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Full text of "Eisen- und Stahl- Industrie"

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grossindüstriellen  Unterne 


h  BAND 


I 


Dr.  Oskar  Stillich 


^ 


Berlm 
FINANZ.  SIBMENKOTH 


O.  stillich 

Nationalökonomische  Forschungen 

Band  I 


Nationalökonomische  Forscliungen 

auf  dem  Gebiete  der 

grossindustriellen  Unternehmung. 

BAND  I. 


Eisen-  und  Stahl 
Industrie 


von 


Dr.  Oskar  Stillich, 

Dozent  an  der  Humboldt-Akademie  in  Berlin. 


i  7  '"^^ 

1  "^ 


Berlin  1904. 
FRANZ  SIEMENROTH 

W.,  Dennewitzstr.  2. 


Inhalt. 

Seile 

Vorwort VII-XII 

1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein 1—52 

2.  Die  Ilseder  Hütte  und  das  Peiner  Walzwerk 53—90 

3.  Die   Dortmunder  Union 91—137 

4.  „Phönix",  Aktiengesellscliaft  für  Bergbau  und  Hüttenbetrieb    .  138—180 

5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte 181—238 


Vorwort. 


Mit  der  vorliegenden  Arbeit  übergebe  ich  den  ersten  Band  meiner 
,, Nationalökonomischen  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  groß- 
industriellen  Unternehmung"  der  Öffentlichkeit.  In  den  folgenden 
Bänden  werde  ich  dann  die  größten,  bedeutendsten  und  volkswirt- 
schaftlich interessantesten  Aktiengesellschaften  des  Kohlenbergbaus, 
der  Maschinenfabrikation,  der  Elektrotechnik,  der  Industrie  der 
Nahrungs-  und  Genußmittel,  der  chemischen  Industrie,  der  Textil- 
industrie sowie  der  Transportgewerbe  behandeln.  Die  Verwirklichung 
dieses  Programms  soll,  so  hoffe  ich,  eine  Lücke  in  der  volkswirt- 
schaftlichen Literatur  der  Gegenwart  ausfüllen.  Denn  die  mono- 
graphische Darstellung  großkapitalistischer  Betriebe,  wie  sie  ihren 
prägnantesten  und  reinsten  Ausdruck  in  der  Form  der  Aktiengesell- 
schaft erhalten  haben,  ist  bis  heute  ein  fast  unbeschriebenes  Blatt 
der  deskriptiven  Nationalökonomie.  Es  fehlen  daher  für  die  vor- 
liegenden Studien  alle  speziellen  Vorarbeiten.  Aber  vielleicht 
gerade  deshalb  hat  es  etwas  Verlockendes,  diese  unbetretenen  Pfade 
zu  wandeln,  und  dieses  jungfräuliche  Gebiet  zuerst  zu  durchspähen. 
Zwar  gibt  es  über  die  genannten  Standard-Industrien  Deutschlands 
in  technischer  Beziehung  eine  unendlich  große  Literatur,  aber  sie 
ist  fgst  durchgehends  bar  aller  ökonomischen  Gesichtspunkte.  Das 
ist  nicht  ohne  weiteres  verständlich.  Für  den  Ingenieur  ist  die  Technik 
die  Herrin,  die  Königin;  für  den  Nationalökonomen  aber  die  dienende 
Magd.  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  diese  Platzanweisung  durch 
die  Verschiedenheit  der  beiden  Wissenschaften  bedingt  ist.  Im  ein- 
zelnen kommt  die  technische  Literatur  für  das  vorliegende  Programm 
nur  insoweit  in  Betracht,  als  das  technische  Moment  zur  Verdeutv 
lichung  und  Erklärung  ökonomischer  Vorgänge  und  Zusammenhänge 
dient.  Aber  die  in  technischer  Hinsicht  um  Rat  gefragten  Bücher 
sind  —  das  ist  nicht  anders  zu  erwarten  —  von  dem  Tau  der 
nationalökonomischen   Wissenschaft  wenig  oder  gar  nicht  benetzt. 


VTTT  Vorwort.- 

Dieser  eine  Grund  würde  bereits  stark  genug  sein,  um  es  ver- 
ständlich zu  machen,  daß  die  vorliegenden  Untersuchungen  natür- 
lich noch  sehr  weit  davon  entfernt  sind,  etwas  Lückenloses  zu 
bieten  und  allen  Ansprüchen  zu  genügen.  Allerdings  liegt  die  Schuld 
an  der  relativen  Unvollkommenheit  im  Detail,  vor  allem  an  der 
Sprödigkeit  der  Spitzen  der  Verwaltungen,  die  mit  ihrem  Materiale 
geizten,  anstatt  freigebig  zu  sein,  hier,  wo  es  am  Platze  ist.  Die 
Möglichkeit  der  Beschaffung  des  Rohmaterials  hielt  sich  daher  in 
engen  Grenzen.  Zwar  schlummert  in  den  Archiven  der  großen 
Aktiengesellschaften  ein  ungeheures  Material  den  Dornröschenschlaf. 
Aber  es  fehlt  in  den  Kreisen  der  Großindustrie  (ich  denke  hier  vor- 
läufig nur  an  die  Eisenindustrie),  die  doch  der  Wissenschaft  so  un- 
endlich viel  verdankt,  das  subjektive  und  objektive  Verständnis  da- 
für, diesen  Dank  zu  erwidern.  Ich  möchte  freilich  aus  dieser  Tat- 
sache keinen  Vorwurf  konstruieren.  Tout  comprendre,  c'est  tout 
pardonner.  Das  geringe  Entgegenkommen  bei  den  verantwortlichen 
Leitern  großer  Unternehmungen  in  bezug  auf  die  Förderung  wissen- 
schaftlicher Interessen,  soweit  sie  nicht  das  Geschäft  berühren, 
hängt  ohne  Zweifel  mit  dem  rein  kapitalistischen  Charakter  groß- 
gewerblicher Betriebe  aufs  engste  zusammen.  Man  hat  es  mir  aller- 
dings seinerzeit  in  den  beteiligten  Kreisen  sehr  übel  genommen,  als 
ich  an  anderer  Stelle*)  über  den  Charakter  der  Spielwarengroß- 
industriellen Sonnebergs  schrieb,  „daß  sich  bei  einigen  der  Gesichts- 
winkel des  Geschäfts  so  sehr  in  den  Vordergrund  des  Urteils  schiebt, 
daß  sie  alles  darunter  betrachten  und  danach  bewerten"  und  zur 
Illustration  des  Gesagten  darauf  hinwies,  daß  mir  bei  meinen  Unter- 
suchungen einige  Chefs  rund  heraus  erklärten,  „sie  hätten  kein  Inter- 
esse daran,  mir  etwas  zu  zeigen  oder  Auskunft  zu  erteilen,  —  weil 
das  für  ihr  Geschäft  nichts  einbrächte.'*  Man  hat  dies  als  Aus- 
nahmefall bezeichnet.  Ich  habe  jetzt  Gelegenheit  gehabt,  in  der 
Großeisenindustrie  ganz  analoge  Erfahrungen  zu  machen.  Der  Gene- 
raldirektor eines  in  diesen  Studien  näher  beschriebenen  Unterneh- 
mens erklärte,  nachdem  ich  ihm  meinen  Plan  auseinandergesetzt 
und  er  mir  die  Geschäftsbücher  einmal  von  außen  gezeigt  hatte: 
„Wir  haben  nur  einen  einzigen  Zweck,  und  der  heißt  Geld  ver- 
dienen !"  Der  Betriebschef  einer^  Kohlenzeche  äußerte  sich,  bei  einem 
Rundgang  durch   die   Zechenanlagen,  ganz  ähnlich:    „Unsere   Auf- 


*)  Siehe  mein  Buch :    Die  Spielwarenhausindustrie  des  Meininger  Ober- 
landes.    Jena  1899,  p.  39. 


Vorwort.  IX 

gäbe  ist  fördern!  fördern!  fördern!"  Das  ganze  Denken  und  Trachten 
dieser,  wenn  auch  nicht  aller  Unternehmer  steht,  nackt  ausgedrückt, 
im  Dienste  der  „Mathematik  des  Geldverdienens".  Dem  Unternehmen 
Gewinne  abzulisten  ist  ihr  ewiges  Sinnen  und  der  Stolz  ihres  Lebens. 
In  diesen  Aktiengesellschaften  erreicht  der  kapitalistische  Geist  un- 
serer Zeit  seine  höchste  Vollendung.  Wissenschaftliche  Zwecke  wer- 
den nur  soweit  gefördert,  als  es  für  das  Geschäft  von  Vorteil  ist. 
„To  make  money",  das  ist  die  Parole.  Darüber  hinaus  ist  man  in- 
different. Man  fürchtet  durch  Überlassung  von  Material  für  wissen- 
schaftliche Zwecke  womöglich  gar,  die  Dividende  könnte  72%  her- 
untergehen, und  dieser  Verlust  würde  keine  Erkenntnis  aufwiegen! 
Daher  schweigt  man  lieber.  In  diesem  Sinne  sprach  sich  auch  der 
Kommerzienrat  Fr.  Baare  in  der  42.  ordentlichen  Generalversamm- 
lung der  Aktionäre  des  Bochumer  Vereins  für  Bergbau  und  Guß- 
stahlfabrikation aus.  Er  sagte:  „Wie  ich  bereits  im  vorigen  Jahre 
hervorgehoben  habe,  ist  es  nicht  zweckmäßig,  zuviel  Einzelheiten 
in  Ziffern  zur  öffentlichen  Kenntnis  zu  bringen,  daher  wollen  wir 
bemüht  sein,  für  die  Zukunft  die  detaillierten  Angaben  tunlichst 
zu  vermeiden.'*    (Geschäftsbericht  über  das  Jahr  1895/96.) 

Ich  war  aus  diesem  Grunde  auf  ein  verhältnismäßig  unvollstän- 
diges, spärliches  und  noch  dazu  einseitiges  Material  angewiesen. 
Vor  allen  Dingen  auf  die  Geschäftsberichte.  Aber  auch  diese  wur- 
den mir  nicht  einmal  von  allen  Gesellschaften,  an  die  ich  mich 
wandte,  zur  Verfügung  gestellt,  so  daß  ich  sie  mir  z.  B.  beim  Hoerder 
Bergwerks-  und  Hüttenverein  auf  indirektem  Wege  durch  das  mit 
diesem  Unternehmen  in  Verbindung  stehende  Bankhaus  beschaffen 
mußte.  Viel  Material  enthalten  diese  Quellen  nicht.  Sie  sind  wortkarg. 
Sie  protokollieren  aus  der  Fülle  der  Ereignisse  nur  das  notdürftigste. 
Als  weiteres  Material  wurden  Fest-  und  Ausstellungs- 
schriften, Kataloge  etc.  herangezogen.  Alle  diese  Quellen 
enthalten  meistens  eine  Summe  positiver  Tatsachen,  aber  in  ein- 
seitiger, subjektiver  Beleuchtung.  Die  Schattenseiten,  die  dunkleri 
Flecken  in  dem  Bilde,  werden  retouchiert,  damit  den  Interessenten 
kein  Gefühl  der  Beunruhigung  beschleiche.  Außerdem  beruhen  sie 
durchgehends  nicht  auf  wissenschaftlichen  Arbeitsmethoden  und  be- 
anspruchen es  vielleicht  auch  nicht  einmal.  Die  von  der  Wissen- 
schaft längst  gebrandmarkten  Verfahren  leben  hier  noch  ein  un- 
gestörtes Stilleben.  Was  soll  man  dazu  sagen,  wenn  in  den  er- 
wähnten Quellen  statt  der  quantifizierten  immer  noch  die  arith- 
metische Durchschnittsdividende  berechnet  wird,  um  den  Aktionären 


X  Vorwort. 

ein  Ergebnis  vorzuspiegeln,  das  in  Wirklichkeit  gar  nicht  besteht, 
oder  wenn  man  in  der  in  den  Geschäftsberichten  mitgeteilten  Lohn- 
statistik einen  Durchschnittslohn  pro  Kopf  berechnet  ohne  Rücksicht 
darauf,  ob  es  jugendliche  oder  erwachsene,  gelernte  oder  ungelernte 
Arbeiter  sind  und  schließlich  sogar  noch  die  Gehälter  der  Direktoren 
etc.  den  Arbeitslöhnen  zuzählt!  Dieses  Material  genügte  also  in 
seiner  Unvollkommenheit  und  Einseitigkeit  allein  nicht,  es  mußte  er- 
gänzt werden  durch  persönliche  Beobachtungen  und  Befragung. 
Einem  Besuche  der  Betriebsanlagen  hat  keines  der  behandelten  Werke 
irgendwelche  Schwierigkeiten  in  den  Weg  gesetzt.  Das  muß  be- 
sonders anerkannt  werden.  Dadurch  wurde  ich  in  die  Lage  versetzt, 
der  Schilderung  jenen  Hauch  von  Frische  und  Lebendigkeit  zu  geben, 
welcher  über  dem  persönlich  wahrgenommenen,  im  Gegensatz  zu 
dem  bloß  aus  trockenen  Geschäftsberichten  geschöpften  Stoff  liegt. 
Vor  allem  aber  wurde  es  möglich,  das  einseitige  Material  der  Ver- 
waltungen bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  rektifizieren,  das  heißt 
die  Geschichte  der  großen  Werke  wenigstens  teilweise  von  einem 
kritischen  Standpunkte  aus  zu  behandeln.  Es  ist  ja  natürlich  auch 
durch  persönliche  Beachtung,  selbst  wenn  sie  durch  ein  längeres 
Studium  der  Technik*)  und  der  einschlägigen  Verhältnisse  vorbe- 
reitet wurde,  sehr  schwer,  einem  großen  Betriebe  bis  ins  Herz  zu 
sehen,  seine  Lebensbedingungen  zu  zerfasern,  und  ich  bin  mir  voll- 
ständig bewußt,  daß  das  Ganze  nur  einen  fragmentarischen  Cha- 
rakter trägt  und  daß  auch  Irrtümer  mit  untergelaufen  sind.  Allein 
das  Bestreben,  der  Wahrheit  wenigstens  nahe  zu  kommen,  wird  man 
aus  den  späteren  Ausführungen  doch  überall  hervorleuchten  sehen. 

Auf  diesen  Quadern  bauen  sich  die  folgenden  Studien  auf. 

Alles  in  allem :  ich  biete  viel  im  Verhältnis  zu  dem,  was  man  bis 
jetzt  in  unserer  Wissenschaft  über  die  wirtschaftlichen  Lebensbe- 
dingungen der  einzelnen  großen  Eisen-  und  Stahlwerke  weiß,  und 
wenig  im  Vergleich  zu  dem  vorhandenen,  mir  aber  nicht  zugäng- 
lichen Material.  In  bezug  auf  das  letztere  wäre  es  verfehlt,  die  Größe 
des  Zieles  durch  die  Kleinheit  der  Verhältnisse  ersticken  zu  lassen. 

Der  vorliegende  erste  Band  behandelt  nun  einige  größere  Re- 
präsentanten der  Eisen-  und  Stahlindustrie.    Es  sind  Etablissements 


*)  Hier  verdanke  ich  besonders  viel  den  ausgezeichneten  Vorlesungen  des 
Geh.  Bergrats  Professor  Dr,  H.  Wedding  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Charlottenburg  über  Praktische  Eisenhüttenkunde  und  seinen  zahlreichen 
Schriften. 


Vorwort.  XI 

von  Weltruf.  Und  doch  ist  die  Geschichte  dieser  bedeutenden  Firmen 
—  wie  ich  mich  oft  selbst  überzeugte  —  nicht  einmal  den  eigenen 
Beamten  der  Werke  bekannt,  geschweige  denn  erst  den  Aktionären 
oder  ferner  stehenden  Interessenten. 

Die  folgenden  Monographien  sind  ihrem  Charakter  nach  —  das 
möchte  ich  besonders  betonen  —  verschiedenartig.  Jeder  liegt  eine 
besondere  Disposition  zu  Grunde.  Es  kam  mir  vor  allen 
Dingen  darauf  an,  das  herauszufinden,  was  für  jedes 
einzelne  Werk  besonders  charakteristisch  ist  und 
umdiegefundeneGeneralideedasvorhandeneMate- 
rial  zu  gruppieren.  Diese  Arbeitsmethode  enthält  gleichzeitig 
die  Erklärung  für  die  von  oberflächlichen  Kritikern  vielleicht  bean- 
standete Tatsache,  daß  bei  dem  einen  Werk  ausführlich  die  Organisation 
der  Verwaltung,  die  Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen,  die  Absatz- 
krisen etc.  behandelt  sind,  bei  dem  anderen  aber  gar  nicht  berührt 
oder  nur  flüchtig  begrüßt  werden. 

Die  erste  der  folgenden  Einzeldarstellungen  beschäftigt  sich  mit 
dem  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  Ich  betrachte  ihn  als  Typ 
für  die  auf  der  Massenfabrikation  aufgebaute  hochkapitalistisch  ent- 
wickelte Eisenindustrie  des  Westens.  Dann  folgt  die  Geschichte  der 
Ilseder  Hütte  und  des  Peiner  Walzwerks.  Hier  sammeln  sich  die 
Ideen  zur  Erklärung  der  Erscheinung,  warum  dieses  Werk  eine  über- 
durchschnittliche Rentabilität  aufweist,  d.  h.  Dividenden  zahlt,  an 
deren  Höhe  die  Rente  keines  anderen  Unternehmens  derselben  Fabri- 
kation heranreicht.  An  die  Darstellung  der  Ilseder  Hütte  schließt  sich 
die  der  Dortmunder  Union.  Hier  bildet  die  Beantwortung  der  Frage 
nach  den  Ursachen  der  dauernden  Unrentabilität  den  Angelpunkt 
der  Untersuchung.  Weiter  folgt  die  Entwicklungsgeschichte  der 
Phönixhütte.  Hier  versuche  ich  die  Schicksale  einer  auf  dem  Prin- 
zip der  Dezentralisation  beruhenden  Parallelgesellschaft  zur  Dort- 
munder Union  sowohl  nach  der  Seite  der  Analogien  als  auch  nach 
der  Seite  der  Abweichungen  hin  zu  schildern.  Den  Schluß  bildet 
die  über  100jährige  Geschichte  des  führenden  Werkes  der  Ober- 
schlesischen  Eisenindustrie,  der  vereinigten  Königs- und  Laurahütte.  Das 
besonders  hervortretende  Moment  war  hier  die  bei  weitem  geringere  Aus- 
bildung des  kapitalistischen  Systems  im  Gegensatz  zu  dem  an  erster 
Stelle  behandelten  westfälischen  Werk.  Das  sind  die  Grundgedanken. 
Sie  sind  nur  angedeutet.  Aber  sie  zeigen,  daß  die  folgenden  Einzel- 
darstellungen ein  zusammenhängendes  Ganze  bilden  und  als  solches 
beurteilt    zu    werden    den    Anspruch    erheben    können.     Es    wäre 


Xn  Vorwort. 

vielleicht  sehr  viel  einfacher  gewesen,  die  Monographien  alle  nach 
einer  Schablone  zu  behandeln,  doch  dies  überlasse  ich  denjenigen, 
die  nach  Schema  F  zu  arbeiten  gewohnt  sind. 

Zuni  Schluß  möchte  ich  nicht  unterlassen,  darauf  hinzuweisen, 
daß  meines  Wissens  der  erste,  der  auf  die  Notwendigkeit  und  Nütz- 
lichkeit der  nationalökonomischen  Analyse  großindustrieller  Betriebe 
aufmerksam  machte,  kein  geringerer  ist,  als  Otto  Warschauer, 
der  in  der  Verbindung  und  Durchdringung  von  Technik  und  Wirt- 
schaftslehre der  Behandlung  der  Nationalökonomie  an  den  tech- 
nischen  Hochschulen  neue   Wege  wies. 

Vive,  vale.     Si  quid  novisti  rectius  istis 
Candidus  imperti;  si  non:  his  utere  mecum. 

Horaz  Ep.  I.  6.  67. 

Charlottenburg,    Frühjahr  1904. 


Der  Verfasser. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein  ist  die  erste  größere 
Hochofenanlage  im  rheinisch-westfälischen  Kohlenbecken.  Er  ist  eine 
Gründung  des  A.  Schaaffhausenschen  Bankvereins  in  Cöln,  einer  Bank, 
die  bis  heute  in  enger  Beziehung  zur  westdeutschen  Montanindustrie 
steht  und  deren  wechselreiche  Geschichte  als  Credit  mobilier  immer 
noch  eines   Bearbeiters  harrt. 

Bei  der  Gründung  von  Aktiengesellschaften  der  Eisenindustrie, 
vielleicht  auch  anderer  Industrien,  lassen  sich  zwei  Typen  unter- 
scheiden. Entweder  wird  eine  Anzahl  einzelner,  verschiedenen  Eigen- 
tümern gehörender  Betriebe,  die  häufig  räumlich  weit  auseinander- 
liegen, zu  einem  einzigen  großen  kapitalistischen  Unternehmen  zu- 
sammengeschmolzen, oder  aber  ein  einziger  Privatbetrieb  wird  in 
eine  Aktiengesellschaft  umgew-andelt,  um  an  einem  Zentralpunkte 
die  Produktion  durch  Erweiterung  der  Produktionsmittel  in  größere 
Dimensionen  überzuführen.  Der  erste  Fall  liegt  vor  bei  der  Dort- 
munder Union  und  der  Aktiengesellschaft  „Phönix"  und  wir  werden 
sehen,  daß  diese  ihre  Ger.esis  auf  ihr  technisches  und  ökonomisches 
Schicksal  nicht  ohne  Einfluß  gewesen  ist.  Der  letztere  Fall  trifft 
für  die  meisten  anderen  Gesellschaften  zu,  unter  ihnen  auch  für 
den  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

Im  Jahre  1841  errichtete  ein  Industrieller  namens  Hermann 
Dietrich  Piepenstock  aus  Iserlohn  in  Hoerde  ein  Puddel-  und  Walz- 
werk, welches  er  zu  Ehren  seines  Sohnes  „Hermannshütte"  nannte. 
Wo  früher  die  alten  Grafen  von  der  „Mark"  gehaust  hatten,  da 
hielt  nun  die  schwere  Industrie  ihren  Einzug.  Die  schon  vor  dem 
Jahre  1300  erbaute  Burg  wurde  das  Kontor  eines  Kaufmanns  und 
heute  hat  in  dem  renovierten  Aufbau  des  alten  Schlosses  eine  Aktien- 
gesellschaft ihre   Geschäftsräume! 

Dieses  Puddel- und  Walzwerk  w^äre  vielleicht  von  der  Cölnischen 
Großfinanz  nicht  weiter  beachtet  worden,  hätte  man  nicht  im  Jahre 

stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  1 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


1849  in  der  Nähe  von  Dortmund,  Hoerde,  Witten  und  Sprockhövel 
ausgedehnte  Kohleneisensteinlager*)  aufgefunden.  Diese  Entdeckung 
hatte  für  das  Großkapital  eine  alarmierende  Wirkung.  Während  die 
Hermannshütte  früher  ihr  Roheisen  aus  der  Ferne  kaufen  mußte, 
und  zwar  größtenteils  aus  Belgien,  zum  Teil  aus  England  und  dem 
Siegerlande,  tauchte  jetzt  die  Möglichkeit  auf,  aus  dem  metallur- 
gischen Reichtum  am  Produktionsstandorte  selbst  die  nötigen  Roh- 
materialien zu  einem  Preise  zu  beziehen,  der  beim  Import  fremder 
Erze  ausgeschlossen  schien.  Kostete  doch  anfangs  des  Jahres  1852 
das  Roheisen  in  Belgien  56,40  Mark  pro  Tonne  und  mit  Fracht  und 
Zoll  83,50  Mark  in  Hoerde,  während  sich  das  deutsche  Roheisen,  wie 
es  in  den  Holzkohlenöfen  des  Siegerlandes  hergestellt  wurde,  auf 
90  Mark  stellte.**)   Für  Westfalen  war  daher  an  eine  lohnende  Eisen- 


*)  Zum  Verständnis  der  rohstofflichen  Grundlagen  dieses  und  auch  der 
im  folgenden  behandelten  Werke  seien  hier  einige  allgemeine  Bemerkungen 
über  die  Klassifikation  und  das  Vorkommen  der  Eisenerze  nach  den  Aus- 
führungen Weddings  an  der  Technischen  Hochschule  in  Charlottenburg  ein- 
geschaltet. Man  teilt  die  Eisenerze  ein  nach  ihrem  Reichtum  an  eisenhaltigen 
Bestandteilen.  An  der  Spitze  stehen  die  bis  72o/o  reines  Eisen  enthaltenden 
Magneteisenerze,  die,  soweit  sie  phosphorreich  sind,  die  Grundlage  der 
schwedischen  Eisenexportindustrie  bilden.  (Gellivara,  Grängesberg.)  Bis  zu 
700/0  Eisen  enthalten  dann  die  Roteisenerze.  Diese  vielfach  nahezu  phosphor- 
freien Erze  haben  nicht  nur  eine  Bedeutung  für  England,  sondern  vor  allen 
auch  für  die  amerikanische  Eisenindustrie.  Den  ersten  Platz  nehmen  ein  die 
großen  Lagerstätten  am  Lake  superior.  In  dritter  Linie  folgen  dann  die  be- 
sonders für  Deutschland  wichtigen  Brauneisenerze  mit  einem  Maximalgehalt 
von  60 o/o  Eisen.  Auf  sie  gründet  sich  die  oberschlesische  Eisenindustrie, 
die  Eisenindustrie  in  Ilsede,  an  der  Lahn  und  vor  allen  die  in  Lothringen 
und  Luxemburg.  Dort  wird  ein  im  Bruche  feinkörniges  Eisenerz  (Minette 
=  kleines  Erz)  gefördert,  das  bereits  76 o/o  alles  in  Deutschland  überhaupt 
gewonnenen  Eisenerzes  ausmacht.  Dann  folgt  an  vierter  Stelle  das  Spat- 
eisenerz, das  bis  48 o/o  reines  Eisen  enthält.  Es  kommt  bei  uns  vor  allem 
im  Siegerlande  vor,  wo  es  in  unabsehbare  Teufen  niedergeht.  Wegen  seines 
hohen  Mangangehaltes  (8  und  mehr  Prozent)  eignet  es  sich  vorzüglich  zur 
Spiegeleisenfabrikation.  Eine  Spielart  des  Spateisensteins  ist  der  Toneisenstein, 
der  die  Grundlage  der  englischen  Eisenindustrie  (Cleveland)  bildet  und  der 
Kohleneisenstein,  im  englischen  Blackband  (=  Schwarzstreifen)  genannt.  Die 
schottische  Roheisenindustrie  gründet  sich  noch  heute  auf  die  Verhüttung 
dieses  Eisensteins.  Außerdem  kommt  es  vor  in  Steiermark,  im  ungarischen 
Erzgebirge  und  in  England.  Am  niedrigsten  im  Eisengehalt  stehen  schließ- 
lich  die  Schwefelkiese. 

**)  Zum  Vergleich  sei  bemerkt,  daß  ein  halbes  Jahrhundert  später,  im 
Jahre  1902,  der  Durchschnittslieferungspreis  des  Roheisensyndikats  in  Düssel- 
dorf für  Puddel-  und  Stahleisen  ab  Siegen  59,53  M.  pro  Tonne  betrug. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und   Hüttenverein. 


erzeugung  im  großen  Stile  noch  nicht  zu  denken.  Die  Erzlager  waren 
nicht  bekannt,  und  die  Eisenbahnen  nach  den  großen  Erzbezirken, 
den  stillen  Waldtälern  des  Siegerlandes,  noch  nicht  genügend  aus- 
gebaut. Es  eröffnete  sich  daher  für  das  anlagelüsterne  Kapital  eine 
ungeheure  Perspektive,  als  die  öffentlichen  Blätter  immer  verlocken- 
dere Nachrichten  über  das  Auffinden  von  Kohleneisenstein  oder 
Blackband  in  Westfalen  brachten.  Infolgedessen  trat  eine  Anzahl 
Herren  zusammen,  und  im  Jahre  1852  v^urde  die  Firma  Piepen- 
stock 8c  Co.  gegen  Hingabe  von  3,3  Millionen  Mark  an  die  Vor- 
besitzer in  die  Aktiengesellschaft  „Hoerder  Bergu^erks-  und  Hütten- 
verein" umgewandelt.  Die  kleine  Firma  sollte,  vom  Kapital  be- 
fruchtet, in  einen  Großbetrieb  ausgereckt  werden.  Nachdem  die 
landesherrliche  Bestätigung  erfolgt  war,  begann  die  Gesellschaft  am 
1.  März  1852  ihre  Wirksamkeit.  Heute  blickt  sie  auf  eine  über 
fünfzigjährige  Geschichte  zurück,  aus  der  uns  ein  reiches  Leben 
entgegenflutet.  Die  gegenwärtige  Verwaltung,  der  man,  wie  schon 
im  Vorwort  erwähnt,  eine  allzu  große  Liberalität  in  bezug  auf  För- 
derung wissenschaftlicher  Arbeiten  nicht  nachsagen  kann, 
hat  die  Hauptpunkte  dieser  fünfzigjährigen  Geschichte  von  ihrem 
Standpunkte  aus  in  einer  kleinen  Festschrift  niedergelegt,  die  mir 
neben  den  Geschäftsberichten  für  die  folgende  Darstellung  von  Wert 
gewesen  ist  und  die  ich  daher  eingehend  benutzt  habe.  Es  gibt  wohl 
kein  anderes  Unternehmen,  das  sich  so  als  Paradigma  eig- 
nete,umdentypischen  EntwicklungsgangderGroß- 
eisenindus trie  Westfalens  auf  dem  Hintergrunde 
großer  Zeitperioden  zu  schildern,  wie  der  Hoerder 
Verein.  Deshalb  behandeln  wir  ihn  an  erster  Stelle. 
Die  Triebfeder,  die  zur  Umwandlung  des  Privatunternehmens 
in  eine  Aktiengesellschaft  führte,  lag,  wie  wir  sahen,  in  der  Ent- 
deckung von  Eisensteinlagern  in  Westfalen  und  der  dadurch  gegebe- 
nen Möglichkeit,  durch  den  Bau  von  Hochöfen  die  Roheisenerzeu- 
gung an  den  Ort  der  Weiterverarbeitung  zu  binden.  Mit  großen 
und  stolzen  Erwartungen  begrüßte  man  die  neuen  Erzfunde.  Ein 
enormes  Steigen  der  Grundrente  mußte  die  Folge  sein.  In  dem  Pro- 
spekt, welcher  zur  Errichtung  der  Gesellschaft  erlassen  wurde,  wird 
bereits  berechnet,  daß  die  Erzlager  für  Jahrhunderte  ausreichen. 
Die  psychologische  Disposition  des  Gründers  ist  eben  der  Optimis- 
mus. „Heute",  heißt  es  in  dem  Prospekt,  „steht  unzweifelhaft  fest, 
daß  in  den  bis  jetzt  aufgestellten  Flötzen  ein  Reichtum  an  Eisenstein 
vorhanden  ist,  welcher  mehr  als  hinreicht,  eine  große  Anzahl  von 


1.  Der  Hoerdcr  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


Hochöfen  auf  Jahrhunderte  zu  alimentieren*'.  Und  in  dem  ersten 
Geschäftsberichte  von  1852/53  urteilt  die  Verwaltung  folgendermaßen: 
„Wenn  für  irgend  eine  Gesellschaft,  so  ist  gewiß  für  die  unsrige  der 
Anspruch  begründet,  daß  sie  die  erste  gewesen  ist,  welche  sich  die 
Eisenproduktion  im  großartigen  Maßstabe  zum  Vorwurf  genommen 
und  durch  ihre  unvergleichliche  Lage,  durch  den  unerschöpflichen 
Reichtum  ihrer  Eisensteingerechtsame,  sowie  durch  die  große  Pro- 
duktionsfähigkeit der  Hermannshütte  an  der  Spitze  der  deutschen 
Eisenindustrie  bleibe."  In  der  erwähnten  Festschrift  wird  noch  mit- 
geteilt, daß  ein  Probeschmelzen  mit  175  000  kg  Eisenstein  aus  der 
Zeche  „Argus"  auf  der  königlichen  Sayner  Hütte  ergab,  daß  das 
auf  der  Hoerder  Hütte  erzeugte  Stabeisen  alle  Proben  im  Kaltbiegen, 
Warmbiegen,  Spitzen,  Lochen  und  Breiten  aushielt  und  große  Zähe 
und  Härtigkeit  aufwies.  Auf  dieser  Tatsache  baute  sich  der  Plan 
auf,  mit  den  bestehenden  Puddel-  und  Walzwerken  eine  große  Hoch- 
ofenanlage zu  kombinieren.  Als  die  Gesellschaft  gegründet  wurde, 
hatte  sie  noch  keine  eigenen  Hochöfen.  Das  hängt  zusammen  mit 
ihrer  Abhängigkeit  vom  Auslande  in  Hinsicht  auf  den  Rohstoff- 
bezug. Nunmehr  wurden  nicht  ganz  2  km  von  Hoerde  in  nächster 
Nähe  von  Dortmund  nach  und  nach  6  Hochöfen  gebaut.  Für  diesen 
Bau  waren  in  dem  gesamten  Aktienkapital  1,8  Millionen  Mark  vor- 
gesehen. Die  Selbstkosten  des  Roheisens  veranschlagte  man  auf 
48  Mark  für  den  Zentner.  Die  Produktion  sollte  also  wesentlich 
gegen  früher  durch  die  eigene  Erzgewinnung  verbilligt  werden.  Ver- 
hältnismäßig klein  erscheint  die  Summe,  die  für  den  Erwerb  von 
Kohlen-  und  Eisensteinfeldern  in  Aktien  ausgegeben  wurde.  Sie  be- 
trug nur  0,9  Millionen  Mark.  Das  hängt  damit  zusammen,  daß  die 
Gründer  ohne  Entgelt  eine  Anzahl  Eisensteinfelder,  Mutungen  und 
Schurfscheine  erworben  und  sie  in  die  Gesellschaft  eingebracht  hatten. 
Dafür  sollten  sie  1/3  des  über  50/0  des  Aktienkapitals  hinauswachsen- 
den Reingewinns  erhalten.  Diese  Beteiligung  wurde  1855  gegen 
Zahlung  von  1,8  Millionen  Mark  in  Obligationen  der  Gesellschaft 
abgelöst.  Die  Obligationen  wurden  selbst  in  Raten  bis  zum  Jahre 
1871  getilgt. 

Wir  haben  gesehen,  daß  das  Privatunternehmen,  aus  dem  der 
Hoerder  Verein  hervorging,  gar  keine  Hochöfen  besaß  und  infolge- 
dessen auf  den  Ankauf  des  Roheisens  angewiesen  war,  daß  dann 
aber  infolge  der  Entdeckung  von  Blackband  in  der  Nähe  von  Hoerde, 
bei  Dortmund,  6  Hochöfen  errichtet  wurden.  Aber  die  großen  Er- 
wartungen, die  man  auf  diese   Eisenlager  setzte,  sollten  sich  nicht 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


erfüllen.    Die   Flötze  erwiesen  sich  weder  als  „reichhaltig  noch  als 
nachhaltig".   Sowohl  nach  der  Tiefe  als  nach  der  Länge  hin  nahmen 
sie  rapide  ab.  Allerdings  haben  sie  in  den  ersten  Jahren  den  Hoerder 
Verein  mit  seinem  wichtigsten  Rohstoff  versorgt.    Die  von  ihm  er- 
worbenen Zechen  „Argus*',  „Friedrich",  „Adele",  „Union"  etc.  bil- 
deten bis  in  die  Mitte  der  60er  Jahre  die  Grundlage  der  Roheisen- 
fabrikation des  Unternehmens,  dann  trat  eine  schnelle  Abnahme  ein. 
Auswärtige    Erze    mußten    wieder    in    größeren    Mengen    eingeführt 
werden.     In   dem   Geschäftsbericht   über  das   Jahr   1867/8  heißt  es 
bereits:  ,, Unsere  Eisenproduktion  ist  in  bezug  auf  den  Produktions- 
preis wesentlich  durch  die  Höhe  der  Fracht  des  Eisensteins  bedingt, 
und  wird  dies  in  um  so  höherem  Grade,  je  mehr  wir  uns  veranlaßt 
finden,   außer  dem   uns   in   nächster  Nähe   unseres   Eisenwerkes  zu 
Gebote    stehenden    Blackband    größere    Quantitäten    Eisenstein    aus 
größerer  oder  geringerer  Ferne  aus  eigenen  Gruben  zu  fördern,  oder 
aus  fremden  Konzessionen  zu  beziehen."    Es  handelt  sich  hier  um 
einige   Gruben    bei    Ibbenbüren,    ferner   im    Siegerlande,   bei   Wetz- 
lar, sowie  im   Harz.     „Das   im   Bergbau  wechselnde  Glück",  heißt 
es   in   der   Festschrift,   „ist  hier  unserem   Unternehmen   leider  nicht 
hold  gewesen.    Eine  große  Bedeutung  haben  die  Gruben  nie  erlangt. 
Jetzt  ist  auf  allen  der  Betrieb  längst  eingestellt."  Nachdem  die  Black- 
bandgewinnung  von    1864 — 1877    immer   mehr   abgenommen    hatte, 
wurde  im  letzteren   Jahre  der   Betrieb  aufgegeben.     Nach  der  Ein- 
führung des  Thomasprozesses  allerdings  erlebten  die  alten  Blackband- 
gruben eine  Periode  der  Renaissance.   Im  Jahre  1884  wurde  der  Be- 
trieb auf  den  Schächten  Schleswig  und  Holstein  wieder  aufgenom- 
men und  bis  zum  Jahre   1897  noch  eine  Million  Tonnen  gefördert, 
„dann  aber  ist  die  Kohleneisensteingewinnung,  da  sich  die  Beschaffen- 
heit des  Eisensteins  sowohl  im  Fallen  wie  im  Steigen  des  Flötzes 
mehr    und   mehr  verschlechterte,    wahrscheinlich    für   immer  einge- 
stellt."   Damit  wurde  nach  kurzer  Auferstehung  endgültig  ein  Ge- 
danke  zu    Grabe   getragen,   der   bei   seinem    ersten    Auftauchen   so 
ungeheure  Erwartungen  ausgelöst  hatte,  um  sie  nachher  zu  täuschen. 
Wie  dereinst  die  alte  Privatfirma  ihren  Erzbedarf  aus  Belgien  und 
anderen  Ländern  einkaufen  mußte,  so  ist  die  Aktiengesellschaft  heute 
ebenfalls  darauf  angewiesen,  den  größten  Teil  ihrer  Erze  aus  dem 
Auslande,  resp.  aus  fremden  Gruben  des  Inlandes  zu  beziehen.    Da- 
mit gerät   sie   in    Abhängigkeit   von   den   Schwankungen   der   Kon- 
junktur und  des  Marktes.    Aber  Hoerde  bietet  in  dieser  Beziehung 
keine    Ausnahme   unter   den   großen    Werken   des    Dortmunder   Be- 


6  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

zirks.  Ich  werde  später  einige  Zahlen,  die  mir  beim  Hoerder  Verein 
nicht  zur  Verfügung  stehen,  für  die  Dortmunder  Union  geben.  West- 
falen ist,  vom  Siegerland  abgesehen,  ein  eisenerzarmes  Land,  seine 
Eisenindustrie  beruht  auf  dem  Kohlenreichtum.  Der  Schwerpunkt  des 
deutschen  Eisenbergbaus  und  seine  Zukunft  liegt  heute  in  Elsaß- 
Lothringen  und  Luxemburg.  Bereits  jetzt  werden  dort  mehr  als 
drei  Viertel  aller  in  Deutschland  geförderten  Eisenerze  gewonnen. 
Gefördert  wurden  im  Jahre  1901 

in  Elsaß -Lothringen     ...    7,6    Millionen   t   i.  W.  v.  20,30  Millionen  M. 

in  Luxemburg 4,4  „  „    „    „    „     9,4 

im  Oberbergamtsbez.  Bonn    2,40         „  „   „   „    „  31,9          „  „ 

Die  Produktion  der  anderen  Oberbergamtsbezirke  beträgt  V2  ^i^l- 
Tonnen  und  weniger,  fällt  also  nicht  sehr  ins  Gewicht. 

Infolge  dieser  bedeutenden  Verschiebung  in  den  Verhältnissen  der 
Erzproduktion  sehen  sich  heute  die  rheinisch-westfälischen  Werke 
mehr  oder  weniger  stark  genötigt,  sich  in  Luxemburg,  Lothringen 
oder  im  Siegerlande  selbst  Eisensteingruben  zu  erwerben.  So  betei- 
ligte sich  auch  der  Hoerder  Verein  1895/96  mit  ein  Drittel  an  der  in  der 
Entwicklung  begriffenen  Grube  „Reichsland"  bei  BoUingen.  Allein 
diese  Grube  hat  bis  jetzt  wenig  die  Hoffnungen  erfüllt,  und  in  dem 
Geschäftsbericht  1902/3  heißt  es:  „Die  Erzqualität  entspricht  noch 
nicht  ganz  unseren  Erwartungen.  Für  die  nächste  Zeit  werden  noch 
weitere  Zuschüsse  notwendig  sein."  Die  Abschreibungen  in  dem  ge- 
nannten Geschäftsjahre  betragen  25 0/0. 

Mit  dem  Augenblick  aber,  mit  dem  diese  entfernt  liegende  Grube 
in  Lothringen  in  den  Besitz  des  westfälischen  Werkes  übergeht,  ge- 
winnt für  dieses  die  Frachtfrage  eine  überragende  Bedeutung.  Fast 
in  allen  Geschäftsberichten  großer  Werke,  die  sich  in  der  erwähnten 
Lage  befinden,  kehren  immer  wieder  die  Klagen  über  die  hohen 
Frachten,  bis  dieselben  am  1.  Juni  1901  ermäßigt  wurden.  Immerhin 
erscheint  auch  jetzt  noch  das  Hoerder  Werk  im  Vergleich  mit  den 
lothringischen  Werken  benachteiligt.  Die  Entfernung  bis  zu  den 
Minettelagern  beträgt  325—350  km.  Diesen  Weg  hat  das  Erz  von 
Lothringen  bis  Westfalen  zu  durchlaufen,  umgekehrt  aber  auch  die 
nun  zu  einer  Tonne  Roheisen  rund  3  Tonnen  Erz,  dagegen  nur  eine 
Kohle,  die  aus  Westfalen  in  den  Minettebezirk  versandt  wird.  Da 
Tonne  Koks  nötig  sind,  so  ist  es  ökonomisch  richtiger,  die  eine 
Tonne  Brennmaterial  den  3  Tonnen  Erz  entgegenzuführen  als  um- 
gekehrt.   Deshalb  hat  sich  in  Lothringen  die  Eisenindustrie  so  kräftig 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


entwickelt,  weil  man  dort  die  Erze  zur  Stelle  hat  und  ihnen  nur 
die  Kohle  zuzuführen  braucht.  Gerade  umgekehrt  aber  liegen  die 
Dinge  beim  Hoerder  Verein.  Er  ist  demnach  hinsichtlich  des  Haupt- 
rohstoffs seiner  Hochöfen  recht  ungünstig  gestellt. 

Der  zweite  wichtige  Rohstoff  für  die  Eisenhütten  ist  d  i  e  Kohle, 
resp.  der  Koks.  In  bezug  auf  das  Gewicht  brauchen  sie 
mehr  Kohlen  wie  Eisen.  Das  Ziel  des  Eisenhüttenbetriebs  besteht 
freilich  darin,  eine  Tonne  fertiges  Fabrikat  mit  einer  Tonne  Koks  zu 
erzeugen  unter  der  Voraussetzung  der  Selbstverarbeitung  des  Roh- 
eisens. Heute  kann  man  im  allgemeinen  annehmen,  daß  zur  Er- 
zeugung einer  Tonne  Roheisen  etwa  eine  Tonne  Kohlenstoff  in  der 
Form  von  Koks  gebraucht  wird,  zur  Erzeugung  einer  Tonne  Fabrikat 
beim  Schweißeisenprozeß  etwa  8  Tonnen,  beim  Flußeisenprozeß  4 
bis  4V2  Tonnen.  Der  große  Wechsel  der  Betriebssysteme,  die  ich 
später  schildere,  hat  also  in  ökonomischer  Beziehung  zu  einer 
kolossalen  Ersparung  an  Kohlenstoff  resp.  Kohlen  geführt,  was  aller- 
dings in  den  Ziffern  für  die  Kohlenförderung  der  einzelnen  Werke 
wegen  ihrer  kapitalistischen  Tendenzen  nicht  zum  unmittelbaren  Aus- 
druck kommt. 

Der  Hoerder  Verein  hat  von  vornherein  wie  die  meisten  Werke 
das  Prinzip  der  Selbstbedarfsdeckung  in  bezug  auf  den  Kohlenkonsum 
durchzuführen  versucht.  In  einer  so  kohlenreichen  Gegend  wie  dem 
Ruhrbezirk  wäre  auch  eine  andere  Politik  gar  nicht  verständlich 
gewesen.  Daher  werden  in  den  Jahren  1854 — 1856  Kohlenfelder 
bei  den  Dörfern  Brackel  und  Asseln  erworben,  und  zwar  zum  Gesamt- 
preise von  105  000  Mark.  Im  Jahre  1859  wurden  die  Vorrichtungs- 
arbeiten aufgenommen  und  die  gewonnenen  Kohlen  in  der  „Her- 
mannshütte" verbraucht.  Die  Kohlen  wurden  anfangs  alle  per  Achse 
transportiert.  Der  Kohlenbergbau  war  in  den  50er  Jahren  durchaus 
von  den  tierischen  Arbeitskräften  abhängig.  Haben  doch  die  Kohlen- 
gruben noch  heute  ausgedehnte  Pferdeställe  unter  der  Erde,  während 
der  oberirdische  Transport  durch  Lokomotiven  geschieht.  Nun  zeigte 
sich  aber  sehr  bald,  daß  die  gewonnenen  Kohlen  sich  nicht  verkoken 
ließen.  Da  nun  aber  die  Hochöfen  nicht  Kohlen,  sondern  Koks 
brauchen,  so  konnte  man  dieses  Material  für  die  Roheisenerzeugung 
nicht  verwerten.  Daher  heißt  es  im  Geschäftsbericht  über  das  Jahr 
1861/2,  d.  h.  über  eine  Zeit,  zu  der  die  Blackbandgruben  noch 
auf  dem  Höhepunkt  ihrer  Ergiebigkeit  standen:  „Nur  einer  der 
Faktoren  unserer  Produktion,  die  Kohlengewinnung,  hat  bis  jetzt 
nicht  in  so  vollem  Maße  und  in  solcher  Qualität  sich  entwickelt. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


wie  wir  bei  Gründung  unseres  Kohlenbergwerkes  auf  Grund  des 
Gutachtens  bewährter  Fachmänner  hoffen  zu  dürfen  glaubten.  Die 
Chancen,  welche  allem  Bergbau  anhaften,  sind  im  Hoerder  Kohlen- 
werke im  Laufe  des  letzten  Betriebsjahres  infolge  wiederholter  Be- 
triebsstörungen, namentlich  aber  in  dem  Umstände  hervorgetreten, 
daß  die  produzierte  Kohle  zwar  für  die  „Hermannshütte",  nicht 
aber  in  gleichem  Maße  zu  Koks  für  die  Hochöfen  sich  eignete." 

Es  werden  dann  noch  weitere  Kohlenfelder  gekauft.  Jedes  der 
6  Felder  kostete  60  000  Mark.  In  den  Jahren  1863—1870  reichte  die 
Kohlenproduktion  für  den  Bedarf  der  „Hermannshütte"  aus,  der 
sich  auf  360—370  Tonnen  stellte,  aber  die  Koks  für  die  Hochöfen 
mußten   weiter  zugekauft  werden. 

Die  Festschrift  verzeichnet  noch  folgende,  für  die  Weiterent- 
wicklung wichtige  Daten:  „Es  wurde  im  Jahre  1864  die  erste  Kohlen- 
wäsche erbaut  und  Querschläge  nach  Norden  zur  Untersuchung  der 
neuen  Felder  getrieben.  Am  20.  Oktober  entstand  eine  längere  Be- 
triebsstörung dadurch,  daß  ein  Brand  die  Gebäude,  in  welchen  die 
Wasserhaltungs-  und  Fördermaschine  untergebracht  waren,  zerstörte, 
und  die  Maschinen  selbst  beschädigte.  Im  Jahre  1866  wurden  zum 
ersten  Male  Kokskohlen  an  die  Hochofenanlage  geliefert.  Die  Menge 
derselben  war  nur  gering  und  belief  sich  auf  30—40  Tonnen  täglich. 
Sie  stieg  in  dem  nächsten  Jahre  auf  50—65  Tonnen  täglich.  Im 
Jahre  1865  war  die  Produktion  des  Kohlenwerkes  auf  700  Tonnen 
täglich  angewachsen  und  es  hatte  sich  gezeigt,  daß  auf  der  Hoch- 
ofenanlage in  dem  an  Stelle  der  alten  Kokshochöfen  erbauten  Coppee- 
öfen,  ein  weit  größerer  Zusatz  von  eigenen  Kohlen  mit  Erfolg  mög- 
lich war.  Es  wurde  deshalb  beschlossen,  die  Kohlenwäsche  so  weit 
zu  vergrößern,  daß  sie  die  ganze  Kohlenförderung  bewältigen  und 
täglich  300 — 350  Tonnen  Kokskohlen  liefern  konnte  .  ,  .  Die  Unter- 
suchung des  Feldes  nach  Norden  hatte  unterdessen  ergeben,  daß 
auch  dort  keine  höher  liegenden  Flötze,  die  eine  besser  backende 
Kohle  führen  konnten,  zu  erwarten  waren.  Trotzdem  wurden  im 
Jahre  1872  auf  der  Grube  72  Koksöfen  erbaut  auf  Grund  der  besse- 
ren Ergebnisse,  welche  in  den  neuen  Öfen  der  Hochofenanlage 
mit  den  eigenen  Kohlen  erzielt  wurden.    Die  Öfen  kamen  im  Jahre 

1873  in  Betrieb,  sie  ergaben  jedoch  keine  guten  Resultate  und  wurden 

1874  wieder  außer  Betrieb  gesetzt,  bis  es,  nachdem  eine  Normal- 
spurverbindung vorhanden  war,  ermöglicht  wurde,  fremde  Kohlen 
zur  Mischung  heranzuziehen.  Im  Jahre  1880  wurden  die  Öfen  wie- 
der angesteckt  und  blieben  dann  bis  zum  Jahre  1886  in  Betrieb.   Im 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


Jahre  1871  wurde  der  Plan  gefaßt,  in  dem  östlichen  Teile  des 
Grubenfeldes  einen  dritten  Förderschacht  abzuteufen.  Der  Schacht 
erhielt  den  Namen  „Holstein"  ...  Er  wurde  mit  Fördermaschinen, 
Wasserhaltungsmaschinen  und  Kohlenwäsche  vollständig  ausgebaut 
und  erhielt  im  Jahre  1885  einen  Anschluß  an  die  von  Schacht 
„Schleswig"   zur    „Hermannshütte"    führende    Eisenbahn." 

Diese  Ausführungen  zeigen,  daß  eine  volle  Selbstbedarfsdeckung 
nicht  stattfand,  daß  namentlich  Koks  zugekauft  werden  mußten,  und 
daß  die  Geschichte  des  Werkes  auch  von  verunglückten  Koksan- 
lagen zu  erzählen  weiß.  Viel  wichtiger  ist  nun  aber  der  gegenwärtige 
Status.  In  bezug  auf  diesen  heißt  es  weiter:  „Gegenwärtig  ist  die 
Förderung  der  Gruben  „Schleswig"  und  „Holstein"  auf  ca.  400  000 
Tonnen  Kohlen  jährlich  gestiegen,  hiervon  wird  etwa  die  Hälfte  auf 
der  Hochofenanlage  zur  Koksproduktion  verwandt,  der  Rest  zum 
Teil  auf  der  „Hermannshütte"  verbraucht,  zum  Teil  in  Form  von 
Stückkohlen  und  gewaschenen  Nüssen  an  Dritte  verkauft.  Auch 
jetzt  ist  es  noch  nicht  möglich,  die  Kohle,  welche  dem  Eßkohlenflötz 
entstammt,  allein  zur  Koksfabrikation  zu  verwenden.  Es  muß  immer 
noch  ein  Teil  guter  Fettkohle  zugemischt  werden.  Durch  die  Ver- 
besserung der  Konstruktion  der  Koksöfen  und  der  Kohlenmischer- 
vorrichtung  ist  aber  der  Prozentsatz  der  Kohlen,  die  in  der  Mischung 
zu  verwenden  möglich  sind,  größer  geworden,  und  die  Kohlengruben 
bilden  immer  noch  eine  wertvolle  Grundlage  für  den  Betrieb  der 
Hüttenwerke."  In  diesen  Sätzen  liegt  der  Schwerpunkt  für  die  Be- 
urteilung des  Hoerder  Vereins  in  bezug  auf  seine  Kohlenproduktion. 
Seine  Kohlenförderung  genügt  vollauf,  so  daß  er  noch  einen  Teil 
verkauft,  aber  diese  Kohlen  eignen  sich  nur  teilweise  zur  Koks- 
produktion. Sie  müssen  mit  anderen  zugekauften  Kohlen  gemischt 
werden.  In  dieser  Mischung  ist  allerdings  der  Prozentsatz  der  eige- 
nen Kohlen  größer  geworden,  infolge  verbesserter  Koksofenkon- 
struktionen und  guter  Kohlenmischervorrichtungen,  allein  ausreichend 
ist  er  nicht!  Es  werden  daher  jährlich  ca.  250  000  Tonnen  Kohlen 
zugekauft.  Wir  sehen  also,  daß  eine  reine  Selbstbedarfsdeckung 
in  bezug  auf  die  Kohlen  angestrebt  wurde,  aber  an  den  Eigen- 
schaften der  letzteren  scheiterte. 

Außer  Eisenerz  und  Kohlen,  resp.  Koks  braucht  jede  Eisenhütte 
nicht  unbeträchtliche  Mengen  Kalkstein,  einmal  für  den  Thomasprozeß, 
dann  aber  vor  allem  als  Zuschlag  für  den  Hochofenprozeß,  bei  dem  es 
darauf  ankommt,  daß  die  Bergarten  gleichzeitig  mit  dem  gekohlten 
Eisen    schmelzen.    Es    ist   Sache    der    Eisenprobierkunst,   die    Höhe 


10  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

des  Zuschlags  festzustellen.  Diesen  Punkt  hat  die  Festschrift  ver- 
gessen. Bei  der  Besichtigung  des  Werkes  erfuhr  ich,  daß  es 
eigene  Kalksteinbrüche  in  Luxemburg  besitzt.  Der  letzte  Geschäfts- 
bericht erwähnt  2  Kalksteinbrüche  in  Letmathe  und  Hemer. 

Fassen  wir  nunmehr  die  Resultate  dieses  Abschnittes  kurz  zu- 
sammen. Die  Umwandlung  der  alten  Firma  Piepen- 
stock in  eine  Aktiengesellschaft  mit  einem  Kapital 
von  6  Millionen  Mark  hing  mit  den  Perspektiven  zu- 
sammen, die  das  Ende  der  40er  Jahre  entdeckte  Vor- 
kommen von  Blackband  im  Dortmunder  Bezirk  er- 
öffnete Dieses  Eisenerz  bildete  bis  zum  Jahre  1864 
die  Grundlage  der  Roheisenproduktion  in  Höerde. 
Dann  trat  eine  allmähliche  Abnahme  ein,  und  1877 
wird  der  Betrieb  still  gelegt,  um  dann  nach  Einfüh- 
rung des  Thomasprozesses  von  1884 — 1897  noch  ein- 
mal aufgenommen  zu  werden.  Auch  die  übrigen  Gru- 
ben hielten  nicht,  was  sie  versprachen.  Infolgedes- 
sen beruht  heute  die  Roheisenerzeugung  des  Hoer- 
der Vereins  nicht  auf  selbstgeförderten,  sondern 
auf  gekauften  Erzen.  An  dieser  Tatsache  ändert 
sich  nicht  viel  durch  den  1895/96  erfolgten  Erwerb 
einer  Minette  Konzession  in  Lothringen,  da  die 
hohen  Erzfrachten  den  Transport  zu  stark  verteuer- 
ten, als  daß  er  hätte  größere  Dimensionen  anneh- 
men können. 

Dieselbe  Rohstoff politik,  allerdings  mit  glück- 
licherem Erfolge  lag  den  Maßnahmen  des  Hoerder 
Vereins  zugrunde  in  bezugauf  die  Versorgung  des 
Werkes  mit  Kohlen.  Auch  hier  treibt  es  Selbstbe- 
darfsdeckungswirtschaft. Diese  wird  aber  nicht 
vollständig  erreicht,  und  zwar  aus  folgenden  Grün- 
den: Die  eigenen  Kohlen  waren  nicht  genügend  back- 
fähig, infolgedessen  konnten  sie  nicht  zur  Koks- 
produktion verwandt  werden.  Sie  kamen  in  Betracht 
nur  für  die  Vers  orgung  der  Hermannshütte,  nicht  aber 
für  die  Hochöfen.  Nach  Erwerb  der  beiden  Zechen 
„Schleswig"  und  „Holstein"  wird  es  allmählich  mög- 
lich, einen  größeren  Teil  der  Kohlen  zur  Ver- 
kokung zu  verwenden.  Sie  fördern  jährlich  etwa 
400000  Tonnen.     Mit  Ausnahme  eines  kleinen,  zum 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. lA 

Verkauf  gelangenden  Quantums  deckt  diese  Förde- 
rung einen  Teil  des  eigenen  Kohlenbedarfes.  Der 
Mehrverbrauchvonjährlichet\va250000Tonnenmuß 
angekauft  werden.  Es  sind  das  die  zur  Mischung 
nötigen   Feinkohlen   für  die   Kokserzeugung. 

Was  folgt  nun  in  wirtschaftlicher  Beziehung  aus  diesen  Dar- 
legungen ?  Infolge  seiner  Abhängigkeit  in  bezug  auf 
den  Erz-,  weniger  in  bezug  auf  den  Kohlenbedarf 
ist  der  Hoerder  Verein  heute  den  Schwankungen  der 
Konjunktur  in  hohem  Maße  unterworfen.  Die  Preis- 
verhältnisse des  Rohstoff marktes  bilden  einen  in 
die  Lage  des  Betriebes  einschneidenden  Faktor.  Das 
gilt  vor  allem  für  das  Eisenerz.  Die  großen  Roh- 
stoffkartelle haben  allerdings  die  Preisschwankun- 
gen gemildert,  eine  Stabilisierung  der  Konjunktur 
ist  ihnen  aber  bekanntlich  nicht  gelungen. 


Nach  diesen  Erörterungen  über  die  natürlichen  Grundlagen  des 
Unternehmens  gehen  wir  zur  Schilderung  der  Betriebs- 
systeme  über. 

Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein  beruhte  bei  seiner 
Gründung  auf  einem  Betriebssystem,  das  wir  zunächst  etwas  ein- 
gehender kennen  lernen  müssen.  Dabei  wird  es  nötig  sein,  auch 
wieder  die  technische  Seite  nur  in  so  weit  zu  berücksichtigen,  als 
sie  zum  Verständnis  ökonomischer  Erscheinungen  dient. 

Die  Erzeugung  handelsfertiger  Ware,  soweit  sie  nicht  durch 
bloßes  Gießen  des  Roheisens  in  Formen  entstand,  war  in  der  ersten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  abhängig  von  dem  Puddelprozeß. 
Auf  ihm  basierte  ursprünglich  der  Hütterbetrieb.  Die  „Hermannshütte" 
hatte  im  Jahre  1852  46  Puddelöfen.  Der  Puddelprozeß  beruhte  auf 
der  Zuführung  von  Sauerstoff  zum  geschmolzenen  Eisen.  Der  Sauer- 
stoff oxydierte  den  Kohlenstoff  und  die  Nebenbestandteile  (Si,  Mg, 
P  und  S).  Die  Umwandlung  des  Roheisens  in  Schmiedeeisen  be- 
ruhte auf  der  Entfernung  dieser  Nebenbestandteile  durch  Oxydation. 
Der  Herd  des  Ofens  wurde  mit  Kohlen  beschickt,  und  die  glühenden 
Gase  bestrichen  dann  das  Eisen;  dasselbe  wurde  glühend  und  über- 
zog sich  mit  einer  Schlackenschicht.  Dadurch  wurde  es  von  der 
sauerstoffreichen  Flamme  abgesperrt.  Nun  öffnete  der  Puddler  die 
Tür  und  führte  eine  Eisenstange  hinein,  die  vorn  ausgebogen  war. 
Mit  diesem    Rührhaken   durchfurchte   er  das   ganze   Bad.     Dadurch 


12 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

konnten  Schlacken  und  Eisen  auseinandergezwungen  werden.  Es  war 
eine  schwierige  und  sehr  anstrengende  Arbeit.  Der  Erfolg  des  Pud- 
delns  hing  von  der  persönlichen  Kraft  und  Geschicklichkeit,  sowie  von 
der  Aufmerksamkeit  des  Puddlers  ab.  Seine  erste  Aufgabe  bestand 
darin,  durch  Rühren  mit  dem  Haken  das  Eisen  immer  von  neuem 
mit  dem  Sauerstoff  in  Berührung  zu  bringen.  Auf  einem  bestimmten 
Punkte  des  Prozesses  kochte  dann  die  glühende  Schlacke  über  und 
floß  durch  die  Arbeitstür  in  ein  davor  gestelltes  Blech  ab.  Außer 
dem  Umrühren  hatte  der  Puddler  noch  eine  zweite  schwere  Arbeit 
auszuführen.  War  die  Schlacke  abgegossen,  dann  kristallisierte  das 
Eisen.  Die  Kristalle  schweißten  aneinander,  und  um  nun  die  er- 
forderliche Gleichmäßigkeit  des  Kohlenstoffgehalts  zu  erzielen,  mußte 
der  Puddler  mit  einer  Brechstange  an  dem  einen  Ende  des  Herdes 
beginnend,  die  teigige  Masse  in  einzelne  Klumpen  losbrechen,  um- 
wenden und  aufeinanderhäufen.  Man  nennt  dies  umsetzen.  Der  ganze 
Ofeninhalt  wurde  auf  diese  Weise  auf  einen  Haufen  gebracht.  Nun 
brach  der  Puddler  Stücke  von  dieser  Masse  los  und  türmte  sie 
aufeinander.  Daraus  wurden  dann  Ballen  von  annähernd  Kugel- 
gestalt gemacht,  und  diese  mit  einer  Zange  aus  dem  Ofen  heraus- 
genommen. Man  nennt  diese  Kugeln  Luppen.  Sie  kommen  unter 
den  Dampfhammer,  werden  unter  demselben  zu  Brammen  breit  ge- 
schlagen und  von  dort  unter  die  Luppenwalze  gebracht,  um  zu  Roh- 
schienen ausgewalzt  zu  werden.  Man  nennt  dieses  Eisen  Schweiß- 
eisen,  weil  bei  seiner  Darstellung,  bei  welcher  die 
Temperatur  des  Eisens  seinen  Schmelzpunkt  (1500 
Grad)  nicht  übersteigt,  das  Eisen  den  teigartigen, 
nicht  den  flüssigen  Zustand  annimmt,  d.  h.  Kristalle 
bildet,  die  sich  zu  Klumpen  zusammenschweißen 
lassen.  Wird  dieses  Eisen,  sofern  es  einen  Kohlenstoffgehalt  von 
2,3—0,050/0  besitzt,  plötzlich  von  seiner  hohen  auf  gewöhnliche 
Temperatur  abgekühlt,  z.  B.  durch  Eintauchen  in  kaltes  Wasser, 
so  wird  seine  Härte  außerordentlich  gesteigert,  es  wird  glashart. 
Solches  härtbares  Eisen  nennt  man  zum  Unterschied  vom  bloßen 
Schmiedeeisen   Stahl.*) 

Der  ganze  Puddelprozeß  ist,  wie  wir  sehen,  abhängig  von  der 
Geschicklichkeit  des  Arbeiters.    Er  beruht  auf  Handarbeit.   Die  Tech- 


*)  Die  Praxis  allerdings  bezeichnet  als  Stahl  vielfach  lediglich  Fluß- 
eisen; d.  h.  im  flüssigen  Zustande  durch  den  Bessemer-Thomas-  oder  Martin- 
Prozeß  gewonnenes  Eisen.  Die  Gewinnungsstätte  hierfür  nennen  wir  auch 
in  der  folgenden  Darstellung  „Stahlwerk". 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 13 

niker  haben  sich  viel  Mühe  gegeben,  diese,  die  Körperkräfte  sehr 
stark  absorbierende  Tätigkeit,  die  bei  einer  sehr  hohen  Tempe- 
ratur den  Puddler  auch  physisch  mitnimmt,  durch  Maschinen  ver- 
richten zu  lassen.  Tunner  und  andere  begrüßten  diese  Versuche 
vom  Standpunkte  der  Menschlichkeit,  indem  sie  die  anstrengende 
Puddelarbeit  geradezu  für  menschenunwürdig  erklärten.  Dieser  tech- 
nisch soziale  Fortschritt  ist  aber  im  Stadium  des  Experiments  stecken 
geblieben.  Man  ersann  viele  Konstruktionen,  aber  keine  bewährte 
sich.  Der  Maschine  fehlt  eben  der  Verstand  des  Menschen,  wenn 
sie  auf  ein  Hindernis  stößt.  Der  Puddler  achtet  z.  B.  genau  darauf, 
daß  der  Boden  glatt  bleibt.  Kommt  ein  Hindernis,  dann  nimmt  er 
eine  Stange  und  beseitigt  es.  Daher  mußte  bei  den  Puddelmaschinen 
immer  noch  ein  Arbeiter  mit  einer  Stange  dabeistehen.  In  England 
benutzte  man  übrigens  anfangs  diese  Maschinen  als  Abschreckungs- 
mittel gegen  Streiks.  Einige  Unternehmer  stellten  sie  auf,  um  sie 
bei  Streiks  in  Tätigkeit  zu  setzen,  aber  auf  die  Arbeiter  wirkte  das 
bloß  in  erster  Zeit.  Sie  merkten  bald,  daß  hier  eine  Übertragung 
der  Arbeit  an  die  Maschine  nicht  möglich  sei.  Auf  dem  Kontinent 
waren,  wie  Beck*)  berichtet,  trotz  der  allgemeinen  Aufmerksamkeit, 
welche  das  maschinelle  Verfahren,  besonders  bei  der  Wiener  Welt- 
ausstellung auf  sich  gelenkt  hatte,  die  Erfolge  gering,  weil  es  bei 
dem  billigen  Arbeitslohn  und  dem  teuren  Bezug  der  Futtererze  im 
Betriebe  kostspieliger  als  das  alte  Verfahren  war. 

So  lange  der  Puddelprozeß  das  herrschende  System  war,  blieb 
die  Eisenerzeugung  in  verhältnismäßig  engen  Grenzen.  An  eine 
Massenproduktion  war  noch  nicht  zu  denken,  denn  ein  solcher  Puddel- 
ofen verarbeitete  in  24  Stunden  etwa  3  Tonnen  Roheisen.  Es  konn- 
ten also  in  den  46  Puddelöfen  des  Hoerder  Vereins  nur  ca.  138 
Tonnen  täglich  gefrischt  werden.  Allerdings  versuchte  man  die 
Puddelöfen  zu  vergrößern,  um  sie  zu  befähigen,  täglich  10  Tonnen 
zu  verarbeiten.  Nahm  der  Ofen  aber  um  das  Doppelte  zu,  dann 
mußten  zwei  Puddler  arbeiten.  Immer  blieb  die  Abhängigkeit  des 
Prozesses  von  der  Tätigkeit  des  Puddlers  bestehen. 

In  diesen  beiden  Punkten  haben  wir  das  volkswirtschaftlich 
Charakteristische  dieses  Betriebssystems  zu  suchen.  Es  beruhte  auf  der 
Handarbeit  äußerst  geschickter,  befähigter  und  kräftiger  Arbeiter.  Es 
gelang  mit  diesem  System  nur  die  Verarbeitung  kleiner  Eisen- 
mengen,   deren     Qualität    je    nach    der    Arbeit    verschieden    war. 


*)  Beck,  „Geschichte  des  Eisens",  5.  Band  pag.  5Q3. 


14 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

In  dem  ersten  Stadium  der  kapitalistischen  Entwicklung  in  der  Eisen- 
industrie konnte  man  sich  nicht  allzu  lange  mit  diesen  Verhältnissen 
zufrieden  geben.  Es  kam  darauf  an,  den  Prozeß  der  Herstel- 
lung unabhängig  von  der  Intelligenz  und  Kraft  des 
Arbeiters  zu  machen,  ihn  vollständig  zu  mechani- 
sieren, und  zwar  auf  der  Grundlage  der  Massen- 
produktion. Das  aber  war  technisch  erst  möglich  in  dem  Augen- 
blick, wo  es  gelang,  das  zu  entkohlende  Eisen  nicht  in  dem  schwer 
zu  bearbeitenden  teigigen,  sondern  im  flüssigen  Aggregatzustande 
zu  gewinnen. 

Diese  Aufgabe  praktisch  gelöst  zu  haben,  ist  das  unsterbliche 
Verdienst  Bessemers. 

Da  nun  das  nach  diesem  genannte  Verfahren  ein  ganz  neues 
Betriebssystem  darstellt,  das,  von  Krupp  abgesehen,  in  Deutsch- 
land zuerst  auf  der  Hermannshütte  des  Hoerder  Vereins  angewandt 
wurde,  so  werden  wir  uns  nach  kurzer  Schilderung  der  Persön- 
lichkeit Bessemers*)  und  seiner  Erfindung  vor  allem  mit  ihrer  Ein- 
führung in  Hoerde  zu  beschäftigen  haben. 

Bessemer  war  Engländer.  Alle  großen,  bahnbrechenden  Fort- 
schritte der  Eisenindustrie  sind  nicht  von  Deutschen,  sondern  von 
Engländern  ausgegangen.  Er  war  Nichtfachmann.  Gerade  weil  ihm 
eisenhüttenmännische  Kenntnisse  fehlten,  folgte  er  um  so  vertrauens- 
voller seinen  originellen  Ideen.  Hierüber  hat  er  sich  später  einmal 
folgendermaßen  geäußert:  „Meine  Erfahrungen  bezüglich  Erfindun- 
gen zeigen,  daß  die  Fabrikanten  viele  kleine  Verbesserungen  in 
den  verschiedenen  Abteilungen  ihrer  Fabrikation  auffinden,  aber  die- 
selben stellen  im  allgemeinen  verhältnismäßig  nur  geringe  Fort- 
schritte vor,  welche  ihrer  Natur  nach  eng  mit  dem  Verfahren  ver- 
bunden sind,  das  sie  täglich  anwenden,  während  im  Gegensatz  die 
großen  Erfindungen  von  Leuten  gemacht  werden,  welche  keine  Fach- 
kenntnisse der  betreffenden   Fabrikation  besitzen." 

Bessemers  Erfindung  beruhte  auf  einem  sehr  einfachen  Prin- 
zip. 1855  kam  ihm  der  Gedanke,  Roheisen  in  Schmiedeeisen  dadurch 
zu  verwandeln,  daß  er  Wind  durch  die  glühende  Masse  hindurchblies. 
Niemand  hatte  es  vor  ihm  für  möglich  gehalten,  daß  man  ohne 
Brennmaterial,  durch  bloßes  Einblasen  der  Luft,  das  Eisen  entkohlen 
könne,  und  daß  dabei  infolge  Verbrennens  von  Nebenbestandteilen 


•)  Ich  entnehme  die  diesbezüglichen  Angaben  Becks  „Geschichte  des  Eisens' 
IV.  Band,  p.  901  ff. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 15 

so  viel  Wärme  erzeugt  u^erde,  daß  das  Eisen  vollständig  flüssig 
bleibt. 

Bessemer  verwandte  zu  diesem  Prozesse  ein  Gefäß  in  Gestalt 
einer  Birne,  die  mit  kieselsaurem  Material  (Quarz  mit  Ton  als  Binde- 
mittel) ausgekleidet  war.  Daher  nennt  man  dieses  Verfahren  auch 
das  saure.  Die  Engländer  nannten  das  Gefäß  Convertor.  Das  Pro- 
dukt war  flüssiges  Eisen,  das  aus  der  Birne  direkt  in  Eisenprismen 
(CoquiUen)  gegossen  wurde.  Während  wir  beim  Puddeln  als  Ergebnis 
Schweißeisen  kennen  lernten,  sehen  wir  hier  Flußeisen  entstehen. 
Dieser  Unterschied  ist  für  die  später  darzustellenden  Verhältnisse 
von  Wichtigkeit.  Denn  seit  der  Einführung  des  Bessemerprozesses 
beginnt  ein  fürchterlicher  Zurückdrängungskampf  des  Flußeisens 
gegen  das  Schweißeisen.  Wie  das  Alte  und  Unvollkommene  zähe 
an  der  Vergangenheit  festhält,  so  die  damaligen  industriellen  Werke, 
die  ihre  Puddelbetriebe  durch  das  neue  Verfahren  bedroht  sahen. 
Mit  Recht  sagt  Beck:  „Indem  sie  dasselbe  bemängelten,  handelten 
sie  zum  Teil  aus  Notwehr." 

Daher  war  es  von  besonderer  Bedeutung,  daß  Krupp  und  der 
Hoerder  Verein  die  ersten  waren,  die  das  Bessemerverfahren  in  ihren 
Betrieben  einführten,  und  bald  folgte  ein  Werk  dem  andern. 
Eine    Revolution   großen    Stils   in   der    Eisenindustrie   begann. 

Die  große  ökonomische  Tragweite  des  Bessemerverfahrens  lag 
in  der  Überwindung  derjenigen  Punkte,  die  wir  beim  Puddelver- 
fahren  als  den  Bedürfnissen  der  kapitalistischen  Produktionsweise 
nicht  genügend  erkannt  hatten.  Mit  der  Einführung  des  neuen 
Betriebssystems  nahm  die  Produktion  einen  riesigen  Umfang  an. 
Um  3  Tonnen  Roheisen  im  Puddelofen  in  Schweißeisen  zu  ver- 
wandeln, brauchte  man  24  Stunden,  um  aber  im  Convertor  dieselbe 
Menge  in  Flußeisen  überzuführen,  20  Minuten.  Als  Bessemer  im 
Jahre  1880  zum  Ehrenbürger  der  Stadt  London  gemacht  wurde, 
sagte  er  folgendes:  „Früher  hat  man  2—3  Wochen  gebraucht,  um 
Stahl  zu  machen,  heute  braucht  man  15 — 20  Minuten.  Früher 
kostete  die  Herstellung  der  Tonne  Stahl  50  Pfund,  heute  6—7  Pfund." 
Diese  Kürze  der  Zeit  verbilligte,  wie  schon  aus  den  Worten  Bessemers 
hervorgeht,  natürlich  das  Flußeisen  gegenüber  dem  Schweißeisen 
beträchtlich.  Dazu  kam,  daß  der  Prozeß  in  der  Bessemerbirne  durch- 
aus mechanisch  durchgeführt  werden  konnte.  Der  Wind  wird  durch 
große  Gebläsemaschinen  durchgetrieben.  Um  die  Birne  zu  kippen, 
hat  man  hydraulische  Vorrichtungen.  Die  Gießpfannen  werden  durch 
einen    Kran   herbeigefahren,   der   ebenfalls   hydraulisch   montiert  ist. 


16 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.        

Kurz,  die  menschliche  Arbeitskraft  tritt  vollständig  in  den  Hinter- 
grund, es  verbleibt  ihr  nur  die  Bedienung  der  Maschineneinrichtung, 
Der  Arbeiter  hat  nur  Aufsichtsfunktionen  und  nur  hie  und  da  greift 
er  leise  ein.  Ich  brauche  nicht  erst  zu  betonen,  daß  die  zu  diesem 
System  gehörigen  mechanischen  Einrichtungen  außerdem  die  Inves- 
tierung großer  Summen  stehenden  Kapitals  erforderlich  machen. 

Das  Bessemerverfahren  revolutionierte  die  Eisenindustrie,  aber 
es  hatte  für  Deutschland  doch  nicht  die  Bedeutung,  wie  für  Eng- 
land, und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  dieses  Verfahren  gekettet 
war  an  eine  bestimmte  Beschaffenheit  des  Rohstoffes.  Das  zu  ver- 
wendende Eisenerz  durfte  nämlich  nicht  phosphorreich  sein.  Der 
Phosphor  verbrannte  bei  dem  Verfahren  nicht  mit,  er  blieb  im  Eisen 
und  machte  es  kaltbrüchig.  Daher  konnte  man  nur  phosphorfreies 
oder  -armes  Eisenerz  verwenden,  d.  h.  ein  Eisen  unter  0,1  o/o  Phos- 
phor. An  diesem  aber  hatte  Deutschland  Mangel.  Es  war  daher 
auf  große  Eisenimporte  aus  dem  Auslande,  namentlich  aus  England 
und  Spanien  angewiesen.  Nur  wenige  deutsche  Hüttenwerke  konn- 
ten Flußeisen  aus  einheimischen  Erzen  erblasen.  Es  waren  dies 
die  Georgs-Marienhütte  in  Osnabrück,  die  Königin-Marienhütte  in 
Zwickau  und  die  Bayerische  Maxhütte.  Die  meisten  übrigen  Werke, 
die  Bessemer-Roheisen  schmolzen,  mußten  die  Erze  hierfür  aus  dem 
Auslande  beziehen.  So  der  Hoerder  Verein,  die  Dortmunder  Union, 
die  Gutehoffnungshütte,  die  Phönixhütte  und  andere.  Bei  der  eng- 
lischen Eisenindustrie  aber  lagen  die  Verhältnisse  ganz  anders.  Sie 
nahm  unter  der  Herrschaft  dieses  Betriebssystems  einen  gewaltigen 
Aufschwung. 

Im  Jahre  1863  entschloß  sich  der  Hoerder  Verein,  als  erstes 
Werk  in  Deutschland  die  Patente  Bessemers  zu  erwerben.  1864 
wurde  der  erste  Flußstahl  gegossen  und  1867/68  die  Anlage  eines 
neuen  Stahlwerkes  mit  3  Convertern  ä  6  Tonnen  Ladung  beschlossen. 
Damals  waren  die  Converter  noch  so  klein,  daß  sie  nur  6  Tonnen 
faßten.  Aber  welchen  riesigen  Fortschritt  gegenüber  der  Produk- 
tion im  Puddelofen  bedeutete  dies !  Heute  beträgt  auf  dem  Hoerder 
Werk  die  Beschickung  für  jede  Birne  18  Tonnen!  In  12  Stunden 
werden  30 — 33   Chargen  geblasen. 

Ich  möchte  in  diesem  Zusammenhang  noch  auf  die  zollpolitisch 
interessante  Tatsache  aufmerksam  machen,  daß  in  den  60er  Jahren, 
wo  sich  der  Produktionsprozeß  von  der  Beschränktheit  der  mensch- 
lichen Arbeitskraft  losmachte,  eine  freihändlerische  Ausgestaltung  des 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  17 

Zolltarifs  stattfand,  um  dem  zu  erwartenden  Massenabsatz  seinen 
Weg  zu   erleichtern. 

Dieses  System  sollte  aber  erst  am  Ende  der  70er  resp.  Anfang 
der  80er  Jahre  eine  große  Bedeutung  für  den  Hoerder  Verein  und  die 
ganze  rheinisch  -  westfälische  Eisenindustrie  gewinnen,  indem  es  für 
die  Verarbeitung  phosphorreichen  Roheisens  geeignet  gemacht  wurde. 
Diese  gewaltige  Änderung  knüpft  ebenfalls  an  den  Namen  eines 
Engländers  an,  nämlich  Gilchrist  Thomas'. 

Thomas  gehörte  jener  Kategorie  von  Menschen  an,  die  man 
„Theoretiker"  nennt.  Er  war  kein  sogenannter  Praktiker,  und  doch 
verdankt  ihm  die  Eisenindustrie  mehr  als  allen  eisenindustriellen 
Technikern  zusammengenommen.  Thomas  hatte  auf  der  Royal  School 
of  Mines  Hüttenkunde  studiert  und  sich  eingehend  mit  dem  Problem 
der  Entphosphorung  des  Eisens  beschäftigt.  Dieser  lästige  Bestand- 
teil machte  die  große  Menge  phosphorreicher  Erze  für  den  Bessemer- 
prozeß ungeeignet.  Die  technisch  gebildete  Welt  rang  förmlich  mit 
einer  Lösung  der  Frage,  wie  dem  abzuhelfen  sei.  Die  Möglichkeit  der 
Entphosphorung  stand  im  Mittelpunkte  des  Interesses.  Zahllose  Ver- 
suche verliefen  ohne  Resultat.  Die  Hoffnung,  zum  Ziele  zu  ge- 
langen, war  daher  stark  gesunken.  „Deshalb  war  es",  schreibt 
Beck,*)  „nicht  sehr  zu  verwundern,  als  im  Herbst  1878  bei  dem 
Meeting,  welches  das  Iron  Steel  Institute  gelegentlich  der  Weltaus- 
stellung in  Paris  abhielt,  ein  junger  Mann  von  28  Jahren,  zartem 
Körperbau,  unscheinbarem  Aussehen,  der  eine  praktische  Tätigkeit 
in  der  Eisenindustrie  nicht  aufzuweisen  hatte  und  mit  der  Behauptung 
auftrat,  die  Frage  der  Entphosphorung  durch  die  Herstellung  eines 
basischen  Futters  im  Convertor  zu  lösen,  dieser  nur  geringe  Be- 
achtung fand,  und  man  den  von  ihm  angemeldeten  Vortrag  wegen 
vorgerückter  Zeit  von  der  Tagesordnung  absetzte.  Dieser  junge 
Mann  war  Sydney  Gilchrist  Thomas,  und  worüber  er  berichten  wollte 
und  was  anzuhören  hervorragende  Eisenindustrielle  verschmähten, 
war  die  große  Erfindung,  die  bald  darauf  unter  dem  Namen  des 
Thomasverfahrens  die  größte  Sensation  erregte  und  einen  Triumph- 
zug durch  alle  industriellen  Länder  der  Erde  hielt,  so  rasch  und  er- 
folgreich wie  wohl  kaum  jemals  eine  anderer  technische  Erfindung." 

Diese  Erfindung,  die  bald  die  Welt  erobern  sollte,  beruhte  auf 
3  Grundgedanken.  1.  Der  Convertor  enthält  nicht  wie  beim  Besse- 
merprozeß   ein    kieselsaures,    sondern    ein   basisches    Futter.    Schon 


•)  a.  a.  O.  5.  Band  pag.  635. 

Stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I. 


18  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  HüttenvereLn. 

vor  Thomas  hatte  man  Kalk  benutzt,  aber  alle  Versuche,  die  Birne 
mit  Kalk  auszukleiden,  schlugen  fehl,  weil  der  Kalk  in  der  Hitze 
zerfiel.  Thomas  fand  nun  ein  Bindemittel  im  Ton.  Er  mischte 
Dolomit  mit  Ton,  und  mit  dieser  Mischung  versah  er  das  Innere 
des  Convertors.  Darin  liegt  seine  erste  große  Erfindung.  2.  Wäh- 
rend des  Prozesses  wird  die  Phosphorsäure  gebunden,  und  zwar  durch 
einen  Kalkzuschlag.  3.  Um  eine  Entphosphorung  eintreten  zu  lassen, 
muß  nach  der  Verbrennung  des  Kohlenstoffes  nachgeblasen  werden, 
denn  die  Phosphorsäure  verbindet  sich  mit  dem  Kalk  erst,  wenn 
sämtlicher  Kohlenstoff  aus  dem   Eisen  entfernt  ist. 

In  Deutschland  wurde  der  erste  durchschlagende  Erfolg  auf  zwei 
Hüttenwerken  erzielt,  nämlich  in  Hoerde  und  auf  den  Rheinischen 
Stahlwerken.  Beide  Werke  erwarben  gemeinschaftlich  die  Patente 
für  Deutschland.  Sie  wurden  für  dieses  gewissermaßen  die  General- 
agenten des  Erfinders.  Wollte  ein  deutsches  Werk  den  Thomasprozeß 
einführen,  so  hatte  es  sich  an  den  Hoerder  Verein  zu  wenden,  der 
dann  die  Benutzung  des  Thomaspatentes  gegen  eine  bestimmte  Ab- 
gabe gestattete.  Diese  bestand  in  einmaliger  Zahlung  von  90  000 
Mark,  wovon  Thomas  60  000  Mark,  die  Vertreter  30  000  Mark  er- 
hielten. Außerdem  in  einer  Abgabe  von  2V2  Mark  pro  Tonne  fertigen 
Stahls,  wovon  aber  IV2  Mark  solange  nicht  gezahlt  wurden,  bis  der 
angesammelte  Betrag  die  Anzahlungssumme  erreicht  hatte.  Von  dieser 
laufenden  Abgabe  erhielt  Thomas  IV2  Mark,  die  Agenten  1  Mark  pro 
Tonne.  In  einem  Jahre  nach  Erwerbung  der  Licenz  mußte  das 
unternehmende   Werk    gebaut   und   betriebsfähig   sein.*) 

Am  22.  September  1879  wurde  die  erste  Thomascharge  auf 
der  Hermannshütte  des  Hoerder  Vereins  erblasen,  an  demselben 
Tage  auch  auf  den  Rheinstahlwerken.  Bereits  im  nächsten  Jahre 
führten  die  große  Mehrzahl  der  deutschen  und  auch  der  öster- 
reichischen Werke,  für  die  der  Hoerder  Verein  allein  die  General- 
vertretung hatte,  den  Thomasprozeß  bei  sich  ein.  Aus  dem  Ge- 
samtv'erkaufe  der  Licenzen  fiel  ihm  bis  zum  19.  April  1894,  an  welchem 
Tage  das  Patent  ablief,  ein  Reinertrag  von  3  414105  Mark    zu. 

Die  Einführung  einer  für  die  deutsche  Eisenindustrie  so  wichtigen 
Erfindung  hatte  nun  zur  Folge  eine  Verschiebung  der  internatio- 
nalen Konkurrenzverhältnisse.  Das  Bessemerverfahren 
hatte  für  England  den  größten  Vorteil  gebracht,  denn  dieser  Prozeß 
knüpfte,   wie   wir   sahen,   an   ein   phosphorarmes    Eisenerz  an,   das 


*)  Siehe  Beck  a.  a.  O.   Band  5,  pag.  9Q7. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  19 

England  in  großen  Massen  besitzt.  Das  Thomasverfahren  aber  ist 
gebunden  an  ein  phosphorreiches  Eisenerz.  Je  stärker  der  Phos- 
phorgehalt, desto  besser  verläuft  der  Prozeß,  denn  die  für  denselben 
nötige  Wärme  wird  durch  die  Verbrennung  des  Phosphors  geliefert. 
Derselbe  dient  gleichsam  als  Heizmaterial.  Daher  ist  z.  B.  das  llseder 
Roheisen,  das  3  o/o  Phosphor  enthält,  das  Ideal  aller  Eisenhütten- 
Icute,  die  mit  dem  basischen  Prozeß  arbeiten.  Da  nun  in  deutscher 
Erde  große  Reichtümer  stark  phosphorhaltiger  Eisenerze  schlummern, 
die  bis  1879  nur  einen  minimalen  Wert  besaßen,  so  mußte,  da  nun- 
mehr Schmiedeeisen  durch  den  Thomasprozeß  billiger  hergestellt 
werden  konnte  als  durch  den  Bessemerprozeß,  diese  Erfindung  und 
ihre  Nutzbarmachung  in  der  Praxis  der  deutschen  Eisenindustrie 
auf  dem  Eisenmarkte  einen  ungeheuren  Vorsprung  garantieren.  Seit 
Beginn  der  80er  Jahre  ist  daher  sowohl  die  Förderung  von  Eisen- 
erzen, die  nunmehr  gerade  infolge  ihres  Phosphorgehaltes  einen 
großen  Wert  bekamen,  als  auch  die  Erzeugung  von  Roheisen  in 
ein  stark  beschleunigtes  Tempo  übergetreten:  Jähes,  gebirgsartiges 
Ansteigen  der  bis  dahin  sich  nur  sachte  hebenden,  der  Horizontalen 
nahebleibenden  Kurve.  Nur  ein  Land  kennt  eine  noch  stürmischere, 
jähere,  und  infolgedessen  noch  stärker  durchbrochene  Kurvenbewe- 
gung   der    Eisenproduktion:    Nordamerika. 

Durch  seine  Erfindung  hat  Thomas  seinem  Vaterlande  einen 
schlechten  Dienst  erwiesen.  Er  hat  die  Konkurrenzfähigkeit  Eng- 
lands auf  dem  Eisenmarkte  der  Welt  zugunsten  Deutschlands  herab- 
gedrückt. Er  war,  landläufig  gesprochen,  ein  schlechter  Patriot.  Er 
hat  die  Stimmung  derer  gefördert,  die  an  den  gehässigen  Beziehungen 
großer  Kulturnationen  ein  Interesse  haben.  Die  Disharmonien 
zwischen  Deutschland  und  England  auf  dem  Weltmarkte  haben  auf 
dem  Gebiete  der  Stahlfabrikation  durch  Thomas  eine  Verschärfung 
gefunden. 

Wir  haben  im  vorhergehenden  zwei  prinzipiell 
von  einander  verschiedene  Betriebssysteme  kennen 
gelernt,  von  denen  das  erste  in  die  Morgenperiode, 
das  zweite  aber  in  die  Mittagszeit  der  kapitalisti- 
schen Entwicklungder  westfälischen  Eisenindustrie 
hineinfällt.  Geradezu  typisch  zeigt  sich  dies  in  der 
Geschichte  des  Hoerder  Bergwerks-  und  Hütten- 
vereins. Derganze  Betriebdesselben  warursprüng- 
lich aufgebaut  auf  der  Puddelarbeit.  Dieselbe 
lieferte  kleine   Massen   Schmiedeeisen   und  war  ab- 

2* 


20 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

hängig  von  der  Geschicklichkeit  der  Arbeiter.  In- 
folgedessen war  die  Güte  des  Fabrikates  ständigem 
Wechsel  unterworfen.  Sie  ist  heute  auf  dem  Hoerder 
Verein  verschwunden.  Auf  anderen  Hütten  steht  sie, 
wie  wir  sehen  werden,  auf  dem  Aussterbeetat.  Sie 
wird  teilweise  am  Leben  erhalten  durch  die  Rück- 
ständigkeit des  Schmiedehand  Werks.  Der  Dorf- 
schmied kann,  infolge  sein  er  üb  erlebte  nTechnik,  das 
Flußeisen  nicht  so  gut  bearbeiten  wie  das  Schweiß- 
eisenundbleibtdaherdem  letzterentreu.  Daszweite 
Betriebssystem  ist  das  B  ir  n  e  n  ve  r  f  a  h  r  e  n  ,  das  von 
dem  Hoerder  Verein  als  der  ersten  Aktiengesellschaft 
1863  erworben  und  eingeführt  wurde.  Das  Flußeisen 
beginnt  nunmehr  das  Schweißeisen  allmählich  zu 
verdrängen.  Die  Einführung  dieses  Verfahrens  be- 
deutete nicht  nur  für  den  Hoerder  Verein,  sondern 
für  die  meisten  deutschen  Eisenwerke  eine  ver- 
mehrte Abhängigkeit  vom  Auslande.  Der  Import  von 
spanischen  und  skandinavischen  Erzen  nimmt  ge- 
waltig zu.  AberauchdiesesSystemerlangterstdurch 
eine  Spielart  für  Deutschland  allgemeine  Anwen- 
dung: durch  das  Thomas  verfahren.  Es  bedeutete  den 
größten  Fortschritt,  den  die  deutsche  Eisenin- 
dustrie gemacht  hat.  Auch  hier  ging  bei  der  Ein- 
führung Hoerde  bahnbrechend  voran  und  sicherte  sich 
durch  Übernahme  der  Patente  Deutschlands  und 
Österreichs  einen  Gewinn  von  3V2  Millionen  Mark. 
Durch  das  Bessemer-  sowohl,  als  auch  durch  das 
Thomasverfahren  wurde  die  Herstellung  schmied- 
baren Eisens  erstim  großen  Maßstabe  möglich.  Jetzt 
erst  stand  einer  Massenfabrikation  und  einem  un- 
geheuren Aufschwung  der  Eisenindustrie  nicht  mehr 
die  Abhängigkeit  von  den  menschlichen  Arbeits- 
kräften im  Wege.  Ein  System  lebloser  Mechanismen 
schiebt  sich  an  Stelle  der  alten,  auf  Handfertigkeit 
beruhenden  Arbeit.  Damit  wird  eine  Entwicklung 
eingeleitet,  die  sämtliche  übrigen  Abteilungen  des 
Eisen  hüttenbetriebes  ergreifen  sollte,  ich  meine, 
die  immer  größere  Vervollkommnung  des  mechani- 
schen Betriebes,  die  Ersetzung  des  ungelernten  Ar- 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  21 

beitersdurc  h  die  Maschine, unddamitimZusammen- 
hange  das  immer  stärkere  Hervortreten  des  gelern- 
ten und  qualifizierten  Arbeiters  innerhalb  der  me- 
chanischen   Produktion. 


Wir  werden  nun  die  kapitalistischen  Expansions-  und  Mechani- 
sierungstendenz näher  zu  verfolgen  haben 

1.  beim    Hochofenbetrieb, 

2.  im  Stahlwerk, 

3.  im   Walzwerk. 

Als  der  Schweißeisenbetrieb  noch  die  Grundlage  der  gesamten 
Produktion  bildete,  und  die  eine  Massenfabrikation  ermöglichende 
Betriebsform  noch  unbekannt  war,  verspürte  doch  der  Hoerder 
Verein  das  Sehnen,  seine  Produktion  zu  vergrößern.  Denn  die  Ver- 
mehrung der  Erzeugung  ist  jedem  kapitalistischen  Betriebe  Lebens- 
bedürfnis. Diese  Vermehrung  konnte  auf  zweierlei  Weise  vor  sich 
gehen.  Einmal  durch  Angliederung  anderer  Werke,  und  dann  durch 
Verbesserung,  vor  allen  Dingen  Vergrößerung  der  Produktionsmittel. 
Den  ersten  Weg  beschritt  der  Hoerder  Verein  ohne,  den  letzteren 
mit  Erfolg.  Im  Jahre  1854/55  trat  er  in  Unterhandlung  mit  dem 
Besitzer  der  Beckeroder  Eisenhütte  im  damaligen  Königreich  Han- 
nover. Die  Hütte  sollte  zu  einem  Preise  von  945  000  Mark  er- 
worben werden,  dazu  ein  in  der  Nähe  gelegenes  Kohlenfeld.  In  dem 
Geschäftsbericht  des  genannten  Jahres  heißt  es:  „Dieselben  Gründe, 
die  einer  Konzentration  in  Hoerde  widerraten,  sprechen  der  Erweiterung 
des  Unternehmens  auf  ein  neues,  bisher  unbebautes  Feld  das  Wort 
und  lassen  auf  das  für  eine  solche  Erweiterung  zu  verwendende 
Kapital  eine  Rentabilität  in  Aussicht  nehmen,  welche  hinter  der 
Rente  des  heutigen  Unternehmens  schwerlich  zurückstehen  dürfte." 
Aber  die  geplante  Erweiterung  konnte  nicht  realisiert  werden,  weil 
die  Hannoversche  Regierung  im  letzten  Stadium  der  Verhandlungen 
dem  Verein  das  Korporationsrecht  in  Hannover  nicht  erteilte,  son- 
dern die  Bildung  einer  selbständigen  Gesellschaft  für  das  genannte 
Werk  verlangte.  Dieser  Weg  war  den  Unternehmern  also  abge- 
schnitten. Erst  gegen  Ende  der  90er  Jahre  wurde  er,  wie  wir  noch 
sehen  werden,  wieder  betreten. 

So  war  denn  der  Hoerder  Verein  zur  Vermehrung  seiner  Pro- 
duktion, sowie  zur  Erhöhung  des  Profits  auf  die  Vervollkommnung 
seiner  Produktionsmittel  angewiesen.  Dies  ist  aber  in  den  meisten 
Fällen  gleichbedeutend  mit  Automatisierung  des  Betriebes.   Auch  hier 


22  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

reflektiert  das  Bild  im  kleinen  die  Züge,  die  an  der  gesamten  Groß- 
eisenindustrie charakteristisch  sind. 

Beginnen  wir  mit  den  Hochöfen.  Die  Aufgabe  derselben  be- 
steht in  möglichst  massenhafter  Produktion  von  Roheisen.  Als  der 
erste  Hochofen  des  Hoerder  Vereins  am  26.  Februar  1854  angeblasen 
wurde,  war  an  eine  Massenerzeugung  noch  nicht  zu  denken.  Das  war 
ein  kleiner  Ofen  von  16,2  m  Höhe  und  4,5  m  Kohlensackweite.  Die 
Tagesproduktion  belief  sich  bis  auf  20  Tonnen.  Diese  geringe  Masse 
war  das  Maximum.  Ebenso  gering  war  die  Leistungsfähigkeit  der 
in  den  folgenden  Jahren  in  denselben  Dimensionen  erbauten  Öfen. 
In  der  Gründerperiode,  als  die  Produktion  der  Hochöfen  wegen 
der  schlechten  Beschaffenheit  des  Koks  und  der  vermehrten  Pro- 
duktion von  Bessemereisen  zurückging,  schritt  man  dann  zum  Bau 
zweier  neuer  Öfen  mit  eigenen  Gebläsemaschinen  und  Kesseln.  Diese 
Hochöfen  waren  bereits  18,5  m  hoch  und  hatten  eine  Kohlensack- 
weite von  5,5  m.  Die  Tagesproduktion  stieg  auf  45  Tonnen.  Sie 
betrug  also  das  Doppelte  der  Produktion  der  alten  Öfen.  Im  An- 
fang der  80er  Jahre,  als  sich  bei  dem  Hoerder  Verein  die  große 
technische  Neuorganisation  vollzog,  als  ein  nach  großen  Roheisen- 
massen verlangendes  Thomasstahlwerk  fertig  war,  errichtete  der  Hoer- 
der Verein  an  Stelle  der  alten  8  kleinen  4  neue,  große  Hochöfen. 
„In  der  gründlichen  Ausgestaltung  unseres  Hochofenbetriebes  er- 
blicken wir  die  wesentlichste  Grundlage  einer  gedeihlichen  Entwick- 
lung unseres  Unternehmens  .  .  ."  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht 
über  das  Jahr  1883/84.  Diese  Hochöfen  hatten  eine  Höhe  von 
19,5  m  und  eine  Kohlensackweite  von  6  m.  Die  Tagesleistung  stieg 
um  mehr  als  das  Doppelte.  Sie  betrug  100—120  Tonnen.  Diese 
Verbesserung  bedeutete  gleichzeitig  eine  größere  Mechanisierung  des 
Hochofenbetriebes,  und  damit  Hand  in  Hand  gehend,  eine  Vermin- 
derung der  Produktionskosten.  Diese  äußerte  sich  einmal  in  der  Ab- 
nahme des  Koksverbrauches  bei  der  Roheisenherstellung,  und  außer- 
dem in  der  Ersparung  von  Löhnen.  In  dem  Geschäftsbericht  über 
das  Jahr  1884/85  wird  darüber  folgendes  mitgeteilt:  „Die  Konzen- 
tration des  Hochofenbetriebes  auf  wenige,  aber  größere  und  besser 
ausgerichtete  Öfen  hat,  abgesehen  von  anderen  Vorteilen,  zur  Folge 
gehabt,  daß  trotz  der  um  mehr  als  5  Mill.  kg  gesteigerten  Pro- 
duktion, die  beim  Hochofenbetriebe  verausgabten  Arbeitslöhne  ins- 
gesamt um  30  000  Mark  niedriger  sich  beziffert  haben  als  im  Jahre 
1883/84,  obschon  der  Durchschnittslohn  des  einzelnen  Arbeiters  in- 
folge der  vermehrten  Leistung  gestiegen  ist."    Aber  damit  war  die 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  23 


Möglichkeit  einer  höheren  Leistung  noch  nicht  erschöpft.  Anfang  der 
90er  Jahre  kamen  neue  Hochöfen  in  Betrieb,  die  22  m  hoch  waren 
und  eine  Tagesproduktion  von  180—190  Tonnen  aufwiesen,  das  heißt 
das  mehr  als  Neunfache  der  ursprünglichen  Erzeugung. 

Um  die  Produktion  an  Roheisen  noch  mehr  zu  vergrößern, 
kaufte  der  Hoerder  Verein  1898  für  1,2  Millionen  Mark  die  von 
Bornsche  Hochofenanlage  zu  Dortmund.  Dieselbe  besteht  aus  zwei 
Hochöfen  mit  einer  Jahresproduktion  von  etwa  100  000  Tonnen. 
Heute  hat  das  Hoerder  Werk  6  große  Hochöfen.  Es  ist  für  den 
dauernden  Betrieb  von  5  Hochöfen  eingerichtet.  Die  Jahresproduk- 
tion betrug  1902/03  324  791  Tonnen  Roheisen.  Davon  waren  nicht 
weniger  als  310  055  Tonnen  Thomaseisen.  Dazu  kommt  noch  die 
Produktion  der  oben  erwähnten  Dortmunder  Anlage,  von  der  aber  im 
genannten  Geschäftsjahre,  vom  1.  April  bis  30.  Juni  nur  ein  Ofen 
in  Betrieb  war,  der  10  605  Tonnen  Roheisen  produzierte. 

Das  sind  außerordentlich  lehrreiche  Details,  die  das  Expansions- 
streben eines  großen  kapitalistischen  Betriebes  besser  beleuchten, 
als  allgemeine  Schilderungen  es  zu  tun  vermögen. 

Hand  in  Hand  damit  geht  eine  möglichste  Mechanisierung  des 
Betriebes.  Der  Arbeiter  wird  durch  die  Maschine  ersetzt.  Wo  das 
nicht  möglich  ist,  wird  vielfach  seine  Arbeit  durch  besondere  Apparate 
kontrolliert. 

Als  in  den  60er  Jahren  die  Lürmannschen  Formen,  die  einen 
kontinuierlichen  Abfluß  der  Schlacke  ermöglichen,  eingeführt  wurden, 
wies  man  zu  ihrer  Empfehlung  nicht  bloß  auf  die  Möglichkeit  einer 
Steigerung  der  Produktion  hin,  sondern  auch  darauf,  daß  die  Einfüh- 
rung eine  Verminderung  der  bisherigen  Arbeiterzahl  um  ein  Drittel  er- 
laube und  daß  bei  den  Übrigbleibenden  ein  geringerer  Grad  von  Ge- 
schicklichkeit notwendig  sei.*)  Überhaupt  erfordert  die  Bedienung 
des  Hochofens  heute  fast  durchgehend  ungelernte  Arbeiter,  die  den 
Transport  der  Stoffe  besorgen  usw. 

Diese  Tendenz  der  Ausschaltung  des  Lebendigen  mit  dem  Wachs- 
tum der  Produktion  beim  Hochofenprozeß  ist  noch  nicht  am  Ende 
angelangt.  In  letzter  Zeit  kann  man  amerikanische  Beschickungs- 
vorrichtungen bereits  bei  einzelnen  Hochöfen  sehen.  Eine  solche 
Einrichtung  besteht  zwar  nicht  auf  dem  Hoerder  Werk,  aber  auf  einem 
in  der  Nähe  gelegenen  Hochofen  des  Stahlwerks  Hösch  in  Dortmund. 


•)  Siehe:  Ludwig  Sinzheimer:  Der  volkswirtschaftliche  Charakter  der  tech- 
nischen Entwicklung  des  deutschen  Eisenhüttengewerbes,  München  1892,  p.  34 


24  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

Der  Fördervvagen  wird  durch  elektrische  Kraft  unter  einem  Winkel 
von  ca.  50"^  bis  an  den  oberen  Teil  des  Hochofens  gezogen.  Dort 
angekommen,  kippt  er  selbsttätig  um,  verweilt  einen  Augenblick, 
wird  dann  selbsttätig  umgesteuert,  so  daß  er  wieder  zurückläuft. 
Dadurch  werden  nach  den  Angaben  meines  Gewährsmannes  6 — 8 
Arbeiter  erspart,  die  sonst  an  dem  Förderwagen  beschäftigt  sind. 
Nur  ein  Arbeiter  ist  nötig,  und  zwar  zum  Aufziehen  der  Glocke.  Von 
dieser  Glocke  fällt  die  Beschickung  in  den  Kegel.  Das  Wesent- 
liche dieser  Einrichtung  besteht  darin,  daß  das  Hineinschütten  von 
Kohlen  und  Eisenerz  unter  Luftabschluß  stattfindet.  Den  Gichtgasen 
wird  die  Flucht  in  die  Luft  versperrt. 

Über  diese  Einrichtung  sagt  ein  Fachmann,  Wedding,  fol- 
gendes :*) 

„Mit  Recht  wird  allgemein  angestrebt,  dem  Hochofen  mecha- 
nische Beschickungsvorrichtungen  anzupassen.  Eine  solche  Vorrich- 
tung macht  den  Betriebsleiter  unabhängig  von  der  Trägheit  und  Un- 
aufmerksamkeit ungeschulter  Arbeiter.  Je  mehr  Mangel  an  geschul- 
ten Arbeitern  eintritt,  je  mehr  man  darauf  angewiesen  ist,  so  rohe 
Arbeiten,  wie  sie  das  Einfüllen  der  Grundstoffe  in  die  Gicht  des 
Hochofens  bedingt,  ungeübten  Arbeitern  zu  überlassen,  um  so  mehr 
werden  sich  auch  deren  schlechte  Eigenschaften  geltend  machen.  Denn 
je  weniger  ein  Arbeiter  Zweck  und  Einfluß  seiner  Arbeiten  kennt, 
um  so  weniger  Aufmerksamkeit  wird  er  darauf  verwenden.  Nun 
ist  die  Arbeit  des  Beschickens  eines  Hochofens  auf  der  Gicht  äußerst 
einfach.  Es  gehört  nur  dazu,  daß  die  den  Arbeitern  zugewogenen 
und  zugeförderten  Mengen  von  Stoffen  rechtzeitig  und  an  der  rich- 
tigen Stelle  in  den  Trichter  des  Ofens  geschüttet  werden,  um  beim 
Senken  des  Kegels  oder  beim  Heben  der  Glocke  an  die  geeig- 
nete Stelle  des  Hochofens  zu  gelangen.  Bekanntlich  sind  zwei  wich- 
tige Regeln  nötig,  nämlich:  Die  Brennstoffe  mehr  in  die  Mitte  als 
die  Erze,  die  kleinen  Erze  an  die  Seite,  die  großen  Stücke  in  die 
Mitte  zu  bringen  und  ferner  alles  gleichmäßig,  d.  h.  ringförmig  in  dem 
Ofen  zu  verteilen.  Das  ist  auch  von  ungeübten  Arbeitern  leicht 
zu  erfüllen,  wenn  die  Vorrichtungen  richtig  getroffen  sind;  denn  es 
handelt  sich  dann  nur  darum,  daß  die  Arbeiter  die  Stoffe  gleichmäßig 
um  den  Schütttrichter  verteilen  und  daß  sie  rechtzeitig  das  Auf- 
füllen besorgen  .  .  .  Aber  die  Arbeit  auf  der  Gicht  des  Hochofens 
ist  sehr  lästig.    Wind  und  Wetter,  der  Kälte  und  der  Hitze  sind  die 


*)  Verhandlungen  des  Vereins  zur  Beförderung  des  Gewerbefleißes  1900 
pag.    325. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  25 


Arbeiter  dort  besonders  ausgesetzt  und  daher  kommen  leicht  Fehler 
vor.  Es  ist  daher  nichts  gerechtfertigter,  als  diese  Handarbeit  durch 
Maschinen  entbehrlich  zu  machen."  Wir  sehen,  wie  auch  hier  das 
soziale  Moment  bei  der  Einführung  technischer  Neuerungen  eine 
Rolle  spielt.  Wie  lange  der  Hocider  Verein  sich  der  praktischen 
Verwertung  dieser  Erwägungen  wird  entziehen  können,  steht  dahin. 

Die  Anlage  der  Hochöfen  ist  für  die  Hermannshütte  keine  gün- 
stige, weil  sie  zu  weit  voneinander  entfernt  liegen.  Ein  pünktliches 
Handinhandarbeiten  zwischen  den  Hochöfen  und  den  Convertern 
war  größtenteils  nicht  möglich.  Diese  Abhängigkeit  des  Stahlwerk- 
betriebes vom  Hochofenbetriebe  wurde  nun  außerordentlich  herab- 
gemindert durch  die  1890  zuerst  auf  dem  Kontinent  in  Hoerde  er- 
folgte Erbauung  eines  Roheisenmischers.  „Es  war",  heißt  es  in  der 
Festschrift,  „längst  das  Bestreben  der  Hüttentechniker  gewesen,  das 
Umschmelzen  des  Roheisens  dadurch  zu  vermeiden,  daß  man  dasselbe 
in  flüssigem  Zustande  vom  Hochofen  den  Convertern  zuführte.  Auch 
in  Hoerde  war  dieses  Verfahren  schon  in  den  70er  Jahren  beim- 
Bessemerprozeß  eingeführt  worden.  Die  Sache  war  aber  auf  die 
Dauer  daran  gescheitert,  daß  bei  der  großen  Entfernung  ein  pünkt- 
liches Handinhandarbeiten  nicht  immer  möglich  war.  Nach  der  Ein- 
führung des  Thomasverfahrens  wurde  der  Betrieb  in  dieser  Weise 
wiederum  aufgenommen.  Derselbe  gelangte  aber  erst  zur  Vollkom- 
menheit, als  ein  Roheisenmischer  eingeschaltet  wurde  .  .  .  Der  Hör- 
der  Verein  kaufte  die  Patente  für  Europa  und  verbesserte  das  Ver- 
fahren, indem  er  für  die  Erfindung,  durch  Mischen  von  schwefel- 
haltigen mit  manganreichem  Roheisen  den  Schwefelgehalt  auf  ein 
Minimum  zu  reduzieren,  Patente  erwarb."  Das  Verfahren,  durch  den 
Roheisenmischer  den  für  den  Thomasprozeß  unerwünschten 
Schwefel  aus  dem  Roheisen  vollständig  auszuschalten,  verdankt  die 
Eisenhüttenindustrie  dem   Hoerder  Verein. 

Eine  stärkere  Ausdehnung  des  mechanischen  Betriebes  läßt  sich 
nun  aber  noch  verschiedentlich  weiter  verfolgen.  Sie  zeigt  sich  vor 
allem  auch  bei  den  Siemens-Martinöfen.  Das  Charakteristische 
dieser  Öfen  besteht  darin,  daß  sie  nicht  wie  die  Puddelöfen  mit 
festem,  sondern  mit  gasförmigem  Brennstoff  geheizt  werden.  Es  sind 
Flammöfen.  Die  sogenannten  Siemensschen  Generatoren  verbinden 
eine  weit  über  das  natürliche  Maß  gesteigerte  Verbrennungstempe- 
ratur mit  einer  wesentlichen  Ersparnis  an  Brennstoff.  Martin  kon- 
struierte nun  Öfen,  in  denen  das  Eisen  durch  diese  Gase  geschmolzen 
wird.     Zu   Beginn  der   Hitze  schmilzt  man  eine  zwischen   5— 50 o/o 


26  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

des  ganzen  Einsatzes  wechselnde  Menge  Roheisen  nieder  und  be- 
schickt dann  den  Ofen  mit  Abfällen  aus  den  mechanischen  Werk- 
stätten etc.  Die  Abfälle  werden  gleichsam  in  dem  Roheisenbad 
aufgelöst.  Auf  diese  Weise  bekommt  man  ein  fast  chemisch  reines 
Flußeisen,  dem  dann  wieder  Kohlenstoff  zugesetzt  wird.  Infolgedessen 
kann  man  ein  Eisen  von  vorgeschriebener  Zusammensetzung  mit 
größter  Treffsicherheit  erzielen,  ökonomisch  ist  dieser  Prozeß  von 
so  hoher  Bedeutung,  weil  durch  ihn  die  außerordentlich  großen 
Mengen  alten  Eisens  und  die  zahlreichen  Eisenabfälle  eines  großen 
Werkes  vorteilhaft  verwandt  werden  können.  Man  nennt  dieses 
Material  Schrot.  Solchen  Schrot  liefert  einmal  der  eigene  Betrieb 
selbst,  außerdem  aber  wird  altes  Eisen  von  Händlern  an  die  Werke 
verkauft.  Es  besteht  übrigens  auch  ein  Schrotverband,  der  nötigen- 
falls den  Bedarf  der  Werke  deckt.  Der  Hoerder  Verein  hat  heute 
6  solcher  Martinöfen  in  Betrieb,  im  ganzen  hat  er  9.  Sie  beruhen  auf 
dem  basischen  Prozeß.  Das  Ausbringen  beträgt  18  Tonnen.  In 
12  Stunden  können  3 — 4  Chargen  gemacht  werden.  Diese  Öfen 
stellen  im  Monat  10  000  Tonnen  Siemens-Martinstahlblöcke  her.  Das 
ist  für  deutsche  Verhältnisse  eine  gute  Leistung.  Trotzdem  bleibt  sie 
bedeutend  hinter  der  der  amerikanischen  Öfen  zurück.  Nach  den 
Mitteilungen  Weddings  über  das  Eisenhüttenwesen  auf  der  Pariser 
Weltausstellung*)  haben  die  Martinöfen  in  Amerika  bereits  einen 
Einsatz  von  über  100  Tonnen.  Sie  sind  allerdings  als  Kippöfen  ein- 
gerichtet. 

Was  die  Technik  des  Martinofenprozesses  anbelangt,  so  liegt 
das  Ideal  der  Zukunft  in  seiner  kontinuierlichen  Ausgestaltung,  d.  h. 
in  seiner  ununterbrochenen  Fortführung.  Das  ist  bis  jetzt  in  Deutsch- 
land zu  verwirklichen  nicht  gelungen.  Hingegen  hat  man  in 
Hoerde  einen  anderen  Fortschritt,  der  die  mechanische  Aus- 
gestaltung der  Beschickung  betrifft,  realisiert.  Die  Martin- 
öfen werden  teilweise  bedient  durch  einen  elektrisch  angetrie- 
benen Chargierkran.  Der  Schrot  und  das  Roheisen  werden  auf 
einer  Chargiermulde  durch  einen  Motor  in  den  glühenden  Ofen 
hineingeschoben  und  entleert.  Auf  der  Maschine  steht  ein  ein- 
ziger Mann,  der  nur  die  Hebel  zu  dirigieren  hat,  während 
alles  übrige  die  Lademaschine  rein  automatisch  besorgt.  Wed- 
ding  beschreibt   die    Tätigkeit   dieser   elektrisch    betriebenen    Lade- 


*)  Verhandlungen    des    Vereins    zur    Beförderung    des    Gewerbefleißes 
Berlin   1000. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  27 

maschine  für  Martinöfen,  zu  der  nur  ein  einziger  Arbeiter  gebraucht 
wird,  der  in  keiner  Weise  unter  der  Hitze  zu  leiden  hat,  folgender- 
maßen:*) Die  Maschine  besteht  aus  4  Motoren.  Der  eine  Motor 
dient  zur  Bewegung  des  Wagens  vor  dem  Ofen  entlang,  um  die  mit 
Eisen  gefüllten  Behälter  (Mulden  oder  Löffel,  welche  je  1  Tonne 
Material  fassen)  zu  greifen  und  zum  Ofen  zu  bringen,  darauf  leer 
wieder  zurückzuführen.  Der  zweite  Motor  hebt  den  Löffel  bei  der 
Einführung  in  den  Ofen,  um  die  Sohle  nicht  zu  beschädigen  und 
um  locker  über  das  noch  nicht  eingeschmolzene  Material  im  Ofen 
fortzukommen.  Der  dritte  Motor  schiebt  den  Löffel  vor  und  zieht 
ihn  nach  der  Entleerung  aus  dem  Ofen  zurück.  Der  vierte  kleinste 
Motor  dreht  ihn  im  Ofen  um   180^  und  entleert  ihn  so. 

Diese  Einrichtung  steckt  auf  der  Hermannshütte  noch  in  den 
ersten  Anfängen.  Natürlich  ist  eine  einzige  Lademaschine  zur  Be- 
schickung von  6  Öfen  nicht  ausreichend,  und  der  menschlichen  Ar- 
beit bleibt  hier  noch  das  meiste  zu  tun  übrig.  Die  Arbeit  am  Martin- 
ofen aber  gehört  zu  den  schwersten,  die  es  gibt.  Die  Arbeiter  leiden 
ungeheuer  unter  der  Glut,  welche  aus  der  geöffneten  Arbeitstür 
des  auf  mehr  als  1500°  erhitzten  Ofens  ausströmt.  Daher  halten  sie 
es  nicht  viele  Jahre  aus:  sie  gehen  zu  anderen  Tätigkeiten  über 
oder  sterben  eher.  Mit  10  Jahren  sind  sie  verbraucht.  Die  ungeheure 
Hitze,  die  bei  der  Beschickung  des  Ofens  ausstrahlt,  bedingt,  daß 
die  Arbeiter  nur  ganz  leicht  bekleidet  sind.  An  den  blauen  Schweiß- 
kitteln erkennt  man  den  Feuermann.  Der  wie  Wasser  über  den 
Körper  rieselnde  Schweiß  beizt  die  Farbe  teilweise  heraus.  Auf  den 
Kleidern  erscheinen  Schweißblumen.  Haut  und  Haare  auf  dem  Ge- 
sicht verbrennen,  ebenso  auf  den  Armen.  Infolgedessen  bedeutet 
es  einen  ungeheuren  technisch-sozialen  Fortschritt,  die  Beschickung 
des  Ofens  einer  maschinellen  Vorrichtung  anzuvertrauen.  Natür- 
lich liegt  die  Einrichtung  auch  im  Interesse  der  Produktion,  denn  bei 
der  mechanischen  Beschickung  leidet  der  Ofen  und  die  Arbeit  des- 
selben nicht  so  unter  dem  Eintritt  der  kalten  Luft  von  außen  durch 
die  geöffnete  Arbeitstür,  andererseits  spart  man  mindestens  zwei 
Stunden  Ladezeit,  eine  Anzahl  von  Arbeitern  und  zudem  ist  die 
Charge  eine  größere.  Für  uns  überwiegt  natürlich  die  Schwere  des 
sozialen  Moments.  Die  bedeutende  Abkürzung  der  Zeit,  die  der 
Arbeiter  unmittelbar  vor  dem  Ofen  stehen  muß,  dürfte  für  diesen 


*)  Sitzungsberichte  des  Vereins  zur  Beförderung  des  Gewerbefleißes  1895 
pag.  251. 


28  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

gleichbedeutend  mit  einer  Lebensverlängerung  sein.  Auf  dem  Hoerder 
Verein  hat  man  allerdings  erst  eine  automatische  Beschickungsvor- 
richtung, aber  2  neue  bereits  bestellt.  Die  Folge  dieser  Mechani- 
sierung des  Produktionsprozesses  ist  w^ieder  das  Freiwerden  von 
Arbeitern.  Vor  dem  Aufkommen  der  Chargierkräne  waren  6—8 
Arbeiter  für  die  Bedienung  der  Martinöfen  nötig.  Heute  sind  z.  B. 
auf  der  Dortmunder  Union,  einem  in  technischer  Beziehung  vor- 
züglich ausgestatteten  Unternehmen,  nur  noch  2  Mann  übrig  geblieben. 
Damit  Hand  in  Hand  dürfte  dann  eine  Erniedrigung  der  Löhne  gehen. 
Die  Martinofenarbeiter  waren  ehemals  die  bestbezahltesten  Arbeiter. 
Sie  verdienten  6 — 12  Mark  pro  Schicht.  Durch  die  mechanische  Be- 
schickungsvorrichtung wurde  ihnen  die  schwerste  Arbeit  abgenommen 
und   damit   ein    Grund    gegeben,    ihren    Lohn    zu   reduzieren. 

Nicht  überall  freilich  läßt  sich  die  Arbeit  des  Menschen  in  heißer 
Temperatur  durch  mechanische  Einrichtungen  ersetzen.  In  jedem 
Walzwerke  bleiben  immer  noch  eine  Anzahl  Arbeiter,  trotz  aller 
automatischen  Vorrichtungen  übrig.  In  Hoerde  hat  man  im  Schienen- 
walzwerk infolgedessen  eine  intermittierende  Arbeitszeit  eingeführt. 
Eine  Gruppe  von  Arbeitern  walzt  20  Stück  Schienen.  Dann  tritt 
für  sie  eine  Pause  ein.  In  derselben  können  sie  sich  erfrischen.  Zu 
diesem  Zwecke  steht  ihnen  Eiswasser  mit  Rum  zur  freien  Ver- 
fügung. Währenddessen  tritt  die  zweite  Gruppe  in  Tätigkeit,  um 
dann  wieder  von  der  ersten  Gruppe  abgelöst  zu  werden.  Das  Walzen 
von  20  Stück  dauert  ca.  V2  Stunde.  Diese  Einrichtung  ist  keineswegs 
auf  allen   Walzwerken   eingeführt. 

Ein  gutes  Beispiel,  wie  die  Automatisierung  ökonomisch  und 
sozial  wirkt,  bietet  das  Blockwalzwerk  des  Hoerder  Vereins.  Dieses 
Werk  hat  eine  Monatsleistung  von  28  000  Tonnen.  Es  werden  in 
demselben  die  schwersten  Stahlblöcke  in  einer  Hitze  zu  Halbzeug  und 
Fertigmaterial  (Platinen,  d.  h.  Halbfabrikate  der  Blechfabrikation, 
Knüppel,  d.  h.  Halbfabrikate  der  Drahtfabrikation,  schwere  Träger, 
d.  h.  Eisen  in  Gestalt  eines  T,  U  Eisen  und  Schienen)  ausgewalzt. 
Dieses  Blockwalzwerk  wurde  für  31/2  Millionen  Mark  gebaut  und  im 
Februar  1892  dem  Betriebe  übergeben.  An  dem  Unterschiede  zwischen 
dem  alten  und  dem  neuen  Blockwalzwerke  kann  man  den  unge- 
heuren Fortschritt  messen,  der  auf  diesem  Gebiete  den  Arbeits- 
prozeß beherrscht.  Das  neue  Walzwerk  empfängt  die  warmen  Blöcke 
aus  dem  Bessemerwerk  nach  Ausgleich  der  Wärme  in  Gruben  oder 
Rollöfen  auf  Rollgängen.  In  dem  alten  Werke  wurde  der  Transport 
durch  Arbeiter  besorgt.    Die  Hebeleute  sind  ersetzt  durch  die  Roll- 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  29 


gänge,  die  den  Block  bis  vor  den  Einstich  fahren.  Gewöhnlich 
steht  heute  ein  Mann  an  jeder  Seite  der  Blockstraße.  Das  alte 
System  aber  brauchte  ihrer  drei.  Diese  hatten  den  glühenden  Block 
mit  Hebeln  und  Zangen  emporzuheben.  Heute  verrichten  diese 
Arbeit  Hebezeuge.  Das  Herumwerfen  der  Blocks  geschieht  durch  den 
mechanischen  Klappstuhl.  Auch  die  Streckenleute,  die  das  Eisen 
zu  richten  hatten,  sind  verschwunden.  Ihre  Tätigkeit  ist  ersetzt 
durch  mechanische  Richtbänke.  Die  Abschlepper,  die  einst  das  Eisen 
mit  Haken  faßten,  um  es  zur  Adjustage  zu  schleppen,  sind  in  dem 
neuen  Walzwerk  ersetzt  durch  mechanische  Vorrichtungen,  die  auf 
Rollgängen  das  Walzprodukt  weiter  transportieren.  Die  Fabrikate 
werden  schließlich  mechanisch  verladen,  ein  Paternosterwerk  hebt 
sie  direkt  auf  den  Wagen. 

Die  moderne  Eisenindustrie  hat  aber  nicht  nur  die  Ersetzung 
der  rein  mechanischen  Arbeit  durch  die  Maschine  vollzogen,  sondern 
auch  die  künstlerische  Tätigkeit  durch  den  Automaten  ganz  oder 
teilweise  zu  ersetzen  versucht.  Solche  Künstler  sind  die  in  jedem, 
mit  einer  Eisengießerei  versehenen  Betriebe  vorkommenden  Modell- 
schreiner. Sie  haben  die  Aufgabe,  nach  den  Zeichnungen  der  tech- 
nischen Bureaus  Holzmodelle  zu  entwerfen,  z.  B.  für  Lokomotiv- 
räder, Walzen,  Coquillen  etc.  Die  Herstellung  der  Modelle  erfordert 
Präzision  und  Geschicklichkeit.  Heute  kann  man  in  der  Stahlfagon- 
gießerei  jedes  Werkes,  wo  der  Flußstahl  in  Formen  gegossen  wird, 
Formmaschinen  beobachten,  die  noch  feiner  und  tadelloser  arbeiten 
als  die  Menschenhand.  So  werden  z.  B.  in  Hoerde  bei  der  Herstel- 
lung von  Zahnradmodcllen  Formmaschinen  benutzt,  die  viel  schneller 
und  besser  arbeiten,  als  der  geschickteste  Modellformer  es  vermöchte. 
Auch  hier  ist  der  Automat  eingeführt  worden,  um  an  Arbeitslohn 
zu  sparen.  Darüber  sagt  Beckert  in  seiner  „Gemeinfaßlichen  Dar- 
stellung des  Eisenhüttenwesens"*)  folgendes:  „Gute  Former  müssen 
ihrer  Geschicklichkeit  entsprechend  hoch  bezahlt  werden.  Trotz  der 
höchsten  Löhne  konnten  die  Eisengießereien  in  den  Jahren  der 
stürmischen  Entwicklung  nach  1871  nicht  genügend  Former  erhalten 
und  sahen  sich  gezwungen,  die  Herstellung  der  Formen  mittels 
mechanischer  Vorrichtungen,  der  Formmaschinen,  zu  versuchen.  Was 
damals  als  Notbehelf  erschien,  ist  heute  ein  wichtiges  Hilfsmittel 
zur  Erzeugung  von  Massenartikeln  geworden,  die  nur  durch  Ver- 
wendung bloßer  Handarbeiter,  also  ohne  gelernte  Former,  in  einer 


')  5.  Auflage  1903,  pag.  51/52. 


30  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


Zahl,  Genauigkeit  und  Sauberkeit  geliefert  werden  können,  wie  es 
durch  die  sorgfältigste  Handformerei  nicht  möglich  ist.  Hebt  man 
nämlich  die  Modelle  mit  mechanischen  Vorrichtungen  genau  senk- 
recht aus  der  Form,  so  wird  jede  Verletzung  dieser,  wie  sie  durch  das 
geringste  Schwanken  der  Hand  eintritt,  vermieden;  der  schwierigste 
(das  Ausheben)  und  der  langwierigste  (das  Ausbessern  der  Ver- 
letzungen) Teil  der  Formerarbeit  ist  erspart.  —  Hebt  die  Maschine 
nur  die  Modellteile  aus,  so  bleibt  das  Feststampfen  des  Formsandes 
noch  von  Hand  auszuführen ;  das  kann  aber  ein  gewöhnlicher  Arbeiter 
verrichten.  Manche  Formmaschinen  übernehmen  auch  noch  diesen 
Teil  der  Arbeit,  freilich  nicht,  indem  sie  den  Sand  stampfen,  sondern 
zusammendrücken,  was  wohl  bei  ziemlich  niedrigen  Modellen,  doch 
nicht  in  allen  Fällen  angängig  ist.  Die  zuerst  erwähnten  Maschinen 
sind  deshalb  verbreiteter. 

Neben  den  geschilderten  Formmaschinen,  mit  denen  besonders 
Formerlöhne  gespart  werden  sollen,  gibt  es  noch  eine  andere  Gruppe, 
die  Räderformmaschinen,  deren  Vorzüge  in  äußerst  genauer  Arbeit 
und  in  Ersparnis  der  teuren  Modelle  bestehen.  Die  Modellkosten 
sind  schon  im  allgemeinen  sehr  hoch,  besonders  groß  aber  für 
Zahnräder.  Da  zudem  die  Holzmodelle  trotz  größter  Sorgfalt  nicht 
in  der  gewünschten  Genauigkeit  erzeugt  werden  können  und  bei 
vielfachem  Gebrauch  ihre  Form  merklich  verändern,  so  sind  Zahn- 
räder mit  genau  gleichmäßiger  Teilung  und  durchaus  übereinstim- 
menden Zähnen  nach  Modellen  gar  nicht  herzustellen.  Die  Form- 
maschinen aber,  welche  nur  mit  einem  kleinen  Teile  des  Modells, 
nämlich  mit  nur  zwei  Zähnen,  arbeiten,  geben,  allerdings  bei  höherem 
Aufwand  für  Formerlohn,  Erzeugnisse  von  der  höchsten  Genauigkeit." 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  durch  all  diese  Einrichtungen  die 
Produktionskosten  ermäßigt  werden,  denn  die  Maschine  arbeitet  bil- 
liger und  besser  wie  der  Mensch.  Die  größte  Verbilligung  des 
Betriebes,  die  ebenfalls  wieder  auf  dem  Hoerder  Werke  zuerst  ein- 
geführt wurde,  aber  war  die  Nutzbarmachung  der  Hochofengase 
für  Betriebszwecke. 

Auf  jedem  Hochofenwerk  findet  man  Gebläsemaschinen,  die 
atmosphärische  Luft  ansaugen  und  zusammenpressen.  Diese  Luft 
wird  in  sog.  Winderhitzern  heute  auf  etwa  900^  erhitzt  und  dann  durch 
den  Hochofen  getrieben.  Der  in  diesem  aufsteigende  Gasstrom 
blieb  nun,  nachdem  er  seine  physikalische  und  chemische  Arbeit 
erfüllt,  in  den  Jugendjahren  der  kapitalistischen  Entwicklung  des 
Hochofenbetriebes   ungenutzt.    Auf   der   Zinne   des    Hochofens,  der 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  31 

sog.  Gicht,  verbrannten  die  abströmenden  Gase  mit  prachtvoller 
Flamme.  Aber  die  Posie  dieses  Anblicks  ging  bald  verloren.  1858 
wurde  auf  dem  Hörder  Werk  ein  neuer  Reserveofen  erbaut,  bei 
dem  zum  ersten  Male  Einrichtungen  angebracht  waren,  die  den 
Zweck  hatten,  die  abströmenden  Gase  abzufangen  und  sie  zur  Hei- 
zung der  Kessel  zu  verwenden.  Diese  Fangvorrichtungen  fanden 
später  bei  allen  Hochöfen  Eingang.  Aber  bei  dieser  Verwendung 
blieb  man  nicht  stehen.  Auf  dem  Hochofenwerke  existierte  längst 
ein  nicht  unbeträchtlicher  Gasüberschuß.  Aber  die  weite  Entfernung 
von  der  Hermannshütte  verhinderte  es,  entweder  das  Hochofengas 
oder  den  mittels  desselben  erzeugten  Dampf  dorthin  zu  leiten.  Als 
nun  aber  die  elektrische  Kraftübertragung  in  die  Praxis  eingeführt 
war,  ergab  sich  die  Möglichkeit,  das  Plus  an  Gas  für  den  Betrieb 
der  Hoerder  Hütte  nutzbar  zu  machen.  Nunmehr  wurden  an  Stelle 
der  Dampfmaschinen  Gasmotore  aufgestellt,  die,  mit  Hochofengas 
gespeist,  direkt  zum  Antrieb  der  Dynamomaschinen  verwandt  werden 
konnten.  Die  Festschrift  enthält  hierüber  folgende  Mitteilungen: 
„Nachdem  eine  kleine  Versuchsmaschine  im  Monat  Dezember  1895 
bewiesen  hatte,  daß  der  eingeschlagene  Weg  gangbar  war,  wurden 
nach  längeren  Verhandlungen  mit  den  verschiedenen  Maschinen- 
fabriken am  21.  September  1896  bei  der  Berlin-Anhaltischen  Ma- 
schinenbau-Aktiengesellschaft in  Dessau  drei  öOOpferdige  Gasmotoren 
bestellt.  Nach  Überwindung  vieler  Schwierigkeiten  kam  die  erste 
Maschine  im  August  1898  in  Betrieb  und  arbeitet  seitdem  die  elek- 
trische Zentrale  mit  großem  Erfolg.  Sie  ist  jetzt  außer  mit  den 
oben  erwähnten  Maschinen  mit  zwei  Deutzer  Motoren  von  je  1000 
Pferdekräften  ausgerüstet,  und  wird  mittels  von  der  Elektrizitäts- 
Aktiengesellschaft  vormals  Schuckert  &  Co.  gelieferter  Dynamos 
Drehstrom  von  3000  Volt  Spannung  erzeugt,  der  sowohl  auf  der 
Hermannshütte  wie  auf  den  Kohlengruben  zu  den  verschiedensten 
Zwecken  verwendet  wird."  Was  hier  mit  wenigen  Worten  gesagt 
ist,  bedeutet  einen  der  größten  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  des 
Eisenhüttenwesens,  und  zwar  hauptsächlich  in  ökonomischer  Be- 
ziehung. Die  Verbilligung  des  Betriebes,  oder  mit  anderen  Worten 
die  Senkung  der  Produktionskosten  ist  ein  mit  der  mechanischen 
Ausgestaltung   Hand   in    Hand   gehender   Faktor. 

Welche  Konsequenzen  haben  nun  die  im  vorhergehenden  ge- 
schilderten, mit  dem  Wachstum  der  Produktion  und  der  Automati- 
sierung verbundenen  Tatsachen  in  sozialer  Beziehung? 

Soweit  ich  sehe,  zeitigt  diese  Entwicklung  zweierlei.    Sie  wirkt 


32  1.  Der  Hoerder  Bergu-erks-  und  Hüttenverein. 

einmal  reduzierend  auf  die  Arbeiterzahl.  Die  Zahl  der  Arbeiter  nimmt 
zwar  absolut  beträchtlich  zu,  relativ  aber  ab.  Im  Vergleich  mit  dem 
Wachstum  der  Produktion  sinkt  die  Zahl  der  beschäftigten  Arbeiter. 
Die  Arbeiterzahl  des  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenvereins  betrug 
im  Jahre  1854  etwas  über  2000,  im  Jahre  1900  nicht  ganz  7500, 
das  heißt  sie  war  um  mehr  als  das  31/2  fache  gestiegen.  In  dem 
ersten  genannten  Jahre  betrug  die  Menge  der  Fertigfabrikate  etwa 
20  000  Tonnen,  im  Jahre  1900  über  290  000  Tonnen,  das  heißt  sie  hatte 
sich  mehr  als  vervierzehnfacht.  Der  Anteil  des  Produktionsfaktors 
menschlicher  Arbeit  ist  also  beträchtlich  geringer  geworden,  anders 
ausgedrückt,  die  relative   Zahl  der  Arbeiter  ist  gesunken. 

Diese  Tatsache  ist  aber  noch  mit  einer  zweiten,  nicht  minder 
wichtigen,  verknüpft.  Ohne  Zweifel  wurden  in  der  ersten  Periode 
der  großindustriellen  Entwicklung  in  den  Eisenhütten  zahlreiche  un- 
gelernte Arbeitskräfte  verwandt.  Der  Typus  des  ungelernten  Arbeiters 
ist  die  Frau  und  das  Kind.  Daher  hat  Karl  Marx  recht,  wenn  er 
von  der  Großindustrie  im  allgemeinen  sagt:  Weiber-  und  Kinder- 
arbeit war  das  erste  Wort  der  kapitalistischen  Anwendung  der  Ma- 
schinerie. Noch  heute  finden  wir,  wie  bei  der  Beschreibung  der 
Königs-  und  Laurahütte  gezeigt  werden  soll,  Weiberarbeit  in  der 
Eisenindustrie  Oberschlesiens.  Beim  Hoerder  Verein  und  in  den 
übrigen  rheinisch-westfälischen  Werken  fehlt  dagegen  der  Typus 
des  weiblichen  Arbeiters.  Hier  kommen  nur  männliche  Arbeitskräfte 
in  Betracht.  Diese  ungelernten  und  daher  schlecht  bezahlten  Ar- 
beiter hatten  ganz  bestimmte,  teilweise  die  Körperkräfte  stark  ab- 
sorbierende Funktionen  auszuüben.  Noch  heute  überwiegt,  wie  wir 
sahen,  der  ungelernte  Arbeiter  beim  Hochofenbetrieb.  In  eine  zweite 
Periode  tritt  nun  die  Entwicklung  mit  der  nahezu  gänzlichen  Durch- 
führung der  Automatisierung  des  Betriebes,  mit  der  Vervollkomm- 
nung der  Arbeits-  und  Werkzeugmaschinen,  mit  der  Einführung  von 
Kränen  zum  Transport  von  Lasten.  Nunmehr  werden  die  Arbeiten, 
für  die  früher  ein  Heer  unqualifizierter  Arbeiter  nötig  war,  von 
mechanischen  Vorrichtungen  übernommen.  Wenn  man  die  Tech- 
nik bei  der  Beschickung  der  Hochöfen,  im  Stahlwerk  oder  im  Walz- 
werk auch  nur  ganz  oberflächlich  verfolgt,  immer  erkennt  man,  daß 
der  ungelernte  Arbeiter  mehr  und  mehr  durch  spezielle  Vor- 
richtungen ersetzt  wird.  Die  Masse  der  ungelernten  Arbeiter  lichtet 
sich  also,  aber  an  die  alten  Plätze  treten  teilweise  neue  gelernte 
Arbeiter.  Es  würde  heute  gar  nicht  mehr  möglich  sein,  einen  un~ 
gelernten   Arbeiter  bei  der   Bedienung  einer  Walzenstraße  zu  ver- 


1.  Der  Hoerder  Bergvperks-  und  Hüttenverein.  33 

wenden;  er  würde  sich  selbst  unglücklich  machen.  Daß  für  die  Be- 
dienung der  Maschinen  wie  der  Sägen,  der  hydraulischen  Einrich- 
tungen, der  Kräne  gelernte  Maschinisten  verwandt  werden,  ist  ein 
Gebot  der  Notwendigkeit.  Auf  der  zweiten  Stufe  der  Entwicklung 
eines  kapitalistischen  Großbetriebs  wird  also  der  ungelernte  Arbeiter 
immer  mehr  durch  die  Maschine  verdrängt.  Die  zur  Bedienung  der- 
selben herangezogenen  Arbeiter  aber  bestehen  aus  hochqualifizier- 
ten, technisch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  vorgebildeten  Männern. 
Natürlich  ist  damit  das  Thema  nicht  erschöpft.*)  Es  soll  nur  die 
ersten  Anregungen  geben,  und  wir  werden  später  bei  den  Groß- 
betrieben  anderer   Industrien   darauf   zurückkommen. 

Fassen  wir  zusammen:  Der  Hoerder  Verein  ist  ein  groß- 
kapitalistisches, auf  Erzielung  eines  möglichst 
hohen  Profits  berechnetes  Unternehmen.  Es  re- 
präsentiert eine  typische  Erwerbsgesellschaft  der 
westfälischen  Eisengroßindustrie.  Für  diese  aber 
ist  die  Vergrößerung  und  Mechanisierung  der  Pro- 
duktion Lebensprinzip.  Der  Ingenieur  nennt  dies 
Vervollkommnung  des  Betriebes.  Die  Produktion 
soll  steigen,  der  Produktionspreis  aber  sinken.  In 
diesem  Sinne  wurdedieErweiterungderHoerderAn- 
lagen  durch  den  nicht  zustande  gekommenen  An- 
kauf der  Beckeroder  Eisenhütte  versucht.  Die  Ex- 
pansion der  Erzeugung  vollzog  sich  hauptsächlich 
durch  die  Vergrößerung  und  Verbesserung  der  Pro- 
duktionsmittel. Die  Leistung  der  Hochöfen  wächst 
von  20  auf  180  —  190  Tonnen.  Die  Aufstellung  eines 
Roheisenmischers  verhindert  die  Abhängigkeit  des 
Stahlwerkes  von  der  entfernt  liegenden  Hochofen- 
anlage, die  durch  den  Ankauf  des  Dortmunder  Wer- 
kes noch  vergrößert  wird.  Durch  Einführung  auto- 
matischer Beschickungsvorrichtungen  für  die  Mar- 
tinöfen wird  der  Menschenhand  eine  beschwerliche 
und  gefährliche  Arbeit  abgenommen.  Auch  in  denWalz- 
werken  tritt  der  automatische  Betrieb  immer  mehr 
an  Stelle  der  alten,  auf  Handarbeit  basierten  Ein- 
richtungen.   Wie  dies  ökonomisch  und  sozial  wirkt. 


•)  Vergl.  die  geistvollen  Ausführungen  J.  Germans  über  „Die  Qualifikation 
der  Fabrikarbeit"  in  der  „Neuen  Zeit",  21.  Jahrg.,  II.  Bd  ,  No.  30. 

Stil  lieh,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  3 


34 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

sahen  wir  aus  dem  Vergleich  des  alten  und  neuen 
Blockwalzwerkes  in  Hoerde.  Ja,  die  Mechanisie- 
rung des  Produktionsprozesses  macht  selbst  vor  der 
künstlerischen  Tätigkeit  nicht  Halt.  Auf  der  Her- 
mannshütte sind  Formmaschinen  in  Tätigkeit,  die 
hydraulisch  betrieben  werden,  und  die  Form  eines 
Zahnrades  auf  die  dazu  bestimmte  Masse  abdrücken. 
Sie  arbeiten  präziser  und  schneller  wie  Men- 
schenhand. Mit  der,  immer  weitere  Kreise  des  Her- 
stellungsprozesses ergreifenden  Einführung  me- 
chanischer Vorrichtungen  sinken  ceteris  paribus  die 
Produktionskosten.  Den  großartigsten  Fortschritt 
in  dieser  Beziehung  bildet  die  in  Hoerde  eingeführte 
Verwertung  der  Hochofengase.  Schon  Ende  der  50er 
Jahre  tritt  an  Stelle  der  mit  der  Hand  ausgeführ- 
ten Heizung  der  Maschinen  mit  Kohlen  die  Heizung 
mit  Gichtgasen.  In  den  90er  Jahren  wird  dann  an 
Stelle  der  Dampfmaschine  der  Gasmotor  zum  mecha- 
nischen Antrieb  der  Maschinen  herangezogen.  Die 
Folgen  der  geschilderten  Umgestaltung  des  Betrie- 
bes bestanden  nun  einmal  in  dem  relativen  Sinken 
der  Arbeiterzahl  und  dann  in  der  partiellen  Er- 
setzung des  ungelernten  durch  den  qualifizierten 
Arbeiter. 

Wir  haben  nun  weiter  die  Frage  zu  behandeln,  wie  die  großen 
wirtschaftlichen  Erschütterungen  den  Hoerder  Verein  beeinflußten. 
Die  Einwirkungvon  Krisen  auf  große  Unternehmungen  ist  von 
Fall  zu  Fall  verschieden.  Wir  werden  z.  B.  in  der  Ilseder  Hütte  ein 
Unternehmen  kennen  lernen,  das  durch  die  Krisis  von  1857  bis 
1860/61  außerordentlich  stark  mitgenommen  wurde.  An  dem  Her- 
der Bergwerks-  und  Hüttenverein  hingegen  ging  diese  Krisis  ohne 
wesentliche  Störung  vorüber.  Ganz  unbeeinflußt  blieb  er  allerdings 
nicht.  „Insbesondere  mußte",  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht  über 
das  Jahr  1858/59  „die  Einstellung  der  Eisenbahnbauten  in  den 
unserem  Debit  angehörenden  Staaten  auf  die  Industrie,  welche  in 
ihren  Hauptfaktoren  fast  ausschließlich  auf  Unternehmungen  gedach- 
ter Art  angewiesen  ist,  den  deprimierendsten  Einfluß  haben."  Aber 
im  großen  und  ganzen  ist  die  erste  Periode  seines  Bestehens  von 
1852—1873  die  erfolgreichste  gewesen,  die  er  in  den  Annalen  seiner 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


36 


Geschichte  zu  verzeichnen  hat:  Kleines  Aktienkapital,  verhältnis- 
mäßig hohe  Reingewinne,  gute  Dividenden.  Die  alte,  gute  Geschäfts- 
praxis, die  Vergrößerung  des  Betriebes  aus  den  Betriebsüberschüssen 
zu  bestreiten,  war  für  das  Unternehmen  der  leitende  Gesichtspunkt. 
In  dem  Geschäftsbericht  über  das  Krisenjahr  1857/58,  in  dem  noch 
90/0  gezahlt  werden  konnten,  heißt  es:  „Der  Verwaltungsrat  glaubt 
an  dem  System  bedeutender  Abschreibungen  für  Verbesserungen 
um  so  mehr  strikt  festhalten  zu  sollen,  als  gerade  in  der  Branche,  die 
wir  betreiben,  stets  neue  Verbesserungen  im  Betriebe  sich  Bahn 
brechen  und  neue  Anlagen  erfordern,  welche  aus  den  Überschüssen 
des  Betriebes  gedeckt  werden  müssen,  wenn  nicht  eine  der  gestei- 
gerten Produktionskraft  entsprechende  Vermehrung  des  Aktienkapi- 
tals  stattfinden    soll." 

Die   Verhältnisse    in   dieser   ersten    Periode   werden   am   besten 
beleuchtet   durch   die    finanziellen    Ergebnisse   derselben. 


Jahr 

Aktienkapital 

Reingewinn 

Dividende 

1852/3 

6 

Mill. 

M. 

572,943  M. 

5^ 

1853/4 

6 

II 

0 

604,686    „ 

Q% 

1854/5 

6 

,, 

,, 

838,101    „ 

1074^ 

1855/6 

7,5 

,, 

II 

1,020,780    „ 

13^ 

1856/7 

7,5 

,, 

)i 

1,257,249    „ 

13% 

1857/8 

7,5 

II 

II 

998,224    „ 

Q% 

1858/9 

7,5 

II 

II 

621,294    „ 

H 

1859/60 

7,5 

II 

II 

254,313    „ 

3% 

1860/1 

7,5 

,, 

,, 

338,142    „ 

H 

1861/2 

7,5 

,, 

,, 

536.850    „ 

^%% 

1862/3 

7,5 

II 

II 

675,900    „ 

H 

1863/4 

7,5 

„ 

„ 

846,867    „ 

8^ 

1864/5 

8,7 

II 

II 

1,059,600    „ 

9^ 

1865/6 

8,7 

,, 

II 

1,175,400    „ 

10^ 

1866/7 

9,093 

,, 

,, 

818,427    „ 

n 

1867/8 

9,093 

II 

II 

464,088    „ 

5^ 

1868/9 

9,507 

II 

II 

665,538    „ 

1% 

1869/70 

9,9 

II 

II 

792,021    „ 

n 

1870/1 

10  5 

II 

,, 

829,236    „ 

Q% 

1871/2 

11,7 

,, 

,, 

1,231,950    „ 

3% 

1872/3 

12,0 

II 

1, 

1,267,650    „ 

H     ■ 

1873/4 

14,745 

II 

,, 

624,000    „ 

H 

Die  erste  Periode  wird  nun  von  einer  zweiten  abgelöst,  die 
wir  von  1873—1895  rechnen  können.  Es  ist  eine  für  den  Hörder 
Verein  unglückliche  Zeit.  Sie  setzt  ein  mit  der  großen  Krisis  des 
Jahres  1873.    Diese  5  Jahre  lang  das  Geschäftsleben  lähmende  De- 

3* 


36 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

pression  hat  auch  für  den  Hoerder  Verein  tiefgreifende  Folgen  ge- 
habt. Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  allgemeinen  Ursachen  des 
Niedergangs  der  Konjunktur  zu  untersuchen.  Ich  möchte  nur  auf 
die  speziellen,  in  den  Verhältnissen  der  Eisenindustrie  selbst  be- 
gründeten Ursachen  hinweisen,  soweit  sie  in  den  Geschäftsberichten 
angedeutet  werden.     Es  kommt  in   Betracht: 

1.  Die  Einführung  des  Bessemerverfahrens,  durch  das  eine  Mas- 
senproduktion überhaupt  erst  möglich  wurde.  Infolgedessen  Stär- 
kung der  englischen  Konkurrenz  aus  früher  erwähnten  Gründen. 
Die  Festschrift  sagt  hierüber  folgendes:  „Sehr  viel  trug  aber  auch 
an  den  schlechten  Verhältnissen  der  Umstand  Schuld,  daß  die  Hoch- 
ofenindustrie in  ihrer  technischen  Entwicklung  zurückgeblieben  war 
und  von  der  englischen  überflügelt  wurde.  Die  in  den  fünfziger 
Jahren  erbauten  Hochöfen  von  16 — 17  Meter  Höhe  mit  ihren  ver- 
alteten Windheizapparaten  hatten  für  den  Betrieb  auf  weißes  Puddel- 
eisen  verhältnismäßig  sehr  gute  Resultate  ergeben;  der  Koksver- 
brauch belief  sich  nicht  höher  als  auf  1250 — 1350  kg  bei  einem  Möller- 
ausbringen von  32  bis  33 o/o.  Die  Erze,  zum  großen  Teile  in  der 
Umgegend  gewonnen,  waren  billig,  das  Hörderwerk  und  andere 
Werke  mit  ihm  hatten  infolgedessen  eine  solide  Grundlage.  Nach- 
dem das  Bessemerverfahren  die  Herstellung  von  Eisenbahnmaterial 
mehr  und  mehr  eroberte  und  auch  die  Schienen  aus  Flußstahl  her- 
gestellt wurden,  änderten  sich  diese  Verhältnisse;  es  mußten  mit 
hohen  Frachtkosten  phosphorarme  Nassauer,  Siegener  und  Harzer 
Erze  beschafft  werden,  die  im  Vergleich  zu  den  in  England  ver- 
schmolzenen Erzen  verhältnismäßig  arm  waren,  während  später  nach 
Einführung  der  spanischen  Erze  die  an  der  Küste  gelegenen  eng- 
lischen Hochöfen  erst  recht  im  Vorteil  waren.  Aus  diesen  Erzen 
mußte  ein  tiefgraues  siliqiumreiches  Roheisen  erblasen  werden.  Hier- 
zu eigneten  sich  die  Hochöfen  und  Apparate  nicht.  Der  Koksbedarf 
stieg  in  Horde  von  1250  auf  1700  bis  1800  kg,  ja  in  den  Jahren 
1873  und  1874  auf  2200  kg  pro  Tonne  Roheisen.  Die  tägliche 
Produktion  ging  bei  den  alten  Öfen  wieder  von  30  Tonnen  auf 
20  Tonnen  zurück.  Der  1874  angeblasene  neue  Hochofen  arbeitete 
zwar  etwas  besser,  seine  Produktion  fiel  aber  gegenüber  derjenigen 
der  alten  Öfen  nicht  ins  Gewicht.  Die  englischen  Werke  mit  ihren 
reicheren  Erzen  rüsteten  ihre  Anlagen  mit  größeren  Hochöfen  und 
besseren  Windheizapparaten  aus,  die  einen  geringen  Koksverbrauch 
und  eine  hohe  Produktion  ergaben.  Auch  verbesserten  sie  ihre 
Transportvorrichtungen   sehr  erheblich:   in   Deutschland  fehlte   aber 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  37 

nach  der  Überspekulation  sowohl  das  Kapital,  wie  die  Unternehmungs- 
lust. Man  hatte  nicht  den  Mut,  neues  Qeld  für  die  jahrein,  jahraus 
mit  Unterbilanz  arbeitenden  Eisenwerke  aufzuwenden,  um  so  weniger, 
als  der  Wechsel  in  der  Zollpolitik  der  Regierung  den  letzten  Rest 
des  Vertrauens  in  die  Zukunftspolitik  der  Eisenindustrie  wegnahm." 

2.  Eine  kolossale  Abnahme  des  Innenverbrauchs  an  Eisen.  Der 
Bedarf  des  Inlandes  sank  von  2,9  Millionen  Tonnen  im  Jahre  1873  auf 
1,5  Millionen  Tonnen  im  Jahre  1879;  vor  allem  infolge  des  plötz- 
lichen Nachlassens  im  Ausbau  des  Eisenbahnnetzes.  Damit  im  Zu- 
sammenhange ein  Sinken  der  Nachfrage  nach  Schienen,  dem  wich- 
tigsten Massenartikel  der  großen  Werke 

3.  Der  Wettbewerb  der  seit  der  Vergrößerung  Deutschlands  durch 
die  Annexion  Elsaß-Lothringens  mitkonkurrierenden  Lothringer  Eisen- 
industrie auf  dem  deutschen  Markt.  Der  Hinzutritt  Elsaß-Loth- 
ringens wies  die  bedeutende  Eisenindustrie  dieses  Landes,  die  bis 
dahin  vorwiegend  in  Frankreich  ihren  Absatz  gefunden  hatte,  dem 
deutschen  Markte  zu,  weil  Frankreich  seine  hohen  Eingangszölle 
nach  dem  Kriege  aufrechterhielt.  Diese  Verschiebung  in  den  Ab- 
satzverhältnissen Lothringens  wurde  besonders  deshalb  so  fühlbar, 
weil  nach  Einstellung  der  Fabrikation  schweißeiserner  Schienen 
diese  Werke  sich  auf  die  Fabrikation  von  Fa^oneisen  warfen,  um 
darin  den  westfälischen  Werken  Konkurrenz  zu  machen.  In  dem 
Geschäftsbericht  des  Hoerder  Vereins  über  das  Jahr  1875/76  wird  ge- 
klagt: „Die  Konkurrenz  der  Bessemerwerke  hat  die  Verkaufspreise 
der  Gußstahlschienen  so  sehr  herabgedrückt,  daß  eiserne  Schienen 
nur  noch  in  sehr  seltenen  Fällen  angewandt  werden.  Die  zuneh- 
mende Verwendung  eiserner  Lang-  und  Querschwellen  ist  zwar  ge- 
eignet, den  Ausfall  an  Arbeit  für  Eisenschienen  einigermaßen  zu 
ersetzen,  doch  kommt  diese  Arbeit  hauptsächlich  den  Lothringer 
Werken  zugute,  welche  ihr  Absatzgebiet  für  schwere  und  leichte 
Fa^oneisensorten  auf  unsern  natürlichen  Markt  ausgedehnt  und,  be- 
günstigt durch  die  Möglichkeit  sehr  wohlfeiler  Produktion  und  uns 
gegenüber  ungerecht  billiger  Tarife,  während  des  letzten  Jahres  noch 
mehr  befestigt  haben.  Das  bedeutende  Arbeitsbedürfnis  sämtlicher 
großer  Eisenwerke  hat  den  Langschwellenpreis  weit  unter  die  Selbst- 
kosten herabgedrückt;  dasselbe  gilt  von  Handelseisen  und  Eisen 
zu  Bauzwecken.  In  diesem  Artikel  wird  die  westfälische  Industrie 
durch  die  Lothringer  Werke  aus  Süddeutschland,  der  Schweiz  und 
einem  Teile  von  Mitteldeutschland  verdrängt.  Die  Schlesier,  durch 
billigeres  Roheisen  und  wohlfeilere  Frachten  begünstigt,  haben  große 


38  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

Vorsprünge  vor  uns  in  Sachsen  und  auf  dem  Berliner  Markte.  Die 
Nord-  und  Ostseehäfen  werden  mit  englischer  Ware  billiger  ver- 
sorgt, als  wir  sie  aus  Westfalen  liefern  können.  Vom  Westen  her 
schränkt  Belgien  mit  seinen,  zwar  in  der  Qualität  schlechteren,  aber 
weit  billigeren  Eisenfabrikaten  unser  natürliches  Absatzgebiet  ein, 
namentlich  soweit  es  sich  um  ordinäre  Bleche  und  gewöhnhches 
Material  für  Brückenbau  handelt." 

4.  Aufhebung  der  Eingangszölle  auf  Roheisen  im  Jahre  1873. 
Diese  Aufhebung  war  das  Resultat  der  Agitation  der  Eisengroß- 
industriellen, die  durchaus  Freihändler  waren.  Ihr  hervorragendster 
Repräsentant  war  Freiherr  von  Stumm.  In  der  Reichstagssitzung 
vom  10.  Juni  1873  sagte  er:  Ich  kann  nur  immer  und  immer  wieder- 
holen :  die  deutsche  Eisenindustrie  verlangt  keinen  Schutz.  Im  Gegen- 
teil, sie  wünscht  nur  auf  das  dringendste  den  internationalen  Frei- 
handel; sie  wünscht  es,  da  sie  es  in  hohem  Maße  in  ihrem  Interesse 
hält,  und  ich  kann  versichern,  daß,  wenn  Sie  auch  nur  die  Haupt- 
kontinentalstaaten zu  einem  für  Eisen  freien  Zollgebiet  vereinigen 
könnten,  die  Eisenindustrie  nicht  nur  nicht  damit  zufrieden  sein  könnte, 
sondern  sogar  besser  fahren  würde,  als  sie  sich  im  Augenblicke 
befindet.  Nach  Einführung  dieses  handelspolitischen  Systems  aber 
machten  dieselben  Kreise  es  für  die  Notlage  der  Eisenindustrie  ver- 
antwortlich, die  es  vorher  befürwortet  hatten.  Dabei  darf  nicht 
außer  acht  gelassen  werden,  daß  in  der  Krisenperiode  tatsächlich 
die  Mehreinfuhr  von  Eisen  aller  Art  von  Jahr  zu  Jahr  abnahm  und 
zwar  von  536  000  Tonnen  im  Jahre  1873  bis  auf  39  000  Tonnen 
im  Jahre  1878  (nach  Sering,  der  alles  auf  Roheisen  umrechnet).  1879 
wurde  dann  im  autonomen  Tarif  ein  Roheisenzoll  von  10  Mark  pro 
Tonne  eingesetzt,  der  auch  heute  noch  besteht. 

5.  Erhöhung  der  Frachten  für  Rohmaterialien  und  Fertigfabrikate 
der  Eisenindustrie.  Über  die  Tarifierung  heißt  es  in  dem  Geschäfts- 
bericht des  Hoerder  Vereins  von  1874/75:  „Den  westfälischen  Hütten 
wird  dadurch  die  Konkurrenz  mit  Schlesien  nach  dem  Osten  unmög- 
lich gemacht,  indem  z.  B.  die  Schlesischen  Hütten  für  Stabeisen 
nach  Berlin  und  nach  den  Ostseehäfen  pro  Ztr.  und  Meile  1,24 — 1,74 
Pfennige  zahlen,  während  die  westfälischen  Werke  für  ihren  Trans- 
port  dahin    1,80—2,50    Pfennige    entrichten    müssen." 

6.  Eine  Reihe  von  sozialen  Einrichtungen,  welche  störend  auf 
die  Entwicklung  und  Konkurrenzfähigkeit  der  deutschen  Eisenindu- 
strie einwirken.  Was  damit  gemeint  ist,  geht  aus  folgenden  Worten 
des  Geschäftsberichts  über  das  Jahr  1876/77  hervor:  „Wir  erkennen 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  39 

die  Notwendigkeit  der  bestehenden  Organisation  unseres  Militär- 
wesens zur  Erhaltung  der  Größe  und  Machtstellung  unseres  Vater- 
landes vollkommen  an;  wir  unterstützen  in  gleicher  Weise  die  hu- 
manen Bestrebungen,  welche  sich  in  der  Gewerbegesetzgebung  und 
insbesondere  in  den  Bestimmungen  über  das  Lehrlingswesen  und  die 
Beschäftigung  jugendlicher  Arbeiter  dokumentieren.  Doch  dürfen 
wir  darauf  hinweisen,  daß  durch  diese  Einrichtungen  der  deutschen 
Industrie  die  Heranbildung  tüchtiger  Arbeiter  wesentlich  erschwert 
wird." 

Die  Notlage  des  Hüttenwerkes  in  der  Krisis  der  70er  Jahre 
blieb  auch  nicht  ohne  Folgen  für  das  städtische  Gemeinwesen.  Hoerde 
hat  heute  noch  die  Züge  und  den  Charakter  einer  Hüttenstadt. 
Es  ist  mit  der  Hütte  groß  geworden  und  das  Wohlergehen  des 
ganzen  Gemeinwesens  stand  von  jeher  mit  dem  Prosperieren  des 
Werkes  in  innigem  Zusammenhange.  In  den  70er  Jahren  hatte  die 
Stadt  Hoerde  erst  1 1  000  Einwohner.  Sie  hat  sich  mit  dem  Empor- 
wachsen des  Werkes  stetig  vergrößert.  Als  die  Krisis  hereinbrach, 
begann  die  Bevölkerungszahl  zu  sinken.  In  dem  städtischen  Budget 
machte  sich  bald  ein  Defizit  bemerkbar,  das  nur  durch  steigende 
Sätze  der  kommunalen  Klassensteuer  ausgeglichen  werden  konnte. 
Die  Zahl  der  Klassensteuerpflichtigen  nahm  von  1873 — 1876  um 
250/0  ab.  Das  Steuererträgnis  verminderte  sich  um  18  0/0.  Der  Zu- 
schlag zur  Klassen-  und  klassifizierten  Einkommensteuer  betrug: 

1873 26173% 

1874 28173^ 

1875 310% 

1876 350% 

1877 420% 

Diese  enorme  Steigerung  der  kommunalen  Lasten  infolge  der 
gesunkenen  Rentabilität  der  Werkstätten  rief  eine  förmUche  Flucht 
aus  der  Stadt  hervor.  Jeder,  der  nicht  gezwungen  war,  in  Hoerde  zu 
leben,  verlegte  seinen  Wohnsitz  nach  außerhalb,  wodurch  allerdings 
die  Zunahme  des  Pauperismus  noch  gefördert  wurde. 

Während  dieser  allgemein  ungünstigen  Verhältnisse  wurde  so- 
gar die  Rohstoffpolitik  des  Hoerder  Vereins,  die,  wie  wir  erkannten, 
auf  die  Etablierung  der  Selbstbedarfsdeckungswirtschaft  hinauslief, 
eine  Fessel  für  denselben.  Sie  erhöhte  seine  Produktionskosten  gegen- 
über den  nicht  kombinierten  Betrieben.  Das  ist  auch  1878  in  der 
Eisenenquetekommission    von    dem    Sachverständigen    des     Hoerder 


40  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


Vereins,  Herrn  Massenez,  offen  ausgesprochen  worden.  Er  sagte:*) 
„Fast  sämtliche  Werke,  welche  ihre  Rohmaterialien  selbst  gewinnen, 
sind  heute  in  weit  ungünstigerer  Lage  als  diejenigen,  welche  bloß 
eine  Veredelung  der  Materialien  vornehmen.  Heute  arbeitet  unsere 
ganze  Industrie  vom  Erzbergbau  und  Kohlenbergbau  angefangen, 
mit  Schaden.  Diejenigen  Werke,  welche  die  an  sich  naturgemäßeste 
und  solideste  Basis  besitzen,  indem  sie  ihre  Rohmaterialien  selbst 
gewinnen,  haben  heute  mit  weit  größeren  Schwierigkeiten  zu  kämpfen, 
als  Werke,  welche  beispielsweise  lediglich  Stahlschienenfabrikation 
betreiben  und  ihre  Kohlen  und  ihr  Roheisen  kaufen  müssen.  Wir 
kaufen  heute  unsere  Rohmaterialien  billiger,  als  wir  sie  selbst  dar- 
zustellen vermögen." 

An  die  Krisis  der  70er  Jahre  schloß  sich  in  den  80er  Jahren, 
nach  einer  kurzen  Erholung,  ein  abermaliger  großer  Konjunktur- 
wechsel. Dieser  Rhythmus  des  industriellen  Lebens  hat  den  Hoerder 
Verein  auch  in  dieser  Periode  sehr  stark  beeinflußt.  Während  in 
der  Krisis  der  70er  Jahre  die  fremde  Konkurrenz,  namentlich  die 
englische,  der  Eisenindustrie  tiefe  Wunden  schlug,  war  es  in  der 
Krisis  der  80er  Jahre  die  Konkurrenz  der  heimischen  Werke  unter- 
einander, die  für  den  Hoerder  Verein  große  ökonomische  Nachteile 
im  Gefolge  hatte.  In  den  80er  Jahren  arbeitete  das  Werk  daher 
größtenteils  ohne  finanziellen  Erfolg.  In  dieser  Zeit  geht  namentlich 
das  Drahtgeschäft  zurück,  das  sich  anfang  der  80er  Jahre  in  Rhein- 
land-Westfalen zu  großer  Bedeutung  entwickelt  hatte.  Während  der 
Krisis,  die  von  1883 — 1888  dauerte,  blieben  die  Aufträge  des  Aus- 
landes größtenteils  aus.  Infolgedessen  wurde  bereits  1883  die  Draht- 
straße des  Werkes  außer  Betrieb  gesetzt.  Das  wirkte  zurück  auf 
die  Herstellung  des  Halbfabrikates,  aus  dem  der  Draht  hervorgeht, 
nämlich  der  Knüppel  (Stahlbillets),  deren  Produktion  auf  dem  Hoer- 
der Werk  ziemlich  umfangreich  war.  Von  dem  genannten  Halb- 
fabrikat wurden  produziert: 

1885/6    ....    32,500  Tonnen 
1886/7     ....    22,300        „ 
1887/8    ....      7,900        „ 

Dieses  außerordentliche  Zurückgehen  der  Stahlbilletproduktion 
zeigt,  wie  stark  der  Markt  damals  gesättigt  war. 

Während  dieser  Krisis  wird  ein  neuer  Produktionszweig  aufge- 


*)  Reichsenquete  für  die  Eisenindustrie   1878,   p.  386. 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  41 

nommen,  nämlich  die  Herstellung  von  Panzerplatten.  In  dem  Ge- 
schäftsbericht von  1887/88  heißt  es:  „Gegenüber  den  rasch  und  in 
steigender  Progression  hervortretenden  Anforderungen  nach  Liefe- 
rung von  Schiffsbaumaterial  für  die  bedeutendsten  Schiffswerften 
Deutschlands  und  von  Panzermaterial  für  das  In-  und  Ausland,  konnte 
man  sich  der  Notwendigkeit  nicht  entziehen,  die  betreffende  Ab- 
teilung der  Hermannshütte  mit  den  erforderlichen  Ausrüstungen  nach 
jeder  Richtung  hin  so  rasch  als  möglich  zu  versehen."  Im  Jahre 
1887  wurde  infolgedessen  auf  der  Hermannshütte  die  Fabrikation 
von  Panzerplatten  und  anderen  Schiffsbaumaterialien  in  großem  Um- 
fange aufgenommen,  nachdem  man  damit  im  kleinen  bereits  vor 
einigen  Jahren  begonnen  hatte.  Zu  diesem  Zwecke  wird  das  Mar- 
tinwerk auf  8  Öfen  vergrößert  und  eine  zweite  Reversierblech- 
straße  aufgestellt.  Allein  diese  Produktion  wurde  wieder  aufge- 
geben, wahrscheinlich  wegen  der  Konkurrenz  von  Gruson.  Dies 
Werk  erdrückte  schon  damals  alle  Konkurrenz  in  diesem  Artikel. 
1892/93  wurde  es  dann  von  Krupp  erworben  und  damit  jener  un- 
geheure Antagonismus  geschaffen,  unter  dem  die  Weltfirma  bis  heute 
leidet,  nämlich  auf  der  einen  Seite  immer  widerstandfähigere  Panzer 
zu  fabrizieren,  auf  der  anderen  Seite  aber  Kanonen,  die  immer  stär- 
kere Panzer  durchschlagen.  Die  Festschrift  des  Hoerder  Vereins  gibt 
als  Grund  für  die  Aufgabe  der  Fabrikation  von  Panzerplatten  an, 
daß  „sich  auf  die  Dauer  die  geschaffenen  Einrichtungen  bei  den  Fort- 
schritten der  Technik  auf  diesem  Gebiete  nicht  als  genügend  leistungs- 
fähig erwiesen." 

Der  Rest  der  80er  Jahre,  1886/87—1889/90  ergab  dann  infolge 
Ausgabe  von  Prioritätsaktien  wieder  bessere  Resultate.  Daß  aber 
die  Gesellschaft  unter  schwierigeren  Verhältnissen  arbeitete,  kam 
in  der  Krisis  von  1890/94  zum  offenen  Durchbruch.  Es  treten  in 
diesen  Jahren  wieder  starke  Verluste  ein,  über  deren  Ursache  nichts 
Näheres  bekannt  ist.  In  den  Kreisen  der  Technik  besteht  die  Meinung, 
daß  die  wissenschaftlichen  und  vielfach  erfolglosen  Versuche  und  die 
damit  verbundenen  experimentellen  Anlagen  große  Summen  ver- 
schlangen, ohne  der  Gesellschaft  eine  Rente  abzuwerfen.  In  dieser 
Zeit  wird  weder  für  die  Prioritäts-  noch  für  die  Stammaktien  eine 
Dividende  gezahlt. 

Damals  in  die  80er  und  den  Anfang  der  90er  Jahre  fallen  die  großen 
baulichen  Änderungen,  die  bereits  erwähnt  wurden.  Die  umfassenden 
Um-  und  Neubauten  konnten  in  bezug  auf  ihre  Leistungsfähigkeit 
nicht  zur  Ausnutzung  gebracht  werden,  weil  in  den  Krisen  die  Aufträge 


42 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


stark   zurückgingen  und   in   einzelnen  Artikeln  gänzlich  zusammen- 
schrumpften. 

Einen  Überblick  über  die  Resultate  des  Betriebes  gibt  folgende 
Tabelle,  die  die  Zeit  von  1874/75  bis  1894/95  umspannt: 


Jahr 

Aktienkapital 

Reingewinn 

Dividende 

1874/5 

14,738,520 

M. 

— 

— 

1875/6 

14,789,960 

,, 

—262,786 

M. 

— 

1876/7 

)( 

n 

—881,492 

— 

1877/8 

7,368,900 

,, 

—  108,092 

— 

1878/9 

II 

— 

— 

1879/80 

II 

—389,647 

— 

1880/1 

II 

381,647 

4^ 

1881/2 

II 

221,348 

— 

1882/3 

II 

467,394 

— 

1883/4 

II 

202  998 

— 

1884/5 

II 

436,944 

— 

1885/6 

II 

896,493 

Prior.-Akt. 

Stamm-Akt 

1886/7 

11,868,900 

,, 

475,000 

6^ 

1^ 

1887/8 

14,868,900 

II 

700,000 

Q% 

H 

1888/9 

22,368,900 

,, 

700,000 

e% 

H 

1889/90 

t) 

II 

904,0G0 

,, 

5% 

— 

1890/1 

,, 

II 

—1,549,549 

— 

— 

1891/2 

II 

,, 

-2,404,574 

— 

— 

1892/3 

II 

II 

—2,404,575 

— 

— 

1893/4 

17,508,000 

,, 

263,088 

— 

— 

1894/5 

II 

„ 

898,191 

— 

— 

In  der  sich  an  das  letztgenannte  Jahr  anschließenden  Auf- 
schwungsperiode folgten  die  Betriebsergebnisse  der  rasch  ansteigen- 
den Konjunktur,  um  dann  allerdings  in  den  Jahren  1901/02  wieder 
wenig  befriedigend  zu  sein. 

Über  die  letzte  Depressionsperiode  äußert  sich  der  Geschäfts- 
bericht von  1902/03  folgendermaßen:  „Um  unsere  Werke  in  solchem 
Umfange  beschäftigen  zu  können,  daß  ein  einigermaßen  rationeller 
Betrieb  möglich  war,  mußten  große  Mengen  unserer  Fabrikate  für 
die  Ausfuhr  verkauft  werden.  Hierbei  hatte  der  freie,  ungehinderte 
Wettbewerb  der  deutschen  Werke  untereinander  zur  Folge,  daß  die 
Preise  immer  weiter  zurückgingen  und  schließlich  einen  Stand  er- 
reichten, der  eine  volle  Deckung  der  Selbstkosten  gewiß  in  vielen 
Fällen  ausgeschlossen  hat.  Von  welcher  Bedeutung  für  unsere  Ge- 
sellschaft das  Exportgeschäft  geworden  ist,  erhellt  daraus,  daß  vom 
Gesamtversand   unserer   Fabrikate,  der   im    Jahre    1902/03   sich  auf 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


43 


352  035   Tonnen    bezifferte,    150  850    Tonnen    =   42,85  o/o    exportiert 
wurden. 

Über  das  Betriebskapital,  den  Reingewinn  und  die  Dividende 
der  letzten  Hochkonjunk-tur  und  der  sich  daran  schließenden  Baisse 
geben  folgende  Zahlen   Aufschluß: 


Jahr 

Aktienkapital 

Reingewinn 

Di\idende 

Prior-Aktien 

Stamm-Akt 

1895/6 

22,528,090  M. 

1,349,055  M. 

5% 

- 

1896,7 

25,528,000    ,. 

2,410,620    „ 

H 

- 

1897,8 

»            1. 

3,831,717    „ 

n 

n 

1898 '9 

27,028,000    „ 

4,797,198    „ 

14? 

n 

1899/1900 

II                  n 

4,660,301    „ 

14? 

9? 

1900/1 

II                  II 

3,169,162    „ 

10? 

5^ 

1901  2 

II                  II 

2,048,013^,, 

- 

- 

1902  3 

1,508,037    „ 

4? 

- 

Dieser  Überblick  über  die  finanziellen  Ergebnisse  ist  sehr 
lehrreich. 

Wir  sehen :  Während  ihres  50jährigen  Bestehens 
hat,  Nsenn  wir  von  dem  letzten  Jahre  absehen,  die 
Gesellschaft  17  Jahre  hindurch  keine  Dividende  ge- 
zahlt. Wegen  Mangel  an  Material  ist  es  nicht  mög- 
lich, die  speziellen  Ursachen  der  schlechten  Ge- 
schäfte in  jeder  einzelnen  Periode  genau  festzu- 
stellen. Eins  aber  ergibt  sich  aus  dem  Vorhergehen- 
den mit  genügender  Sicherheit:  Die  Perioden  des 
Niederganges  der  Konjunktur  sind  gerade  bei  dem 
Hoerder  Verein  besonders  scharf  und  prononziert 
zum  Ausdruck  gekommen.  Allerdings  hatdie  Krisis, 
die  in  seine  erste  Entwicklung  fällt,  ihn  wenig  affi- 
ziert,  um  so  tiefer  aber  gruben  die  Baissen  in  den 
folgenden  drei  Dezennien  ihre  Furchen  ein.  Das- 
selbe   gilt   von    der    Krisis    IQOOff. 

Aber  trotzdem  steht  das  Hoerder  Werk  keineswegs  als  Ausnahme 
da.  Seine  Gewinnergebnisse  sind  nur  ein  Spiegel  der  Unternehmer- 
gewinne der  Eisenindustrie  im  allgemeinen.  Denn  nach  den  Unter- 
suchungen Waggons')  beträgt  das  durchschnittliche  Dividendenein- 
kommen des  Aktionärs  in  der  deutschen  Eisenindustrie  nur  zwischen 
5 — 6o/o.  Diese  Industrie  rangiert  nach  seiner  Einteilung  an  vor- 
letzter Stelle. 

*)  Eduard  V7aggon :  Die  finanzielle  Ent^ricklung  der  deutschen  Aktien- 
gesellschaften von  1870—1900.     Jena  1903,  pag.   169. 


44  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

Eng  verknüpft  mit  dem  Wechsel  der  Konjunktur  und  den  Qe- 
Schäftsergebnissen  des  Hoerder  Vereins  steht  die  Geschichte 
des  Aktienkapitals  und  des  ganzen  finanziellen  Auf- 
baus dieser  Unternehmung.  Wir  sahen,  daß  die  ersten  Jahre  seines 
Bestehens  eine  Zeit  großer  Blüte  der  deutschen  Eisenindustrie  waren. 
Infolgedessen  tritt  schon  relativ  frühzeitig  das  Streben  nach  Expansion, 
nach  Erweiterung  der  Anlagen  und  Vergrößerung  der  Betriebsmittel 
hervor.  Aber  in  den  50er  Jahren  hatte  der  emporkeimende  Groß- 
betrieb noch  nicht  die  Bewegungsfreiheit,  die  er  heute  besitzt.  Das 
alte  Aktienrecht-  forderte  für  die  Kapitalserhöhungen  die  Einholung 
der  Genehmigung  der  Staatsregierung.  Diesen  Weg  mußte  auch 
der  Hoerder  Verein  einschlagen,  nachdem  bereits  in  der  ersten  Gene- 
ralversammlung im  Jahre  1852  eine  Vergrößerung  des  Kapitals  be- 
schlossen war.  Diese  Genehmigung  aber  wurde  versagt.  Die  Re- 
gierung stand  damals  noch  im  Banne  der  Traditionen  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts,  die  die  Erhaltung  und  Förderung  des  Kleinbetriebes 
sich  zum  Ziele  setzten.  Darunter  hat  das  Großkapital  anfangs  viel 
zu  leiden  gehabt.  Ehe  diese  Fesseln  gesprengt  wurden,  war  das 
Unternehmertum  darauf  angewiesen,  womöglich  den  Monarchen  selbst 
für  seine  Pläne  zu  gewinnen.  Diese  Gelegenheit  trat  für  den  Hörder 
Verein  ein,  als  der  damalige  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  am  6.  Ok- 
tober 1855  die  Werksanlagen  besichtigte.  Die  Folge  davon  war, 
daß  die  Zustimmung  der  Regierung  nicht  allzulange  darauf,  am 
21.  Mai  1856,  erteilt  wurde.  Das  Aktienkapital  wurde  um  IV2  Millionen 
erhöht  und  die  jungen  Aktien  den  Aktionären  al  Pari  angeboten.  Diese 
Erhöhung  trat  zuerst  auf  in  der  Bilanz  des  Jahres  1855/56.  Dann 
bleibt  das  Aktienkapital  von  71/2  Millionen  Mark  stabil  bis  zum 
Jahr  1863/64. 

An  die  Aufnahme  der  Bessemerstahlerzeugung  auf  der  Hermanns- 
hütte schließt  sich  nun  eine  Kette  von  Kapitalserhöhungen.  Bis  zum 
Ausbruch  der  großen  Krisis  des  Jahres  1873  steigt  es  allmählich  von 
7,5  auf  14,7  Millionen  Mark.  Mit  einem,  wenn  auch  langsam  ver- 
doppelten Betriebskapitale  tritt  das  Unternehmen  in  die  Krisis.  Nun 
haben  wir  früher  bereits  gesehen,  daß  4  Jahre  mit  einer  Unterbilanz 
von  1,6  Millionen  Mark  abschlössen,  und  2  Jahre  weder  Gewinn  noch 
Verlust  hatten  (siehe  Seite  42).  Nachdem  bereits  für  Abschreibung 
und  Verluste  in  den  Jahren  1873/74  und  1874/75  der  Reservefond  auf- 
gezehrt worden  war,  wurde  am  1.  Juli  1878  die  Unterbilanz  der  voran- 
gehenden Jahre  durch  ein  Verfahren  aus  der  Welt  geschafft,  das  bei 
Aktiengesellschaften  in  Finanzkalamitäten  sehr  oft  vorkommt.     Der 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 45 

Nominalwert  der  Aktien  wurde  von  600  auf  300  Mark  heruntergesetzt, 
das  heißt,  das  gesamte  Aktienkapital  um  die  Hälfte  vermindert.  Das 
Aktienkapital  von  14,7  Millionen  Mark  betrug,  auf  die  Hälfte  redu- 
ziert, noch  7,37  Millionen  Mark.  Daraus  ergibt  sich  ein  ebenso 
hoher  Buchgewinn.  Mit  dieser  ungeheuren  Summe  von  7,37  Millionen 
Mark  hat  die  Gesellschaft  einmal  ihre  Verluste  gedeckt,  die  in  den 
Bilanzen  der  Jahre  1875/76—1877/78  nur  mit  1,2  Millionen  Mark 
angegeben  sind,  was  vielleicht  zu  niedrig  ist,  andererseits  den  bis  auf 
die  Neige  erschöpften  Reservefond  gespeist,  so  daß  dieser  mit  dem 
Betrage  von  1  Million  Mark  nahezu  wieder  die  Höhe  der  60er 
Jahre  erreichte.  Das  Jahr  1879/80,  in  dem  die  Eisenindustrie  wieder 
einen  Aufschwung  nahm,  schloß  trotzdem  für  den  Hoerder  Verein 
mit  einem  Verlust  im  Betrage  von  389  647  Mark  ab,  der  jedoch  aus 
dem   Reservefond  gedeckt  werden  konnte. 

In  den  Anfang  der  80er  Jahre  fällt  dann  die  vollständige  Re- 
konstruktion der  Hermannshütte.  Es  wurde  ein  Thomaswerk  mit 
drei  Zehntonnen-Konvertern  errichtet,  weil  das  alte,  im  Jahre  1863 
erbaute  Bessemerwerk  nicht  mehr  konkurrenzfähig  war.  Ferner  trat 
an  Stelle  des  alten  ein  neues  Bandagenwalzwerk.  Zu  ihm  gesellte 
sich  ein  Hammerwerk  mit  Hämmern  von  250  und  35  Ztr.  Schwere. 
Zur  besseren  Verwertung  der  Stahlabfälle  und  zum  Zwecke  der  Her- 
stellung besonderer  Stahl-  und  Flußeisenqualitäten  wird  ein  Siemens- 
martinwerk von  drei  Öfen  und  Nebenanlagen  gebaut.  Im  Stahlschienen- 
walzwerk wird  eine  neue  schwere  Walzenstraße  für  die  Fabrikation 
von  Schienen,  Schwellen,  Drahtknüppeln  und  schweren  Fa^oneisen 
aufgestellt,  und  die  Adjustage  für  Schienen  und  Schwellen  auf  mehr 
als  das  Doppelte  vergrößert.  Das  Stabeisenwalzwerk  wird  transloziert, 
ebenso  die  Achsen-  und  Universalstraße;  die  Drahtstraße  wird  im 
Räume  des  ehemaligen  Schienenwalzwerkes  aufgestellt.  Mit  diesen 
Um-  und  Neubauten  mußte  sich  notwendigerweise  eine  vollständige 
Umgestaltung  des  Gleisnetzes  der  Verbindungsbahn,  und  zur  Ge- 
winnung der  Bauplätze  und  Lagerräume  eine  ganz  enorme  Bewegung 
von  Erd-,  Schlacken-  und  Schuttmassen  verbinden.  Diese  Massen  um- 
faßten einen  Inhalt  von  mehr  als  150  000  cbm. 

Die  hier  bloß  in  ihren  wesentlichen  Punkten  angedeutete  be- 
triebstechnische Rekonstruktion  im  Anfang  der  80er  Jahre 
erforderte  natürlich  große  Geldmittel.  Bis  zum  1.  Juli  1884  betrug  der 
Kostenaufwand  für  die  Um-  und  Neubauten  ca.  7,3  Millionen  Mark. 
Ein  Teil  dieser  Neubauten  wurde  aus  dem  Buchgewinn  bezahlt,  der 


46 1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

durch  die  Reduktion  des  Aktienkapitals  entstanden  war.  Außerdem 
hatte  die  Gesellschaft  1880  eine  Anleihe  von  4  Millionen  Mark  auf- 
genommen. 

Außer  dem  Aktienkapital  und  dieser  Anleihe  aber  hatte  der 
Hoerder  Verein  noch  bedeutende  Bankschulden.  In  den  70er  und 
80er  Jahren  mußte  er  den  Bankkredit  in  hohem  Maße  in  Anspruch 
nehmen.  Die  beiden  Bankhäuser,  mit  denen  er  hauptsächlich  in 
Verbindung  stand,  waren  der  A.  Schaaffhausensche  Bankverein  und 
Deichmann  &  Co.  Diese  Firmen  versagten  auch  in  den  schlechten 
Zeiten  ihre  finanzielle  Unterstützung  nicht,  ja,  sie  konnten  auch 
gar  nicht  anders.  Der  A.  Schaaffhausensche  Bankverein  hat  es 
selbst  einmal  in  einem  seiner  Geschäftsberichte,  dem  über  das  Jahr 
1875,  ausgesprochen,  daß  die  Banken  sich  der  Industrie  gegen- 
über in  einer  Zwangslage  befinden.  Sie  sind  in  schlechten  Zeiten 
genötigt,  weitere  Mittel  zur  Verfügung  zu  stellen,  um  die  Sicher- 
heit der  eigenen,  bereits  geleisteten  Vorschüsse  zu  gewähren  und 
den  Weiterbetrieb  der  betreffenden  Werke  zu  ermöglichen.  Es  bleibt 
den  Banken  häufig  nichts  anderes  übrig,  als  von  zwei  Übeln  das 
kleinere  zu  wählen.  Aus  diesem  Grunde  ist  auch  die  Verbindung 
zwischen  den  Effektenbanken  und  der  Industrie  in  den  Zeiten  der 
Krisen  eine  verhältnismäßig  innige. 

Als  nun  der  Buchgewinn  verbraucht  und  der  Bankkredit  bis  an 
seine  Grenze  gespannt  war,  wurde  ein  neuer  Weg  eingeschlagen, 
um  dem  Unternehmen  Geld  zuzuführen.  Im  Jahre  1887  wurde  be- 
schlossen, das  Grundkapital  von  7  368  900  Mark  durch  Ausgabe  von 
Prioritätsaktien  auf  14  868  900  Mark  zu  erhöhen.  Es  wurde  also  eine 
neue  Kategorie  von  Aktien  geschaffen,  die  den  bisherigen,  den  nun- 
mehrigen Stammaktien,  im  Dividendenbezuge  vorausgehen  sollten. 
Die  7,5  Millionen  Prioritätsaktien  sollten  den  7,3  Millionen  Stamm- 
aktien gegenüber  vorweg  eine  Dividende  von  5  o/o  erhalten.  Im 
Jahre  1889  erfolgte  eine  weitere  Erhöhung  um  7,5  Millionen  Mark, 
so  daß  das  im  Dividendengenuß  privilegierte  Kapital  jetzt  doppelt 
so  groß  war  als  das  Stammkapital. 

Aber  das  allein  genügte  noch  nicht.  Anfang  der  90er  Jahre 
war  die  Situation  so  kritisch  geworden,  daß  der  Hoerder  Verein  tat- 
sächlich vor  dem  Bankrott  stand.  Über  diese  Zeit  sagt  die  Festschrift 
folgendes:  „Am  1.  Juli  1891  war  wiederum  eine  erhebliche  schwe- 
bende Schuld  aufgelaufen,  während  zugleich  nach  einem  kurzen  Auf- 
schwung der  Konjunktur  in  den  Jahren  1889  und  1890,  von  der 
Mitte  des  Jahres  1890  an,  ein  heftiger  geschäftlicher  Rückschlag  ein- 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  47 

getreteil  war,  welcher  eine  erhebliche  Entwertung  der  Bestände 
des  Werkes  und  einen  Arbeitsmangel  auf  demselben  zur  Folge 
hatte.  Durch  diese  Umstände  war  der  Hoerder  Verein  in  eine 
sehr  kritische  Lage  geraten,  und  nur  eine  weitere  kräftige  Unter- 
stützung seitens  der  Banken  konnte  denselben  vor  dem  Unter- 
gang bewahren.**  Die  tieferliegenden  Ursachen  dieser  ungünstigen 
Lage  sind,  wie  schon  gesagt,  heute  schwer  festzustellen.  Teilweise 
dürften  sie  mit  den  Ende  der  80er  und  Anfang  der  90er  Jahre  vor- 
genommenen Umbauten  in  Zusammenhang  stehen.  In  dem  Geschäfts- 
bericht über  das  Jahr  1889/90  heißt  es:  „Die  Lage  der  wichtigsten 
Walzwerkabteilungen  zur  Produktionsstätte  und  des  von  ihnen  zu  ver- 
arbeitenden Materials  der  Gußstahlfabrik  (gemeint  ist  das  Thomas- 
werk) war  von  jeher  eine  ungünstige  und  bedingte  weite  Trans- 
porte auf  ungünstig  situierten  Wegen."  Infolgedessen  wird  ein 
neues  Block-  und  Fertigwalzwerk  für  Schienen,  Schwellen,  Knüp- 
pel, Platinen  und  schwere  Fagoneisen  in  der  Nähe  des  Thomas- 
werkes angelegt.  Mit  der  Inbetriebsetzung  dieser  Anlage  erhoffte 
man  eine  fundamentale  Veränderung  des  ganzen  Walzwerkbetriebes 
für  schwere  Profileisen  und  eine  Vereinfachung  im  Betriebe  des 
Thomaswerkes  beim  Gießen  der  Blöcke,  sowie  eine  namhafte  Ver- 
minderung der  Abfälle  beim  Gießen  und  Walzen.  Mit  diesen  An- 
deutungen allein  aber  sind  die  Ursachen  der  finanziellen  Krisis  des 
Hoerder  Vereins  natürlich  nicht  erschöpft. 

Diese  technische  und  die  noch  nötigere  finanzielle  Reorganisation 
der  Gesellschaft  übernahm  der  bis  zum  Jahre  1903  an  der  Spitze 
des  Unternehmens  stehende  Geheime  Kommerzienrat  Tüll.  Gegen 
eine  starke  Opposition  aus  Aktionärkreisen  wurde  nun  ein  Plan 
in  die  Praxis  umgesetzt,  der  folgende  Grundzüge  aufweist.  Zunächst 
wird  eine  neue  hypothekarisch  eingetragene  Anleihe  von  10  Mill. 
Mark  aufgenommen.  Durch  Beschluß  der  Generalversammlung  vom 
11.  Dezember  1893  wird  den  Aktionären  die  Wahl  gelassen,  „die 
Prioritätsaktien  entweder  durch  Zuzahlung  von  25  o/o  oder  durch 
Zusammenlegung  von  3:1  in  Prioritätsaktien  A,  die  Stammaktien 
durch  Zuzahlung  von  50  o/o  ebenfalls  zu  Prioritätsaktien  A,  oder 
durch  Zusammenlegung  von  8:1  zu  neuen  Stammaktien  umzuwan- 
deln." Der  Erfolg  dieses  Beschlusses  war,  daß  die  Gesellschaft 
neue  Mittel  erhielt.  Die  Konversion  ergab  eine  verfügbare  Summe 
von  9  622  565  Mark,  davon  wurden  verwandt:  2,4  Millionen  zur 
Deckung  der  Unterbilanz,  6,2  Millionen  Mark  zu  außerordentlichen 
Abschreibungen  und  der  Rest  zur  Dotierung  verschiedener  Fonds. 


48      1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 

Das  der  Gesellschaft  außerdem  zugeführte  neue  Aktienkapital  be- 
lief sich  auf  4  885  500  Mark.  Das  gesamte  Aktienkapital  der  Gesell- 
schaft betrug  nach  Ausführung  des  Beschlusses  der  Generalversamm- 
lung 16980000  Mark  Prioritätsaktien  lit.  A  und  528  000  Mark  Stamm- 
aktien. Mit  diesen  Maßregeln  war  die  finanzielle  Reorganisation 
vollendet.  Nicht  w^eniger  als  eine  Summe  von  mehr  als  9V2  Millionen 
Mark  war  nötig  gewesen,  um  das  Unternehmen  vor  dem  Kon- 
kurse zu  retten! 

Mit  dem  Beginn  der  Hochkonjunktur  im  Jahre  1895  tritt  der 
Hoerder  Verein  in  eine  Periode  der  Kapitalserhöhungen.  Durch  Gene- 
ralversammlungsbeschluß vom  28.  Oktober  1895  wird  das  Aktien- 
kapital durch  Ausgabe  von  weiteren  5  020  000  Mark  Prioritätsaktien 
lit.  A  auf  22  Millionen  Mark,  durch  Beschluß  vom  15.  Februar  1897 
auf  25  Millionen  Mark  und  durch  Beschluß  vom  22.  Oktober  1898 
auf  26,5  Millionen  Mark  erhöht.  Heute  beträgt  es,  wenn  man  die 
528  000  Mark  Stammaktien  hinzurechnet,  27  028  000  Mark.  Dazu 
kommt  eine  Obligationsschuld  von  9  588  000  Mark  und  eine  un- 
bedeutende Hypothekenschuld  von  1693  Mark  nach  der  Bilanz  vom 
30.    Juni    1903. 

Das  wäre  in  kurzen  Zügen  die  Geschichte  der  finanziellen  Schick- 
sale des  Hoerder  Vereins.  Fassen  wir  noch  einmal  die  Hauptpunkte 
zusammen:  Die  Gesellschaft  begann  mit  einem  Kapi- 
tal von  6Millionen,  heute  beträgt  dasselbe  etwas 
über  27  Millionen  Mark.  Zwischen  diesen  beiden 
Zahlen  liegt  eine  etwa  zwanzigjährige  Periode  er- 
füllter Erwartungen  und  eine  etwa  ebensolange  Pe- 
riodederEnttäuschung.  Dieletztere,diewirbereits 
in  dem  Abschnitt  über  den  Einfluß  der  Krisen  auf 
das  Werk  kennen  lernten,  weist  zweimal  große  Kapi- 
talreduktionen auf.  Die  erste,  am  Ende  der  70er 
Jahre,  ergibt  einen  Buchgewinn  von  7,5  Millionen 
Mark  (1876/7  7),  diezweite,amAnfangder90erJahre, 
einen  solchen  von  9,6  Millionen  Mark,  das  heißt  über 
17  Millionen  Mark  gingen  den  Aktionären  verloren, 
ganz  abgesehen  davon,  daß  sie  17  Jahre  lang  über- 
haupt keine  Dividende  bezogen.  Die  finanzielle  Re- 
konstruktion beruhte,  wie  wir  sahen,  hauptsächlich 
in  der  Schaffung  privilegierter  Aktien  lit.  A.  Diese 
Aktien  bestehen  noch  heute.  Alles  in  allem  ergibt 
sich,  daß  das  Unternehmen  zwar  seine  finanziellen 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  49 


Krisen  unter  der  Patronage  seiner  alten  Bankver- 
bindungen übervvundenhat,  daßaberdiese  Überwin- 
dung erkauft  war  mit  großen  und  dauernden  Opfern 
von   Seiten   der   Aktionäre. 


Unsere  Schilderung  würde  unvollständig  sein,  wollten  wir  nicht 
auch  den  Einfluß  behandeln,  den  das  Hoerder  Werk  auf  seine 
Umgebung  ausgeübt  hat.  Es  hat  zunächst  den  Charakter  der  Ge- 
gend verändert.  Aus  einem  agrarischen  ist  ein  industrielles  Milieu  ge- 
worden. An  anderer  Stelle  wurde  bereits  bemerkt,  daß  die  Tendenz 
zur  Vermehrung  der  Produktivkräfte  jedem  kapitalistischen  Unter- 
nehmen weseneigentümlich  ist.  Auch  der  Hoerder  Verein  dehnte  sich 
aus,  er  erweiterte  seine  Produktionsmittel  und  occupierte  früher  land- 
wirtschaftlich benutztes  Terrain.  Die  anliegenden  Wiesen  und  Felder 
wurden  aufgekauft.  Wo  einst  blühende  Blumen  sich  im  Winde 
wiegten,  da  entladen  jetzt  hohe  Schornsteine  ihre  Rauchmassen. 
Die  gesamten  Anlagen  bedecken  heute  einen  Flächenraum  von  2V2 
Millionen  qm.  Dieses  Terrain  wird  durchkreuzt  von  zahlreichen 
Schienenwegen.  Die  Länge  der  eigenen  Schienenwege  beläuft  sich 
heute  auf  95  km.  Die  Innentransporte  werden  von  44  Lokomotiven 
ausgeführt.  Die  Zahl  der  eigenen  normalspurigen  Eisenbahnwagen 
beträgt  380. 

Ein  so  großes  Unternehmen  braucht  natürlich  tausende  von 
Arbeitskräften.  Als  in  dem  eh-rials  landwirtschaftlichen  Milieu 
die  schwere  Industrie  Fuß  faßte  —  und  es  geschah  das  bekannt- 
lich hier  viel  später  als  in  Oberschlesien  —  da  hatte  sie  sich  die  Arbeiter 
in  einem  hartnäckigen  Kampfe  mit  der  Landwirtschaft  erst  zu  erobern. 
Es  war  ein  langandauernder  Anlockungsprozeß.  Er  bewirkte,  daß  die 
Verdichtung  der  Bevölkerung  zunahm.  1834  zählte  Hoerde  1471  Ein- 
wohner, 1900  aber  ca.  25  000.  Die  Arbeiterzahl  des  Hoerder  Vereins 
betrug  1852  ca.  1700,  1860  ca.  2600,  1870  4525,  1880  3044,  heute  be- 
trägt sie  7694  (nach  dem  Geschäftsbericht  des  Jahres   1902/03.) 

Diese  Arbeitermassen  mußten  vermehrt  und  vermindert  werden 
können,  denn  für  den  Hoerder  Verein,  wie  für  jedes  kapitalistische 
Unternehmen,  ist  es  von  größter  Wichtigkeit,  seine  Arbeiterzahl 
der  jeweiligen  Größe  der  Produktion  anzuschmiegen.  Der  gebundene 
Arbeitsvertrag,  wie  ihn  die  alte  Berggesetzgebung  kannte,  war  daher 
nicht  geeignet,  den  Betrieb  dem  Wechsel  der  Konjunktur  anzu- 
passen. Das  Jahr  1860  brachte  dann  der  Montanindustrie  den  freien 
Areitsvertrag.      Der   Geschäftsbericht    über  das   Krisenjahr   1859/60 

stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  4 


50  1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein. 


erwähnt  in  dieser  Beziehung,  „daß  ein  Gesetz  erlassen  sei,  —  gemeint 
ist  die  1860  erlassene  Novelle  zur  Gewerbeordnung  von  1851  — 
welches  von  allen  Bergbauunternehmern  als  ein  bedeutender  Fort- 
schritt mit  Freuden  begrüßt  worden  sei.  Die  gesetzliche  Bestimmung 
vom  21.  Mai  1860,  wodurch  die  Annahme  und  Entlassung  von 
Bergleuten  der  freien  Vereinbarung  anheim  gegeben  wurde,  sichere 
die  allein  gedeihliche  freie  Verwendung  der  sich  darbietenden  Arbeits- 
kräfte, jene  unnatürlich  beengenden  Schranken  beseitigend,  welche, 
als  ein  Ausfluß  des  Rechtes  der  Bergbehörden,  die  An-  und  Ab- 
legung der  zum  Knappschaftsverbande  gehörigen  Bergarbeiter  zu 
verfügen,  sowie  die  sogenannten  Normallöhne  festzustellen,  sich  bis- 
her mit  so  nachteiligem  Effekte  geltend  machten,  daß  sie  eine  privi- 
legierte Arbeiterkaste  statuierte.  Der  Wegfall  des  früheren  Übel- 
standes werde  die  ersprießliche  Folge  haben,  daß  durch  eine  ein- 
heitliche, ausschließlich  von  dem  Werksbeamten  gehandhabte  Dis- 
ziplin der  Arbeiter  zur  Folgsamkeit  und  zu  gesteigerten  Leistungen 
angehalten  werden  könne  und  so  einer,  bei  Aussicht  auf  gewisser- 
maßen garantierten  Normallohn  immer  tiefer  einreißenden  Erschlaf- 
fung selbst  der  besseren  Kräfte  vorgebeugt  werde." 

Natürlich  konnten  die  Arbeiter,  die  das  Werk  brauchte,  nicht 
aus  den  heimatlichen  Fluren  allein  herangezogen  werden.  Zwar 
setzten  sich  bei  jeder  Betriebsvergrößerung  früher  zahlreiche  Be- 
wohner des  Sauerlandes  und  Hessens  in  Bewegung,  aber  die  Men- 
schenmasse der  benachbarten  Bezirke  reichte  nicht  aus ;  immer  größer 
wurde  der  Bedarf  nach  Eisen-  und  Hüttenarbeitern,  und  so  wurde  denn 
schließlich  der  deutsche  Osten  als  Rekrutierungsbezirk  für  die  west- 
fälische Montanindustrie  in  Angriff  genommen.  Das  ist  der  Zug 
nach  dem  Westen,  auf  dessen  Geschichte  und  psychologische  und 
soziale  Bedeutung  und  Begründung  ich  hier  nicht  näher  eingehen 
kann. 

Um  diese  Massen  zu  halten,  mußten  Arbeiterwohlfahrts- 
einrichtungen geschaffen  werden.  In  erster  Linie  wurden  Ar- 
beiterwohnhäuser gebaut.  Werke,  die  dies  unterließen,  hatten  dauernd 
nicht  genügend  Arbeitskräfte,  bis  sie  sich  auch  dazu  entschlossen.  Noch 
in  der  ersten  Zeit  des  Bestehens  hatte  der  Hoerder  Verein  viel  unter 
Arbeitermangel  zu  leiden.  In  der  Festschrift  heißt  es  hierüber :  „Die  Zahl 
der  Puddelöfen,  Dampfhämmer  und  anderer  Betriebsmaschinen  vmrde 
allmählich  vergrößert  (im  Jahre  1857/58  wurden  53  Puddelöfen  be- 
trieben), einer  allzu  großen  Ausdehnung  des  Betriebs  wurde  aber 
dadurch  gesteuert,  daß  es  sehr  viele  Schwierigkeiten  machte,  eine 


1.  Der  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein.  51 


genügende  Zahl  Arbeiter  anzuwerben  und  denselben  Wohnungen  zu 
verschaffen."  Über  die  Arbeiterwohnungspolitik  macht  der  Geschäfts- 
bericht von  1868/69  einige  Andeutungen.  Dort  heißt  es:  „Zwar 
hat  das  bisher  voit  uns  befolgte  System,  den  soliden  Arbeiter  durch 
Gewährung  von  Vorschüssen  aus  der  Krankenkasse  zur  Erwerbung 
einer  eigenen  Wohnstätte  aufzumuntern,  gute  Früchte  getragen,  es 
entspricht  jedoch  dieser  Modus  nicht  mehr  den  gesteigerten  Be- 
dürfnissen. Die  Verwaltung  beschloß  daher,  auf  einem  bereits  acqui- 
rierten  und  sehr  passend  gelegenen  Terrain  in  der  Nähe  des  Klaren- 
bergs  nach  und  nach  eine  größere  Anzahl  Arbeiterwohnungen  zu 
errichten  und  damit  bereits  im  neuen  Geschäftsjahre  zu  beginnen." 

Der  Hoerder  Verein  gab  also,  wie  hieraus  hervorgeht,  den  Ar- 
beitern ursprünglich  Darlehn  zum  Bau  der  eigenen  Wohnstätten, 
dann  aber  nimmt  die  Gesellschaft  den  Bau  selbst  in  die  Hand,  und 
es  entstehen  die  bekannten  Arbeiterkolonien.  Heute  hat  der  Verein 
in  der  Nähe  seiner  verschiedenen  Werks-  und  Grubenanlagen  210 
Wohnhäuser  mit  86  Beamten-  und  666  Arbeiterwohnungen;  außer- 
dem eine  Arbeiterkaserne,  in  welcher  180  Arbeiter  ohne  Familien 
wohnen. 

Nun  kam  es  aber  nicht  bloß  darauf  an,  dem  Arbeiter  während  der 
Dauer  des  Arbeitsvertrages  eine  Wohnung  zu  garantieren,  sondern 
auch  ihn  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gegen  die  Wechselfälle 
des  Lebens  sicher  zu  stellen.  Zu  diesem  Zwecke  wird  eine  von  dem 
Vorgänger  des  Hoerder  Vereins  begründete  Krankenkasse  gleich  im 
ersten  Geschäftsjahre  zu  einer  Unterstützungs-  und  Pensionskasse  er- 
weitert. Sie  gewährte  dem  Arbeiter  in  Krankheitsfällen  freie  ärztliche 
Behandlung,  freie  Medikamente  und  einen  entsprechenden  Beitrag 
für  den  sonstigen  Lebensunterhalt.  In  Todesfällen  wurden  aus  ihr 
die  Beerdigungskosten  bestritten,  sowie  eine  Unterstützung  der  Wit- 
wen. Der  arbeitsunfähig  Gewordene  erhielt  aus  ihr  eine  Pension. 
Die  Alimentierung  der  Kasse  erfolgte  durch  eine  Beisteuer  der  Ar- 
beiter und  durch  einen  Zuschuß  der  Gesellschaft.  Über  das  Ver- 
hältnis des  Anteiles  beider  Zuschüsse  ist  nichts  Näheres  angegeben. 
Wir  sehen  hier  bereits  die  Vorläufer  der  modernen  Arbeiterversiche- 
rung. Längst  ehe  die  staatliche  Arbeiterfürsorge  einsetzte,  hatte  der 
gesunde  Egoismus  der  Unternehmer  im  Bergwerks-  und  Hütten- 
betrieb erkannt,  welche  Aufgaben  auf  diesem  Gebiete  vorliegen. 
1857  wurde  dann  ein  Krankenhaus  für  kranke  und  verletzte  Arbeiter 
erbaut  und  im  Jahre  1897  durch  Anbau  eines  Flügels  vergrößert. 

4* 


52  1.  Der  Hoerder  Berg^'erks-  und  Hüttenverein. 

Neben  dieser  Unterstützungskasse  schuf  man  eine  Sparkasse; 
durch   dieselbe    sollte    der   Arbeiter   wirtschaftlich   erzogen   werden. 

Um  auch  „auf  seine  sittliche  und  geistige  Fortbildung  einen 
wohltätigen  Einfluß  auszuüben"  wurde  auf  Veranlassung  der  König- 
lichen Regierung  zu  Arnsberg  eine  Sonntagsschule  ins  Leben  gerufen. 

Fassen  wir  zusammen :  Mit  der  Entwicklung  des  Hoer- 
der Vereins  verblaßt  allmählich  der  landwirtschaft- 
liche Charakter  der  Gegend,  die  umwohnenden  Ar- 
beiter treten  in  den  Dienst  der  Fabrik.  Mit  der  Aus- 
dehnung der  Betriebs  anlagen  aber  feicht  die  hei- 
mische Bevölkerung  zur  Deckung  der  Arbeiternach- 
frage von  Seiten  des  Werkes  nichtmehr  aus.  Es  wer- 
den Arbeiter  aus  dem  Sauerlande  und  aus  Hessen 
angeworben.  Schließlich  stellt  der  deutsche  Osten 
ein  ansehnliches  Kontingent.  Heute  nimmt  der  pol- 
nische Arbeiter  einen  dauernden  Platz  in  den  west- 
fälischen Hüttenwerken  ein.  Diese  nähern  sich  da- 
durch den  oberschlesischen  Betrieben,  wo  durch  die 
billige  Arbeit  des  polnischen  Arbeiters  eine  Ermäßi- 
gung der  Produktionskosten  erzielt  wird.  Infolge 
der  Vergrößerung  des  Hoerder  Werkes  steigt  die  Ar- 
beite rzahl  von  der  Mitte  des  vorigen  bis  zum  Anfange 
desneuenjahrhundertsvonl700aufüber700  0.  Diese 
Arbeitermassen  konnten  dauernd  dem  H  Order  Verein 
nur  erhalten  bleiben  durch  Schaffung  von  Wohl- 
fahrtseinrichtungen. Als  solche  lernten  wir  kennen 
vor  allem  Arb  eiterkolonien,  eine  Arbeiterkaserne, 
eine  Krankenkasse,  die  seit  Bestehen  der  Reichs- 
versicherungsgesetzgebung von  der  Pensionskasse 
getrennt  ist,  dann  eine  Sparkasse  und  eine  Sonntags- 
schule. Jedenfalls  können  wir  sagen:  der  Hoerder  Verein 
hatdieseEinrichtungengeschaffen,  weil  es  ihm  sonst 
nicht  möglich  gewesen  wäre,  einen  festen  Arbeiter- 
stand zu  erhalten.  Sozialpolitisch  betrachtet  er- 
füllen diese  Wohlfahrtseinrichtungen  kaum  das  Mi- 
nimum an  Forderungen,  das  man  in  dieser  Beziehung 
an  sie  zu  stellen  berechtigt  ist. 


2.  Die  Ilseder  Hütte. 

Das  erste  Projekt  der  Gründung  des  im  folgenden  dargestellten 
Unternehmens  knüpft  an  die  Entdeckung  reicher  Brauneisenerzlager 
an,  die  um  die  Mitte  des  verflossenen  Jahrhunderts  in  der  Nähe  des 
Dorfes  Groß-Ilsede  bei  Peine  in  Hannover  gefunden  wurden.  Auch 
hier  entsprang  der  Plan,  diese  Naturschätze  auszubeuten,  ganz  wie  wir 
dies  beim  Hocrder  Bergwerks-  und  Hüttenverein  kennen  gelernt 
hatten,  der  Interessensphäre  des  mobilen  Kapitals.  Der  erste,  der 
die  neue  Entdeckung  finanzierte,  war  ein  Celler  Privatbankier  namens 
Hostmann.  Er  gründete  1856  die  Bergbau-  und  Hüttengesellschaft  zu 
Peine  und  begann  im  folgenden  Jahre  mit  dem  Bau  der  Hütte.  Bald 
darauf  wurden  die  nach  dem  Statut  notwendigen  Organe  bestellt,  und  die 
Organisation  der  kaufmännischen  und  technischen  Beamten  begonnen. 
Aber  die  historische  Temperatur  dieses  Jahres  war  nicht  günstig. 
Die  aufsteigende  Konjunktur  war  ins  Stocken  geraten,  nachdem  be- 
reits vorher  das  Wetterleuchten  am  politischen  Firmament  den  allzu 
stürmischen  Unternehmungsgeist  des  Großkapitals  etwas  gedämpft 
hatte.  Die  große  Handels-  und  Kreditkrisis  des  Jahres  1857,  deren 
Schatten  noch  die  folgenden  Jahre  verdunkeln,  durchkreuzten  die 
Pläne  des  genannten  Finanziers.  Wohl  aus  diesem  Grunde  war  die 
von  ihm  ins  Leben  gerufene  Aktiengesellschaft  eine  Totgeburt.  Die 
Hütte  kam  gar  nicht  in  Betrieb.  Sie  figuriert  in  der  Liste  der  ver- 
krachten Unternehmungen.  Zwar  hatte  der  Prospekt  die  glänzendsten 
Erwartungen  ausgesprochen :  Mit  einem  projektierten  Betriebskapital 
von  15  Millionen  Mark  sollten  nicht  weniger  als  8  Hochöfen  nebst 
Zubehör  gebaut  werden.  Ein  Walzwerk,  eine  Gießerei,  eine  Maschinen- 
fabrik sollten  das  Eisen  ^u  Halb-  und  Ganzfabrikaten  veredeln.  Allein 
von  dem  Kapital  wurde  nur  ein  minimaler  Teil  gezeichnet  und  das 
großartig  gedachte  Unternehmen  kam  nicht  zur  Ausführung.  Die 
Presse  griff  es  an,  die  Regierung  des  damaligen  Königreichs  Han- 
nover legte  ihm  alle  möglichen  Schwierigkeiten  in  den  Weg,  und 


54  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


so  war  das  Resultat  ein  vollständiger  Mißerfolg.  1858  geriet  der  Grün- 
der der  Gesellschaft  in  Konkurs;  er  verlor  sein  ganzes  Vermögen. 
Unter  der  Wucht  dieser  Tatsache  nahm  sich  der  unglückliche  Mann 
das  Leben.  Auf  den  Trümmern  der  alten  wurde  von  seinem  Schwieger- 
sohn, dem  Rechtsanwalt  Haarmann,  1858  eine  neue  Gesellschaft  ge- 
bildet, die  das  Bergwerk  aus  der  Debetmasse  des  Toten  erstand. 
„Außerdem  wurde  durch  einen  Kontrakt  mit  dem  Hostmannschen 
Kurator  der  Hüttenplatz,  die  angefangenen  Hochöfen  und  sonstigen 
Bauten,  die  angelieferten  Kessel  und  Maschinen  und  die  aufgehäuften 
Vorräte,  sowie  alle  mit  der  Bergbau-  und  Hüttengesellschaft  zu  Peine 
zusammenhängenden  Rechte  gegen  eine  Zahlung  von  195  000  Mark 
in  bar  und  30  000  Mark  in  Aktien  und  gegen  die  Verpflichtung, 
Aktionäre,  Beamte  und  Baugläubiger  dieser  Gesellschaft,  wenn  und 
so  weit  sie  im  Konkurse  zur  prioritätsmäßigen  Befriedigung  ge- 
langen würden,  abzufinden,  eigentümlich  erworben."*)  Die  verjüngte 
Gesellschaft  konstituierte  sich  unter  der  Firma  Ilseder  Hütte. 
Sie  repräsentierte  ein  reines  Roheisenwerk.  Dasselbe  eröffnete 
seinen  Betrieb  am  12.  September  1860.  An  diesem  Tage  wurde 
der  erste  der  beiden  Hochöfen  angeblasen.  Zu  den  Hochöfen 
gehörten  zwei  Gebläsemaschinen  mit  zusammen  540  cbm  ansaug- 
barem Luftquantum  pro  Minute  und  eine  Kesselanlage  mit  16  Dampf- 
kesseln. Zum  Zwecke  der  Bewegung  der  Erzmassen  wurde  eine 
Grubenbahn  gebaut.  Sie  war  schmalspurig  und  für  den  Pferde- 
betrieb eingerichtet.  Die  Ausführung  und  die  Kosten  übernahm  eine 
Hamburger  Firma.  Letztere  betrugen  75  000  Mark.  Dafür  mußte 
die  Gesellschaft  5  o/o  Zinsen  auf  108  000  Mark,  d.  h.  auf  die  Ab- 
tretungssumme nach  5  Jahren  und  1  Pfg.  Zinsen  für  jeden  trans- 
portierten Zentner  Erz  zahlen.  1870  wurde  dann  der  Roßbahnbetrieb 
durch  den  Lokomotivbetrieb  ersetzt.  Das  war  die  ursprüngliche  An- 
lage, die  bei  weitem  nicht  an  die  umfassenden  Pläne  eines  kombinier- 
ten Betriebes  heranreichte,  die  Hostmann  realisieren  wollte.  Aber  sein 
Name  sollte  doch  in  den  Annalen  des  Unternehmens  weiter  fortleben. 
Es  stellte  sich  nämlich  heraus,  daß  Hostmann  noch  Forderungen  an 
die  Bergbau-  und  Hüttengesellschaft  zu  Peine  hatte.  Dafür  erhielten 
nun  seine  Witwe  und  deren  Erben  eine  jährliche  Rente  von  2  o/o  des 
Reingewinns.  Später  wurde  daraus  eine  fixe  Rente  von  jährlich  9000 
Mark.    Gegenwärtig  erscheint  unter   den   Passiven   der   Bilanz   der 


*)  Siehe  Festschrift:  Die  Ilseder  Hütte,  ihre  Entstehung  und  weitere  Ent- 
wicklung von   1858  bis  auf  die  heutige  Zeit.    Hannover  1884. 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  55 


Ilseder  Hütte  120  000  Mark  Ablösungskapital,  aus  dem  die  jähr- 
liche Rente  gezahlt  wird.  Diese  Einrichtung  war  ursprünglich  ge- 
rechtfertigt, zumal  da  auch  die  Familie  in  ärmlichen  Verhältnissen 
lebte.    Heute,  nach  40  Jahren,  hat  sie  jeden  Sinn  verloren. 

Die  Geschichte  der  neuen  Gesellschaft,  die  zunächst  mit  einem 
Aktienkapital  von  ca.  IV2  Millionen  Mark  arbeitete,  ist  zunächst  eine 
Leidensgeschichte,  befeuchtet  von  den  Tränen,  die  die  Krisis  1857 
bis  1861  im  Gefolge  hatte.  Die  Produktion  des  Unternehmens  be- 
ruhte, wie  aus  der  ganzen  Betriebsanlage  hervorgeht,  ausschließlich 
auf  der  Produktion  von  Roheisen.  Der  eine  im  Betriebe  befind- 
liche Hochofen  produzierte  damals  pro  Hochofentag  I9V2  Tonnen. 
Vergleicht  man  diese  Leistung  mit  der  heute  üblichen,  —  1902 
produzierte  ein  Hochofen  der  Ilseder  Hütte  209  Tonnen  pro  Hoch- 
ofentag —  so  muß  man  die  erstere  Leistung  als  erstaunlich  niedrig 
bezeichnen.  Zu  der  geringen  Leistung  gesellten  sich  die  Schwierig- 
keiten des  Absatzes.  Am  1.  Januar  1863  besaß  die  Hütte  ein  un- 
verkauftes Lager  von  3020  Tonnen  Roheisen.  1866  sogar  von  7200 
Tonnen.  Die  Konsumenten  wollten  das  Eisen  wegen  seines  hohen 
Phosphorgehaltes  nicht  verarbeiten.  Man  kannte  damals  noch  kein 
Verfahren,  um  denselben  zu  beseitigen.  Das  Eisen  wurde  brüchig 
und  für  viele  Zwecke  der  Fabrikation  untauglich.  Die  Sprödigkeit 
der  Abnehmer,  die  der  des  Eisens  mindestens  gleichkam,  ließ  sich 
nur  durch  niedrige  Verkaufspreise  überwinden.  Der  erste  Geschäfts- 
bericht*) erzählt  uns,  wie  der  Hochofen  abwechselnd  an-  und  aus- 
geblasen werden  mußte.  Dann  kam  ein  neues  Unglück:  Der  Kern- 
schacht brannte  durch  und  der  Ofen  mußte  außer  Betrieb  gesetzt 
werden.  1864  war  der  eine  Hochofen  nur  183,  der  andere  224 
Tage  in  Betrieb,  das  heißt  die  beiden  Hochöfen  feierten  zusammen 
325  Tage,  oder  jeder  beinahe  ein  halbes  Jahr  (genau  5  Monate). 
1863  schloß  die  Hütte  mit  einem  Defizit  von  41  982  Mark  ab. 

Die  Aktien  lagen  in  den  Händen  einmal  der  früheren  Aktionäre, 
die  bereits  Einzahlung  auf  die  alte  Gesellschaft  geleistet  hatten,  und 
zweitens  in  den  Händen  der  Handwerker  und  Gläubiger,  die  mit  Aktien 
bezahlt  wurden,  da  es  an  Geld  fehlte.  Jahrelang  erhielten  diese  Leute 
keine  Dividende.  1861  wurden  zwar  3  0/0  verteilt,  in  den  folgenden 
3  Jahren  aber  gar  nichts.  Auch  in  die  Geschäftsberichte  zog  der 
Pessimismus  ein:  Ein  Ton  der  Klage  geht  durch  alle  Zeilen.    Vor 


*)  Siehe  Bericht  der  Ilseder  Hütte  über  den  Betrieb  der  Hütte  seit  ihrer 
Gründung.   Celle  1865. 


56  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


allem  war  es  der  große  Geldmangel,  der  der  Gesellschaft  die 
freie  Atmung  nahm.  Es  klingt  fast  wie  Ironie,  wenn  in  dem  Ge- 
schäftsbericht von  1865  die  Frage  erwogen  wird,  ob  das  notwen- 
dige Kapital  aus  den  Betriebsüberschüssen  auf  Kosten  der  Dividenden 
beschafft  werden  sollte,  oder  aber  durch  eine  Anleihe.  Man  hatte 
bereits  drei  Anleihen  aufgenommen.  Die  vierte,  die  man  nunmehr 
projektierte,  belief  sich  auf  über  405  000  Mark.  Addiert  man  aber 
sämtliche  Betriebsüberschüsse  von  1861 — 1865  zusammen,  ohne  Be- 
rücksichtigung des  Verlustes  von  41 982  Mark  im  Jahre  1863,  so 
kommt  man  noch  nicht  einmal  auf  die  Hälfte  der  notwendigen 
Summe  (200  693  Mark).  Das  erforderliche  Geld  wurde  also  durch 
eine  Anleihe  aufzubringen  versucht.  Es  dürfte  wohl  selten  der 
Fall  sein,  daß  die  Obligationen  eines  industriellen  Unternehmens 
zu  so  günstigen  Bedingungen  offeriert  wurden,  wie  die  der  Ilseder 
Hütte.  Der  Betrag  von  405  000  Mark  sollte  unter  folgenden  Be- 
dingungen zur  Emission  gelangen:  Die  auf  das  Vermögen  der 
Ilseder  Hütte  zu  ingrossierende  Anleihe,  welche  in  1080  Abschnitte 
ä  375  Mark  zerlegt  wird,  ist  von  Seiten  der  Darleiher  unkündbar, 
wird  mit  7  o/o  verzinst  und  gewährt  dem  Inhaber  das  Recht,  im  Falle 
die  Aktionäre  der  Hütte  eine  Dividende  von  mehr  als  7  o/o  erhalten, 
die  gleiche  Mehrsumme  als  Überdividende  zu  erheben,  zu  welchem 
Zwecke  den  Obligationen  Zins-  und  Dividendencoupons  beigefügt 
sind.  Die  Ilseder  Hütte  ist  berechtigt,  nach  5  Jahren  die  Anleihe  auf 
einmal  oder  in  beliebigen  Abteilungen,  in  letzterem  Falle  durch 
Auslösung,  in  der  Art  zu  kündigen,  daß  sie  dem  Inhaber  den  fünf- 
zehnfachen jährlichen  Durchschnittsbetrag  der  von  demselben  seit 
der  Emission  genossenen  Zinsen  und  Dividenden  auszahlt.  Außer- 
dem wurde  den  Obligationären  versprochen,  daß  das  Grundkapital 
nicht  vermehrt  werden  sollte,  und  daß  die  noch  unbegebenen  Aktien 
außer  Kurs  zu  setzen  seien.  Man  sollte  meinen,  das  Kapital  würde 
in  Massen  auf  solche  verlockenden  Bedingungen  eingegangen  sein. 
Aber  das  Gegenteil  war  der  Fall.  In  dem  Geschäftsbericht  von  1866 
heißt  es:  „Inzwischen  sind  die  Zeitverhältnisse  für  die  Begebung 
dieser  Anleihe  so  ungünstig  gewesen,  daß  von  dieser  Anleihe  noch 
233  250  Mark  zu  plazieren  sind."  Das  war  ein  vollständiger  Miß- 
erfolg, der  in  das  System  von  Widerwärtigkeiten  hineinpaßt,  mit 
denen  das  Schicksal  die  erste  Jugend  der  Ilseder  Hütte  trübte.  Es 
mag  genügen,  an  diesem  einen  Beispiele  aus  der  finanziellen  Ent- 
wicklung die  Schwierigkeiten  anzudeuten,  mit  denen  das  Unternehmen 
zu  kämpfen  hatte. 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  57 


Wer  hätte  damals  in  den  60er  Jahren  ahnen  können,  daß  die 
Aktien  der  Ilseder  Hütte  dereinst  wie  ein  Meteor  am  Horizont  der 
Börse  aufsteigen  und  das  rentabelste  Anlagepapier  auf 
dem    Eisenmarkte    werden    würden! 

Welches  waren  nun  die  Ursachen,  die  aus  diesem  unfruchtbaren 
Boden  ein  blühendes  Gewächs  hervorwachsen  ließen,  unbildlich  ge- 
sprochen, die  das  alte  mit  Verlust  arbeitende  oder  nur  ganz  kärg- 
lichen Gewinn  abwerfende  Werk  in  ein  Überfluß  über  Tausende  von 
Menschen  ausschüttendes  Unternehmen  verwandelten?  Das  wollen 
wir  nunmehr  untersuchen.  Die  Beantwortung  dieser  Frage  soll  als 
Leitmotiv  für  die  folgenden  Ausführungen  gelten,  denn  in  der 
überdurchschnittlichen  Höhe  des  Ertrages  liegt  das 
Charakteristische  der  ökonomischen  Entwicklung 
des   Unternehmens. 

Auf  drei  großen  Quadern  sollte  sich  das  spätere  Gebäude  eines 
hochrentierten  Unternehmens  erheben.  Diese  waren 

1.  Der  natürliche  metallurgische  Reichtum  und  die  Beschaffenheit 
der  zur  Ilseder  Hütte  gehörenden  Erzfelder,  oder  national- 
ökonomisch gesprochen,  das  Vorhandensein  einer  Differential- 
rente. 

2.  Die  Finanzpolitik  des  Unternehmens. 

3.  Die  Gründung  und  spätere  Erwerbung  des  Peiner  Walzwerkes 
und  die  mit  dieser  Kombination  verbundene  vollständige  Än- 
derung in  den  Absatzverhältnissen, 

Kapital  und  Arbeit  der  Aktiengesellschaft  Ilseder  Hütte  basieren 
auf  ausgedehnten,  größtenteils  in  der  Nähe  der  Hütte  vorhandenen  Erz- 
lagern, die  sich  in  einer  Mächtigkeit  von  6 — 20  m,  4,5 — 5  km  in  die 
Breite  und  ca,  10  km  in  die  Länge  erstrecken.  Aus  diesem  Reichtum 
der  Erde  schöpft  die  Gesellschaft  ihren  wichtigsten  Rohstoff  für 
den  Hüttenbetrieb,  Aus  ihm  stellt  sie  ihr  Roheisen  her  und  zwar 
ursprünglich  in  zwei,  heute  in  drei  Hochöfen  (hinzu  kommt  einer 
außer  Betrieb), 

Aber  das  Erz  ist  nicht  nur  in  so  großer  Masse  vorhanden, 
daß  es  für  unübersehbare  Zeit  zur  Alimentierung  der  Öfen  aus- 
reicht, sondern  es  liegt  auch  so  nahe  an  der  Erdoberfläche,  daß 
die  Kosten  der  Gewinnung  sehr  geringe  sind.  In  der  Eisenenquete- 
kommission des  Jahres  1878  äußerte  sich  ein  Sachverständiger,  Herr 
Wintzer,   über   diese   Verhältnisse   folgendermaßen:*)     „Bekanntlich 


*)  Reichsenquete  für  die  Eisenindustrie,  1878,  p.  252. 


58  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


produziert  das  Ilseder  Werk  das  verhältnismäßig  meiste  und  billigste 
Eisen,  aber  ich  darf  wohl  sagen,  wohl  auch  mit  das  schlechteste, 
das  in  Norddeutschland  produziert  wird.  Es  produziert  aber,  und 
auch  solches  Eisen  wird  verkauft.  Es  rangiert  stets  mit  dem  Luxem- 
burger Eisen,  hat  aber  mehr  Mangan  wie  letzteres  und  gewisse 
gute  Eigenschaften:  Es  wird  sehr  schweißbares  Stabeisen  daraus 
hergestellt.  Die  Produktionskosten  in  Ilsede  sind  so  erstaunlich  billig, 
daß  es  Ihnen  wohl  von  Interesse  sein  wird,  auch  darüber  die  Zahlen 
zu  hören.  Es  liegt  das  aber  in  den  natürlichenVerhältnissen 
des  Erzvorkommens:  Die  Leute  haben  keine  Erzgruben,  son- 
dern Erzfelsen,  wovon  sie  herunterhauen,  Kalkstein  und  Eisenstein, 
alles  ist  durcheinandergewachsen.  Sie  können  die  Erze  nehmen, 
wie  sie  sie  für  die  billigste  Fabrikation  gebrauchen."  Die  Selbst- 
kosten gibt  der  genannte  Experte  für  Ilseder  Erze  nebst  Zuschlägen 
auf  2,60  Mark  pro  Tonne  an. 

Die  Gesellschaft  betreibt  heute  10  Gruben,  davon  8  im  Tagebau. 
Der  Abbau  erfolgt  terrassenförmig.  Erst  in  neuester  Zeit  hat  man 
in  zwei  Abteilungen  mit  dem  Tiefbau  begonnen.  Vorläufig  ist  man 
damit  beschäftigt,  den  unterirdischen  Abbau  durch  Strecken  und 
Bremsberge  vorzurichten,  da  der  Tagebau  in  einigen  Jahren  wegen 
der  Mächtigkeit  des  Deckgebirges  nicht  mehr  rationell  sein  dürfte. 
Gegen  Ende  der  60er  Jahre  aber  war  daran  noch  nicht  zu  denken. 
Die  Eisenerze  lagen  noch  an  der  Peripherie  der  Erdoberfläche,  mit 
Kreidemergel  überdeckt,  der  von  den  Abräumern  damals  wie  heute 
losgesprengt  und  abgefahren  wurde.  Dieser  Tagebau  ist  bedeutend 
billiger  wie  der  Tiefbau.  Es  sind  keine  kostspieligen  Schächte  und 
maschinellen  Einrichtungen  nötig,  um  das  Erz  ans  Tageshcht  zu 
fördern.  Bohrmaschinen  z.  B.  werden  beim  Tagebau  nicht  verwandt. 
Eine  solche  elektrische  Bohrmaschine,  System  Siemens  &  Halske, 
deren  das  Werk  heute  im  Tiefbau  7  besitzt,  kostet  immerhin  4000 
Mark,  und  eine  mit  Preßluft  getriebene,  von  denen  gegenwärtig 
6  vorhanden  sind,  ca.  800  Mark.  Vor  allem  aber  fallen  ins  Gewicht  die 
Förderkosten.  Je  tiefer  in  die  Nacht  der  Erde  der  Bergmann  steigen 
muß,  desto  höher  werden  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  die  Pro- 
duktionskosten. Wir  haben  in  ganz  Deutschland  ähnlich  günstige  Ver- 
hältnisse wie  in  Ilsede  nur  in  Elsaß-Lothringen  und  Luxemburg. 
Dort  wird  die  Minette,  ein  Brauneisenerz,  das  etwas  feinkörniger  ist, 
unter  ebenso  günstigen  Bedingungen  gewonnen,  aber  die  Erträge 
erreichen  doch  nicht  die  der  Ilseder  Hütte.  Wir  haben  also  die 
Erfolge  der  Ilseder  Hütte  zunächst  in  einer  von  der  Natur  gegebenen, 


2.  Die  Ilseder  Hütte. 


59 


von  der  menschlichen  Intelligenz  ganz  unabhängigen  Tatsache  zu 
suchen:  In  der  Ausdehnung  der  Erzlager  und  der  Lagerung  des 
Eisens  an  der  Oberfläche  der  Erde.  Der  sich  hieraus  erge- 
bende Mehrertrag  ist  also  ökonomisch  die  Folge  des 
Bestehens  einer  Differentialrente.  Infolgedessen  sind 
die  Herstellungskosten  des  Roheisens  in  Ilsede  sehr  geringe,  jeden- 
falls geringer  als  auf  den  konkurrierenden  Werken  Rheinland-West- 
falens und  auch  Oberschlesiens,  obgleich  die  Ilseder  Hütte  diesen 
Werken  gegenüber  insofern  im  Nachteil  ist,  weil  sie  die  für  den 
Produktionsprozeß  nötigen  Kohlen  und  Koks  in  Ermangelung  eigener 
Kohlenzechen  kaufen  muß.  Wie  niedrig  vergleichsweise  die  Selbst- 
kosten des  Roheisens  in  Ilsede  sind,  geht  auch  aus  den  Angaben  Sym- 
phers  hervor,  die  dieser  auf  Grund  einer  Erhebung  im  Jahre  1895 
in  einer  Denkschrift*)  macht.  Danach  betrugen  die  Selbstkosten 
für  Thomas-  und  Puddelroheisen  pro  Tonne : 


im  Ruhrgebiet 

auf  der 
Ilsederhütte 

in  Oberschlesien 

Erzeinsatz  und  Zuschläge  . 

Kohlen  und  Koks  .... 

Löhne  für  Arbeiter  inkl. 
Ingenieure,  Materialien 
und  Reparaturen    .   .    . 

27,50  M. 
12,00    „ 

6,50    „ 

8,00  M. 
16,50    „ 

6,50    „ 

30,50  M. 
14,00    „ 

7,50    „ 

46,00  M. 

31,00  M. 

52,00  M. 

Auf  dieser  Basis  niedriger  Produktionskosten  konnte  nun  die 
Unternehmertätigkeit  mit  Erfolg  einsetzen,  wenn  es  gelang,  mit  einem 
Minimum  an  Kapital  ein  Maximum  an  Leistung  zu  erzielen.  Die 
ersten  Ansätze  dazu  wurden  gemacht  in  der  Aufschwungsperiode 
von  1868—1873.  Am  Schluß  der  60er  Jahre  verspürte  das  Unter- 
nehmen den  ersten  Hauch  einer  besseren  Zeit,  und  diese  Periode 
ist  es  auch,  in  der  die  Grundlagen  der  späteren  Prosperität  teils  ge- 
legt, teils  gefestigt  werden.  Eine  bedeutende  Rolle  spielt  nun  die 
finanzielle  Rekonstruktion  des  Unternehmens  und  seine  spätere  Finanz- 
politik, die  von  großem  Erfolge  begleitet  war. 

Bis  zum  Jahre  1868  hatte  die  Ilseder  Hütte  wie  eingangs  er- 
wähnt, mit  großen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen.    Die  Aufnahme  von 


*)   Sympher:     Die     wirtschaftliche  Bedeutung    des    Rhein -Elbe -Kanals, 
Berlin    1899,   p.   144/5. 


60  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Hypotheken  und  anderen  Anleihen  begegneten  Mißtrauen  und  Be- 
denken. Die  Zinssätze  waren  hoch,  und  die  Plazierung  verursachte 
vielfach  Schwierigkeiten.  So  wurde,  um  noch  ein  Beispiel  anzu- 
führen, 1864  um  den  Bau  einer  normalspurigen  Eisenbahn  von  llsede 
nach  Peine  zu  ermöglichen,  eine  5prozentige  Anleihe  von  456600 
Mark  zum  Emissionskurse  von  72  o/o  ausgegeben,  d.  h.  das  Kapital 
mußte  mit  ca.  7  o/o  verzinst  werden. 

Die  Ilseder  Hütte  brauchte  als  kapitalistisches,  schon  in  ihrer 
ersten  Entwicklungsperiode  rasch  wachsendes  Unternehmen  natür- 
lich fortwährend  große  finanzielle  Mittel.  Um  diese  zu  erhalten, 
gab  es  drei  verschiedene  Wege.  Die  Verwaltung  konnte  den  kurz- 
fristigen Lombardkredit  in  Anspruch  nehmen,  und  das  hat  sie  auch 
in  großem  Maßstabe  getan.  Aber  es  ist  eine  alte  Erfahrung,  daß 
dieser  Kredit  sehr  teuer  ist.  Der  Lombardzins,  der  lo/o  über  Bank- 
diskont notiert,  eignet  sich  daher  nicht  für  längere  Inanspruchnahme. 
!n  den  Zeiten  der  Not,  wo  dieser  Weg  allein  offen  stand,  hat  die 
Hütte  ihr  Zinsenausgabekonto  hierfür  stark  belasten  müssen. 

Der  zweite  Weg  ist  die  Erhöhung  des  Aktienkapitals  durch  Aus- 
gabe junger  Aktien.  Von  dieser  Möglichkeit  ist  von  der  Verwaltung 
wenig  Gebrauch  gemacht  worden.  Das  eingezahlte  Kapital  betrug 
1861  1543  500  Mark;  erst  1869  wird  es  auf  1950  000  Mark  erhöht, 
und  auf  dieser  Höhe  bleibt  es  bis  zum  Jahre  1880,  wo  das  Peiner 
Walzwerk,  wie  wir  später  sehen  werden,  hinzuerworben  wurde. 

Ein  dritter  Weg  ist  die  Ausgabe  von  Obligationen.  Dieser  Weg 
ist  von  der  Hütte  in  umfangreichem  Maße  beschritten  worden.  In 
den  Jahren  1866 — 1868  überstieg  die  Höhe  der  Anleihen  die  Höhe 
des  Aktienkapitals.  Für  die  folgenden  Jahre  stellte  sich  das  Ver- 
hältnis folgendermaßen:  Das  Aktienkapital  betrug,  wie  erwähnt, 
1950  000   Mark,   die   Obligationsschuld: 

1869 1,500,750  M. 

1870 1,558,050  „ 

1871 1,403,019  „ 

1872 1,638,183  „ 

1873 1,568,979  „ 

Der  Schwerpunkt  der  finanziellen  Leistungsfähigkeit  aber  lag 
darin,  daß  die  Verwaltung  begann,  große  Reservefonds  zu  schaffen 
und  die  Mittel  für  die  notwendigen  neuen  Anlagen  aus  den  Be- 
triebsüberschüssen zu  bestreiten. 

Durch  dieses   Verfahren  ist  es  in  der  Tat  möglich  geworden, 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  61 


das  Aktienkapital  nicht  stark  und  schnell  anwachsen  zu  lassen.  Darin 
liegt  in  bezug  auf  die  finanzielle  Entwicklung  der  Schlüssel,  warum 
die  Ilseder  Hütte  später  so  hohe  Dividenden  abwarf,  wie  sie  keine 
andere  Aktiengesellschaft  der  Eisenindustrie  zahlte,  denn  die  Rein- 
erträge ergeben  eine  um  so  höhere  Dividende,  je  kleiner  das  Aktien- 
kapital ist,  auf  das  die  Rente  berechnet  wird.  Die  erwähnte  Finanz- 
politik wird  nun  schon  frühzeitig  durchgeführt. 

Der  Rohgewinn  steigt  von  1868—1873  von  394134  Mark  bis 
auf  1  503  352  Mark.  Aus  diesen  Steigerungen  werden  die  Reserve- 
fonds gespeist.  Diese  betrugen,  wenn  man  die  Ziffern  für  Amorti- 
sations-  und  Abschreibungskonto,  den  eigentlichen  Reservefond  und 
die  Betriebsreserve  addiert, 


1868  .  . 

.  .   487,869  M. 

1871  .  . 

.  .  1,484,784  M, 

1869  .  . 

.  .   838,197  „ 

1872  .  . 

.  .  1,983,084  „ 

1870  .  . 

.  .  1,195,377  „ 

1873  .  . 

.  .  2,910,964  „ 

Unter  Zuhilfenahme  dieser  Summen  konnte  man  nicht  nur  an- 
fangs die  aus  den  Anlagekonten  ersichtlichen  Neuanschaffungen  be- 
zahlen, sondern  später  sogar  noch  einen  Teil  der  Hypotheken  tilgen 
und  das  Betriebskapital  vermehren.  Das  ist  die  gute,  alte  Geschäfts- 
praxis, die  eine  hohe  Verzinsung  des  Kapitals  überhaupt  erst  er- 
möglicht. Aber  sie  ist  kausal  betrachtet  immerhin  abhängig  von  den 
Überschüssen,  die  der  Betrieb  liefert.  Diesem  Prinzip  ist  man  in 
der  ganzen  weiteren  Geschichte  der  Ilseder  Hütte  treu  geblieben. 
So  heißt  es  z.  B.  in  der  von  der  Verwaltung  anläßlich  des  25jährigen 
Bestehens  der  Hütte  herausgegebenen  Festschrift:  „Die  Verwaltung 
betrachtete  es  bei  ihrer  festen  Überzeugung  von  der  Entwicklungs- 
fähigkeit der  Gesellschaft  von  vornherein  als  eine  Hauptaufgabe, 
durch  vorsichtige  Verwendung  der  erzielten  Überschüsse  diese  Ent- 
wicklung möglichst  ohne  Heranziehung  neuen  Kapitals  zu  fördern." 
So  enthielten  die  drei  Reservekonti  1883  6  609  306  Mark  mehr  als  am 
31,  Dezember  1867.  Es  sind  also  in  den  genannten  16  Jahren  nicht 
nur  sämtliche  Neuanlagen  und  Erwerbungen  aus  den  Überschüssen 
bestritten,  sondern  noch  ca.  855  000  Mark  zur  Tilgung  von  Hypo- 
theken und  Vermehrung  des  Betriebskapitals  verwandt  worden. 

Die  ökonomisch  günstige  Entwicklung  der  Ilseder  Hütte  be- 
ruht in  dritter  Linie  auf  der  Existenz  des  Peiner  Walzwerkes,  Es 
ist  dies  eine  Aktiengesellschaft,  die  1872  mit  einem  Kapital  von 
1 050  000  Mark  gegründet  wurde ;  eingezahlt  wurden  nur  945  000 
Mark.    Aber  damals  ahnte  man  noch  nicht,  daß  man  am  Vorabend 


62  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


eines  großen  Konjunkturniederganges  stand,  der  einem  halben  De- 
zennium seinen  Stempel  aufdrücken  sollte.  Daher  kam  es,  daß 
gerade  mit  dem  Beginn  der  Krisis  der  Betrieb  eröffnet  wurde.  Ge- 
genstand des  Unternehmens  war,  wie  es  im  Prospekt  hieß,  die  Ver- 
hüttung und  Verarbeitung  von  Eisen,  die  Einrichtung  und  der  Be- 
trieb aller  dazu  notwendigen  oder  damit  zusammenhängenden  Hütten- 
werke und  Fabriketablissements,  sowie  der  Absatz  der  Erzeugnisse. 
Dieses  Programm  ist,  solange  das  Werk  autonom  war,  nicht  voll- 
ständig verwirklicht  worden.  Die  Anlage  umfaßte  nur  8  Puddel- 
und  3  Schweißöfen,  eine  Walzenstraße  zum  Auswalzen  der  Luppen 
und  zur  Erzeugung  von  schwerem  Stabeisen  und  eine  zweite 
Walzenstraße  für  Stabeisen  in  leichteren  Dimensionen.  Das 
Peiner  Werk  beruhte  also  auf  der  Herstellung  von  Handels- 
eisen. Die  zum  Puddeln  erforderliche  Roheisenmenge  sicherte  es 
sich  durch  einen  Lieferungsvertrag  mit  der  Ilseder  Hütte.  Die 
große  Bedeutung  dieses  Unternehmens  für  die  Ilseder  Hütte, 
die  die  Gründung  intellektuell  und  materiell  begünstigt  und  gefördert 
hatte,  lag  nun  darin,  daß  das  Ilseder  Roheisen  nicht  mehr  weit  ent- 
fernt nach  den  westfälischen  Puddel-  und  Walzwerken  abgesetzt 
werden  brauchte,  sondern  daß  der  Hauptabnehmer  in  nächster  Nähe 
der  Hütte  war.  Auch  das  Walzwerk  betont  in  seinen  Kundgebungen 
wiederholt,  daß  das  wichtigste  Moment  seines  ganzen  Betriebes  die 
tunlichst  ausschließliche  Verarbeitung  des  Ilseder  Roheisens  sei.  Be- 
reits im  ersten  Geschäftsbericht  der  neuen  Aktiengesellschaft  (1.  Juli 
1873 — 30.  Juni  1874)  heißt  es:  „Mit  Genugtuung  dürfen  wir  aber 
auch  gleichzeitig  darauf  hinweisen,  daß  die  Voraussetzungen,  auf 
welche  die  Gründung  unseres  Etablissements  basiert  wurde,  sich 
während  der  ersten  Betriebszeit  bereits  als  richtig  herausgestellt 
haben,  nämlich  der  Vorsprung,  den  unser  Werk  durch  die  Nähe  der 
Ilseder  Hütte  vor  anderen  Konkurrenzw^erken  hat,  die  gleich  uns 
Ilseder  Roheisen  verarbeiten."  Dieses  gegenseitige  Aufeinander- 
angewiesensein  erzeugte  zwischen  beiden  Werken  eine  Interessen- 
solidarität. Die  Folge  davon  war,  wie  wir  später  sehen  werden, 
eine  endgültige  Vereinigung  in  dem  Sinne,  daß  das  ganze  Walzwerk 
von  der  Ilseder  Hütte  aufgekauft  und  die  Aktien  in  ihrem  Tresor 
deponiert  wurden. 

So  lange  es  dem  Peiner  Walzwerke  allerdings  schlecht  ging, 
hatte  man  daran  nicht  gedacht,  und  es  ging  ihm  anfangs  sehr 
schlecht.  Es  eröffnete,  wie  schon  erwähnt,  seinen  Betrieb,  als  die 
Sterne  der  wirtschaftlichen  Hochkonjunktur  erblaßten  und  im  Nieder- 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  63 


gange  begriffen  waren.  Mit  einem  verhältnismäßig  wenig  geschulten 
Personal  warf  sich  das  Werk,  wie  oben  bemerkt,  hauptsächlich  auf 
die  Produktion  von  Stabeisen.  Im  ersten  Jahre  1873/74  wurden 
davon  2633  Tonnen  hergestellt  und  eine  geringe  Menge  Gruben- 
schienen. Der  Preis  des  Stabeisens  fiel  jedoch  in  den  ersten  12 
Monaten  des  Betriebes  von  360  auf  180  Mark  pro  Tonne.  Das  Roh- 
eisen sank  von  102  auf  60  Mark.  Das  Fabrikat  entwertete 
sich  also  weit  rascher  als  das  Rohmaterial.  Walzeisen  war  seit 
dem  Sommer  1873  fast  unverkäuflich.  Der  Verlust  des  ersten 
Jahres  betrug  1 1 202  Mark,  das  Defizit  des  zweiten  belief  sich 
auf  58  627  Mark.  Diese  ungünstigen  Resultate  verführten  dann 
dazu,  lediglich  auf  Bestellung  zu  arbeiten.  Dies  aber  hatte  eine  nicht 
unwesentliche  Verteuerung  der  Produktion  zur  Folge.  In  dem  Be- 
richt des  Walzwerkes  aus  dem  Jahre  1874/75  heißt  es:  „Die  ein- 
gegangenen Aufträge  blieben  hinter  der  Leistungsfähigkeit  unseres 
Werkes  zurück,  und  die  meisten  der  Aufträge  bestanden  regelmäßig 
aus  vielen  verschiedenen  Dimensionen.*)  Während  das  erste  Moment 
die  volle  Ausnutzung  der  Werkseinrichtungen  nicht  gestattete,  ver- 
ursachte der  andere  Umstand  durch  das  notwendige  Auswechseln 
der  Walzen  häufige  Betriebsstillstände,  welche  auf  den  Eisenabbrand, 
(d.  h.  den  Verlust)  und  den  Kohlenverbrauch  ungünstigen  Einfluß 
ausübten.  Inzwischen  ist  bei  so  ungünstigen  Konjunkturen  eine 
teurere  Produktion  bei  vollem  Absatz  ein  geringeres  Übel  als  eine 
billigere  Produktion  verbunden  mit  einem  Aufstapeln  der  Produkte." 
Schließlich  sagt  der  Bericht  resigniert:  „Wenn  die  Verhältnisse  sich 
noch  weiter  verschlimmern,  so  werden  wir  den  Betrieb  bis  zum  Ein- 
tritt besserer  Konjunkturen  einstellen  müssen." 

In  dieser  Unglückszeit  war  es,  als  man  begann,  die  Wirkung  der 
zollfreien  Eiseneinfuhr  auf  die  deutsch*^  Eisenindustrie  für  deren 
ungünstige  Situation  verantwortlich  zu  machen.  „Rings  umgeben 
von  Ländern,  welche  durch  Schutzzölle  den  Eintritt  des  deutschen 
Eisens  erschwerten,  seewärts  von  der  englischen  Konkurrenz  blockiert, 
im  Innern  mit  der  durch  vorteilhaftere  elementare  Grundlagen  über- 
legenen und  dabei  durch  die  billigeren  Differentialtarife  protegierten 
englischen  und  belgischen  Konkurrenz  kämpfend,  erschien  die  deutsche 
Eisenindustrie  in  schwerer  Gefahr." 

In  unvergleichlich  besserer  Lage  als  das  Peiner  Walzwerk  be- 


*)  Gemeint  sind  Aufträge  für  Stabeisen  in  verschiedenen  Dimensionen. 


64  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


fand  sich   in  den   70er   Jahren   die    Ilseder  Hütte.     Dies   geht  aus 
folgenden  Zahlen  hervor: 

1873  1874  1875  1876 

Roheisenproduktion  in  Tonnen  .            54,018  38,679  57,983  55,715 
Produktionskosten  ausschließlich 

Generalkosten  pro  Tonne  in  M.            64,65  47,90  39,04  33,40 
Betriebsüberschuß  minus  Gene- 
ralkosten          1,503,352  529,797  620,481  505,783 

Dividende  in  Prozent 20  20  62/3  6 

1877  1878  1879 

Roheisenproduktion  in  Tonnen 61,783  69,383  76,854 

Produktionskosten  ausschließlich  Generalkosten         29,67  27,88  25,20 

Betriebsüberschuß  minus  Generalkosten   .    .    .  492,860  649,963  614,573 

Dividende  in  Prozent 673               10  10 

Diese  Zahlen  zeigen 

1.  Eine  zwar  stark  oszillierende,  sich  aber  —  vom  Jahre  1874 
abgesehen  —  auf  der  Höhe  der  Hochkonjunkturperiode  haltende, 
allerdings  von  Jahr  zu  Jahr  im  Werte  abnehmende  Roheisenpro- 
duktion. 

2.  Im  Gegensatz  zum  Peiner  Walzwerk  eine  enorme  Abnahme 
der  Produktionskosten.  Hier  kam  der  Hütte  zu  gute  vor  allem  das 
Sinken  der  Kohlenpreise.  Sie  besaß,  damals  wie  heute,  keine  eigenen 
Kohlengruben.  Auch  die  Verbesserung  der  technischen  Anlagen  hat 
sicherlich  mitgewirkt.  Die  Anlagekonten  weisen  stets  hohe  Summen  auf. 
Wie  wesentlich  technische  Verbesserungen  durch  Ersparung  von  Roh- 
material den  Betrieb  verbilligen,  geht  unter  anderem  aus  einer  Ver- 
gleichung  des  Verbrauches  an  Koks  und  Kohle  hervor.  Pro  Tonne 
Roheisen  wurden  verbraucht: 


1873 

1874 

1875 

1876 

1877 

1878 

an  Koks  in  kg 

1233 

1127 

1118 

1086 

1067 

997 

an  Kohle  in  kg 

333 

193 

68 

12 

0 

1,6 

Die  Abnahme  des  Koksverbrauchs  ist  ganz  evident,  mehr  noch 
die  der  Kohle.  Die  letztere  Tatsache  hängt  damit  zusammen,  daß 
man  in  dieser  Periode  beginnt,  die  Hochofengase  zum  Heizen  der 
Dampfkessel  zu  benutzen. 

Leider  ist  es  nicht  möglich,  volkswirtschaftlich  näher  ins  Detail 
dieser  Erscheinung  einzudringen.  Wir  erkennen  hier  nur  die  Ge- 
samtwirkung, ohne  im  Einzelnen  zu  wissen,  welcher  Anteil  an  dem 
Sinken  der  Produktionskosten  dem  Rohmaterialpreise,  der  Technik, 
den  Arbeitslöhnen  etc.  beizumessen  ist. 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  65 


3.  Ein  Herunterstürzen  der  Betriebsüberschüsse  von  V/o  auf  ca. 
V2  Million,  aber  dann  eine  ziemlich  gleichbleibende  Bewegung  um 
diese  letztere  Ziffer. 

Allerdings  blieb  die  Hütte  auch  vor  Verlusten  nicht  verschont, 
aber  sie  beschränkten  sich  auf  kleinere  Summen.  1874  hatte  sie 
von  dem  Braunschweiger  Walzwerke  für  Roheisenlieferungen  noch 
48  546  Mark  zu  fordern.  Im  Geschäftsbericht  dieses  Jahres  heißt  es : 
„Leider  übersteigen  die  Forderungen  der  vorgehenden  Hypotheken- 
gläubiger so  sehr  den  Wert  der  Aktiva,  daß  wir  beim  Konkursver- 
fahren auf  unsere  Forderungen  irgend  welche  Zahlung  nicht  hatten 
erwarten  können,  weshalb  wir  es  vorzogen,  unsere  Forderungen  im 
Akkordverfahren  für  den  Betrag  von  7500  Mark  zu  verkaufen." 
Außer  dieser  Firma  stellten  noch  6  andere  Unternehmungen,  mit 
denen  die  Hütte  geschäftlich  liiert  war,  ihre  Zahlungen  ein.  Bei 
4  dieser  liquidierenden  Firmen  beliefen  sich  am  31.  Dezember  1875 
die  Restforderungen  auf  insgesamt  169  228  Mark;  diese  Summe  ist 
nicht  ganz  verloren  gegangen,  denn  in  den  folgenden  Jahren  wurde 
ein  Teil  derselben  bezahlt.  Alles  in  allem:  Von  der  Ausschei- 
dung der  ungeeigneten  Elemente  in  dem  großen 
Stoff  wechselproze  ß  der  70er  Jahre  konnte  die  Il- 
seder Hütte  nicht  ganz  unberührt  bleiben.  Die  er- 
littenen Schädigungen  aber  reichen  lange  nicht  an 
die  anderer  Werke  heran.  Das  wirksamste  Mittel,  um 
die  Krisis  abzuschwächen  war,  wie  wir  sahen,  die 
sucessive  Heruntersetzung  der  Produktionskosten 
der  Tonne  Roheisen  von  6 4,6 5  Mark  auf  2  5,2  0  Mark. 
Dadurch  wurde  eine  Verbilligung  erzielt,  die  die  ge- 
sunkenen Roheisenpreise  teilweise  überkompen- 
sierte. 

In  der  kritischen  Periode  der  70er  Jahre  war  nach  alledem  der 
Augenblick  zu  einer  Vereinigung  der  Ilseder  Hütte  mit  dem  Peiner 
Walzwerk  noch  nicht  gekommen.  Mit  dem  Jahre  1880  aber  beginnt, 
nachdem  schon  das  vorhergehende  Jahr  eine  Besserung  gebracht 
hatte,  das  deutsche  Wirtschaftsleben  wieder  schneller  und  kräftiger 
zu  pulsieren.  Nunmehr  tritt  das  bereits  früher  angedeutete  Ereignis 
ein,  das  für  die  künftige  Geschichte  der  Ilseder  Hütte  von  aller- 
größter Bedeutung  sein  sollte :  Die  Kombination  mit  dem  Peiner  Walz- 
werk. Durch  eine  Erhöhung  des  Betriebskapitals  der  Ilseder  Hütte 
um  262  500  Mark  werden  die  Mittel  beschafft,  um  das  Peiner  Walz- 
werk zu  erwerben.    Beide   Aktiengesellschaften  werden  durch   eine 

stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  5 


66  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Art  Personalunion  miteinander  verbunden.  Über  diese  Transaktion 
enthält  die  Festschrift  folgendes:  „Es  wurde  deshalb  beschlossen, 
das  Peiner  Walzwerk  zu  erwerben,  und  zwar  indirekt  durch  den 
Ankauf  sämtlicher  Aktien.  Es  geschah  dieses  in  der  Weise,  daß  für 
je  eingezahlte  360  Mark  Peiner  Walzwerkaktien  100  Mark  Ilseder 
Hüttenaktien  angeboten  wurden,  welches  Angebot  in  kurzer  Zeit 
von  sämtlichen  Aktionären  des  Peiner  Walzwerkes  akzeptiert  wurde. 
Da  das  eingezahlte  Aktienkapital  des  Peiner  Walzwerkes  945  000 
Mark  betrug,  so  wurden  für  deren  Erwerb  im  ganzen  262  500  Mark 
neue  Ilseder  Hüttenaktien  emittiert.  Die  Ilseder  Hütte  wurde  da- 
durch alleiniger  Aktionär  des  Peiner  Walzwerkes;  der  bequemeren 
Organisation  wegen  blieb  jedoch  das  Peiner  Walzwerk  als  besondere 
Gesellschaft  bestehen.  Für  die  emittierten  262  500  Mark  Aktien  er- 
warb die  Ilseder  Hütte  das  im  flotten  lohnenden  Betriebe  befind- 
liche Walzwerk  mit  einem  sehr  günstig  gelegenen  und  beschaffe- 
nen Areal  von  ca.  70  Morgen,  und  außer  den  Werksanlagen  eine 
Reihe  von  Arbeiterhäusern,  Beamtenwohnungen  usw.,  und  endlich  mit 
einem  flüssigen  Betriebskapital  von  ca.  135  000  Mark." 

Aus  diesen  Ausführungen  geht  hervor,  daß  die  Aktionäre  der 
Hütte  gleichzeitig  indirekt  Aktionäre  des  Walzwerkes  wurden.  In 
der  Bilanz  des  Peiner  Walzwerks  steht  heute,  nachdem  1892  eine  Er- 
höhung des  ursprünglichen  Kapitals  von  1  050  000  Mark  um  4  950  000 
Mark  eingetreten  war,  das  für  das  Walzwerk  ausgeworfene  Er- 
werbskapital, nämlich  nom.  5  317  500  Mark,  selbstverständlich  mit 
dem  vollen  Nennwert,  d.  h.  mit  6  Millionen  zu  Buch.  Da  die  Bilanz 
des  Peiner  Walzwerks  in  der  Bilanz  der  Ilseder  Hütte  aufgeht, 
so  ist  dadurch  eine  stille  Reserve  von  682  500  Mark  geschaffen. 

Der  ökonomische  Effekt  der  Aufsaugung  des  Peiner  Walz- 
werks durch  die  Ilseder  Hütte  war  nun  der,  daß  das  von  der 
letzteren  produzierte  Roheisen  seinen  Weltmarktpreis  verlor.  Ihre 
Einnahmen  werden  unabhängig  von  den  Schwankungen  der  Roheisen- 
preise. Sie  werden  bestimmt  durch  die  Verwertungsmöglichkeit  des 
Fabrikates.  Allerdings  geschieht  diese  Änderung  nicht  mit  einem 
Schlage.  Erst  im  Laufe  der  Zeit  wird  die  Konsumkraft  des  Walz- 
werkes so  stark,  daß  nahezu  sämtliches  in  Groß-Ilsede  erzeugte 
Eisen  von  ihm  verbraucht  werden  kann.  Heute  ist  der  Absatz  an 
fremde  Abnehmer  minimal.  Von  dem  erzeugten  und  vom  Vorjahre 
übernommenen  Roheisen  erhielt  1892  das  Peiner  Walzwerk  232445000 
Kilogramm.   An  andere  Abnehmer  wurde  abgesetzt  nur  51 900  kg. 

Mit  dieser  Kombination  wird  die  Möglichkeit  gegeben,  nicht 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  67 


wie  bisher  nur  mit  billigem  Roheisen  die  Konkur- 
renz aus  dem  Felde  zu  schlagen,  sondern  nunmehr 
fast  ausschließlich  mit  billigen  Halb-  und  Oanz- 
fabrikaten. 

Was  die  finanzielle  Seite  der  Transaktion  anbelangt,  so  möchte 
ich  nur  auf  einen  Punkt  aufmerksam  machen.  Das  Walzwerk  schließt 
entweder  mit  gar  keinem  oder  aber  mit  verhältnismäßig  kleinem 
Gewinn  ab,  der  regelmäßig  auf  neue  Rechnung  vorgetragen  wird. 
Es  zahlt  keine  Dividende.  Das  überrascht.  Diese  eigenartige  Er- 
scheinung steht  meines  Erachtens  damit  im  Zusammenhange,  daß 
durch  diese  Methode  der  Bilanzierung  eine  nicht  unwesentliche 
Steuerersparnis  erzielt  wird.  Zu  ihrer  Illustration  möchte  ich  einige 
Zahlen  für  die  letzten  drei  Jahre  heranziehen.  Die  Kommunalein- 
kommensteuer betrug  in  Peme  1899/1900  130  o/o  und  in  den  beiden 
folgenden  Jahren  170 o/o.  Die  Erhöhung  von  130  auf  170  hat  ihren 
Grund  darin,  daß  bis  1900  in  der  Stadt  Peine  noch  eine  besondere 
Kreissteuer  von  40  o/o  zur  Erhebung  gelangte,  die  jetzt  von  der 
Stadtkasse  in  einer  Summe  an  den  Kreis  abgeführt  wird.  In  Oroß- 
Ilsede  hingegen  betrug  die  Kommunaleinkommensteuer  im  Durch- 
schnitt der  letzten  Jahre  nur  2  o/o  der  Staatseinkommensteuer.  Aller- 
dings wird  außerdem  noch  die  Kreissteuer  in  Höhe  von  40  o/o  der 
Staatseinkommensteuer  erhoben.  Es  hängt  also  mit  der  eigenartigen 
Bilanzierung  eine  nicht  unbedeutende  Steuerersparnis  des  Unter- 
nehmens zusammen,  die  privatvvirtschaftlich  ja  berechtigt  sein  mag, 
volkswirtschaftlich  aber  Bedenken  unterliegt.  Denn  die  finanziellen 
Erträgnisse  des  Unternehmens  fließen  nicht  aus  dem  Verkauf  des 
Roheisens,  sondern  der  Walzwerkfabrikate.  Infolgedessen  ist  auch 
das  in  Peine  gelegene  Walzwerk  Hauptsteuersubjekt,  nicht  aber 
die  Ilseder  Hütte.  Diese  Steuerverhältnisse  geben  den  Schlüssel, 
warum  die  Ilseder  Hütte  das  Peiner  Walzwerk  unter  dauernder 
Kontrolle  hält  und  aus  ihm  eine  unselbständige  juristische  Person 
macht,  die  im  wesentlichen  nur  kleine  oder  keine  Überschüsse  liefert, 
obgleich  doch  im  Grunde  genommen  von  der  Verwertung  des  Fabri- 
kates der  ganze  Erfolg  des  Unternehmens  abhängt.  Wir  lernen 
hier  in  der  mit  den  Steuerverhältnissen  in  Zusam- 
menhang stehenden  eigenartigen  Methode  der  Bi- 
lanzaufstellung ein  weiteres  Moment  kennen,  das 
auf  den    Reingewinn   nicht  ohne    Einfluß   ist. 

Außer  dieser  Erwerbung  ist  es  nun  noch  ein  Ereignis  von  großer 
allgemeiner  Bedeutung  für  die  ganze  Eisenindustrie,  das  im  Speziellen 

5* 


68  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


für  die  Ilseder  Hütte  und  das  Peiner  Werk  eine  überdurchschnitt- 
liche Prosperität  zur  Folge  hatte.  Gilchrist  Thomas  hatte  ein  Ver- 
fahren, das  wir  bereits  kennen,  gefunden:  phosphorhaltiges  Roh- 
eisen in  ein  hochwertiges  Schmiedeisen  zu  verwandeln.  Nunmehf 
war  der  Phosphorgehalt  des  Ilseder  Roheisens  von  ca.  3  o/o  kein 
Hindernis  seiner  weitgehenden  Verwertung  mehr.  Dazu  kam,  daß 
der  neue  Thomasprozeß  bedeutend  billiger  war  als  der  alte 
Puddelprozeß.  Die  Überlegenheit  des  basischen  Prozesses  über 
den  sauren  zur  Erzeugung  weichen  Flußeisens  wird  bereits  in 
dem  Geschäftsbericht  der  Ilseder  Hütte  von  1879  anerkannt,  dort 
heißt  es:  „Weit  wichtiger  als  eine  vorübergehende  Konjunktur 
ist  aber  für  unser  Werk  das  neu  eingeführte  Entphosphorungs- 
verfahren,  welches  die  Verwendung  des  Ilseder  Roheisens  zur 
Erzeugung  guten  Stahls  und  Flußeisens  gestattet;  schon  jetzt 
wird  ein  Teil  unseres  Produktes  an  Stahlwerke  abgesetzt.  Die  weitere 
Verbreitung  dieses  Verfahrens  wird  die  Nachfrage  nach  unserem  Roh- 
eisen voraussichtlich  vergrößern  und  auch  den  Wert  desselben  er- 
höhen .  .  ."  Die  Konsequenz  daraus  zieht  der  folgende  Jahresbericht, 
in  welchem  es  heißt:  „Jedenfalls  liegt  die  Möglichkeit  nahe,  daß  die 
Produktionsbedingungen  für  eine  vorteilhafte  Verarbeitung  des  Roh- 
eisens sich  gegen  früher  wesentlich  verschieben  werden,  zumal  das 
Thomasieren  eine  solche  Ersparung  an  Brennstoffen  zuläßt,  daß  die 
Erzeugung  der  Massenartikel  der  Stahl-  und  Eisenindustrie  weit 
weniger  als  früher  von  der  Nähe  der  Kohlenlager  abhängig  ist." 
Die  bei  der  Herstellung  von  Flußeisen  und  Stahl  in  Betracht  kommende 
Ersparnis  von  Kohlen  und  Koks  berechnete  sich  auf  5 — 600  kg  weniger 
als  Roheisen.  Damit  war  der  Weg  vorgezeichnet,  den  die  Verwaltung 
zu  gehen  hatte.  Sie  hatte  zunächst  das  Patent  zu  er- 
werben, sich  das  nötige  Geld  zu  beschaffen  und  mit 
diesem  auf  dem  Terrain  des  Pein  er  Walzwerkes  eine 
für  den  Thomas prozeß  eingerichtete  Bessemerhütte 
zu  bauen. 

Diese  drei  Punkte  haben  wir  jetzt  kurz  zu  betrachten. 

Die  Patentgebühr  betrug  SVo  Mark  pro  Tonne  produzierten 
Eisens.  Diese  Gebühr  wurde  nur  ein  halbes  Jahr  gezahlt.  Dann  kaufte 
das  Werk  gegen  Zahlung  einer  Pauschalsumme  von  650  000  Mark, 
oder  zuzüglich  der  für  das  erste  Quartal  gezahlten  Abgabe  für 
671  373  Mark  die  Konzession  zur  Einführung  des  Verfahrens.  Die 
Summe  würde  noch  höher  gewesen  sein,  wenn  das  Werk  sich  nicht 
den  deutschen  Erwerbern  des  Patentes  gegenüber  verpflichtet  hätte^ 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  69 


bis  zum  1.  Januar  1887  keine  schweren  Eisenbahnschienen  und 
Schwellen  zu  fabrizieren  und  für  die  dann  folgende  Zeit  bis  zum 
Ablauf  der  Patentdauer  bei  etwaiger  Fabrikation  dieser  Artikel  für 
diese  2  Mark  pro  Tonne  zu  zahlen. 

Nachdem  das  Patent  erworben  war,  handelte  es  sich  um  Be- 
schaffung der  erforderlichen  Mittel  zum  Bau  für  das  Thomaswerk. 
Diese  beliefen  sich  auf  über  4  Millionen  Mark.  Sie  wurden  teil- 
weise bestritten  aus  den  Betriebsüberschüssen,  die  seit  1880  auf 
über  1  Million  Mark  emporsprangen,  teils  durch  Ausgabe  junger 
Aktien,  die  zu  dem  verhältnismäßig  hohen  Kurs  von  250 o/o  emittiert 
wurden.  Im  Jahre  1884  wurden  von  den  737  625  ausgegebenen 
Aktien  gezeichnet  728  625  und  der  Rest  von  den  Emissionshäusern 
übernommen.  Das  Aktienkapital  belief  sich  1884  auf  2  950  125  Mark. 
Die  hypothekarische  Verschuldung  auf  4  022  940  Mark.  Die  Ge- 
sellschaft war  also   nicht  unbedeutend  verschuldet. 

Ehe  diese  Summen  aufgebracht  waren,  hatte  man  bereits  mit 
dem  Bau  des  neuen  Stahlwerkes  in  Peine  begonnen.  Über  die 
Gründe,  die  dafür  bestimmend  waren^  heißt  es  in  der  Festschrift 
wie  folgt:  „Da  zur  Herstellung  von  Flußeisen  und  Stahlfabrikaten 
in  solchen  Dimensionen,  welche  sich  mit  einer  Hitze  fertig  walzen 
lassen,  im  ganzen  etwa  500  bis  600  Kilogramm  Kohlen  und  Koks 
pro  Tonne  Fabrikat  w  e  n  i  g  e  r  als  Roheisen  erforderlich  sind,  so  ist  es 
klar,  daß  das  Fabrikat  bei  gleichem  Roheisen-  und  Kohlenpreise 
am  Orte  der  Erzeugung  dieser  Artikel,  in  Peine,  um  den  Betrag  der 
Transportkosten  von  500—600  Kilogramm  Kohlen  billiger  muß  her- 
gestellt werden  können  als  im  westfälischen  Kohlenrevier,  und  daß 
dieser  Vorteil  bei  dem  Verkauf  der  Produkte  noch  vermehrt  wird  um 
die  Frachtdifferenz  nach  dem  östlichen  und  nördlichen  Absatzgebiet. 
Diese  Voraussetzungen,  welche  sich  nach  den  bisherigen  Erfahrungen 
als  durchaus  richtig  gezeigt  haben,  veranlaßten  den  Bau  des  neuen 
Stahlwerkes  in  Peine.  Für  die  Wahl  dieses  Ortes  entschied  man 
sich,  weil  die  Örtlichkeit  für  den  Bau  der  neuen  Anlage  viel  ge- 
eigneter erschien,  als  die  zur  Verfügung  stehenden  Anlageplätze 
in  Groß-Ilsede,  ferner,  weil  die  Heranziehung  und  Unterbringung 
der  Arbeitskräfte  in  Peine  weniger  schwierig  war,  als  in  llsede, 
und  weil  das  Peiner  Puddel-  und  Walzwerk  einen  tüchtigen  Stamm 
von  Beamten  und  Arbeitern  hatte,  mit  welchen  die  Eröffnung  des 
neuen  Betriebes,  die  Verarbeitung  des  zu  erzeugenden  Flußeisens 
und  die  Einführung  der  Produkte  sich  leichter  bewerkstelligen  ließ, 
als  mit  einem  ganz  neu  zu  engagierenden  Personal." 


70  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


In  dem  neuen  Stahlwerke  wurde  der  Thomasbetrieb  am  6.  Sep- 
tember, und  im  neuen  Walzwerk  im  Oktober  1882  eröffnet.  Das 
Werk  verarbeitete  im  folgenden  Jahre  bereits  27  893  Tonnen 
Ilseder  Roheisen  in  der  neuen  Thomashütte  und  noch  9  982  Tonnen 
im  alten  Puddelwerke.  Der  Puddelbetrieb  hat  sich  dann  noch  einige 
Zeit  gehalten,  bis  er  Mitte  der  90er  Jahre  ganz  verschwand,  weil 
der  Verkaufspreis  des  Schweißeisens  in  keinem  Verhältnis  mehr 
zu  den  Gestehungskosten  stand.  Anfang  der  80er  Jahre  ging  man 
zunächst  noch  zögernd  in  bezug  auf  die  Herstellung  von  Flußstahl 
vor.  Deshalb  wurde  die  neue  Thomashütte  zunächst  nur  für  den 
Betrieb  in  der  Tagesschicht  eingerichtet,  und  ebenso  wurde  dem 
neuen  Walzwerk  nur  eine  Walzenstraße  für  die  Herstellung  von 
Stahlbilletts  gegeben.  Daneben  wurde  aber  auch  auf  den  Walzen- 
straßen des  alten  Werks  der  gewonnene  Rohstahl  zu  Handelseisen 
in  verschiedenen  Dimensionen  ausgewalzt.  Allmählich  werden  dann  die 
Anlagen  vergrößert  und  der  Schnellbetrieb  gewinnt  immer  mehr 
an  Boden.  Um  ihn  durchzuführen,  wird  1882/83  der  Konvertor-  und 
Gießraum  voneinander  getrennt,  so  daß  die  Gießpfannen  nunmehr 
aus  dem  heißen  Konvertorraum  in  eine  besondere  Gießhalle  fahren 
müssen.  Es  werden  weiter  zwei  neue  Walzenstraßen  gebaut,  eine 
Blechstraße  und  eine  Billetstraße.  1886  enstand  dann  Walzwerk  11 
mit  drei  Walzenstraßen :  Grob-,  Mittel-  und  Schnellstraße.  Die  erstere 
dient  zur  Herstellung  von  kleinen  Trägern,  Grubenschienen,  Winkeln 
usw.,  die  Mittelstraße  zur  Herstellung  von  Stabeisen  in  mittleren 
Dimensionen,  und  die  Schnellstraße  zur  Herstellung  von  Feineisen 
(Bandeisen  usw.). 

Welches   waren   nun   die    Folgen   dieser  Neueinrichtungen? 

Zunächst  Steigerung  des  Absatzes.  „Die  Nachfrage'*,  heißt  es 
bereits  in  dem  1883er  Bericht,  „nahm  stetig  zu,  und  das  Absatz- 
gebiet hat  sich  so  erweitert,  daß  wir  für  das  neue  Fabrikat  (gemeint 
ist  Rußeisen)  Abnehmer  haben  vom  Rhein  bis  Oberschlesien, 
und  vom  adriatischen  Meere  bis  zur  Ostsee;  auch  aus  England  und 
Amerika  finden  sich  Käufer."  Diese  Steigerung  des  Absatzes  hängt 
nun  damit  zusammen,  daß  unter  der  Regie  der  Ilseder  Hütte  das 
Peiner  Walzwerk  das  alte  Fabrikationsprogramm  änderte.  Die  ur- 
sprüngliche Produktion  des  Walzwerkes  bestand,  wie  früher  be- 
merkt, vorwiegend  aus  Stahlbillets.  Die  Herstellung  derselben  war 
eine  verhältnismäßig  einfache.  An  ihr  konnten  sich  die  Arbeiter 
zuerst  in  den  Betrieb  einarbeiten  und  Erfahrungen  sammeln,  um 
für  die  schwierigere  Tätigkeit  an  den  weiter  erforderlichen  Anlagen 


2.  Die  llseder  Hütte.  71 


vorbereitet  zu  sein.  Der  Knüppel  war  anfangs  ein  Handelsartikel, 
der  im  wachsenden  Maße  begehrt  wurde,  der  sich  leicht  in  großen 
Posten  absetzen  ließ  und  dessen  Preis  ein  verhältnismäßig  hoher  war. 
Er  stellte  sich  z.  B.  1883  pro  Tonne  auf  120  Mark.  Dabei  verblieb 
dem  Werke  ein  guter  Gewinn.  Das  änderte  sich  nun  in  der  Mitte 
der  80er  Jahre  aus  bereits  bei  der  Beschreibung  des  Hoerder  Berg- 
werks- und  Hüttenvereins  mitgeteilten  Ursachen.  Die  Knüppel  wur- 
den durch  die  Krisis  im  Preise  stark  geworfen.  Die  Folge  war,  daß 
dieser  Zweig  der  Fabrikation  zu  einem  großen  Teile  verlassen  wurde. 
Damit  hängt  weiterhin  eine  Änderung  des  Absatzgebietes  zusammen. 
Heute  werden  Knüppel  vom  Peiner  Walzwerk  im  wesentlichen  nur 
noch  für  den  eigenen  Gebrauch  und  den  Export,  z.  B.  nach  England, 
hergestellt.  Der  Hauptnachdruck  ruht  seit  der  Mitte  der  80er  Jahre 
nicht  mehr  in  der  Herstellung  eines  Halbfabrikates,  sondern  eines 
Ganzfabrikates,  nämlich  in  der  Produktion  von  Trägern  und  über- 
haupt von  Fagoneisen;  ferner  werden  noch  Flacheisen,  das  heißt 
Stäbe  gewalzt  und  Feld-  und  Grubenschienen.  Mit  anderen  Worten, 
ein  Teil  der  früheren  Produktion  wird  beibehalten.  Eisenbahn- 
schienen stellt  das  Werk  nicht  her.  Dafür  bekommt  es  jährlich  von 
den  Schienenwerken  eine  bestimmte  Summe  ausgezahlt.  In  diesem 
Verfahren  liegt  ein  auf  Übereinkommen  begründetes  Mittel  der  Kon- 
kurrenzbeschränkung. Der  Vertrag  wird  geheim  gehalten.  Der  Ab- 
satz der  Träger  tendiert  hauptsächlich  nicht  nach  Westen  wie  der 
der  Stahlbillets,  die  als  Halbfabrikat  vornehmlich  an  die  westfälische 
Walzdrahtindustrie  abgesetzt  wurden,  sondern  nach  Mitteldeutsch- 
land. Schon  der  1883er  Geschäftsbericlit  schrieb:  „In  den  östlich, 
nördlich  und  südlich  von  Peine  gelegenen  Teilen  Deutschlands  ist 
keine  Konkurrenz  zu  fürchten."  In  dem  1884er  Bericht  wird  von 
Berlin  und  Sachsen  als  dem  Hauptabsatzgebiet  gesprochen.  Es  geht 
also  mit  der  eben  beschriebenen  Änderung  der  Produktion  eine 
Änderung  des  Absatzgebietes  Hand  in  Hand.  Die  Ware  wird  nicht 
mehr  auf  die  von  der  Konkurrenz  behaupteten  westlichen  Märkte 
geworfen,  sondern  dort  abgesetzt,  wo  die  Konkurrenz  wegen  der 
Entfernung  nicht  so  billig  liefern  kann,  auf  unbestrittenem  Gebiet. 
Wir  lernen  darin  ein  neues  Moment  der  Rentabilität  des  Unternehmens 
kennen,  nämlich  den  natürlichen  Frachtvorsprung 
nach  dem  Osten  gegenüber  den  westlichen  und  nach 
Mitteldeutschland  gegenüber  den  oberschlesischen 
Werken.  Das  Peiner  Walzwerk  beherrscht  diese 
Märkte  infolge  seiner  günstigen  örtlichen  Lage. 


72  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Mit  der  Entfaltung  und  Entwicklung  des  Peiner  Walzwerkes 
wird,  wie  schon  früher  bemerkt,  die  Gesellschaft  immer  unabhängiger 
vom  Roheisenmarkt,  auf  dem  sie  früher  ihr  Eisen  verkaufte.  Noch 
1884  wurden  von  dem  erzeugten  Roheisen  der  Ilseder  Hütte 
19  300  Tonnen  exportiert,  20  371  Tonnen  an  inländische  Werke 
abgesetzt  und  63  520  Tonnen  an  das  Peiner  Walzwerk  ge- 
liefert. Aber  bereits  im  folgenden  Jahre  spricht  der  Geschäfts- 
bericht davon,  daß  die  jetzigen  Werkseinrichtungen  so  weit  gediehen 
seien,  daß  sie  mit  Leichtigkeit  die  ganze  Roheisenproduktion  der 
Ilseder  Hütte  verarbeiten  könnten.  Das  ist  auch  in  der  Folgezeit  der 
Fall  gewesen.  Ja,  das  Walzwerk  hat  sich  sogar  genötigt  gesehen, 
in  der  Hochkonjunktur  der  90er  Jahre  Roheisen  aus  Luxemburg 
hinzuzukaufen.  In  dem  Geschäftsbericht  über  das  Jahr  1896  heißt 
es  nämlich:  „Die  Ilseder  Hütte  war  mit  2  Hochöfen  nicht  imstande, 
den  Roheisenbedarf  des  Walzwerkes  vollständig  zu  decken,  so  daß 
dieses  sich  veranlaßt  sah,  größere  Mengen  Roheisen  von  auswärts 
zu  beziehen."  Die  Zahlen  für  die  gegenwärtigen  Verhältnisse  wur- 
den bereits  an  anderer  Stelle  mitgeteilt.  Der  Schwerpunkt  des  Unter- 
nehmens geht  daher  je  länger  je  mehr  auf  das  Peiner  Walzwerk 
und  die  Verwendung  seiner  Fabrikate  über.  Diese  Verwertung  wurde 
nun  durch  die  Krisis  der  80er  Jahre  allerdings  geschwächt,  ganz  ab- 
gesehen davon,  daß  die  Produktion  nicht  in  dem  früheren  Umfange 
aufrecht  erhalten  werden  konnte.  In  der  Thomashütte  wurde  1886 
in  der  Regel  nur  5  Tage  in  der  Woche  gearbeitet  und  dadurch  die 
Produktionskosten  ungünstig  beeinflußt.  Die  Tatsache  nun,  daß  in 
dieser  Krisenperiode  die  Preise  der  Eisenfabrikate  stark  herunter- 
gingen und  die  meisten  Werke  mit  Verlust  arbeiteten,  führte  1887 
zur  Bildung  des  Trägerkartells,  dem  auch  das  Peiner  Walzwerk  beitrat. 
Diesem  Verbände  wurde  der  einheitliche  Verkauf  des  von  den  vereinigten 
Walzwerken  erzeugten  T-Eisens  in  der  Weise  übertragen,  daß  jedes 
Werk  in  einem  vertragsmäßig  festgesetzten  Verhältnis  an  der  Ver- 
sorgung des  deutschen  Marktes  mit  gewalztem  Eisen  seinen  Anteil 
erhielt.  Die  dem  Peiner  Walzwerk  zugebilligte  Quote,  welche  nach 
dem  Absatz  im  ersten  Halbjahre  1887  berechnet  wurde,  stellte  sich  da- 
mals auf  etwa  30  000  Tonnen  pro  Jahr.  Das  entsprach  zwar  nicht 
der  vollen  Leistungsfähigkeit  des  Werkes,  aber  es  wurde  dadurch 
in  den  Stand  gesetzt,  höhere  Inlandspreise  zu  erhalten  und  infolge- 
dessen befähigt,  mehr  als  früher  zu  exportieren.  Am  Schlüsse  jedes 
Jahres  wurde  eine  Ausgleichsverrechnung  vorgenommen.  Die  ver- 
sandten Tonnen  der  einzelnen  Werke  wurden  zusammengezählt,  die 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  73 


Summe  gleich  100  gesetzt  und  diejenigen  Werke,  deren  Versand 
über  den  ihnen  zukommenden  Anteil  hinausgegangen  war,  hatten 
an  die  im  Minus  befindlichen  Werke  einen  vorher  festgesetzten 
Geldbetrag  pro  Tonne  minus  Versand  auszuzahlen.  Um  dieselbe 
Zeit  wurde  der  Mitteldeutsche  Walzwerksverband  ins  Leben  ge- 
rufen, in  dem  das  Peiner  Walzwerk  die  führende  Rolle  übernahm. 
Die  Verkaufsstelle  für  das  Stabeisen  der  mitteldeutschen  Werke  war 
eine  Zeitlang  in  Peine  und  wurde  dann  nach  Berlin  verlegt. 

Die  Krisis  der  80er  Jahre  hatte,  wie  wir  gesehen 
haben,  Änderungen  in  der  Produktion  und  im  Ab- 
satz zur  Folge.  Die  Herstellung  der  durch  die 
schlechte  Konjunktur  im  Preise  stark  geworfenen 
Stahlbillets  wird  zum  großen  Teile  ersetzt  durch 
die  Produktion  von  Trägern.  Das  Werk  geht  von  der 
Herstellungeines  Halbfabrikateszudereines  Oanz- 
fabrikates  über.  DamitverlegtsichderSchwerpunkt 
des  Absatzes  vom  Westen  nach  dem  Norden,  Süden 
und  Osten,  hauptsächlich  aber  nach  Mitteldeutsch- 
land, und  nun  wird  der  natürliche  Frachtvorsprung 
gegenüber  den  westlichen  Werken  zu  einem  Gliede 
in  der  Kette  der  die  Prosperität  des  Unternehmens 
fördernden  Kräfte.  Das  ihrige  trugen  schließlich 
noch  der  Träger-  und  Stabe  isen  verband  bei,  die 
durch  die  Krisis  der  80er  Jahre  als  Palliativ  gegen 
dasSinkenderPreiseinderEisenindustrieinsLeben 
gerufen  wurden  und  die  für  die  Steigerung  der  Ge- 
winne des  Unternehmens  ebenfalls  nicht  ohne  Be- 
deutung waren. 

Mit  der  Einführung  des  Thomasprozesses  hängt  nun  aber  noch 
ein  Punkt  zusammen,  durch  dessen  Klarlegung  erst  eine  rationelle 
Verwertung  eines  vorher  wertlosen  Nebenproduktes  ermöglicht 
wurde.  Damit  kommen  wir  zu  einem  weiteren,  die  Rentabili- 
tät des  Unternehmens  günstig  beeinflussenden  Faktor.  Es  ist 
bekannt,  daß  der  Thomasprozeß  große  Massen  Kalk  braucht,  die 
dann  als  Schlacke  entwerten.  Infolgedessen  wurde  die  Thomas- 
schlacke in  Peine  wie  auf  anderen  Werken  zu  hohen  Schlacken- 
bergen aufgetürmt,  die  einen  Zweck  und  Nutzen  nicht  hatten,  dem 
Werke  vielmehr  noch  Terrain  kosteten.  Nun  war  es  ein  Apotheker, 
namens  Hoyermann,  aus  Hoheneggelsen  bei  Peine,  der  sich  seit 
Beginn   der  80er   Jahre   experimentell  mit  der  Frage   beschäftigte. 


74  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


wie  sich  die  Thomasschlacke  verwerten  Heße.  Er  hatte  ursprünglich 
die  Berechtigung,  sich  die  Phosphorite  der  auf  der  Ilseder  Hütte  zu 
Roheisen  verarbeiteten  Eisenerze  auslesen  zu  lassen,  um  sie  als  Dünge- 
mittel zu  versenden.  Aber  die  Ilseder  Hütte  entzog  ihm  später  diese 
Berechtigung.  Nunmehr  kam  er  auf  einen  eigenartigen  Gedanken. 
Er  legte  sich  die  Frage  vor,  wo  bei  der  Umwandlung  des  Roheisens 
in  Thomaseisen  der  Phosphor  bleibe.  Zur  Beantwortung  dieser  Frage 
kam  er  durch  die  Beobachtung  des  Stahlschmelzprozesses  in  der 
Thomashütte  des  Peiner  Walzwerkes.  Dort  blitzte  in  ihm  die  Idee 
auf,  daß  der  Phosphor  sich  nirgends  anders  versteckt  halten  könne, 
als  in  dem  Kalkzuschlag,  der  den  Konverten  zugesetzt  wird,  und 
der  dann  später  als  Thomasschlacke  abfließt.  Mit  dieser  Schlacke 
wurden  dann  Düngeversuche  auf  eigener  Ländereien  und  den  Gütern 
befreundeter  Landwirte  gemacht.  Die  Annahme,  daß  der  Phosphor 
in  den  Kalk  übergehe,  bestätigte  sich.  Durch  eine  Reihe  von 
Kulturversuchen  ergab  sich,  daß  die  Thomasschlacke  pulverisiert  ein 
ausgezeichnetes  Düngmittel  für  die  Landwirtschaft  sei.  Hoyermann 
gelangte  also  sowohl  auf  dem  Wege  theoretischer  Betrachtungsweise 
zu  seiner  Entdeckung,  als  auch  auf  dem  der  praktischen  Beobachtung. 
Die  Verwertung  vmrde  in  der  Weise  vorgenommen,  daß  Hoyer- 
mann eine  Thomasphosphatfabrik,  in  der  die  Thomasschlacke  in 
Kugelmühlen  zu  Mehl  gemahlen  wurde,  in  der  Nähe  des  Stahlwerkes 
errichtete.  Das  Peiner  Walzwerk  schloß  nach  diesem  glücklichen 
Erfolge  mit  dem  Entdecker  einen  Gesellschaftsvertrag.  Es  wurde 
eine  Kommanditgesellschaft  gegründet,  in  der  Hoyermann  persönlich 
haftender  Gesellschafter  und  das  Peiner  Walzwerk  Kommanditist 
war.  Nach  diesem  Vertrage  brachte  Hoyermann  seine  Fabrik  in  die 
Gesellschaft  zu  Herstellungskosten  ein.  Das  Peiner  Walzwerk  lieferte 
die  Schlacken  und  erhielt  dafür  einen  festen  Preis.  Von  dem  gesamten 
Gewinn  wurden  dann  10  o/o  der  Anlagekosten  abgeschrieben,  und 
der  Rest  gemeinschaftlich  geteilt.  Dieser  Vertrag  lief  mit  dem  Jahre 
1894  ab,  und  die  von  der  Firma  Phosphatfabrik  Hoyermann  &  Co., 
Kommanditgesellschaft  zu  Peine,  betriebene  Phosphatfabrik  ging  zu 
dem  nach  Absetzung  der  abgeschriebenen  Beträge  verbleibenden 
Buchwerte  in  das  Eigentum  der  Hütte  über  und  wird  seitdem  für 
Rechnung  des  Peiner  Walzwerkes  betrieben.  Seit  der  Mitte  der 
80er  Jahre  hat  dann  die  Thomasmehlfabrikation  einen  großen  Auf- 
schwung genommen.  Allerdings  waren  es  nicht  in  erster  Linie 
die  deutschen  Landwirte,  die  den  Wert  desselben  erkannten,  sondern 
die  belgischen.     Die  ersten  größeren  Massen  wurden  nach  Belgien 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  75 


abgesetzt.  Über  diesen  Punkt  schreibt  mir  Herr  Direktor  Wipper: 
„Ich,  der  ich  von  Herrn  Hoyermann  mit  der  Führung  seines  Dünger- 
geschäftes betraut  war,  hatte  mir  alle  erdenkhche  Mühe  gegeben,  in 
Deutschland  in  größeren  Massen  Verwendung  für  Thomasmehl  zu 
finden,  doch  vergeblich.  Erst  die  Beziehung  zu  dem  Deutschen 
Verein  für  Moorkultur  und  die  spätere  Verbindung  mit  der  Dünger- 
abteilung der  Deutschen  Landwirtschaftsgesellschaft  gaben  Anregung, 
daß  das  Thomasmehl  in  der  Landwirtschaft  Eingang  fand,  und 
der  Gesellschaft  ist  ein  bestimmtes  Verdienst  nicht  abzusprechen, 
der  heute  so  hervorragend  beachteten  Phosphorsäurequelle  mit  Ein- 
gang verschafft  zu  haben."  Damit  eröffnete  sich  für  das  Peiner 
Walzwerk,  resp.  die  Ilseder  Hütte  eine  neue  Einnahmequelle.  Ein 
früher  wertloses  Produkt  der  Stahlindustrie  hatte  einen  verhältnis- 
mäßig hohen  Marktwert  erhalten. 

Während  so  auf  der  einen  Seite  eine  neue  marktfähige  Ware 
geschaffen  wird,  geht  das  Streben  des  Werkes  andererseits  darauf 
hinaus,  sich  in  Bezug  auf  die  Versorgung  mit  Kalk  vom  Markte  un- 
abhängig zu  machen.  Bereits  1890  erwirbt  die  Hütte  ein  eigenes 
Kalkwerk.  In  dem  Geschäftsbericht  werden  darüber  folgende  Mit- 
teilungen gemacht:  „Die  gesicherte  Beschaffung  des  für  den  Betrieb 
der  Thomashütte  notwendigen  Kalkes  hat  uns  veranlaßt,  das  Peiner 
Walzwerk  bei  dem  in  Marienhagen,  im  Kreise  Gronau,  gelegenen 
Kalkwerk  des  Herrn  Friedrich  Rogge  als  Kommanditist  sich  be- 
teiligen zu  lassen.  Dieses  Kalkwerk  kann  jährlich  50 — 60  000  Tonnen 
gebrannten  Kalk  erzeugen,  dessen  regelmäßiger  Absatz  zu  lohnenden 
Preisen  uns  gesichert  erscheint;  außerdem  hat  das  Werk  noch  einen 
bedeutenden  Absatz  an  rohen  Kalksteinen.  Das  Kapital,  mit  welchem 
das  Peiner  Walzwerk  an  diesem  Kalkwerk  als  Kommanditist  und 
Gläubiger  beteiligt  sein  wird,  wird  Ende  1891  ca.  400  000  Mark  be- 
tragen." Damit  ist  eine  Deckung  des  Kalkbedarfes  für  das  Thomas- 
werk eingetreten. 

Betrachten  wir  nun  noch  den  Einfluß  der  Konjunktur  auf 
die  Ilseder  Hütte.  Obgleich  zwar  der  Anfang  der  90er  Jahre  für  die  In- 
dustrie nach  der  Erholung  am  Ende  der  80er  Jahre  manche  Ent- 
täuschungen brachte,  so  ist  doch  das  Werk  innerlich  so  gekräftigt,  daß 
ihm  der  schlechte  Geschäftsgang  wenig  anzuhaben  vermochte.  Bereits 
1889  hatte  der  Streik  der  Bergarbeiter  im  westfälischen  Kohlenbecken 
zu  vorübergehendem  Kohlenmangel  geführt.  Um  mit  den  zur  Ver- 
fügung stehenden  Kohlen  möglichst  lange  auszukommen,  wurde  in 
Ilsede   schwächer  geblasen,   ohne  die   Hochöfen   auszulöschen  oder 


76  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


dämpfen  zu  müssen.  Es  mußten  ferner  geringwertige  Kohlen  und 
Koks  durch  andere  Reviere  bezogen  werden,  welche  bei  ihrem  Ver- 
brauch den  Betrieb  ungünstig  beeinflußten.  Als  dann  1891  wieder 
Arbeitseinstellungen  der  Bergarbeiter  drohten,  wurden  große  Kohlen- 
reserven angeschafft.  Die  Preise  waren  hoch,  obgleich  die  Eisen- 
preise bereits  ins  Weichen  gerieten.  Auch  mit  dem  Kohlensyndikat 
hatte  die  Hütte  manche  Schwierigkeiten.  Nachdem  der  Vertrieb  der 
in  Westfalen  erzeugten  Koks  durch  das  westfälische  Kokssyndikat 
geschah,  konnte  sich  die  Hütte  nicht  mehr  dasjenige  Material  aus- 
suchen, welches  für  ihre  Zwecke  am  besten  paßte,  sondern  mußte 
den  Koks  nehmen,  welchen  das  Syndikat  ihr  zuteilte.  Später  scheinen 
sich  jedoch  die  Verhältnisse  gebessert  zu  haben.  Man  sieht  daraus, 
welchen  Einfluß  die  Lage  des  Kohlenmarktes  speziell  auf  diejenigen 
Werke  ausübt,  die,  wie  die  Ilseder  Hütte,  keine  eigenen  Kohlen- 
zechen besitzen.  Über  diese  Verhältnisse  und  Schwierigkeiten  kam 
jedoch  das  Werk  rasch  hinweg,  und  von  1894 — 1900  setzt  dann 
ein  enormer  Aufschwung  ein.  Das  ist  die  glänzendste  Zeit,  die  die 
Ilseder  Hütte  und  das  Peiner  Walzwerk  jemals  erlebt  haben.  Sie 
traten  in  diese  Periode  mit  erweiterten  Produktionsmitteln.  1892  war 
das  Aktienkapital  bereits  erhöht  worden,  um  Walzwerk  III  einzu- 
richten. 1896  war  die  Ilseder  Hütte  mit  den  zwei  im  Betriebe 
befindlichen  Hochöfen  nicht  mehr  imstande,  den  Roheisenbedarf  des 
Walzwerkes  vollständig  zu  decken,  so  daß  es  noch  größere  Mengen 
von  auswärts  beziehen  mußte.  Ein  vierter  Hochofen  mußte  gebaut 
werden.  In  dieser  Zeit  wird  auch  ein  Teil  der  hypothekarischen 
Schulden  abgestoßen.  Damit  im  Zusammenhange  steht  die  Erhöhung 
des  Aktienkapitals.  Darüber  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht  über 
das  Jahr  1896:  „Bei  der  günstigen  Lage  unserer  Betriebs-  und 
Finanzverhältnisse  hielten  wir  es  für  ratsam,  diese  zu  benutzen,  um 
den  größten  Teil  unserer  hypothekarischen  Schulden  zu  tilgen.  Um 
dieses  ohne  Verringerung  unserer  Betriebsmittel  bewerkstelligen  zu 
können,  wurde  auf  unseren  Antrag  von  der  außerordentlichen  General- 
versammlung vom  7.  Januar  dieses  Jahres  einstimmig  beschlossen, 
das  Aktienkapital  in  der  Weise  um  50  o/o  zu  erhöhen,  daß  den  Ak- 
tionären auf  je  2  Aktien  eine  neue  Aktie  zum  Nennwert  zur  Ver- 
fügung gestellt  werden  solle."  Nachdem  dies  beschlossen  war,  wur- 
den die  noch  im  Umlauf  befindlichen  Teilschuldverschreibungen  der 
4V2prozentigen  Ilseder  Eisenbahnanleihe  vom  Jahre  1883  im  Betrage 
von  543  000  Mark  und  der  4prozentigen  Peiner  Walzwerksanlage 
von   1886  im   Betrage  von   1785  000  Mark  gekündigt.    Diese  letzte 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  77 


Erhöhung  des  Betriebskapitals  um  2  214  000  Mark  erscheint  nun  aller- 
dings mit  der  Abstoßung  der  hypothekarischen  Schulden  noch  nicht 
zureichend  begründet.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  hier  noch 
ein  anderes  Motiv  in  Betracht  kommt,  das  wir  bei  solchen  Aktien- 
gesellschaften zu  finden  pflegen,  die  sehr  hohe  Dividenden  zahlen. 
Eine  sehr  hohe  Dividende  erregt  den  Neid  der  Arbeiter.  Sie  stellen 
im  Stillen  Vergleiche  an  zvi^ischen  den  Löhnen,  die  sie  in  mühsamer 
Arbeit  erwerben  und  den  Renten  der  Aktionäre,  die  nicht  arbeiten. 
Es  erhielten  1896 

3770  Arbeiter 3,989,400  M.  Lohn 

Der  Rohgewinn   betrug  3,398,724   „ 

Der  Reingewinn       „  2,526,159    „ 

Die  Aktionäre  erhielten  531/3%  =  2,360,600  M. 

Solche  Zahlen  können  leicht  die  Veranlassung  dazu  geben,  daß 
die  Arbeiter  mit  der  Beteiligung  von  Kapital  und  Arbeit  am  Ertrage 
des  Unternehmens  nicht  zufrieden  sind.  Um  dies  zu  verhüten,  ver- 
fahren dann  kapitalistische  Unternehmungen  häufig  folgendermaßen: 
Sie  erhöhen  das  Betriebskapital  und  geben  den  Aktionären  eine 
Dividende,  die  vielleicht  höher  ist  wie  früher,  die  aber  in  Prozenten 
ausgedrückt  niedriger  erscheint,  weil  sie  auf  der  Basis  eines  größeren 
Kapitals  berechnet  wird.  Um  dies  an  einem  praktischen  Beispiele 
zu  zeigen,  wollen  wir  einmal  annehmen,  die  Kapitalserhöhung  von 
über  2  Millionen  Mark  bei  der  Ilseder  Hütte  wäre  unterblieben, 
und  die  Dividende  des  Hochkonjunkturjahres  1899  im  Betrage  von 
4648  087,  die  auf  das  Aktienkapital  von  6  640125  Mark  berechnet 
700/0  beträgt,  würde  auf  das  alte  Aktienkapital  im  Betrage  von 
4  426125  Mark  bezogen,  dann  würde  die  Dividende  nahezu  105o/o 
betragen.  Durch  die  Erhöhung  des  Aktienkapitals  hat  man  mit 
dem  Auftreten  der  Hochkonjunktur  einer  übermäßig  hohen  Prozent- 
ziffer einen  Riegel  vorzuschieben  versucht.  Heute  beträgt  das  Aktien- 
kapital 6  640125  Mark,  das  Hypothekenkapital  nur  etwas  über  eine 
Million  Mark,  während  wir  in  der  Geschichte  des  Unternehmens 
Zeiten  kennen  gelernt  haben,  wo  die  Höhe  der  Hypothekenschulden 
die  Höhe  des  Aktienkapitals  überragte. 

Unter  so  günstigen  Finanzverhältnissen  war  es  möglich,  neue 
technische  Verbesserungen  in  dem  Betriebe  einzuführen  und  die 
Produktionsmittel  weiter  zu  vervollkommnen.  Einer  der  wichtigsten 
Fortschritte  in  dieser  Beziehung  ist  die  Benützung  der  Hochofengase 
nicht  mehr  bloß  zu  Heizzwecken,  sondern  auch  als   Betriebskraft. 


78  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Schon  lange  spielten  die  Gichtgase  auf  der  Ilseder  Hütte  eine  bedeu- 
tende Rolle.  Bereits  in  den  70er  Jahren  wurden  Einrichtungen 
getroffen,  um  sie  in  großen  Röhren,  die  in  die  Hochofengicht 
hineinragten,  aufzufangen  und  von  da  unter  die  Dampfkessel  zu 
leiten.  So  ersparte  man  die  sonst  notwendig  gewesene  Kohle.  Wir 
sahen  bereits  an  den  für  die  70er  Jahre  mitgeteilten  Zahlen,  wie 
außerordentlich  stark  der  Kohlenverbrauch  der  Ilseder  Hütte  sank, 
bis  er  im  Jahre  1877  Null  betrug.  Daran  aber  hatte  die  Gesellschaft, 
die  alle  ihre  Kohlen  kaufen  muß,  ein  ganz  besonderes  Interesse. 
Ferner  benutzte  man  die  Hochofengase  zur  Erhitzung  des  Ge- 
bläsewindes in  den  Winderhitzern.  Heute  heizen  die  über- 
schüssigen Gase  nicht  weniger  als  14  Dampfkessel,  deren  erzeugte 
Energie  zum  Betriebe  einer  elektrischen  Zentrale  mit  insgesamt 
1830  Pferdekräften  dient.  Diese  Dampfmaschinen  erzeugen  Elek- 
trizität in  5  Dynamos,  welche  Drehstrom  von  550  Volt  Spannung 
liefern,  der  zum  kleinen  Teil  zur  Beleuchtung  der  Hütte  und 
zu  anderen  Zwecken  des  Werkes  verbraucht  wird.  Ein  weiterer 
Teil  der  elektrischen  Kraft  wird  zu  den  3,5  Kilometer  ent- 
fernten Bültener  Erzgruben  geleitet  und  dort  zur  Beleuchtung  sowie 
zum  Betriebe  einer  unterirdischen  Pumpe,  von  6  Gesteinbohr- 
maschinen, einer  Grubenlokomotive,  einer  Erdsturzvorrichtung  usw. 
verwandt.  Der  Rest  der  elektrischen  Energie  wird  auf  10  000  Volt 
transformiert,  per  Hochleitung  dem  ca.  7  km  entfernten  Peiner  Walz- 
werke zugeführt,  um  auch  dort  zur  Beleuchtung  der  Anlagen  und 
zum  Antrieb  eines  Walzwerkes,  des  Martinwerkes,  der  Phosphatmühle, 
der  Verladekräne  etc.  zu  dienen.*'*)  Noch  vor  Torschluß  des  19.  Jahr- 
hunderts begann  man  damit  einen  weiteren  Fortschritt  der  Verwertung 
der  Hochofengase  in  die  Praxis  einzuführen,  nachdem,  wie  früher 
gezeigt,  das  Hoerder  Werk  bereits  als  erstes  vorangegangen  war. 
Es  handelt  sich  um  die  Benutzung  der  Gichtgase  zum  Antrieb  von 
Gasmotoren.  1899  begann  man  in  Groß-Ilsede  mit  dem  Bau  einer 
elektrischen  Zentrale  für  Hochofengasbetrieb,  in  der  große  Gasmotore 
von  je  1000  Pferdekräften  aufgestellt  werden,  die  in  sinnreicher 
Weise  mit  Dynamomaschinen  für  je  10  000  Volt  verbunden  sind. 
Die  so  erzeugte  elektrische  Energie  soll  dann  zum  Antriebe  der 
Maschinen  in  llsede,  Peine  und  den  Bergwerken  ausgenutzt  werden. 
So  wird  allmählich  die  Dampfmaschine  beim  Hochofen-  und  Walz- 
werksbetrieb durch  die  Gasexplosionsmaschine  verdrängt.  Diese  ganze 


*)  Siehe  Peiner  Zeitung  vom  6.  Dezember  1902. 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  79 


neue  Einrichtung  ist  ein  Mittel,  um  den  Betrieb  kolossal  zu  ver- 
billigen, denn  die  Gichtgase  stehen  jedem  Hochofenwerke  frei  zur 
Verfügung,  während  die  Kohlen,  die  man  früher  benutzte,  natürlich 
bezahlt  werden  mußten.  Da  nun  mit  den  Hochöfen  in  Ilsede  ein 
Stahl-  und  Walzwerk  kombiniert  ist,  so  nehmen  auch  diese  mit  ihrer 
Erzeugung  an  der  Verbilligung  Anteil,  was  nicht  der  Fall  wäre,  wenn 
wir  es  mit  reinen  Betrieben  zu  tun  hätten. 

Am  Ende  der  Aufschwungsperiode  im  Jahre  1899  wurde 
in  Peine  auch  ein  Siemens  -  Martinwerk  errichtet.  In  dem- 
selben werden  Roheisen  und  Abfälle  von  Stahl  oder  Schmiede- 
eisen im  bestimmten  Verhältnis  zusammengeschmolzen.  Auch  hier 
bestehen  automatische  Vorrichtungen,  welche  die  mechanische  Be- 
schickung der  Öfen  ermöglichen.  Ein  elektrisch  angetriebener  Char- 
gierwagen fährt  bis  dicht  vor  die  Tür  des  Ofens,  erfaßt  mit  einer 
Zange  die  bereitstehende,  mit  Rohmaterial  oder  altem  Eisen  beladene 
Mulde  und  schiebt  dieselbe  in  den  Ofen  hinein,  um  sie  dort  zu  ent- 
leeren. Die  Füllung  eines  Martinofens,  der  in  Peine  ca.  25  Tonnen 
faßt,  geht  auf  diese  Weise  viel  schneller  vor  sich,  als  wenn  die 
Martinarbeiter  an  Stelle  des  Kranes  die  Beschickung  auszuführen 
hätten.  Ist  der  Ofen  gefüllt,  dann  dreht  der  Schmelzer  an  einem 
Schraubenrade,  die  Ventile  der  Generatorkammern  werden  geöffnet, 
und  die  Gase  strömen  in  den  Ofen,  um  dort  ihre  Arbeit  zu  beginnen. 
Der  Prozeß  dauert  6—7  Stunden  und  ist  schon  infolgedessen  kost- 
spieliger als  der  bloß  ca.  20  Minuten  in  Anspruch  nehmende  Thomas- 
prozeß. Aber  das  Martineisen  ist  infolge  seiner  weichen  und  fein- 
körnigen Beschaffenheit  zur  Herstellung  höherwertiger  Fabrikate  zu 
benutzen  und  infolgedessen  besonders  gefragt.  Die  Einrichtung  der 
ganzen  Anlage  auf  dem  Peiner  Walzwerke  hatte  in  der  Hauptsache 
den  Zweck,  denAbsatzfürWalzwerkserzeugnissezuer- 
höhen,  da  eine  Steigerung  der  Roheisenerzeugung  in  Groß-Ilsede 
nicht  angängig  erschien.  Diese  Steigerung  hat  nun  allerdings  nicht 
stattgefunden,  denn  1900  trat  ein  Wechsel  der  Konjunktur  ein  und  die 
Produktion  ging  zurück.  Sie  sank  von  202143  Tonnen  im  Jahre  1899 
auf  171  892  Tonnen  im  Jahre  1900  und  blieb  im  folgenden  Jahre,  1901, 
annähernd  auf  derselben  Höhe  (171 378  Tonnen),  um  dann  1902 
wieder  zu  steigen,  nämlich  auf  219  350  Tonnen  Walzwerkserzeugi- 
nisse.  Diese  Entwicklung  ist  aber  nur  dadurch  möglich  geworden, 
daß  man  die  im  Inlande  nicht  absetzbaren  Waren  auf  die  ausländischen 
Märkte  warf.  In  welch  hohem  Maße  auch  die  Ilseder  Hütte  und 
das  Peiner  Walzwerk  in  der  letzten  Krisenperiode  vom  Export  lebte, 


80 


2.  Die  Ilseder  Hütte. 


der  während  der  Zeit  der  Hochflut  auf  dem  inländischen  Markt  ganz 
vernachlässigt  worden  war,  zeigen  folgende  Zahlen: 


Jahr 


1899 
1900 
1901 
1902 


Gesamtabsatz  an 
Walz  wer  ksprod  u  kten 


200,401  Tonnen 
155,539        „ 
186,242 
210.628 


Davon  kommen 
auf  das  Inland     auf  das  Ausland 


161,258  Tonnen 
126,522 
91,623        „ 
130,574 


39,143  Tonnen 
29,017        „ 
94,619        „ 
80,054        „ 


Hieraus  ergibt  sich,  daß  im  Jahr  1901  über  die  Hälfte  des  ge- 
samten Absatzes  nach  dem  Auslande  ging.  Welche  günstige  Ent- 
wicklung aber  in  der  Zeit  von  1895 — 1899  die  Gesellschaft  genommen 
hatte,  geht  am  besten  daraus  hervor,  daß  die  Betriebsüberschüsse 
jährlich  um  ca.  1  Million  Mark  stiegen  und  demgemäß  auch  die  Divi- 
denden stark  anwuchsen.     Es  betrugen: 


die  Betriebsüberschüsse 
die  Dividenden 


1895  1896  1897  1898  1899 

2,057,676     3,398,724     4,816,125     5,258,395     5,998,604 

287o  53V37o        54V3O/0        62V3O/0  700/0 


Diese  reichen  Ergebnisse  konnten  selbst  durch  die  steigenden 
Produktionskosten  nicht  wesentlich  beeinflußt  werden.  Die  Her- 
stellungskosten der  Tonne  Roheisen  betrugen  1895  28,65,  1896  30,09, 
1897  31,66,  1898  34,76,  1899  36,30,  1900  40,45  Mark.  Es  war  nament- 
lich der  Kohlenmangel  und  damit  Hand  in  Hand  gehend  der  hohe 
Kohlenpreis,  der  einen  Wermutstropfen  in  den  Becher  der  Freude 
senkte.  Auf  eine  Tonne  Roheisen  wird  in  Ilsede  nicht  ganz  eine 
Tonne  Koks  verbraucht.  Die  dadurch  herbeigeführte  Erhöhung  der 
Produktionskosten  wurde  allerdings  überkompensiert  durch  die 
enorme  Steigerung  der  Preise  für  Walzwerkserzeugnisse. 

In  den  folgenden  Baissejahren  gingen  natürlich  die  Betriebsüber- 
schüsse wie  die  Dividenden  erheblich  zurück,  hielten  sich  aber  trotz- 
dem auf  einer  Höhe,  an  die  bei  anderen  Werken  gar  nicht  zu 
denken  war.    Es  betrugen  die: 


Betriebsüberschüsse 
Dividenden 


1900 

4,938,369 

50% 


1901 
3,649,93 

40«/o 


1902 

3,876,209  M. 
400/„ 


Wir  haben  nun  schließlich  noch  eines  Momentes  zu  gedenken, 
das  für  die  Prosperität  der  Ilseder  Hütte  und  des  Peiner  Walzwerkes 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  81 


nicht  ohne  Bedeutung  gewesen  ist,  dessen  Anteil  sich  allerdings  nur 
schwer  feststellen  läßt:  der  Arbeiterverhältnisse.  Von  den 
drei  Produktionsfaktoren,  Natur,  Kapital  und  Arbeit  ist  die  letztere 
für  den  Ertrag  des  Unternehmens  natürlich  auch  von  größter  Wich- 
tigkeit. Die  Zahl  der  Arbeiter  auf  der  Ilseder  Hütte  betrug  nach 
Ausweis  des  Knappschaftsvereins  Ende  1901  4591  oder  mit  Weib 
und  Kind  ca.  16  000.  Sie  kommt  also  der  Einwohnerzahl  einer 
Stadt  wie  Küstrin  oder  Goslar  etwa  gleich.  An  Beamtengehältern  und 
Löhnen  wurden  im  genannten  Jahre  gezahlt  5  406  566  Mark.  Für 
das  letzte  Jahr  1902  haben  sich  diese  Zahlen  nicht  wesentlich  ge- 
ändert. Von  den  Arbeitern  erhält  also  jeder  durchschnittlich  einen 
Arbeitslohn  von  1177  Mark  im  Jahre.  Wenn  man  den  Durchschnitt 
für  die  Familie  berechnet,  so  entfällt  auf  jedes  Familienmitglied 
jährlich  ein  Durchschnittsbetrag  von  337  Mark.  Die  Löhne  sind  also, 
wenn  man  sein  Urteil  auf  die  Durchschnittszahlen  stützt,  die  oben- 
drein durch  die  sicherlich  nicht  zu  niedrigen  Gehälter  der  hohen 
Beamten  beschwert  werden,  sehr  gering,  jedenfalls  geringer  als  auf 
den  westfälischen  Konkurrenzwerken,  allerdings  höher  wie  in  Ober- 
schlesien. Aber  die  ganze  Lohnstatistik  der  Ilseder  Hütte  wie  der 
anderen  Werke  —  eine  Ausnahme  macht  von  den  hier  besprochenen 
lediglich  die  Ver.  Königs-  und  Laurahütte  —  ist  volkswirtschaftlich 
so  gut  wie  unbrauchbar.  Sie  gibt  nur  die  Gesamtsumme  der  aus- 
gezahlten Löhne  und  die  Zahl  der  Arbeiter  einschließlich  der  Be- 
amten sowie  die  daraus  sich  ergebenden  Durchschnittsbeträge  pro 
Kopf  an.  Es  werden  also  unterschiedslos  die  Löhne  jugendlicher 
und  erwachsener,  gelernter  und  ungelernter  Arbeiter  zusammengezählt. 
Dazu  kommen  dann  noch  die  Gehälter  der  Beamten,  d.  h.  einer 
Minderheit,  die  aber  imstande  ist,  den  Durchschnittslohn  nach  oben 
hin  vollständig  zu  verschieben  und  das  Lohnbild  in  optimistischem 
Sinne  zu  korrigieren.  Wissenschaftlich  ist  die  aus  der  Verschmelzung 
verschiedener  Arbeiter  und  Lohnkategorien  berechnete  Durchschnitts- 
zahl völlig  wertlos.  Was  die  einzelnen  Arbeiterkategorien  verdienen, 
also  z.  B.  im  Walzwerk  die  Walzmeister,  die  Vor-  und  Hinterwalzer, 
die  Fertigwalzer,  die  Hebler,  ferner  die  Schweißer,  die  Roller,  die 
Kohlenfahrer,  die  Strecker,  sowie  die  ungelernten  Arbeiter,  habe 
ich  nicht  feststellen  können,  da  die  von  verschiedenen  Seiten  darüber 
gemachten  Angaben  nicht  übereinstimmten  und  auch  im  übrigen 
den  Eindruck  der  Unziiverlässigkeit  machten.  Damit  ist  wissen- 
schaftlich zwar  nicht  viel  verloren;  denn  der  Nominallohn  gibt  nicht 
dasselbe  korrekte  Bild  der  Verhältnisse  wie  der  bedeutend  schwie- 

Stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  6 


82  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


riger  zu  ermittelnde  Reallohn.  Immerhin  aber  ist  es  bedauerlich, 
daß  die  Lohnlisten  auch  dieser  Aktiengesellschaft  geheim  gehalten 
werden.  Nur  für  die  Bergwerksarbeiter  habe  ich  einige,  wie  mir 
scheint,  zutreffende  Angaben  erlangt.  Ein  Heuer,  der  das  Erz  bohrt, 
sprengt,  sortiert,  verladet  und  transportiert,  erhält  im  Akkord  pro 
Tag  3,50 — 4,50  Mark,  im  Durchschnitt  3,80  Mark  bei  achtstündiger 
Schicht.  Der  Verdienst  der  Schlepper,  die  das  Erz  im  Tagebau  ver- 
laden und  zu  den  Schächten  bringen,  ist  derselbe  wie  der  der  Heuer 
im  Tage-  und  Tiefbau.  Die  Bahnarbeiter,  die  die  Geleise  verlegen, 
erhalten  bei  achtstündiger  Schicht  einen  Tagelohn  von  2,50  Mark. 
Der  Lohn  der  Bergleute  ist  mäßig,  denn  ihre  Arbeit  ist  mühsam  und 
beschwerlich.  Der  Heuer  im  Tagebau  ist  jeder  Witterung  ausgesetzt, 
im  Tiefbau  hat  er  unter  der  schlechten  Luft  zu  leiden.  Der  Arbeiter 
im  Walzwerk  ist  beständig  von  Gefahren  umlauert.  Von  den  2500 
Arbeitern  des  Walzwerkes  erlitten  Unfälle  1899  509,  1900  463,  1901 
479,  das  heißt,  der  fünfte  Teil  der  beschäftigten  Arbeiter  erleidet 
im  Jahre  irgendwelche  Verletzungen.  Was  die  Arbeitszeit  anbelangt, 
so  wird  im  Walzwerk,  auf  der  Hütte,  sowie  gegenwärtig  auch  im 
Tiefbau  Tag  und  Nacht  gearbeitet,  und  zwar  hauptsächlich  im  Akkord. 
Im  Walzwerk  besteht  die  zwölfstündige  Schicht.  Die  Arbeit  ist  also 
sehr  lang,  nur  von  der  Sonntagsruhe  unterbrochen.  Auf  der  Ilseder 
Hütte  und  im  Bergbau  besteht  die  achtstündige  Schicht.  In  bezug 
auf  die  Arbeitszeit  ist  also  der  Ilseder  Hüttenarbeiter  günstiger 
gestellt  als  der  Peiner  Walzwerks arbeiter. 

Wie  hat  es  nun  das  Werk  angefangen,  solche  großen  Arbeiter- 
massen bei  verhältnismäßig  geringem  Lohne  in  Groß-Ilsede  und  bei 
langer  Arbeitszeit  in  Peine  zu  erlangen  und  festzuhalten?  Es  ist 
ihm  gelungen  durch  Schaffung  von  Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. 
Man  würde  fehl  gehen,  wenn  man  die  Bedeutung  derselben  für 
den  Arbeiter  unterschätzte.  In  erster  Linie  allerdings  liegen  sie  im 
Interesse  des  Kapitals  und  auch  bei  den  besten  unter  ihnen  ist  der 
soziale   Feingehalt  kein  allzu  hoher. 

Die  hervorragendsten  Einrichtungen,  die  auf  diesem  Gebiete 
im  Laufe  der  Zeit  geschaffen  wurden,  sind 

1.  die  Knappschaftskasse, 

2.  die    Sparkasse, 

3.  die   Arbeiterkolonien. 

Über  den  Zweck  und  den  Umfang  des  Knappschaftsvereins  gibt 
der  §  1  des  Statuts  folgende  Auskunft:  „Der  Ilseder  Knappschafts- 
verein hat  den  Zweck,  seinen  Mitgliedern  und  deren  Angehörigen 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  83 


nach  näherer  Bestimmung  dieses  Statuts  Unterstützungen  zu  ge- 
währen, auch  derartige  Einrichtungen  zu  begründen  und  zu  unter- 
halten, welche  das  physische  und  moraUsche  Wohl  der  Arbeiter  be- 
fördern (z.  B.  Schulen,  Bibliotheken,  Wasch-  und  Badeanstalten,  Kran- 
ken- und  Invalidenhäuser).  Der  Verein  umfaßt  alle  Arbeiter,  welche 
beschäftigt  sind  auf  der  Ilseder  Hütte  in  Groß-IIsede,  der  Aktien- 
gesellschaft Peiner  Walzwerke  in  Peine  und  den  der  Aktiengesell- 
schaft Ilseder  Hütte  sowohl  zur  Zeit  gehörigen,  als  auch  von  ihr 
künftig  zu  erwerbenden  Etablissements  und  Gruben,  soweit  diese  im 
Kreise  Peine,  südlich  der  Eisenbahn  Hannover — Braunschweig,  oder 
in  den  Gemarkungen  der  braunschweigischen  Ortschaften  Bodenstedt, 
Vallstedt,   Beddingen,  Sauingen  usw.  liegen." 

Jedes  Mitglied  ist  verpflichtet,  bei  seiner  Aufnahme  ein  Eintritts- 
geld von  einer  Arbeitsschicht  zu  zahlen  und  außerdem  einen  laufenden 
Betrag,  welcher  3  Pfennig  von  jeder  Mark  des  verdienten  Lohnes 
beträgt.  Ebensohoch  ist  die  Beisteuer,  welche  die  Gesellschaft 
zahlt.  In  die  Kasse  fließen  auch  die  Strafgelder  bei  Verstößen 
gegen  die  Arbeitsordnung.  Die  Gesamtbeträge  beliefen  sich  im 
Jahre  1901  auf  150  603  Mark.  Die  Kasse  gewährt  ihren  Mitgliedern 
im  Falle  der  Krankheit  eine  kleine  Unterstützung,  bestehend  in 
freier  Kur  und  Arznei  und  einer  Geldentschädigung  für  den  während 
der  Zeit  der  Krankheit  ausfallenden  Lohn,  ferner  eine  Invaliden- 
und  Witwenpension,  eine  Waisenunterstützung  und  Begräbnisbeihilfe. 

Die  Verwaltung  des  Vereins  erfolgt  durch  einen  Vorstand. 
Er  besteht  zunächst  aus  12  Knappschaftsältesten,  die  von  den 
Bergleuten  und  sonstigen  Arbeitern  des  Peiner  Walzwerkes  gewählt 
werden.  Außerdem  aus  2  Mitgliedern,  welche  die  Direktion  der 
Ilseder  Hütte,  einem  Mitgliede,  welches  die  Direktion  des  Peiner 
Walzwerkes,  und  3  Mitgliedern,  welche  die  Knappschaftsältesten  aus 
ihrer  Mitte  oder  aus  der  Zahl  der  Bergbeamten  wählen.  Hier  liegen 
demnach  die  Verhältnisse  günstiger,  als  sie  Pieper  für  das  Ruhr- 
revier schildert.  In  seinem  Buche  über  die  Lage  der  Bergarbeiter*) 
schreibt  er,  „daß  die  Werksbesitzer  durch  verschiedene  Mittel,  be- 
sonders ducrh  das  Institut  der  Knappschaftsältesten  ...  die  Knapp- 
schaftskassenverwaltung fast  vollständig  in  ihre  Gewalt  und  unter 
ihren    Einfluß   gebracht  haben." 

Ein   Mangel   des   Knappschaftsstatuts  besteht  allerdings   in  der 


*)    Pieper,    „Die   Lage    der   Bergarbeiter   im    Ruhrrevier",    Stuttgart   und 
Berlin  1903,  p.  193. 

6* 


84  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Hemmung  der  Freizügigkeit,  Verläßt  der  Arbeiter  die  Hütte,  so  gehen 
ihm  alle  trotz  langjähriger  Beitragszahlung  erworbenen  Rechte  ver- 
loren. Im  Statut  heißt  es  §  28:  „Mitglieder  des  Knappschaftsvereins, 
welche  aus  der  Werkarbeit  freiwillig  austreten,  oder  Mitglieder  eines 
anderen  Knappschaftsvereins  werden,  scheiden  aus  dem  Knapp- 
schaftsverein aus"  und  §  29:  „Mit  dem  Verluste  der  Mitgliedschaft 
hören  alle  Ansprüche  des  bisherigen  Mitgliedes,  auch  der  Invaliden» 
an  den  Verein  sowohl  für  seine  Person  als  für  seine  Angehörigen  von 
selbst  auf,  ohne  Rücksicht  auf  die  geleisteten  Beiträge.  Beim  Wiederein- 
tritt eines  früheren  Mitgliedes  in  die  Dienste  eines  Vereinswerkes  leben 
die  Rechte  desselben  an  den  Knappschaftsverein  in  der  Regel  nicht 
wieder  auf.  Dem  Knappschaftsvorstande  bleibt  es  jedoch  vorbe- 
halten, „Ausnahmen  zu  gestatten," 

Die  zweite  Wohlfahrtseinrichtung  der  Ilseder  Hütte,  die  ein 
volkswirtschaftliches  Interesse  bietet,  ist  die  Sparkasse,  Bereits  im 
Jahre  1869  gründete  die  Ilseder  Hütte  eine  Sparkasse  für  ihre  Ar- 
beiter, und  ihr  folgte  1887  das  Peiner  Werk  mit  derselben  Einrich- 
tung. Diese  Sparkasse  wurde,  wie  es  in  der  Jubiläumsschrift  heißt, 
aus  2  Gründen  ins  Leben  gerufen:  1.  um  die  Arbeiter  wirtschaftlich 
zu  erziehen  und  2.  um  sie  gegen  die  Lehren  der  Sozialdemokratie 
zu  immunisieren.  Bis  zum  Jahre  1869  fehlte  es,  wie  der  Bericht 
sagt,  an  einer  bequemen  Gelegenheit  für  den  Arbeiter,  seine  Er- 
sparnisse fruchtbringend  anzulegen;  vielfach  wurden  die  ersparten 
Gelder  in  harten  Talern  in  Kästen  und  Schränken  mit  mangelhaftem 
Verschluß  deponiert,  und  konnten  an  diesen  wenig  sicheren  Orten 
leicht  gestohlen  werden.  Um  dieselbe  Zeit  machten  in  Braunschweig 
sozialistische  Agitatoren  den  Versuch,  die  Arbeiter  für  die  neue 
Lehre  zu  gewinnen.  „Um  nun  diesem  Übelstande  zu  begegnen, 
die  Arbeiter  wirtschaftlich  zu  erziehen  und  sie  zugleich  für  das 
Wohl  der  Gesellschaft  zu  interessieren,  wurde  im  Jahre  1869  die 
Sparkasse  begründet,"  Jeder  Arbeiter  hat  bis  zum  heutigen  Tage 
das  Recht,  Einlagen  bis  zum  Betrage  von  1500  Mark  zu  machen. 
Diese  Sparkasse  unterscheidet  sich  also  von  anderen  Sparkassen 
durch  eine  Limitierung  der  Einlage.  Das  hängt  damit  zusammen,  weil 
der  Zins  ein  besonders  hoher  ist.  §  8  des  Sparkassenstatuts  lautet: 
„In  dem  Jahre,  in  welchem  die  Ilseder  Hütte  an  ihre  Aktionäre  mehr 
als  50/0  Dividende  verteilt  (und  das  ist  bisher  regelmäßig  der  Fall 
gewesen),  erhalten  diejenigen  Einlagen,  welche  während  des  ganzen 
Kalenderjahres  bei  der  Ilseder  Hütte  belegt  waren,  einen  Über- 
zins, welcher  zuzüglich  der  5  0/0   Zinsen  mit  der  an  die  Aktionäre 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  86 


zur  Verteilung  kommenden  Dividende  übereinstimmt,  jedoch  wird 
unter  keinen  Umständen  mehr  als  20 o/o  (5 o/o  und  15 o/o  Überzins), 
beim  Peiner  Walzwerk  nur  10 o/o  vergütet,  auch  wenn  an  die  Ak- 
tionäre ein  höherer  Betrag  zur  Verteilung  gelangt."  Mit  anderen 
Worten,  derjenige  Arbeiter  der  Ilseder  Hütte,  der  der  Sparkasse  nach 
und  nach  1500  Mark  übergeben  hat,  und  im  Laufe  des  Jahres  sein 
Guthaben  nicht  verändert,  erhält  jährlich  von  ihr  300  Mark  zurück. 
Nun  muß  man  aber  nicht  etwa  glauben,  daß  die  Hütte  dieses  jähr- 
liche Opfer  von  300  Mark  umsonst  auszahlt.  Sie  verfolgt  damit 
bestimmte  Zwecke.  Sie  benutzt  diese  300  Mark  dazu,  um  die  Löhne 
nach  Möglichkeit  zu  stabilisieren,  d.  h.  sie  übt  auf  den  sparenden 
Arbeiter  einen  Druck  aus,  in  der  Richtung,  daß  er  zu  dem  bisherigen 
Lohn  im  Dienste  der  Gesellschaft  bleibt,  anderenfalls  hört  die  Ver- 
zinsung mit  einem  Schlage  auf,  sein  Guthaben  wird  gekündigt.  In 
§  14  heißt  es  nämlich:  „Die  Ilseder  Hütte  behält  sich  das  Recht 
vor,  sämtliche  oder  einzelne  Guthaben  der  Sparer  zu  kündigen  und 
jederzeit  sofort  auszuzahlen  .  .  .",  in  §  15:  „Entlassene  oder  sonst 
außer  Dienst  kommende  Inhaber  der  Sparbücher  haben  ihre  Gut- 
haben beim  Austritt  des  Dienstverhältnisses*)  in  Empfang  zu  nehmen, 
da  vom  Tage  des  Dienstaustritts  an  die  Verzinsung  ihres  Guthabens 
aufhört."  Die  Verzinsung  wird  also  nur  unter  der  Bedingung  ge- 
währt, daß  der  Arbeiter  nie  seine  Arbeit  einstellt.  Streiks  sind  da- 
durch hintangehalten,  und  in  der  Tat  haben  Arbeitseinstellungen 
auf  dem  Werke  bisher  niemals  stattgefunden.  Eine  offene  Frage, 
zu  deren  Beantwortung  mir  jedoch  das  Material  fehlt,  ist  die,  ob 
die  Verwaltung  diese  Summe  nicht  am  Lohne  spart  und  sie  gleichsam 
als  Prämie  auf  niedrigen  Lohn  betrachtet.  So  ruht  auch  diese  nach 
außen  hin  glänzende  Einrichtung  für  die  Wohlfahrt  der  Arbeiter 
doch  im  Schatten  egoistischer  Interessen  des  Großkapitals. 

Wieviele  Arbeiter  sind  nun  imstande  gewesen,  der  Sparkasse 
Einlagen  zu  übergeben  und  den  verlockenden  Überzins  abzuheben, 
der  ja  im  Gegensatz  zur  Dividende  der  Aktionäre  nach  oben  hin 
begrenzt  ist?  Auf  diese  Frage  gibt  Antwort  folgende  Statistik: 
Im  Jahre  1901  übergaben  der  Ilseder  Hütte  Einlagen  1919  Gruben- 
und  Hüttenarbeiter  (und  56  höhere  und  niedere  Beamte).    Von  dem 


•)  Es  muß  natürlich  heißen:  „bei  ihrem  Austritt  aus  dem  Dienstverhältniß." 
—  Die  VeröffentHchungen  der  Ilsederhütte  sind,  wie  die  Geschäftsberichte  der 
meisten  Aktiengesellschaften,  im  Kaufmannsdeutsch  abgefaßt,  das  sogar  vor 
direkten  Sinnwidrigkeiten  nicht  zurückschreckt.  So  wird  z.  B.  in  §  16  des  Spar- 
kassenstatuts von  der  „tadellosen  Aufführung  eines  Verstorbenen"  gesprochen. 


86  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Peiner  Walzwerk  waren  es  1136  Einleger  incl.  der  Beamten,  Die 
Zahl  der  Arbeiter  betrug  nach  Ausweis  des  Knappschaftsvereins 
Ende  IQOö  4464.  Von  diesen  Arbeitern  waren  also  3055  Sparer, 
d.  h.  680/0.  In  Wirklichkeit  ist  die  Zahl  etwas  zu  hoch,  weil  ja  auf 
dem  Peiner  Walzwerk  die  Beamten  mitgezählt  sind.  Immerhin  er- 
gibt sich,  daß  ca.  zwei  Drittel  sämtlicher  Arbeiter  imstande  sind,  etwas 
in  die  Sparkasse  zu  tragen.  Damit  ist  natürlich  nicht  gesagt,  daß  ihr 
Lohn  zureichend  ist,  denn  Ersparnisse  können  auch  gemacht  werden 
durch  partielle  Nichtbefriedigung  notwendiger  Lebensbedürfnisse. 

Wir  haben  jetzt  gesehen,  wie  hoch  die  Zahl  der  sparenden 
Personen  ist,  wir  wollen  nunmehr  berechnen,  wie  hoch  die  Durch- 
schnittseinlage sich  beläuft.  Das  Guthaben  der  Ilseder  Arbeiter  be- 
trug 2  845  500  Mark,  das  der  Peiner  Einleger  1014  615  Mark,*)  zu- 
sammen 3  860115  Mark.  Die  durchschnittliche  Einlage  beträgt  also 
1264  Mark,  nämlich  in  Peine  893,  in  Ilsede  aber  1482  Mark. 

Die  ausgezahlte  Tantieme  betrug  für  die  Ilseder  Arbeiter  1901 
323  202  Mark,  für  die  Peiner  Einleger  1900  nur  49  039  Mark.  Der 
Ilseder  Arbeiter  erhält  also  durchschnittlich  128  Mark  Tantieme,  d.  h. 
ca.  10  0/0,  der  Peiner  Einleger  43  Mark,  d.  h.  ca.  5  0/0.  Der  Arbeiter 
im  Walzwerk  steht  demnach  ungünstiger  da,  als  der  Arbeiter  der 
Hütte.  Dies  ist  ja  auch  erklärlich,  weil  die  10  0/0  Verzinsung  für 
die  ersteren  nicht  dieselbe  Lockkraft  haben  wie  die  20  0/0  für  die 
letzteren. 

Eine  dritte  Wohlfahrtseinrichtung  sind  die  Arbeiterkolonien.  Ais 
der  Betrieb  noch  keine  großen  Dimensionen  angenommen  hatte, 
genügten  die  Arbeiter  aus  den  umliegenden  Dörfern.  Mit  dem 
Wachsen  des  Unternehmens  aber  mußten  auswärtige  Arbeits- 
kräfte herangezogen  werden.  Um  sie  zu  halten,  entschloß  sich  die 
Verwaltung  schon  frühzeitig  zu  dem  Bau  von  Arbeiterwohnungen. 
Der  Boden  war  billig  und  die  Ansiedlung  bot  keine  Schwierigkeiten. 
Von  den  beiden  Systemen,  die  für  den  Bau  von  Arbeiterwohnungen 
in  Betracht  kommen,  der  Kaserne  und  der  Cottage,  wählte  man  das 
letztere.  Es  wurden  eine  Anzahl  Zwei-Familienhäuser  gebaut,  je- 
doch in  der  Weise,  daß  jedes  Haus  aus  zwei  vollständig  voneinander 
getrennten  Hälften  bestand.  Jede  Familie  erhält  also  ihre  besondere 
Wohnung.  Dafür  hat  sie  jährlich  120 — 144  Mark  Miete  zu  zahlen. 
Die  meisten  dieser  Wohnungen  bestehen  aus  drei  Stuben  und  einer 
Kammer.     Dazu   kommt   noch    ein   halber   Morgen    Land,   der  mit 


*)  Die  erste  Zahl  gilt  für  Ultimo  Dezember  1901,  die  zv;'eite  für  1900. 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  87 


Kartoffeln,  Gemüse  usw.  bestellt  wird,  und  eine  Stallanlage,  in  der 
eine  Ziege  oder  ein  Schwein  gehalten  werden  kann.  Von  der  Peiner 
Landstraße  aus  gesehen,  machen  die  kleinen  Häuschen,  wie  sie  aus 
den  blühenden  Kartoffelfeldern  hervorragen,  einen  recht  freundlichen 
und  gewinnenden  Eindruck;  dieser  Eindruck  verblaßt  allerdings  sehr, 
wenn  man  sie  näher  betrachtet. 

Die  Cottage,  die  der  Arbeiter  bewohnt,  hat  er  nicht  als  Eigen- 
tum, sondern  er  hat  sie  gemietet.  Das  ist  für  das  Werk  aus  folgen- 
den Gründen  wichtig. 

1.  Das  Mietshaus  bildet  für  die  Aktiengesellschaft  eine  Ein- 
nahmequelle, wenn  auch  die  Verzinsung  des  Anlagekapitals  keine 
hohe  ist. 

2.  Die  Fabrikleitung  behält  Einfluß  und  Macht  auf  den  Arbeiter 
auch  außerhalb  der  Arbeitszeit,  selbst  wenn  keine  Wohnungskontrolle 
existiert.  Infolge  des  Kündigungsrechts  der  Fabrik  kann  jede  Un- 
botmäßigkeit, jede  Lohnbewegung  mit  Obdachlosigkeit  bestraft 
werden. 

3.  Daher  ist  das  Miethaus  ein  Mittel,  sich  einen  tüchtigen,  ruhigen, 
wenig   fluktuierenden    Arbeiterstand    zu    sichern. 

Neben  diesem  Miethaus  kommt  in  Betracht  das  eigene  Haus. 
Die  wichtigsten  Bedingungen,  unter  denen  die  Arbeiter  der  Ilseder 
Hütte  ein  eigenes  Haus  erwerben  können,  sind  folgende:  „Bau- 
plan und  Kostenanschlag  unterliegen  der  Genehmigung  der  Direktion. 
Die  Hälfte  der  Baukosten  einschließlich  der  Kosten  des  Grund- 
erwerbs wird  von  der  Invaliditäts-  und  Altersversicherungsanstalt 
zu  Hannover  zur  ersten  Hypothek,  verzinslich  mit  3V2^/o  jährlich 
und  für  die  ersten  10  Jahre  unkündbar  hergeliehen.  Den  Rest  des 
Baukapitals  leiht  die  Ilseder  Hütte  unter  folgenden  Bedingungen. 
Für  das  hergeliehene  Kapital  hat  der  Arbeiter  3  o/o  Zinsen  jähr- 
lich zu  bezahlen,  außerdem  sind  zur  Tilgung  der  Schuld  jährlich 
noch  weitere  2  o/o  zu  entrichten,  so  daß  im  ganzen  jährlich  5  o/o 
des  hergeliehenen  Kapitals  zu  bezahlen  sind  .  .  .  Zur  Sicherstellung 
der  Ilseder  Hütte  hat  der  Arbeiter  eine  zweite  Hypothek,  welche 
unmittelbar  auf  die  für  die  Invaliditäts-  und  Altersversicherungs- 
anstalt eingetragene  folgt,  in  Höhe  des  hergeliehenen  Kapitals  ein- 
tragen zu  lassen.  Eine  weitere  Sicherheit  hat  der  Arbeiter  zu  leisten 
durch  Verpfändung  seines  Sparkassenguthabens,  wobei  das  Spar- 
kassenbuch der  Ilseder  Hütte  zu  übergeben  ist.  Das  Kapital  ist 
seitens  der  Ilseder  Hütte  so  lange  unkündbar,  als  der  Arbeiter  im 


88  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


Dienste  derselben  steht.  Hört  dieses  Dienstverhältnis  auf,  so  ist 
das   Kapital  nach  ömonatlicher  Kündigung  zurückzuzahlen." 

Wie  auch  hier  das  Abhängigkeitsverhältnis  zugunsten  der  Fabrik 
ausgenutzt  wird,  lehrt  die  im  vorhergehenden  genannte  Bestimmung, 
daß  das  Kapital  seitens  der  Ilseder  Hütte  nur  solange  unkündbar  ist, 
als  der  Arbeiter  im  Dienste  derselben  steht.  Auch  hier  ist  die 
Verquickung  von  Wohnungs-  und  Arbeitsverhältnis  keine  Einrichtung, 
die  sozialpolitisch  gebilligt  werden  kann.  Bei  dem  Bau  von  Arbeiter- 
wohnungen gehorcht  die  Verwaltung  eben  nicht  sozialen  Motiven, 
sondern  dem  Zwange  der  Notwendigkeit.  Sie  hätte  keinen  Arbeiter- 
stamm erhalten,  wenn  sie  dem  fremd  Zuziehenden  nicht  die  Möglich- 
keit der  Behausung  geboten  hätte.  Damit  ist  allerdings  erreicht, 
daß  die  Privatspekulation  und  das  Schlafstellenwesen  ihre  schädi- 
gende Wirkung  auf  die  Arbeiter  nicht  so  entfalten  konnten,  wie  das 
dort  der   Fall  ist,   wo  solche   Arbeiterkolonien  fehlen. 

Außer  der  Knappschafts-  und  der  Sparkasse  und  den  Cottages 
gesellen  sich  zu  den  Wohlfahrtseinrichtungen  der  Ilseder  Hütte  und 
des  Peiner  Walzwerkes  noch  einige  andere,  die  nicht  die  hohe  Be- 
deutung der  genannten  drei  Einrichtungen  besitzen,  nämlich  eine 
Badeanstalt,  ein  erst  seit  kurzer  Zeit  bestehender  Konsumverein 
in  Peine  mit  nur  600  Mitgliedern,  eine  Schule  zu  Ölsburg,  für  die 
Beamten  eine  Beamtenwitwen-  und  Waisenkasse,  und  schließlich 
eine   allgemeine   Lebensversicherungs-   und    Unterstützungskasse. 

Überblicken  wir  am  Schluß  noch  einmal  die  Marksteine  unserer 
Darstellung.  Ausgangspunkt  war  die  Frage  nach  den 
Gründen  der  überdurchschnittlichen  Rente,  die  die 
IlsederHütteabwirft.    Alssolchelerntenwirkennen: 

1.  Den  Reichtum  und  die  günstige  Lage  der  Eisen- 
erze nahe  der  Erdoberfläche.  Ihre  Gewinnung 
erfolgt  noch  heute  größtenteils  im  Tagebau;  da- 
herkeine  kostspieligen  Schachte  und  Maschinen, 
Nach  Einführung  des  Thomasverfahrens  wirktder 
dreiprozentige  Phosphorgehalt  wie  eine  Werter- 
höhung. Aus  dem  Reichtum,  der  Lage  und  der 
Beschaffenheit  der  Erze  ergeben  sich  von  selbst 
sehr  niedrige  Herstellungskosten  des  Roheisens 
gegenüber  anderen   Werken. 

2.  Eine  vorsichtige  und  kluge  Finanzpolitik,  die 
sich  paart  mit  hoher  geschäftlicher  Begabung 
der  noch  heute  an  der  Spitze  stehenden  Person- 


2.  Die  Ilseder  Hütte.  89 


lichkeit.  Die  Neuanlagen  werden  nach  Möglich- 
keit aus  den  Betriebsgewinnen  bestritten.  Da- 
mit in  Verbindung  steht  die  Schaffung  großer 
Reservefonds  und  die  Niedrighaltung  des  Aktien- 
kapitals. 

3.  Der  billige  Erwerb  des  Peiner  Walzwerks  im 
Jahre  188  0.  Infolgedessen  wird  der  Produktions- 
prozeß dreigliedrig  (Roheisen,  Stahl,  Walz- 
werksprodukte). Dadurch  verliert  das  Ilseder 
Roheisen  seinen  Weltmarktpreis.  Das  Geschäfts- 
ergebnis wird  nicht  mehr  abhängig  von  der  Ver- 
wertung des  Rohstoffes,  sondern  von  der  des 
Fabrikates.  Die  niedrigen  Produktionskosten 
des  Roheisens  kommen  nunmehr  in  den  Fertig- 
erzeugnissen  noch   schärfer  zum    Ausdruck, 

4.  Die  Methode  der  Bilanzierung,  auf  Grund  deren 
das  Peiner  Walzwerk  mit  keinem  oder  kleinem 
Gewinn  abschließt,  der  nicht  zur  Verteilung  ge- 
langt, sondern  auf  neue  Rechnung  vorgetragen 
wird.  Dadurch  wird  der  Kommune  ein  Steuer- 
betrag entzogen,  der  dem  Werk  zugute  kommt. 

5.  Die  Aufnahme  des  Thomasprozesses  und  damit 
im  Zusammenhang  die  Einführung  des  Schnell- 
betriebes. Die  Folge  ist  eine  Steigerung  des  Ab- 
satzes an  Stahlfabrikaten  und  so  eine  Vergröße- 
rung der  Einnahme. 

6.  Der  natürliche  Frachtvorsprung  nach  Mittel- 
deutschland gegenüber  den  rheinisch-westfäli- 
schen Werken.  Damit  im  Zusammenhange  Ände- 
rung des  Fabrikationsprogramms:  Verdrängung 
des  bisher  nach  den  westlichen  Märkten  abge- 
setzten Halbfabrikates  der  Drahtindustrie 
(Stahlbillets)  durchdie  HerstellungvonT-Eisen, 
deren  Absatzgebiet  nach  allen  Richtungen  er- 
weitert wird. 

7.  Der  Anschluß  an  das  Trägerkartell  und  den  Mit- 
teldeutschen Walzwerksverband.  Die  Aufgabe 
auch  dieser  Kartelle  war  die  Steigerung  des  Un- 
ternehmergewinns. 


90  2.  Die  Ilseder  Hütte. 


8.  Die  Verwertung  der  früher  wertlosen  Thomas- 
schlacke durch  den  Bau  einer  Thomasphosphat- 
fabrik. Der  Mehrertrag  hieraus  kommt  als  Ge- 
winn  dem   Gesamtunternehmen   zugute. 

9.  Technische  Neuerungen  und  Vervollkommnung 
der  Produktionsmittel,  wie  Bau  eines  Stahl- 
werkes, Benutzung  der  Hochofengase  nicht  nur 
für  Heizungszwecke,  sondern  auch  als  Betriebs- 
kraft. Infolgedessen  Herunterdrückung  der  Pro- 
duktionskosten. 

10.  Der  gute  Geschäftsgang  während  der  Auf- 
schwungsperioden von  1868  —  1873,  1880—188  3, 
1887—1890,  1895—1900. 

11.  Die  Arbeiterverhältnisse,  denen  durch  die  Ar- 
beiterwohlfahrtspolitik eine  für  das  Unter- 
nehmen günstige  Grundlage  gegeben  ist. 

Die  Hineinzeichnung  dieser  speziellen  und  allgemeinen  Gründe 
in  den  Rahmen  der  geschichtlichen  Entwicklung  des  Unternehmens 
war  der  Zweck  der  vorliegenden  Darstellung. 


^ 


3.  Die  Dortmunder  Union. 

Das  Gegenstück  zu  den  Verhältnissen  der  Ilseder  Hütte  bildet 
die  Union,  Aktiengesellschaft  für  Bergbau,  Eisen-  und  Stahlindustrie 
zu  Dortmund.  Die  industrielle  Geschichte  Deutschlands  kennt  kein 
großkapitalistisches  Unternehmen,  das  in  so  gewaltigen  Dimensionen 
dauernd  so  unfruchtbar  gewesen  ist  wie  dieses,  unbildlich  gesprochen, 
das  während  der  ganzen  Zeit  seines  Bestehens  entweder  eine  tief 
unter  dem  Durchschnitt  liegende,  meistens  aber  gar  keine  Rente 
ergeben  hat.  Diese  Tatsache  rollt  von  selbst  die  Frage  auf:  Welches 
sind  die  Ursachen  dieses  finanziellen  Mißerfolges? 
Die  Beantwortung  dieser  Frage  ist  der  rote  Faden,  der  sich  durch 
die  Lebens-  und  Leidensgeschichte  durchzieht,  die  wir  nunmehr  aus- 
führlicher zu  schildern  haben. 

Die  Dortmunder  Union  ist  das  Verschmelzungsprodukt  verschie- 
dener Betriebe.  Der  Grundgedanke  dieser  Fusion  war:  Eine  Anzahl 
großer  Werke,  sowohl  des  Kohlen-  und  Eisensteinbergbaus,  als  auch 
der  Hochofen-,  Walzwerks-  und  Werkstättenindustrie  zu  einem 
Riesenunternehmen  zu  vereinigen,  welches  die  ganze  Montan-  und 
Eisenindustrie  vom  Rohprodukt  bis  zum  Fertigfabrikat  umspannt, 
und  in  dem  die  einzelnen  Teile  sich  wechselseitig  vertreten  und  er- 
gänzen. 

Dieser  Grundgedanke  wurde  konsequent  durchgeführt,  indem 
unter  intellektueller  und  finanzieller  Assistenz  der  Diskonto-Komman- 
ditgesellschaft in  Berlin  folgende  Werke  zu  einem  organischen  Ganzen 
kombiniert  wurden: 

1.  Die  Dortmunder  Hütte,  ein  Hütten-  und  Walzwerk  mit 
52  Puddelöfen,  28  Schweißöfen,  5  Walzenstraßen,  einer  Räder- 
fabrik und  einer  Brückenbauanstalt.  Zu  der  Dortmunder  Hütte 
gehörte  außerdem  das  Hochofenwerk  Othfresen  in  der  Provinz 
Hannover  und  das  Kohlenbergwerk  Glückauf  Tiefbau  bei  Barop, 


92  3.  Die  Dortmunder  Union. 


in  der  Nähe  von  Dortmund.  Die  Dortmunder  Hütte  gehörte 
Dr.  Strousberg,  der  sie  zu  dem  Zwecke  erworben  hatte,  um 
für  seine  Eisenbahnbauten  das  notwendige  Material  wenigstens 
teilweise  selbst  fabrizieren  zu  können. 

2.  Die  Henrichshütte  in  Hattingen  mit  Eisen-  und  Kohlenzechen, 
4  Hochöfen,  einem  Puddelwerk  von  50  Öfen,  einem  neu  er- 
richteten Bessemerwerke,  einem  Walzwerk  und  einer  Maschinen- 
fabrik. 

3.  Das  Horster  Werk  bei  Steele  an  der  Ruhr,  im  Volksmunde 
Neuschottland*)  genannt,  mit  Eisensteingruben,  4  Hochöfen, 
einem  Puddelwerke  von  38  Öfen  und  einem  Schienenwalzwerk. 
An  dem  Horster  Werk  wie  an  der  Henrichshütte  war  die  Dis- 
kontogesellschaft stark  beteiligt. 

Diese  räumlich  weit  voneinander  getrennten  Unternehmungen 
(Horst-  und  Henrichshütte  liegen  einige  30  km  weit  von  Dortmund) 
wurden  nun,  wie  gesagt,  zu  einer  großen  Erwerbsgesellschaft  ver- 
einigt. Die  Fusion  erfolgte  in  der  sogenannten  Gründerperiode, 
und  zwar  in  der  Weise,  daß  unter  Zugrundelegung  eines  Aktienkapitals 
von  33  Millionen  Mark  die  Vorbesitzer  der  Dortmunder  Hütte  18 
Millionen,  die  Vorbesitzer  der  Henrichshütte  und  des  Horster  Werks 
je  TVo  Millionen  erhielten.  Den  Aktionären  der  beiden  letztgenann- 
ten Gesellschaften  wurde  es  frei  gestellt,  ihre  Aktien  entweder  gegen 
Aktien  der  Dortmunder  Union  umzutauschen,  oder  aber  den  Parikurs 
sich  auszahlen  zu  lassen.  Fast  ausnahmslos  acceptierten  die  Aktionäre 
beider  Gesellschaften  den  ersteren  Vorschlag.  „Durch  diese  Ver- 
einigung'*, heißt  es  im  Prospekt  aus  dem  Jahre  1872,  „wurde  .  .  . 
ein  großes  Ganze  geschaffen,  in  welchem  jedes  einzelne  Etabhsse- 
ment  eine  Spezialität  verfolgen,  aber  auch  das  eine  Etablissement 
das  andere  kräftigst  ergänzen  und  unterstützen  und  dadurch,  von  der 
Vereinigung  dauernd  Vorteile  ziehend,  zu  höheren  Leistungen  ge- 
langen kann." 

Man  sagt  wohl  von  einem  Menschen,  er  ist  nicht  zu  einer  glück- 
lichen Stunde  geboren.  In  viel  höherem  Maße  aber  gilt  das  von 
manchen  Unternehmungen,  sicherlich  aber  trifft  es  für  die  Union 
zu.  Die  Werke  wurden  von  der  Gesellschaft  zu  einer  Zeit  erworben, 
als  die  Anlagen  sehr  hoch  zu  Buch  standen  und  mit  Aktiven  und 
Passiven,  sowie  mit  den  beim  Kauf  vorliegenden  Bestellungen  über- 
nommen.   Dazu  kamen  gleich  im  ersten  Geschäftsjahr  bedeutende 


•)  Nach  dem  im  Jahre  1857  gebildeten  Aktien  verein  dieses  Namens. 


3.  Die  Dortmunder  Union.  93 


Neuerwerbungen:  die  bis  dahin  in  fideikommissarischem  Besitz  ge- 
wesenen Eisensteinfelder  nebst  Hütte  bei  Bredelar  (Preis  4V2  Mil- 
lion Mark),  außerdem  Eisen-  und  Hüttenwerke  in  Schweden  (Preis 
V4  Million  Mark).  Im  ganzen  wurden  im  Laufe  des  ersten  drei 
Semester  alten  Geschäftsjahres  für  Neuerwerbungen  verausgabt  nahe- 
zu 6  Millionen  Mark.  Dazu  kamen  dann  fast  noch  9V2  Million 
Mark  für  Neubauten,  so  daß  beim  Ausbruch  der  Krisis  diese  Hoch- 
konjunkturwerte sich  also  auf  15 — 16  Millionen  Mark  beliefen. 

Das  Unternehmen  stand  beim  Kaufe  zu  hoch  zu  Buch:  es  war 
zu  teuer  bezahlt.  Das  Jahr  1872  war  in  bezug  auf  die  Preisverhält- 
nisse ein  durchaus  exzeptionelles  Jahr,  aber  darauf  hatte  man  keine 
oder  nicht  genügende  Rücksicht  genommen.  So  sehen  wir  in 
der  Cberkapitalisierung  der  Produktionsmittel  den 
EinschlagunderstenGrundderkommendenSchwie- 
r  igkeiten. 

Außer  dem  Erwerb  der  Produktionsmittel  spielt  für  jedes  große 
Unternehmen  die  Organisation  desselben  die  Hauptrolle.  Soll 
der  Betrieb  nach  dem  Grundsatz  der  Erzielung  des  höchsten  Profits 
arbeiten,  so  muß  die  Verwaltung,  d.  h.  die  anordnende  Instanz 
und  die  Arbeiterschaft,  d.  h.  die  vollziehende  Instanz  diejenigen 
Garantien  bieten,  die  für  die  Realisierung  des  genannten  Zweckes 
notwendig  sind.  Untersuchen  wir  nun  nach  dieser  Richtung  hin  die 
Verhältnisse  bei  der  Union. 

Organisationsfragen  gehören  bekanntlich  zu  den  schwierigsten. 
Es  war  von  vornherein  daher  nicht  gerade  überraschend,  daß  bei 
der  Union  in  dieser  Beziehung  anfangs  große  Fehler  gemacht  wurden. 
Nach  dem  ursprünglichen  Plane  war  die  Verwaltung  stark  zentrali- 
siert. In  dem  ersten  Geschäftsbericht  heißt  es:  „Als  Grundlage  der 
Organisation  unserer  Verwaltung  haben  wir  festgehalten  auf  der 
einen  Seite  die  Einheitlichkeit  der  Gesamtleitung,  und  auf  der  anderen 
Seite  die  Dezentralisation  in  der  Spezialleitung  der  einzelnen  Betriebe 
und  Werke,  weil  nur  auf  diese  Weise  die  Vielseitigkeit  unserer 
industriellen  Anlagen  und  die  dadurch  ermöglichte  vorteilhafte  Ar- 
beitsteilung zur  vollen  Geltung  gelangen  konnte."  Trotzdem  später 
dieses  ganze  Prinzip  als  unrichtig  wieder  beseitigt  wird,  fügt  der 
Bericht  hinzu:  „Jetzt  ist  diese  Organisation  beendet  und  hat  sich 
durchaus  bewährt!"  An  der  Spitze  des  Gesamtunternehmens  standen 
3  leitende  Direktoren  mit  2  Stellvertretern.  Für  jeden  einzelnen  Be- 
trieb wurde  eine  Betriebsdirektion  eingesetzt,  an  deren  Spitze  die 


94  3.  Die  Dortmunder  Union. 

einzelnen  Ressortchefs  standen.  Der  Verwaltungsrat,  dessen  Pflich- 
ten durch  ein  besonderes  Reglement  festgelegt  wurden,  bestand  aus 
2  Komitees:  dem  westfälischen  und  dem  Berliner  Komitee.  Dem 
ersteren  wurde  hauptsächlich  die  Bearbeitung  der  technischen  An- 
gelegenheiten, dem  letzteren  vorzugsweise  die  Bearbeitung  der  finan- 
ziellen Fragen  überwiesen,  während  alle  wichtigen  und  generellen 
Angelegenheiten  dem  Plenum  des  Verwaltungsrates  vorbehalten 
blieben. 

Es  ist  für  die  Gegenwart  nicht  ganz  uninteressant,  die  leitenden 
Persönlichkeiten  der  Union  aus  der  ersten  Periode  der  Zentralisation 
in  dem  Urteil  eines  damals  noch  auf  der  Höhe  des  Erfolges  stehenden 
Mannes  zu  begreifen,  der  ohne  Zweifel  ein  industrielles  Genie  war, 
über  den  aber  die  Nachwelt  den  Stab  brach,  denn  sie  beurteilt  die 
Menschen  lediglich  nach  ihren  Erfolgen.  Ich  meine  Strousberg.  In 
seiner  Biographie*)  sagt  er  über  die  Verwaltung  der  Union  folgen- 
des :  „Nun  aber  war  die  Direktion  und  Verwaltung  dazu  angetan,  die 
Gesellschaft  zu  ruinieren.  Nach  dem  schon  erwähnten  Prinzip  des 
Herrn  von  Hansemann  übernahmen  er  und  die  Größen,  die  dabei  be- 
teiligt waren,  Rothschild,  Oppenheim,  Präsident  Scheele  etc.  gar 
keine  Verantwortlichkeit.  Diese  Herren  standen  an  der  Spitze  der 
Gesellschaft,  illustrierten  dieselbe,  und  dieses  animierte  das  Publi- 
kum, hohe  Preise  zu  bezahlen  .  .  .  Aber  verantwortlich  für  die  Lei- 
tung waren  diese  Herren  nicht  und  wollten  es  nicht  sein ;  dazu  wurde 
ein  lokaler  Aufsichtsrat  gewählt.  Dieser  war  moralisch  verantwort- 
lich und  diesem  wurde  faktisch  die  ganze  Macht  erteilt  .  .  .  Nun 
finde  ich  es  ganz  erklärlich  und  gerechtfertigt,  daß  eine  Zahl  kommer- 
zieller Magnaten,  die  mit  eigenen  Geschäften  überhäuft  sind,  die 
Verantwortlichkeit  zurückweist,  industrielle  Unternehmungen  zu 
leiten.  Man  kann  aber  einen  solchen  persönlichen  Vertrauensposten 
nicht  von  sich  auf  andere  übertragen  und  muß  dann  darauf  ver- 
zichten, im  Aufsichtsrat  und  gleichzeitig  Gründer  zu  sein  und  einer 
Verwaltung  oder  Gesellschaft,  deren  Tätigkeit  man  nicht  leiten  oder 
verfolgen  kann,  den  Lustre  seines  Namens  zu  geben  .  ,  .  Übrigens 
ist  die  Dortmunder  Union  kein  vereinzeltes  Beispiel.  Namen  wer- 
den überall  als  Lockvögel  für  die  günstige  Plazierung  des  Aktien- 
kapitals gewählt,  nirgends  hat  dieses  zur  Prosperität  beigetragen, 
sondern  das  Publikum  hat  nur  noch  neben  den  gewöhnlichen  Ver- 


*J  Dr.  Strousberg  und  sein  Wirken,  von  ihm  selbst  geschildert,  3.  Auflage^ 
Berlin  1876,  p.  436  ff. 


3.  Die  Dortmunder  Union.  95 

lusten  das  Agio  verloren.  Siehe  Miner\^a,  Pleßner,  Kuxhavener  Bahn, 
Donnersmarkhütte,  Shamrock  &  Hibernia,  Laurahütte  und  zahllose 
andere  Unternehmungen,  wobei  Robert  Warschauer,  Mendelssohn, 
Borsig,  Dclbrück-Leo,  Berliner  Handelsgesellschaft,  Bleichröder,  und 
sonst  gleich  hohe  Namen  zu  finden  sind.  Welches  war  nun  aber 
der  lokale  Aufsichtsrat,  der  als  Palladium  hier  aufgestellt  wurde? 
Erstens  war  die  Zahl  zu  klein.  Für  die  Exekutive  ist  die  geringste 
Zahl,  die  möglichste  Einheit  das  beste,  der  Aufsichtsrat,  ein  beraten- 
des Kollegium,  muß  groß  genug  sein,  um  in  sich  Parteibildung 
zu  ermöglichen,  aus  deren  Reibung  die  Wahrheit  entwickelt  wird. 
Die  Mitglieder  des  Berliner  Aufsichtsrates  wären  in  sich  als  Teil 
eines  größeren  Körpers  ganz  geeignet.  Herr  v.  Born  ist  ein  acht- 
barer Bankier  in  Dortmund,  der  eine  gewisse  Vertrautheit  mit  der 
Eisen-  und  Kohlenindustrie  besitzt  und  bei  darauf  bezüglichen  Dis- 
kussionen mitsprechen  kann,  der  aber  keineswegs  dazu  angelegt  ist, 
ein  so  großartiges  Werk  zu  leiten,  wenigstens  die  Leitung  zu  be- 
herrschen und  ihr  Richtung  zu  geben,  und  sein  Kollege  Grillo  war, 
wenn  man  ihn  auch  wirklich  nach  seinem  Glauben  an  sich  selbst 
in  den  Kauf  nehmen  wollte,  dazu  geschaffen,  v.  Born  vollständig 
kalt  zu  stellen,  denn  v.  Born  ist  eine  schüchterne,  ängstlich  an- 
gelegte Natur  und  Grillo  ist  das  Gegenteil,  und  die  gegenseitigen  Be- 
ziehungen dieser  beiden  Herren  waren  zur  Zeit  derartig,  daß  von 
Born  einen  vollständigen  Grillokultus  trieb  und  aus  Überzeugung 
sich  ihm  ganz  unterordnete.  Der  lokale  Aufsichtsrat  war  also  nur 
Grillo  und  dieser  herrschte  um  so  allmächtiger,  als  für  die  Diskonto- 
gesellschaft .  .  .  Grillo  auf  diesem  Gebiete  ebenso  maßgebend  war. 
Unter  Herrn  Grillos  Auspizien  sind  alle  Fehler,  die  die  Gesellschaft 
ruiniert   haben,    begangen    worden  .  .  . 

Die  Direktion  war  ebenso  unglücklich  zusammengesetzt,  und 
deshalb  wurde  die  ganze  Organisation  eine  falsche.  Der  eine  Direktor 
spielt  gar  nicht  mit,  er  ist  ein  ruhiger,  anständiger  Mann,  der  als 
Dezernent  ganz  gut  arbeiten  kann,  bei  Leitung  eines  solchen  Unter- 
nehmens aber  gar  nicht  in  Betracht  kommt.  Die  Direktion  bestand 
daher  nur  aus  zwei  Personen,  einem  kaufmännischen  Direktor  Müller 
und  einem  Techniker  Nettke.  Dem  ersteren  ist  Begabung  gar  nicht 
abzusprechen,  er  besitzt,  Scharfblick,  Energie  und  kaufmännische 
Kenntnisse,  ist  aber  ehrgeizig  bis  zimi  Exzeß,  herrschsüchtig,  klein- 
lich eigensinnig  und  zänkisch,  ein  gutes  Pferd  in  kräftigen  Händen, 
ein  Durchgeher,  der  über  die  Stränge  schlägt,  wenn  er  keine  Meister- 
hand fühlt ;  er  hielt  sich  plötzlich  für  ein  großartiges  Tier  und  arbeitete 


96  3.  Die  Dortmunder  Union. 

darauf  los.    Grillo  und  den  Verwaltungsrat  gewann  er  durch  seine 
plausiblen  Berichte  und  Nettke  war  er  überlegen  und  räumte  ihm, 
um    vollständig   freie    Hand   zu   haben,    auf   einem   Teil   des   tech- 
nischen Gebietes  ebenfalls  freie  Hand  ein,  um  dessen  Ehrgeiz,  der 
auch   brennend    ist,   gleichfalls   zu   befriedigen,    Nettke   hatte   nicht 
das  Zeug  für  seine  Stellung,  er  konnte  die  Sachen  nicht  so  groß 
auffassen,   wie  dieses   hier  nötig  war,  beim  besten   Willen  konnte 
er  nicht  in  allen  Branchen  bewandert  sein.     Es  wäre  daher  richtig 
gewesen,  bei  einem  so  vielseitigen  Werke,  in  verschiedenen  Gegenden 
zerstreut,  so  viel  als  möglich  die  Branchen  zu  teilen,  und  den  Chefs 
alle  mögliche  Freiheit  zu  lassen,  und  sich  beobachtend,  taktvoll  zu 
halten.     Anstatt  dessen  —  und  dies  paßte  auch  in  Müllers  Plan  — • 
wurde  alles  zentralisiert,  und  die  wirklich  tüchtigen  Direktoren  der 
einzelnen    Werke   und    Branchen   derart   entmutigt   und   degoutiert, 
daß  manche  abgingen,  alle  unzufrieden  waren  und  verhältnismäßig 
wenig  leisteten.    Derartiges  konnte  auch  nicht  ausbleiben,  wo  sich 
der  leitende  Direktor  überall  einmischte,  überall  störte,  überall  Un- 
kenntnis dokumentierte  und  Fehler  machte,  und  man  kann  sich  wohl 
denken,   welche   Desorganisation   hier  eingetreten  sein  muß.     Herr 
Müller  war  auf  seiner  Seite  ebenso  rücksichtslos,  kaufte  Materiahen, 
ohne  die  Chefs  zu  Rate  zu  ziehen,  und  wenn  es  sich  herausstellte, 
daß  die  Ankäufe  sich  für  die  Fabrikation  nicht  eigneten,  so  mußte 
es  doch  verarbeitet  werden,  und  wenn  der  betreffende  Techniker, 
um  sein   Renomme  nicht  aufs  Spiel  zu  setzen,  remonstrierte,  dann 
wurde  Streit  gesucht  und  von  der  Dortmunder  Union  ist  mancher, 
der  bis  dahin  als  Fabrikationschef  geachtet  dastand,  mit  geschädig- 
tem Ruf  abgegangen."    Nun  führt  er  Beispiele  an:    „So  erfuhr  ich, 
daß   Herr  Müller  ein  großes  Quantum  Roheisen  für  Puddelzwecke 
gekauft  hatte,  welches  zu  grau  war,  und  habe  ausgerechnet,  daß  der 
Verbrauch  dieses  Eisens  über  tausend  Taler  täglichen  Verlust  ver- 
ursachte.    Der  Walzwerksdirektor  ging  deshalb  ab;  man  hätte  das 
Eisen    mit   Vorteil    verkaufen    können:    es    nutzte    nichts.     Für   den 
Bessemerprozeß  in  Henrichshütte    war    ebenfalls    nicht    genügendes 
Material  beschafft.    Aus  Algier  bezogene  teure   Erze  kauft  Hoerde 
heute  von  der  Union,  natürlich  weit  unter  dem  Preise.  Mit  Materialien 
zu  hohen   Preisen  hatte  man  sich  so  versehen,  daß  man  während 
der  ganzen  Zeit,  wo  die  Preise  so  niedrig  waren,  mit  Material  ar- 
beiten mußte,  das  teurer  war  als  das  Fabrikat.    Bestellungen  wurden 
stets  zurückgewiesen.    Der  Bruder  des  Herrn  Nettke  hat  mir  selbst 
erzählt,  daß  er  eine  höchst  annehmbare  Offerte  für  die  Staatsbahn 


3.  Die  Dortmunder  Union.  97 

auf  600  000  Zentner  Bessemerschienen  gemacht  hat;  sie  wurde  nicht 
angenommen.  Der  Himmel  hing  nur  für  diese  Herren  voller  Geigen, 
und  wie  konnte  es  anders  sein,  wenn  alle  bei  Aktienspekulationen 
beteiligt  waren  und  80 o/o  Agio  für  billig  hielten." 

So  weit  das  Urteil  Strousbergs  über  die  Mängel  der  Verwal- 
tung. Ihr  Fehler  lag,  wie  wir  gesehen  haben,  außer  in  dem  Charakter 
der  Persönlichkeiten  vor  allem  in  der  zu  starken  Zentralisation. 
Die  Zentralleitung  war  allzusehr  mit  Arbeiten,  insbesondere  Details, 
überlastet,  während  den  unmittelbaren  Leitern  der  einzelnen  Werke 
zu  wenig  eigene  Verantwortlichkeit  oblag.  Infolgedessen  hatten  sie 
ein  zu  geringes  Interesse  an  den  Resultaten  der  einzelnen  Werke. 
Dieser  Nachteil  tritt  besonders  scharf  in  die  Erscheinung  bei  dem 
neuorganisierten    Dortmunder   Werke. 

Als  nun  das  zweite  Geschäftsjahr  unter  dieser  Leitung  einen 
Betriebsverlust  von  beinahe  41/2  Million  Mark  ergab,  wurde  ein 
neues  Reglement  für  die  Verwaltung  ausgearbeitet,  das  Anfang  1875 
In  Kraft  trat.  An  Stelle  des  Prinzips  der  Zentralisation  tritt  jetzt 
eine  weitgehende  Dezentralisation,  das  heißt  die  Verantwortlichkeit 
der  Leiter  der  einzelnen  Werke  wird  verschärft.  Die  Direktoren 
waren  früher  ganz  unselbständig.  Sie  hatten  in  den  meisten  Punkten 
keine  eigene  Initiative.  Das  wird  nun  ganz  anders.  Für  die  spezielle 
Betriebsleitung  werden  5  Abteilungen  errichtet,  nämlich  folgende: 
1.  Kohlenbergbau,  2.  Eisensteinbergbau,  3.  Dortmunder  Eisen-  und 
Stahlwerke,  4.  Horster  Eisen-  und  Stahlwerke,  5.  Henrichshütte, 
Eisen-  und  Stahlwerke.  Jede  Abteilung  wird  einem  Direktor  unter- 
stellt, welcher  dem  Verwaltungsrat  selbständig  verantwortlich  ist. 
Während  vorher  die  einzelnen  Werke  auch  rechnerisch  in  dem  ganzen 
aufgingen,  wird  jetzt  der  Grundsatz  besonderer  Abrechnung  durch- 
geführt. Jedes  einzelne  Werk  hat  eine  selbständige  Bilanz  mit  Ge- 
winn- und  Verlustkonto  aufzustellen.  Die  Generalbilanz  der  Union 
umklammert  seitdem  fünf  den  genannten  Abteilungen  entsprechende 
Spezialbilanzen.  Für  die  Vertretung  nach  außen,  vorzugsweise  also 
für  die  gesamte  kaufmännische  Leitung  funktioniert  neben  den  Abtei- 
lungsdirektoren eine  Zentraldirektion  in  Dortmund.  Der  Vorsitzende 
ist  der  Generaldirektor.  Er  führt  die  Aufsicht  über  die  einzelnen 
Abteilungen.  Er  bearbeitet  die  kommerzielle  Seite  des  Unternehmens, 
verteilt  die  Arbeiten  an  die  Werke  und  erledigt  sonstige  generelle 
Angelegenheiten.  Die  Mitglieder  der  Zentraldirektion  (heute  ist  es 
nur  der  Generaldirektor)  und  die  einzelnen  Abteilungsdirektoren  bil- 
den zusammen  den  Vorstand.    Ihm  liegt  unter  anderem  die  Aufgabe 

Stillich,  Nationalökonora ische  Forschungen.  Band  I.  7 


98  3.  Die  Dortmunder  Union. 

ob,  alle  Anträge  der  einzelnen  Abteilungen  an  den  Verwaltungsrat 
einer  Vorberatung  zu  unterziehen,  sowie  die  Beziehungen  der  ein- 
zelnen Abteilungen  zueinander  im  Falle  der  Meinungsverschieden- 
heit, resp.  im  Hinblick  auf  das  Gesamtinteresse  der  Union,  sowohl 
generell  als  auch  im  einzelnen  Falle  näher  festzustellen.  Auch  die 
Organisation  des  Verwaltungsrates  wurde  geändert.  Wie  wir  ge- 
sehen haben,  bestand  derselbe  aus  2  Komitees,  von  denen  das  eine 
für  die  Bearbeitung  der  vorkommenden  technischen  Fragen,  das 
andere  wesentlich  für  finanzielle  Angelegenheiten  und  die  Beauf- 
sichtigung des  Betriebes  bestimmt  war.  Diese  augenscheinlich  durch 
die  örtlichen  Verhältnisse  gebotene  Teilung  führte  jedoch  zu  Un- 
zuträglichkeiten. Infolgedessen  werden  die  beiden  Komitees  auf- 
gehoben und  bestimmt,  daß  in  Zukunft  Komitees  nur  mit  bestimm- 
ten einzelnen  Aufgaben  betraut  werden  sollen.  Die  Aufsichtsinstanz 
wird  hier  im  Verwaltungsrat  konzentriert.  In  den  wesentlichen  Punk- 
ten stehen  diese  Grundsätze  noch  sämtlich  heute  in  Kraft. 

Nachdem  diese  grundlegende  Änderung  in  der  Organisation: 
die  Verschiebung  der  Macht  aus  einer  Zentralinstanz  in  die  Hände 
der  Leiter  der  einzelnen  Werke  durchgeführt  war,  war  die  Konstruktion 
der  Verwaltung  nicht  mehr  das  Entscheidende,  sondern  ihre  Träger, 
das  heißt  die  Personen.  Hier  sind  nun  allerdings  auch  im  Laufe 
der  Zeit  zahlreiche  Fehler  gemacht  worden.  Schon  der  häufige 
Wechsel  gibt  zu  denken.  Ich  habe  mir  aus  den  Geschäftsberichten 
folgende  Änderungen  zusammengestellt,  ohne  damit  diesen  Punkt 
zu  erschöpfen:  der  erste  Reorganisator  der  Union  war  der  Bürger- 
meister a.  D.  Russell  (1875).  An  seine  Stelle  trat  1881  der  Königliche 
Eisenbahndirektor  Bail,  scheidet  aber  „aus  persönlichen  Gründen" 
nach  einem  halben  Jahre  wieder  aus  (1879/80).  Auf  ihn  folgt  als 
Generaldirektor  Regierungsrat  Seebold.  Es  ist  zunächst,  wie  Strous- 
berg  richtig  bemerkt,  vollständig  verkehrt,  an  die  Spitze  solcher 
vielseitigen  Unternehmungen  wie  der  Dortmunder  Union  Leute  mit 
hochklingenden  Namen  zu  stellen.  Nicht  der  Name,  sondern  die 
Leistung  entscheidet.  Zweitens  gehören  an  die  Spitze  Fachleute. 
Aber  gegen  dieses  oberste  Prinzip  wird  nicht  nur  in  der  Staatsver- 
waltung —  ich  erinnere  an  die  Bestellung  von  Geistlichen  zu  Schul- 
inspektoren im  Nebenamte,  oder  an  die  Besetzung  der  obersten 
Verwaltungsstelle  des  größten  deutschen  Transport-  und  Handels- 
unternehmens mit  einem  General  —  viel  gesündigt,  sondern  auch 
bei   Aktiengesellschaften,   z.  B.   bei  der   Union. 

Nun  ist  zwar  die  Personenfrage  bei  einem  solchen  Großbetrieb 


3.  Die  Dortmunder  Union.  99 

nicht  das  allein  ausschlaggebende  Moment  in  bezug  auf  die  Ren- 
tabilität. Viel  größer  als  der  Einfluß  auch  des  intelligentesten  Direktors 
ist  der  der  Konjunktur.  Aber  davon  abgesehen,  ist  es  ohne  Zweifel 
nicht  gleichgültig,  ob  eine  dirigierende  Persönlichkeit  gelernt  hat,  aus 
den  Erfahrungen  der  Vergangenheit  Nutzen  zu  ziehen.  Das  ist  bei  den 
verantwortlichen  Leitern  der  Union  vielfach  nicht  der  Fall  gewesen. 
Dieselben  Fehler,  die  früher  gemacht  wurden,  haben  sich  wiederholt. 
Daher  sagt  Lindenberg*)  nicht  mit  Unrecht  von  der  Union:  „Wohl 
hat  es  Menschen,  wohl  hat  es  Unternehmungen  gegeben,  welche  aus 
den  früheren  Fehlern  gelernt  haben,  aber  bei  der  Dortmunder  Union 
ist  das  nicht  geschehen.  Dieselben  Dinge,  welche  Strousberg  an 
der  Leitung  der  70er  Jahre  tadelt,  hat  auch  die  Verwaltung  während 
des  Booms  der  90er  Jahre  nicht  besser  gemacht.  Gleichsam  als 
ob  es  eine  ehrwürdige  Tradition  für  sie  sei,  jedesmal  die  Kon- 
junktur zu  verpassen  und  in  jeden  neuen  Boom,  überladen  mit 
minderwertigen  Bestellungen,  wofür  man  sich  billiges  Material 
nicht  gesichert  hat,  einzutreten,  nachher  aber  in  der  Krisis  mit  teuer 
gekauften  Materialien  ohne  entsprechende  Bestellungen  sitzen  zu 
bleiben,  so  geschah  es  auch  diesmal  .  .  .  Gleich  wie  die  Union  der 
70er  Jahre  das  Bedürfnis  gefühlt  hatte,  zu  Hochkonjunkturpreisen 
Gruben  in  Westfalen  und  Schweden  zu  kaufen,  ebenso  fühlte  auch 
die  Union  der  90er  Jahre  das  Bedürfnis  zu  ganz  analogen  Ankäufen 
von  Gruben,  „welche,  wenn  sie  wertvoll  waren,  was  sie  nicht  sind, 
Jahre  zur  Vorbereitung  und  viel  Geld  erforderten,  ehe  sie  etwas 
liefern  konnten"  und  von  denen  man  sich  hätte  sagen  müssen,  „daß 
man  die  teuer  gekauften  Gruben  erst  in  Betrieb  bringen  werde^ 
nachdem  die  gute  Zeit  vorbei  war."*' 

Außer  dem  Beamten  war  natürlich  auch  die  Qualität  des  Ar- 
beitermaterials von  ausschlaggebender  Bedeutung.  „Wir  finden  über- 
all unzureichende  Arbeitskräfte**,  heißt  es  im  ersten  Geschäfts- 
bericht, „es  fehlte  insbesondere  in  Dortmund  nicht  minder  an  tüch- 
tigen Beamten  als  an  erfahrenen  und  hinreichenden  sonstigen  Ar- 
beitskräften. Heute  (das  heißt  1872/73)  beschäftigen  wir  12102  Ar- 
beiter, 169  Betriebsbeamte  und  165  Bureaubeamte."  Diese  Arbeiter- 
zahl ist  bis  zur  Gegenwart  nicht  mehr  erreicht  worden.  Erst  im 
Jahre  1900  beträgt  der  durchschnittliche  Personalbestand  wieder 
12  082  Mann,  um  sich  in  den  folgenden  Jahren  wieder  stark  zu  ver- 


•)  Otto  Lindenberg:   50   Jahre  Geschichte  einer  Spekulationsbank.    Ein 
Beitrag  zur  Kritik  des  deutschen  Bankwesens.   Berlin  1903.  p.  36. 


100  3.  Die  Dortmunder  Union. 

mindern.  Im  Anfang  konnte  man  nicht  sehr  v/ählerisch  sein.  Die 
Gründerperiode  htt  unter  großem  Arbeitermangel.  Ein  großes  Per- 
sonal nicht  bloß  von  Arbeitern,  sondern  auch  von  Meistern,  Betriebs- 
führern und  Betriebsdirigenten  mußte  neu  engagiert  werden.  Miß- 
griffe waren  hierbei  nicht  zu  vermeiden.  Die  Nachfrage  nach  Pro- 
dukten zwang  dazu,  den  Arbeiterbedarf  zu  decken  und  über  den 
engen    Kreis   bewährter  und  tüchtiger,  Kräfte   hinauszugehen. 

Um  die  Betriebsführer  und  Dirigenten  an  der  Produktion  zu  in- 
teressieren, hatte  man  anfangs  das  System  der  Bruttoproduktions- 
tantieme eingeführt.  Das  ging,  so  lange  die  Konjunktur  noch  günstig 
war,  so  lange  es  sich  darum  handelte,  in  erster  Linie  viel  zu  pro- 
duzieren, weil  auch  die  teurere  Produktion  noch  großen  Nutzen  ab- 
warf. Aber  mit  dem  Eintritt  der  Baisse  änderte  sich  das.  Das  Prin- 
zip wird  fallen  gelassen.  Der  Geschäftsbericht  1873/74  bemerkt: 
„Es  fehlt  indes  bei  stattgehabter  allgemeiner  Anwendung  dieses 
Prinzips  an  dem  notwendigen  Korrektiv  gegen  die  Bemessung  des 
Arbeitslohnes  nach  Akkordsätzen.  Die  Frage  der  Selbstkosten  tritt 
in  den  Hintergrund;  statt  der  Kontrolle  über  das  nach  Akkordsätzen 
zu  bezahlende  Quantum  guter  Arbeit  besteht  und  bestand  ein  ge- 
meinschaftliches Interesse,  ein  möglichst  großes  Quantum  als  gut 
anzuerkennen  und  zu  buchen.  Bei  schlaffer  und  unfähiger,  geschweige 
denn  bei  gewissenloser  Betriebskontrolle  mußten  sich  diese  nach- 
teiligen Einwirkungen  verschärfen,  und  so  hat  sich  denn  auch  tat- 
sächlich bei  der  Union  an  verschiedenen  Betriebsstellen  eine  erheb- 
liche Differenz  zwischen  der  gebuchten  Arbeitsleistung  und  dem 
effektiven  Lagerbestande  herausgestellt,  welche  bei  der  letzten  In- 
ventur in  dem  mitgeteilten  Betriebsresultat  als  Manko  zu  Tage  ge- 
treten ist.  Gegen  diese  nachteilige  Wirkung  hat  die  mit  einer  Fülle 
anderer  Aufgaben  belastete  Zentralverwaltung  kein  ausreichendes 
Gegengewicht  geboten.*'  Ob  dieser  Kausalzusammenhang  wirklich 
bestand,  entzieht  sich  heute  der  Nachprüfung,  jedoch  sollen  auch 
nach  Beseitigung  dieses  Systems  Werte  zu  Buche  gestanden  haben, 
die  sich  dann  bei  der  Inventur  als  gar  nicht  vorhanden  erwiesen. 


Zu  den  verhängnisvollsten  Momenten  in  der  Geschichte  der 
Dortmunder  Union  gehört  in  dritter  Linie  das  allmähliche  Ver- 
armen ihrer  Erzbergwerke  in  bezug  auf  Masse  und 
Qualität.  Ökonomisch  bedeutet  dieser  Vorgang  einen  riesigen 
Ausfallan  Grundrente. 

Nach  der  Gründung  hatte  die  Dortmunder  Union  einige  Eisen- 


3.  Die  Dortmunder  Union. 101 

steinzechen,  Erzfelder  und  Gerechtsame.  Dazu  kamen  die  Eisen- 
steinfelder bei  Bredelar.  Wir  sehen  in  der  Folge  auch  bei  der 
Union  das  Bestreben,  sich  durch  die  Erwerbung  eigener  Erzgruben 
unabhängig  von  den  Schwankungen  des  Marktpreises,  dieses  grund- 
legenden Rohstoffes  der  Hochofenindustrie  zu  machen.  Das  ist  ihr 
nun  allerdings  in  bezug  auf  das  Eisenerz  nicht  gelungen.  Die  Ge- 
samtförderung an  Eisenstein  belief  sich  1872/73  auf  ca.  230  000 
Tonnen,  1902/03,  das  heißt  nach  30  Jahren,  nur  noch  auf 
ca.  29  000  Tonnen.  Zwischen  diesen  beiden  Zahlen  liegt  eine 
interessante  Periode,  in  der  die  Union  alle  Hebel  in  Bewegung 
setzte,  um  die  Produktion  an  Eisenerz  zu  vermehren.  Bereits 
Im  ersten  Geschäftsjahre  genügte  das  oben  erwähnte  Quantum  nicht. 
Die  Verwaltung  tat  nun  einen  Schritt,  der  sich  später  als  verhängnis- 
voller Fehler  herausstellte.  Im  Interesse  der  für  die  Flußstahlfabri- 
kation notwendigen  Erzbezüge  kaufte  sie  gleich  im  ersten  Geschäfts- 
jahre eine  Holzkohlen-Hochofenanlage  nebst  dazu  gehörigen  Eisen- 
gruben in  Schweden,  die  Svabenswerke.  Der  Kaufpreis  dieser  An- 
lage, einschließlich  der  Hütten-  und  Eisensteingruben,  des  dazu  ge- 
hörigen Areals  von  26  000  Morgen  eigener  Waldungen  und  einer 
bis  zum  Jahre  1900  andauernden  unentgeltlichen  Berechtigung  zur 
Abholzung  von  weiteren  ca.  14  000  Morgen  Waldungen  für  den 
Hochofenbetrieb,  betrug  3  Millionen  Mark.  Aber  der  Bezug  schwe- 
discher Erze  aus  eigenen  Gruben  war  ein  verfrühter  Gedanke.  Weder 
Eisenbahn  noch  Schiffahrt  waren  auf  den  Massentransport  eingerichtet, 
und  die  Kosten  dafür  sehr  hohe.  Im  Geschäftsjahre  1875/76 
ergibt  die  schwedische  Acquisition  einen  Verlust  von  50  627  Mark.  Der 
Bezug  wird  nunmehr  gänzlich  eingestellt.  Der  Plan,  schwedische 
Erze  aus  eigenen  Werken  für  die  Dortmunder  Anlage  heranzuziehen, 
war  gescheitert.  Um  die  Veräußerung  zu  erleichtern,  wurde  der 
Buchwert  der  Immobilien  und  Anlagekonti  auf  V2  Million  herunter- 
geschrieben. 1879  endlich  wird  das  Werk  zu  dem  Spottpreise  von 
V4  Million  Mark  verkauft. 

Vor  der  Einführung  des  Thomasprozesses  hatten  die  eigenen 
Erzgruben,  die  größtenteils  phosphorhaltige  Erze  enthielten,  keine 
große  Bedeutung.  Es  mußte  der  wachsende  Bedarf  an  Bessemer- 
erzen aus  dem  Auslande  gedeckt  werden.  Diese  importierten 
edlen  Eisenerze,  die  hauptsächlich  aus  England  kamen,  waren  natür- 
lich keineswegs  billig.  Erst  mit  der  Einführung  des  Thomasver- 
fahrens glaubte  die  Union  sich  vom  Auslande  losmachen  zu  können. 
Nun  begann  eine  Ausbeutung  der  eigenen  Gruben  und  ihrer  phos- 


102 3.  Die  Dortmunder  Union. 

phorhaltigen  Erze  in  großen  Dimensionen.  Für  die  Herstellung 
des  nach  dem  alten  Bessemerverfahren  phosphorfreien  Roheisens 
war  Dortmund  des  Erzbezuges  wegen  ein  ungünstig  gelegener  Platz. 
Umgekehrt  verhielt  es  sich  in  bezug  auf  die  Produktion  des  phos- 
phorhaltigen  Thomaseisens,  für  welches  sich  die  benötigten  Erze 
verhältnismäßig  billig  in  Dortmund  beschaffen  ließen.  Die  Union 
war  nun  in  der  Lage,  ihren  eigenen  Besitz  an  ausgedehnten  Lager- 
stätten phosphorreicher  Erze,  welcher  bisher  brach  lag,  zu  verwerten. 
Mit  der  Einführung  des  Thomasprozesses  auf  der  Union  hingen 
daher  große  Hoffnungen  in  bezug  auf  die  Zukunft  der  eigenen  Erz- 
gruben zusammen.  Diese  Hoffnungen  wurden  getäuscht.  Sehr  bald 
ließ  die  Ergiebigkeit  der  Bergwerke  nach.  Im  Geschäftsbericht  über 
das  Jahr  1885/86  wird  bereits  konstatiert,  daß  „das  früher  sehr 
reichhaltige  und  wertvolle  Vorkommen  von  Eisenstein  auf  der  Grube 
Reinhardt  in  großer  Teufe  allmählich  vollständig  in  Kalk  übergeht, 
so  daß  die  Außerbetriebsetzung  derselben  in  Aussicht  genommen  ist." 
Ähnlich  verhielten  sich  in  der  Folgezeit  die  anderen  Gruben. 

Die  nächste  Folge  der  allmählichen  Verarmung  der  Union  an 
dem  wichtigsten  Rohstoff  war  nun  der  Zukauf  neuer  Zechen.  Im 
nächsten  Jahre  wird  die  Zeche  Brockhauser  Tiefbau  zum  Preise 
von  300  000  Mark  erworben.  1887  kauft  die  Union  die  bei  Bücke- 
burg gelegene  Eisensteingrube  Wohlverwahrt,  von  der  sie  schon 
früher  die  speziell  für  ihren  Betrieb  geeigneten  Erze  ankaufsweise 
bezogen  hatte.  1888  geht  die  mit  der  zuletzt  genannten  markt- 
scheidende Grube  Viktoria  in  den  Besitz  der  Union  über.  Der  Kauf- 
preis für  beide  betrug  424  000  Mark.  Als  Motiv  für  die  Erwer- 
bung wird  folgendes  angeführt  (1887/88):  „Bei  der  in  absehbarer 
Zeit  zu  erwartenden  Erschöpfung  der  Rasenerzfelder  im  nördlichen 
Deutschland  und  in  Holland,  und  angesichts  der  von  Jahr  zu  Jahr 
sich  steigernden  Schwierigkeiten,  welche  sich  der  ausreichenden  Be- 
schaffung von  Puddelschlacke  und  anderen  für  die  Herstellung  von 
Thomaseisen  brauchbaren  Materialien  entgegenstellen,  war  es  not- 
wendig, die  Roheisenfabrikation,  die  während  der  letzten  Jahre  durch 
die  Ausrüstung  der  Hochofenwerke  mit  den  besten  technischen  Ein- 
richtungen auf  die  Höhe  der  Zeit  gebracht  worden  war,  bezüg- 
lich der  erforderlichen  Erze  möglichst  unabhängig  von  den  Schwan- 
kungen der  Konjunktur  zu  machen."  Später  wird  dann  eine  Minette 
Konzession  in  Lothringen  erworben.  Ein  Teil  derselben  wird  jedoch 
1896  wieder  verkauft,  und  zwar  mit  einem  Gewinn  von  Vi  MiUionen 
Mark.     Dieser    Gewinn    wurde    allerdings    durch    die    Zubußen   ab- 


3.  Die  Dortmunder  Union.  103 

sorbiert,  welche,  wie  wir  später  sehen  werden,  für  die  Gewerkschaft 
Mengeder  Steinkohlenbergwerk  aufzubringen  waren.  Heute  hat  die 
Union  die  Mehrheit  der  Kuxe  des  Minette  Grubenfeldes  ver.  Empel, 
aber  es  ist  bisher  nicht  in  Betrieb  genommen  worden,  da,  wie  es 
im  Geschäftsbericht  1902/03  heißt,  „es  möglich  war,  den  Erzbedarf 
anderweitig  zu  günstigen  Preisen  zu  decken",  mit  anderen  Worten, 
weil  der  Bezug  aus  Lothringen  zur  Zeit  noch  zu  teuer  ist. 

Der  Schwerpunkt  der  Erwerbungen  liegt,  wie  aus  der  bisherigen 
Darstellung  hervorgeht,  in  der  zweiten  Hälfte  der  80er  Jahre.  Aber 
auch  diese  Neuerwerbungen  hielten  nicht,  was  sie  versprachen.  In 
der  Blüteperiode  von  1895  bis  1900,  wo  die  gesamte  Eisenproduk- 
tion ein  beschleunigteres  Tempo  annahm,  konnte  der  Eisensteinberg- 
bau der  Union  mit  einer  wesentlichen  Zunahme  nicht  rechnen.  Eine 
Steigerung  der  Förderung  wurde  nur  auf  den  Wesergruben  erzielt: 
„Auf  den  Bredelarer  Gruben",  heißt  es  in  dem  Bericht  über  das 
Jahr  1899/1900,  „haben  sich  die  Verhältnisse  während  der  letzten 
Jahre  so  ungünstig  gestaltet,  daß  der  Betrieb  Zubuße  forderte, 
und  die  Außerbetriebsetzung  in  Erwägung  gezogen  werden  muß." 
In  der  Krisenperiode  verschlechtern  sich  die  Verhältnisse  noch  mehr. 
Der  Geschäftsbericht  für  das  Jahr  1902/03  läßt  an  Pessimismus  nichts 
zu  wünschen  übrig.  Er  konstatiert,  daß  die  Eisensteingruben  einen 
Verlust  von  151251  Mark  ergaben.  Über  die  einzelnen  Gruben 
wird  folgendes  mitgeteilt:  Auf  der  Grube  Charlottenburg  bei  Brede- 
lar,  welche  allein  von  den  dort  gelegenen  Gruben  noch  betrieben 
wurde,  mußte  der  Betrieb  wegen  Erschöpfung  der  Erzlager  ein- 
gestellt werden.  Dasselbe  Schicksal  wird  die  Grube  Martha  bei 
Philippstein  ereilen,  und  zwar  nach  Räumung  des  etwa  9000  Tonnen 
betragenden  Lagers  an  Eisenstein,  das  in  der  Hauptsache  schon 
verkauft  ist.  Auf  Grube  Friedrich  bei  Wissen,  die  nur  noch  allein 
im  stärkeren  Maße  im  Betriebe  war,  wurden  gefördert  13  502  Tonnen 
mit  einem  Verlust  von  29  601  Mark.  Dieser  Verlust  hängt  damit 
zusammen,  daß  der  Verkaufswert  der  Produkte  dieser  Grube  von 
18,83  Mark  auf  13,21  Mark  pro  Tonne  zurückging.  Über  die  schon 
erwähnte  Grube  Viktoria  heißt  es:  „Die  genauen  Untersuchungen 
unserer  Wesergruben  haben  ergeben,  daß  die  unterirdischen  Ver- 
hältnisse der  Grube  Viktoria  andauernd  so  ungünstige  sind,  daß 
sich  der  Abbau  vorläufig  nicht  mehr  lohnt.  Der  Betrieb  auf  dieser 
Grube  ist  deshalb  vollständig  eingestellt  worden".  Auf  der  Grube 
Wohlverwahrt  hatten  die  Untersuchungen  zwar  ein  besseres  Ergeb- 
nis, aber  die  Förderung  betrug  1902/03  nur  9226  Tonnen  gegen  25  570 


104  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Tonnen  im  Vorjahre.  Als  Resultat  ergibt  sich  ein  permanentes  Zu- 
rückgehen der  Eisenerzförderung  und  damit  im  Zusammenhange 
eine  große  Wertverminderung  der  Erzbergwerke.  Es  sei  hier  nur 
auf  die  riesigen  Abschreibungen  verwiesen,  die  nach  der  finanziellen 
Rekonstruktion  im  Jahre  1896/97  vorgenommen  wurden.  Für  diese 
Abschreibungen  war  ein  Buchgewinn  von  I9V2  Millionen  Mark  dis- 
ponibel. Davon  wurden  auf  den  Eisensteinbergbau  nicht  weniger 
als  8  Millionen  Mark  abgeschrieben,  so  daß  er  in  der  Bilanz  vom 
30.  Juni  1897  nur  noch  mit  2,7  Millionen  Mark  figuriert,  während 
er  sich  auf  der  vorjährigen  Bilanz  auf  10,7  Millionen  Mark  bezifferte. 
In  der  Generalbilanz  vom  30.  Juni  1903  erscheint  der  Eisensteinberg- 
bau  nur   noch   mit   1,4   Millionen   Mark   bewertet. 

Aber  die  Förderung  aus  den  eigenen  Gruben  hat  nicht  nur 
stark  nachgelassen,  sondern  das  Erz,  das  sie  liefern,  ist  auch  ein 
wenig  reichhaltiges.  Es  enthält  nur  etwa  38  0/0  Eisen.  Das  ist 
verhältnismäßig  wenig.  Ein  Erz  von  unter  30  0/0  Eisengehalt  hat  unter 
Umständen  kaum  Aussicht,  überhaupt  noch  verarbeitet  zu  werden. 
Infolge  dieses  geringen  Eisengehaltes  sind  die  Produktionskosten 
des  daraus  erblasenen  Roheisens  sehr  hohe.  Die  geringe  Ergiebigkeit 
der  eigenen  Erzgruben  sowie  der  ungenügende  Eisengehalt  bedingen 
nun  kategorisch  die  Notwendigkeit,  die  Herstellung  von  Roheisen 
auf  fremde,  das  heißt  zugekaufte  Erze  zu  basieren.  Die  Union  ver- 
arbeitete in  den  letzten  Jahren  bereits  über  90  0/0  fremder  Erze, 
von  denen  der  größere  Teil  aus  dem  Auslande  stammt.  Es  werden 
Erze  mit  62 — 680/0  aus  Schweden  bezogen,  ferner  aus  Spanien  und 
Afrika,  auch  griechische  Manganerze  werden  je  nach  den  Markt- 
verhältnissen angekauft.  Die  Aufträge  werden  einer  westfälischen 
Transportgesellschaft  erteilt,  die  in  Emden  die  fremden  Erze  von  den 
Dampfern  in  Empfang  nimmt.  Nach  den  mir  von  der  Verwaltung 
gemachten  Angaben  werden  im  ganzen  jährlich  verhüttet  720000 
Tonnen  Erz.  Davon  sollen  360  000  Tonnen  aus  dem  Auslande,  240  000 
Tonnen  aus  fremden  inländischen  und  120  000  Tonnen  aus  eigenen 
Gruben  stammen.  Die  letztere  Zahl  ist  aber  ohne  Zweifel  zu  hoch 
gegriffen,  denn  die  Gesamtförderung  der  Union  betrug  im  Jahre 
1901/02  56  593  Tonnen,  und  im  folgenden  Geschäftsjahre  sogar  nur 
noch  29  1 1 1  Tonnen.  Der  Anteil  der  aus  den  eigenen  Gruben  geför- 
derten Erze  an  dem  Gesamtverbrauch  betrug  danach,  wenn  der  letztere 
richtig  angegeben  ist,  im  Jahre  1902/03  nur  ca.  4  0/0.  Für  die  Beur- 
teilung der  Lage  eines  Unternehmens  ist  es  natürlich  von  großer 
Wichtigkeit,  das  Verhältnis  der  selbstgewonnenen  und  der  zugekauften 


3.  Die  Dortmunder  Union. 105 

Erze  genau  zu  kennen.  Über  diesen  wichtigen  Punkt  aber  schweigen 
sich  die  Geschäftsberichte  beharrlich  aus,  und  auch  die  Verwaltung 
behandelt  die  Sache  wenigstens  öffentlich  als  Geheimnis.  Die  er- 
wähnten Zahlen  sind  natürlich  nur  approximativer  Natur.  Aber  es 
geht  aus  ihnen  deutlich  hervor,  daß  der  Union  heute  die 
eigene  Grundlage  für  ihre  Produktion  fehlt,  näm- 
lich das  Eisenerz.  Die  himbeerroten  Manganerze  aus  Süd- 
spanien, die  mitunter  von  blauen  Kristallen  überzogenen  Gellivara- 
erze  aus  Schweden,  sowie  die  anderen  in  großen  Massen  auf  dem 
Lagerplatze  der  Union  aufgestapelten  Eisenerze  sind  ein  Beweis  da- 
für, daß  die  Verarbeitung  fremder  Erze  die  Oberhand  gewonnen  hat. 
Was  die  Rohstoffpolitik  der  Union  zu  erreichen  suchte:  Unabhängig- 
keit von  den  Schwankungen  der  Konjunktur,  hat  sie  nicht  erreicht. 
Dabei  darf  man  aber  zweierlei  nicht  übersehen.  Einmal  ist  wegen 
der  hohen  Produktionskosten  der  Erzförderung  in  den  eigenen  Gruben, 
bezogen  auf  die  Tonne  Roheisen,  der  Bezug  vom  Auslande  immer 
noch  billig  zu  nennen.  Allerdings  ist  hier  von  Fall  zu  Fall  der  Welt- 
marktpreis ausschlaggebend.  Das  Werk  hat  daher  versucht,  sich 
namentlich  schwedische  Erze  für  eine  längere  Reihe  von  Jahren 
durch  Vertrag  zu  sichern.  Die  Erzpreise  werden  dabei  nach  Maß- 
gabe der  Roheisenpreise  bemessen.  Zugrunde  liegt  das  Prinzip 
der  gleitenden  Skala.  Andererseits  befinden  sich  die  meisten  Hütten- 
werke des  westfälischen  Bezirks  in  ganz  ähnlicher  Lage.  Sie  alle 
haben  mehr  oder  weniger  nicht  genügend  eigenes  Erz,  um  ihre  Hoch- 
öfen damit  vollständig  zu  befriedigen.  Freilich  ist  auch  in  dieser  Be- 
ziehung die  Union  besonders  ungünstig  daran,  weil,  wie  wir  sahen, 
der  Anteil  an  der  Versorgung  der  Hochöfen  mit  eigenem  Eisenerz 
nur  noch  4  o/o  beträgt,  andererseits,  weil  der  selbstgewonnene  Rohstoff 
wenig    Eisen    enthält. 


Der  zweite  wichtige  Hilfsstoff  für  den  Hochofen-  und  Hütten- 
betrieb ist  die  Kohle.  Heute  hat  die  Union  im  Gegensatz  zu  dem 
Defizit  an  Eisen  ein  Plus  an  Kohlen.  Sie  setzt  einen 
Teil  derselben  an  Fremde  ab.  Die  Förderung  belief  sich  1902/03 
auf  602  812  Tonnen,  nach  Abzug  des  Selbstverbrauchs  der  Zechen 
auf  575  922  Tonnen  mit  einem  Gesamterlös  von  5,7  Millionen  Mark. 
Die  Hauptmasse  bildet  die  sogenannte  Förderkohle.  Es  ist  das  eine 
minderwertige  Kohle,  die  einen  niedrigen  Preis  hat.  Aus  diesen 
Förderkohlen  werden  durch  Waschen  und  Sortieren  die  hochwertigen 


106  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Kohlen  gewonnen.    Von  diesen  hochwertigen  Kohlen  wird  ein  Teil 

an  das  Rheinisch-Westfälische  Kohlensyndikat  verkauft,  da  sie  sich 
in  den  großen  Sortimenten  nicht  zur  Verkokung  eignet;  infolgedessen 
müssen  andererseits  noch  Koks  zugekauft  werden,  1Q02  allein  für 
das  Dortmunder  Werk  80  000  Tonnen,  Das  Werk  bleibt  also  auch  auf 
diesem  Gebiet  von  der  Marktlage  beeinflußt.  Seine  Lage  wird  dem- 
nach mitbestimmt  durch  den  Kohlenüberschuß  im  allgemeinen  und 
durch  den  Mangel  an  Kokskohle  im  speziellen. 

Die  Geschichte  der  Kohlenversorgung  der  Union  läßt  sich  nur 
mit  großen  Schwierigkeiten  in  den  wichtigsten  Punkten  zusammen- 
stellen. Wenn  wir  in  die  Vergangenheit  des  Unternehmers  zurück- 
blicken, so  sehen  wir  von  vornherein  in  scharfen  und  klaren  Um- 
rissen das  Streben  nach  Selbstversorgung  auftauchen.  Es  wird  zu 
erreichen  gesucht  zunächst  nicht  durch  Erwerbung  neuer  Kohlen- 
gruben, sondern  durch  Steigerung  der  Produktion  der  vorhandenen. 
Allerdings  machten  hier  die  Tatsachen  einen  Strich  durch  die  Rech- 
nung. In  dem  ersten  Geschäftsjahre  betrug  die  gesamte  Kohlen- 
förderung der  Union  annähernd  ebensoviel  wie  heute,  nämlich  577  465 
Tonnen  mit  einem  fakturierten  Geldbetrage  von  etwas  über  6Mill. 
Mark.  In  dem  Geschäftsbericht  über  das  Jahr  1873/74  wird  erwähnt, 
daß  die  Union  nur  zwei  Drittel  ihres  Kohlenbedarfs  aus  eigenen  Zechen 
decken  könne.  In  der  Folgezeit  ging  dann  die  Förderung  beträcht- 
lich zurück.  Sie  betrug  1879/80  228  651  Tonnen,  stieg  dann  mit 
vielen  Schwankungen  bis  auf  374  178  Tonnen  im  Jahre  1887/88,  um 
dann  bis  zum  Schluß  des  Jahrhunderts  sich  wenig  über  300  000 
Tonnen  zu  erheben.  Erst  1902/03  erreichte  die  Förderung  die  Höhe 
von  602  812  Tonnen. 

Die  beiden  Zechen,  die  die  Union  bereits  bei  ihrer  Gründung 
mit  übernahm,  sind  noch  heute  in  ihrem  Besitz.  Zunächst 
die  Zeche  Glückauf  Tiefbau  bei  Barop.  Ihre  Entwicklung  zu  ver- 
folgen ist  leider  nicht  möglich.  Heute  steht  sie  mit  ca.  4,9  Millionen 
Mark  zu  Buch.  Im  Geschäftsbericht  1902/03  heißt  es:  „Das  im  Be- 
richt des  Vorjahres  erwähnte  ungünstige  Flötzverhalten  hat  auch  im 
verflossenen  Jahre  den  Betrieb  nachteilig  beeinflußt.  Dazu  kam,  daß 
die  vorhandenen  Tagesanlagen  den  Anforderungen  eines  modernen 
Betriebes  immer  weniger  genügten.  Infolgedessen  sind  nicht  nur 
die  Selbstkosten  weiter  gestiegen,  sondern  es  ist  auch  eine  Erniedri- 
gung der  Verkaufspreise  für  Kohlen  und  Koks  eingetreten."  Daran 
knüpft  der  Bericht  die  Hoffnung,  daß  diesem  Übelstande  bald  durch 
die  Fertigstellung  der  neuen  Wäsche  und  Separation,  der  im  Bau  be- 


3.  Die  Dortmunder  Union.  107 


griffenen  Koksöfen  und  der  elektrischen  Bahn  zwischen  den  beiden 
Förderschächten  abgeholfen  werden  wird.  Die  zweite  der  Union 
gehörende  Kohlengrube  Karl  Friedrich  bei  Weitmar,  die  mit  ca. 
3  Millionen  Mark  auf  dem  Anlagekonto  zu  Buche  steht,  hat  heute 
ebenfalls  unzureichende  Tagesanlagen,  die  die  wirtschaftliche  Weiter- 
entwicklung der  ganzen  Grube  empfindlich  schädigen.  Das  Ergebnis 
im   Jahre    1902/03   war  ein   Verlust  von    12  546  Mark. 

Diese  Zechen  allein  aber  genügen  nicht.  Daher  beteiligte  sich 
die  Union  anfangs  der  90er  Jahre  noch  bei  einer  benachbarten  Kohlen- 
zeche und  sicherte  sich  eine  bis  1.  Juli  1904  laufende  Option.  Nach- 
dem dann  vielfach  die  Verhältnisse  der  Flötze  sich  verschlechterten, 
werden  1897/98  3  neue  Gruben  erworben:  Storksbank,  Wilhelmine 
und  Venus.  Auf  der  bei  Mengede  gelegenen  Zeche  Adolf  von  Hanse- 
mann beteiligte  sich  die  Union  mit  501  Kuxen,  d.  h.  mit  1  753  500 
Mark,  da  der  Kux  mit  3500  Mark  bezahlt  wurde.  Dieser  Erwerb 
erforderte  aber  anfangs  große  Zubußen.  Trotzdem  setzte  man  von 
selten  der  Verwaltung  auf  diese  von  der  Diskontogesellschaft  über- 
nommene Zeche  große  Hoffnungen.  Projektiert  war  eine  Förderung 
von  2000  Tonnen  täglich!  Allerdings  war  die  Vergangenheit 
der  Zeche  keine  makelfreie.  Schon  vor  einer  Reihe  von  Jahren  er- 
soff bei  dem  Versuch  des  Abteufens  ein  Schacht,  der  auf  der.  Zeche 
niedergebracht  werden  sollte,  so  daß  die  dafür  verwendeten  31/2 
Millionen  Mark  verloren  waren.  Das  war  bereits  ein  böses  Omen. 
Anfangs  Januar  1901  nun  meldete  die  Rheinisch-Westfälische  Zeitung, 
daß  die  Zeche  Adolf  von  Hansemann  infolge  von  Undichtigkeit 
der  Picotagen  durch  Wasserzuflüsse  derart  belästigt  werde,  daß 
wiederholt  Feierschichten  eingelegt  werden  mußten.  Das  Wasser 
sei  so  stark  aufgetreten,  daß  die  Pferde  in  Sicherheit  gebracht  wer- 
den mußten.  Über  das  Ersaufen  dieses  Schachtes  enthält  dann  der 
Geschäftsbericht  der  Union  1901/02  folgende  interessante  Einzel- 
heiten: „Infolge  eines  Wasserdurchbruchs  in  Schacht  II  der  Zeche 
wurde  die  Dampfleitung  zu  der  an  diesem  Schacht  liegenden  unter- 
irdischen Wasserhaltungsmaschine  beschädigt.  Die  Maschine  konnte 
nicht  weiter  betrieben  werden,  und  das  Wasser  stieg  in  beide  Schächte 
bis  über  den  440  m  tief  liegenden  Hauptquerschlag.  Bei  den  Ver- 
suchen, die  Undichtigkeit  in  Schacht  II  zu  beseitigen,  entstand  durch 
Unvorsichtigkeit  der  mit  dieser  Arbeit  betrauten  Bergleute  eine  Ex- 
plosion schlagender  Wetter,  wodurch  ein  Teil  der  Schachtzimmerung 
beschädigt,  2  Bergleute  getötet  und  die  Wasserförderung  mit  Kästen 
in  diesem   Schacht  zunächst  unmöglich   gemacht  wurde.    Da  diese 


108 3.  Die  Dortmunder  Union. 

Katastrophe  gerade  in  die  Zeit  der  stärksten  Wasserzuflüsse  fiel, 
so  stieg  das  Wasser  in  den  Schächten  rasch  auf,  so  daß  sämtHche 
Baue  unter  Wasser  standen.  Nur  nach  unsagbaren  Mühen  und 
Anstrengungen  und  durch  monatelange  unausgesetzte  Inanspruch- 
nahme aller  maschinellen  Kräfte,  die  für  die  Wasserförderung  zur 
Verfügung  standen,  war  es  endlich  am  5.  Mai  1901  gelungen,  die 
Fördersohle  und  den  Maschinenraum  für  die  unterirdische  Wasser- 
haltung wieder  trocken  iu  legen.  Die  nach  Inbetriebsetzung  der 
Wasserhaltungsmaschinen  sofort  aufgenommenen  Räumungsarbeiten 
in  den  Schächten,  Querschlägen  und  Strecken  zeigten  eine  starke 
Beschädigung  dieser  Baue."  Der  Schaden,  der  durch  das  Wasser 
verursacht  wurde,  belief  sich  auf  700  000  Mark.  Diese  Summe  wurde 
von  der  Diskontogesellschaft  übernommen.  Die  Union  hätte  sie 
auch  gar  nicht  bestreiten  können.  Durch  diesen  Wassereinbruch 
wurde  der  Betrieb  um  mehr  als  ein  Jahr  zurückgesetzt.  Die  neuen 
Wasserhaltungsmaschinen  mit  elektrischem  Antriebe  bemächtigten 
allerdings  das  Wasser ;  sie  hoben  1 1  cbm  in  der  Minute,  während  der 
Zufluß  nur  2,5 — 3  cbm  betrug.  Allerdings  blieb  infolge  der  ge- 
schilderten Verhältnisse  die  Förderung  weit  hinter  der  projektierten 
von  2000  Tonnen  zurück.  Sie  betrug  1900/01  600  und  im  folgenden 
Jahre  900  Tonnen  pro  Arbeitstag.  Mit  dem  Hereinbruch  der  Krisis 
wird  daher  der  Plan  erwogen,  die  Zeche  Adolf  von  Hansemann 
abzustoßen.  Sie  sollte  zum  Buchwerte  von  16,8  Millionen  Mark 
verkauft  werden.  In  der  außerordentlichen  Generalversammlung  vom 
9.  Juni  1902  entschied  man  sich  jedoch,  um  die  Mittel  aufzubringen, 
für  Zuzahlungen  auf  die  Vorzugsaktien.  Im  Jahre  1902/03  haben  sich 
die  Verhältnisse  etwas  gebessert.  Die  Förderung  stieg  von  138  499 
Tonnen  auf  265  301  Tonnen,  das  Erträgnis  von  344195  auf  607  297 
Mark. 

Die  vorhergehenden  Bemerkungen  zeigen  zunächst,  daß  die 
Verhältnisse  der  Union  in  bezug  auf  den  Kohlen- 
bergbau allerdings  etwas  günstiger  liegen  wie  bei 
dem  Eisensteinbergbau,  daß  sie  sogar  imstande  ist, 
Kohlen  zu  verkaufen.  Man  darf  dieses  Moment  aber 
nicht  überschätzen,  denn  nur  ein  Teil  der  geför- 
derten Kohle  eignet  sich  zur  Verkokung,  und  die 
noch  fehlenden  Kohlen  resp.  Koks  müssen  angekauft 
werden.  Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  drei 
Zechen  sind  als  günstig  nicht  zu  bezeichnen  trotz  der 
entgegengesetzten  Meinung  der  Geschäftsberichte.  So 


3.  Die  Dortmunder  Union. 109 

vertritt  der  Bericht  des  Jahres  1902/03  folgende  opti- 
mistische Auffassung:  „Eine  weitere  Besserung  der 
Lage  des  Gesamtunternehmens  erwarten  wir  aus  der 
vollen  Entwicklung  unseres  Kohlenbergbaus.  Ein- 
gehende Untersuchungen  haben  ergeben,  daß  mit 
einem  so  bedeutenden  Kohlenreichtum  unserer  drei 
Zechen  zu  rechnen  ist,  daß  bei  ordnungsmäßigem 
AbbaueineerheblicheSteigerungderFörderungund 
somit  ein  Sinken  der  Selbstkosten  und  eine  Erhöhung 
des  Reingewinns  zu  ermöglichen  sein  wir d."  Schließ- 
lich darf  nicht  übersehen  werden,  daß  die  Zechen- 
anlagen mit  dem  hohen  Betrag  von  2  3,2  Millionen 
Mark  zu  Buche  stehen,  während  die  Eisenstein- 
gruben bis  auf  1,4  Millionen  Mark  heruntergeschrie- 
ben sind.  In  diesen  Verhältnissen  liegt  ein  weiteres, 
das   Unternehmen  gefährdendes   Element. 


Nachdem  wir  im  Vorhergehenden  die  natürlichen  Grundlagen 
erörtert  haben,  gehen  wir  nunmehr  dazu  über,  in  das  Wesen  des 
Betriebes  selbst  näher  einzudringen.  Der  Grundgedanke  bei  der 
Bildung  der  Union  war,  wie  ja  auch  der  Name  andeutet,  die  Ver- 
einigung. Mehrere  verschiedene  Betriebe  wurden  zu  einem  Ganzen 
kombiniert.  Sie  sollten  1.  sich  gegenseitig  ergänzen  und  unterstützen, 
2.  Spezialitäten  erzeugen,  um  so  das  ganze  Unternehmen  elastisch 
über  schwere  Geschäftszeiten  hinwegzuführen.  Durch  die  Zusammen- 
legung einzelner  Werkskomplexe  sollte  ein  Riesenunternehmen  ge- 
schaffen werden,  das,  wie  es  im  Prospekt  heißt,  „an  Größe  des  Ziels 
fast  ohne  Beispiel"  möglichst  alle  Zweige  der  Eisenindustrie  um- 
fassen und  gleichzeitig  in  der  Lage  sein  sollte,  die  notwendigen 
Rohmaterialien  und  Halbfabrikate  selbst  zu  erzeugen. 

War  diese  Kombination  mit  ihren  Zielen  richtig?  Das  haben  wir 
jetzt  zu  untersuchen. 

Der  Gedanke  der  Spezialisation  war  ursprünglich  noch  nicht  im 
größeren  Maßstabe  durchgeführt.  Die  Walzwerke  der  drei  in  Be- 
tracht kommenden  Unternehmungen  basierten  in  der  Hauptsache 
auf  der  Schienenfabrikation.  Dann  wurden  neue  Walzwerksanlagen 
geschaffen  und  damit  „die  Grundlage  für  den  Spezialitätenbetrieb 
gelegt  nach  dem  Vorbilde  des  Auslandes."  Auch  der  Hochofen- 
betrieb wurde  ausgestaltet.  „Gestützt  auf  den  Kohlen-  und  Eisen- 
steinbergbau", heißt  es  in  dem  ersten  Geschäftsbericht,  „wird  die 


110  3.  Die  Dortmunder  Union. 


Roheisenproduktion  der  Union  vermittels  15  großer  Kokshochöfen 
und  3  Holzkohlenhochöfen  erfolgen  und  somit  der  Hochofenbetrieb 
der  bedeutendste  in  einer  Hand  vereinigte  des  Kontinents  sein." 
Es  kann  nun  an  dieser  Stelle  nicht  meine  Aufgabe  sein,  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  der  Produktion  zu  skizzieren  —  das  Wesent- 
liche darüber  wird  im  nächsten  Abschnitt  behandelt  werden  —  son- 
dern hier  kommt  es  lediglich  darauf  an,  die  ungeheure  Vielseitigkeit 
der  Produktion  zu  illustrieren,  und  daher  bitte  ich  den  Leser  mit 
mir  im  Geiste  einen  Gang  durch  die  Betriebe  der  zur  Union  ge- 
hörigen Werksanlagen  zu  machen. 

Wir  sehen  da  zunächst  auf  dem  Dortmunder  Werke  folgendes: 

1.  Ein  Hochofenwerk  mit  5  Hochöfen  und  102  Koksöfen.  Jähr- 
liche Leistungsfähigkeit*)  300  000  Tonnen  Roheisen  und  80  000  Ton- 
nen   Koks. 

2.  Ein  Stahlwerk  mit  4  Convertern  ä  16  Tonnen,  4  Siemens- 
Martinöfen  ä  25  Tonnen  Fassung,  1  Tiegeischmelzofen,  1  Schmelz- 
tiegelfabrik und  1  Fabrik  für  feuerfeste  Steine.  Jährliche  Leistungs- 
fähigkeit: 300  000  Tonnen  Thomasstahlblöcke,  82  000  Siemens- 
Martinstahlblöcke  und   3600  Tonnen   Tiegelgußstahl. 

3.  Ein  Walzwerk  zur  Herstellung  von  Schienen,  Schwellen,  Ban- 
dagen, Trägern,  Unterlagsplatten,  Laschen  etc.  Jährliche  Leistungs- 
fähigkeit 180  000  Tonnen  Walzfabrikate. 

4.  Ein  weiteres  Walzwerk  mit  18  Puddelöfen  zur  Herstellung 
von  Handelseisen.  Jährliche  Leistungsfähigkeit  96  000  Tonnen  Walz- 
fabrikate. ' 

5.  Ein  Hammerwerk  mit  6  Dampfhämmmern  und  5  Gaswärm- 
öfen zur  Herstellung  von  Achsen,  Bandagenringen,  Radscheiben, 
Fagonstücken.    Jährliche  Leistungsfähigkeit  15  600  Tonnen. 

6.  Eine  Stahlformgießerei.  Jährliche  Leistungsfähigkeit  5000 
Tonnen   Stahlfagonguß. 

7.  Eine  elektrische  Zentrale  für  Kraft  und  Licht  mit  7  Dampf- 
dynamomaschinen von  zusammen  1624  Pferdekräften. 

8.  Eine  Brückenbauanstalt  mit  86  Werkzeugmaschinen.  Jährliche 
Leistungsfähigkeit  20  000  Tonnen. 


*)  Es  handelt  sich  hier  nur  um  die  technisch  mögliche  Leistung,  nicht 
aber  um  die  wirkliche  Leistung,  die  hauptsächlich  durch  ökonomische  Momente 
bestimmt  wird.  —  Die  diesbezüglichen  Angaben  über  die  einzelnen  Abteilungen 
entnehme  ich  einer  von  der  Verwaltung  anläßlich  des  Besuchs  Seiner  Majestät 
des  deutschen  Kaisers  am  IL  Aug.  1899  gemachten  Zusammenstellung  über 
den  Umfang  und  die  Betriebe  der  zur  Union  gehörigen  Werke. 


3.  Die  Dortmunder  Union.  111 

9.  Eine  Weichenfabrik  mit  27  Werkzeugmaschinen.  JährUche 
Leistungsfähigkeit  3  800   Weichen. 

10.  Eine  Achsen-  und  Räderfabrik  mit  28  Schmiedefeuem, 
5  Dampfhämmern,  5  Dampfmaschinen  und  92  Werkzeugmaschinen 
zur  Herstellung  von  Lokomotiv-  und  Waggonradsätzen.  Jährliche 
Leistungsfähigkeit   10  000  Tonnen. 

11.  Eine  mechanische  Werkstatt  mit  52  Werkzeugmaschinen  zur 
Herstellung  von  Coquillcn  für  Stahlguß,  Walzen  und  anderen  Guß- 
stücken. Die  mechanische  Werkstatt  dient  auch  als  Reparaturwerk- 
stätte. 

12.  Eine  Eisenbahn vvagenfabrik  mit  45  Werkzeugmaschinen  zur 
Herstellung  von  Güterwagen  sowie  von  Personenwagen  III.  und 
IV.   Klasse.    Jährliche   Leistungsfähigkeit   1000   Eisenbahnwagen. 

13.  Eine  Schiffsbauanstalt,  hauptsächlich  zur  Herstellung  von 
Kanalschiffen,  Seekähnen,  Prähmen  und  Pontons. 

Auf  der  Henrichshütte  finden  wir  eine  Hochofenanlage  mit  zwei 
Hochöfen,  eine  elektrische  Licht-  und  Kraftanlage,  ein  Puddel-  und 
Walzwerk,  das  letztere  namentlich  zur  Herstellung  von  Winkeleisen 
und  Blechen,  eine  Gießerei  und  mechanische  Werkstätte,  sowie  fol- 
gende Betriebe,  die  wir  in  Dortmund  nicht  sahen,  und  die  daher 
hier  in  laufender  Nummer  Platz  finden: 

14.  Eine  Röhrenfabrik  zur  Herstellung  von  geschweißten  Röhren, 
z.  B.  Gasröhren,  Brunnenröhren,  Siederöhren,  Heizröhren  etc.  Jähr- 
liche Leistungsfähigkeit  6000  Tonnen  stumpfgeschweißte  und  5000 
Tonnen  überlappt  geschweißte  Rohre. 

15.  Eine  Wagenfabrik  zur  Herstellung  von  Förderwagen  für 
Kohlen  etc. 

16.  Eine  Faßfabrik  zur  Herstellung  von  Petroleumfässern  etc. 
Jährliche  Leistungsfähigkeit  850  000  Gefäßliter. 

17.  Eine  Verzinkerei  mit  2  Zinkkesseln,  vollständiger  Feuerungs- 
anlage und  Beizkessel.  Jährliche  Leistungsfähigkeit  3600  Tonnen 
verzinkte  Waren. 

Schließlich  weist  das  Horster  Eisen-  und  Stahlwerk  außer  einer 
Hochofenanlage  mit  2  Hochöfen  und  80  Koksöfen,  einem  Fagon- 
eisenwalzwerk   und    einer   Achsenfabrik 

18.  eine  Schraubenfabrik  zur  Herstellung  von  Bolzen,  Schrauben 
und  Muttern  auf. 

Diese  Aufzählung  mag  eine  Vorstellung  von  der  Vielseitigkeit 
und  Mannigfaltigkeit  der  Produktion  geben.  Ihr  Schwerpunkt  liegt 
—  und  das  geht  weiter  aus  dieser  Darstellung  hervor  —  in  Dortmund. 


112  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Hier  konzentriert  sich  heute  fast  die  ganze  Produktivkraft  des  Qe- 
samtunternehmens.  Das  ist  ein  außerordentlich  wichtiger  Punkt.  Die 
Entwicklung  der  Produktion  führt  —  das  läßt  die  Vergangenheit 
deutlich  erkennen  —  zu  einer  Stärkung  des  Dortmunder  Werks 
und  zu  einer  Schwächung  der  mit  ihm  vereinigten  Betriebe.  Die 
ganze  Geschichte  der  Dortmunder  Union  ist  ein  schlagender  Beweis 
dafür,  daß  sich  die  Angliederung  des  Hattinger  und  Horster  Werks 
nicht  bewährte.  Beide  Werke  treten  im  Laufe  der  Zeit  in  bezug  auf 
ihre  Produktivität  immer  stärker  zurück. 

Die  ungünstigen  Resultate,  welche  die  Agiomerationspolitik  der 
Gesellschaft  herbeiführte,  treten  namentlich  auch  in  den  Abstoßungen 
zu  Tage,  die  die  Union  überall  da  vornahm,  wo  sie  konnte.  Der  Ab- 
stoßung der  Svabenswerke  in  Schweden  haben  wir  an  anderer  Stelle 
bereits  gedacht.  1883/84  wurde  die  Hochofenanlage  bei  Othfresen, 
die  bereits  seit  Jahren  kalt  gelegen  hatte,  verkauft,  weil  keine  Aussicht 
vorlag,  sie  in  absehbarer  Zeit  wieder  in  Betrieb  zu  setzen  und 
infolgedessen  der  Besitz  für  die  Union  unrentabel  war.  Der  größte 
Teil  des  Hüttenareals  wurde  von  der  Zuckerfabrik  in  Othfresen  für 
den  Preis  von  200  000  Mark  erworben.  1885  ging  das  Gut  Bredelar 
in  andere  Hände  über  und  zwar  für  400  000  Mark.  „Wenngleich  dieser 
Preis",  heißt  es  im  Geschäftsbericht  1884/85,  „gegen  den  verbliebenen 
Buchwert  des  Gutes  und  der  mit  einem  Holzkohlenhochofen  ver- 
bundenen Gießerei  einen  erheblichen  Ausfall  ergab,  so  haben  wir  doch 
zu  demselben  uns  entschließen  müssen,  weil  unter  den  gegenwärtigen 
Verhältnissen  an  eine  Fortsetzung  oder  spätere  Wiederaufnahme  des 
Fabrikbetriebes  an  jener  Stelle  nicht  gedacht  werden  kann,  und 
weil  der  landwirtschaftliche  Ertrag  des  Gutes  außer  Verhältnis  mit 
der  Zinsersparnis  steht,  welche  wir  durch  die  Verwendung  des  Kauf- 
preises zur  Schuldentilgung  erzielen."  Schließlich  sei  noch  das 
auf  der  Fabrikation  von  Handelseisen  beruhende  Apierbecker  Walz- 
werk erwähnt,  das  die  Union  in  ihrem  Drange  nach  kapitalistischer 
Ausdehnung  der  Produktionsmittel  in  Pacht  genommen  hatte.  Die 
Einrichtungen  dieses  Werkes  waren  in  den  90er  Jahren  veraltet  und 
für  die  Verarbeitung  von  Flußeisen,  auf  die  die  Union  der  Not  ge- 
horchend, nicht  dem  eigenen  Triebe,  immer  mehr  angewiesen  war,  un- 
brauchbar. 1895  wurde  der  Betrieb  eingestellt,  weil  die  Fortführung 
desselben  zu  große  Opfer  verlangt  hätte,  und  der  mit  dem  30.  Juni 
ablaufende  Pachtvertrag  nicht  mehr  erneuert.  Die  Abstoßung  dieser 
4  Komplexe  sollte,  auch  wenn  das  von  der  Verwaltung  nicht  direkt 
ausgesprochen  wird,   den   ganzen    Organismus   gewissermaßen   ent- 


3.  Die  Dortmunder  Union.  113 


lasten.  Heute  würde  es  weiter  eine  Erleichterung  für  die  Union 
bedeuten  und  mit  Freuden  begrüßt  werden,  wenn  auch  die  beiden 
anderen  Werke,  die  Henrichshütte  und  das  Horster  Unternehmen 
wenigstens  zum  Buchpreise  losgeschlagen  werden  könnten.  Um 
das  richtig  zu  verstehen,  müssen  wir  uns  die  Verhältnisse  beider 
Werke  etwas  genauer  ansehen.  Sie  sind  beide  vernachlässigt  auf 
Kosten  der  Ausgestaltung  der  Dortmunder  Anlage.  Ihre  Aschen- 
brödelrolle aber  ist  das  äußere  Symptom  ihres  Verfalls  sowohl  in 
technischer,  als   auch   in   ökonomischer  und  finanzieller   Beziehung. 

Wir   beginnen    mit   der    Henrichshütte, 

Einige  30  km  von  Dortmund  entfernt  erheben  sich  aus  dem 
romantischen  Gebirgstale  der  Ruhr  die  Hochofenanlagen  und  Schorn- 
steine der  Henrichshütte,  eines  Unternehmens,  das  auf  eine  reiche 
Vergangenheit  zurückblickt,  die  mit  der  Geschichte  des  Flusses  im 
Zusammenhange  steht,  der  noch  heute  an  ihr  vorüberrauscht.  Der 
Grundgedanke  bei  ihrer  Errichtung  in  den  20er  Jahren  des  ver- 
flossenen Jahrhunderts  war,  die  nötigen  Rohmaterialien  und  Fabri- 
kate auf  dem  Wasserwege  zu  transportieren.  Damals  gab  es  noch 
keine  Eisenbahnen.  Die  Ruhr  war  ein  schiffbarer  Fluß,  und  auf 
der  Schiffbarkeit  der  Ruhr  lag  die  Hoffnung  auf  die  zukünftige 
Größe  des  Werkes  begründet.  Als  dann  die  Eisenbahnen  in  jener 
Gegend  aufkamen,  waren  die  kleinen  Schiffer  der  Ruhr  gegenüber 
dem  großen  Transportunternehmen  nicht  mehr  konkurrenzfähig. 
Sie  stellten  zum  großen  Teile  die  Schiffahrt  ein,  und  langsam 
begann  im  Laufe  der  Zeit  der  Fluß  zu  versanden.  So  war  die  eine 
große  Unterlage  der  Hoffnungen,  die  man  auf  sie  gesetzt,  geschwun- 
den. Die  Hütte  wurde,  dann  am  1.  März  1857  von  dem  Grafen 
Stolberg-Wernigerode,  der  sie  zuerst  besessen,  an  die  Diskonto- 
gesellschaft für  ca.  1"  4  Millionen  Ta!er  verkauft.  Diese  behielt  das 
Unternehmen  im  Alleinbesitz  bis  zum  Jahre  1863,  dann  wurde  es 
von  der  Diskontogesellschaft  losgelöst  und  in  eine  Kommandit- 
gesellschaft verwandelt.  Dadurch  wurde  die  Bank  von  einem  Unter- 
nehmen unabhängig,  das,  wie  Hansemann  selbst  zugab,  „eine  Fessel 
für  die  Zukunft  war.*'*)  1869  wurde  es  dann  in  eine  reine  Aktien- 
gesellschaft umgewandelt.  Allerdings  beruhte  damals  der  Hochofen- 
betrieb der  Henrichshütte  noch  auf  eigenem  Kohlenbergbau  und 
der  Förderung  eines  vorzüglichen  Spateisensteins.    Aber  der  letztere 


•)  Siehe  Model:  Die  großen  Berliner  Effekten banken,  Jena  1896,  p.  21. 

stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Ba' d  I.  8 


114  3.  Die  Dortmunder  Union. 


hielt  nicht  lange  vor,  und  so  schwand  auch  diese  Grundlage  der 
früher  auf  sie  gesetzten  Erwartungen. 

Dazu  kam,  daß  die  großen  technischen  Neuerungen,  die  vor 
allem  auf  eine  völlige  Automatisierung  des  Betriebes  hinausdrängten, 
nur  wenig  Eingang  fanden.  Heute  erinnert  der  Habitus  des  Werkes 
an  eine  vergangene  Zeit.  Die  neuen  Methoden  der  Eisenindustrie 
haben  hier  noch  nicht  Wurzel  geschlagen.  Die  menschliche  Arbeits- 
kraft spielt  noch  eine  überwiegende  Rolle,  jedenfalls  aber  eine  größere 
als  in  dem  modern  eingerichteten  Werke  in  Dortmund.  Das  zeigt 
sich  bereits  bei  den  Hochöfen.  Die  Henrichshütte  hat  ihrer  zwei: 
einen  großen  neuen,  der  errichtet  wurde  an  Stelle  des  vor  einigen 
Jahren  durch  eine  Explosion  zerstörten  alten.  Der  erstere  soll  200 
Tonnen  Roheisen  täglich  produzieren.  Daneben  aber  erhebt  sich 
der  kleinere  alte  unmoderne,  von  einem  Mauerwerk  umgebene,  der 
es  täglich  nur  auf  eine  Roheisenproduktion  von  120  Tonnen  bringt. 
Die  Begichtung  dieser  Hochöfen  erfolgt  durch  Hängebahnwagen. 
Eine  große  Anzahl  von  Schleppern  ist  nötig,  um  die  Wagen  zu 
füllen.  Steigt  man  auf  den  Hochofen  hinauf,  so  sieht  man  eine 
Winde,  die  4 — 6  Mann  zu  drehen  haben,  um  die  Glocke  in  die  Höhe 
zu  ziehen.  Anderwärts  besorgt  eine  elektrische  Winde,  was  hier 
noch  die  Menschenhand  vollführt.  Durch  veraltete  Gebläsemaschinen 
wird  der  Wind  durch  die  Öfen  getrieben.  Das  Roheisen  fließt 
dann  in  eine  Gießhalle,  erstarrt  dort  und  wird  in  mühsamer  Hand- 
arbeit zerschlagen,  um  dann  zum  kleineren  Teile  nach  Dortmund 
gesandt,  zum  größeren  aber  verkauft  zu  werden,  denn  die  Henrichs- 
hütte besitzt  kein  Stahlwerk.  Bessemer-  und  Thomasbirnen  wird 
man  darin  vergeblich  suchen.  Hätte  sie  diese  Anlagen,  so  könnte 
das  Roheisen  gleich  im  flüssigen  Zustande  in  die  Pfanne  und  von 
da  in  die  Birnen  gegossen  werden.  Weil  sie  aber  fehlen,  muß  das 
erblasene  Roheisen,  das  in  Hattingen  verarbeitet  werden  soll,  nach 
dem  Dortmunder  Werk  geschickt  und  dort  erst  in  Flußeisen  ver- 
wandelt werden,  um  dann  wieder  nach  der  Henrichshütte  zur  Weiter- 
verarbeitung zurückzukehren.  Infolgedessen  wird  der  Weg, 
den  das  Produkt  vom  Roheisen  bis  zum  Fabrikat 
durchläuft, starkverlängert.  DasFehleneinesStahl- 
werkes  ist  daher  das  bedenklichste  Moment  in  der 
Ökonomie  des  ganzen  Betriebes.  Es  verteuert  die 
Fabrikation,  und  nicht  immer  läßt  sich  dieser  Mehraufwand 
durch  den  Ertrag  des  verkauften  Roheisens  ausgleichen.  Allerdings 
hat  die  Henrichshütte,  wie  wir  noch  sehen  werden,  einmal  ein  Stahl- 


3.  Die  Dortmunder  Union. 115 

werk  gehabt.  Es  kam  aber  anfangs  der  80er  Jahre  definitiv  außer 
Betrieb  und  wurde  nach  Dortmund  verlegt.  Nur  der  alte,  ehrwürdige, 
wenig  rentable,  für  die  Massenfabrikation  nicht  brauchbare  Puddel- 
betrieb  hat  sich  erhalten.  Hier  wird  Tag  und  Nacht  in  zwölfstün- 
diger  Schicht  gearbeitet.  1902/03  lieferte  das  Puddelwerk  16  314 
Tonnen  Luppen.  Auch  die  Gießerei  hat  veraltete  Einrichtungen, 
alte  Kräne  etc.  Überhaupt  ist  die  mechanische  Beförderung  von 
Lasten  nicht  auf  der  Höhe  der  Zeit.  Bei  modern  eingerichteten 
Profileisenstraßen  braucht  man  fast  keinen  Menschen.  Auf  dem  Walz- 
werk der  Henrichshütte  aber  muß  Menschenkraft  verrichten,  was 
auf  anderen  Werken  ihr  längst  abgenommen  ist.  So  laufen  z.  B. 
die  großen  glühenden  Bleche  nicht  über  Rollgänge,  sondern  werden 
von  den  Arbeitern  fortgeschleppt.  Dazu  sind  für  jedes  Blech  etwa 
8  Personen  nötig.  Natürlich  hängt  die  Zahl  von  der  Größe  und 
Beschaffenheit  des  zu  transportierenden  Gegenstandes  ab.  Erst  im 
Jahre  1902/03  erhielt  die  Reversierstraße  einen  großen  Rollgang. 
In  dem  Duo-Walzwerke  wird  in  anderen  Betrieben  der  Stab  beim 
Vorstich  und  Rückstich  gewalzt,  auf  der  Henrichshütte  aber  wird 
der  Stab  wieder  zurückgeschoben,  ohne  daß  Arbeit  an  ihm  ver- 
richtet wurde.  Die  Maschine  leistet  in  dieser  Zeit  keinen  Nutz- 
effekt. Die  Vergeudung  an  Kraft  tritt  an  Stelle  ihrer  Ausnutzung. 
So  ließen  sich  noch  viele  Beispiele  für  die  kümmerliche  Entwicklung 
des  mechanischen  Betriebes  anführen,  der  auf  anderen  Werken  den 
Produktionsprozeß  erleichtert  und  verbilligt. 

Wir  haben  bisher  gesehen,  daß  die  Bedeutung  des  Hattinger 
Werkes  abgeschwächt  wurde  1.  durch  die  Ungunst  seines  geschicht- 
lichen Schicksals,  2.  durch  seine  Vernachlässigung  in  bezug  auf  tech- 
nische Ausgestaltung,  3.  durch  das  Fehlen  notwendiger  Produktions- 
mittel, vor  allen  Dingen  eines  Stahlwerks.  Dazu  kommt  noch  ein 
vierter  Punkt,  nämlich  der  häufige  Wechsel  des  Fabrikationspro- 
gramms. Diesen  letzten  Punkt  haben  wir  nun  noch  kurz  zu  be- 
trachten. Die  Henrichshütte  basierte  ursprünglich  auf  der  Massen- 
fabrikation von  Eisenbahnschienen.  Nur  nebenbei  war  sie  auch  für 
die  Blechfabrikation  eingerichtet.  Während  der  Krisis  der  70er  Jahre 
wurde  dann  die  Schienenfabrikation  verlassen  und  das  Werk  zur 
ausschließlichen  Herstellung  großer  Quantitäten  von  Qualitätsblechen 
ausgerüstet.  Aus  dem  Schienen-  wurde  ein  Blechwalzwerk.  In  dieser 
Zeit  hatte  sie  auch  vorübergehend  eine  Geschoßfabrik  in  Betrieb. 
1875/76  stellte  sie  109  632  Stück  diverse  Geschosse  her.  Der  Be- 
trieb wurde  jedoch  wegen  Mangel  an  Aufträgen  wieder  eingestellt. 


116  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Als  Ersatz  für  diese  Einstellung  erfolgte  eine  Ausdehnung  des  Gieße- 
rei- und  des  mechanischen  Werkstättenbetriebes.  1880/81  wurde  dann 
die  Einrichtung  des  Stahlwerks  in  Henrichshütte  nach  dem  Dort- 
munder Werk  überführt.  Die  Betriebsresultate  waren  im  allgemeinen 
ungünstige.  Im  Frühjahr  1880  waren  zur  Zeit  der  hochgehenden 
Konjunktur  Dispositionen  für  Beschaffung  von  Rohmaterialien  für 
die  Henrichshütte  getroffen  worden,  welche  bei  dem  plötzlichen  Um- 
schwünge der  Konjunktur  sich  ungünstig  gestalteten  und  das  Be- 
triebskonto der  Hütte  stark  belasteten,  mit  anderen  Worten:  das 
Rohmaterial  war  in  der  kurzen  Spanne  des  Aufflackerns  der  Kon- 
junktur zu  teuer  eingekauft  worden.  Außerdem  wurde  das  Unter- 
nehmen durch  den  hohen  Wasserstand  der  Ruhr  geschädigt.  Nicht 
weniger  als  fünfmal  mußte  der  Betrieb  im  Walzwerk  auf  kürzere 
oder  längere  Zeit  eingestellt  werden,  weil  das  Hochwasser  in  die 
tiefliegenden  Feuerungskanäle  der  Schweißöfen,  namentlich  der  Sie- 
mensschen  Regenerativöfen  eintrat.  In  den  80er  Jahren  sind  dann 
Bleche  und  Winkel  die  Hauptfabrikationsartikel  der  Henrichshütte. 
Anfang  der  90er  Jahre  wird,  um  dem  Werke  ein  angemessenes 
Arbeitsquantum  zu  verschaffen,  in  Henrichshütte  die  Fabrikation  ge- 
schweißter Röhren  aufgenommen.  Die  Neuanlage  kam  im  Hoch- 
sommer 1893  in  Betrieb.  Als  Ergänzung  der  Walzwerksanlage,  und 
um  für  die  Herstellung  der  Röhren  von  größerem  Durchmesser  das 
Walzfabrikat  selbst  erzeugen  zu  können,  wurde  eine  Universalwalz- 
straße gebaut.  Heute  ruht  der  Schwerpunkt  des  Hattinger  Werkes 
in  der  Blech-  und  Röhrenfabrikation.  Bleche  sind  bekanntlich  ent- 
weder Halb-  oder  Ganzfabrikate.  Auf  der  Henrichshütte  werden 
sie  in  großem  Maßstabe  zu  Röhren  ausgewalzt  und  zur  Herstel- 
lung von  Fässern  benutzt.  Die  seit  1893  bestehende  Röhrenfabrik 
beschäftigt  ca.  250  Arbeiter  und  gehört  dem  Röhrensyndikat  an. 
Die  Faßfabrik  liefert  vor  allem  Fässer  für  die  Deutsch-Amerikanische 
Petroleumsgesellschaft,  eine  Gründung  des  Standard  Oil  Trust.  Außer- 
dem werden  aus  den  Blechen  Förderwagen  für  den  Transport  von 
Kohlen  etc.   hergestellt. 

Zweitens  kommt  in  Betracht  das  Horster  Werk.  Ursprüng- 
lich beruhte  es  auf  der  Schienenfabrikation.  In  der  Krisis  der  70er 
Jahre  ließ  die  Nachfrage  nach  Schienen  außerordentlich  nach,  und 
das  Horster  Etablissement  mußte  für  die  Erzeugung  neuer  Artikel 
eingerichtet  werden,  und  zwar,  der  bisherigen  maschinellen  Aus- 
rüstung entsprechend,  für  Fagoneisen.  Man  ging  also  von  der 
Schienenfabrikation  über  zur  Herstellung  von   Profileisen  aller  Art, 


3.  Die  Dortmunder  Union.  117 

wie  Bauträgern,  Lang-  und  Querschvvellen  etc.  Infolgedessen  wurde 
auf  dem  Dortmunder  Werk  die  Fa^oneisenfabrikation  in  der  Haupt- 
sache eingestellt.  Diese  Umgestaltung  des  Horster  Eisen-  und  Stahl- 
werkes war  1877  vollendet.  Im  folgenden  Jahre  wird  eine  Draht- 
straße neu  eingerichtet.  Bald  jedoch  zeigte  sich,  daß  die  zum  Ersatz 
von  Eisenschienen  aufgenommene  Fabrikation  von  schweißeisernen 
Lang-  und  Querschwellen  durch  das  für  diese  Zwecke  aufgenommene 
Flußeisen  empfindliche  Einbuße  erlitt.  In  dem  Geschäftsbericht  von 
1885/86  heißt  es  dann  mit  Bezug  auf  die  Rentabilität  dieser  Neu- 
anlage :  „Das  Horster  Werk  ist  in  erster  Linie  auf  die  Fabrikation  von 
Bauträgern  angewiesen.  Infolge  der  ungeheuren  Unterbietungen  der 
konkurrierenden  Werke  untereinander,  die  sich  das  Verkaufsgebiet 
streitig  machten,  ging  der  Gewinn  stark  zurück." 

Da  nun  in  Horst  der  ganze  Betrieb  auf  die  Fabrikation  von 
Schweißeisen  eingerichtet  war,  so  wurde,  um  wenigstens  teilweise 
eine  Ausnutzung  der  für  die  Fabrikation  von  Schweißeisen  vor- 
handenen Einrichtungen  zu  ermöglichen,  1892/93  die  Fabrikation 
von  Nieten  und  Schrauben  aufgenommen.  Für  diese  Produkte  lag 
auf  den  übrigen  Werken  der  Union  ein  regelmäßiger  und  starker 
Bedarf  vor.  Diese  Anlage  entwickelte  sich  in  der  Folgezeit  be- 
friedigend. 

Der  Puddelbetrieb  wurde  weiterhin  immer  stärker  eingeschränkt. 
An  Stelle  der  aus  demselben  hervorgegangenen  schweißeisernen  Lup- 
pen mußten  bei  der  Trägerfabrikation  Flußeisenblöcke  verarbeitet 
werden,  wofür  die  Einrichtungen  aber  zum  Teil  nicht  geeignet  waren. 
Die  Fabrikation  von  flußeisernen  Trägern  blieb  jedoch  Hauptzweig 
(Geschäftsbericht  vom  Jahre  1897/98).  Daneben  werden  heute  auch 
Schienen  und  Schwellen  gewalzt. 

Das  Horster  Werk,  dessen  Hochöfen  während  der  letzten  Krisis 
länger  als  IV2  Jahre  außer  Betrieb  waren  und  dessen  Walzwerk  so- 
gar während  des  ganzen  Jahres  1902/03  noch  still  lag,  hat  heute 
weder  Puddel-,  noch  Bessemer-,  noch  Thomasbetrieb.  Das  Thomas- 
roheisen,  das  es  erbläst,  schickt  es  nach  Dortmund.  Dort  wird  es 
in  Stahl  verwandelt,  um  dann  wieder  nach  Horst  zurückzukommen. 
Die  damit  verknüpften  umständlichen  Arbeiten,  vor  allem  der  Trans- 
port und  das  wiederholte  Einschmelzen,  verteuern  die  Produktion 
bedeutend.  So  sehen  wir  hier  dieselben  Mängel  in  der  Ökonomie 
des  Betriebes  wie  auf  dem  Hattinger  Werke.  Beide  Werke  genügen 
nicht  den  Anforderungen,  die  man  vom  wirtschaftlichen  Standpunkte 
an  sie  zu  stellen  berechtigt  ist. 


118  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Damit  hätten  wir  unser  Urteil,  daß  die  Verschmelzung  ver- 
schiedener Betriebe  zum  Zwecke  der  Produktion  einer  möglichst 
großen  Anzahl  von  Handelsartikeln  der  Eisenindustrie  ein  Fehler 
war,  in  seinem  ersten  Teile  erhärtet,  denn  wir  sahen,  daß  die  Ver- 
schmelzung für  das  Gesamtunternehmen  kein  Segen 
war,  und  die  Betriebe  in  Horst  und  Hattingen  ver- 
kümmerten. 

Es  bleibt  nun  noch  übrig  zu  beweisen,  daß  auch  die  prinzipielle 
Bedeutung  der  Herstellung  von  Spezialartikeln  keineswegs  so  weit 
ging,  daß  man  die  letztere  als  einen  Talismann  gegen  die  Störungen 
des  Marktes  und  die  Erschütterungen  der  Volkswirtschaft  durch  die 
Krisen  betrachten  könnte.  Ursprünglich  hatten  die  Gründer  geglaubt, 
die  Union  durch  die  Vielseitigkeit  und  Besonderheit  ihrer  Produkte 
von  den  Wirkungen  der  Krisen  emanzipieren  zu  können.  Ein  Unter- 
nehmen, das,  wie  die  Union,  alle  Zweige  der  Eisenindustrie  umfaßte, 
sollte  dadurch  gegen  den  üblen  Einfluß  wechselnder  Konjunkturen  in 
den  einzelnen  Branchen  der  Industrie  gefeit  werden !  Dieser  Plan  und 
seine  Durchführung  aber  wurde  durch  die  Schicksale  der  Union 
kompromittiert.  Bereits  die  Krisis  der  70er  Jahre  zerstörte  mit  einem 
Schlage  den  Glauben,  daß  Mannigfaltigkeit  der  Produktion  und  Kultus 
der  Spezialität  ein  Abwehrmittel  gegen  die  Folgen  von  Krisen  für 
den  eigenen  Betrieb  sei.  Aber  die  Geschichte  ist  dazu  da,  daß  die 
Menschen  nichts  aus  ihr  lernen.  Damals  lagen  bereits  die  Erfahrungen 
eines  Unternehmens  vor,  das  ganz  auf  demselben  Prinzip  aufgebaut 
war  wie  die  Union,  nämlich  der  Aktiengesellschaft  für  Bergbau  und 
Hüttenbetrieb  Phönix,  die  wir  später  betrachten  werden.  Aber  die 
Praktiker  sehen  vielfach  nicht  über  die  Peripherie  ihrer  täglichen 
Erfahrungen  hinaus.  Dafür  nur  ein  Beispiel,  das  zeigt,  wie  schnell 
die  Erfahrungen  der  Vergangenheit  vergessen  werden.  In  dem  Be- 
richt der  Direktion  der  Union  vom  Jahre  1882  steht  als  Illustration 
zu  dem  Gesagten  folgendes:  „Die  Erfahrungen  der  letzten  Jahre 
sind  ganz  danach  angetan,  uns  in  unseren  Ansichten  zu  stärken 
und  den  Vorteil  in  das  rechte  Licht  zu  stellen,  welchen  ein  Werk 
besitzt,  das  nicht  auf  die  Produktion  einer  einzigen  Spezialität  in 
der  Eisenindustrie  beschränkt,  sondern  vielmehr  auf  breiter  und  die 
einzelnen  Ungleichheiten  des  Marktes  ausgleichender  Basis  errichtet 
ist.  Diese  breite  Basis  ist  umsomehr  anzustreben,  als  der  Eisenbahn- 
bau in  den  meisten  Kulturländern  der  Erde,  wenn  auch  nicht  zum 
Stillstande,  doch  zu  einem  gewissen  Beharrungszustande  gekommen 
ist."    Es  bedurfte  einer  dreißigjährigen  Geschichte,  in  der  jede  ein- 


3.  Die  Dortmunder  Union.  119 

zelne  große  Krisis  dasselbe  predigte,  ehe  die  Verwaltung  erkannte, 
daß  ihr  Standpunkt  in  dieser  Beziehung  von  Grund  aus  verkehrt 
sei.  SämtUche  Krisen,  die  über  die  Union  hereinbrachen,  bewiesen, 
daß  sie  in  der  Produktion  von  Spezialitäten  kein  Gegenmittel  besaß. 
Daß  gerade  dieses  Prinzip  den  Betrieb  starr  machte,  ist  dann  erst 
spät  —  vielleicht  zu  spät  —  erkannt  worden.  Erst  in  dem  Bericht 
über  das  Krisenjahr  1900/01  heißt  es:  „Die  Hüttenbetriebe  der  Union 
wurden  besonders  ungünstig  beeinflußt,  einesteils  weil  sie  auf  den 
Ankauf  des  überwiegend  größten  Teils  der  verbrauchten  Rohstoffe 
angewiesen  waren,  und  andererseits,  weil  es  außerordentlich  schwierig 
war,  die  weit  verzweigten  Betriebe  den  so  plötzlich  veränderten 
Verhältnissen  anzupassen."  Der  Bericht  vom  9.  Juni  1902  bemerkt 
weiter  folgendes:  „Obwohl  große  Summen  aufgewandt  wurden,  um 
die  Einrichtung  der  Werke  den  veränderten  Verhältnissen  anzupassen, 
blieb  doch  der  Übelstand  bestehen,  daß  die  Entwicklung  der  Werke 
durch  die  gegenseitig  notwendige  Rücksichtnahme  auf  das  ihnen  zu- 
gewiesene Fabrikationsprogramm  gehemmt  wurde."  In  demselben 
Bericht  wird  dann  weiter  zugestanden:  „Die  Vereinigung  des  Dort- 
munder Werkes  mit  den  Werken  Henrichshütte  und  Horst  nebst  den 
dazu  gehörigen  Bergwerken  zu  einem  Ganzen,  so  wohl  erwogen 
sie  seiner  Zeit  gewesen  ist,  hat  sich  unter  den  im  Laufe  der  Zeit 
veränderten  Verhältnissen  nicht  bewährt  ...  Es  ist  daher  in  Aus- 
sicht genommen,  die  Henrichshütte  nebst  den  bei  der  Gründung 
der  Union  von  der  früheren  Aktiengesellschaft  Henrichshütte  ein- 
gebrachten Kohlenzechen  und  Eisensteinbergwerken  zu  veräußern 
und  zu  diesem  Zwecke  eine  Aktiengesellschaft  zu  bilden,  an  die  das 
Unternehmen   zu   übertragen   sein   würde."*) 

Somit  ergibt  sich  für  unsere  wissenschaftliche  Betrachtung  als 
Resultat  dieses  Abschnitts  folgendes :  Das  ursprüngliche  Pro- 
gramm der  Union  kränkelte  an  einem  prinzipiellen 
Fehler.  Dieser  Fehler  beunruhigte  und  störte  die 
Rentabilität.  Er  lag  in  der  Vereinigung  räumlich 
getrennter  Betriebe  und  dem  Glauben,  durch  Man- 
nigfaltigkeit der  Produktion  eine  Piece  de  resi- 
stance  gegen  die  verheerenden  Wirkungen  wirt- 
schaftlicher  Krisen   zu  schaffen.     Die   Entwicklung 


•)  Während  des  Druckes  dieser  Zeilen  durcheilt  die  Zeitungen  die  Nach- 
richt, daß  die  Dortmunder  Union  die  Henrichshütte  an  die  Maschinenfabrik 
Henschel  &  Sohn  in  Kassel  einschließlich  der  Vorräte  für  9,4  Millionen  Mark 
verkauft  habe. 


120  3.  Die  Dortmunder  Union. 


ergab  nun  als  Resultat:  Die  Unmöglichkeit  der  wei- 
teren Dezentralisation  und  ein  immer  stärkeres  Zu- 
rückgehen der  einzelnen  Werksanlagen  zugunsten 
des  Dortmunder  Etablissements,  Je  mehrsich  dieses 
ausreckte  und  vervollkommnete,  desto  mehr 
schrumpften  jene  zusammen.  Deshalb  werden  be- 
reits frühzeitig  ganze  Teile  des  Unternehmens  ab- 
gestoßen, nämlich  die  Svabens  werk  e,  die  Hoch- 
ofenanlage in  Othfresen,  die  Bredelarer  Hochofen- 
anlage und  Gießerei  und  schließlich  das  Apler- 
becker  Walzwerk.  Diese  Politik  machte  Haltvor  den 
Anlagen  in  Horst  und  Hattingen,  weil  sich  das  Ziel 
in  den  Köpfen  der  beteiligten  Kreise  noch  nicht  zu 
vollständiger  Klarheit  verdichtet  hatte.  Deshalb  war  es 
auch  notwendig,  diese  Anlagen,  die  heute  von  Dortmund 
aus  ernährt  werden  müssen,  näher  kennen  zu  lernen. 
Aus  ihrer  Geschichte  ergibt  sich  die  Notwendigkeit, 
daß  sie  ihr  Schicksal  mit  den  bereits  aufgehobenen 
Betrieben  teilen  müssen,  um,  nationalökonomisch 
gesprochen,  einer  weiteren  Konzentration  des  Un- 
ternehmens an  einen  Produktionsstandort  nicht  län- 
gerim  Wege  zustehen. 


Wir  haben  bis  jetzt  die  speziellen  Ursachen  der  Unrentabilität 
der  Union  erörtert.  Sie  werden  aber  dadurch  in  ihrer  Wirkung 
noch  potenziert,  daß  sie  sich  mit  allgemeinen  kreuzen.  Hierher  ge- 
hört in  erster  Linie  der  große  Umschwung  in  den  Produk- 
tionsverhältnissen, der  durch  technische  Revolutionen  auf 
dem  Gebiete  der  Eisenindustrie  provoziert  wurde,  die  wir  früher  be- 
reits kennen  lernten.  Ich  habe  schon  an  anderem  Orte  erwähnt, 
daß  die  Erzeugung  der  Union  hauptsächlich  auf  der  Schienenfabrika- 
tion beruhte.  Das  entsprach  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen.  Efeu- 
artig hatte  sich  zu  Beginn  der  70er  Jahre  die  Nachfrage  nach  Eisen- 
bahnmaterial an  fiem  Angebot  emporgerankt,  um  teilweise  über  das- 
selbe hinauszuwachsen.  Die  Hüttenwerke  konnten  nicht  genug  Schie- 
nen, Räder,  Achsen  und  sonstige  Massenfabrikate  liefern.  Ange- 
stachelt zur  Vermehrung  ihrer  Produktivkräfte  bauten  die  meisten 
Werke  neben  den  vorhandenen  Puddelbetrieben  große  Bessemer- 
anlagen, um  konkurrenzfähig  zu  bleiben.  Kaum  war  die  Produk- 
tionskraft verdoppelt,  da  geriet  der  Eisenbahnbau  ins  Stocken.    Die 


3.  Die  Dortmunder  Union.  121 

Nachfrage  nach  Schienen  etc.  wurde  müde  und  schhef  zeitweise 
ganz  ein.  Nun  mußten  sich  die  großen  Werke  nach  anderen  Ar- 
tikeln umsehen,  sie  mußten  für  den  Ausfall  an  Beschäftigung  auf 
dem  Gebiete  des  Eisenbahnoberbaus  anderswo  Ersatz  suchen,  zu 
neuen  Produktionszweigen  übergehen.  Hier  kam  nun  vor  allen 
Dingen  in  Betracht  das  große  Produktionsgebiet  des  Handelseisens, 
das  dem  Absatz  anfangs  noch  gewaltige  Perspektiven  eröffnete.  Unter 
Handelseisen  verstehen  wir  bekanntlich  Eisen  mit  einfachem  Quer- 
schnitt, also  Quadrat-,  Flach-,  Rund-,  Oval-,  Sechs-  und  Achtkant- 
eisen. Aber  hierin  entwickelte  sich  in  kurzer  Zeit  ein  starker  Wett- 
bewerb. Die  Erzeugung  dieser  Artikel  führte  bald  zu  einer  neuen 
Überproduktion.  Nun  begann  man  in  der  zweiten  Hälfte  der  80er 
und  Anfang  der  QOer  Jahre  Handelseisen  aus  Stahl  herzustellen, 
d.  h.  das  im  Bessemer-,  Thomas-  und  Martinbetrieb  gewonnene 
Flußeisen  zu  Handelseisen  auszuwalzen. 

Die  Union  hat  auf  diesem  Gebiete  nur  die  Aufgaben  akzeptiert, 
die  die  technische  und  ökonomische  Entwicklung  der  Eisenindustrie 
vorzeichneten.  Als  die  Eisenbahnverwaltungen  keine  Schweißeisen- 
schienen mehr  abnahmen,  mußte  sie  den  Betrieb,  d.  h,  die  Walz- 
werke und  Öfen  umgestalten,  um  Stahlschienen  produzieren  zu  kön- 
nen. Die  Umwandlung  in  der  Produktion  der  Union  läßt  sich  da- 
hin charakterisieren,  daß  mit  dem  Zurückgehen  der  Schienenfabri- 
kation und  mit  der  Verdrängung  der  Eisenschiene  durch  die  Stahl- 
schiene der  Schwerpunkt  der  Produktion  allmählich  übergeht  auf 
die  Erzeugung  von  Eisenartikeln  des  täglichen  Verbrauchs.  Die  durch 
diese  Umwälzung  hervorgerufene  Krisis  war  eine  der  tiefgehendsten 
und  traf  namentlich  die  Werke  in  Horst  und  Henrichshüttc,  von 
denen,  wie  früher  erwähnt,  das  erstere  ausschließlich,  das  letztere 
wenigstens  vorzugsweise  auf  die  Fabrikation  von  Eisenschienen  ein- 
gerichtet war. 

Diese  Umgestaltung  berührte  indes  nicht  bloß  die  Walzwerke, 
sondern  brachte  auch  in  der  Rohmaterialienfrage,  insbesondere  in 
der  Roheisenfabrikation,  eine  tiefgreifende  Änderung  mit  sich.  Von 
den  15  Hochöfen  der  Union  waren  6  ausschließlich  auf  die  Pro- 
duktion von  phosphorhaltigem  Roheisen,  welches  nach  dem  früheren 
Stande  der  Technik,  d.  h.  vor  1879,  zur  Stahlfabrikation  keine  Ver- 
wendung finden  konnte,  basiert.  Die  geographische  Lage  der  er- 
wähnten 6  Hochöfen  machte  es,  wie  der  Geschäftsbericht  1881/82 
ausführt,  unmöglich  auf  demselben  so,  wie  dies  von  anderen  Werken 
geschah,  mit  importierten   Erzen   Bessemerroheisen  zu  erblasen. 


122  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Diese  Umwälzung  in  den  Produktionsverhältnissen  hatte  nun 
zur  Folge,  daß  die  Stahlerzeugung  auf  dem  Dortmunder  Werk  kon- 
zentriert wird.  Durch  neue  Thomas-  und  Martinanlagen  wird  das- 
selbe für  eine  schwunghafte  Massenfabrikation  eingerichtet,  aller- 
dings auf  Kosten  der  übrigen  Werke  der  Union.  Daher  weist  der 
Bericht  über  das  Jahr  1893/94  darauf  hin,  daß  die  fortschreitende 
Verdrängung  des  Schweißeisens  durch  das  Flußeisen,  die  sich  in 
raschem  Tempo  auf  Träger,  Bleche  und  Handelseisen  ausdehnte, 
große  Schwierigkeiten  verursachte,  sowohl  bezüglich  der  technischen 
Einrichtungen  als  auch  in  bezug  auf  das  einheitliche  Zusammen- 
arbeiten der  räumlich  getrennten   Werke  der  Gesellschaft. 

Wir  haben  in  dem  Vorhergehenden  ein  weiteres  Moment  er- 
kannt, das  für  die  ungünstige  Lage  der  Union  mit  verantwortlich 
gemacht  werden  muß :  Dadurch,  daß  das  Schweißeisen 
immer  mehr  und  mehr  durch  das  Flußeisen,  od  er  an- 
ders ausgedrückt,  der  Puddelbetrieb  immer  heftiger 
und  rücksichtsloser  durch  den  Bessemer-,  Thomas- 
und  Martinbetrieb  verdrängt  wurde,  ergab  sich  für 
die  Union  eine  vollständige  Verschiebung  des  Fa- 
brikationsprogramms. Der  Puddelbetrieb  wurde 
zum  Teil  eingestellt,  die  Stahlerzeugung  in  Dort- 
mund konzentriert.  Mit  dem  Zurückgehen  der  Eisen- 
produktion und  der  Ersetzung  des  Seh  weiß  eisens 
durch  Flußeisen  wird  einerseits  der  Schwerpunkt 
der  Produktion  auf  die  Erzeugung  von  Handels  eisen 
und  Handelsstahl,  andererseits  auf  die  Erzeugung 
von  Stahlschienen  gelegt.  Diesen  Umwandlungs- 
prozeß haben  alle  Hüttenwerke  in  Deutschland 
durchmachen  müssen.  Sie  befanden  sich  in  der 
gleichen  Lage  wie  die  Union  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, daß  es  ihnen  in  den  meisten  Fällen  gelang, 
der  Schwierigkeiten  Herr  zu  werden.  Für  die  Union 
aber  wurde  die  veränderte  Produktionsweise  eine 
Quelle  ungeheurer  finanzieller  Kraftanstrengungen 
und  —  schlechter  Geschäfte. 

Zu  den  allgemeinen  Ursachen  ist  weiterhin  der  Einfluß  der 
Krisen  auf  die  Union  zu  rechnen.  Wäre  die  Eisenkonjunktur  stets 
eine  gute  gewesen,  so  hätten  sich  die  Fehler,  die  man  in  bezug 
auf  die  Überwertung  der  Anlagen,  die  Organisation  des  Betriebes, 
die    Rohstoffbeschaffung     und     die    Mannigfaltigkeit    der    Waren- 


3.  Die  Dortmunder  Union. 123 

erzeugnng  gemacht  hatte,  nicht  so  herausarbeiten  können,  wie  dies 
tatsächUch  der  Fall  war. 

Gleich  das  erste  Geschäftsjahr  war  ein  Jahr  schroffsten  Kon- 
junlcturwechsels.  In  allen  eisenproduzierenden  Ländern,  vor  allem 
aber  in  Deutschland,  stiegen  unter  dem  Einfluß  ungeheurer  Geld- 
summen die  Preise  kataraktartig  in  die  Höhe.  Im  ersten  Halbjahre 
1872   hoben    sie   sich    pro   Tonne 

für  Stabeisen von  192  auf  360  M. 

für  gewöhnliche  Eisenbahnschienen     „     192    „    324    „ 
für  Bleche „    270    „    480   „ 

um  sich  bis  zum  Herbst  auf  dieser  Höhe  zu  halten.  Als  dann  im 
Frühling  1873  von  Wien  aus  die  Sterbeglocke  des  wirtschaftlichen 
Aufschwungs  läutete,  begann  der  ungeheure  Entwertungsprozeß, 
der  die  Eisenindustrie  in  den  folgenden  Jahren  so  schwer  in  Mit- 
leidenschaft   zog. 

Besonders  intensiv  wirkte  der  Preisrückgang  auf  die  Union. 
Die  Verwaltung  hatte  sich  in  Übereinstimmung  mit  den  in  der 
rheinisch  -  westfälischen  Eisenindustrie  herkömmlichen  Gebräuchen 
wegen  des  Bezuges  der  Rohmaterialien  in  der  Blütezeit  ihres  ersten 
Geschäftsjahres  auf  längere  Zeit  im  voraus  gedeckt,  also  erhebliche 
Quanten  zu  den  hohen  Preisen  einer  voraufgegangenen  Periode  noch 
nachträglich  abzunehmen,  als  die  Preise  des  Fabrikats  bereits  tief 
gefallen  waren.  Diese  Engagements  mußten  um  so  nachteiliger 
für  sie  ausfallen,  als  die  Fertigstellung  der  Bauten  infolge  verspäteter 
Lieferung  von  Maschinen,  Mangel  an  Arbeitskräften  etc.  sich  stark 
verzögerte  und  später  außerdem  erhebliche  Umbauten  nötig  wurden. 
Infolgedessen  konnte  die  Verarbeitung  dieser  Rohmaterialien  durch- 
aus nicht  in  dem  bei  dem  Abschlüsse  vorausgesetzten  Umfange  er- 
folgen, und  es  häuften  sich  riesenhafte  Bestände,  und  zwar  Bestände 
zu  exzeptionell  hohen  Preisen,  in  einem  das  Normalbedürfnis  weit 
übersteigenden  Maße  an.  Ihr  Wert,  zum  Selbstkostenpreis  berech- 
net, belief  sich  im  Januar  1874  auf  nahezu  20  Millionen  Mark.  In 
den  6  Jahren  von  1872/73  bis  1878/79  betrug  der  Durchschnitts- 
preis pro  1000  Kilogramm  Walzfabrikate:  248,05;  221,46,  190,36; 
152,56;  139,06;  126,40  Mark. 

Unter  diesen  Verhältnissen  ergriff  die  Union  alle  die  Maßregeln, 
die  aus  der  Geschichte  der  Krisen  bekannt  sind.  Sie  sucht  vor  allen 
Dingen  den  Betrieb  einzuschränken  und  die  Selbst- 
kosten auf  ein  niedrigeres  Niveau  herunterzu- 
drücken.    In    einem    einzigen    Jahre    werden    allein    3307    Af- 


124  3.  Die  Dortmunder  Union. 


heiter  entlassen,  oder  im  Stile  der  Geschäftsberichte  gesprochen: 
vom  30.  Juni  1873  bis  zum  30.  Juni  1874  sinkt  der  Personal- 
bestand  des  Werkes  von  12  436  auf  9129  Mann  (incl.  Beamte) 
und  erreicht  am  30.  Juni  1877  seinen  tiefsten  Stand  mit  6322  Mann. 
Die  Krisis  verminderte  demnach  den  Arbeiterbestand  der  Union  um 
6114  Arbeiter.  Außer  diesem  großen  Opfer  an  Menschen  forderte 
sie  nicht  minder  große  Opfer  an  Lohn.  Der  Durchschnittsverdienst 
eines  Arbeiters  sank  von  1378,35  Mark  im  Jahre  1873/74  auf  797,53 
Mark  im  Jahre  1877/78.  Die  dadurch  herbeigeführte  Verminderung 
der  Produktionskosten  fällt  ohne  weiteres  ins  Auge.  Die  Arbeiter- 
ziffer von  1873  hat  die  Union  bis  zur  Gegenwart  niemals  wieder 
erreicht.  Am  nächsten  kommt  ihr  noch  die  Zahl  des  Jahres  1900, 
wo  das  Werk  12  412  Arbeiter  beschäftigte.  Auch  der  Lohn  ist  in 
ihrer  Geschichte  nicht  mehr  auf  den  Durchschnitt  von  1378,35  Mark 
(1873/74)  emporgeklommen;  er  betrug  1900  1291,02  Mark. 

Ein  weiteres  Mittel,  um  über  die  Krisis  hinwegzukommen,  das 
auch  in  den  späteren  Jahren  eine  große  Rolle  spielt,  denn  die  Union 
hat  sich  eigentlich  immer  in  einer  Krisis  befunden,  war  der  Ver- 
kauf von  Rohstoffen  an  Dritte.  Es  werden  Kohlen,  Erze  und 
Roheisen  zur  Weiterverarbeitung  verkauft.  Dieser  Absatz  erlangt  eine 
ziemliche  Ausdehnung.  So  wurden  z.  B.  1876/77  an  Eisenstein  ge- 
fördert 53  772  Tonnen.  Davon  brauchten  die  verschiedenen  Hoch- 
ofenanlagen der  Union  im  ganzen  23186  Tonnen;  an  Dritte  wurde 
verkauft  29  338  Tonnen,  also  über  die  Hälfte  der  ganzen  Produktion, 
mit  einem  Erlös  von  310  766  Mark. 

Ein  weiteres  Mittel,  das  die  Union,  wie  die  anderen  großen 
kapitalistischen  Betriebe  anwandte,  um  die  Wirkung  der  Krisis  ab- 
zuschwächen, ist  der  Export  zu  niedrigen  Preisen  nach  dem 
Auslande.  Der  Unternehmer  steht  vor  der  Alternative,  entweder  den 
Betrieb  bedeutend  zu  reduzieren,  eine  größere  Anzahl  Öfen  kalt  zu 
legen,  oder  aber  den  Betrieb  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aufrecht 
zu  erhalten,  um  das  erzielte  Produkt  zum  oder  unter  dem  Produk- 
tionskostenpreise auf  den  Weltmarkt  zu  werfen.  Alle  Krisen  haben 
nun  bisher  e  i  n  Erfahrungsresultat  ergeben,  das  sich  übereinstim- 
mend bei  fast  allen  großen  Werken  wiederholt:  Der  Export  wird 
forciert!  So  auch  bei  der  Union.  Bei  ihr  erreichte  die  Produktions- 
ziffer fertiger  Fabrikate  1875/76  mit  87,4  Millionen  kg  ihren  tiefsten 
Punkt  und  stieg  dann  1877/78,  obgleich  eine  Besserung  der  Konjunk- 
tur nicht  eingetreten  war,  auf  121  Millionen  kg.  Es  würde  fehlerhaft 
sein,  diese  vergrößerte  Erzeugung  auf  der  Basis  des  Exports  als  ein 


3.  Die  Dortmunder  Union.  125 

günstiges  Zeichen  anzusehen.  Deshalb  heißt  es  auch  in  dem  Be- 
richt des  genannten  Jahres:  „Diese  Steigerung  der  Produktion  be- 
weist zwar  eine  vermehrte  Arbeitsleistung,  bietet  aber  keineswegs 
einen  Beweis  für  eine  gewinnbringende  Lage  der  Industrie  .  .  .  Denn 
die  Steigerung  ist  nur  möglich  geworden  durch  einen  häufig  mit 
direktem  Verlust  verbundenen  Zwangsexport  nach  dem  Auslande, 
lediglich  zu  dem  Zwecke,  um  derjenigen  Massenproduktion  einen 
Abfluß  zu  verschaffen,  welche  ihrerseits  wieder  erforderlich  ist,  um 
so  billig  produzieren  zu  können,  wie  die  Konkurrenz  des  Auslandes 
zur  Aufrechterhaltung  des  Betriebes  der  eigenen  Werke  es  erfordert. 
Würde  man  von  einem  solchen,  in  den  einzelnen  Abschlüssen  häufig 
direkt  verlustbringenden  Export  absehen,  so  würde  man  die  Pro- 
duktionsziffer so  bedeutend  ermäßigen  müssen  und  dadurch  die  Selbst- 
kosten dieser  verminderten  Produktion  so  bedeutend  erhöhen,  daß 
der  hierdurch  entstehende  indirekte  Verlust  weit  erheblicher  wäre 
als  der  direkte  Verlust  bei  einzelnen  Abschlüssen  nach  dem  Auslande; 
die  Betriebsfähigkeit  der  mit  so  erhöhten  Selbstkosten  arbeitenden 
Werke  würde  ernstlich  in  Frage  gestellt  sein,  wenn  nicht  unmöglich 
werden." 

Die  zweite  Krisis,  die  die  deutsche  Eisenindustrie  heimsuchte, 
dauerte  von  1883 — 1887.  Im  Jahre  1883  begann  der  internationale 
Markt  für  die  Hauptexportartikel  Schienen  und  Draht  zu  verflauen. 
In  dieser  Zeit,  sagt  die  Verwaltung  der  Union  1885/86,  gelang  es 
nur,  „durch  die  Vervollkommnung  des  technischen  Betriebes  und 
äußerste  Sparsamkeit  auf  allen  Gebieten  einen  Teil  des  Ausfalles 
auszugleichen,  den  der  fortwährend  starke  Rückgang  der  Verkaufs- 
preise im  Gefolge  hatte."  1886  erfolgte  dann  die  Auflösung  der  Inter- 
nationalen Schienengemeinschaft.  Dies  hatte  eine  so  erbitterte  und 
unwirtschaftliche  Konkurrenz  und  demgemäß  einen  so  niedrigen  Preis 
für  dieses  Fabrikat  auf  dem  Weltmarkt  zur  Folge,  daß  das  Werk  es 
vorzog,  die  Schienenfabrikation  vorübergehend  einzustellen.  Aber 
auch  das  inländische  Schienengeschäft  wurde  durch  das  Auftreten 
der  ausländischen  Konkurrenz  bei  den  Submissionen  der  deutschen 
Bahnverwaltungen  wesentlich  beeinträchtigt. 

Während  so  auf  der  einen  Seite  in  der  Krisis  der  80er  Jahre 
das  Schienenkartell  zusammenbrach,  war  diese  Periode  andererseits 
die  Geburtsstunde  einer  Anzahl  neuer  Kartelle  auf  dem  Gebiete  der 
Eisenindustrie.  Vor  Ablauf  des  Jahres  1886  wurde  die  Roheisenkon- 
vention gegründet.  Diese  Vereinbarung  führte  weiter  zu  der  Kon- 
vention  der   Trägerwerke   und   schließlich   im   August   1887  zu  der 


126 3.  Die  Dortmunder  Union. 

in  Dortmund  etablierten  gemeinsamen  Verkaufsstelle  der  Stabeisen 
produzierenden  Werke  in  Rheinland-Westfalen,  worüber  an  anderer 
Stelle  bereits  das  Wesentliche  gesagt  wurde.  Nunmehr  war  auch  die 
Union  in  der  Lage,  den  Ausfall  in  der  Gesamtproduktion  an  Fertig- 
fabrikaten, der  durch  die  Einschränkung  der  Schienenfabrikation 
bewirkt  worden  war,  reichlich  auszugleichen  durch  die  Mehrproduktion 
an  Stab-  und  Fagoneisen.  Auch  für  Grob-  und  Feinbleche  hatte 
sich  ein  Syndikat  gebildet,  dem  die  Union  angehörte.  Es  kann  gar 
keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  ihre  Ergebnisse  durch  die  Kartell- 
organisation gehoben  worden  sind.  „Wir  haben",  heißt  es  in  dem 
Bericht  1887/88,  „uns  fortgesetzt  an  die  Förderung  dieser  für  die 
ganze  Eisen-  und  Stahlindustrie  wichtigen  Bestrebungen  lebhaft  be- 
teiligt und  das  gegen  das  Vorjahr  günstigere  Gewinnresultat  .  .  . 
ist  wesentlich  auch  den  auf  diesem  Gebiete  erzielten  Erfolgen  zu 
danken." 

Allerdings  ist  die  weitere  Stellung  der  Union  zu  den  Kartellen 
keine  einheitliche  gewesen.  So  z.  B.  zum  Trägerkartell.  Es  bestand 
seit  1886  als  reines  Preiskartell,  d.  h.  nicht  die  Produktion,  sondern 
der  Preis  wurde  geregelt.  Über  dieses  Kartell  heißt  es  im  Bericht 
des  Jahres  1892:  „Durch  die  seitens  einiger  Werke  neu  aufgenommene 
Trägerfabrikation  wurde,  obwohl  sie  der  Preisvereinigung  beitraten, 
das  den  älteren  Werken  verbleibende  Arbeitsquantum  wiederholt 
so  vermindert,  daß  der  Wert  der  Vereinigung  für  dieselben  fraglich 
wurde."  1891  wurde  die  Auflösung  der  Vereinigung  beschlossen. 
Dasselbe  Schicksal  erlitt  der  auch  auf  bloßer  Preisvereinbarung  be- 
ruhende Grobblechverband,  nachdem  sich  bereits  im  Herbst  1890 
die  Unmöglichkeit  herausgestellt  hatte,  den  Feinblechverband  aufrecht 
zu  erhalten.  Der  Auflösung  dieser  beiden  Verbände  folgte  ein  un- 
geheurer Preisrückgang  der  Bleche.  1891  standen  die  Blechpreise 
um  80 — 90  Mark  pro  Tonne  niedriger  als  1890. 

Damit  tritt  die  Union  in  die  dritte  Krisenperiode  ein,  die  Zeit 
von  1890—1894.  Nachdem  die  alten  Verbände  zerfallen,  steht  das 
Werk  keineswegs  mehr  den  Kartellen  mit  so  ungeteilter  Sympathie 
gegenüber  wie  in  den  80er  Jahren,  wo  man  noch  allgemein  glaubte, 
in  dem  Zusammenschluß  der  Unternehmer  zur  Regulierung  der 
Preise,  resp.  der  Produktion  ein  Heilmittel  gegen  die  Krisen  ge- 
funden zu  haben.  In  die  Berichte  der  Union  schleichen  sich  Klagen 
über  die  Kartelle  ein.  So  empfindet  es  die  Leitung  ungerechtfertigt, 
daß  der  Stabeisenverband,  der  bis  zum  31.  Dezember  1893  bestand, 
dem  Werke   nicht  annähernd   das   für  seinen    Betrieb  erforderliche 


3.  Die  Dortmunder  Union. 127 

Arbeitsquantum  zuweisen  konnte,  so  daß  eine  intensive  Aus- 
dehnung seiner  Einrichtungen  und  die  hieraus  entstehenden  Vorteile 
ihm    versagt    blieben. 

Ähnlich  klingt  es  dann  aus  den  Berichten  über  die  letzte  Krisis, 
die  die  Jahre  1900—1903  umfaßt,  heraus,  daß  die  Kartelle  ein  Hin- 
dernis für  das  Werk  seien.  In  dem  Bericht  über  die  außerordentliche 
Generalversammlung  vom  9.  Juni  1902  wird  ausgeführt,  daß  die 
freie  Aktion  der  Werke,  besonders  auf  kaufmännischem  Gebiete, 
durch  die  in  der  Eisenindustrie  immer  mehr  um  sich  greifende  Ent- 
wicklung der  Syndikate  und  Konventionen  behindert  werde.  Die  für 
das  eine  Werk  nötige  Zugehörigkeit  zu  solchen  Vereinigungen  hin- 
dert das  andere  Werk,  diejenigen  Vorteile  auszunutzen,  welche  den 
mit  ihm  in  Wettbewerb  stehenden  freien  Werken  ohne  Mühe  zu- 
fallen. Der  sich  hieraus  ergebende  Widerstreit  der  Interessen  konnte 
bei  der  Union  nur  mit  Opfern  für  das  Gesamtunternehmen  aus- 
geglichen werden.  Der  eingetretene  Stimmungsumschlag  in  bezug 
auf  die  Stellung  der  Verwaltung  gegenüber  den  Kartellen  hat  aber 
nicht  verhindert,  daß  die  Union  dem  Anfang  1904  zustande  gekom- 
menen Stahlwerkverband  ebenfalls  beitrat. 

Die  letzte  Krisis,  die  in  den  Beginn  des  neu  anbrechenden  Jahr- 
hunderts fällt,  wirkte  auf  die  Gesellschaft  in  derselben  einschneiden- 
den Weise  wie  die  früheren  Konjunkturrückgänge.  Besonders 
schwierig  gestaltete  sich  die  Lage  infolge  der  Wechselbeziehung 
zwischen  dem  Dortmunder  Werk  und  den  beiden  Werken  in  Horst 
und  Henrichshütte.  Darüber  sagt  der  Geschäftsbericht  1900/01  fol- 
gendes: „In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1899  und  Anfang  1900 
konnte  die  Nachfrage  nach  Halbzeug  auch  nicht  annähernd  befrie- 
digt werden.  Unter  dem  Einfluß  dieses  lang  andauernden  Mangels 
kauften  sowohl  die  Händler  wie  die  Halbzeug  verarbeitenden  Werke 
so  große  Mengen,  daß  der  Bedarf  über  ein  Jahr  hinaus  gedeckt  war. 
Die  Union  konnte  sich  jedoch  an  diesen  langsichtigen  und  gewinn- 
bringenden Verkäufen  nicht  beteiligen,  weil  das  Dortmunder  Werk 
alles  nicht  selbst  verarbeitete  Halbzeug  an  die  Werke  in  Horst  und 
Henrichshütte  abgeben  mußte,  deren  bisherige  Lieferanten  bei  der 
stürmischen  Nachfrage  versagten.  Als  nun  der  Umschwung  erfolgte, 
und  die  Beschäftigung  der  Werke  in  Horst  und  Henrichshütte  zu- 
rückging, wurde  der  Betrieb  des  Dortmunder  Stahlwerkes  aufs  emp- 
findlichste benachteiligt,  weil  ein  Absatz  des  von  Horst  und  Henrichs- 
hütte weniger  abgenommenen  Halbzeuges  auf  dem  äußeren  Markte 
nicht  mehr  möglich   war.     Es   mußte  daher  die  Stahlerzeugung  in 


128  3.  Die  Dortmunder  Union. 

Dortmund  rasch  ganz  erheblich  eingeschränkt  werden,  und  sofort 
trat  an  Stelle  des  bisherigen  Mangels  ein  Überschuß  an  Roheisen. 
Es  ist  nicht  möglich  gewesen,  diesen  Überschuß  durch  Verkäufe 
abzustoßen  und  dadurch  die  Ansammlung  größerer  Vorräte  zu  ver- 
hüten." Aus  dieser  Darstellung  geht  hervor,  wie  ungünstig  die  Ab- 
hängigkeit vom  Dortmunder  Werke  die  beiden  anderen  Etablisse- 
ments beeinflußte.  Bei  diesen  lagen  daher  die  Verhältnisse  am 
schlimmsten.  In  Horst  wurde  der  Hochofen-,  Puddel-  und  Walz- 
werkbetrieb ganz  eingestellt,  und  nur  die  Achsenfabrik,  sowie  die 
Muttern-  und  Schraubenfabrik  blieben,  wenn  auch  eingeschränkt,  in 
Betrieb,  Auch  die  Henrichshütte  hatte  in  den  beiden  ersten  Jahren 
sehr  zu  leiden.  Der  Rückgang  der  Nachfrage  nach  Blechen  trat 
früher  ein  und  war  größer  als  bei  allen  anderen  Erzeugnissen  der 
Eisenindustrie.  Die  Verluste  dieses  Werkes  wurden  größtenteils  durch 
den  Verkauf  des  aus  den  Vorjahren  übernommenen  großen  Roh- 
eisenbestandes gedeckt. 

Allerdings  hat  es  den  Anschein,  als  ob  1902/03  sich  die  Lage  der 
Union  wieder  günstiger  gestaltete,  denn  sie  konnte  in  dem  genannten 
Jahre  auf  die  Vorzugsaktien  lit.  D  5  o/o  und  auf  die  Aktien  lit.  C  2(yo 
Dividende  verteilen.  Allein  aus  der  Bilanz  ergibt  sich,  daß  diese  Divi- 
denden aus  den  tatsächlichen  Betriebsgewinnen  des  Geschäftsjahres 
nicht  hätten  gezahlt  werden  können,  sondern  daß  ihre  Auszahlungen 
nur  durch  Zuhilfenahme  von  Rückstellungen  ermöglicht  wurde.  Der 
mit  1  271  768  Mark  bezifferte  Reingewinn  kommt  nämlich  dadurch 
zustande,  daß  dem  „Konto  der  vorbehaltenen  Abschreibungen" 
1  067  550  Mark  entnommen  und  in  die  Gewinn-  und  Verlustrechnung 
eingestellt  sind.  Es  ergibt  sich  weiter,  daß  auch  der  Spezialreserve- 
fond,  der  Ende  Juni  1902  mit  2,6  Millionen  Mark  dotiert  war,  jetzt 
nur  noch  1 721  026  Mark  beträgt.  Es  sind  demnach  im  ganzen 
mehr  als  1,8  Millionen  Mark  zur  Aufbesserung  des  Erträgnisses 
pro  1902/03  aus  den  früheren  Rückstellungen  herangezogen  worden.*) 

Damit  hätten  wir  auch  die  Ingerenz  der  Krisen 
auf  das  Werk  behandelt.  Dasselbe  litt,  trotz  seiner 
spezialisierten  Produktion,  mit  der  ganzen  deut- 
schen Eisenindustrie  unter  vier  großen  Nieder- 
gängen der  Konjunktur.  Am  schlimmsten  wirkte  auf 
das  noch  nicht  genügend  fundierte  Unternehmen  die 
Baisse  von  1873  —  187  9.    Eine  ungeheure  Entwertung 


•)  Siehe  Handelsteil  des  Berliner  Tageblattes  vom  6.  Oktober  1903. 


3.  Die  Dortmunder  Union.  129 


der  zu  Hochkonjunkturpreisen  gekauften  Rohstoffe 
trat  ein.  Als  Reaktion  gegen  die  schädigenden  Wir- 
kungen dieser  Krisis  sehen  wir  diePolitik  derUnion, 
deren  Aktien  damals  an  der  Berliner  Börse  auf  4 o/o 
heruntersanken,  auf  dreierlei  gerichtet:  Erstens  auf 
eine  Erniedrigung  der  Produktionskosten,  zweitens 
auf  eine  Abstoßung  eines  Teils  seiner  Rohstoffe 
durch  Verkäufe  an  Dritte  und  drittens  auf  den  Ex- 
port eines  relativ  großen  Teils  seiner  Fabrikate,  um 
den  Betrieb  in  einem  gewissen  Umfange  aufrecht  er- 
halten zu  können. 

Nach  einer  kurzen  Erholung  folgte  dann  die 
Stagnation  von  1883  —  188  7.  Als  Hauptabwehrmittel 
gegen  die  Schädigungen  dieser  Periode  sucht  das 
Werk  Anschluß  an  die  Kartellbestrebungenderdeut- 
schen  Eisenindustrie.  Mit  Hingabe  beteiligt  es  sich 
an  den  bestehenden  Verbänden,  von  denen  ein  Teil 
jedoch  nach  kurzer  Zeit  zusammenbricht,  weil  er 
auf  bloßer  Fixierung  der  Preise  beruhte. 

Nach  diesen  Erfahrungen  ändert  dann  das  Werk 
seine  Haltung.  In  der  folgenden  Krisis  von  1890  bis 
18Q4  und  in  der  letzten  Baisse,  die  über  die  Eisen- 
industrie hereinbrach  und  die  von  1900  — 1903 
«  dauerte,  steht  es  nicht  mehr  ganz  auf  dem  Stand- 
punkte ungeteilter  Zustimmung  zu  den  Kartellorga- 
nisationen. Jedenfalls  hängt  dieser  Wechsel  mit 
seinerdauernd  schlechten  finanziellen  Situation  zu- 
sammen, an  der  bekanntlich  auch  die  Hochkonjunk- 
turperiode von  1895  —  1900  nicht  viel  zu  ändern  ver- 
mochte. 

Die  letzte  Krisis  schädigte,  wie  wir  sahen,  na- 
mentlich die  Betriebe  in  Horst  und  Hattingen,  aber 
auch  das  Dortmunder  Werk  wurde  teilweise,  infolge 
seiner  Beziehungen  zu  denselben,  derartig  mitge« 
nommen,  daß  selbst  das  Jahr  190  2/0  3,  das  für  die 
Eisenindustrie  im  allgemeinen  wieder  bessere  Er- 
gebnisse brachte,  bei  der  Union  nur  durch  einen 
Kunstgriff  in  der  Bilanzierung  zu  einem  Reinertrage 
gezwungen   werden   konnte. 


Stiilich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I. 


130 3.  Die  Dortmunder  Union. 

Wir  haben  im  Vorhergehenden  eine  Reihe  von  Ursachen  kennen 
gelernt,  aus  deren  Zusammenwirken  die  finanziellen  Mißerfolge  der 
Dortmunder  Union  resultieren.  Man  kann  behaupten,  daß  es  auf 
dem  großen  Gebiete  der  Eisenindustrie  keine  einzige  Aktiengesell- 
schaft gibt,  die  im  Laufe  der  Zeit  so  große  Kapitalien  absorbiert  hat, 
wie  gerade  dieses  Unternehmen.  Man  hat  es  mit  einem  Sumpf  ver- 
glichen, der  Millionen  über  Millionen  verschlang,  und  selbst  heute 
hat  es  noch  nicht  den  Anschein,  als  ob  dieser  Schlund  gesättigt  wäre. 
Es  ist  daher  nicht  uninteressant,  den  finanziellen  Aufbau 
eines  derartigen   Unternehmens  im  Deta-l  näher  kennen  zu  lernen. 

Das  Aktienkapital  der  Union  wurde,  wie  eingangs  erwähnt, 
auf  33  Millionen  Mark  festgesetzt.  Bei  der  Errichtung  der  Gesell- 
schaft am  2.  Februar  1872  wurden  hiervon  15  Millionen  Mark  über- 
nommen, wovon  12  Millionen  zur  öffentlichen  Subskription  gelangten. 
Den  Rest  von  18  Millionen  Mark  erhielten  die  Aktionäre  der  Ge- 
sellschaft Neuschottland  und  Henrichshütte.  Bald  darauf,  am  5.  Ok- 
tober 1872,  erfolgte  nach  dem  Erwerb  der  Eisensteingruben  und 
Hochöfen  von  Bredelar  und  der  Svabenswerke  eine  Erhöhung  des 
Aktienkapitals  um  6,6  Millionen  auf  39,6  Millionen  Mark.  Der  Nomi- 
nalwert der  Aktien  betrug  600  Mark.  Aber  das  genügte  noch  nicht. 
In  der  Generalversammlung  vom  3.  November  1873  wird  gegen 
Verpfändung  des  Immobiliarvermögens  die  Aufnahme  einer  sechs- 
prozentigen  Anleihe  im  Betrage  von  18  Millionen  Mark  beschlossen. 
Bald  nach  der  Generalversammlung  gelangte  die  Anleihe  von  einem 
Konsortium  zur  Emission.  Aber  bereits  der  zweite  Geschäftsbericht 
konstatiert,  daß  die  Bauten  auf  der  Union  einen  erheblichen  Mehr- 
aufwand erforderten  und  das  Geld  nicht  ausreiche.  Dazu  kam  die 
Unterbilanz  des  Jahres  1873/74.  „Zur  Beseitigung  derselben",  heißt 
es  im  Geschäftsbericht  des  genannten  Jahres,  „und  zur  Deckung  des 
obigen  Mehrbedarfes  müssen  der  Gesellschaft  neue  Mittel  in  ent- 
sprechender Höhe  zugeführt  werden,  was  angemessen  nur  durch 
die  Emission  von  Stammprioritäten  bewerkstelligt  werden  kann." 
In  der  außerordentlichen  Generalversammlung  vom  15.  Februar  1875 
wurde  daher  beschlossen,  das  Aktienkapital  auf  41,4  Millionen  Mark 
festzusetzen  und  es  in  zwei  Kategorien  zu  zerlegen,  nämlich  in  privi- 
legierte Aktien  lit.  A  im  Betrage  von  nom.  15  Millionen  Mark  und  in 
Stammaktien  lit.  B  im  Betrage  von  26,4  Millionen  Mark.  Die  erste- 
ren  hatten  das  Recht  einer  Vorzugsdividende  von  6 o/o.  Sie  wurden, 
da  von  den  bisherigen  Aktionären  das  statutarische  Bezugsrecht 
unter  den   obwaltenden    Verhältnissen   nicht   ausgeübt   wurde,   von 


3.  Die  Dortmunder  Union.  131 


den  Hauptbeteiligten  des  Konsortiums,  welches  die  Union  ins  Leben 
gerufen  hatte,  zum  Parikurse  übernommen  und  voll  bezahlt.  Außer- 
dem wurde  das  bisherige  Grundkapital  der  Gesellschaft  reduziert 
und  zwar  im  Verhältnis  von  3:2.  Es  geschah  das  in  der  Weise, 
daß  der  Nominalbetrag  jeder  Aktie  durch  Abstempelung  von  600 
auf  400  Mark  heruntergesetzt  wurde.  Es  blieben  dem  ursprüng- 
lichen Aktionär  also  noch  662/3^/0  seines  Nominalkapitals.  Für  die 
Gesellschaft  ergab  sich  aus  dieser  Operation  ein  Buchgewinn  von 
13,2  Millionen  Mark,  der  zur  Deckung  der  Unterbilanz  des  ver- 
gangenen Jahres,  zur  Wiederherstellung  des  Reservefonds  und  zu 
Abschreibungen  Verwendung  fand.  Damals  wurden  aber  nicht  sämt- 
liche Aktien  zur  Abstempelung  eingereicht,  und  an  der  Berliner 
Börse  wurden  lange  Zeit  beide  Aktien  gehandelt,  nämlich  gewöhn- 
liche Stücke  und  abgestempelte  Stücke.  Ein  Wertunterschied  bestand 
nicht.  Ja,  es  wurden  sogar  die  nicht  abgestempelten  Stücke  durchweg 
höher  bezahlt  als  zu  zwei  Drittel  des  Kurses  der  abgestempelten  Stücke. 
Das  ist  einer  der  vielen  Widersprüche,  die  die  Börse  mitunter  beliebt. 
Nach  dem  inneren  Werte  mußte  eigentlich  der  Kurs  der  nicht  abge- 
stempelten Aktien  etwas  niedriger  als  zwei  Drittel  des  Kurses  der  abge- 
stempelten sich  belaufen,  schon  wegen  der  usancemäßig  mit  4  0/0  zu 
berechnenden  Stückzinsen,  dann  aber  auch  deshalb,  weil  die  nicht 
abgestempelten  Stücke  als  solche  gar  keine  statutenmäßige  Oiltig- 
keit  mehr  besaßen,  also  unter  allen  Umständen  behufs  Teilnahme  an 
der  Generalversammlung,  behufs  neuer  Dividendenscheine  etc.  nach- 
träglich doch  noch  abgestempelt  werden  mußten,  wodurch  immer- 
hin   Spesen,    Porti    etc.    erwachsen. 

Aber  der  ersten  Rekonstruktion  des  Unternehmens,  wie  sie  in 
der  Generalversammlung  vom  15.  Februar  1875  beschlossen  war, 
und  nachher  ausgeführt  wurde,  sollte  bald  eine  zweite  folgen.  Für  die 
Bilanz  des  Jahres  1874/75  wurden  zwar  die  Entwertung  und  Ver- 
luste durch  die  Abschreibungen  aus  der  Kapitalreduktion  vollständig 
ausgeglichen.  Durch  die  neu  emittierten  Aktien  lit.  A  wurden  die 
dem  Unternehmen  entzogenen  liquiden  Mittel  wieder  neu  zugeführt. 
Trotzdem  blieb  der  Passivstatus  der  Union  noch  stark  belastet.  In 
den  folgenden  Jahren  steigt  die  Schulden-  und  Zinsenlast  wieder 
bedeutend  an.  Noch  1874/75  hatte  die  Union  allein  über  2  Millionen 
Mark  Zinsen  zu  zahlen.  Als  Grund  wird  außer  der  früheren  Unter- 
bilanz angeführt  der  alle  Erwartungen  übersteigende  Mehrbedarf 
von  12  Millionen  Mark  für  Bauten,  die  empfindliche  Entwertung 
der   früher    angewachsenen    Magazinbestände,    bedeutende    Ersatz- 

9* 


132  3.  Die  Dortmunder  Union. 

leistungen  für  die  noch  von  der  Gesellschaft  Neuschottland  ausgeführ- 
ten österreichischen  Schienenlieferungen,  sowie  die  großen  Verluste 
an  außenstehenden  Forderungen,  insbesondere  bei  der  falliten  Ge- 
sellschaft F.  Pleßner  &  Co.  in  Höhe  von  mehr  als  700  000  Mark. 

Infolge  dieser  mißlichen  Verhältnisse,  die  in  den  folgenden  Jahren 
sich  noch  mehr  verschlimmerten,  wurde  für  den  14.  März  1878  eine 
außerordentliche  Generalversammlung  einberufen.  Auf  derselben 
wurde  erstens  eine  weitere  Reduktion  des  Aktienkapitals  beschlossen 
und  demgemäß  der  Nominalwert  der  Aktien  beider  Kategorien  auf 
den  handelsgesetzlich  zulässigen  Minimalbetrag  von  300  Mark  pro 
Aktie  fixiert.  Alle  Aktien  der  Union  hatten  nunmehr  den  Nominal- 
wert von  300  Mark.  Durch  diese  Reduktion  des  Nominalwertes 
von  400  auf  300  Mark  wurde  eine  Summe  von  10350  000  Mark 
disponibel.  Dem  ursprünglichen  Aktionär  bheben  jetzt  noch  50  o/o 
seines  Nominalkapitals. 

Zweitens  wird  das  Aktienkapital  vergrößert,  und  zwar  durch 
Emission  von  nom.  10  350  000  Mark  Aktien  lit.  A,  so  daß  das  ge- 
samte unter  diesem  Buchstaben  auftretende  Kapital  nunmehr  21  600  000 
Mark  beträgt.  Sollte  diese  Vergrößerung  nicht  ausreichen,  dann  ist 
die  Gesellschaft  befugt,  Aktien  lit.  A  bis  zum  Betrage  von  30  Mill. 
Mark  auszugeben.  Diese  neuen  Aktien  lit.  A.  sollen  laut  Statut 
gerade  soviel  Dividende  erhalten  wie  die  alten  Aktien  lit.  A,  also  mit 
ihnen  vollständig  gleich  berechtigt  sein. 

Drittens  wird,  und  darin  liegt  der  Schwerpunkt  der  ganzen  Re- 
konstruktion, beschlossen,  den  alten  Aktionären,  die  wir  als  B-Aktio- 
näre  bezeichnen  wollen,  den  Umtausch  ihrer  Aktien  in  solche  lit.  A 
anzubieten.  Drei  alte  sollen  als  Vollzahlung  auf  eine  Stammprioritäts- 
aktie lit.  A  angesehen  werden,  d.  h.  der  Besitz  von  drei  alten  Aktien 
lit.  B.  das  Anrecht  auf  eine  neue  geben.  Nehmen  wir  an,  daß  sämt- 
liche Aktionäre  davon  Gebrauch  machten  (der  größte  Teil  hat  es 
tatsächlich  getan),  dann  wurden  die  1Q,8  Millionen  Mark  auf  6,6  Mill. 
Mark  reduziert,  und  die  Gesellschaft  hatte  davon  einen  Vorteil,  der 
sich  auf  13,2  Millionen  Mark  belief.  Es  blieben  nunmehr  dem 
Aktionär,  der  seine  Aktien  in  dem  angegebenen  Verhältnis  von  3 : 1 
umtauschte,  noch  Ve  seines  ursprünglichen  Kapitals,  d.  h.  16 — 17o/o. 

In  der  Generalversammlung  vom  3.  Juli  1879  vmrde  dann  die 
Tilgung  der  sechsprozentigen  Obligationen  beschlossen.  An  Stelle 
dieser  alten  Anleihe  übernimmt  die  Diskontogesellschaft  eine  neue 
fünfprozentige.     Der  Subskriptionspreis  betrug  1017470  gegen  Rück- 


3.  Die  Dortmunder  Union. 133 

Zahlung  zu  llOo/o.  Das  Konsortium  übernahm  die  Hälfte  zum  Kurse 
von  990/0. 

Im  Jahre  1879/80  wird  dann  das  Aktienkapital  lit.  A  um  weitere 
6  Millionen  Mark  erhöht  und  den  B-Aktionären  mit  ihrem  Kapital 
von  5  818  000  Mark  eine  letzte  Frist  zum  Umtausch  gegen  Aktien 
lit.  A  offen  gelassen. 

In  den  80er  Jahren  verschlechterten  sich  die  finanziellen  Grund- 
lagen der  Gesellschaft  nur  wenig,  erst  in  den  90er  Jahren  drohen 
wiederum  gewaltige  Katastrophen  den  ganzen  Bau  zu  erschüttern. 
Von  1892—1895  wuchsen  die  Schulden  von  20,3  auf  29,3  Millionen 
Mark,  davon  waren  1895  über  8  Millionen  Mark  Bankschulden. 
Gläubigerin  war  auch  hier  wieder  die  Diskontogesellschaft.  Um  diese 
schwebende  Schuld  zu  tilgen  und  die  Neubauten  bezahlen  zu  können, 
waren  weitere  Mittel  nötig.  Dieselben  wurden  nach  den  Beschlüssen 
in  der  außerordentlichen  Generalversammlung  vom  25.  Januar  1896 
auf  zweierlei   Weise   aufgebracht: 

Erstens:  das  Aktienkapital  lit.  A  wird  auf  39  Millionen  Mark 
erhöht;  von  einer  weiteren  Erhöhung  und  Emission  auf  45  Millionen 
Mark  mußte  man  absehen,  da  der  Kursstand  der  Aktien  eine  Be- 
gebung derselben  zu  Pari  nicht  gestattete. 

Zweitens :  das  Grundkapital  der  Gesellschaft  wird  durch  Emission 
von  9000  Stück  Vorzugsaktien  lit.  C  ä  1500  Mark  um  13,5  Millionen 
Mark  erhöht.  Diese  Aktien  lit.  C  erhalten  eine  Vorzugsdividende 
von  50/0.  Das  Aktienkapital  lit.  A  soll  erst  dann  an  einer  Dividende 
teilnehmen,  wenn  die  Vorzugsaktien  lit.  C  mit  5  0/0  befriedigt  sind. 

Diese  neuen  Aktien  wurden  zum  Kurse  von  100V2^/o  von  der 
Diskontogesellschaft  übernommen,  d.  h.  sie  zahlte  der  Gesellschaft 
131/2  Million  aus,  verdiente  V2®/o  und  bot  nun  die  Aktien  dem 
Publikum  an.  Diese  fünfprozentigen  Vorzugsaktien,  wie  man  sie 
schlauer  Weise  nannte,  erzielten,  als  sie  zum  ersten  Male  an  der 
Berliner  Börse  gehandelt  wurden,  einen  Kurs  von  101 ,75  0/0.  Volks- 
wirtschaftlich betrachtet  haben  wir  es  bei  der  Entstehung  der  Aktien 
lit.  C  mit  der  Umwandlung  einer  fest  verzinslichen  Schuld  in  Aktien 
zu  tun.  Hierin  liegt  auch  der  Schlüssel,  warum  eine  Bank,  wie  die 
Diskontogesellschaft  an  der  Dortmunder  Union  sich  nicht  verblutet  hat. 
Die  Diskontogesellschaft  lieh  zu  allen  Stunden  der  Union  ungeheure 
Vorschüsse  in  bar,  aber  sie  ließ  sich  bald  dafür  Effekten  geben, 
und  begab  diese  weiter  an  das  Publikum.  Infolgedessen  dürfte  sie 
auch  an  der  Union  keine  Verluste  erlitten  haben,  ganz  zu  schweigen 


134  3.  Die  Dortmunder  Union. 

von  den  Gewinnen,  die  mit  den  erwähnten  Transaktionen  der  Kredit- 
gewährung verknüpft  sind. 

In  der  Versammlung  am  25.  Januar  1896  wurde  von  der  Ver- 
waltung der  Union  proponiert,  die  Aktien  Ut.  A  im  Verhältnis  von 
5:2  zusammenzulegen.  Darauf  erhob  sich  in  den  Kreisen  der  Ak- 
tionäre ein  Sturm  der  Entrüstung.  Der  Vorschlag  wurde  als  unge- 
recht, unbegründet  und  verfrüht  von  der  Majorität  des  Aktienkapitals 
zurückgewiesen,  trotzdem  die  ganze  Sanierungstransaktion  „mit  pomp- 
hafter Aufwendung  allen  Raffinements  modemer  Finanzkunst"  in- 
szeniert worden  war.  (Zukunft  30.  XI.  Ol).  Es  wurde  daher  am 
26.  November  1896  eine  neue  außerordentliche  Generalversammlung 
einberufen,  in  der  die  Vorschläge  der  Verwaltung  auch  nicht  durch- 
gingen, wohl  aber  die  der  koalierten  Aktionäre.  Die  Verwaltung  wollte 
23  Millionen  Mark  zu  Abschreibungen  verfügbar  machen  durch  eine 
Heruntersetzung  des  Aktienkapitals  von  52,5  auf  29,1  Million  Mark, 
d.  h.  durch  eine  Zusammenlegung  von  5 : 3.  Demgegenüber  setzten 
die  Aktionäre,  da  eine  Reduktion  unvermeidlich  war,  und  es  sich 
nur  um  ihre  quantitative  Bemessung  handelte,  folgendes  durch:  Das 
Grundkapital  der  Gesellschaft  wird  in  ein  einheitliches,  unterschieds- 
loses Kapital  von  nom.  33  Millionen  Mark  vermindert,  und  zwar  in 
der  Weise,  daß  für  nom.  3000  Mark  Aktien  lit.  A  eine  vollbezahlte 
Vorzugsaktie  lit  C  von  nom.  1500  Mark  gewährt  wird.  Die  noch  im 
Umlauf  befindlichen  Aktien  lit.  B  werden  so  behandelt,  als  ob  sie 
bereits  in  Aktien  lit.  A  umgetauscht  wären.  Das  kombinierte  Grund- 
kapital der  Gesellschaft  wird  also  von  52,5  auf  33  Millionen  Mark 
heruntergesetzt,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  der  Nominalbetrag 
der  Aktien  lit.  A  im  Verhältnis  von  2:1,  also  von  39  Millionen  auf 
19,5  Millionen  Mark  reduziert  wird.  Dieser  reduzierte  Betrag  sollte  in 
allen  Teilen,  also  insbesondere  auch  in  bezug  auf  die  Gewinnbeteiligung 
den  bestehenden  Vorzugsaktien  lit.  C  gleichgestellt  sein.  Infolge  dieser 
Umwandlungen  schafft  sich  die  Gesellschaft  einen  Buchgewinn  von 
19,5  Millionen  Mark.  Dem  ursprünglichen  Aktionär  aber  blieben 
nur  noch  V12  oder  ca.  80/0  des  Nominalwertes  seiner  Aktien. 

Im  Geschäftsjahr  1898/99  wird  dann  das  Aktienkapital  von  33 
auf  42  Millionen  Mark  erhöht.  Das  Plus  von  9  Millionen  Mark 
wird  gebraucht  zum  vollständigen  Erwerb  der  Zeche  Adolf  von 
Hansemann,  von  der  die  Union  bereits  501  Kuxe  besaß,  ferner  zum 
Bau  von  Arbeiterwohnungen.  „Hiermit  ist  schon  früher  begonnen 
worden  und  137  Wohnungen  sind  bereits  bezogen.  Weitere  146 
Wohnungen  werden  noch  im  laufenden  Jahre  (1899)  vollendet  werden. 


3.  Die  Dortmunder  Union.  135 


Aber  auch  über  das  laufende  Jahr  hinaus  wird  mit  diesen  Bauten  fort- 
gefahren werden  müssen,  um  dadurch  eine  dauernde  Belegschaft 
für  die  Zeche  zu  gewinnen."    (Geschäftsbericht  1898/99.) 

In  der  außerordentlichen  Generalversammlung  vom  9.  Juni  1902 
wird  dann  zweierlei  beschlossen: 

1.  Eine  Herabsetzung  des  Grundkapitals  von  42  auf  25,2  Millionen 
Mark  durch  Zusammenlegung  der  Aktien  lit.  A  im  Verhältnis  von 
5:3.  Dadurch  erzielt  die  Gesellschaft  einen  Buchgewinn  von  16,8 
Millionen  Mark.  Der  ursprüngliche  Aktionär  erleidet  einen  weiteren 
Verlust.  Er  hat  jetzt  nur  noch  V20  o*^^'"  ca.  5  0/0  seines  ursprünglichen 
Kapitals   in    Händen. 

2.  Erhöhung  des  Grundkapitals  auf  36  Millionen  Mark  durch 
Ausgabe  von  10,8  Millionen  Mark  für  Vorzugsaktien  lit.  D.  Diese 
letzteren  werden  ebenfalls  wieder  von  der  Diskontogesellschaft  ge- 
zeichnet und  zu  1000/0  übernommen.  Sie  erhalten  eine  Vorzugs- 
dividende bis  zu  50/0,  nach  ihnen  die  Aktien  lit.  C  eine  Dividende  bis 
zu  40/0.  Ein  dann  noch  verbleibender  Überschuß  wird  auf  sämtliche 
Aktien  jeder  Gattung  nach  ihrem  Nennwert  verteilt.  Ist  auf  die  Aktien 
lit.  C  während  vier  aufeinanderfolgender  Jahre  eine  Dividende  von 
50/0  verteilt  worden,  so  entfallen  sämtliche  Unterschiede  zwischen 
beiden  Aktienkategorien,  und  es  wird  damit  das  Gesamtkapital  ein 
einheitliches  und  unterschiedsloses. 

Ich  möchte  zum  Schluß  noch  auf  einen  Vorgang  aufmerksam 
machen,  der  sich  bei  der  Kotierung  der  Aktien  lit.  D  an  der  Berliner 
Börse  ereignete.  Die  Zulassungsstelle  derselben  wollte  die  Einführung 
dieser  Aktien  nicht  genehmigen,  bevor  nicht  die  nächstjährige  Bilanz 
vorläge.  Die  Diskontogesellschaft  beschwerte  sich  über  den  Be- 
schluß bei  dem  Ältestenkollegium,  dem  bekanntlich  die  Berliner  Börse 
gehört,  und  setzte  die  Einführung  der  D-Aktien  auf  diesem  Wege 
durch. 

Soviel  über  die  finanzielle  Geschichte  der  Union,  und  über  die 
ungeheuren  Verluste,  die  mit  dem  Besitz  von  Unionaktien  für  den 
Inhaber  verbunden  waren.  Die  kärglichen  Gewinne,  die  sie  aus- 
schüttete, kommen  demgegenüber  gar  nicht  in  Betracht.  Ein  Bild 
davon  mögen  folgende  Zahlen  geben:  Die  Union  verteilte  1872/73 
120/0  Dividende.  In  den  folgenden  Jahren  gar  nichts.  Dann  erhielten 
die  Aktien  lit.  A  von  1878/79—1895/96:  0,  2,  2V2,  4,  5,  1,  IV4,  V3. 
V3,  2,  3,  4,  2,  1,  1,  0,  0,  00  0,  die  Aktien  lit.  C  1895/96—1902/03:  5, 
5,  5,  6,  7,  0,  0,  20/0,  die  Aktien  lit.  D  1902/03:  5o/o. 

Werfen  wir  zum  Schluß  noch  einen  kurzen  Rück- 


136  3.  Die  Dortmunder  Union. _ 

blick  auf  die  finanzielle  Geschichte  der  Union,  so 
sehen  wir  ein  kompliziertes  Durcheinander  finan- 
zieller Maßregeln,  die  alle  veranlaßt  werden  durch 
den  Heißhunger  des  Unternehmens  nach  Kapital,  und 
dieser  wieder  steht  im  Zusammenhange  mit  den  Er- 
fordernissen der  Bilanz  und  des  Betriebes.  Verluste 
zu  decken  und  Produktionsmittel  neu  anzuschaffen, 
das  waren  die  beiden  wichtigsten  Motive.  Um  nun 
das  Geld  für  diese  beiden  Zwecke  zu  erhalten,  ist 
die  Union  nach  zwei  Richtungen  hin  vorgegangen, 
und  damit  haben  wir  den  leitenden  Faden,  der  sich 
durch  alle  großen  Perioden  ihrer  Sanierung  hin- 
durchzieht, gewonnen.  Sie  hateinmal,  um  den  Passiv- 
saldo zu  beseitigen,  durch  Zusammenlegung  der 
Aktien  das  Nominalkapital  stark  heruntergesetzt. 
Durch  diese  Reduktionen  wurde  ein  Buchgewinn  er- 
zielt: 

1875 von  13,200,000  M. 

1878 „  23,550,000  „ 

1896 „  19,500,000  „ 

1902 „  16,800,000  „ 

in  Summa    73,050.000    M. 

Nicht  weniger  als  über  73  Millionen  Mark  sind  im 
LaufevonSOJahrendurcheineKettevonZusammen- 
legungen  der  Aktien,  die  wir  näher  kennen  lernten, 
verschwunden.  Wollte  man  aber  an  Stelle  des  No- 
minalwertes den  Kurswert  zugrunde  legen,  und 
würde  man  Obligationen  und  Bankschulden  noch 
mit  berücksichtigen,  so  würde  diese  Zahl  noch  be- 
deutend höher  sein.  Lindenberg  spricht  in  seinem 
Buche  „5  0  Jahre  Geschichte  einer  Spekulations- 
bank"*) sogar  von  130  Millionen  Mark,  allerdings 
ohnedenrechnerischenNachweisdafürzuerbringen. 
Diese  Verluste  haben  sich  auf  Kosten  der  Aktionäre 
vollzogen.  Wir  haben  gesehen,  daß  der  ursprüng- 
liche Aktionär  im  Laufe  der  Zeit  erst  33  Vs,  dann  50, 
dann83  —  84,dan^Q2undschließlich95o/oseinesKa- 
pitals  verloren    hat,  so  daß  er  heute  nur  noch  ca.  5 o/o 

*)  a.  a.  O.,  p.  120. 


3.  Die  Dortmunder  Union. 


137 


des  früheren  Nominalwertes  seiner  Unionaktien  be- 
sitzt. Zu  diesen  Kapitalreduktionen  gesellen  sich 
dann  Kapitalerhöhungen,  die  aufder  Basis  des  Prio- 
ritätensystems vorgenommen  werden.  Es  folgen 
nacheinanderAktienemmissirnen  (Lit.  A,  B,  C,  D),  von 
denen  die  folgende  immer  mehr  Rechte  gewährt  als 
die  vorhergehende.  Bei  allen  diesen  Transaktionen 
stand  die  Diskontogesellschaft  der  Union  helfend 
zur  Seite.  Hätte  diese  finanzielle  Unterstützung  ge- 
fehlt, so  wäre  die  Union  längst  in  Konkurs  geraten. 
So  liegen  heute,  nach  einer  dreißigjährigen  Ver- 
gangenheit die  Dinge:  Ein  großes  Uiid  stolzes  Un- 
ternehmen von  Weltruf,  das  sich  dereinst  rühmte, 
„an  Größe  des  Zieles  fast  ohne  Beispiel"  zu  sein, 
geht,  belastet  durch  die  Vergangenheit,  langsam  an 
seinem  geschichtlichen  Verhängnis  zu  Grunde  — 
wenn  es  ihm  nicht  gelingt,  die  Fehler  zu  beseitigen, 
die  wir  in  dieser  Darstellung  kennen  lernten. 


4.  Phönix. 

Es  gibt  meines  Erachtens  unter  den  deutschen  Eisenwerken  keines, 
das  in  seiner  Verfassung,  seinem  Aufbau  und  seiner  ganzen  ge- 
schichtlichen Entwicklung  soviel  Ähnlichkeit  mit  der  Dortmunder 
Union  aufwiese,  wie  das  Unternehmen,  das  in  diesem  Abschnitt 
Gegenstand  eingehender  Untersuchung  sein  soll.  Diese  ursprünglich 
und  vor  allem  wieder  in  neuester  Zeit  stark  hervortretenden  ver- 
wandtschaftlichen Beziehungen  zweier  vollständig  unabhängig  von- 
einander dastehender  Werke  haben  in  der  Tat  etwas  Überraschendes, 
aber  sie  treten,  wenn  man  im  Geiste  die  ältesten  und  die  jüngsten 
Jahre  beider  an  sich  vorüberziehen  läßt,  so  klar  hervor,  daß  man  sie 
unmöghch  übersehen  kann.  Allerdings  nimmt  die  Entwicklung  des 
rheinischen  Werks  einen  relativ  günstigeren  Verlauf  als  die  des  west- 
fälischen. Das  beruht  im  wesentlichen  darauf,  daß  es  dem  ersteren 
teilweise  gelang,  die  Quellen  seiner  Mißerfolge  zu  verstopfen,  was 
bei  dem  letzteren,  wie  wir  sahen,  bisher  nicht  der  Fall  war. 

Wir  beginnen  mit  der  Gründung.  Am  10.  November  1852  wurde 
die  Firma  Th.  Michiels  &  Co.  in  Eschweiler-Aue  in  eine  Aktien- 
gesellschaft umgewandelt  unter  dem  Namen  Phönix,  anonyme  Ge- 
sellschaft für  Bergbau  und  Hüttenbetrieb.  Ihr  Besitz  erstreckte  sich 
auf  ein  Walzwerk  und  einige  Eisensteingruben.  Um  nun  das  Erz 
selbst  schmelzen  zu  können,  erbaute  die  Gesellschaft  1853  zwei 
Hütten:  die  eine  zu  Kupferdreh,  die  andere  zu  Laar  bei  Ruhrort.  1855 
wurden  diese  Betriebe  mit  einer  Hütte  der  Societe  des  Mines  et 
Fonderies  du  Rhin  Charles  Detillieux  et  Co,  zu  Borbeck  vereinigt. 
Damit  Hand  in  Hand  ging  eine  Erhöhung  des  ursprünglich  4,5  Mill. 
betragenden  Aktienkapitals  auf  18  Mill.  Mark,  die  jedoch  zu  einem 
Teil   nicht   zur   Emission   gelangten. 

Das  eigenartige  dieser  Genesis  liegt  ganz  ähnlich  wie  bei  der 
Dortmunder  Union  darin,  daß  mehrere  Betriebe,  die  räumlich  weit 
voneinander  getrennt  sind,  zu  einem  einheitlichen  Unternehmen  ver- 


4.  Phönix.  139 

schmolzen  werden.  Die  anonyme  Gesellschaft  Phönix  repräsentiere 
also  die  Vereinigung  früher  getrennter  Etablissements.  Sie  stellte 
sich  die  Aufgabe,  die  Fabrikation  des  Roh-  und  Fertigeisens  nach 
englischer  Methode  in  die  Kohlendistrikte  der  Preußischen  Rhein- 
provinz einzuführen.  In  dem  Bericht  vom  30.  Oktober  1855  heißt  es 
wörtlich:  „Jene  anfänglich  durch  vereinzelte  Anstrengungen  ge- 
schaffenen Etablissements  haben  durch  ihre  Vereinigung  Kraft  ge- 
wonnen und  bilden  jetzt  ein  vollkommen  zusammenhängendes  Ganze, 
welches  den  Vergleich  mit  den  größten  in  Belgien  und  Frankreich 
geschaffenen  Werken  derselben  Art  aushält." 

An  diese  Kräftezusammenballung  knüpften  die  Gründer  große 
Hoffnungen.  Als  damals  der  Großbetrieb,  der  ja  schon  den  ganzen 
Bergbau  des  Mittelalters  beherrschte,  um  die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts in  Rheinland-Westfalen,  also  wesentlich  später  als  in  Ober- 
schlesien, seinen  Einzug  in  die  Eisenhüttenindustrie  hielt,  da  ver- 
banden sich  damit  die  weitgehendsten  Erwartungen.  Es  darf  da- 
her nicht  wunder  nehmen,  wenn  in  dem  Geschäftsbericht  von  1856 
das  Unternehmen  über  sich  selbst  folgendermaßen  urteilt:  „In  der 
Tat  ist  die  Gesellschaft  Phönix  die  bedeutendste  aller  bisher  in 
Deutschland  zum  Zwecke  der  Eisenfabrikation  gegründeten  Gesell- 
schaften und  vereinigt  in  sich  alle  Elemente,  welche  erforderlich 
sind,  um   ihr  eine  glänzende  Zukunft  zu  sichern.** 

Diese  Erwartungen  stützten  sich  auf  drei  Grundlagen: 
1.  Auf  die  metallurgischen  Reichtümer  der  Ge- 
sellschaft an  Eisenerzen.  Die  Gruben,  welche  die  Eisen- 
erze lieferten,  lagen  in  drei  großen  Distrikten:  Es  befanden  sich  43 
Konzessionen  gegen  fixierte  Abgaben  im  Nießnutz  der  Gesellschaft 
im  Ruhrbassin;  femer  16  große  Förderungsstellen  an  den  Rhein-  und 
Moselufern  und  schließlich  95  Konzessionen  im  Herzogtum  Nassau. 
Die  Gesamtproduktion  an  Erzen  stellte  sich  1855/56  auf  über  125  000 
Tonnen.  „Dieser  unschätzbare  Reichtum",  sagt  der  Bericht,  „sichert 
uns  unseren  Bedarf  an  Erzen*)  in  der  für  die  Darstellung  des  Roh- 
eisens wünschenswertesten  Auswahl.  Wir  können  ohne  Übertreibung 
behaupten,  daß  in  dieser  Beziehung  keine  andere  metallurgische 
Gesellschaft  im  Lande  ähnliche  Hilfsquellen  besitzt."  Natürlich  konnte 
man  damals  noch  nicht  voraussehen,  welche  Revolution  die  Eisen- 
industrie in  ihren  Tiefen  aufwühlen,  und  welchen  Wert  in  Zukunft 
das  Eisenerz    an    der    Ruhr,    am    Rhein    und   an    der    Lahn    haben 


•)  Gemeint  ist  die  Deckung  des  Bedarfes. 


140 4.  Phönix. 

werde.  Heute  ist  die  Phönixhütte  geradeso  wie  die  Westfälischen 
Werke  hauptsächUch  auf  den  Kauf  fremder  Erze  angewiesen.  Damals 
aber  lagen  die  Verhältnisse  noch  anders. 

2.  Besaß  die  Gesellschaft  zwei  Kohlenzechen  in 
Pacht.  Eine  dritte,  Rhein-Elbe,  die  im  Abbau  begriffen  war,  wird 
1856  an  die  Gelsenkirchener  Gesellschaft  für  Kohlengrubenbetrieb 
zum  Preise  von  720  000  Mark  verkauft.  Das  Werk  verdiente 
daran  282  000  Mark.  Es  hatte  die  Zeche  bei  der  Fusion  mit  der  oben 
erwähnten  französischen  Gesellschaft  für  Rheinischen  Bergbau  und 
Hüttenbetrieb  erworben. 

Diese  Politik,  Kohlenzechen  zu  pachten,  wurde  später  aufge- 
geben, weil  die  betreffenden  Kohlenbergwerke  große  Kosten  ver- 
ursachten und  Zubußen  erforderten.  Allerdings  kehrte  man  in  den 
90er  Jahren,  wie  wir  noch  sehen  werden,  wieder  zur  Selbstbedarfs- 
deckung zurück. 

In  den  50er  Jahren  waren  die  Produktionskosten  der  Rohstoffe 
noch  verhältnismäßig  hohe.  Dazu  trug  hauptsächlich  bei  der  kost- 
spielige Transport  derselben  zu  den  Hütten.  Anfänglich  waren  es 
Bauern  der  Umgegend,  die  die  Erze  von  den  Gruben  der  Gesellschaft 
zu  den  Uferstellen  fuhren.  Aber  bald  schafft  sie  sich  eigene  Pferde 
an  und  nimmt  den  Transport  des  Urmaterials  selbst  in  die  Hand. 
Derselbe  bildete  einen  wichtigen  Tätigkeitszweig  der  Gesellschaft. 
Sie  unterhielt  254  eigene  Zugpferde,  47  eigene  Schiffe,  die  den  Eisen- 
stein von  den  verschiedenen  Lagerstellen  an  den  Lahnufern  bis  nach 
Lahnstein  und  Ruhrort  brachten.  Natürlich  wurde  infolge  der  ge- 
trennten Lage  der  Betriebe  die  Fabrikation  nicht  unbedeutend  ver- 
teuert. In  welcher  Weise  die  ungünstigen  Schiffahrtsverhältnisse  auf 
der  Lahn  mitwirkten,  werden  wir  später  sehen. 

Der  bei  der  Schmelzung  der  Erze  erforderliche  Kalkstein  wurde  an- 
fangs von  verschiedenen  Lieferanten  beschafft.  Aber  sehr  bald  wurde 
dieser  Modus  verlassen.  Zur  Vermeidung  der  aus  unvollkommener 
Einhaltung  der  betreffenden  Lieferungsverträge  möglicherweise  ent- 
stehenden Gefahren  und  namentlich  auch  um  Preissteigerungen  ent- 
gegenzutreten, kaufte  die  Gesellschaft  zwei  Kalksteinbrüche.  Der 
Ankaufspreis  derselben  wurde  durch  die  Ausbeute  selbst  amortisiert. 

3.  Das  ganze  Unternehmen  basiert  nun  auf  der 
Verarbeitung  des  Roheisens  in  r\  en  Stahl-  und  Walz- 
werken. Es  verbindet  also  die  Erzeugung  der  Rohstoffe  mit  ihrer 
Veredlung.  Es  bleibt  nicht  bei  der  Förderung  von  Kohle  und  Eisen- 
stein  stehen,   sondern   es   wandelt   dieselben   in    Fabrikate  für  den 


4.  Phönix. 141 

Markt  um.  Für  die  Phönixhütte  brachte  dieses  Programm  gleich 
im  Anfange  große  Vorteile  mit  sich.  Gegen  die  gesteigerten  Pro- 
duktionskosten der  Kohle  in  der  ersten  Zeit  des  Betriebes  wird 
durch  Verbesserung  in  der  Fabrikationsweise  angekämpft,  und  die 
Mehrausgaben  für  Rohstoffe  werden  durch  die  Mehreinnahmen  für  das 
Fabrikat  überkompensiert. 

Der  Schwerpunkt  der  Fabrikation  beruhte  in  der  Herstellung 
von  Eisenbahnschienen.  Dieselben  wurden  aus  dem  in  den  Puddel- 
öfen hergestellten  Schweißeisen  erzeugt.  „Unsere  Gesellschaft", 
schreibt  der  Geschäftsbericht  über  das  Jahr  1856/57,  „hat  sich  einen 
wohlverdienten  Ruf  durch  die  gute  Qualität  ihrer  Schienen  erworben 
und  darf  daher  im  Fortschritt  nicht  stehen  bleiben.  Die  Schienen- 
fabrikation, welche  ihren  Hauptabsatz  fördert,  wird  immer  ihren 
wichtigsten  Industriezweig  bilden."  Damals  schrieb  die  Eisenbahn- 
direktion noch  das  Hämmern  der  Schienen  vor,  ein  heute  voll- 
ständig verlassenes  Verfahren.  Infolgedessen  wird  ein  Teil  der  Luppen- 
pressen durch  Hämmer  ersetzt.  Die  Eisenbahn  zahlte  für  das  Häm- 
mern von  1000  Pfund  Schienen  einen  um  9  Mark  höheren  Preis, 
welcher  ungefähr  die  Mehrkosten  der  Fabrikation  ausmachte.  Die 
Schienen  wurden  in  den  beiden  Etablissements  von  Eschweiler-Aue 
und  in  Ruhrort  hergestellt.  Die  Produktion  belief  sich  im  Jahre 
1854/55  in  Eschweiler-Aue  und  Ruhrort: 

Eschw.-Aue  Ruhrort 

Eisenbahnschienen 18,605,731  U  8,082,096  U 

Bleche 4,800,326  „  — 

Räder 2,371,956  „  — 

Laschen  und  Unterlagsplatten      .  2,265,600  „  — 

Stabeisen 998,916  „  — 

Bandagen 719,393    „  448,599  „ 

Achsen 338,371   „  333,247  „ 

Schmiedeeisen 92,916  ,,  — 


Total     30,198,212  U  8,863,942  U 


d.  h.,    es  wurden    im    ganzen    hergestellt    18  250    Tonnen    fertiges 
Fabrikat. 

Das  waren  die  Verhältnisse,  auf  die  sich  die  Erwartungen  stützten. 
Der  natürliche  Reichtum  an  Eisenerz  und  Kohlen  und  die  Fabrikation 
von  Eisenbahnschienen  und  Eisenbahnoberbaumaterial  bildeten  die 
Grundlage  des  jungen  Unternehmens.  Wenn  man  nun  den  Ge- 
schäftsberichten allein  vertraut,  kann  man  nicht  verstehen,  wie  dieses 


142 4.  Phönix. 

anscheinend  auf  so  sicherer  Grundlage  fundierte  Werk  nach  wenigen 
Jahren  vor  dem  Bankerott  stehen  konnte.  Sieht  man  näher  zu,  so  er- 
kennt man,  daß  bei  der  Gründung  bedeutende  Fehler  gemacht  wurden, 
und  daß  auch  der  ganze  Qründungsvorgang  keineswegs  so  korrekt 
verlaufen  war  wie  das  hätte  sein  müssen.  Die  Börse  hat  für  solche 
Dinge  ein  feines  Verständnis.  Längst  vor  Ausbruch  der  großen 
Handelskrisis  des  Jahres  1857  erlitten  die  Aktien  des  Phönix  be- 
trächtliche Kursrückgänge.  Damals  schrieb  die  älteste  und  ange- 
sehenste Finanzzeitschrift  Deutschlands,  der  Frankfurter  „Aktionär", 
unterm  14.  Oktober  1855  (p.  331)  über  den  Phönix  folgendes:  „Diese 
Gesellschaft  gehört  zu  jenen  pomphaften  Unternehmungen  Pariser 
Spekulation,  die  mit  Millionen  auftretend  in  einem  kühnen  Sprunge 
Erfolge  erstreben,  wozu  seit  jeher  überall  in  der  Welt  nur  arbeitsame 
Ausdauer,  mühevolle  Erfahrung  und  weise  Ökonomie  geführt  haben. 
Auf  dem  Felde  der  Industrie  reifen  die  Früchte  nicht  über  Nacht." 

Welches  waren  nun  die  Ursachen,  die  den  Keim  des  Verfalls 
in  kurzer  Zeit  zu  nähren  imstande  waren?  Aus  der  weiteren  Ent- 
wicklung und  den  ergriffenen  Maßnahmen  ergibt  sich  folgendes: 
In  erster  Linie  bestand  die  Schwierigkeit  darin,  daß  räumlich  weit 
voneinander  getrennte  Betriebe  einheitlich  arbeiten.  Sie  lag  begründet 
in  der  Entstehungsgeschichte  des  Unternehmens. 

Ferner  bestand  ein  eklatantes  Mißverhältnis  zwischen  stehendem 
und  umlaufendem  Kapital.  Das  hatte  seine  Ursachen  in  folgendem: 
Bevor  das  ganze  Aktienkapital  im  Betrage  von  18  Millionen  Mark 
untergebracht  war,  schritt  die  Verwaltung  zu  größeren  Anlagen  unter 
der  Voraussetzung,  die  nicht  untergebrachten  4,8  Millionen  Mark 
würden  sich  leicht  realisieren  lassen.  Das  war  aber  nicht  der  Fall. 
Die  Ausdehnung  und  die  technische  Vervollkommnung  der  Anlagen 
überschritt  daher  bald  das  verfügbare  Kapital.  Schließlich  ergab  sich, 
daß  die  Anlagen  mehr  kosteten,  als  ursprünglich  vorausgesetzt  war. 
Die  Erweiterung  der  Produktionsmittel  galoppierte  gleichsam  über 
das  zur  Disposition  stehende  Kapital  hinaus. 

Um  sich  nun  neue  Betriebsmittel  zu  verschaffen,  versuchte  die 
Gesellschaft  zwei  Wege  einzuschlagen,  ohne  daß  es  ihr  jedoch  ge- 
lungen wäre,  zum  Ziele  zu  gelangen.  Einmal  wollte  sie  an  Stelle  der 
noch  im  Portefeuille  befindlichen  Aktien  Obligationen  emittieren. 
Aber  damals  hingen  derartige  Maßnahmen  noch  von  der  Genehmigung 
der  Landesregierung  ab.  Keine  Gesellschaft  konnte  ihr  Betriebskapital 
aus  freien  Stücken  vergrößern.  Es  war  dies  noch  eine  lebendig  ge- 
bliebene Reminiszenz  an  die  landesväterliche  Politik  der  Vergangen- 


4.  Phönix. 143 

heit.  So  versagte  denn  die  Regierung  ihre  Zustimmung.  Das  einzige 
Mittel,  das  nun  noch  übrig  blieb,  um  zur  al  pari  Ausgabe  der  Aktien 
zu  gelangen,  war,  sie  in  privilegierte  Aktien  umzuwandeln.  Diese 
sollten  60/0  Zinsen  vor  jeder  anderen  Verteilung  einer  Dividende 
aus  dem  Reingewinn  erhalten.  In  der  außerordentlichen  General- 
versammlung vom  11.  Mai  1858  wird  der  Antrag  der  Direktion 
angenommen,  „daß  zur  Verbesserung  der  Finanzlage  der  Gesellschaft 
durch  Vermehrung  des  Betriebsfonds  und  gleichzeitig  zur  Ermög- 
lichung der  Emission  der  16  000  Prioritätsaktien  die  durch  die  Direk- 
tion vorgeschlagene  Zahlungsweise  der  Dividende  durch  Prioritäts- 
aktien al  pari  bis  zur  vollständigen  Emission  dieser  Prioritätsaktien 
als  eine  unumgängliche  Notwendigkeit  erscheine."  In  bezug  auf 
die  bisher  nicht  begebenen  sollten  25  Aktien  der  früheren  Emission, 
ein  Anrecht  auf  eine  privilegierte  Aktie  haben.  Solche  Vorzugs*- 
aktien  sollten  auch  in  den  folgenden  Jahren  ausgegeben  werden 
bis  zur  Vervollständigung  des  statutenmäßigen  Gesellschaftskapitals 
auf  18  Millionen  Mark.  Als  nun  aber  1857  die  Krisis  ausbrach, 
wurde  es  unmöglich,  diese  Aktien  unterzubringen.  Der  Plan,  da- 
durch genügende  Geldmittel  zu  erhalten,  war  also  auch  gescheitert. 
Über  diesen  geldlosen  Zustand  klagt  der  Bericht  vom  11.  Mai  185& 
in  beweglichen  Worten :  „Die  Gesellschaft  Phönix  bietet  auf  der  einea 
Seite  große  metallurgische  Reichtümer,  herrliche  Hüttenanlagen,  eine 
blühende  Industrie  (nur  durch  vorübergehende  Verlegenheiten  etwas^ 
leidend:  gemeint  ist  die  Krisis  von  1857 — 1860),  eine  von  den  Kon- 
sumenten gerühmte  Fabrikationsmethode,  zahlreiche  Aufträge,  welche, 
beinahe  ihre  ganzen  Produktionskräfte  bis  zum  Monat  April  1859 
in  Anspruch  nehmen,  und  einen  regelmäßigen  Gewinn,  den  wir  mit 
Recht  als  gesichert  betrachten  dürfen.  Auf  der  anderen  Seite  finden. 
wir  einen  offenbar  unzulänglichen  Betriebsfond,  die  Notwendigkeit, 
fremden  Kredit  in  einem  Maße  in  Anspruch  zu  nehmen,  welches 
zu  vergrößern  verderblich  wäre,  der  vielmehr  eine  Einschränkung 
dringend  erheischt,  und  endlich  die  Unmöghchkeit,  augenblicklich 
die  einzigen  Wertpapiere  anzubringen,  zu  deren  Ausgabe  wir  befugt 
sind.  Solche  Vorteile,  meine  Herren,  darf  man  nicht  beeinträchtigen,, 
und  solche  Übel  nicht  vergrößern.  Dcsh. 'b  schlagen  wir  Ihnen  aus 
vollster  Überzeugung  vor,  die  zu  verteilende  Dividende  auf  4  0/0 
festzustellen."  In  diesen  Worten  ist  bereits  gesagt,  wie  die  Gesell- 
schaft, die  sich  das  nötige  Betriebskapital  weder  durch  Ausgabe  von 
Obligationen,  noch  durch  Aktien  verschaffen  konnte,  verfuhr:  Sie 
nahm  den  Akzept-  und  Lombardkredit  der  Bankhäuser  im  weitgehend- 


144 4.  Phönix. 

sten  Maße  in  Anspruch.  Bekanntlich  sind  das  aber  sehr  teure  Kredite. 
1857,  als  einem  Werte  von  über  6  Millionen  Mark  an  Vorräten, 
Rohstoffen  und  Fabrikaten  ein  wirklicher  Betriebsfond  von  426  000 
Mark  gegenüberstand,  kosteten  die  Bankkredite  nicht  weniger  als 
360  000  Mark.  Dazu  traten  nun  während  der  Krisis  noch  Verluste. 
Das  Jahr  1856/57  hatte  noch  einen  Gewinn  von  1 471  137  Mark 
gebracht  Die  folgenden  beiden  Jahre  ergaben  keinen  Gewinn  und 
die  Bilanz  von  1859/60  schloß  sogar  mit  einem  Verlust  von  395  091 
Mark.  In  dem  letztgenannten  Jahre  betrugen  die  Generalunkosten 
die  Summe  von  596  286  Mark.  Davon  entfielen  allein  505  500  Mark 
auf  die  Beschaffung  der  Betriebsmittel,  d.  h.  auf  Zinsen  und  Diskont- 
gebühren an  die  verschiedenen  Bankiers.  Es  war  noch  ein  Glück, 
für  das  Unternehmen  zu  nennen,  daß  es  ihm  gelang,  kurz  vor 
Ausbruch  des  italienischen  Krieges  einen  Vertrag  mit  den  Bank- 
häusern, mit  denen  es  in  Geschäftsverbindung  stand,  abzuschließen, 
in  dem  sie  der  Gesellschaft  einen  Kredit  von  3  660  000  Mark  für  6  Jahre 
garantierten.  Aber  auch  diese  Summe  reichte  nicht  aus,  „Um  die 
im  Laufe  des  verflossenen  Jahres",  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht 
von  1859/60,  „fällig  werdenden  Verpflichtungen  erfüllen  zu  können, 
waren  wir  indessen  nicht  nur  genötigt,  den  von  den  Bankiers  uns 
eröffneten  Kredit  zu  erschöpfen,  sondern  mußten  mehrmals  durch 
Eskomptierung  von  Fakturen  uns  die  nötigen  Mittel  für  bestimmte 
Verfallzeiten  sicher  stellen."  Dann  heißt  es  weiter:  „Der  Kredit  bei 
den  Bankiers  ist  erschöpft.  Über  die  aus  den  vorhandenen  Aufträgen 
zu  erzielenden  Geldmittel  mußte  meistens  schon  vor  Beendigung 
der  Lieferung  verfügt  werden."  Damals  versuchte  die  Direktion 
auf  alle  mögliche  Art  und  Weise  aus  der  Klemme  herauszukommen, 
sei  es  durch  Verpfändung  oder  Verkauf  von  Waren,  sei  es  durch  den 
Versuch,  neue  Anleihen  aufzunehmen.  Schließlich  wandte  sie  sich 
durch  Zirkulare  an  ihre  Aktionäre,  um  dieselben  unter  Darlegung 
der  mißlichen  Verhältnisse  des  Unternehmens  aufzufordern,  durch 
Subskription  neu  zu  emittierender  Obligationen  der  Gesellschaft  die 
Mittel  zu  bieten,  ihren  Verpflichtungen  nachkommen  zu  können, 
und  sich  das  nötige  Betriebskapital  zu  verschaffen.  Aber  alle  diese 
Versuche  führten  nicht  zu  dem  gewünschten  Erfolg.  Infolgedessen 
stand  im  Jahre  1860  die  Gesellschaft  vor  dem  finanziellen  Zusammen- 
bruch: Wenn  sie  kein  Geld  mehr  bekam,  mußte  sie  ihre  Zahlungen 
einstellen,  konnte  sie  ihren  Betrieb  nicht  weiter  führen,  und  das 
ganze   Aktienkapital   wäre   verloren   gewesen. 

Inwieweit  durch  eine  fehlerhafte  Organisation  der  Verwaltung 


4.  Phönix. 145 

und  durch  ungeeignete  Persönlichkeiten  in  derselben  die  Schwierig- 
keiten der  Gesellschaft  bedingt,  resp.  vergrößert  wurden,  läßt  sich 
heute  wegen  Mangel  an  Material  leider  nicht  mehr  mit  genügender 
Sicherheit  feststellen.  Jedenfalls  hatte  man  hier  verschiedene  Fehler 
gemacht,  und  auch  darin  zeigt  sich  eine  Übereinstimmung  mit  den 
späteren  Verhältnissen  der  Dortmunder  Union.  So  war  der  Sitz 
und  die  Zentralverwaltung  der  Gesellschaft  weit  ab  von  den  Etablisse- 
ments nach  Köln  gelegt  worden.  Eine  elfköpfige  Direktion  leitete  die 
Geschäfte.  Aber  sie  war  teuer  und  erfüllte  ihre  Zwecke  nicht.  General- 
direktor war  Charles  Detillieux,  ein  Franzose.  Auch  hier  scheint  eine 
zu  starke  Zentralisation  sich  nicht  bewährt  zu  haben,  wenigstens  geht 
das  aus  der  späteren  Reorganisation  hervor,  wo  man  dieses  Prinzip 
fallen  Heß. 

Schließlich  müssen  wir  noch  ein  Moment  erwähnen,  das  den 
Betrieb  der  Hütte  stark  schädigte  und  die  ungünstigen  Ergebnisse 
sicherlich  mit  bestimmt  hat:  nämlich  die  Schwierigkeit  des  Erztrans- 
portes. Vor  Eröffnung  der  Lahnbahn,  d.  h.  vor  1862/63,  war  der 
Transport  der  Eisenerze  zu  den  Hochöfen  wegen  des  niedrigen 
Wasserstandes  der  Lahn  vielfach  derartig  eingeschränkt,  daß  sich 
an  den  Lagerplätzen  große  Erzmassen  anhäuften,  für  die  Hochöfen 
aber  kein  genügendes  Material  an  Ort  und  Stelle  war.  Daher  heißt  es 
im  Geschäftsbericht  von  1858:  „Denn  obgleich  wir  auf  den  Gruben 
und  Uferplätzen  60  000  Tonnen  Eisenstein  vorrätig  haben,  konnten 
wir  uns,  ohne  ein  Steigen  der  Gewässer,  derselben  nicht  bedienen  und 
waren  daher  genötigt  und  sind  es  noch  immer,  von  weit  her  einen  Teil 
des  zum  Betriebe  unserer  Hochöfen  nötigen  Eisensteins  zu  beziehen. 
Außerdem  waren  wir  gezwungen,  die  Hälfte  unserer  Hochöfen  aus- 
zublasen und  den  dadurch  entstandenen  Ausfall  an  Roheisen  zum 
Betriebe  der  Fabrikation  durch  Ankauf  in  Belgien  zu  ersetzen  .  .  ." 
Einen  ähnlichen  Zusammenhang  zwischen  dem  Hochofenbetrieb  und 
der  Flußschiffahrt,  resp.  dem  Wasserstande,  lernten  wir  bereits  bei 
dem  Hattinger  Werk  der  Dortmunder  Union  kennen.  Gewiß  waren 
diese  Verhältnisse  sehr  exzeptionell,  und  sie  wurden  durch  die  Er- 
öffnung der  Lahnbahn  gehoben,  aber  es  war  notwendig,  ihrer  an 
dieser  Stelle  zu  gedenken. 

So  haben  wir  denn,  von  den  letzteren  auf  Naturereignissen  be- 
ruhenden Verhältnissen  abgesehen,  drei  Punkte  kennen  ge- 
lernt, bei  denen  eine  Reorganisation  einsetzen 
mußte:     nämlich    die    räumliche    Trennung   der    Be- 

Stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  10 


146 4.  Phönix. 

triebe,  ferner  die  Beschaffung  von  Betriebsmitteln 
und   schließlich   die   Organisation   der   Verwaltung. 

Es  war  ganz  zweifellos,  daß  der  Konstruktion  des  Unternehmens 
prinzipielle  Fehler  zu  Grunde  lagen,  die  in  den  ersten  Jahren  der 
Tätigkeit  der  Gesellschaft  erst  unberrerkt  und  verschleiert  hervor- 
traten, aber  durch  die  Krisis  in  der  Eisenindustrie  von  1857 — 1860 
gleichsam  erst  herausgearbeitet  wurden.  In  dieser  geschäftsflauen 
Zeit  gingen  die  Aufträge  und  Bestellungen  stark  zurück.  Die  Preise 
der  Eisenfabrikate  sanken.  Die  Selbstkosten  stiegen  in  nicht  un- 
beträchtlichem Maße.  Der  größte  Teil  der  Öfen  feierte.  Auch  die 
Gruben  lagen  still,  denn  der  geförderte  Eisenvorrat  reichte  aus,  die 
Hütte  zu  beschäftigen.  Ein  großer  Teil  der  übernommenen  Schienen- 
heferungen,  die  immer  noch  die  Hauptmasse  der  Produktion  aus- 
machten, bestand  nur  in  Umwälzung  von  altem  Eisen,  wobei  nur 
wenig  eigenes  Roheisen  Verwendung  fand.  Die  Produktion  im  ganzen 
sank  beinahe  auf  die  Hälfte.  Der  einzige  Artikel,  in  dem  im  Ge- 
schäftsjahr 1859/60  eine  nennenswerte  Steigerung  gegen  das  Vor- 
jahr zu  verzeichnen  war,  war  Handelseisen.  Aus  alledem  ergab  sich 
die  Notwendigkeit,  den  Wertbestand  zu  reduzieren,  mit  anderen 
Worten:  es  trat  eine  allgemeine  Entwertung  ein. 

Unter  diesen  Umständen  war  eine  finanzielle  und  administrative 
Reorganisation  unbedingt  erforderlich.  Die  Bankiers  der  Gesellschaft 
arbeiteten  nun  einen  Plan  aus,  der  mit  seinen  Vorschlägen  anknüpft 
an  die  Ursachen,  die  das  Unternehmen  bis  vor  die  Katastrophe  ge- 
bracht hatten.  Wir  hatten  gesehen,  daß  in  der  räumlichen  Trennung 
verschiedener  Betriebe,  resp.  in  ihrer  Fusion  zu  einem  einheitlichen 
Unternehmen  eine  dauernde  Quelle  von  Schwierigkeiten  lag.  Hier 
war  daher  der  Hebel  einzusetzen.  Im  Gegensatz  zur  Dortmunder 
Union  wurde  dieser  Punkt  frühzeitig  richtig  erkannt,  wenngleich 
die  theoretische  Erkenntnis  nicht  durch  praktische  Maßnahmen  unter- 
stützt, ja,  die  Dezentralisation  der  Betriebe  in  allerneuester  Zeit  sogar 
durch  Angliederung  eines  weit  verzweigten  fremden  Unternehmens 
noch   erhöht   worden    ist. 

Es  wurde  daher  von  der  zur  Untersuchung  eingesetzten  Kom- 
mission gefordert:  Verkauf  derjenigen  Etablissements,  welche  die 
Gesellschaft  entbehren  kann.  Auf  diese  Forderung  ist  man  später 
nicht  mehr  zurückgekommen,  aber  die  heutigen  Verhältnisse  des 
Phönix  zeigen,  wie  sehr  man  damit  gesündigt  hat.  Die  heute  be- 
stehende  Unterbilanz  von    Eschweiler-Aue   hängt  damit  zusammen. 

Der  zweite  Punkt  war  die  finanzielle  Reorganisation.  Die  Bankiers 


4^  Phönix^ ^_  147 

hatten  hauptsächlich  von  dieser  ihre  weitere  Kreditgewährung  ab- 
hängig gemacht,  namentUch  David  Hansemann,  der  in  der  Direktion 
der  Gesellschaft  saß.  Das  bisherige  Grundkapital  von  18  Millionen  Mark 
wird  durch  Reduktion  des  Nominalwertes  und  Vernichtung  der  noch 
nicht  begebenen  Aktien  in  ein  solches  von  1,8  Millionen  Mark  um- 
gewandelt. Die  abgestempelten  Aktien  erhalten  den  Buchstaben  B. 
Durch  diese  Herabminderung  der  Passiven  erzielte  die  Gesellschaft 
einen  Bilanzgewinn  von  16,2  Millionen  Mark.  Außerdem  werden 
7,5  Millionen  Mark  neue  Aktien  lit.  A  und  nach  Bedürfnis  1,5  Millionen 
Mark  (die  aber  erst  1873  in  der  Bilanz  erscheinen),  ausgegeben. 
Das  Gesamtkapital  der  Gesellschaft  beträgt  nunmehr  9,3  Millionen 
Mark.  Nachdem  diese  riesenhafte  Division  des  Aktienkapitals  vor- 
genommen war,  konnte  die  Gesellschaft  mit  Recht  von  sich  sagen: 
„Wir  dürfen  wohl  die  Behauptung  aufstellen,  daß  nicht  manche 
Gesellschaft  im  Zollvereine  besteht,  deren  Werke  zu  so  billigem 
Preise  in  den  Büchern  figurieren  und  die  auf  so  solider  Basis  beruht." 
(Geschäftsbericht  von   1862/63.) 

Der  dritte  Punkt  betrifft  die  Reorganisation  der  Verwaltung. 
Zunächst  wird  das  Domizil  der  Gesellschaft  und  ihrer  Zentralver- 
waltung von  Köln  nach  Laar  verlegt.  An  Stelle  der  elfgliedrigen 
Direktion  tritt  eine  dreigliedrige.  Sie  untersteht  der  Kontrolle  des 
Administrationsrates.  Dieser  wurde  erst  in  der  außerordentlichen 
Generalversammlung  im  Jahre  1859  zum  Schutze  der  Aktionäre  ein- 
gesetzt. Ein  neuer  Generaldirektor  tritt  an  die  Spitze  des  Betriebes. 
Die  Rechte  der  Aktionäre  werden  erweitert.  Nach  dem  alten  Statut 
bestanden  die  Rechte  derselben  eigentlich  nur  darin,  daß  sie  all- 
jährlich Bilanzrevisoren  ernannten  und  die  Bilanz  guthießen.  Nach 
dem  neuen  Statut  sind  die  Aktionäre  befugt,  in  der  Generalversamm- 
lung vermittelst  der  Wahl  der  Mitglieder  des  Administrationsrates 
permanente  Kontrolleure  zu  ernennen  (Artikel  19),  ja,  eine  integrale 
Neuwahl  vorzunehmen,  wenn  etwa  sich  herausstellte,  daß  durch 
die  Majorität  der  gewählten  Mitglieder  das  Vertrauen  der  Aktionäre 
nicht  gerechtfertigt  würde.  Das  war  der  erste  Schritt  der  Annähe- 
rung an  das  moderne  Aufsichtsratwesen. 

Die  neuen  Statuten  erlangten  am  18.  November  1860  die  landes- 
herrliche Genehmigung.  Damit  schließt  der  erste  Akt  in  der  Ge- 
schichte des  Phönix. 

Resümieren  wir  noch  einmal  die  wesentlichen  Punkte,  so  ergibt 
sich  folgendes :  Die  Aktiengesellschaft  Phönix  ist  das 
Produkt     der     Verschmelzung     verschiedener     Et£- 

10* 


148 4.  Phönix. 

bliss  emen  ts ,    die     räumlich     getrennt,    von     einem 
Punkte,    nämlich    ursprünglich    von    Köln    aus,   ver- 
waltet wurden.     Das  Unternehmen  beruhte  auf  dem 
Reichtum  eigener  Eisen-  und  Kohlengruben  und  auf 
der  Verarbeitung  des  in  eigenen  Hochöfen  gewon- 
nenen    Roheisens     zu    handelsfertiger    Ware.      Der 
Schwerpunkt  der  Fabrikation  lag  in  der  Herstellung 
von  Schienen.    Gestützt  auf  diese  Unterlagen  nahm 
das  junge  Unternehmen  in  den  ersten  Jahren  seines 
Bestehens  einen  stürmischen  Anlauf,  dereine  Größe 
der   Leistung   und   des    Erfolges   erwarten   ließ,   die 
ihm  die  erste  Stelle  unter  den  Eisenwerken  des  Zoll- 
vereins   hätte    zuerteilen   können.     Allein    noch   vor 
Ausbruch   der    Krisis    des    Jahres    1857   zeigte   sich, 
daß  die  Weiterentwicklung  an  Schwierigkeiten  an- 
stieß, die  dem  Unternehmen  lebensgefährlich  wer- 
den sollten.    Zunächst  war  es  die  weite  Entfernung 
der  einzelnen  Betriebe  voneinander,  welche  die  Lei- 
tung  und   die    Produktion    erschwerte.    Weiter   kam 
ein  finanzielles  Moment  von  größter  Tragweite  in 
Betracht.     Die    Gesellschaft    hatte   ihre   Aktien   nur 
teilweise  untergebracht.     Als  sie  nun  ihre  Produk- 
tionsmittel vergrößerte   —  die  ersten   Jahre  waren 
hauptsächlich  Baujahre  —  da  entstand  ein  Mißver- 
hältnis zwischen  umlaufendem  und  stehendem   Be- 
triebskapital.   Um  dies  zu  beseitigen,  versuchte  die 
Verwaltung     neue  Aktien  und  Obligationen  auszu- 
geben.   Aber  das  gelang  nicht  aus  Gründen,  die  wir 
kennen  lernten.     Darauf  versuchte  sie,  die  noch  in 
ihrem  Portefeuille  befindlichen  4,8  Millionen  Mark 
durch   Umwandlung   in    Prioritätsaktien  verlocken- 
der   zu    machen.      Jedoch    die    ausbrechende    Krisis 
legte       diesen      Modus       der      Kapitalbeschaffung 
brach.     Da  alle    diese    Mittel    versagten,    blieb    nur 
noch    die    Möglichkeit,    teure    Bankkredite    in     An- 
spruch    zu     nehmen.      Diese     verschlangen     riesige 
Summen.   Der  Phönix  wurde  ein  zinsenfressendes  Un- 
ternehmen.   Jahrelang   wurde   nur  für  die    Bankiers 
gearbeitet.  Schließlich  zogen  auch  diese  ihrem  Kre- 
dit eine   Grenze  und  knüpften  weitere   Kapitalvor- 


4.  Phönix. 149 

Schüsse  an  eine  fundamentale  Reorganisation  der 
Gesellschaft.  Die  Sanierung  war  daher  ein  Gebot 
der  Notwendigkeit,  denn  schließlich  kann  auch  das 
größte  Unternehmen  seine  Kontore  schließen,  wenn 
es  keinen  Kredit  mehr  erhält.  In  diesem  Augenblick 
ruhte  die  Existenz  des  Phönix  auf  des  Messers 
Schneide.  Sie  trieb  im  Schnelltempo  einer  Kata- 
strophe zu.  Ein  rascher  Eingriff  war  unvermeidlich. 
Was  nun  folgte,  war  so  radikal  gedacht,  daß  wohl 
kaum  eine  Gesellschaft  in  Deutschland  existieren 
dürfte,  deren  Aktien  mit  einem  Schlage  im  Nominal- 
wert so  heruntergesetzt  wurden,  wie  die  des  Phönix. 
Das  bisherige  Grundkapital  von  18  Millionen  Mark 
wurde  in  ein  solches  von  1,8  Millionen  verwandelt, 
d.  h.  die  Aktien  wurden  zusammengelegt  im  Verhält- 
nis von  10:1.  16,2  Millionen  Mark  verschwanden  in 
den  Büchern  der  Gesellschaft.  Außerdem  wurden, 
wie  wir  sahen,  7,5  Millionen  neuer  Aktien  lit.  A  aus- 
gegeben. An  diese  finanzielle  Reorganisation,  die 
durchaus  im  Mittelpunkt  steht,  schloß  sich  eine  Än- 
derung in  der  Organisation  der  Verwaltung.  Sie 
wird  dezentralisiert.  Ihr  Sitz  ist  nicht  mehr  Köln, 
sondern  Laar.  Die  Rechte  der  Aktionäre  werden  er- 
weitert. 

Das  sind  die  Grundzüge  der  im  Vorhergehenden 
dargestellten   ersten    Entwicklung  des    Phönix. 


Nach  der  Reorganisation  im  Jahre  1860  trat  das  Unternehmen 
in  eine  Periode  ein,  die,  da  die  allgemeinen  Verhältnisse  der  Eisen- 
industrie nicht  ungünstig  waren,  auf  der  Grundlage  sehr  niedriger 
Buchziffern  finanziell  günstige  Resultate  zeitigen  mußte.  Weil  die 
einzelnen  Konten  stark  heruntergeschrieben  waren,  wird  aus  den 
Gewinnen  nichts  dem  Reservefond  zugeführt,  und  dieses  Prinzip  bei- 
behalten, solange  derselbe  nicht  unter  744  693  Mark  herabsank.  Die 
finanziellen  Resultate  waren  folgende: 

,  ,  „  .         .  Dividenden 

Jahr  Reingewinne  jj^    ^  ^.^   g 

1860/61  254,016  M.  6%  — 

1861/2  596,001  „  7%  2,78^ 

1862/3  674,772  „  7^/^%  4%% 

1863/4  814,062  „  8^^%  6,94$ 


150 

4.  Phönix. 

Dividenden 

Jahr 

Reingewinne 

lit.  A 

lit.  B 

1864/5 

1,021,347  M. 

10^ 

11V9$ 

1865/6 

1,098,354    „ 

loVa^ 

12V3$ 

1866/7 

1,169,481    „ 

m 

13V5$ 

1867/8 

1,641,255    „ 

15$ 

25$ 

1868/9 

1,910,952    „ 

n% 

30%$ 

1869/70 

1,770,663    „ 

16$ 

2779$ 

1870/1 

1,257,552    „ 

12$ 

1673$ 

1871/2 

1,653,657    „ 

15$ 

25$ 

1872/3 

1,969,574    „ 

15$ 

30$ 

1873/4 

1,086,528    „ 

8$ 

673$ 

Aus  dieser  Tabelle  ergibt  sich,  daß  der  Gesellschaft  steigende 
Reingewinne  erwuchsen,  und  daß  im  Jahre  1868/69  die  Dividende 
ihren  Kulminationspunkt  mit  30^9 ''/o  für  die  Aktien  lit.  B  und  17  o/o 
für  die  Aktien  lit.  A  erreichte,  ein  Resultat,  dem  nur  das  Gründerjahr 
1872/73  nahe  kam. 

Um  einen  Überblick  zu  erhalten,  betrachten  wir  nun  das  Cha- 
rakteristische dieser  von  guten  Geschäftsgewinnen  erfüllten  Periode 
auf  drei  Gebieten: 

1.  auf  dem  Gebiete  der  Rohstoffversorgung, 

2.  auf  dem  Gebiete  der  Produktion, 

3.  auf  dem  Gebiete  der  gemeinnützigen  Tätigkeit. 

In  den  60er  Jahren  vollzieht  sich  eine  Änderung  in  der  öko- 
nomischen Lage  der  Kohlenzechen.  Die  Gesellschaft  beginnt  an 
denselben  zu  laborieren.  Die  Zeche  Graf  Beust  erforderte  wiederholt 
Zubuße.  Schließlich  verkauft  die  Gesellschaft  im  Jahre  1864  die 
Nutzungs-  und  Administrationsrechte,  welche  ihr  noch  bis  zum  Jahre 
1884  zustanden,  für  die  Summe  von  780  000  Mark  an  Friedrich 
Grillo,  resp.  an  die  Firma  Krupp. 

In  bezug  auf  den  Transport  der  Erze  treffen  wir  jetzt  günstigere 
Verhältnisse  als  früher.  Im  Geschäftsjahr  1862/63  wurde  der  Betrieb 
der  Lahnbahn  eröffnet.  Dieselbe  gestattete  eine  verhältnismäßig 
billige  und  regelmäßige  Anfuhr  an  den  Rhein.  Jedoch  werden  die 
Lahnschiffe  beibehalten,  damit  der  Transport  nicht  allein  von  der 
Eisenbahn  abhängig  sei.  An  Erzen  wurden  von  den  in  der  Gegend 
der  Lahn  belegenen  Gruben  befördert: 


1862/3 

1863/4 

auf  der  Lahnbahn 

34,420,000  U 

71,989,000  U 

per  Schiff 

76,750,000    „ 

27,402,200    „ 

Welche  Bedeutung  diese  Bahn  für  das  Hüttenwerk  hatte,  erkennt 


4.  Phönix. 151 

man   aus   den   Zahlen   des   Jahres    1863/64,   wo  die   Lahn   nur  fünf 
Monate  fahrbar  war. 

Was  die  Produktion  anbelangt,  so  liegt  zwar  in  den  60er  Jahren 
der  Schwerpunkt  noch  in  der  Schienenfabrikation,  aber  sie  nimmt 
bereits  leise  ab.  Hingegen  nimmt  die  Herstellung  von  Handelseisen 
gewaltig  zu.  Der  Sitz  dieser  Fabrikation  wird  Eschweiler-Aue.  Von 
18,8  Millionen  Pfund  fertigen  Fabrikates  entfallen  bereits  1861/62 
10,1  Million  auf  Handels-  und  profiliertes  Eisen.  In  Ruhrort  wird 
1862/63  die  Fabrikation  von  Feinkorn-Puddelstahl  und  zementierten 
Schienen  neu  aufgenommen  und  die  Fabrikation  von  Stabeisen  durch 
Errichtung  einer  Walzenstraße  für  Feineisen  bedeutend  erhöht.  In 
Eschweiler-Aue  hingegen  wird  die  Herstellung  von  Scheibenrädern 
mit  angeschweißten  Unterringen  und  von  ganz  schmiedeeisernen 
Rädern  in  verschiedener  Form  eingeführt.  Außerdem  wird  in 
Eschweiler-Aue  eine  Fabrik  feuerfester  Steine  errichtet.  Die  Lage 
dieses  Werkes  hat  sich  in  dieser  Periode  von  Grund  auf  geändert. 
1870/71  hatte  man  in  Laar  mit  dem  Bau  eines  großen  Stahlwerkes 
begonnen.  Durch  die  Einführung  des  Bessemerverfahrens  wird  ein 
Prozeß  der  Konzentration  der  Hauptbetriebszweige  in  Ruhrort  ein- 
geleitet. Während  anfangs  die  Hütte  in  Eschweiler-Aue  hauptsächlich 
Eisenluppen  und  Schweißeisenfertigfabrikate,  also  Handelseisen, 
Eisenbleche,  Räder,  Achsen,  Radreifen  und  vor  allem  Eisenbahn- 
schienen hergestellt  hatte,  wird  durch  den  Bessemerprozeß  die  Auf- 
gabe der  Hütte  verschoben,  indem  ihre  Hauptbetriebszweige  Schienen, 
Achsen  und  Radreifenfabrikation  nach  Ruhrort  verlegt  werden.  So 
blieb  für  die  Hütte  in  Eschweiler-Aue  lediglich  die  Erzeugung  von 
Schweißeisen,  dessen  historisches  Schicksal  heute  ja  besiegelt  ist. 
Wir  sehen  also  in  dieser  Periode  bereits  die  ersten  Folgen  einer 
gewaltigen  Verschiebung:  Der  Schwerpunkt  des  Phönix  rückt  von 
Eschweiler-Aue  nach  Ruhrort.  Damit  werden  gleichsam  die  Vor- 
aussetzungen geboren,  um  diesem  Betriebe  eine  sekundäre,  neben- 
sächliche, ja  notleidende  Stellung  innerhalb  des  Gesamtuntemehmens 
zu  schaffen.  Er  unterliegt  demselben  historischen  Schicksal,  wie  die 
Nebenwerke  der  Dortmunder  Union. 

Die  Produktion  in  den  60er  und  zu  Beginn  der  70er  Jahre  wird 
stimuliert  durch  eine  Reihe  von  Neubauten.  Es  werden  z.  B.  neue 
Koksöfen  errichtet,  drei  große  Dampfhämmer  aufgestellt,  die  Puddel- 
öfen ausgebaut  etc.  Das  Geld  zu  diesen  Neubauten  wird  größtenteils 
aus  den  Überschüssen  des  Betriebes  genommen.  Überhaupt  zeigt 
sich  eine  vorsichtige  Finanzpolitik :    Niedrige  Bewertung  der  Aktiven, 


152 4.  Phönix. 

hohe  Abschreibungen.  Natürlich  war  es  bei  einem  so  bilHg  zu  Buche 
stehenden  Unternehmen  nicht  schwer,  ohne  neu  aufzunehmendes  Ka- 
pital den  Betrieb  zu  erweitern.  Diese  Expansion  erreicht  aber  ihren 
Höhepunkt  erst  in  der  Gründerperiode.  Wie  die  Verhältnisse  damals 
lagen,  war  die  rechtzeitige  Fertigstellung,  namentlich  des  Stahlwerkes, 
zu  dessen  Bau  IV2  Millionen  Mark  neuer  Aktien  lit.  A  emittiert 
werden  mußten,  nicht  möglich  gewesen.  So  wurde  das  Unternehmen 
durch  die  gewaltige  Ausdehnung  seiner  Anlagen  auf  ein  Produk- 
tionsmaß zugeschnitten,  das  seine  Berechtigung  nur  bei  Fortdauer 
der  Hochkonjunktur  haben  konnte.  Die  Vermehrung  der  Produktions- 
mittel war  daher  für  die  kommende  Krisis  ein  die  bisherige  Pros- 
perität unterminierendes  Element.  Von  einigen  Aktionären  wurde  das 
richtig  erkannt.  In  der  Generalversammlung  von  1873  stellten  sie 
eine  Reihe  von  Anträgen.  Darunter  befand  sich  einer,  welcher  fordert, 
daß  die  Bilanz  in  ihren  Hauptpositionen  nach  einzelnen  Geschäfts- 
zweigen dargestellt  und  außerdem  der  Nachweis  der  Substanzver- 
mehrung seit  der  Rekonstruktion  erbracht  werde.  Allein  dieser  Vor- 
stoß wurde  durch  die  Hauptaktionäre  und  die  Verwaltung  kontre- 
kariert  mit  Artikel  33  der  Statuten,  in  welchem  es  heißt :  „Die  General- 
versammlung hat  zuvörderst  darüber  zu  beschließen,  ob  die  An- 
träge in  Erwägung  gezogen  werden  sollen."  Die  Generalversammlung 
beschloß  demgemäß,  daß  sie  nicht  in  Erwägung  gezogen  werden 
sollten,  und  so  blieb  alles  beim  alten. 

Aus  dieser  Periode  von  1860 — 1873  haben  wir  aber  noch  der 
Schöpfung  von  Einrichtungen  zu  gedenken,  bei  denen  der  Sozial- 
politiker gern  verweilt,  zumal  ihm  dazu  bei  den  großen  Aktiengesell- 
schaften nicht  viel  Gelegenheit  geboten  wird:  den  Wohlfahrtseinrich- 
tungen. Da  ich  mich  bei  der  Ilseder  Hütte  über  dieses  Gebiet 
ausführlich  verbreitet  habe,  wird  es  genügen,  hier  nur  auf 
einiges  hinzuweisen,  zumal  der  Geist  auch  bei  dieser  Gesellschaft 
derselbe  ist,  wie  bei  denjenigen,  die  wir  schon  kennen  gelernt  haben. 
In  dem  genannten  Zeitraum  beginnt  die  Phönix-Gesellschaft  Geld 
auszugeben  für  gemeinnützige  Zwecke,  für  Hospitäler,  Kirchen 
und  Schulen,  Beamte  und  Arbeiter.  Es  handelt  sich  hauptsächlich 
um  Beisteuern  zu  dem  Bau  eines  Krankenhauses,  veranlaßt  durch 
das  Auftreten  der  Cholera  um  die  Mitte  der  60er  Jahre,  „die  auf 
unseren  Werken  und  besonders  in  Laar  viele  und  gute  Arbeiter  hin- 
wegraffte"; ferner  um  die  Zuschüsse  zu  dem  Bau  eines  evangelischen 
Schulhauses  in  Hinsbeck  bei  Kupferdreh;  um  eine  Invalidenstiftung, 
um   Unterstützung  der  durch  den   Krieg  und  die  Cholera  hart  be- 


4.  Phönix. 15^ 

troffenen  Familien  und  um  Gratifikationen  für  Beamte.  Auch  diese 
Geldopfer  dürften  teilweise  zur  Förderung  der  Erwerbszwecke  des 
Unternehmens  beigetragen  haben.  Wenigstens  spricht  sich  ein  spä- 
terer Geschäftsbericht  in  etwas  unvorsichtiger  Weise  folgendermaßen 
aus:  „Femer  haben  wir  der  Direktion  1000  Taler  für  gemeinnützige, 
im  Interesse  des  Geschäftes  liegende  Zwecke  zur  Verfügung  gestellt." 
(Geschäftsbericht  von  1873/74). 

Resume :  Nach  der  Reorganisation  arbeitet  die  Ge-^ 
Seilschaft  mit  gutem  Erfolge,  Die  allgemein  gün- 
stige Situation  der  Eisenindustrie  und  die  gute  Fi- 
nanzlage des  Unternehmens  nach  der  Sanierung  er- 
möglicheneinenerheblichenUnternehmerprofit.  In- 
zwischen vollziehen  sich  bedeutende  Änderungen: 
Die  Kohlenzechen  des  Phönix  werden  notleidend. 
Der  Schwerpunkt  der  Schienenproduktion  wird  nach 
Laar  verlegt.  Letzteres  hängtzusammen  mitder  Einfüh- 
rung des  Bessemerverfahrens.  Das  Werk  in  Esch- 
weiler-Aue. das  anfangs  hauptsächlich  Eisenluppen 
und  Schweißeisenfertigfabrikate  herstellte,  ver- 
liert zugunsten  des  Ruhrorter  Werkes  nicht  nur 
seine  ursprüngliche  Produktion,  sondern  es  rückte 
\Nas  seine  Bedeutung  für  die  Fabrikation  anbelangt, 
in  den  Hintergrund.  Diese  Periode,  die  mit  der 
großen  Krisis  der  70er  Jahre  ihren  Abschluß  fin- 
det, v\ar  ferner  durchzogen  von  einigen  sozialpoli- 
tischen Gedanken  und  Maßnahmen,  die  wir  kurz  be- 
rührten. 


Die  Krisis  von  1873 — 79,  die  auf  diese  dreizehn  Jahre  befrie- 
digender Arbeit  folgte,  wurde  bei  dem  Phönix  durch  folgende 
Momente  vorbereitet: 

1870/71  war  in  Laar  der  Bau  eines  großen  Stahlwerkes  in  An- 
griff genommen  worden.  Um  die  nötigen  Mittel  hierfür  zu  haben^ 
wurden,  wie  schon  angedeutet,  1872  1,5  Millionen  Mark  Aktien  lit.  A 
neu  emittiert.  Aber  die  Lieferanten  blieben  mit  der  Lieferung  des 
Materials  im  Rückstand.  Der  Bau  verzögerte  sich.  Die  Bessemer- 
anlage kam  erst  im  Juli  1873,  der  erste  Martinofen  erst  im  November 
dieses  Jahres,  das  Walzwerk  erst  im  Mai  1874  in  Betrieb.  Mit  dieser 
stark  erweiterten  Produktion  trat  der  Phönix  in  die  Krisis  ein. 

Ich  habe  schon  angedeutet,  daß  die  Gründerperiode  nicht  jenen 


154 4.  Phönix. 

extremen  Einfluß  auf  die  Produktions-  und  Gewinnziffern  des  Werkes 
äußerte,  wie  dies  bei  anderen  Unternehmungen  damals  der  Fall  war. 
Die  Gewinne  erreichten  in  den  beiden  Jahren  nach  dem  deutsch- 
französischen Kriege  nicht  einmal  mehr  die  Zahlen  von  1868 — 1870. 
Das  hatte  seinen  Grund  teilweise  darin,  daß  die  Hausse  nicht  so- 
gleich Einfluß  auf  die  Steigerung  der  Betriebsergebnisse  gewann. 
Die  Gesellschaft  konnte  aus  der  Hochkonjunktur  und  der  kolossalen 
Preissteigerung  nicht  den  entsprechenden  Vorteil  ziehen,  da  sie  erst 
ziemlich  bedeutende,  zu  billigerem  Preise  abgeschlossene  Geschäfte 
abwickeln  mußte.  Die  langen  Geschäftsabschlüsse  hinderten  sie  an 
der  Konjunkturausnutzung.  So  hatte  das  Werk  im  ersten  Semester  des 
Jahres  1871/72  namentlich  in  Schienen  nur  Aufträge  auszuführen, 
welche  noch  größtenteils  während  des  Krieges  zu  niedrigen  Preisen 
übernommen  worden  waren.  Der  ausgedehnte  Betrieb  eines  so 
großen  Werkes  wie  des  Phönix  bedingt  die  Notwendigkeit,  Liefe- 
rungsgeschäfte für  längere  Zeit  im  voraus  abzuschließen.  Die  Ein- 
wirkung einer  Preissteigerung  macht  sich  aus  diesem  Grunde  erst  all- 
mählich, in  der  Hauptsache  erst  nach  Ablauf  von  6  Monaten  geltend. 
Wir  können  daher  auch  bei  fast  allen  Aktiengesellschaften  der  Eisen- 
industrie beobachten,  daß  der  Großbetrieb  die  Tendenz  hat,  die  Preis- 
verhältnisse auf  eine  längere  Durchschnittsperiode  zu  übertragen. 
Infolgedessen  ragen  die  höheren  Preise  der  Hausse  in  die  Perioden 
der  Baisse,  und  die  niedrigeren  Preise  der  letzteren  noch  wie  große 
Schlagschatten  in  die  Perioden  der  Hochkonjunktur  hinein.  So  birgt 
der  Großbetrieb  in  sich  ein  den  schroffen  Wechsel  der  Konjunktur 
zügelndes  Element.  Diese  Darlegungen  erklären  es  auch,  warum 
bereits  nach  Ausbruch  der  Krisis  der  Phönix  für  das  Geschäfts- 
jahr 1873/74  einen  nicht  unbedeutenden  Reingewinn  erzielte,  der 
eine  Dividende  von  8  und  öVs^/o  zu  verteilen  ermöglichte. 

Das  bedenklichste  Moment  aber  lag  darin,  daß  sich  vor  Aus- 
bruch der  Krisis  die  Magazinbestände  zu  einer  ungeheuren  Höhe  an- 
sammelten. Sie  beliefen  sich  im  Jahre  1871/72  auf  3,6  Millionen, 
1872/73  auf  8  Millionen  Mark.  Diese  riesige  Zunahme  hatte  ihren  Grund 
hauptsächlich  in  den  für  das  Stahlwerk  angekauften  Erzen,  die  aus 
Afrika  und  anderen  überseeischen  Ländern  bezogen  waren.  Diese 
Massen  konnten,  weil  sich  die  Inbetriebsetzung  des  Stahlwerkes, 
wie  wir  gesehen,  so  lange  hinausschob,  nicht  verarbeitet  werden. 
Sie  repräsentierten  ein  zinsenfressendes  Kapital.  Ebenso  waren  auch 
die  Eisensteinvorräte  zu  Kupferdreh  und  auf  den  Gruben  stark  an- 
gewachsen, weil  die  Fertigstellung  der  bezüglichen  Hochöfen  eine 


4.  Phönix. 155 

unverhältnismäßig   lange   Zeit   in    Aaspruch   nahm.     1873/74   hatten 
die  Magazinbestände  eine  Höhe  von  nahezu  9  Millionen  erreicht. 

Infolgedessen  wachsen,  ganz  wie  einst  vor  Ausbruch  der  Krisis 
des  Jahres  1857,  die  Bankschulden  ungeheuer  an.  Si  betragen  nicht 
weniger  als  7V2  Million  Mark.  Ihre  Zunahme  wird  von  der  Direktion 
auf  folgende  Momente  zurückgeführt:  Zunächst  auf  die  Preissteige- 
rung aller  Betriebsmaterialien,  dann  auf  die  Erhöhung  der  Arbeits- 
löhne und  schließlich  auf  die  Errichtung  neuer,  und  die  Vergrößerung 
bestehender  Werke.  Der  Bau  des  Stahlwerkes  absorbierte  allein  die 
bei  der  letzten  Aktienemission  liquid  gewordene  Summe  von  1,5 
Millionen  Mark  und  erforderte  außerdem  noch  ein  Kapital  von  1,8 
Millionen  Mark.  In  dem  Berichte  des  Administrationsrates  in  der 
außerordentlichen  Generalversammlung  vom  30.  Oktober  1873  heißt 
es:  „Eine  Schuldenlast  von  2V2  Millionen  Taler .. .,  die  Anfang  Januar 
künftigen  Jahres  (1874)  infolge  Auszahlung  von  Dividenden  mehr 
als  3V2  Million  Taler  betragen  wird,  kann  als  angemessen  nicht 
gelten."  Deshalb  wird  in  der  erwähnten  Versammlung  die  Erhöhung 
des  Aktienkapitals  beschlossen  und  zwar  um  4,5  Mill.  Mark  Aktien 
lit.  A  und  900  000  Mark  Aktien  lit.  B.  In  der  Bilanz  vom  30.  Juni 
1873  figuriert  noch  das  alte  Kapital  mit  10,8  Millionen  Mark, 
in  der  des  Jahres  1874  bereits  das  neue  mit  16,2  Millionen  Mark. 
Mit  einem  derartig,  nämlich  um  5,4  Millionen  Mark  gestiegenen 
Kapital,  das  nach  Verzinsung  geradezu  lechzt,  tritt  das  Unternehmen 
in  die  Krisis  ein. 

Aus  diesen  Tatsachen  können  wir  auf  rein  deduktivem  Wege 
bereits  jetzt  den  Schluß  ziehen,  daß  die  Krisis  die  Gesellschaft  außer- 
ordentlich in  Mitleidenschaft  ziehen  mußte,  weil  ihre  Grundlagen 
nicht  mehr  genügend  feste  waren. 

Wir  sahen,  um  es  noch  einmal  kurz  zu  wiederholen,  w i e 
sich  am  Vorabend  der  Krisis,  gleich  wie  in  den  50er 
Jahren,  eine  Reihe  von  Schwierigkeiten  aufeinan- 
dertürmen.    Als   solche   lernten   wir  kennen: 

1.  Starkerweiterte  Produktionsmittel,diezu  Hoch- 
konjunkturpreisen hergestellt,  erst  beim  Aus- 
bruch  der    Krisis   betriebsfertig   werden. 

2.  Ungenügende  Ausnutzung  der  alten  Produk- 
tionsmittel infolge  langer  Geschäftsabschlüsse 
zu  niedrigen  Preisen. 

3.  HäufungderMagazinbeständeinZusammenhang 


156 4.  Phönix. 

mit  der  verspäteten  Inbetriebsetzung  des  neu  er- 
bauten Stahlwerkes  und  der  neuen  Hochöfen. 
4.  Hohe  Belastung  der  Gesellschaft  mit  Schulden. 
Infolgedessen  Vermehrung  des  Betriebskapitals- 
um  5,4  Millionen  durch  Beschluß  vom  3  0.  Oktober 
1873. 


Die  rückgängige  Konjunktur  kam  aus  Gründen,  die  wir  bereits 
kennen  lernten,  im  Jahre  1873/74  bei  dem  Phönix  noch  nicht  mit 
voller  Durchschlagskraft  zur  Geltung.  Erst  die  folgenden  Jahre  zer- 
mürbten die  Gesellschaft  in  hohem  Maße.  Wir  würden  die  Dinge 
nun  aber  nicht  richtig  beurteilen,  wollten  wir  der  Krisis  allein  Schuld 
geben.  Sie  wird  vielmehr  verschärft  durch  eine  Reihe  von  Momenten, 
die  ursprünglich  in  keinem  oder  nur  entferntem  Zusammenhange 
mit  ihr  stehen.    Diese  Momente  waren  folgende: 

Mit  dem  1.  August  1874  traten  Tariferhöhungen  auf  den  Eisen- 
bahnen ein.  Die  Eisenbahngesellschaften  hatten  die  Befugnis  er- 
halten, die  Tarife  um  20  o/o  zu  erhöhen.  Davon  machten  Gebrauch 
die  für  den  Phönix  wichtige  Bergisch-Märkische  und  Köln-Mindener 
Eisenbahn.  Da  nun  die  Schlesischen  Bahnen  ihre  Tarife  nur  wenig 
oder  gar  nicht  erhöhten,  klagen  die  Geschäftsberichte  des  Phönix, 
daß  es  den  schlesischen  Hütten  möglich  sei,  den  rheinisch-west- 
fälischen in  Gebieten  Konkurrenz  zu  machen,  die  von  diesen  bisher 
allein  beherrscht  wurden.  Für  das  Ausland  und  den  Transitverkehr 
blieben  indes  die  früheren  Frachtsätze  bestehen. 

Wurde  nun  die  Gesellschaft  durch  diese  neue  Tarifpolitik  der 
Eisenbahnen  nur  benachteiligt,  so  erlitt  sie  direkte  Verluste  auf  andere 
Weise,  nämlich  durch  den  Zusammenbruch  einer  Baugesellschaft 
und  durch  den  Eisenbahnspekulanten  Strousberg.  Die  Gesellschaft 
hatte  ihm  große  Posten  von  Rädern  und  Schienen  geliefert,  die  er 
aber  nur  zum   Teil   bezahlte.    Der   Rest   ging  verloren. 

Schließlich  wurden  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  noch  durch 
Naturereignisse  ungünstig  beeinflußt.  Im  Frühjahr  1876  fanden  große 
Rheinüberschwemmungen  statt.  Infolgedessen  mußte  die  Hütte  zu 
Laar  3  Wochen  außer  Betrieb  gesetzt  werden.  Außerdem  entstand  auf 
der  Zeche  Carolus  Magnus  ein  Brand  des  Schachtturmes.  Den 
Schaden  trug  zwar  die  Versicherungsgesellschaft.  Allein  der  Betrieb 
war  8  Wochen  lang  unterbrochen. 

Das  waren  die  den  zukünftigen  Zustand  des  Unternehmens  ver- 


4.  Phönix. 157 

schärfenden  Ereignisse.  Die  Wirkungen  der  Krisis  selbst  kommen 
nun  in  folgenden  Details  zum  Ausdruck. 

Fünf  Jahre  lang,  von  1874/75  bis  1878/79  wird  eine  Dividende 
nicht  gezahlt.  1875  beträgt  der  Verlust  872  791  Mark.  Er  wird  aus 
dem  Reservefond  gedeckt.  1876/77  beläuft  sich  die  Unterbilanz  auf 
116891  Mark.  Zur  Deckung  derselben  vi^ird  der  Reservefond  von 
27  208  Mark  verwandt  und  der  Rest  des  Verlustes  von  89  682  Mark 
auf  neue  Rechnung  vorgetragen. 

Während  der  Krisis  liegt  das  Schienengeschäft  vollständig  dar- 
nieder. An  Stelle  der  Schienen  tritt  immer  mehr  die  Fabrikation 
von  Handelseisen.  Dazu  kommt  die  immer  weitere  Ausdehnung 
der  Bessemerfabrikate,  die  die  schweißeisernen  Schienen  fast  ganz 
verdrängen.  Zur  Illustration  dieser  Tatsache  seien  folgende  Zahlen 
angeführt.     Die   Produktion  des   Phönix  betrug: 

1874/5  1875/6 

An  eisernen  Schienen  und  Schienenbefestigungen      14,767,560  kg  8,751,181  kg 

„   Stahlschienen  und  Stahlbefestigungsteilen             9,771,058  „  11,414,212    „ 

„    Handels-  und  profiliertem  Eisen                         14,534,263  „  16,034,012    „ 

Infolge  dieser  starken  Produktion  an  Handelseisen,  die  auch 
für  die  anderen  Eisenwerke  Rheinlands  und  Westfalens  typisch  ist, 
■entstand  eine  natürliche  Überproduktion  in  diesen  Artikeln,  die  den 
Preis  stark  drückte. 

Daher  sucht  die  Phönixhütte  durch  Aufnahme  eines  neuen  Pro- 
duktionszweiges der  allgemeinen  Konkurrenz  in  Handelseisen,  wenn 
auch  nicht  zu  entrinnen,  so  doch  ihre  Wirkungen  zu  mildern.  1876 
beginnt  das  Werk  in  Laar  die  Herstellung  von  eisernen  Lang-  und 
Querschwellen.  Die  Nachfrage  nach  diesem  Fabrikat  war  aber  an- 
fangs noch  nicht  so  groß,  daß  es  möglich  gewesen  wäre,  besonders 
gegenüber  der  lothringischen  Konkurrenz  einen  lohnenden  Betrieb 
einzuführen.  Immerhin  betrug  1877/78  die  Produktion  bereits  3V2 
Millionen  Kilogramm. 

Der  Export  wird  im  Gegensatz  zu  anderen  Werken  nur  ganz 
nebenbei  betrieben.  In  dem  Bericht  über  das  Jahr  1878/79  heißt  es: 
„Wir  konnten  uns  nicht  entschließen,  in  großem  Umfange  Geschäfte 
auf  dem  auswärtigen  Markt  zu  suchen,  die  nur  zu  Verlustpreisen 
abzuschließen  waren."  Nähere  Gründe  für  diese  sonst  in  Krisenzeiten 
nicht  übliche  Zurückhaltung  in  bezug  auf  den  Export  werden  außer 
dem  genannten  nicht  angegeben. 

Das  wesentliche  Mittel,  um  sich  während  der  Krisis  über  Wasser 


158 4.  Phönix. 

zu  halten,  war  also  nicht  das  massenhafte  Abstoßen  der  Überproduk- 
tion des  Werkes  auf  den  Weltmarkt.  Es  suchte  vielmehr  im  eigenen 
Betriebe  die  Produktionskosten  möglichst  weit  herunterzusetzen,  um 
dadurch  die  niedrigen  Verkaufspreise  einigermaßen  auszugleichen. 
Man  kann  in  den  Geschäftsberichten  lesen,  daß  das  Werk  niemals 
geglaubt  hätte,  so  billig  produzieren  zu  können.  Auch  hier  ist  die 
Not  die  Lehrmeisterin  der  Menschen. 

Soviel  über  die  Krisis.  Sie  wird  verschärft  durch  die 
Tariferhöhungen  der  Eisenbahnen,  auf  die  der  Phö- 
nix bei  seinen  Bezügen  angewiesen  war,  durch  Lie- 
ferungsverluste und  durch  Betriebsstörungen,  ver- 
anlaßt durch  Überschwemmung  und  Feuersbrunst^ 
Die  Krisis  legt  vor  allen  Dingen  das  Schienenge- 
schäft in  Fesseln.  Die  Produktion  an  Handelseisen 
nimmtdagegenzu.  DurchAufnahmeeinesneuenPro- 
duktionszweiges  —  eiserne  Lang-  und  Querschwel- 
len —  sucht  der  Phönix  der  Konkurrenz  die  Spitze 
zu  bieten.  Der  Export  wird  nur  mäßig  betrieben, 
dabei  aber  die  Produktionskosten  auf  ein  mög- 
lichst niedriges   Maß   heruntergesetzt. 

Die  80er  Jahre  haben,  entsprechend  der  allgemein  ungünstigen 
Lage  der  deutschen  Eisenindustrie,  auch  den  Phönix  mitberührt, 
allein  das  Unternehmen  nicht  sehr  stark  in  Mitleidenschaft  gezogen. 
Mit  dem  Jahre  1888  beginnt  dasselbe  wieder  zu  prosperieren  und 
bis  zum  Ablauf  des  Jahrhunderts  verhältnismäßig  hohe  Reingewinne 
und  gute  Dividenden  abzuwerfen,  um  dann  allerdings  mit  dem  Be- 
ginn des  neuen  Jahrhunderts  in  eine  entgegengesetzte  Entwicklung; 
einzutreten.    Näheres   ergibt  sich  aus  folgender  Tabelle. 

Dividende 


Jahr 

Reingewinn 

Lit  A 

Lit  B 

1880/1 

457,092  M. 

3% 

— 

81/2 

935,610 

it 

6„ 

— 

82/3 

1,177,417 

II 

6„ 

— 

83/4 

535,355 

II 

3V2^ 

— 

84/5 

393,161 

II 

2'kii 

— 

85/6 

396,033 

II 

2%  II 

— 

86/7 

401,784 

II 

2'l2,i 

— 

87/8 

948,180 

II 

Q% 

— 

abgest. 

nicht  abgest. 

älteste 

Aktien 

Lit.  A. 

notl. 

88/9 

1,111,001 

II 

n 

6^ 

H 

1889/90 

1,947,603 

»» 

10  „ 

6„ 

4„ 

4. 

Phönix. 

159 

D 

i  V  i  d  e  n  d  e 

Jahr 

Reingewinn 

abgest. 

nicht  abgest. 

älteste 

Aktien 

Lit  A 

notl. 

90/91 

2,163,737 

M. 

10^ 

6^ 

H 

91/2 

1,922,800 

10  „ 

6„ 

4„ 

92/3 

1,417,843 

8„ 

6,. 

2., 

93/4 

2,041,887 

10  „ 

6„ 

4„ 

94/5 

1,772,816 

10  „ 

6„ 

4„ 

95/6 

1,755,316 

10  „ 

6„ 

4„ 

96/7 

2,833,059 

13  „ 

8V2^ 

^%% 

Einheitliches  Alttienkapital 

97/8 

3,370,304 

11^ 

98/9 

3,549,034 

11.. 

1899/1900 

5,079,361 

15., 

1900/01 

1,319,135 

4„ 

01/02 

604,056 

— 

02/03 

3,540,561 

8„ 

In  der  folgenden  Geschichte,  deren  Abglanz  die  in  diesen  Zahlen- 
reihen zum  Ausdruck  kommenden  Rentabilitätsverhältnisse  sind,  liegt 
der  Akzent  der  Entwicklung  des  Unternehmens  auf  drei  Gebieten: 

Lauf  dem    Gebiete    der   Rohstoffversorgung, 

2.  auf  dem  Gebiete  der  Produktion  und  der  tech- 
nischen Ausgestaltung  des  Betriebes, 

3.  auf  dem  Gebiete  des  durch  die  Fusion  mit  der 
Westfälischen  Union  in  andere  Bahnen  gelenk- 
ten Absatzes. 

Was  die  Rohstoffversorgung  anbelangt,  so  hat  sich  die  Ge- 
sellschaft sowohl  in  bezug  auf  Kohlen  als  auch  in  bezug  auf  Eisen- 
erz von  dem  Gedanken  leiten  lassen,  den  Bedarf  ihrer  Werke  an 
diesen  wichtigen  Rohstoffen  aus  eigenen  Gruben  zu  decken.  Die 
Verwirklichung  dieses  Gedankens  hat  bei  der  Kohle  längere  Zeit 
geruht.  Bei  den  Eisenerzen  ist  er  nur  in  sehr  geringem  Maße  durch- 
führbar gewesen. 

Wir  behandeln  zunächst  die  Geschichte  der  Deckung  des  Kohlen- 
bedarfes, die  sich  in  scharfen  und  klaren  Umrissen  aus  den  Geschäfts- 
berichten erkennen  läßt.  Die  Gesellschaft  hatte,  wie  früher  erwähnt, 
ursprünglich  drei  Kohlenzechen,  von  denen  die  eine,  Rhein-Elbe, 
1856  verkauft  wurde.  Eine  zweite,  die  Zeche  Graf  Beust,  erforderte 
wiederholt  Zubuße  und  wurde  1864  ebenfalls  veräußert.  Die  dritte 
Zeche,  Carolus  Magnus,  hatte  einen  sehr  ungünstig  in  einer  Ecke  der 
Konzession  gelegenen  Schacht  und  ergab  ebenfalls  schlechte  Resul- 
tate, so   daß  auch  hier  lange  Zeit  Zubußen  nötig  waren.    1867/68 


160 4.  Phönix. 

ergab  sie  zum  ersten  Male  wieder  einen  Gewinn.  Der  dreißig- 
jährige Pachtvertrag  Uef  mit  dem  Jahre  1883  ab.  Damit  tritt  die 
Gesellschaft  aus  der  Verwaltung  dieser  Zeche  und  dem  Genüsse  der 
gepachteten  Kuxe  aus.  Nunmehr  besaß  sie  keine  eigenen  Kohlen- 
gruben mehr  und  mußte  sich  alles  für  den  Betrieb  erforderliche 
Kohlenmaterial  kaufen.  Damit  beginnt  eine  neue  Periode.  In  diese 
Zeit  der  ausschließlichen  Abhängigkeit  vom  Kohlenmarkt  fallen  viele 
Klagen  von  selten  des  Unternehmens.  Als  namentlich  am  Ende  der 
•80er  Jahre  die  Kohlenpreise  infolge  des  Streiks  der  westfälischen 
Kohlenarbeiter  stark  in  die  Höhe  gingen,  nahmen  die  Klagen  über 
die  hohen  Preise  gar  kein  Ende.  Dies  dürfte  auch  der  Hauptgrund 
gewesen  sein,  warum  der  Phönix  wieder  zur  Selbstbedarfsdeckung 
zurückkehrt.  1896  erwirbt  er  die  Aktien  der  Meidericher  Steinkohlen- 
bergwerke. Der  Ankaufspreis  betrug  nahezu  6  Millionen  Mark.  Zu 
diesem  Zwecke  wird  das  Aktienkapital  des  Phönix  um  4  050  000  Mark 
erhöht.  Die  jungen  Aktien  wurden  von  einem  Konsortium  zum 
Preise  von  151  o/o  übernommen.  Von  den  Meidericher  Werken  ist 
am  wichtigsten  für  die  Befriedigung  des  Kohlenbedarfes  die  Zeche 
Westende  mit  12  Millionen  qm  Gerechtsame  in  nächster  Nähe  des 
Laarer  Hüttenwerkes.  Sie  fördert  aus  zwei,  mit  allen  maschinellen 
Einrichtungen  versehenen  Schächten  arbeitstäglich  ca.  1500  Tonnen 
Kohlen.  Angestrebt,  und  nach  Errichtung  der  geplanten  horizontalen 
Förderanlagen  jedenfalls  auch  erreicht,  wird  eine  Förderung  von 
2000  Tonnen.  „Wir  dürfen",  sagt  die  Verwaltung,  „mit  gutem 
Grunde  erwarten,  daß  die  Leistung  pro  Mann  und  Schicht  sich  in 
Zukunft  durchschnittlich  auf  1  Tonne  belaufen  wird."  1902/03  be- 
trug die  Förderung  480  004  Tonnen  Kohle.  In  dem  Geschäftsbericht 
dieses  Jahres  heißt  es  über  die  Vorteile,  die  der  Gesellschaft  aus  dem 
Besitz  der  Zeche  erwachsen:  „Ferner  ist  die  Verwendung  möglichst 
großer  Mengen  Kohlen  unserer  eigenen  Zeche  Westende  bei  Meide- 
rich von  der  größten  Wichtigkeit  für  uns,  um  einerseits  Fracht  zu 
sparen,  andererseits  die  weit  teureren  Flammkohlen  entbehren  zu 
können  und  endlich  auch  die  Verkaufsprovision  des  Kohlensyndikats 
zu  vermeiden.  Wir  brauchen  jetzt  64— 65  o/o  der  eigenen  Förderung 
gegen  35 — 40 o/o  im  vorigen  Jahre."  Zu  dieser  Zeche  gehört  eine 
Koksofenbatterie  von  60  Öfen,  die  arbeitstäglich  200  Tonnen  Koks 
produziert.  Im  letzten  Jahre  betrug  die  Leistung  nur  55  797  Tonnen 
Koks.  Das  genügt  selbstverständlich  für  die  Versorgung  der  4  im 
Betriebe  befindlichen  Hochöfen  nicht  und  deshalb  müssen  nicht  un- 
bedeutende  Mengen    Koks   zugekauft   werden. 


4.  Phönix. 161 

Es  ist  leider  nicht  möglich,  über  die  Maßnahmen  des  Werkes  in 
bezug  auf  die  Eisenerzversorgung  ein  gleich  klares,  wirtschaft- 
liches Bild  zu  entwerfen  wie  über  die  Beschaffung  der  Kohlen,  da  die 
Geschäftsberichte  nicht  den  nötigen   Anhalt  geben. 

Wir  sahen  bereits,  daß  die  Gesellschaft  ursprünglich  3  große 
Grubenkomplexe  besaß,  im  Ruhrbezirk,  an  den  Rhein-  und  Mosel- 
ufern und  im  Herzogtum  Nassau. 

Über  das  Schicksal  der  Gruben  im  Ruhrbezirk  wissen  wir  nichts. 
Wir  können  annehmen,  daß  sie  größtenteils  abgebaut  sind.  Eben- 
sowenig sind  wir  orientiert  über  die  in  der  Rheinprovinz  gelegenen 
Gruben. 

Diese  Erzquellen  vergrößern  sich  in  der  Gründerperiode.  Damals, 
in  den  Jahren  1871/72,  begann  die  Gesellschaft  in  Gemeinschaft 
mit  der  Gutehoffnungshütte  in  Oberhausen  18  große  Felder  Minette 
durch  Bohrung  und  Schürfarbeiten  aufzuschließen  und  durch  Mutung 
als  Eigentum  zu  erwerben.  Der  Ertrag  dieser  Gruben  wurde  je- 
doch größtenteils  verkauft,  da  der  Transport  nach  den  Hochöfen 
am  Rhein  zu  teuer  war  und  sich  infolgedessen  in  mäßigen  Grenzen 
hielt.  Auch  der  Eisenbahntarif  vom  1.  Mai  1893  brachte  in  bezug 
auf  Eisenerz  aus  Lothringen  dem  Werke  keine  Vorteile,  da  derselbe 
keine  Gültigkeit  hatte  für  Sendungen,  die  teils  die  Bahn,  teils  die 
Wasserstraße  benutzten.  Die  Eisenbahnfrachten  waren  also  zu  hoch. 
Andererseits  kommt  auch  der  Wasserweg  für  den  Transport  der 
Eisenerze  der  in  Lothringen  gelegenen  Gerechtsame  nicht  durch- 
gehend in  Betracht,  da  die  längst  ersehnte  Kanalisierung  der  Mosel 
noch  fehlt.  Wenn  nicht  alles  täuscht,  so  liegt  hier  die  Zukunft  der 
Erzversorgung  des  Phönix.  Die  wichtigste  Grube,  die  die  Gesell- 
schaft in  Lothringen  besitzt,  ist  die  Grube  Karl  Lueg  bei  Fentsch. 
Sie  war  die  einzige,  die  dort  während  der  letzten  Krisis  in  Betrieb 
war.  Ihre  Förderung  belief  sich  1902/03  auf  284  670  Tonnen.  Je- 
doch betrug  der  eigene  Verbrauch  des  Werkes  an  Minette  nur 
93  332  Tonnen. 

Die  Eisensteingruben  in  Nassau  haben  in  letzter  Zeit  stark  in 
der  Ergiebigkeit  nachgelassen.    Die  Förderung  betrug: 

1900/1    ....    18,081  to.  Eisenstein 
1901/2     ....       8,177    „ 
1902/3     ....     13,138    „ 

„Bei  der  geringen  Ergiebigkeit  und  Rentabilität  des  dortigen 
Bergbaues**,  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht  des  zuletztgenannten 
Jahres,  „beabsichtigen  wir,  nach  Abbau  der  vorgerichteten  Menge, 

stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  11 


162 4.  Phönix. 

die  sämtlichen  Zechen  bis  auf  Rotenberg,  wo  ein  größeres  Vorkommen 
edlen  Steins  nachgewiesen  ist,  einzustellen." 

Überblicken  wir  näher  das  Detail,  so  ergibt  sich,  daß  der  Phönix 
heute  folgende  Eisensteinwerke  besitzt:  236  Gruben  in  der  Rhein- 
provinz mit  einer  Feldergröße  von  600  Mill.  qm.  Dann  19  Gruben  in 
Elsaß-Lothringen,  gemeinschaftlich  mit  der  Gutehoffnungshütte,  mit 
einer  Feldergröße  von  ca.  37  Millionen  qm.  Ferner  82  Gruben  in 
Hessen-Nassau  mit  einer  Feldergröße  von  über  30  Millionen  qm.  Und 
eine  Grube  in  Westfalen  von  über  4  MiUionen  qm.  Außerdem  hat 
das  Unternehmen  2  Manganerzbergwerke,  eins  in  Hessen-Nassau  und 
eins  in  der  Rheinprovinz.  Von  diesen  zahlreichen  Gruben  sind,  nach 
den  Angaben,  die  der  Phönix  anläßlich  der  Düsseldorfer  Ausstellung 
machte,  nur  7  in  Betrieb  mit  einer  Belegschaft  von  472  Köpfen  und 
einer  Förderung,  die  bereits  in  den  obigen  Zahlen  näher  angegeben  ist. 
Aber  diese  Produktion  an  Eisenerz  genügt  keineswegs  zur  voll- 
ständigen Bedarfsdeckung,  und  infolgedessen  muß  ein  beträchtlicher 
Teil  dieses  Rohmaterials  zugekauft  werden. 

Auch  in  bezug  auf  einen  so  wichtigen  Rohstoff  wie  den  Kalk 
suchte  die  Gesellschaft  vom  Markte  unabhängig  zu  werden.  Sie  hatte 
bereits  früher  das  Kalkbergwerk  Dornap  besessen,  es  aber  wieder 
verkauft  aus  unbekannten  Gründen.  1894/95  wird  nun  das  Gut  „zum 
Kolk"  erworben,  um  den  Bedarf  des  Werkes  an  Kalk  für  die  Zu- 
kunft sicher  zu  stellen. 

Die  vorhergehende  Analyse  ergibt  folgende  Resultate:  Die 
Kohlenversorgungspolitik  des  Phönix  geht  von  dem 
Erwerb  eigener  Kohlenzechen  aus.  Aber  das  im 
Bergbau  so  wechselnde  Glück  entwertete  diese  an- 
fangs reichen  Lager.  Infolgedessen  wird  für  eine 
Zeit  von  ca.  10  Jahren  die  Idee  der  auch  vorher  in 
der  Praxis  nur  teilweise  durchgeführten  Selbstver- 
sorgung aufgegeben,  um  in  der  Mitte  der  90er  Jahre 
durch  den  Ankauf  der  Meidericher  Steinkohlen- 
bergwerke wieder  aufgenommen  zu  werden. 

In  bezug  auf  die  Eisensteingruben  ergab  sich, 
daß  hier  in  der  Hauptsache  drei  Komplexe  zu  unter- 
scheiden sind:  die  Rhein-  und  Ruhrgruben,  über 
deren  Schicksal  wir  nicht  näher  orientiert  sind,  die 
Gerechtsame  in  Elsaß-Lothringen,  die  den  wich- 
tigsten Besitz  des  Phönix  an  Eisensteingruben  dar- 
stellt, und   in   denen   die   Zukunft  seiner   Eisenerz- 


4.  Phönix. 163 

Versorgung  verankert  liegt,  obgleich  der  größte 
Teil  noch  des  Aufschlusses  harrt,  und  die  Gruben 
in  Nassau,  die  am  Rande  der  Erschöpfung  stehen. 
Das  Werk  dürfte  heute  zum  größten  Teil  auf  den 
Bezug  fremder  in-  und  ausländischer  Erze  ange- 
wiesen sein,  da  diese  infolge  ihres  hohen  Erzge- 
haltes für  die  Roheisenerzeugung  immer  noch  bil- 
ligersind, als  seine  Minetterze  in  Lothringen. 


Was  die  Produktion  anbelangt,  so  ist  zunächst  ihre  Erweite- 
rung in  die  Augen  fallend.  Dieselbe  steht  in  Verbindung  mit  der  ganzen 
technischen  Ausgestaltung  des  Betriebes,  und  es  ist  von  Wert,  da- 
mit gleichzeitig  einen  Überblick  über  das  ganze  Unter- 
nehmen zu  verbinden.*) 

Als  sich  das  Werk  von  den  Folgen  der  Krisis  der  70er  Jahre 
erholt  hatte,  ging  es,  gestärkt  durch  das  Aufflackern  der  Ervverbs- 
tätigkeit  und  infolge  der  Besserung  der  Eisenkonjunktur  1882/83  an 
den  Bau  eines  Stahlwerkes  zur  Durchführung  des  Thomasprozesses. 
1879  hatte  der  Phönix,  wie  viele  andere  Werke,  die  Gerechtsame  auf 
das  Thomasverfahren  zum  Preise  von  300  000  Mark  erworben  und 
in  Raten  bis  zum  Jahre  1887  abgezahlt.  1884  wurde  das  neue 
Thomasstahlwerk  in  Laar  dem  Betriebe  übergeben.  Die  Kosten  dafür 
wurden  nicht,  wie  dereinst  für  das  Bessemerstahlwerk,  durch  Neu- 
emission junger  Aktien  aufgebracht,  sondern  aus  eigenen  Mitteln, 
ohne  Aufnahme  einer  Anleihe,  bestritten.  Allerdings  scheint  der 
Bau,  wenigstens  teilweise,  nicht  sehr  solide  gewesen  zu  sein,  denn 
am  20.  Juni  1894  stürzte  plötzlich  das  Dach  über  dem  Thomas  werk 
mitten  im  Betriebe  zusammen.  3  Arbeiter  wurden  erschlagen,  4  an- 
dere verletzt.  Der  Betrieb  konnte  erst  am  18.  Juli,  und  zwar  unter 
freiem  Himmel,  wieder  aufgenommen  werden.  Das  Thomaswerk 
enthält  heute  3  Converter,  von  denen  stets  nur  einer  in  Betrieb  ist, 
während  die  beiden  anderen  in  Reserve  stehen.  Für  den  ganzen 
Betrieb  wird  das  Prinzip  verfolgt,  für  jede  Maschine  eine  Reserve 
zu  haben,  so  daß  eine  Betriebsstockung  nicht  stattfinden  kann.  Das 
feuerfeste  basische  Futter  für  die  Converter  wird  in  einer  besonderen 
Abteilung  fabriziert.   Aus  Dolomit  und  Teer  werden  mit  Preßmaschi- 


*)  Für  die  folgende  Darstellung  benutze  ich  hauptsächlich  die  Beschrei- 
bung der  Betriebsanlagen,  die  von  selten  der  Verwaltung  für  die  Düsseldorfer 
Industrie-  und  Gewerbeausstellung  von  1902  herausgegeben  wurde. 

11* 


164  4.  Phönix. 

nen  unter  hohem  Druck  die  Ziegel  gepreßt.  Das  Einsatzgewicht  in 
den  Converter  beträgt  12,5  Tonnen  flüssiges  Roheisen,  die  Blase- 
dauer 9 — 15  Minuten.  Dieses  Roheisen  kommt  entweder  direkt  flüssig 
von  den  Hochöfen  in  Laar,  oder  in  festem  Zustande  von  den  der 
Gesellschaft  gehörigen  Hochöfen  in  Borbeck  und  Kupferdreh,  sowie 
von  fremden  Hütten.  In  letzterem  Falle  muß  es  erst  in  Cupol- 
öfen  eingeschmolzen  werden,  ganz  wie  es  in  Peine  mit  dem  Ilseder 
Roheisen  geschieht.  Das  flüssige  Eisen  von  Hoch-  und  Cupol- 
öfen  wird  dann  in  einem  Roheisenmischer  von  150  Tonnen  Inhalt 
eingegossen.  Hier  mischen  sich  die  verschiedenen  Qualitäten  und 
es  tritt  ein  Ausgleich  der  Qualitätsdifferenzen  der  einzelnen  Roh- 
eisensorten ein.  Der  für  die  Fabrikation  nicht  erwünschte  Schwefel 
verbrennt.  Von  da  aus  kommt  das  Eisen  dann  zu  den  Convertern. 
Dieselben  werden  vollständig  auf  maschinellem  Wege  beschickt  und 
bedient.  Ein  mit  Wasserdruck  betriebener  Drehkran  trägt  auf  der 
einen  Seite  die  Pfanne  mit  flüssigem  Roheisen,  während  er  auf  der 
anderen  Seite  eine  Pfanne  für  die  Aufnahme  des  fertigen  Stahls 
mit  sich  führt.  Vor  dem  Eingießen  des  Roheisens  in  den  Con- 
verter wird  letzterer  mit  Kalk  im  Gewicht  von  15 — 18  o/o  des  Roh- 
eisens beschickt,  damit  von  dem  Kalk  die  Phosphorsäure  aufgenommen 
werden  kann.  Während  des  Abgießens  der  Schlacke  werden  dann 
in  den  Converter  80 — 100  kg  auf  Rotglut  erwärmtes  Ferromangan, 
das  aus  eigenen  Manganerzbergwerken  stammt,  geworfen,  um  das 
Metallbad  zu  desoxydieren.  Das  so  erhaltene  Flußeisen  hat  stets 
einen  Kohlenstoffgehalt  von  0,05 o/o,  ist  also  Eisen  weichster  Qualität. 
Wird  ein  härteres  Material,  also  ein  solches  mit  höherem  Kohlenstoff- 
gehalt, verlangt,  so  wird  das  der  Hütte  Phönix  patentierte  Kohlungs- 
verfahren angewandt.  Dasselbe  besteht  darin,  daß  das  reine  ab- 
fließende Flußeisen  in  der  Pfanne  mit  einer,  je  nach  gewünschtem 
Kohlenstoffgehalt  bestimmten  Menge  Kokspulver  vermischt  wird.  Der 
Kohlenstoff  der  Koks  wird  dabei  von  dem  flüssigen  Eisen  unter 
heftiger  Reaktion  begierig  aufgenommen.  Auf  diese  Weise  kann 
man  Stahl  mit  0,2  bis  1  o/o  und  mehr  Kohlenstoff  herstellen.  Dieses 
Kohlungsverfahren  hat  gegenüber  den  älteren  Methoden  den  Vorteil, 
daß  man  damit  einen  reinen  Kohlenstoffstahl  erzeugen  kann  in  Ver- 
bindung mit  größerer  Sicherheit  im  Treffen  der  gewünschten  Be- 
schaffenheit. Der  Converterkran  übergibt  dann  die  gefüllte  Stahl- 
pfanne einem  zweiten  Kran,  dem  sogenannten  Gießkran.  Dieser 
gießt  sie  in  gußeiserne  Formen  (Coquillen)  aus  zu  einzelnen  Blöcken 
von  je  ca.  2600  kg  Gewicht.    Diese  Blöcke  kommen  in  die  Wärme- 


4.  Phönix.  166 

gruben  und  wandern  von  da  in  das  Blockwalzwerk.  Die  Erzeugung 
von  Rohstahl  aus  den  Thomasbirnen  belief  sich  im  Geschäftsjahr 
1902/03  auf  224  509  Tonnen. 

Außer  der  Thomasanlage  ist  ein  Martinwerk  vorhanden.  Das- 
selbe umfaßt  heute  6  Siemens-Martinschmelzöfen.  In  diesen  werden, 
wie  der  Leser  bereits  weiß,  die  bei  der  Verarbeitung  des  Eisens  ent- 
stehenden Abfälle  sowie  angekauftes  Altmaterial  unter  Zusatz  von 
250/0  Roheisen  mittels  Steinkohlengas  geschmolzen.  Zum  Ein-  und 
Fertigschmelzen  des  Metallbades  sind  4—5  Stunden  erforderlich.  Es 
können  also  täglich  4—6  Chargen  gemacht  werden.  Die  Erzeugung 
belief  sich   1902/03   auf  78  538  Tonnen. 

in  Verbindung  mit  den  eben  erwähnten  Anlagen  stehen  dann 
die  Walzwerke.  Das  Blockwalzwerk,  das  zur  Zeit  noch  im  Betrieb 
ist,  ist  veraltet.  Es  hat  z.  B.  keine  selbsttätigen  Kippvorrichtungen. 
Die  Walzen  haben  einen  Durchmesser  von  nur  950  mm.  Sie  werden 
durch  Dampf  angetrieben.  In  diesem  Walzwerk  werden  die  Blöcke 
auf  je  nach  dem  Verwendungszweck  verlangten  Abmessungen  vor- 
gewalzt  und  mittels  einer  Scheere  zerschnitten.  Von  diesen  vor- 
gewalzten  Blöcken  wird  ein  Teil  von  anderen  Walzwerksabteilungen 
in  derselben  Hitze  noch  weiter  verwalzt,  und  der  Rest  in  mehr 
oder  weniger  abgekühltem  Zustande  den  verschiedenen  Verbrauchs- 
stätten des  Werks  zugeführt,  oder  auch  als  Halbfabrikat  an  aus- 
wärtige Kundschaft  abgegeben.  Da,  wie  erwähnt,  dieses  Blockwalz- 
werk nicht  mehr  den  Anforderungen  einer  fortgeschrittenen  Technik 
entspricht,  so  ist  z.  Zt.  ein  neues  im  Bau.  Es  erhält  automatisch 
wirkende  Kippvorrichtungen,  Walzen  mit  einem  Durchmesser  von 
1150  mm  und  elektrischen  Antrieb.  Der  letztere  wird  durch  die  Ver- 
wendung der  Hochofengase  erzielt,  stellt  sich  also  wesentlich  billiger, 
als  der  Dampfantrieb  des  alten  Blockwalzwerkes. 

In  Verbindung  mit  dem  Blockwalzwerk  steht  ein  heute  ebenfalls 
veraltetes  Knüppelwalzwerk  und  ein  Schienenwalzwerk.  In  dem 
ersteren  befindet  sich  eine  Walzenstraße  mit  Walzen  von  750  mm 
Durchmesser  für  Knüppel  und  Platinen.  Die  Knüppel  werden  auf 
fremden  Walzenstraßen  zu  Draht  weiter  verwalzt,  die  Platinen  hin- 
gegen an  fremde  Blechwalzwerke  und  Fabriken  von  Kleineisenzeug 
abgesetzt.  Die  Erzeugung  dieser  Straße  an  Halbfabrikaten  beläuft 
sich  in  12stündiger  Schicht  auf  ca.  450  Tonnen. 

Das  Schienenwalzwerk  empfängt  die  vorgewalzten  Blöcke  mittels 
eines  97  m  langen  Hochrollganges.  Ehe  sie  in  einer  Hitze  aus- 
gewalzt werden,   werden   sie   in   2 — 3   Rollöfen   nachgewärmt.    Die 


166  4.  Phönix. 

Leistung  des  Schienenwalzwerkes  in  12  Stunden  beträgt  200—210 
Tonnen  Schienen  oder  Schwellen.  Seit  1880  hat  der  Phönix  auf 
dem  Gebiete  der  Schienenfabrikation  eine  Spezialität  entwickelt.  Es 
sind  die  unter  dem  Namen  „Phönix-Rillen-Schienen"  bekannten 
Straßenbahnschienen. 

Von  dem  genannten  Jahre  an  bis  zur  Gegenwart  sind  auf  der 
Schienenstraße  über  10  000  km  Geleise  ausgewalzt  worden,  die  nach 
allen  Ländern  der  Erde  geliefert  wurden.  Die  Schienen  weisen  über  90 
verschiedene  Profile  auf.  Mit  der  Lieferung  der  Rillenschienen  hängt 
die  Fabrikation  von  Weichen  und  Kreuzungen  zusammen,  für  welche 
seit  Anfang  der  90er  Jahre  eine  besondere,  täglich  6 — 7  fertige,  nach 
patentierten  Spezialkonstruktionen  ausgeführte  Straßenbahnweichen 
liefernde  Abteilung  errichtet  ist. 

An  Walzwerken  sind  außer  dem  Knüppel-  und  Schienenwalz- 
werk vorhanden:  eine  Drahtstraße,  auf  welcher  in  12  Stunden 
(mit  einem  Ofen)  25 — 35  Tonnen  Draht  in  der  Dicke  von  4,8  bis 
8  mm,  oder  Stabeisen  im  Gewicht  von  ca.  25 — 35  Tonnen  pro  Schicht 
erzeugt  werden  können. 

Ferner  weist  das  Werk  auf:  Eine  Schienenstraße  für  Gruben- 
schienen und  Schwellen  mit  einer  Erzeugung  von  45  Tonnen  in  12 
Stunden.  Weiter  eine  Universal-  und  Grobstraße  für  Flacheisen  bis 
450  mm  Breite,  Rund-  und  Vierkanteisen  bis  200  mm,  Unterlagsplatten 
und  Laschen.  Leistungsfähigkeit:  35—50  Tonnen  in  12  Stunden; 
außerdem  eine  Mittelstraße  für  Stabeisen  mit  einer  Leistungsfähigkeit 
von  17  Tonnen  Eisen  und  36  Tonnen  Flußeisen  in  je  12  Stunden. 
Schließlich  eine  Feinstraße,  ebenfalls  für  Stabeisen  mit  einer  Lei- 
stungsfähigkeit von  36 — 40  Tonnen  in  12  Stunden. 

Außerdem  besteht  im  Anschluß  an  die  Puddelöfen  eine  Luppen- 
straße mit  2  Hämmern.  Im  ganzen  hatte  die  Gesellschaft  1902/03 
im  Durchschnitt  36,25  Puddelöfen  in  Betrieb.  Die  Produktion  an 
Luppen  betrug  40  678  Tonnen.  Die  Luppen  werden  gewalzt  zu 
Flacheisen,  dann  mit  der  Scheere  zerschnitten  und  in  Pakete  gepackt, 
im  Ofen  erhitzt  und  verwalzt.  Seit  der  umfangreichen  Einführung  der 
Flußstahlbereitung  ist  dieser  Betrieb  wesentlich  eingeschränkt. 

Ferner  schließt  sich  an  das  Walzwerk  eine  neuerbaute  Walzen- 
dreherei, in  der  sämtliche  Walzen,  fertig  zum  Einlegen,  bearbeitet 
werden.  Die  Drehbänke  sind  mit  elektrischem  Antriebe  versehen, 
so  daß  jede  für  sich  unabhängig  in  und  außer  Betrieb  genommen 
werden  kann. 

In  einem  Hammerwerk  mit  18  Hämmern  werden  areschmiedet: 


4.  Phönix. 167 

Eisenbahnachsen,  Kugeln  für  Kugelmühlen,  z.  B.  für  Thomasmühlen, 
Ringe  für  Radreifen  und  Schmiedestücke  aller  Art.  Die  Leistung 
aus  einem   Rollofen  beträgt  etwa  45  Tonnen  in  12  Stunden. 

Das  Radreifen  Walzwerk  walzt  aus  einem  Rollofen  in  12  Stunden 
etwa    135—200    Eisenbahnradreifen    im    Gewichte    von   40   Tonnen. 

Von  besonderem  Interesse  ist  das  Preßwerk  der  Laarer  Hütte. 
Die  Anregung  zu  dieser  Anlage  wurde  durch  eine  Anfrage  nach  Ge- 
schossen mit  physikalischen  Eigenschaften  gegeben,  die  nach  der 
gewöhnlichen  Arbeitsmethode  kaum  oder  schwer  herzustellen  waren. 
Infolgedessen  wurde  zu  Beginn  des  Jahres  1892  die  Fabrikation 
von  nahtlosen  Hohlkörpern  der  verschiedensten  Formen  aufgenom- 
men. Die  Haupterzeugnisse  bestehen  in  Kriegsmaterial,  und  zwar 
Geschossen  aller  Art  mit  verschiedenen  physikalischen  Eigenschaften, 
sodann  aber  in  nahtlosen  Flaschen  für  hochgespannte  Gase,  wie 
Wasserstoff  und  Sauerstoff,  sowie  Flüssigkeiten,  wie  flüssige  Kohlen- 
säure, Ammoniak  etc.,  femer  nahtlosen  Stahlröhren  etc.  Das  Werk, 
das,  infolge  der  großen  Nachfrage  und  der  Ausdehnung  der  Fabri- 
kation auf  immer  mehr  Erzeugnisse,  von  Jahr  zu  Jahr  erweitert 
werden  mußte,  besteht  aus  zwei  Abteilungen:  Dem  Preßraum  mit 
einer  Anzahl  Loch-  und  Ziehpressen  und  einer  Dreherei  mit  ca.  100 
Drehbänken.  In  Zusammenhang  damit  steht  ein  größerer  Probier- 
und  Abnahmeraum.    Die  Produktion  für  1901   betrug  an 

Geschossen  und  Hüllen  bis  zu  240  mm  Durchmesser 

ca.  210  000  Stück 

Nahtlosen  Stahlflaschen  und  Hüllen  bis  zu  300  mm  Durchmesser 

ca.    29  000  Stück 

Weiteren   Geschoßteilen   und    Hohlkörpern   verschiedener   Art 

ca.    70  000  Stück 

An  Preß-  und  Fa9onstücken  ca.  400  Tons. 

Einen  verhältnismäßig  großen  Umfang  hat  die  mechanische  Ab- 
teilung. In  ihr  werden  die  Neuanlagen  der  Hütte  entworfen  und 
eigene  Konstruktionen  zum  Teil  ausgeführt,  sowie  alle  Reparaturen, 
die  in  den  einzelnen  Betrieben  nötig  sind,  vorgenommen.  Sie  leitet 
ferner  den  ganzen  maschinellen  und  Dampfkesselbetrieb.  Im  Jahre 
1900/01  wurde  sie  vollständig  umgebaut.  Heute  kann  man  sie  in 
folgende  Unterabteilungen  zerlegen: 

a)  Eine    Maschinenfabrik,    bestehend    aus    Schlosserei,    Dreherei, 
Hobelei,  Schmiede,   Klempnerei  und  Sattlerei. 

b)  Eine  Kesselschmiede. 


168  4.  Phönix. 

c)  Eine   Gießerei     mit    einer    Jahreserzeugung    von    1 1 000    bis 
12  000  Tonnen. 

d)  Eine  mechanische  Modellschreinerei. 

e)  Eine  mechanische  Zimmer-  und  Schreinerwerkstätte. 

Der  Gesellschaft  gehört  ferner  eine  Thomasphosphatfabrik,  die 
aber  an  die  chemischen  Werke  in  Biebrich  verpachtet  ist.  Sie  besteht 
aus  18  Kugelmühlen,  die  die  Thomasschlacke  pulverisieren.  Ele- 
vatoren befördern  das  Mehl  direkt  auf  die  automatische  Wage.  Die 
18  Mühlen  liefern  täglich  54  Doppel  Waggons  (ä  Waggon  10  Tons). 
Von  je  5  Waggons  wird  eine  Durchschnittsprobe  genommen  und 
im  Laboratorium  der  Phosphorsäuregehalt  festgestellt.  Danach  wird 
das  Mehl  bezahlt.  Es  kostet  das  Kilogramm  Gesamtphosphorsäure 
21 V4  Pfg.  und  citratlösliche  Phosphorsäure  241/4  Pfg. 

Schließlich  hat  das  Werk  eine  Fabrik  feuerfester  Steine.  Diese 
Steine  werden  hergestellt  aus  verschiedenem  Material:  aus  Ton, 
der  vom  Westerwald  und  aus  der  Pfalz  stammt,  aus  verschiedenen 
Quarzarten  und  aus  alten  Ofensteinen,  die  in  Kugelmühlen  gemahlen 
werden.  Diese  feuerfesten  Steine  werden  gebraucht  zum  Ausfüttern 
der  Martin-  und  Thomasstahlpfannen,  ferner  zur  Bekleidung  von 
Schweiß-  und  Cupolöfen  etc.  Die  Gesamterzeugung,  außer  der 
basischen  Masse,  für  welche  eine  bereits  früher  erwähnte  Dolomit- 
fabrik vorhanden  ist,  belief  sich  im  Jahre  1901  auf  6200  Tonnen. 

Diese  Einzelwerke  werden  mit  dem  nötigen  Roheisen  versorgt 
durch  die  Hochofenanlagen.    Der  Phönix  hat  ihrer  drei: 

Die  erste  liegt  in  Laar.  Sie  umfaßt  6  Hochöfen.  Davon  sind 
3  neu  und  3  alt.  Jene  produzieren  200—250  Tonnen,  diese  100 
bis  120  Tonnen.  Von  den  6  Öfen  ist  gegenwärtig  Ofen  III  außer 
Betrieb  und  Ofen  VI  noch  nicht  in  Betrieb.  Im  Geschäftsbericht 
1902/03  heißt  es:  „Die  Hochöfen  in  Laar  arbeiten  noch  immer 
nicht  befriedigend,  wenn  auch  besser  wie  im  vorigen  Jahre.  Wir  haben 
noch  gar  zu  häufig  mit  Hängen  der  Gichten  zu  kämpfen.  Während 
des  ganzen  Jahres  waren  4  Hochöfen  in  Betrieb.  Darunter  zwei 
neue  große  und  zwei  alte  kleine."  Die  Produktion  dieser  4  im 
Betriebe  befindlichen  Hochöfen  beüef  sich  im  genannten  Geschäfts- 
jahre auf  204  119  Tonnen.  An  die  Hochofen-  schließt  sich  eine  Koks- 
ofenanlage. Dieselbe  hat  2  Solvaybatterien  von  je  24  Öfen  mit  Ge- 
winnung von  Teer,  Ammoniak,  Benzol  und  Sulphat,  2  Ottobatterien 
von  je  32  und  eine  von  60  Öfen.  Die  Erzeugung  der  Koksöfen 
betrug   im    Jahre    1901    131400   Tonnen. 

Die  zweite  Hochofenanlage  befindet  sich  in  Berge-Borbeck.   Sie 


4.  Phönix. 169 

hat  drei  Hochöfen,  von  denen  jedoch  nie  mehr  als  zwei  im  Feuer 
sind.  „Während  vor  30  Jahren",  heißt  es  in  der  Ausstellungsschrift, 
„die  Erzeugung  in  zwei  Hochöfen  nur  19  000  Tonnen  betragen  hat, 
sind  im  vorigen  Kalenderjahre  1901  51  527  Tonnen  Roheisen  in 
einem  Ofen  erblasen  worden,  obgleich  die  Dimensionen  der  Hoch- 
öfen nicht  wesentlich  verändert,  beziehungsweise  vergrößert  worden 
sind.  Der  Rauminhalt  der  Hochöfen  in  Berge-Borbeck  hat  lange  nur 
je  etwa  100  cbm  betragen,  und  erst  in  neuester  Zeit  sind  die  Hoch- 
öfen erhöht  und  bis  zu  380  cbm  Rauminhalt  vergrößert  worden. 
Es  wird  hauptsächlich  Thomaseisen  erzeugt,  welches  an  das  Stahl- 
werk der  Hütte  Phönix  bei  Ruhrort  geliefert  wird,  und  außerdem 
Qualitätspuddeleisen  für  die  Werke  der  jetzt  zur  Gesellschaft  ge- 
hörigen, ehemaligen  Westfälischen  Union  in  Hamm.**  Es  sei  noch 
erwähnt,  daß  im  Geschäftsbericht  1902/03  die  Roheisenproduktion 
des  einen  im  Betriebe  befindlichen  Hochofens  in  Berge-Borbeck  mit 
71  064  Tonnen  angegeben  wird.  Die  Koksöfen  produzieren  nach 
den   Angaben  der  Festschrift  39  993  Tonnen   Koks. 

Die  dritte  Hochofenanlage  liegt  in  Kupferdreh,  an  der  Ruhr. 
Sie  umfaßt  2  Hochöfen  von  ca.  300  cbm  Inhalt.  Aber  auch  hier 
befindet  sich  nur  einer  in  Betrieb.  Die  Produktion  betrug  1902/03 
33  205  Tonnen.  Sie  war  also  um  die  Hälfte  geringer  als  in  Berge- 
Borbeck. 

Während  zu  Anfang  des  Betriebes  der  Hütte,  in  den  50er  Jahren, 
hauptsächlich  Brauneisenstein  und  Blackband  aus  nächster  Nähe  zum 
Teil  per  Achse,  zum  Teil  per  Schiff  auf  der  Ruhr  herbeigeschafft 
und  verhüttet  wurden,  und  auch  der  Versand  des  Roheisens  teilweise 
auf  der  Ruhr  stattfand,  wird  heute  der  ganze  Bezug  der  zum  Teil 
aus  weiter  Ferne  kommenden  Erze  und  der  ganze  Versand  des 
Roheisens  durch   die    Eisenbahn   bewirkt. 

In  den  zur  Hütte  gehörigen  36  Koksöfen  wurden  1901  31  718 
Tonnen  Kohlen  verkokt  und  daraus  20  455  Tonnen  Koks  erzeugt. 
Nebenbetriebe  zur  Gewinnung  von  Teer,  Ammoniak,  Benzol  und 
Sulphat  scheinen  auch  hier  zu  fehlen. 

Schließlich  haben  wir  noch  das  Werk  in  Eschweiler-Aue  zu  er- 
wähnen, in  dem  einst  der  Schwerpunkt  der  Produktion  ruhte.  In 
dieser  Hütte  lag  ursprünglich  die  Bedeutung  des  Phönix.  Aber  ge- 
rade dieses  Stammwerk  der  Gesellschaft  büßte  mit  den  großen  Um- 
wandlungen in  der  Eisenindustrie,  wie  sie  durch  die  Einführung 
des  Bessemerprozesses  herbeigeführt  wurden,  vollständig  an  Bedeu- 
tung ein.    Ich  habe  an  anderer  Stelle  bereits  diese  Wandlungen  ge- 


170 4.  Phönix.  

schildert.  In  den  80er  Jahren  wird  dann  namentlich  über  schlechte 
Geschäftsergebnisse  geklagt.  So  heißt  es  in  dem  Bericht  über  das 
Jahr  1884/85:  „Sehr  ungünstig  lagen  die  Verhältnisse  in  Eschweiler- 
Aue.  Da  das  Werk  von  alters  her  nur  auf  Eisenfabrikation  einge- 
richtet war,  mußte  es  bei  dem  immer  mehr  zunehmenden  Absatz 
in  Stahlartikeln  in  eine  vollständige  Abhängigkeit  zur  Laarer  Hütte 
oder  anderen  Stahlwerken  geraten  und  verlor  damit  die  Möglichkeit 
zu  gewinnbringender  Arbeit  ..."  Um  nun  das  Werk  nicht  ein- 
gehen zu  lassen,  wurde  im  Jahre  1888  ein  Martinwerk  mit  4  Öfen 
errichtet  mit  einer  Leistungsfähigkeit  von  etwa  45 — 50  000  Tonnen 
Flußstahl  im  Jahre.  Ein  Ofen  vollendet  in  24  Stunden  5 — 6  Einsätze 
mit  je  12  Tonnen  Ausbringen  an  Stahl.  Infolge  dieser  geringen 
Produktion  sind  an  Stelle  der  alten  zwei  neue  Öfen  errichtet,  von  denen 
einer  bereits  fertig  gestellt  und  ein  zweiter  im  Bau  begriffen  ist. 
Vergossen  wird  der  Stahl  hauptsächlich  zu  Blöcken  für  die  eigenen 
Formeisen-  und  Blechwalzwerke,  welche  zumeist  auf  Konstruktions- 
und Schiffbaumaterial  arbeiten,  sowie  zu  Schmiedeblöcken  für  das 
eigene  Hammerwerk;  seit  längerer  Zeit  wird  auch  ein  großer  Teil 
zu  Stahlformguß  —  Lokomotivrädern,  Maschinenteilen,  Spindeln  etc. 
verwandt.    Rohblöcke  werden  verkauft. 

Das  ganze  Werk  in  Eschweiler-Aue  ist  nur  klein.  Es  besteht  aus 
folgenden  Abteilungen : 

1.  Aus   dem    schon   erwähnten    Martinwerke. 

2.  Aus  einer  Räderfabrik.  In  dieser  werden  alle  Arten  Lokomotiv-^ 
Tender-,  Normal-  und  Straßenbahnwagenräder  hergestellt.  Seit 
1901  auch  Lokomotivradsätze  mit  Rädern  aus  Stahlformguß. 
Die  Leistungsfähigkeit  der  Räderfabrik  beträgt  7—8000  Satz  pro 
Jahr.  Die  Werkstätte  besitzt  88  SpezialWerkzeugmaschinen.  An 
Stelle  der  Räderschmiede  trat  Ende  des  Jahres  1897  ein  Räder- 
preßwerk, in  welchem  innerhalb  12  Stunden  105—120  Stück 
Radsterne,  je  nach  Größe,  fertiggestellt  werden  können. 

3.  Aus  einem  Blechwalzwerk.  Seit  1897  ist  eine  Triostraße,  ein 
Feinblech-  und  ein  Universalwalzwerk  im  Betriebe  mit  einer 
Leistungsfähigkeit  von  2500  bis  3000  Tonnen  Blechen.  Es  wer- 
den alle  Sorten  Bleche,  glatte  sowohl  wie  geriffelte  bis  zu  jeder 
Stärke  hergestellt. 

4.  Aus  einem  Formwalzwerk.  Das  gewalzte  Formeisen  dient  zum 
Kriegs-  und  Handelsschiffbau,  femer  als  Konstruktionsmaterial 
für  den   Eisenbahn-  und   Brückenbau. 

5.  Aus  einer  Steinfabrik.    In  derselben  werden  sowohl  saure  als 


4.  Phönix. 171 

auch   basische   feuerfeste   Steine    für   den    eigenen    Bedarf   her- 
gestellt. 

Diese  Details  mögen  genügen,  um  einen  Überblick  über  die 
wichtigsten  Gesamtanlagen  des  Phönix  vor  seiner  Fusion  mit  der 
Westfälischen  Union  zu  geben.  Aus  der  Beschreibung  läßt  sich  er- 
kennen, daß  viele  Einrichtungen  veraltet  sind.  Mit  dem  Um-  resp. 
Neubau  ist  bereits  begonnen.  So  wird  gegenwärtig  der  großartigste 
Fortschritt  auf  dem  Gebiete  des  Eisenhüttenwesens,  die  Verwendung 
der  Hochofengase  als  Antriebskraft,  in  die  Praxis  umgesetzt,  um  die 
Produktionskosten  zu  vermindern.  Zwei  Gasexplosionsmaschinen 
ä  800  H.P.  sind  bereits  im  Betrieb,  drei  große  zu  je  1000  Pferden 
im  Bau.  Es  wurde  ferner  darauf  hingewiesen,  daß  das  Blockwalz- 
werk veraltet  ist,  daß  automatische,  Menschen  sparende  Vorrichtungen 
vielfach  fehlen,  daß  bei  den  Koksöfen  nur  teilweise  die  Neben- 
produkte gewonnen  werden  usw.  „Bei  den  enormen  Fortschritten", 
heißt  es  im  Geschäftsbericht  1902/03,  „welche  die  Eisen-  und  Stahl- 
industrie in  den  letzten  Jahren  gemacht  hat,  denen  unsere  gesamte 
Konkurrenz  gefolgt  ist,  ist  Stillstand  gleich  Rückschritt.  Es  bleibt 
uns  nichts  anderes  übrig,  als  auch  unsere  Einrichtungen  den  neuen 
Anforderungen  entsprechend  umzugestalten.  Mit  unseren  verschie- 
denen Hochofenanlagen  haben  wir  schon  vor  mehreren  Jahren  be- 
gonnen und  sind  damit  sozusagen  fertig.  Die  Leistungsfähigkeit 
hat  sich  mehr  als  verdoppelt.  Zur  noch  besseren  Ausnutzung  und 
zur  Verwertung  eines  Teils  der  Hochofengase  müssen  noch  je  eine 
Gasgebläsemaschine  für  Laar  und  Borbeck  beschafft  werden.  Die 
Gasreinigung  ist  weiter  durchzuführen.  Der  Überschuß  an  Gasen 
wird  direkt  zu  Betriebszwecken  oder  indirekt  durch  Umsetzung  in 
Elektrizität  und  dann  zu  weiteren  Verwendungen  verwertet.  In  Laar 
dient  diese  zum  Betriebe  des  Stahlwerkes,  des  Walzwerkes  und  fast 
sämtlicher  Nebenwerkstätten.  In  Borbeck  sind  die  Gase  an  die  Kon- 
tinentale Hochofengasgesellschaft  gegen  eine  jährliche  Abgabe  pro 
Hochofen  und  Beteiligung  am  Reingewinn  des  Unternehmens  ver- 
pachtet .  .  .  Endlich  muß  mit  der  weiteren  Verwendung  der  Elek- 
trizität eine  Verbesserung  der  Betriebs-  und  Transporteinrichtungen 
verbunden  werden,  um  Dampf  und  Löhne  zu  sparen.  In  allen  diesen 
Richtungen  haben  wir  schon  manches  erreicht  und  sind  mit  weiteren 
Verbesserungen  beschäftigt.  Damit  wird  auch  eine  bessere  Aus- 
nutzung unseres  Stahlwerkes  und  eine  wesentliche  Hebung  der  Pro- 
duktionsfähigkeit  desselben    verbunden    sein." 

Natürlich  erfordert  die  Vervollkommnung  der  Produktionsmittel 


172 4.  Phönix. 

viel  Geld.  41/2  Million  Mark  stehen  dem  Werke  zu  Bauzwecken 
bereits  zur  Verfügung.  Aber  auch  diese  Summe  reicht  noch  nicht 
aus.  In  der  außerordentlichen  Generalversammlung  vom  30.  Oktober 
1903  wird  beschlossen,  das  Aktienkapital  der  Gesellschaft  von  30 
auf  35  Millionen  Mark  zu  erhöhen.  Begründet  wird  diese  weitere 
starke  Erhöhung  des  Betriebskapitals  damit,  daß  der  Phönix,  dessen 
Einrichtungen  in  mancher  Beziehung  mit  dem  gewaltigen  Fortschritt 
der  Technik  nicht  Schritt  gehalten  haben,  nicht  nur  größere  Um- 
bauten, sondern  auch  Neubauten  ausführen  muß.  „Wir  müssen", 
resümiert  die  Verwaltung  in  dem  letzterwähnten  Bericht,  „unsere 
Zeche  Westende  weiter  ausbauen  und  die  Hochofengase  unserer 
verschiedenen  Hütten  nutzbar  machen.  Dazu  gehören  Gasmaschinen 
und  elektrische  Einrichtungen.  Wir  müssen  auch  unsere  Stahlwerke, 
Walzwerke  und  unsere  Transporteinrichtungen  den  neusten,  gewal- 
tigen   Fortschritten   der    Hüttentechnik   entsprechend   ausgestalten." 

Die  großen  finanziellen  Anstrengungen  resultieren,  wie  wir  sehen, 
in  letzter  Instanz  aus  dem  freien  Wettbewerb.  Gespornt  durch  die 
Konkurrenz  muß  der  Phönix  seine  Einrichtungen  modernisieren,  um 
nicht  unter  den  großen  Werken  in  zweite  Linie  zu  geraten.  Fast 
alles  aber  kommt  dem  Hauptwerke  in  Laar  zu  gute.  In  ihm  ruht 
heute   der   Schwerpunkt  der   Produktion. 

Resume :  Diese  Übersicht  zeigt,  daß  der  Phönix 
ein  reich  gegliedertes  Unternehmen  ist,  dessen  Pro- 
duktion die  mannigfachsten  Gebiete  erfaßt  und  im 
Laufe  der  Zeit  erweitert  hat.  Es  wird  genügen,  hier 
in  Summa  noch  einmal  die  vorhandenen  Abteilungen 
übersichtlich  zusammenzustellen.  Die  Hütte  in  Laar 
bei  Ruhrort  umfaßt:  Ein  Stahlwerk,  ein  Martin- 
werk, ein  Blockwalzwerk,  ein  Knüppel-  und  Schie- 
nenwalzwerk, eine  Walzendreherei,  ein  Hammer- 
werk, ein  Radreif  en  walz  werk,  ein  Preßwerk,  eine 
mechanische  Abteilung,  eine  Thomasphosphat- 
fabrik, eine  Fabrik  feuerfester  Steine  und  eine 
Hochofenanlage.  Diese  Anlagen  bilden  heute  das 
Haupt-  aber  nicht  das  Stammwerk  der  Gesellschaft. 
Die  ganze  Bedeutung  des  Phönix  konzentriert  sich 
allmählich  in  den  genannten  Betrieben.  Außer  die- 
ser Hütte  besitzt  die  Gesellschaft  noch  zwei  Hoch- 
ofenanlagen, die  eine  in  Kupferdreh  und  die  andere 
in  Berge-Borbeck. 


4.  Phönix. 173 

Das  ursprüngliche  Unternehmen  lag  in  Esch- 
weiler-Aue. Esistständigvon  seinerfrüheren  Höhe 
heruntergesunken.  Es  wäre  noch  schlimmer  ge- 
kommen, hätte  man  nicht  1888  seiner  Produktion 
in  Stahlartikeln  eine  Grundlage  gegeben  durch  Er- 
richtung eines  Martinwerkes.  Heute  besteht  diese 
Abteilung  noch  aus  einer  Stahlformgießerei  (Räder- 
fabrik), einem  Blechwalzwerk,  einem  Formwalz- 
werk und  einer  Steinfabrik.  Das  Werk  besitzt  keine 
Hochöfen,  muß  also  das  Roheisen  beziehen. 


Das  bedeutendste  Ereignis  aus  der  neueren  Geschichte  des  Phönix 
bildet  seine  Verschmelzung  mit  der  Westfälischen 
Union  im  Jahre  1898.  Dieses  Unternehmen  entstand  als  Aktien- 
gesellschaft in  der  Weise,  daß  mit  einem  Kapital  von  10,5  Millionen 
Mark  eine  Anzahl  von  Drahtvverken  unter  einer  Firma  vereinigt 
wurden.  Die  Ausstellungsschrift  enthält  hierüber  folgende  Angaben: 
„Im  Jahre  1873  wurden  die  Firmen  Cosack  &  Comp,  in  Hamm  i.  W., 
A.  &  Th  Linnhoff  in  Lippstadt  und  Belecke,  Ed.  Schmidt  in  Nach- 
rodt  und  Friedrich  Thomee  in  Werdohl  in  eine  Aktiengesellschaft 
umgewandelt,  welche  sich  unter  dem  Namen  „Westfälische  Union", 
Aktiengesellschaft  für  Bergbau,  Eisen-  und  Drahtindustrie  konsti- 
tuierte, mit  ihrem  Sitz  in  Hamm  i.  W.  Zu  den  oben  aufgeführten 
Werken  wurde  das  Puddel-  und  Walzwerk  in  Einsal  bei  Altena, 
Herrn  von  Holzbrink  gehörig,  gepachtet  und  in  St.  Petersburg  ein 
Werk,  bestehend  aus  Drahtzieherei  und  Stiftenfabrik,  erworben.  Sämt- 
liche Werke  wurden  in  vollem  Betriebe  übernommen." 

Das  Charakteristische  besteht  auch  bei  dieser  Schöpfung  darin, 
daß  örtlich  auseinanderliegende  Betriebe  zu  einem  Produktions- 
organismus unter  einheitlicher  Leitung  miteinander  verbunden  wurden. 
Aber  bald  zeigten  sich  bei  der  Westfälischen  Union  ganz  ähnliche 
Folgen  wie  bei  der  Dortmunder  Union.  Der  Organismus  war  zu 
stark  belastet.  Er  bestand  aus  7  Gliedern,  nämlich  den  Werken  zu 
Hamm,  Nachrodt,  Lippstadt,  Belecke,  Einsal,  Werdohl  und  St.  Peters- 
burg. Von  diesen  7  Werken  wurden  im  Laufe  der  Zeit  nicht  weniger 
als  3  abgestoßen. 

Zunächst  das  Puddel-  und  Drahtwalzwerk  in  Einsal.  Die  West- 
fälische Union  war  nicht  Eigentümerin  desselben,  sondern  Besitzerin. 
Das  Werk  war  nicht  imstande,  auch  nur  die  kontraktliche  Pacht- 
summe aufzubringen.     Da  eine  Ermäßigung  vom  Eigentümer  nicht 


174 


4.  Phönix. 


zu  erreichen  war,  so  wurde  der  am  1.  Juli  1878  ablaufende  Ver- 
trag nicht  wieder  erneuert,  und  das  Etablissement  schied  aus  der 
Westfälischen  Union  aus. 

Dasselbe  Schicksal  teilte  am  1.  Januar  1879  das  Werk  in  Wer- 
dohl. Es  produzierte  ebenfalls  Luppen,  Walzdraht,  Stabeisen,  gezoge- 
nen Draht  und  Drahtstifte.  Der  Verkauf  dieses  Werkes  steht  zweifels- 
ohne mit  dem  schlechten  Geschäftsgange  der  70er  Jahre  in  Zu- 
sammenhang. 

Wie  schon  erwähnt,  beruhte  die  Westfälische  Union  auf  der 
Herstellung  von  Walzdraht.  Damals  aber  gingen  zahlreiche  Werke, 
die  bisher  Schienen  produziert  hatten,  zur  Walzdrahtproduktion  über, 
um  ihre  kalt  liegenden  Puddelöfen  zu  beschäftigen.  Die  Folge  der 
auf  diese  Weise  gesteigerten  Drahtproduktion  war  ein  abnormes 
Werfen  der  Preise,  besonders  auch  auf  dem  Exportmarkt.  Als  Beleg 
für  diese  Tatsache  seien  einige  Zahlen  aus  den  Geschäftsberichten 
der  Westfälischen  Union  während  der  Krisis  der  70er  Jahre  an- 
geführt. Von  ihren  sämtlichen  Werken  wurden  versandt: 


1873/4 

35,5 

1874/5 

36,0 

1875/6 

37,3 

1876/7 

42,7 

1877/8 

45,9 

1878/9 

42,8 

35,5  Mill.  t   im  Werte  v.  11,3  Mill.  M.  oder  318,18  M.  pro  t 


^(^ 

((           ir 

7,9 

II           II 

1,      213,43    „ 

8,2 

II           II 

II      191,79    „ 

8,3 

II          II 

„      181,34    „ 

7,5 

II           II 

„      174,93    „ 

Hieraus  ergibt  sich,  daß  zwar  die  Produktion  des  Werkes  während 
der  Krisis  stieg,  ihr  Wert  aber  sank,  und  zwar  auf  die  Tonne  be- 
rechnet um  nicht  weniger  als  ca.  45 o/o.  Mit  dieser  Wertverminderung 
steht  die  bereits  erwähnte  Absplitterung  des  Einsaler  und  Werdohler 
Etablissements  in  Zusammenhang. 

Das  dritte  Werk,  das  ebenfalls  aus  der  Zusammengehörigkeit 
mit  der  Westfälischen  Union  ausschied,  war  die  St.  Petersburger 
Draht-  und  Nagelfabrik.  Die  Gründe  hierfür  dürften  in  folgenden 
SpezialUrsachen  zu  suchen  sein.  Zunächst  ebenfalls  in  der  Krisis 
der  70er  Jahre.  Dann  brach  der  russisch-türkische  Krieg  aus.  Infolge 
dessen  konnte  das  Werk  in  den  70er  Jahren  zu  keiner  rechten  Ent- 
wicklung kommen.  Endlich  frohlockt  der  Geschäftsbericht  1879/80: 
„Zum  ersten  Male  sind  wir  in  der  Lage,  Ihnen  über  diese  Abteilung 
einen  günstigen  Bericht  zu  geben.  Die  erzielten  Resultate  lassen 
uns  hoffen,  daß  das  Lehrgeld  dort  jetzt  gezahlt  ist,  daß  wir  endlich 
dort   auch    ernten    werden."     Aber   die    Verwaltung   täuschte   sich. 


4.  Phönix. 175 

Der  Beginn  des  neuen  Dezenniums  sollte  nicht  den  Anfang  einer 
besseren  Zeit  bedeuten.  Im  Juni  1881  brannte  ein  großer  Teil 
des  Petersburger  Werkes  nieder.  Da  aber  bereits  in  den  früheren 
Jahren  sehr  große  Abschreibungen  vorgenommen  worden  waren, 
so  fiel  der  Brandschaden  für  den  Anteil  der  Westfälischen  Union 
an  dem  Petersburger  Werke  —  es  existierten  noch  2  Teilhaber, 
die  zusammen  50  000  Mark  eingelegt  hatten  —  nicht  so  sehr  ins 
Gewicht.  Viel  größeren  Schaden  verursachten  zwei  andere  Momente, 
nämlich  das  Sinken  der  russischen  Valuta  und  die  Erhöhung  der 
russischen  Drahtzölle  im  Jahre  1882.  Schon  in  den  70er  Jahren 
klagt  die  Union,  „daß  das  fortwährende  Fallen  des  Rubelkurses 
die  Rohmaterialien  verteure,  ohne  daß  durch  entsprechende  Erhöhung 
der  Verkaufspreise  ein  Ausgleich  zu  erreichen  gewesen  wäre."  (Ge- 
schäftsbericht 1876/77).  In  dem  Bericht  über  das  Jahr  1881/82  heißt 
es  dann:  „Der  Ausfall  an  Produktion  infolge  des  Brandes,  die  un- 
günstigen Verhältnisse  in  Rußland,  insbesondere  der  schlechte  Stand 
der  russischen  Valuta  beeinflußten  das  Resultat  ungünstig."  Da- 
zu kamen  noch  die  Zollverhältnisse.  Der  Bericht  von  1876/77  gibt 
an,  daß  die  Erhebung  des  Zolles  in  Gold  eine  Verteuerung  des- 
selben um  ca.  300/0  bedeute.  Nun  wurde  aber  im  Herbst  1882  der 
russische  Eingangszoll  auf  Rundeisen  von  V4  ^[oll  und  darunter 
von  75  Mark  pro  Tonne  auf  214,50  Mark  erhöht,  und  damit  der 
Import  in  diesen  Artikeln  so  gut  wie  abgeschnitten,  „Wie  schon 
bemerkt",  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht  1882/83,  „können  wir 
des  hohen  Zolls  wegen  Walzdraht  nicht  mehr  nach  Rußland  senden. 
Damit  verliert  die  dortige  Zweigniederlassung  für  uns  wesentlich 
an  Bedeutung,  zumal  es  bei  den  unsicheren  Zollverhältnissen  nicht 
opportun  erschien,  dieselbe  noch  durch  Anlage  einer  Drahtwalze 
nebst  Zubehör  zu  vergrößern,  um  so  von  hier  zu  sendende  Draht- 
knüppel auswalzen  zu  können.  Wir  richteten  daher  unsere  Be- 
mühungen daraufj  das  Petersburger  Werk  anderweitig  möglichst  gün- 
stig zu  verwerten  .  .  .  Um  in  dieser  Beziehung  nicht  behindert  zu 
sein,  mußten  wir  suchen,  uns  die  volle  freie  Disposition  über  unser 
Eigentum  zu  verschaffen.  Wir  tilgten  daher  die  Hypothek  der  Staat- 
kreditgesellschaft und  lösten  die  Verträge  mit  den  Kapitalbeteiligten 
unter  Ausgleichung  sämtlicher  schwebender  Differenzen  und  Pro- 
zesse auf."  1883  wurde  das  Werk  an  die  Gesellschaft  der  St.  Peters- 
burger Eisen-  und  Drahtwerke  verkauft.  Die  Westfälische  Union  er- 
hielt den  Kaufpreis  zum  Teil  in  Aktien  und  Obligationen,  und  zwar 
50  000  Rubel  Aktien  und  427  500  Rubel  Obligationen.    In  die  Bilanz 


176 4.  Phönix. 

der  Westfälischen  Union  werden  diese  nicht  börsengängigen  Effekten 
mit  96  773  Mark  für  die  Aktien  und  870  963  Mark  für  die  Obliga- 
tionen eingestellt.  Die  Transaktion  bestand  also  darin,  daß  das 
Petersburger  Werk  in  eine  selbständige  Aktiengesellschaft  verwan- 
delt und  die  Westfälische  Union  Mitteilhaber  und  Gläubiger  wurde. 

Außer  der  Überlastung  des  Gesamtunternehmens  mit  zu  vielen 
örtlich  auseinanderliegenden  Etablissements  wurde  die  Westfälische 
Union  lange  Zeit  in  ihrer  Entwicklung  außerordentlich  gehindert 
durch  die  in  ihr  Statut  aufgenommenen  Gründerrechte.  Dieselben 
bestanden  darin,  daß  bei  jeder  Neuemission  von  Aktien  diese  den 
im  Besitze  der  genannten  Rechte  befindlichen  Gründern,  zur  an- 
deren Hälfte  den  jeweiligen  Aktionären,  al  pari  angeboten  werden 
mußten.  Von  den  Gründern  verzichteten  drei  auf  ihre  Ansprüche. 
Die  Rechte  der  Draht-  und  Eisenindustrie  zu  Hamm,  der  Rechts- 
vorgängerin in  der  Union,  gingen  auf  diese  über.  So  blieb  nur 
noch  die  Berechtigung  eines  Gründers,  eines  Bankiers  Seelig  in  Berlin. 
Derselbe  hatte  Anspruch  auf  311/2^/0  jeder  neuen  Aktienemission. 
Dieses  Bezugsvorrecht  der  Gründer  sowohl  wie  der  Aktionäre  aber 
wurde  bald  zu  einer  drückenden  Last,  zu  einem  Hemmschuh  für 
die  Weiterentwicklung  des  Unternehmens.  Jede  Vergrößerung  der 
Produktionsmittel,  jede  Erweiterung  der  Anlagen  durch  Neubau  oder 
Erwerbung,  jede  Beteiligung  an  Gruben,  Fabriken  etc.,  soweit  sie 
auf  Ausgabe  junger  Aktien  basiert  waren,  wurde  dadurch  unmög- 
lich. Die  Gründerrechte  bildeten  die  Barriere,  über  die  die  Gesell- 
schaft nicht  hinweg  konnte,  um  sich  von  den  Schwankungen  des  Roh- 
stoffmarktes zu  emanzipieren.  Kurz,  die  Gründerrechte  widersprachen 
der  kapitalistischen  Tendenz  des  Unternehmens.  Eine  Vergröße- 
rung des  Werkes  wäre  infolge  des  Agios  der  Aktien  zu  teuer  ge- 
worden. Daher  mußten  sie  fallen.  Sie  wurden  1890  offiziell  auf- 
gehoben unter  Opferung  einer  Ablösungssumme  von  80  000  Mark. 

Die  Geschichte  der  Westfälischen  Union,  die  im  wesentlichen 
eine  Geschichte  der  Drahtindustrie  in  den  letzten  30  Jahren  sein 
würde,  näher  zu  verfolgen,  geht  hier  nicht  an.  Für  die  Zwecke  un- 
serer Darstellung  ist  es  jedoch  an  dieser  Stelle  noch  wichtig,  die  nach 
der  Verschmelzung  mit  der  Phönixgesellschaft  bestehende  Dezent- 
tralisation  der  Westfälischen  Union  kurz  zu  skizzieren  und  dabei 
gleichzeitig  ihr  Fabrikationsprogramm  anzudeuten. 

Das  Unternehmen  zerfällt  heute,  nach  Abstoßung  der  geschilderten 
3  Werke,  in  4  Abteilungen: 

1.  Die  Werke  in  Hamm.     Dieselben  umfassen  ein  Puddelwerk„ 


4.  Phönix. 177 

ein  Stabeisenwalzwerk,  bestehend  aus  Grob-,  Mittel-  und  Feinstrecke, 
ein  Drahtwalzwerk,  eine  Nietenfabrik,  eine  Drahtzieherei,  eine  Ver- 
zinkerei, eine  Stacheldrahtfabrik  mit  9  Stacheldrahtmaschinen,  eine 
Stiftenfabrik  mit  146  Stiftmaschinen,  eine  Lackiererei,  eine  Eisen- 
vitriolfabrik, eine  Faßfabrik,  die  die  für  den  Versand  von  Draht  und 
Drahtstiften  notwendigen  Fässer  herstellt,  eine  Geflechtfabrik  mit 
21  Maschinen,  die  sechseckiges,  und  8  Maschinen,  die  viereckiges 
Geflecht  liefern,  eine  Achsenfabrik  (Schmiede  und  Dreherei),  eine 
Stangenzieherei,  eine  Wellenfabrik,  mechanische  Werkstätten,  be- 
stehend aus  Dreherei,  Reparaturschlosserei  und  Schmiede,  Modell- 
und  Bauschreinerei,  Sattlerei,  schließlich  eine  Gießerei,  in  welcher 
der  für  den  eigenen  Bedarf  erforderliche  Eisen-  und  Metallguß  her- 
gestellt wird.  Dazu  kommt  noch  eine  eigene  Gasanstalt,  die  das 
Gas  für  die  Beleuchtung  der  Räume  liefert. 

2.  Das  Werk  in  Nachrodt.  Diese  Abteilung  umfaßt  folgende 
Anlagen:  ein  Puddelwerk,  ein  Stab-  und  Bandeisenwalzwerk,  ein 
Drahtwalzwerk,  ein  Blechwalzwerk,  eine  Blechverzinnerei  mit  zu- 
gehöriger Beizerei,  ein  Rondenstanzwerk,  bestehend  aus  5  Maschinen 
zum  Stanzen  von  Ronden,  mechanische  Werkstätten  wie  in  Hamm 
und  eine  Gießerei. 

3.  Das  Werk  in  Lippstadt.  Diese  Abteilung  zerfällt  in  ein  Puddel- 
werk, ein  Stabeisenwalzwerk,  nur  aus  einer  Mittelstraße  bestehend, 
eine  Drahtstraße,  eine  Drahtzieherei,  eine  Stiftenfabrik,  eine  Federn- 
fabrik, eine  Blumendrahtfabrik,  eine  Eisenvitriolfabrik,  eine  Faß- 
fabrik und  mechanische  Werkstätten. 

4.  Das  Werk  in  Belecke.  Hier  sind  vorhanden:  eine  Draht- 
zieherei, eine  Stiftenfabrik,  eine  Eisenvitriolfabrik,  eine  Faßfabrik 
und  mechanische  Werkstätten. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ergibt  sich,  daß  alle  4  Abteilungen 
einen  ziemlich  übereinstimmenden  Betrieb  und  im  wesentlichen  das- 
selbe Fabrikationsprogramm  haben.  Sie  verarbeiten  in  erster  Linie 
Schweißeisen  und  fabrizieren  Stäbe,  um  daraus  als  Ganzfabrikat 
hauptsächlich  Draht  herzustellen.  Innerhalb  dieser  Produktion  zeigt 
sich  eine  weitere  Spezialisation  insofern,  als  aus  dem  Draht  auch 
Nägel,  Stifte,  Federn,  Nieten,  Ronden  hergestellt  werden.  Besondere 
Maschinen  liefern  zusammenhängende  Drahtgeflechte.  Daß  noch 
Nebenprodukte  gewonnen  werden,  wie  der  zu  Eisenvitriol  verar- 
beitete Grünspan,  verdient  ebenfalls  hervorgehoben  zu  werden.  Der 
Schwerpunkt  der  Produktion  liegt  in  Hamm,  wo  auch  die  Speziali- 
sation in  bezug  auf  die  Erzeugung  am  größten  ist. 

stillich,  Nationalökonotnische  Forschungen,  Band  I.  12 


178 4.  Phönix. 

So  viel  über  die  Westfälische  Union. 

Ob  die  Fusion  beider  Werke  in  den  Bedürfnissen  der  Produk- 
tion begründet  lag,  oder  vielmehr  eine  mit  den  Finanzinteressen 
der  beteiligten  Gruppen  verquickte  Operation  war,  entzieht  sich  für 
den  Außenstehenden  der  genaueren  Beurteilung. 

Was  das  erstere  Moment  anbelangt,  so  läßt  sich  ohne  weiteres 
erkennen,  daß  der  Absatz  an  Fertigerzeugnissen  mehr 
in  den  Vordergrund  tritt,  denn  jetzt  kann  der  Phönix  sein  Halbzeug  in 
Hamm  etc.  zu  Draht  weiter  verarbeiten.  Trotzdem  scheint,  nach 
historischen  und  analogen  Erfahrungen  bei  der  Dortmunder  Union  zu 
urteilen,  die  Vereinigung  kaum  von  Nutzen.  Wir  sahen  bereits  an  an- 
derer Stelle,  daß  die  Erweiterung  der  örtlichen  Dezentralisation  und  der 
Spezialisation  in  der  Produktion  Nachteile  im  Gefolge  hatte.  Allerdings 
steht  die  Verwaltung  des  Phönix  auf  einem  anderen  Standpunkt.  Gegen 
Ende  der  90er  Jahre,  als  auch  die  Konjunktur  für  Draht  eine  sehr 
günstige  war,  arbeitete  die  Westfälische  Union  mit  großen  Ge- 
winnen und  unter  dem  Eindruck  dieser  Tatsache  bemerkt  der  Ge- 
schäftsbericht des  Phönix  von  1899/1900:  „Die  Ergebnisse  der  letzten 
Jahre  beweisen,  daß  die  Vereinigung  des  Phönix  mit  der  West- 
fälischen Union  ein  richtiger  Schritt  war,  dessen  günstige  Einwirkung 
sich  in  schlechten  Zeiten  vielleicht  noch  mehr  zeigen  wird."  Diese 
Erwartung  hat  sich  nicht  erfüllt.  Die  Spezialisation  erwies  sich  nicht 
imstande,  das  Risiko  während  der  letzten  Krisis  herabzumindern. 
Die  Dividende  des  Phönix  betrug  1899/1900  noch  15o/o,  1900/01  sank 
sie  auf  4 o/o,  1901/02  sogar  auf  Oo/o,  um  dann  1902/03  auf  8 o/o  zu 
steigen.  Eine  Abtönung  der  Wirkungen  der  Krisis  auf  das  Unter- 
nehmen wird  man  aus  diesen  Ziffern  schwerlich  herauslesen  können, 
im  Gegenteil,  es  scheint  schwieriger,  ein  so  hohes  Kapital,  wie  es 
der  Phönix  nach  Absorption  der  Westfälischen  Union  aufweist,  zu 
verzinsen.  Es  wäre  kurzsichtig,  diesen  Zusammenhang  übersehen  zu 
wollen.  Das  Betriebskapital  des  Phönix  hat  sich  von  1896—1903  mehr 
als  verdoppelt,  während  es  in  der  langen  Zeit  von  1873 — 1896  stabil 
auf  16,2  Millionen  Mark  verharrte.  Der  Vollständigkeit  halber  sei 
hier  noch  erwähnt,  daß  vom  1.  Mai  1890  ab  von  den  Aktien  lit.  B 
je  9  zu  300  Mark  in  abgestempelte  Aktien  lit.  A  zu  1200  Mark  zu- 
sammengelegt wurden.  Daraus  ergab  sich  ein  Buchgewinn  von  1,5 
Millionen  Mark.  Diese  Reduktion  wurde  jedoch  dahin  ausgeglichen, 
daß  weitere  1,5  Millionen  Mark  abgestempelter  Aktien  lit.  A  zur 
Emission  gelangten.  Von  dieser  Transaktion  abgesehen,  erfolgt  dann 
1896  nach  längerer  Pause  die  erste  Vermehrung  des  Aktienkapitals 


4.  Phönix. 179 

um  4  050  000  Mark,  und  1898  schließt  sich  daran  eine  zweite.  Es 
werden  behufs  AngUederung  der  Westfälischen  Union  und  zur  Ver- 
mehrung des  Betriebskapitals  9  750  000  Mark  Aktien  ausgegeben. 
Aber  diese  Riesensumme  genügte  noch  nicht.  In  der  außer- 
ordentlichen Generalversammlung  vom  30.  Oktober  1903  wurde,  wie 
bereits  früher  erwähnt,  das  Betriebskapital  noch  um  weitere  5  Millionen 
vermehrt,  so  daß  es  z.  Zt.  35  Millionen  beträgt,  d.  h.  beinahe  an  das 
der  Dortmunder  Union  mit  36  Millionen  Mark  heranreicht.  Aller- 
dings ist  dabei  nicht  zu  vergessen,  daß  die  Produktion  des  Phönix 
heute  größer  ist  als  die  der  Dortmunder  Union.  Es  betrug  die 
Gesamtproduktion  an  fertigem  Eisen  und  Stahl: 

1898/9  1901/2 

beim  Phönix 303,382  t  321,421    t 

bei  der  Dortmunder  Union       290,554  „  258,001    „ 

Fassen  wir  zum  Schluß  das  Wesentliche  noch  einmal  kurz  zu- 
sammen: Das  hervorragendste  Ereignis  aus  der  neue- 
ren Geschichte  des  Phönix  ist  ohne  Zweifel  seine 
Vereinigung  mitder  Westfälischen  Union.  Das  an- 
gegliederte Unternehmen  beruht  in  der  Hauptsache 
auf  der  Herstellung  von  Draht.  Aus  seiner  Ge- 
schichte ist  besonders  wichtig  die  Entlastung  des 
Produktionsorganismus  durch  Abstoßung  dreier 
Werke.  Ferner  die  Tatsache,  daß  die  statutarisch 
festgelegten  Gründerrechte  lange  Zeit  die  Expan- 
sion des  Unternehmens  durch  Aufnahme  von  neuem 
Aktienkapital  hinderten,  bis  auch  sie  unter  dem 
Druck  der  kapitalistischen  Entwicklung  zusammen- 
brachen. Die  Verschmelzung  mit  der  Westfälischen 
Union  hatte  für  den  Phönix  zur  Folge:  eine  Vermeh- 
rung und  weitere  Spezialisierung  seiner  Produk- 
tion durch  die  Aufnahme  der  Drahtfabrikation  in 
großem  Umfange  und  die  damit  gegebene  Möglich- 
keit, seine  eigenen  Rohmaterialien  und  Halbfabri- 
kate in  höherem  Maße  als  dies  früher  der  Fall  war 
in  eigenen  Betrieben  zu  verarbeiten  und  zu  veredeln. 
Eine  weitere  Folge  war  eine  Vergrößerung  der  lo- 
kalen Dezentralisation  und  auf  finanziellem  Gebiet 
eine  nicht  unbedeutende  Kapitals  verm  ehrung,  so 
daß  der   Phönix  in  bezug  auf  die   Höhe  des  Aktien- 

12* 


180 4.  Phönix. 

kapitals  unter  den  großen  Eisenwerken  Deutsch- 
lands nach  Krupp  mit  160  Millionen  Mark  und  der 
Dortmunder  Union  mit  36  Millionen  Mark  in  dritter 
Reiherangiert. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laura-Hütte. 

Das  größte  und  heute  auch  unstreitig  hervorragendste  Werk  der 
oberschlesischen  Eisenindustrie  ist  die  Königshütte.  Es  hat  alle  drei 
Formen  der  gewerblichen  Unternehmung  durchlaufen,  die  uns  be- 
kannt sind:  von  1802—1869  war  es  Staatsbetrieb,  ging  dann  für 
ganz  kurze  Zeit  in  Privathände  über,  d.  h.  in  die  Form  der  Einzel- 
unternehmung, um  bald  darauf  von  1871  bis  zur  Gegenwart  in  der 
Form  des  gesellschaftlichen  Unternehmens  eine  bedeutende  Rolle  zu 
spielen.  Danach  läßt  sich  die  Geschichte  der  Königshütte  in  zwei 
große  Perioden  einteilen.  In  der  ersten  tritt  sie  als  Staatsbetrieb  auf, 
in  der  zweiten  als  Aktiengesellschaft;  von  der  dazwischenliegenden 
kurzen  Zeit,  wo  sie  in  Privatbesitz  war,  können  wir  bei  der  Einteilung 
mit  Fug  abstrahieren. 

Ich  beabsichtige  im  folgenden  die  erste  Periode  nur  ganz  kurz 
zu  behandeln,  um  so  ausführlicher  aber  der  zweite,  und  zwar  aus  dem 
Grunde,  weil  über  den  fiskalischen  Betrieb  der  Königshütte  das 
Wesentliche  bereits  in  einer  datenreichen  Denkschrift,  die  anläßlich 
des  hundertjährigen  Bestehens  der  Unternehmung  von  der  Verwaltung 
herausgegeben  wurde,  zusammengestellt  ist,  und  weil  die  zweite 
Periode,  in  der  das  unpersönliche  Kapital  von  der  Hütte  Besitz  er- 
greift, und  an  Stelle  des  Staates  die  Leitung  übernimmt,  nur  ganz  kurz 
behandelt  ist.  Die  Zeit  vor  1871  wird  in  der  Festschrift  auf  66  Seiten 
zur  Darstellung  gebracht,  hingegen  widmet  sie  der  ganzen  Zeit  von 
1871 — 1902  nur  11  Seiten.  Das  ist  um  so  merkwürdiger,  als  ein 
Vergleich  der  ersten  mit  der  zweiten  Periode  durchaus  zu  Gunsten 
der  letzteren  ausfällt.  Das  Unternehmen  hat  als  Aktiengesellschaft 
viel  mehr  geleistet  und  höhere  Erträge  erzielt  wie  als  Staatsbetrieb. 

Mit  der  Schilderung  der  Königshütte  betreten  wir  einen  neuen, 
für  den  Nationalökonomen,  der  die  Gradabstufung  der  kapitalistischen 
Entwicklung  in  der  Eisenindustrie  studieren  will,  außerordentlich 
interessanten  Boden :  Oberschlesien.  Hier  waren  schon  vor  anderthalb 


182  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Jahrhunderten  große  Unternehmungen  von  seiten  des  preußischen 
Staates  ins  Leben  gerufen  worden.  Ihr  intellektueller  Urheber  war 
Friedrich  der  Große.  Für  die  damalige  absolute  Monarchie  ent- 
sprang der  Gedanke  in  Oberschlesien  die  Eisenindustrie  „in  Flor 
zu  bringen",  in  erster  Linie  militärischen  Interessen.  Der  Staat  wollte 
die  für  den  Krieg  notwendigen  Eiseninstrumente  selbst  fabrizieren. 
In  dem  Reskript  Friedrich  IL  vom  15.  Oktober  1781  an  die  Provin- 
zialbehörden  wird  hervorgehoben,  daß  es  in  erster  Linie  für  den 
Staat  darauf  ankommt,  „daß  man  alle  Bergprodukte,  welche  die 
Natur  einem  Lande  gegeben,  ohne  anderen  Branchen  der  Staats- 
wirtschaft zu  schaden,  mit  den  geringsten  Kosten  und  der  besten 
Qualität  mit  beständigem  Nachhalt  zu  gewinnen  suche,  zuerst  aber 
auf  die  unentbehrlichsten  und  besonders  zu  Kriegszwecken  notwen- 
digen sein  Augenmerk  richte."  Aber  Friedrich  der  Große  wollte 
nicht  nur  eine  bedeutende,  dem  militärischen  Staatsinteresse  nutzende 
Eisenindustrie  schaffen,  er  wollte  sie  auch  fördern.  In  dieser  Hinsicht 
treten  die  merkantilistischen  Anschauungen  des  großen  Königs  deut- 
lich zu  Tage,  d.  h.  die  Regeln  jener  großen  praktischen  Staatspolitik, 
die  die  westeuropäischen  Länder  vom  16. — 18.  Jahrhundert  be- 
herrschte. Um  den  Absatz  an  Eisen  zu  erhöhen,  führte  er  die  so- 
genannte Distribution  ein,  d.  h.  die  inländischen  Eisenkonsumenten 
wurden  zur  Abnahme  bestimmter  Eisenmengen  gezwungen.  Auf 
anderen  Industriegebieten  verfuhr  er  ähnlich:  so  schrieb  er  vor, 
wieviel  jede  Familie  Porzellan  kaufen  solle  etc.  Man  kann  sich  heute 
kaum  eine  Vorstellung  davon  machen,  wie  gehässig  vielfach  diese 
von  dem  absoluten  Polizeistaat  vorgenommenen  Eingriffe  in  die 
Privatwirtschaft  wirkten.  Infolgedessen  wurde  bereits  1780  der  Ab- 
nahmezwang für  Eisen  wieder  aufgehoben.  Um  angemessene  Preise 
für  die  Eisenfabrikate  zu  ermöglichen,  gehörte  der  „Schutz  der  natio- 
nalen Arbeit",  wie  wir  heute  sagen  würden,  in  das  System  der 
politischen  Maßregeln,  das  den  Inbegriff  des  Merkantilismus  aus- 
machte. Es  wurde  das  Importverbot  fremden  Eisens  nach  Ober- 
schlesien und  anderen  Provinzen  eingeführt.  Die  merkantilistische 
Politik  sah  in  dem  Prohibitivzoll  ein  Mittel,  die  Industrie  des  eigenen 
Landes  zu  fördern. 

Unter  der  Herrschaft  dieser  politischen  Anschauungen  wurden 
nun  eine  Reihe  von  Staatsbetrieben  in  Oberschlesien  ins  Leben  ge- 
rufen. So  bereits  1754  das  Eisenwerk  in  Malapane  für  Munitions- 
guß ;  femer  wurde  in  Gleiwitz  eine  Eisengießerei  angelegt,  die  später 
für  die   Königshütte  von  großer  Wichtigkeit  werden  sollte.    Trotz- 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 183 


dem  scheint  Friedrich  der  Große  kein  absoluter  Anhänger  des  Staats- 
betriebes gewesen  zu  sein;  in  einer  Kabinettsorder  sagte  er  gelegent- 
lich einmal:  „Mein  lieber  Etatsminister  Freiherr  von  Heinitz,  glaube 
er  mir,  es  gibt  viele  Dinge,  welche  die  Privaten  besser  verstehen  als 
wir.'") 

Der  bedeutendste  Staatsbetrieb  aber,  der  in  der  Folgezeit  in 
Oberschlesien  entstand,  war  die  Königshütte.  Die  unmittelbare  Ver- 
anlassung zu  ihrer  Entstehung  bildete  die  Entdeckung  großer  Stein- 
kohlenflötze.  Erst  nachdem  man  in  Oberschlesien  die  unermeß- 
lichen Kohlenschätze  näher  kennen  gelernt  hatte,  schritt  man  zum 
Bau  der  Königshütte,  d.  h.  zweier  Hochöfen  mit  Nebengebäuden 
in  nächster  Nähe  der  Königsgrube,  „so  daß  die  Kohlen  aus  dem 
Schacht  unmittelbar  in  die  Kohlenwagen  gestürzt  und  nach  der  Koks- 
bank gebracht  werden  konnten."  Diese  beiden  Öfen  repräsentierten 
die  erste  Kokshochofenanlage  auf  dem  Kontinent.  Das  dazu  nötige 
Kapital  belief  sich  auf  40  000  Taler.  Nach  den  Angaben  der  Fest- 
schrift, auf  die  sich  die  folgende  Darstellung  im  einzelnen  stützt, 
erhielten  die  zuerst  erbauten  Hochöfen  eine  Höhe  von  40  Fuß  und 
eine  Kohlensackweite  von  11  Fuß  4  Zoll;  beide  waren  durch  eine 
gemeinschaftliche  Gießhütte  miteinander  verbunden.  Zu  diesen  beiden 
Hochöfen  kam  dann  1805—1807  ein  dritter.  Der  vierte  wurde  erst 
1818  erbaut.  Das  in  Königshütte  produzierte  Roh-  und  Gießereieisen 
kam  fast  ausschließlich  nach  der  Königlichen  Eisengießerei  in  Glei- 
witz,  die  ökonomisch  in  einem  ganz  engen  Konnex  mit  der  Königs- 
hütte stand.  So  wurden  z.  B.  alle  Maschinen,  die  letztere  brauchte, 
in  Gleiwitz  gebaut.  Allerdings  verursachte  der  Transport  des  Roh- 
eisens nach  Gleiwitz  große  Schwierigkeiten.  Er  vollzog  sich  durch 
Landfuhrwerk  auf  erbärmlichen  Wegen.  Erst  1829  wurde  eine 
Chaussee  von  Königshütte  nach  Gleiwitz  gebaut.  Eisenbahnen  exi- 
stierten ebenfalls  noch  nicht,  und  der  Wasserweg  kam  für  den  Trans- 
port kaum  in  Betracht,  denn  der  Klodnitzkanal  war  in  unzureichenden 
Dimensionen  ausgeführt  worden.  „Nachdem  im  November  1806 
der  Kanal  von  Laband  aus  schiffbar  gemacht  war,  sind  erst  im 
Jahre  1823  die  Schleusen  desselben  in  der  Weise  erweitert  worden, 
daß  Oderkähne  hinaufkommen  konnten,  so  daß  von  diesem  Zeit- 
punkt ab  Kohlen  und  Eisen  direkt  nach  Breslau,  Berlin  und  Magde- 
burg verladen   werden  konnten.     Die  schwankenden  Schiffahrtsver- 


•)  A.  Paniowski :  «Die  Montanindustrie  Oberschlesiens  vor  100  Jahren  (1799). 
Kattowitz  1899,  p.  15. 


184 5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

hältnisse  auf  der  Oder  machten  jedoch  diese  Verladung  unsicher." 
(Festschrift  p.  19.)  Was  die  Erzanfuhr  anbelangt,  so  wurde  dieselbe 
von  einer  großen  Anzahl  von  Gewinnungspunkten  aus  in  Angriff  ge- 
nommen. Die  Abfuhr  besorgten  Bauern  der  Umgegend.  Dieser 
Nebenerwerb  legte  in  das  ursprünglich  rein  agrarische  Milieu  die 
erste  Bresche.  Ja,  die  Bauern  von  Chorzow  gingen  so  weit,  sich  das 
Recht  auf  Vekturanz  beim  Verkauf  von  Land  an  die  Hütte  hypothe- 
karisch zusichern  zu  lassen.  Die  Bauern  waren  froh,  neben  der  Land- 
wirtschaft, namentlich  im  Winter,  in  der  Industrie  eine  finanzielle  Bei- 
hilfe zu  finden.  Ihre  Bezahlung  war  daher  und  wegen  ihrer  nied- 
rigen Lebenshaltung  und  ihrer  Bedürfnislosigkeit  eine  sehr  geringe. 
Demgemäß  waren  auch  die  Arbeitskosten  auf  der  Hütte  außer- 
ordentlich mäßig.  Die  Zahl  der  auf  dem  Bergwerke  und  der  Hütte 
selbst  beschäftigten  Personen  betrug  173  Mann.  Der  durchschnitt- 
liche Arbeitslohn  beUef  sich  auf  10  Silbergroschen,  das  heißt  1  Mark. 

Welchen  Effekt  zeitigte  nun  das  Zusammenwirken  dieser  drei 
großen  Produktionsfaktoren  Natur,  Kapital  und  Arbeit? 

Die  Betriebsresultate  waren  in  den  ersten  Jahren  des  Bestehens 
der  Königshütte  keine  günstigen.  Der  junge  Betrieb  hatte  unter 
einer  Summe  von  Schwierigkeiten  zu  leiden.  Die  Hochöfen  brannten 
nicht  ordentlich.  Die  erste  Hüttenreise  des  Redenofens  z,  B.  dauerte 
nur  11  Wochen.  Dann  traten  Versetzungen  ein.  Die  oberschlesischen 
Koks  erwiesen  sich  zum  Eisenschmelzen  weniger  geeignet  als  die 
festen  Koks  aus  englischen  Fettkohlen.  Dazu  kam  die  Armut  der 
oberschlesischen  Erze  an  Eisen,  von  der  später  die  Rede  sein  soll, 
und  die  ungleichartigen  Beimischungen  von  Sand,  Lehm,  Kalk  und 
namentlich  Zink,  diesem  gefährlichen  Feinde  des  Hochofenprozesses. 
Die  schwefelsäurehaltigen  Wasser  der  Grube,  die  zum  Maschinen- 
betrieb verwandt  wurden,  zerfraßen  das  Metall  und  verstopften  in- 
folge ihrer  Ockerabsätze  häufig  die  Maschinenteile.  „Aber  alle  diese 
Schwierigkeiten",  sagt  die  Festschrift,  „wurden  mehr  als  aufgewogen 
durcli  die  Leichtigkeit  der  Gewinnung  von  Kohle,  Erz  und  Kalkstein, 
welche  sich  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  zusammenfanden  und 
durch  die  außerordentlich  mäßigen  Preise,  zu  denen  sie  bei  niedrigen 
Lohn-  und  Frachtsätzen  zum  Hüttenplatz  geschafft  werden  konnten. 
Diese  Umstände  allein  haben  den  Eisenhüttenbetrieb  in  Ober- 
schlesien ermöglicht.  Die  Erzeugungskosten  des  Roheisens  ent- 
sprachen schon  sehr  bald  annähernd  den  Erwartungen,  und  be- 
reits im  Jahre  1804  konnte  das  Werk  trotz  vieler  Unkosten  bei  einer 
Produktion  von   20  000  Zentner   Roheisen  den  ersten  baren  Über- 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 185 

schuß  von  5226  Taler  an  die  Staatskasse  abführen.  Das  große,  mit 
vielen  jahrelangen  Mühen  geförderte  Unternehmen  war  gelungen." 

In  der  Folgezeit  entwickelte  sich  die  Königshütte  verhältnismäßig 
langsam.  Allerdings  verdoppelte  der  Bau  des  vierten  Hochofens 
im  Jahre  1818  die  Eisenproduktion.  Sie  betrug  1818  1472  Tonnen 
und  stieg  1819  auf  3053  Tonnen.  In  dem  folgenden  Jahrzehnt  ragt 
sie  aber  nicht  viel  über  die  letzte  Ziffer  hinaus.  Auch  eine  Weiter- 
entwicklung der  Betriebsanlagen  fand  nicht  statt.  Die  Hütte  blieb 
bei  der  Herstellung  von  Roheisen  stehen.  Ein  eigenes  Puddelwerk 
besaß  sie  nicht,  ebensowenig  ein  Walzwerk.  Den  weiteren  Schritt  zur 
Herstellung  schmiedbaren  Eisens  zu  machen,  blieb  einer  späteren 
Zeit  vorbehalten. 

Die  Gründe  für  diesen  mangelhaften  Aufschwung  der  Königs- 
hütte sind  in  folgenden  Verhältnissen  zu  suchen.  Zunächst  in  dem 
Fehlen  einer  großen,  massenhaft  Eisen  verbrauchenden  Industrie, 
wie  sie  später  die  Maschinenfabriken  und  der  Eisenbahnbau  dar- 
stellten. Es  fehlten  noch  die  eigentlichen  kapitalistischen  Grundlagen 
der  Massenerzeugung,  oder,  wie  Sombart  sich  ausdrückt,  die  Emanzi- 
pation des  Menschen  vom  Organischen.  Ferner  war  es  die  englische 
Konkurrenz,  die  auch  der  Königshütte  sehr  viel  zu  schaffen  machte, 
als  sie  bis  nach  Oberschlesien  eindrang  und  Gießereieisen  zu  einem 
außerordentlich  billigen  Preise  auf  den  Markt  warf.  Allerdings  muß 
man  die  Zeit  der  Kontinentalsperre  hiervon  ausnehmen,  in  der  das  Werk 
florierte.  Der  englische  Eisenexport  war  unterbrochen,  und  die  damals 
bestehenden  deutschen  Werke  hatten  Zeit  genug,  den  Konsum  an  das 
teurere,  eigene  Fabrikat  zu  gewöhnen.  Das  größte  Hindernis  aber 
war  die  technische  Rückständigkeit  der  deutschen  Betriebe  gegen- 
über den  englischen.  Die  Kokshochöfen  der  Königshütte  bilden 
zwar  eine  Ausnahme,  aber  auch  sie  produzierten  nicht  so  billig 
wie  die  englischen.  Fast  allgemein  wurde  das  Eisen  noch  im  Frisch- 
feuer mit  Holzkohlen  geschmolzen,  während  in  Großbritannien  bereits 
um  das  Jahr  1800  dieser  Betrieb  auf  dem  Aussterbeetat  stand.  1842 
gab  es  in  ganz  Deutschland  nur  noch  einen  einzigen  Holzkohlenhoch- 
ofen, während  nach  Sering*)  von  der  Hochofenproduktion  des  Zoll- 
vereins erst  10,80/0  mit  Koks  oder  gemischtem  Brennmaterial  her- 
gestellt vmrden.  Das  lag  einerseits  an  der  technischen  Rückständig- 
keit der  Bureaukratie,  andererseits  aber  an  den  Interessen  des  schle- 

*)  »Geschichte  der  preußisch-deutschen  Eisenzölle  von  1818  bis  zur  Gegen- 
wart« in  Schmollers  Staats-  und  sozialwissenschaftlichen  Forschungen  III, 
4.  Heft,  1882,  p.  58. 


186  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

sischen  Agraradels  in  bezug  auf  die  vorteilhafte  Verwertung  seiner 
Holzbestände.  Die  Bureaukratie  war  —  von  einzelnen  Männern  ab- 
gesehen —  auch  damals  nicht  elastisch  genug,  um  den  in  England 
längst  vollzogenen  Fortschritt  zu  acceptieren.  So  warnt  der  Ober- 
hüttenverwalter Reil  vor  einer  Ausdehnung  des  Steinkohlenbetriebes 
der  Königshütte.  1828  berichtet  er  nach  Berlin,  daß  die  Wald- 
besitzer Oberschlesiens  große  Aufforstungen  vorgenommen  hätten^ 
so  daß  der  Holzkohlenhochofen-  und  der  Frischfeuerbetrieb  in  Ober- 
schlesien noch  auf  lange  Zeit  gesichert  sei.  (Festschrift  p.  30.)  Die 
schlesischen  Agrarmagnaten  hatten  ein  großes  Interesse  daran,  den 
technischen  Fortschritt  in  der  Industrie  hintenan  zu  halten,  weil  sie, 
so  lange  der  Holzkohlenbetrieb  herrschte,  ihre  Waldbestände  gut 
verwerten  konnten.  Deshalb  blieb  die  Eisenerzeugung  in  den  Holz- 
kohlenhochöfen Oberschlesiens  bedeutend  teurer  als  die  Eisenproduk- 
tion in  den  Steinkohlenöfen  Englands.  Darin  liegi:  der  wesentliche  Grund 
für  die  Überlegenheit  Englands  auf  dem  Gebiete  des  Eisenexports. 
Dieser  erreichte  nun  eine  enorme  Höhe  in  den  30er  und  namentlich 
Anfang  der  40er  Jahre,  als  schottisches  Gießereiroheisen  in  großen 
Massen  nach  Schlesien  eindrang.  Auf  der  Königlichen  Hütte  in 
Gleiwitz,  dem  Hauptkonsumenten  des  Roheisens  der  Königshütte, 
wurde  1842  ein  Quantum  von  9000  Zentner  schottischen  Gießerei- 
roheisens verarbeitet.  Das  englische  Roheisen  kostete  3  Mark  loco 
Oberschlesien,  während  die  Erzeugungskosten  in  Königshütte  sich 
auf  3,3  Mark  stellten.  Die  Herstellungskosten  des  Holzkohlen- 
roheisens waren  natürlich  noch  bedeutend  höher.  In  der  Festschrift 
werden  die  Wirkungen  dieser  Verhältnisse  auf  die  Königshütte  fol~ 
gendermaßen  geschildert  (p.  32):  „Wegen  schlechten  Geschäfts- 
ganges in  der  Gießerei  klagt  das  Hüttenamt  im  Jahre  1834  zum 
ersten  Male  seit  seinem  Bestehen  über  Mangel  an  Absatz.  Die  Ver- 
mehrung der  Roheisenbestände  in  Gleiwitz  und  Königshütte  be- 
ginne bedenklich  zu  werden.  Man  sieht  sich  veranlaßt,  auf  stärkere 
Verwendung  von  Koksroheisen  zur  Stabeisenfabrikation  in  den  Frisch- 
feuern Bedacht  zu  nehmen,  und  es  wird  zu  dem  Ende,  um  das 
siliciumreiche  Roheisen  hierzu  geeigneter  zu  machen,  ein  englisches 
Feinfeuer  gebaut.  Daneben  blieben  allerdings  auch  die  Verhand- 
lungen wegen  Anlage  eines  Puddel-  und  Walzwerks  in  Königshütte 
im  Gange  .  .  .  Unter  den  erwähnten,  außerordentlich  schwierigen 
Verhältnissen  übernahm  der  Hüttenmeister  Eck  die  Betriebsleitung 
der  Hochöfen  von  Königshütte,  und  es  gelang  ihm  in  wenigen  Jahren, 
derselben  Herr  zu  werden.    Er  änderte  den  Betrieb  so  viel  als  möglich 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  187 

dahin  ab,  daß  die  Hochöfen  nicht  mehr  wie  früher  vorwiegend 
Gießereiroheisen,  sondern  zur  Verarbeitung  in  Frischfeuern  geeig- 
netes Produkt  erzeugten.  Zum  Raffinieren  der  siHciumreicheren  Er- 
zeugnisse aber  wandte  er  statt  der  mit  Koks  betriebenen  cngHschen 
Raffinierfeuer  Gasflammöfen  mit  Steinkohlenfeuerung  an,  welche  von 
ihm  erfunden  und  konstruiert  wurden.  Das  flüssige  Roheisen  wurde 
direkt  aus  dem  Hochofen  in  dieselben  abgestochen  und  mit  hoch- 
gespanntem Gebläsewind  aus  scharf  stechenden  Düsen  behandelt, 
hierdurch  wurde  das  graue  Koksroheisen  in  weißes,  gefeintes  Eisen 
umgewandelt.  Eck  hatte  hierbei  einen  durchschlagenden  Erfolg.  „Es 
verdient  namentlich  besondere  Anerkennung",  schrieb  der  Minister 
im  Erlaß  vom  30.  April  1843,  „daß  ohnerachtet  der  sehr  nach- 
teiligen Konkurrenz  des  englischen  Eisens  die  landesherrlichen  Eisen- 
hütten im  allgemeinen  nicht  ungünstig  abgeschlossen  haben." 

Der  weitere  Ausbau  der  Königshütte  und  ihr  eigentlicher  Auf- 
schwung steht  im  Zusammenhange  mit  den  großen  Revolutionen 
im  Verkehrswesen,  die  durch  den  Bau  und  die  Inbetriebsetzung 
von  Eisenbahnen  hervorgerufen  wurden.  Die  Herstellung  der  Eisen- 
bahnen erforderte  große  Quantitäten  von  Eisen  und  provozierte 
geradezu  eine  auf  Massenherstellung  berechnete  Großindustrie.  Ein 
weiteres  Moment  war  die  Zunahme  des  Maschinenbaus.  In  Preußen 
wurden  an  für  die  Industrie  tätigen  Dampfmaschinen  nach  Zahl 
und  Stärke  aufgezeichnet: 

Maschinen  Pferdekräfte 

1837  419  7355 

1840  615  11,712 

1843  863  16,498 

1846  1139  21,715 

1849  1445  29,483 

1852  2124  43,051 

Unter  diesen  nahmen  nach  Anzahl  und  Kraft  bei  weitem  den 
ersten  Rang  die  für  den  Berg-,  Hütten-  und  Salinenbetrieb  bestimmten 
Maschinen  ein;  dann  folgten  die  Spinnerei,  Weberei  und  Walkerei, 
an  dritter  Stelle  aber  die  metallischen  und  an  vierter  die  Maschinen- 
fabriken.*) 

Die  Anforderungen  des  Eisenbahnbaues  und  später  des 
Maschinenbaues  führten  zu  einer  Vergrößerung  der  Königshütte. 
Bisher  war  der  Erzeugungsprozeß  eingliedrig,  denn  die  Hütte  basierte 
auf  der   Herstellung  von    Roheisen;   nunmehr  wird   er  dreigliedrig 


•)  Sering,  a.  a.  O.,  p.  53. 


188  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

gemacht,  und  zwar  durch  den  Neubau  eines  Puddel-  und  eines  Walz- 
werkes. Das  Projekt,  8  Puddelöfen,  7  Schweiß-  und  Wärmeöfen 
und  je  1  Stab-  und  Schienenwalzwerk  zu  errichten,  kam  von  1838 
bis  1844  zur  Ausführung,  Das  neue  Werk,  dessen  Kosten  auf 
150  000  Taler  veranschlagt  worden  waren,  erhielt  zu  Ehren  des 
damaligen  Finanzministers  den  Namen  Alvenslebenhütte.  Die  Pro- 
duktion des  ersten  Betriebs  Jahres  1845  überflügelte  noch  die  von 
der  Verwaltung  gehegten  Erwartungen.  Sie  betrug  19  052  Zentner 
Kolbeneisen,  5200  Zentner  Stabeisen,  19  249  Zentner  Eisenbahn- 
schienen und  85  000  Zentner  Rohschienen. 

Die  Zeit,  in  der  die  Königshütte  und  ihr  Supplement,  die  Alvens- 
lebenhütte, einen  großen  Aufschwung  nahm,  war  handelspolitisch 
gekennzeichnet  durch  die  Einführung  von  Schutzzöllen  auf  Roheisen 
und  Schmiedeeisen.  Damit  sollte  ein  Ausgleich  geschaffen  werden 
zwischen  der  billigeren  Produktion  des  Auslandes  und  der  teureren 
des  Inlandes.  Die  mit  dem  1.  September  1844  in  Kraft  getretenen 
Schutzzölle  auf  Roheisen  und  Stabeisen  wandten  sich  in  erster  Linie 
gegen  die  stürmische  Konkurrenz  Englands,  deren  Einfluß  auf  die 
deutschen  Eisenwerke  wir  bereits  kennen  lernten.  Die  Wirkung 
dieser  Zölle  war  allerdings  nicht  die  Beseitigung  der  fremden  Kon- 
kurrenz, wohl  aber  ihre  Einschränkung. 

Unter  diesem  Schutzzollsystem,  das  im  wesentlichen  bis  zu  der 
Ära  der  westeuropäischen  Handelsverträge,  d.  h.  bis  Anfang  der 
60er  Jahre  in  Geltung  blieb,  entstanden  eine  große  Anzahl  von 
Konkurrenzwerken  in  Oberschlesien.  Dieser  Periode  verdanken  ihre 
Entstehung  die  Falvahütte,  die  Friedenshütte,  die  Eintrachthütte,  die 
Maria-  und  Sophienhütte,  die  Baildonhütte,  die  Herminenhütte,  das 
Piela-Zawadzkiwerk,  die  Hugohütte  und  die  Donnersmarckhütte.  Das 
gefährlichste  Unternehmen  für  die  Königshütte  wurde  aber  ein  Privat- 
werk des  Grafen  Hugo  Henkel  von  Donnersmarck.  Derselbe  erbaute 
1835 — 1838  mit  Hilfe  englischer  Ingenieure  und  nach  englischem 
Muster  ein  großes  Hochofen-,  Puddel-  und  Walzwerk  in  verhältnis- 
mäßig geringer  Entfernung  von  der  Königshütte.  Dieses  große  Privat- 
unternehmen erhielt  den  Namen  Laurahütte.  Es  begann  damit,  der 
Staatshütte  die  besten  Beamten  und  Arbeiter  wegzunehmen,  z.  B. 
den  Hüttenmeister  Naglo. 

Obgleich  der  Verbrauch  an  Eisen  stark  gestiegen  war,  machten 
doch  all  diese  Werke  der  Königshütte  eine  nicht  unbedeutende  Kon- 
kurrenz. Diese  Konkurrenz  hätte  nun  der  Sporn  zum  Fortschritt 
sein  sollen.    Allein  der  Staatsbetrieb  war  nicht  wagemutig  genug, 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  189 

um  die  Vergrößerung  und  Vervollkommnung  der  bestehenden  Ein- 
richtungen rechtzeitig  durchzuführen.  Die  Festschrift  gibt  eine  de- 
taillierte Darstellung  der  in  den  betreffenden  Ministerien  gepflogenen 
Erwägungen,  die  allzulange  auf  dem  Papier  standen,  ehe  sie 
in  die  Praxis  umgesetzt  wurden.  Die  Sünden,  die  man  damals  be- 
ging, ließen  sich  in  bezug  auf  ihre  Wirkungen  nicht  wieder  gut 
machen  und  führten,  wie  wir  später  sehen  werden,  zum  schließ- 
lichen Verkauf  der  Hütte.  Es  ist  daher  interessant,  die  Pläne  kurz 
zu  verzeichnen,  die  in  einer  Zeit  fieberhafter  Produktion  in  der 
Eisenindustrie  nicht  zur  Ausführung  gediehen  und  infolge  dieses 
negativen  Resultates  zu  einer  starken  Schädigung  der  Königshütte 
führten. 

Bereits  1846  hatte  die  Hüttenverwaltung  ein  Projekt  ausgearbeitet, 
nach  dem  die  Produktionsmittel  wesentlich  verstärkt  werden  sollten. 
Es  solhe  ein  neuer  großer  Ofen  in  Gleiwitz  und  2  in  Königshütte 
gebaut  werden;  femer  soUten  die  alten  Öfen  in  neue  von  großen 
Dimensionen  umgewandelt  werden.  Die  Kosten  berechnete  man  auf 
248  000  Taler.  Dieser  Plan  vmrde  dem  Könige  vorgelegt.  „Aber 
Friedrich  Wilhelm  IV.",  heißt  es  in  der  Denkschrift  p.  44/45,  „scheint 
nicht  gewillt  gewesen  zu  sein,  die  Vorteile  der  Eisenkonjunktur, 
welche  er  zum  Teil  durch  den  gewährten  Zollschutz  veranlaßt  hatte, 
in  Konkurrenz  mit  den  Privatwerken  zur  Erweiterung  der  fiskalischen 
Hütten  auszunutzen.  Mit  Kabinettsorder  vom  4.  September  1846 
genehmigte  er  zuvörderst  nur  den  Neubau  von  zwei  Hochöfen  für 
beide  Werke  zusammen,  und  zwar  lediglich  unter  Verwendung  der 
extraordinären  Überschüsse  aus  dem  Betriebe  von  1847  ab  gerech- 
net und  bemerkte  dann:  „Was  die  auf  der  Königshütte  und  in 
Gleiwitz  vorhandenen  baufälligen  Öfen  betrifft,  so  gebe  ich  Ihrer 
näheren  Erwägung  anheim,  ob  dieselben  nicht  mit  Rücksicht  auf 
die  gegenwärtig  für  die  Eisenfabrikation  günstigen  Konjunkturen 
noch  eine  Zeitlang  im  Betriebe  zu  erhalten  sein  werden  und  ob 
es  nicht  angemessen  sein  möchte,  den  Umbau  dieser  Öfen,  sobald 
sie  nicht  länger  benutzt  werden  können,  auf  drei  zu  beschränken  und 
so  eine  Vermehrung  der  Gesamtzahl  fiskalischer  Hochöfen  in  Ober- 
schlesien zu  vermeiden,  weil  es  sehr  zweifelhaft  ist,  wie  lange  die 
gegenwärtige  günstige  Konjunktur  für  den  Eisenhüttenbetrieb  dauern 
wird,  sobald  aber  eine  Stockung  eintritt,  neue  Klagen  über  eine 
Vermehrung  der  fiskalischen  Konkurrenz  nicht  fehlen  werden."  Diese 
schwerwiegende  Entscheidung  hatte  zur  Folge,  daß  der  ganze  vor- 
bereitete  Plan  einstweilen  fallen  gelassen   werden  mußte,  weil  die 


190  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

fiskalischen  Hüttenkassen  noch  eine  namhafte  Schuldenlast  aus  Vor- 
jahren abzutragen  hatten,  ehe  sie  extraordinäre  Überschüsse  aus 
ihren    Erträgen    nachweisen   konnten." 

Das  große  Hungerjahr  1848  gab  dann  der  Bergverwaltung  ein 
neues  Motiv,  um  den  Bau  der  beiden  neuen  Hochöfen  auf  der 
Königshütte  zu  verlangen.  Sie  gingen  davon  aus,  daß  „die  bekannte 
Not  in  Oberschlesien  nicht  unwesentlich  vermindert  werden  würde, 
wenn  bald  durch  allerhöchste  Genehmigung  bei  diesen  Bauten  recht 
viele  Bauarbeiter  angestellt  und  dadurch  Leben  und  Verdienst  dem 
armen  Volke  gegeben  werden  könnte."  Dieses  sozialpolitische  Argu- 
ment veranlaßte  den  König,  auf  den  die  revolutionäre  Bewegung 
der  Märztage  einen  starken  Eindruck  gemacht  hatte,  auf  eine  Vor- 
lage des  Finanzministers,  durch  Kabinettsorder  vom  17.  April  1848 
zu  bestimmen,  daß  das  zum  Bau  erforderliche  Geld  aus  der  schle- 
sischen  Oberbergamtshauptkasse  zu  Brieg  vorschußweise  entnommen 
werden  solle.  Allein  das  Finanzministerium  konnte  sich  zur  Her- 
gabe der  Summe  nicht  entschließen,  und  auch  die  Oberrechnungs- 
kammer erhob  Bedenken.  1850  kam  dann  in  der  Person  des  Hütten- 
inspektors Eck  ein  Mann  in  die  Verwaltung  der  Königshütte,  der 
mit  großem  Eifer  die  alten  Pläne  wieder  aufnahm.  Aber  dieser, 
durch  seine  Reisen  in  die  schottischen  Eisenbezirke  besonders  orien- 
tierte Beamte  starb  1852  an  der  Cholera.  Ein  Ministerialerlaß  aus 
demselben  Jahre  zog  überdies  die  Ausführung  des  Bauetats  wegen 
dringender  anderweitiger  Ausgaben  einstweilen  wieder  zurück.  Da 
nun  von  der  Vergrößerung  des  Werkes  seine  Konkurrenzfähigkeit 
abhing,  ist  es  begreiflich,  daß  die  maßgebenden  Kreise  schließlich 
den  Monarchen  selbst  für  den  Neubau  zu  gewinnen  suchten.  Anlaß 
dazu  gab  die  zum  50jährigen  Jubiläum  des  Werkes  veranstaltete 
Feier,  zu  der  der  König  persönlich  erschien.  „Die  Feier",  schreibt 
die  Festschrift  (p.  48),  „welche  allerdings  wegen  der  zu  jener  Zeit 
herrschenden  Cholera  bis  auf  den  29.  August  1853  verschoben  werden 
mußte,  nahm  einen  glänzenden  Verlauf,  und  der  König  schenkte  be- 
sonders der  Walzung  des  Konstruktionsmaterials  für  die  Ostbahn- 
brücke in  Dirschau,  welche  ihm  in  der  Alvenslebenhütte  vorgeführt 
wurde,  seine  besondere  Aufmerksamkeit  und  Teilnahme.  Wie  man 
erwartet  hatte,  nahmen  von  jetzt  ab  auch  die  Erweiterungsbauten 
für  die  Alvenslebenhütte  einen  flotten  Fortgang."  Nunmehr  wurde 
in  demselben  Jahre  das  ursprüngliche  Projekt  dahin  erweitert,  „daß 
neben  dem  Umbau  der  alten  Öfen  in  vergrößerten  Dimensionen 
noch  vier  weitere  neue  Hochöfen  moderner  Konstruktion,  zwei  neue 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  191 

Gebläsemaschinen  von  je  100  Pferdekräften  und  zwei  dergleichen 
von  120—150  Pferdekräften,  ferner  108  (Wittenberger)  geschlossene 
Verkokungsöfen  mit  darüber  liegenden  Dampfkesseln,  sowie  eine 
Feinofenhütte  und  zwei  Gasflammöfen  errichtet  werden  sollten  und 
daß  außer  dem  früher  geplanten  und  zum  Teil  bereits  ausgeführten 
Erweiterungsbau  der  ahen  Alvenslebenhütte,  welcher  neben  einer 
Grobstrecke  von  120  Pferdekräften  ein  Kesselblechwalzwerk  von 
100  Pferdekräften  nebst  Schweißöfen  mit  darüber  liegenden  Kesseln 
enthielt,  ein  großartiges  neues  Schienen-  und  Stabeisenwalz- 
und  Hammerwerk  (Alvenslebenhütte  II)  errichtet  wurde,  welches 
gegenüber  der  alten  Walzhütte  Platz  fand.  Diese  letztere,  die  alte 
Alvenslebenhütte,  wurde  in  allen  ihren  Teilen  ausschließlich  zu  einem 
Puddel-  und  Rohschienenwalzwerk  umgewandelt,  in  welcher  22 
Puddelöfen  Platz  fanden,  während  in  der  neuen  Alvenslebenhütte  II 
ein  Schienenwalzwerk,  ein  großes  Stabeisenwalzwerk  nebst  einem 
angehängten  kleineren  Stabeisen walzwerk,  beide  von  einer  120-  bis 
150-pferdekräftigen  Maschine  betrieben,  sowie  endlich  ein  kleines 
Feineisenwalzwerk  mit  30-pferdekräftiger  Maschine,  sämtlich  mit 
den  erforderlichen  Hilfsmaschinen  und  mit  zusammen  16  Schweiß- 
öfen mit  7  dahinter  liegenden  Dampfkesseln  und  4  Reservekesseln 
aufgestellt  werden  sollten.  Dieser  Bau  kam  einem  vollständigen 
Neubau  der  gesamten  Königshütte  gleich  und  wurde  mit  einigen  Ab- 
änderungen bis  zum  Jahre  1860  mit  einem  Kostenauf  wände  von 
nahe  an  IV2  Millionen  Talern  zur  Durchführung  gebracht,  und  das 
Werk  erhielt  hiermit  im  wesentlichen  die  Gestalt,  welche  es  im 
Jahre  1869  beim  Übergang  in  Privatbesitz  hatte.  Man  rechnete  bei 
dieser  großartigen  Erweiterung  auf  eine  Erzeugung  von  ca.  500  000 
Zentner  Roheisen  und  300  000  Zentner  Walzwerksfabrikate."  (Fest- 
schrift p.  51). 

Man  kann  wohl  sagen,  selten  hat  ein  Werk  die  goldenen  Tage 
des  Aufschwungs  durch  unzureichende  Einrichtungen  und  ängstliche 
Erwägungen  so  wenig  genutzt,  wie  die  Königshütte.  Als  dann  gegen 
Ende  der  50er  Jahre  die  neuen  Anlagen  nach  und  nach  in  Betrieb 
kamen,  war  bereits  ein  schwerer  Rückschlag  in  der  Eisenkonjunktur 
eingetreten.  Die  großen  Schienenaufträge  hatten  bedeutend  nachge- 
lassen, englisches  Eisen  war  wieder  in  großen  Massen  auf  dem 
deutschen  Markte  erschienen  —  1858  allein  über  5  Millionen  Zentner. 
Die  neuen  Produktionsmittel  der  neu  entstandenen  Werke  aber  ver- 
mehrten in  den  fünfziger  Jahren  und  in  der  Folgezeit  die  Erzeugung 
gegen   früher  bedeutend   und   führten   sie   in   ein  Tempo   über,   an 


192 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 


das  man 

früher  nie 

gedacht 

hatte 

.    Es  betrug  auf 

der 

Königshütte 

die  Herstellung  an 

Roheisen 

raff. 
Roheisen 

Guß- 
waren 

Halb- 
fabrikate 

Fertig- 
fabrikate 

1856 

5,650 

t 

1,496 

t 

1,088     t 

7,683 

t 

5,915     t 

1857 

10,002 

2,508 

1,226     , 

11,212 

8,249     „ 

1858 

11,178 

2,459 

1,389     , 

12,335 

9,595     ,, 

1859 

12,153 

1,583 

1,007     , 

,         10,622 

7,559     „ 

1860 

13,651 

2,252 

886     , 

11,296 

8,315     „ 

1861 

15,208 

3,135 

1,185     , 

12,956 

10,338     „ 

1862 

16,662 

3,839 

1,323     , 

14,438 

11,561     „ 

1863 

19,112 

3,850 

1,370     , 

15,435 

11,739     „ 

1864 

21,335 

4,180 

1,632     , 

19,581 

15,229     „ 

1865 

24,315 

3,999 

2,022     , 

21,297 

17,024     „ 

Dazu  kamen  nun  noch  andere  Momente,  die  die  Hoffnungen: 
reduzierten,  die  man  auf  die  durch  die  Vermehrung  der  Produktions- 
mittel erwarteten  günstigen  Ergebnisse  gesetzt  hatte.  Zunächst  führte 
die  Steigerung  der  Produktion  zu  einer  Verarbeitung  auch  weniger 
guter  Eisenerze.  Mit  der  Erhöhung  der  Produktion  ging  daher 
eine  Verschlechterung  des  Produktes  Hand  in  Hand,  Klagen  hier- 
über waren  an  der  Tagesordnung.  Ferner  begannen  die  Produktions- 
kosten bedeutend  zu  steigen.  Die  Bau-  und  Betriebskosten  wurden 
teurer.  Die  Löhne  gingen  in  die  Höhe.  Aus  der  Staatskasse  wurden 
bereits  1853  Gelder  zur  Anlage  von  Arbeiterkolonien  gegeben. 
Schließlich  war  es  der  unaufhörliche  Wechsel  der  Betriebsbeamten,, 
vor  allem  der  Baumeister  und  Direktoren,  der  den  Gang  des  Werkes 
schädigte.  Die  meisten  gingen  —  auch  während  des  Baues  —  in 
die  Konkurrenzwerke  über,  die  von  Privaten  oder  Aktiengesell- 
schaften errichtet  waren.  Infolgedessen  war  die  technische  Aus- 
führung der  Neuanlagen  nicht  vollständig  befriedigend,  und  später 
wurden  viele  kostspielige  Veränderungen  nötig. 

Aus  diesen  Schwierigkeiten  suchte  nun  der  seit  1860  als  Chef 
der  Bergverwaltung  fungierende  Ministerialdirektor  und  Oberberg- 
hauptmann Krug  von  Nidda  die  Königshütte  zu  retten,  und  zwar 
durch  Einführung  einer  Reihe  technischer  Verbesserungen.  Aller- 
dings ist  auch  er  nicht  imstande  gewesen,  die  ursprüngliche  Be- 
stimmung des  Unternehmens  zu  verwirklichen,  Musteranstalt  des 
Staates  gegenüber  den  Privatwerken  zu  sein.  Aber  der  intellektuelle 
Einfluß  dieses  Mannes  ist  auf  die  Leistungen  der  Königshütte  immer- 
hin nicht  unbedeutend  gewesen.  In  bezug  auf  die  eingeführten  Ver- 
besserungen, die  namentlich  den  Hochofenbetrieb  und  die  maschi- 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 193 

Hellen  Leistungen  betrafen,  bemerkt  die  Festschrift  (p.  59):  „Durch 
Verstärkung  der  Gebläsekraft,  Erweiterung  der  Ofengestelle,  bessere 
Windverteilung  und  Erwärmung  wurde  die  Wochenproduktion  ein- 
zelner Öfen  in  den  Jahren  1867—1869  auf  4—5000  Zentner  gebracht, 
und  die  Selbstkosten  des  Roheisens  wurden  wiederum  auf  28  Sgr. 
pro  Zentner  herabgedrückt.  Im  Walzwerk  wurden  durch  Vermeh- 
rung der  Zahl  der  Puddelöfen  bis  auf  62  Stück  angemessene  Pro- 
duktionsverhältnisse hergestellt,  wodurch  unter  Leitung  des  Hütten- 
meisters Jüttner  die  Produktionsziffern  erhöht  und  die  Selbstkosten 
ermäßigt  wurden.  In  den  Jahren  1860  bis  1869  stieg  die  Produktion 
der  Hochofenanlage  von  13  651  auf  38  475  Tonnen,  die  des  Walz- 
werks von  8315  Tonnen  auf  31  110  Tonnen  und  die  Betriebsergebnisse 
des  Werkes  hoben  sich  beträchtlich.  Eine  besonders  glänzende  Ent- 
wicklung fand  damals  die  Erzeugung  von  Eisenbahnschienen  mit 
aufgeschweißtem  Feinkornkopf,  durch  welche  Fabrikation  die  deutsche 
Eisenindustrie  die  englische  in  bezug  auf  vorzügliche  Qualität  der 
Eisenbahnschienen  völlig  aus  dem  Felde  schlug  und  sich  die  Allein- 
herrschaft auf  dem  deutschen  Schienenmarkt  sicherte."  Vor  allem 
aber  akzeptierte  die  Königshütte  im  Jahre  1865  den  größten  Fort- 
schritt, der  in  den  50er  Jahren  in  der  Herstellung  schmiedbaren 
Eisens  gemacht  worden  war.  Sie  führte  den  Bessemerprozeß  ein. 
Von  Krug  hatte  die  Annahme  des  neuen  Verfahrens  in  Oberschlesien 
als  eine  „Ehrenpflicht  der  Staatshüttenwerke"  bezeichnet.  Es  wurde 
die  bereits  1864  fertig  gestellte  Bessemeranlage  des  Hoerder  Berg- 
werks- und  Hüttenvereins  besucht,  über  die  Brauchbarkeit  der  ober- 
schlesischen  Erze  für  den  Prozeß  wurden  eingehende  chemische  Un- 
tersuchungen veranstaltet,  weiter  wurden  Gutachten  eingeholt  und 
schließlich  eine  Summe  von  28  000  Taler  für  den  Bau  von  2  Con- 
vertern disponibel  gemacht.  In  diesen  kleinen,  nur  5  Tonnen  Inhalt 
fassenden  Birnen  wurden  Ende  Januar  1865  die  ersten  Bessemer- 
chargen geblasen,  zur  Vorsicht  erst  mit  englischem  Hämatiteisen, 
dann  aber  mit  oberschlesischem  Roheisen.  Die  Erfolge  waren  gute, 
„so  daß  bereits  in  einer  Submission  vom  8.  März  desselben  Jahres 
eine  Lieferung  von  2500  Stück  Bessemerstahlschienen  für  die  Ober- 
schlesische  Eisenbahn  übernommen  wurde,  für  welche  die  Blöcke  unter 
einem  Dampfhammer  von  200  Zentner  Fallgewicht  abgeschmiedet 
und  mit  dem  vorhandenen  Schienenwalzwerk  abgewalzt  werden 
konnten."    (Festschr.   p.  62.) 

Aber  dieser  Fortschritt,  der  sich  im  Vergleich  zu  früheren  Maß- 
nahmen relativ  schnell  vollzog,  sollte  der  letzte  sein,  der  der  Ini- 

Stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  13 


194  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

tiative  des  Staates  und  seiner  Fürsorge  für  die  Königshütte  seine 
Entstehung  verdankte.  In  den  60er  Jahren  stand  die  Hberale  Welt- 
anschauung auf  der  Mittagshöhe  ihres  Erfolges.  Für  sie  war  der 
Staatsbetrieb  wie  die  ganze  Einmischung  des  Staates  in  das  Er- 
werbsleben im  Vergleich  zu  früheren  Zeiten  nichts  wünschenswertes 
mehr.  Dazu  kam  die  freihändlerische  Politik  der  Regierung,  die 
die  fremden  Märkte  der  deutschen  Großindustrie  eröffnete.  Am  Ende 
der  60er  Jahre  bestürmte  die  oberschlesische  Konkurrenz  den  Finanz- 
minister, das  Werk  zu  verkaufen.  Auf  dem  Wege  der  Submission 
fiel  es  1869  in  die  Hände  des  meistbietenden  Käufers,  des  damaligen 
Grafen  Hugo  Henckel  von  Donnersmarck,  des  Besitzers  der  Laura- 
hütte. Über  die  Bedingungen,  die  zum  Verkauf  des  Werkes  führten, 
macht  die  Festschrift  (p.  62 — 65)  folgende  Mitteilungen:  „Die  ge- 
schäftliche Lage  der  Königshütte  hatte  sich  zwar  ...  in  der  zweiten 
Hälfte  der  60er  Jahre  zum  besseren  gewendet,  trotzdem  wurde  die 
Absicht,  den  Verkauf  des  Werkes  baldigst  durchzuführen,  von  der 
Bergverwaltung  niemals  aufgegeben.  Man  hielt  den  ursprünglichen 
Zweck  desselben,  als  Musteranstalt  für  die  Privatindustrie  zu  dienen, 
bei  dem  großen  Aufschwünge  der  letzteren  für  erledigt.  Die  Auf- 
nahme eines  Wettbewerbs  mit  den  Privathütten  erschien  nicht  im 
staatswirtschaftlichen  Interesse  und  versprach  bei  der  geschilderten 
Sachlage  auch  keinen  Erfolg,  um  so  weniger,  als  die  Verwaltung  der 
königlichen  Werke,  an  die  gesetzlich  festgelegten  Ökonomiepläne 
gebunden,  dem  Betriebsdirigenten  niemals  diejenige  Freiheit  in  der 
Bewegung  gestatten  durfte,  welche  den  Direktoren  der  Privathütten 
beim  Wechsel  der  Konjunkturen  zu  statten  kam.  Dadurch,  daß  die 
Königshütte  bereits  seit  fast  zwei  Jahrzehnten  gewissermaßen  unter 
dem  Hammer  stand,  und  durch  den  hierdurch  mitverschuldeten  häu- 
figen Wechsel  der  Beamten  hatten  sich  die  Verhältnisse  und  die 
Aussichten  des  Werkes  ungemein  verschlechtert  und  so  erschwert, 
daß  von  der  Weiterführung  dieses  komplizierten  industriellen  Unter- 
nehmens für  die  Staatsverwaltung  erhebliche  Inkonvenienzen  befürch- 
tet wurden.  Hierzu  kam  endlich,  daß  die  allgemeine  Handelspolitik 
in  Preußen  eine  für  den  Eisenhüttenbetrieb  ungünstige  Wendung 
genommen  hatte.  Die  in  den  40er  Jahren  aufgekommene  Neigung 
der  Regierung,  die  Industrie  durch  Schutzzölle  zu  unterstützen,  hatte, 
zunächst  aus  Gründen  der  Zollvereinspolitik  Preußens  gegen  Öster- 
reich, längst  wieder  einer  freihändlerischen  Richtung  Platz  gemacht . . . 
Der  Eisenabsatz  nach  Österreich  war  lebhafter  geworden,  und  so  stand 
gerade  für  Oberschlesien  augenblicklich  eine  günstigere  Konjunktur 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  195 

in  Aussicht.  Dies  hatte  zur  Folge,  daß  im  Jahre  1868  wiederum 
einige  hervorragende  Industrielle  Oberschlesiens  mit  neuen  Kauf- 
anträgen wegen  der  Königshütte  an  die  Bergverwaltung  herantraten. 
Nun  glaubte  dieselbe  nicht  länger  mit  der  Abstoßung  des  Hütten- 
werks zögern  zu  dürfen,  und  die  Verkaufsverhandlungen  wurden 
energisch  in  Angriff  genommen  .  .  .  Nunmehr  wurde  auch  der  Ver- 
kauf der  Hütte  —  nach  einem  gänzlich  mißglückten  Versuche  einer 
mündlichen  Versteigerung,  welche  mit  Rücksicht  auf  die  Kom- 
munalverhältnisse ein  allzu  niedriges,  unannehmbares  Gebot  ge- 
liefert hatte,  —  im  Wege  der  schriftlichen  Submission  durchgesetzt, 
und  am  1.  Januar  1870  ging  das  Werk  mit  allem  Zubehör,  nament- 
lich auch  mit  allem  Besitz  an  Erz  und  Kalksteinfeldern  in  das  Eigen- 
tum des  Grafen  Hugo  Henckel  von  Donnersmarck  auf  Naclo  über, 
zu  einem  Kaufpreis  von  1  003  000  Taler,  wobei  ein  Feldesteil  der 
fiskalischen  Steinkohlengrube  König  in  Größe  von  695  000  Quadrat- 
lachter,  welcher  der  Hütte  am  zugänglichsten  gelegen  war,  als  Zu- 
behör mit  überwiesen  wurde  .  .  .  Der  Ratgeber,  welcher  den  Grafen 
JHugo  Henckel  zu  diesem  Geschäft  veranlaßt  hatte,  war  der  Direktor 
Richter  von  der  dem  Grafen  selbst  gehörigen  Laurahütte.  Derselbe 
war  früher  als  Hilfsarbeiter  des  Hüttendirektors  Paul  in  Königshütte 
als  fiskalischer  Beamter  beschäftigt  gewesen  und  war  in  die  Ver- 
hältnisse des  Werkes  genau  eingeweiht.  Er  hatte  mit  der  ihm  eigenen 
genialen  Kombinationsgabe  die  großen  Vorteile  durchschaut,  welche 
der  Erwerb  dieses,  w'enn  auch  in  der  öffentlichen  Meinung  stark 
kompromittierten  Staatswerks  bei  seiner  Vereinigung  mit  der  Laura- 
hütte in  einer  Hand  bieten  könne.  Die  üble  Meinung  von  dem  Werk 
der  Königshütte  war  aber  so  stark,  daß  der  Generaldirektor  der 
preußischen  Besitzungen  des  Grafen  Hugo  Henckel,  der  Bergrat 
Ficinus,  es  ablehnte,  das  Werk  in  seinen  Verwaltungskreis  mit  zu 
übernehmen.  Dasselbe  wurde  hierauf  als  eine  besondere  Abteilung 
unter  dem  Namen  „Das  Berg-  und  Hüttenwerk  Königshütte"  dem 
Geschäftskreis  der  österreichischen  Besitzungen  angegliedert  und  dem 
Generaldirektor  Ritter  in  Wien  unterstellt.  Richter  trat  als  Werks- 
direktor an  die  Spitze  desselben,  indem  er  aus  dem  Direktorium  der 
Laurahütte  ausschied  und  die  Betriebsleitung,  bezw.  Inbetriebssetzung 
des  bisher  der  Königsgrube,  nunmehr  der  Königshütte  zugehörigen 
f eldesteils  —  Gräfin  Lauragrube  genannt  —  dem  Bergassessor  Jung- 
hann  übertrug." 

So  viel  über  die  Geschichte  und  das  Schicksal  der  Königshütte 
als  Staatsbetrieb.   Fassen  wir  noch  einmal  die  wichtigsten  Ergebnisse 

13* 


196  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

dieser  ersten  Abschnitte  zusammen :  Das  Unternehmen  wurde 
1802  gegründet  zum  Zwecke  der  Erzeugung  von  Roh- 
eisen. Die  Produktionsbedingungen  lagen  ver- 
ankerteinm  alindem  unermeßlichen  Reichtumgroßer 
Steinkohlenflötze,fernerinbilligenArbeitskräften. 
Das  wichtigste  Kapital,  d.  h.  die  Produktionsmittel, 
bestanden  aus  2,  später  4  Hochöfen,  die  zum  Unter- 
schiede von  anderen  mit  Koks  betrieben  wurden.  Der 
Hauptkonsument  des  darin  fabrizierten  Roheisens 
war  die  königliche  Eisengießerei  in  Gleiwitz.  Bis 
zur  Einführung  der  Eisenzölle  im  Jahre  1844  war 
die  Entwicklung  der  Königshütte,  von  den  ersten 
Zeiten  ihres  Bestehens  abgesehen,  stark  inhibiert 
durch  die  Konkurrenz  des  Auslandes,  namentlich  des 
englischen  und  schottischen  Eisens,  nach  dies  er  Zeit 
durch  die  Konkurrenz  des  Inlandes,  d.  h.  der  großen 
in  Oberschlesien  entstandenen  Privatwerke  und 
Aktiengesellschaften  der  Eisenindustrie,  insbeson- 
dere der  Laurahütte.  Die  tieferen  Ursachen  für  die 
Superiorität  des  englischen  Wettbewerbes  lagen 
einerseits  in  der  technischen  Rückständigkeit  der 
preußischen  Büreaukratie,  die  Neuerungen  schwer 
zugänglich  war,  und  andererseits  in  den  materiellen 
Interessen  der  schlesischen  Großgrundbesitzer,  so- 
weit sie  das  Holz  für  die  Holzkohlen  der  Hochöfen 
lieferten.  Der  wichtigste  Fortschritt  der  Königs- 
hütte bestand  nun  in  ihrer  ökonomischen  Emanzi- 
pation von  der  Gleiwitzer  Hütte,  oder  noch  deut- 
licher ausgedrückt,  in  dem  Übergang  von  der  Roh- 
eisenerzeugung zur  Herstellung  von  Fertig-  und 
Ganzfabrikaten.  Durch  den  1844  beendeten  Bau  der 
Alvenslebenhütte  mit  einem  Puddel-  und  zwei  Walz- 
werken für  Stab-  und  Schienenfabrikation  trat  an 
Stelle  des  früheren  einfachen  ein  dreigliedriger  Pro- 
duktionsprozeß. Durch  dieses  Werk  wurde  die 
Königshütte  befähigt,  in  die  Ausnutzung  der  großen, 
durch  den  Eisenbahnbau  in  Deutschland  geschaffe- 
nen Konjunktur  einzugreifen.  Aber  diese  Glanz- 
periode begann  bereits  in  der  zweiten  Hälfte  der 
50er  Jahre    für  das  Unternehmen  zu  verblassen.    Es 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  197 


geriet  mit  der  Größe  und  Qualität  seiner  Produk- 
tionsmittel wie  seiner  Produkte  ins  Hintertreffen. 
Die  Privatkonkurrenz  war  technisch  auf  eine  höhere 
Stufe  der  Erzeugungsfähigkeit  geklommen,  die 
Königshütte  aber  vermochte  als  ein  ziemlich  konser- 
vativer, im  höchsten  Grade  schwer  beweglicher  Or- 
ganismus nicht  zu  folgen.  Allerdings  sah  das  Jahr 
1860  nach  lange nVorberatungenundVerzögerungen 
vergrößerte  Hochofenanlagen  und  einen  Umbau  der 
gesamten  Königshütte, dereinem  Neubaugleichkam. 
Auch  in  den  folgenden  Jahren  wurden  unter  neuer 
Leitung  Verbesserungen  vorgenommen,  ja,  1865  so- 
gar ein  Stahlwerk  erbaut,  und  damit  ein  neuer  Fort- 
schritt eingeführt.  Allein  die  finanziellen  Ergeb- 
nisse, die  Konkurrenz  der  anderen  Eisen- und  Stahl- 
werke, sowie  die  Wandlung  in  den  politischen  An- 
schauungen waren  dem  Staatsbetriebe  nicht  mehr 
günstig.  Infolgedessen  wurde  1869  die  Königshütte 
mit  der  AI venslebenhütte  als  Ganzes  für  den  Preis 
von  über  3  Millionen  Mark  verkauft.  So  diskredi- 
tiert in  der  öffentlichen  Meinung  war  das  Unter- 
nehmen, daß  der  Generaldirektor  des  neuen  Be- 
sitzers, des  Grafen  Hugo  Henckel  von  Donners- 
marck,  es  als  unhonorig  ablehnte,  die  Königshütte 
in  den  Verwaltungskreis  der  preußischen  Besitzun- 
gen des  Grafen  aufzunehmen.  Damit  endigtdie  Ge- 
schichte der  Königshütte  als  Staatsbetrieb.  Das 
Fazit,  das  wir  aus  ihrer  Entwicklung  ziehen  können, 
ist  kein  günstiges;  es  entsprach  nicht  der  Lösung  der 
Aufgabe,  die  die  Königshütte  als  Musteranstalt  des 
Staates  erfüllen   sollte. 

IL 

Die  Königshütte  blieb  nur  ganz  kurze  Zeit  im  Besitz  des  Grafen 
von  Donnersmarck.  Als  das  Unternehmen  unter  dem  Stern  einer 
glänzenden  Konjunktur  im  Jahre  1870  mit  einem  Ertrage  von  1,2 
Millionen  Mark  abschloß,  war  die  Stunde  gekommen,  um  es  in  eine 
Aktiengesellschaft  zu  verwandeln,  und  es  mit  seinem  bisher  gefähr- 
lichsten Konkurrenten,  der  Laurahütte,  zu  kombinieren.  Zu  diesem 
Zwecke  bildete  sich  ein  Konsortium,  das  gegen  einen  Kaufpreis  von 


198  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

18  Millionen  Mark  beide  Werke  erwarb.  Die  Aktien  wurden  von 
der  österreichischen  Kreditanstalt  zum  Parikurse  auf  den  Markt  ge- 
bracht. Die  Übergabe  erfolgte  am  1.  Juli  1871.  Damit  beginnt  die 
Vereinigte  Königs-  und  Laurahütte,  Aktiengesellschaft  für  Bergbau- 
und  Hüttenbetrieb,  mit  dem  Sitz  in  Berlin,  ihre  Tätigkeit. 

Im  folgenden  soll  dieselbe  in  drei  Abschnitten  zum  Gegenstand 
der  Darstellung  gemacht  werden.    Wir  behandeln: 

1.  die    Rohstoffversorgung   des    Unternehmens, 

2.  das      Fabrikationsprogramm      und     seine      Aus- 
gestaltung, 

3.  die  Absatzverhältnisse. 

Die  beiden  wichtigsten  Rohstoffe  für  jedes  Hüttenwerk  sind 
Eisenerz  und  Kohle.  Für  die  Vereinigte  Königs-  und  Laurahütte 
liegen  die  Verhältnisse  für  beide  nicht  gleichartig.  Oberschlesien  hat 
bekanntlich  eine  besondere  Art  von  Eisenerz,  die  man  Brauneisen- 
stein nennt.  Dazu  kommen  noch  Spateisenerze.  Diese  Erze  sind  nicht 
reich,  sondern  arm  an  Eisen,  sie  enthalten  vielfach  nur 
25  —  28  o/o  wirkliches  Metall.  Der  schwache  Eisengehalt  aber 
verteuert  ihre  Verarbeitung  und  drückt  ihnen  infolgedessen  den 
Stempel  der  Minderwertigkeit  auf.  Sie  sind  außerdem  mulmig. 
Ein  für  den  Hochofenprozeß  geeignetes  Erz  aber  muß  stückig 
sein.  Hat  es,  wie  in  Oberschlesien,  eine  erdige  Beschaffen- 
heit, so  können  nur  11  — 13  o/o  in  den  Hochofen  gebracht 
werden,  und  den  übrigen  Einsatz  müssen  edle,  stückige  Erze  bilden. 
Wollte  man  mehr  solche  erdigen  Erze  einsetzen,  dann  würde  es 
nicht  möglich  sein.  Wind  durch  den  Hochofen  zu  blasen.  Ferner 
enthalten  diese  Erze  viel  Wasser.  Wird  das  haldenfeuchte  Erz  ge- 
trocknet, dann  ist  allerdings  der  Erzgehalt  ein  etwas  höherer.  Schließ- 
lich aber  sind  die  Erze  auch  nicht  rein,  sie  führen  vielfach  Verun- 
reinigungen mit  sich  wie  Zink  und  den  nie  fehlenden  silberhaltigen 
Bleiglanz.  Diese  drei  Eigenschaften  der  oberschlesischen  Braun- 
eisenerze: ihre  Metallarmut,  ihr  Wasserreichtum  und  ihre  Verunreini- 
gungen haben  nun  in  bezug  auf  die  Ökonomie  des  Betriebes  zur 
Folge,  daß  der  Brennstoffaufwand  ein  verhältnismäßig  hoher  sein 
muß.  Ein  metallarmes  Erz  zu  zerschmelzen  erfordert  wegen  der 
großen  Masse  der  beigemengten  Erzarten  mehr  Koks.  Zur  Ver- 
schlackung der  Kieselsäure  sind  außerdem  große  Zuschläge  von 
Kalk  nötig.  Kommen  die  Erze  mit  nicht  unbeträchtlichem  Wasser- 
gehalt in  den  Hochofen,  so  wird  zur  Verdampfung  des  Wassers 
ebenfalls  mehr  Wärme  gebraucht,  und  schließlich  muß  das  in  den 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  199 

Erzen  enthaltene  Zink,  das  durch  Ansetzen  im  Ofen  den  Betrieb 
stören  und  auf  die  Quahtät  des  Eisens  ungünstig  einwirken  würde, 
verdampft  werden,  was  wiederum  mehr  Brennmaterial  erfordert.*) 
Die  Beschaffenheit  der  Erze  erfordert  also  einen 
größeren  Aufwand  an  Koks,  welcher  die  Produk- 
tionskosten des  Betriebes  ungünstig  beeinflußt.  Wir 
werden  später  sehen,  daß  der  auch  heute  noch  auf  der  Königshütte 
in  ziemlich  ausgedehntem  Maße  bestehende  Puddelbetrieb  mitbedingt 
ist  durch  die  Qualität  der  oberschlesischen  Erze,  vor  allen  Dingen 
durch  den   ungünstigen   Phosphorgehalt  derselben. 

Außerdem  kommt  in  Betracht  die  Quantität  der  Eisenerze,  die 
der  Königshütte  zur  Verfügung  stehen.  Hier  handelt  es  sich  um  folgende 
Fragen :  Welche  Eisenerzmassen  schöpft  sie  aus  eigenen  Bergwerken  ? 
Welche  historische  Wandlungen  haben  sich  hier  vollzogen?  Reicht 
der  Vorrat  heute  zu  einer  kompletten  Alimentierung  der  Hochöfen 
aus?    Diese   Fragen  haben  wir  jetzt  zu  beantworten. 

In  dem  bei  der  Gründung  der  Gesellschaft  veröffentlichten  Pro- 
spekt heißt  es:  Die  eigenen  Erzbergwerke  umfassen  ca.  500  Morgen 
und  sind  V*  —  V2  Meile  von  der  Hütte  entfernt,  verbunden  durch 
Lokomotiv-  und  Pferdeeisenbahnen.  Sie  liefern  z.  Zt.  ca.  2  Millionen 
Zentner  Erze  pro  Jahr,  d.  h.  also  100  000  Tonnen.  Diese  Eisen- 
erze gelangten  nun  Anfang  der  70er  Jahre  zumeist  per  Roßbahn  auf 
die  Hütte.  Diese  Art  der  Beförderung  aber  war,  da  es  sich  um 
Massentransporte  handelte,  ziemlich  kostspielig.  Erst  1880  wird  die 
Umwandlung  des  bisher  auf  dem  Schienenwege  der  Hütte  üblichen 
Betriebes  mit  Pferden  in  Maschinenbetrieb,  der  Umbau  der  Schienen- 
gleise und  die  Anschaffung  eigener  Lokomotiven  beschlossen.  In 
dem  Geschäftsbericht  von  1884/85  heißt  es  dann,  daß  die  Einrich- 
tung des  Lokomotivbetriebes  auf  den  Werken  die  Summe  von  221  000 
Mark  erfordert  habe.  Mit  dieser  Ersetzung  der  tierischen  Kraft  durch 
die  Lokomotive  trat  ohne  Zweifel  eine  Verbilligung  des  Erztrans- 
portes  ein. 

Aus  der  von  der  Verwaltung  in  den  70er  Jahren  und  der  Folge- 
zeit eingeschlagenen  Rohstoffpolitik  läßt  sich  erkennen,  daß  die  vorhin 
erwähnten  Eisenerzfelder  in  Oberschlesien  für  den  Bedarf  der  Hoch- 
öfen von  Anfang  an  nicht  genügten.  Bereits  der  Geschäftsbericht 
von  1873/74  meldet  den  Erwerb  einer  Spateisensteingrube  in  Ungarn. 


*)  Über  die  Beschaffenheit  der  Erze  siehe  von  Renauld:  „Der  Bergbau  und 
die  Hüttenindustrie  von  Oberschlesien  1884-97."    Stuttgart  1900,  p.  190 ff. 


200  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Von  besonderem  Interesse  aber  sind  die  Eisenerzacquisitionen  der 
Gesellschaft  in  Schweden.  In  der  Gegend  von  Wäldö,  etwa  12  Meilen 
nördlich  von  Stockholm,  dicht  an  der  Meeresküste  gelegen,  erwirbt 
das  Werk  einen  Bergbau  auf  Magneteisenstein  gegen  Zahlung  eines 
Förderzinses  von  10  Pfg.  pro  50  kg.  Die  Erze  kamen  per  Schiff 
nach  Stettin  und  gelangten  von  dort  aus  per  Eisenbahn  nach  Königs- 
hütte, wo  sie  als  Zusatz  zu  den  wenig  qualifizierten  oberschlesischen 
Erzen  dank  ihrer  Phosphorarmut  bei  der  Erzeugung  von  Bessemer- 
flußeisen Verw^endung  fanden.  Der  Geschäftsbericht  sagt  hierüber: 
„Die  bisherige  Gattierung  schwedischer  Erze  mit  schlesischen  hat 
ein  ganz  vorzügliches  Material  zur  Bessemerstahlerzeugung  ergeben 
und  soll  bis  auf  weiteres  beibehalten  werden.**  Allein  die  eigene 
Förderung  aus  den  schwedischen  Gruben  wurde  bereits  1875  wieder 
eingestellt,  und  zwar  mit  Rücksicht  darauf,  „daß  z.  Zt.  Bessemer- 
erze zu  billigem  Preise  anderwärts  zu  haben  sind."  Wir  sehen  hier 
ein  ähnliches  Resultat  wie  bei  der  Dortmunder  Union,  die  sich 
ebenfalls  in  dem  Bezüge  schwedischer  Erze  aus  den  von  ihr  erwor- 
benen Svabenswerken  getäuscht  hatte,  weil  sie  die  damaligen  Schwie- 
rigkeiten und  Kosten  des  Transportes,  ähnlich  wie  die  Königshütte, 
unterschätzte. 

Neben  diesen  Mißerfolgen  im  Auslande  schreitet  dann  die  Ge- 
sellschaft zu  neuen  Erwerbungen  von  Eisenfeldern  im  Inlande.  In 
nächster  Nähe  der  Königshütte  werden  465  Quadratmeter  Eisen- 
felder angekauft,  ferner  wird  auf  die  Dauer  von  20  Jahren  die 
reiche  Magneteisensteingrube  Bergfreiheit  bei  Schmiedeberg  ge- 
pachtet. Diese  Grube  sollte  der  Hütte  phosphorfreie  Eisenerze  für 
den  Bessemerprozeß  liefern.  Allein  1885  wird  bereits  die  Erz- 
gewinnung dieser  Grube  bedeutend  eingeschränkt,  weil  sich  die  Fracht 
bis  nach  Königshütte  als  zu  hoch  herausstellte.  Vielleicht  hängt  diese 
Einschränkung  auch  mit  dem  schlechten  Geschäftsgange  der  da- 
maligen Zeit  zusammen.  Von  allen  Gruben  der  Königshütte  liefert 
heute  die  Bergfreiheitgrube  das  meiste  Erz. 

Unterdessen  hatte  das  Werk  das  Thomasverfahren  bei  sich  ein- 
geführt, nachdem  es  die  dem  Erfinder  erteilten  Patente  erworben  hatte, 
und  zwar  einmal  die  Lizenz  für  die  eigenen  Werke,  zum  andern  aber 
in  Gemeinschaft  mit  der  Oberschlesischen  Eisenbahnbedarfsaktien- 
gesellschaft zur  Hälfte  das  ausschließliche  Recht  der  Anwendung 
für  die  Provinz  Schlesien.  Mit  der  Einführung  des  Thomasprozesses 
war  auf  der  Königshütte  ein  ziemlich  starker  Bedarf  nach  phosphor- 
haldgen  Eisenerzen  erwacht.   Zur  Sicherung  dieses  Bedarfes  wurden 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  201 

um  die  Mitte  der  80er  Jahre  weitere  Erwerbungen  phosphorhaltiger 
Erzlager  in  Galizien  gemacht,  und  daselbst  durch  Mutung  das  Recht 
der  Erzgewinnung  auf  119Q  Hektar  erworben.  Dazu  kamen  mit 
den  später  noch  zu  behandelnden  russischen  Erwerbungen  noch  Eisen- 
erzfelder in  Rußland. 

Mehr  läßt  sich  aus  den  Geschäftsberichten  leider  nicht  erkennen. 
Nach  den  Angaben  der  Festschrift  hat  die  Königshütte  heute  circa 
240  Hektar  eigener  Eisenerzfelder  in  Oberschlesien,  und  außerdem 
steht  ihr  das  Recht  der  Eisenerzförderung  auf  einer  Anzahl  von 
Flächen  zu,  die  insgesamt  ca.  740  Hektar  umfassen.  Diese  Felder 
jedoch  stehen  heute  größtenteils  am  Rande  der  Erschöpfung.  Die 
sich  darin  aussprechende  Abnahme  der  Eisenerze  in  Oberschlesien 
bildet  ein  Analogen  zu  dem  Verschwinden  der  Raseneisensteinvor- 
räte im  nördlichen  Deutschland,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  in 
Oberschlesien  die  Erschöpfung  etwas  später  beginnt.  Für  das  Jahr 
1891  verzeichnete  die  Statistik  der  oberschlesischen  Berg-  und  Hütten- 
werke noch  56  Eisenerzförderungen  mit  einer  Produktion  von  641  173 
Tonnen  Brauneisenerze  und  5276  Tonnen  Toneisenstein ;  für  das  Jahr 
1900  wurden  aber  nur  44  Eisenerzförderungen  mit  einer  Produktion 
von  382  090  Tonnen  Brauneisenerze,  sowie  599  Tonnen  Toneisen- 
stein aufgeführt;  1902  förderten  nur  noch  35  Eisenerzgruben  mit  einer 
Produktion  von  390642  Tonnen  Brauncisenerz  und  857  Tonnen  Ton- 
eisenstein. Unter  diesem  von  der  Statistik  festgestellten  Abnahme- 
prozeß hat  auch  die  Königshütte  zu  leiden.  Im  Betriebe  sind  zur 
Zeit  nur  ihre  Tarnowitzer  und  Bobrowniker  Eisenerzförderungen  in 
Oberschlesien.  Dieselben  haben  eine  Belegschaft  von  120  Mann 
und  liefern  täglich  etwa  60  Tonnen  Brauneisenerz.  Gegenwärtig 
steht  in  bezug  auf  die  Förderung  obenan  die  Bergfreiheitgrube  bei 
Schmiedeberg,  dann  folgen  die  oberschlesischen  Gruben,  und  schließ- 
lich die  Erzförderungen  in  Rußland  und  den  übrigen  Ländern.  Im 
Jahre   1902/03  förderten 

Die  Bergfreiheitgrube 30,865  t 

Die  oberschlesischen  Gruben  .    .    .  21,543  „ 

Die  Gruben  in  Rußland      ....  14,563  „ 

Die  sonstigen  Gruben  im  Auslande  3,990  „ 


im  ganzen    70,964  t 


Aus  diesen  Zahlen  ergibt  sich,  daß  die  Erwerbungen  von  Eisenerz- 
feldern im  Auslande  nicht  von  Erfolg  gekrönt  waren. 

Reicht   nun   diese    Menge   der   selbstgeförderten    Erze   zur    Be- 


202  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

sorgung  der  Hochöfen  aus?  Die  Geschäftsberichte  geben  auf  diese 
Frage  keine  Antwort,  aber  wir  können  auch  hier  die  Berichte,  selbst 
wo  sie  schweigen,  zum  Reden  zwingen.  Der  letzte  Geschäftsausweis 
stellt  fest,  daß  die  10  Hochöfen  des  Unternehmens  212  387  Tonnen 
Roheisen  produzierten.  Nehmen  wir  an,  daß  die  70  964  Tonnen 
Erz  31  000  Tonnen  Roheisen  ergeben  haben,*)  so  trug  die  eigene 
Förderung  im  Jahre  1902/03  nur  mit  141/2%  an  der  Gesamtroheisen- 
erzeugung bei.  Danach  ist  es  klar,  daß  die  eigenen  Erze  bei  weitem 
nicht  ausreichen,  sondern  daß  der  größte  Teil  des  zur  Roheisen- 
erzeugung nötigen  Erzes  verkauft  werden  muß.  Neben  Rußland 
kommen  als  Lieferanten  hauptsächlich  in  Betracht  Schweden  und 
Spanien.  Aus  Spanien  werden  speziell  die  Rio-Tintokiese  be- 
zogen. Nach  Renauld**)  gehen  diese  Kiese  im  Seeschiff  bis  Stettin 
bezw.  Hamburg,  gelangen  von  da  möglichst  auf  dem  Wasserwege 
nach  Breslau,  werden  dann  zur  Entschwefelung  per  Eisenbahn  nach 
Saarau,  und  von  da  ebenfalls  mit  der  Bahn  als  sogenanntes  Purple 
ore  nach  Oberschlesien  zur  Verhüttung  übersandt.  Dies  an  sich 
äußerst  reiche  Eisenerz  enthält  auch  noch  Kupfer,  Gold  und  Silber 
als  schätzbare  Nebenbestandteile.  Davon  werden  wir  des  weiteren 
bei  der  Gewinnung  der  Nebenprodukte  handeln.  Dieser  starke  Bezug 
fremder  Erze,  der  in  Zukunft  wahrscheinlich  noch  größer  werden  wird, 
bedingt  eine  nicht  unwesentliche  Verteuerung  dieses  wichtigen  Roh- 
stoffes durch  den  Transport.  Nach  Sympher***)  betrug  1894  der  Preis 
für  600/oiges  Grängesberger  Eisenerz  mit  lo/o  Phosphorgehalt  13  Mark 
pro  Tonne  frei  Waggon  Stettin.  Dieser  Preis  erhöht  sich  um  die 
Eisenbahnfracht  nach  Oberschlesien,  die  nach  dem  bisherigen  Satz 
von  Mark  1,34  +  6.—,  mit  7,53  Mark  pro  Tonne  einschließlich  An- 
rückegebühr, oder  rund  7,60  Mark  pro  Tonne  beträgt,  so  daß  der 
Gesamtpreis  sich  frei  Hütte  auf  etwa  20,60  Mark  pro  Tonne  stellt 
gegen  14,85  Mark  pro  Tonne  in  Duisburg  und  etwa  17  Mark  pro 
Tonne  in  Dortmund.  Daß  infolge  der  größeren  Entfernung,  trotz 
der  niedrigen  Erztarife,  die  fremden  Erze  für  die  Königshütte  be- 
deutend teurer  bezahlt  werden  müssen  als  von  den  rheinisch-west- 
fälischen Werken,  liegt  auf  der  Hand.    Dadurch  aber  wird  die  Pro- 


*)  Dies  ist  der  Fall,  wenn  wir  den  Erzgehalt  der  Bergfreiheitgrube  mit  487o» 
den  Gehalt  der  oberschlesischen  Erze  mit  27%,  den  der  russischen  mit  60°/o 
und  den  der  ausländischen  Gruben  mit  42°/o  in  die  Rechnung  einstellen,  was 
eher  zu  hoch  als  zu  niedrig  ist. 

•*)  Renauld,  a.  a.  O.,  p.  193. 

***)  Sympher,  a.  a.  O.,  p.  145. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  203 


duktion  des  Roheisens  stärker  belastet.  Eine  Erhöhung  der  Selbst- 
kosten tritt  also  auf  jeden  Fall  ein:  sowohl  bei  der  Verwendung 
eigener,  oberschlesischen  Gruben  entstammender,  armer,  als  auch 
bei  der  Verwendung  fremder,  reicher,  aber  mit  größeren  Fracht- 
kosten belasteter  Erze. 

Aus  dem  bisher  Gesagten  geht  hervor,  daß  die  Eisenerz- 
versorgung der  Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte 
alsgünstignichtbezeichnet  werdenkann.  Die  Eisen- 
erze, die  sie  aus  eigenen  Gruben  schöpft,  tragen  ge- 
genwärtig nur  mit  141/2%  zur  Gesamtroheisenerzeu- 
gung bei,  so  daß  851/2*^/0  derselben  auf  das  Konto 
fremder  Erzbezüge  zu  setzen  ist.  Daher  hat  sich  die 
Hütte  frühzeitig  bestrebt,  eigene  Erzförderungen 
im  Auslande  zu  erwerben,  in  Ungarn,  in  Galizien^ 
in  Schweden  und  in  Rußland.  Von  den  inländischen 
Erwerbungen  kommen  außer  den  am  Rande  der  Er- 
schöpfung stehenden  in  Oberschlesien  nur  in  Be- 
tracht die  Bergfreiheitgrube  bei  Schmiedeberg, 
deren  Förderung  im  letzten  Jahre  allein  43 0/0  der 
Gesamtförderung  der  Gruben  der  Gesellschaft  be- 
trug. Bei  weitem  der  größte  Teil  wird  heute  aus  dem 
Auslande  bezogen,  aus  Schweden,  Spanien,  Rußland, 
Österreich,  um  die  armen  eigenen  Erze  damit  anzu- 
reichern. Mit  der  Verwendung  fremder  Erze  aber 
steigen  wiederum  die  Produktionskosten,  weil  die 
Entfernungen  zu  den  Hauptexportgebieten  größer 
sind  als  nach  dem  rheinisch- westfälischen  Konkur- 
renzgebiete. In  bezug  auf  die  Eisenerzversorgung 
steht  nach  alle  dem  der  Betrieb  ökonomisch  un- 
günstig da. 


Ganz  anders  gestaltet  sich  die  Versorgung  des  Werkes  mit 
Kohlen.  Die  Kohlengruben  der  Königshütte  sind  in  jeder  Beziehung 
geradezu  das  Gegenstück  zu  ihren  Erzgruben,  Dem  Mangel  an 
eigenem  Erz  steht  ein  Überfluß  an  eigener  Kohle  gegenüber.  Ober- 
schlesien ist  bekanntlich  nach  dem  Ruhrortbezirk  das  größte  Kohlen- 
gebiet Deutschlands.    Nach  Nasse*)  entfallen  von  den  ca.  109  Milliar- 


•)  Nasse:   »Die  Steinkohlen  Vorräte  der  europäischen  Staaten,  insbesondere 
Deutschlands  und  deren  Erschöpfung.«    Berlin  1893. 


204  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

den  Tonnen  gewinnbarer  Steinkohlen  Deutschlands  50  Milliarden 
Tonnen  auf  den  Ruhrbezirk,  45  Milliarden  Tonnen  auf  Oberschlesien. 
Dieser  Reichtum  an  Kohlen  kommt  zunächst  zum  Ausdruck  in  der 
Mächtigkeit  der  Flötze.  So  ist  z.  B.  bei  der  Gräfin  Lauragrube,  die 
dicht  vor  der  Königshütte  liegt,  von  unten  nach  oben  auf  gezählt, 
das  Sattelf lötz  durchschnittlich  8  m  mächtig,  das  Heinzmannflötz  durch- 
schnittlich 2,25,  und  das  Gerhardflötz  durchschnittlich  6  m.  Solche 
Mächtigkeiten  von  4 — 6  m,  wie  sie  die  Flötze  in  Oberschlesien  in 
der  Regel  aufweisen,  sind  in  dem  niederrheinisch-westfälischen  Kohlen- 
becken nicht  zu  finden. 

Die  Steinkohlenflötze  sind  aber  nicht  nur  mächtig,  sondern  auch 
rein  und  günstig  gelagert,  nämlich  nahe  der  Erdoberfläche.  Infolge- 
dessen ist  die  Gewinnung  mit  niedrigen  Selbstkosten  verbunden. 
Mit  Bezug  hierauf  sagt  Renauld*) :  „Indes  läßt  sich  doch  das  eine  mit 
Sicherheit  behaupten,  daß  die  durchschnittlichen  Förderungskosten 
der  oberschlesischen  Kohlenwerke  erheblich  geringer  sind  als  die 
aller  anderen  Kohlenbezirke,  England  nicht  ausgenommen.  In  keinem 
Kohlenbecken  geht  der  Bergbau  in  so  geringer  Tiefe  vor  sich,  und 
sind  daher  die  Schachtanlagen  verhältnismäßig  so  billig  wie  in  Ober- 
schlesien. Nirgends  ist  die  Förderlänge,  welche  die  Kohle  vom  Ge- 
winnungspunkt bis  zur  Hängebank  des  Schachtes  zu  durchlaufen 
hat,  die  Förderung  demnach,  so  wenig  kostspielig  wie  dort.  Nirgends 
dürfte  schließlich  das  Hauptmaterial  des  Bergbaus,  das  Holz,  so  wohl- 
feil sein." 

Die  Produktionskosten  werden  ferner  durch  eine  sehr  mäßig 
entlohnte  Arbeiterschaft  auf  einem  niedrigen  Niveau  gehalten.  Ge- 
rade im  Kohlenbergbau  ist  ja  der  Anteil  der  menschlichen  Arbeits- 
kraft am  Wert  des  Produktes  ein  außerordentlich  hoher,  weil  hier  die 
Handarbeit  noch  immer  dominiert,  und  in  diese  alte  Grundlage  des 
Betriebes,  in  Deutschland  wenigstens,  durch  die  Schrämmaschine 
noch  keine  Bresche  geschlagen  ist.  Die  oberschlesischen  Kohlen- 
arbeiter sind  Slaven;  trotz  ihrer  niedrigen  Entlohnung  ist  ihre 
Leistungsfähigkeit  eine  große.  Die  Jahresleistung  eines  Arbeiters 
im  oberschlesischen  Kohlenbergbau  ist,  verglichen  mit  Niederschlesien, 
dem  Ruhrbezirk  und  Saarbrücken  am  höchsten.**)  Das  hängt  zu- 
sammen mit  der  Leichtigkeit  der  Gewinnung  der  Kohlen. 

Schließlich  darf  nicht  übersehen  werden,  daß  auch  das  Anlage- 


*)  Renauld,  a.  a.  O,  p.  51. 

**)  Siehe  von  Renauld,  a.  a.  O,  p.  51. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 205 

kapital   klein   ist,  denn  die   Kohlengruben  befinden  sich  zum  über- 
wiegenden Teil  noch  in  erster  Hand. 

Durch  das  Zusammenwirken  dieser  Momente  sind  die  Selbst- 
kosten der  Kohlengewinnung  auch  bei  der  Königs-  und  Laurahütte 
außerordentlich  gering.  Die  Grubenpreise  ihrer,  wie  der  anderen 
oberschlesischen  Kohlen  sind  daher  die  niedrigsten,  die  es  gibt. 
Daher  hat  die  Königshütte  versucht,  ihren  Kohlenbesitz  nach  Mög- 
lichkeit zu  vermehren.  Bereits  bei  ihrer  Gründung  umspannte  sie  sehr 
ergiebige  Steinkohlenbergwerke,  vor  allem  die  Gräfin  Lauragrube  und 
eine  Anzahl  mit  ihr  verbundener  Gruben.  „Aus  unseren  Kohlen- 
feldern**, heißt  es  im  Prospekt,  „sind  nach  Abzug  der  Abbauverluste 
aus  einer  Tiefe  von  20—100  Lachter  unter  Tage,  und  ohne  Rück- 
sicht auf  die  tief  erliegenden  Flötze,  1550  Millionen  Zentner  Stein- 
kohlen zu  gewinnen.**  Seitdem  hat  sich  der  verfügbare  Vorrat  aber 
noch  bedeutend  vergrößert.  Dies  geschah  durch  umfangreiche  Neu- 
erwerbungen zu  Beginn  der  80er  Jahre.  Damals  kaufte  das  Werk 
die  Siemianowitzer  Steinkohlengruben  bei  Laurahütte  zum  Preise 
von  1  127  400  Mark  und  darauf  das  Landgut  Antonienhof,  zwischen 
Königshütte  und  Beuthen  gelegen,  zum  Preise  von  406  500  Mark. 
Dieses  Rittergut,  das  225V2  Hektar  umfaßt,  bedeckte  in  seiner 
ganzen  Ausdehnung  die  Steinkohlengrube  Gottgebeglück.  Durch 
diesen  Ankauf  steigt  die  Ausdehnung  der  Kohlenfelder  von  8,5  auf 
23  Millionen  Quadratmeter.  Die  Politik,  weiter  Kohlenfelder  zu  er- 
werben, wird  auch  in  der  Folgezeit  beibehalten.  In  dem  Geschäfts- 
bericht 1902/03  heißt  es:  „Zur  Stärkung  des  Fundaments  unseres 
Unternehmens  für  die  Zukunft,  haben  wir  eine  sich  bietende  Ge- 
legenheit wahrgenommen,  um  einige  neue  Kohlengruben  anzukaufen, 
welche  zum  Teil  in  unmittelbarem  Anschluß  an  unsere  älteren  Felder 
bei  Dubensko,  zum  Teil  in  ihrer  Nähe  gelegen,  und  daher  für  uns 
wertvoll  sind;  dieselben  —  Marianne,  Metasglück  und  Hermann 
August  —  haben  einen  Flächeninhalt  von  rund  5,4  Millionen  Qua- 
dratmeter.** 

Heute  besitzt  die  Königshütte  3  große  Grubenkomplexe:  1.  die 
Gräfin  Lauragrube,  2.  die  Laurahüttengrube,  und  3.  die  Dubensko- 
gruben. 

Die  Produktion  von  Steinkohlen  hat  sich  im  Laufe  von  30  Jahren 
vervierfacht.  Sie  betrug  im  Geschäftsjahr  1871/72  580  668  Tonnen 
und  stieg  dann,  wenn  auch  mitunter  durch  rückgängige  Konjunktur- 
kurven beeinflußt,  im  allgemeinen  fortlaufend  bis  zum  Jahre  1900/01, 
wo   sie   mit  2  462  882  Tonnen   ihren  höchsten   Punkt  erreichte.     In 


206  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

den  beiden  folgenden  Jahren  blieb  die  Produktion  mit  2,4  Millionen 
Tonnen  nahezu  auf  derselben  Höhe. 

Kein  anderes  Hüttenwerk  in  Deutschland  hat  m.  W.  derartige 
Kohlenmengen  aufzuweisen;  zum  Vergleich  verweise  ich  auf  die 
Kohlenerzeugung  der  bereits  früher  behandelten  Werke.  Dieselbe 
betrug  1902/03: 

bei  der  Dortmunder  Union 602,812    t 

bei  dem  Hoerder  Bergwerks-  und  Hüttenverein    452,432    „ 
beim  Phönix 480,004    „ 

Aber  selbst  die  Hütten  mit  noch  ausgedehnterem  Grubenbesitz 
reichen  an  den  Kohlenreichtum  der  Königs-  und  Laurahütte  nicht 
heran.    Die  Kohlenerzeugung  belief  sich  im  genannten  Jahre 

bei  der  Gutehoffnungshütte auf  1,613,269    t 

beim  Bochumer  Verein  für  Bergbau-  und  Gußstahlfabrikation      „    1,209,676  „ 
bei  den  Rheinischen  Stahlwerken „       845,736   „ 

Die  günstige  Einwirkung  eigener  Kohlengruben  auf  die  Rentabili- 
tät des  Hüttenbetriebes  läßt  sich,  neben  der  Königshütte,  auch  bei 
anderen  Gesellschaften  konstatieren,  z.  B.  bei  der  Kattowitzer  Aktien- 
gesellschaft für  Eisenhüttenbetrieb.  Daneben  gibt  es  Werke,  die 
keine  eigenen  Kohlen  haben.  Wollen  diese  Werke  mit  den  über  den 
Selbstverbrauch  hinaus  Kohlen  produzierenden  und  dadurch  eine  mehr 
oder  weniger  große  Einnahme  auslösenden  Werken  konkurrenzfähig 
bleiben,  dann  suchen  sie  die  Mängel  ihrer  Rohstoffversorgung  im 
weiteren  Fabrikationsprozeß  in  der  Weise  auszugleichen,  daß  sie 
ihrer  Fabrikation  eine  bestimmte  Richtung  geben,  ihre  Fabrikate 
spezialisieren  und  verfeinern.  So  ist  z.  B.  das  Huldschinskysche 
Werk  in  Gleiwitz,  das  weder  Kohlen-  noch  Eisengruben  besitzt,  aus 
der  Röhrenfabrikation  hervorgegangen.  Noch  heute  bildet  diese 
Spezialität  die  Basis  des  ganzen  Betriebes.  Die  Caro-Hegenscheidtsche 
Gesellschaft  sucht  ihre  Force  in  der  Draht-  und  Nagelfabrikation, 
die  Bismarckhütte  in  ihre  Tiegelgußstahlbereitung  etc.  Es  würde  eine 
vergleichende  Untersuchung  dazu  gehören  —  worauf  ich  aufmerksam 
mache  —  um  im  einzelnen  festzustellen,  ob  das  Fehlen  eigener  Kohlen- 
gruben, die  entweder  den  eigenen  Bedarf  decken  oder  aber  über 
denselben  hinaus  produzieren,  die  Rentabilität  in  dem  Maße  herab- 
mindert, daß  die  Verminderung  nicht  durch  die  Spezialitätenfabrikation 
und  Verfeinerung  der  Produkte  ausgeglichen  werden  kann. 

Wir  haben  also  gesehen,  welchen  großen  Einfluß  die  Existenz 
eigener  Kohlenlager  auf  den  Betrieb  hat.    Ja,  bei  der  Königs-  und 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 207 

Laurahütte  bildet  sie  sogar  die  wichtigste  Grundlage.  Bereits  in  dem 
Bericht  über  das  Jahr  1896/97  wird  der  Steinkohlengrubenbesitz  als 
das  wichtigste  Fundament  des  Unternehmens  bezeichnet.  Hier  ruht 
heute  in  der  Tat  der  Schwerpunkt.  Der  Steinkohlengrubenbetrieb 
bildet  den  rentabelsten  der  vorhandenen  Betriebszweige.  Die  weit- 
aus größten  Einnahmen  fließen  aus  dieser  Quelle. 

Aber  auch  dieses  glänzende  Bild  zeigt  eine  dunkle  Stelle.  In 
den  Geschäftsberichten  findet  sich  regelmäßig  die  Angabe,  daß  noch 
so  und  so  viel  Tonnen  Kohlen  jährlich  hinzugekauft  werden  müssen. 
Wie  ist  das,  fragt  man  sich,  nach  dem  vorher  Gesagten  möglich? 
Der  Schlüssel  für  diese  Erscheinung  liegt  in  der  Tatsache,  daß  die 
eigenen  Kohlen  der  Königs-  und  Laurahütte  wenig  oder  gar  nicht 
zur  Verkokung  geeignet  sind,  und  zwar  wegen  ihrer  geringen  Back- 
fähigkeit. Der  Koks,  mit  dem  die  Hochöfen  beschickt  werden,  ent- 
steht bekanntlich  in  Koksöfen  aus  Kohlenkörnchen,  die  in  der  Hitze 
zusammenbacken,  und  je  besser  dies  geschieht,  desto  fester  ist  der 
Koks.  Diese  wichtige  Eigenschaft  wird  bedingt  durch  den  Gehalt  an 
flüchtigen  Bestandteilen  (Bitumen).  Entwickelt  die  Kohle  zu  wenig  oder 
zu  viel  Gas,  so  können  die  Stückchen  nicht  fest  zusammenbacken. 
Das  ist  nun  aber  bei  den  Kohlen  der  Königs-  und  Laurahütte  der 
Fall,  und  infolgedessen  fehlen  ihr  die  Kohlen,  aus  denen  sie  Koks 
herstellt.  Das  Werk  ist  daher  darauf  angewiesen,  Backkohle  zu 
kaufen.  1902/03  betrug  diese  Menge  168  493  Tonnen,  hingegen  wur- 
den von  den  selbstgeförderten  Kohlen  im  eigenen  Betriebe  verbraucht 
670  159  Tonnen,  d.  h.  nur  27  o/o  der  eigenen  Förderung,  und  an 
Fremde  verkauft  1  739  678  Tonnen  oder  73  o/o  der  eigenen  Produktion. 
Es  handelt  sich  bei  diesem  Verbrauch  eigener  Kohlen  aber  nicht  um 
die  Koksbereitung,  sondern  hauptsächlich  um  die  Heizung  der  Dampf- 
kessel, der  Puddelöfen  etc.  Ob  sich  die  erstgenannte  Zahl  in  der 
Folgezeit  verringern  wird,  muß  abgewartet  werden.  In  der  General- 
versammlung am  31.  Oktober  1903  sagte  der  jetzige  Generaldirektor  der 
Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte,  Geheimer  Bergrat  Junghann: 
Sehr  wertvoll  ist  der  Umstand,  daß  die  auf  der  Dubenskogrube  in 
den  letzten  Wochen  gemachten  Aufschlüsse  den  gehegten  Erwartungen 
vollkommen  entsprochen  haben,  und  man  ein  Flötz  von  2V2  ni 
Mächtigkeit  gefunden  habe,  das  1,8  m  reine  Kohle  liefere.  Es  werde 
damit  ein  großes  Grubenfeld  von  10  Maximalfeldern  erschlossen 
werden.  Von  besonderer  Wichtigkeit  sei  aber  der  Umstand,  daß 
die  Verkokung  der  Kohle  ein  außerordentlich  günstiges  Resultat  ge- 
liefert habe.    Hierdurch  werde  es  in  3—4  Jahren  möglich  sein,  den 


208  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Hochofenbetrieb  so  zu  gestalten,  daß  er  ein  viel  besseres  Resultat 
zeitigen  werde,  als  bisher. 

Die  meisten  Kokskohlen  in  Oberschlesien  besitzt  heute  der  Fiskus. 
Daß  die  Königshütte  hier  nicht  auf  die  Privatunternehmung  ange- 
wiesen ist,  hat  für  sie  manche  Vorteile.  Die  Kohlenpreise  werden 
halbjährlich  festgesetzt,  und  die  Produktion  dann  auf  die  einzelnen 
in  Betracht  kommenden  Abnehmer  verteilt.  Aber  auch  die  Kohle, 
die  der  Staat  liefert,  ist  kein  Ideal  für  die  Koksbereitung.  Sie  ist 
im  allgemeinen  zu  weich  und  mürbe.  Damit,  und  mit  der  bereits 
früher  erwähnten  mulmigen  Beschaffenheit  der  oberschlesischen  Erze 
hängt  nun  eine  große  ökonomische  Tatsache  zusammen,  die  für  die 
kapitalistische  Entwicklung  der  Königs-  und  Laurahütte  ein  wohl 
kaum  zu  überwindendes  Hindernis  bildet.  Infolge  der  geringen  Festig- 
keit der  Koks  können  die  Hochöfen  nicht  über  eine  bestimmte  Höhe 
hinaus  gebaut  werden.  Damit  ist  der  Massenproduktion  an  Roheisen 
in  einem  Ofen  nach  oben  hin  ein  Hemmschuh  angelegt.  Wir  sahen^ 
wie  in  Rheinland-Westfalen  bei  den  führenden  Werken  die  Hochöfen 
immer  größer  und  größer  wurden  und  damit  die  Leistung  eines 
Hochofentages  beständig  wuchs.  Auf  der  Königshütte  aber,  wie 
auch  auf  den  übrigen  oberschlesischen  Werken,  wird  dieses  Wachs- 
tum von  einem  bestimmten  Punkte  an  gehindert  durch  die  Be- 
schaffenheit des  Brennmaterials.  Die  Königshütte  hat  gegenwärtig  die 
größten  Hochöfen  Oberschlesiens,  aber  sie  produzieren  täglich  nur 
90 — 100  Tonnen  —  die  kleineren  entsprechend  weniger  — ,  während 
bei  den  westfälischen  Werken  die  doppelte  Leistung  die  Regel  ist, 
ja,  wie  früher  erwähnt,  die  großen  Hochöfen  der  Vereinigten  Staaten 
täglich  Durchschnittsleistungen  von  400—600  Tonnen  aufweisen.  In 
der  Festschrift  werden  die  Größenverhältnisse  der  Hochöfen  folgender- 
maßen angegeben.    (Festschr.  p.  81).    Es  betrug  bei 


Ofen 
II. 

der  Fassungsraum 
264  cbm 

die  Höhe 
16  m 

in. 

363 

19  m 

IV. 

268 

17  m 

V. 

235 

14,5  m 

VI. 

369 

20  m 

VII. 

363 

19,5  m 

VIII. 

369 

20  m 

Die  beiden  höchsten  Öfen  erreichen,  wie  sich  hieraus  ergibt,, 
die  Höhe  von  20  m,  während  in  Rheinland-Westfalen  Öfen  von 
30  m   Höhe  keine   Seltenheit  sind.    Würde  man   in  Oberschlesien 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  209 


höher  bauen,  so  würde  der  Koks  zerdrückt  werden.  Die  Beschaffen- 
heit des  Koks  unterbindet  also  eine  größere  Massenproduktion.  Da- 
her ist  auch  die  Roheisenproduktion  der  Königs-  und  Laurahütte  im 
Vergleich  zu  anderen  Hochofenwerken,  trotz  der  großen  Zahl  ihrer 
Öfen,  nämlich  10,  klein.    Sie  betrug 

1902/3  nur 212,387  t  bei  5    im  Betriebe  befind!.  Öfen') 

hingegen   bei  der  Dortmunder 

Union 386,410  „  „    TVa  „ 

in  Hoerde 335,396  „  „    5      „         „  „ 

beim  Phönix 308,388  „  „    6     „        „  „  „ 

und  bei  der  Ilsederhütte  .    .    .  229,172  „  „    3     „        „  „ 

Fassen   wir  die   Resultate  dieses   Abschnittes  kurz  zusammen: 
Während  die   Eisenerze  mit  sehr  hohen   Kosten  ge- 
wonnen werden,  gleichgültig  ob  sie  nun  im  eigenen 
Betrieb    gefördert   oder   aber  gekauft   werden,    liegen 
die  Dinge  bei  den  Kohlen  gerade  umgekehrt.   Reiche, 
große,    reine,    günstig   gelagerte    Kohlenflötze    lie- 
fern zu  geringen  Selbstkosten  einen,  den  Bedarf  des 
eigenen  Werkes  weit  überflügelnden  Überschuß,  der 
auf    den     Markt    kommt.      Die     Politik   der   über   die 
Selbstbedarfsdeckungs  Wirtschaft       stark       hinaus- 
ragenden Kohlenproduktion  wurde  durch  Neuerwer- 
bungen   Anfang   der   80er   Jahre    und   zu    Beginn    des 
neuen  Jahrhunderts  noch  mehr  gekräftigt.    Im  Laufe 
von    30    Jahren   erfolgte  eine    Vervierfachung    der    Er- 
zeugung.    Heute   beträgt   die   Menge   der    geförderten 
Steinkohlen   2,4    Millionen   Tonnen.     Mit   dieser   Re- 
kordziffer gewinnt  die   Königshütte  einen   Konkur- 
renzvorsprung vor  den  übrigen  Werken,  die,  so  w^eit 
sie   keine     Kohlenzechen    besitzen,    die    Mißstände 
ihrer    Abhängigkeit   vom    Kohlenmarkt   und   die   da- 
durch  bedingte   teurere    Produktion   auszugleichen 
versuchen     durch     Herstellung     von    Spezialitäten. 
Allerdings  muß  auch  die  Königshütte  jährlich  noch 
ein    bestimmtes    Quantum    Kohle   kaufen,    weil    ihre 
eigene  Kohlewegen  ihrer  geringen  Backfähigkeit  sich 
nichtzurVerkokungeignet,aberauchdievom  Fiskus 
gelieferte   Kokskohle   gibt  keinen   genügend  festen 

•)  Außerdem  waren  2  Öfen  noch  52  Wochen  im  Betrieb. 

stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  14 


210  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Koks,  so  daß  durch  diesen  Umstand,  sowie  durch  die 
früher  erwähnte  erdige  Beschaffenheit  der  zur  Ver- 
hüttung gelangenden  oberschlesischen  Eisenerze, 
einer  erhöhten  Produktion  der  Hochöfen  Zügel  an- 
gelegt werden.  Infolgedessen  kann  hier  die  kapi- 
talistische Ausgestaltung  des  Betriebes  im  Sinne 
einer  noch  mehr  gesteigerten  Massenerzeugung  von 
Roheisen  nicht  über  ein  bestimmtes  Niveau  hinaus- 
eilen,  dadurch  aber  wird  der  Konkurrenzkampf  mit 
der  rheinisch- westfälischen  Massenindustrie  wie- 
der um  eine  Linie  zuungunsten  des  oberschlesi- 
schen Werkes  verschoben. 


Wir  haben  gesehen,  daß  es  zwei  Momente  waren,  die  störend 
und  erschwerend  in  die  Produktion  des  Roheisens  eingriffen:  1.  die 
Beschaffenheit  der  Eisenerze  und  2.  die  Beschaffenheit  der  eigenen 
Kohle,  die  sich  nicht  zur  Verkokung  eignet.  Diese  Momente  ver- 
teuern den  Hochofenprozeß,  d.  h.  die  Herstellung  des  Roheisens 
nicht  unerheblich.  Infolgedessen  waren  die  Erträgnisse  des  Hochofen- 
betriebes unbefriedigend,  ja,  sie  verwandelten  sich  beim  Wechsel 
der  Konjunktur  häufig  in  ihr  Gegenteil,  d.  h.  der  Hochofenbetrieb  er- 
forderte Zubußen.  Um  nun  ein  Korrektiv  gegen  diese  Verhält- 
nisse zu  schaffen,  führte  eine  weitblickende  Verwaltung  auf  dem 
Hüttenbetrieb  noch  solche  Produktionszweige  ein,  die  geeignet 
waren,  die  Unrentabilität  des  Hochofenprozesses  zu  mildern,  resp. 
zu  beseitigen,  und  die  Erträgnisse  zu  vergrößern.  Durch  diese  Neben- 
anlagen sollte  ein  Gegengewicht  gegen  die  hohen  Selbstkosten  der 
Herstellung  des  Roheisens  geschaffen  werden. 

So  entsteht  Anfang  der  80er  Jahre  eine  Teer-  und  Anfang  der 
QOer  Jahre  eine  Ammoniakfabrik.  Teer  und  Ammoniak  sind  Stoffe, 
die  in  den  aus  den  Koksöfen  abströmenden  Gasen  enthalten  sind,  und 
die  früher  ungenutzt  blieben.  Heute  werden  diese  Gase  durch  Ex- 
haustoren  abgesaugt  und  auf  der  Königshütte  in  zwei  Kondensations- 
anstalten mit  zusammen  32  Kühlem  und  20  Wäschen  abgekühlt 
und  gewaschen.*)  An  der  Spitze  steht  die  Teerproduktion.  Sie  betrug 
im  ersten  Jahre  der  Tätigkeit  der  Anlage  1882/83  nur  109  Tonnen  und 
hielt  sich  bis  zum  Jahre  1892  in  engen  Grenzen.  In  diesen  10  Jahren 


*)  Die  Angabe  der  technischen  Einrichtungen  und  Leistungen  der  Neben- 
anlagen entnehme  ich  der  Festschrift. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 211 

erreichte  sie  mit  574  Tonnen  im  Jahre  1887/88  ihre  höchste  Ziffer. 
Anfang  der  90er  Jahre  werden  dann  die  Anlagen  bedeutend  leistungs- 
fähiger gestaltet.  „Um  unsere  Werke",  sagt  der  Geschäftsbericht 
1891/92,  „den  schlechten  Einnahmen  und  den  hohen  Ausgaben  gegen- 
über existenzfähig  zu  erhalten,  haben  wir  auch  im  vergangenen  Jahre 
auf  die  Rekonstruktion  und  Einfügung  solcher  Betriebsapparate,  welche 
die  Erzeugungskosten  vermindern,  große  Summen  verwendet.  Eine 
Vergrößerung  der  Produktion  (es  handelt  sich  um  Eisenfabrikate) 
streben  wir  nicht  an,  weil  wir  in  einer  solchen  die  einzige  Veran- 
lassung zu  einem  kontinuierlichen  Niedergang  der  Preise  erblicken." 
Die  in  dem  ersten  Satze  angedeuteten  Neueinrichtungen  vermehrten 
nun  die  Teererzeugung  bedeutend.  Sie  betrug  1891/92  noch  344 
Tonnen,  1892/93  aber  bereits  1604  Tonnen  und  steigt  dann  1901/02 
auf  7448  Tonnen.  Dieser  Teer  wird  an  große  Teerproduktenfabriken 
verkauft,  die  ihn  präparieren  und  weiter  verarbeiten  (Anilinfarben- 
fabrikation). Damit  wird  der  Kontakt  des  Unternehmens  mit  der 
chemischen   Industrie   hergestellt. 

Mit  dem  Jahre  1891/92  war  auch  das  erste  Ammoniak  aus  den 
Koksofengasen  gewonnen.  Durch  Behandlung  mit  Schwefelsäure,  die 
bekanntlich  ziemlich  billig  ist,  wird  daraus  ein  künstliches  Düngemittel 
hergestellt,  das  für  die  Landwirtschaft  von  Wert  ist.  Die  Darstellung 
des  schwefelsauren  Ammoniaks  erfolgt  in  6  Abtreibeapparaten  und 
7  Sättigungskästen;  nachdem  es  durch  Lagerung  auf  Abtropf-  und 
Lagerbühnen  und  schließlich  durch  Zentrifugieren  von  der  mitge- 
rissenen Lauge  vollständig  befreit  ist,  wird  es  nach  erfolgter  Trock- 
nung gemahlen.  Die  Schwefelsäure  muß  das  Werk  kaufen.  1889/90 
wurde  zwar  der  Plan  ventiliert,  eine  Schwefelsäurefabrik  zu  bauen, 
aber  nicht  zur  Ausführung  gebracht.  Die  Produktion  an  schwefel- 
saurem Ammoniak  betrug  1891/92  erst  90  Tonnen,  10  Jahre  später 
aber  stellte  sie  sich  bereits  auf  2487  Tonnen.  Das  Produkt  wird  in 
Säcke  verpackt  und  an  Düngerfabriken  verkauft. 

Ein  weiterer  Nebenbetrieb,  der  zur  finanziellen  Kräftigung  des 
für  sich  allein  nicht  rentierenden  Hochofenbetriebes  dient,  ist  die 
Kupferextraktionsanstalt.  Diese  Anlage  kam  Ende  1883  in  Betrieb. 
Der  Geschäftsbericht  des  Jahres  1883/84  weist  darauf  hin,  daß  diese 
Anstalt  die  Aufgabe  habe,  aus  den  Rückständen  der  Schwefelsäure- 
fabriken Kupfer  zu  extrahieren,  die  so  gereinigte  Masse  zur  Roh- 
eisendarstellung gut  verwendbar  zu  machen  und  somit  dem  sehr 
fühlbaren  Mangel  an  reichen,  gutartigen  und  wohlfeilen  Eisenerzen 
abzuhelfen.    Wie   bereits    früher   erwähnt,   bezieht   die    Königshütte 

14* 


212  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

auch  spanische  Rio-Tintokiese.  Diese  Schwefelkiese  müssen  erst 
von  ihrem  Schwefel  befreit  werden,  oder  in  der  Sprache  der  Chemie 
ausgedrückt,  in  die  Oxydform  übergeführt  werden,  ehe  sie  für  den 
Hochofenprozeß  tauglich  sind.  Für  die  Schwefelsäurefabriken,  die 
bei  dieser  Arbeit  in  erster  Linie  beteiligt  sind,  lohnt  es  sich  nicht, 
allen  Schwefel  herauszuziehen,  für  den  Hüttenbetrieb  aber  nur  dann, 
wenn  die  Erze  Kupfer  enthalten.  Die  auf  der  Königshütte  ver- 
arbeiteten Abbrände  aus  spanischen  und  portugiesischen  Schwefel- 
kiesen werden  einem  Rost-  und  Laugeprozeß,  letztere  nur  einem 
Laugeprozeß,  unterworfen.  Diese  Lauge  enthält  außer  dem  Kupfer 
noch  Silber  und  Gold.  Das  Kupfer  wird  durch  Eisen  zur  Aus- 
fällung gebracht.  Die  auf  diese  Weise  entkupferten  Schwefelkiese 
haben  eine  purpurrote  Farbe,  man  nennt  sie  daher  Purple  ore.  Leider 
hat  das  gewonnene  Eisenerz  einen  für  den  Hochofenprozeß 
sehr  unerwünschten  Zustand:  es  ist  pulverförmig.  Die  erhaltenen 
kleinen  Körner  zu  brikettieren  ist  eine  der  bisher  nicht  gelösten  Fragen 
der  Technik.  Die  Extraktionsanstalt  der  Königshütte  hat  an  Betriebs- 
mitteln 8  Rostöfen  mit  5  Kondensationstürmen,  36  Laugekästen  und 
32  Zementierkästen  mit  dazu  gehörigen  Hilfsapparaten.  Sie  Heferte 
1900/01  35  322  Tonnen  Purple  ore,  1117  Tonnen  lOOo/oiges  Zement- 
kupfer, 755  kg  Silber  und  2,6  kg  Gold. 

Hier  sei  noch  einer  eingegangenen  Produktion  gedacht,  die  von 
1809—1899  bestand,  der  Zinkgewinnung.  Die  Erträge  sind  in  den 
einzelnen  Jahren  sehr  wechselnd  gewesen,  doch  betrugen  sie  seit 
1878/79  stets  über  1000  Tonnen,  mit  Ausnahme  des  Sterbejahres 
dieser  Produktion.  Bereits  in  dem  ersten  Geschäftsbericht  der  Aktien- 
gesellschaft wird  erwähnt,  daß  die  Zinkfabrikation  nur  nebensächlich 
und  zumeist  zur  Verarbeitung  der  beim  Hochofenbetrieb  gewonnenen 
zinkhaltigen  Materialien  fortgesetzt  werde.  Aus  100  265  Zentnern 
Zinkerz  wurden  1871/72  13  929V2  Zentner  Rohzink  gewonnen.  Die 
Zinkhütte  wurde  dann  Anfang  1899  gänzlich  kalt  gelegt,  und  zwar 
aus  Mangel  an  eigenem  Galmei. 

Schließlich  ist  noch  eine  kleine  Zementfabrik  zur  Verwertung 
der  Hochofenschlacke  zu  erwähnen.  Die  Hochofenschlacke  ist  be- 
kanntlich ein  Abfallprodukt,  mit  dem  man  ursprünglich  nichts  anzu- 
fangen wußte.  Sie  wurde  —  und  das  geschieht  heute  noch  vielfach 
—  auf  Halden  gestürzt  und  so  entstanden  die  großen  Schlacken- 
berge auf  den  Terrains  der  Eisenhütten.  Diese  nutzlose  Aufstapelung 
konnte  sich  jedoch  nur  so  lange  allgemein  halten,  als  die  Bodenpreise 
niedrig  waren.    Mit  der  Verteuerung  des  Grund  und  Bodens  in  der 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  213 

Nähe  der  Hütten  wurde  die  Lösung  des  Problems  einer  Verwertung 
der  Schlacke  immer  dringender.  In  den  letzten  30  Jahren  hat  man 
versucht,  die  Schlacke  auf  verschiedene  Weise  zu  benutzen.  Man 
basaltierte  sie  in  manchen  Fällen,  um  sie  auf  die  Chausseen  und  Wege 
zu  schütten.  Aber  die  Pferde,  die  diese  Chausseen  betraten,  wurden 
hufkrank,  indem  häufig  kleine  Glassplitter  in  den  Huf  drangen. 
Eine  andere  Verwendungsart,  die  uns  hier  speziell  interessiert,  ist 
die  Fabrikation  von  Eisen-Portlandzement.  Ein  Wasserstrahl  reißt 
die  aus  dem  Hochofen  kontinuierlich  hervorstürzende  glühende 
Schlacke  in  einer  Rinne  mit  sich  fort.  Dadurch  wird  sie  körnig. 
Sie  granuliert.  Mit  Kalkhydrat  gemischt,  wird  sie  dann  in  Ziegelform 
gebracht  und  in  einen  Zementofen  gesetzt,  wo  das  ganze  absintert. 
Das  so  erhaltene  Material  ist  ein  vorzüglicher  Zement,  der  bald  mit 
den  eigentlichen  Portlandzementfabriken  in  scharfen  Wettbewerb  trat 
und  viel  zu  der  schlechten  Lage  dieser  Industrie  beigetragen  hat, 
zumal  da  der  Eisenportlandzement  sehr  billig  auf  den  Markt  gebracht 
werden  konnte. 

Zur  Herstellung  des  letzteren  wurde  nun  in  Laurahütte  eine 
Fabrik  errichtet,  die  im  Geschäftsjahr  1872/73  in  Betrieb  kam,  und 
die  so  befriedigende  Resultate  gab,  „daß  sie  voraussichtlich  zur  An- 
lage einer  großen  Fabrik,  und  somit  eines  neuen  lukrativen  Betriebs- 
zweiges in  nicht  zu  ferner  Zeit  Veranlassung  geben  werde."  Dieser 
Betrieb  wird  dann  vergrößert.  In  dem  Geschäftsbericht  1879/80  heißt 
es  über  die  Resultate:  „Die  Darstellung  von  Zement  auf  der  Laura- 
hütte unter  Mitverwendung  der  Hochofenschlacke  hat  sich  gut  ent- 
wickelt .  .  .  Das  Fabrikat  ist  in  Oberschlesien  gut  eingeführt  und 
konkurriert  mit  anderen  seit  langem  gut  renommierten  Sorten."  Allein 
die  Herstellung  von  Zement  auf  der  Laurahütte  hat  das  zu  Ende 
gehende  Jahrhundert  nicht  überlebt.  Im  Jahre  1899  wird  die  Fabri- 
kation eingestellt.  Als  Grund  des  Absterbens  dieses  Betriebszweiges 
gibt  der  Geschäftsbericht  1898/99  an,  daß  die  Einrichtungen  für 
die  Herstellung  veraltet  waren  und  zum  zeitgemäßen  Umbau  beträcht- 
liche Kapitalaufwendungen  nötig  gewesen  wären. 

In  der  vorhergehenden  Analyse  der  wirtschaft- 
lichen Bedingungen,  unter  denen  der  Hochofen- 
betrieb der  Königs-  und  Laurahütte  arbeitet,  er- 
kannten wir,  daß  derselbe  an  und  für  sich,  infolge 
der  Beschaffenheit  der  Erze  und  der  Koks  mit  außer- 
ordentlich hohen  Selbstkosten  belastet  ist,  also  ein 
sehr  teures  Roheisen  liefert.    Um  ihn  nun  finanziell 


214 5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

zu  stützen,  wurden  folgende  Nebenanlagen  ge- 
schaffen, die  entweder  direkt  oder  indirekt  mit  der 
Roheisenerzeugung  in  Verbindung  stehen:  Von  der 
schon  lange  bestehenden  Zinkhütte  abgesehen,  wur- 
den ins  Leb  engerufen  1882  eine  Teerfabrik,  189  leine 
Ammoniakfabrik,  1897  eine  Benzolfabrik  zur  Aus- 
beutung der  wertvollen  Bestandteile  der  bei  der 
Koksdestillation  abströmenden  Gichtgase,  Ferner 
1883  eine  Kupferextraktionsanstalt,  und  in  dem- 
selben Jahre  eine  Portlandzementfabrik,  die  jedoch 
1899geschlossenwurde. 

Wir  kommen  nun  zum  zweiten  Punkt,  nämlich  der  Darstellung 
des  Fabrikationsprogramms  der  Königshütte,  durch  das  die  Schilde- 
rung der  folgenden  Einrichtungen  erst  in  das  richtige  Licht  gerückt 
wird.  Die  folgende  Untersuchung  wird,  um  gleich  die  Hauptsache 
vorweg  zu  nehmen,  zeigen,  daß  sich  das  Fabrikationsprogramm  des 
Werkes  auf  zwei  Grundgedanken  aufbaut:  einmal  auf  einer  mög- 
lichst weitgehenden  Anwendung  menschlicher  Arbeitskraft,  und 
zweitens  auf  der  Herstellung  von  Fertigfabrikaten. 

Von  allen  auf  Aktien  errichteten  Eisenhüttenwerken,  außer  Krupp, 
ist  heute  die  Vereinigte  Königs-  und  Laurahütte  dasjenige,  das  die 
größte  Arbeiterzahl  beschäftigt.  Der  durchschnittliche  Arbeiterbestand 
betrug  1902/03 

bei  der  Gutehoffnungshütte 15,187 

beim  Phönix 11,197 

bei  der  Dortmunder  Union 11,046 

bei  der  Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte  aber  20,028 

In  dieser  Zahl  sind  enthalten  auch  die  Beamten,  die  Unterbeamten 
und  Meister.  Auf  die  einzelnen  Werke  der  Gesellschaft  verteilen  sie 
sich  folgendermaßen.    Es  waren  beschäftigt: 

auf  den  Kohlengruben 7,806  Personen 

„      „     Erzförderungen  und  Brüchen         732         „ 

„      „    schlesischen  Hütten      .    .     .  9,021         „ 

„      „    ausländischen  Werken .    .    .  2,469        „ 

zusammen    20,028  Personen 
Hieraus  ergibt  sich,  daß  die  große  Arbeiterzahl  einmal  bedingt 
ist  durch  den  auf  menschlicher  Handarbeit  beruhenden  ausgedehnten 
Kohlenbergbau  des    Unternehmens.    Einen   zweiten   Grund   werden 
wir  später  kennen  lernen. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  21Ö 

Unter  den  20  028  Arbeitern  im  weiteren  Sinne  befinden  sich  1368 
weibliche  und  1344  jugendliche  und  InvaUden.  Hier  finden  wir  im 
Eisenhüttenbetrieb  zum  erstenmal  Frauen,  die  auf  den  Hüttenwerken 
Rheinland-Westfalens  nicht  vorkommen.  Die  Schwere  der  Industrie 
hat  der  Schwäche  des  Geschlechts  kein  Hindernis  in  den  Weg  ge- 
legt. Der  Grund  ist  leicht  ersichtlich.  Die  Frau  arbeitet  billiger 
als  der  Mann.  Daß  die  Frau  gerade  im  Eisenhüttenbetrieb  Verwen- 
dung sucht  und  findet,  hängt  mit  dem  Mangel  an  anderen 
Fabrikbetrieben  und  mit  dem  geringen  Umfange  der  Landwirtschaft 
im  oberschlesischen  Industriebezirk  zusammen.  Die  Zahl  der  Frauen 
ist  auf  der  Königshütte  ziemlich  konstant  geblieben.  Heute  werden 
sie  hauptsächlich  zu  Transportarbeiten  benutzt.  Ihr  Lohn  beträgt 
etwa  1  Mark  bei  11  stündiger  Arbeitszeit.  Männer  und  Frauen  sind 
Polen,  Durch  die  ausschließliche  Rekrutierung  der  Belegschaft  aus 
dem  kulturell  rückständigen  Gebiete  Polens  wird  der  Arbeitslohn 
natürlich  um  den  für  eine  sehr  tiefe  Lebenshaltung  notvv^endigen 
Standard  herumpendeln,  d.  h.  nur  soviel  betragen,  als  zur  notwendigen 
Ernährung,  Bekleidung  und  Behausung  des  Arbeiters  notwendig  ist, 
verbunden  mit  den  Kosten  für  die  Erziehung  des  Nachwuchses. 
An  Arbeitslohn  wurden  1902/03  gezahlt  16  573  461  Mark.  Der  durch- 
schnittliche Jahresverdienst  auf  den  deutschen  Werken  der  Königs- 
und Laurahütte  betrug: 

bei  den  männlichen  Arbeitern 972,07  M. 

„      ,,    weiblichen  „  342,84    „ 

,,      „    jugendlichen  Arbeitern  und  Invaliden    422,13    „ 

Diese  niedrigen  Löhne  machen  es  verständlich,  warum  heute 
auf  der  Königshütte  die  Handarbeit  noch  einen  so  großen  Spielraum 
einnimmt,  mit  anderen  Worten,  warum  der  moderne  großkapita- 
listische Betrieb,  wie  wir  ihn  bei  den  rheinisch-westfälischen  Werken 
kennen  lernten,  hier  nicht  in  demselben  Maße  durchgeführt  ist. 

Das  zeigt  sich  nun  aber  besonders  deutlich  in  der  Ausdehnung 
des  Puddelbetriebes  auf  der  Königshütte.  Die  Königshütte  bildet 
jedoch  keine  Ausnahme,  sondern  reflektiert  in  dieser  Beziehung  nur 
die  in  Oberschlesien  herrschenden  Verhältnisse.  Für  Oberschlesien 
stellt  sich  nach  Renauld*)  das  Prozentverhältnis  der  Produktion  der 
einzelnen  Roheisensorten  wie  folgt: 

Puddelroheisen 57,25  o/q 

Thomasroheisen 28,31  ,, 


*)  Renauld:  a.  a.  O.,  p.  201. 


216 5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Gießereiroheisen TA'T^/q 

Bessemerroheisen 6,97  „ 

Die  Königshütte  hat  heute  noch  37  Puddelöfen,  von  denen  24 
im  Betriebe  sind.  Nach  meinen  Berechnungen  macht  die  Schweiß- 
eisenproduktion der  Königshütte  noch  26  o/o  ihrer  Gesamtproduktion 
an  schmiedbarem  Eisen  aus.  Im  Jahre  1900/01  erzeugte  das  Puddel- 
werk  2141  Tonnen  FeinkornrohsChienen,  33150  sehnige  Rohschienen 
und  außerdem  3023  Tonnen  Riegel-,  Gezähe-  und  Nabeneisen, 
im  ganzen  also  38  320  Tonnen  Puddelfabrikate. 

Allerdings  hat  das  Werk  auch  Bessemerbirnen  und  Martinöfen, 
aber  beide  sind  wenig  leistungsfähig  und  lassen  technisch  die  Er- 
füllung der  an  eine  Massenfabrikation  zu  stellenden  Anforderungen 
vermissen.  In  dem  Stahlwerk  kommt  sowohl  der  saure  als  der 
basische  Prozeß  zur  Anwendung  in  der  Weise,  daß  in  einem  Con- 
verter von  Montag  bis  Mittwoch  saures,  und  von  Donnerstag  bis 
Sonnabend  in  zwei  Convertern  basisches  Eisen  geblasen  wird.  Je- 
doch schwankt  das  Verhältnis  der  Produktion  an  saurem  und  basi- 
schem Material  je  nach  der  Beschäftigung  der  Walzwerke.  Die 
ganze  Bessemerbetriebsanlage  auf  der  Königshütte  ist  ferner  ver- 
altet, die  drei  Birnen,  die  jetzt  (1904)  noch  um  eine  neue  vermehrt 
werden  sollen,  liegen  dicht  nebeneinander.  Als  günstig  kann  dies 
nicht  bezeichnet  werden,  weil  schon  die  Nähe  des  basischen  Futters 
und  des  sich  bildenden  Kalkstaubes  den  sauren  Converter  beein- 
flußt. Aber  auch  die  Leistungsfähigkeit  ist  wenig  befriedigend.  Jede 
der  drei  Birnen  hat  einen  Fassungsraum  von  8  Tonnen.  Das  ist 
außerordentlich  wenig.  Die  Gesamterzeugung  an  Bessemer-  und 
Thomasmaterial  betrug  daher  1900/01  nur  ca.  68  000  Tonnen, 

Der  Bessemer-  und  Thomasbetrieb  hat  also  auf  der  Königshütte 
eine  größere  Ausdehnung  nicht  erlangt.  Es  hängt  das  zweifelsohne 
auch  zusammen  mit  der  für  den  Flußeisenbetrieb  wenig  geeigneten 
Beschaffenheit  der  oberschlesischen  Erze.  Diese  kommen,  wie  wir 
sahen,  allerdings  nur  in  geringem  Maße  in  Betracht,  aber  so  weit 
dies  der  Fall  ist,  stören  sie  durch  die  Ungunst  ihres  Phosphorgehaltes 
die  Stahlerzeugung.  Für  den  sauren  Bessemerprozeß  kann  man  in 
der  Regel  nur  ein  Roheisen  mit  einem  Phosphorgehalt  unter  0,1  o/o, 
für  den  Thomasprozeß  aber,  wo  der  Phosphor  als  Brennstoff  dient, 
nur  ein  Roheisen  von  über  1,5  o/o  Phosphor  verwenden.  Ober- 
schlesische  Erze  haben  nun  aber  einen  Phosphorgehalt,  der  zwischen 
0,1  und  1,50/0  liegt  und  eignen  sich  daher  weder  für  den  sauren, 
noch  für  den  basischen  Prozeß  besonders;  für  den  ersteren  haben 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  217 

sie  zu  viel,  für  den  letzteren  zu  wenig  Phosphor.  Ein  Verfahren  aber, 
um  solches  Material  mit  einem  Pliosphorgehalt  von  0,1  bis  l,5*'/o  mit 
Erfolg  zu  verarbeiten,  ist  noch  nicht  gefunden.  In  dem  Phosphor^ 
gehalt  aber  liegt  auch  ein  Grund  dafür,  warum  der  Bessemer-  und 
Thomasbetrieb,  der  auf  den  rheinisch-westfälischen  Werken  heute 
durchgehends  dominiert,  auf  der  Königshütte  nicht  dieselbe  Aus- 
dehnung erlangt  hat,  und  warum  an  seiner  Stelle  der  alte,  impotente 
Puddelbetrieb  eine  noch  so  große  Bedeutung  besitzt. 

Neuerdings  geht  man  nun  mehr  und  mehr  dazu  über,  den  Martin- 
betrieb zu  erweitern.  Das  Martinwerk  umfaßte  bisher  5  basisch 
zugestellte  Siemens-Martinöfen,  die  ebenfalls  nur  klein  sind.  Das 
Ausbringen  beträgt  10 — 12  Tonnen  pro  Charge.  Sie  werden  mit 
der  Hand  beschickt.  Automatische  Beschickungsvorrichtungen  fehlen. 
Die  Erzeugung,  die  sich  ausschließlich  auf  Qualitätsmaterial  für  Bleche, 
Schmiedestücke,  Radreifen  und  Achsen  beschränkt,  betrug  1900/01 
38  323  Tonnen  Blöcke.  Gegenwärtig  (1904)  wird  nun  diese  alte  Anlage 
durch  drei  neue  Martinöfen  erweitert.  Damit  ist  angedeutet,  daß 
die  Tendenz  des  Unternehmens  auf  eine  Vergrößerung  der  Martin- 
stahlerzeugung hinausläuft. 

An  die  Martinofenanlage  schließt  sich  eine  Stahlfagongießerei 
an.  Der  Stahlfagonguß  wird  teils  roh  gegossen,  teils  bearbeitet 
für  Eisenbahnbedarf,  Schiffbau,  Lokomotiv-  und  Maschinenfabriken, 
Walz-  und  Hammerwerke  etc.  geliefert.  1900/01  wurden  1247  Tonnen 
Stahlguß  waren  erzeugt.  Von  Bedeutung  für  die  Ökonomie  des  Be- 
triebes ist,  daß  man  den  gesamten  Stahlwerkschutt  über  einen  elektro- 
magnetischen Scheideapparat  führt,  um  das  im  Schutte  enthaltene 
Klaubeisen  wieder  zu  gewinnen. 

Aus  diesen  Ausführungen  ergibt  sich  folgendes :  Auf  der 
Königshütte  ist  die  Produktion  an  schmiedbarem 
Eisen  relativ  gering.  Der  Flußeisenbetrieb  steht 
nicht  so  im  Vordergrunde  wie  auf  den  rheinisch- 
westfälischen Werken,  auch  wenn  in  Zukunft  eine 
Ausdehnung  bevorsteht.  Das  kann  bei  dem  darge- 
legten Umfang  des  Puddelbetriebes  auch  gar  nicht 
anders  sein.     Es  erzeugte,  wie  wir  sahen: 

das  Puddelwerk 38,320    t 

„    Bessemerwerk 68,000    „ 

„    Martinwerk,  Blöcke  und  Stahlfassonguß    39,570    „ 

zusammen   145,890     t 

Der  Grund,  warum  man  die  Massenerzeugung  bis- 


218  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

her  nicht  weiter  ausgebildet  hat,  liegt  einmal  in 
den  billigen  Arbeitskräften.  So  werden  diese  zu 
einem  Hinderungsmittel  des  Fortschritts  und  der 
Akzeptierung  moderner,  konkurrenzfähiger  Be- 
triebsmethoden. Auf  der  anderen  Seite  aber  auch  in 
der  Beschaffenheit  der  zur  Verwendung  kommenden 
oberschlesischen  Erzemiteinem  Phosphorgehaltvon 
Vio  bis  1  V2°/o5  der  der  Convertierung  in  den  Birnen 
Schwierigkeiten   entgegensetzt. 

Der  zweite  Grundgedanke  des  Fabrikationsprogramms  der 
Königshütte  beruht  in  der  Herstellung  möglichst  vieler  Fertigfabrikate. 
Diese  Richtung  wird  diktiert  durch  die  hohen  Selbstkosten  des  Roh- 
eisens wie  des  schmiedbaren  Eisens  auf  der  einen,  und  durch  die 
Billigkeit  der  menschlichen  Arbeit  auf  der  anderen  Seite.  Infolge  der 
letzteren  wird  die  Produktionsverteuerung  des  noch  im  ersten  Stadium 
der  Entwicklung  befindlichen  Produktes  in  dem  Maße  zurückgedrängt, 
je  weiter  es  durch  die  wertschaffende  Kraft  der  Arbeit  in  das  Stadium 
des  Fertigfabrikates  übergeführt  wird.  Dabei  wirken  die  niedrigen 
Löhne,  die  in  dem  Verkaufspreis  des  Fertigfabrikates  enthalten  sind, 
gleichsam  ausgleichend  auf  die  Höhe  der  anderen  Selbstkosten- 
elemente, mit  denen  der  Produktionsprozeß  im  ersten  Stadium  zu 
rechnen  hat. 

Welches  sind  nun  die  wichtigsten  Anlagen  für  Fertigerzeugnisse, 
und  in  welchen  Massen  werden  diese  hergestellt? 

Eine  Anzahl  wichtiger  Fertigfabrikate  wird  zunächst  erzeugt  auf 
dem  großen  Triostahlwalzwerk  (mit  3  Gerüsten).  Die  Produktion 
betrug  1900/01  38  459  Tonnen  Walzfabrikate,  und  zwar  Eisenbahn- 
schienen, Schwellen,  Laschen  und  Unterlagsplatteneisen,  H-Eisen  von 
200 — 400  mm,  und  U-Eisen  von  200 — 300  mm  Höhe.  Dann  kommen 
Walzenstraßen  für  Handels-  und  Konstruktionseisen  aller  Art.  Die 
Gesamtproduktion  der  7  Strecken  betrug  62  790  Tonnen.  Daran 
schließt  sich  ein  Grobblechwalzwerk,  aus  dem  rechtwinklige 
Bleche  in  Schweiß-  und  Flußeisenqualität  hervorgehen.  Im  Jahre 
1900/01  wurden  15145  Tonnen  Fertigbleche  erzeugt  und  an  Halb- 
zeug 1373  Tonnen  Schweißkolben  und  1240  Tonnen  Platinen. 
Schließlich  eine  Feinblechstrecke  mit  3  Gerüsten  und  einer  Produktion 
von  2446  Tonnen  Sturz-  und  Feinblechen.  Die  Gesamtproduktion 
an  Walzfabrikaten  auf  den  10  erwähnten  Walzenstrecken  betrug 
demnach  121  453  Tonnen.  Der  Geschäftsbericht  für  1900/01  aller- 
dings gibt  eine  etwas  höhere  Zahl  an  als  die  Festschrift,  nämlich 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  219 

141  571  Tonnen,  oder  mit  Hinzurechnung  geringerer  oder  Ausschuß- 
ware 142  055  Tonnen.  1902/03  wurden  nach  dem  Geschäftsbericht  an 
Walzwaren  aller  Art  in  Eisen  und  Stahl  inkl.  Ausschußwaren  ver- 
kauft 147  636  Tonnen. 

Außerdem  kommt  für  die  Herstellung  von  Fertigfabrikaten  in 
Betracht  eine  Räder-  und  Weichenfabrik.  Der  Bau  woirde  bereits 
1872/73  in  Angriff  genommen.  In  Betrieb  kam  die  Anlage  erst 
1876/77.  Der  Wert  der  in  dieser  Werksabteilung  hergestellten  Fabri- 
kate betrug  1900/01  2,7  Millionen  Mark.  Es  wurden  u.  a.  produziert 
3351  Radsätze  und  1227  Stück  Zungenvorrichtungen. 

Später  als  die  Herstellung  von  Rädern  und  Weichen  beginnt 
man  mit  der  Herstellung  von  Maschinen.  Ende  1889  erwarb  das 
Werk  die  Aktien  der  Eintrachtshütte  zum  Kurse  von  110 o/o.  Die 
Aktiengesellschaft  wurde  aufgelöst  und  die  Einrichtungen  gingen  voll- 
ständig in  das  Eigentum  der  Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte  über. 
Drei  Gründe  waren  für  die  Erwerbung  dieses  Etablissements  maß- 
gebend. Die  Hütte  wollte  in  erster  Linie  die  Maschinen,  mit  denen 
sie  arbeitet,  selbst  erzeugen,  z.  B.  Fördermaschinen,  und  die  vor- 
handenen Betriebsapparate  retablieren,  Sie  wollte  ferner  ihre  über- 
schüssigen Vorräte  an  Kohlen  noch  weiter  selbst  verwerten,  und  das 
erzeugte  Roheisen  sowie  ihre  Halbfabrikate  in  einem  eigenen  Unter- 
nehmen weiter  verarbeiten,  und  schließlich  Maschinen  für  den  Ab- 
satz produzieren.  Durch  Erwerbung  dieser  wohlfeilen  und  rentablen 
Fabrik  wurde  die  Maschinenindustrie  Oberschlesiens,  welches  bislang 
seine  Maschinen  vorzugsweise  aus  Sachsen,  der  Rheinprovinz,  West- 
falen und   Berlin  bezog,  nicht  unbedeutend  gehoben. 

Ferner  errichtete  das  Werk  eine  Waggonfabrik.  Sie  besteht  erst 
seit  1894/95.  Sie  wurde  ebenfalls  zu  dem  Zwecke  eingerichtet,  um 
den  Walzwerksprodukten  eine  höhere  Verwertungsmöglichkeit  zu  er- 
öffnen. In  derselben  werden  Eisenbahngüterwagen  jeder  Art  her- 
gestellt. Die  Räder  und  Radsätze  und  die  meisten  Beschlagteile  be- 
zieht die  Waggonfabrik  von  der  Räder-  und  Weichenfabrik,  nur 
kleinere  Beschlagteile  werden  in  der  eigenen  Werkstatt  ausgeführt. 
Im  Jahre  1900/01  wurden  1260  Wagen  hergestellt.  Die  Leistungs- 
fähigkeit ist  jedoch  bei  voller  Beschäftigung  eine  größere.  Wir  sehen 
also,  dieselbe  ist  bedeutend  höher  als  die  der  Union,  die  1902/03 
nur  250  Waggons  lieferte,  bei  voller  Beschäftigung  aber  nur  700 — 800 
Waggons  im  Jahre  fertig  stellen  kann.  Natürlich  besteht  auch  auf 
diesem  Gebiet  eine  scharfe  Konkurrenz  der  Spezialindustrie.  Die 
größte  deutsche  Waggonfabrik,  van  der  Zypen  in  Köln,  produziert» 


220  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Lauraiiütte. 

wenn   man   den    Durchschnitt   zu   Grunde   legt,   an   einem  einzigen 
Tage  25  Güterwagen.    Das  ist  Massenproduktion  großen  Stils. 

Es  verlohnt  sich,  auf  die  Gliederung  der  Waggonfabrik  der 
Königshütte  etwas  näher  einzugehen,  und  dabei  einen  Blick  auf  die 
Qualifikation  der  darin  beschäftigten  Arbeiter  zu  werfen.  Die  Waggon- 
fabrik weist  folgende  Abteilungen  auf: 

1.  Eine  Schmiede,  in  der  gelernte  Arbeiter  beschäftigt  sind.  Sie 
zerfallen  in  die  Werkzeugschmiede,  die  Werkzeuge  wie  Bohrer, 
Meißel  etc.  herstellen,  ferner  in  die  Grob-  und  Hammerschmiede,  die 
die  Teile  vorschmieden,  und  in  die  Fein-  oder  Feuerschmiede,  die 
das  Eisen  dann  weiter  bearbeiten.  Diese  Schmiede  sind  nichts  anderes 
als  Handwerker,  die  der  Fabrikbetrieb  in  sich  aufgenommen  hat. 
Die  Einrichtung  weist  13  Schmiedefeuer,  36  Nietfeuer,  19  Feld- 
schmieden und  16  Ambosse  auf.  Durch  4  Ventilatoren  werden  die 
Schmiedefeuer   mit   Luft  versorgt. 

2.  Eine  mechanische  Werkstatt.  An  Betriebsvorrichtungen  sind 
hier  vorhanden:  5  Elektromotoren  von  zusammen  Sl^/o  PS.,  26  Bohr- 
maschinen, 3  kombinierte  Scheeren  mit  Lochstanzen,  4  einfache  Loch- 
stanzen, 3  Fräsmaschinen,  3  Kaltsägen,  3  Schleifmaschinen,  eine 
Shapingmaschine  etc. 

3.  Eine  Montagehalle,  in  der  die  Teile  zusammengestellt  werden 
und  der  Aufbau  des   Kastengerippes   erfolgt. 

4.  Eine  Holzbearbeitungswerkstatt,  in  der  Stellmacher  und  Tisch- 
ler die  Wagen  mit  Holz  auskleiden.  Dies  sind  Handwerker,  aber  sie 
haben  im  Unterschied  von  ihren  Kollegen  im  Kleinbetrieb  die  ganze 
moderne  Technik  zu  ihrer  Verfügung;  die  Fabrik  stattet  sie  mit 
ganz  anderen  Maschinen  aus,  als  sich  die  selbständigen  Handwerks- 
meister leisten  können.  Hier  in  dem  kapitalistischen  Betriebe,  wo 
der  Handwerker  Lohnarbeiter  geworden  ist,  gebietet  er  über  ganz 
andere  Energiequellen,  und  die  Leistung  ist  daher  eine  höhere.  In  der 
Tischlerei  der  Waggonfabrik  der  Königshütte  befinden  sich  3  Elektro- 
motore  von  zusammen  75  Pferdekräften,  und  diese  setzen  nicht 
weniger  als  18  Holzbearbeitungsmaschinen  in  Bewegung:  Kreis- 
sägen, Bandsägen,  Hobelmaschinen,  Abrichtmaschinen  (die  die  Bretter 
an  einer  Seite  hobeln),  Zapf-,  Fräs-  und  Kehlmaschinen  etc.  Eine 
Exhaustoranlage  mit  Separator  dient  zur  Absaugung  der  Holzspähne. 
Dazu  kommen  dann  noch  die  Hilfsmaschinen,  die  z.  B.  das  Feilen 
der  Sägen  oder  das  Schleifen  der  Hobelmesser  automatisch  besorgen. 

Die  Tischler  und  Stellmacher,  die  hier  das  Holz  bearbeiten, 
sind  nun  im  Gegensatz  zu  einer  Reihe  von  Arbeitern  in  der  mecha- 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 221 

nischen  Werkstatt,  wo  nicht  Holz,  sondern  Eisen,  mit  analogen 
Maschinen  gestanzt,  geschnitten  usw.  wird,  gelernte  Arbeiter.  Woher 
kommt  das?  Der  Grund  dafür  scheint  mir  darin  zu  liegen,  daß  dem 
Eisenarbeiter  an  den  Bohr-  und  Hobelmaschinen  etc.  der  mecha- 
nischen Werkstatt  die  schwierigere  Arbeit  durch  die  Vorzeichner  ab- 
genommen wird,  und  sie  auf  rein  mechanische  Tätigkeiten  beschränkt 
bleiben.  Das  ist  aber  bei  den  Tischlern  und  Stellmachern  in  der 
Holzbearbeitungswerkstatt  nicht  der  Fall.  Diese  sind  Techniker  und 
Zeichner  in  einer  Person.  Sie  haben  die  schwierigere  Zeichenarbeit 
und  die  rein  mechanisch  vor  sich  gehende  Bedienung  der  Maschinen 
nicht  geteilt,  sondern  zusammen  auszuführen.  Hierin  liegt  ein  wesent- 
licher Unterschied,  der  uns  auch  erklärt,  warum  sie  höher  bezahlt 
werden  als  die   Arbeiter  der  mechanischen  Werkstatt. 

Schließlich  gehört  hierher  auch  noch  die  Lackiererei,  wo  die 
Güterwagen  ihren  letzten  Schliff  erhalten.  Sie  werden  mit  roter 
Farbe  angestrichen. 

Eine  weitere  Fertigfabrikate  erzeugende  Werksanlage  der 
Königshütte  ist  ihre  Brückenbauanstalt  und  Konstruktionswerkstätte. 
Sie  ist  auch  erst  seit  1894  in  Betrieb  und  steht,  was  Größe  und 
Produktion  betrifft,  den  bei  Beschreibung  der  Dortmunder  Union 
erwähnten  großen  Brückenanstalten  ebenbürtig  zur  Seite.  Der  Ge- 
samtumsatz beträgt  jährlich  ca.  8000  Tonnen.  Die  Einnahme  stellte 
sich  1900/01  nicht  ganz  auf  2  Millionen  Mark.  Aus  dieser  Abteilung 
gehen  hervor  Brücken  und  andere  eiserne  Überbauten,  Gebäude  und 
Dächer  aus  Eisenkonstruktion,  Schachtringe,  Separationsgebäude, 
Kohlenwäschen,  Fördertürme  und  andere  Eisenkonstruktionen  ver- 
schiedener Art.  Die  wichtigsten  von  der  Königshütte  gebauten  Brücken 
sind  folgende:  Warthebrücke  bei  Landsberg,  Gewicht  ca.  640  Tonnen, 
Oderbrücke  bei  Steinau,  Gewicht  ca.  1200  Tonnen,  Oderbrücke  bei 
Niederwutzen,  Gewicht  ca.  700  Tonnen,  Oberhafenbrücke  bei  Ham- 
burg, Gewicht  ca.  1000  Tonnen,  Oderflutbrücke  bei  Glogau,  Ge- 
wicht ca.  800  Tonnen  u.  a.  Die  Brückenbauanstalt  ist  auch  beteiligt 
an  Lieferungen  von  eisernen  Überbauten  für  die  Schantung-Eisenbahn- 
gesellschaft,  an  welche  bisher  ca.  1400  Tonnen  für  verschiedene 
Bauwerke  geliefert  wurden.  Die  Werkstatt  besitzt  55  Arbeitsmaschinen, 
welche  sämtlich  elektrisch  angetrieben  werden,  hierzu  ist  eine  Be- 
triebskraft von  105  PS.  erforderlich.    (Festschr.  p.  91.) 

Schließlich  haben  wir  noch  das  Preßwerk  zu  erwähnen,  das  erst 
seit  1899/1900  in  Betrieb  ist.  Es  fertigt  Radgestelle  mit  Doppel- 
speichen  aus    Schweißeisen   für   Voll-   und   Kleinbahnwagen,   Quer- 


222 5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

träger  für  Plattformwagen,  Buckelbleche  etc.,  überhaupt  alle  vor- 
kommenden Teile  aus  gepreßtem  Stahlblech.  An  Betriebsvorrich- 
tungen sind  vorhanden:  eine  Kümpelpresse  und  eine  Räderpresse 
mit  Dampftreibeapparat,  eine  Keilschv^eißpresse,  eine  Speichenbiege- 
presse  und  Speichenschere.  Außerdem  5  Bearbeitungsmaschinen. 
Der   Gesamtumsatz   des    Jahres   1900/01    betrug   442195    Mark. 

An  diese  großen  Fabrikationsabteilungen  schließen  sich  dann 
noch  Reparaturwerkstätten,  die  in  erster  Linie  Hilfsbetriebe  sind 
und  nur  in  geringem  Maße  mit  Arbeiten  für  Fremde  beschäftigt 
werden.  Hierher  gehört:  die  sogenannte  Hochofenschmiede,  die 
Walzwerkschmiede,  die  Drehwerkstatt  mit  Drehbänken,  Hobel- 
maschinen, Bohrmaschinen,  Fräs-,  Schleifmaschinen  etc.  Ferner  eine 
Lokomotivwerkstatt  und  eine  Zimmerwerkstatt. 

Überblicken  wir  am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  noch  einmal 
die  Resultate:  Wir  lernten  nach  Erörterung  der  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse,  unter  denen  der  Hoch- 
ofenbetrieb arbeitet,  in  zweiter  Linie  die  Bedin- 
gungen kennen,  die  fürden  Schweiß-und  Flußeisen- 
betrieb der  Königshütte  charakteristisch  sind.  Wir 
erkannten,  daß  der  Puddelbetrieb  auf  der  Königs- 
hütte —  wenn  wir  hier  von  dem  früher  schon  erwähn- 
ten Reichtum  des  Unternehmens  an  billigen  Kohlen 
absehen  —  im  wesentlichen  auf  zwei  Pfeilern  be- 
ruht: einmal  auf  der  Beschaffenheit  der  oberschle- 
sischen  Erze,  die  einen  Phosphorgehalt  aufweisen, 
der  sie  weder  für  den  sauren, noch  für  den  basischen 
Prozeß  besonders  geeignet  erscheinen  läßt,  und  an- 
dererseits auf  dem  großen  Angebot  billiger  pol- 
nischer Arbeitskräfte,  die  einen  arbeitsintensiven 
Betrieb  geradezu  herausfordern.  Aus  diesem  Grunde 
ist  der  mit  einem  größeren  fixen  Kapital  arbeitende 
Fluß  eisenbetrieb  nicht  in  dem  Maße  entwickelt  wie 
in  Rheinland- Westfalen.  Die  Birnen  sind  außerdem 
weniger  leistungsfähig.  In  nächster  Zeit  wird  aller- 
dings der  Martinbetrieb  wesentlich  an  Bedeutung 
gewinnen.  Sowohldie  Hochöfenais  auchdie  Puddel- 
und  Fluß  eisenanlagen  ergeben  eine  verhältnismäßig 
teure  Produktion.  Während  man  nun  die  Hochofen- 
anlage durch  Schaffung  besonderer  Betriebe  finan- 
ziell   kräftigte,    suchte    man    das     verhältnismäßig 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  223 

teuer  erstandene  Schweiß-  und  Flußeisen  durch  Her- 
stellung von  Fertigfabrikaten  mit  Hilfe  billiger  Ar- 
beitskräfte konkurrenzfähig  zu  machen.  Deshalb  be- 
trachteten wir  in  dritter  Linie  das  Bestreben  des 
Werkes,  einen  Ausgleich  mitden  hohen  Produktions- 
kosten des  Roh-,  Schweiß-  und  Flußeisens  zu  schaf- 
fen. Wir  lernten  außer  den  in  den  Walzwerken  her- 
gestellten Fertigfabrikaten  eine  Räder-  und  Wei- 
chenfabrik (1872),  eine  Maschinenfabrik  (1890),  eine 
Waggonfabrik  (1894),  eine  Brückenbauanstalt  und 
Konstruktionswerkstatt  (189  4)  und  ein  Preßwerk 
(189  9)  nebst  Reparaturwerkstätten  kennen.  Durch 
alle  diese  Betriebe  wird  der  Verbrauch  des  Werkes 
an  eigenem  Rohmaterial  und  Halbzeug  bedeutend 
erhöht  und  die  Herstellung  von  Fertigfabrikaten 
der  vornehmste  Zweck  der  Produktion. 


Zum  Schluß  haben  wir  noch  die  Absatzverhältnisse  der 
Königshütte  zu  betrachten.  Im  Vordergrunde  steht  der  Absatz  der 
Kohlen  und  der  Fabrikate  auf  dem  Inlandsmarkt.  Die  Bedeutung  des 
letzteren  ist  mit  dem  Rückgang  des  Exports  noch  mehr  gewachsen. 
Das  natürliche  Absatzgebiet  ist  Schlesien  nebst  den  angrenzenden 
Provinzen.  Nach  den  Untersuchungen  Renaulds  ist  in  Oberschlesien 
der  Wasserversand  gegenüber  dem  Eisenbahnversand  bedeutend  ge- 
ringer als  im  Ruhrbezirk.  Die  Oder  ist  in  ihrem  Oberlauf  nicht  ge- 
nügend reguliert.  Dieser  Strom  hat  für  den  Absatz  der  oberschlesischen 
Werke  bei  weitem  nicht  die  Bedeutung  wie  der  Rhein  für  die  rheinisch- 
westfälischen. Damit  und  mit  der  größeren  Entfernung  von  den 
mittel-  und  norddeutschen  Märkten  hängt  die  höhere  Fracht  zusammen, 
die  die  oberschlesischen  Werke  zu  tragen  haben,  obgleich  die  Re- 
gierung wiederholt  die  oberschlesischen  Tarife  heruntergesetzt  hat. 
In  einem  Artikel  der  Vossischen  Zeitung  vom  5.  November  1903 
wird  hierüber  von  sachverständiger  Seite  folgendes  ausgeführt: 
„Die  oberschlesische  Eisenindustrie  entbehrt  infolge  der  Ver- 
nachlässigung der  Oderregulierung  der  Wohltat  eines  Oroßschiff- 
fahrtsweges.  Dazu  steht  der  ausgiebigen  Benutzung  der  Oder  die 
Höhe  der  Vorfrachten  nach  den  oberschlesischen  Umschlagsplätzen 
entgegen.  So  kommen  denn  die  dortigen  Eisenwerke  tatsächlich  bil- 
liger aus,  wenn  sie  sich  ausschließlich  auf  den  Eisenbahntransport 
verlassen.    Hierin  liegt  nun  ein  ungeheurer  Nachteil  gegenüber  der 


224  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

westdeutschen  Industrie,  steht  dieser  doch  für  den  Export  über  See 
ein  Netz  vorzüglicher  Wasserstraßen  zur  Verfügung,  während  ihr 
andererseits  ihre  relativ  geringe  Entfernung  von  den  großen  deutschen 
Seehäfen  der  Nordsee  eine  billige  Eisenbahnfracht  nach  diesen  hin 
sichert ;  ebenso  kommt  ihnen  ihre  geographische  Lage  im  inländischen 
Geschäft  aufs  beste  zu  statten,  indem  ihre  Erzeugnisse  bei  weitem 
geringere  Bahnstrecken  als  diejenigen  der  oberschlesischen  Werke' 
zu  durchlaufen  haben,  um  an  die  Absatzzentren  Mitteldeutschlands 
zu  gelangen.  Hieraus  resultiert,  daß  Oberschlesien  im  Inlandgeschäft 
mit  einer  Frachtbelastung  bis  zu  2^/^  Mark  pro  100  kg,  d.  h.  bis  zu 
250/0  des  Wertes  seiner  Ware  an  Orten  zu  rechnen  hat,  wohin  der 
Westen  mit  etwa  IV4  Mark  Frachtspesen  gelangen  kann.  Als  charak- 
teristischer Spezialfall  sei  angeführt,  daß  die  westdeutschen  Werke  ab 
Oberhausen  oder  Duisburg  mit  90  Pfennig  bis  1  Mark  Fracht  pro 
100  Kilogramm  gewalzten  Eisens  nach  Königsberg  und  Danzig 
kommen  können,  während  Oberschlesien  in  diesem  Falle  etwa 
1,70  Mark  Frachtunkosten  zu  tragen  hat.  Die  Dinge  liegen  nach 
alledem  so,  daß  die  oberschlesischen  Walzwerke  ohne  besondere 
Opfer  nur  Schlesien  und  einen  Teil  der  Provinz  Posen  als  Absatzgebiet 
behaupten  können,  während  nach  allen  anderen  inländischen  Plätzen 
hin  nur  unter  der  Parität  der  westdeutschen  Preise  Geschäfte  ge- 
macht werden  können.  Die  Forderungen  der  oberschlesischen  Eisen- 
industrie, man  möge  den  oberen  Lauf  der  Oder  einer  gründlichen  Re- 
guherung  unterziehen,  die  Eisenbahnfrachtsätze  nach  den  Umschlags- 
plätzen der  oberen  Oder  analog  der  Tarifgestaltung  für  Exportware 
nach  den  Seehäfen  ermäßigen  und  den  Gebührentarif  für  die  Schiffahrt 
auf  der  oberen  Oder  herabsetzen,  sind  nach  alledem  durchaus  ver- 
ständlich und   nur  zu  billigen." 

Durch  den  Bau  eines  Mittellandkanals,  dem  die  oberschlesischen 
Montanindustriellen  keineswegs  günstig  gegenüberstehen,  würde  die 
westdeutsche  Konkurrenz  noch  schärfer  werden.  Daher  werden  Kom- 
pensationen von  der  Staatsregierung  verlangt.  Dieselben  bestehen 
einmal  in  der  Verbesserung  der  Wasserverhältnisse  der  Oder  und 
weiter  in  der  Gewährung  von  Frachtparität  zwischen  dem  ober- 
schlesischen und  rheinisch-westfälischen  Revier  auf  den  Schnittpunkt 
Berlin. 

Aus  den  Geschäftsberichten  der  Königshütte  ist  leider  über  den 
Absatz  der  Produkte  der  Königshütte  nicht  viel  zu  ersehen.  In  dem 
ersten  Geschäftsbericht  der  Gesellschaft  werden  als  die  hauptsächlich- 
sten Handelsartikel  die  Produkte  der  Walzwerke  angegeben.     „Sie 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  225 

werden  nur  auf  Bestellung  gefertigt  und  gelangen  direkt  aus  den  Hütten 
vermittelst  der  dahin  führenden  Eisenbahn  an  ihren  Bestimmungsort. 
Der  Verkauf  sämtlicher  Waren  erfolgt  durch  die  Direktion,  welche 
in  Berlin  ihren  Sitz  hat,  dem  Werke  die  übernommenen  Aufträge 
zuteilt,  die  Fakturen  ausschreibt,  die  Geldbeträge  einzieht,  und  die 
Werke  mit  Betriebsgeldcrn  versorgt."  Als  die  wichtigsten  Absatz- 
artikel werden  im  Geschäftsbericht  1872/73  bezeichnet:  Eisenbahn- 
schienen, grobes  und  feines  Handelseisen,  sowie  Fa^oneisen  und 
Bleche.  Mit  dem  Absatz  von  Gußwaren  hatte  das  Werk  anfangs 
wenig  Glück.  1873/74  erzeugte  die  Gießerei  94  178  Zentner  Guß- 
waren. Dieselben  dienten  hauptsächlich  zur  Unterhaltung  der  Werks- 
anlagen und  zur  Verwendung  bei  den  Neubauten.  Nach  Fertigstellung 
der  Bauten  sollten  die  Gußwaren  auf  den  Markt  kommen.  Ebenso 
versuchte  die  Gesellschaft  Roheisen  zu  Gießereizwecken  zu  ver- 
kaufen. Hierüber  heißt  es  in  dem  Geschäftsbericht  1876/77:  „Zudem 
waren  wir  bemüht,  Roheisen  zu  Gießereizwecken  Eingang  zu  ver- 
schaffen und  hatten  in  dieser  Richtung  einige,  wenn  auch  nicht  erheb- 
liche Erfolge.  Die  Abneigung  der  Gießer  gegen  das  deutsche  Eisen  — 
entsprungen  aus  der  alten  Gewohnheit,  englisches  und  schottisches 
zu  verwenden  —  ist  so  groß  und  die  Preise  der  letzteren  Werke,  welche 
begünstigt  durch  Zollfreiheit  und  enorm  wohlfeile  Frachten  ganz 
Deutschland  überfluten,  sind  so  niedrig,  daß  es  uns  große  Anstren- 
gungen und  Opfer  kostet,  wenn  wir  neben  ihnen  einen  nur  mäßigen 
Absatz  erzielen  wollen."  Ähnlich  klingt  der  Tenor  des  Berichtes 
aus  dem  Jahre  1884/85.  Dort  heißt  es:  „Es  ist  uns  nicht  möglich, 
ein  Gießereieisen  zu  erzeugen,  welches  mit  dem  billigen  und  für  die 
meisten  Zwecke  ausreichenden  englischen  Material  konkurrieren 
könnte,  und  der  Bedarf  an  prima  Ware,  wie  wir  sie  mit  Vorteil 
erblasen  und  auf  den  Markt  bringen  können,  ist  nicht  erheblich  und 
wird  obendrein  von  solchen  Konsumenten,  welche  sich  von  ihrer 
alten  Gewohnheit  nicht  losreißen  können,  meist  in  schottischen 
Marken  —  selbst  zu  höheren  Preisen  als  die  unsrigen  sind  —  ge- 
deckt." Mit  allen  Finessen  suchte  damals  die  Verwaltung  nach 
neuen  Absatzquellen,  nach  weiteren  Verwertungsmöglichkeiten  des  ge- 
schaffenen Produkts.  So  wandte  sie  sich  an  eine  Reihe  von  Kom- 
munen, um  dieselben  zur  Auspflasterung  der  Straßen  mit  Eisen  resp. 
Stahl  zu  veranlassen.  Der  Geschäftsbericht  1878/79  sagt  über  die 
negativen  Erfolge  dieses  Vorgehens  folgendes:  „Die  Bemühungen 
unserer  Geschäftsleitung,  Straßenpflasterungen  in  Eisen  resp.  Stahl 
auszuführen,   haben  bislang  zu   einem    Resultate   nicht  geführt;   die 

Stillich,  Nationalökonomische  Forschungen,  Band  I.  15 


226  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Stadtkommunen  entschließen  sich  nur  sehr  schwer  und  langsam  zur 
Aufnahme  von  Versuchen,  w^elche  unserer  Ansicht  und  Erfahrung 
nach  einen  guten  Erfolg,  sowie  den  Städten  ein  vorzügliches,  dauer- 
haftes Pflaster  und  unserer  Industrie  einen  neuen  Absatz  versprechen." 

Leider  bieten  die  Geschäftsberichte  über  den  inländischen  Absatz 
kein  weiteres  Material.  Ebenso  dürftig  ist  dasselbe  für  den  Absatz 
nach   dem   Auslande. 

Die  beiden  Länder,  zwischen  denen  die  oberschlesische  Eisen- 
industrie gleichsam  eingekeilt  liegt,  sind  Rußland  und  Österreich. 
Die  geographische  Lage  für  den  Export  ist  also  günstig.  Allein 
beide  Länder  haben  im  Laufe  der  Zeit  ihr  Schutzzollsystem  in  der 
Weise  ausgebildet,  daß  dasselbe  die  Ausfuhr  oberschlesischer  Eisen- 
fabrikate vor  dem  Abschluß  der  bekannten  Handelsverträge  geradezu 
unterband.  Infolgedessen  woirde  der  Absatz  immer  mehr  auf  den 
Inlandmarkt  gedrängt.  Bereits  in  dem  Geschäftsbericht  von  1876/77 
klagt  die  Verwaltung:  „Es  fehlt  den  Werken  nichts  als  ihr  natürliches 
Absatzgebiet,  d.  h.  ein  Gebiet  nicht  größer  als  eine  Kreisfläche  mit 
einem  Radius  von  50 — 60  Meilen.  Aber  dieser  Kreis  fällt  zum  großen 
Teil  nach  Österreich  und  Rußland,  und  da  das  Deutsche  Reich  nicht 
imstande  ist,  die  Zollschranken  dieser  Länder  zu  beseitigen,  so  hat 
es  unserer  Meinung  nach  die  Pflicht,  den  Absatz  unserer  Produkte 
im  Inland  zu  begünstigen,  und  die  Werke,  welche  der  Staat  in 
seinem  eigenen  wohlverstandenen  Interesse  großgezogen,  zu  stützen 
und  zu  erhalten." 

Welches  waren  nun  die  Folgen  der  hier  nicht  näher  zu  behan- 
delnden zollpolitischen  Maßregeln,  die  den  Export  der  Königshütte 
so  stark  beeinträchtigten?  Sie  bestanden  in  der  Verlegung  der  für 
den  Export  bestimmten  Produktion  hinter  die  Zollgrenze.  1882  wird 
in  russisch  Polen  ein  Walzwerk,  die  Katharinahütte,  gebaut.  Der 
Plan  dazu  war  schon  früher  gefaßt,  allein  der  russisch-türkische  Krieg 
hinderte  seine  Ausführung.  In  dem  Geschäftsbericht  1881/82  wird 
das  Projekt  näher  beschrieben.  Die  Gesellschaft  kauft  jenseits  der 
russischen  Grenze,  nicht  fern  dem  Grenzorte  Sosnowice,  in  russisch 
Polen,  an  der  Warschau-Wiener  Eisenbahn  gelegen,  ein  der  Herrschaft 
Sielce  gehöriges  Grundstück.  Auf  diesem  wird  nunmehr  ein  Eisen- 
werk errichtet  mit  folgenden  Abteilungen:  ein  Walzwerk  für  starke 
und  feinere  Blechsorten,  und  eines  für  leichtere  Stabeisensorten, 
eine  Puddelanlage  zur  Herstellung  des  erforderlichen  Halbproduktes 
und  eine  Gießerei  und  Reparaturwerkstatt,  sowie  Wohngebäude  für 
Beamte   und   Arbeiter.    Es   entsteht   also   ein   zweigliedriges   Werk, 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  227 

dessen  Roheisenbedarf  von  den  schlesischen  Hochöfen  der  Königs- 
und Laurahütte  befriedigt  wird,  während  es  die  nötigen  Steinkohlen 
von  den  nahe  gelegenen  Sielcer  Gruben  entnimmt.    1882  ist  das  Werk 
teilweise  fertig.    Erst  im  zweiten  Semester  1883  kommt  es  in  vollen 
Betrieb.     Die   Verwaltung   bezeichnet  die    Katharinahütte   „als  eine 
technisch  gut  disponierte  und  solid  ausgeführte  Anlage."    Trotzdem 
rentierte   sie   anfangs    nicht.    Als    Grund   dafür   wird    im    Geschäfts- 
bericht  1883/84  angegeben   einmal   die   geringe   Leistung  eines   un- 
geschulten Arbeiterpersonals  und  dann  der  Mangel  an  ausreichenden 
Aufträgen.    „Die  russische  Kundschaft  kauft  nur  ungern  und  zögernd 
das  Fabrikat  einer  neuen  Hütte  und  verlangt  von  solcher  zunächst 
billigere   Preise  und  tadellose  Qualität.    Hat  sie  sich  von   letzterer 
überzeugt,  so  pflegt  sie  dem  inländischen  Werke  (d.  h.  dem  deutschen) 
den    Vorzug   zu   geben."    Weiter   wirkten   die   Zollerhöhungen    auf 
Roheisen  und  Kohle  für  die  Katharinahütte  ungünstig.   Die  russische 
Regierung  erhöhte   1884  den   Roheisenzoll  von  6  auf  9,  und   1885 
auf  12  Kopeken  Gold  per  Pud,  d.  h.  auf  24  Mark  pro  Tonne,  so 
daß  er  mehr  als  die  Hälfte  des  Wertes  des  Roheisens  betrug.  Gleich- 
zeitig setzte  sie  den  Zoll  für  Steinkohlen,  welche  über  die  polnische 
Grenze  eingingen,  von   1   auf  IV2  Kopeken  per  Pud  hinauf.    Diese 
Steigerung  des  Zolles  auf  Rohmaterial  mußte  die  bestehenden  Fa- 
briken, welche  zu  ihrem  Betriebe   Roheisen  und  Kohle  verwandten 
und  diese  aus  dem  Auslande  bezogen,  unzweifelhaft  schädigen,  und 
die    Entstehung    neuer    derartiger    Etablissements    in    Rußland    er- 
schweren.     Infolge    dieser   hohen    Zölle    wurde    die    Katharinahütte 
1884/85  mit  einer  Mehrausgabe  von  ca.  90  000  Rubel  belastet.   Dieser 
Summe  aber  stand  ein  Ausgleich  durch  eine  entsprechende  Steigemng 
der   Fabrikatzölle   nicht   gegenüber.    Um   diesen    Betrag  wurde   der 
Bruttogewinn  des  genannten  Jahres  reduziert.    Nachdem  nun  diese 
ersten  Lehrjahre  überwunden  waren,  begann  die  Katharinahütte  zu 
prosperieren  und  für  die  Gesellschaft  ein  wertvolles  Supplement  ihrer 
schlesischen   Produktion  zu  werden.     Während   in   Deutschland  um 
die  Mitte  der  80er  Jahre  eine  allgemeine  Verflauung  im  Eisengeschäft 
eintrat,  war  die  Katharinahütte  im  vollen  Betrieb  und  reichlich  be- 
schäftigt, so  daß  sie  vielfach  von  ihrem  Überfluß  an  die  schlesischen 
Werke  abgeben  konnte.    „Die  letzteren  ergänzen",  heißt  es  in  dem 
Bericht  1884/85,  „somit  das  auf  der  Katharinahütte  überhaupt,  oder 
zur  rechten  Zeit  nicht  Darstellbare,  bleiben  in  gut  vermittelter  Fühlung 
mit  dem  russischen  Markte  und  liefern  der  Katharinahütte  Roheisen 
und   Steinkohlen."    Ebenso   florierte   das    russische   Werk    auch   im 

15* 


228  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Anfang  der  90er  Jahre,  als  in  Deutschland  das  Geschäft  stark  dar- 
niederlag. Rußland  hatte  damals  große  Eisenbahnunternehmungen 
auszuführen,  und  dieses  bedingte  für  die  russische  Eisen-  und  Stahl- 
industrie eine  günstige  Konjunktur,  an  der  auch  die  Königs-  und 
Laurahütte  durch  ihr  russisches  Werk  partizipierte.  Infolge  der 
höheren  Erträge  des  letzteren  wurden  die  niedrigeren  Erträge  der 
schlesischen  Anlage  überkompensiert.  Wir  sehen  hier,  wie  solche 
Filialen  im  Auslande  die  Funktion  einer  internationalen  Gewinn- 
ausgleichung für  eine  Gesellschaft  übernehmen  können.  Es  hängt  das 
damit  zusammen,  daß  die  volkswirtschaftlichen  Krisen  in  den  ver- 
schiedenen Ländern  oft  sich  nicht  zu  gleicher  Zeit  herausbilden. 
Ein  Beispiel  wurde  schon  angeführt,  ein  zweites  betrifft  die  letzte 
Krisis.  Als  1899  Deutschland  noch  auf  der  Höhe  einer  eminent 
günstigen  Konjunktur  stand,  war  in  Rußland  bereits  der  Niedergang 
eingetreten.  In  diesem  Jahre  stützten  die  schlesischen  Werke  das 
russische  Unternehmen,  das  unter  der  Ungunst  der  Verhältnisse  zu 
leiden  hatte.  Andererseits  ist  zweifellos  der  Niedergang  der  deut- 
schen Industrie  von  1900 — 1902  durch  die  gleichzeitige  Hochkon- 
junktur in  den  Vereinigten  Staaten  stark  abgeschliffen  worden. 

Nach  Errichtung  der  Katharinahütte  hatte  die  Gesellschaft  zwar 
weiter  ein  Interesse  an  der  Erniedrigung  der  Rohmaterialzölle,  zu- 
mal mit  dem  Mai  1887  eine  Verdoppelung  des  Zolles  auf  Roheisen 
eingetreten  war,  andererseits  aber  ein  Interesse  an  einer  weiteren 
Steigerung  der  Fabrikatzölle,  weil  durch  die  letzteren  alle  die  deutschen 
Exportwerke  geschädigt  wurden,  die  nicht  selbst  hinter  der  russischen 
Grenze  Eisenindustrie  trieben.  Seit  dieser  Zeit  geht  nun  eine  merk- 
würdige Wandlung  in  der  Seele  dieser  Gesellschaft  vor  sich.  Vor  der 
Errichtung  der  Katharinahütte  hatte  sie  es  für  ganz  selbstverständ- 
lich gehalten,  daß  die  inländischen  Hütten  ihre  Produkte  billiger 
auf  den  Auslandsmarkt  warfen  als  auf  den  Inlandsmarkt,  um  kon- 
kurrieren zu  können.  Diese  Auffassung  aber  ändert  sich  mit  einem 
Schlage,  wo  die  Gesellschaft  hinler  der  Zollgrenze  ein  eigenes  Werk 
etabliert.  Was  früher  verteidigt,  wird  jetzt  angegriffen.  Sie  bedauert, 
daß  der  schlanke  Absatz  der  Produkte  der  Katharinahütte  zu  Preisen 
vor  sich  geht,  welche  unter  der  Konkurrenz  der  außerrussischen 
Werke  zu  leiden   hatten."    (Geschäftsbericht   1884/85.) 

Aus  der  Darstellung  der  Verhältnisse  des  russischen  Werkes 
geht  hervor,  daß  die  sich  darin  dokumentierende  internationale  Ex- 
pansion des  Kapitalismus  für  die  betreffenden  Erwerbsgesellschaften 
gewisse  Vorteile  mit  sich  bringt :  Sie  erweitern  ihren  Markt, 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  229 

sparen  den  Zoll  und  erzielen  in  K  ris  e  n  zelte  n  e  i  n  e  n 
Ausgleich  ihrer  Einnahmen. 

Wegen  der  damit  verbundenen  Vorteile  ist  nun  die  Königshütte 
nicht  bei  der  Etablierung  des  einen  Werkes  in  Rußland  stehen  ge- 
blieben, sondern  sie  hat  1896/97  noch  ein  zweites  errichtet,  dabei 
aber  den  Fehler  beseitigt,  der  in  der  Abhängigkeit  der  Katharina- 
hütte vom  Rohstoffmarkt  und  den  Eingangszöllen  auf  Kohlen  und 
Eisen  lag.  In  dem  genannten  Jahre  pachtet  sie  das  Kaiserlich 
russische  Hüttenwerk  Blachownia  bei  Czenstochau  in  russisch  Polen. 
Es  besitzt  eine  Hochofenanlage,  ferner  eine  Gießerei  und  eine  mecha- 
nische Werkstatt,  sowie  ausgedehnte  Toneisensteingruben  bei  Wrcn- 
czyca.  Mit  dem  Besitz  dieser  Erzgruben  war  nun  auch  für  die 
Katharinahütte  ein  günstigerer  Status  geschaffen.  Der  Geschäftsbericht 
1896/97  sagt  hierüber  folgendes:  „Die  Ausbeutung  der  Toneisen- 
steingruben wird  zuvörderst,  ehe  die  Hochofenanlage  in  Betrieb 
kommt,  zur  Deckung  des  Eisenbedarfs  der  in  der  Nähe  gelegenen 
Katharinahütte  verwandt,  während  die  übrigen  Betriebseinrichtungen 
von  Blachownia  zur  weiteren  vorteilhaf+en  Verwertung  der  Kalharina- 
hütter  Roheisens  und  zur  Erzeugung  von  Werkstattprodukten  dienen 
sollen,  die  in  der  industriereichen  Umgebung  guten  Absatz  finden." 

Infolge  des  Bestehens  dieser  beiden  Filialen  ist  das  Export- 
interesse der  Königs-  und  Laurahütte  natürlich  ein  verhältnismäßig 
geringes.  Daß  trotz  der  hohen  Zölle,  die  ja  durch  die  Handels- 
verträge mit  Österreich  und  Rußland  ermäßigt  wurden,  immerhin 
unter  Umständen  große  Massen  der  Erzeugnisse  der  Königshütte 
ins  Ausland  gelangen,  geht  aus  einem  Bericht  des  Unternehmens  vom 
Jahre  1894/95,  über  das  diesbezügliche  Angaben  gemacht  werden, 
her\'or.  In  diesem  Jahre  hatten  die  hohen  Eisenbahnfrachten  Ober- 
schlesiens das  Absatzgebiet  der  Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte 
im  Norden  Deutschlands  eingeengt.  Dies  veranlaßte  das  Werk,  Er- 
satz in  einem  verstärkten  Export  nach  dem  Auslande,  besonders 
nach  Rußland,  zu  suchen.  An  Handelswaren  wurden  im  Auslande 
abgesetzt  45  o/o  des  Gesamtabsatzes  gegen  41, 7  o/o  im  vorhergehenden 
Jahre.  Der  Grund  für  diesen  kolossalen  Export  der  Königshütte 
lag  darin,  daß  1893  der  Handelsvertrag  mit  Rußland  abgeschlossen 
worden  war,  der  eine  Zollherabsetzung  mit  sich  brachte.  Die  auf 
der  Königshütte  aufgestauten  Vorräte  flössen  nunmehr  in  großen 
Massen  über  die  Grenze  ab.  Immerhin  sind  die  beiden  genannten 
Jahre  in  bezug  auf  die  Ausfuhr  der  Königshütte  als  Ausnahmejahre 
;    nisehen.     Nach  dem  schon  erwähnten   Artikel  in  der  Vossischen 


230  5-  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Zeitung  kann  man  annehmen,  daß  die  oberschlesischen  Werke  alles 
in  allem  nicht  mehr  als  zusammen  5  o/o  ihrer  Produktion  ins  Aus- 
land versenden;  diese  5 o/o  stellen  natürlich  nur  die  Durchschnitts- 
ziffer dar.  Bei  einigen  Artikeln  ist  die  Exportziffer  bedeutend  höher, 
so  bei  Stabeisen  auf  etwa  15  o/o,  bei  anderen  Produkten  entsprechend 
niedriger  zu  veranschlagen. 

Soviel  über  den  Absatz  der  Königs-  und  Laurahütte  im  In-  und 
Auslande.  Im  ganzen  wurden  im  Jahre  1902/03  daraus  vereinnahmt 
5OV2  MiUion  Mark.  An  dieser  Bareinnahme  sind  die  russischen 
Werke  beteiligt  mit  3  747196  Rubel  Die  eben  genannte  Einnahme 
setzt  sich  zusammen  aus  folgenden,  leider  in  ihren  Verkaufswerten 
nicht  näher  spezialisierten  Posten.    Es  wurden  im  genannten  Jahre 

verkauft : 

an  Steinkohlen 1,739,678  t 

„    Fertigeisen 147,636  „ 

„    Röhren 9,940  „ 

„    Roheisen 5,373  „ 

„    Gußwaren 2,713  „ 

Produktion  und  Absatz  der  Königshütte  sind  im  Laufe  der  letzten 
30  Jahre  außerordentlich  gestiegen.    Es  betrug: 


die  Produktion 

1871/2 

1880/1 

1890/1 

1900/1 

an  Steinkohlen 

580,668     t 

939,199     t 

1,548,552 

t 

2,462,882 

„    Walzeisen 

66,320     „ 

82,385     „ 

128,237 

11 

177,476 

der  Absatz 

an  Steinkohlen 

- 

269,724     „ 

898,727 

II 

1,815,600 

,,   Walzeisen 

65,028     „ 

78,785     „ 

122,668 

142,055 

Hingegen  ist  in  dieser  ganzen  Periode  das  Aktienkapital 
stabil  geblieben.  Ursprünglich  betrug  es  18  Millionen  Mark.  Dann 
vioirde  es  durch  Generalversammlungsbeschluß  vom  24.  April  1873 
um  9  Millionen,  also  auf  27  Millionen  Mark  erhöht,  und  zwar  im 
wesentlichen  behufs  Aufnahme  der  Stahlerzeugung,  sowie  Ver- 
mehrung der  Steinkohlenförderung  und  Roheisenproduktion.  Auf 
diesem  Niveau  ist  es  bis  heute  stehen  geblieben.  Die  notwendigen 
Summen  für  den  Bau  der  russischen  Filiale,  für  den  Ankauf  neuer 
Steinkohlengruben,  für  die  Erweiterung  der  Stahlerzeugung  und  den 
Bau  von  Anlagen  zur  Gewinnung  verschiedener  Nebenprodukte,  so- 
wie der  Anlagen  zur  Verfeinerung  und  Weiterverarbeitung  der  Eisen- 
erzeugnisse wurde  durch  zwei  große  Anleihen  aufgebracht.  Die 
erste   aus   dem    Jahre    1885   betrug   71/2   Million   Mark.     Sie    erfi:'  r 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  231 

1895  eine  Erhöhung  auf  10  Millionen  unter  Reduktion  des  Zins- 
fußes von  41/2  auf  372%-  Auf  dieser  Höhe  steht  sie  noch  heute. 
Im  übrigen  wurden  die  Neuankäufe  aus  den  Gewinnen  des  Betriebes 
bestritten,  namentlich  in  günstigen  Konjunkturjahren.  So  wurden 
z.  B.  die  Kosten  der  Neuanschaffungen  des  Jahres  1897/98  durch  Ab- 
schreibungen von  etwa  3  Millionen  Mark  aus  den  Gewinnen  ge- 
deckt. Die  zurzeit  noch  bestehenden  Gründerrechte  (cf.  S.  176) 
dürften  zum  Teil  die  Scheu  der  Verwaltung  vor  der  Vermehrung  des 
Aktienkapitals    durch   die    Ausgabe   junger    Aktien    erklären. 

Allerdings  haben  die  schlechten  Geschäftszeiten  das  Unter- 
nehmen vielfach  in  seiner  Entwicklung  gestört,  aber  sie  haben  doch 
nicht  solchen  Einfluß  auf  dasselbe  gewonnen  wie  bei  den  Werken, 
die  wir  früher  bereits  kennen  lernten.  Das  hängt  zusammen  mit 
der  geringeren  kapitalistischen  Entwicklung  der  oberschlesischen 
Hüttenindustrie  überhaupt.  Eine  Massenproduktion  konnte  und  kann 
sich  infolgedessen  bei  der  letzteren  nicht  in  dem  Maße  entwickeln 
und  den  Markt  überfluten  wie  bei  der  rheinisch-westfälischen  Massen- 
industrie. Zunächst  sehen  wir,  daß  die  große  Krisis  von 
1873  —  79  in  Oberschlesien  später  einsetzt.  In  der 
ersten  Hälfte  des  Jahres  1873  ließ  der  Andrang  der  Käufer  vorzugs- 
weise in  gewöhnlichem  Handelseisen  nach,  während  der  Bedarf  an 
Eisenbahnmaterial  und  Blechen  nach  wie  vor  ein  großer  blieb.  Aber 
selbst  das  folgende  Jahr  bringt  noch  keine  Schwierigkeiten.  Noch 
im  Geschäftsbericht  1873/74  frohlockt  die  Verwaltung:  „Wir  können 
mit  besonderer  Genugtuung  an  dieser  Stelle  die  Bemerkung  voraus- 
schicken, daß  die  Werke  der  Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte 
voll  beschäftigt  waren,  daß  die  Produktion  in  einzelnen  Artikeln 
der  vorjährigen  nahezu  gleich,  in  anderen,  besonders  in  Steinkohlen, 
erheblich  höher  gewesen  ist,  daß  die  Produkte  zu  guten  Preisen  ab- 
gesetzt wurden,  daß  wir  ein  den  schwierigen  Verhältnissen  gegenüber 
vorzügliches  finanzielles  Resultat  erzielten  und  die  Gesamtwerke  durch 
fortlaufende  Meliorationen  und  Neubauten  nach  allen  Richtungen 
hin  gestärkt  und  konkurrenzfähiger  in  das  neue  Geschäftsjahr  hinüber- 
geführt haben."  In  dem  folgenden  Jahre  werden  die  Schwierig- 
keiten allerdings  größer,  wenn  auch  das  oberschlesische  Absatz- 
gebiet nicht  so  offen  dem  aggressive  Eindringen  fremder  Eisen- 
produkte ausgesetzt  war  wie  Rheinland-Westfalen.  Vor  allem  diente 
dem  Werk  sein  Steinkohlenabsatz  als  Mittel,  um  der  heranziehenden 
Krisis  entgegenzutreten.  Mit  Bezug  hierauf  heißt  es  1875/76:  „Da- 
gegen ist  das  Geschäft  in  Steinkohle  noch  lohnend,  obwohl  die  Eisen- 


232  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

hütten,  sonst  sehr  starke  Konsumenten,  sowie  in  anderen  Fabriken 
kaum  die  Hälfte  ihres  früheren  Bedarfes  entnehmen.  Die  in  dem 
letzten  Jahre  dem  Betriebe  übergebenen  Eisenbahnen  haben  neue 
Absatz-  und  Verbrauchsgebiete  erschlossen,  welche  sich  mehr  und 
mehr  der  Steinkohle  bedienen  .  .  .*'  Nun  aber  gingen  die  Preise 
weiter  zurück.  Die  Preise  in  Roheisen  und  Walzwerkswaren  mußten 
mit  jedem  neuen  Abschluß  nachgeben,  jedoch  vergrößerte  sich  durch 
die  erhebliche  Reduktion  die  Walzeisenpreise  das  Absatzgebiet  nicht 
unerheblich,  „so  daß  z.  Zt.  Aufträge  reichlich  fließen."  (Geschäfts- 
bericht 1875/76.)  Diese  sinkenden  Preise  erweiterten  gleichsam  auto- 
matisch den  Absatz.  Während  der  Krisis  spielt  der  Export  der 
Königshütte  keine  bedeutende  Rolle.  Allerdings  hatte  sie  einige 
Jahre  hindurch  eine  nicht  unbedeutende  Ausfuhr  von  Schienen  nach 
Rußland  und  Österreich  und  von  Stahlprodukten  nach  Amerika.  Aber 
mit  der  Schutzzollgesetzgebung  des  Auslandes  sinkt  dieser  Anteil 
der  auf  fremde  Märkte  geworfenen  Waren  wieder.  In  dieser  Zeit 
tritt  ein  anderes  Moment  als  die  Entlastung  des  Werkes  durch  den 
Export  in  den  Vordergrund :  die  Verminderung  der  Erzeugungskosten. 
Dazu  kommen  Betriebseinschränkungen.  „Anfangs,"  sagt  die  Ver- 
waltung, „wurde  der  Betrieb  voll  aufrecht  erhalten.  Später  fanden  wir 
es  jedoch  profitabel.  Eisen-  und  Stahlartikel  nur  insoweit  zu 
fabrizieren,  als  wir  mit  Nutzen  verkaufen  konnten  und  dagegen  die 
Produkte  der  Steinkohlengruben  in  größerem  Maße  direkt  auf  den 
Markt  zu  bringen."  Aber  mit  der  Verflauung  des  Kohlenmarktes 
führte  auch  dieser  Modus  nicht  mehr  zu  günstigen  Ergebnissen. 
Daher  folgert  die  Verwaltung:  „Für  die  generelle  Disposition  in 
unserem  Geschäftsbetrieb  ist  die  Frage  des  Kohlenabsatzes  von  großer 
Bedeutung.  Wenn  der  letztere,  wie  im  verflossenen  Jahre,  schwierig 
ist  und  der  direkte  Verkauf  der  Kohlen  in  großen  Massen  den  Preis 
weiter  zu  werfen  droht,  so  empfiehlt  es  sich,  den  Hüttenwerken  größere 
Massen  Kohlen  zu  überweisen,  oder  mit  anderen  Worten,  die  Hütten 
stärker  zu  betreiben,  vorausgesetzt,  daß  die  Kohlen  im  Kaufgelde 
der  Hüttenprodukte  eine  angemessene  Verwertung  finden,"  (Ge- 
schäftsbericht 1877/78.)  Die  Resultate  des  Jahres  1878/79  waren 
die  schlechtesten  seit  dem  Bestehen  der  Gesellschaft.  Die  Dividende 
betrug  nur  1V2%- 

In  jener  schweren  Zeit  erwartete  die  Eisenindustrie,  die  vorher 
durchaus  freihändlerisch  gewesen  war,  Hilfe  von  den  Schutzzöllen. 
Die  Bewegung  ging  aus  von  dem  Vorsitzenden  des  Aufsichtsrates 
der   Vereinigten    Königs-   und   Laurahütte,   dem    Reichstagsabgeord- 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  233 

neten  von  Kardorff,  der  in  seiner  Broschüre  „Gegen  den  Strom"  auf 
die  Notwendigkeit  der  Schutzzölle  auch  für  die  Eisenindustrie  hin- 
wies. Durch  das  Gesetz  von  1873  war  das  Roheisen  zollfrei  ge- 
worden, und  die  Schmiedeeisenzölle  waren  bedeutend  ermäßigt.  1877 
sollte  auch  der  Schmiedeeisenzoll  beseitigt  werden.  Diesem  Ge- 
setz galt  der  Kampf  und  die  Agitation.  1874  konstituierte  sich  der 
„Verein  deutscher  Eisen-  und  Stahiinc'ustrieller*',  dessen  Vorsitzender 
der  damalige  Generaldirektor  der  Königs-  und  Laurahütte  Richter 
wurde.  Im  Dezember  1875  traten  auf  Veranlassung  von  Kardorffs 
50  Großindustrielle  zur  Gründung  des  „Zentralverbandes  deutscher 
Industrieller"  zusammen,  welcher  sich  als  Vertretung  der  schutz- 
zöUnerischen  Interessen  der  deutschen  Industrie  konstituierte.*)  Diese 
Agitation  führte  zu  einem  Umschwünge  in  der  deutschen  Wirtschafts- 
politik, der  zu  bekannt  ist,  als  daß  ich  hier  weiter  darauf  einzugehen 
brauchte. 

Aber  bereits  im  Herbst  1879  kam  ejn  Anstoß  zur  Besserung  von 
einer  Seite,  von  welcher  man  ihn  am  wenigsten  erwarten  konnte: 
Amerika.  Noch  vor  wenigen  Jahren  ein  starker  Abnehmer  für  euro- 
päisches Eisen,  hatte  es  sich  zur  Verstärkung  seiner  Produktion  so 
weit  unabhängig  gemacht,  daß  es  seinen  gewöhnlichen  Konsum  zu 
decken  vermochte;  seine  Betriebsmittel  reichten  aber  nicht  aus,  um 
dem  stark  und  plötzlich  auftretenden  Bedarf  an  Eisenmaterial,  wie  er 
sich  im  Jahre  1879  infolge  sehr  günstiger  Ernten  dort  entwickelte, 
zu  genügen.  Die  natürliche  Folge  davon  war  die  Rückkehr  auf  den 
europäischen,  und  zunächst  den  englischen  Markt;  es  wurden  große 
Quantitäten  von  Roheisen  und  Alteisen,  Halbprodukten  in  Stahl  (steel- 
bloms)  und  fertigen  Schienen  für  amerikanische  Rechnung  aufgekauft, 
und  die  Bewegung  übertrug  sich  bald  auf  die  Montanbezirke  des 
Kontinents,  zuerst  auf  Belgien,  Westfalen  und  die  Rheinprovinz  und 
sodann  auf  Schlesien.  Wir  sehen  also,  wie  die  Besserung  der  Ge- 
schäftslage bei  der  Königs-  und   Laurahütte  erst  spät  eintritt. 

Die  80er  Jahre  haben  dann  für  das  Unternehmen  ebenfalls 
manche  Schwierigkeiten  gebracht,  so  daß  die  Dividende  in  den 
schlimmsten  Zeiten  1885/86  V3  und  1886/87  nur  Vb^/o  betrug.  Nun- 
mehr waren  es  nicht  mehr  allein,  wie  in  den  70er  Jahren,  die  Schutz- 
zölle, die  man  als  Panacee  proklamierte,  denn  dieselben  standen  ja  in 
voller  Blüte,  sondern  jetzt  feierte  der  Kartellgedanke  in  der  westfälischen 
wie   auch   in   der  oberschlesischen   Industrie   seinen   Einzug.     Unter 


*)  Siehe  Festschrift  p.  71  ff. 


234  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

Führung  Richters  bildete  sich  1886  ein  „Verband  oberschlesischer 
Walzwerke",  welcher  nach  den  Angaben  der  Festschrift  1.  die  je- 
weilige Feststellung  der  Produktion  und  des  Absatzes,  2.  die  Ver- 
teilung desselben  unter  die  Verbandswerke  nach  bestimmten  Grund- 
sätzen und  3.  die  Etablierung  einer  gemeinschaftlichen  Verkaufsstelle 
für  alle  Beteiligten  in  Berlin  zur  Durchführung  brachte.  Die  gün- 
stigen Erfolge  dieses  Verbandes  führten  zu  ähnlichen  Vereinigungen 
der  rheinisch-westfälischen,  der  mitteldeutschen  und  zuletzt  der  süd- 
deutschen Werke.  Alle  4  Gruppen  traten  dann  1887  zu  dem  „Deut- 
schen Walzwerksverbande"  in  Berlin  zusammen.  Über  die  Tätigkeit 
des  Verbandes  äußert  sich  die  Festschrift  (p.  74)  wie  folgt:  „Richter 
führte  den  Vorsitz  des  Verbandes  und  leitete  seine  Geschäfte  in 
einem  so  versöhnlichen  Geiste,  daß  die  neue  Schöpfung  allseitig 
eine  wohlwollende  Beurteilung  fand.  Die  Verkaufspreise  wurden 
in  mäßigen  Grenzen  gehalten,  die  eine  Einengung  des  Eisenverbrauchs 
nicht  befürchten  ließen,  die  Käufer  faßten  Vertrauen  zu  der  neuen 
Einrichtung,  und  das  Eisengeschäft  belebte  sich  in  erfreulicher  Weise. 
Leider  wurde  jene  Mäßigung,  trotz  der  Bemühungen  Richters,  vom 
Verbände  aufgegeben,  als  im  Herbst  1889  in  Amerika  eine  Eisen- 
hausse eintrat,  welche  sich  auch  auf  Deutschland  übertrug.  Die  Eisen- 
preise Verden  sprungweise  bis  auf  200  Mark  und  darüber  aufgehöht, 
der  Eisenverbrauch  stockte,  und  da  nunmehr  die  Preise  schleunigst 
ermäßigt  werden  mußten,  so  schwand  das  Vertrauen  der  Konsumenten 
und  Händler  auf  den  Schutz  vor  Konjunkturverlusten,  welchen  sie 
vom  Verbände  erwartet  hatten.  Obwohl  der  Verband  sein  Ansehen 
bei  der  Kundschaft  durch  diesen  Fehlgriff  in  etwas  eingebüßt  hatte, 
so  wurde  er  doch  im  Jahre  1890  auf  weitere  drei  Jahre  verlängert, 
weil  seine  Vorteile  für  die  Eisenwerke  rückhaltlos  anerkannt  wurden. 
Jetzt  indessen  trat  die  Erscheinung  ein,  daß  nach  und  nach  eine  immer 
größere  Anzahl  neuer,  modern  eingerichteter  Eisenwerke  erbaut  wurden, 
welche  sich  nach  ihrer  Fertigstellung  mit  leichter  Mühe  die  Aufnahme 
in  den  Verband  zu  günstigen  Bedingungen  erkämpften,  so  daß  dieser 
allmählich  auf  58  Werke  mit  nahezu  800  COO  Tonnen  Jahresproduktion 
angewachsen  war.  Eine  so  gesteigerte  Produktionsmenge  vermochte 
der  Verband  nicht  mehr  unterzubringen,  und  man  schritt  am  20.  No- 
vember 1893,  bald  nach  Richters  Tode,  zu  seiner  Auflösung."  In 
der  Generalversammlung  vom  28.  Oktober  1894  machte  der  nun- 
mehrige   Generaldirektor    Junghann    folgende    Mitteilung:*)    „Der 


*)  Siehe  „Börsencourier"  vom  29.  Oktober  1894. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  235 

Schlesisch-Mitteldeutsche  Walzwerksveiband  ist  definitiv  gekündigt. 
Es  war  nicht  möglich,  denselben  fortzusetzen,  weil  das  Peiiier  Walz- 
werk seinen  Austritt  angezeigt  hatte  Ohne  dies  Werk  sei  der  Ver- 
band undenkbar.  Das  Peiner  Walzwerk  war  der  Meinung,  daß  der 
Verband  für  die  westfälische  Konkurrenz  wertvoller  gewesen  sei 
als  für  die  Verbandswerke,  und  daß  die  Konkurrenz  im  Osten  durch 
die  einzelnen  Werke  weit  intensiver  bekämpft  werden  könnte,  als 
durch  den  Verband.  Das  Borsigwerk  sei  außerhalb  des  Verbandes 
geblieben  und  mache  große  Konkurrenz,  habe  es  auch  verstanden, 
viele  Kunden  heranzuziehen,  da  seine  jetzige  Leitung  eine  ziel- 
bewußte und  gute  sei.  Die  Preise  würden  durch  die  westfälische 
Konkurrenz  diktiert  und  könnten  die  oberschlesischen  Werke  dieselben 
nicht  höher  halten  als  diese  .  .  .  Borsig  wolle  Oberschlesien  be- 
herrschen.'* Schließlich  heißt  es  im  Geschäftsbericht  des  Jahres 
1894/95:  „Da  der  Schlesisch-Mitteldeutsche  Verband  in  seinem  iso- 
lierten Bestände  sich  für  unsere  Interessen  mehr  und  mehr  unfrucht- 
bar erwiesen  hatte,  so  hatten  wir  demselben  gekündigt.*'  In  Ober- 
schlesien traten  nun  nach  Austritt  der  Königs-  und  Laurahütte  die 
übrigen  Werke  zu  einer  neuen  „Vereinigung  der  Oberschlesischen 
Walzwerke"  zusammen,  mit  welcher  die  Königshütte  ein  Kartell 
bezüglich  der  Handhabung  der  Geschäfte   einging. 

In  der  Krisis  von  1891 — 95  erfolgte  dann,  nach  Abschluß  des 
russischen  Handelsvertrages,  eine  große  Abstoßung  von  Eisenvorräten 
der  Königshütte  nach  Rußland,  um  den  Markt  zu  entlasten.  Ich 
habe  die  diesbezüglichen  Mengen  schon  an  anderem  Orte  näher  an- 
gegeben. Der  oberschlesische  Walzwerksverband  glaubte  dadurch 
eine  bedeutende  Aufbesserung  der  Preise  für  Eisenfabrikate  herbei- 
führen zu  können.  Allein  der  Versuch  mißlang,  „weil  die  west- 
deutschen Werke  ihren  Wettbewerb  zu  niedrigen  Preisen  bis  nach 
Schlesien  hin  auszudehnen  bestrebt  waren."  Hier  sehen  wir  bereits 
klar  und  deutlich  das  Eingreifen  der  westlichen,  auf  der  Massen- 
produktion beruhenden  Werke  für  die  bei  weitem  weniger  produ- 
zierende Eisenindustrie  Oberschlesiens  verhängnisvoll  werden.  Die 
letzte  Krisis  von  1900  ff.  hat  diesen  Zusammenhang  noch  schärfer 
hervortreten  lassen.  Diese  Krisis  ist  für  die  oberschlesische  Eisen- 
industrie im  allgerneinen  und  für  die  Königshütte  im  besonderen 
im  wesentlichen  mit  bedingt  worden  durch  die  Überproduktion  der 
rheinisch-westfälischen  Werke.  Das  Zurückgehen  der  Aufträge,  die 
Verflauung  des  Marktes  in  Oberschlesien  war  nur  eine  Reflex- 
erscheinung der  wuchtigen   Massenerzeugung  der  westlichen   Kon- 


236  5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 

kurrenz.  Auch  die  Kartelle  der  oberschlesischen  Eisenindustrie  konn- 
ten allein  nichts  ausrichten.  Hierüber  schreibt  Kuh,  Redakteur  des 
Zentralblattes  der  Walzwerke  folgendes:*)  „Durch  seinen  rücksichts- 
losen und  bisweilen  selbstmörderischen  Wettbewerb  hat  der  west- 
liche Teil  der  deutschen  Eisenerzeugung  die  östliche  Konkurrenz 
oft  mitgerissen,  und  die  Schwankungen  in  der  oberschlesischen  Eisen- 
industrie sind  zum  großen  Teil  nicht  aus  ihr  selbst  entstanden, 
sondern  sie  sind  Reflexe  der  vom  Westen  her  ausgehenden  Unruhe. 
Als  im  Jahre  1900  der  Umschwung  eintrat,  wäre  es  den  schlesischen 
Werken  möglich  gewesen,  das  Krisenartige  der  Erscheinung  zu  mil- 
dern. Das  Kartell  der  oberschlesischen  Walzwerke  und  die  Königs- 
und Laurahütte  operierten  nach  gemeinsamer  Verabredung  in  der 
Weise,  daß  dem  Handel,  der  in  überstürzter  Spekulation  starke  Ver- 
pflichtungen übernommen  hatte,  Preisermäßigungen  von  210  auf 
185  Mark  pro  Tonne  gewährt  wurden  gegen  die  Verpflichtung  so- 
fortiger Spezifikation  .  .  .  mit  den  westlichen  Werken  aber  war 
keine  Verständigung  möglich."  Kuh  ist  nun  allerdings  der  Meinung, 
daß  die  oberschlesischen  Werke  immer  das  Gute  gewollt,  die  bösen 
westfälischen  Werke  es  aber  nicht  getan  haben.  Er  ist  ein  Lob- 
redner der  oberschlesischen  Hüttenindustrie,  er  meint  sogar,  „von 
einer  wirklichen  Krisis  kann  in  der  oberschlesischen  Montanindustrie 
nicht  die  Rede  sein."  Allein  der  tiefere  Qrund  ist  ihm  entgangen, 
er  beruht  darin,  daß  in  Oberschlesien  wegen  der  geringen  kapi- 
talistischen Entwicklung  tatsächlich  eine  eigentliche  Überproduktion 
in  der  letzten  Krise  nicht  bestand. 

Was    die    speziellen   Verhältnisse    der    Königs- 
anbelangt,  so   betrug : 

1900/01 
die  Zahl  der  Arbeiter  20,277 

der  gezahlte  Arbeitslohn       17,477,528 
die  Bruttobareinnahme         59,0  Mill.  M. 
die  Dividende  14  »/o 

Verkauftes  Fertigeisen  142,055    t 

Hieraus  ergibt  sich  folgendes:  Die  Arbeiterzahl  ist  während  der 
letzten  Krisis  ziemlich  dieselbe  geblieben,  auch  der  Lohn  hat  sich  ge- 
halten, wenn  auch  im  letzten  Jahre  eine  Abschwächung  eintrat.  Die 
Bruttobareinnahmen  sind  zurückgegangen,  die  Masse  der  verkauften 


!r    Königs- 

und   Laurahütte 

1901/02 

1902/03 

20,343 

20,028 

17,002,416 

16,573,461 

51,4  Mill.  M. 

50,5  Mill.  M. 

10  o/o 

11  Vo 

146,847    t 

147,636    t 

*)  Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik,  Band  106:  „Die  Störungen  im 
deutschen  Wirtschaftsleben  während  der  Jahre  1900  ff."  Montan-  und  Eisen- 
industrie, Leipzig  1903,  p.  192. 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte.  237 

Fabrikate  aber  ist  gestiegen.  Aus  dem  Geschäftsbericht  ist  ferner  er- 
sichtlich, daß  nicht  alle  Zweige  der  Produktion  von  der  Krisis  be- 
rührt wurden.  So  heißt  es  in  dem  Bericht  über  das  Jahr  1900/01 : 
„Unsere  Konstruktions-  und  Verfeinerungswerkstätten  waren  das 
ganze  Jahr  hindurch  lebhaft  beschäftigt  und  erhöhten  ihren  Umsatz 
gegen  das  Vorjahr  um  9 o/o." 

Fassen  wir  zum  Schluß  noch  einmal  das  Wesentliche  dieses 
dritten  Abschnittes  zusammen:  Das  natürliche  Absatzge- 
biet der  Vereinigten  Königs-  und  Laurahütte  ist 
Schlesien.  Ihr  Exportinteresse  ist  verhältnismäßig 
gering.  Die  Gründe  hierfür  liegen  einmal  in  dem 
Unternehmen  selbst,  nämlich  in  seiner  geringeren 
Erzeugungskraft,  zweitens  aber  in  der  Schutzzoll- 
politik der  angrenzenden  Länder.  Die  geringere  ka- 
pitalistische Entwicklung  bedingt  nicht  in  dem  Maße 
die  Produktion  für  den  Weltmarkt,  wie  dies  bei  den 
auf  den  Export  angewiesenen  r  he  i  n  isch- westfäli- 
schen Werken  der  Fall  ist.  Der  Plan,  jenseits  der 
russischen  Grenze  ein  Eisenwerk  zu  erbauen,  wurde 
durch  die  Befürchtung  aus  der  Taufe  gehoben,  daß 
infolge  der  Steigerung  der  russischen  Eingangszölle 
auf  fabriziertes  Eisen  die  Produkte  der  Königshütte 
allmählich  vom  russischen  Markt  ausgeschlossen 
werden  würden.  Durch  die  Erbauung  der  Katharina- 
hütte erweiterte  das  Werk  seinen  Absatzmarkt, 
sparte  den  Zoll  und  war  in  der  Lage,  bei  verschie- 
dener Konjunktur  im  In-  und  Auslande  seine  Ein- 
nahmen auszugleichen.  Um  die  Mitte  der  90er  Jahre 
wird  dann  ein  zweites  Werk  in  Rußland  gepachtet. 
Die  Bedeutung  diese  s  Besitzes  liegt  hauptsächlich 
in  hochprozentigen  Erzgruben,  so  daß  das  Roheisen 
für  die  Fabrikation  im  Auslande  nicht  aus  Schle- 
sien bezogen  zu  werden  braucht,  sondern  z.  T.  von 
eigenen  Hochöfen  in  Rußland  geliefert  wird.  Mit 
diesen  Erwerbungen  steht  die  Aufnahme  der  erwähn- 
ten Anleihen  in  Kausalzusammenhang,  während  das 
Aktienkapital  von  1873  bis  zur  Gegenwart  auf  der 
Höhe  von  27  Millionen  Mark  verharrt.  Wir  sahen 
schließlich,  daß  die  Störungen  im  Wirtschaftsleben 
den    Gang   der   Geschäfte   der   Königshütte   nicht   in 


238 


5.  Die  vereinigte  Königs-  und  Laurahütte. 


dem  Maße  beeinflußten,  wie  bei  den  rh  e  inisch- west- 
fälischen Werken,  so  daß  sie  auch  in  Zeiten,  wo  der 
Zeiger  des  Wirtschaftslebens  ungünstig  stand,  stets 
imstande  war,  eine  Dividende  zu  verteilen.  Auch 
dieses  Moment  hängt  mit  dem  Grundcharakter  des 
Unternehmens,  der  geringeren  kapitalistischen  Ent- 
wicklung, zusammen. 


7180.    Setzmaschinensatz  der  Deutschen  Buch-  u.  Kunstdruckerei,  O.  m.b.  H.,  Zossen-Berlin  SW.  11. 


FRANZ  SIEMENROTH  •  Verlagsbuchhandlung  •  BERLIN  W. 

Der  deutsche 
Aussenhandel 

Materialien  und  Betrachtungen 

von 

GEORG  GOTHEIN 

Mitglied  des  Reichstages. 
1901.    XXVll  u.  827  Seiten  kl.  4*^».   Geb.  23  Mark. 


Im  Hinblick  auf  die  Neuordnung  der  deutschen  Handels- 
politik geschrieben,  bietet  des  Gothein'sche  Werk  eine  er- 
schöpfende, grundlegende  Untersuchung  über  die  Bedeutung  des 
Außenhandels  für  das  deutsche  Volk,  die  Gründe  seiner  Ent- 
wickelung  und  seiner  Notwendigkeit.  Alles  geschöpft  aus  den 
besten  Quellen  des  praktischen  Lebens  und  unter  Be- 
nutzung vieler  Hunderte  von  Gutachten  von  Industriellen 
und  Kaufleuten. 

In  seinem  speziellen  Teile  behandelt  das  Werk  auf 
712  Seiten  den  Außenhandel  in  den  einzelnen  Waren,  die 
Ein-  und  Ausfuhr,  die  Zölle  aller  Kulturstaaten;  es  bespricht  in  jedem 
Fall  die  Frage  der  Inlandsbesteuerung,  der  Zollsätze  des  In-  und 
Auslandes  in  ihren  Wirkungen  auf  die  heimische  Industrie  und 
den  Verkehr  mit  den  einzelnen  Ländern. 

Der  ungeheuere  Stoff  ist  von  dem  Verfasser,  dem  ge- 
schätzten Nationalökonomen  und  Parlamentarier,  mit  enormem 
Fleiß  bearbeitet  und  übersichtlich  gegliedert  dargestellt  worden. 
Ein  ähnliches  Werk  kann  keine  der  Kulturnationen  aufweisen. 


FRANZ  SIEMENROTH  •  Verlagsbuchhandlung  •  BERLIN  W. 

Die  Bewegung  der 
Warenpreise 

in  Deutschland  von  1851  bis  1901. 

Nebst  zwei  Ergänzungen: 
Bankdiskont  Goldproduktion  und  Warenpreisstand. 
Der  Weizenpreis  von  400  vor  Chr.  bis  \900,c:i?^^^ 

Von 

OTTO  SCHMITZ. 

Mit  43  Tafeln  und  2  Karten  in  farbigem  Steindruck. 

1903.  443  Seiten  Lex.  8^  Geh.  12  Mk„  geb.  14Mk. 

Kölnische  Zeitung:  «Die  genaue  Verfolgung  der  Warenpreisschwankungen  ist  für  die 
Beurteilung  der  gesamten  Tätigkeit  eines  jeden  Wirtschaftskörpers  von  der  größten  Wichtigkeit. 
Haben  doch  die  Preisbewegungen  der  wichtigsten  Waren  ebensowohl  symptomatische  Bedeutung 
für  die  Feststellung  wichtiger  wirtschaftlicher  Vorgänge,  wie  sie  anderseits  die  Ursache  ent- 
scheidender Wendungen  im  Wirtschaftsleben  sind.  Die  Bewegung  der  Arbeitslöhne  wie  des 
Unternehmergewinnes  und  des  Kapitalzinses  hängt  in  erster  Linie  von  ihnen  ab,  und  es  ist  des- 
halb für  den  Volkswirt  wie  für  den  Praktiker  von  der  größten  Wichiigkeit,  vor  allem  einen  Über- 
blick über  die  Warenpreisbewegungen  innerhalb  größerer  Zeitabschnitte  zu  gewinnen.  Das  ist 
bei  der  großen  Fülle  des  Materials  und  wegen  seiner  weitgehenden  Zersplitterung  nicht  leicht, 
und  es  ist  deshalb  jeder  Versuch,  auf  diesem  Gebiete  größere  Klarheit  zu  schaffen,  mit  Aner- 
kennung zu  begrüßen,  sofern  er  mit  tauglichen  Mitteln  und  auf  zuverlässiger  Grundlage  unter- 
nommen wird.  Das  darf  der  Arbeit  nachgesagt  werden,  die  Otto  Schmitz  über  di  se  wichtige 
Frage  soeben  veröffentlicht.  Schmitz  gibt  nicht  nur  eine  übersichtliche  Darstellung  der  Waren- 
preisbewegungen an  sich,  sondern  berechnet  auch  das  Verhältnis  des  Preises  jeder  einzelnen  Ware 
zu  dem  Gesamtwarenpreisstand  jedes  Zeitabschnittes.  Was  seine  Arbeit  besonders  wertvoll  macht, 
ist  die  systematische  und  leicht  übersichtliche  Form,  deren  Wert  durch  zaiilreiche  graphische 
Darstellungen  noch  wesentlich  erhöht  wird ;  soweit  sich  durch  die  von  uns  angestellten  Stich- 
proben und  Nachprüfungen  ermitteln  ließ,  sind  die  Angaben  der  einzelnen  Übersichten  durch- 
aus zuverlässig.  Besonders  interessant  ist  die  Gegenüberstellung  der  Vi  ränderungen  der  Waren- 
preise mit  den  Diskontschwankungen  und  mit  der  Entwicklung  der  Goldgewinnung.  Die  Schmitz'sche 
Arbeit  wird  für  jedermann,  der  einen  Einblick  in  die  tatsächliche  Bewegung  der  Warenpreise,  in 
ihre  innern  und  ursächlichen  Zusammenhänge  vyie  auch  in  ihie  Wirkungen  gewinni-n  will, 
unentbehrlich  sein.  Zu  wünschen  wäre,  daß  sie  auch  für  die  holge  in  derselben  systv.niaiischen 
Weise  weiter  fortgeführt  würde." 

Schmoller's  Jalirbiicher:  Wir  müssen  dem  ungeheueren  Fleiß,  mit  dem  die  Riesen- 
arbeit bewältigt  worden  ist,  die  volle  Anerkennung  zollen.  LJie  Aufopferung,  mii  der  sich  ein 
Privatmann  einer  solch  zeitraubenden,  langw  iligen  und  kostspieligen  Arbeit,  die  eigenilicn  von 
den  öftcntliihen  Instituten  zu  besorgen  wäre,  unterzogen  hat,  ist  über  jedes  Lob  erhaben. 


y