-haltiges  Seewasser 
zurückgebracht  werden.  Es  erfolgt  dann  die  Ordnung  der  Kalk- 
bildner am  Ektoderm,  aber  es  werden  nicht  2,  sondern  3  und  5, 
sogar  7  Dreistrahler  in  unregelmäfsiger  Lagerung  gebildet  (Fig.  131 
und  132),  Auch  in  der  Richtung  des  Darm  Verlaufs  macht  sich  die 
Störung  der  Bilateralität  geltend,  indem  die  normale  Knickung  nach 
der  späteren  Mundseite  ausbleibt,  so  dass  eine  Annäherung  an  Radiär- 
bau  auch  hier  entsteht;  entsprechend  ist  auch  der  Wimperring  um 
90  °  verlagert,  so  dass  er  senkrecht  zur  Gastrulaachse  steht.  Solche 
mehr  radiär  gebauten  Larven  hat  Herbst  auch  mit  vorübergehender 
Lithiumeinwirkung  erzielt,  ja  bei  Echinus  miliaris  auch  in  gewöhn- 
lichem Seewasser  von  selbst  auftretend  häufig  am  Ende  der  Laichzeit, 
und  auch  bei  Strongylocentrotus  miliaris  in  normalen  Kulturen  gelegent- 
lich beobachtet.  Er  schliesst  daraus,  dass  die  ohnehin  vorübergehende 
Bilateralität  der  Seeigellarven  sehr  labilen  Charakter  hat,  dass  sie  durch 
Sulfate  gehemmt  wird.  Überhaupt  ist  bemerkenswert,  dass  es  in  all  den 
Herb  st' sehen  Versuchen  die  larvalen,  also  dem  speziellen  Bedürfnis 
angepassten  Charaktere  sind,  und  nicht  die  innere  Organisation,  die 
sich  ändert.  (Einleitung,  s.  p.  19).  Ebenso  sollen  die  Sulfate  hemmend 
auf  die  Wimperschopf  bildung  wirken,  indem  ohne  S  04  der  Schopf 
langer  Geissein,  der  sich  am  animalen  Pol  der  Blastula  und  Gastrulae 


der  Entwicklung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen. 


195 


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§    6JD   fci. 


befindet,  mächtig  verlängert  wird.  Durch  Ca-zusatz  kann  diese  Aus- 
bildung noch  gesteigert  werden,  so  dass  das  S  04-Jon  also  nur  die 
Aufgabe  hätte,  die  Wirkung  des  Calciums  auf  das  richtige  Mafs  zu 
beschränken.  Auch  bei  anderen  Stoffen  wird  noch  von  solch  anta- 
gonistischer, sich  gegenseitig  aufhebender  Wirkung  zu  reden  sein. 

Magnesium  ist  bei  J.stfm'askeimen  noch  ausser  dem  Calcium 
zum  Zusammenhalt  der  Zellen  notwendig  (bei  den  Echiniden  genügt 
Ca  allein);  aber  auch  bei  den  Seeigeln  spielt  Mg  bei  der  Darmbildung 

13* 


um; 


XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 


eine  Rolle,  indem  ohne  Mg,  namentlich  bei  Sphaerechinus,  der  Darm 
rudimentär  bleibt.  Dass  auch  die  Skelettbildung  beeinflusst  wird,  ist 
begreiflich;  ebenso  wie  bei  den  Kalkschwämmen  wird  dem  normalen 
Kalkstab  ausser  dem  Kalkspath  und  dem  schon  erwähnten  S04Ca 
noch  etwas  S04Mg  zukommen.  Endlich  ist  Mg  für  die  Wimperbe- 
wegung von  Bedeutung,  wie  auch  aus  Versuchen  von  R.  Lillie  an 
Larven  des  Wurms  Arenicola  konstatierte;  zur  Kontraktion  kann  es 
aber,  im  Gegensatz  zum  K,  entbehrt  werden. 


Fig.  133. 


Fig.  134. 


Fig.  133.     Echinusla,rve,  aus  S-freier  Lösung  gezüchtet.     Nach  Herbst, 

Fig.  134.     Sphaerechiiuisl&rve,  in  Mg-freier  Lösung  gezüchtet.     Nach  Herbst, 


Ganz  allgemein  lässt  sich  noch  sagen,  dass  für  alle  Stoffe,  die 
notwendig  sind  —  nach  Analogie  mit  der  Wärme  —  ein  Optimum 
der  Konzentration  existiert,  bei  dem  die  Geschwindigkeit  der  Ent- 
wickelung  am  grössten  ist;  ferner  haben  alle  notwendigen  Stoffe 
einen  Anteil  an  der  Grössenzunahme  der  Larve,  teils  direkt  durch 
Beteiligung  am  osmotischen  Druck,  teils  indirekt  durch  Wirkung  auf 
die  Skelettbildung. 

In  gewissem  Gegensatz  dazu  stehen  die  Versuche  von  L  o  e  b , 
wenigstens  hinsichtlich  ihrer  Deutung.  Loeb  nimmt  an,  dass  es  nicht 
auf  die  Notwendigkeit  einzelner  Salze,  sondern  auf  das  »physiologische 
Gleichgewicht«  der  angewandten  Lösungen  ankomme ;  es  dürfe  eben 
nur  die  Gewebszusammensetzung,  spez.  der  Proteide  nicht  gestört 
werden.  Er  hat  gefunden,  dass  Eier  von  Fundulus  leben  bleiben  und 
sich  entwickeln  in  destilliertem  Wasser  wie  in  Seewasser,  und  ferner 
auch  in  Seewasser,  dem  noch  5°/0  CINa  zugesetzt  ist,  dass  sie  da- 
gegen in  reiner  CINa-Lösung  meist  auf  frühen  Stadien  absterben  und 


der  Entwicklung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen. 


19' 


nur  ein  kleiner  Teil  Embryonen  bildet,  die  nicht  einmal  zum  Aus 
schlüpfen  kommen.  Er  schliesst  daraus,  dass  Na  allein  giftig  wirkt, 
und  dass  dem  K  und  Ca  besonders  die  Aufgabe  zukäme,  die  Wirkung 
des  Na  aufzuheben,  oder  anders  ausgedrückt,  nach  weiteren  Versuchen, 
dass  die  Chloride  von  Na,  K,  Ca  allein  genommen  für  Fundulus  giftig 
sind,  nur  alle  drei  zusammen  nicht,  also  kein  Salz,  auch  für  die 
Echiniden  nicht,  für  sich  allein  notwendig  wäre. 

Fig.  135. 


w 


d 


Fig.  135. 


Pluteuslarve  von  Echinus  aus  einer  den  Cl-Salzen  aequi-molecularen  Brom- 
Seewassermischung.  Nach  Herbst  (1901).  Man  sieht,  dass  alle  Pluteus- 
charaktere  vorhanden,  aber  nicht  in  typischer  Weise  ausgebildet  sind,  spez. 
an  Darm  {d)  und  Skelett  (s).     w  =  Wimperschnur. 


Man  wird  sowohl  gegen  die  Allgemeingiltigkeit  wie  gegen  die 
Annahme  einer  »Gift «Wirkung  des  Na  mit  Herbst  Einspruch  erheben 
dürfen.  Na  kommt  auch  bei  Fundulus  in  allen  Gewebssäften  vor  und 
ist  laut  Herbst  sogar  direkt  notwendig,  um  das  Ausfallen  der  Globu- 
line aus  dem  Blut  zu  verhindern.  »Wenn  aber  ein  Stoff  in  irgend 
einer  Weise  unentbehrlich  ist,  darf  man  nicht  allgemein  von  seiner 
Giftigkeit  reden.  Er  kann  dann  höchstens  in  einem  speziellen 
Falle  schädlich  wirken,  wenn  ihm  in  diesem  Fall  nicht  andere  Stoffe 
als  Antagonisten  entgegen  arbeiten.« 

Wie  dies  Entgegenarbeiten  zu  denken  ist,  darauf  werfen  einige 
ganz  andersartige  Versuche  von  Herbst  einiges  Licht.  Es  ist  seit 
lange  von  vielen  Fischen  bekannt,  dass  sie  das  Übertragen  von  süssem 
zu  salzigem  Wasser  anstandslos  vertragen.  Erst  neuerdings  sind  solche 
Versuche  am  Stichling  von  G  i  a  r  d  in  sehr  genauer  Weise  wiederholt 


11  )s  XVIII.  Kapitel.     Die  Experimente  an  den  äusseren  Bedingungen 

worden.  Für  die  äussere  Haut  mit  ihren  Schuppen  und  ihrer  Schleim- 
abscheidung  ist  dabei  wohl  ein  völliger  Abschluss  zu  denken;  aber 
auch  für  die  Kiemenepithelien  ist  eine  besondere  Beschaffenheit  an- 
zunehmen. Frede ricq  vergleicht  sie  mit  dünnen  Kautschukmem- 
branen, die  wohl  für  Gase,  aber  weder  für  Wasser  noch  Salze  durch- 
lässig sind.  Wenn  Loeb  also  seine  Fimduluseier  in  reines  Chlor- 
natrium  bringt,  so  wird  dieses  Salz  gar  nicht  eindringen,  da  sich  die 
Membranen  der  Keime  nach  Herbst  wohl  ebenso  verhalten  (im 
Gegensatz  zu  den  Membranen  resp.  Epithelien  der  Echinodermen). 
Es  hat  nun  Herbst  bei  ganz  jungen  Aalen,  die  vom  Meer  in  den 
Sarnofluss  hinauf  wanderten,  also  ebenfalls  indifferent  für  den  SaLz- 
wechsel  waren,  beobachtet,  dass  sie  in  Gl  Na  gebracht,  ihre  Kiemen- 
epithelien in  einzelne  Zellen  auflösen.  Wir  hätten  somit  eine  wirklich 
aktive  Wirkung  des  Na,  die  durch  Ca,  wie  die  früher  erwähnten 
Experimente  zeigen,  aufheben  lässt,  da  bei  Ca- Ausfall  die  Zellen 
auseinandergehen.  Experimente  an  anderen  Fischeiern  stehen  noch 
aus;  es  gilt  also  der  Satz,  dass  Na  und  Ca  Antagonisten  sind,  zu- 
nächst nur  für  die  Kiemenepithelien  und  wahrscheinlich  das  Blasto- 
derm  der  Fische.  Wie  es  damit  bei  den  Echinidenkeimen  steht,  soll 
noch  von  Herbst  untersucht  werden. 

Jedenfalls  wird  man  sich  vor  zu  frühen  Verallgemeinerungen 
zu  hüten  haben;  denn  es  sind  ja  schon  innerhalb  der  Echinodermen 
solche  Unterschiede  für  die  Rolle  der  notwendigen  Stoffe  festgestellt ; 
so  z.  B.  ist  bei  Asterias  zum  Zusammenhalt  der  Zellen  ausser  Ca 
nocli  Mg  notwendig,  bei  Echiniden  genügt  gegenüber  der  event. 
lockernden  Wirkung  des  Na  das  Ca  allein.  Auch  sonst  sind  gerade  durch 
Herbst  so  vielfache  Unterschiede  im  einzelnen  bekannt  geworden, 
dass  man  nur  höchstens  innerhalb  eng  begrenzter  Gruppen  des  Tier- 
reichs die  notwendigen  und  die  vertretbaren  Stoffe  zusammenstellen 
darf;  auch  verschiedene  Gewebe  und  Zellsorten,  sowie  verschiedene 
Stadien  desselben  Tieres  verhalten  sich  in  ihrem  chemischen  Bedürfnis 
verschieden. 


Es  soll  diese  Erkenntnis  auch  vor  allzu  kritiklosem  Experimen- 
tieren hüten,  so  z.  B.  davor,  an  Eiern,  die  normalerweise  überhaupt 
nichts  aus  der  Umgebung  aufnehmen,  mit  Lösungen  herumzuprobieren. 
Es  ist  nicht  einzusehen,  was  für  die  Auffassung  des  Entwickelungs- 
gangs  gewonnen  werden  soll,  wenn  man  dem  Hühnchenkeim  durch 
die  angebohrte  Eischale  Lösungen  verschiedener  Substanzen  zufliessen 


der  Entwickelung.     B.  Die  chemischen  Vorbedingungen.  199 

lässt.  Aber  auch  bei  Eiern,  die  sich  im  Wasser  entwickeln  und 
normalerweise  im  Stoffaustausch  mit  ihrer  Umgebung  stehen,  sollen, 
was  in  vielen  Fällen  leider  versäumt  worden  ist,  die  zu  prüfenden 
Stoffe  eine  gewisse  Beziehung  zum  normalen  Geschehen  haben ;  sonst 
wird  nur  eine  Giftwirkung  ohne  klärende  Bedeutung  für  den  Ent- 
wickelungsgang  erzielt.  Die  experimentelle  Richtung  würde  damit 
bei  den  äusseren  Faktoren  zu  einem  planlosen  Probieren,  was  sich 
z.  B.  eine  Seeigellarve  alles  bieten  lässt,  oder  bei  den  inneren,  bei 
der  Regeneration  dessen,  was  man  z.  B.  bei  einem  Regenwurm  alles 
abschneiden  kann.  In  solchen  Fällen  stünde  die  experimentelle  Ent- 
wickelungsgeschichte  gewiss  nicht  über  der  beobachtenden  und  ver- 
gleichenden Entwickelungsgeschichte.  Es  wird  an  ihren  eigenen 
Vertretern  liegen,  sie  durch  geeignete  Auswahl  der  Experimente  in 
bezug  auf  Objekt  und  Medium  in  kausaler  Erkenntnis  über  die  be- 
schreibende Richtung  hinauszuführen. 


Sachregister. 


A. 

Abhängige  Differenzierung  13,  99,  153. 

Äthereinwirkung  26,  172. 

Äquipotentielles  System  72,  85. 

Alkalinität  des  Wassers  192. 

Alpentiere  176. 

Amphibieneier  20,  32  ff.,  68,  167. 

Amphioxuseier  46. 

Anachronismus    der    Furchungsteilungen 

39,  64. 
Animale  Zellen  des  Keims  30,  46,  86. 
Annelideneier  63. 
Arthropodenfurchung  157. 
Ascidieneier  52,  67. 
Ascidien-Regeneration  117. 
Atavismus  120. 
Atmosphärischer  Druck  187. 
Atmung,  embryonale  185. 
Äussere  Faktoren  9,  166  ff. 
Auslösungstheorie  153. 
Autonomie  d.  Lebensvorgänge  83,129,165. 

B. 

Befruchtung  2,  4,  65,  68. 
Bindesubstanz  142. 
Blastomeren  22,  25. 
Blutkörperchen  134. 


C. 


Calcium  193. 
Centrifugalkraft  170. 


Chemotaxis  157. 
Chorda  53,  105. 
Chlor  192. 
Chromatin  75. 
Corneabildung  156. 
Crinoidenregeneration  107. 
Crustaceen-Auge  122. 
Ctenophorenei  66. 
Ctenophorenfurchung  54. 
Cuvier'sche  Vergleichsmethode   5,    141r 
148. 

Descendenztheorie  2,  128. 
Dimensionale  Hypertrophie  140. 
Direkte  Entwickelung  19. 
Doppelbildungen  32,  35,  50,  93,  94. 
Dotterlappen  65. 

Dotterverteilung  8,  49,  72,  75,  190. 
Druckwirkung  27,  35,  37,  43,  63. 

E. 

Echinodermeneier  21, 24  ff.,  68, 172, 182, 192. 

Eidechsenschwanz  106,  115. 

Eifragmente  65. 

Eistruktur  11,  64  ff. 

Einfluss  des  Ganzen  75,  113,  125,  127,  130. 

Einschränkung   der  prospektiven  Potenz 

87,  91. 
Elemente,  notwendige  192. 
Elementarorgan  .89,  96,  112. 


Sachregister. 


201 


Elementarprozess  96,  112. 

Energiequelle  183,  188. 

Entwickelungsmechanik  3. 

Entwickelungsphasen  18,  20,  81. 

Entwickelungsphysiologie  3. 

Epigenese  13,  14,  85. 

Epithelien  159,  198. 

Eurytherme  Tiere  177. 

Evolution  12,  14,  85. 

Experiment  versus  Beobachtung  5,  7. 

Exogastrula  183. 

F. 

Färbung  176. 
Faltenbildung  159,  192. 
Festigkeitslehre  145,  149. 
Fischeier  49,  93,  179,  181,  188. 
Foraminiferenschale  139. 
Forellenembryo-Regeneration  104. 
Formative  Reize  15,  152  ff. 
Funktionelles  Leben  18,  131,  141. 
Funktionelle  Struktur  139. 
Furchungsprozess  17,  23,  73,  84,  165,  187. 

G. 

Gase  185. 

Gastrulation  18,  159,  182. 
Gefrieren  177. 
Geschlechtsorgane  20,  137. 
Gewebsverjüngung  98,  112. 

H. 

Halbbildung  25,  33,  52,  55,  63. 
Heteromorphose  113  ff. 
Histologische  Spezifität  99,  111. 
Histologische  Sonderung  18. 
Höhlentiere  176. 

Hühnchenembryo-Regeneration  115. 
Hypophyse  135. 

I. 

Idioplasma  12,  75,  81. 
Inaktivitätsatrophie  142. 
Individuelle  Variation    der  Entwicklung 
7,  38. 


Innere  Sekretion  134,  138. 
Isolierung  24  ff. 
Isotropie  des  Eies  65. 

K. 

Kälteruhe  178. 

Kalium  193. 

Kalkbildung  193. 

Kastration  136  ff. 

Keimblätter  18,  89,  97,  106,  112. 

Kernplasmarelation  165. 

Kiemen  133. 

Knochenstruktur  145. 

Kohlensäure  186. 

Korrelation  129  ff. 

Krebsscheere-Regeneration  120. 

Ja. 

Larvenleben  19. 

Leber  131. 

Leukocyten  und  -Regeneration  102. 

Lichtwirkung  174. 

Linse    des    Auges,    Neubildung    107    ff., 

125,  155  ff. 
Lithiumlarven  10,  158,  191. 
Lunge  133. 

M. 

Magnesinm   195. 
Markierungen  am  Ei  39,  168. 
Mechanomorphose  140. 
Meduseneier  42,  67,  163. 
Medusen-Regeneration  115. 
Mehrfachbildung    bei    Regeneration    116, 

125. 
Melanismus  177. 
Mesenchymzellen  91,  158. 
Metaphysisches  113,  165. 
Molluskeneier  61,  65. 
Mosaiktheorie  12,  37. 
Mosaikfurckung  52. 
Muskulaturbeeinflussung  142. 
Myzostomidenei  66. 


~20-2 


Sachregister. 


Nahrung  189. 

Natrium  196. 

Natürliche  Zuchtwahl  128. 

Neovitalismus  (s.  auch  Vitalismus)  3. 

Nervensystem  und  -Regeneration  122,  124. 

Niere  132. 

O. 

Oberflächenspannung  163. 
Optimum  der  Temperatur  183. 
Organbildende  Keimbezirke  65. 
Organologische  Sonderung  18. 
Osmotischer  Druck  170,  191. 
Oxygenotaxis  157. 


P. 

Pankreas  154. 

Parasitenatmung  187. 

Phasen  der  Entwickelung  18,  20,  84. 

Phylogenie  2,  120. 

Physiologische  Regeneration  99. 

Planarien-Regeneration  116. 

Plasmatische   Schichtung  im   Ei   28,    36, 

38,  43,  59,  72,  80. 
Pluteuslarve  22. 
Pigmentzellen  157,  176. 
Postgeneration  35. 
Proportionalität  81. 

Prospektive  Bedeutung  41,  60,  154,  157. 
Prospektive  Potenz    13,   41,   89,  90,  153, 

157. 
Protoplasmamechanik  4,  163. 
Protozoen  165. 

Q. 

Qualitativ   ungleiche  Kernteilung  12,  27, 
84,  162. 

K. 

Regeneration  4,  15,  98  ff. 
Regeneration  und  Schwerkraft  170. 
Regeneration  und  Licht  175. 
Regenwurm-Regeneration  101,  124. 


Regulationen  5,  23,  42,  98  ff. 
Reiztheorie  15,  140,  152  ff.,  166. 
Reptilien-Regeneration  106,  117. 
Reserveidioplasma  81. 
Richtung  des  Experiments  9,  198. 
Rieseneier  (Ascaris)  77. 


S. 

Salzgehalt  171,  189. 
Sauerstoff  185. 
Schilddrüse  134. 
Schmetterlinge  184,  189. 
Schnürung  der  Keime  38,  39. 
Schwefel  193. 
Schwerkraft  37,  167  ff. 
Sehnenentwickelung  144. 
Selbstdifferenzierung  12,  84,  99,  153. 
Sexualcharaktere,  sekundäre  136. 
Siphonophorensegel  147. 
Spezieseigenschaften  im  Ei  11,  70  ff.,  74. 
Spezifische    Faktoren     der    Entwicklung 

15,  23  ff. 
Spezifische  Zellgrösse  82. 
Spezifizität  der  Gewebe  99,  111. 
Sphinkteren  142. 
Spongienskelett  148. 
Spongiosa  der  Knochen  145. 
Starrheit  der  Plasmaschichtung  36,  59. 
Stenotherme  Tiere  177. 


T. 

Tagesgrade  181. 

Teilungsrichtung  der  Zellen  164. 
Temperaturwirkung  177  ff. 
Termiten  189. 

Trajektorien  der  Knochen  146. 
Transplantationsversuche  94. 
Trommelfell  143. 
Trophischer  Reiz  140. 


U. 

Ultimäres  Elementarorgan  74,  97. 
Umwandlungsphysiologie  184. 


Sachregister. 


203 


V. 

Vegetative  Zeilen   des  Keims  30,  46,  86, 

182. 
Verlagerungsexperimente   24,  26,  32,  37, 

43,  48,  58,  63. 
Verschmelzungsexperimente  76,  79. 
Verwachsungsexperimente  95. 
Vitalismus  3,  83,  113,  129,  165. 
Vogelsternum  141. 
Vorentwickelung  des  Eies  4,  74. 


W. 

Wachstum  173. 

Wimper ung  30,  196. 
Wundfläche  125. 

Z. 

Zellentheorie  (Unzulänglichkeit  der)  75. 
Zellkern  74,  162. 
Zellmechanik  4,  163. 
Zellteilung  161  ff.,  182. 
Zerlegungstheorie  der  Entwickelung  12. 
Zwangslage  der  Eier  168. 
Zweckmässigkeit  128. 


Berichtigungen. 


Seite  75,  Zeile  8  von  ohen  lies  Samenzelle  anstatt  Sammelzelle. 
Seite  192  lies  Caesium  anstatt  Calsium. 


Verla«?  von  J.  F.  BERGMANN  in  Wiesbaden. 


Kinführung 


in  die 

Physikalische  Anatomie. 

Von 

Dr.  Hermann  Triepel, 

Privatdocent  und  Prosektor  am  anatomischen  Institut  in  Greifswald. 

I.  Teil:  Allgemeine  Elasticitäts-  und  Festigkeitslehre  in 
elementarer  Darstellung. 

IL  Teil:  Die  Elasticität  und  Festigkeit  der  menschlichen 

Gewebe  und  Organe. 

Mit  23  Figuren  im  Text  und  3  lithographierten  Tafeln. 

Preis  31k.  6.—.     

Der  durch  zahlreiche  sorgfältige  Arbeiten  schon  bekannte  Verfasser,  ein 
Schüler  Bonnet's,  behandelt  hier  die  Elasticität  und  Festigkeit  der  mensch- 
lichen Gewebe  und  Organe.  Eine  elementare  Darstellung  der  allgemeinen 
Elasticitäts-  und  Festigkeitslehre  ist  vorangestellt.  Für  den  Chirurgen  sind 
solche  Studien  von  hohem  Werth.  und  es  sind  auch  von  chirurgischer  Seite 
schon  Einzelstudien  auf  diesem  Gebiete  gemacht,  welche  vom  Verfasser  zum 
Theil  herangezogen  werden;  andere  z.  B.,  die  Studien  Stubenrauch's  in 
München  über  die  Harnblase,  sind  nicht  berücksichtigt,  wie  denn  auch  die  den 
Chirurgen  interessirende  physikalische  Beschaffenheit  der  Leber,  Milz,  Niere, 
Lunge  u.  s.  w.  anbesprochen  blieb.  Natürlich  nehmen  die  Extremitätengewebe, 
Knochen,  Knorpel,  Muskeln,  Sehnen,  Bindegewebe  den  Haupttheil  der  Arbeit 
ein.  Es  ist  als  Verdienst  dem  Verfasser  anzurechnen,  dass  er  mit  seinem  Buch 
eine  klare  und  sichere  Grundlage  für  weitere  und  speciellere  Arbeiten  ge- 
schaffen hat.  Helferich  i.  d.  Zeitschrift  f.  Chirurgie. 


Vorlesungen 

über 

Allgemeine  Embryologie 

von 
Dr.  R.  S.  Bergb, 

Dozent  der  Histologie  und  Embryologie  an  der  Universität  Kopenhagen. 

Mit  126  Figuren  im   Text.     Preis  M.  7. — . 

....  In  seiner  Art  ausgezeichnet  und  eine  Fundgrube  für  allerlei  inte- 
ressante Daten  aus  der  allgemeinen  Entwickelung  der  Wirbeltkiere  und  der 
Wirbellosen,  welche  man  sonst  aus  der  Litteratur  mühsam  zusammensuchen 
muss,  ist  vorliegendes  Werk.  Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  die  durch  den 
Gang  der  Entwickelung  gegebene :  Befruchtung,  Furchung,  Keimblätter  u.  s.  w. 
In  allen  diesen  Abschnitten,  sowie  in  den  folgenden  über  die  experimentellen 
Untersuchungen  hinsichtlich  der  Bedeutung  der  ersten  Furchungszellen,  in  den 
Abschnitten  über  Resorption  und  Regeneration  und  über  die  Beziehung  der 
Embryologie  zur  Descendenzlehre  ist  das  Für  und  Wider  sorgfältig  erwogen. 
Den  Schiuss  des  Buches  bildet  ein  kurzer  Abriss  der  Geschichte  der  Embryologie 
und  Anleitungen  zu  einigen  Beobachtungen  und  Versuchen  embryologische 
Gegenstände  betreffend. 

Alles  in  Allem  sind  hie  „Vorlesungen"  von  Bergh  eine  werthvolle  Be- 
reicherung unserer  Lehrmittel.  Berliner  Min.    Wochenschrift. 


Verlag  von  J.  F.  BERGMANN  in  Wiesbaden. 


Vorlesungen 


über  die 


Pathologische  Anatomie  des  Rückenmarks. 


Unter  Mitwirkung 


von 


Dr.  Siegfried  Sacki,  Nervenarzt  in  München. 
Herausgegeben 


von 


Dr.  Hans  Schmaus^ 

A.  0.  Professor  und  I.  Assistent  am  pathol.  Institut  in  München. 


Mit  187  theilweise  farbigen  Textabbildungen. 
Preis:  Mk.  16.—. 

....  Die  Vorlesungen  von  Schmaus  über  die  pathologische 
Anatomie  des  Rückenmarkes  sind  das  erste  und  einzige  jetzt  e  x  i  - 
stirende  Werk,  in  welchem  die  verschiedenen  Krankheiten  dieses 
Organs  auf  Grund  streng  anatomischer  Forschung  in  zusammen- 
hängender   Form    bearbeitet    sind 

....  Die  zahlreichen,  nach  Originalpräparaten  des  Verfassers  hergestellten  vor- 
trefflichen Abbildungen  tragen  wesentlich  zum  leichteren  Verständniss  des  überaus 
klar  und  anregend  geschriebenen  Textes  bei 

....  Schmaus,  welcher  gerade  in  der  Erforschung  der  pathologischen  Anatomie 
des  Nervensystems  schon  Hervorragendes  geleistet  hat.  hat  sich  durch  die  Herausgabe 
des  vorliegendes  Werkes  ein  grosses  Verdienst  und  damit  gewiss  auch  den  Dank  nicht 
nur  aller  Fachgenossen,  sondern  auch  der  Kliniker  und  Aerzte  erworben;  denn  that- 
sächlich  wird  durch  das  ausgezeichnete  Werk  eine  empfindliche  Lücke  in  der  medi- 
cinischen  Litteratur  endlich  ausgefüllt. 

Professor  Hauser  i.  d.  Münchener  med.    Wochenschrift. 


Grundriss  der  Kinderheilkunde 

mit 

besonderer  Berücksichtigung  der  Diätetik 

von 

Dr.  med.  Otto  Hauser, 

Spezialarzt  für  Kinderkrankheiten  in  Berlin. 
Zweite  gänzlich  umgearbeitete  Auflage.  —  Mk.  8. — . 


Verlag  von  J.  F.  BERGMANN  in  Wiesbaden. 


Grundriss 

der 

chirurgisch -topographischen  Anatomie 

mit  Einschluss  der 

Untersuchungen  am  Lebenden. 

Von 

Dr.  Otto  Hildebrand, 
ord.  Professor  der  Chirurgie  an  der  Universität  Basel. 

Mit  einem  Vorwort  von 

Dr.  Franz  König, 

ord.  Professor  der  Chirurgie,  Geh.  Med.-Bath,  Direktor  dar  Chirurg.  Klinik  in  Berlin. 


Zweite  gänzlich  umgearbeitete  Auflage. 


Mit  98  theilweise  mehrfarbigen  Abbildungen  im  Texte. 
Preis  Mk.  7.—,  geb.  Mk.  8.—. 


Kursus 

der 


Pathologischen   Histologie 

mit  einem 

Mikroskopischen  Atlas 

von  28  Lichtdruck-  und  8  farbigen  Tafeln. 


Von 

Professor  Dr.  L.  Aschoff         und         Professor  Dr.  H.  Gaylord 

in  Marburg  in  Buffalo. 

Preis  geb.  Mk.  IS.—. 


Klinischer  Leitfaden 

der 

Augenheilkunde 

von 

Geh.  Rat   Dr.   Julius   v.   Michel, 

o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  Berlin. 

Dritte  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage.  

Gebunden  Mk.  8.60. 


Es  giebt  grosse,  mittlere,  kleine  und  kleinste  Lehrbücher.  Die  ersten  sind  zu 
kostbar  und  zu  umfangreich  für  den  Studirenden,  sowie  für  den  praktischen  Arzt,  die 
letzten  sind  unbrauchbar  für  jeden  Zweck,  ausser  dem  Einpauken,  die  zweiten  und 
dritten  liefern  für  die  Mehrzahl  der  angehenden  Aerzte  den  Quell  der  Belehrung. 
Michel's  Lehrbuch  gehört  zu  den  besten  und  neuesten. 

Centralblatt  für  -praktische  Augenheilkunde, 


Verlag  von  J.  F.  BERGMANN  in  Wiesbaden. 


Grundriss 

der 

pathologischen  Anatomie. 

Von 

Dr.  Hans  Schmaus, 

Professor  au  der  Universität  München. 
Sechste  vermehrte  Auflage. 

Mit  270  theilweise  farbigen  Abbildungen.     

Preis  Mk.  13.—.     Gebunden  Mk.    15.—. 

....  Der  Inhalt  zeigt  in  der  That  bei  aller  Kürze  und  doch  angenehmen 
Darstellung  eine  ausreichende  Vollständigkeit Die  zahlreichen  Illustra- 
tionen sind  meist  nach  Originalzeichnungen  sauber  und  schön  wiederge- 
geben und  werden  dem  Anfänger  das  Verständniss  ausserordentlich 
erleichtern. 

Das  Werk  kann  also  dem  jungen  Mediciner  in  jeder  Beziehung  auf's  An- 
gelegentlichste empfohlen  werden.  Es  ist  ein  sehr  glücklicher  Mittelweg 
tou  dem  Verfasser  geliefert  worden  zwischen  den  umfangreichen  Lehr- 
büchern und  den  meist  nichts  weiter  als  Definitionen  enthaltenden 
Compendien.  Berl.  Hin.    Wochenschrift. 

Taschenbuch 

der 

Medicinisch-Iüinischen  Diagnostik. 

Von 

Dr.  Otto  Seifert,  und  Dr.  Friedr.  Müller, 

Professor  in  Würzburg  Professor    in    München. 

Zehnte  gänzlich  umgearbeitete  Auflage. 
Mit  Abbildungen.     In  englischem  Einband.     Preis  Mk.  4.—. 

Von  dem  bekannten  und  mit  Eecht  weit  verbreiteten  Taschenbuche  ist  die 
neue,  zehnte  Auflage  erschienen.  Kef.  schätzt  dies  Büchelchen  seit  langer  Zeit 
als  eines  der  besten  seiner  Art  und  kann  auch  die  neue,  „  gründlich  umgearbeitete 
Auflage"  mit  gutein  Gewissen  jedem  Praktiker  warm  empfehlen. 

Stadel  mann- Berlin  in  der  Deutschen  Aerzte-Zeitung. 

Soeben  erschien : 

Grundriss 
zum  Studium 

der 

GEBURTSHÜLFE 

in 

achtundzwanzig  Vorlesungen  und  fiinfhunderttünfundsiebenzig  bildlichen  Darstellungen. 

Von 
Dr.  Ernst  Bumm, 

Professor  und  Direktor  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Halle  a.  S. 

Zweite  vermehrte  Auflage. 

Gebunden  Preis  Mark  14.60.     


Verlag  von  J.  F.  BEEGMANN  in  Wiesbaden. 

Lehrbuch 

der 

Histologie  des  Menschen 


einschliesslich  der 


Mikroskopischen  Technik 


A.  A.  Böhm,  und  M.  von  Davidoff, 

Prosektor  vorm.  Assistent 

am   Anatomischen  Institut  zu  München. 


Dritte   umgearbeitete   Auflage. 

Mit  246  Abbildungen.     Preis:  M.  7. — ;  geb.  M.  8.  —  . 

....  Unter  den  in  letzter  Zeit  erschienenen  Lehrbüchern  der  Histologie 
wird  sich  das  vorliegende  Werk  schon  bei  seinem  ersten  Erscheinen  einen  her- 
vorragenden Platz  erobern.  Das  Buch  ist  unter  der  Aegide  des  Münchener 
Anatomen  von  Kupffer  von  dessen  obengenannten  Schülern  verfasst,  die  neben 
ihren  bekannten  wissenschaftlichen  und  didaktischen  Erfahrungen  über  eine  ein- 
gehende Kenntniss  der  ganzen  Litteratur  verfügen. 

Ausserdem  wurden  die  Verfasser  durch  einen  hervorragenden  Zeichner 
wesentlich  gefördert,  so  dass  man  das  Werk  mit  nicht  gering  gespannter  Er- 
wartung zur  Hand  nehmen  konnte.  Sie  wird  auch  vollauf  durch  das 
Gebotene  befriedigt. 

Druck  und  Ausstattung  sind  vorzüglich,  dabei  derPreis  sobescheiden, 
dass  mit  Recht  die  Hoffnung  ausgesprochen  werden  kann,  das 
schöne  Werk  werde  die  weiteste  Verbreitung  finden. 

Dr.  Scltaffer  i».  der  „  Wiener  hlin.  Wochenschrift". 


Sexualleben  und  Nervenleiden, 

Die 

nervösen  Störungen  sexuellen  Ursprungs. 

Nebst  einem  Anhang  über 

Prophylaxe  und  Behandlung  der  sexuellen  Neurasthenie. 

Von 

Dr.  Leopold  Loewenfeld, 

Specialarzt  für  Nervenkrankheiten  in  München. 

Dritte,  völlig  umgearbeitete  und  sehr  vermehrte  Auflage. 

Preis.  M.  6. — . 


('.  W.  KREIDE!/ S  Verlag  in  Wiesbaden. 


Blätterum  kehrung 

Ei   der  Nagethiere. 


Von   Dr.  Emil  Selenka,  Professor  in  München. 
Mit  6  Tafeln.  —  Preis:  Mk.   15.-. 


Das  Opossum  (Didelphys  virginiana). 

Von  Dr.  Emil  Selenka,   Professor  in  München. 

Mit  14  Tafeln.  —  Preis:  Mk.  40.—. 

Beutelfuchs  und  Känguruhratte.     Kantjil 
Affen  Ostindiens.    Kalong. 

Von  Dr.  Elllil  Selenka,  Professor  in  München. 

Mit  12  Tafeln.  —  Preis:  Mk.  42.—. 

Auge  und  Integunient  der  Diadematiden. 

Ueber  zwei  parasitische  Schnecken, 

Von 
Dr.  Paul  Sarasin  und  Dr.  Fritz  Sarasiu. 

Mit  5  Tafeln.  —  Preis:  Mk.  14.—. 

Entwicklungsgeschichte  der  Helix  Waltoni. 

Knospenbildung  bei  Linckia  Multifora. 

Von 
Dr.  Paul  Sarasin  und  Dr.  Fritz  Sarasin. 

Mit  4  Tafeln.  —  Preis:  Mk.  14.—. 

Anatomie  der  Kehinothuriden 

und  der 

Phylogenie   der   Echinodermen. 

Von 

Dr.  Paul  Sarasin  und  Dr.  Fritz  Sarasin. 

Mit  8  Tafeln.  —  Preis:  Mk.  18—. 


Entwiekelungsgeschiehte 

und 

Anatomie  der  Ceylon.  Blindwühle. 

Ichtyophis  glutinosus. 

Von 

Dr.  Paul  Sarasin  und  Dr.  Fritz  Sarasin. 

Mit  24  Tafeln.  —  Preis :  Mk.  60.—. 


RG  MANN  in  tf 


Grundzüge 

der 

Allgemeinen  Anatomie 

'  zur  Vorbi Teilung  auf  das  Studium,  der  Medizin  nach 
biologischen  ■  ■Gesichtspunkten 


bearbeitet  von 


Professor    I>r.   Fr.    Reinke, 

Pro.eektor  am  Anatomischen   Institut  in  Rostock. 


Mit  64  Abbildungen. 
Preis:  Mh\  7£i>. 


Es  ist  dankensiverth  und  sehr  zu  begrüssen,,  dass  die  kausalen  Furscliungen 
und  Betrachtungen,  die  in  den  verbreiteten  deskriptiven  Lehrbüchern  meist 
Übergängen  werden,  liier  im  allgemeinen  klar  und  richtig  dem  wissenschaft- 
lichen Publikum  dargeboten  werden.  Biologisches  Centralblatt. 

Jedem,   der  sich  für  die  modernen  biologischen  Probleme  interessiert,  sei 
die  Lektüre  des  klar  und  ansprechend  geschriebenen  Buches  empfohlen,  welches 
'ausser  anderem  auch  den  Vorfug  hat.  nicht  sehr  theuer  zu  sein. 

Anatomischer  Anzeiger. 

Die  Leitiing\sl  mimen 

des 

Gehirns  und  des  Rückenmarks, 


nebst 

vollständiger  Darlegung-  des  Verlaufes  und  der  Verzweigung 
der  Hirn-  und  Rückenmarksnerven 

Vull 

Dr.  Rudolf  Glaessner,  Pr; 
— —      Mit  7  farbigen  Tafeln.  

UL-.  :;.—. 


Das  vorliegende  Werkchen   soll   den  Studirenden  der  Median,  in  das  Ver- 
idniss   d<  omplicirteu   Gebietes   der  Leiiungsbabnen   des   menschlichen 

<  I  liirns  einfuhren.     Der  Verfasser   hat  den  Gedankengang  festgehalten   bei  der 
Schilderung   der  Verlaufsrichtung   der   Hirnlahnen   ihre  Funktio'nsrichtung   als 
die  einzig  massgebende  zu  beschreiben.    Im  I.  Theil  werden  die  Markfasersysteme 
des  Gehirnes  und  des  Rückenmarkes,  das  Kleinhirn  und  der  Verlauf  der  Bahnen 
ehandelt.      Der    IL  Theil   bespricht   die   Nerventopograpiiie   nach    Systemen 
-Inet.     Am    Schluss    des   Werkes   finden    sich    7    farbige   Tafeln,    welche    in 
unatischer  Weise   die  Fasersysteme  und   den  Verlauf  der  Bahnen  illustriren, 
respektive  der  topographischen  Orientirung  dienen.    Die  schwierige  Aufgabe, 
die   sich    der   Verfasser   gestellt   hat,    hat    er   in   vortrefflichster   Weise 
gelöst,    indem    die  Klarheit   seiner    Darstellung   und    die   übersichtliche 
Art  der  Anordnung  ein  leichtes  Erfassen  dieser  so  schwierigen  Verhält- 
nisse ermöglichen.     Die  Ausstattung  des  Buches  ist  eine  vurtrefflic 

Wiener.  Min.  Rundschau. 


Druck   von  Carl  Kitter  in  Wiesbaden. 


('.  W.  KP  EID  EL  *s  Verlag  in  Wiesbaden. 


\ 


Die 

Morphologie  der  Placenta 

bei  Nagern  und  Raubt  liieren. 

(Embryologische  Untersuchungen  Heft  III). 

Von 

Dr.  A.  Fleischmann, 

a.  o.  Professor  det  Zoologie  in  Erlangen. 
Mit  5  Tafeln.  —  Preis  Mk.  22.—. 

Untersuchungen  über  einheimische  Raubthiere. 

(Embryologische  Untersuchungen  Heft  I). 

Von 

Dr.  A.  Fleischmann, 

a.  o.  Professor  der  Zoologie  in  Erlangen. 
Mit  5  Tafeln  in  Farbendruck.  —  Preis  Mk.  21.—. 

Die 

Stammesgeschichte  der  Nagethiere. 

Die  Umkehr  der  Keimblätter. 

(Embryologische  Untersuchungen  Heft  II). 

Von 

Dr.  A.  Fleischmann, 

a    o.  Professor  der  Zoologie  in  Erlangen. 
Mit  3  Tafeln  in  Farbendruck.  —  Preis  Mk.  20.—. 

Keimblätter 

und 

Primitivorgane  der  Maus. 

Von 

Dr.   Emil  Selenka, 

Professor  in  München. 
Mit  4  Tafeln.  —  Preis  Mk.  12.—. 


Keimblätter   der  EchinodermeD. 


Von 

Dr.   Emil   Selenka, 

Professor  in  München. 
Mit  6  Tafeln.  —  Preis  Mk.  15.