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grossindüstriellen Unterne
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I
Dr. Oskar Stillich
^
Berlm
FINANZ. SIBMENKOTH
O. stillich
Nationalökonomische Forschungen
Band I
Nationalökonomische Forscliungen
auf dem Gebiete der
grossindustriellen Unternehmung.
BAND I.
Eisen- und Stahl
Industrie
von
Dr. Oskar Stillich,
Dozent an der Humboldt-Akademie in Berlin.
i 7 '"^^
1 "^
Berlin 1904.
FRANZ SIEMENROTH
W., Dennewitzstr. 2.
Inhalt.
Seile
Vorwort VII-XII
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein 1—52
2. Die Ilseder Hütte und das Peiner Walzwerk 53—90
3. Die Dortmunder Union 91—137
4. „Phönix", Aktiengesellscliaft für Bergbau und Hüttenbetrieb . 138—180
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte 181—238
Vorwort.
Mit der vorliegenden Arbeit übergebe ich den ersten Band meiner
,, Nationalökonomischen Forschungen auf dem Gebiete der groß-
industriellen Unternehmung" der Öffentlichkeit. In den folgenden
Bänden werde ich dann die größten, bedeutendsten und volkswirt-
schaftlich interessantesten Aktiengesellschaften des Kohlenbergbaus,
der Maschinenfabrikation, der Elektrotechnik, der Industrie der
Nahrungs- und Genußmittel, der chemischen Industrie, der Textil-
industrie sowie der Transportgewerbe behandeln. Die Verwirklichung
dieses Programms soll, so hoffe ich, eine Lücke in der volkswirt-
schaftlichen Literatur der Gegenwart ausfüllen. Denn die mono-
graphische Darstellung großkapitalistischer Betriebe, wie sie ihren
prägnantesten und reinsten Ausdruck in der Form der Aktiengesell-
schaft erhalten haben, ist bis heute ein fast unbeschriebenes Blatt
der deskriptiven Nationalökonomie. Es fehlen daher für die vor-
liegenden Studien alle speziellen Vorarbeiten. Aber vielleicht
gerade deshalb hat es etwas Verlockendes, diese unbetretenen Pfade
zu wandeln, und dieses jungfräuliche Gebiet zuerst zu durchspähen.
Zwar gibt es über die genannten Standard-Industrien Deutschlands
in technischer Beziehung eine unendlich große Literatur, aber sie
ist fgst durchgehends bar aller ökonomischen Gesichtspunkte. Das
ist nicht ohne weiteres verständlich. Für den Ingenieur ist die Technik
die Herrin, die Königin; für den Nationalökonomen aber die dienende
Magd. Es versteht sich von selbst, daß diese Platzanweisung durch
die Verschiedenheit der beiden Wissenschaften bedingt ist. Im ein-
zelnen kommt die technische Literatur für das vorliegende Programm
nur insoweit in Betracht, als das technische Moment zur Verdeutv
lichung und Erklärung ökonomischer Vorgänge und Zusammenhänge
dient. Aber die in technischer Hinsicht um Rat gefragten Bücher
sind — das ist nicht anders zu erwarten — von dem Tau der
nationalökonomischen Wissenschaft wenig oder gar nicht benetzt.
VTTT Vorwort.-
Dieser eine Grund würde bereits stark genug sein, um es ver-
ständlich zu machen, daß die vorliegenden Untersuchungen natür-
lich noch sehr weit davon entfernt sind, etwas Lückenloses zu
bieten und allen Ansprüchen zu genügen. Allerdings liegt die Schuld
an der relativen Unvollkommenheit im Detail, vor allem an der
Sprödigkeit der Spitzen der Verwaltungen, die mit ihrem Materiale
geizten, anstatt freigebig zu sein, hier, wo es am Platze ist. Die
Möglichkeit der Beschaffung des Rohmaterials hielt sich daher in
engen Grenzen. Zwar schlummert in den Archiven der großen
Aktiengesellschaften ein ungeheures Material den Dornröschenschlaf.
Aber es fehlt in den Kreisen der Großindustrie (ich denke hier vor-
läufig nur an die Eisenindustrie), die doch der Wissenschaft so un-
endlich viel verdankt, das subjektive und objektive Verständnis da-
für, diesen Dank zu erwidern. Ich möchte freilich aus dieser Tat-
sache keinen Vorwurf konstruieren. Tout comprendre, c'est tout
pardonner. Das geringe Entgegenkommen bei den verantwortlichen
Leitern großer Unternehmungen in bezug auf die Förderung wissen-
schaftlicher Interessen, soweit sie nicht das Geschäft berühren,
hängt ohne Zweifel mit dem rein kapitalistischen Charakter groß-
gewerblicher Betriebe aufs engste zusammen. Man hat es mir aller-
dings seinerzeit in den beteiligten Kreisen sehr übel genommen, als
ich an anderer Stelle*) über den Charakter der Spielwarengroß-
industriellen Sonnebergs schrieb, „daß sich bei einigen der Gesichts-
winkel des Geschäfts so sehr in den Vordergrund des Urteils schiebt,
daß sie alles darunter betrachten und danach bewerten" und zur
Illustration des Gesagten darauf hinwies, daß mir bei meinen Unter-
suchungen einige Chefs rund heraus erklärten, „sie hätten kein Inter-
esse daran, mir etwas zu zeigen oder Auskunft zu erteilen, — weil
das für ihr Geschäft nichts einbrächte.'* Man hat dies als Aus-
nahmefall bezeichnet. Ich habe jetzt Gelegenheit gehabt, in der
Großeisenindustrie ganz analoge Erfahrungen zu machen. Der Gene-
raldirektor eines in diesen Studien näher beschriebenen Unterneh-
mens erklärte, nachdem ich ihm meinen Plan auseinandergesetzt
und er mir die Geschäftsbücher einmal von außen gezeigt hatte:
„Wir haben nur einen einzigen Zweck, und der heißt Geld ver-
dienen !" Der Betriebschef einer^ Kohlenzeche äußerte sich, bei einem
Rundgang durch die Zechenanlagen, ganz ähnlich: „Unsere Auf-
*) Siehe mein Buch : Die Spielwarenhausindustrie des Meininger Ober-
landes. Jena 1899, p. 39.
Vorwort. IX
gäbe ist fördern! fördern! fördern!" Das ganze Denken und Trachten
dieser, wenn auch nicht aller Unternehmer steht, nackt ausgedrückt,
im Dienste der „Mathematik des Geldverdienens". Dem Unternehmen
Gewinne abzulisten ist ihr ewiges Sinnen und der Stolz ihres Lebens.
In diesen Aktiengesellschaften erreicht der kapitalistische Geist un-
serer Zeit seine höchste Vollendung. Wissenschaftliche Zwecke wer-
den nur soweit gefördert, als es für das Geschäft von Vorteil ist.
„To make money", das ist die Parole. Darüber hinaus ist man in-
different. Man fürchtet durch Überlassung von Material für wissen-
schaftliche Zwecke womöglich gar, die Dividende könnte 72% her-
untergehen, und dieser Verlust würde keine Erkenntnis aufwiegen!
Daher schweigt man lieber. In diesem Sinne sprach sich auch der
Kommerzienrat Fr. Baare in der 42. ordentlichen Generalversamm-
lung der Aktionäre des Bochumer Vereins für Bergbau und Guß-
stahlfabrikation aus. Er sagte: „Wie ich bereits im vorigen Jahre
hervorgehoben habe, ist es nicht zweckmäßig, zuviel Einzelheiten
in Ziffern zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, daher wollen wir
bemüht sein, für die Zukunft die detaillierten Angaben tunlichst
zu vermeiden.'* (Geschäftsbericht über das Jahr 1895/96.)
Ich war aus diesem Grunde auf ein verhältnismäßig unvollstän-
diges, spärliches und noch dazu einseitiges Material angewiesen.
Vor allen Dingen auf die Geschäftsberichte. Aber auch diese wur-
den mir nicht einmal von allen Gesellschaften, an die ich mich
wandte, zur Verfügung gestellt, so daß ich sie mir z. B. beim Hoerder
Bergwerks- und Hüttenverein auf indirektem Wege durch das mit
diesem Unternehmen in Verbindung stehende Bankhaus beschaffen
mußte. Viel Material enthalten diese Quellen nicht. Sie sind wortkarg.
Sie protokollieren aus der Fülle der Ereignisse nur das notdürftigste.
Als weiteres Material wurden Fest- und Ausstellungs-
schriften, Kataloge etc. herangezogen. Alle diese Quellen
enthalten meistens eine Summe positiver Tatsachen, aber in ein-
seitiger, subjektiver Beleuchtung. Die Schattenseiten, die dunkleri
Flecken in dem Bilde, werden retouchiert, damit den Interessenten
kein Gefühl der Beunruhigung beschleiche. Außerdem beruhen sie
durchgehends nicht auf wissenschaftlichen Arbeitsmethoden und be-
anspruchen es vielleicht auch nicht einmal. Die von der Wissen-
schaft längst gebrandmarkten Verfahren leben hier noch ein un-
gestörtes Stilleben. Was soll man dazu sagen, wenn in den er-
wähnten Quellen statt der quantifizierten immer noch die arith-
metische Durchschnittsdividende berechnet wird, um den Aktionären
X Vorwort.
ein Ergebnis vorzuspiegeln, das in Wirklichkeit gar nicht besteht,
oder wenn man in der in den Geschäftsberichten mitgeteilten Lohn-
statistik einen Durchschnittslohn pro Kopf berechnet ohne Rücksicht
darauf, ob es jugendliche oder erwachsene, gelernte oder ungelernte
Arbeiter sind und schließlich sogar noch die Gehälter der Direktoren
etc. den Arbeitslöhnen zuzählt! Dieses Material genügte also in
seiner Unvollkommenheit und Einseitigkeit allein nicht, es mußte er-
gänzt werden durch persönliche Beobachtungen und Befragung.
Einem Besuche der Betriebsanlagen hat keines der behandelten Werke
irgendwelche Schwierigkeiten in den Weg gesetzt. Das muß be-
sonders anerkannt werden. Dadurch wurde ich in die Lage versetzt,
der Schilderung jenen Hauch von Frische und Lebendigkeit zu geben,
welcher über dem persönlich wahrgenommenen, im Gegensatz zu
dem bloß aus trockenen Geschäftsberichten geschöpften Stoff liegt.
Vor allem aber wurde es möglich, das einseitige Material der Ver-
waltungen bis zu einem gewissen Grade zu rektifizieren, das heißt
die Geschichte der großen Werke wenigstens teilweise von einem
kritischen Standpunkte aus zu behandeln. Es ist ja natürlich auch
durch persönliche Beachtung, selbst wenn sie durch ein längeres
Studium der Technik*) und der einschlägigen Verhältnisse vorbe-
reitet wurde, sehr schwer, einem großen Betriebe bis ins Herz zu
sehen, seine Lebensbedingungen zu zerfasern, und ich bin mir voll-
ständig bewußt, daß das Ganze nur einen fragmentarischen Cha-
rakter trägt und daß auch Irrtümer mit untergelaufen sind. Allein
das Bestreben, der Wahrheit wenigstens nahe zu kommen, wird man
aus den späteren Ausführungen doch überall hervorleuchten sehen.
Auf diesen Quadern bauen sich die folgenden Studien auf.
Alles in allem : ich biete viel im Verhältnis zu dem, was man bis
jetzt in unserer Wissenschaft über die wirtschaftlichen Lebensbe-
dingungen der einzelnen großen Eisen- und Stahlwerke weiß, und
wenig im Vergleich zu dem vorhandenen, mir aber nicht zugäng-
lichen Material. In bezug auf das letztere wäre es verfehlt, die Größe
des Zieles durch die Kleinheit der Verhältnisse ersticken zu lassen.
Der vorliegende erste Band behandelt nun einige größere Re-
präsentanten der Eisen- und Stahlindustrie. Es sind Etablissements
*) Hier verdanke ich besonders viel den ausgezeichneten Vorlesungen des
Geh. Bergrats Professor Dr, H. Wedding an der Technischen Hochschule
in Charlottenburg über Praktische Eisenhüttenkunde und seinen zahlreichen
Schriften.
Vorwort. XI
von Weltruf. Und doch ist die Geschichte dieser bedeutenden Firmen
— wie ich mich oft selbst überzeugte — nicht einmal den eigenen
Beamten der Werke bekannt, geschweige denn erst den Aktionären
oder ferner stehenden Interessenten.
Die folgenden Monographien sind ihrem Charakter nach — das
möchte ich besonders betonen — verschiedenartig. Jeder liegt eine
besondere Disposition zu Grunde. Es kam mir vor allen
Dingen darauf an, das herauszufinden, was für jedes
einzelne Werk besonders charakteristisch ist und
umdiegefundeneGeneralideedasvorhandeneMate-
rial zu gruppieren. Diese Arbeitsmethode enthält gleichzeitig
die Erklärung für die von oberflächlichen Kritikern vielleicht bean-
standete Tatsache, daß bei dem einen Werk ausführlich die Organisation
der Verwaltung, die Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, die Absatz-
krisen etc. behandelt sind, bei dem anderen aber gar nicht berührt
oder nur flüchtig begrüßt werden.
Die erste der folgenden Einzeldarstellungen beschäftigt sich mit
dem Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. Ich betrachte ihn als Typ
für die auf der Massenfabrikation aufgebaute hochkapitalistisch ent-
wickelte Eisenindustrie des Westens. Dann folgt die Geschichte der
Ilseder Hütte und des Peiner Walzwerks. Hier sammeln sich die
Ideen zur Erklärung der Erscheinung, warum dieses Werk eine über-
durchschnittliche Rentabilität aufweist, d. h. Dividenden zahlt, an
deren Höhe die Rente keines anderen Unternehmens derselben Fabri-
kation heranreicht. An die Darstellung der Ilseder Hütte schließt sich
die der Dortmunder Union. Hier bildet die Beantwortung der Frage
nach den Ursachen der dauernden Unrentabilität den Angelpunkt
der Untersuchung. Weiter folgt die Entwicklungsgeschichte der
Phönixhütte. Hier versuche ich die Schicksale einer auf dem Prin-
zip der Dezentralisation beruhenden Parallelgesellschaft zur Dort-
munder Union sowohl nach der Seite der Analogien als auch nach
der Seite der Abweichungen hin zu schildern. Den Schluß bildet
die über 100jährige Geschichte des führenden Werkes der Ober-
schlesischen Eisenindustrie, der vereinigten Königs- und Laurahütte. Das
besonders hervortretende Moment war hier die bei weitem geringere Aus-
bildung des kapitalistischen Systems im Gegensatz zu dem an erster
Stelle behandelten westfälischen Werk. Das sind die Grundgedanken.
Sie sind nur angedeutet. Aber sie zeigen, daß die folgenden Einzel-
darstellungen ein zusammenhängendes Ganze bilden und als solches
beurteilt zu werden den Anspruch erheben können. Es wäre
Xn Vorwort.
vielleicht sehr viel einfacher gewesen, die Monographien alle nach
einer Schablone zu behandeln, doch dies überlasse ich denjenigen,
die nach Schema F zu arbeiten gewohnt sind.
Zuni Schluß möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen,
daß meines Wissens der erste, der auf die Notwendigkeit und Nütz-
lichkeit der nationalökonomischen Analyse großindustrieller Betriebe
aufmerksam machte, kein geringerer ist, als Otto Warschauer,
der in der Verbindung und Durchdringung von Technik und Wirt-
schaftslehre der Behandlung der Nationalökonomie an den tech-
nischen Hochschulen neue Wege wies.
Vive, vale. Si quid novisti rectius istis
Candidus imperti; si non: his utere mecum.
Horaz Ep. I. 6. 67.
Charlottenburg, Frühjahr 1904.
Der Verfasser.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein ist die erste größere
Hochofenanlage im rheinisch-westfälischen Kohlenbecken. Er ist eine
Gründung des A. Schaaffhausenschen Bankvereins in Cöln, einer Bank,
die bis heute in enger Beziehung zur westdeutschen Montanindustrie
steht und deren wechselreiche Geschichte als Credit mobilier immer
noch eines Bearbeiters harrt.
Bei der Gründung von Aktiengesellschaften der Eisenindustrie,
vielleicht auch anderer Industrien, lassen sich zwei Typen unter-
scheiden. Entweder wird eine Anzahl einzelner, verschiedenen Eigen-
tümern gehörender Betriebe, die häufig räumlich weit auseinander-
liegen, zu einem einzigen großen kapitalistischen Unternehmen zu-
sammengeschmolzen, oder aber ein einziger Privatbetrieb wird in
eine Aktiengesellschaft umgew-andelt, um an einem Zentralpunkte
die Produktion durch Erweiterung der Produktionsmittel in größere
Dimensionen überzuführen. Der erste Fall liegt vor bei der Dort-
munder Union und der Aktiengesellschaft „Phönix" und wir werden
sehen, daß diese ihre Ger.esis auf ihr technisches und ökonomisches
Schicksal nicht ohne Einfluß gewesen ist. Der letztere Fall trifft
für die meisten anderen Gesellschaften zu, unter ihnen auch für
den Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Im Jahre 1841 errichtete ein Industrieller namens Hermann
Dietrich Piepenstock aus Iserlohn in Hoerde ein Puddel- und Walz-
werk, welches er zu Ehren seines Sohnes „Hermannshütte" nannte.
Wo früher die alten Grafen von der „Mark" gehaust hatten, da
hielt nun die schwere Industrie ihren Einzug. Die schon vor dem
Jahre 1300 erbaute Burg wurde das Kontor eines Kaufmanns und
heute hat in dem renovierten Aufbau des alten Schlosses eine Aktien-
gesellschaft ihre Geschäftsräume!
Dieses Puddel- und Walzwerk w^äre vielleicht von der Cölnischen
Großfinanz nicht weiter beachtet worden, hätte man nicht im Jahre
stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 1
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
1849 in der Nähe von Dortmund, Hoerde, Witten und Sprockhövel
ausgedehnte Kohleneisensteinlager*) aufgefunden. Diese Entdeckung
hatte für das Großkapital eine alarmierende Wirkung. Während die
Hermannshütte früher ihr Roheisen aus der Ferne kaufen mußte,
und zwar größtenteils aus Belgien, zum Teil aus England und dem
Siegerlande, tauchte jetzt die Möglichkeit auf, aus dem metallur-
gischen Reichtum am Produktionsstandorte selbst die nötigen Roh-
materialien zu einem Preise zu beziehen, der beim Import fremder
Erze ausgeschlossen schien. Kostete doch anfangs des Jahres 1852
das Roheisen in Belgien 56,40 Mark pro Tonne und mit Fracht und
Zoll 83,50 Mark in Hoerde, während sich das deutsche Roheisen, wie
es in den Holzkohlenöfen des Siegerlandes hergestellt wurde, auf
90 Mark stellte.**) Für Westfalen war daher an eine lohnende Eisen-
*) Zum Verständnis der rohstofflichen Grundlagen dieses und auch der
im folgenden behandelten Werke seien hier einige allgemeine Bemerkungen
über die Klassifikation und das Vorkommen der Eisenerze nach den Aus-
führungen Weddings an der Technischen Hochschule in Charlottenburg ein-
geschaltet. Man teilt die Eisenerze ein nach ihrem Reichtum an eisenhaltigen
Bestandteilen. An der Spitze stehen die bis 72o/o reines Eisen enthaltenden
Magneteisenerze, die, soweit sie phosphorreich sind, die Grundlage der
schwedischen Eisenexportindustrie bilden. (Gellivara, Grängesberg.) Bis zu
700/0 Eisen enthalten dann die Roteisenerze. Diese vielfach nahezu phosphor-
freien Erze haben nicht nur eine Bedeutung für England, sondern vor allen
auch für die amerikanische Eisenindustrie. Den ersten Platz nehmen ein die
großen Lagerstätten am Lake superior. In dritter Linie folgen dann die be-
sonders für Deutschland wichtigen Brauneisenerze mit einem Maximalgehalt
von 60 o/o Eisen. Auf sie gründet sich die oberschlesische Eisenindustrie,
die Eisenindustrie in Ilsede, an der Lahn und vor allen die in Lothringen
und Luxemburg. Dort wird ein im Bruche feinkörniges Eisenerz (Minette
= kleines Erz) gefördert, das bereits 76 o/o alles in Deutschland überhaupt
gewonnenen Eisenerzes ausmacht. Dann folgt an vierter Stelle das Spat-
eisenerz, das bis 48 o/o reines Eisen enthält. Es kommt bei uns vor allem
im Siegerlande vor, wo es in unabsehbare Teufen niedergeht. Wegen seines
hohen Mangangehaltes (8 und mehr Prozent) eignet es sich vorzüglich zur
Spiegeleisenfabrikation. Eine Spielart des Spateisensteins ist der Toneisenstein,
der die Grundlage der englischen Eisenindustrie (Cleveland) bildet und der
Kohleneisenstein, im englischen Blackband (= Schwarzstreifen) genannt. Die
schottische Roheisenindustrie gründet sich noch heute auf die Verhüttung
dieses Eisensteins. Außerdem kommt es vor in Steiermark, im ungarischen
Erzgebirge und in England. Am niedrigsten im Eisengehalt stehen schließ-
lich die Schwefelkiese.
**) Zum Vergleich sei bemerkt, daß ein halbes Jahrhundert später, im
Jahre 1902, der Durchschnittslieferungspreis des Roheisensyndikats in Düssel-
dorf für Puddel- und Stahleisen ab Siegen 59,53 M. pro Tonne betrug.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
erzeugung im großen Stile noch nicht zu denken. Die Erzlager waren
nicht bekannt, und die Eisenbahnen nach den großen Erzbezirken,
den stillen Waldtälern des Siegerlandes, noch nicht genügend aus-
gebaut. Es eröffnete sich daher für das anlagelüsterne Kapital eine
ungeheure Perspektive, als die öffentlichen Blätter immer verlocken-
dere Nachrichten über das Auffinden von Kohleneisenstein oder
Blackband in Westfalen brachten. Infolgedessen trat eine Anzahl
Herren zusammen, und im Jahre 1852 v^urde die Firma Piepen-
stock 8c Co. gegen Hingabe von 3,3 Millionen Mark an die Vor-
besitzer in die Aktiengesellschaft „Hoerder Bergu^erks- und Hütten-
verein" umgewandelt. Die kleine Firma sollte, vom Kapital be-
fruchtet, in einen Großbetrieb ausgereckt werden. Nachdem die
landesherrliche Bestätigung erfolgt war, begann die Gesellschaft am
1. März 1852 ihre Wirksamkeit. Heute blickt sie auf eine über
fünfzigjährige Geschichte zurück, aus der uns ein reiches Leben
entgegenflutet. Die gegenwärtige Verwaltung, der man, wie schon
im Vorwort erwähnt, eine allzu große Liberalität in bezug auf För-
derung wissenschaftlicher Arbeiten nicht nachsagen kann,
hat die Hauptpunkte dieser fünfzigjährigen Geschichte von ihrem
Standpunkte aus in einer kleinen Festschrift niedergelegt, die mir
neben den Geschäftsberichten für die folgende Darstellung von Wert
gewesen ist und die ich daher eingehend benutzt habe. Es gibt wohl
kein anderes Unternehmen, das sich so als Paradigma eig-
nete,umdentypischen EntwicklungsgangderGroß-
eisenindus trie Westfalens auf dem Hintergrunde
großer Zeitperioden zu schildern, wie der Hoerder
Verein. Deshalb behandeln wir ihn an erster Stelle.
Die Triebfeder, die zur Umwandlung des Privatunternehmens
in eine Aktiengesellschaft führte, lag, wie wir sahen, in der Ent-
deckung von Eisensteinlagern in Westfalen und der dadurch gegebe-
nen Möglichkeit, durch den Bau von Hochöfen die Roheisenerzeu-
gung an den Ort der Weiterverarbeitung zu binden. Mit großen
und stolzen Erwartungen begrüßte man die neuen Erzfunde. Ein
enormes Steigen der Grundrente mußte die Folge sein. In dem Pro-
spekt, welcher zur Errichtung der Gesellschaft erlassen wurde, wird
bereits berechnet, daß die Erzlager für Jahrhunderte ausreichen.
Die psychologische Disposition des Gründers ist eben der Optimis-
mus. „Heute", heißt es in dem Prospekt, „steht unzweifelhaft fest,
daß in den bis jetzt aufgestellten Flötzen ein Reichtum an Eisenstein
vorhanden ist, welcher mehr als hinreicht, eine große Anzahl von
1. Der Hoerdcr Bergwerks- und Hüttenverein.
Hochöfen auf Jahrhunderte zu alimentieren*'. Und in dem ersten
Geschäftsberichte von 1852/53 urteilt die Verwaltung folgendermaßen:
„Wenn für irgend eine Gesellschaft, so ist gewiß für die unsrige der
Anspruch begründet, daß sie die erste gewesen ist, welche sich die
Eisenproduktion im großartigen Maßstabe zum Vorwurf genommen
und durch ihre unvergleichliche Lage, durch den unerschöpflichen
Reichtum ihrer Eisensteingerechtsame, sowie durch die große Pro-
duktionsfähigkeit der Hermannshütte an der Spitze der deutschen
Eisenindustrie bleibe." In der erwähnten Festschrift wird noch mit-
geteilt, daß ein Probeschmelzen mit 175 000 kg Eisenstein aus der
Zeche „Argus" auf der königlichen Sayner Hütte ergab, daß das
auf der Hoerder Hütte erzeugte Stabeisen alle Proben im Kaltbiegen,
Warmbiegen, Spitzen, Lochen und Breiten aushielt und große Zähe
und Härtigkeit aufwies. Auf dieser Tatsache baute sich der Plan
auf, mit den bestehenden Puddel- und Walzwerken eine große Hoch-
ofenanlage zu kombinieren. Als die Gesellschaft gegründet wurde,
hatte sie noch keine eigenen Hochöfen. Das hängt zusammen mit
ihrer Abhängigkeit vom Auslande in Hinsicht auf den Rohstoff-
bezug. Nunmehr wurden nicht ganz 2 km von Hoerde in nächster
Nähe von Dortmund nach und nach 6 Hochöfen gebaut. Für diesen
Bau waren in dem gesamten Aktienkapital 1,8 Millionen Mark vor-
gesehen. Die Selbstkosten des Roheisens veranschlagte man auf
48 Mark für den Zentner. Die Produktion sollte also wesentlich
gegen früher durch die eigene Erzgewinnung verbilligt werden. Ver-
hältnismäßig klein erscheint die Summe, die für den Erwerb von
Kohlen- und Eisensteinfeldern in Aktien ausgegeben wurde. Sie be-
trug nur 0,9 Millionen Mark. Das hängt damit zusammen, daß die
Gründer ohne Entgelt eine Anzahl Eisensteinfelder, Mutungen und
Schurfscheine erworben und sie in die Gesellschaft eingebracht hatten.
Dafür sollten sie 1/3 des über 50/0 des Aktienkapitals hinauswachsen-
den Reingewinns erhalten. Diese Beteiligung wurde 1855 gegen
Zahlung von 1,8 Millionen Mark in Obligationen der Gesellschaft
abgelöst. Die Obligationen wurden selbst in Raten bis zum Jahre
1871 getilgt.
Wir haben gesehen, daß das Privatunternehmen, aus dem der
Hoerder Verein hervorging, gar keine Hochöfen besaß und infolge-
dessen auf den Ankauf des Roheisens angewiesen war, daß dann
aber infolge der Entdeckung von Blackband in der Nähe von Hoerde,
bei Dortmund, 6 Hochöfen errichtet wurden. Aber die großen Er-
wartungen, die man auf diese Eisenlager setzte, sollten sich nicht
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
erfüllen. Die Flötze erwiesen sich weder als „reichhaltig noch als
nachhaltig". Sowohl nach der Tiefe als nach der Länge hin nahmen
sie rapide ab. Allerdings haben sie in den ersten Jahren den Hoerder
Verein mit seinem wichtigsten Rohstoff versorgt. Die von ihm er-
worbenen Zechen „Argus*', „Friedrich", „Adele", „Union" etc. bil-
deten bis in die Mitte der 60er Jahre die Grundlage der Roheisen-
fabrikation des Unternehmens, dann trat eine schnelle Abnahme ein.
Auswärtige Erze mußten wieder in größeren Mengen eingeführt
werden. In dem Geschäftsbericht über das Jahr 1867/8 heißt es
bereits: ,, Unsere Eisenproduktion ist in bezug auf den Produktions-
preis wesentlich durch die Höhe der Fracht des Eisensteins bedingt,
und wird dies in um so höherem Grade, je mehr wir uns veranlaßt
finden, außer dem uns in nächster Nähe unseres Eisenwerkes zu
Gebote stehenden Blackband größere Quantitäten Eisenstein aus
größerer oder geringerer Ferne aus eigenen Gruben zu fördern, oder
aus fremden Konzessionen zu beziehen." Es handelt sich hier um
einige Gruben bei Ibbenbüren, ferner im Siegerlande, bei Wetz-
lar, sowie im Harz. „Das im Bergbau wechselnde Glück", heißt
es in der Festschrift, „ist hier unserem Unternehmen leider nicht
hold gewesen. Eine große Bedeutung haben die Gruben nie erlangt.
Jetzt ist auf allen der Betrieb längst eingestellt." Nachdem die Black-
bandgewinnung von 1864 — 1877 immer mehr abgenommen hatte,
wurde im letzteren Jahre der Betrieb aufgegeben. Nach der Ein-
führung des Thomasprozesses allerdings erlebten die alten Blackband-
gruben eine Periode der Renaissance. Im Jahre 1884 wurde der Be-
trieb auf den Schächten Schleswig und Holstein wieder aufgenom-
men und bis zum Jahre 1897 noch eine Million Tonnen gefördert,
„dann aber ist die Kohleneisensteingewinnung, da sich die Beschaffen-
heit des Eisensteins sowohl im Fallen wie im Steigen des Flötzes
mehr und mehr verschlechterte, wahrscheinlich für immer einge-
stellt." Damit wurde nach kurzer Auferstehung endgültig ein Ge-
danke zu Grabe getragen, der bei seinem ersten Auftauchen so
ungeheure Erwartungen ausgelöst hatte, um sie nachher zu täuschen.
Wie dereinst die alte Privatfirma ihren Erzbedarf aus Belgien und
anderen Ländern einkaufen mußte, so ist die Aktiengesellschaft heute
ebenfalls darauf angewiesen, den größten Teil ihrer Erze aus dem
Auslande, resp. aus fremden Gruben des Inlandes zu beziehen. Da-
mit gerät sie in Abhängigkeit von den Schwankungen der Kon-
junktur und des Marktes. Aber Hoerde bietet in dieser Beziehung
keine Ausnahme unter den großen Werken des Dortmunder Be-
6 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
zirks. Ich werde später einige Zahlen, die mir beim Hoerder Verein
nicht zur Verfügung stehen, für die Dortmunder Union geben. West-
falen ist, vom Siegerland abgesehen, ein eisenerzarmes Land, seine
Eisenindustrie beruht auf dem Kohlenreichtum. Der Schwerpunkt des
deutschen Eisenbergbaus und seine Zukunft liegt heute in Elsaß-
Lothringen und Luxemburg. Bereits jetzt werden dort mehr als
drei Viertel aller in Deutschland geförderten Eisenerze gewonnen.
Gefördert wurden im Jahre 1901
in Elsaß -Lothringen ... 7,6 Millionen t i. W. v. 20,30 Millionen M.
in Luxemburg 4,4 „ „ „ „ „ 9,4
im Oberbergamtsbez. Bonn 2,40 „ „ „ „ „ 31,9 „ „
Die Produktion der anderen Oberbergamtsbezirke beträgt V2 ^i^l-
Tonnen und weniger, fällt also nicht sehr ins Gewicht.
Infolge dieser bedeutenden Verschiebung in den Verhältnissen der
Erzproduktion sehen sich heute die rheinisch-westfälischen Werke
mehr oder weniger stark genötigt, sich in Luxemburg, Lothringen
oder im Siegerlande selbst Eisensteingruben zu erwerben. So betei-
ligte sich auch der Hoerder Verein 1895/96 mit ein Drittel an der in der
Entwicklung begriffenen Grube „Reichsland" bei BoUingen. Allein
diese Grube hat bis jetzt wenig die Hoffnungen erfüllt, und in dem
Geschäftsbericht 1902/3 heißt es: „Die Erzqualität entspricht noch
nicht ganz unseren Erwartungen. Für die nächste Zeit werden noch
weitere Zuschüsse notwendig sein." Die Abschreibungen in dem ge-
nannten Geschäftsjahre betragen 25 0/0.
Mit dem Augenblick aber, mit dem diese entfernt liegende Grube
in Lothringen in den Besitz des westfälischen Werkes übergeht, ge-
winnt für dieses die Frachtfrage eine überragende Bedeutung. Fast
in allen Geschäftsberichten großer Werke, die sich in der erwähnten
Lage befinden, kehren immer wieder die Klagen über die hohen
Frachten, bis dieselben am 1. Juni 1901 ermäßigt wurden. Immerhin
erscheint auch jetzt noch das Hoerder Werk im Vergleich mit den
lothringischen Werken benachteiligt. Die Entfernung bis zu den
Minettelagern beträgt 325—350 km. Diesen Weg hat das Erz von
Lothringen bis Westfalen zu durchlaufen, umgekehrt aber auch die
nun zu einer Tonne Roheisen rund 3 Tonnen Erz, dagegen nur eine
Kohle, die aus Westfalen in den Minettebezirk versandt wird. Da
Tonne Koks nötig sind, so ist es ökonomisch richtiger, die eine
Tonne Brennmaterial den 3 Tonnen Erz entgegenzuführen als um-
gekehrt. Deshalb hat sich in Lothringen die Eisenindustrie so kräftig
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
entwickelt, weil man dort die Erze zur Stelle hat und ihnen nur
die Kohle zuzuführen braucht. Gerade umgekehrt aber liegen die
Dinge beim Hoerder Verein. Er ist demnach hinsichtlich des Haupt-
rohstoffs seiner Hochöfen recht ungünstig gestellt.
Der zweite wichtige Rohstoff für die Eisenhütten ist d i e Kohle,
resp. der Koks. In bezug auf das Gewicht brauchen sie
mehr Kohlen wie Eisen. Das Ziel des Eisenhüttenbetriebs besteht
freilich darin, eine Tonne fertiges Fabrikat mit einer Tonne Koks zu
erzeugen unter der Voraussetzung der Selbstverarbeitung des Roh-
eisens. Heute kann man im allgemeinen annehmen, daß zur Er-
zeugung einer Tonne Roheisen etwa eine Tonne Kohlenstoff in der
Form von Koks gebraucht wird, zur Erzeugung einer Tonne Fabrikat
beim Schweißeisenprozeß etwa 8 Tonnen, beim Flußeisenprozeß 4
bis 4V2 Tonnen. Der große Wechsel der Betriebssysteme, die ich
später schildere, hat also in ökonomischer Beziehung zu einer
kolossalen Ersparung an Kohlenstoff resp. Kohlen geführt, was aller-
dings in den Ziffern für die Kohlenförderung der einzelnen Werke
wegen ihrer kapitalistischen Tendenzen nicht zum unmittelbaren Aus-
druck kommt.
Der Hoerder Verein hat von vornherein wie die meisten Werke
das Prinzip der Selbstbedarfsdeckung in bezug auf den Kohlenkonsum
durchzuführen versucht. In einer so kohlenreichen Gegend wie dem
Ruhrbezirk wäre auch eine andere Politik gar nicht verständlich
gewesen. Daher werden in den Jahren 1854 — 1856 Kohlenfelder
bei den Dörfern Brackel und Asseln erworben, und zwar zum Gesamt-
preise von 105 000 Mark. Im Jahre 1859 wurden die Vorrichtungs-
arbeiten aufgenommen und die gewonnenen Kohlen in der „Her-
mannshütte" verbraucht. Die Kohlen wurden anfangs alle per Achse
transportiert. Der Kohlenbergbau war in den 50er Jahren durchaus
von den tierischen Arbeitskräften abhängig. Haben doch die Kohlen-
gruben noch heute ausgedehnte Pferdeställe unter der Erde, während
der oberirdische Transport durch Lokomotiven geschieht. Nun zeigte
sich aber sehr bald, daß die gewonnenen Kohlen sich nicht verkoken
ließen. Da nun aber die Hochöfen nicht Kohlen, sondern Koks
brauchen, so konnte man dieses Material für die Roheisenerzeugung
nicht verwerten. Daher heißt es im Geschäftsbericht über das Jahr
1861/2, d. h. über eine Zeit, zu der die Blackbandgruben noch
auf dem Höhepunkt ihrer Ergiebigkeit standen: „Nur einer der
Faktoren unserer Produktion, die Kohlengewinnung, hat bis jetzt
nicht in so vollem Maße und in solcher Qualität sich entwickelt.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
wie wir bei Gründung unseres Kohlenbergwerkes auf Grund des
Gutachtens bewährter Fachmänner hoffen zu dürfen glaubten. Die
Chancen, welche allem Bergbau anhaften, sind im Hoerder Kohlen-
werke im Laufe des letzten Betriebsjahres infolge wiederholter Be-
triebsstörungen, namentlich aber in dem Umstände hervorgetreten,
daß die produzierte Kohle zwar für die „Hermannshütte", nicht
aber in gleichem Maße zu Koks für die Hochöfen sich eignete."
Es werden dann noch weitere Kohlenfelder gekauft. Jedes der
6 Felder kostete 60 000 Mark. In den Jahren 1863—1870 reichte die
Kohlenproduktion für den Bedarf der „Hermannshütte" aus, der
sich auf 360—370 Tonnen stellte, aber die Koks für die Hochöfen
mußten weiter zugekauft werden.
Die Festschrift verzeichnet noch folgende, für die Weiterent-
wicklung wichtige Daten: „Es wurde im Jahre 1864 die erste Kohlen-
wäsche erbaut und Querschläge nach Norden zur Untersuchung der
neuen Felder getrieben. Am 20. Oktober entstand eine längere Be-
triebsstörung dadurch, daß ein Brand die Gebäude, in welchen die
Wasserhaltungs- und Fördermaschine untergebracht waren, zerstörte,
und die Maschinen selbst beschädigte. Im Jahre 1866 wurden zum
ersten Male Kokskohlen an die Hochofenanlage geliefert. Die Menge
derselben war nur gering und belief sich auf 30—40 Tonnen täglich.
Sie stieg in dem nächsten Jahre auf 50—65 Tonnen täglich. Im
Jahre 1865 war die Produktion des Kohlenwerkes auf 700 Tonnen
täglich angewachsen und es hatte sich gezeigt, daß auf der Hoch-
ofenanlage in dem an Stelle der alten Kokshochöfen erbauten Coppee-
öfen, ein weit größerer Zusatz von eigenen Kohlen mit Erfolg mög-
lich war. Es wurde deshalb beschlossen, die Kohlenwäsche so weit
zu vergrößern, daß sie die ganze Kohlenförderung bewältigen und
täglich 300 — 350 Tonnen Kokskohlen liefern konnte . , . Die Unter-
suchung des Feldes nach Norden hatte unterdessen ergeben, daß
auch dort keine höher liegenden Flötze, die eine besser backende
Kohle führen konnten, zu erwarten waren. Trotzdem wurden im
Jahre 1872 auf der Grube 72 Koksöfen erbaut auf Grund der besse-
ren Ergebnisse, welche in den neuen Öfen der Hochofenanlage
mit den eigenen Kohlen erzielt wurden. Die Öfen kamen im Jahre
1873 in Betrieb, sie ergaben jedoch keine guten Resultate und wurden
1874 wieder außer Betrieb gesetzt, bis es, nachdem eine Normal-
spurverbindung vorhanden war, ermöglicht wurde, fremde Kohlen
zur Mischung heranzuziehen. Im Jahre 1880 wurden die Öfen wie-
der angesteckt und blieben dann bis zum Jahre 1886 in Betrieb. Im
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Jahre 1871 wurde der Plan gefaßt, in dem östlichen Teile des
Grubenfeldes einen dritten Förderschacht abzuteufen. Der Schacht
erhielt den Namen „Holstein" ... Er wurde mit Fördermaschinen,
Wasserhaltungsmaschinen und Kohlenwäsche vollständig ausgebaut
und erhielt im Jahre 1885 einen Anschluß an die von Schacht
„Schleswig" zur „Hermannshütte" führende Eisenbahn."
Diese Ausführungen zeigen, daß eine volle Selbstbedarfsdeckung
nicht stattfand, daß namentlich Koks zugekauft werden mußten, und
daß die Geschichte des Werkes auch von verunglückten Koksan-
lagen zu erzählen weiß. Viel wichtiger ist nun aber der gegenwärtige
Status. In bezug auf diesen heißt es weiter: „Gegenwärtig ist die
Förderung der Gruben „Schleswig" und „Holstein" auf ca. 400 000
Tonnen Kohlen jährlich gestiegen, hiervon wird etwa die Hälfte auf
der Hochofenanlage zur Koksproduktion verwandt, der Rest zum
Teil auf der „Hermannshütte" verbraucht, zum Teil in Form von
Stückkohlen und gewaschenen Nüssen an Dritte verkauft. Auch
jetzt ist es noch nicht möglich, die Kohle, welche dem Eßkohlenflötz
entstammt, allein zur Koksfabrikation zu verwenden. Es muß immer
noch ein Teil guter Fettkohle zugemischt werden. Durch die Ver-
besserung der Konstruktion der Koksöfen und der Kohlenmischer-
vorrichtung ist aber der Prozentsatz der Kohlen, die in der Mischung
zu verwenden möglich sind, größer geworden, und die Kohlengruben
bilden immer noch eine wertvolle Grundlage für den Betrieb der
Hüttenwerke." In diesen Sätzen liegt der Schwerpunkt für die Be-
urteilung des Hoerder Vereins in bezug auf seine Kohlenproduktion.
Seine Kohlenförderung genügt vollauf, so daß er noch einen Teil
verkauft, aber diese Kohlen eignen sich nur teilweise zur Koks-
produktion. Sie müssen mit anderen zugekauften Kohlen gemischt
werden. In dieser Mischung ist allerdings der Prozentsatz der eige-
nen Kohlen größer geworden, infolge verbesserter Koksofenkon-
struktionen und guter Kohlenmischervorrichtungen, allein ausreichend
ist er nicht! Es werden daher jährlich ca. 250 000 Tonnen Kohlen
zugekauft. Wir sehen also, daß eine reine Selbstbedarfsdeckung
in bezug auf die Kohlen angestrebt wurde, aber an den Eigen-
schaften der letzteren scheiterte.
Außer Eisenerz und Kohlen, resp. Koks braucht jede Eisenhütte
nicht unbeträchtliche Mengen Kalkstein, einmal für den Thomasprozeß,
dann aber vor allem als Zuschlag für den Hochofenprozeß, bei dem es
darauf ankommt, daß die Bergarten gleichzeitig mit dem gekohlten
Eisen schmelzen. Es ist Sache der Eisenprobierkunst, die Höhe
10 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
des Zuschlags festzustellen. Diesen Punkt hat die Festschrift ver-
gessen. Bei der Besichtigung des Werkes erfuhr ich, daß es
eigene Kalksteinbrüche in Luxemburg besitzt. Der letzte Geschäfts-
bericht erwähnt 2 Kalksteinbrüche in Letmathe und Hemer.
Fassen wir nunmehr die Resultate dieses Abschnittes kurz zu-
sammen. Die Umwandlung der alten Firma Piepen-
stock in eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital
von 6 Millionen Mark hing mit den Perspektiven zu-
sammen, die das Ende der 40er Jahre entdeckte Vor-
kommen von Blackband im Dortmunder Bezirk er-
öffnete Dieses Eisenerz bildete bis zum Jahre 1864
die Grundlage der Roheisenproduktion in Höerde.
Dann trat eine allmähliche Abnahme ein, und 1877
wird der Betrieb still gelegt, um dann nach Einfüh-
rung des Thomasprozesses von 1884 — 1897 noch ein-
mal aufgenommen zu werden. Auch die übrigen Gru-
ben hielten nicht, was sie versprachen. Infolgedes-
sen beruht heute die Roheisenerzeugung des Hoer-
der Vereins nicht auf selbstgeförderten, sondern
auf gekauften Erzen. An dieser Tatsache ändert
sich nicht viel durch den 1895/96 erfolgten Erwerb
einer Minette Konzession in Lothringen, da die
hohen Erzfrachten den Transport zu stark verteuer-
ten, als daß er hätte größere Dimensionen anneh-
men können.
Dieselbe Rohstoff politik, allerdings mit glück-
licherem Erfolge lag den Maßnahmen des Hoerder
Vereins zugrunde in bezugauf die Versorgung des
Werkes mit Kohlen. Auch hier treibt es Selbstbe-
darfsdeckungswirtschaft. Diese wird aber nicht
vollständig erreicht, und zwar aus folgenden Grün-
den: Die eigenen Kohlen waren nicht genügend back-
fähig, infolgedessen konnten sie nicht zur Koks-
produktion verwandt werden. Sie kamen in Betracht
nur für die Vers orgung der Hermannshütte, nicht aber
für die Hochöfen. Nach Erwerb der beiden Zechen
„Schleswig" und „Holstein" wird es allmählich mög-
lich, einen größeren Teil der Kohlen zur Ver-
kokung zu verwenden. Sie fördern jährlich etwa
400000 Tonnen. Mit Ausnahme eines kleinen, zum
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. lA
Verkauf gelangenden Quantums deckt diese Förde-
rung einen Teil des eigenen Kohlenbedarfes. Der
Mehrverbrauchvonjährlichet\va250000Tonnenmuß
angekauft werden. Es sind das die zur Mischung
nötigen Feinkohlen für die Kokserzeugung.
Was folgt nun in wirtschaftlicher Beziehung aus diesen Dar-
legungen ? Infolge seiner Abhängigkeit in bezug auf
den Erz-, weniger in bezug auf den Kohlenbedarf
ist der Hoerder Verein heute den Schwankungen der
Konjunktur in hohem Maße unterworfen. Die Preis-
verhältnisse des Rohstoff marktes bilden einen in
die Lage des Betriebes einschneidenden Faktor. Das
gilt vor allem für das Eisenerz. Die großen Roh-
stoffkartelle haben allerdings die Preisschwankun-
gen gemildert, eine Stabilisierung der Konjunktur
ist ihnen aber bekanntlich nicht gelungen.
Nach diesen Erörterungen über die natürlichen Grundlagen des
Unternehmens gehen wir zur Schilderung der Betriebs-
systeme über.
Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein beruhte bei seiner
Gründung auf einem Betriebssystem, das wir zunächst etwas ein-
gehender kennen lernen müssen. Dabei wird es nötig sein, auch
wieder die technische Seite nur in so weit zu berücksichtigen, als
sie zum Verständnis ökonomischer Erscheinungen dient.
Die Erzeugung handelsfertiger Ware, soweit sie nicht durch
bloßes Gießen des Roheisens in Formen entstand, war in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts abhängig von dem Puddelprozeß.
Auf ihm basierte ursprünglich der Hütterbetrieb. Die „Hermannshütte"
hatte im Jahre 1852 46 Puddelöfen. Der Puddelprozeß beruhte auf
der Zuführung von Sauerstoff zum geschmolzenen Eisen. Der Sauer-
stoff oxydierte den Kohlenstoff und die Nebenbestandteile (Si, Mg,
P und S). Die Umwandlung des Roheisens in Schmiedeeisen be-
ruhte auf der Entfernung dieser Nebenbestandteile durch Oxydation.
Der Herd des Ofens wurde mit Kohlen beschickt, und die glühenden
Gase bestrichen dann das Eisen; dasselbe wurde glühend und über-
zog sich mit einer Schlackenschicht. Dadurch wurde es von der
sauerstoffreichen Flamme abgesperrt. Nun öffnete der Puddler die
Tür und führte eine Eisenstange hinein, die vorn ausgebogen war.
Mit diesem Rührhaken durchfurchte er das ganze Bad. Dadurch
12 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
konnten Schlacken und Eisen auseinandergezwungen werden. Es war
eine schwierige und sehr anstrengende Arbeit. Der Erfolg des Pud-
delns hing von der persönlichen Kraft und Geschicklichkeit, sowie von
der Aufmerksamkeit des Puddlers ab. Seine erste Aufgabe bestand
darin, durch Rühren mit dem Haken das Eisen immer von neuem
mit dem Sauerstoff in Berührung zu bringen. Auf einem bestimmten
Punkte des Prozesses kochte dann die glühende Schlacke über und
floß durch die Arbeitstür in ein davor gestelltes Blech ab. Außer
dem Umrühren hatte der Puddler noch eine zweite schwere Arbeit
auszuführen. War die Schlacke abgegossen, dann kristallisierte das
Eisen. Die Kristalle schweißten aneinander, und um nun die er-
forderliche Gleichmäßigkeit des Kohlenstoffgehalts zu erzielen, mußte
der Puddler mit einer Brechstange an dem einen Ende des Herdes
beginnend, die teigige Masse in einzelne Klumpen losbrechen, um-
wenden und aufeinanderhäufen. Man nennt dies umsetzen. Der ganze
Ofeninhalt wurde auf diese Weise auf einen Haufen gebracht. Nun
brach der Puddler Stücke von dieser Masse los und türmte sie
aufeinander. Daraus wurden dann Ballen von annähernd Kugel-
gestalt gemacht, und diese mit einer Zange aus dem Ofen heraus-
genommen. Man nennt diese Kugeln Luppen. Sie kommen unter
den Dampfhammer, werden unter demselben zu Brammen breit ge-
schlagen und von dort unter die Luppenwalze gebracht, um zu Roh-
schienen ausgewalzt zu werden. Man nennt dieses Eisen Schweiß-
eisen, weil bei seiner Darstellung, bei welcher die
Temperatur des Eisens seinen Schmelzpunkt (1500
Grad) nicht übersteigt, das Eisen den teigartigen,
nicht den flüssigen Zustand annimmt, d. h. Kristalle
bildet, die sich zu Klumpen zusammenschweißen
lassen. Wird dieses Eisen, sofern es einen Kohlenstoffgehalt von
2,3—0,050/0 besitzt, plötzlich von seiner hohen auf gewöhnliche
Temperatur abgekühlt, z. B. durch Eintauchen in kaltes Wasser,
so wird seine Härte außerordentlich gesteigert, es wird glashart.
Solches härtbares Eisen nennt man zum Unterschied vom bloßen
Schmiedeeisen Stahl.*)
Der ganze Puddelprozeß ist, wie wir sehen, abhängig von der
Geschicklichkeit des Arbeiters. Er beruht auf Handarbeit. Die Tech-
*) Die Praxis allerdings bezeichnet als Stahl vielfach lediglich Fluß-
eisen; d. h. im flüssigen Zustande durch den Bessemer-Thomas- oder Martin-
Prozeß gewonnenes Eisen. Die Gewinnungsstätte hierfür nennen wir auch
in der folgenden Darstellung „Stahlwerk".
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 13
niker haben sich viel Mühe gegeben, diese, die Körperkräfte sehr
stark absorbierende Tätigkeit, die bei einer sehr hohen Tempe-
ratur den Puddler auch physisch mitnimmt, durch Maschinen ver-
richten zu lassen. Tunner und andere begrüßten diese Versuche
vom Standpunkte der Menschlichkeit, indem sie die anstrengende
Puddelarbeit geradezu für menschenunwürdig erklärten. Dieser tech-
nisch soziale Fortschritt ist aber im Stadium des Experiments stecken
geblieben. Man ersann viele Konstruktionen, aber keine bewährte
sich. Der Maschine fehlt eben der Verstand des Menschen, wenn
sie auf ein Hindernis stößt. Der Puddler achtet z. B. genau darauf,
daß der Boden glatt bleibt. Kommt ein Hindernis, dann nimmt er
eine Stange und beseitigt es. Daher mußte bei den Puddelmaschinen
immer noch ein Arbeiter mit einer Stange dabeistehen. In England
benutzte man übrigens anfangs diese Maschinen als Abschreckungs-
mittel gegen Streiks. Einige Unternehmer stellten sie auf, um sie
bei Streiks in Tätigkeit zu setzen, aber auf die Arbeiter wirkte das
bloß in erster Zeit. Sie merkten bald, daß hier eine Übertragung
der Arbeit an die Maschine nicht möglich sei. Auf dem Kontinent
waren, wie Beck*) berichtet, trotz der allgemeinen Aufmerksamkeit,
welche das maschinelle Verfahren, besonders bei der Wiener Welt-
ausstellung auf sich gelenkt hatte, die Erfolge gering, weil es bei
dem billigen Arbeitslohn und dem teuren Bezug der Futtererze im
Betriebe kostspieliger als das alte Verfahren war.
So lange der Puddelprozeß das herrschende System war, blieb
die Eisenerzeugung in verhältnismäßig engen Grenzen. An eine
Massenproduktion war noch nicht zu denken, denn ein solcher Puddel-
ofen verarbeitete in 24 Stunden etwa 3 Tonnen Roheisen. Es konn-
ten also in den 46 Puddelöfen des Hoerder Vereins nur ca. 138
Tonnen täglich gefrischt werden. Allerdings versuchte man die
Puddelöfen zu vergrößern, um sie zu befähigen, täglich 10 Tonnen
zu verarbeiten. Nahm der Ofen aber um das Doppelte zu, dann
mußten zwei Puddler arbeiten. Immer blieb die Abhängigkeit des
Prozesses von der Tätigkeit des Puddlers bestehen.
In diesen beiden Punkten haben wir das volkswirtschaftlich
Charakteristische dieses Betriebssystems zu suchen. Es beruhte auf der
Handarbeit äußerst geschickter, befähigter und kräftiger Arbeiter. Es
gelang mit diesem System nur die Verarbeitung kleiner Eisen-
mengen, deren Qualität je nach der Arbeit verschieden war.
*) Beck, „Geschichte des Eisens", 5. Band pag. 5Q3.
14 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
In dem ersten Stadium der kapitalistischen Entwicklung in der Eisen-
industrie konnte man sich nicht allzu lange mit diesen Verhältnissen
zufrieden geben. Es kam darauf an, den Prozeß der Herstel-
lung unabhängig von der Intelligenz und Kraft des
Arbeiters zu machen, ihn vollständig zu mechani-
sieren, und zwar auf der Grundlage der Massen-
produktion. Das aber war technisch erst möglich in dem Augen-
blick, wo es gelang, das zu entkohlende Eisen nicht in dem schwer
zu bearbeitenden teigigen, sondern im flüssigen Aggregatzustande
zu gewinnen.
Diese Aufgabe praktisch gelöst zu haben, ist das unsterbliche
Verdienst Bessemers.
Da nun das nach diesem genannte Verfahren ein ganz neues
Betriebssystem darstellt, das, von Krupp abgesehen, in Deutsch-
land zuerst auf der Hermannshütte des Hoerder Vereins angewandt
wurde, so werden wir uns nach kurzer Schilderung der Persön-
lichkeit Bessemers*) und seiner Erfindung vor allem mit ihrer Ein-
führung in Hoerde zu beschäftigen haben.
Bessemer war Engländer. Alle großen, bahnbrechenden Fort-
schritte der Eisenindustrie sind nicht von Deutschen, sondern von
Engländern ausgegangen. Er war Nichtfachmann. Gerade weil ihm
eisenhüttenmännische Kenntnisse fehlten, folgte er um so vertrauens-
voller seinen originellen Ideen. Hierüber hat er sich später einmal
folgendermaßen geäußert: „Meine Erfahrungen bezüglich Erfindun-
gen zeigen, daß die Fabrikanten viele kleine Verbesserungen in
den verschiedenen Abteilungen ihrer Fabrikation auffinden, aber die-
selben stellen im allgemeinen verhältnismäßig nur geringe Fort-
schritte vor, welche ihrer Natur nach eng mit dem Verfahren ver-
bunden sind, das sie täglich anwenden, während im Gegensatz die
großen Erfindungen von Leuten gemacht werden, welche keine Fach-
kenntnisse der betreffenden Fabrikation besitzen."
Bessemers Erfindung beruhte auf einem sehr einfachen Prin-
zip. 1855 kam ihm der Gedanke, Roheisen in Schmiedeeisen dadurch
zu verwandeln, daß er Wind durch die glühende Masse hindurchblies.
Niemand hatte es vor ihm für möglich gehalten, daß man ohne
Brennmaterial, durch bloßes Einblasen der Luft, das Eisen entkohlen
könne, und daß dabei infolge Verbrennens von Nebenbestandteilen
•) Ich entnehme die diesbezüglichen Angaben Becks „Geschichte des Eisens'
IV. Band, p. 901 ff.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 15
so viel Wärme erzeugt u^erde, daß das Eisen vollständig flüssig
bleibt.
Bessemer verwandte zu diesem Prozesse ein Gefäß in Gestalt
einer Birne, die mit kieselsaurem Material (Quarz mit Ton als Binde-
mittel) ausgekleidet war. Daher nennt man dieses Verfahren auch
das saure. Die Engländer nannten das Gefäß Convertor. Das Pro-
dukt war flüssiges Eisen, das aus der Birne direkt in Eisenprismen
(CoquiUen) gegossen wurde. Während wir beim Puddeln als Ergebnis
Schweißeisen kennen lernten, sehen wir hier Flußeisen entstehen.
Dieser Unterschied ist für die später darzustellenden Verhältnisse
von Wichtigkeit. Denn seit der Einführung des Bessemerprozesses
beginnt ein fürchterlicher Zurückdrängungskampf des Flußeisens
gegen das Schweißeisen. Wie das Alte und Unvollkommene zähe
an der Vergangenheit festhält, so die damaligen industriellen Werke,
die ihre Puddelbetriebe durch das neue Verfahren bedroht sahen.
Mit Recht sagt Beck: „Indem sie dasselbe bemängelten, handelten
sie zum Teil aus Notwehr."
Daher war es von besonderer Bedeutung, daß Krupp und der
Hoerder Verein die ersten waren, die das Bessemerverfahren in ihren
Betrieben einführten, und bald folgte ein Werk dem andern.
Eine Revolution großen Stils in der Eisenindustrie begann.
Die große ökonomische Tragweite des Bessemerverfahrens lag
in der Überwindung derjenigen Punkte, die wir beim Puddelver-
fahren als den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktionsweise
nicht genügend erkannt hatten. Mit der Einführung des neuen
Betriebssystems nahm die Produktion einen riesigen Umfang an.
Um 3 Tonnen Roheisen im Puddelofen in Schweißeisen zu ver-
wandeln, brauchte man 24 Stunden, um aber im Convertor dieselbe
Menge in Flußeisen überzuführen, 20 Minuten. Als Bessemer im
Jahre 1880 zum Ehrenbürger der Stadt London gemacht wurde,
sagte er folgendes: „Früher hat man 2—3 Wochen gebraucht, um
Stahl zu machen, heute braucht man 15 — 20 Minuten. Früher
kostete die Herstellung der Tonne Stahl 50 Pfund, heute 6—7 Pfund."
Diese Kürze der Zeit verbilligte, wie schon aus den Worten Bessemers
hervorgeht, natürlich das Flußeisen gegenüber dem Schweißeisen
beträchtlich. Dazu kam, daß der Prozeß in der Bessemerbirne durch-
aus mechanisch durchgeführt werden konnte. Der Wind wird durch
große Gebläsemaschinen durchgetrieben. Um die Birne zu kippen,
hat man hydraulische Vorrichtungen. Die Gießpfannen werden durch
einen Kran herbeigefahren, der ebenfalls hydraulisch montiert ist.
16 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Kurz, die menschliche Arbeitskraft tritt vollständig in den Hinter-
grund, es verbleibt ihr nur die Bedienung der Maschineneinrichtung,
Der Arbeiter hat nur Aufsichtsfunktionen und nur hie und da greift
er leise ein. Ich brauche nicht erst zu betonen, daß die zu diesem
System gehörigen mechanischen Einrichtungen außerdem die Inves-
tierung großer Summen stehenden Kapitals erforderlich machen.
Das Bessemerverfahren revolutionierte die Eisenindustrie, aber
es hatte für Deutschland doch nicht die Bedeutung, wie für Eng-
land, und zwar aus dem Grunde, weil dieses Verfahren gekettet
war an eine bestimmte Beschaffenheit des Rohstoffes. Das zu ver-
wendende Eisenerz durfte nämlich nicht phosphorreich sein. Der
Phosphor verbrannte bei dem Verfahren nicht mit, er blieb im Eisen
und machte es kaltbrüchig. Daher konnte man nur phosphorfreies
oder -armes Eisenerz verwenden, d. h. ein Eisen unter 0,1 o/o Phos-
phor. An diesem aber hatte Deutschland Mangel. Es war daher
auf große Eisenimporte aus dem Auslande, namentlich aus England
und Spanien angewiesen. Nur wenige deutsche Hüttenwerke konn-
ten Flußeisen aus einheimischen Erzen erblasen. Es waren dies
die Georgs-Marienhütte in Osnabrück, die Königin-Marienhütte in
Zwickau und die Bayerische Maxhütte. Die meisten übrigen Werke,
die Bessemer-Roheisen schmolzen, mußten die Erze hierfür aus dem
Auslande beziehen. So der Hoerder Verein, die Dortmunder Union,
die Gutehoffnungshütte, die Phönixhütte und andere. Bei der eng-
lischen Eisenindustrie aber lagen die Verhältnisse ganz anders. Sie
nahm unter der Herrschaft dieses Betriebssystems einen gewaltigen
Aufschwung.
Im Jahre 1863 entschloß sich der Hoerder Verein, als erstes
Werk in Deutschland die Patente Bessemers zu erwerben. 1864
wurde der erste Flußstahl gegossen und 1867/68 die Anlage eines
neuen Stahlwerkes mit 3 Convertern ä 6 Tonnen Ladung beschlossen.
Damals waren die Converter noch so klein, daß sie nur 6 Tonnen
faßten. Aber welchen riesigen Fortschritt gegenüber der Produk-
tion im Puddelofen bedeutete dies ! Heute beträgt auf dem Hoerder
Werk die Beschickung für jede Birne 18 Tonnen! In 12 Stunden
werden 30 — 33 Chargen geblasen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf die zollpolitisch
interessante Tatsache aufmerksam machen, daß in den 60er Jahren,
wo sich der Produktionsprozeß von der Beschränktheit der mensch-
lichen Arbeitskraft losmachte, eine freihändlerische Ausgestaltung des
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 17
Zolltarifs stattfand, um dem zu erwartenden Massenabsatz seinen
Weg zu erleichtern.
Dieses System sollte aber erst am Ende der 70er resp. Anfang
der 80er Jahre eine große Bedeutung für den Hoerder Verein und die
ganze rheinisch - westfälische Eisenindustrie gewinnen, indem es für
die Verarbeitung phosphorreichen Roheisens geeignet gemacht wurde.
Diese gewaltige Änderung knüpft ebenfalls an den Namen eines
Engländers an, nämlich Gilchrist Thomas'.
Thomas gehörte jener Kategorie von Menschen an, die man
„Theoretiker" nennt. Er war kein sogenannter Praktiker, und doch
verdankt ihm die Eisenindustrie mehr als allen eisenindustriellen
Technikern zusammengenommen. Thomas hatte auf der Royal School
of Mines Hüttenkunde studiert und sich eingehend mit dem Problem
der Entphosphorung des Eisens beschäftigt. Dieser lästige Bestand-
teil machte die große Menge phosphorreicher Erze für den Bessemer-
prozeß ungeeignet. Die technisch gebildete Welt rang förmlich mit
einer Lösung der Frage, wie dem abzuhelfen sei. Die Möglichkeit der
Entphosphorung stand im Mittelpunkte des Interesses. Zahllose Ver-
suche verliefen ohne Resultat. Die Hoffnung, zum Ziele zu ge-
langen, war daher stark gesunken. „Deshalb war es", schreibt
Beck,*) „nicht sehr zu verwundern, als im Herbst 1878 bei dem
Meeting, welches das Iron Steel Institute gelegentlich der Weltaus-
stellung in Paris abhielt, ein junger Mann von 28 Jahren, zartem
Körperbau, unscheinbarem Aussehen, der eine praktische Tätigkeit
in der Eisenindustrie nicht aufzuweisen hatte und mit der Behauptung
auftrat, die Frage der Entphosphorung durch die Herstellung eines
basischen Futters im Convertor zu lösen, dieser nur geringe Be-
achtung fand, und man den von ihm angemeldeten Vortrag wegen
vorgerückter Zeit von der Tagesordnung absetzte. Dieser junge
Mann war Sydney Gilchrist Thomas, und worüber er berichten wollte
und was anzuhören hervorragende Eisenindustrielle verschmähten,
war die große Erfindung, die bald darauf unter dem Namen des
Thomasverfahrens die größte Sensation erregte und einen Triumph-
zug durch alle industriellen Länder der Erde hielt, so rasch und er-
folgreich wie wohl kaum jemals eine anderer technische Erfindung."
Diese Erfindung, die bald die Welt erobern sollte, beruhte auf
3 Grundgedanken. 1. Der Convertor enthält nicht wie beim Besse-
merprozeß ein kieselsaures, sondern ein basisches Futter. Schon
•) a. a. O. 5. Band pag. 635.
Stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I.
18 1. Der Hoerder Bergwerks- und HüttenvereLn.
vor Thomas hatte man Kalk benutzt, aber alle Versuche, die Birne
mit Kalk auszukleiden, schlugen fehl, weil der Kalk in der Hitze
zerfiel. Thomas fand nun ein Bindemittel im Ton. Er mischte
Dolomit mit Ton, und mit dieser Mischung versah er das Innere
des Convertors. Darin liegt seine erste große Erfindung. 2. Wäh-
rend des Prozesses wird die Phosphorsäure gebunden, und zwar durch
einen Kalkzuschlag. 3. Um eine Entphosphorung eintreten zu lassen,
muß nach der Verbrennung des Kohlenstoffes nachgeblasen werden,
denn die Phosphorsäure verbindet sich mit dem Kalk erst, wenn
sämtlicher Kohlenstoff aus dem Eisen entfernt ist.
In Deutschland wurde der erste durchschlagende Erfolg auf zwei
Hüttenwerken erzielt, nämlich in Hoerde und auf den Rheinischen
Stahlwerken. Beide Werke erwarben gemeinschaftlich die Patente
für Deutschland. Sie wurden für dieses gewissermaßen die General-
agenten des Erfinders. Wollte ein deutsches Werk den Thomasprozeß
einführen, so hatte es sich an den Hoerder Verein zu wenden, der
dann die Benutzung des Thomaspatentes gegen eine bestimmte Ab-
gabe gestattete. Diese bestand in einmaliger Zahlung von 90 000
Mark, wovon Thomas 60 000 Mark, die Vertreter 30 000 Mark er-
hielten. Außerdem in einer Abgabe von 2V2 Mark pro Tonne fertigen
Stahls, wovon aber IV2 Mark solange nicht gezahlt wurden, bis der
angesammelte Betrag die Anzahlungssumme erreicht hatte. Von dieser
laufenden Abgabe erhielt Thomas IV2 Mark, die Agenten 1 Mark pro
Tonne. In einem Jahre nach Erwerbung der Licenz mußte das
unternehmende Werk gebaut und betriebsfähig sein.*)
Am 22. September 1879 wurde die erste Thomascharge auf
der Hermannshütte des Hoerder Vereins erblasen, an demselben
Tage auch auf den Rheinstahlwerken. Bereits im nächsten Jahre
führten die große Mehrzahl der deutschen und auch der öster-
reichischen Werke, für die der Hoerder Verein allein die General-
vertretung hatte, den Thomasprozeß bei sich ein. Aus dem Ge-
samtv'erkaufe der Licenzen fiel ihm bis zum 19. April 1894, an welchem
Tage das Patent ablief, ein Reinertrag von 3 414105 Mark zu.
Die Einführung einer für die deutsche Eisenindustrie so wichtigen
Erfindung hatte nun zur Folge eine Verschiebung der internatio-
nalen Konkurrenzverhältnisse. Das Bessemerverfahren
hatte für England den größten Vorteil gebracht, denn dieser Prozeß
knüpfte, wie wir sahen, an ein phosphorarmes Eisenerz an, das
*) Siehe Beck a. a. O. Band 5, pag. 9Q7.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 19
England in großen Massen besitzt. Das Thomasverfahren aber ist
gebunden an ein phosphorreiches Eisenerz. Je stärker der Phos-
phorgehalt, desto besser verläuft der Prozeß, denn die für denselben
nötige Wärme wird durch die Verbrennung des Phosphors geliefert.
Derselbe dient gleichsam als Heizmaterial. Daher ist z. B. das llseder
Roheisen, das 3 o/o Phosphor enthält, das Ideal aller Eisenhütten-
Icute, die mit dem basischen Prozeß arbeiten. Da nun in deutscher
Erde große Reichtümer stark phosphorhaltiger Eisenerze schlummern,
die bis 1879 nur einen minimalen Wert besaßen, so mußte, da nun-
mehr Schmiedeeisen durch den Thomasprozeß billiger hergestellt
werden konnte als durch den Bessemerprozeß, diese Erfindung und
ihre Nutzbarmachung in der Praxis der deutschen Eisenindustrie
auf dem Eisenmarkte einen ungeheuren Vorsprung garantieren. Seit
Beginn der 80er Jahre ist daher sowohl die Förderung von Eisen-
erzen, die nunmehr gerade infolge ihres Phosphorgehaltes einen
großen Wert bekamen, als auch die Erzeugung von Roheisen in
ein stark beschleunigtes Tempo übergetreten: Jähes, gebirgsartiges
Ansteigen der bis dahin sich nur sachte hebenden, der Horizontalen
nahebleibenden Kurve. Nur ein Land kennt eine noch stürmischere,
jähere, und infolgedessen noch stärker durchbrochene Kurvenbewe-
gung der Eisenproduktion: Nordamerika.
Durch seine Erfindung hat Thomas seinem Vaterlande einen
schlechten Dienst erwiesen. Er hat die Konkurrenzfähigkeit Eng-
lands auf dem Eisenmarkte der Welt zugunsten Deutschlands herab-
gedrückt. Er war, landläufig gesprochen, ein schlechter Patriot. Er
hat die Stimmung derer gefördert, die an den gehässigen Beziehungen
großer Kulturnationen ein Interesse haben. Die Disharmonien
zwischen Deutschland und England auf dem Weltmarkte haben auf
dem Gebiete der Stahlfabrikation durch Thomas eine Verschärfung
gefunden.
Wir haben im vorhergehenden zwei prinzipiell
von einander verschiedene Betriebssysteme kennen
gelernt, von denen das erste in die Morgenperiode,
das zweite aber in die Mittagszeit der kapitalisti-
schen Entwicklungder westfälischen Eisenindustrie
hineinfällt. Geradezu typisch zeigt sich dies in der
Geschichte des Hoerder Bergwerks- und Hütten-
vereins. Derganze Betriebdesselben warursprüng-
lich aufgebaut auf der Puddelarbeit. Dieselbe
lieferte kleine Massen Schmiedeeisen und war ab-
2*
20 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
hängig von der Geschicklichkeit der Arbeiter. In-
folgedessen war die Güte des Fabrikates ständigem
Wechsel unterworfen. Sie ist heute auf dem Hoerder
Verein verschwunden. Auf anderen Hütten steht sie,
wie wir sehen werden, auf dem Aussterbeetat. Sie
wird teilweise am Leben erhalten durch die Rück-
ständigkeit des Schmiedehand Werks. Der Dorf-
schmied kann, infolge sein er üb erlebte nTechnik, das
Flußeisen nicht so gut bearbeiten wie das Schweiß-
eisenundbleibtdaherdem letzterentreu. Daszweite
Betriebssystem ist das B ir n e n ve r f a h r e n , das von
dem Hoerder Verein als der ersten Aktiengesellschaft
1863 erworben und eingeführt wurde. Das Flußeisen
beginnt nunmehr das Schweißeisen allmählich zu
verdrängen. Die Einführung dieses Verfahrens be-
deutete nicht nur für den Hoerder Verein, sondern
für die meisten deutschen Eisenwerke eine ver-
mehrte Abhängigkeit vom Auslande. Der Import von
spanischen und skandinavischen Erzen nimmt ge-
waltig zu. AberauchdiesesSystemerlangterstdurch
eine Spielart für Deutschland allgemeine Anwen-
dung: durch das Thomas verfahren. Es bedeutete den
größten Fortschritt, den die deutsche Eisenin-
dustrie gemacht hat. Auch hier ging bei der Ein-
führung Hoerde bahnbrechend voran und sicherte sich
durch Übernahme der Patente Deutschlands und
Österreichs einen Gewinn von 3V2 Millionen Mark.
Durch das Bessemer- sowohl, als auch durch das
Thomasverfahren wurde die Herstellung schmied-
baren Eisens erstim großen Maßstabe möglich. Jetzt
erst stand einer Massenfabrikation und einem un-
geheuren Aufschwung der Eisenindustrie nicht mehr
die Abhängigkeit von den menschlichen Arbeits-
kräften im Wege. Ein System lebloser Mechanismen
schiebt sich an Stelle der alten, auf Handfertigkeit
beruhenden Arbeit. Damit wird eine Entwicklung
eingeleitet, die sämtliche übrigen Abteilungen des
Eisen hüttenbetriebes ergreifen sollte, ich meine,
die immer größere Vervollkommnung des mechani-
schen Betriebes, die Ersetzung des ungelernten Ar-
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 21
beitersdurc h die Maschine, unddamitimZusammen-
hange das immer stärkere Hervortreten des gelern-
ten und qualifizierten Arbeiters innerhalb der me-
chanischen Produktion.
Wir werden nun die kapitalistischen Expansions- und Mechani-
sierungstendenz näher zu verfolgen haben
1. beim Hochofenbetrieb,
2. im Stahlwerk,
3. im Walzwerk.
Als der Schweißeisenbetrieb noch die Grundlage der gesamten
Produktion bildete, und die eine Massenfabrikation ermöglichende
Betriebsform noch unbekannt war, verspürte doch der Hoerder
Verein das Sehnen, seine Produktion zu vergrößern. Denn die Ver-
mehrung der Erzeugung ist jedem kapitalistischen Betriebe Lebens-
bedürfnis. Diese Vermehrung konnte auf zweierlei Weise vor sich
gehen. Einmal durch Angliederung anderer Werke, und dann durch
Verbesserung, vor allen Dingen Vergrößerung der Produktionsmittel.
Den ersten Weg beschritt der Hoerder Verein ohne, den letzteren
mit Erfolg. Im Jahre 1854/55 trat er in Unterhandlung mit dem
Besitzer der Beckeroder Eisenhütte im damaligen Königreich Han-
nover. Die Hütte sollte zu einem Preise von 945 000 Mark er-
worben werden, dazu ein in der Nähe gelegenes Kohlenfeld. In dem
Geschäftsbericht des genannten Jahres heißt es: „Dieselben Gründe,
die einer Konzentration in Hoerde widerraten, sprechen der Erweiterung
des Unternehmens auf ein neues, bisher unbebautes Feld das Wort
und lassen auf das für eine solche Erweiterung zu verwendende
Kapital eine Rentabilität in Aussicht nehmen, welche hinter der
Rente des heutigen Unternehmens schwerlich zurückstehen dürfte."
Aber die geplante Erweiterung konnte nicht realisiert werden, weil
die Hannoversche Regierung im letzten Stadium der Verhandlungen
dem Verein das Korporationsrecht in Hannover nicht erteilte, son-
dern die Bildung einer selbständigen Gesellschaft für das genannte
Werk verlangte. Dieser Weg war den Unternehmern also abge-
schnitten. Erst gegen Ende der 90er Jahre wurde er, wie wir noch
sehen werden, wieder betreten.
So war denn der Hoerder Verein zur Vermehrung seiner Pro-
duktion, sowie zur Erhöhung des Profits auf die Vervollkommnung
seiner Produktionsmittel angewiesen. Dies ist aber in den meisten
Fällen gleichbedeutend mit Automatisierung des Betriebes. Auch hier
22 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
reflektiert das Bild im kleinen die Züge, die an der gesamten Groß-
eisenindustrie charakteristisch sind.
Beginnen wir mit den Hochöfen. Die Aufgabe derselben be-
steht in möglichst massenhafter Produktion von Roheisen. Als der
erste Hochofen des Hoerder Vereins am 26. Februar 1854 angeblasen
wurde, war an eine Massenerzeugung noch nicht zu denken. Das war
ein kleiner Ofen von 16,2 m Höhe und 4,5 m Kohlensackweite. Die
Tagesproduktion belief sich bis auf 20 Tonnen. Diese geringe Masse
war das Maximum. Ebenso gering war die Leistungsfähigkeit der
in den folgenden Jahren in denselben Dimensionen erbauten Öfen.
In der Gründerperiode, als die Produktion der Hochöfen wegen
der schlechten Beschaffenheit des Koks und der vermehrten Pro-
duktion von Bessemereisen zurückging, schritt man dann zum Bau
zweier neuer Öfen mit eigenen Gebläsemaschinen und Kesseln. Diese
Hochöfen waren bereits 18,5 m hoch und hatten eine Kohlensack-
weite von 5,5 m. Die Tagesproduktion stieg auf 45 Tonnen. Sie
betrug also das Doppelte der Produktion der alten Öfen. Im An-
fang der 80er Jahre, als sich bei dem Hoerder Verein die große
technische Neuorganisation vollzog, als ein nach großen Roheisen-
massen verlangendes Thomasstahlwerk fertig war, errichtete der Hoer-
der Verein an Stelle der alten 8 kleinen 4 neue, große Hochöfen.
„In der gründlichen Ausgestaltung unseres Hochofenbetriebes er-
blicken wir die wesentlichste Grundlage einer gedeihlichen Entwick-
lung unseres Unternehmens . . ." heißt es in dem Geschäftsbericht
über das Jahr 1883/84. Diese Hochöfen hatten eine Höhe von
19,5 m und eine Kohlensackweite von 6 m. Die Tagesleistung stieg
um mehr als das Doppelte. Sie betrug 100—120 Tonnen. Diese
Verbesserung bedeutete gleichzeitig eine größere Mechanisierung des
Hochofenbetriebes, und damit Hand in Hand gehend, eine Vermin-
derung der Produktionskosten. Diese äußerte sich einmal in der Ab-
nahme des Koksverbrauches bei der Roheisenherstellung, und außer-
dem in der Ersparung von Löhnen. In dem Geschäftsbericht über
das Jahr 1884/85 wird darüber folgendes mitgeteilt: „Die Konzen-
tration des Hochofenbetriebes auf wenige, aber größere und besser
ausgerichtete Öfen hat, abgesehen von anderen Vorteilen, zur Folge
gehabt, daß trotz der um mehr als 5 Mill. kg gesteigerten Pro-
duktion, die beim Hochofenbetriebe verausgabten Arbeitslöhne ins-
gesamt um 30 000 Mark niedriger sich beziffert haben als im Jahre
1883/84, obschon der Durchschnittslohn des einzelnen Arbeiters in-
folge der vermehrten Leistung gestiegen ist." Aber damit war die
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 23
Möglichkeit einer höheren Leistung noch nicht erschöpft. Anfang der
90er Jahre kamen neue Hochöfen in Betrieb, die 22 m hoch waren
und eine Tagesproduktion von 180—190 Tonnen aufwiesen, das heißt
das mehr als Neunfache der ursprünglichen Erzeugung.
Um die Produktion an Roheisen noch mehr zu vergrößern,
kaufte der Hoerder Verein 1898 für 1,2 Millionen Mark die von
Bornsche Hochofenanlage zu Dortmund. Dieselbe besteht aus zwei
Hochöfen mit einer Jahresproduktion von etwa 100 000 Tonnen.
Heute hat das Hoerder Werk 6 große Hochöfen. Es ist für den
dauernden Betrieb von 5 Hochöfen eingerichtet. Die Jahresproduk-
tion betrug 1902/03 324 791 Tonnen Roheisen. Davon waren nicht
weniger als 310 055 Tonnen Thomaseisen. Dazu kommt noch die
Produktion der oben erwähnten Dortmunder Anlage, von der aber im
genannten Geschäftsjahre, vom 1. April bis 30. Juni nur ein Ofen
in Betrieb war, der 10 605 Tonnen Roheisen produzierte.
Das sind außerordentlich lehrreiche Details, die das Expansions-
streben eines großen kapitalistischen Betriebes besser beleuchten,
als allgemeine Schilderungen es zu tun vermögen.
Hand in Hand damit geht eine möglichste Mechanisierung des
Betriebes. Der Arbeiter wird durch die Maschine ersetzt. Wo das
nicht möglich ist, wird vielfach seine Arbeit durch besondere Apparate
kontrolliert.
Als in den 60er Jahren die Lürmannschen Formen, die einen
kontinuierlichen Abfluß der Schlacke ermöglichen, eingeführt wurden,
wies man zu ihrer Empfehlung nicht bloß auf die Möglichkeit einer
Steigerung der Produktion hin, sondern auch darauf, daß die Einfüh-
rung eine Verminderung der bisherigen Arbeiterzahl um ein Drittel er-
laube und daß bei den Übrigbleibenden ein geringerer Grad von Ge-
schicklichkeit notwendig sei.*) Überhaupt erfordert die Bedienung
des Hochofens heute fast durchgehend ungelernte Arbeiter, die den
Transport der Stoffe besorgen usw.
Diese Tendenz der Ausschaltung des Lebendigen mit dem Wachs-
tum der Produktion beim Hochofenprozeß ist noch nicht am Ende
angelangt. In letzter Zeit kann man amerikanische Beschickungs-
vorrichtungen bereits bei einzelnen Hochöfen sehen. Eine solche
Einrichtung besteht zwar nicht auf dem Hoerder Werk, aber auf einem
in der Nähe gelegenen Hochofen des Stahlwerks Hösch in Dortmund.
•) Siehe: Ludwig Sinzheimer: Der volkswirtschaftliche Charakter der tech-
nischen Entwicklung des deutschen Eisenhüttengewerbes, München 1892, p. 34
24 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Der Fördervvagen wird durch elektrische Kraft unter einem Winkel
von ca. 50"^ bis an den oberen Teil des Hochofens gezogen. Dort
angekommen, kippt er selbsttätig um, verweilt einen Augenblick,
wird dann selbsttätig umgesteuert, so daß er wieder zurückläuft.
Dadurch werden nach den Angaben meines Gewährsmannes 6 — 8
Arbeiter erspart, die sonst an dem Förderwagen beschäftigt sind.
Nur ein Arbeiter ist nötig, und zwar zum Aufziehen der Glocke. Von
dieser Glocke fällt die Beschickung in den Kegel. Das Wesent-
liche dieser Einrichtung besteht darin, daß das Hineinschütten von
Kohlen und Eisenerz unter Luftabschluß stattfindet. Den Gichtgasen
wird die Flucht in die Luft versperrt.
Über diese Einrichtung sagt ein Fachmann, Wedding, fol-
gendes :*)
„Mit Recht wird allgemein angestrebt, dem Hochofen mecha-
nische Beschickungsvorrichtungen anzupassen. Eine solche Vorrich-
tung macht den Betriebsleiter unabhängig von der Trägheit und Un-
aufmerksamkeit ungeschulter Arbeiter. Je mehr Mangel an geschul-
ten Arbeitern eintritt, je mehr man darauf angewiesen ist, so rohe
Arbeiten, wie sie das Einfüllen der Grundstoffe in die Gicht des
Hochofens bedingt, ungeübten Arbeitern zu überlassen, um so mehr
werden sich auch deren schlechte Eigenschaften geltend machen. Denn
je weniger ein Arbeiter Zweck und Einfluß seiner Arbeiten kennt,
um so weniger Aufmerksamkeit wird er darauf verwenden. Nun
ist die Arbeit des Beschickens eines Hochofens auf der Gicht äußerst
einfach. Es gehört nur dazu, daß die den Arbeitern zugewogenen
und zugeförderten Mengen von Stoffen rechtzeitig und an der rich-
tigen Stelle in den Trichter des Ofens geschüttet werden, um beim
Senken des Kegels oder beim Heben der Glocke an die geeig-
nete Stelle des Hochofens zu gelangen. Bekanntlich sind zwei wich-
tige Regeln nötig, nämlich: Die Brennstoffe mehr in die Mitte als
die Erze, die kleinen Erze an die Seite, die großen Stücke in die
Mitte zu bringen und ferner alles gleichmäßig, d. h. ringförmig in dem
Ofen zu verteilen. Das ist auch von ungeübten Arbeitern leicht
zu erfüllen, wenn die Vorrichtungen richtig getroffen sind; denn es
handelt sich dann nur darum, daß die Arbeiter die Stoffe gleichmäßig
um den Schütttrichter verteilen und daß sie rechtzeitig das Auf-
füllen besorgen . . . Aber die Arbeit auf der Gicht des Hochofens
ist sehr lästig. Wind und Wetter, der Kälte und der Hitze sind die
*) Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes 1900
pag. 325.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 25
Arbeiter dort besonders ausgesetzt und daher kommen leicht Fehler
vor. Es ist daher nichts gerechtfertigter, als diese Handarbeit durch
Maschinen entbehrlich zu machen." Wir sehen, wie auch hier das
soziale Moment bei der Einführung technischer Neuerungen eine
Rolle spielt. Wie lange der Hocider Verein sich der praktischen
Verwertung dieser Erwägungen wird entziehen können, steht dahin.
Die Anlage der Hochöfen ist für die Hermannshütte keine gün-
stige, weil sie zu weit voneinander entfernt liegen. Ein pünktliches
Handinhandarbeiten zwischen den Hochöfen und den Convertern
war größtenteils nicht möglich. Diese Abhängigkeit des Stahlwerk-
betriebes vom Hochofenbetriebe wurde nun außerordentlich herab-
gemindert durch die 1890 zuerst auf dem Kontinent in Hoerde er-
folgte Erbauung eines Roheisenmischers. „Es war", heißt es in der
Festschrift, „längst das Bestreben der Hüttentechniker gewesen, das
Umschmelzen des Roheisens dadurch zu vermeiden, daß man dasselbe
in flüssigem Zustande vom Hochofen den Convertern zuführte. Auch
in Hoerde war dieses Verfahren schon in den 70er Jahren beim-
Bessemerprozeß eingeführt worden. Die Sache war aber auf die
Dauer daran gescheitert, daß bei der großen Entfernung ein pünkt-
liches Handinhandarbeiten nicht immer möglich war. Nach der Ein-
führung des Thomasverfahrens wurde der Betrieb in dieser Weise
wiederum aufgenommen. Derselbe gelangte aber erst zur Vollkom-
menheit, als ein Roheisenmischer eingeschaltet wurde . . . Der Hör-
der Verein kaufte die Patente für Europa und verbesserte das Ver-
fahren, indem er für die Erfindung, durch Mischen von schwefel-
haltigen mit manganreichem Roheisen den Schwefelgehalt auf ein
Minimum zu reduzieren, Patente erwarb." Das Verfahren, durch den
Roheisenmischer den für den Thomasprozeß unerwünschten
Schwefel aus dem Roheisen vollständig auszuschalten, verdankt die
Eisenhüttenindustrie dem Hoerder Verein.
Eine stärkere Ausdehnung des mechanischen Betriebes läßt sich
nun aber noch verschiedentlich weiter verfolgen. Sie zeigt sich vor
allem auch bei den Siemens-Martinöfen. Das Charakteristische
dieser Öfen besteht darin, daß sie nicht wie die Puddelöfen mit
festem, sondern mit gasförmigem Brennstoff geheizt werden. Es sind
Flammöfen. Die sogenannten Siemensschen Generatoren verbinden
eine weit über das natürliche Maß gesteigerte Verbrennungstempe-
ratur mit einer wesentlichen Ersparnis an Brennstoff. Martin kon-
struierte nun Öfen, in denen das Eisen durch diese Gase geschmolzen
wird. Zu Beginn der Hitze schmilzt man eine zwischen 5— 50 o/o
26 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
des ganzen Einsatzes wechselnde Menge Roheisen nieder und be-
schickt dann den Ofen mit Abfällen aus den mechanischen Werk-
stätten etc. Die Abfälle werden gleichsam in dem Roheisenbad
aufgelöst. Auf diese Weise bekommt man ein fast chemisch reines
Flußeisen, dem dann wieder Kohlenstoff zugesetzt wird. Infolgedessen
kann man ein Eisen von vorgeschriebener Zusammensetzung mit
größter Treffsicherheit erzielen, ökonomisch ist dieser Prozeß von
so hoher Bedeutung, weil durch ihn die außerordentlich großen
Mengen alten Eisens und die zahlreichen Eisenabfälle eines großen
Werkes vorteilhaft verwandt werden können. Man nennt dieses
Material Schrot. Solchen Schrot liefert einmal der eigene Betrieb
selbst, außerdem aber wird altes Eisen von Händlern an die Werke
verkauft. Es besteht übrigens auch ein Schrotverband, der nötigen-
falls den Bedarf der Werke deckt. Der Hoerder Verein hat heute
6 solcher Martinöfen in Betrieb, im ganzen hat er 9. Sie beruhen auf
dem basischen Prozeß. Das Ausbringen beträgt 18 Tonnen. In
12 Stunden können 3 — 4 Chargen gemacht werden. Diese Öfen
stellen im Monat 10 000 Tonnen Siemens-Martinstahlblöcke her. Das
ist für deutsche Verhältnisse eine gute Leistung. Trotzdem bleibt sie
bedeutend hinter der der amerikanischen Öfen zurück. Nach den
Mitteilungen Weddings über das Eisenhüttenwesen auf der Pariser
Weltausstellung*) haben die Martinöfen in Amerika bereits einen
Einsatz von über 100 Tonnen. Sie sind allerdings als Kippöfen ein-
gerichtet.
Was die Technik des Martinofenprozesses anbelangt, so liegt
das Ideal der Zukunft in seiner kontinuierlichen Ausgestaltung, d. h.
in seiner ununterbrochenen Fortführung. Das ist bis jetzt in Deutsch-
land zu verwirklichen nicht gelungen. Hingegen hat man in
Hoerde einen anderen Fortschritt, der die mechanische Aus-
gestaltung der Beschickung betrifft, realisiert. Die Martin-
öfen werden teilweise bedient durch einen elektrisch angetrie-
benen Chargierkran. Der Schrot und das Roheisen werden auf
einer Chargiermulde durch einen Motor in den glühenden Ofen
hineingeschoben und entleert. Auf der Maschine steht ein ein-
ziger Mann, der nur die Hebel zu dirigieren hat, während
alles übrige die Lademaschine rein automatisch besorgt. Wed-
ding beschreibt die Tätigkeit dieser elektrisch betriebenen Lade-
*) Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes
Berlin 1000.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 27
maschine für Martinöfen, zu der nur ein einziger Arbeiter gebraucht
wird, der in keiner Weise unter der Hitze zu leiden hat, folgender-
maßen:*) Die Maschine besteht aus 4 Motoren. Der eine Motor
dient zur Bewegung des Wagens vor dem Ofen entlang, um die mit
Eisen gefüllten Behälter (Mulden oder Löffel, welche je 1 Tonne
Material fassen) zu greifen und zum Ofen zu bringen, darauf leer
wieder zurückzuführen. Der zweite Motor hebt den Löffel bei der
Einführung in den Ofen, um die Sohle nicht zu beschädigen und
um locker über das noch nicht eingeschmolzene Material im Ofen
fortzukommen. Der dritte Motor schiebt den Löffel vor und zieht
ihn nach der Entleerung aus dem Ofen zurück. Der vierte kleinste
Motor dreht ihn im Ofen um 180^ und entleert ihn so.
Diese Einrichtung steckt auf der Hermannshütte noch in den
ersten Anfängen. Natürlich ist eine einzige Lademaschine zur Be-
schickung von 6 Öfen nicht ausreichend, und der menschlichen Ar-
beit bleibt hier noch das meiste zu tun übrig. Die Arbeit am Martin-
ofen aber gehört zu den schwersten, die es gibt. Die Arbeiter leiden
ungeheuer unter der Glut, welche aus der geöffneten Arbeitstür
des auf mehr als 1500° erhitzten Ofens ausströmt. Daher halten sie
es nicht viele Jahre aus: sie gehen zu anderen Tätigkeiten über
oder sterben eher. Mit 10 Jahren sind sie verbraucht. Die ungeheure
Hitze, die bei der Beschickung des Ofens ausstrahlt, bedingt, daß
die Arbeiter nur ganz leicht bekleidet sind. An den blauen Schweiß-
kitteln erkennt man den Feuermann. Der wie Wasser über den
Körper rieselnde Schweiß beizt die Farbe teilweise heraus. Auf den
Kleidern erscheinen Schweißblumen. Haut und Haare auf dem Ge-
sicht verbrennen, ebenso auf den Armen. Infolgedessen bedeutet
es einen ungeheuren technisch-sozialen Fortschritt, die Beschickung
des Ofens einer maschinellen Vorrichtung anzuvertrauen. Natür-
lich liegt die Einrichtung auch im Interesse der Produktion, denn bei
der mechanischen Beschickung leidet der Ofen und die Arbeit des-
selben nicht so unter dem Eintritt der kalten Luft von außen durch
die geöffnete Arbeitstür, andererseits spart man mindestens zwei
Stunden Ladezeit, eine Anzahl von Arbeitern und zudem ist die
Charge eine größere. Für uns überwiegt natürlich die Schwere des
sozialen Moments. Die bedeutende Abkürzung der Zeit, die der
Arbeiter unmittelbar vor dem Ofen stehen muß, dürfte für diesen
*) Sitzungsberichte des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes 1895
pag. 251.
28 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
gleichbedeutend mit einer Lebensverlängerung sein. Auf dem Hoerder
Verein hat man allerdings erst eine automatische Beschickungsvor-
richtung, aber 2 neue bereits bestellt. Die Folge dieser Mechani-
sierung des Produktionsprozesses ist w^ieder das Freiwerden von
Arbeitern. Vor dem Aufkommen der Chargierkräne waren 6—8
Arbeiter für die Bedienung der Martinöfen nötig. Heute sind z. B.
auf der Dortmunder Union, einem in technischer Beziehung vor-
züglich ausgestatteten Unternehmen, nur noch 2 Mann übrig geblieben.
Damit Hand in Hand dürfte dann eine Erniedrigung der Löhne gehen.
Die Martinofenarbeiter waren ehemals die bestbezahltesten Arbeiter.
Sie verdienten 6 — 12 Mark pro Schicht. Durch die mechanische Be-
schickungsvorrichtung wurde ihnen die schwerste Arbeit abgenommen
und damit ein Grund gegeben, ihren Lohn zu reduzieren.
Nicht überall freilich läßt sich die Arbeit des Menschen in heißer
Temperatur durch mechanische Einrichtungen ersetzen. In jedem
Walzwerke bleiben immer noch eine Anzahl Arbeiter, trotz aller
automatischen Vorrichtungen übrig. In Hoerde hat man im Schienen-
walzwerk infolgedessen eine intermittierende Arbeitszeit eingeführt.
Eine Gruppe von Arbeitern walzt 20 Stück Schienen. Dann tritt
für sie eine Pause ein. In derselben können sie sich erfrischen. Zu
diesem Zwecke steht ihnen Eiswasser mit Rum zur freien Ver-
fügung. Währenddessen tritt die zweite Gruppe in Tätigkeit, um
dann wieder von der ersten Gruppe abgelöst zu werden. Das Walzen
von 20 Stück dauert ca. V2 Stunde. Diese Einrichtung ist keineswegs
auf allen Walzwerken eingeführt.
Ein gutes Beispiel, wie die Automatisierung ökonomisch und
sozial wirkt, bietet das Blockwalzwerk des Hoerder Vereins. Dieses
Werk hat eine Monatsleistung von 28 000 Tonnen. Es werden in
demselben die schwersten Stahlblöcke in einer Hitze zu Halbzeug und
Fertigmaterial (Platinen, d. h. Halbfabrikate der Blechfabrikation,
Knüppel, d. h. Halbfabrikate der Drahtfabrikation, schwere Träger,
d. h. Eisen in Gestalt eines T, U Eisen und Schienen) ausgewalzt.
Dieses Blockwalzwerk wurde für 31/2 Millionen Mark gebaut und im
Februar 1892 dem Betriebe übergeben. An dem Unterschiede zwischen
dem alten und dem neuen Blockwalzwerke kann man den unge-
heuren Fortschritt messen, der auf diesem Gebiete den Arbeits-
prozeß beherrscht. Das neue Walzwerk empfängt die warmen Blöcke
aus dem Bessemerwerk nach Ausgleich der Wärme in Gruben oder
Rollöfen auf Rollgängen. In dem alten Werke wurde der Transport
durch Arbeiter besorgt. Die Hebeleute sind ersetzt durch die Roll-
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 29
gänge, die den Block bis vor den Einstich fahren. Gewöhnlich
steht heute ein Mann an jeder Seite der Blockstraße. Das alte
System aber brauchte ihrer drei. Diese hatten den glühenden Block
mit Hebeln und Zangen emporzuheben. Heute verrichten diese
Arbeit Hebezeuge. Das Herumwerfen der Blocks geschieht durch den
mechanischen Klappstuhl. Auch die Streckenleute, die das Eisen
zu richten hatten, sind verschwunden. Ihre Tätigkeit ist ersetzt
durch mechanische Richtbänke. Die Abschlepper, die einst das Eisen
mit Haken faßten, um es zur Adjustage zu schleppen, sind in dem
neuen Walzwerk ersetzt durch mechanische Vorrichtungen, die auf
Rollgängen das Walzprodukt weiter transportieren. Die Fabrikate
werden schließlich mechanisch verladen, ein Paternosterwerk hebt
sie direkt auf den Wagen.
Die moderne Eisenindustrie hat aber nicht nur die Ersetzung
der rein mechanischen Arbeit durch die Maschine vollzogen, sondern
auch die künstlerische Tätigkeit durch den Automaten ganz oder
teilweise zu ersetzen versucht. Solche Künstler sind die in jedem,
mit einer Eisengießerei versehenen Betriebe vorkommenden Modell-
schreiner. Sie haben die Aufgabe, nach den Zeichnungen der tech-
nischen Bureaus Holzmodelle zu entwerfen, z. B. für Lokomotiv-
räder, Walzen, Coquillen etc. Die Herstellung der Modelle erfordert
Präzision und Geschicklichkeit. Heute kann man in der Stahlfagon-
gießerei jedes Werkes, wo der Flußstahl in Formen gegossen wird,
Formmaschinen beobachten, die noch feiner und tadelloser arbeiten
als die Menschenhand. So werden z. B. in Hoerde bei der Herstel-
lung von Zahnradmodcllen Formmaschinen benutzt, die viel schneller
und besser arbeiten, als der geschickteste Modellformer es vermöchte.
Auch hier ist der Automat eingeführt worden, um an Arbeitslohn
zu sparen. Darüber sagt Beckert in seiner „Gemeinfaßlichen Dar-
stellung des Eisenhüttenwesens"*) folgendes: „Gute Former müssen
ihrer Geschicklichkeit entsprechend hoch bezahlt werden. Trotz der
höchsten Löhne konnten die Eisengießereien in den Jahren der
stürmischen Entwicklung nach 1871 nicht genügend Former erhalten
und sahen sich gezwungen, die Herstellung der Formen mittels
mechanischer Vorrichtungen, der Formmaschinen, zu versuchen. Was
damals als Notbehelf erschien, ist heute ein wichtiges Hilfsmittel
zur Erzeugung von Massenartikeln geworden, die nur durch Ver-
wendung bloßer Handarbeiter, also ohne gelernte Former, in einer
') 5. Auflage 1903, pag. 51/52.
30 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Zahl, Genauigkeit und Sauberkeit geliefert werden können, wie es
durch die sorgfältigste Handformerei nicht möglich ist. Hebt man
nämlich die Modelle mit mechanischen Vorrichtungen genau senk-
recht aus der Form, so wird jede Verletzung dieser, wie sie durch das
geringste Schwanken der Hand eintritt, vermieden; der schwierigste
(das Ausheben) und der langwierigste (das Ausbessern der Ver-
letzungen) Teil der Formerarbeit ist erspart. — Hebt die Maschine
nur die Modellteile aus, so bleibt das Feststampfen des Formsandes
noch von Hand auszuführen ; das kann aber ein gewöhnlicher Arbeiter
verrichten. Manche Formmaschinen übernehmen auch noch diesen
Teil der Arbeit, freilich nicht, indem sie den Sand stampfen, sondern
zusammendrücken, was wohl bei ziemlich niedrigen Modellen, doch
nicht in allen Fällen angängig ist. Die zuerst erwähnten Maschinen
sind deshalb verbreiteter.
Neben den geschilderten Formmaschinen, mit denen besonders
Formerlöhne gespart werden sollen, gibt es noch eine andere Gruppe,
die Räderformmaschinen, deren Vorzüge in äußerst genauer Arbeit
und in Ersparnis der teuren Modelle bestehen. Die Modellkosten
sind schon im allgemeinen sehr hoch, besonders groß aber für
Zahnräder. Da zudem die Holzmodelle trotz größter Sorgfalt nicht
in der gewünschten Genauigkeit erzeugt werden können und bei
vielfachem Gebrauch ihre Form merklich verändern, so sind Zahn-
räder mit genau gleichmäßiger Teilung und durchaus übereinstim-
menden Zähnen nach Modellen gar nicht herzustellen. Die Form-
maschinen aber, welche nur mit einem kleinen Teile des Modells,
nämlich mit nur zwei Zähnen, arbeiten, geben, allerdings bei höherem
Aufwand für Formerlohn, Erzeugnisse von der höchsten Genauigkeit."
Es ist selbstverständlich, daß durch all diese Einrichtungen die
Produktionskosten ermäßigt werden, denn die Maschine arbeitet bil-
liger und besser wie der Mensch. Die größte Verbilligung des
Betriebes, die ebenfalls wieder auf dem Hoerder Werke zuerst ein-
geführt wurde, aber war die Nutzbarmachung der Hochofengase
für Betriebszwecke.
Auf jedem Hochofenwerk findet man Gebläsemaschinen, die
atmosphärische Luft ansaugen und zusammenpressen. Diese Luft
wird in sog. Winderhitzern heute auf etwa 900^ erhitzt und dann durch
den Hochofen getrieben. Der in diesem aufsteigende Gasstrom
blieb nun, nachdem er seine physikalische und chemische Arbeit
erfüllt, in den Jugendjahren der kapitalistischen Entwicklung des
Hochofenbetriebes ungenutzt. Auf der Zinne des Hochofens, der
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 31
sog. Gicht, verbrannten die abströmenden Gase mit prachtvoller
Flamme. Aber die Posie dieses Anblicks ging bald verloren. 1858
wurde auf dem Hörder Werk ein neuer Reserveofen erbaut, bei
dem zum ersten Male Einrichtungen angebracht waren, die den
Zweck hatten, die abströmenden Gase abzufangen und sie zur Hei-
zung der Kessel zu verwenden. Diese Fangvorrichtungen fanden
später bei allen Hochöfen Eingang. Aber bei dieser Verwendung
blieb man nicht stehen. Auf dem Hochofenwerke existierte längst
ein nicht unbeträchtlicher Gasüberschuß. Aber die weite Entfernung
von der Hermannshütte verhinderte es, entweder das Hochofengas
oder den mittels desselben erzeugten Dampf dorthin zu leiten. Als
nun aber die elektrische Kraftübertragung in die Praxis eingeführt
war, ergab sich die Möglichkeit, das Plus an Gas für den Betrieb
der Hoerder Hütte nutzbar zu machen. Nunmehr wurden an Stelle
der Dampfmaschinen Gasmotore aufgestellt, die, mit Hochofengas
gespeist, direkt zum Antrieb der Dynamomaschinen verwandt werden
konnten. Die Festschrift enthält hierüber folgende Mitteilungen:
„Nachdem eine kleine Versuchsmaschine im Monat Dezember 1895
bewiesen hatte, daß der eingeschlagene Weg gangbar war, wurden
nach längeren Verhandlungen mit den verschiedenen Maschinen-
fabriken am 21. September 1896 bei der Berlin-Anhaltischen Ma-
schinenbau-Aktiengesellschaft in Dessau drei öOOpferdige Gasmotoren
bestellt. Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten kam die erste
Maschine im August 1898 in Betrieb und arbeitet seitdem die elek-
trische Zentrale mit großem Erfolg. Sie ist jetzt außer mit den
oben erwähnten Maschinen mit zwei Deutzer Motoren von je 1000
Pferdekräften ausgerüstet, und wird mittels von der Elektrizitäts-
Aktiengesellschaft vormals Schuckert & Co. gelieferter Dynamos
Drehstrom von 3000 Volt Spannung erzeugt, der sowohl auf der
Hermannshütte wie auf den Kohlengruben zu den verschiedensten
Zwecken verwendet wird." Was hier mit wenigen Worten gesagt
ist, bedeutet einen der größten Fortschritte auf dem Gebiete des
Eisenhüttenwesens, und zwar hauptsächlich in ökonomischer Be-
ziehung. Die Verbilligung des Betriebes, oder mit anderen Worten
die Senkung der Produktionskosten ist ein mit der mechanischen
Ausgestaltung Hand in Hand gehender Faktor.
Welche Konsequenzen haben nun die im vorhergehenden ge-
schilderten, mit dem Wachstum der Produktion und der Automati-
sierung verbundenen Tatsachen in sozialer Beziehung?
Soweit ich sehe, zeitigt diese Entwicklung zweierlei. Sie wirkt
32 1. Der Hoerder Bergu-erks- und Hüttenverein.
einmal reduzierend auf die Arbeiterzahl. Die Zahl der Arbeiter nimmt
zwar absolut beträchtlich zu, relativ aber ab. Im Vergleich mit dem
Wachstum der Produktion sinkt die Zahl der beschäftigten Arbeiter.
Die Arbeiterzahl des Hoerder Bergwerks- und Hüttenvereins betrug
im Jahre 1854 etwas über 2000, im Jahre 1900 nicht ganz 7500,
das heißt sie war um mehr als das 31/2 fache gestiegen. In dem
ersten genannten Jahre betrug die Menge der Fertigfabrikate etwa
20 000 Tonnen, im Jahre 1900 über 290 000 Tonnen, das heißt sie hatte
sich mehr als vervierzehnfacht. Der Anteil des Produktionsfaktors
menschlicher Arbeit ist also beträchtlich geringer geworden, anders
ausgedrückt, die relative Zahl der Arbeiter ist gesunken.
Diese Tatsache ist aber noch mit einer zweiten, nicht minder
wichtigen, verknüpft. Ohne Zweifel wurden in der ersten Periode
der großindustriellen Entwicklung in den Eisenhütten zahlreiche un-
gelernte Arbeitskräfte verwandt. Der Typus des ungelernten Arbeiters
ist die Frau und das Kind. Daher hat Karl Marx recht, wenn er
von der Großindustrie im allgemeinen sagt: Weiber- und Kinder-
arbeit war das erste Wort der kapitalistischen Anwendung der Ma-
schinerie. Noch heute finden wir, wie bei der Beschreibung der
Königs- und Laurahütte gezeigt werden soll, Weiberarbeit in der
Eisenindustrie Oberschlesiens. Beim Hoerder Verein und in den
übrigen rheinisch-westfälischen Werken fehlt dagegen der Typus
des weiblichen Arbeiters. Hier kommen nur männliche Arbeitskräfte
in Betracht. Diese ungelernten und daher schlecht bezahlten Ar-
beiter hatten ganz bestimmte, teilweise die Körperkräfte stark ab-
sorbierende Funktionen auszuüben. Noch heute überwiegt, wie wir
sahen, der ungelernte Arbeiter beim Hochofenbetrieb. In eine zweite
Periode tritt nun die Entwicklung mit der nahezu gänzlichen Durch-
führung der Automatisierung des Betriebes, mit der Vervollkomm-
nung der Arbeits- und Werkzeugmaschinen, mit der Einführung von
Kränen zum Transport von Lasten. Nunmehr werden die Arbeiten,
für die früher ein Heer unqualifizierter Arbeiter nötig war, von
mechanischen Vorrichtungen übernommen. Wenn man die Tech-
nik bei der Beschickung der Hochöfen, im Stahlwerk oder im Walz-
werk auch nur ganz oberflächlich verfolgt, immer erkennt man, daß
der ungelernte Arbeiter mehr und mehr durch spezielle Vor-
richtungen ersetzt wird. Die Masse der ungelernten Arbeiter lichtet
sich also, aber an die alten Plätze treten teilweise neue gelernte
Arbeiter. Es würde heute gar nicht mehr möglich sein, einen un~
gelernten Arbeiter bei der Bedienung einer Walzenstraße zu ver-
1. Der Hoerder Bergvperks- und Hüttenverein. 33
wenden; er würde sich selbst unglücklich machen. Daß für die Be-
dienung der Maschinen wie der Sägen, der hydraulischen Einrich-
tungen, der Kräne gelernte Maschinisten verwandt werden, ist ein
Gebot der Notwendigkeit. Auf der zweiten Stufe der Entwicklung
eines kapitalistischen Großbetriebs wird also der ungelernte Arbeiter
immer mehr durch die Maschine verdrängt. Die zur Bedienung der-
selben herangezogenen Arbeiter aber bestehen aus hochqualifizier-
ten, technisch bis zu einem gewissen Grade vorgebildeten Männern.
Natürlich ist damit das Thema nicht erschöpft.*) Es soll nur die
ersten Anregungen geben, und wir werden später bei den Groß-
betrieben anderer Industrien darauf zurückkommen.
Fassen wir zusammen: Der Hoerder Verein ist ein groß-
kapitalistisches, auf Erzielung eines möglichst
hohen Profits berechnetes Unternehmen. Es re-
präsentiert eine typische Erwerbsgesellschaft der
westfälischen Eisengroßindustrie. Für diese aber
ist die Vergrößerung und Mechanisierung der Pro-
duktion Lebensprinzip. Der Ingenieur nennt dies
Vervollkommnung des Betriebes. Die Produktion
soll steigen, der Produktionspreis aber sinken. In
diesem Sinne wurdedieErweiterungderHoerderAn-
lagen durch den nicht zustande gekommenen An-
kauf der Beckeroder Eisenhütte versucht. Die Ex-
pansion der Erzeugung vollzog sich hauptsächlich
durch die Vergrößerung und Verbesserung der Pro-
duktionsmittel. Die Leistung der Hochöfen wächst
von 20 auf 180 — 190 Tonnen. Die Aufstellung eines
Roheisenmischers verhindert die Abhängigkeit des
Stahlwerkes von der entfernt liegenden Hochofen-
anlage, die durch den Ankauf des Dortmunder Wer-
kes noch vergrößert wird. Durch Einführung auto-
matischer Beschickungsvorrichtungen für die Mar-
tinöfen wird der Menschenhand eine beschwerliche
und gefährliche Arbeit abgenommen. Auch in denWalz-
werken tritt der automatische Betrieb immer mehr
an Stelle der alten, auf Handarbeit basierten Ein-
richtungen. Wie dies ökonomisch und sozial wirkt.
•) Vergl. die geistvollen Ausführungen J. Germans über „Die Qualifikation
der Fabrikarbeit" in der „Neuen Zeit", 21. Jahrg., II. Bd , No. 30.
Stil lieh, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 3
34 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
sahen wir aus dem Vergleich des alten und neuen
Blockwalzwerkes in Hoerde. Ja, die Mechanisie-
rung des Produktionsprozesses macht selbst vor der
künstlerischen Tätigkeit nicht Halt. Auf der Her-
mannshütte sind Formmaschinen in Tätigkeit, die
hydraulisch betrieben werden, und die Form eines
Zahnrades auf die dazu bestimmte Masse abdrücken.
Sie arbeiten präziser und schneller wie Men-
schenhand. Mit der, immer weitere Kreise des Her-
stellungsprozesses ergreifenden Einführung me-
chanischer Vorrichtungen sinken ceteris paribus die
Produktionskosten. Den großartigsten Fortschritt
in dieser Beziehung bildet die in Hoerde eingeführte
Verwertung der Hochofengase. Schon Ende der 50er
Jahre tritt an Stelle der mit der Hand ausgeführ-
ten Heizung der Maschinen mit Kohlen die Heizung
mit Gichtgasen. In den 90er Jahren wird dann an
Stelle der Dampfmaschine der Gasmotor zum mecha-
nischen Antrieb der Maschinen herangezogen. Die
Folgen der geschilderten Umgestaltung des Betrie-
bes bestanden nun einmal in dem relativen Sinken
der Arbeiterzahl und dann in der partiellen Er-
setzung des ungelernten durch den qualifizierten
Arbeiter.
Wir haben nun weiter die Frage zu behandeln, wie die großen
wirtschaftlichen Erschütterungen den Hoerder Verein beeinflußten.
Die Einwirkungvon Krisen auf große Unternehmungen ist von
Fall zu Fall verschieden. Wir werden z. B. in der Ilseder Hütte ein
Unternehmen kennen lernen, das durch die Krisis von 1857 bis
1860/61 außerordentlich stark mitgenommen wurde. An dem Her-
der Bergwerks- und Hüttenverein hingegen ging diese Krisis ohne
wesentliche Störung vorüber. Ganz unbeeinflußt blieb er allerdings
nicht. „Insbesondere mußte", heißt es in dem Geschäftsbericht über
das Jahr 1858/59 „die Einstellung der Eisenbahnbauten in den
unserem Debit angehörenden Staaten auf die Industrie, welche in
ihren Hauptfaktoren fast ausschließlich auf Unternehmungen gedach-
ter Art angewiesen ist, den deprimierendsten Einfluß haben." Aber
im großen und ganzen ist die erste Periode seines Bestehens von
1852—1873 die erfolgreichste gewesen, die er in den Annalen seiner
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
36
Geschichte zu verzeichnen hat: Kleines Aktienkapital, verhältnis-
mäßig hohe Reingewinne, gute Dividenden. Die alte, gute Geschäfts-
praxis, die Vergrößerung des Betriebes aus den Betriebsüberschüssen
zu bestreiten, war für das Unternehmen der leitende Gesichtspunkt.
In dem Geschäftsbericht über das Krisenjahr 1857/58, in dem noch
90/0 gezahlt werden konnten, heißt es: „Der Verwaltungsrat glaubt
an dem System bedeutender Abschreibungen für Verbesserungen
um so mehr strikt festhalten zu sollen, als gerade in der Branche, die
wir betreiben, stets neue Verbesserungen im Betriebe sich Bahn
brechen und neue Anlagen erfordern, welche aus den Überschüssen
des Betriebes gedeckt werden müssen, wenn nicht eine der gestei-
gerten Produktionskraft entsprechende Vermehrung des Aktienkapi-
tals stattfinden soll."
Die Verhältnisse in dieser ersten Periode werden am besten
beleuchtet durch die finanziellen Ergebnisse derselben.
Jahr
Aktienkapital
Reingewinn
Dividende
1852/3
6
Mill.
M.
572,943 M.
5^
1853/4
6
II
0
604,686 „
Q%
1854/5
6
,,
,,
838,101 „
1074^
1855/6
7,5
,,
II
1,020,780 „
13^
1856/7
7,5
,,
)i
1,257,249 „
13%
1857/8
7,5
II
II
998,224 „
Q%
1858/9
7,5
II
II
621,294 „
H
1859/60
7,5
II
II
254,313 „
3%
1860/1
7,5
,,
,,
338,142 „
H
1861/2
7,5
,,
,,
536.850 „
^%%
1862/3
7,5
II
II
675,900 „
H
1863/4
7,5
„
„
846,867 „
8^
1864/5
8,7
II
II
1,059,600 „
9^
1865/6
8,7
,,
II
1,175,400 „
10^
1866/7
9,093
,,
,,
818,427 „
n
1867/8
9,093
II
II
464,088 „
5^
1868/9
9,507
II
II
665,538 „
1%
1869/70
9,9
II
II
792,021 „
n
1870/1
10 5
II
,,
829,236 „
Q%
1871/2
11,7
,,
,,
1,231,950 „
3%
1872/3
12,0
II
1,
1,267,650 „
H ■
1873/4
14,745
II
,,
624,000 „
H
Die erste Periode wird nun von einer zweiten abgelöst, die
wir von 1873—1895 rechnen können. Es ist eine für den Hörder
Verein unglückliche Zeit. Sie setzt ein mit der großen Krisis des
Jahres 1873. Diese 5 Jahre lang das Geschäftsleben lähmende De-
3*
36 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
pression hat auch für den Hoerder Verein tiefgreifende Folgen ge-
habt. Es ist hier nicht der Ort, die allgemeinen Ursachen des
Niedergangs der Konjunktur zu untersuchen. Ich möchte nur auf
die speziellen, in den Verhältnissen der Eisenindustrie selbst be-
gründeten Ursachen hinweisen, soweit sie in den Geschäftsberichten
angedeutet werden. Es kommt in Betracht:
1. Die Einführung des Bessemerverfahrens, durch das eine Mas-
senproduktion überhaupt erst möglich wurde. Infolgedessen Stär-
kung der englischen Konkurrenz aus früher erwähnten Gründen.
Die Festschrift sagt hierüber folgendes: „Sehr viel trug aber auch
an den schlechten Verhältnissen der Umstand Schuld, daß die Hoch-
ofenindustrie in ihrer technischen Entwicklung zurückgeblieben war
und von der englischen überflügelt wurde. Die in den fünfziger
Jahren erbauten Hochöfen von 16 — 17 Meter Höhe mit ihren ver-
alteten Windheizapparaten hatten für den Betrieb auf weißes Puddel-
eisen verhältnismäßig sehr gute Resultate ergeben; der Koksver-
brauch belief sich nicht höher als auf 1250 — 1350 kg bei einem Möller-
ausbringen von 32 bis 33 o/o. Die Erze, zum großen Teile in der
Umgegend gewonnen, waren billig, das Hörderwerk und andere
Werke mit ihm hatten infolgedessen eine solide Grundlage. Nach-
dem das Bessemerverfahren die Herstellung von Eisenbahnmaterial
mehr und mehr eroberte und auch die Schienen aus Flußstahl her-
gestellt wurden, änderten sich diese Verhältnisse; es mußten mit
hohen Frachtkosten phosphorarme Nassauer, Siegener und Harzer
Erze beschafft werden, die im Vergleich zu den in England ver-
schmolzenen Erzen verhältnismäßig arm waren, während später nach
Einführung der spanischen Erze die an der Küste gelegenen eng-
lischen Hochöfen erst recht im Vorteil waren. Aus diesen Erzen
mußte ein tiefgraues siliqiumreiches Roheisen erblasen werden. Hier-
zu eigneten sich die Hochöfen und Apparate nicht. Der Koksbedarf
stieg in Horde von 1250 auf 1700 bis 1800 kg, ja in den Jahren
1873 und 1874 auf 2200 kg pro Tonne Roheisen. Die tägliche
Produktion ging bei den alten Öfen wieder von 30 Tonnen auf
20 Tonnen zurück. Der 1874 angeblasene neue Hochofen arbeitete
zwar etwas besser, seine Produktion fiel aber gegenüber derjenigen
der alten Öfen nicht ins Gewicht. Die englischen Werke mit ihren
reicheren Erzen rüsteten ihre Anlagen mit größeren Hochöfen und
besseren Windheizapparaten aus, die einen geringen Koksverbrauch
und eine hohe Produktion ergaben. Auch verbesserten sie ihre
Transportvorrichtungen sehr erheblich: in Deutschland fehlte aber
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 37
nach der Überspekulation sowohl das Kapital, wie die Unternehmungs-
lust. Man hatte nicht den Mut, neues Qeld für die jahrein, jahraus
mit Unterbilanz arbeitenden Eisenwerke aufzuwenden, um so weniger,
als der Wechsel in der Zollpolitik der Regierung den letzten Rest
des Vertrauens in die Zukunftspolitik der Eisenindustrie wegnahm."
2. Eine kolossale Abnahme des Innenverbrauchs an Eisen. Der
Bedarf des Inlandes sank von 2,9 Millionen Tonnen im Jahre 1873 auf
1,5 Millionen Tonnen im Jahre 1879; vor allem infolge des plötz-
lichen Nachlassens im Ausbau des Eisenbahnnetzes. Damit im Zu-
sammenhange ein Sinken der Nachfrage nach Schienen, dem wich-
tigsten Massenartikel der großen Werke
3. Der Wettbewerb der seit der Vergrößerung Deutschlands durch
die Annexion Elsaß-Lothringens mitkonkurrierenden Lothringer Eisen-
industrie auf dem deutschen Markt. Der Hinzutritt Elsaß-Loth-
ringens wies die bedeutende Eisenindustrie dieses Landes, die bis
dahin vorwiegend in Frankreich ihren Absatz gefunden hatte, dem
deutschen Markte zu, weil Frankreich seine hohen Eingangszölle
nach dem Kriege aufrechterhielt. Diese Verschiebung in den Ab-
satzverhältnissen Lothringens wurde besonders deshalb so fühlbar,
weil nach Einstellung der Fabrikation schweißeiserner Schienen
diese Werke sich auf die Fabrikation von Fa^oneisen warfen, um
darin den westfälischen Werken Konkurrenz zu machen. In dem
Geschäftsbericht des Hoerder Vereins über das Jahr 1875/76 wird ge-
klagt: „Die Konkurrenz der Bessemerwerke hat die Verkaufspreise
der Gußstahlschienen so sehr herabgedrückt, daß eiserne Schienen
nur noch in sehr seltenen Fällen angewandt werden. Die zuneh-
mende Verwendung eiserner Lang- und Querschwellen ist zwar ge-
eignet, den Ausfall an Arbeit für Eisenschienen einigermaßen zu
ersetzen, doch kommt diese Arbeit hauptsächlich den Lothringer
Werken zugute, welche ihr Absatzgebiet für schwere und leichte
Fa^oneisensorten auf unsern natürlichen Markt ausgedehnt und, be-
günstigt durch die Möglichkeit sehr wohlfeiler Produktion und uns
gegenüber ungerecht billiger Tarife, während des letzten Jahres noch
mehr befestigt haben. Das bedeutende Arbeitsbedürfnis sämtlicher
großer Eisenwerke hat den Langschwellenpreis weit unter die Selbst-
kosten herabgedrückt; dasselbe gilt von Handelseisen und Eisen
zu Bauzwecken. In diesem Artikel wird die westfälische Industrie
durch die Lothringer Werke aus Süddeutschland, der Schweiz und
einem Teile von Mitteldeutschland verdrängt. Die Schlesier, durch
billigeres Roheisen und wohlfeilere Frachten begünstigt, haben große
38 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Vorsprünge vor uns in Sachsen und auf dem Berliner Markte. Die
Nord- und Ostseehäfen werden mit englischer Ware billiger ver-
sorgt, als wir sie aus Westfalen liefern können. Vom Westen her
schränkt Belgien mit seinen, zwar in der Qualität schlechteren, aber
weit billigeren Eisenfabrikaten unser natürliches Absatzgebiet ein,
namentlich soweit es sich um ordinäre Bleche und gewöhnhches
Material für Brückenbau handelt."
4. Aufhebung der Eingangszölle auf Roheisen im Jahre 1873.
Diese Aufhebung war das Resultat der Agitation der Eisengroß-
industriellen, die durchaus Freihändler waren. Ihr hervorragendster
Repräsentant war Freiherr von Stumm. In der Reichstagssitzung
vom 10. Juni 1873 sagte er: Ich kann nur immer und immer wieder-
holen : die deutsche Eisenindustrie verlangt keinen Schutz. Im Gegen-
teil, sie wünscht nur auf das dringendste den internationalen Frei-
handel; sie wünscht es, da sie es in hohem Maße in ihrem Interesse
hält, und ich kann versichern, daß, wenn Sie auch nur die Haupt-
kontinentalstaaten zu einem für Eisen freien Zollgebiet vereinigen
könnten, die Eisenindustrie nicht nur nicht damit zufrieden sein könnte,
sondern sogar besser fahren würde, als sie sich im Augenblicke
befindet. Nach Einführung dieses handelspolitischen Systems aber
machten dieselben Kreise es für die Notlage der Eisenindustrie ver-
antwortlich, die es vorher befürwortet hatten. Dabei darf nicht
außer acht gelassen werden, daß in der Krisenperiode tatsächlich
die Mehreinfuhr von Eisen aller Art von Jahr zu Jahr abnahm und
zwar von 536 000 Tonnen im Jahre 1873 bis auf 39 000 Tonnen
im Jahre 1878 (nach Sering, der alles auf Roheisen umrechnet). 1879
wurde dann im autonomen Tarif ein Roheisenzoll von 10 Mark pro
Tonne eingesetzt, der auch heute noch besteht.
5. Erhöhung der Frachten für Rohmaterialien und Fertigfabrikate
der Eisenindustrie. Über die Tarifierung heißt es in dem Geschäfts-
bericht des Hoerder Vereins von 1874/75: „Den westfälischen Hütten
wird dadurch die Konkurrenz mit Schlesien nach dem Osten unmög-
lich gemacht, indem z. B. die Schlesischen Hütten für Stabeisen
nach Berlin und nach den Ostseehäfen pro Ztr. und Meile 1,24 — 1,74
Pfennige zahlen, während die westfälischen Werke für ihren Trans-
port dahin 1,80—2,50 Pfennige entrichten müssen."
6. Eine Reihe von sozialen Einrichtungen, welche störend auf
die Entwicklung und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Eisenindu-
strie einwirken. Was damit gemeint ist, geht aus folgenden Worten
des Geschäftsberichts über das Jahr 1876/77 hervor: „Wir erkennen
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 39
die Notwendigkeit der bestehenden Organisation unseres Militär-
wesens zur Erhaltung der Größe und Machtstellung unseres Vater-
landes vollkommen an; wir unterstützen in gleicher Weise die hu-
manen Bestrebungen, welche sich in der Gewerbegesetzgebung und
insbesondere in den Bestimmungen über das Lehrlingswesen und die
Beschäftigung jugendlicher Arbeiter dokumentieren. Doch dürfen
wir darauf hinweisen, daß durch diese Einrichtungen der deutschen
Industrie die Heranbildung tüchtiger Arbeiter wesentlich erschwert
wird."
Die Notlage des Hüttenwerkes in der Krisis der 70er Jahre
blieb auch nicht ohne Folgen für das städtische Gemeinwesen. Hoerde
hat heute noch die Züge und den Charakter einer Hüttenstadt.
Es ist mit der Hütte groß geworden und das Wohlergehen des
ganzen Gemeinwesens stand von jeher mit dem Prosperieren des
Werkes in innigem Zusammenhange. In den 70er Jahren hatte die
Stadt Hoerde erst 1 1 000 Einwohner. Sie hat sich mit dem Empor-
wachsen des Werkes stetig vergrößert. Als die Krisis hereinbrach,
begann die Bevölkerungszahl zu sinken. In dem städtischen Budget
machte sich bald ein Defizit bemerkbar, das nur durch steigende
Sätze der kommunalen Klassensteuer ausgeglichen werden konnte.
Die Zahl der Klassensteuerpflichtigen nahm von 1873 — 1876 um
250/0 ab. Das Steuererträgnis verminderte sich um 18 0/0. Der Zu-
schlag zur Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer betrug:
1873 26173%
1874 28173^
1875 310%
1876 350%
1877 420%
Diese enorme Steigerung der kommunalen Lasten infolge der
gesunkenen Rentabilität der Werkstätten rief eine förmUche Flucht
aus der Stadt hervor. Jeder, der nicht gezwungen war, in Hoerde zu
leben, verlegte seinen Wohnsitz nach außerhalb, wodurch allerdings
die Zunahme des Pauperismus noch gefördert wurde.
Während dieser allgemein ungünstigen Verhältnisse wurde so-
gar die Rohstoffpolitik des Hoerder Vereins, die, wie wir erkannten,
auf die Etablierung der Selbstbedarfsdeckungswirtschaft hinauslief,
eine Fessel für denselben. Sie erhöhte seine Produktionskosten gegen-
über den nicht kombinierten Betrieben. Das ist auch 1878 in der
Eisenenquetekommission von dem Sachverständigen des Hoerder
40 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Vereins, Herrn Massenez, offen ausgesprochen worden. Er sagte:*)
„Fast sämtliche Werke, welche ihre Rohmaterialien selbst gewinnen,
sind heute in weit ungünstigerer Lage als diejenigen, welche bloß
eine Veredelung der Materialien vornehmen. Heute arbeitet unsere
ganze Industrie vom Erzbergbau und Kohlenbergbau angefangen,
mit Schaden. Diejenigen Werke, welche die an sich naturgemäßeste
und solideste Basis besitzen, indem sie ihre Rohmaterialien selbst
gewinnen, haben heute mit weit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen,
als Werke, welche beispielsweise lediglich Stahlschienenfabrikation
betreiben und ihre Kohlen und ihr Roheisen kaufen müssen. Wir
kaufen heute unsere Rohmaterialien billiger, als wir sie selbst dar-
zustellen vermögen."
An die Krisis der 70er Jahre schloß sich in den 80er Jahren,
nach einer kurzen Erholung, ein abermaliger großer Konjunktur-
wechsel. Dieser Rhythmus des industriellen Lebens hat den Hoerder
Verein auch in dieser Periode sehr stark beeinflußt. Während in
der Krisis der 70er Jahre die fremde Konkurrenz, namentlich die
englische, der Eisenindustrie tiefe Wunden schlug, war es in der
Krisis der 80er Jahre die Konkurrenz der heimischen Werke unter-
einander, die für den Hoerder Verein große ökonomische Nachteile
im Gefolge hatte. In den 80er Jahren arbeitete das Werk daher
größtenteils ohne finanziellen Erfolg. In dieser Zeit geht namentlich
das Drahtgeschäft zurück, das sich anfang der 80er Jahre in Rhein-
land-Westfalen zu großer Bedeutung entwickelt hatte. Während der
Krisis, die von 1883 — 1888 dauerte, blieben die Aufträge des Aus-
landes größtenteils aus. Infolgedessen wurde bereits 1883 die Draht-
straße des Werkes außer Betrieb gesetzt. Das wirkte zurück auf
die Herstellung des Halbfabrikates, aus dem der Draht hervorgeht,
nämlich der Knüppel (Stahlbillets), deren Produktion auf dem Hoer-
der Werk ziemlich umfangreich war. Von dem genannten Halb-
fabrikat wurden produziert:
1885/6 .... 32,500 Tonnen
1886/7 .... 22,300 „
1887/8 .... 7,900 „
Dieses außerordentliche Zurückgehen der Stahlbilletproduktion
zeigt, wie stark der Markt damals gesättigt war.
Während dieser Krisis wird ein neuer Produktionszweig aufge-
*) Reichsenquete für die Eisenindustrie 1878, p. 386.
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 41
nommen, nämlich die Herstellung von Panzerplatten. In dem Ge-
schäftsbericht von 1887/88 heißt es: „Gegenüber den rasch und in
steigender Progression hervortretenden Anforderungen nach Liefe-
rung von Schiffsbaumaterial für die bedeutendsten Schiffswerften
Deutschlands und von Panzermaterial für das In- und Ausland, konnte
man sich der Notwendigkeit nicht entziehen, die betreffende Ab-
teilung der Hermannshütte mit den erforderlichen Ausrüstungen nach
jeder Richtung hin so rasch als möglich zu versehen." Im Jahre
1887 wurde infolgedessen auf der Hermannshütte die Fabrikation
von Panzerplatten und anderen Schiffsbaumaterialien in großem Um-
fange aufgenommen, nachdem man damit im kleinen bereits vor
einigen Jahren begonnen hatte. Zu diesem Zwecke wird das Mar-
tinwerk auf 8 Öfen vergrößert und eine zweite Reversierblech-
straße aufgestellt. Allein diese Produktion wurde wieder aufge-
geben, wahrscheinlich wegen der Konkurrenz von Gruson. Dies
Werk erdrückte schon damals alle Konkurrenz in diesem Artikel.
1892/93 wurde es dann von Krupp erworben und damit jener un-
geheure Antagonismus geschaffen, unter dem die Weltfirma bis heute
leidet, nämlich auf der einen Seite immer widerstandfähigere Panzer
zu fabrizieren, auf der anderen Seite aber Kanonen, die immer stär-
kere Panzer durchschlagen. Die Festschrift des Hoerder Vereins gibt
als Grund für die Aufgabe der Fabrikation von Panzerplatten an,
daß „sich auf die Dauer die geschaffenen Einrichtungen bei den Fort-
schritten der Technik auf diesem Gebiete nicht als genügend leistungs-
fähig erwiesen."
Der Rest der 80er Jahre, 1886/87—1889/90 ergab dann infolge
Ausgabe von Prioritätsaktien wieder bessere Resultate. Daß aber
die Gesellschaft unter schwierigeren Verhältnissen arbeitete, kam
in der Krisis von 1890/94 zum offenen Durchbruch. Es treten in
diesen Jahren wieder starke Verluste ein, über deren Ursache nichts
Näheres bekannt ist. In den Kreisen der Technik besteht die Meinung,
daß die wissenschaftlichen und vielfach erfolglosen Versuche und die
damit verbundenen experimentellen Anlagen große Summen ver-
schlangen, ohne der Gesellschaft eine Rente abzuwerfen. In dieser
Zeit wird weder für die Prioritäts- noch für die Stammaktien eine
Dividende gezahlt.
Damals in die 80er und den Anfang der 90er Jahre fallen die großen
baulichen Änderungen, die bereits erwähnt wurden. Die umfassenden
Um- und Neubauten konnten in bezug auf ihre Leistungsfähigkeit
nicht zur Ausnutzung gebracht werden, weil in den Krisen die Aufträge
42
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
stark zurückgingen und in einzelnen Artikeln gänzlich zusammen-
schrumpften.
Einen Überblick über die Resultate des Betriebes gibt folgende
Tabelle, die die Zeit von 1874/75 bis 1894/95 umspannt:
Jahr
Aktienkapital
Reingewinn
Dividende
1874/5
14,738,520
M.
—
—
1875/6
14,789,960
,,
—262,786
M.
—
1876/7
)(
n
—881,492
—
1877/8
7,368,900
,,
— 108,092
—
1878/9
II
—
—
1879/80
II
—389,647
—
1880/1
II
381,647
4^
1881/2
II
221,348
—
1882/3
II
467,394
—
1883/4
II
202 998
—
1884/5
II
436,944
—
1885/6
II
896,493
Prior.-Akt.
Stamm-Akt
1886/7
11,868,900
,,
475,000
6^
1^
1887/8
14,868,900
II
700,000
Q%
H
1888/9
22,368,900
,,
700,000
e%
H
1889/90
t)
II
904,0G0
,,
5%
—
1890/1
,,
II
—1,549,549
—
—
1891/2
II
,,
-2,404,574
—
—
1892/3
II
II
—2,404,575
—
—
1893/4
17,508,000
,,
263,088
—
—
1894/5
II
„
898,191
—
—
In der sich an das letztgenannte Jahr anschließenden Auf-
schwungsperiode folgten die Betriebsergebnisse der rasch ansteigen-
den Konjunktur, um dann allerdings in den Jahren 1901/02 wieder
wenig befriedigend zu sein.
Über die letzte Depressionsperiode äußert sich der Geschäfts-
bericht von 1902/03 folgendermaßen: „Um unsere Werke in solchem
Umfange beschäftigen zu können, daß ein einigermaßen rationeller
Betrieb möglich war, mußten große Mengen unserer Fabrikate für
die Ausfuhr verkauft werden. Hierbei hatte der freie, ungehinderte
Wettbewerb der deutschen Werke untereinander zur Folge, daß die
Preise immer weiter zurückgingen und schließlich einen Stand er-
reichten, der eine volle Deckung der Selbstkosten gewiß in vielen
Fällen ausgeschlossen hat. Von welcher Bedeutung für unsere Ge-
sellschaft das Exportgeschäft geworden ist, erhellt daraus, daß vom
Gesamtversand unserer Fabrikate, der im Jahre 1902/03 sich auf
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
43
352 035 Tonnen bezifferte, 150 850 Tonnen = 42,85 o/o exportiert
wurden.
Über das Betriebskapital, den Reingewinn und die Dividende
der letzten Hochkonjunk-tur und der sich daran schließenden Baisse
geben folgende Zahlen Aufschluß:
Jahr
Aktienkapital
Reingewinn
Di\idende
Prior-Aktien
Stamm-Akt
1895/6
22,528,090 M.
1,349,055 M.
5%
-
1896,7
25,528,000 ,.
2,410,620 „
H
-
1897,8
» 1.
3,831,717 „
n
n
1898 '9
27,028,000 „
4,797,198 „
14?
n
1899/1900
II n
4,660,301 „
14?
9?
1900/1
II II
3,169,162 „
10?
5^
1901 2
II II
2,048,013^,,
-
-
1902 3
1,508,037 „
4?
-
Dieser Überblick über die finanziellen Ergebnisse ist sehr
lehrreich.
Wir sehen : Während ihres 50jährigen Bestehens
hat, Nsenn wir von dem letzten Jahre absehen, die
Gesellschaft 17 Jahre hindurch keine Dividende ge-
zahlt. Wegen Mangel an Material ist es nicht mög-
lich, die speziellen Ursachen der schlechten Ge-
schäfte in jeder einzelnen Periode genau festzu-
stellen. Eins aber ergibt sich aus dem Vorhergehen-
den mit genügender Sicherheit: Die Perioden des
Niederganges der Konjunktur sind gerade bei dem
Hoerder Verein besonders scharf und prononziert
zum Ausdruck gekommen. Allerdings hatdie Krisis,
die in seine erste Entwicklung fällt, ihn wenig affi-
ziert, um so tiefer aber gruben die Baissen in den
folgenden drei Dezennien ihre Furchen ein. Das-
selbe gilt von der Krisis IQOOff.
Aber trotzdem steht das Hoerder Werk keineswegs als Ausnahme
da. Seine Gewinnergebnisse sind nur ein Spiegel der Unternehmer-
gewinne der Eisenindustrie im allgemeinen. Denn nach den Unter-
suchungen Waggons') beträgt das durchschnittliche Dividendenein-
kommen des Aktionärs in der deutschen Eisenindustrie nur zwischen
5 — 6o/o. Diese Industrie rangiert nach seiner Einteilung an vor-
letzter Stelle.
*) Eduard V7aggon : Die finanzielle Ent^ricklung der deutschen Aktien-
gesellschaften von 1870—1900. Jena 1903, pag. 169.
44 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Eng verknüpft mit dem Wechsel der Konjunktur und den Qe-
Schäftsergebnissen des Hoerder Vereins steht die Geschichte
des Aktienkapitals und des ganzen finanziellen Auf-
baus dieser Unternehmung. Wir sahen, daß die ersten Jahre seines
Bestehens eine Zeit großer Blüte der deutschen Eisenindustrie waren.
Infolgedessen tritt schon relativ frühzeitig das Streben nach Expansion,
nach Erweiterung der Anlagen und Vergrößerung der Betriebsmittel
hervor. Aber in den 50er Jahren hatte der emporkeimende Groß-
betrieb noch nicht die Bewegungsfreiheit, die er heute besitzt. Das
alte Aktienrecht- forderte für die Kapitalserhöhungen die Einholung
der Genehmigung der Staatsregierung. Diesen Weg mußte auch
der Hoerder Verein einschlagen, nachdem bereits in der ersten Gene-
ralversammlung im Jahre 1852 eine Vergrößerung des Kapitals be-
schlossen war. Diese Genehmigung aber wurde versagt. Die Re-
gierung stand damals noch im Banne der Traditionen des 17. und
18. Jahrhunderts, die die Erhaltung und Förderung des Kleinbetriebes
sich zum Ziele setzten. Darunter hat das Großkapital anfangs viel
zu leiden gehabt. Ehe diese Fesseln gesprengt wurden, war das
Unternehmertum darauf angewiesen, womöglich den Monarchen selbst
für seine Pläne zu gewinnen. Diese Gelegenheit trat für den Hörder
Verein ein, als der damalige König Friedrich Wilhelm IV. am 6. Ok-
tober 1855 die Werksanlagen besichtigte. Die Folge davon war,
daß die Zustimmung der Regierung nicht allzulange darauf, am
21. Mai 1856, erteilt wurde. Das Aktienkapital wurde um IV2 Millionen
erhöht und die jungen Aktien den Aktionären al Pari angeboten. Diese
Erhöhung trat zuerst auf in der Bilanz des Jahres 1855/56. Dann
bleibt das Aktienkapital von 71/2 Millionen Mark stabil bis zum
Jahr 1863/64.
An die Aufnahme der Bessemerstahlerzeugung auf der Hermanns-
hütte schließt sich nun eine Kette von Kapitalserhöhungen. Bis zum
Ausbruch der großen Krisis des Jahres 1873 steigt es allmählich von
7,5 auf 14,7 Millionen Mark. Mit einem, wenn auch langsam ver-
doppelten Betriebskapitale tritt das Unternehmen in die Krisis. Nun
haben wir früher bereits gesehen, daß 4 Jahre mit einer Unterbilanz
von 1,6 Millionen Mark abschlössen, und 2 Jahre weder Gewinn noch
Verlust hatten (siehe Seite 42). Nachdem bereits für Abschreibung
und Verluste in den Jahren 1873/74 und 1874/75 der Reservefond auf-
gezehrt worden war, wurde am 1. Juli 1878 die Unterbilanz der voran-
gehenden Jahre durch ein Verfahren aus der Welt geschafft, das bei
Aktiengesellschaften in Finanzkalamitäten sehr oft vorkommt. Der
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 45
Nominalwert der Aktien wurde von 600 auf 300 Mark heruntergesetzt,
das heißt, das gesamte Aktienkapital um die Hälfte vermindert. Das
Aktienkapital von 14,7 Millionen Mark betrug, auf die Hälfte redu-
ziert, noch 7,37 Millionen Mark. Daraus ergibt sich ein ebenso
hoher Buchgewinn. Mit dieser ungeheuren Summe von 7,37 Millionen
Mark hat die Gesellschaft einmal ihre Verluste gedeckt, die in den
Bilanzen der Jahre 1875/76—1877/78 nur mit 1,2 Millionen Mark
angegeben sind, was vielleicht zu niedrig ist, andererseits den bis auf
die Neige erschöpften Reservefond gespeist, so daß dieser mit dem
Betrage von 1 Million Mark nahezu wieder die Höhe der 60er
Jahre erreichte. Das Jahr 1879/80, in dem die Eisenindustrie wieder
einen Aufschwung nahm, schloß trotzdem für den Hoerder Verein
mit einem Verlust im Betrage von 389 647 Mark ab, der jedoch aus
dem Reservefond gedeckt werden konnte.
In den Anfang der 80er Jahre fällt dann die vollständige Re-
konstruktion der Hermannshütte. Es wurde ein Thomaswerk mit
drei Zehntonnen-Konvertern errichtet, weil das alte, im Jahre 1863
erbaute Bessemerwerk nicht mehr konkurrenzfähig war. Ferner trat
an Stelle des alten ein neues Bandagenwalzwerk. Zu ihm gesellte
sich ein Hammerwerk mit Hämmern von 250 und 35 Ztr. Schwere.
Zur besseren Verwertung der Stahlabfälle und zum Zwecke der Her-
stellung besonderer Stahl- und Flußeisenqualitäten wird ein Siemens-
martinwerk von drei Öfen und Nebenanlagen gebaut. Im Stahlschienen-
walzwerk wird eine neue schwere Walzenstraße für die Fabrikation
von Schienen, Schwellen, Drahtknüppeln und schweren Fa^oneisen
aufgestellt, und die Adjustage für Schienen und Schwellen auf mehr
als das Doppelte vergrößert. Das Stabeisenwalzwerk wird transloziert,
ebenso die Achsen- und Universalstraße; die Drahtstraße wird im
Räume des ehemaligen Schienenwalzwerkes aufgestellt. Mit diesen
Um- und Neubauten mußte sich notwendigerweise eine vollständige
Umgestaltung des Gleisnetzes der Verbindungsbahn, und zur Ge-
winnung der Bauplätze und Lagerräume eine ganz enorme Bewegung
von Erd-, Schlacken- und Schuttmassen verbinden. Diese Massen um-
faßten einen Inhalt von mehr als 150 000 cbm.
Die hier bloß in ihren wesentlichen Punkten angedeutete be-
triebstechnische Rekonstruktion im Anfang der 80er Jahre
erforderte natürlich große Geldmittel. Bis zum 1. Juli 1884 betrug der
Kostenaufwand für die Um- und Neubauten ca. 7,3 Millionen Mark.
Ein Teil dieser Neubauten wurde aus dem Buchgewinn bezahlt, der
46 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
durch die Reduktion des Aktienkapitals entstanden war. Außerdem
hatte die Gesellschaft 1880 eine Anleihe von 4 Millionen Mark auf-
genommen.
Außer dem Aktienkapital und dieser Anleihe aber hatte der
Hoerder Verein noch bedeutende Bankschulden. In den 70er und
80er Jahren mußte er den Bankkredit in hohem Maße in Anspruch
nehmen. Die beiden Bankhäuser, mit denen er hauptsächlich in
Verbindung stand, waren der A. Schaaffhausensche Bankverein und
Deichmann & Co. Diese Firmen versagten auch in den schlechten
Zeiten ihre finanzielle Unterstützung nicht, ja, sie konnten auch
gar nicht anders. Der A. Schaaffhausensche Bankverein hat es
selbst einmal in einem seiner Geschäftsberichte, dem über das Jahr
1875, ausgesprochen, daß die Banken sich der Industrie gegen-
über in einer Zwangslage befinden. Sie sind in schlechten Zeiten
genötigt, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Sicher-
heit der eigenen, bereits geleisteten Vorschüsse zu gewähren und
den Weiterbetrieb der betreffenden Werke zu ermöglichen. Es bleibt
den Banken häufig nichts anderes übrig, als von zwei Übeln das
kleinere zu wählen. Aus diesem Grunde ist auch die Verbindung
zwischen den Effektenbanken und der Industrie in den Zeiten der
Krisen eine verhältnismäßig innige.
Als nun der Buchgewinn verbraucht und der Bankkredit bis an
seine Grenze gespannt war, wurde ein neuer Weg eingeschlagen,
um dem Unternehmen Geld zuzuführen. Im Jahre 1887 wurde be-
schlossen, das Grundkapital von 7 368 900 Mark durch Ausgabe von
Prioritätsaktien auf 14 868 900 Mark zu erhöhen. Es wurde also eine
neue Kategorie von Aktien geschaffen, die den bisherigen, den nun-
mehrigen Stammaktien, im Dividendenbezuge vorausgehen sollten.
Die 7,5 Millionen Prioritätsaktien sollten den 7,3 Millionen Stamm-
aktien gegenüber vorweg eine Dividende von 5 o/o erhalten. Im
Jahre 1889 erfolgte eine weitere Erhöhung um 7,5 Millionen Mark,
so daß das im Dividendengenuß privilegierte Kapital jetzt doppelt
so groß war als das Stammkapital.
Aber das allein genügte noch nicht. Anfang der 90er Jahre
war die Situation so kritisch geworden, daß der Hoerder Verein tat-
sächlich vor dem Bankrott stand. Über diese Zeit sagt die Festschrift
folgendes: „Am 1. Juli 1891 war wiederum eine erhebliche schwe-
bende Schuld aufgelaufen, während zugleich nach einem kurzen Auf-
schwung der Konjunktur in den Jahren 1889 und 1890, von der
Mitte des Jahres 1890 an, ein heftiger geschäftlicher Rückschlag ein-
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 47
getreteil war, welcher eine erhebliche Entwertung der Bestände
des Werkes und einen Arbeitsmangel auf demselben zur Folge
hatte. Durch diese Umstände war der Hoerder Verein in eine
sehr kritische Lage geraten, und nur eine weitere kräftige Unter-
stützung seitens der Banken konnte denselben vor dem Unter-
gang bewahren.** Die tieferliegenden Ursachen dieser ungünstigen
Lage sind, wie schon gesagt, heute schwer festzustellen. Teilweise
dürften sie mit den Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre vor-
genommenen Umbauten in Zusammenhang stehen. In dem Geschäfts-
bericht über das Jahr 1889/90 heißt es: „Die Lage der wichtigsten
Walzwerkabteilungen zur Produktionsstätte und des von ihnen zu ver-
arbeitenden Materials der Gußstahlfabrik (gemeint ist das Thomas-
werk) war von jeher eine ungünstige und bedingte weite Trans-
porte auf ungünstig situierten Wegen." Infolgedessen wird ein
neues Block- und Fertigwalzwerk für Schienen, Schwellen, Knüp-
pel, Platinen und schwere Fagoneisen in der Nähe des Thomas-
werkes angelegt. Mit der Inbetriebsetzung dieser Anlage erhoffte
man eine fundamentale Veränderung des ganzen Walzwerkbetriebes
für schwere Profileisen und eine Vereinfachung im Betriebe des
Thomaswerkes beim Gießen der Blöcke, sowie eine namhafte Ver-
minderung der Abfälle beim Gießen und Walzen. Mit diesen An-
deutungen allein aber sind die Ursachen der finanziellen Krisis des
Hoerder Vereins natürlich nicht erschöpft.
Diese technische und die noch nötigere finanzielle Reorganisation
der Gesellschaft übernahm der bis zum Jahre 1903 an der Spitze
des Unternehmens stehende Geheime Kommerzienrat Tüll. Gegen
eine starke Opposition aus Aktionärkreisen wurde nun ein Plan
in die Praxis umgesetzt, der folgende Grundzüge aufweist. Zunächst
wird eine neue hypothekarisch eingetragene Anleihe von 10 Mill.
Mark aufgenommen. Durch Beschluß der Generalversammlung vom
11. Dezember 1893 wird den Aktionären die Wahl gelassen, „die
Prioritätsaktien entweder durch Zuzahlung von 25 o/o oder durch
Zusammenlegung von 3:1 in Prioritätsaktien A, die Stammaktien
durch Zuzahlung von 50 o/o ebenfalls zu Prioritätsaktien A, oder
durch Zusammenlegung von 8:1 zu neuen Stammaktien umzuwan-
deln." Der Erfolg dieses Beschlusses war, daß die Gesellschaft
neue Mittel erhielt. Die Konversion ergab eine verfügbare Summe
von 9 622 565 Mark, davon wurden verwandt: 2,4 Millionen zur
Deckung der Unterbilanz, 6,2 Millionen Mark zu außerordentlichen
Abschreibungen und der Rest zur Dotierung verschiedener Fonds.
48 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
Das der Gesellschaft außerdem zugeführte neue Aktienkapital be-
lief sich auf 4 885 500 Mark. Das gesamte Aktienkapital der Gesell-
schaft betrug nach Ausführung des Beschlusses der Generalversamm-
lung 16980000 Mark Prioritätsaktien lit. A und 528 000 Mark Stamm-
aktien. Mit diesen Maßregeln war die finanzielle Reorganisation
vollendet. Nicht w^eniger als eine Summe von mehr als 9V2 Millionen
Mark war nötig gewesen, um das Unternehmen vor dem Kon-
kurse zu retten!
Mit dem Beginn der Hochkonjunktur im Jahre 1895 tritt der
Hoerder Verein in eine Periode der Kapitalserhöhungen. Durch Gene-
ralversammlungsbeschluß vom 28. Oktober 1895 wird das Aktien-
kapital durch Ausgabe von weiteren 5 020 000 Mark Prioritätsaktien
lit. A auf 22 Millionen Mark, durch Beschluß vom 15. Februar 1897
auf 25 Millionen Mark und durch Beschluß vom 22. Oktober 1898
auf 26,5 Millionen Mark erhöht. Heute beträgt es, wenn man die
528 000 Mark Stammaktien hinzurechnet, 27 028 000 Mark. Dazu
kommt eine Obligationsschuld von 9 588 000 Mark und eine un-
bedeutende Hypothekenschuld von 1693 Mark nach der Bilanz vom
30. Juni 1903.
Das wäre in kurzen Zügen die Geschichte der finanziellen Schick-
sale des Hoerder Vereins. Fassen wir noch einmal die Hauptpunkte
zusammen: Die Gesellschaft begann mit einem Kapi-
tal von 6Millionen, heute beträgt dasselbe etwas
über 27 Millionen Mark. Zwischen diesen beiden
Zahlen liegt eine etwa zwanzigjährige Periode er-
füllter Erwartungen und eine etwa ebensolange Pe-
riodederEnttäuschung. Dieletztere,diewirbereits
in dem Abschnitt über den Einfluß der Krisen auf
das Werk kennen lernten, weist zweimal große Kapi-
talreduktionen auf. Die erste, am Ende der 70er
Jahre, ergibt einen Buchgewinn von 7,5 Millionen
Mark (1876/7 7), diezweite,amAnfangder90erJahre,
einen solchen von 9,6 Millionen Mark, das heißt über
17 Millionen Mark gingen den Aktionären verloren,
ganz abgesehen davon, daß sie 17 Jahre lang über-
haupt keine Dividende bezogen. Die finanzielle Re-
konstruktion beruhte, wie wir sahen, hauptsächlich
in der Schaffung privilegierter Aktien lit. A. Diese
Aktien bestehen noch heute. Alles in allem ergibt
sich, daß das Unternehmen zwar seine finanziellen
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 49
Krisen unter der Patronage seiner alten Bankver-
bindungen übervvundenhat, daßaberdiese Überwin-
dung erkauft war mit großen und dauernden Opfern
von Seiten der Aktionäre.
Unsere Schilderung würde unvollständig sein, wollten wir nicht
auch den Einfluß behandeln, den das Hoerder Werk auf seine
Umgebung ausgeübt hat. Es hat zunächst den Charakter der Ge-
gend verändert. Aus einem agrarischen ist ein industrielles Milieu ge-
worden. An anderer Stelle wurde bereits bemerkt, daß die Tendenz
zur Vermehrung der Produktivkräfte jedem kapitalistischen Unter-
nehmen weseneigentümlich ist. Auch der Hoerder Verein dehnte sich
aus, er erweiterte seine Produktionsmittel und occupierte früher land-
wirtschaftlich benutztes Terrain. Die anliegenden Wiesen und Felder
wurden aufgekauft. Wo einst blühende Blumen sich im Winde
wiegten, da entladen jetzt hohe Schornsteine ihre Rauchmassen.
Die gesamten Anlagen bedecken heute einen Flächenraum von 2V2
Millionen qm. Dieses Terrain wird durchkreuzt von zahlreichen
Schienenwegen. Die Länge der eigenen Schienenwege beläuft sich
heute auf 95 km. Die Innentransporte werden von 44 Lokomotiven
ausgeführt. Die Zahl der eigenen normalspurigen Eisenbahnwagen
beträgt 380.
Ein so großes Unternehmen braucht natürlich tausende von
Arbeitskräften. Als in dem eh-rials landwirtschaftlichen Milieu
die schwere Industrie Fuß faßte — und es geschah das bekannt-
lich hier viel später als in Oberschlesien — da hatte sie sich die Arbeiter
in einem hartnäckigen Kampfe mit der Landwirtschaft erst zu erobern.
Es war ein langandauernder Anlockungsprozeß. Er bewirkte, daß die
Verdichtung der Bevölkerung zunahm. 1834 zählte Hoerde 1471 Ein-
wohner, 1900 aber ca. 25 000. Die Arbeiterzahl des Hoerder Vereins
betrug 1852 ca. 1700, 1860 ca. 2600, 1870 4525, 1880 3044, heute be-
trägt sie 7694 (nach dem Geschäftsbericht des Jahres 1902/03.)
Diese Arbeitermassen mußten vermehrt und vermindert werden
können, denn für den Hoerder Verein, wie für jedes kapitalistische
Unternehmen, ist es von größter Wichtigkeit, seine Arbeiterzahl
der jeweiligen Größe der Produktion anzuschmiegen. Der gebundene
Arbeitsvertrag, wie ihn die alte Berggesetzgebung kannte, war daher
nicht geeignet, den Betrieb dem Wechsel der Konjunktur anzu-
passen. Das Jahr 1860 brachte dann der Montanindustrie den freien
Areitsvertrag. Der Geschäftsbericht über das Krisenjahr 1859/60
stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 4
50 1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein.
erwähnt in dieser Beziehung, „daß ein Gesetz erlassen sei, — gemeint
ist die 1860 erlassene Novelle zur Gewerbeordnung von 1851 —
welches von allen Bergbauunternehmern als ein bedeutender Fort-
schritt mit Freuden begrüßt worden sei. Die gesetzliche Bestimmung
vom 21. Mai 1860, wodurch die Annahme und Entlassung von
Bergleuten der freien Vereinbarung anheim gegeben wurde, sichere
die allein gedeihliche freie Verwendung der sich darbietenden Arbeits-
kräfte, jene unnatürlich beengenden Schranken beseitigend, welche,
als ein Ausfluß des Rechtes der Bergbehörden, die An- und Ab-
legung der zum Knappschaftsverbande gehörigen Bergarbeiter zu
verfügen, sowie die sogenannten Normallöhne festzustellen, sich bis-
her mit so nachteiligem Effekte geltend machten, daß sie eine privi-
legierte Arbeiterkaste statuierte. Der Wegfall des früheren Übel-
standes werde die ersprießliche Folge haben, daß durch eine ein-
heitliche, ausschließlich von dem Werksbeamten gehandhabte Dis-
ziplin der Arbeiter zur Folgsamkeit und zu gesteigerten Leistungen
angehalten werden könne und so einer, bei Aussicht auf gewisser-
maßen garantierten Normallohn immer tiefer einreißenden Erschlaf-
fung selbst der besseren Kräfte vorgebeugt werde."
Natürlich konnten die Arbeiter, die das Werk brauchte, nicht
aus den heimatlichen Fluren allein herangezogen werden. Zwar
setzten sich bei jeder Betriebsvergrößerung früher zahlreiche Be-
wohner des Sauerlandes und Hessens in Bewegung, aber die Men-
schenmasse der benachbarten Bezirke reichte nicht aus ; immer größer
wurde der Bedarf nach Eisen- und Hüttenarbeitern, und so wurde denn
schließlich der deutsche Osten als Rekrutierungsbezirk für die west-
fälische Montanindustrie in Angriff genommen. Das ist der Zug
nach dem Westen, auf dessen Geschichte und psychologische und
soziale Bedeutung und Begründung ich hier nicht näher eingehen
kann.
Um diese Massen zu halten, mußten Arbeiterwohlfahrts-
einrichtungen geschaffen werden. In erster Linie wurden Ar-
beiterwohnhäuser gebaut. Werke, die dies unterließen, hatten dauernd
nicht genügend Arbeitskräfte, bis sie sich auch dazu entschlossen. Noch
in der ersten Zeit des Bestehens hatte der Hoerder Verein viel unter
Arbeitermangel zu leiden. In der Festschrift heißt es hierüber : „Die Zahl
der Puddelöfen, Dampfhämmer und anderer Betriebsmaschinen vmrde
allmählich vergrößert (im Jahre 1857/58 wurden 53 Puddelöfen be-
trieben), einer allzu großen Ausdehnung des Betriebs wurde aber
dadurch gesteuert, daß es sehr viele Schwierigkeiten machte, eine
1. Der Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein. 51
genügende Zahl Arbeiter anzuwerben und denselben Wohnungen zu
verschaffen." Über die Arbeiterwohnungspolitik macht der Geschäfts-
bericht von 1868/69 einige Andeutungen. Dort heißt es: „Zwar
hat das bisher voit uns befolgte System, den soliden Arbeiter durch
Gewährung von Vorschüssen aus der Krankenkasse zur Erwerbung
einer eigenen Wohnstätte aufzumuntern, gute Früchte getragen, es
entspricht jedoch dieser Modus nicht mehr den gesteigerten Be-
dürfnissen. Die Verwaltung beschloß daher, auf einem bereits acqui-
rierten und sehr passend gelegenen Terrain in der Nähe des Klaren-
bergs nach und nach eine größere Anzahl Arbeiterwohnungen zu
errichten und damit bereits im neuen Geschäftsjahre zu beginnen."
Der Hoerder Verein gab also, wie hieraus hervorgeht, den Ar-
beitern ursprünglich Darlehn zum Bau der eigenen Wohnstätten,
dann aber nimmt die Gesellschaft den Bau selbst in die Hand, und
es entstehen die bekannten Arbeiterkolonien. Heute hat der Verein
in der Nähe seiner verschiedenen Werks- und Grubenanlagen 210
Wohnhäuser mit 86 Beamten- und 666 Arbeiterwohnungen; außer-
dem eine Arbeiterkaserne, in welcher 180 Arbeiter ohne Familien
wohnen.
Nun kam es aber nicht bloß darauf an, dem Arbeiter während der
Dauer des Arbeitsvertrages eine Wohnung zu garantieren, sondern
auch ihn bis zu einem gewissen Grade gegen die Wechselfälle
des Lebens sicher zu stellen. Zu diesem Zwecke wird eine von dem
Vorgänger des Hoerder Vereins begründete Krankenkasse gleich im
ersten Geschäftsjahre zu einer Unterstützungs- und Pensionskasse er-
weitert. Sie gewährte dem Arbeiter in Krankheitsfällen freie ärztliche
Behandlung, freie Medikamente und einen entsprechenden Beitrag
für den sonstigen Lebensunterhalt. In Todesfällen wurden aus ihr
die Beerdigungskosten bestritten, sowie eine Unterstützung der Wit-
wen. Der arbeitsunfähig Gewordene erhielt aus ihr eine Pension.
Die Alimentierung der Kasse erfolgte durch eine Beisteuer der Ar-
beiter und durch einen Zuschuß der Gesellschaft. Über das Ver-
hältnis des Anteiles beider Zuschüsse ist nichts Näheres angegeben.
Wir sehen hier bereits die Vorläufer der modernen Arbeiterversiche-
rung. Längst ehe die staatliche Arbeiterfürsorge einsetzte, hatte der
gesunde Egoismus der Unternehmer im Bergwerks- und Hütten-
betrieb erkannt, welche Aufgaben auf diesem Gebiete vorliegen.
1857 wurde dann ein Krankenhaus für kranke und verletzte Arbeiter
erbaut und im Jahre 1897 durch Anbau eines Flügels vergrößert.
4*
52 1. Der Hoerder Berg^'erks- und Hüttenverein.
Neben dieser Unterstützungskasse schuf man eine Sparkasse;
durch dieselbe sollte der Arbeiter wirtschaftlich erzogen werden.
Um auch „auf seine sittliche und geistige Fortbildung einen
wohltätigen Einfluß auszuüben" wurde auf Veranlassung der König-
lichen Regierung zu Arnsberg eine Sonntagsschule ins Leben gerufen.
Fassen wir zusammen : Mit der Entwicklung des Hoer-
der Vereins verblaßt allmählich der landwirtschaft-
liche Charakter der Gegend, die umwohnenden Ar-
beiter treten in den Dienst der Fabrik. Mit der Aus-
dehnung der Betriebs anlagen aber feicht die hei-
mische Bevölkerung zur Deckung der Arbeiternach-
frage von Seiten des Werkes nichtmehr aus. Es wer-
den Arbeiter aus dem Sauerlande und aus Hessen
angeworben. Schließlich stellt der deutsche Osten
ein ansehnliches Kontingent. Heute nimmt der pol-
nische Arbeiter einen dauernden Platz in den west-
fälischen Hüttenwerken ein. Diese nähern sich da-
durch den oberschlesischen Betrieben, wo durch die
billige Arbeit des polnischen Arbeiters eine Ermäßi-
gung der Produktionskosten erzielt wird. Infolge
der Vergrößerung des Hoerder Werkes steigt die Ar-
beite rzahl von der Mitte des vorigen bis zum Anfange
desneuenjahrhundertsvonl700aufüber700 0. Diese
Arbeitermassen konnten dauernd dem H Order Verein
nur erhalten bleiben durch Schaffung von Wohl-
fahrtseinrichtungen. Als solche lernten wir kennen
vor allem Arb eiterkolonien, eine Arbeiterkaserne,
eine Krankenkasse, die seit Bestehen der Reichs-
versicherungsgesetzgebung von der Pensionskasse
getrennt ist, dann eine Sparkasse und eine Sonntags-
schule. Jedenfalls können wir sagen: der Hoerder Verein
hatdieseEinrichtungengeschaffen, weil es ihm sonst
nicht möglich gewesen wäre, einen festen Arbeiter-
stand zu erhalten. Sozialpolitisch betrachtet er-
füllen diese Wohlfahrtseinrichtungen kaum das Mi-
nimum an Forderungen, das man in dieser Beziehung
an sie zu stellen berechtigt ist.
2. Die Ilseder Hütte.
Das erste Projekt der Gründung des im folgenden dargestellten
Unternehmens knüpft an die Entdeckung reicher Brauneisenerzlager
an, die um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts in der Nähe des
Dorfes Groß-Ilsede bei Peine in Hannover gefunden wurden. Auch
hier entsprang der Plan, diese Naturschätze auszubeuten, ganz wie wir
dies beim Hocrder Bergwerks- und Hüttenverein kennen gelernt
hatten, der Interessensphäre des mobilen Kapitals. Der erste, der
die neue Entdeckung finanzierte, war ein Celler Privatbankier namens
Hostmann. Er gründete 1856 die Bergbau- und Hüttengesellschaft zu
Peine und begann im folgenden Jahre mit dem Bau der Hütte. Bald
darauf wurden die nach dem Statut notwendigen Organe bestellt, und die
Organisation der kaufmännischen und technischen Beamten begonnen.
Aber die historische Temperatur dieses Jahres war nicht günstig.
Die aufsteigende Konjunktur war ins Stocken geraten, nachdem be-
reits vorher das Wetterleuchten am politischen Firmament den allzu
stürmischen Unternehmungsgeist des Großkapitals etwas gedämpft
hatte. Die große Handels- und Kreditkrisis des Jahres 1857, deren
Schatten noch die folgenden Jahre verdunkeln, durchkreuzten die
Pläne des genannten Finanziers. Wohl aus diesem Grunde war die
von ihm ins Leben gerufene Aktiengesellschaft eine Totgeburt. Die
Hütte kam gar nicht in Betrieb. Sie figuriert in der Liste der ver-
krachten Unternehmungen. Zwar hatte der Prospekt die glänzendsten
Erwartungen ausgesprochen : Mit einem projektierten Betriebskapital
von 15 Millionen Mark sollten nicht weniger als 8 Hochöfen nebst
Zubehör gebaut werden. Ein Walzwerk, eine Gießerei, eine Maschinen-
fabrik sollten das Eisen ^u Halb- und Ganzfabrikaten veredeln. Allein
von dem Kapital wurde nur ein minimaler Teil gezeichnet und das
großartig gedachte Unternehmen kam nicht zur Ausführung. Die
Presse griff es an, die Regierung des damaligen Königreichs Han-
nover legte ihm alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg, und
54 2. Die Ilseder Hütte.
so war das Resultat ein vollständiger Mißerfolg. 1858 geriet der Grün-
der der Gesellschaft in Konkurs; er verlor sein ganzes Vermögen.
Unter der Wucht dieser Tatsache nahm sich der unglückliche Mann
das Leben. Auf den Trümmern der alten wurde von seinem Schwieger-
sohn, dem Rechtsanwalt Haarmann, 1858 eine neue Gesellschaft ge-
bildet, die das Bergwerk aus der Debetmasse des Toten erstand.
„Außerdem wurde durch einen Kontrakt mit dem Hostmannschen
Kurator der Hüttenplatz, die angefangenen Hochöfen und sonstigen
Bauten, die angelieferten Kessel und Maschinen und die aufgehäuften
Vorräte, sowie alle mit der Bergbau- und Hüttengesellschaft zu Peine
zusammenhängenden Rechte gegen eine Zahlung von 195 000 Mark
in bar und 30 000 Mark in Aktien und gegen die Verpflichtung,
Aktionäre, Beamte und Baugläubiger dieser Gesellschaft, wenn und
so weit sie im Konkurse zur prioritätsmäßigen Befriedigung ge-
langen würden, abzufinden, eigentümlich erworben."*) Die verjüngte
Gesellschaft konstituierte sich unter der Firma Ilseder Hütte.
Sie repräsentierte ein reines Roheisenwerk. Dasselbe eröffnete
seinen Betrieb am 12. September 1860. An diesem Tage wurde
der erste der beiden Hochöfen angeblasen. Zu den Hochöfen
gehörten zwei Gebläsemaschinen mit zusammen 540 cbm ansaug-
barem Luftquantum pro Minute und eine Kesselanlage mit 16 Dampf-
kesseln. Zum Zwecke der Bewegung der Erzmassen wurde eine
Grubenbahn gebaut. Sie war schmalspurig und für den Pferde-
betrieb eingerichtet. Die Ausführung und die Kosten übernahm eine
Hamburger Firma. Letztere betrugen 75 000 Mark. Dafür mußte
die Gesellschaft 5 o/o Zinsen auf 108 000 Mark, d. h. auf die Ab-
tretungssumme nach 5 Jahren und 1 Pfg. Zinsen für jeden trans-
portierten Zentner Erz zahlen. 1870 wurde dann der Roßbahnbetrieb
durch den Lokomotivbetrieb ersetzt. Das war die ursprüngliche An-
lage, die bei weitem nicht an die umfassenden Pläne eines kombinier-
ten Betriebes heranreichte, die Hostmann realisieren wollte. Aber sein
Name sollte doch in den Annalen des Unternehmens weiter fortleben.
Es stellte sich nämlich heraus, daß Hostmann noch Forderungen an
die Bergbau- und Hüttengesellschaft zu Peine hatte. Dafür erhielten
nun seine Witwe und deren Erben eine jährliche Rente von 2 o/o des
Reingewinns. Später wurde daraus eine fixe Rente von jährlich 9000
Mark. Gegenwärtig erscheint unter den Passiven der Bilanz der
*) Siehe Festschrift: Die Ilseder Hütte, ihre Entstehung und weitere Ent-
wicklung von 1858 bis auf die heutige Zeit. Hannover 1884.
2. Die Ilseder Hütte. 55
Ilseder Hütte 120 000 Mark Ablösungskapital, aus dem die jähr-
liche Rente gezahlt wird. Diese Einrichtung war ursprünglich ge-
rechtfertigt, zumal da auch die Familie in ärmlichen Verhältnissen
lebte. Heute, nach 40 Jahren, hat sie jeden Sinn verloren.
Die Geschichte der neuen Gesellschaft, die zunächst mit einem
Aktienkapital von ca. IV2 Millionen Mark arbeitete, ist zunächst eine
Leidensgeschichte, befeuchtet von den Tränen, die die Krisis 1857
bis 1861 im Gefolge hatte. Die Produktion des Unternehmens be-
ruhte, wie aus der ganzen Betriebsanlage hervorgeht, ausschließlich
auf der Produktion von Roheisen. Der eine im Betriebe befind-
liche Hochofen produzierte damals pro Hochofentag I9V2 Tonnen.
Vergleicht man diese Leistung mit der heute üblichen, — 1902
produzierte ein Hochofen der Ilseder Hütte 209 Tonnen pro Hoch-
ofentag — so muß man die erstere Leistung als erstaunlich niedrig
bezeichnen. Zu der geringen Leistung gesellten sich die Schwierig-
keiten des Absatzes. Am 1. Januar 1863 besaß die Hütte ein un-
verkauftes Lager von 3020 Tonnen Roheisen. 1866 sogar von 7200
Tonnen. Die Konsumenten wollten das Eisen wegen seines hohen
Phosphorgehaltes nicht verarbeiten. Man kannte damals noch kein
Verfahren, um denselben zu beseitigen. Das Eisen wurde brüchig
und für viele Zwecke der Fabrikation untauglich. Die Sprödigkeit
der Abnehmer, die der des Eisens mindestens gleichkam, ließ sich
nur durch niedrige Verkaufspreise überwinden. Der erste Geschäfts-
bericht*) erzählt uns, wie der Hochofen abwechselnd an- und aus-
geblasen werden mußte. Dann kam ein neues Unglück: Der Kern-
schacht brannte durch und der Ofen mußte außer Betrieb gesetzt
werden. 1864 war der eine Hochofen nur 183, der andere 224
Tage in Betrieb, das heißt die beiden Hochöfen feierten zusammen
325 Tage, oder jeder beinahe ein halbes Jahr (genau 5 Monate).
1863 schloß die Hütte mit einem Defizit von 41 982 Mark ab.
Die Aktien lagen in den Händen einmal der früheren Aktionäre,
die bereits Einzahlung auf die alte Gesellschaft geleistet hatten, und
zweitens in den Händen der Handwerker und Gläubiger, die mit Aktien
bezahlt wurden, da es an Geld fehlte. Jahrelang erhielten diese Leute
keine Dividende. 1861 wurden zwar 3 0/0 verteilt, in den folgenden
3 Jahren aber gar nichts. Auch in die Geschäftsberichte zog der
Pessimismus ein: Ein Ton der Klage geht durch alle Zeilen. Vor
*) Siehe Bericht der Ilseder Hütte über den Betrieb der Hütte seit ihrer
Gründung. Celle 1865.
56 2. Die Ilseder Hütte.
allem war es der große Geldmangel, der der Gesellschaft die
freie Atmung nahm. Es klingt fast wie Ironie, wenn in dem Ge-
schäftsbericht von 1865 die Frage erwogen wird, ob das notwen-
dige Kapital aus den Betriebsüberschüssen auf Kosten der Dividenden
beschafft werden sollte, oder aber durch eine Anleihe. Man hatte
bereits drei Anleihen aufgenommen. Die vierte, die man nunmehr
projektierte, belief sich auf über 405 000 Mark. Addiert man aber
sämtliche Betriebsüberschüsse von 1861 — 1865 zusammen, ohne Be-
rücksichtigung des Verlustes von 41 982 Mark im Jahre 1863, so
kommt man noch nicht einmal auf die Hälfte der notwendigen
Summe (200 693 Mark). Das erforderliche Geld wurde also durch
eine Anleihe aufzubringen versucht. Es dürfte wohl selten der
Fall sein, daß die Obligationen eines industriellen Unternehmens
zu so günstigen Bedingungen offeriert wurden, wie die der Ilseder
Hütte. Der Betrag von 405 000 Mark sollte unter folgenden Be-
dingungen zur Emission gelangen: Die auf das Vermögen der
Ilseder Hütte zu ingrossierende Anleihe, welche in 1080 Abschnitte
ä 375 Mark zerlegt wird, ist von Seiten der Darleiher unkündbar,
wird mit 7 o/o verzinst und gewährt dem Inhaber das Recht, im Falle
die Aktionäre der Hütte eine Dividende von mehr als 7 o/o erhalten,
die gleiche Mehrsumme als Überdividende zu erheben, zu welchem
Zwecke den Obligationen Zins- und Dividendencoupons beigefügt
sind. Die Ilseder Hütte ist berechtigt, nach 5 Jahren die Anleihe auf
einmal oder in beliebigen Abteilungen, in letzterem Falle durch
Auslösung, in der Art zu kündigen, daß sie dem Inhaber den fünf-
zehnfachen jährlichen Durchschnittsbetrag der von demselben seit
der Emission genossenen Zinsen und Dividenden auszahlt. Außer-
dem wurde den Obligationären versprochen, daß das Grundkapital
nicht vermehrt werden sollte, und daß die noch unbegebenen Aktien
außer Kurs zu setzen seien. Man sollte meinen, das Kapital würde
in Massen auf solche verlockenden Bedingungen eingegangen sein.
Aber das Gegenteil war der Fall. In dem Geschäftsbericht von 1866
heißt es: „Inzwischen sind die Zeitverhältnisse für die Begebung
dieser Anleihe so ungünstig gewesen, daß von dieser Anleihe noch
233 250 Mark zu plazieren sind." Das war ein vollständiger Miß-
erfolg, der in das System von Widerwärtigkeiten hineinpaßt, mit
denen das Schicksal die erste Jugend der Ilseder Hütte trübte. Es
mag genügen, an diesem einen Beispiele aus der finanziellen Ent-
wicklung die Schwierigkeiten anzudeuten, mit denen das Unternehmen
zu kämpfen hatte.
2. Die Ilseder Hütte. 57
Wer hätte damals in den 60er Jahren ahnen können, daß die
Aktien der Ilseder Hütte dereinst wie ein Meteor am Horizont der
Börse aufsteigen und das rentabelste Anlagepapier auf
dem Eisenmarkte werden würden!
Welches waren nun die Ursachen, die aus diesem unfruchtbaren
Boden ein blühendes Gewächs hervorwachsen ließen, unbildlich ge-
sprochen, die das alte mit Verlust arbeitende oder nur ganz kärg-
lichen Gewinn abwerfende Werk in ein Überfluß über Tausende von
Menschen ausschüttendes Unternehmen verwandelten? Das wollen
wir nunmehr untersuchen. Die Beantwortung dieser Frage soll als
Leitmotiv für die folgenden Ausführungen gelten, denn in der
überdurchschnittlichen Höhe des Ertrages liegt das
Charakteristische der ökonomischen Entwicklung
des Unternehmens.
Auf drei großen Quadern sollte sich das spätere Gebäude eines
hochrentierten Unternehmens erheben. Diese waren
1. Der natürliche metallurgische Reichtum und die Beschaffenheit
der zur Ilseder Hütte gehörenden Erzfelder, oder national-
ökonomisch gesprochen, das Vorhandensein einer Differential-
rente.
2. Die Finanzpolitik des Unternehmens.
3. Die Gründung und spätere Erwerbung des Peiner Walzwerkes
und die mit dieser Kombination verbundene vollständige Än-
derung in den Absatzverhältnissen,
Kapital und Arbeit der Aktiengesellschaft Ilseder Hütte basieren
auf ausgedehnten, größtenteils in der Nähe der Hütte vorhandenen Erz-
lagern, die sich in einer Mächtigkeit von 6 — 20 m, 4,5 — 5 km in die
Breite und ca, 10 km in die Länge erstrecken. Aus diesem Reichtum
der Erde schöpft die Gesellschaft ihren wichtigsten Rohstoff für
den Hüttenbetrieb, Aus ihm stellt sie ihr Roheisen her und zwar
ursprünglich in zwei, heute in drei Hochöfen (hinzu kommt einer
außer Betrieb),
Aber das Erz ist nicht nur in so großer Masse vorhanden,
daß es für unübersehbare Zeit zur Alimentierung der Öfen aus-
reicht, sondern es liegt auch so nahe an der Erdoberfläche, daß
die Kosten der Gewinnung sehr geringe sind. In der Eisenenquete-
kommission des Jahres 1878 äußerte sich ein Sachverständiger, Herr
Wintzer, über diese Verhältnisse folgendermaßen:*) „Bekanntlich
*) Reichsenquete für die Eisenindustrie, 1878, p. 252.
58 2. Die Ilseder Hütte.
produziert das Ilseder Werk das verhältnismäßig meiste und billigste
Eisen, aber ich darf wohl sagen, wohl auch mit das schlechteste,
das in Norddeutschland produziert wird. Es produziert aber, und
auch solches Eisen wird verkauft. Es rangiert stets mit dem Luxem-
burger Eisen, hat aber mehr Mangan wie letzteres und gewisse
gute Eigenschaften: Es wird sehr schweißbares Stabeisen daraus
hergestellt. Die Produktionskosten in Ilsede sind so erstaunlich billig,
daß es Ihnen wohl von Interesse sein wird, auch darüber die Zahlen
zu hören. Es liegt das aber in den natürlichenVerhältnissen
des Erzvorkommens: Die Leute haben keine Erzgruben, son-
dern Erzfelsen, wovon sie herunterhauen, Kalkstein und Eisenstein,
alles ist durcheinandergewachsen. Sie können die Erze nehmen,
wie sie sie für die billigste Fabrikation gebrauchen." Die Selbst-
kosten gibt der genannte Experte für Ilseder Erze nebst Zuschlägen
auf 2,60 Mark pro Tonne an.
Die Gesellschaft betreibt heute 10 Gruben, davon 8 im Tagebau.
Der Abbau erfolgt terrassenförmig. Erst in neuester Zeit hat man
in zwei Abteilungen mit dem Tiefbau begonnen. Vorläufig ist man
damit beschäftigt, den unterirdischen Abbau durch Strecken und
Bremsberge vorzurichten, da der Tagebau in einigen Jahren wegen
der Mächtigkeit des Deckgebirges nicht mehr rationell sein dürfte.
Gegen Ende der 60er Jahre aber war daran noch nicht zu denken.
Die Eisenerze lagen noch an der Peripherie der Erdoberfläche, mit
Kreidemergel überdeckt, der von den Abräumern damals wie heute
losgesprengt und abgefahren wurde. Dieser Tagebau ist bedeutend
billiger wie der Tiefbau. Es sind keine kostspieligen Schächte und
maschinellen Einrichtungen nötig, um das Erz ans Tageshcht zu
fördern. Bohrmaschinen z. B. werden beim Tagebau nicht verwandt.
Eine solche elektrische Bohrmaschine, System Siemens & Halske,
deren das Werk heute im Tiefbau 7 besitzt, kostet immerhin 4000
Mark, und eine mit Preßluft getriebene, von denen gegenwärtig
6 vorhanden sind, ca. 800 Mark. Vor allem aber fallen ins Gewicht die
Förderkosten. Je tiefer in die Nacht der Erde der Bergmann steigen
muß, desto höher werden unter sonst gleichen Verhältnissen die Pro-
duktionskosten. Wir haben in ganz Deutschland ähnlich günstige Ver-
hältnisse wie in Ilsede nur in Elsaß-Lothringen und Luxemburg.
Dort wird die Minette, ein Brauneisenerz, das etwas feinkörniger ist,
unter ebenso günstigen Bedingungen gewonnen, aber die Erträge
erreichen doch nicht die der Ilseder Hütte. Wir haben also die
Erfolge der Ilseder Hütte zunächst in einer von der Natur gegebenen,
2. Die Ilseder Hütte.
59
von der menschlichen Intelligenz ganz unabhängigen Tatsache zu
suchen: In der Ausdehnung der Erzlager und der Lagerung des
Eisens an der Oberfläche der Erde. Der sich hieraus erge-
bende Mehrertrag ist also ökonomisch die Folge des
Bestehens einer Differentialrente. Infolgedessen sind
die Herstellungskosten des Roheisens in Ilsede sehr geringe, jeden-
falls geringer als auf den konkurrierenden Werken Rheinland-West-
falens und auch Oberschlesiens, obgleich die Ilseder Hütte diesen
Werken gegenüber insofern im Nachteil ist, weil sie die für den
Produktionsprozeß nötigen Kohlen und Koks in Ermangelung eigener
Kohlenzechen kaufen muß. Wie niedrig vergleichsweise die Selbst-
kosten des Roheisens in Ilsede sind, geht auch aus den Angaben Sym-
phers hervor, die dieser auf Grund einer Erhebung im Jahre 1895
in einer Denkschrift*) macht. Danach betrugen die Selbstkosten
für Thomas- und Puddelroheisen pro Tonne :
im Ruhrgebiet
auf der
Ilsederhütte
in Oberschlesien
Erzeinsatz und Zuschläge .
Kohlen und Koks ....
Löhne für Arbeiter inkl.
Ingenieure, Materialien
und Reparaturen . . .
27,50 M.
12,00 „
6,50 „
8,00 M.
16,50 „
6,50 „
30,50 M.
14,00 „
7,50 „
46,00 M.
31,00 M.
52,00 M.
Auf dieser Basis niedriger Produktionskosten konnte nun die
Unternehmertätigkeit mit Erfolg einsetzen, wenn es gelang, mit einem
Minimum an Kapital ein Maximum an Leistung zu erzielen. Die
ersten Ansätze dazu wurden gemacht in der Aufschwungsperiode
von 1868—1873. Am Schluß der 60er Jahre verspürte das Unter-
nehmen den ersten Hauch einer besseren Zeit, und diese Periode
ist es auch, in der die Grundlagen der späteren Prosperität teils ge-
legt, teils gefestigt werden. Eine bedeutende Rolle spielt nun die
finanzielle Rekonstruktion des Unternehmens und seine spätere Finanz-
politik, die von großem Erfolge begleitet war.
Bis zum Jahre 1868 hatte die Ilseder Hütte wie eingangs er-
wähnt, mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Aufnahme von
*) Sympher: Die wirtschaftliche Bedeutung des Rhein -Elbe -Kanals,
Berlin 1899, p. 144/5.
60 2. Die Ilseder Hütte.
Hypotheken und anderen Anleihen begegneten Mißtrauen und Be-
denken. Die Zinssätze waren hoch, und die Plazierung verursachte
vielfach Schwierigkeiten. So wurde, um noch ein Beispiel anzu-
führen, 1864 um den Bau einer normalspurigen Eisenbahn von llsede
nach Peine zu ermöglichen, eine 5prozentige Anleihe von 456600
Mark zum Emissionskurse von 72 o/o ausgegeben, d. h. das Kapital
mußte mit ca. 7 o/o verzinst werden.
Die Ilseder Hütte brauchte als kapitalistisches, schon in ihrer
ersten Entwicklungsperiode rasch wachsendes Unternehmen natür-
lich fortwährend große finanzielle Mittel. Um diese zu erhalten,
gab es drei verschiedene Wege. Die Verwaltung konnte den kurz-
fristigen Lombardkredit in Anspruch nehmen, und das hat sie auch
in großem Maßstabe getan. Aber es ist eine alte Erfahrung, daß
dieser Kredit sehr teuer ist. Der Lombardzins, der lo/o über Bank-
diskont notiert, eignet sich daher nicht für längere Inanspruchnahme.
!n den Zeiten der Not, wo dieser Weg allein offen stand, hat die
Hütte ihr Zinsenausgabekonto hierfür stark belasten müssen.
Der zweite Weg ist die Erhöhung des Aktienkapitals durch Aus-
gabe junger Aktien. Von dieser Möglichkeit ist von der Verwaltung
wenig Gebrauch gemacht worden. Das eingezahlte Kapital betrug
1861 1543 500 Mark; erst 1869 wird es auf 1950 000 Mark erhöht,
und auf dieser Höhe bleibt es bis zum Jahre 1880, wo das Peiner
Walzwerk, wie wir später sehen werden, hinzuerworben wurde.
Ein dritter Weg ist die Ausgabe von Obligationen. Dieser Weg
ist von der Hütte in umfangreichem Maße beschritten worden. In
den Jahren 1866 — 1868 überstieg die Höhe der Anleihen die Höhe
des Aktienkapitals. Für die folgenden Jahre stellte sich das Ver-
hältnis folgendermaßen: Das Aktienkapital betrug, wie erwähnt,
1950 000 Mark, die Obligationsschuld:
1869 1,500,750 M.
1870 1,558,050 „
1871 1,403,019 „
1872 1,638,183 „
1873 1,568,979 „
Der Schwerpunkt der finanziellen Leistungsfähigkeit aber lag
darin, daß die Verwaltung begann, große Reservefonds zu schaffen
und die Mittel für die notwendigen neuen Anlagen aus den Be-
triebsüberschüssen zu bestreiten.
Durch dieses Verfahren ist es in der Tat möglich geworden,
2. Die Ilseder Hütte. 61
das Aktienkapital nicht stark und schnell anwachsen zu lassen. Darin
liegt in bezug auf die finanzielle Entwicklung der Schlüssel, warum
die Ilseder Hütte später so hohe Dividenden abwarf, wie sie keine
andere Aktiengesellschaft der Eisenindustrie zahlte, denn die Rein-
erträge ergeben eine um so höhere Dividende, je kleiner das Aktien-
kapital ist, auf das die Rente berechnet wird. Die erwähnte Finanz-
politik wird nun schon frühzeitig durchgeführt.
Der Rohgewinn steigt von 1868—1873 von 394134 Mark bis
auf 1 503 352 Mark. Aus diesen Steigerungen werden die Reserve-
fonds gespeist. Diese betrugen, wenn man die Ziffern für Amorti-
sations- und Abschreibungskonto, den eigentlichen Reservefond und
die Betriebsreserve addiert,
1868 . .
. . 487,869 M.
1871 . .
. . 1,484,784 M,
1869 . .
. . 838,197 „
1872 . .
. . 1,983,084 „
1870 . .
. . 1,195,377 „
1873 . .
. . 2,910,964 „
Unter Zuhilfenahme dieser Summen konnte man nicht nur an-
fangs die aus den Anlagekonten ersichtlichen Neuanschaffungen be-
zahlen, sondern später sogar noch einen Teil der Hypotheken tilgen
und das Betriebskapital vermehren. Das ist die gute, alte Geschäfts-
praxis, die eine hohe Verzinsung des Kapitals überhaupt erst er-
möglicht. Aber sie ist kausal betrachtet immerhin abhängig von den
Überschüssen, die der Betrieb liefert. Diesem Prinzip ist man in
der ganzen weiteren Geschichte der Ilseder Hütte treu geblieben.
So heißt es z. B. in der von der Verwaltung anläßlich des 25jährigen
Bestehens der Hütte herausgegebenen Festschrift: „Die Verwaltung
betrachtete es bei ihrer festen Überzeugung von der Entwicklungs-
fähigkeit der Gesellschaft von vornherein als eine Hauptaufgabe,
durch vorsichtige Verwendung der erzielten Überschüsse diese Ent-
wicklung möglichst ohne Heranziehung neuen Kapitals zu fördern."
So enthielten die drei Reservekonti 1883 6 609 306 Mark mehr als am
31, Dezember 1867. Es sind also in den genannten 16 Jahren nicht
nur sämtliche Neuanlagen und Erwerbungen aus den Überschüssen
bestritten, sondern noch ca. 855 000 Mark zur Tilgung von Hypo-
theken und Vermehrung des Betriebskapitals verwandt worden.
Die ökonomisch günstige Entwicklung der Ilseder Hütte be-
ruht in dritter Linie auf der Existenz des Peiner Walzwerkes, Es
ist dies eine Aktiengesellschaft, die 1872 mit einem Kapital von
1 050 000 Mark gegründet wurde ; eingezahlt wurden nur 945 000
Mark. Aber damals ahnte man noch nicht, daß man am Vorabend
62 2. Die Ilseder Hütte.
eines großen Konjunkturniederganges stand, der einem halben De-
zennium seinen Stempel aufdrücken sollte. Daher kam es, daß
gerade mit dem Beginn der Krisis der Betrieb eröffnet wurde. Ge-
genstand des Unternehmens war, wie es im Prospekt hieß, die Ver-
hüttung und Verarbeitung von Eisen, die Einrichtung und der Be-
trieb aller dazu notwendigen oder damit zusammenhängenden Hütten-
werke und Fabriketablissements, sowie der Absatz der Erzeugnisse.
Dieses Programm ist, solange das Werk autonom war, nicht voll-
ständig verwirklicht worden. Die Anlage umfaßte nur 8 Puddel-
und 3 Schweißöfen, eine Walzenstraße zum Auswalzen der Luppen
und zur Erzeugung von schwerem Stabeisen und eine zweite
Walzenstraße für Stabeisen in leichteren Dimensionen. Das
Peiner Werk beruhte also auf der Herstellung von Handels-
eisen. Die zum Puddeln erforderliche Roheisenmenge sicherte es
sich durch einen Lieferungsvertrag mit der Ilseder Hütte. Die
große Bedeutung dieses Unternehmens für die Ilseder Hütte,
die die Gründung intellektuell und materiell begünstigt und gefördert
hatte, lag nun darin, daß das Ilseder Roheisen nicht mehr weit ent-
fernt nach den westfälischen Puddel- und Walzwerken abgesetzt
werden brauchte, sondern daß der Hauptabnehmer in nächster Nähe
der Hütte war. Auch das Walzwerk betont in seinen Kundgebungen
wiederholt, daß das wichtigste Moment seines ganzen Betriebes die
tunlichst ausschließliche Verarbeitung des Ilseder Roheisens sei. Be-
reits im ersten Geschäftsbericht der neuen Aktiengesellschaft (1. Juli
1873 — 30. Juni 1874) heißt es: „Mit Genugtuung dürfen wir aber
auch gleichzeitig darauf hinweisen, daß die Voraussetzungen, auf
welche die Gründung unseres Etablissements basiert wurde, sich
während der ersten Betriebszeit bereits als richtig herausgestellt
haben, nämlich der Vorsprung, den unser Werk durch die Nähe der
Ilseder Hütte vor anderen Konkurrenzw^erken hat, die gleich uns
Ilseder Roheisen verarbeiten." Dieses gegenseitige Aufeinander-
angewiesensein erzeugte zwischen beiden Werken eine Interessen-
solidarität. Die Folge davon war, wie wir später sehen werden,
eine endgültige Vereinigung in dem Sinne, daß das ganze Walzwerk
von der Ilseder Hütte aufgekauft und die Aktien in ihrem Tresor
deponiert wurden.
So lange es dem Peiner Walzwerke allerdings schlecht ging,
hatte man daran nicht gedacht, und es ging ihm anfangs sehr
schlecht. Es eröffnete, wie schon erwähnt, seinen Betrieb, als die
Sterne der wirtschaftlichen Hochkonjunktur erblaßten und im Nieder-
2. Die Ilseder Hütte. 63
gange begriffen waren. Mit einem verhältnismäßig wenig geschulten
Personal warf sich das Werk, wie oben bemerkt, hauptsächlich auf
die Produktion von Stabeisen. Im ersten Jahre 1873/74 wurden
davon 2633 Tonnen hergestellt und eine geringe Menge Gruben-
schienen. Der Preis des Stabeisens fiel jedoch in den ersten 12
Monaten des Betriebes von 360 auf 180 Mark pro Tonne. Das Roh-
eisen sank von 102 auf 60 Mark. Das Fabrikat entwertete
sich also weit rascher als das Rohmaterial. Walzeisen war seit
dem Sommer 1873 fast unverkäuflich. Der Verlust des ersten
Jahres betrug 1 1 202 Mark, das Defizit des zweiten belief sich
auf 58 627 Mark. Diese ungünstigen Resultate verführten dann
dazu, lediglich auf Bestellung zu arbeiten. Dies aber hatte eine nicht
unwesentliche Verteuerung der Produktion zur Folge. In dem Be-
richt des Walzwerkes aus dem Jahre 1874/75 heißt es: „Die ein-
gegangenen Aufträge blieben hinter der Leistungsfähigkeit unseres
Werkes zurück, und die meisten der Aufträge bestanden regelmäßig
aus vielen verschiedenen Dimensionen.*) Während das erste Moment
die volle Ausnutzung der Werkseinrichtungen nicht gestattete, ver-
ursachte der andere Umstand durch das notwendige Auswechseln
der Walzen häufige Betriebsstillstände, welche auf den Eisenabbrand,
(d. h. den Verlust) und den Kohlenverbrauch ungünstigen Einfluß
ausübten. Inzwischen ist bei so ungünstigen Konjunkturen eine
teurere Produktion bei vollem Absatz ein geringeres Übel als eine
billigere Produktion verbunden mit einem Aufstapeln der Produkte."
Schließlich sagt der Bericht resigniert: „Wenn die Verhältnisse sich
noch weiter verschlimmern, so werden wir den Betrieb bis zum Ein-
tritt besserer Konjunkturen einstellen müssen."
In dieser Unglückszeit war es, als man begann, die Wirkung der
zollfreien Eiseneinfuhr auf die deutsch*^ Eisenindustrie für deren
ungünstige Situation verantwortlich zu machen. „Rings umgeben
von Ländern, welche durch Schutzzölle den Eintritt des deutschen
Eisens erschwerten, seewärts von der englischen Konkurrenz blockiert,
im Innern mit der durch vorteilhaftere elementare Grundlagen über-
legenen und dabei durch die billigeren Differentialtarife protegierten
englischen und belgischen Konkurrenz kämpfend, erschien die deutsche
Eisenindustrie in schwerer Gefahr."
In unvergleichlich besserer Lage als das Peiner Walzwerk be-
*) Gemeint sind Aufträge für Stabeisen in verschiedenen Dimensionen.
64 2. Die Ilseder Hütte.
fand sich in den 70er Jahren die Ilseder Hütte. Dies geht aus
folgenden Zahlen hervor:
1873 1874 1875 1876
Roheisenproduktion in Tonnen . 54,018 38,679 57,983 55,715
Produktionskosten ausschließlich
Generalkosten pro Tonne in M. 64,65 47,90 39,04 33,40
Betriebsüberschuß minus Gene-
ralkosten 1,503,352 529,797 620,481 505,783
Dividende in Prozent 20 20 62/3 6
1877 1878 1879
Roheisenproduktion in Tonnen 61,783 69,383 76,854
Produktionskosten ausschließlich Generalkosten 29,67 27,88 25,20
Betriebsüberschuß minus Generalkosten . . . 492,860 649,963 614,573
Dividende in Prozent 673 10 10
Diese Zahlen zeigen
1. Eine zwar stark oszillierende, sich aber — vom Jahre 1874
abgesehen — auf der Höhe der Hochkonjunkturperiode haltende,
allerdings von Jahr zu Jahr im Werte abnehmende Roheisenpro-
duktion.
2. Im Gegensatz zum Peiner Walzwerk eine enorme Abnahme
der Produktionskosten. Hier kam der Hütte zu gute vor allem das
Sinken der Kohlenpreise. Sie besaß, damals wie heute, keine eigenen
Kohlengruben. Auch die Verbesserung der technischen Anlagen hat
sicherlich mitgewirkt. Die Anlagekonten weisen stets hohe Summen auf.
Wie wesentlich technische Verbesserungen durch Ersparung von Roh-
material den Betrieb verbilligen, geht unter anderem aus einer Ver-
gleichung des Verbrauches an Koks und Kohle hervor. Pro Tonne
Roheisen wurden verbraucht:
1873
1874
1875
1876
1877
1878
an Koks in kg
1233
1127
1118
1086
1067
997
an Kohle in kg
333
193
68
12
0
1,6
Die Abnahme des Koksverbrauchs ist ganz evident, mehr noch
die der Kohle. Die letztere Tatsache hängt damit zusammen, daß
man in dieser Periode beginnt, die Hochofengase zum Heizen der
Dampfkessel zu benutzen.
Leider ist es nicht möglich, volkswirtschaftlich näher ins Detail
dieser Erscheinung einzudringen. Wir erkennen hier nur die Ge-
samtwirkung, ohne im Einzelnen zu wissen, welcher Anteil an dem
Sinken der Produktionskosten dem Rohmaterialpreise, der Technik,
den Arbeitslöhnen etc. beizumessen ist.
2. Die Ilseder Hütte. 65
3. Ein Herunterstürzen der Betriebsüberschüsse von V/o auf ca.
V2 Million, aber dann eine ziemlich gleichbleibende Bewegung um
diese letztere Ziffer.
Allerdings blieb die Hütte auch vor Verlusten nicht verschont,
aber sie beschränkten sich auf kleinere Summen. 1874 hatte sie
von dem Braunschweiger Walzwerke für Roheisenlieferungen noch
48 546 Mark zu fordern. Im Geschäftsbericht dieses Jahres heißt es :
„Leider übersteigen die Forderungen der vorgehenden Hypotheken-
gläubiger so sehr den Wert der Aktiva, daß wir beim Konkursver-
fahren auf unsere Forderungen irgend welche Zahlung nicht hatten
erwarten können, weshalb wir es vorzogen, unsere Forderungen im
Akkordverfahren für den Betrag von 7500 Mark zu verkaufen."
Außer dieser Firma stellten noch 6 andere Unternehmungen, mit
denen die Hütte geschäftlich liiert war, ihre Zahlungen ein. Bei
4 dieser liquidierenden Firmen beliefen sich am 31. Dezember 1875
die Restforderungen auf insgesamt 169 228 Mark; diese Summe ist
nicht ganz verloren gegangen, denn in den folgenden Jahren wurde
ein Teil derselben bezahlt. Alles in allem: Von der Ausschei-
dung der ungeeigneten Elemente in dem großen
Stoff wechselproze ß der 70er Jahre konnte die Il-
seder Hütte nicht ganz unberührt bleiben. Die er-
littenen Schädigungen aber reichen lange nicht an
die anderer Werke heran. Das wirksamste Mittel, um
die Krisis abzuschwächen war, wie wir sahen, die
sucessive Heruntersetzung der Produktionskosten
der Tonne Roheisen von 6 4,6 5 Mark auf 2 5,2 0 Mark.
Dadurch wurde eine Verbilligung erzielt, die die ge-
sunkenen Roheisenpreise teilweise überkompen-
sierte.
In der kritischen Periode der 70er Jahre war nach alledem der
Augenblick zu einer Vereinigung der Ilseder Hütte mit dem Peiner
Walzwerk noch nicht gekommen. Mit dem Jahre 1880 aber beginnt,
nachdem schon das vorhergehende Jahr eine Besserung gebracht
hatte, das deutsche Wirtschaftsleben wieder schneller und kräftiger
zu pulsieren. Nunmehr tritt das bereits früher angedeutete Ereignis
ein, das für die künftige Geschichte der Ilseder Hütte von aller-
größter Bedeutung sein sollte : Die Kombination mit dem Peiner Walz-
werk. Durch eine Erhöhung des Betriebskapitals der Ilseder Hütte
um 262 500 Mark werden die Mittel beschafft, um das Peiner Walz-
werk zu erwerben. Beide Aktiengesellschaften werden durch eine
stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 5
66 2. Die Ilseder Hütte.
Art Personalunion miteinander verbunden. Über diese Transaktion
enthält die Festschrift folgendes: „Es wurde deshalb beschlossen,
das Peiner Walzwerk zu erwerben, und zwar indirekt durch den
Ankauf sämtlicher Aktien. Es geschah dieses in der Weise, daß für
je eingezahlte 360 Mark Peiner Walzwerkaktien 100 Mark Ilseder
Hüttenaktien angeboten wurden, welches Angebot in kurzer Zeit
von sämtlichen Aktionären des Peiner Walzwerkes akzeptiert wurde.
Da das eingezahlte Aktienkapital des Peiner Walzwerkes 945 000
Mark betrug, so wurden für deren Erwerb im ganzen 262 500 Mark
neue Ilseder Hüttenaktien emittiert. Die Ilseder Hütte wurde da-
durch alleiniger Aktionär des Peiner Walzwerkes; der bequemeren
Organisation wegen blieb jedoch das Peiner Walzwerk als besondere
Gesellschaft bestehen. Für die emittierten 262 500 Mark Aktien er-
warb die Ilseder Hütte das im flotten lohnenden Betriebe befind-
liche Walzwerk mit einem sehr günstig gelegenen und beschaffe-
nen Areal von ca. 70 Morgen, und außer den Werksanlagen eine
Reihe von Arbeiterhäusern, Beamtenwohnungen usw., und endlich mit
einem flüssigen Betriebskapital von ca. 135 000 Mark."
Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß die Aktionäre der
Hütte gleichzeitig indirekt Aktionäre des Walzwerkes wurden. In
der Bilanz des Peiner Walzwerks steht heute, nachdem 1892 eine Er-
höhung des ursprünglichen Kapitals von 1 050 000 Mark um 4 950 000
Mark eingetreten war, das für das Walzwerk ausgeworfene Er-
werbskapital, nämlich nom. 5 317 500 Mark, selbstverständlich mit
dem vollen Nennwert, d. h. mit 6 Millionen zu Buch. Da die Bilanz
des Peiner Walzwerks in der Bilanz der Ilseder Hütte aufgeht,
so ist dadurch eine stille Reserve von 682 500 Mark geschaffen.
Der ökonomische Effekt der Aufsaugung des Peiner Walz-
werks durch die Ilseder Hütte war nun der, daß das von der
letzteren produzierte Roheisen seinen Weltmarktpreis verlor. Ihre
Einnahmen werden unabhängig von den Schwankungen der Roheisen-
preise. Sie werden bestimmt durch die Verwertungsmöglichkeit des
Fabrikates. Allerdings geschieht diese Änderung nicht mit einem
Schlage. Erst im Laufe der Zeit wird die Konsumkraft des Walz-
werkes so stark, daß nahezu sämtliches in Groß-Ilsede erzeugte
Eisen von ihm verbraucht werden kann. Heute ist der Absatz an
fremde Abnehmer minimal. Von dem erzeugten und vom Vorjahre
übernommenen Roheisen erhielt 1892 das Peiner Walzwerk 232445000
Kilogramm. An andere Abnehmer wurde abgesetzt nur 51 900 kg.
Mit dieser Kombination wird die Möglichkeit gegeben, nicht
2. Die Ilseder Hütte. 67
wie bisher nur mit billigem Roheisen die Konkur-
renz aus dem Felde zu schlagen, sondern nunmehr
fast ausschließlich mit billigen Halb- und Oanz-
fabrikaten.
Was die finanzielle Seite der Transaktion anbelangt, so möchte
ich nur auf einen Punkt aufmerksam machen. Das Walzwerk schließt
entweder mit gar keinem oder aber mit verhältnismäßig kleinem
Gewinn ab, der regelmäßig auf neue Rechnung vorgetragen wird.
Es zahlt keine Dividende. Das überrascht. Diese eigenartige Er-
scheinung steht meines Erachtens damit im Zusammenhange, daß
durch diese Methode der Bilanzierung eine nicht unwesentliche
Steuerersparnis erzielt wird. Zu ihrer Illustration möchte ich einige
Zahlen für die letzten drei Jahre heranziehen. Die Kommunalein-
kommensteuer betrug in Peme 1899/1900 130 o/o und in den beiden
folgenden Jahren 170 o/o. Die Erhöhung von 130 auf 170 hat ihren
Grund darin, daß bis 1900 in der Stadt Peine noch eine besondere
Kreissteuer von 40 o/o zur Erhebung gelangte, die jetzt von der
Stadtkasse in einer Summe an den Kreis abgeführt wird. In Oroß-
Ilsede hingegen betrug die Kommunaleinkommensteuer im Durch-
schnitt der letzten Jahre nur 2 o/o der Staatseinkommensteuer. Aller-
dings wird außerdem noch die Kreissteuer in Höhe von 40 o/o der
Staatseinkommensteuer erhoben. Es hängt also mit der eigenartigen
Bilanzierung eine nicht unbedeutende Steuerersparnis des Unter-
nehmens zusammen, die privatvvirtschaftlich ja berechtigt sein mag,
volkswirtschaftlich aber Bedenken unterliegt. Denn die finanziellen
Erträgnisse des Unternehmens fließen nicht aus dem Verkauf des
Roheisens, sondern der Walzwerkfabrikate. Infolgedessen ist auch
das in Peine gelegene Walzwerk Hauptsteuersubjekt, nicht aber
die Ilseder Hütte. Diese Steuerverhältnisse geben den Schlüssel,
warum die Ilseder Hütte das Peiner Walzwerk unter dauernder
Kontrolle hält und aus ihm eine unselbständige juristische Person
macht, die im wesentlichen nur kleine oder keine Überschüsse liefert,
obgleich doch im Grunde genommen von der Verwertung des Fabri-
kates der ganze Erfolg des Unternehmens abhängt. Wir lernen
hier in der mit den Steuerverhältnissen in Zusam-
menhang stehenden eigenartigen Methode der Bi-
lanzaufstellung ein weiteres Moment kennen, das
auf den Reingewinn nicht ohne Einfluß ist.
Außer dieser Erwerbung ist es nun noch ein Ereignis von großer
allgemeiner Bedeutung für die ganze Eisenindustrie, das im Speziellen
5*
68 2. Die Ilseder Hütte.
für die Ilseder Hütte und das Peiner Werk eine überdurchschnitt-
liche Prosperität zur Folge hatte. Gilchrist Thomas hatte ein Ver-
fahren, das wir bereits kennen, gefunden: phosphorhaltiges Roh-
eisen in ein hochwertiges Schmiedeisen zu verwandeln. Nunmehf
war der Phosphorgehalt des Ilseder Roheisens von ca. 3 o/o kein
Hindernis seiner weitgehenden Verwertung mehr. Dazu kam, daß
der neue Thomasprozeß bedeutend billiger war als der alte
Puddelprozeß. Die Überlegenheit des basischen Prozesses über
den sauren zur Erzeugung weichen Flußeisens wird bereits in
dem Geschäftsbericht der Ilseder Hütte von 1879 anerkannt, dort
heißt es: „Weit wichtiger als eine vorübergehende Konjunktur
ist aber für unser Werk das neu eingeführte Entphosphorungs-
verfahren, welches die Verwendung des Ilseder Roheisens zur
Erzeugung guten Stahls und Flußeisens gestattet; schon jetzt
wird ein Teil unseres Produktes an Stahlwerke abgesetzt. Die weitere
Verbreitung dieses Verfahrens wird die Nachfrage nach unserem Roh-
eisen voraussichtlich vergrößern und auch den Wert desselben er-
höhen . . ." Die Konsequenz daraus zieht der folgende Jahresbericht,
in welchem es heißt: „Jedenfalls liegt die Möglichkeit nahe, daß die
Produktionsbedingungen für eine vorteilhafte Verarbeitung des Roh-
eisens sich gegen früher wesentlich verschieben werden, zumal das
Thomasieren eine solche Ersparung an Brennstoffen zuläßt, daß die
Erzeugung der Massenartikel der Stahl- und Eisenindustrie weit
weniger als früher von der Nähe der Kohlenlager abhängig ist."
Die bei der Herstellung von Flußeisen und Stahl in Betracht kommende
Ersparnis von Kohlen und Koks berechnete sich auf 5 — 600 kg weniger
als Roheisen. Damit war der Weg vorgezeichnet, den die Verwaltung
zu gehen hatte. Sie hatte zunächst das Patent zu er-
werben, sich das nötige Geld zu beschaffen und mit
diesem auf dem Terrain des Pein er Walzwerkes eine
für den Thomas prozeß eingerichtete Bessemerhütte
zu bauen.
Diese drei Punkte haben wir jetzt kurz zu betrachten.
Die Patentgebühr betrug SVo Mark pro Tonne produzierten
Eisens. Diese Gebühr wurde nur ein halbes Jahr gezahlt. Dann kaufte
das Werk gegen Zahlung einer Pauschalsumme von 650 000 Mark,
oder zuzüglich der für das erste Quartal gezahlten Abgabe für
671 373 Mark die Konzession zur Einführung des Verfahrens. Die
Summe würde noch höher gewesen sein, wenn das Werk sich nicht
den deutschen Erwerbern des Patentes gegenüber verpflichtet hätte^
2. Die Ilseder Hütte. 69
bis zum 1. Januar 1887 keine schweren Eisenbahnschienen und
Schwellen zu fabrizieren und für die dann folgende Zeit bis zum
Ablauf der Patentdauer bei etwaiger Fabrikation dieser Artikel für
diese 2 Mark pro Tonne zu zahlen.
Nachdem das Patent erworben war, handelte es sich um Be-
schaffung der erforderlichen Mittel zum Bau für das Thomaswerk.
Diese beliefen sich auf über 4 Millionen Mark. Sie wurden teil-
weise bestritten aus den Betriebsüberschüssen, die seit 1880 auf
über 1 Million Mark emporsprangen, teils durch Ausgabe junger
Aktien, die zu dem verhältnismäßig hohen Kurs von 250 o/o emittiert
wurden. Im Jahre 1884 wurden von den 737 625 ausgegebenen
Aktien gezeichnet 728 625 und der Rest von den Emissionshäusern
übernommen. Das Aktienkapital belief sich 1884 auf 2 950 125 Mark.
Die hypothekarische Verschuldung auf 4 022 940 Mark. Die Ge-
sellschaft war also nicht unbedeutend verschuldet.
Ehe diese Summen aufgebracht waren, hatte man bereits mit
dem Bau des neuen Stahlwerkes in Peine begonnen. Über die
Gründe, die dafür bestimmend waren^ heißt es in der Festschrift
wie folgt: „Da zur Herstellung von Flußeisen und Stahlfabrikaten
in solchen Dimensionen, welche sich mit einer Hitze fertig walzen
lassen, im ganzen etwa 500 bis 600 Kilogramm Kohlen und Koks
pro Tonne Fabrikat w e n i g e r als Roheisen erforderlich sind, so ist es
klar, daß das Fabrikat bei gleichem Roheisen- und Kohlenpreise
am Orte der Erzeugung dieser Artikel, in Peine, um den Betrag der
Transportkosten von 500—600 Kilogramm Kohlen billiger muß her-
gestellt werden können als im westfälischen Kohlenrevier, und daß
dieser Vorteil bei dem Verkauf der Produkte noch vermehrt wird um
die Frachtdifferenz nach dem östlichen und nördlichen Absatzgebiet.
Diese Voraussetzungen, welche sich nach den bisherigen Erfahrungen
als durchaus richtig gezeigt haben, veranlaßten den Bau des neuen
Stahlwerkes in Peine. Für die Wahl dieses Ortes entschied man
sich, weil die Örtlichkeit für den Bau der neuen Anlage viel ge-
eigneter erschien, als die zur Verfügung stehenden Anlageplätze
in Groß-Ilsede, ferner, weil die Heranziehung und Unterbringung
der Arbeitskräfte in Peine weniger schwierig war, als in llsede,
und weil das Peiner Puddel- und Walzwerk einen tüchtigen Stamm
von Beamten und Arbeitern hatte, mit welchen die Eröffnung des
neuen Betriebes, die Verarbeitung des zu erzeugenden Flußeisens
und die Einführung der Produkte sich leichter bewerkstelligen ließ,
als mit einem ganz neu zu engagierenden Personal."
70 2. Die Ilseder Hütte.
In dem neuen Stahlwerke wurde der Thomasbetrieb am 6. Sep-
tember, und im neuen Walzwerk im Oktober 1882 eröffnet. Das
Werk verarbeitete im folgenden Jahre bereits 27 893 Tonnen
Ilseder Roheisen in der neuen Thomashütte und noch 9 982 Tonnen
im alten Puddelwerke. Der Puddelbetrieb hat sich dann noch einige
Zeit gehalten, bis er Mitte der 90er Jahre ganz verschwand, weil
der Verkaufspreis des Schweißeisens in keinem Verhältnis mehr
zu den Gestehungskosten stand. Anfang der 80er Jahre ging man
zunächst noch zögernd in bezug auf die Herstellung von Flußstahl
vor. Deshalb wurde die neue Thomashütte zunächst nur für den
Betrieb in der Tagesschicht eingerichtet, und ebenso wurde dem
neuen Walzwerk nur eine Walzenstraße für die Herstellung von
Stahlbilletts gegeben. Daneben wurde aber auch auf den Walzen-
straßen des alten Werks der gewonnene Rohstahl zu Handelseisen
in verschiedenen Dimensionen ausgewalzt. Allmählich werden dann die
Anlagen vergrößert und der Schnellbetrieb gewinnt immer mehr
an Boden. Um ihn durchzuführen, wird 1882/83 der Konvertor- und
Gießraum voneinander getrennt, so daß die Gießpfannen nunmehr
aus dem heißen Konvertorraum in eine besondere Gießhalle fahren
müssen. Es werden weiter zwei neue Walzenstraßen gebaut, eine
Blechstraße und eine Billetstraße. 1886 enstand dann Walzwerk 11
mit drei Walzenstraßen : Grob-, Mittel- und Schnellstraße. Die erstere
dient zur Herstellung von kleinen Trägern, Grubenschienen, Winkeln
usw., die Mittelstraße zur Herstellung von Stabeisen in mittleren
Dimensionen, und die Schnellstraße zur Herstellung von Feineisen
(Bandeisen usw.).
Welches waren nun die Folgen dieser Neueinrichtungen?
Zunächst Steigerung des Absatzes. „Die Nachfrage'*, heißt es
bereits in dem 1883er Bericht, „nahm stetig zu, und das Absatz-
gebiet hat sich so erweitert, daß wir für das neue Fabrikat (gemeint
ist Rußeisen) Abnehmer haben vom Rhein bis Oberschlesien,
und vom adriatischen Meere bis zur Ostsee; auch aus England und
Amerika finden sich Käufer." Diese Steigerung des Absatzes hängt
nun damit zusammen, daß unter der Regie der Ilseder Hütte das
Peiner Walzwerk das alte Fabrikationsprogramm änderte. Die ur-
sprüngliche Produktion des Walzwerkes bestand, wie früher be-
merkt, vorwiegend aus Stahlbillets. Die Herstellung derselben war
eine verhältnismäßig einfache. An ihr konnten sich die Arbeiter
zuerst in den Betrieb einarbeiten und Erfahrungen sammeln, um
für die schwierigere Tätigkeit an den weiter erforderlichen Anlagen
2. Die llseder Hütte. 71
vorbereitet zu sein. Der Knüppel war anfangs ein Handelsartikel,
der im wachsenden Maße begehrt wurde, der sich leicht in großen
Posten absetzen ließ und dessen Preis ein verhältnismäßig hoher war.
Er stellte sich z. B. 1883 pro Tonne auf 120 Mark. Dabei verblieb
dem Werke ein guter Gewinn. Das änderte sich nun in der Mitte
der 80er Jahre aus bereits bei der Beschreibung des Hoerder Berg-
werks- und Hüttenvereins mitgeteilten Ursachen. Die Knüppel wur-
den durch die Krisis im Preise stark geworfen. Die Folge war, daß
dieser Zweig der Fabrikation zu einem großen Teile verlassen wurde.
Damit hängt weiterhin eine Änderung des Absatzgebietes zusammen.
Heute werden Knüppel vom Peiner Walzwerk im wesentlichen nur
noch für den eigenen Gebrauch und den Export, z. B. nach England,
hergestellt. Der Hauptnachdruck ruht seit der Mitte der 80er Jahre
nicht mehr in der Herstellung eines Halbfabrikates, sondern eines
Ganzfabrikates, nämlich in der Produktion von Trägern und über-
haupt von Fagoneisen; ferner werden noch Flacheisen, das heißt
Stäbe gewalzt und Feld- und Grubenschienen. Mit anderen Worten,
ein Teil der früheren Produktion wird beibehalten. Eisenbahn-
schienen stellt das Werk nicht her. Dafür bekommt es jährlich von
den Schienenwerken eine bestimmte Summe ausgezahlt. In diesem
Verfahren liegt ein auf Übereinkommen begründetes Mittel der Kon-
kurrenzbeschränkung. Der Vertrag wird geheim gehalten. Der Ab-
satz der Träger tendiert hauptsächlich nicht nach Westen wie der
der Stahlbillets, die als Halbfabrikat vornehmlich an die westfälische
Walzdrahtindustrie abgesetzt wurden, sondern nach Mitteldeutsch-
land. Schon der 1883er Geschäftsbericlit schrieb: „In den östlich,
nördlich und südlich von Peine gelegenen Teilen Deutschlands ist
keine Konkurrenz zu fürchten." In dem 1884er Bericht wird von
Berlin und Sachsen als dem Hauptabsatzgebiet gesprochen. Es geht
also mit der eben beschriebenen Änderung der Produktion eine
Änderung des Absatzgebietes Hand in Hand. Die Ware wird nicht
mehr auf die von der Konkurrenz behaupteten westlichen Märkte
geworfen, sondern dort abgesetzt, wo die Konkurrenz wegen der
Entfernung nicht so billig liefern kann, auf unbestrittenem Gebiet.
Wir lernen darin ein neues Moment der Rentabilität des Unternehmens
kennen, nämlich den natürlichen Frachtvorsprung
nach dem Osten gegenüber den westlichen und nach
Mitteldeutschland gegenüber den oberschlesischen
Werken. Das Peiner Walzwerk beherrscht diese
Märkte infolge seiner günstigen örtlichen Lage.
72 2. Die Ilseder Hütte.
Mit der Entfaltung und Entwicklung des Peiner Walzwerkes
wird, wie schon früher bemerkt, die Gesellschaft immer unabhängiger
vom Roheisenmarkt, auf dem sie früher ihr Eisen verkaufte. Noch
1884 wurden von dem erzeugten Roheisen der Ilseder Hütte
19 300 Tonnen exportiert, 20 371 Tonnen an inländische Werke
abgesetzt und 63 520 Tonnen an das Peiner Walzwerk ge-
liefert. Aber bereits im folgenden Jahre spricht der Geschäfts-
bericht davon, daß die jetzigen Werkseinrichtungen so weit gediehen
seien, daß sie mit Leichtigkeit die ganze Roheisenproduktion der
Ilseder Hütte verarbeiten könnten. Das ist auch in der Folgezeit der
Fall gewesen. Ja, das Walzwerk hat sich sogar genötigt gesehen,
in der Hochkonjunktur der 90er Jahre Roheisen aus Luxemburg
hinzuzukaufen. In dem Geschäftsbericht über das Jahr 1896 heißt
es nämlich: „Die Ilseder Hütte war mit 2 Hochöfen nicht imstande,
den Roheisenbedarf des Walzwerkes vollständig zu decken, so daß
dieses sich veranlaßt sah, größere Mengen Roheisen von auswärts
zu beziehen." Die Zahlen für die gegenwärtigen Verhältnisse wur-
den bereits an anderer Stelle mitgeteilt. Der Schwerpunkt des Unter-
nehmens geht daher je länger je mehr auf das Peiner Walzwerk
und die Verwendung seiner Fabrikate über. Diese Verwertung wurde
nun durch die Krisis der 80er Jahre allerdings geschwächt, ganz ab-
gesehen davon, daß die Produktion nicht in dem früheren Umfange
aufrecht erhalten werden konnte. In der Thomashütte wurde 1886
in der Regel nur 5 Tage in der Woche gearbeitet und dadurch die
Produktionskosten ungünstig beeinflußt. Die Tatsache nun, daß in
dieser Krisenperiode die Preise der Eisenfabrikate stark herunter-
gingen und die meisten Werke mit Verlust arbeiteten, führte 1887
zur Bildung des Trägerkartells, dem auch das Peiner Walzwerk beitrat.
Diesem Verbände wurde der einheitliche Verkauf des von den vereinigten
Walzwerken erzeugten T-Eisens in der Weise übertragen, daß jedes
Werk in einem vertragsmäßig festgesetzten Verhältnis an der Ver-
sorgung des deutschen Marktes mit gewalztem Eisen seinen Anteil
erhielt. Die dem Peiner Walzwerk zugebilligte Quote, welche nach
dem Absatz im ersten Halbjahre 1887 berechnet wurde, stellte sich da-
mals auf etwa 30 000 Tonnen pro Jahr. Das entsprach zwar nicht
der vollen Leistungsfähigkeit des Werkes, aber es wurde dadurch
in den Stand gesetzt, höhere Inlandspreise zu erhalten und infolge-
dessen befähigt, mehr als früher zu exportieren. Am Schlüsse jedes
Jahres wurde eine Ausgleichsverrechnung vorgenommen. Die ver-
sandten Tonnen der einzelnen Werke wurden zusammengezählt, die
2. Die Ilseder Hütte. 73
Summe gleich 100 gesetzt und diejenigen Werke, deren Versand
über den ihnen zukommenden Anteil hinausgegangen war, hatten
an die im Minus befindlichen Werke einen vorher festgesetzten
Geldbetrag pro Tonne minus Versand auszuzahlen. Um dieselbe
Zeit wurde der Mitteldeutsche Walzwerksverband ins Leben ge-
rufen, in dem das Peiner Walzwerk die führende Rolle übernahm.
Die Verkaufsstelle für das Stabeisen der mitteldeutschen Werke war
eine Zeitlang in Peine und wurde dann nach Berlin verlegt.
Die Krisis der 80er Jahre hatte, wie wir gesehen
haben, Änderungen in der Produktion und im Ab-
satz zur Folge. Die Herstellung der durch die
schlechte Konjunktur im Preise stark geworfenen
Stahlbillets wird zum großen Teile ersetzt durch
die Produktion von Trägern. Das Werk geht von der
Herstellungeines Halbfabrikateszudereines Oanz-
fabrikates über. DamitverlegtsichderSchwerpunkt
des Absatzes vom Westen nach dem Norden, Süden
und Osten, hauptsächlich aber nach Mitteldeutsch-
land, und nun wird der natürliche Frachtvorsprung
gegenüber den westlichen Werken zu einem Gliede
in der Kette der die Prosperität des Unternehmens
fördernden Kräfte. Das ihrige trugen schließlich
noch der Träger- und Stabe isen verband bei, die
durch die Krisis der 80er Jahre als Palliativ gegen
dasSinkenderPreiseinderEisenindustrieinsLeben
gerufen wurden und die für die Steigerung der Ge-
winne des Unternehmens ebenfalls nicht ohne Be-
deutung waren.
Mit der Einführung des Thomasprozesses hängt nun aber noch
ein Punkt zusammen, durch dessen Klarlegung erst eine rationelle
Verwertung eines vorher wertlosen Nebenproduktes ermöglicht
wurde. Damit kommen wir zu einem weiteren, die Rentabili-
tät des Unternehmens günstig beeinflussenden Faktor. Es ist
bekannt, daß der Thomasprozeß große Massen Kalk braucht, die
dann als Schlacke entwerten. Infolgedessen wurde die Thomas-
schlacke in Peine wie auf anderen Werken zu hohen Schlacken-
bergen aufgetürmt, die einen Zweck und Nutzen nicht hatten, dem
Werke vielmehr noch Terrain kosteten. Nun war es ein Apotheker,
namens Hoyermann, aus Hoheneggelsen bei Peine, der sich seit
Beginn der 80er Jahre experimentell mit der Frage beschäftigte.
74 2. Die Ilseder Hütte.
wie sich die Thomasschlacke verwerten Heße. Er hatte ursprünglich
die Berechtigung, sich die Phosphorite der auf der Ilseder Hütte zu
Roheisen verarbeiteten Eisenerze auslesen zu lassen, um sie als Dünge-
mittel zu versenden. Aber die Ilseder Hütte entzog ihm später diese
Berechtigung. Nunmehr kam er auf einen eigenartigen Gedanken.
Er legte sich die Frage vor, wo bei der Umwandlung des Roheisens
in Thomaseisen der Phosphor bleibe. Zur Beantwortung dieser Frage
kam er durch die Beobachtung des Stahlschmelzprozesses in der
Thomashütte des Peiner Walzwerkes. Dort blitzte in ihm die Idee
auf, daß der Phosphor sich nirgends anders versteckt halten könne,
als in dem Kalkzuschlag, der den Konverten zugesetzt wird, und
der dann später als Thomasschlacke abfließt. Mit dieser Schlacke
wurden dann Düngeversuche auf eigener Ländereien und den Gütern
befreundeter Landwirte gemacht. Die Annahme, daß der Phosphor
in den Kalk übergehe, bestätigte sich. Durch eine Reihe von
Kulturversuchen ergab sich, daß die Thomasschlacke pulverisiert ein
ausgezeichnetes Düngmittel für die Landwirtschaft sei. Hoyermann
gelangte also sowohl auf dem Wege theoretischer Betrachtungsweise
zu seiner Entdeckung, als auch auf dem der praktischen Beobachtung.
Die Verwertung vmrde in der Weise vorgenommen, daß Hoyer-
mann eine Thomasphosphatfabrik, in der die Thomasschlacke in
Kugelmühlen zu Mehl gemahlen wurde, in der Nähe des Stahlwerkes
errichtete. Das Peiner Walzwerk schloß nach diesem glücklichen
Erfolge mit dem Entdecker einen Gesellschaftsvertrag. Es wurde
eine Kommanditgesellschaft gegründet, in der Hoyermann persönlich
haftender Gesellschafter und das Peiner Walzwerk Kommanditist
war. Nach diesem Vertrage brachte Hoyermann seine Fabrik in die
Gesellschaft zu Herstellungskosten ein. Das Peiner Walzwerk lieferte
die Schlacken und erhielt dafür einen festen Preis. Von dem gesamten
Gewinn wurden dann 10 o/o der Anlagekosten abgeschrieben, und
der Rest gemeinschaftlich geteilt. Dieser Vertrag lief mit dem Jahre
1894 ab, und die von der Firma Phosphatfabrik Hoyermann & Co.,
Kommanditgesellschaft zu Peine, betriebene Phosphatfabrik ging zu
dem nach Absetzung der abgeschriebenen Beträge verbleibenden
Buchwerte in das Eigentum der Hütte über und wird seitdem für
Rechnung des Peiner Walzwerkes betrieben. Seit der Mitte der
80er Jahre hat dann die Thomasmehlfabrikation einen großen Auf-
schwung genommen. Allerdings waren es nicht in erster Linie
die deutschen Landwirte, die den Wert desselben erkannten, sondern
die belgischen. Die ersten größeren Massen wurden nach Belgien
2. Die Ilseder Hütte. 75
abgesetzt. Über diesen Punkt schreibt mir Herr Direktor Wipper:
„Ich, der ich von Herrn Hoyermann mit der Führung seines Dünger-
geschäftes betraut war, hatte mir alle erdenkhche Mühe gegeben, in
Deutschland in größeren Massen Verwendung für Thomasmehl zu
finden, doch vergeblich. Erst die Beziehung zu dem Deutschen
Verein für Moorkultur und die spätere Verbindung mit der Dünger-
abteilung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft gaben Anregung,
daß das Thomasmehl in der Landwirtschaft Eingang fand, und
der Gesellschaft ist ein bestimmtes Verdienst nicht abzusprechen,
der heute so hervorragend beachteten Phosphorsäurequelle mit Ein-
gang verschafft zu haben." Damit eröffnete sich für das Peiner
Walzwerk, resp. die Ilseder Hütte eine neue Einnahmequelle. Ein
früher wertloses Produkt der Stahlindustrie hatte einen verhältnis-
mäßig hohen Marktwert erhalten.
Während so auf der einen Seite eine neue marktfähige Ware
geschaffen wird, geht das Streben des Werkes andererseits darauf
hinaus, sich in Bezug auf die Versorgung mit Kalk vom Markte un-
abhängig zu machen. Bereits 1890 erwirbt die Hütte ein eigenes
Kalkwerk. In dem Geschäftsbericht werden darüber folgende Mit-
teilungen gemacht: „Die gesicherte Beschaffung des für den Betrieb
der Thomashütte notwendigen Kalkes hat uns veranlaßt, das Peiner
Walzwerk bei dem in Marienhagen, im Kreise Gronau, gelegenen
Kalkwerk des Herrn Friedrich Rogge als Kommanditist sich be-
teiligen zu lassen. Dieses Kalkwerk kann jährlich 50 — 60 000 Tonnen
gebrannten Kalk erzeugen, dessen regelmäßiger Absatz zu lohnenden
Preisen uns gesichert erscheint; außerdem hat das Werk noch einen
bedeutenden Absatz an rohen Kalksteinen. Das Kapital, mit welchem
das Peiner Walzwerk an diesem Kalkwerk als Kommanditist und
Gläubiger beteiligt sein wird, wird Ende 1891 ca. 400 000 Mark be-
tragen." Damit ist eine Deckung des Kalkbedarfes für das Thomas-
werk eingetreten.
Betrachten wir nun noch den Einfluß der Konjunktur auf
die Ilseder Hütte. Obgleich zwar der Anfang der 90er Jahre für die In-
dustrie nach der Erholung am Ende der 80er Jahre manche Ent-
täuschungen brachte, so ist doch das Werk innerlich so gekräftigt, daß
ihm der schlechte Geschäftsgang wenig anzuhaben vermochte. Bereits
1889 hatte der Streik der Bergarbeiter im westfälischen Kohlenbecken
zu vorübergehendem Kohlenmangel geführt. Um mit den zur Ver-
fügung stehenden Kohlen möglichst lange auszukommen, wurde in
Ilsede schwächer geblasen, ohne die Hochöfen auszulöschen oder
76 2. Die Ilseder Hütte.
dämpfen zu müssen. Es mußten ferner geringwertige Kohlen und
Koks durch andere Reviere bezogen werden, welche bei ihrem Ver-
brauch den Betrieb ungünstig beeinflußten. Als dann 1891 wieder
Arbeitseinstellungen der Bergarbeiter drohten, wurden große Kohlen-
reserven angeschafft. Die Preise waren hoch, obgleich die Eisen-
preise bereits ins Weichen gerieten. Auch mit dem Kohlensyndikat
hatte die Hütte manche Schwierigkeiten. Nachdem der Vertrieb der
in Westfalen erzeugten Koks durch das westfälische Kokssyndikat
geschah, konnte sich die Hütte nicht mehr dasjenige Material aus-
suchen, welches für ihre Zwecke am besten paßte, sondern mußte
den Koks nehmen, welchen das Syndikat ihr zuteilte. Später scheinen
sich jedoch die Verhältnisse gebessert zu haben. Man sieht daraus,
welchen Einfluß die Lage des Kohlenmarktes speziell auf diejenigen
Werke ausübt, die, wie die Ilseder Hütte, keine eigenen Kohlen-
zechen besitzen. Über diese Verhältnisse und Schwierigkeiten kam
jedoch das Werk rasch hinweg, und von 1894 — 1900 setzt dann
ein enormer Aufschwung ein. Das ist die glänzendste Zeit, die die
Ilseder Hütte und das Peiner Walzwerk jemals erlebt haben. Sie
traten in diese Periode mit erweiterten Produktionsmitteln. 1892 war
das Aktienkapital bereits erhöht worden, um Walzwerk III einzu-
richten. 1896 war die Ilseder Hütte mit den zwei im Betriebe
befindlichen Hochöfen nicht mehr imstande, den Roheisenbedarf des
Walzwerkes vollständig zu decken, so daß es noch größere Mengen
von auswärts beziehen mußte. Ein vierter Hochofen mußte gebaut
werden. In dieser Zeit wird auch ein Teil der hypothekarischen
Schulden abgestoßen. Damit im Zusammenhange steht die Erhöhung
des Aktienkapitals. Darüber heißt es in dem Geschäftsbericht über
das Jahr 1896: „Bei der günstigen Lage unserer Betriebs- und
Finanzverhältnisse hielten wir es für ratsam, diese zu benutzen, um
den größten Teil unserer hypothekarischen Schulden zu tilgen. Um
dieses ohne Verringerung unserer Betriebsmittel bewerkstelligen zu
können, wurde auf unseren Antrag von der außerordentlichen General-
versammlung vom 7. Januar dieses Jahres einstimmig beschlossen,
das Aktienkapital in der Weise um 50 o/o zu erhöhen, daß den Ak-
tionären auf je 2 Aktien eine neue Aktie zum Nennwert zur Ver-
fügung gestellt werden solle." Nachdem dies beschlossen war, wur-
den die noch im Umlauf befindlichen Teilschuldverschreibungen der
4V2prozentigen Ilseder Eisenbahnanleihe vom Jahre 1883 im Betrage
von 543 000 Mark und der 4prozentigen Peiner Walzwerksanlage
von 1886 im Betrage von 1785 000 Mark gekündigt. Diese letzte
2. Die Ilseder Hütte. 77
Erhöhung des Betriebskapitals um 2 214 000 Mark erscheint nun aller-
dings mit der Abstoßung der hypothekarischen Schulden noch nicht
zureichend begründet. Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier noch
ein anderes Motiv in Betracht kommt, das wir bei solchen Aktien-
gesellschaften zu finden pflegen, die sehr hohe Dividenden zahlen.
Eine sehr hohe Dividende erregt den Neid der Arbeiter. Sie stellen
im Stillen Vergleiche an zvi^ischen den Löhnen, die sie in mühsamer
Arbeit erwerben und den Renten der Aktionäre, die nicht arbeiten.
Es erhielten 1896
3770 Arbeiter 3,989,400 M. Lohn
Der Rohgewinn betrug 3,398,724 „
Der Reingewinn „ 2,526,159 „
Die Aktionäre erhielten 531/3% = 2,360,600 M.
Solche Zahlen können leicht die Veranlassung dazu geben, daß
die Arbeiter mit der Beteiligung von Kapital und Arbeit am Ertrage
des Unternehmens nicht zufrieden sind. Um dies zu verhüten, ver-
fahren dann kapitalistische Unternehmungen häufig folgendermaßen:
Sie erhöhen das Betriebskapital und geben den Aktionären eine
Dividende, die vielleicht höher ist wie früher, die aber in Prozenten
ausgedrückt niedriger erscheint, weil sie auf der Basis eines größeren
Kapitals berechnet wird. Um dies an einem praktischen Beispiele
zu zeigen, wollen wir einmal annehmen, die Kapitalserhöhung von
über 2 Millionen Mark bei der Ilseder Hütte wäre unterblieben,
und die Dividende des Hochkonjunkturjahres 1899 im Betrage von
4648 087, die auf das Aktienkapital von 6 640125 Mark berechnet
700/0 beträgt, würde auf das alte Aktienkapital im Betrage von
4 426125 Mark bezogen, dann würde die Dividende nahezu 105o/o
betragen. Durch die Erhöhung des Aktienkapitals hat man mit
dem Auftreten der Hochkonjunktur einer übermäßig hohen Prozent-
ziffer einen Riegel vorzuschieben versucht. Heute beträgt das Aktien-
kapital 6 640125 Mark, das Hypothekenkapital nur etwas über eine
Million Mark, während wir in der Geschichte des Unternehmens
Zeiten kennen gelernt haben, wo die Höhe der Hypothekenschulden
die Höhe des Aktienkapitals überragte.
Unter so günstigen Finanzverhältnissen war es möglich, neue
technische Verbesserungen in dem Betriebe einzuführen und die
Produktionsmittel weiter zu vervollkommnen. Einer der wichtigsten
Fortschritte in dieser Beziehung ist die Benützung der Hochofengase
nicht mehr bloß zu Heizzwecken, sondern auch als Betriebskraft.
78 2. Die Ilseder Hütte.
Schon lange spielten die Gichtgase auf der Ilseder Hütte eine bedeu-
tende Rolle. Bereits in den 70er Jahren wurden Einrichtungen
getroffen, um sie in großen Röhren, die in die Hochofengicht
hineinragten, aufzufangen und von da unter die Dampfkessel zu
leiten. So ersparte man die sonst notwendig gewesene Kohle. Wir
sahen bereits an den für die 70er Jahre mitgeteilten Zahlen, wie
außerordentlich stark der Kohlenverbrauch der Ilseder Hütte sank,
bis er im Jahre 1877 Null betrug. Daran aber hatte die Gesellschaft,
die alle ihre Kohlen kaufen muß, ein ganz besonderes Interesse.
Ferner benutzte man die Hochofengase zur Erhitzung des Ge-
bläsewindes in den Winderhitzern. Heute heizen die über-
schüssigen Gase nicht weniger als 14 Dampfkessel, deren erzeugte
Energie zum Betriebe einer elektrischen Zentrale mit insgesamt
1830 Pferdekräften dient. Diese Dampfmaschinen erzeugen Elek-
trizität in 5 Dynamos, welche Drehstrom von 550 Volt Spannung
liefern, der zum kleinen Teil zur Beleuchtung der Hütte und
zu anderen Zwecken des Werkes verbraucht wird. Ein weiterer
Teil der elektrischen Kraft wird zu den 3,5 Kilometer ent-
fernten Bültener Erzgruben geleitet und dort zur Beleuchtung sowie
zum Betriebe einer unterirdischen Pumpe, von 6 Gesteinbohr-
maschinen, einer Grubenlokomotive, einer Erdsturzvorrichtung usw.
verwandt. Der Rest der elektrischen Energie wird auf 10 000 Volt
transformiert, per Hochleitung dem ca. 7 km entfernten Peiner Walz-
werke zugeführt, um auch dort zur Beleuchtung der Anlagen und
zum Antrieb eines Walzwerkes, des Martinwerkes, der Phosphatmühle,
der Verladekräne etc. zu dienen.*'*) Noch vor Torschluß des 19. Jahr-
hunderts begann man damit einen weiteren Fortschritt der Verwertung
der Hochofengase in die Praxis einzuführen, nachdem, wie früher
gezeigt, das Hoerder Werk bereits als erstes vorangegangen war.
Es handelt sich um die Benutzung der Gichtgase zum Antrieb von
Gasmotoren. 1899 begann man in Groß-Ilsede mit dem Bau einer
elektrischen Zentrale für Hochofengasbetrieb, in der große Gasmotore
von je 1000 Pferdekräften aufgestellt werden, die in sinnreicher
Weise mit Dynamomaschinen für je 10 000 Volt verbunden sind.
Die so erzeugte elektrische Energie soll dann zum Antriebe der
Maschinen in llsede, Peine und den Bergwerken ausgenutzt werden.
So wird allmählich die Dampfmaschine beim Hochofen- und Walz-
werksbetrieb durch die Gasexplosionsmaschine verdrängt. Diese ganze
*) Siehe Peiner Zeitung vom 6. Dezember 1902.
2. Die Ilseder Hütte. 79
neue Einrichtung ist ein Mittel, um den Betrieb kolossal zu ver-
billigen, denn die Gichtgase stehen jedem Hochofenwerke frei zur
Verfügung, während die Kohlen, die man früher benutzte, natürlich
bezahlt werden mußten. Da nun mit den Hochöfen in Ilsede ein
Stahl- und Walzwerk kombiniert ist, so nehmen auch diese mit ihrer
Erzeugung an der Verbilligung Anteil, was nicht der Fall wäre, wenn
wir es mit reinen Betrieben zu tun hätten.
Am Ende der Aufschwungsperiode im Jahre 1899 wurde
in Peine auch ein Siemens - Martinwerk errichtet. In dem-
selben werden Roheisen und Abfälle von Stahl oder Schmiede-
eisen im bestimmten Verhältnis zusammengeschmolzen. Auch hier
bestehen automatische Vorrichtungen, welche die mechanische Be-
schickung der Öfen ermöglichen. Ein elektrisch angetriebener Char-
gierwagen fährt bis dicht vor die Tür des Ofens, erfaßt mit einer
Zange die bereitstehende, mit Rohmaterial oder altem Eisen beladene
Mulde und schiebt dieselbe in den Ofen hinein, um sie dort zu ent-
leeren. Die Füllung eines Martinofens, der in Peine ca. 25 Tonnen
faßt, geht auf diese Weise viel schneller vor sich, als wenn die
Martinarbeiter an Stelle des Kranes die Beschickung auszuführen
hätten. Ist der Ofen gefüllt, dann dreht der Schmelzer an einem
Schraubenrade, die Ventile der Generatorkammern werden geöffnet,
und die Gase strömen in den Ofen, um dort ihre Arbeit zu beginnen.
Der Prozeß dauert 6—7 Stunden und ist schon infolgedessen kost-
spieliger als der bloß ca. 20 Minuten in Anspruch nehmende Thomas-
prozeß. Aber das Martineisen ist infolge seiner weichen und fein-
körnigen Beschaffenheit zur Herstellung höherwertiger Fabrikate zu
benutzen und infolgedessen besonders gefragt. Die Einrichtung der
ganzen Anlage auf dem Peiner Walzwerke hatte in der Hauptsache
den Zweck, denAbsatzfürWalzwerkserzeugnissezuer-
höhen, da eine Steigerung der Roheisenerzeugung in Groß-Ilsede
nicht angängig erschien. Diese Steigerung hat nun allerdings nicht
stattgefunden, denn 1900 trat ein Wechsel der Konjunktur ein und die
Produktion ging zurück. Sie sank von 202143 Tonnen im Jahre 1899
auf 171 892 Tonnen im Jahre 1900 und blieb im folgenden Jahre, 1901,
annähernd auf derselben Höhe (171 378 Tonnen), um dann 1902
wieder zu steigen, nämlich auf 219 350 Tonnen Walzwerkserzeugi-
nisse. Diese Entwicklung ist aber nur dadurch möglich geworden,
daß man die im Inlande nicht absetzbaren Waren auf die ausländischen
Märkte warf. In welch hohem Maße auch die Ilseder Hütte und
das Peiner Walzwerk in der letzten Krisenperiode vom Export lebte,
80
2. Die Ilseder Hütte.
der während der Zeit der Hochflut auf dem inländischen Markt ganz
vernachlässigt worden war, zeigen folgende Zahlen:
Jahr
1899
1900
1901
1902
Gesamtabsatz an
Walz wer ksprod u kten
200,401 Tonnen
155,539 „
186,242
210.628
Davon kommen
auf das Inland auf das Ausland
161,258 Tonnen
126,522
91,623 „
130,574
39,143 Tonnen
29,017 „
94,619 „
80,054 „
Hieraus ergibt sich, daß im Jahr 1901 über die Hälfte des ge-
samten Absatzes nach dem Auslande ging. Welche günstige Ent-
wicklung aber in der Zeit von 1895 — 1899 die Gesellschaft genommen
hatte, geht am besten daraus hervor, daß die Betriebsüberschüsse
jährlich um ca. 1 Million Mark stiegen und demgemäß auch die Divi-
denden stark anwuchsen. Es betrugen:
die Betriebsüberschüsse
die Dividenden
1895 1896 1897 1898 1899
2,057,676 3,398,724 4,816,125 5,258,395 5,998,604
287o 53V37o 54V3O/0 62V3O/0 700/0
Diese reichen Ergebnisse konnten selbst durch die steigenden
Produktionskosten nicht wesentlich beeinflußt werden. Die Her-
stellungskosten der Tonne Roheisen betrugen 1895 28,65, 1896 30,09,
1897 31,66, 1898 34,76, 1899 36,30, 1900 40,45 Mark. Es war nament-
lich der Kohlenmangel und damit Hand in Hand gehend der hohe
Kohlenpreis, der einen Wermutstropfen in den Becher der Freude
senkte. Auf eine Tonne Roheisen wird in Ilsede nicht ganz eine
Tonne Koks verbraucht. Die dadurch herbeigeführte Erhöhung der
Produktionskosten wurde allerdings überkompensiert durch die
enorme Steigerung der Preise für Walzwerkserzeugnisse.
In den folgenden Baissejahren gingen natürlich die Betriebsüber-
schüsse wie die Dividenden erheblich zurück, hielten sich aber trotz-
dem auf einer Höhe, an die bei anderen Werken gar nicht zu
denken war. Es betrugen die:
Betriebsüberschüsse
Dividenden
1900
4,938,369
50%
1901
3,649,93
40«/o
1902
3,876,209 M.
400/„
Wir haben nun schließlich noch eines Momentes zu gedenken,
das für die Prosperität der Ilseder Hütte und des Peiner Walzwerkes
2. Die Ilseder Hütte. 81
nicht ohne Bedeutung gewesen ist, dessen Anteil sich allerdings nur
schwer feststellen läßt: der Arbeiterverhältnisse. Von den
drei Produktionsfaktoren, Natur, Kapital und Arbeit ist die letztere
für den Ertrag des Unternehmens natürlich auch von größter Wich-
tigkeit. Die Zahl der Arbeiter auf der Ilseder Hütte betrug nach
Ausweis des Knappschaftsvereins Ende 1901 4591 oder mit Weib
und Kind ca. 16 000. Sie kommt also der Einwohnerzahl einer
Stadt wie Küstrin oder Goslar etwa gleich. An Beamtengehältern und
Löhnen wurden im genannten Jahre gezahlt 5 406 566 Mark. Für
das letzte Jahr 1902 haben sich diese Zahlen nicht wesentlich ge-
ändert. Von den Arbeitern erhält also jeder durchschnittlich einen
Arbeitslohn von 1177 Mark im Jahre. Wenn man den Durchschnitt
für die Familie berechnet, so entfällt auf jedes Familienmitglied
jährlich ein Durchschnittsbetrag von 337 Mark. Die Löhne sind also,
wenn man sein Urteil auf die Durchschnittszahlen stützt, die oben-
drein durch die sicherlich nicht zu niedrigen Gehälter der hohen
Beamten beschwert werden, sehr gering, jedenfalls geringer als auf
den westfälischen Konkurrenzwerken, allerdings höher wie in Ober-
schlesien. Aber die ganze Lohnstatistik der Ilseder Hütte wie der
anderen Werke — eine Ausnahme macht von den hier besprochenen
lediglich die Ver. Königs- und Laurahütte — ist volkswirtschaftlich
so gut wie unbrauchbar. Sie gibt nur die Gesamtsumme der aus-
gezahlten Löhne und die Zahl der Arbeiter einschließlich der Be-
amten sowie die daraus sich ergebenden Durchschnittsbeträge pro
Kopf an. Es werden also unterschiedslos die Löhne jugendlicher
und erwachsener, gelernter und ungelernter Arbeiter zusammengezählt.
Dazu kommen dann noch die Gehälter der Beamten, d. h. einer
Minderheit, die aber imstande ist, den Durchschnittslohn nach oben
hin vollständig zu verschieben und das Lohnbild in optimistischem
Sinne zu korrigieren. Wissenschaftlich ist die aus der Verschmelzung
verschiedener Arbeiter und Lohnkategorien berechnete Durchschnitts-
zahl völlig wertlos. Was die einzelnen Arbeiterkategorien verdienen,
also z. B. im Walzwerk die Walzmeister, die Vor- und Hinterwalzer,
die Fertigwalzer, die Hebler, ferner die Schweißer, die Roller, die
Kohlenfahrer, die Strecker, sowie die ungelernten Arbeiter, habe
ich nicht feststellen können, da die von verschiedenen Seiten darüber
gemachten Angaben nicht übereinstimmten und auch im übrigen
den Eindruck der Unziiverlässigkeit machten. Damit ist wissen-
schaftlich zwar nicht viel verloren; denn der Nominallohn gibt nicht
dasselbe korrekte Bild der Verhältnisse wie der bedeutend schwie-
Stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 6
82 2. Die Ilseder Hütte.
riger zu ermittelnde Reallohn. Immerhin aber ist es bedauerlich,
daß die Lohnlisten auch dieser Aktiengesellschaft geheim gehalten
werden. Nur für die Bergwerksarbeiter habe ich einige, wie mir
scheint, zutreffende Angaben erlangt. Ein Heuer, der das Erz bohrt,
sprengt, sortiert, verladet und transportiert, erhält im Akkord pro
Tag 3,50 — 4,50 Mark, im Durchschnitt 3,80 Mark bei achtstündiger
Schicht. Der Verdienst der Schlepper, die das Erz im Tagebau ver-
laden und zu den Schächten bringen, ist derselbe wie der der Heuer
im Tage- und Tiefbau. Die Bahnarbeiter, die die Geleise verlegen,
erhalten bei achtstündiger Schicht einen Tagelohn von 2,50 Mark.
Der Lohn der Bergleute ist mäßig, denn ihre Arbeit ist mühsam und
beschwerlich. Der Heuer im Tagebau ist jeder Witterung ausgesetzt,
im Tiefbau hat er unter der schlechten Luft zu leiden. Der Arbeiter
im Walzwerk ist beständig von Gefahren umlauert. Von den 2500
Arbeitern des Walzwerkes erlitten Unfälle 1899 509, 1900 463, 1901
479, das heißt, der fünfte Teil der beschäftigten Arbeiter erleidet
im Jahre irgendwelche Verletzungen. Was die Arbeitszeit anbelangt,
so wird im Walzwerk, auf der Hütte, sowie gegenwärtig auch im
Tiefbau Tag und Nacht gearbeitet, und zwar hauptsächlich im Akkord.
Im Walzwerk besteht die zwölfstündige Schicht. Die Arbeit ist also
sehr lang, nur von der Sonntagsruhe unterbrochen. Auf der Ilseder
Hütte und im Bergbau besteht die achtstündige Schicht. In bezug
auf die Arbeitszeit ist also der Ilseder Hüttenarbeiter günstiger
gestellt als der Peiner Walzwerks arbeiter.
Wie hat es nun das Werk angefangen, solche großen Arbeiter-
massen bei verhältnismäßig geringem Lohne in Groß-Ilsede und bei
langer Arbeitszeit in Peine zu erlangen und festzuhalten? Es ist
ihm gelungen durch Schaffung von Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen.
Man würde fehl gehen, wenn man die Bedeutung derselben für
den Arbeiter unterschätzte. In erster Linie allerdings liegen sie im
Interesse des Kapitals und auch bei den besten unter ihnen ist der
soziale Feingehalt kein allzu hoher.
Die hervorragendsten Einrichtungen, die auf diesem Gebiete
im Laufe der Zeit geschaffen wurden, sind
1. die Knappschaftskasse,
2. die Sparkasse,
3. die Arbeiterkolonien.
Über den Zweck und den Umfang des Knappschaftsvereins gibt
der § 1 des Statuts folgende Auskunft: „Der Ilseder Knappschafts-
verein hat den Zweck, seinen Mitgliedern und deren Angehörigen
2. Die Ilseder Hütte. 83
nach näherer Bestimmung dieses Statuts Unterstützungen zu ge-
währen, auch derartige Einrichtungen zu begründen und zu unter-
halten, welche das physische und moraUsche Wohl der Arbeiter be-
fördern (z. B. Schulen, Bibliotheken, Wasch- und Badeanstalten, Kran-
ken- und Invalidenhäuser). Der Verein umfaßt alle Arbeiter, welche
beschäftigt sind auf der Ilseder Hütte in Groß-IIsede, der Aktien-
gesellschaft Peiner Walzwerke in Peine und den der Aktiengesell-
schaft Ilseder Hütte sowohl zur Zeit gehörigen, als auch von ihr
künftig zu erwerbenden Etablissements und Gruben, soweit diese im
Kreise Peine, südlich der Eisenbahn Hannover — Braunschweig, oder
in den Gemarkungen der braunschweigischen Ortschaften Bodenstedt,
Vallstedt, Beddingen, Sauingen usw. liegen."
Jedes Mitglied ist verpflichtet, bei seiner Aufnahme ein Eintritts-
geld von einer Arbeitsschicht zu zahlen und außerdem einen laufenden
Betrag, welcher 3 Pfennig von jeder Mark des verdienten Lohnes
beträgt. Ebensohoch ist die Beisteuer, welche die Gesellschaft
zahlt. In die Kasse fließen auch die Strafgelder bei Verstößen
gegen die Arbeitsordnung. Die Gesamtbeträge beliefen sich im
Jahre 1901 auf 150 603 Mark. Die Kasse gewährt ihren Mitgliedern
im Falle der Krankheit eine kleine Unterstützung, bestehend in
freier Kur und Arznei und einer Geldentschädigung für den während
der Zeit der Krankheit ausfallenden Lohn, ferner eine Invaliden-
und Witwenpension, eine Waisenunterstützung und Begräbnisbeihilfe.
Die Verwaltung des Vereins erfolgt durch einen Vorstand.
Er besteht zunächst aus 12 Knappschaftsältesten, die von den
Bergleuten und sonstigen Arbeitern des Peiner Walzwerkes gewählt
werden. Außerdem aus 2 Mitgliedern, welche die Direktion der
Ilseder Hütte, einem Mitgliede, welches die Direktion des Peiner
Walzwerkes, und 3 Mitgliedern, welche die Knappschaftsältesten aus
ihrer Mitte oder aus der Zahl der Bergbeamten wählen. Hier liegen
demnach die Verhältnisse günstiger, als sie Pieper für das Ruhr-
revier schildert. In seinem Buche über die Lage der Bergarbeiter*)
schreibt er, „daß die Werksbesitzer durch verschiedene Mittel, be-
sonders ducrh das Institut der Knappschaftsältesten ... die Knapp-
schaftskassenverwaltung fast vollständig in ihre Gewalt und unter
ihren Einfluß gebracht haben."
Ein Mangel des Knappschaftsstatuts besteht allerdings in der
*) Pieper, „Die Lage der Bergarbeiter im Ruhrrevier", Stuttgart und
Berlin 1903, p. 193.
6*
84 2. Die Ilseder Hütte.
Hemmung der Freizügigkeit, Verläßt der Arbeiter die Hütte, so gehen
ihm alle trotz langjähriger Beitragszahlung erworbenen Rechte ver-
loren. Im Statut heißt es § 28: „Mitglieder des Knappschaftsvereins,
welche aus der Werkarbeit freiwillig austreten, oder Mitglieder eines
anderen Knappschaftsvereins werden, scheiden aus dem Knapp-
schaftsverein aus" und § 29: „Mit dem Verluste der Mitgliedschaft
hören alle Ansprüche des bisherigen Mitgliedes, auch der Invaliden»
an den Verein sowohl für seine Person als für seine Angehörigen von
selbst auf, ohne Rücksicht auf die geleisteten Beiträge. Beim Wiederein-
tritt eines früheren Mitgliedes in die Dienste eines Vereinswerkes leben
die Rechte desselben an den Knappschaftsverein in der Regel nicht
wieder auf. Dem Knappschaftsvorstande bleibt es jedoch vorbe-
halten, „Ausnahmen zu gestatten,"
Die zweite Wohlfahrtseinrichtung der Ilseder Hütte, die ein
volkswirtschaftliches Interesse bietet, ist die Sparkasse, Bereits im
Jahre 1869 gründete die Ilseder Hütte eine Sparkasse für ihre Ar-
beiter, und ihr folgte 1887 das Peiner Werk mit derselben Einrich-
tung. Diese Sparkasse wurde, wie es in der Jubiläumsschrift heißt,
aus 2 Gründen ins Leben gerufen: 1. um die Arbeiter wirtschaftlich
zu erziehen und 2. um sie gegen die Lehren der Sozialdemokratie
zu immunisieren. Bis zum Jahre 1869 fehlte es, wie der Bericht
sagt, an einer bequemen Gelegenheit für den Arbeiter, seine Er-
sparnisse fruchtbringend anzulegen; vielfach wurden die ersparten
Gelder in harten Talern in Kästen und Schränken mit mangelhaftem
Verschluß deponiert, und konnten an diesen wenig sicheren Orten
leicht gestohlen werden. Um dieselbe Zeit machten in Braunschweig
sozialistische Agitatoren den Versuch, die Arbeiter für die neue
Lehre zu gewinnen. „Um nun diesem Übelstande zu begegnen,
die Arbeiter wirtschaftlich zu erziehen und sie zugleich für das
Wohl der Gesellschaft zu interessieren, wurde im Jahre 1869 die
Sparkasse begründet," Jeder Arbeiter hat bis zum heutigen Tage
das Recht, Einlagen bis zum Betrage von 1500 Mark zu machen.
Diese Sparkasse unterscheidet sich also von anderen Sparkassen
durch eine Limitierung der Einlage. Das hängt damit zusammen, weil
der Zins ein besonders hoher ist. § 8 des Sparkassenstatuts lautet:
„In dem Jahre, in welchem die Ilseder Hütte an ihre Aktionäre mehr
als 50/0 Dividende verteilt (und das ist bisher regelmäßig der Fall
gewesen), erhalten diejenigen Einlagen, welche während des ganzen
Kalenderjahres bei der Ilseder Hütte belegt waren, einen Über-
zins, welcher zuzüglich der 5 0/0 Zinsen mit der an die Aktionäre
2. Die Ilseder Hütte. 86
zur Verteilung kommenden Dividende übereinstimmt, jedoch wird
unter keinen Umständen mehr als 20 o/o (5 o/o und 15 o/o Überzins),
beim Peiner Walzwerk nur 10 o/o vergütet, auch wenn an die Ak-
tionäre ein höherer Betrag zur Verteilung gelangt." Mit anderen
Worten, derjenige Arbeiter der Ilseder Hütte, der der Sparkasse nach
und nach 1500 Mark übergeben hat, und im Laufe des Jahres sein
Guthaben nicht verändert, erhält jährlich von ihr 300 Mark zurück.
Nun muß man aber nicht etwa glauben, daß die Hütte dieses jähr-
liche Opfer von 300 Mark umsonst auszahlt. Sie verfolgt damit
bestimmte Zwecke. Sie benutzt diese 300 Mark dazu, um die Löhne
nach Möglichkeit zu stabilisieren, d. h. sie übt auf den sparenden
Arbeiter einen Druck aus, in der Richtung, daß er zu dem bisherigen
Lohn im Dienste der Gesellschaft bleibt, anderenfalls hört die Ver-
zinsung mit einem Schlage auf, sein Guthaben wird gekündigt. In
§ 14 heißt es nämlich: „Die Ilseder Hütte behält sich das Recht
vor, sämtliche oder einzelne Guthaben der Sparer zu kündigen und
jederzeit sofort auszuzahlen . . .", in § 15: „Entlassene oder sonst
außer Dienst kommende Inhaber der Sparbücher haben ihre Gut-
haben beim Austritt des Dienstverhältnisses*) in Empfang zu nehmen,
da vom Tage des Dienstaustritts an die Verzinsung ihres Guthabens
aufhört." Die Verzinsung wird also nur unter der Bedingung ge-
währt, daß der Arbeiter nie seine Arbeit einstellt. Streiks sind da-
durch hintangehalten, und in der Tat haben Arbeitseinstellungen
auf dem Werke bisher niemals stattgefunden. Eine offene Frage,
zu deren Beantwortung mir jedoch das Material fehlt, ist die, ob
die Verwaltung diese Summe nicht am Lohne spart und sie gleichsam
als Prämie auf niedrigen Lohn betrachtet. So ruht auch diese nach
außen hin glänzende Einrichtung für die Wohlfahrt der Arbeiter
doch im Schatten egoistischer Interessen des Großkapitals.
Wieviele Arbeiter sind nun imstande gewesen, der Sparkasse
Einlagen zu übergeben und den verlockenden Überzins abzuheben,
der ja im Gegensatz zur Dividende der Aktionäre nach oben hin
begrenzt ist? Auf diese Frage gibt Antwort folgende Statistik:
Im Jahre 1901 übergaben der Ilseder Hütte Einlagen 1919 Gruben-
und Hüttenarbeiter (und 56 höhere und niedere Beamte). Von dem
•) Es muß natürlich heißen: „bei ihrem Austritt aus dem Dienstverhältniß."
— Die VeröffentHchungen der Ilsederhütte sind, wie die Geschäftsberichte der
meisten Aktiengesellschaften, im Kaufmannsdeutsch abgefaßt, das sogar vor
direkten Sinnwidrigkeiten nicht zurückschreckt. So wird z. B. in § 16 des Spar-
kassenstatuts von der „tadellosen Aufführung eines Verstorbenen" gesprochen.
86 2. Die Ilseder Hütte.
Peiner Walzwerk waren es 1136 Einleger incl. der Beamten, Die
Zahl der Arbeiter betrug nach Ausweis des Knappschaftsvereins
Ende IQOö 4464. Von diesen Arbeitern waren also 3055 Sparer,
d. h. 680/0. In Wirklichkeit ist die Zahl etwas zu hoch, weil ja auf
dem Peiner Walzwerk die Beamten mitgezählt sind. Immerhin er-
gibt sich, daß ca. zwei Drittel sämtlicher Arbeiter imstande sind, etwas
in die Sparkasse zu tragen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß ihr
Lohn zureichend ist, denn Ersparnisse können auch gemacht werden
durch partielle Nichtbefriedigung notwendiger Lebensbedürfnisse.
Wir haben jetzt gesehen, wie hoch die Zahl der sparenden
Personen ist, wir wollen nunmehr berechnen, wie hoch die Durch-
schnittseinlage sich beläuft. Das Guthaben der Ilseder Arbeiter be-
trug 2 845 500 Mark, das der Peiner Einleger 1014 615 Mark,*) zu-
sammen 3 860115 Mark. Die durchschnittliche Einlage beträgt also
1264 Mark, nämlich in Peine 893, in Ilsede aber 1482 Mark.
Die ausgezahlte Tantieme betrug für die Ilseder Arbeiter 1901
323 202 Mark, für die Peiner Einleger 1900 nur 49 039 Mark. Der
Ilseder Arbeiter erhält also durchschnittlich 128 Mark Tantieme, d. h.
ca. 10 0/0, der Peiner Einleger 43 Mark, d. h. ca. 5 0/0. Der Arbeiter
im Walzwerk steht demnach ungünstiger da, als der Arbeiter der
Hütte. Dies ist ja auch erklärlich, weil die 10 0/0 Verzinsung für
die ersteren nicht dieselbe Lockkraft haben wie die 20 0/0 für die
letzteren.
Eine dritte Wohlfahrtseinrichtung sind die Arbeiterkolonien. Ais
der Betrieb noch keine großen Dimensionen angenommen hatte,
genügten die Arbeiter aus den umliegenden Dörfern. Mit dem
Wachsen des Unternehmens aber mußten auswärtige Arbeits-
kräfte herangezogen werden. Um sie zu halten, entschloß sich die
Verwaltung schon frühzeitig zu dem Bau von Arbeiterwohnungen.
Der Boden war billig und die Ansiedlung bot keine Schwierigkeiten.
Von den beiden Systemen, die für den Bau von Arbeiterwohnungen
in Betracht kommen, der Kaserne und der Cottage, wählte man das
letztere. Es wurden eine Anzahl Zwei-Familienhäuser gebaut, je-
doch in der Weise, daß jedes Haus aus zwei vollständig voneinander
getrennten Hälften bestand. Jede Familie erhält also ihre besondere
Wohnung. Dafür hat sie jährlich 120 — 144 Mark Miete zu zahlen.
Die meisten dieser Wohnungen bestehen aus drei Stuben und einer
Kammer. Dazu kommt noch ein halber Morgen Land, der mit
*) Die erste Zahl gilt für Ultimo Dezember 1901, die zv;'eite für 1900.
2. Die Ilseder Hütte. 87
Kartoffeln, Gemüse usw. bestellt wird, und eine Stallanlage, in der
eine Ziege oder ein Schwein gehalten werden kann. Von der Peiner
Landstraße aus gesehen, machen die kleinen Häuschen, wie sie aus
den blühenden Kartoffelfeldern hervorragen, einen recht freundlichen
und gewinnenden Eindruck; dieser Eindruck verblaßt allerdings sehr,
wenn man sie näher betrachtet.
Die Cottage, die der Arbeiter bewohnt, hat er nicht als Eigen-
tum, sondern er hat sie gemietet. Das ist für das Werk aus folgen-
den Gründen wichtig.
1. Das Mietshaus bildet für die Aktiengesellschaft eine Ein-
nahmequelle, wenn auch die Verzinsung des Anlagekapitals keine
hohe ist.
2. Die Fabrikleitung behält Einfluß und Macht auf den Arbeiter
auch außerhalb der Arbeitszeit, selbst wenn keine Wohnungskontrolle
existiert. Infolge des Kündigungsrechts der Fabrik kann jede Un-
botmäßigkeit, jede Lohnbewegung mit Obdachlosigkeit bestraft
werden.
3. Daher ist das Miethaus ein Mittel, sich einen tüchtigen, ruhigen,
wenig fluktuierenden Arbeiterstand zu sichern.
Neben diesem Miethaus kommt in Betracht das eigene Haus.
Die wichtigsten Bedingungen, unter denen die Arbeiter der Ilseder
Hütte ein eigenes Haus erwerben können, sind folgende: „Bau-
plan und Kostenanschlag unterliegen der Genehmigung der Direktion.
Die Hälfte der Baukosten einschließlich der Kosten des Grund-
erwerbs wird von der Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt
zu Hannover zur ersten Hypothek, verzinslich mit 3V2^/o jährlich
und für die ersten 10 Jahre unkündbar hergeliehen. Den Rest des
Baukapitals leiht die Ilseder Hütte unter folgenden Bedingungen.
Für das hergeliehene Kapital hat der Arbeiter 3 o/o Zinsen jähr-
lich zu bezahlen, außerdem sind zur Tilgung der Schuld jährlich
noch weitere 2 o/o zu entrichten, so daß im ganzen jährlich 5 o/o
des hergeliehenen Kapitals zu bezahlen sind . . . Zur Sicherstellung
der Ilseder Hütte hat der Arbeiter eine zweite Hypothek, welche
unmittelbar auf die für die Invaliditäts- und Altersversicherungs-
anstalt eingetragene folgt, in Höhe des hergeliehenen Kapitals ein-
tragen zu lassen. Eine weitere Sicherheit hat der Arbeiter zu leisten
durch Verpfändung seines Sparkassenguthabens, wobei das Spar-
kassenbuch der Ilseder Hütte zu übergeben ist. Das Kapital ist
seitens der Ilseder Hütte so lange unkündbar, als der Arbeiter im
88 2. Die Ilseder Hütte.
Dienste derselben steht. Hört dieses Dienstverhältnis auf, so ist
das Kapital nach ömonatlicher Kündigung zurückzuzahlen."
Wie auch hier das Abhängigkeitsverhältnis zugunsten der Fabrik
ausgenutzt wird, lehrt die im vorhergehenden genannte Bestimmung,
daß das Kapital seitens der Ilseder Hütte nur solange unkündbar ist,
als der Arbeiter im Dienste derselben steht. Auch hier ist die
Verquickung von Wohnungs- und Arbeitsverhältnis keine Einrichtung,
die sozialpolitisch gebilligt werden kann. Bei dem Bau von Arbeiter-
wohnungen gehorcht die Verwaltung eben nicht sozialen Motiven,
sondern dem Zwange der Notwendigkeit. Sie hätte keinen Arbeiter-
stamm erhalten, wenn sie dem fremd Zuziehenden nicht die Möglich-
keit der Behausung geboten hätte. Damit ist allerdings erreicht,
daß die Privatspekulation und das Schlafstellenwesen ihre schädi-
gende Wirkung auf die Arbeiter nicht so entfalten konnten, wie das
dort der Fall ist, wo solche Arbeiterkolonien fehlen.
Außer der Knappschafts- und der Sparkasse und den Cottages
gesellen sich zu den Wohlfahrtseinrichtungen der Ilseder Hütte und
des Peiner Walzwerkes noch einige andere, die nicht die hohe Be-
deutung der genannten drei Einrichtungen besitzen, nämlich eine
Badeanstalt, ein erst seit kurzer Zeit bestehender Konsumverein
in Peine mit nur 600 Mitgliedern, eine Schule zu Ölsburg, für die
Beamten eine Beamtenwitwen- und Waisenkasse, und schließlich
eine allgemeine Lebensversicherungs- und Unterstützungskasse.
Überblicken wir am Schluß noch einmal die Marksteine unserer
Darstellung. Ausgangspunkt war die Frage nach den
Gründen der überdurchschnittlichen Rente, die die
IlsederHütteabwirft. Alssolchelerntenwirkennen:
1. Den Reichtum und die günstige Lage der Eisen-
erze nahe der Erdoberfläche. Ihre Gewinnung
erfolgt noch heute größtenteils im Tagebau; da-
herkeine kostspieligen Schachte und Maschinen,
Nach Einführung des Thomasverfahrens wirktder
dreiprozentige Phosphorgehalt wie eine Werter-
höhung. Aus dem Reichtum, der Lage und der
Beschaffenheit der Erze ergeben sich von selbst
sehr niedrige Herstellungskosten des Roheisens
gegenüber anderen Werken.
2. Eine vorsichtige und kluge Finanzpolitik, die
sich paart mit hoher geschäftlicher Begabung
der noch heute an der Spitze stehenden Person-
2. Die Ilseder Hütte. 89
lichkeit. Die Neuanlagen werden nach Möglich-
keit aus den Betriebsgewinnen bestritten. Da-
mit in Verbindung steht die Schaffung großer
Reservefonds und die Niedrighaltung des Aktien-
kapitals.
3. Der billige Erwerb des Peiner Walzwerks im
Jahre 188 0. Infolgedessen wird der Produktions-
prozeß dreigliedrig (Roheisen, Stahl, Walz-
werksprodukte). Dadurch verliert das Ilseder
Roheisen seinen Weltmarktpreis. Das Geschäfts-
ergebnis wird nicht mehr abhängig von der Ver-
wertung des Rohstoffes, sondern von der des
Fabrikates. Die niedrigen Produktionskosten
des Roheisens kommen nunmehr in den Fertig-
erzeugnissen noch schärfer zum Ausdruck,
4. Die Methode der Bilanzierung, auf Grund deren
das Peiner Walzwerk mit keinem oder kleinem
Gewinn abschließt, der nicht zur Verteilung ge-
langt, sondern auf neue Rechnung vorgetragen
wird. Dadurch wird der Kommune ein Steuer-
betrag entzogen, der dem Werk zugute kommt.
5. Die Aufnahme des Thomasprozesses und damit
im Zusammenhang die Einführung des Schnell-
betriebes. Die Folge ist eine Steigerung des Ab-
satzes an Stahlfabrikaten und so eine Vergröße-
rung der Einnahme.
6. Der natürliche Frachtvorsprung nach Mittel-
deutschland gegenüber den rheinisch-westfäli-
schen Werken. Damit im Zusammenhange Ände-
rung des Fabrikationsprogramms: Verdrängung
des bisher nach den westlichen Märkten abge-
setzten Halbfabrikates der Drahtindustrie
(Stahlbillets) durchdie HerstellungvonT-Eisen,
deren Absatzgebiet nach allen Richtungen er-
weitert wird.
7. Der Anschluß an das Trägerkartell und den Mit-
teldeutschen Walzwerksverband. Die Aufgabe
auch dieser Kartelle war die Steigerung des Un-
ternehmergewinns.
90 2. Die Ilseder Hütte.
8. Die Verwertung der früher wertlosen Thomas-
schlacke durch den Bau einer Thomasphosphat-
fabrik. Der Mehrertrag hieraus kommt als Ge-
winn dem Gesamtunternehmen zugute.
9. Technische Neuerungen und Vervollkommnung
der Produktionsmittel, wie Bau eines Stahl-
werkes, Benutzung der Hochofengase nicht nur
für Heizungszwecke, sondern auch als Betriebs-
kraft. Infolgedessen Herunterdrückung der Pro-
duktionskosten.
10. Der gute Geschäftsgang während der Auf-
schwungsperioden von 1868 — 1873, 1880—188 3,
1887—1890, 1895—1900.
11. Die Arbeiterverhältnisse, denen durch die Ar-
beiterwohlfahrtspolitik eine für das Unter-
nehmen günstige Grundlage gegeben ist.
Die Hineinzeichnung dieser speziellen und allgemeinen Gründe
in den Rahmen der geschichtlichen Entwicklung des Unternehmens
war der Zweck der vorliegenden Darstellung.
^
3. Die Dortmunder Union.
Das Gegenstück zu den Verhältnissen der Ilseder Hütte bildet
die Union, Aktiengesellschaft für Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie
zu Dortmund. Die industrielle Geschichte Deutschlands kennt kein
großkapitalistisches Unternehmen, das in so gewaltigen Dimensionen
dauernd so unfruchtbar gewesen ist wie dieses, unbildlich gesprochen,
das während der ganzen Zeit seines Bestehens entweder eine tief
unter dem Durchschnitt liegende, meistens aber gar keine Rente
ergeben hat. Diese Tatsache rollt von selbst die Frage auf: Welches
sind die Ursachen dieses finanziellen Mißerfolges?
Die Beantwortung dieser Frage ist der rote Faden, der sich durch
die Lebens- und Leidensgeschichte durchzieht, die wir nunmehr aus-
führlicher zu schildern haben.
Die Dortmunder Union ist das Verschmelzungsprodukt verschie-
dener Betriebe. Der Grundgedanke dieser Fusion war: Eine Anzahl
großer Werke, sowohl des Kohlen- und Eisensteinbergbaus, als auch
der Hochofen-, Walzwerks- und Werkstättenindustrie zu einem
Riesenunternehmen zu vereinigen, welches die ganze Montan- und
Eisenindustrie vom Rohprodukt bis zum Fertigfabrikat umspannt,
und in dem die einzelnen Teile sich wechselseitig vertreten und er-
gänzen.
Dieser Grundgedanke wurde konsequent durchgeführt, indem
unter intellektueller und finanzieller Assistenz der Diskonto-Komman-
ditgesellschaft in Berlin folgende Werke zu einem organischen Ganzen
kombiniert wurden:
1. Die Dortmunder Hütte, ein Hütten- und Walzwerk mit
52 Puddelöfen, 28 Schweißöfen, 5 Walzenstraßen, einer Räder-
fabrik und einer Brückenbauanstalt. Zu der Dortmunder Hütte
gehörte außerdem das Hochofenwerk Othfresen in der Provinz
Hannover und das Kohlenbergwerk Glückauf Tiefbau bei Barop,
92 3. Die Dortmunder Union.
in der Nähe von Dortmund. Die Dortmunder Hütte gehörte
Dr. Strousberg, der sie zu dem Zwecke erworben hatte, um
für seine Eisenbahnbauten das notwendige Material wenigstens
teilweise selbst fabrizieren zu können.
2. Die Henrichshütte in Hattingen mit Eisen- und Kohlenzechen,
4 Hochöfen, einem Puddelwerk von 50 Öfen, einem neu er-
richteten Bessemerwerke, einem Walzwerk und einer Maschinen-
fabrik.
3. Das Horster Werk bei Steele an der Ruhr, im Volksmunde
Neuschottland*) genannt, mit Eisensteingruben, 4 Hochöfen,
einem Puddelwerke von 38 Öfen und einem Schienenwalzwerk.
An dem Horster Werk wie an der Henrichshütte war die Dis-
kontogesellschaft stark beteiligt.
Diese räumlich weit voneinander getrennten Unternehmungen
(Horst- und Henrichshütte liegen einige 30 km weit von Dortmund)
wurden nun, wie gesagt, zu einer großen Erwerbsgesellschaft ver-
einigt. Die Fusion erfolgte in der sogenannten Gründerperiode,
und zwar in der Weise, daß unter Zugrundelegung eines Aktienkapitals
von 33 Millionen Mark die Vorbesitzer der Dortmunder Hütte 18
Millionen, die Vorbesitzer der Henrichshütte und des Horster Werks
je TVo Millionen erhielten. Den Aktionären der beiden letztgenann-
ten Gesellschaften wurde es frei gestellt, ihre Aktien entweder gegen
Aktien der Dortmunder Union umzutauschen, oder aber den Parikurs
sich auszahlen zu lassen. Fast ausnahmslos acceptierten die Aktionäre
beider Gesellschaften den ersteren Vorschlag. „Durch diese Ver-
einigung'*, heißt es im Prospekt aus dem Jahre 1872, „wurde . . .
ein großes Ganze geschaffen, in welchem jedes einzelne Etabhsse-
ment eine Spezialität verfolgen, aber auch das eine Etablissement
das andere kräftigst ergänzen und unterstützen und dadurch, von der
Vereinigung dauernd Vorteile ziehend, zu höheren Leistungen ge-
langen kann."
Man sagt wohl von einem Menschen, er ist nicht zu einer glück-
lichen Stunde geboren. In viel höherem Maße aber gilt das von
manchen Unternehmungen, sicherlich aber trifft es für die Union
zu. Die Werke wurden von der Gesellschaft zu einer Zeit erworben,
als die Anlagen sehr hoch zu Buch standen und mit Aktiven und
Passiven, sowie mit den beim Kauf vorliegenden Bestellungen über-
nommen. Dazu kamen gleich im ersten Geschäftsjahr bedeutende
•) Nach dem im Jahre 1857 gebildeten Aktien verein dieses Namens.
3. Die Dortmunder Union. 93
Neuerwerbungen: die bis dahin in fideikommissarischem Besitz ge-
wesenen Eisensteinfelder nebst Hütte bei Bredelar (Preis 4V2 Mil-
lion Mark), außerdem Eisen- und Hüttenwerke in Schweden (Preis
V4 Million Mark). Im ganzen wurden im Laufe des ersten drei
Semester alten Geschäftsjahres für Neuerwerbungen verausgabt nahe-
zu 6 Millionen Mark. Dazu kamen dann fast noch 9V2 Million
Mark für Neubauten, so daß beim Ausbruch der Krisis diese Hoch-
konjunkturwerte sich also auf 15 — 16 Millionen Mark beliefen.
Das Unternehmen stand beim Kaufe zu hoch zu Buch: es war
zu teuer bezahlt. Das Jahr 1872 war in bezug auf die Preisverhält-
nisse ein durchaus exzeptionelles Jahr, aber darauf hatte man keine
oder nicht genügende Rücksicht genommen. So sehen wir in
der Cberkapitalisierung der Produktionsmittel den
EinschlagunderstenGrundderkommendenSchwie-
r igkeiten.
Außer dem Erwerb der Produktionsmittel spielt für jedes große
Unternehmen die Organisation desselben die Hauptrolle. Soll
der Betrieb nach dem Grundsatz der Erzielung des höchsten Profits
arbeiten, so muß die Verwaltung, d. h. die anordnende Instanz
und die Arbeiterschaft, d. h. die vollziehende Instanz diejenigen
Garantien bieten, die für die Realisierung des genannten Zweckes
notwendig sind. Untersuchen wir nun nach dieser Richtung hin die
Verhältnisse bei der Union.
Organisationsfragen gehören bekanntlich zu den schwierigsten.
Es war von vornherein daher nicht gerade überraschend, daß bei
der Union in dieser Beziehung anfangs große Fehler gemacht wurden.
Nach dem ursprünglichen Plane war die Verwaltung stark zentrali-
siert. In dem ersten Geschäftsbericht heißt es: „Als Grundlage der
Organisation unserer Verwaltung haben wir festgehalten auf der
einen Seite die Einheitlichkeit der Gesamtleitung, und auf der anderen
Seite die Dezentralisation in der Spezialleitung der einzelnen Betriebe
und Werke, weil nur auf diese Weise die Vielseitigkeit unserer
industriellen Anlagen und die dadurch ermöglichte vorteilhafte Ar-
beitsteilung zur vollen Geltung gelangen konnte." Trotzdem später
dieses ganze Prinzip als unrichtig wieder beseitigt wird, fügt der
Bericht hinzu: „Jetzt ist diese Organisation beendet und hat sich
durchaus bewährt!" An der Spitze des Gesamtunternehmens standen
3 leitende Direktoren mit 2 Stellvertretern. Für jeden einzelnen Be-
trieb wurde eine Betriebsdirektion eingesetzt, an deren Spitze die
94 3. Die Dortmunder Union.
einzelnen Ressortchefs standen. Der Verwaltungsrat, dessen Pflich-
ten durch ein besonderes Reglement festgelegt wurden, bestand aus
2 Komitees: dem westfälischen und dem Berliner Komitee. Dem
ersteren wurde hauptsächlich die Bearbeitung der technischen An-
gelegenheiten, dem letzteren vorzugsweise die Bearbeitung der finan-
ziellen Fragen überwiesen, während alle wichtigen und generellen
Angelegenheiten dem Plenum des Verwaltungsrates vorbehalten
blieben.
Es ist für die Gegenwart nicht ganz uninteressant, die leitenden
Persönlichkeiten der Union aus der ersten Periode der Zentralisation
in dem Urteil eines damals noch auf der Höhe des Erfolges stehenden
Mannes zu begreifen, der ohne Zweifel ein industrielles Genie war,
über den aber die Nachwelt den Stab brach, denn sie beurteilt die
Menschen lediglich nach ihren Erfolgen. Ich meine Strousberg. In
seiner Biographie*) sagt er über die Verwaltung der Union folgen-
des : „Nun aber war die Direktion und Verwaltung dazu angetan, die
Gesellschaft zu ruinieren. Nach dem schon erwähnten Prinzip des
Herrn von Hansemann übernahmen er und die Größen, die dabei be-
teiligt waren, Rothschild, Oppenheim, Präsident Scheele etc. gar
keine Verantwortlichkeit. Diese Herren standen an der Spitze der
Gesellschaft, illustrierten dieselbe, und dieses animierte das Publi-
kum, hohe Preise zu bezahlen . . . Aber verantwortlich für die Lei-
tung waren diese Herren nicht und wollten es nicht sein ; dazu wurde
ein lokaler Aufsichtsrat gewählt. Dieser war moralisch verantwort-
lich und diesem wurde faktisch die ganze Macht erteilt . . . Nun
finde ich es ganz erklärlich und gerechtfertigt, daß eine Zahl kommer-
zieller Magnaten, die mit eigenen Geschäften überhäuft sind, die
Verantwortlichkeit zurückweist, industrielle Unternehmungen zu
leiten. Man kann aber einen solchen persönlichen Vertrauensposten
nicht von sich auf andere übertragen und muß dann darauf ver-
zichten, im Aufsichtsrat und gleichzeitig Gründer zu sein und einer
Verwaltung oder Gesellschaft, deren Tätigkeit man nicht leiten oder
verfolgen kann, den Lustre seines Namens zu geben . , . Übrigens
ist die Dortmunder Union kein vereinzeltes Beispiel. Namen wer-
den überall als Lockvögel für die günstige Plazierung des Aktien-
kapitals gewählt, nirgends hat dieses zur Prosperität beigetragen,
sondern das Publikum hat nur noch neben den gewöhnlichen Ver-
*J Dr. Strousberg und sein Wirken, von ihm selbst geschildert, 3. Auflage^
Berlin 1876, p. 436 ff.
3. Die Dortmunder Union. 95
lusten das Agio verloren. Siehe Miner\^a, Pleßner, Kuxhavener Bahn,
Donnersmarkhütte, Shamrock & Hibernia, Laurahütte und zahllose
andere Unternehmungen, wobei Robert Warschauer, Mendelssohn,
Borsig, Dclbrück-Leo, Berliner Handelsgesellschaft, Bleichröder, und
sonst gleich hohe Namen zu finden sind. Welches war nun aber
der lokale Aufsichtsrat, der als Palladium hier aufgestellt wurde?
Erstens war die Zahl zu klein. Für die Exekutive ist die geringste
Zahl, die möglichste Einheit das beste, der Aufsichtsrat, ein beraten-
des Kollegium, muß groß genug sein, um in sich Parteibildung
zu ermöglichen, aus deren Reibung die Wahrheit entwickelt wird.
Die Mitglieder des Berliner Aufsichtsrates wären in sich als Teil
eines größeren Körpers ganz geeignet. Herr v. Born ist ein acht-
barer Bankier in Dortmund, der eine gewisse Vertrautheit mit der
Eisen- und Kohlenindustrie besitzt und bei darauf bezüglichen Dis-
kussionen mitsprechen kann, der aber keineswegs dazu angelegt ist,
ein so großartiges Werk zu leiten, wenigstens die Leitung zu be-
herrschen und ihr Richtung zu geben, und sein Kollege Grillo war,
wenn man ihn auch wirklich nach seinem Glauben an sich selbst
in den Kauf nehmen wollte, dazu geschaffen, v. Born vollständig
kalt zu stellen, denn v. Born ist eine schüchterne, ängstlich an-
gelegte Natur und Grillo ist das Gegenteil, und die gegenseitigen Be-
ziehungen dieser beiden Herren waren zur Zeit derartig, daß von
Born einen vollständigen Grillokultus trieb und aus Überzeugung
sich ihm ganz unterordnete. Der lokale Aufsichtsrat war also nur
Grillo und dieser herrschte um so allmächtiger, als für die Diskonto-
gesellschaft . . . Grillo auf diesem Gebiete ebenso maßgebend war.
Unter Herrn Grillos Auspizien sind alle Fehler, die die Gesellschaft
ruiniert haben, begangen worden . . .
Die Direktion war ebenso unglücklich zusammengesetzt, und
deshalb wurde die ganze Organisation eine falsche. Der eine Direktor
spielt gar nicht mit, er ist ein ruhiger, anständiger Mann, der als
Dezernent ganz gut arbeiten kann, bei Leitung eines solchen Unter-
nehmens aber gar nicht in Betracht kommt. Die Direktion bestand
daher nur aus zwei Personen, einem kaufmännischen Direktor Müller
und einem Techniker Nettke. Dem ersteren ist Begabung gar nicht
abzusprechen, er besitzt, Scharfblick, Energie und kaufmännische
Kenntnisse, ist aber ehrgeizig bis zimi Exzeß, herrschsüchtig, klein-
lich eigensinnig und zänkisch, ein gutes Pferd in kräftigen Händen,
ein Durchgeher, der über die Stränge schlägt, wenn er keine Meister-
hand fühlt ; er hielt sich plötzlich für ein großartiges Tier und arbeitete
96 3. Die Dortmunder Union.
darauf los. Grillo und den Verwaltungsrat gewann er durch seine
plausiblen Berichte und Nettke war er überlegen und räumte ihm,
um vollständig freie Hand zu haben, auf einem Teil des tech-
nischen Gebietes ebenfalls freie Hand ein, um dessen Ehrgeiz, der
auch brennend ist, gleichfalls zu befriedigen, Nettke hatte nicht
das Zeug für seine Stellung, er konnte die Sachen nicht so groß
auffassen, wie dieses hier nötig war, beim besten Willen konnte
er nicht in allen Branchen bewandert sein. Es wäre daher richtig
gewesen, bei einem so vielseitigen Werke, in verschiedenen Gegenden
zerstreut, so viel als möglich die Branchen zu teilen, und den Chefs
alle mögliche Freiheit zu lassen, und sich beobachtend, taktvoll zu
halten. Anstatt dessen — und dies paßte auch in Müllers Plan — •
wurde alles zentralisiert, und die wirklich tüchtigen Direktoren der
einzelnen Werke und Branchen derart entmutigt und degoutiert,
daß manche abgingen, alle unzufrieden waren und verhältnismäßig
wenig leisteten. Derartiges konnte auch nicht ausbleiben, wo sich
der leitende Direktor überall einmischte, überall störte, überall Un-
kenntnis dokumentierte und Fehler machte, und man kann sich wohl
denken, welche Desorganisation hier eingetreten sein muß. Herr
Müller war auf seiner Seite ebenso rücksichtslos, kaufte Materiahen,
ohne die Chefs zu Rate zu ziehen, und wenn es sich herausstellte,
daß die Ankäufe sich für die Fabrikation nicht eigneten, so mußte
es doch verarbeitet werden, und wenn der betreffende Techniker,
um sein Renomme nicht aufs Spiel zu setzen, remonstrierte, dann
wurde Streit gesucht und von der Dortmunder Union ist mancher,
der bis dahin als Fabrikationschef geachtet dastand, mit geschädig-
tem Ruf abgegangen." Nun führt er Beispiele an: „So erfuhr ich,
daß Herr Müller ein großes Quantum Roheisen für Puddelzwecke
gekauft hatte, welches zu grau war, und habe ausgerechnet, daß der
Verbrauch dieses Eisens über tausend Taler täglichen Verlust ver-
ursachte. Der Walzwerksdirektor ging deshalb ab; man hätte das
Eisen mit Vorteil verkaufen können: es nutzte nichts. Für den
Bessemerprozeß in Henrichshütte war ebenfalls nicht genügendes
Material beschafft. Aus Algier bezogene teure Erze kauft Hoerde
heute von der Union, natürlich weit unter dem Preise. Mit Materialien
zu hohen Preisen hatte man sich so versehen, daß man während
der ganzen Zeit, wo die Preise so niedrig waren, mit Material ar-
beiten mußte, das teurer war als das Fabrikat. Bestellungen wurden
stets zurückgewiesen. Der Bruder des Herrn Nettke hat mir selbst
erzählt, daß er eine höchst annehmbare Offerte für die Staatsbahn
3. Die Dortmunder Union. 97
auf 600 000 Zentner Bessemerschienen gemacht hat; sie wurde nicht
angenommen. Der Himmel hing nur für diese Herren voller Geigen,
und wie konnte es anders sein, wenn alle bei Aktienspekulationen
beteiligt waren und 80 o/o Agio für billig hielten."
So weit das Urteil Strousbergs über die Mängel der Verwal-
tung. Ihr Fehler lag, wie wir gesehen haben, außer in dem Charakter
der Persönlichkeiten vor allem in der zu starken Zentralisation.
Die Zentralleitung war allzusehr mit Arbeiten, insbesondere Details,
überlastet, während den unmittelbaren Leitern der einzelnen Werke
zu wenig eigene Verantwortlichkeit oblag. Infolgedessen hatten sie
ein zu geringes Interesse an den Resultaten der einzelnen Werke.
Dieser Nachteil tritt besonders scharf in die Erscheinung bei dem
neuorganisierten Dortmunder Werke.
Als nun das zweite Geschäftsjahr unter dieser Leitung einen
Betriebsverlust von beinahe 41/2 Million Mark ergab, wurde ein
neues Reglement für die Verwaltung ausgearbeitet, das Anfang 1875
In Kraft trat. An Stelle des Prinzips der Zentralisation tritt jetzt
eine weitgehende Dezentralisation, das heißt die Verantwortlichkeit
der Leiter der einzelnen Werke wird verschärft. Die Direktoren
waren früher ganz unselbständig. Sie hatten in den meisten Punkten
keine eigene Initiative. Das wird nun ganz anders. Für die spezielle
Betriebsleitung werden 5 Abteilungen errichtet, nämlich folgende:
1. Kohlenbergbau, 2. Eisensteinbergbau, 3. Dortmunder Eisen- und
Stahlwerke, 4. Horster Eisen- und Stahlwerke, 5. Henrichshütte,
Eisen- und Stahlwerke. Jede Abteilung wird einem Direktor unter-
stellt, welcher dem Verwaltungsrat selbständig verantwortlich ist.
Während vorher die einzelnen Werke auch rechnerisch in dem ganzen
aufgingen, wird jetzt der Grundsatz besonderer Abrechnung durch-
geführt. Jedes einzelne Werk hat eine selbständige Bilanz mit Ge-
winn- und Verlustkonto aufzustellen. Die Generalbilanz der Union
umklammert seitdem fünf den genannten Abteilungen entsprechende
Spezialbilanzen. Für die Vertretung nach außen, vorzugsweise also
für die gesamte kaufmännische Leitung funktioniert neben den Abtei-
lungsdirektoren eine Zentraldirektion in Dortmund. Der Vorsitzende
ist der Generaldirektor. Er führt die Aufsicht über die einzelnen
Abteilungen. Er bearbeitet die kommerzielle Seite des Unternehmens,
verteilt die Arbeiten an die Werke und erledigt sonstige generelle
Angelegenheiten. Die Mitglieder der Zentraldirektion (heute ist es
nur der Generaldirektor) und die einzelnen Abteilungsdirektoren bil-
den zusammen den Vorstand. Ihm liegt unter anderem die Aufgabe
Stillich, Nationalökonora ische Forschungen. Band I. 7
98 3. Die Dortmunder Union.
ob, alle Anträge der einzelnen Abteilungen an den Verwaltungsrat
einer Vorberatung zu unterziehen, sowie die Beziehungen der ein-
zelnen Abteilungen zueinander im Falle der Meinungsverschieden-
heit, resp. im Hinblick auf das Gesamtinteresse der Union, sowohl
generell als auch im einzelnen Falle näher festzustellen. Auch die
Organisation des Verwaltungsrates wurde geändert. Wie wir ge-
sehen haben, bestand derselbe aus 2 Komitees, von denen das eine
für die Bearbeitung der vorkommenden technischen Fragen, das
andere wesentlich für finanzielle Angelegenheiten und die Beauf-
sichtigung des Betriebes bestimmt war. Diese augenscheinlich durch
die örtlichen Verhältnisse gebotene Teilung führte jedoch zu Un-
zuträglichkeiten. Infolgedessen werden die beiden Komitees auf-
gehoben und bestimmt, daß in Zukunft Komitees nur mit bestimm-
ten einzelnen Aufgaben betraut werden sollen. Die Aufsichtsinstanz
wird hier im Verwaltungsrat konzentriert. In den wesentlichen Punk-
ten stehen diese Grundsätze noch sämtlich heute in Kraft.
Nachdem diese grundlegende Änderung in der Organisation:
die Verschiebung der Macht aus einer Zentralinstanz in die Hände
der Leiter der einzelnen Werke durchgeführt war, war die Konstruktion
der Verwaltung nicht mehr das Entscheidende, sondern ihre Träger,
das heißt die Personen. Hier sind nun allerdings auch im Laufe
der Zeit zahlreiche Fehler gemacht worden. Schon der häufige
Wechsel gibt zu denken. Ich habe mir aus den Geschäftsberichten
folgende Änderungen zusammengestellt, ohne damit diesen Punkt
zu erschöpfen: der erste Reorganisator der Union war der Bürger-
meister a. D. Russell (1875). An seine Stelle trat 1881 der Königliche
Eisenbahndirektor Bail, scheidet aber „aus persönlichen Gründen"
nach einem halben Jahre wieder aus (1879/80). Auf ihn folgt als
Generaldirektor Regierungsrat Seebold. Es ist zunächst, wie Strous-
berg richtig bemerkt, vollständig verkehrt, an die Spitze solcher
vielseitigen Unternehmungen wie der Dortmunder Union Leute mit
hochklingenden Namen zu stellen. Nicht der Name, sondern die
Leistung entscheidet. Zweitens gehören an die Spitze Fachleute.
Aber gegen dieses oberste Prinzip wird nicht nur in der Staatsver-
waltung — ich erinnere an die Bestellung von Geistlichen zu Schul-
inspektoren im Nebenamte, oder an die Besetzung der obersten
Verwaltungsstelle des größten deutschen Transport- und Handels-
unternehmens mit einem General — viel gesündigt, sondern auch
bei Aktiengesellschaften, z. B. bei der Union.
Nun ist zwar die Personenfrage bei einem solchen Großbetrieb
3. Die Dortmunder Union. 99
nicht das allein ausschlaggebende Moment in bezug auf die Ren-
tabilität. Viel größer als der Einfluß auch des intelligentesten Direktors
ist der der Konjunktur. Aber davon abgesehen, ist es ohne Zweifel
nicht gleichgültig, ob eine dirigierende Persönlichkeit gelernt hat, aus
den Erfahrungen der Vergangenheit Nutzen zu ziehen. Das ist bei den
verantwortlichen Leitern der Union vielfach nicht der Fall gewesen.
Dieselben Fehler, die früher gemacht wurden, haben sich wiederholt.
Daher sagt Lindenberg*) nicht mit Unrecht von der Union: „Wohl
hat es Menschen, wohl hat es Unternehmungen gegeben, welche aus
den früheren Fehlern gelernt haben, aber bei der Dortmunder Union
ist das nicht geschehen. Dieselben Dinge, welche Strousberg an
der Leitung der 70er Jahre tadelt, hat auch die Verwaltung während
des Booms der 90er Jahre nicht besser gemacht. Gleichsam als
ob es eine ehrwürdige Tradition für sie sei, jedesmal die Kon-
junktur zu verpassen und in jeden neuen Boom, überladen mit
minderwertigen Bestellungen, wofür man sich billiges Material
nicht gesichert hat, einzutreten, nachher aber in der Krisis mit teuer
gekauften Materialien ohne entsprechende Bestellungen sitzen zu
bleiben, so geschah es auch diesmal . . . Gleich wie die Union der
70er Jahre das Bedürfnis gefühlt hatte, zu Hochkonjunkturpreisen
Gruben in Westfalen und Schweden zu kaufen, ebenso fühlte auch
die Union der 90er Jahre das Bedürfnis zu ganz analogen Ankäufen
von Gruben, „welche, wenn sie wertvoll waren, was sie nicht sind,
Jahre zur Vorbereitung und viel Geld erforderten, ehe sie etwas
liefern konnten" und von denen man sich hätte sagen müssen, „daß
man die teuer gekauften Gruben erst in Betrieb bringen werde^
nachdem die gute Zeit vorbei war."*'
Außer dem Beamten war natürlich auch die Qualität des Ar-
beitermaterials von ausschlaggebender Bedeutung. „Wir finden über-
all unzureichende Arbeitskräfte**, heißt es im ersten Geschäfts-
bericht, „es fehlte insbesondere in Dortmund nicht minder an tüch-
tigen Beamten als an erfahrenen und hinreichenden sonstigen Ar-
beitskräften. Heute (das heißt 1872/73) beschäftigen wir 12102 Ar-
beiter, 169 Betriebsbeamte und 165 Bureaubeamte." Diese Arbeiter-
zahl ist bis zur Gegenwart nicht mehr erreicht worden. Erst im
Jahre 1900 beträgt der durchschnittliche Personalbestand wieder
12 082 Mann, um sich in den folgenden Jahren wieder stark zu ver-
•) Otto Lindenberg: 50 Jahre Geschichte einer Spekulationsbank. Ein
Beitrag zur Kritik des deutschen Bankwesens. Berlin 1903. p. 36.
100 3. Die Dortmunder Union.
mindern. Im Anfang konnte man nicht sehr v/ählerisch sein. Die
Gründerperiode htt unter großem Arbeitermangel. Ein großes Per-
sonal nicht bloß von Arbeitern, sondern auch von Meistern, Betriebs-
führern und Betriebsdirigenten mußte neu engagiert werden. Miß-
griffe waren hierbei nicht zu vermeiden. Die Nachfrage nach Pro-
dukten zwang dazu, den Arbeiterbedarf zu decken und über den
engen Kreis bewährter und tüchtiger, Kräfte hinauszugehen.
Um die Betriebsführer und Dirigenten an der Produktion zu in-
teressieren, hatte man anfangs das System der Bruttoproduktions-
tantieme eingeführt. Das ging, so lange die Konjunktur noch günstig
war, so lange es sich darum handelte, in erster Linie viel zu pro-
duzieren, weil auch die teurere Produktion noch großen Nutzen ab-
warf. Aber mit dem Eintritt der Baisse änderte sich das. Das Prin-
zip wird fallen gelassen. Der Geschäftsbericht 1873/74 bemerkt:
„Es fehlt indes bei stattgehabter allgemeiner Anwendung dieses
Prinzips an dem notwendigen Korrektiv gegen die Bemessung des
Arbeitslohnes nach Akkordsätzen. Die Frage der Selbstkosten tritt
in den Hintergrund; statt der Kontrolle über das nach Akkordsätzen
zu bezahlende Quantum guter Arbeit besteht und bestand ein ge-
meinschaftliches Interesse, ein möglichst großes Quantum als gut
anzuerkennen und zu buchen. Bei schlaffer und unfähiger, geschweige
denn bei gewissenloser Betriebskontrolle mußten sich diese nach-
teiligen Einwirkungen verschärfen, und so hat sich denn auch tat-
sächlich bei der Union an verschiedenen Betriebsstellen eine erheb-
liche Differenz zwischen der gebuchten Arbeitsleistung und dem
effektiven Lagerbestande herausgestellt, welche bei der letzten In-
ventur in dem mitgeteilten Betriebsresultat als Manko zu Tage ge-
treten ist. Gegen diese nachteilige Wirkung hat die mit einer Fülle
anderer Aufgaben belastete Zentralverwaltung kein ausreichendes
Gegengewicht geboten.*' Ob dieser Kausalzusammenhang wirklich
bestand, entzieht sich heute der Nachprüfung, jedoch sollen auch
nach Beseitigung dieses Systems Werte zu Buche gestanden haben,
die sich dann bei der Inventur als gar nicht vorhanden erwiesen.
Zu den verhängnisvollsten Momenten in der Geschichte der
Dortmunder Union gehört in dritter Linie das allmähliche Ver-
armen ihrer Erzbergwerke in bezug auf Masse und
Qualität. Ökonomisch bedeutet dieser Vorgang einen riesigen
Ausfallan Grundrente.
Nach der Gründung hatte die Dortmunder Union einige Eisen-
3. Die Dortmunder Union. 101
steinzechen, Erzfelder und Gerechtsame. Dazu kamen die Eisen-
steinfelder bei Bredelar. Wir sehen in der Folge auch bei der
Union das Bestreben, sich durch die Erwerbung eigener Erzgruben
unabhängig von den Schwankungen des Marktpreises, dieses grund-
legenden Rohstoffes der Hochofenindustrie zu machen. Das ist ihr
nun allerdings in bezug auf das Eisenerz nicht gelungen. Die Ge-
samtförderung an Eisenstein belief sich 1872/73 auf ca. 230 000
Tonnen, 1902/03, das heißt nach 30 Jahren, nur noch auf
ca. 29 000 Tonnen. Zwischen diesen beiden Zahlen liegt eine
interessante Periode, in der die Union alle Hebel in Bewegung
setzte, um die Produktion an Eisenerz zu vermehren. Bereits
Im ersten Geschäftsjahre genügte das oben erwähnte Quantum nicht.
Die Verwaltung tat nun einen Schritt, der sich später als verhängnis-
voller Fehler herausstellte. Im Interesse der für die Flußstahlfabri-
kation notwendigen Erzbezüge kaufte sie gleich im ersten Geschäfts-
jahre eine Holzkohlen-Hochofenanlage nebst dazu gehörigen Eisen-
gruben in Schweden, die Svabenswerke. Der Kaufpreis dieser An-
lage, einschließlich der Hütten- und Eisensteingruben, des dazu ge-
hörigen Areals von 26 000 Morgen eigener Waldungen und einer
bis zum Jahre 1900 andauernden unentgeltlichen Berechtigung zur
Abholzung von weiteren ca. 14 000 Morgen Waldungen für den
Hochofenbetrieb, betrug 3 Millionen Mark. Aber der Bezug schwe-
discher Erze aus eigenen Gruben war ein verfrühter Gedanke. Weder
Eisenbahn noch Schiffahrt waren auf den Massentransport eingerichtet,
und die Kosten dafür sehr hohe. Im Geschäftsjahre 1875/76
ergibt die schwedische Acquisition einen Verlust von 50 627 Mark. Der
Bezug wird nunmehr gänzlich eingestellt. Der Plan, schwedische
Erze aus eigenen Werken für die Dortmunder Anlage heranzuziehen,
war gescheitert. Um die Veräußerung zu erleichtern, wurde der
Buchwert der Immobilien und Anlagekonti auf V2 Million herunter-
geschrieben. 1879 endlich wird das Werk zu dem Spottpreise von
V4 Million Mark verkauft.
Vor der Einführung des Thomasprozesses hatten die eigenen
Erzgruben, die größtenteils phosphorhaltige Erze enthielten, keine
große Bedeutung. Es mußte der wachsende Bedarf an Bessemer-
erzen aus dem Auslande gedeckt werden. Diese importierten
edlen Eisenerze, die hauptsächlich aus England kamen, waren natür-
lich keineswegs billig. Erst mit der Einführung des Thomasver-
fahrens glaubte die Union sich vom Auslande losmachen zu können.
Nun begann eine Ausbeutung der eigenen Gruben und ihrer phos-
102 3. Die Dortmunder Union.
phorhaltigen Erze in großen Dimensionen. Für die Herstellung
des nach dem alten Bessemerverfahren phosphorfreien Roheisens
war Dortmund des Erzbezuges wegen ein ungünstig gelegener Platz.
Umgekehrt verhielt es sich in bezug auf die Produktion des phos-
phorhaltigen Thomaseisens, für welches sich die benötigten Erze
verhältnismäßig billig in Dortmund beschaffen ließen. Die Union
war nun in der Lage, ihren eigenen Besitz an ausgedehnten Lager-
stätten phosphorreicher Erze, welcher bisher brach lag, zu verwerten.
Mit der Einführung des Thomasprozesses auf der Union hingen
daher große Hoffnungen in bezug auf die Zukunft der eigenen Erz-
gruben zusammen. Diese Hoffnungen wurden getäuscht. Sehr bald
ließ die Ergiebigkeit der Bergwerke nach. Im Geschäftsbericht über
das Jahr 1885/86 wird bereits konstatiert, daß „das früher sehr
reichhaltige und wertvolle Vorkommen von Eisenstein auf der Grube
Reinhardt in großer Teufe allmählich vollständig in Kalk übergeht,
so daß die Außerbetriebsetzung derselben in Aussicht genommen ist."
Ähnlich verhielten sich in der Folgezeit die anderen Gruben.
Die nächste Folge der allmählichen Verarmung der Union an
dem wichtigsten Rohstoff war nun der Zukauf neuer Zechen. Im
nächsten Jahre wird die Zeche Brockhauser Tiefbau zum Preise
von 300 000 Mark erworben. 1887 kauft die Union die bei Bücke-
burg gelegene Eisensteingrube Wohlverwahrt, von der sie schon
früher die speziell für ihren Betrieb geeigneten Erze ankaufsweise
bezogen hatte. 1888 geht die mit der zuletzt genannten markt-
scheidende Grube Viktoria in den Besitz der Union über. Der Kauf-
preis für beide betrug 424 000 Mark. Als Motiv für die Erwer-
bung wird folgendes angeführt (1887/88): „Bei der in absehbarer
Zeit zu erwartenden Erschöpfung der Rasenerzfelder im nördlichen
Deutschland und in Holland, und angesichts der von Jahr zu Jahr
sich steigernden Schwierigkeiten, welche sich der ausreichenden Be-
schaffung von Puddelschlacke und anderen für die Herstellung von
Thomaseisen brauchbaren Materialien entgegenstellen, war es not-
wendig, die Roheisenfabrikation, die während der letzten Jahre durch
die Ausrüstung der Hochofenwerke mit den besten technischen Ein-
richtungen auf die Höhe der Zeit gebracht worden war, bezüg-
lich der erforderlichen Erze möglichst unabhängig von den Schwan-
kungen der Konjunktur zu machen." Später wird dann eine Minette
Konzession in Lothringen erworben. Ein Teil derselben wird jedoch
1896 wieder verkauft, und zwar mit einem Gewinn von Vi MiUionen
Mark. Dieser Gewinn wurde allerdings durch die Zubußen ab-
3. Die Dortmunder Union. 103
sorbiert, welche, wie wir später sehen werden, für die Gewerkschaft
Mengeder Steinkohlenbergwerk aufzubringen waren. Heute hat die
Union die Mehrheit der Kuxe des Minette Grubenfeldes ver. Empel,
aber es ist bisher nicht in Betrieb genommen worden, da, wie es
im Geschäftsbericht 1902/03 heißt, „es möglich war, den Erzbedarf
anderweitig zu günstigen Preisen zu decken", mit anderen Worten,
weil der Bezug aus Lothringen zur Zeit noch zu teuer ist.
Der Schwerpunkt der Erwerbungen liegt, wie aus der bisherigen
Darstellung hervorgeht, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Aber
auch diese Neuerwerbungen hielten nicht, was sie versprachen. In
der Blüteperiode von 1895 bis 1900, wo die gesamte Eisenproduk-
tion ein beschleunigteres Tempo annahm, konnte der Eisensteinberg-
bau der Union mit einer wesentlichen Zunahme nicht rechnen. Eine
Steigerung der Förderung wurde nur auf den Wesergruben erzielt:
„Auf den Bredelarer Gruben", heißt es in dem Bericht über das
Jahr 1899/1900, „haben sich die Verhältnisse während der letzten
Jahre so ungünstig gestaltet, daß der Betrieb Zubuße forderte,
und die Außerbetriebsetzung in Erwägung gezogen werden muß."
In der Krisenperiode verschlechtern sich die Verhältnisse noch mehr.
Der Geschäftsbericht für das Jahr 1902/03 läßt an Pessimismus nichts
zu wünschen übrig. Er konstatiert, daß die Eisensteingruben einen
Verlust von 151251 Mark ergaben. Über die einzelnen Gruben
wird folgendes mitgeteilt: Auf der Grube Charlottenburg bei Brede-
lar, welche allein von den dort gelegenen Gruben noch betrieben
wurde, mußte der Betrieb wegen Erschöpfung der Erzlager ein-
gestellt werden. Dasselbe Schicksal wird die Grube Martha bei
Philippstein ereilen, und zwar nach Räumung des etwa 9000 Tonnen
betragenden Lagers an Eisenstein, das in der Hauptsache schon
verkauft ist. Auf Grube Friedrich bei Wissen, die nur noch allein
im stärkeren Maße im Betriebe war, wurden gefördert 13 502 Tonnen
mit einem Verlust von 29 601 Mark. Dieser Verlust hängt damit
zusammen, daß der Verkaufswert der Produkte dieser Grube von
18,83 Mark auf 13,21 Mark pro Tonne zurückging. Über die schon
erwähnte Grube Viktoria heißt es: „Die genauen Untersuchungen
unserer Wesergruben haben ergeben, daß die unterirdischen Ver-
hältnisse der Grube Viktoria andauernd so ungünstige sind, daß
sich der Abbau vorläufig nicht mehr lohnt. Der Betrieb auf dieser
Grube ist deshalb vollständig eingestellt worden". Auf der Grube
Wohlverwahrt hatten die Untersuchungen zwar ein besseres Ergeb-
nis, aber die Förderung betrug 1902/03 nur 9226 Tonnen gegen 25 570
104 3. Die Dortmunder Union.
Tonnen im Vorjahre. Als Resultat ergibt sich ein permanentes Zu-
rückgehen der Eisenerzförderung und damit im Zusammenhange
eine große Wertverminderung der Erzbergwerke. Es sei hier nur
auf die riesigen Abschreibungen verwiesen, die nach der finanziellen
Rekonstruktion im Jahre 1896/97 vorgenommen wurden. Für diese
Abschreibungen war ein Buchgewinn von I9V2 Millionen Mark dis-
ponibel. Davon wurden auf den Eisensteinbergbau nicht weniger
als 8 Millionen Mark abgeschrieben, so daß er in der Bilanz vom
30. Juni 1897 nur noch mit 2,7 Millionen Mark figuriert, während
er sich auf der vorjährigen Bilanz auf 10,7 Millionen Mark bezifferte.
In der Generalbilanz vom 30. Juni 1903 erscheint der Eisensteinberg-
bau nur noch mit 1,4 Millionen Mark bewertet.
Aber die Förderung aus den eigenen Gruben hat nicht nur
stark nachgelassen, sondern das Erz, das sie liefern, ist auch ein
wenig reichhaltiges. Es enthält nur etwa 38 0/0 Eisen. Das ist
verhältnismäßig wenig. Ein Erz von unter 30 0/0 Eisengehalt hat unter
Umständen kaum Aussicht, überhaupt noch verarbeitet zu werden.
Infolge dieses geringen Eisengehaltes sind die Produktionskosten
des daraus erblasenen Roheisens sehr hohe. Die geringe Ergiebigkeit
der eigenen Erzgruben sowie der ungenügende Eisengehalt bedingen
nun kategorisch die Notwendigkeit, die Herstellung von Roheisen
auf fremde, das heißt zugekaufte Erze zu basieren. Die Union ver-
arbeitete in den letzten Jahren bereits über 90 0/0 fremder Erze,
von denen der größere Teil aus dem Auslande stammt. Es werden
Erze mit 62 — 680/0 aus Schweden bezogen, ferner aus Spanien und
Afrika, auch griechische Manganerze werden je nach den Markt-
verhältnissen angekauft. Die Aufträge werden einer westfälischen
Transportgesellschaft erteilt, die in Emden die fremden Erze von den
Dampfern in Empfang nimmt. Nach den mir von der Verwaltung
gemachten Angaben werden im ganzen jährlich verhüttet 720000
Tonnen Erz. Davon sollen 360 000 Tonnen aus dem Auslande, 240 000
Tonnen aus fremden inländischen und 120 000 Tonnen aus eigenen
Gruben stammen. Die letztere Zahl ist aber ohne Zweifel zu hoch
gegriffen, denn die Gesamtförderung der Union betrug im Jahre
1901/02 56 593 Tonnen, und im folgenden Geschäftsjahre sogar nur
noch 29 1 1 1 Tonnen. Der Anteil der aus den eigenen Gruben geför-
derten Erze an dem Gesamtverbrauch betrug danach, wenn der letztere
richtig angegeben ist, im Jahre 1902/03 nur ca. 4 0/0. Für die Beur-
teilung der Lage eines Unternehmens ist es natürlich von großer
Wichtigkeit, das Verhältnis der selbstgewonnenen und der zugekauften
3. Die Dortmunder Union. 105
Erze genau zu kennen. Über diesen wichtigen Punkt aber schweigen
sich die Geschäftsberichte beharrlich aus, und auch die Verwaltung
behandelt die Sache wenigstens öffentlich als Geheimnis. Die er-
wähnten Zahlen sind natürlich nur approximativer Natur. Aber es
geht aus ihnen deutlich hervor, daß der Union heute die
eigene Grundlage für ihre Produktion fehlt, näm-
lich das Eisenerz. Die himbeerroten Manganerze aus Süd-
spanien, die mitunter von blauen Kristallen überzogenen Gellivara-
erze aus Schweden, sowie die anderen in großen Massen auf dem
Lagerplatze der Union aufgestapelten Eisenerze sind ein Beweis da-
für, daß die Verarbeitung fremder Erze die Oberhand gewonnen hat.
Was die Rohstoffpolitik der Union zu erreichen suchte: Unabhängig-
keit von den Schwankungen der Konjunktur, hat sie nicht erreicht.
Dabei darf man aber zweierlei nicht übersehen. Einmal ist wegen
der hohen Produktionskosten der Erzförderung in den eigenen Gruben,
bezogen auf die Tonne Roheisen, der Bezug vom Auslande immer
noch billig zu nennen. Allerdings ist hier von Fall zu Fall der Welt-
marktpreis ausschlaggebend. Das Werk hat daher versucht, sich
namentlich schwedische Erze für eine längere Reihe von Jahren
durch Vertrag zu sichern. Die Erzpreise werden dabei nach Maß-
gabe der Roheisenpreise bemessen. Zugrunde liegt das Prinzip
der gleitenden Skala. Andererseits befinden sich die meisten Hütten-
werke des westfälischen Bezirks in ganz ähnlicher Lage. Sie alle
haben mehr oder weniger nicht genügend eigenes Erz, um ihre Hoch-
öfen damit vollständig zu befriedigen. Freilich ist auch in dieser Be-
ziehung die Union besonders ungünstig daran, weil, wie wir sahen,
der Anteil an der Versorgung der Hochöfen mit eigenem Eisenerz
nur noch 4 o/o beträgt, andererseits, weil der selbstgewonnene Rohstoff
wenig Eisen enthält.
Der zweite wichtige Hilfsstoff für den Hochofen- und Hütten-
betrieb ist die Kohle. Heute hat die Union im Gegensatz zu dem
Defizit an Eisen ein Plus an Kohlen. Sie setzt einen
Teil derselben an Fremde ab. Die Förderung belief sich 1902/03
auf 602 812 Tonnen, nach Abzug des Selbstverbrauchs der Zechen
auf 575 922 Tonnen mit einem Gesamterlös von 5,7 Millionen Mark.
Die Hauptmasse bildet die sogenannte Förderkohle. Es ist das eine
minderwertige Kohle, die einen niedrigen Preis hat. Aus diesen
Förderkohlen werden durch Waschen und Sortieren die hochwertigen
106 3. Die Dortmunder Union.
Kohlen gewonnen. Von diesen hochwertigen Kohlen wird ein Teil
an das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat verkauft, da sie sich
in den großen Sortimenten nicht zur Verkokung eignet; infolgedessen
müssen andererseits noch Koks zugekauft werden, 1Q02 allein für
das Dortmunder Werk 80 000 Tonnen, Das Werk bleibt also auch auf
diesem Gebiet von der Marktlage beeinflußt. Seine Lage wird dem-
nach mitbestimmt durch den Kohlenüberschuß im allgemeinen und
durch den Mangel an Kokskohle im speziellen.
Die Geschichte der Kohlenversorgung der Union läßt sich nur
mit großen Schwierigkeiten in den wichtigsten Punkten zusammen-
stellen. Wenn wir in die Vergangenheit des Unternehmers zurück-
blicken, so sehen wir von vornherein in scharfen und klaren Um-
rissen das Streben nach Selbstversorgung auftauchen. Es wird zu
erreichen gesucht zunächst nicht durch Erwerbung neuer Kohlen-
gruben, sondern durch Steigerung der Produktion der vorhandenen.
Allerdings machten hier die Tatsachen einen Strich durch die Rech-
nung. In dem ersten Geschäftsjahre betrug die gesamte Kohlen-
förderung der Union annähernd ebensoviel wie heute, nämlich 577 465
Tonnen mit einem fakturierten Geldbetrage von etwas über 6Mill.
Mark. In dem Geschäftsbericht über das Jahr 1873/74 wird erwähnt,
daß die Union nur zwei Drittel ihres Kohlenbedarfs aus eigenen Zechen
decken könne. In der Folgezeit ging dann die Förderung beträcht-
lich zurück. Sie betrug 1879/80 228 651 Tonnen, stieg dann mit
vielen Schwankungen bis auf 374 178 Tonnen im Jahre 1887/88, um
dann bis zum Schluß des Jahrhunderts sich wenig über 300 000
Tonnen zu erheben. Erst 1902/03 erreichte die Förderung die Höhe
von 602 812 Tonnen.
Die beiden Zechen, die die Union bereits bei ihrer Gründung
mit übernahm, sind noch heute in ihrem Besitz. Zunächst
die Zeche Glückauf Tiefbau bei Barop. Ihre Entwicklung zu ver-
folgen ist leider nicht möglich. Heute steht sie mit ca. 4,9 Millionen
Mark zu Buch. Im Geschäftsbericht 1902/03 heißt es: „Das im Be-
richt des Vorjahres erwähnte ungünstige Flötzverhalten hat auch im
verflossenen Jahre den Betrieb nachteilig beeinflußt. Dazu kam, daß
die vorhandenen Tagesanlagen den Anforderungen eines modernen
Betriebes immer weniger genügten. Infolgedessen sind nicht nur
die Selbstkosten weiter gestiegen, sondern es ist auch eine Erniedri-
gung der Verkaufspreise für Kohlen und Koks eingetreten." Daran
knüpft der Bericht die Hoffnung, daß diesem Übelstande bald durch
die Fertigstellung der neuen Wäsche und Separation, der im Bau be-
3. Die Dortmunder Union. 107
griffenen Koksöfen und der elektrischen Bahn zwischen den beiden
Förderschächten abgeholfen werden wird. Die zweite der Union
gehörende Kohlengrube Karl Friedrich bei Weitmar, die mit ca.
3 Millionen Mark auf dem Anlagekonto zu Buche steht, hat heute
ebenfalls unzureichende Tagesanlagen, die die wirtschaftliche Weiter-
entwicklung der ganzen Grube empfindlich schädigen. Das Ergebnis
im Jahre 1902/03 war ein Verlust von 12 546 Mark.
Diese Zechen allein aber genügen nicht. Daher beteiligte sich
die Union anfangs der 90er Jahre noch bei einer benachbarten Kohlen-
zeche und sicherte sich eine bis 1. Juli 1904 laufende Option. Nach-
dem dann vielfach die Verhältnisse der Flötze sich verschlechterten,
werden 1897/98 3 neue Gruben erworben: Storksbank, Wilhelmine
und Venus. Auf der bei Mengede gelegenen Zeche Adolf von Hanse-
mann beteiligte sich die Union mit 501 Kuxen, d. h. mit 1 753 500
Mark, da der Kux mit 3500 Mark bezahlt wurde. Dieser Erwerb
erforderte aber anfangs große Zubußen. Trotzdem setzte man von
selten der Verwaltung auf diese von der Diskontogesellschaft über-
nommene Zeche große Hoffnungen. Projektiert war eine Förderung
von 2000 Tonnen täglich! Allerdings war die Vergangenheit
der Zeche keine makelfreie. Schon vor einer Reihe von Jahren er-
soff bei dem Versuch des Abteufens ein Schacht, der auf der. Zeche
niedergebracht werden sollte, so daß die dafür verwendeten 31/2
Millionen Mark verloren waren. Das war bereits ein böses Omen.
Anfangs Januar 1901 nun meldete die Rheinisch-Westfälische Zeitung,
daß die Zeche Adolf von Hansemann infolge von Undichtigkeit
der Picotagen durch Wasserzuflüsse derart belästigt werde, daß
wiederholt Feierschichten eingelegt werden mußten. Das Wasser
sei so stark aufgetreten, daß die Pferde in Sicherheit gebracht wer-
den mußten. Über das Ersaufen dieses Schachtes enthält dann der
Geschäftsbericht der Union 1901/02 folgende interessante Einzel-
heiten: „Infolge eines Wasserdurchbruchs in Schacht II der Zeche
wurde die Dampfleitung zu der an diesem Schacht liegenden unter-
irdischen Wasserhaltungsmaschine beschädigt. Die Maschine konnte
nicht weiter betrieben werden, und das Wasser stieg in beide Schächte
bis über den 440 m tief liegenden Hauptquerschlag. Bei den Ver-
suchen, die Undichtigkeit in Schacht II zu beseitigen, entstand durch
Unvorsichtigkeit der mit dieser Arbeit betrauten Bergleute eine Ex-
plosion schlagender Wetter, wodurch ein Teil der Schachtzimmerung
beschädigt, 2 Bergleute getötet und die Wasserförderung mit Kästen
in diesem Schacht zunächst unmöglich gemacht wurde. Da diese
108 3. Die Dortmunder Union.
Katastrophe gerade in die Zeit der stärksten Wasserzuflüsse fiel,
so stieg das Wasser in den Schächten rasch auf, so daß sämtHche
Baue unter Wasser standen. Nur nach unsagbaren Mühen und
Anstrengungen und durch monatelange unausgesetzte Inanspruch-
nahme aller maschinellen Kräfte, die für die Wasserförderung zur
Verfügung standen, war es endlich am 5. Mai 1901 gelungen, die
Fördersohle und den Maschinenraum für die unterirdische Wasser-
haltung wieder trocken iu legen. Die nach Inbetriebsetzung der
Wasserhaltungsmaschinen sofort aufgenommenen Räumungsarbeiten
in den Schächten, Querschlägen und Strecken zeigten eine starke
Beschädigung dieser Baue." Der Schaden, der durch das Wasser
verursacht wurde, belief sich auf 700 000 Mark. Diese Summe wurde
von der Diskontogesellschaft übernommen. Die Union hätte sie
auch gar nicht bestreiten können. Durch diesen Wassereinbruch
wurde der Betrieb um mehr als ein Jahr zurückgesetzt. Die neuen
Wasserhaltungsmaschinen mit elektrischem Antriebe bemächtigten
allerdings das Wasser ; sie hoben 1 1 cbm in der Minute, während der
Zufluß nur 2,5 — 3 cbm betrug. Allerdings blieb infolge der ge-
schilderten Verhältnisse die Förderung weit hinter der projektierten
von 2000 Tonnen zurück. Sie betrug 1900/01 600 und im folgenden
Jahre 900 Tonnen pro Arbeitstag. Mit dem Hereinbruch der Krisis
wird daher der Plan erwogen, die Zeche Adolf von Hansemann
abzustoßen. Sie sollte zum Buchwerte von 16,8 Millionen Mark
verkauft werden. In der außerordentlichen Generalversammlung vom
9. Juni 1902 entschied man sich jedoch, um die Mittel aufzubringen,
für Zuzahlungen auf die Vorzugsaktien. Im Jahre 1902/03 haben sich
die Verhältnisse etwas gebessert. Die Förderung stieg von 138 499
Tonnen auf 265 301 Tonnen, das Erträgnis von 344195 auf 607 297
Mark.
Die vorhergehenden Bemerkungen zeigen zunächst, daß die
Verhältnisse der Union in bezug auf den Kohlen-
bergbau allerdings etwas günstiger liegen wie bei
dem Eisensteinbergbau, daß sie sogar imstande ist,
Kohlen zu verkaufen. Man darf dieses Moment aber
nicht überschätzen, denn nur ein Teil der geför-
derten Kohle eignet sich zur Verkokung, und die
noch fehlenden Kohlen resp. Koks müssen angekauft
werden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der drei
Zechen sind als günstig nicht zu bezeichnen trotz der
entgegengesetzten Meinung der Geschäftsberichte. So
3. Die Dortmunder Union. 109
vertritt der Bericht des Jahres 1902/03 folgende opti-
mistische Auffassung: „Eine weitere Besserung der
Lage des Gesamtunternehmens erwarten wir aus der
vollen Entwicklung unseres Kohlenbergbaus. Ein-
gehende Untersuchungen haben ergeben, daß mit
einem so bedeutenden Kohlenreichtum unserer drei
Zechen zu rechnen ist, daß bei ordnungsmäßigem
AbbaueineerheblicheSteigerungderFörderungund
somit ein Sinken der Selbstkosten und eine Erhöhung
des Reingewinns zu ermöglichen sein wir d." Schließ-
lich darf nicht übersehen werden, daß die Zechen-
anlagen mit dem hohen Betrag von 2 3,2 Millionen
Mark zu Buche stehen, während die Eisenstein-
gruben bis auf 1,4 Millionen Mark heruntergeschrie-
ben sind. In diesen Verhältnissen liegt ein weiteres,
das Unternehmen gefährdendes Element.
Nachdem wir im Vorhergehenden die natürlichen Grundlagen
erörtert haben, gehen wir nunmehr dazu über, in das Wesen des
Betriebes selbst näher einzudringen. Der Grundgedanke bei der
Bildung der Union war, wie ja auch der Name andeutet, die Ver-
einigung. Mehrere verschiedene Betriebe wurden zu einem Ganzen
kombiniert. Sie sollten 1. sich gegenseitig ergänzen und unterstützen,
2. Spezialitäten erzeugen, um so das ganze Unternehmen elastisch
über schwere Geschäftszeiten hinwegzuführen. Durch die Zusammen-
legung einzelner Werkskomplexe sollte ein Riesenunternehmen ge-
schaffen werden, das, wie es im Prospekt heißt, „an Größe des Ziels
fast ohne Beispiel" möglichst alle Zweige der Eisenindustrie um-
fassen und gleichzeitig in der Lage sein sollte, die notwendigen
Rohmaterialien und Halbfabrikate selbst zu erzeugen.
War diese Kombination mit ihren Zielen richtig? Das haben wir
jetzt zu untersuchen.
Der Gedanke der Spezialisation war ursprünglich noch nicht im
größeren Maßstabe durchgeführt. Die Walzwerke der drei in Be-
tracht kommenden Unternehmungen basierten in der Hauptsache
auf der Schienenfabrikation. Dann wurden neue Walzwerksanlagen
geschaffen und damit „die Grundlage für den Spezialitätenbetrieb
gelegt nach dem Vorbilde des Auslandes." Auch der Hochofen-
betrieb wurde ausgestaltet. „Gestützt auf den Kohlen- und Eisen-
steinbergbau", heißt es in dem ersten Geschäftsbericht, „wird die
110 3. Die Dortmunder Union.
Roheisenproduktion der Union vermittels 15 großer Kokshochöfen
und 3 Holzkohlenhochöfen erfolgen und somit der Hochofenbetrieb
der bedeutendste in einer Hand vereinigte des Kontinents sein."
Es kann nun an dieser Stelle nicht meine Aufgabe sein, die ge-
schichtliche Entwicklung der Produktion zu skizzieren — das Wesent-
liche darüber wird im nächsten Abschnitt behandelt werden — son-
dern hier kommt es lediglich darauf an, die ungeheure Vielseitigkeit
der Produktion zu illustrieren, und daher bitte ich den Leser mit
mir im Geiste einen Gang durch die Betriebe der zur Union ge-
hörigen Werksanlagen zu machen.
Wir sehen da zunächst auf dem Dortmunder Werke folgendes:
1. Ein Hochofenwerk mit 5 Hochöfen und 102 Koksöfen. Jähr-
liche Leistungsfähigkeit*) 300 000 Tonnen Roheisen und 80 000 Ton-
nen Koks.
2. Ein Stahlwerk mit 4 Convertern ä 16 Tonnen, 4 Siemens-
Martinöfen ä 25 Tonnen Fassung, 1 Tiegeischmelzofen, 1 Schmelz-
tiegelfabrik und 1 Fabrik für feuerfeste Steine. Jährliche Leistungs-
fähigkeit: 300 000 Tonnen Thomasstahlblöcke, 82 000 Siemens-
Martinstahlblöcke und 3600 Tonnen Tiegelgußstahl.
3. Ein Walzwerk zur Herstellung von Schienen, Schwellen, Ban-
dagen, Trägern, Unterlagsplatten, Laschen etc. Jährliche Leistungs-
fähigkeit 180 000 Tonnen Walzfabrikate.
4. Ein weiteres Walzwerk mit 18 Puddelöfen zur Herstellung
von Handelseisen. Jährliche Leistungsfähigkeit 96 000 Tonnen Walz-
fabrikate. '
5. Ein Hammerwerk mit 6 Dampfhämmmern und 5 Gaswärm-
öfen zur Herstellung von Achsen, Bandagenringen, Radscheiben,
Fagonstücken. Jährliche Leistungsfähigkeit 15 600 Tonnen.
6. Eine Stahlformgießerei. Jährliche Leistungsfähigkeit 5000
Tonnen Stahlfagonguß.
7. Eine elektrische Zentrale für Kraft und Licht mit 7 Dampf-
dynamomaschinen von zusammen 1624 Pferdekräften.
8. Eine Brückenbauanstalt mit 86 Werkzeugmaschinen. Jährliche
Leistungsfähigkeit 20 000 Tonnen.
*) Es handelt sich hier nur um die technisch mögliche Leistung, nicht
aber um die wirkliche Leistung, die hauptsächlich durch ökonomische Momente
bestimmt wird. — Die diesbezüglichen Angaben über die einzelnen Abteilungen
entnehme ich einer von der Verwaltung anläßlich des Besuchs Seiner Majestät
des deutschen Kaisers am IL Aug. 1899 gemachten Zusammenstellung über
den Umfang und die Betriebe der zur Union gehörigen Werke.
3. Die Dortmunder Union. 111
9. Eine Weichenfabrik mit 27 Werkzeugmaschinen. JährUche
Leistungsfähigkeit 3 800 Weichen.
10. Eine Achsen- und Räderfabrik mit 28 Schmiedefeuem,
5 Dampfhämmern, 5 Dampfmaschinen und 92 Werkzeugmaschinen
zur Herstellung von Lokomotiv- und Waggonradsätzen. Jährliche
Leistungsfähigkeit 10 000 Tonnen.
11. Eine mechanische Werkstatt mit 52 Werkzeugmaschinen zur
Herstellung von Coquillcn für Stahlguß, Walzen und anderen Guß-
stücken. Die mechanische Werkstatt dient auch als Reparaturwerk-
stätte.
12. Eine Eisenbahn vvagenfabrik mit 45 Werkzeugmaschinen zur
Herstellung von Güterwagen sowie von Personenwagen III. und
IV. Klasse. Jährliche Leistungsfähigkeit 1000 Eisenbahnwagen.
13. Eine Schiffsbauanstalt, hauptsächlich zur Herstellung von
Kanalschiffen, Seekähnen, Prähmen und Pontons.
Auf der Henrichshütte finden wir eine Hochofenanlage mit zwei
Hochöfen, eine elektrische Licht- und Kraftanlage, ein Puddel- und
Walzwerk, das letztere namentlich zur Herstellung von Winkeleisen
und Blechen, eine Gießerei und mechanische Werkstätte, sowie fol-
gende Betriebe, die wir in Dortmund nicht sahen, und die daher
hier in laufender Nummer Platz finden:
14. Eine Röhrenfabrik zur Herstellung von geschweißten Röhren,
z. B. Gasröhren, Brunnenröhren, Siederöhren, Heizröhren etc. Jähr-
liche Leistungsfähigkeit 6000 Tonnen stumpfgeschweißte und 5000
Tonnen überlappt geschweißte Rohre.
15. Eine Wagenfabrik zur Herstellung von Förderwagen für
Kohlen etc.
16. Eine Faßfabrik zur Herstellung von Petroleumfässern etc.
Jährliche Leistungsfähigkeit 850 000 Gefäßliter.
17. Eine Verzinkerei mit 2 Zinkkesseln, vollständiger Feuerungs-
anlage und Beizkessel. Jährliche Leistungsfähigkeit 3600 Tonnen
verzinkte Waren.
Schließlich weist das Horster Eisen- und Stahlwerk außer einer
Hochofenanlage mit 2 Hochöfen und 80 Koksöfen, einem Fagon-
eisenwalzwerk und einer Achsenfabrik
18. eine Schraubenfabrik zur Herstellung von Bolzen, Schrauben
und Muttern auf.
Diese Aufzählung mag eine Vorstellung von der Vielseitigkeit
und Mannigfaltigkeit der Produktion geben. Ihr Schwerpunkt liegt
— und das geht weiter aus dieser Darstellung hervor — in Dortmund.
112 3. Die Dortmunder Union.
Hier konzentriert sich heute fast die ganze Produktivkraft des Qe-
samtunternehmens. Das ist ein außerordentlich wichtiger Punkt. Die
Entwicklung der Produktion führt — das läßt die Vergangenheit
deutlich erkennen — zu einer Stärkung des Dortmunder Werks
und zu einer Schwächung der mit ihm vereinigten Betriebe. Die
ganze Geschichte der Dortmunder Union ist ein schlagender Beweis
dafür, daß sich die Angliederung des Hattinger und Horster Werks
nicht bewährte. Beide Werke treten im Laufe der Zeit in bezug auf
ihre Produktivität immer stärker zurück.
Die ungünstigen Resultate, welche die Agiomerationspolitik der
Gesellschaft herbeiführte, treten namentlich auch in den Abstoßungen
zu Tage, die die Union überall da vornahm, wo sie konnte. Der Ab-
stoßung der Svabenswerke in Schweden haben wir an anderer Stelle
bereits gedacht. 1883/84 wurde die Hochofenanlage bei Othfresen,
die bereits seit Jahren kalt gelegen hatte, verkauft, weil keine Aussicht
vorlag, sie in absehbarer Zeit wieder in Betrieb zu setzen und
infolgedessen der Besitz für die Union unrentabel war. Der größte
Teil des Hüttenareals wurde von der Zuckerfabrik in Othfresen für
den Preis von 200 000 Mark erworben. 1885 ging das Gut Bredelar
in andere Hände über und zwar für 400 000 Mark. „Wenngleich dieser
Preis", heißt es im Geschäftsbericht 1884/85, „gegen den verbliebenen
Buchwert des Gutes und der mit einem Holzkohlenhochofen ver-
bundenen Gießerei einen erheblichen Ausfall ergab, so haben wir doch
zu demselben uns entschließen müssen, weil unter den gegenwärtigen
Verhältnissen an eine Fortsetzung oder spätere Wiederaufnahme des
Fabrikbetriebes an jener Stelle nicht gedacht werden kann, und
weil der landwirtschaftliche Ertrag des Gutes außer Verhältnis mit
der Zinsersparnis steht, welche wir durch die Verwendung des Kauf-
preises zur Schuldentilgung erzielen." Schließlich sei noch das
auf der Fabrikation von Handelseisen beruhende Apierbecker Walz-
werk erwähnt, das die Union in ihrem Drange nach kapitalistischer
Ausdehnung der Produktionsmittel in Pacht genommen hatte. Die
Einrichtungen dieses Werkes waren in den 90er Jahren veraltet und
für die Verarbeitung von Flußeisen, auf die die Union der Not ge-
horchend, nicht dem eigenen Triebe, immer mehr angewiesen war, un-
brauchbar. 1895 wurde der Betrieb eingestellt, weil die Fortführung
desselben zu große Opfer verlangt hätte, und der mit dem 30. Juni
ablaufende Pachtvertrag nicht mehr erneuert. Die Abstoßung dieser
4 Komplexe sollte, auch wenn das von der Verwaltung nicht direkt
ausgesprochen wird, den ganzen Organismus gewissermaßen ent-
3. Die Dortmunder Union. 113
lasten. Heute würde es weiter eine Erleichterung für die Union
bedeuten und mit Freuden begrüßt werden, wenn auch die beiden
anderen Werke, die Henrichshütte und das Horster Unternehmen
wenigstens zum Buchpreise losgeschlagen werden könnten. Um
das richtig zu verstehen, müssen wir uns die Verhältnisse beider
Werke etwas genauer ansehen. Sie sind beide vernachlässigt auf
Kosten der Ausgestaltung der Dortmunder Anlage. Ihre Aschen-
brödelrolle aber ist das äußere Symptom ihres Verfalls sowohl in
technischer, als auch in ökonomischer und finanzieller Beziehung.
Wir beginnen mit der Henrichshütte,
Einige 30 km von Dortmund entfernt erheben sich aus dem
romantischen Gebirgstale der Ruhr die Hochofenanlagen und Schorn-
steine der Henrichshütte, eines Unternehmens, das auf eine reiche
Vergangenheit zurückblickt, die mit der Geschichte des Flusses im
Zusammenhange steht, der noch heute an ihr vorüberrauscht. Der
Grundgedanke bei ihrer Errichtung in den 20er Jahren des ver-
flossenen Jahrhunderts war, die nötigen Rohmaterialien und Fabri-
kate auf dem Wasserwege zu transportieren. Damals gab es noch
keine Eisenbahnen. Die Ruhr war ein schiffbarer Fluß, und auf
der Schiffbarkeit der Ruhr lag die Hoffnung auf die zukünftige
Größe des Werkes begründet. Als dann die Eisenbahnen in jener
Gegend aufkamen, waren die kleinen Schiffer der Ruhr gegenüber
dem großen Transportunternehmen nicht mehr konkurrenzfähig.
Sie stellten zum großen Teile die Schiffahrt ein, und langsam
begann im Laufe der Zeit der Fluß zu versanden. So war die eine
große Unterlage der Hoffnungen, die man auf sie gesetzt, geschwun-
den. Die Hütte wurde, dann am 1. März 1857 von dem Grafen
Stolberg-Wernigerode, der sie zuerst besessen, an die Diskonto-
gesellschaft für ca. 1" 4 Millionen Ta!er verkauft. Diese behielt das
Unternehmen im Alleinbesitz bis zum Jahre 1863, dann wurde es
von der Diskontogesellschaft losgelöst und in eine Kommandit-
gesellschaft verwandelt. Dadurch wurde die Bank von einem Unter-
nehmen unabhängig, das, wie Hansemann selbst zugab, „eine Fessel
für die Zukunft war.*'*) 1869 wurde es dann in eine reine Aktien-
gesellschaft umgewandelt. Allerdings beruhte damals der Hochofen-
betrieb der Henrichshütte noch auf eigenem Kohlenbergbau und
der Förderung eines vorzüglichen Spateisensteins. Aber der letztere
•) Siehe Model: Die großen Berliner Effekten banken, Jena 1896, p. 21.
stillich, Nationalökonomische Forschungen, Ba' d I. 8
114 3. Die Dortmunder Union.
hielt nicht lange vor, und so schwand auch diese Grundlage der
früher auf sie gesetzten Erwartungen.
Dazu kam, daß die großen technischen Neuerungen, die vor
allem auf eine völlige Automatisierung des Betriebes hinausdrängten,
nur wenig Eingang fanden. Heute erinnert der Habitus des Werkes
an eine vergangene Zeit. Die neuen Methoden der Eisenindustrie
haben hier noch nicht Wurzel geschlagen. Die menschliche Arbeits-
kraft spielt noch eine überwiegende Rolle, jedenfalls aber eine größere
als in dem modern eingerichteten Werke in Dortmund. Das zeigt
sich bereits bei den Hochöfen. Die Henrichshütte hat ihrer zwei:
einen großen neuen, der errichtet wurde an Stelle des vor einigen
Jahren durch eine Explosion zerstörten alten. Der erstere soll 200
Tonnen Roheisen täglich produzieren. Daneben aber erhebt sich
der kleinere alte unmoderne, von einem Mauerwerk umgebene, der
es täglich nur auf eine Roheisenproduktion von 120 Tonnen bringt.
Die Begichtung dieser Hochöfen erfolgt durch Hängebahnwagen.
Eine große Anzahl von Schleppern ist nötig, um die Wagen zu
füllen. Steigt man auf den Hochofen hinauf, so sieht man eine
Winde, die 4 — 6 Mann zu drehen haben, um die Glocke in die Höhe
zu ziehen. Anderwärts besorgt eine elektrische Winde, was hier
noch die Menschenhand vollführt. Durch veraltete Gebläsemaschinen
wird der Wind durch die Öfen getrieben. Das Roheisen fließt
dann in eine Gießhalle, erstarrt dort und wird in mühsamer Hand-
arbeit zerschlagen, um dann zum kleineren Teile nach Dortmund
gesandt, zum größeren aber verkauft zu werden, denn die Henrichs-
hütte besitzt kein Stahlwerk. Bessemer- und Thomasbirnen wird
man darin vergeblich suchen. Hätte sie diese Anlagen, so könnte
das Roheisen gleich im flüssigen Zustande in die Pfanne und von
da in die Birnen gegossen werden. Weil sie aber fehlen, muß das
erblasene Roheisen, das in Hattingen verarbeitet werden soll, nach
dem Dortmunder Werk geschickt und dort erst in Flußeisen ver-
wandelt werden, um dann wieder nach der Henrichshütte zur Weiter-
verarbeitung zurückzukehren. Infolgedessen wird der Weg,
den das Produkt vom Roheisen bis zum Fabrikat
durchläuft, starkverlängert. DasFehleneinesStahl-
werkes ist daher das bedenklichste Moment in der
Ökonomie des ganzen Betriebes. Es verteuert die
Fabrikation, und nicht immer läßt sich dieser Mehraufwand
durch den Ertrag des verkauften Roheisens ausgleichen. Allerdings
hat die Henrichshütte, wie wir noch sehen werden, einmal ein Stahl-
3. Die Dortmunder Union. 115
werk gehabt. Es kam aber anfangs der 80er Jahre definitiv außer
Betrieb und wurde nach Dortmund verlegt. Nur der alte, ehrwürdige,
wenig rentable, für die Massenfabrikation nicht brauchbare Puddel-
betrieb hat sich erhalten. Hier wird Tag und Nacht in zwölfstün-
diger Schicht gearbeitet. 1902/03 lieferte das Puddelwerk 16 314
Tonnen Luppen. Auch die Gießerei hat veraltete Einrichtungen,
alte Kräne etc. Überhaupt ist die mechanische Beförderung von
Lasten nicht auf der Höhe der Zeit. Bei modern eingerichteten
Profileisenstraßen braucht man fast keinen Menschen. Auf dem Walz-
werk der Henrichshütte aber muß Menschenkraft verrichten, was
auf anderen Werken ihr längst abgenommen ist. So laufen z. B.
die großen glühenden Bleche nicht über Rollgänge, sondern werden
von den Arbeitern fortgeschleppt. Dazu sind für jedes Blech etwa
8 Personen nötig. Natürlich hängt die Zahl von der Größe und
Beschaffenheit des zu transportierenden Gegenstandes ab. Erst im
Jahre 1902/03 erhielt die Reversierstraße einen großen Rollgang.
In dem Duo-Walzwerke wird in anderen Betrieben der Stab beim
Vorstich und Rückstich gewalzt, auf der Henrichshütte aber wird
der Stab wieder zurückgeschoben, ohne daß Arbeit an ihm ver-
richtet wurde. Die Maschine leistet in dieser Zeit keinen Nutz-
effekt. Die Vergeudung an Kraft tritt an Stelle ihrer Ausnutzung.
So ließen sich noch viele Beispiele für die kümmerliche Entwicklung
des mechanischen Betriebes anführen, der auf anderen Werken den
Produktionsprozeß erleichtert und verbilligt.
Wir haben bisher gesehen, daß die Bedeutung des Hattinger
Werkes abgeschwächt wurde 1. durch die Ungunst seines geschicht-
lichen Schicksals, 2. durch seine Vernachlässigung in bezug auf tech-
nische Ausgestaltung, 3. durch das Fehlen notwendiger Produktions-
mittel, vor allen Dingen eines Stahlwerks. Dazu kommt noch ein
vierter Punkt, nämlich der häufige Wechsel des Fabrikationspro-
gramms. Diesen letzten Punkt haben wir nun noch kurz zu be-
trachten. Die Henrichshütte basierte ursprünglich auf der Massen-
fabrikation von Eisenbahnschienen. Nur nebenbei war sie auch für
die Blechfabrikation eingerichtet. Während der Krisis der 70er Jahre
wurde dann die Schienenfabrikation verlassen und das Werk zur
ausschließlichen Herstellung großer Quantitäten von Qualitätsblechen
ausgerüstet. Aus dem Schienen- wurde ein Blechwalzwerk. In dieser
Zeit hatte sie auch vorübergehend eine Geschoßfabrik in Betrieb.
1875/76 stellte sie 109 632 Stück diverse Geschosse her. Der Be-
trieb wurde jedoch wegen Mangel an Aufträgen wieder eingestellt.
116 3. Die Dortmunder Union.
Als Ersatz für diese Einstellung erfolgte eine Ausdehnung des Gieße-
rei- und des mechanischen Werkstättenbetriebes. 1880/81 wurde dann
die Einrichtung des Stahlwerks in Henrichshütte nach dem Dort-
munder Werk überführt. Die Betriebsresultate waren im allgemeinen
ungünstige. Im Frühjahr 1880 waren zur Zeit der hochgehenden
Konjunktur Dispositionen für Beschaffung von Rohmaterialien für
die Henrichshütte getroffen worden, welche bei dem plötzlichen Um-
schwünge der Konjunktur sich ungünstig gestalteten und das Be-
triebskonto der Hütte stark belasteten, mit anderen Worten: das
Rohmaterial war in der kurzen Spanne des Aufflackerns der Kon-
junktur zu teuer eingekauft worden. Außerdem wurde das Unter-
nehmen durch den hohen Wasserstand der Ruhr geschädigt. Nicht
weniger als fünfmal mußte der Betrieb im Walzwerk auf kürzere
oder längere Zeit eingestellt werden, weil das Hochwasser in die
tiefliegenden Feuerungskanäle der Schweißöfen, namentlich der Sie-
mensschen Regenerativöfen eintrat. In den 80er Jahren sind dann
Bleche und Winkel die Hauptfabrikationsartikel der Henrichshütte.
Anfang der 90er Jahre wird, um dem Werke ein angemessenes
Arbeitsquantum zu verschaffen, in Henrichshütte die Fabrikation ge-
schweißter Röhren aufgenommen. Die Neuanlage kam im Hoch-
sommer 1893 in Betrieb. Als Ergänzung der Walzwerksanlage, und
um für die Herstellung der Röhren von größerem Durchmesser das
Walzfabrikat selbst erzeugen zu können, wurde eine Universalwalz-
straße gebaut. Heute ruht der Schwerpunkt des Hattinger Werkes
in der Blech- und Röhrenfabrikation. Bleche sind bekanntlich ent-
weder Halb- oder Ganzfabrikate. Auf der Henrichshütte werden
sie in großem Maßstabe zu Röhren ausgewalzt und zur Herstel-
lung von Fässern benutzt. Die seit 1893 bestehende Röhrenfabrik
beschäftigt ca. 250 Arbeiter und gehört dem Röhrensyndikat an.
Die Faßfabrik liefert vor allem Fässer für die Deutsch-Amerikanische
Petroleumsgesellschaft, eine Gründung des Standard Oil Trust. Außer-
dem werden aus den Blechen Förderwagen für den Transport von
Kohlen etc. hergestellt.
Zweitens kommt in Betracht das Horster Werk. Ursprüng-
lich beruhte es auf der Schienenfabrikation. In der Krisis der 70er
Jahre ließ die Nachfrage nach Schienen außerordentlich nach, und
das Horster Etablissement mußte für die Erzeugung neuer Artikel
eingerichtet werden, und zwar, der bisherigen maschinellen Aus-
rüstung entsprechend, für Fagoneisen. Man ging also von der
Schienenfabrikation über zur Herstellung von Profileisen aller Art,
3. Die Dortmunder Union. 117
wie Bauträgern, Lang- und Querschvvellen etc. Infolgedessen wurde
auf dem Dortmunder Werk die Fa^oneisenfabrikation in der Haupt-
sache eingestellt. Diese Umgestaltung des Horster Eisen- und Stahl-
werkes war 1877 vollendet. Im folgenden Jahre wird eine Draht-
straße neu eingerichtet. Bald jedoch zeigte sich, daß die zum Ersatz
von Eisenschienen aufgenommene Fabrikation von schweißeisernen
Lang- und Querschwellen durch das für diese Zwecke aufgenommene
Flußeisen empfindliche Einbuße erlitt. In dem Geschäftsbericht von
1885/86 heißt es dann mit Bezug auf die Rentabilität dieser Neu-
anlage : „Das Horster Werk ist in erster Linie auf die Fabrikation von
Bauträgern angewiesen. Infolge der ungeheuren Unterbietungen der
konkurrierenden Werke untereinander, die sich das Verkaufsgebiet
streitig machten, ging der Gewinn stark zurück."
Da nun in Horst der ganze Betrieb auf die Fabrikation von
Schweißeisen eingerichtet war, so wurde, um wenigstens teilweise
eine Ausnutzung der für die Fabrikation von Schweißeisen vor-
handenen Einrichtungen zu ermöglichen, 1892/93 die Fabrikation
von Nieten und Schrauben aufgenommen. Für diese Produkte lag
auf den übrigen Werken der Union ein regelmäßiger und starker
Bedarf vor. Diese Anlage entwickelte sich in der Folgezeit be-
friedigend.
Der Puddelbetrieb wurde weiterhin immer stärker eingeschränkt.
An Stelle der aus demselben hervorgegangenen schweißeisernen Lup-
pen mußten bei der Trägerfabrikation Flußeisenblöcke verarbeitet
werden, wofür die Einrichtungen aber zum Teil nicht geeignet waren.
Die Fabrikation von flußeisernen Trägern blieb jedoch Hauptzweig
(Geschäftsbericht vom Jahre 1897/98). Daneben werden heute auch
Schienen und Schwellen gewalzt.
Das Horster Werk, dessen Hochöfen während der letzten Krisis
länger als IV2 Jahre außer Betrieb waren und dessen Walzwerk so-
gar während des ganzen Jahres 1902/03 noch still lag, hat heute
weder Puddel-, noch Bessemer-, noch Thomasbetrieb. Das Thomas-
roheisen, das es erbläst, schickt es nach Dortmund. Dort wird es
in Stahl verwandelt, um dann wieder nach Horst zurückzukommen.
Die damit verknüpften umständlichen Arbeiten, vor allem der Trans-
port und das wiederholte Einschmelzen, verteuern die Produktion
bedeutend. So sehen wir hier dieselben Mängel in der Ökonomie
des Betriebes wie auf dem Hattinger Werke. Beide Werke genügen
nicht den Anforderungen, die man vom wirtschaftlichen Standpunkte
an sie zu stellen berechtigt ist.
118 3. Die Dortmunder Union.
Damit hätten wir unser Urteil, daß die Verschmelzung ver-
schiedener Betriebe zum Zwecke der Produktion einer möglichst
großen Anzahl von Handelsartikeln der Eisenindustrie ein Fehler
war, in seinem ersten Teile erhärtet, denn wir sahen, daß die Ver-
schmelzung für das Gesamtunternehmen kein Segen
war, und die Betriebe in Horst und Hattingen ver-
kümmerten.
Es bleibt nun noch übrig zu beweisen, daß auch die prinzipielle
Bedeutung der Herstellung von Spezialartikeln keineswegs so weit
ging, daß man die letztere als einen Talismann gegen die Störungen
des Marktes und die Erschütterungen der Volkswirtschaft durch die
Krisen betrachten könnte. Ursprünglich hatten die Gründer geglaubt,
die Union durch die Vielseitigkeit und Besonderheit ihrer Produkte
von den Wirkungen der Krisen emanzipieren zu können. Ein Unter-
nehmen, das, wie die Union, alle Zweige der Eisenindustrie umfaßte,
sollte dadurch gegen den üblen Einfluß wechselnder Konjunkturen in
den einzelnen Branchen der Industrie gefeit werden ! Dieser Plan und
seine Durchführung aber wurde durch die Schicksale der Union
kompromittiert. Bereits die Krisis der 70er Jahre zerstörte mit einem
Schlage den Glauben, daß Mannigfaltigkeit der Produktion und Kultus
der Spezialität ein Abwehrmittel gegen die Folgen von Krisen für
den eigenen Betrieb sei. Aber die Geschichte ist dazu da, daß die
Menschen nichts aus ihr lernen. Damals lagen bereits die Erfahrungen
eines Unternehmens vor, das ganz auf demselben Prinzip aufgebaut
war wie die Union, nämlich der Aktiengesellschaft für Bergbau und
Hüttenbetrieb Phönix, die wir später betrachten werden. Aber die
Praktiker sehen vielfach nicht über die Peripherie ihrer täglichen
Erfahrungen hinaus. Dafür nur ein Beispiel, das zeigt, wie schnell
die Erfahrungen der Vergangenheit vergessen werden. In dem Be-
richt der Direktion der Union vom Jahre 1882 steht als Illustration
zu dem Gesagten folgendes: „Die Erfahrungen der letzten Jahre
sind ganz danach angetan, uns in unseren Ansichten zu stärken
und den Vorteil in das rechte Licht zu stellen, welchen ein Werk
besitzt, das nicht auf die Produktion einer einzigen Spezialität in
der Eisenindustrie beschränkt, sondern vielmehr auf breiter und die
einzelnen Ungleichheiten des Marktes ausgleichender Basis errichtet
ist. Diese breite Basis ist umsomehr anzustreben, als der Eisenbahn-
bau in den meisten Kulturländern der Erde, wenn auch nicht zum
Stillstande, doch zu einem gewissen Beharrungszustande gekommen
ist." Es bedurfte einer dreißigjährigen Geschichte, in der jede ein-
3. Die Dortmunder Union. 119
zelne große Krisis dasselbe predigte, ehe die Verwaltung erkannte,
daß ihr Standpunkt in dieser Beziehung von Grund aus verkehrt
sei. SämtUche Krisen, die über die Union hereinbrachen, bewiesen,
daß sie in der Produktion von Spezialitäten kein Gegenmittel besaß.
Daß gerade dieses Prinzip den Betrieb starr machte, ist dann erst
spät — vielleicht zu spät — erkannt worden. Erst in dem Bericht
über das Krisenjahr 1900/01 heißt es: „Die Hüttenbetriebe der Union
wurden besonders ungünstig beeinflußt, einesteils weil sie auf den
Ankauf des überwiegend größten Teils der verbrauchten Rohstoffe
angewiesen waren, und andererseits, weil es außerordentlich schwierig
war, die weit verzweigten Betriebe den so plötzlich veränderten
Verhältnissen anzupassen." Der Bericht vom 9. Juni 1902 bemerkt
weiter folgendes: „Obwohl große Summen aufgewandt wurden, um
die Einrichtung der Werke den veränderten Verhältnissen anzupassen,
blieb doch der Übelstand bestehen, daß die Entwicklung der Werke
durch die gegenseitig notwendige Rücksichtnahme auf das ihnen zu-
gewiesene Fabrikationsprogramm gehemmt wurde." In demselben
Bericht wird dann weiter zugestanden: „Die Vereinigung des Dort-
munder Werkes mit den Werken Henrichshütte und Horst nebst den
dazu gehörigen Bergwerken zu einem Ganzen, so wohl erwogen
sie seiner Zeit gewesen ist, hat sich unter den im Laufe der Zeit
veränderten Verhältnissen nicht bewährt ... Es ist daher in Aus-
sicht genommen, die Henrichshütte nebst den bei der Gründung
der Union von der früheren Aktiengesellschaft Henrichshütte ein-
gebrachten Kohlenzechen und Eisensteinbergwerken zu veräußern
und zu diesem Zwecke eine Aktiengesellschaft zu bilden, an die das
Unternehmen zu übertragen sein würde."*)
Somit ergibt sich für unsere wissenschaftliche Betrachtung als
Resultat dieses Abschnitts folgendes : Das ursprüngliche Pro-
gramm der Union kränkelte an einem prinzipiellen
Fehler. Dieser Fehler beunruhigte und störte die
Rentabilität. Er lag in der Vereinigung räumlich
getrennter Betriebe und dem Glauben, durch Man-
nigfaltigkeit der Produktion eine Piece de resi-
stance gegen die verheerenden Wirkungen wirt-
schaftlicher Krisen zu schaffen. Die Entwicklung
•) Während des Druckes dieser Zeilen durcheilt die Zeitungen die Nach-
richt, daß die Dortmunder Union die Henrichshütte an die Maschinenfabrik
Henschel & Sohn in Kassel einschließlich der Vorräte für 9,4 Millionen Mark
verkauft habe.
120 3. Die Dortmunder Union.
ergab nun als Resultat: Die Unmöglichkeit der wei-
teren Dezentralisation und ein immer stärkeres Zu-
rückgehen der einzelnen Werksanlagen zugunsten
des Dortmunder Etablissements, Je mehrsich dieses
ausreckte und vervollkommnete, desto mehr
schrumpften jene zusammen. Deshalb werden be-
reits frühzeitig ganze Teile des Unternehmens ab-
gestoßen, nämlich die Svabens werk e, die Hoch-
ofenanlage in Othfresen, die Bredelarer Hochofen-
anlage und Gießerei und schließlich das Apler-
becker Walzwerk. Diese Politik machte Haltvor den
Anlagen in Horst und Hattingen, weil sich das Ziel
in den Köpfen der beteiligten Kreise noch nicht zu
vollständiger Klarheit verdichtet hatte. Deshalb war es
auch notwendig, diese Anlagen, die heute von Dortmund
aus ernährt werden müssen, näher kennen zu lernen.
Aus ihrer Geschichte ergibt sich die Notwendigkeit,
daß sie ihr Schicksal mit den bereits aufgehobenen
Betrieben teilen müssen, um, nationalökonomisch
gesprochen, einer weiteren Konzentration des Un-
ternehmens an einen Produktionsstandort nicht län-
gerim Wege zustehen.
Wir haben bis jetzt die speziellen Ursachen der Unrentabilität
der Union erörtert. Sie werden aber dadurch in ihrer Wirkung
noch potenziert, daß sie sich mit allgemeinen kreuzen. Hierher ge-
hört in erster Linie der große Umschwung in den Produk-
tionsverhältnissen, der durch technische Revolutionen auf
dem Gebiete der Eisenindustrie provoziert wurde, die wir früher be-
reits kennen lernten. Ich habe schon an anderem Orte erwähnt,
daß die Erzeugung der Union hauptsächlich auf der Schienenfabrika-
tion beruhte. Das entsprach den wirtschaftlichen Verhältnissen. Efeu-
artig hatte sich zu Beginn der 70er Jahre die Nachfrage nach Eisen-
bahnmaterial an fiem Angebot emporgerankt, um teilweise über das-
selbe hinauszuwachsen. Die Hüttenwerke konnten nicht genug Schie-
nen, Räder, Achsen und sonstige Massenfabrikate liefern. Ange-
stachelt zur Vermehrung ihrer Produktivkräfte bauten die meisten
Werke neben den vorhandenen Puddelbetrieben große Bessemer-
anlagen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Kaum war die Produk-
tionskraft verdoppelt, da geriet der Eisenbahnbau ins Stocken. Die
3. Die Dortmunder Union. 121
Nachfrage nach Schienen etc. wurde müde und schhef zeitweise
ganz ein. Nun mußten sich die großen Werke nach anderen Ar-
tikeln umsehen, sie mußten für den Ausfall an Beschäftigung auf
dem Gebiete des Eisenbahnoberbaus anderswo Ersatz suchen, zu
neuen Produktionszweigen übergehen. Hier kam nun vor allen
Dingen in Betracht das große Produktionsgebiet des Handelseisens,
das dem Absatz anfangs noch gewaltige Perspektiven eröffnete. Unter
Handelseisen verstehen wir bekanntlich Eisen mit einfachem Quer-
schnitt, also Quadrat-, Flach-, Rund-, Oval-, Sechs- und Achtkant-
eisen. Aber hierin entwickelte sich in kurzer Zeit ein starker Wett-
bewerb. Die Erzeugung dieser Artikel führte bald zu einer neuen
Überproduktion. Nun begann man in der zweiten Hälfte der 80er
und Anfang der QOer Jahre Handelseisen aus Stahl herzustellen,
d. h. das im Bessemer-, Thomas- und Martinbetrieb gewonnene
Flußeisen zu Handelseisen auszuwalzen.
Die Union hat auf diesem Gebiete nur die Aufgaben akzeptiert,
die die technische und ökonomische Entwicklung der Eisenindustrie
vorzeichneten. Als die Eisenbahnverwaltungen keine Schweißeisen-
schienen mehr abnahmen, mußte sie den Betrieb, d. h, die Walz-
werke und Öfen umgestalten, um Stahlschienen produzieren zu kön-
nen. Die Umwandlung in der Produktion der Union läßt sich da-
hin charakterisieren, daß mit dem Zurückgehen der Schienenfabri-
kation und mit der Verdrängung der Eisenschiene durch die Stahl-
schiene der Schwerpunkt der Produktion allmählich übergeht auf
die Erzeugung von Eisenartikeln des täglichen Verbrauchs. Die durch
diese Umwälzung hervorgerufene Krisis war eine der tiefgehendsten
und traf namentlich die Werke in Horst und Henrichshüttc, von
denen, wie früher erwähnt, das erstere ausschließlich, das letztere
wenigstens vorzugsweise auf die Fabrikation von Eisenschienen ein-
gerichtet war.
Diese Umgestaltung berührte indes nicht bloß die Walzwerke,
sondern brachte auch in der Rohmaterialienfrage, insbesondere in
der Roheisenfabrikation, eine tiefgreifende Änderung mit sich. Von
den 15 Hochöfen der Union waren 6 ausschließlich auf die Pro-
duktion von phosphorhaltigem Roheisen, welches nach dem früheren
Stande der Technik, d. h. vor 1879, zur Stahlfabrikation keine Ver-
wendung finden konnte, basiert. Die geographische Lage der er-
wähnten 6 Hochöfen machte es, wie der Geschäftsbericht 1881/82
ausführt, unmöglich auf demselben so, wie dies von anderen Werken
geschah, mit importierten Erzen Bessemerroheisen zu erblasen.
122 3. Die Dortmunder Union.
Diese Umwälzung in den Produktionsverhältnissen hatte nun
zur Folge, daß die Stahlerzeugung auf dem Dortmunder Werk kon-
zentriert wird. Durch neue Thomas- und Martinanlagen wird das-
selbe für eine schwunghafte Massenfabrikation eingerichtet, aller-
dings auf Kosten der übrigen Werke der Union. Daher weist der
Bericht über das Jahr 1893/94 darauf hin, daß die fortschreitende
Verdrängung des Schweißeisens durch das Flußeisen, die sich in
raschem Tempo auf Träger, Bleche und Handelseisen ausdehnte,
große Schwierigkeiten verursachte, sowohl bezüglich der technischen
Einrichtungen als auch in bezug auf das einheitliche Zusammen-
arbeiten der räumlich getrennten Werke der Gesellschaft.
Wir haben in dem Vorhergehenden ein weiteres Moment er-
kannt, das für die ungünstige Lage der Union mit verantwortlich
gemacht werden muß : Dadurch, daß das Schweißeisen
immer mehr und mehr durch das Flußeisen, od er an-
ders ausgedrückt, der Puddelbetrieb immer heftiger
und rücksichtsloser durch den Bessemer-, Thomas-
und Martinbetrieb verdrängt wurde, ergab sich für
die Union eine vollständige Verschiebung des Fa-
brikationsprogramms. Der Puddelbetrieb wurde
zum Teil eingestellt, die Stahlerzeugung in Dort-
mund konzentriert. Mit dem Zurückgehen der Eisen-
produktion und der Ersetzung des Seh weiß eisens
durch Flußeisen wird einerseits der Schwerpunkt
der Produktion auf die Erzeugung von Handels eisen
und Handelsstahl, andererseits auf die Erzeugung
von Stahlschienen gelegt. Diesen Umwandlungs-
prozeß haben alle Hüttenwerke in Deutschland
durchmachen müssen. Sie befanden sich in der
gleichen Lage wie die Union nur mit dem Unter-
schiede, daß es ihnen in den meisten Fällen gelang,
der Schwierigkeiten Herr zu werden. Für die Union
aber wurde die veränderte Produktionsweise eine
Quelle ungeheurer finanzieller Kraftanstrengungen
und — schlechter Geschäfte.
Zu den allgemeinen Ursachen ist weiterhin der Einfluß der
Krisen auf die Union zu rechnen. Wäre die Eisenkonjunktur stets
eine gute gewesen, so hätten sich die Fehler, die man in bezug
auf die Überwertung der Anlagen, die Organisation des Betriebes,
die Rohstoffbeschaffung und die Mannigfaltigkeit der Waren-
3. Die Dortmunder Union. 123
erzeugnng gemacht hatte, nicht so herausarbeiten können, wie dies
tatsächUch der Fall war.
Gleich das erste Geschäftsjahr war ein Jahr schroffsten Kon-
junlcturwechsels. In allen eisenproduzierenden Ländern, vor allem
aber in Deutschland, stiegen unter dem Einfluß ungeheurer Geld-
summen die Preise kataraktartig in die Höhe. Im ersten Halbjahre
1872 hoben sie sich pro Tonne
für Stabeisen von 192 auf 360 M.
für gewöhnliche Eisenbahnschienen „ 192 „ 324 „
für Bleche „ 270 „ 480 „
um sich bis zum Herbst auf dieser Höhe zu halten. Als dann im
Frühling 1873 von Wien aus die Sterbeglocke des wirtschaftlichen
Aufschwungs läutete, begann der ungeheure Entwertungsprozeß,
der die Eisenindustrie in den folgenden Jahren so schwer in Mit-
leidenschaft zog.
Besonders intensiv wirkte der Preisrückgang auf die Union.
Die Verwaltung hatte sich in Übereinstimmung mit den in der
rheinisch - westfälischen Eisenindustrie herkömmlichen Gebräuchen
wegen des Bezuges der Rohmaterialien in der Blütezeit ihres ersten
Geschäftsjahres auf längere Zeit im voraus gedeckt, also erhebliche
Quanten zu den hohen Preisen einer voraufgegangenen Periode noch
nachträglich abzunehmen, als die Preise des Fabrikats bereits tief
gefallen waren. Diese Engagements mußten um so nachteiliger
für sie ausfallen, als die Fertigstellung der Bauten infolge verspäteter
Lieferung von Maschinen, Mangel an Arbeitskräften etc. sich stark
verzögerte und später außerdem erhebliche Umbauten nötig wurden.
Infolgedessen konnte die Verarbeitung dieser Rohmaterialien durch-
aus nicht in dem bei dem Abschlüsse vorausgesetzten Umfange er-
folgen, und es häuften sich riesenhafte Bestände, und zwar Bestände
zu exzeptionell hohen Preisen, in einem das Normalbedürfnis weit
übersteigenden Maße an. Ihr Wert, zum Selbstkostenpreis berech-
net, belief sich im Januar 1874 auf nahezu 20 Millionen Mark. In
den 6 Jahren von 1872/73 bis 1878/79 betrug der Durchschnitts-
preis pro 1000 Kilogramm Walzfabrikate: 248,05; 221,46, 190,36;
152,56; 139,06; 126,40 Mark.
Unter diesen Verhältnissen ergriff die Union alle die Maßregeln,
die aus der Geschichte der Krisen bekannt sind. Sie sucht vor allen
Dingen den Betrieb einzuschränken und die Selbst-
kosten auf ein niedrigeres Niveau herunterzu-
drücken. In einem einzigen Jahre werden allein 3307 Af-
124 3. Die Dortmunder Union.
heiter entlassen, oder im Stile der Geschäftsberichte gesprochen:
vom 30. Juni 1873 bis zum 30. Juni 1874 sinkt der Personal-
bestand des Werkes von 12 436 auf 9129 Mann (incl. Beamte)
und erreicht am 30. Juni 1877 seinen tiefsten Stand mit 6322 Mann.
Die Krisis verminderte demnach den Arbeiterbestand der Union um
6114 Arbeiter. Außer diesem großen Opfer an Menschen forderte
sie nicht minder große Opfer an Lohn. Der Durchschnittsverdienst
eines Arbeiters sank von 1378,35 Mark im Jahre 1873/74 auf 797,53
Mark im Jahre 1877/78. Die dadurch herbeigeführte Verminderung
der Produktionskosten fällt ohne weiteres ins Auge. Die Arbeiter-
ziffer von 1873 hat die Union bis zur Gegenwart niemals wieder
erreicht. Am nächsten kommt ihr noch die Zahl des Jahres 1900,
wo das Werk 12 412 Arbeiter beschäftigte. Auch der Lohn ist in
ihrer Geschichte nicht mehr auf den Durchschnitt von 1378,35 Mark
(1873/74) emporgeklommen; er betrug 1900 1291,02 Mark.
Ein weiteres Mittel, um über die Krisis hinwegzukommen, das
auch in den späteren Jahren eine große Rolle spielt, denn die Union
hat sich eigentlich immer in einer Krisis befunden, war der Ver-
kauf von Rohstoffen an Dritte. Es werden Kohlen, Erze und
Roheisen zur Weiterverarbeitung verkauft. Dieser Absatz erlangt eine
ziemliche Ausdehnung. So wurden z. B. 1876/77 an Eisenstein ge-
fördert 53 772 Tonnen. Davon brauchten die verschiedenen Hoch-
ofenanlagen der Union im ganzen 23186 Tonnen; an Dritte wurde
verkauft 29 338 Tonnen, also über die Hälfte der ganzen Produktion,
mit einem Erlös von 310 766 Mark.
Ein weiteres Mittel, das die Union, wie die anderen großen
kapitalistischen Betriebe anwandte, um die Wirkung der Krisis ab-
zuschwächen, ist der Export zu niedrigen Preisen nach dem
Auslande. Der Unternehmer steht vor der Alternative, entweder den
Betrieb bedeutend zu reduzieren, eine größere Anzahl Öfen kalt zu
legen, oder aber den Betrieb bis zu einem gewissen Grade aufrecht
zu erhalten, um das erzielte Produkt zum oder unter dem Produk-
tionskostenpreise auf den Weltmarkt zu werfen. Alle Krisen haben
nun bisher e i n Erfahrungsresultat ergeben, das sich übereinstim-
mend bei fast allen großen Werken wiederholt: Der Export wird
forciert! So auch bei der Union. Bei ihr erreichte die Produktions-
ziffer fertiger Fabrikate 1875/76 mit 87,4 Millionen kg ihren tiefsten
Punkt und stieg dann 1877/78, obgleich eine Besserung der Konjunk-
tur nicht eingetreten war, auf 121 Millionen kg. Es würde fehlerhaft
sein, diese vergrößerte Erzeugung auf der Basis des Exports als ein
3. Die Dortmunder Union. 125
günstiges Zeichen anzusehen. Deshalb heißt es auch in dem Be-
richt des genannten Jahres: „Diese Steigerung der Produktion be-
weist zwar eine vermehrte Arbeitsleistung, bietet aber keineswegs
einen Beweis für eine gewinnbringende Lage der Industrie . . . Denn
die Steigerung ist nur möglich geworden durch einen häufig mit
direktem Verlust verbundenen Zwangsexport nach dem Auslande,
lediglich zu dem Zwecke, um derjenigen Massenproduktion einen
Abfluß zu verschaffen, welche ihrerseits wieder erforderlich ist, um
so billig produzieren zu können, wie die Konkurrenz des Auslandes
zur Aufrechterhaltung des Betriebes der eigenen Werke es erfordert.
Würde man von einem solchen, in den einzelnen Abschlüssen häufig
direkt verlustbringenden Export absehen, so würde man die Pro-
duktionsziffer so bedeutend ermäßigen müssen und dadurch die Selbst-
kosten dieser verminderten Produktion so bedeutend erhöhen, daß
der hierdurch entstehende indirekte Verlust weit erheblicher wäre
als der direkte Verlust bei einzelnen Abschlüssen nach dem Auslande;
die Betriebsfähigkeit der mit so erhöhten Selbstkosten arbeitenden
Werke würde ernstlich in Frage gestellt sein, wenn nicht unmöglich
werden."
Die zweite Krisis, die die deutsche Eisenindustrie heimsuchte,
dauerte von 1883 — 1887. Im Jahre 1883 begann der internationale
Markt für die Hauptexportartikel Schienen und Draht zu verflauen.
In dieser Zeit, sagt die Verwaltung der Union 1885/86, gelang es
nur, „durch die Vervollkommnung des technischen Betriebes und
äußerste Sparsamkeit auf allen Gebieten einen Teil des Ausfalles
auszugleichen, den der fortwährend starke Rückgang der Verkaufs-
preise im Gefolge hatte." 1886 erfolgte dann die Auflösung der Inter-
nationalen Schienengemeinschaft. Dies hatte eine so erbitterte und
unwirtschaftliche Konkurrenz und demgemäß einen so niedrigen Preis
für dieses Fabrikat auf dem Weltmarkt zur Folge, daß das Werk es
vorzog, die Schienenfabrikation vorübergehend einzustellen. Aber
auch das inländische Schienengeschäft wurde durch das Auftreten
der ausländischen Konkurrenz bei den Submissionen der deutschen
Bahnverwaltungen wesentlich beeinträchtigt.
Während so auf der einen Seite in der Krisis der 80er Jahre
das Schienenkartell zusammenbrach, war diese Periode andererseits
die Geburtsstunde einer Anzahl neuer Kartelle auf dem Gebiete der
Eisenindustrie. Vor Ablauf des Jahres 1886 wurde die Roheisenkon-
vention gegründet. Diese Vereinbarung führte weiter zu der Kon-
vention der Trägerwerke und schließlich im August 1887 zu der
126 3. Die Dortmunder Union.
in Dortmund etablierten gemeinsamen Verkaufsstelle der Stabeisen
produzierenden Werke in Rheinland-Westfalen, worüber an anderer
Stelle bereits das Wesentliche gesagt wurde. Nunmehr war auch die
Union in der Lage, den Ausfall in der Gesamtproduktion an Fertig-
fabrikaten, der durch die Einschränkung der Schienenfabrikation
bewirkt worden war, reichlich auszugleichen durch die Mehrproduktion
an Stab- und Fagoneisen. Auch für Grob- und Feinbleche hatte
sich ein Syndikat gebildet, dem die Union angehörte. Es kann gar
keinem Zweifel unterliegen, daß ihre Ergebnisse durch die Kartell-
organisation gehoben worden sind. „Wir haben", heißt es in dem
Bericht 1887/88, „uns fortgesetzt an die Förderung dieser für die
ganze Eisen- und Stahlindustrie wichtigen Bestrebungen lebhaft be-
teiligt und das gegen das Vorjahr günstigere Gewinnresultat . . .
ist wesentlich auch den auf diesem Gebiete erzielten Erfolgen zu
danken."
Allerdings ist die weitere Stellung der Union zu den Kartellen
keine einheitliche gewesen. So z. B. zum Trägerkartell. Es bestand
seit 1886 als reines Preiskartell, d. h. nicht die Produktion, sondern
der Preis wurde geregelt. Über dieses Kartell heißt es im Bericht
des Jahres 1892: „Durch die seitens einiger Werke neu aufgenommene
Trägerfabrikation wurde, obwohl sie der Preisvereinigung beitraten,
das den älteren Werken verbleibende Arbeitsquantum wiederholt
so vermindert, daß der Wert der Vereinigung für dieselben fraglich
wurde." 1891 wurde die Auflösung der Vereinigung beschlossen.
Dasselbe Schicksal erlitt der auch auf bloßer Preisvereinbarung be-
ruhende Grobblechverband, nachdem sich bereits im Herbst 1890
die Unmöglichkeit herausgestellt hatte, den Feinblechverband aufrecht
zu erhalten. Der Auflösung dieser beiden Verbände folgte ein un-
geheurer Preisrückgang der Bleche. 1891 standen die Blechpreise
um 80 — 90 Mark pro Tonne niedriger als 1890.
Damit tritt die Union in die dritte Krisenperiode ein, die Zeit
von 1890—1894. Nachdem die alten Verbände zerfallen, steht das
Werk keineswegs mehr den Kartellen mit so ungeteilter Sympathie
gegenüber wie in den 80er Jahren, wo man noch allgemein glaubte,
in dem Zusammenschluß der Unternehmer zur Regulierung der
Preise, resp. der Produktion ein Heilmittel gegen die Krisen ge-
funden zu haben. In die Berichte der Union schleichen sich Klagen
über die Kartelle ein. So empfindet es die Leitung ungerechtfertigt,
daß der Stabeisenverband, der bis zum 31. Dezember 1893 bestand,
dem Werke nicht annähernd das für seinen Betrieb erforderliche
3. Die Dortmunder Union. 127
Arbeitsquantum zuweisen konnte, so daß eine intensive Aus-
dehnung seiner Einrichtungen und die hieraus entstehenden Vorteile
ihm versagt blieben.
Ähnlich klingt es dann aus den Berichten über die letzte Krisis,
die die Jahre 1900—1903 umfaßt, heraus, daß die Kartelle ein Hin-
dernis für das Werk seien. In dem Bericht über die außerordentliche
Generalversammlung vom 9. Juni 1902 wird ausgeführt, daß die
freie Aktion der Werke, besonders auf kaufmännischem Gebiete,
durch die in der Eisenindustrie immer mehr um sich greifende Ent-
wicklung der Syndikate und Konventionen behindert werde. Die für
das eine Werk nötige Zugehörigkeit zu solchen Vereinigungen hin-
dert das andere Werk, diejenigen Vorteile auszunutzen, welche den
mit ihm in Wettbewerb stehenden freien Werken ohne Mühe zu-
fallen. Der sich hieraus ergebende Widerstreit der Interessen konnte
bei der Union nur mit Opfern für das Gesamtunternehmen aus-
geglichen werden. Der eingetretene Stimmungsumschlag in bezug
auf die Stellung der Verwaltung gegenüber den Kartellen hat aber
nicht verhindert, daß die Union dem Anfang 1904 zustande gekom-
menen Stahlwerkverband ebenfalls beitrat.
Die letzte Krisis, die in den Beginn des neu anbrechenden Jahr-
hunderts fällt, wirkte auf die Gesellschaft in derselben einschneiden-
den Weise wie die früheren Konjunkturrückgänge. Besonders
schwierig gestaltete sich die Lage infolge der Wechselbeziehung
zwischen dem Dortmunder Werk und den beiden Werken in Horst
und Henrichshütte. Darüber sagt der Geschäftsbericht 1900/01 fol-
gendes: „In der zweiten Hälfte des Jahres 1899 und Anfang 1900
konnte die Nachfrage nach Halbzeug auch nicht annähernd befrie-
digt werden. Unter dem Einfluß dieses lang andauernden Mangels
kauften sowohl die Händler wie die Halbzeug verarbeitenden Werke
so große Mengen, daß der Bedarf über ein Jahr hinaus gedeckt war.
Die Union konnte sich jedoch an diesen langsichtigen und gewinn-
bringenden Verkäufen nicht beteiligen, weil das Dortmunder Werk
alles nicht selbst verarbeitete Halbzeug an die Werke in Horst und
Henrichshütte abgeben mußte, deren bisherige Lieferanten bei der
stürmischen Nachfrage versagten. Als nun der Umschwung erfolgte,
und die Beschäftigung der Werke in Horst und Henrichshütte zu-
rückging, wurde der Betrieb des Dortmunder Stahlwerkes aufs emp-
findlichste benachteiligt, weil ein Absatz des von Horst und Henrichs-
hütte weniger abgenommenen Halbzeuges auf dem äußeren Markte
nicht mehr möglich war. Es mußte daher die Stahlerzeugung in
128 3. Die Dortmunder Union.
Dortmund rasch ganz erheblich eingeschränkt werden, und sofort
trat an Stelle des bisherigen Mangels ein Überschuß an Roheisen.
Es ist nicht möglich gewesen, diesen Überschuß durch Verkäufe
abzustoßen und dadurch die Ansammlung größerer Vorräte zu ver-
hüten." Aus dieser Darstellung geht hervor, wie ungünstig die Ab-
hängigkeit vom Dortmunder Werke die beiden anderen Etablisse-
ments beeinflußte. Bei diesen lagen daher die Verhältnisse am
schlimmsten. In Horst wurde der Hochofen-, Puddel- und Walz-
werkbetrieb ganz eingestellt, und nur die Achsenfabrik, sowie die
Muttern- und Schraubenfabrik blieben, wenn auch eingeschränkt, in
Betrieb, Auch die Henrichshütte hatte in den beiden ersten Jahren
sehr zu leiden. Der Rückgang der Nachfrage nach Blechen trat
früher ein und war größer als bei allen anderen Erzeugnissen der
Eisenindustrie. Die Verluste dieses Werkes wurden größtenteils durch
den Verkauf des aus den Vorjahren übernommenen großen Roh-
eisenbestandes gedeckt.
Allerdings hat es den Anschein, als ob 1902/03 sich die Lage der
Union wieder günstiger gestaltete, denn sie konnte in dem genannten
Jahre auf die Vorzugsaktien lit. D 5 o/o und auf die Aktien lit. C 2(yo
Dividende verteilen. Allein aus der Bilanz ergibt sich, daß diese Divi-
denden aus den tatsächlichen Betriebsgewinnen des Geschäftsjahres
nicht hätten gezahlt werden können, sondern daß ihre Auszahlungen
nur durch Zuhilfenahme von Rückstellungen ermöglicht wurde. Der
mit 1 271 768 Mark bezifferte Reingewinn kommt nämlich dadurch
zustande, daß dem „Konto der vorbehaltenen Abschreibungen"
1 067 550 Mark entnommen und in die Gewinn- und Verlustrechnung
eingestellt sind. Es ergibt sich weiter, daß auch der Spezialreserve-
fond, der Ende Juni 1902 mit 2,6 Millionen Mark dotiert war, jetzt
nur noch 1 721 026 Mark beträgt. Es sind demnach im ganzen
mehr als 1,8 Millionen Mark zur Aufbesserung des Erträgnisses
pro 1902/03 aus den früheren Rückstellungen herangezogen worden.*)
Damit hätten wir auch die Ingerenz der Krisen
auf das Werk behandelt. Dasselbe litt, trotz seiner
spezialisierten Produktion, mit der ganzen deut-
schen Eisenindustrie unter vier großen Nieder-
gängen der Konjunktur. Am schlimmsten wirkte auf
das noch nicht genügend fundierte Unternehmen die
Baisse von 1873 — 187 9. Eine ungeheure Entwertung
•) Siehe Handelsteil des Berliner Tageblattes vom 6. Oktober 1903.
3. Die Dortmunder Union. 129
der zu Hochkonjunkturpreisen gekauften Rohstoffe
trat ein. Als Reaktion gegen die schädigenden Wir-
kungen dieser Krisis sehen wir diePolitik derUnion,
deren Aktien damals an der Berliner Börse auf 4 o/o
heruntersanken, auf dreierlei gerichtet: Erstens auf
eine Erniedrigung der Produktionskosten, zweitens
auf eine Abstoßung eines Teils seiner Rohstoffe
durch Verkäufe an Dritte und drittens auf den Ex-
port eines relativ großen Teils seiner Fabrikate, um
den Betrieb in einem gewissen Umfange aufrecht er-
halten zu können.
Nach einer kurzen Erholung folgte dann die
Stagnation von 1883 — 188 7. Als Hauptabwehrmittel
gegen die Schädigungen dieser Periode sucht das
Werk Anschluß an die Kartellbestrebungenderdeut-
schen Eisenindustrie. Mit Hingabe beteiligt es sich
an den bestehenden Verbänden, von denen ein Teil
jedoch nach kurzer Zeit zusammenbricht, weil er
auf bloßer Fixierung der Preise beruhte.
Nach diesen Erfahrungen ändert dann das Werk
seine Haltung. In der folgenden Krisis von 1890 bis
18Q4 und in der letzten Baisse, die über die Eisen-
industrie hereinbrach und die von 1900 — 1903
« dauerte, steht es nicht mehr ganz auf dem Stand-
punkte ungeteilter Zustimmung zu den Kartellorga-
nisationen. Jedenfalls hängt dieser Wechsel mit
seinerdauernd schlechten finanziellen Situation zu-
sammen, an der bekanntlich auch die Hochkonjunk-
turperiode von 1895 — 1900 nicht viel zu ändern ver-
mochte.
Die letzte Krisis schädigte, wie wir sahen, na-
mentlich die Betriebe in Horst und Hattingen, aber
auch das Dortmunder Werk wurde teilweise, infolge
seiner Beziehungen zu denselben, derartig mitge«
nommen, daß selbst das Jahr 190 2/0 3, das für die
Eisenindustrie im allgemeinen wieder bessere Er-
gebnisse brachte, bei der Union nur durch einen
Kunstgriff in der Bilanzierung zu einem Reinertrage
gezwungen werden konnte.
Stiilich, Nationalökonomische Forschungen, Band I.
130 3. Die Dortmunder Union.
Wir haben im Vorhergehenden eine Reihe von Ursachen kennen
gelernt, aus deren Zusammenwirken die finanziellen Mißerfolge der
Dortmunder Union resultieren. Man kann behaupten, daß es auf
dem großen Gebiete der Eisenindustrie keine einzige Aktiengesell-
schaft gibt, die im Laufe der Zeit so große Kapitalien absorbiert hat,
wie gerade dieses Unternehmen. Man hat es mit einem Sumpf ver-
glichen, der Millionen über Millionen verschlang, und selbst heute
hat es noch nicht den Anschein, als ob dieser Schlund gesättigt wäre.
Es ist daher nicht uninteressant, den finanziellen Aufbau
eines derartigen Unternehmens im Deta-l näher kennen zu lernen.
Das Aktienkapital der Union wurde, wie eingangs erwähnt,
auf 33 Millionen Mark festgesetzt. Bei der Errichtung der Gesell-
schaft am 2. Februar 1872 wurden hiervon 15 Millionen Mark über-
nommen, wovon 12 Millionen zur öffentlichen Subskription gelangten.
Den Rest von 18 Millionen Mark erhielten die Aktionäre der Ge-
sellschaft Neuschottland und Henrichshütte. Bald darauf, am 5. Ok-
tober 1872, erfolgte nach dem Erwerb der Eisensteingruben und
Hochöfen von Bredelar und der Svabenswerke eine Erhöhung des
Aktienkapitals um 6,6 Millionen auf 39,6 Millionen Mark. Der Nomi-
nalwert der Aktien betrug 600 Mark. Aber das genügte noch nicht.
In der Generalversammlung vom 3. November 1873 wird gegen
Verpfändung des Immobiliarvermögens die Aufnahme einer sechs-
prozentigen Anleihe im Betrage von 18 Millionen Mark beschlossen.
Bald nach der Generalversammlung gelangte die Anleihe von einem
Konsortium zur Emission. Aber bereits der zweite Geschäftsbericht
konstatiert, daß die Bauten auf der Union einen erheblichen Mehr-
aufwand erforderten und das Geld nicht ausreiche. Dazu kam die
Unterbilanz des Jahres 1873/74. „Zur Beseitigung derselben", heißt
es im Geschäftsbericht des genannten Jahres, „und zur Deckung des
obigen Mehrbedarfes müssen der Gesellschaft neue Mittel in ent-
sprechender Höhe zugeführt werden, was angemessen nur durch
die Emission von Stammprioritäten bewerkstelligt werden kann."
In der außerordentlichen Generalversammlung vom 15. Februar 1875
wurde daher beschlossen, das Aktienkapital auf 41,4 Millionen Mark
festzusetzen und es in zwei Kategorien zu zerlegen, nämlich in privi-
legierte Aktien lit. A im Betrage von nom. 15 Millionen Mark und in
Stammaktien lit. B im Betrage von 26,4 Millionen Mark. Die erste-
ren hatten das Recht einer Vorzugsdividende von 6 o/o. Sie wurden,
da von den bisherigen Aktionären das statutarische Bezugsrecht
unter den obwaltenden Verhältnissen nicht ausgeübt wurde, von
3. Die Dortmunder Union. 131
den Hauptbeteiligten des Konsortiums, welches die Union ins Leben
gerufen hatte, zum Parikurse übernommen und voll bezahlt. Außer-
dem wurde das bisherige Grundkapital der Gesellschaft reduziert
und zwar im Verhältnis von 3:2. Es geschah das in der Weise,
daß der Nominalbetrag jeder Aktie durch Abstempelung von 600
auf 400 Mark heruntergesetzt wurde. Es blieben dem ursprüng-
lichen Aktionär also noch 662/3^/0 seines Nominalkapitals. Für die
Gesellschaft ergab sich aus dieser Operation ein Buchgewinn von
13,2 Millionen Mark, der zur Deckung der Unterbilanz des ver-
gangenen Jahres, zur Wiederherstellung des Reservefonds und zu
Abschreibungen Verwendung fand. Damals wurden aber nicht sämt-
liche Aktien zur Abstempelung eingereicht, und an der Berliner
Börse wurden lange Zeit beide Aktien gehandelt, nämlich gewöhn-
liche Stücke und abgestempelte Stücke. Ein Wertunterschied bestand
nicht. Ja, es wurden sogar die nicht abgestempelten Stücke durchweg
höher bezahlt als zu zwei Drittel des Kurses der abgestempelten Stücke.
Das ist einer der vielen Widersprüche, die die Börse mitunter beliebt.
Nach dem inneren Werte mußte eigentlich der Kurs der nicht abge-
stempelten Aktien etwas niedriger als zwei Drittel des Kurses der abge-
stempelten sich belaufen, schon wegen der usancemäßig mit 4 0/0 zu
berechnenden Stückzinsen, dann aber auch deshalb, weil die nicht
abgestempelten Stücke als solche gar keine statutenmäßige Oiltig-
keit mehr besaßen, also unter allen Umständen behufs Teilnahme an
der Generalversammlung, behufs neuer Dividendenscheine etc. nach-
träglich doch noch abgestempelt werden mußten, wodurch immer-
hin Spesen, Porti etc. erwachsen.
Aber der ersten Rekonstruktion des Unternehmens, wie sie in
der Generalversammlung vom 15. Februar 1875 beschlossen war,
und nachher ausgeführt wurde, sollte bald eine zweite folgen. Für die
Bilanz des Jahres 1874/75 wurden zwar die Entwertung und Ver-
luste durch die Abschreibungen aus der Kapitalreduktion vollständig
ausgeglichen. Durch die neu emittierten Aktien lit. A wurden die
dem Unternehmen entzogenen liquiden Mittel wieder neu zugeführt.
Trotzdem blieb der Passivstatus der Union noch stark belastet. In
den folgenden Jahren steigt die Schulden- und Zinsenlast wieder
bedeutend an. Noch 1874/75 hatte die Union allein über 2 Millionen
Mark Zinsen zu zahlen. Als Grund wird außer der früheren Unter-
bilanz angeführt der alle Erwartungen übersteigende Mehrbedarf
von 12 Millionen Mark für Bauten, die empfindliche Entwertung
der früher angewachsenen Magazinbestände, bedeutende Ersatz-
9*
132 3. Die Dortmunder Union.
leistungen für die noch von der Gesellschaft Neuschottland ausgeführ-
ten österreichischen Schienenlieferungen, sowie die großen Verluste
an außenstehenden Forderungen, insbesondere bei der falliten Ge-
sellschaft F. Pleßner & Co. in Höhe von mehr als 700 000 Mark.
Infolge dieser mißlichen Verhältnisse, die in den folgenden Jahren
sich noch mehr verschlimmerten, wurde für den 14. März 1878 eine
außerordentliche Generalversammlung einberufen. Auf derselben
wurde erstens eine weitere Reduktion des Aktienkapitals beschlossen
und demgemäß der Nominalwert der Aktien beider Kategorien auf
den handelsgesetzlich zulässigen Minimalbetrag von 300 Mark pro
Aktie fixiert. Alle Aktien der Union hatten nunmehr den Nominal-
wert von 300 Mark. Durch diese Reduktion des Nominalwertes
von 400 auf 300 Mark wurde eine Summe von 10350 000 Mark
disponibel. Dem ursprünglichen Aktionär bheben jetzt noch 50 o/o
seines Nominalkapitals.
Zweitens wird das Aktienkapital vergrößert, und zwar durch
Emission von nom. 10 350 000 Mark Aktien lit. A, so daß das ge-
samte unter diesem Buchstaben auftretende Kapital nunmehr 21 600 000
Mark beträgt. Sollte diese Vergrößerung nicht ausreichen, dann ist
die Gesellschaft befugt, Aktien lit. A bis zum Betrage von 30 Mill.
Mark auszugeben. Diese neuen Aktien lit. A. sollen laut Statut
gerade soviel Dividende erhalten wie die alten Aktien lit. A, also mit
ihnen vollständig gleich berechtigt sein.
Drittens wird, und darin liegt der Schwerpunkt der ganzen Re-
konstruktion, beschlossen, den alten Aktionären, die wir als B-Aktio-
näre bezeichnen wollen, den Umtausch ihrer Aktien in solche lit. A
anzubieten. Drei alte sollen als Vollzahlung auf eine Stammprioritäts-
aktie lit. A angesehen werden, d. h. der Besitz von drei alten Aktien
lit. B. das Anrecht auf eine neue geben. Nehmen wir an, daß sämt-
liche Aktionäre davon Gebrauch machten (der größte Teil hat es
tatsächlich getan), dann wurden die 1Q,8 Millionen Mark auf 6,6 Mill.
Mark reduziert, und die Gesellschaft hatte davon einen Vorteil, der
sich auf 13,2 Millionen Mark belief. Es blieben nunmehr dem
Aktionär, der seine Aktien in dem angegebenen Verhältnis von 3 : 1
umtauschte, noch Ve seines ursprünglichen Kapitals, d. h. 16 — 17o/o.
In der Generalversammlung vom 3. Juli 1879 vmrde dann die
Tilgung der sechsprozentigen Obligationen beschlossen. An Stelle
dieser alten Anleihe übernimmt die Diskontogesellschaft eine neue
fünfprozentige. Der Subskriptionspreis betrug 1017470 gegen Rück-
3. Die Dortmunder Union. 133
Zahlung zu llOo/o. Das Konsortium übernahm die Hälfte zum Kurse
von 990/0.
Im Jahre 1879/80 wird dann das Aktienkapital lit. A um weitere
6 Millionen Mark erhöht und den B-Aktionären mit ihrem Kapital
von 5 818 000 Mark eine letzte Frist zum Umtausch gegen Aktien
lit. A offen gelassen.
In den 80er Jahren verschlechterten sich die finanziellen Grund-
lagen der Gesellschaft nur wenig, erst in den 90er Jahren drohen
wiederum gewaltige Katastrophen den ganzen Bau zu erschüttern.
Von 1892—1895 wuchsen die Schulden von 20,3 auf 29,3 Millionen
Mark, davon waren 1895 über 8 Millionen Mark Bankschulden.
Gläubigerin war auch hier wieder die Diskontogesellschaft. Um diese
schwebende Schuld zu tilgen und die Neubauten bezahlen zu können,
waren weitere Mittel nötig. Dieselben wurden nach den Beschlüssen
in der außerordentlichen Generalversammlung vom 25. Januar 1896
auf zweierlei Weise aufgebracht:
Erstens: das Aktienkapital lit. A wird auf 39 Millionen Mark
erhöht; von einer weiteren Erhöhung und Emission auf 45 Millionen
Mark mußte man absehen, da der Kursstand der Aktien eine Be-
gebung derselben zu Pari nicht gestattete.
Zweitens : das Grundkapital der Gesellschaft wird durch Emission
von 9000 Stück Vorzugsaktien lit. C ä 1500 Mark um 13,5 Millionen
Mark erhöht. Diese Aktien lit. C erhalten eine Vorzugsdividende
von 50/0. Das Aktienkapital lit. A soll erst dann an einer Dividende
teilnehmen, wenn die Vorzugsaktien lit. C mit 5 0/0 befriedigt sind.
Diese neuen Aktien wurden zum Kurse von 100V2^/o von der
Diskontogesellschaft übernommen, d. h. sie zahlte der Gesellschaft
131/2 Million aus, verdiente V2®/o und bot nun die Aktien dem
Publikum an. Diese fünfprozentigen Vorzugsaktien, wie man sie
schlauer Weise nannte, erzielten, als sie zum ersten Male an der
Berliner Börse gehandelt wurden, einen Kurs von 101 ,75 0/0. Volks-
wirtschaftlich betrachtet haben wir es bei der Entstehung der Aktien
lit. C mit der Umwandlung einer fest verzinslichen Schuld in Aktien
zu tun. Hierin liegt auch der Schlüssel, warum eine Bank, wie die
Diskontogesellschaft an der Dortmunder Union sich nicht verblutet hat.
Die Diskontogesellschaft lieh zu allen Stunden der Union ungeheure
Vorschüsse in bar, aber sie ließ sich bald dafür Effekten geben,
und begab diese weiter an das Publikum. Infolgedessen dürfte sie
auch an der Union keine Verluste erlitten haben, ganz zu schweigen
134 3. Die Dortmunder Union.
von den Gewinnen, die mit den erwähnten Transaktionen der Kredit-
gewährung verknüpft sind.
In der Versammlung am 25. Januar 1896 wurde von der Ver-
waltung der Union proponiert, die Aktien Ut. A im Verhältnis von
5:2 zusammenzulegen. Darauf erhob sich in den Kreisen der Ak-
tionäre ein Sturm der Entrüstung. Der Vorschlag wurde als unge-
recht, unbegründet und verfrüht von der Majorität des Aktienkapitals
zurückgewiesen, trotzdem die ganze Sanierungstransaktion „mit pomp-
hafter Aufwendung allen Raffinements modemer Finanzkunst" in-
szeniert worden war. (Zukunft 30. XI. Ol). Es wurde daher am
26. November 1896 eine neue außerordentliche Generalversammlung
einberufen, in der die Vorschläge der Verwaltung auch nicht durch-
gingen, wohl aber die der koalierten Aktionäre. Die Verwaltung wollte
23 Millionen Mark zu Abschreibungen verfügbar machen durch eine
Heruntersetzung des Aktienkapitals von 52,5 auf 29,1 Million Mark,
d. h. durch eine Zusammenlegung von 5 : 3. Demgegenüber setzten
die Aktionäre, da eine Reduktion unvermeidlich war, und es sich
nur um ihre quantitative Bemessung handelte, folgendes durch: Das
Grundkapital der Gesellschaft wird in ein einheitliches, unterschieds-
loses Kapital von nom. 33 Millionen Mark vermindert, und zwar in
der Weise, daß für nom. 3000 Mark Aktien lit. A eine vollbezahlte
Vorzugsaktie lit C von nom. 1500 Mark gewährt wird. Die noch im
Umlauf befindlichen Aktien lit. B werden so behandelt, als ob sie
bereits in Aktien lit. A umgetauscht wären. Das kombinierte Grund-
kapital der Gesellschaft wird also von 52,5 auf 33 Millionen Mark
heruntergesetzt, und zwar in der Weise, daß der Nominalbetrag
der Aktien lit. A im Verhältnis von 2:1, also von 39 Millionen auf
19,5 Millionen Mark reduziert wird. Dieser reduzierte Betrag sollte in
allen Teilen, also insbesondere auch in bezug auf die Gewinnbeteiligung
den bestehenden Vorzugsaktien lit. C gleichgestellt sein. Infolge dieser
Umwandlungen schafft sich die Gesellschaft einen Buchgewinn von
19,5 Millionen Mark. Dem ursprünglichen Aktionär aber blieben
nur noch V12 oder ca. 80/0 des Nominalwertes seiner Aktien.
Im Geschäftsjahr 1898/99 wird dann das Aktienkapital von 33
auf 42 Millionen Mark erhöht. Das Plus von 9 Millionen Mark
wird gebraucht zum vollständigen Erwerb der Zeche Adolf von
Hansemann, von der die Union bereits 501 Kuxe besaß, ferner zum
Bau von Arbeiterwohnungen. „Hiermit ist schon früher begonnen
worden und 137 Wohnungen sind bereits bezogen. Weitere 146
Wohnungen werden noch im laufenden Jahre (1899) vollendet werden.
3. Die Dortmunder Union. 135
Aber auch über das laufende Jahr hinaus wird mit diesen Bauten fort-
gefahren werden müssen, um dadurch eine dauernde Belegschaft
für die Zeche zu gewinnen." (Geschäftsbericht 1898/99.)
In der außerordentlichen Generalversammlung vom 9. Juni 1902
wird dann zweierlei beschlossen:
1. Eine Herabsetzung des Grundkapitals von 42 auf 25,2 Millionen
Mark durch Zusammenlegung der Aktien lit. A im Verhältnis von
5:3. Dadurch erzielt die Gesellschaft einen Buchgewinn von 16,8
Millionen Mark. Der ursprüngliche Aktionär erleidet einen weiteren
Verlust. Er hat jetzt nur noch V20 o*^^'" ca. 5 0/0 seines ursprünglichen
Kapitals in Händen.
2. Erhöhung des Grundkapitals auf 36 Millionen Mark durch
Ausgabe von 10,8 Millionen Mark für Vorzugsaktien lit. D. Diese
letzteren werden ebenfalls wieder von der Diskontogesellschaft ge-
zeichnet und zu 1000/0 übernommen. Sie erhalten eine Vorzugs-
dividende bis zu 50/0, nach ihnen die Aktien lit. C eine Dividende bis
zu 40/0. Ein dann noch verbleibender Überschuß wird auf sämtliche
Aktien jeder Gattung nach ihrem Nennwert verteilt. Ist auf die Aktien
lit. C während vier aufeinanderfolgender Jahre eine Dividende von
50/0 verteilt worden, so entfallen sämtliche Unterschiede zwischen
beiden Aktienkategorien, und es wird damit das Gesamtkapital ein
einheitliches und unterschiedsloses.
Ich möchte zum Schluß noch auf einen Vorgang aufmerksam
machen, der sich bei der Kotierung der Aktien lit. D an der Berliner
Börse ereignete. Die Zulassungsstelle derselben wollte die Einführung
dieser Aktien nicht genehmigen, bevor nicht die nächstjährige Bilanz
vorläge. Die Diskontogesellschaft beschwerte sich über den Be-
schluß bei dem Ältestenkollegium, dem bekanntlich die Berliner Börse
gehört, und setzte die Einführung der D-Aktien auf diesem Wege
durch.
Soviel über die finanzielle Geschichte der Union, und über die
ungeheuren Verluste, die mit dem Besitz von Unionaktien für den
Inhaber verbunden waren. Die kärglichen Gewinne, die sie aus-
schüttete, kommen demgegenüber gar nicht in Betracht. Ein Bild
davon mögen folgende Zahlen geben: Die Union verteilte 1872/73
120/0 Dividende. In den folgenden Jahren gar nichts. Dann erhielten
die Aktien lit. A von 1878/79—1895/96: 0, 2, 2V2, 4, 5, 1, IV4, V3.
V3, 2, 3, 4, 2, 1, 1, 0, 0, 00 0, die Aktien lit. C 1895/96—1902/03: 5,
5, 5, 6, 7, 0, 0, 20/0, die Aktien lit. D 1902/03: 5o/o.
Werfen wir zum Schluß noch einen kurzen Rück-
136 3. Die Dortmunder Union. _
blick auf die finanzielle Geschichte der Union, so
sehen wir ein kompliziertes Durcheinander finan-
zieller Maßregeln, die alle veranlaßt werden durch
den Heißhunger des Unternehmens nach Kapital, und
dieser wieder steht im Zusammenhange mit den Er-
fordernissen der Bilanz und des Betriebes. Verluste
zu decken und Produktionsmittel neu anzuschaffen,
das waren die beiden wichtigsten Motive. Um nun
das Geld für diese beiden Zwecke zu erhalten, ist
die Union nach zwei Richtungen hin vorgegangen,
und damit haben wir den leitenden Faden, der sich
durch alle großen Perioden ihrer Sanierung hin-
durchzieht, gewonnen. Sie hateinmal, um den Passiv-
saldo zu beseitigen, durch Zusammenlegung der
Aktien das Nominalkapital stark heruntergesetzt.
Durch diese Reduktionen wurde ein Buchgewinn er-
zielt:
1875 von 13,200,000 M.
1878 „ 23,550,000 „
1896 „ 19,500,000 „
1902 „ 16,800,000 „
in Summa 73,050.000 M.
Nicht weniger als über 73 Millionen Mark sind im
LaufevonSOJahrendurcheineKettevonZusammen-
legungen der Aktien, die wir näher kennen lernten,
verschwunden. Wollte man aber an Stelle des No-
minalwertes den Kurswert zugrunde legen, und
würde man Obligationen und Bankschulden noch
mit berücksichtigen, so würde diese Zahl noch be-
deutend höher sein. Lindenberg spricht in seinem
Buche „5 0 Jahre Geschichte einer Spekulations-
bank"*) sogar von 130 Millionen Mark, allerdings
ohnedenrechnerischenNachweisdafürzuerbringen.
Diese Verluste haben sich auf Kosten der Aktionäre
vollzogen. Wir haben gesehen, daß der ursprüng-
liche Aktionär im Laufe der Zeit erst 33 Vs, dann 50,
dann83 — 84,dan^Q2undschließlich95o/oseinesKa-
pitals verloren hat, so daß er heute nur noch ca. 5 o/o
*) a. a. O., p. 120.
3. Die Dortmunder Union.
137
des früheren Nominalwertes seiner Unionaktien be-
sitzt. Zu diesen Kapitalreduktionen gesellen sich
dann Kapitalerhöhungen, die aufder Basis des Prio-
ritätensystems vorgenommen werden. Es folgen
nacheinanderAktienemmissirnen (Lit. A, B, C, D), von
denen die folgende immer mehr Rechte gewährt als
die vorhergehende. Bei allen diesen Transaktionen
stand die Diskontogesellschaft der Union helfend
zur Seite. Hätte diese finanzielle Unterstützung ge-
fehlt, so wäre die Union längst in Konkurs geraten.
So liegen heute, nach einer dreißigjährigen Ver-
gangenheit die Dinge: Ein großes Uiid stolzes Un-
ternehmen von Weltruf, das sich dereinst rühmte,
„an Größe des Zieles fast ohne Beispiel" zu sein,
geht, belastet durch die Vergangenheit, langsam an
seinem geschichtlichen Verhängnis zu Grunde —
wenn es ihm nicht gelingt, die Fehler zu beseitigen,
die wir in dieser Darstellung kennen lernten.
4. Phönix.
Es gibt meines Erachtens unter den deutschen Eisenwerken keines,
das in seiner Verfassung, seinem Aufbau und seiner ganzen ge-
schichtlichen Entwicklung soviel Ähnlichkeit mit der Dortmunder
Union aufwiese, wie das Unternehmen, das in diesem Abschnitt
Gegenstand eingehender Untersuchung sein soll. Diese ursprünglich
und vor allem wieder in neuester Zeit stark hervortretenden ver-
wandtschaftlichen Beziehungen zweier vollständig unabhängig von-
einander dastehender Werke haben in der Tat etwas Überraschendes,
aber sie treten, wenn man im Geiste die ältesten und die jüngsten
Jahre beider an sich vorüberziehen läßt, so klar hervor, daß man sie
unmöghch übersehen kann. Allerdings nimmt die Entwicklung des
rheinischen Werks einen relativ günstigeren Verlauf als die des west-
fälischen. Das beruht im wesentlichen darauf, daß es dem ersteren
teilweise gelang, die Quellen seiner Mißerfolge zu verstopfen, was
bei dem letzteren, wie wir sahen, bisher nicht der Fall war.
Wir beginnen mit der Gründung. Am 10. November 1852 wurde
die Firma Th. Michiels & Co. in Eschweiler-Aue in eine Aktien-
gesellschaft umgewandelt unter dem Namen Phönix, anonyme Ge-
sellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb. Ihr Besitz erstreckte sich
auf ein Walzwerk und einige Eisensteingruben. Um nun das Erz
selbst schmelzen zu können, erbaute die Gesellschaft 1853 zwei
Hütten: die eine zu Kupferdreh, die andere zu Laar bei Ruhrort. 1855
wurden diese Betriebe mit einer Hütte der Societe des Mines et
Fonderies du Rhin Charles Detillieux et Co, zu Borbeck vereinigt.
Damit Hand in Hand ging eine Erhöhung des ursprünglich 4,5 Mill.
betragenden Aktienkapitals auf 18 Mill. Mark, die jedoch zu einem
Teil nicht zur Emission gelangten.
Das eigenartige dieser Genesis liegt ganz ähnlich wie bei der
Dortmunder Union darin, daß mehrere Betriebe, die räumlich weit
voneinander getrennt sind, zu einem einheitlichen Unternehmen ver-
4. Phönix. 139
schmolzen werden. Die anonyme Gesellschaft Phönix repräsentiere
also die Vereinigung früher getrennter Etablissements. Sie stellte
sich die Aufgabe, die Fabrikation des Roh- und Fertigeisens nach
englischer Methode in die Kohlendistrikte der Preußischen Rhein-
provinz einzuführen. In dem Bericht vom 30. Oktober 1855 heißt es
wörtlich: „Jene anfänglich durch vereinzelte Anstrengungen ge-
schaffenen Etablissements haben durch ihre Vereinigung Kraft ge-
wonnen und bilden jetzt ein vollkommen zusammenhängendes Ganze,
welches den Vergleich mit den größten in Belgien und Frankreich
geschaffenen Werken derselben Art aushält."
An diese Kräftezusammenballung knüpften die Gründer große
Hoffnungen. Als damals der Großbetrieb, der ja schon den ganzen
Bergbau des Mittelalters beherrschte, um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts in Rheinland-Westfalen, also wesentlich später als in Ober-
schlesien, seinen Einzug in die Eisenhüttenindustrie hielt, da ver-
banden sich damit die weitgehendsten Erwartungen. Es darf da-
her nicht wunder nehmen, wenn in dem Geschäftsbericht von 1856
das Unternehmen über sich selbst folgendermaßen urteilt: „In der
Tat ist die Gesellschaft Phönix die bedeutendste aller bisher in
Deutschland zum Zwecke der Eisenfabrikation gegründeten Gesell-
schaften und vereinigt in sich alle Elemente, welche erforderlich
sind, um ihr eine glänzende Zukunft zu sichern.**
Diese Erwartungen stützten sich auf drei Grundlagen:
1. Auf die metallurgischen Reichtümer der Ge-
sellschaft an Eisenerzen. Die Gruben, welche die Eisen-
erze lieferten, lagen in drei großen Distrikten: Es befanden sich 43
Konzessionen gegen fixierte Abgaben im Nießnutz der Gesellschaft
im Ruhrbassin; femer 16 große Förderungsstellen an den Rhein- und
Moselufern und schließlich 95 Konzessionen im Herzogtum Nassau.
Die Gesamtproduktion an Erzen stellte sich 1855/56 auf über 125 000
Tonnen. „Dieser unschätzbare Reichtum", sagt der Bericht, „sichert
uns unseren Bedarf an Erzen*) in der für die Darstellung des Roh-
eisens wünschenswertesten Auswahl. Wir können ohne Übertreibung
behaupten, daß in dieser Beziehung keine andere metallurgische
Gesellschaft im Lande ähnliche Hilfsquellen besitzt." Natürlich konnte
man damals noch nicht voraussehen, welche Revolution die Eisen-
industrie in ihren Tiefen aufwühlen, und welchen Wert in Zukunft
das Eisenerz an der Ruhr, am Rhein und an der Lahn haben
•) Gemeint ist die Deckung des Bedarfes.
140 4. Phönix.
werde. Heute ist die Phönixhütte geradeso wie die Westfälischen
Werke hauptsächUch auf den Kauf fremder Erze angewiesen. Damals
aber lagen die Verhältnisse noch anders.
2. Besaß die Gesellschaft zwei Kohlenzechen in
Pacht. Eine dritte, Rhein-Elbe, die im Abbau begriffen war, wird
1856 an die Gelsenkirchener Gesellschaft für Kohlengrubenbetrieb
zum Preise von 720 000 Mark verkauft. Das Werk verdiente
daran 282 000 Mark. Es hatte die Zeche bei der Fusion mit der oben
erwähnten französischen Gesellschaft für Rheinischen Bergbau und
Hüttenbetrieb erworben.
Diese Politik, Kohlenzechen zu pachten, wurde später aufge-
geben, weil die betreffenden Kohlenbergwerke große Kosten ver-
ursachten und Zubußen erforderten. Allerdings kehrte man in den
90er Jahren, wie wir noch sehen werden, wieder zur Selbstbedarfs-
deckung zurück.
In den 50er Jahren waren die Produktionskosten der Rohstoffe
noch verhältnismäßig hohe. Dazu trug hauptsächlich bei der kost-
spielige Transport derselben zu den Hütten. Anfänglich waren es
Bauern der Umgegend, die die Erze von den Gruben der Gesellschaft
zu den Uferstellen fuhren. Aber bald schafft sie sich eigene Pferde
an und nimmt den Transport des Urmaterials selbst in die Hand.
Derselbe bildete einen wichtigen Tätigkeitszweig der Gesellschaft.
Sie unterhielt 254 eigene Zugpferde, 47 eigene Schiffe, die den Eisen-
stein von den verschiedenen Lagerstellen an den Lahnufern bis nach
Lahnstein und Ruhrort brachten. Natürlich wurde infolge der ge-
trennten Lage der Betriebe die Fabrikation nicht unbedeutend ver-
teuert. In welcher Weise die ungünstigen Schiffahrtsverhältnisse auf
der Lahn mitwirkten, werden wir später sehen.
Der bei der Schmelzung der Erze erforderliche Kalkstein wurde an-
fangs von verschiedenen Lieferanten beschafft. Aber sehr bald wurde
dieser Modus verlassen. Zur Vermeidung der aus unvollkommener
Einhaltung der betreffenden Lieferungsverträge möglicherweise ent-
stehenden Gefahren und namentlich auch um Preissteigerungen ent-
gegenzutreten, kaufte die Gesellschaft zwei Kalksteinbrüche. Der
Ankaufspreis derselben wurde durch die Ausbeute selbst amortisiert.
3. Das ganze Unternehmen basiert nun auf der
Verarbeitung des Roheisens in r\ en Stahl- und Walz-
werken. Es verbindet also die Erzeugung der Rohstoffe mit ihrer
Veredlung. Es bleibt nicht bei der Förderung von Kohle und Eisen-
stein stehen, sondern es wandelt dieselben in Fabrikate für den
4. Phönix. 141
Markt um. Für die Phönixhütte brachte dieses Programm gleich
im Anfange große Vorteile mit sich. Gegen die gesteigerten Pro-
duktionskosten der Kohle in der ersten Zeit des Betriebes wird
durch Verbesserung in der Fabrikationsweise angekämpft, und die
Mehrausgaben für Rohstoffe werden durch die Mehreinnahmen für das
Fabrikat überkompensiert.
Der Schwerpunkt der Fabrikation beruhte in der Herstellung
von Eisenbahnschienen. Dieselben wurden aus dem in den Puddel-
öfen hergestellten Schweißeisen erzeugt. „Unsere Gesellschaft",
schreibt der Geschäftsbericht über das Jahr 1856/57, „hat sich einen
wohlverdienten Ruf durch die gute Qualität ihrer Schienen erworben
und darf daher im Fortschritt nicht stehen bleiben. Die Schienen-
fabrikation, welche ihren Hauptabsatz fördert, wird immer ihren
wichtigsten Industriezweig bilden." Damals schrieb die Eisenbahn-
direktion noch das Hämmern der Schienen vor, ein heute voll-
ständig verlassenes Verfahren. Infolgedessen wird ein Teil der Luppen-
pressen durch Hämmer ersetzt. Die Eisenbahn zahlte für das Häm-
mern von 1000 Pfund Schienen einen um 9 Mark höheren Preis,
welcher ungefähr die Mehrkosten der Fabrikation ausmachte. Die
Schienen wurden in den beiden Etablissements von Eschweiler-Aue
und in Ruhrort hergestellt. Die Produktion belief sich im Jahre
1854/55 in Eschweiler-Aue und Ruhrort:
Eschw.-Aue Ruhrort
Eisenbahnschienen 18,605,731 U 8,082,096 U
Bleche 4,800,326 „ —
Räder 2,371,956 „ —
Laschen und Unterlagsplatten . 2,265,600 „ —
Stabeisen 998,916 „ —
Bandagen 719,393 „ 448,599 „
Achsen 338,371 „ 333,247 „
Schmiedeeisen 92,916 ,, —
Total 30,198,212 U 8,863,942 U
d. h., es wurden im ganzen hergestellt 18 250 Tonnen fertiges
Fabrikat.
Das waren die Verhältnisse, auf die sich die Erwartungen stützten.
Der natürliche Reichtum an Eisenerz und Kohlen und die Fabrikation
von Eisenbahnschienen und Eisenbahnoberbaumaterial bildeten die
Grundlage des jungen Unternehmens. Wenn man nun den Ge-
schäftsberichten allein vertraut, kann man nicht verstehen, wie dieses
142 4. Phönix.
anscheinend auf so sicherer Grundlage fundierte Werk nach wenigen
Jahren vor dem Bankerott stehen konnte. Sieht man näher zu, so er-
kennt man, daß bei der Gründung bedeutende Fehler gemacht wurden,
und daß auch der ganze Qründungsvorgang keineswegs so korrekt
verlaufen war wie das hätte sein müssen. Die Börse hat für solche
Dinge ein feines Verständnis. Längst vor Ausbruch der großen
Handelskrisis des Jahres 1857 erlitten die Aktien des Phönix be-
trächtliche Kursrückgänge. Damals schrieb die älteste und ange-
sehenste Finanzzeitschrift Deutschlands, der Frankfurter „Aktionär",
unterm 14. Oktober 1855 (p. 331) über den Phönix folgendes: „Diese
Gesellschaft gehört zu jenen pomphaften Unternehmungen Pariser
Spekulation, die mit Millionen auftretend in einem kühnen Sprunge
Erfolge erstreben, wozu seit jeher überall in der Welt nur arbeitsame
Ausdauer, mühevolle Erfahrung und weise Ökonomie geführt haben.
Auf dem Felde der Industrie reifen die Früchte nicht über Nacht."
Welches waren nun die Ursachen, die den Keim des Verfalls
in kurzer Zeit zu nähren imstande waren? Aus der weiteren Ent-
wicklung und den ergriffenen Maßnahmen ergibt sich folgendes:
In erster Linie bestand die Schwierigkeit darin, daß räumlich weit
voneinander getrennte Betriebe einheitlich arbeiten. Sie lag begründet
in der Entstehungsgeschichte des Unternehmens.
Ferner bestand ein eklatantes Mißverhältnis zwischen stehendem
und umlaufendem Kapital. Das hatte seine Ursachen in folgendem:
Bevor das ganze Aktienkapital im Betrage von 18 Millionen Mark
untergebracht war, schritt die Verwaltung zu größeren Anlagen unter
der Voraussetzung, die nicht untergebrachten 4,8 Millionen Mark
würden sich leicht realisieren lassen. Das war aber nicht der Fall.
Die Ausdehnung und die technische Vervollkommnung der Anlagen
überschritt daher bald das verfügbare Kapital. Schließlich ergab sich,
daß die Anlagen mehr kosteten, als ursprünglich vorausgesetzt war.
Die Erweiterung der Produktionsmittel galoppierte gleichsam über
das zur Disposition stehende Kapital hinaus.
Um sich nun neue Betriebsmittel zu verschaffen, versuchte die
Gesellschaft zwei Wege einzuschlagen, ohne daß es ihr jedoch ge-
lungen wäre, zum Ziele zu gelangen. Einmal wollte sie an Stelle der
noch im Portefeuille befindlichen Aktien Obligationen emittieren.
Aber damals hingen derartige Maßnahmen noch von der Genehmigung
der Landesregierung ab. Keine Gesellschaft konnte ihr Betriebskapital
aus freien Stücken vergrößern. Es war dies noch eine lebendig ge-
bliebene Reminiszenz an die landesväterliche Politik der Vergangen-
4. Phönix. 143
heit. So versagte denn die Regierung ihre Zustimmung. Das einzige
Mittel, das nun noch übrig blieb, um zur al pari Ausgabe der Aktien
zu gelangen, war, sie in privilegierte Aktien umzuwandeln. Diese
sollten 60/0 Zinsen vor jeder anderen Verteilung einer Dividende
aus dem Reingewinn erhalten. In der außerordentlichen General-
versammlung vom 11. Mai 1858 wird der Antrag der Direktion
angenommen, „daß zur Verbesserung der Finanzlage der Gesellschaft
durch Vermehrung des Betriebsfonds und gleichzeitig zur Ermög-
lichung der Emission der 16 000 Prioritätsaktien die durch die Direk-
tion vorgeschlagene Zahlungsweise der Dividende durch Prioritäts-
aktien al pari bis zur vollständigen Emission dieser Prioritätsaktien
als eine unumgängliche Notwendigkeit erscheine." In bezug auf
die bisher nicht begebenen sollten 25 Aktien der früheren Emission,
ein Anrecht auf eine privilegierte Aktie haben. Solche Vorzugs*-
aktien sollten auch in den folgenden Jahren ausgegeben werden
bis zur Vervollständigung des statutenmäßigen Gesellschaftskapitals
auf 18 Millionen Mark. Als nun aber 1857 die Krisis ausbrach,
wurde es unmöglich, diese Aktien unterzubringen. Der Plan, da-
durch genügende Geldmittel zu erhalten, war also auch gescheitert.
Über diesen geldlosen Zustand klagt der Bericht vom 11. Mai 185&
in beweglichen Worten : „Die Gesellschaft Phönix bietet auf der einea
Seite große metallurgische Reichtümer, herrliche Hüttenanlagen, eine
blühende Industrie (nur durch vorübergehende Verlegenheiten etwas^
leidend: gemeint ist die Krisis von 1857 — 1860), eine von den Kon-
sumenten gerühmte Fabrikationsmethode, zahlreiche Aufträge, welche,
beinahe ihre ganzen Produktionskräfte bis zum Monat April 1859
in Anspruch nehmen, und einen regelmäßigen Gewinn, den wir mit
Recht als gesichert betrachten dürfen. Auf der anderen Seite finden.
wir einen offenbar unzulänglichen Betriebsfond, die Notwendigkeit,
fremden Kredit in einem Maße in Anspruch zu nehmen, welches
zu vergrößern verderblich wäre, der vielmehr eine Einschränkung
dringend erheischt, und endlich die Unmöghchkeit, augenblicklich
die einzigen Wertpapiere anzubringen, zu deren Ausgabe wir befugt
sind. Solche Vorteile, meine Herren, darf man nicht beeinträchtigen,,
und solche Übel nicht vergrößern. Dcsh. 'b schlagen wir Ihnen aus
vollster Überzeugung vor, die zu verteilende Dividende auf 4 0/0
festzustellen." In diesen Worten ist bereits gesagt, wie die Gesell-
schaft, die sich das nötige Betriebskapital weder durch Ausgabe von
Obligationen, noch durch Aktien verschaffen konnte, verfuhr: Sie
nahm den Akzept- und Lombardkredit der Bankhäuser im weitgehend-
144 4. Phönix.
sten Maße in Anspruch. Bekanntlich sind das aber sehr teure Kredite.
1857, als einem Werte von über 6 Millionen Mark an Vorräten,
Rohstoffen und Fabrikaten ein wirklicher Betriebsfond von 426 000
Mark gegenüberstand, kosteten die Bankkredite nicht weniger als
360 000 Mark. Dazu traten nun während der Krisis noch Verluste.
Das Jahr 1856/57 hatte noch einen Gewinn von 1 471 137 Mark
gebracht Die folgenden beiden Jahre ergaben keinen Gewinn und
die Bilanz von 1859/60 schloß sogar mit einem Verlust von 395 091
Mark. In dem letztgenannten Jahre betrugen die Generalunkosten
die Summe von 596 286 Mark. Davon entfielen allein 505 500 Mark
auf die Beschaffung der Betriebsmittel, d. h. auf Zinsen und Diskont-
gebühren an die verschiedenen Bankiers. Es war noch ein Glück,
für das Unternehmen zu nennen, daß es ihm gelang, kurz vor
Ausbruch des italienischen Krieges einen Vertrag mit den Bank-
häusern, mit denen es in Geschäftsverbindung stand, abzuschließen,
in dem sie der Gesellschaft einen Kredit von 3 660 000 Mark für 6 Jahre
garantierten. Aber auch diese Summe reichte nicht aus, „Um die
im Laufe des verflossenen Jahres", heißt es in dem Geschäftsbericht
von 1859/60, „fällig werdenden Verpflichtungen erfüllen zu können,
waren wir indessen nicht nur genötigt, den von den Bankiers uns
eröffneten Kredit zu erschöpfen, sondern mußten mehrmals durch
Eskomptierung von Fakturen uns die nötigen Mittel für bestimmte
Verfallzeiten sicher stellen." Dann heißt es weiter: „Der Kredit bei
den Bankiers ist erschöpft. Über die aus den vorhandenen Aufträgen
zu erzielenden Geldmittel mußte meistens schon vor Beendigung
der Lieferung verfügt werden." Damals versuchte die Direktion
auf alle mögliche Art und Weise aus der Klemme herauszukommen,
sei es durch Verpfändung oder Verkauf von Waren, sei es durch den
Versuch, neue Anleihen aufzunehmen. Schließlich wandte sie sich
durch Zirkulare an ihre Aktionäre, um dieselben unter Darlegung
der mißlichen Verhältnisse des Unternehmens aufzufordern, durch
Subskription neu zu emittierender Obligationen der Gesellschaft die
Mittel zu bieten, ihren Verpflichtungen nachkommen zu können,
und sich das nötige Betriebskapital zu verschaffen. Aber alle diese
Versuche führten nicht zu dem gewünschten Erfolg. Infolgedessen
stand im Jahre 1860 die Gesellschaft vor dem finanziellen Zusammen-
bruch: Wenn sie kein Geld mehr bekam, mußte sie ihre Zahlungen
einstellen, konnte sie ihren Betrieb nicht weiter führen, und das
ganze Aktienkapital wäre verloren gewesen.
Inwieweit durch eine fehlerhafte Organisation der Verwaltung
4. Phönix. 145
und durch ungeeignete Persönlichkeiten in derselben die Schwierig-
keiten der Gesellschaft bedingt, resp. vergrößert wurden, läßt sich
heute wegen Mangel an Material leider nicht mehr mit genügender
Sicherheit feststellen. Jedenfalls hatte man hier verschiedene Fehler
gemacht, und auch darin zeigt sich eine Übereinstimmung mit den
späteren Verhältnissen der Dortmunder Union. So war der Sitz
und die Zentralverwaltung der Gesellschaft weit ab von den Etablisse-
ments nach Köln gelegt worden. Eine elfköpfige Direktion leitete die
Geschäfte. Aber sie war teuer und erfüllte ihre Zwecke nicht. General-
direktor war Charles Detillieux, ein Franzose. Auch hier scheint eine
zu starke Zentralisation sich nicht bewährt zu haben, wenigstens geht
das aus der späteren Reorganisation hervor, wo man dieses Prinzip
fallen Heß.
Schließlich müssen wir noch ein Moment erwähnen, das den
Betrieb der Hütte stark schädigte und die ungünstigen Ergebnisse
sicherlich mit bestimmt hat: nämlich die Schwierigkeit des Erztrans-
portes. Vor Eröffnung der Lahnbahn, d. h. vor 1862/63, war der
Transport der Eisenerze zu den Hochöfen wegen des niedrigen
Wasserstandes der Lahn vielfach derartig eingeschränkt, daß sich
an den Lagerplätzen große Erzmassen anhäuften, für die Hochöfen
aber kein genügendes Material an Ort und Stelle war. Daher heißt es
im Geschäftsbericht von 1858: „Denn obgleich wir auf den Gruben
und Uferplätzen 60 000 Tonnen Eisenstein vorrätig haben, konnten
wir uns, ohne ein Steigen der Gewässer, derselben nicht bedienen und
waren daher genötigt und sind es noch immer, von weit her einen Teil
des zum Betriebe unserer Hochöfen nötigen Eisensteins zu beziehen.
Außerdem waren wir gezwungen, die Hälfte unserer Hochöfen aus-
zublasen und den dadurch entstandenen Ausfall an Roheisen zum
Betriebe der Fabrikation durch Ankauf in Belgien zu ersetzen . . ."
Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen dem Hochofenbetrieb und
der Flußschiffahrt, resp. dem Wasserstande, lernten wir bereits bei
dem Hattinger Werk der Dortmunder Union kennen. Gewiß waren
diese Verhältnisse sehr exzeptionell, und sie wurden durch die Er-
öffnung der Lahnbahn gehoben, aber es war notwendig, ihrer an
dieser Stelle zu gedenken.
So haben wir denn, von den letzteren auf Naturereignissen be-
ruhenden Verhältnissen abgesehen, drei Punkte kennen ge-
lernt, bei denen eine Reorganisation einsetzen
mußte: nämlich die räumliche Trennung der Be-
Stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 10
146 4. Phönix.
triebe, ferner die Beschaffung von Betriebsmitteln
und schließlich die Organisation der Verwaltung.
Es war ganz zweifellos, daß der Konstruktion des Unternehmens
prinzipielle Fehler zu Grunde lagen, die in den ersten Jahren der
Tätigkeit der Gesellschaft erst unberrerkt und verschleiert hervor-
traten, aber durch die Krisis in der Eisenindustrie von 1857 — 1860
gleichsam erst herausgearbeitet wurden. In dieser geschäftsflauen
Zeit gingen die Aufträge und Bestellungen stark zurück. Die Preise
der Eisenfabrikate sanken. Die Selbstkosten stiegen in nicht un-
beträchtlichem Maße. Der größte Teil der Öfen feierte. Auch die
Gruben lagen still, denn der geförderte Eisenvorrat reichte aus, die
Hütte zu beschäftigen. Ein großer Teil der übernommenen Schienen-
heferungen, die immer noch die Hauptmasse der Produktion aus-
machten, bestand nur in Umwälzung von altem Eisen, wobei nur
wenig eigenes Roheisen Verwendung fand. Die Produktion im ganzen
sank beinahe auf die Hälfte. Der einzige Artikel, in dem im Ge-
schäftsjahr 1859/60 eine nennenswerte Steigerung gegen das Vor-
jahr zu verzeichnen war, war Handelseisen. Aus alledem ergab sich
die Notwendigkeit, den Wertbestand zu reduzieren, mit anderen
Worten: es trat eine allgemeine Entwertung ein.
Unter diesen Umständen war eine finanzielle und administrative
Reorganisation unbedingt erforderlich. Die Bankiers der Gesellschaft
arbeiteten nun einen Plan aus, der mit seinen Vorschlägen anknüpft
an die Ursachen, die das Unternehmen bis vor die Katastrophe ge-
bracht hatten. Wir hatten gesehen, daß in der räumlichen Trennung
verschiedener Betriebe, resp. in ihrer Fusion zu einem einheitlichen
Unternehmen eine dauernde Quelle von Schwierigkeiten lag. Hier
war daher der Hebel einzusetzen. Im Gegensatz zur Dortmunder
Union wurde dieser Punkt frühzeitig richtig erkannt, wenngleich
die theoretische Erkenntnis nicht durch praktische Maßnahmen unter-
stützt, ja, die Dezentralisation der Betriebe in allerneuester Zeit sogar
durch Angliederung eines weit verzweigten fremden Unternehmens
noch erhöht worden ist.
Es wurde daher von der zur Untersuchung eingesetzten Kom-
mission gefordert: Verkauf derjenigen Etablissements, welche die
Gesellschaft entbehren kann. Auf diese Forderung ist man später
nicht mehr zurückgekommen, aber die heutigen Verhältnisse des
Phönix zeigen, wie sehr man damit gesündigt hat. Die heute be-
stehende Unterbilanz von Eschweiler-Aue hängt damit zusammen.
Der zweite Punkt war die finanzielle Reorganisation. Die Bankiers
4^ Phönix^ ^_ 147
hatten hauptsächlich von dieser ihre weitere Kreditgewährung ab-
hängig gemacht, namentUch David Hansemann, der in der Direktion
der Gesellschaft saß. Das bisherige Grundkapital von 18 Millionen Mark
wird durch Reduktion des Nominalwertes und Vernichtung der noch
nicht begebenen Aktien in ein solches von 1,8 Millionen Mark um-
gewandelt. Die abgestempelten Aktien erhalten den Buchstaben B.
Durch diese Herabminderung der Passiven erzielte die Gesellschaft
einen Bilanzgewinn von 16,2 Millionen Mark. Außerdem werden
7,5 Millionen Mark neue Aktien lit. A und nach Bedürfnis 1,5 Millionen
Mark (die aber erst 1873 in der Bilanz erscheinen), ausgegeben.
Das Gesamtkapital der Gesellschaft beträgt nunmehr 9,3 Millionen
Mark. Nachdem diese riesenhafte Division des Aktienkapitals vor-
genommen war, konnte die Gesellschaft mit Recht von sich sagen:
„Wir dürfen wohl die Behauptung aufstellen, daß nicht manche
Gesellschaft im Zollvereine besteht, deren Werke zu so billigem
Preise in den Büchern figurieren und die auf so solider Basis beruht."
(Geschäftsbericht von 1862/63.)
Der dritte Punkt betrifft die Reorganisation der Verwaltung.
Zunächst wird das Domizil der Gesellschaft und ihrer Zentralver-
waltung von Köln nach Laar verlegt. An Stelle der elfgliedrigen
Direktion tritt eine dreigliedrige. Sie untersteht der Kontrolle des
Administrationsrates. Dieser wurde erst in der außerordentlichen
Generalversammlung im Jahre 1859 zum Schutze der Aktionäre ein-
gesetzt. Ein neuer Generaldirektor tritt an die Spitze des Betriebes.
Die Rechte der Aktionäre werden erweitert. Nach dem alten Statut
bestanden die Rechte derselben eigentlich nur darin, daß sie all-
jährlich Bilanzrevisoren ernannten und die Bilanz guthießen. Nach
dem neuen Statut sind die Aktionäre befugt, in der Generalversamm-
lung vermittelst der Wahl der Mitglieder des Administrationsrates
permanente Kontrolleure zu ernennen (Artikel 19), ja, eine integrale
Neuwahl vorzunehmen, wenn etwa sich herausstellte, daß durch
die Majorität der gewählten Mitglieder das Vertrauen der Aktionäre
nicht gerechtfertigt würde. Das war der erste Schritt der Annähe-
rung an das moderne Aufsichtsratwesen.
Die neuen Statuten erlangten am 18. November 1860 die landes-
herrliche Genehmigung. Damit schließt der erste Akt in der Ge-
schichte des Phönix.
Resümieren wir noch einmal die wesentlichen Punkte, so ergibt
sich folgendes : Die Aktiengesellschaft Phönix ist das
Produkt der Verschmelzung verschiedener Et£-
10*
148 4. Phönix.
bliss emen ts , die räumlich getrennt, von einem
Punkte, nämlich ursprünglich von Köln aus, ver-
waltet wurden. Das Unternehmen beruhte auf dem
Reichtum eigener Eisen- und Kohlengruben und auf
der Verarbeitung des in eigenen Hochöfen gewon-
nenen Roheisens zu handelsfertiger Ware. Der
Schwerpunkt der Fabrikation lag in der Herstellung
von Schienen. Gestützt auf diese Unterlagen nahm
das junge Unternehmen in den ersten Jahren seines
Bestehens einen stürmischen Anlauf, dereine Größe
der Leistung und des Erfolges erwarten ließ, die
ihm die erste Stelle unter den Eisenwerken des Zoll-
vereins hätte zuerteilen können. Allein noch vor
Ausbruch der Krisis des Jahres 1857 zeigte sich,
daß die Weiterentwicklung an Schwierigkeiten an-
stieß, die dem Unternehmen lebensgefährlich wer-
den sollten. Zunächst war es die weite Entfernung
der einzelnen Betriebe voneinander, welche die Lei-
tung und die Produktion erschwerte. Weiter kam
ein finanzielles Moment von größter Tragweite in
Betracht. Die Gesellschaft hatte ihre Aktien nur
teilweise untergebracht. Als sie nun ihre Produk-
tionsmittel vergrößerte — die ersten Jahre waren
hauptsächlich Baujahre — da entstand ein Mißver-
hältnis zwischen umlaufendem und stehendem Be-
triebskapital. Um dies zu beseitigen, versuchte die
Verwaltung neue Aktien und Obligationen auszu-
geben. Aber das gelang nicht aus Gründen, die wir
kennen lernten. Darauf versuchte sie, die noch in
ihrem Portefeuille befindlichen 4,8 Millionen Mark
durch Umwandlung in Prioritätsaktien verlocken-
der zu machen. Jedoch die ausbrechende Krisis
legte diesen Modus der Kapitalbeschaffung
brach. Da alle diese Mittel versagten, blieb nur
noch die Möglichkeit, teure Bankkredite in An-
spruch zu nehmen. Diese verschlangen riesige
Summen. Der Phönix wurde ein zinsenfressendes Un-
ternehmen. Jahrelang wurde nur für die Bankiers
gearbeitet. Schließlich zogen auch diese ihrem Kre-
dit eine Grenze und knüpften weitere Kapitalvor-
4. Phönix. 149
Schüsse an eine fundamentale Reorganisation der
Gesellschaft. Die Sanierung war daher ein Gebot
der Notwendigkeit, denn schließlich kann auch das
größte Unternehmen seine Kontore schließen, wenn
es keinen Kredit mehr erhält. In diesem Augenblick
ruhte die Existenz des Phönix auf des Messers
Schneide. Sie trieb im Schnelltempo einer Kata-
strophe zu. Ein rascher Eingriff war unvermeidlich.
Was nun folgte, war so radikal gedacht, daß wohl
kaum eine Gesellschaft in Deutschland existieren
dürfte, deren Aktien mit einem Schlage im Nominal-
wert so heruntergesetzt wurden, wie die des Phönix.
Das bisherige Grundkapital von 18 Millionen Mark
wurde in ein solches von 1,8 Millionen verwandelt,
d. h. die Aktien wurden zusammengelegt im Verhält-
nis von 10:1. 16,2 Millionen Mark verschwanden in
den Büchern der Gesellschaft. Außerdem wurden,
wie wir sahen, 7,5 Millionen neuer Aktien lit. A aus-
gegeben. An diese finanzielle Reorganisation, die
durchaus im Mittelpunkt steht, schloß sich eine Än-
derung in der Organisation der Verwaltung. Sie
wird dezentralisiert. Ihr Sitz ist nicht mehr Köln,
sondern Laar. Die Rechte der Aktionäre werden er-
weitert.
Das sind die Grundzüge der im Vorhergehenden
dargestellten ersten Entwicklung des Phönix.
Nach der Reorganisation im Jahre 1860 trat das Unternehmen
in eine Periode ein, die, da die allgemeinen Verhältnisse der Eisen-
industrie nicht ungünstig waren, auf der Grundlage sehr niedriger
Buchziffern finanziell günstige Resultate zeitigen mußte. Weil die
einzelnen Konten stark heruntergeschrieben waren, wird aus den
Gewinnen nichts dem Reservefond zugeführt, und dieses Prinzip bei-
behalten, solange derselbe nicht unter 744 693 Mark herabsank. Die
finanziellen Resultate waren folgende:
, , „ . . Dividenden
Jahr Reingewinne jj^ ^ ^.^ g
1860/61 254,016 M. 6% —
1861/2 596,001 „ 7% 2,78^
1862/3 674,772 „ 7^/^% 4%%
1863/4 814,062 „ 8^^% 6,94$
150
4. Phönix.
Dividenden
Jahr
Reingewinne
lit. A
lit. B
1864/5
1,021,347 M.
10^
11V9$
1865/6
1,098,354 „
loVa^
12V3$
1866/7
1,169,481 „
m
13V5$
1867/8
1,641,255 „
15$
25$
1868/9
1,910,952 „
n%
30%$
1869/70
1,770,663 „
16$
2779$
1870/1
1,257,552 „
12$
1673$
1871/2
1,653,657 „
15$
25$
1872/3
1,969,574 „
15$
30$
1873/4
1,086,528 „
8$
673$
Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß der Gesellschaft steigende
Reingewinne erwuchsen, und daß im Jahre 1868/69 die Dividende
ihren Kulminationspunkt mit 30^9 ''/o für die Aktien lit. B und 17 o/o
für die Aktien lit. A erreichte, ein Resultat, dem nur das Gründerjahr
1872/73 nahe kam.
Um einen Überblick zu erhalten, betrachten wir nun das Cha-
rakteristische dieser von guten Geschäftsgewinnen erfüllten Periode
auf drei Gebieten:
1. auf dem Gebiete der Rohstoffversorgung,
2. auf dem Gebiete der Produktion,
3. auf dem Gebiete der gemeinnützigen Tätigkeit.
In den 60er Jahren vollzieht sich eine Änderung in der öko-
nomischen Lage der Kohlenzechen. Die Gesellschaft beginnt an
denselben zu laborieren. Die Zeche Graf Beust erforderte wiederholt
Zubuße. Schließlich verkauft die Gesellschaft im Jahre 1864 die
Nutzungs- und Administrationsrechte, welche ihr noch bis zum Jahre
1884 zustanden, für die Summe von 780 000 Mark an Friedrich
Grillo, resp. an die Firma Krupp.
In bezug auf den Transport der Erze treffen wir jetzt günstigere
Verhältnisse als früher. Im Geschäftsjahr 1862/63 wurde der Betrieb
der Lahnbahn eröffnet. Dieselbe gestattete eine verhältnismäßig
billige und regelmäßige Anfuhr an den Rhein. Jedoch werden die
Lahnschiffe beibehalten, damit der Transport nicht allein von der
Eisenbahn abhängig sei. An Erzen wurden von den in der Gegend
der Lahn belegenen Gruben befördert:
1862/3
1863/4
auf der Lahnbahn
34,420,000 U
71,989,000 U
per Schiff
76,750,000 „
27,402,200 „
Welche Bedeutung diese Bahn für das Hüttenwerk hatte, erkennt
4. Phönix. 151
man aus den Zahlen des Jahres 1863/64, wo die Lahn nur fünf
Monate fahrbar war.
Was die Produktion anbelangt, so liegt zwar in den 60er Jahren
der Schwerpunkt noch in der Schienenfabrikation, aber sie nimmt
bereits leise ab. Hingegen nimmt die Herstellung von Handelseisen
gewaltig zu. Der Sitz dieser Fabrikation wird Eschweiler-Aue. Von
18,8 Millionen Pfund fertigen Fabrikates entfallen bereits 1861/62
10,1 Million auf Handels- und profiliertes Eisen. In Ruhrort wird
1862/63 die Fabrikation von Feinkorn-Puddelstahl und zementierten
Schienen neu aufgenommen und die Fabrikation von Stabeisen durch
Errichtung einer Walzenstraße für Feineisen bedeutend erhöht. In
Eschweiler-Aue hingegen wird die Herstellung von Scheibenrädern
mit angeschweißten Unterringen und von ganz schmiedeeisernen
Rädern in verschiedener Form eingeführt. Außerdem wird in
Eschweiler-Aue eine Fabrik feuerfester Steine errichtet. Die Lage
dieses Werkes hat sich in dieser Periode von Grund auf geändert.
1870/71 hatte man in Laar mit dem Bau eines großen Stahlwerkes
begonnen. Durch die Einführung des Bessemerverfahrens wird ein
Prozeß der Konzentration der Hauptbetriebszweige in Ruhrort ein-
geleitet. Während anfangs die Hütte in Eschweiler-Aue hauptsächlich
Eisenluppen und Schweißeisenfertigfabrikate, also Handelseisen,
Eisenbleche, Räder, Achsen, Radreifen und vor allem Eisenbahn-
schienen hergestellt hatte, wird durch den Bessemerprozeß die Auf-
gabe der Hütte verschoben, indem ihre Hauptbetriebszweige Schienen,
Achsen und Radreifenfabrikation nach Ruhrort verlegt werden. So
blieb für die Hütte in Eschweiler-Aue lediglich die Erzeugung von
Schweißeisen, dessen historisches Schicksal heute ja besiegelt ist.
Wir sehen also in dieser Periode bereits die ersten Folgen einer
gewaltigen Verschiebung: Der Schwerpunkt des Phönix rückt von
Eschweiler-Aue nach Ruhrort. Damit werden gleichsam die Vor-
aussetzungen geboren, um diesem Betriebe eine sekundäre, neben-
sächliche, ja notleidende Stellung innerhalb des Gesamtuntemehmens
zu schaffen. Er unterliegt demselben historischen Schicksal, wie die
Nebenwerke der Dortmunder Union.
Die Produktion in den 60er und zu Beginn der 70er Jahre wird
stimuliert durch eine Reihe von Neubauten. Es werden z. B. neue
Koksöfen errichtet, drei große Dampfhämmer aufgestellt, die Puddel-
öfen ausgebaut etc. Das Geld zu diesen Neubauten wird größtenteils
aus den Überschüssen des Betriebes genommen. Überhaupt zeigt
sich eine vorsichtige Finanzpolitik : Niedrige Bewertung der Aktiven,
152 4. Phönix.
hohe Abschreibungen. Natürlich war es bei einem so bilHg zu Buche
stehenden Unternehmen nicht schwer, ohne neu aufzunehmendes Ka-
pital den Betrieb zu erweitern. Diese Expansion erreicht aber ihren
Höhepunkt erst in der Gründerperiode. Wie die Verhältnisse damals
lagen, war die rechtzeitige Fertigstellung, namentlich des Stahlwerkes,
zu dessen Bau IV2 Millionen Mark neuer Aktien lit. A emittiert
werden mußten, nicht möglich gewesen. So wurde das Unternehmen
durch die gewaltige Ausdehnung seiner Anlagen auf ein Produk-
tionsmaß zugeschnitten, das seine Berechtigung nur bei Fortdauer
der Hochkonjunktur haben konnte. Die Vermehrung der Produktions-
mittel war daher für die kommende Krisis ein die bisherige Pros-
perität unterminierendes Element. Von einigen Aktionären wurde das
richtig erkannt. In der Generalversammlung von 1873 stellten sie
eine Reihe von Anträgen. Darunter befand sich einer, welcher fordert,
daß die Bilanz in ihren Hauptpositionen nach einzelnen Geschäfts-
zweigen dargestellt und außerdem der Nachweis der Substanzver-
mehrung seit der Rekonstruktion erbracht werde. Allein dieser Vor-
stoß wurde durch die Hauptaktionäre und die Verwaltung kontre-
kariert mit Artikel 33 der Statuten, in welchem es heißt : „Die General-
versammlung hat zuvörderst darüber zu beschließen, ob die An-
träge in Erwägung gezogen werden sollen." Die Generalversammlung
beschloß demgemäß, daß sie nicht in Erwägung gezogen werden
sollten, und so blieb alles beim alten.
Aus dieser Periode von 1860 — 1873 haben wir aber noch der
Schöpfung von Einrichtungen zu gedenken, bei denen der Sozial-
politiker gern verweilt, zumal ihm dazu bei den großen Aktiengesell-
schaften nicht viel Gelegenheit geboten wird: den Wohlfahrtseinrich-
tungen. Da ich mich bei der Ilseder Hütte über dieses Gebiet
ausführlich verbreitet habe, wird es genügen, hier nur auf
einiges hinzuweisen, zumal der Geist auch bei dieser Gesellschaft
derselbe ist, wie bei denjenigen, die wir schon kennen gelernt haben.
In dem genannten Zeitraum beginnt die Phönix-Gesellschaft Geld
auszugeben für gemeinnützige Zwecke, für Hospitäler, Kirchen
und Schulen, Beamte und Arbeiter. Es handelt sich hauptsächlich
um Beisteuern zu dem Bau eines Krankenhauses, veranlaßt durch
das Auftreten der Cholera um die Mitte der 60er Jahre, „die auf
unseren Werken und besonders in Laar viele und gute Arbeiter hin-
wegraffte"; ferner um die Zuschüsse zu dem Bau eines evangelischen
Schulhauses in Hinsbeck bei Kupferdreh; um eine Invalidenstiftung,
um Unterstützung der durch den Krieg und die Cholera hart be-
4. Phönix. 15^
troffenen Familien und um Gratifikationen für Beamte. Auch diese
Geldopfer dürften teilweise zur Förderung der Erwerbszwecke des
Unternehmens beigetragen haben. Wenigstens spricht sich ein spä-
terer Geschäftsbericht in etwas unvorsichtiger Weise folgendermaßen
aus: „Femer haben wir der Direktion 1000 Taler für gemeinnützige,
im Interesse des Geschäftes liegende Zwecke zur Verfügung gestellt."
(Geschäftsbericht von 1873/74).
Resume : Nach der Reorganisation arbeitet die Ge-^
Seilschaft mit gutem Erfolge, Die allgemein gün-
stige Situation der Eisenindustrie und die gute Fi-
nanzlage des Unternehmens nach der Sanierung er-
möglicheneinenerheblichenUnternehmerprofit. In-
zwischen vollziehen sich bedeutende Änderungen:
Die Kohlenzechen des Phönix werden notleidend.
Der Schwerpunkt der Schienenproduktion wird nach
Laar verlegt. Letzteres hängtzusammen mitder Einfüh-
rung des Bessemerverfahrens. Das Werk in Esch-
weiler-Aue. das anfangs hauptsächlich Eisenluppen
und Schweißeisenfertigfabrikate herstellte, ver-
liert zugunsten des Ruhrorter Werkes nicht nur
seine ursprüngliche Produktion, sondern es rückte
\Nas seine Bedeutung für die Fabrikation anbelangt,
in den Hintergrund. Diese Periode, die mit der
großen Krisis der 70er Jahre ihren Abschluß fin-
det, v\ar ferner durchzogen von einigen sozialpoli-
tischen Gedanken und Maßnahmen, die wir kurz be-
rührten.
Die Krisis von 1873 — 79, die auf diese dreizehn Jahre befrie-
digender Arbeit folgte, wurde bei dem Phönix durch folgende
Momente vorbereitet:
1870/71 war in Laar der Bau eines großen Stahlwerkes in An-
griff genommen worden. Um die nötigen Mittel hierfür zu haben^
wurden, wie schon angedeutet, 1872 1,5 Millionen Mark Aktien lit. A
neu emittiert. Aber die Lieferanten blieben mit der Lieferung des
Materials im Rückstand. Der Bau verzögerte sich. Die Bessemer-
anlage kam erst im Juli 1873, der erste Martinofen erst im November
dieses Jahres, das Walzwerk erst im Mai 1874 in Betrieb. Mit dieser
stark erweiterten Produktion trat der Phönix in die Krisis ein.
Ich habe schon angedeutet, daß die Gründerperiode nicht jenen
154 4. Phönix.
extremen Einfluß auf die Produktions- und Gewinnziffern des Werkes
äußerte, wie dies bei anderen Unternehmungen damals der Fall war.
Die Gewinne erreichten in den beiden Jahren nach dem deutsch-
französischen Kriege nicht einmal mehr die Zahlen von 1868 — 1870.
Das hatte seinen Grund teilweise darin, daß die Hausse nicht so-
gleich Einfluß auf die Steigerung der Betriebsergebnisse gewann.
Die Gesellschaft konnte aus der Hochkonjunktur und der kolossalen
Preissteigerung nicht den entsprechenden Vorteil ziehen, da sie erst
ziemlich bedeutende, zu billigerem Preise abgeschlossene Geschäfte
abwickeln mußte. Die langen Geschäftsabschlüsse hinderten sie an
der Konjunkturausnutzung. So hatte das Werk im ersten Semester des
Jahres 1871/72 namentlich in Schienen nur Aufträge auszuführen,
welche noch größtenteils während des Krieges zu niedrigen Preisen
übernommen worden waren. Der ausgedehnte Betrieb eines so
großen Werkes wie des Phönix bedingt die Notwendigkeit, Liefe-
rungsgeschäfte für längere Zeit im voraus abzuschließen. Die Ein-
wirkung einer Preissteigerung macht sich aus diesem Grunde erst all-
mählich, in der Hauptsache erst nach Ablauf von 6 Monaten geltend.
Wir können daher auch bei fast allen Aktiengesellschaften der Eisen-
industrie beobachten, daß der Großbetrieb die Tendenz hat, die Preis-
verhältnisse auf eine längere Durchschnittsperiode zu übertragen.
Infolgedessen ragen die höheren Preise der Hausse in die Perioden
der Baisse, und die niedrigeren Preise der letzteren noch wie große
Schlagschatten in die Perioden der Hochkonjunktur hinein. So birgt
der Großbetrieb in sich ein den schroffen Wechsel der Konjunktur
zügelndes Element. Diese Darlegungen erklären es auch, warum
bereits nach Ausbruch der Krisis der Phönix für das Geschäfts-
jahr 1873/74 einen nicht unbedeutenden Reingewinn erzielte, der
eine Dividende von 8 und öVs^/o zu verteilen ermöglichte.
Das bedenklichste Moment aber lag darin, daß sich vor Aus-
bruch der Krisis die Magazinbestände zu einer ungeheuren Höhe an-
sammelten. Sie beliefen sich im Jahre 1871/72 auf 3,6 Millionen,
1872/73 auf 8 Millionen Mark. Diese riesige Zunahme hatte ihren Grund
hauptsächlich in den für das Stahlwerk angekauften Erzen, die aus
Afrika und anderen überseeischen Ländern bezogen waren. Diese
Massen konnten, weil sich die Inbetriebsetzung des Stahlwerkes,
wie wir gesehen, so lange hinausschob, nicht verarbeitet werden.
Sie repräsentierten ein zinsenfressendes Kapital. Ebenso waren auch
die Eisensteinvorräte zu Kupferdreh und auf den Gruben stark an-
gewachsen, weil die Fertigstellung der bezüglichen Hochöfen eine
4. Phönix. 155
unverhältnismäßig lange Zeit in Aaspruch nahm. 1873/74 hatten
die Magazinbestände eine Höhe von nahezu 9 Millionen erreicht.
Infolgedessen wachsen, ganz wie einst vor Ausbruch der Krisis
des Jahres 1857, die Bankschulden ungeheuer an. Si betragen nicht
weniger als 7V2 Million Mark. Ihre Zunahme wird von der Direktion
auf folgende Momente zurückgeführt: Zunächst auf die Preissteige-
rung aller Betriebsmaterialien, dann auf die Erhöhung der Arbeits-
löhne und schließlich auf die Errichtung neuer, und die Vergrößerung
bestehender Werke. Der Bau des Stahlwerkes absorbierte allein die
bei der letzten Aktienemission liquid gewordene Summe von 1,5
Millionen Mark und erforderte außerdem noch ein Kapital von 1,8
Millionen Mark. In dem Berichte des Administrationsrates in der
außerordentlichen Generalversammlung vom 30. Oktober 1873 heißt
es: „Eine Schuldenlast von 2V2 Millionen Taler .. ., die Anfang Januar
künftigen Jahres (1874) infolge Auszahlung von Dividenden mehr
als 3V2 Million Taler betragen wird, kann als angemessen nicht
gelten." Deshalb wird in der erwähnten Versammlung die Erhöhung
des Aktienkapitals beschlossen und zwar um 4,5 Mill. Mark Aktien
lit. A und 900 000 Mark Aktien lit. B. In der Bilanz vom 30. Juni
1873 figuriert noch das alte Kapital mit 10,8 Millionen Mark,
in der des Jahres 1874 bereits das neue mit 16,2 Millionen Mark.
Mit einem derartig, nämlich um 5,4 Millionen Mark gestiegenen
Kapital, das nach Verzinsung geradezu lechzt, tritt das Unternehmen
in die Krisis ein.
Aus diesen Tatsachen können wir auf rein deduktivem Wege
bereits jetzt den Schluß ziehen, daß die Krisis die Gesellschaft außer-
ordentlich in Mitleidenschaft ziehen mußte, weil ihre Grundlagen
nicht mehr genügend feste waren.
Wir sahen, um es noch einmal kurz zu wiederholen, w i e
sich am Vorabend der Krisis, gleich wie in den 50er
Jahren, eine Reihe von Schwierigkeiten aufeinan-
dertürmen. Als solche lernten wir kennen:
1. Starkerweiterte Produktionsmittel,diezu Hoch-
konjunkturpreisen hergestellt, erst beim Aus-
bruch der Krisis betriebsfertig werden.
2. Ungenügende Ausnutzung der alten Produk-
tionsmittel infolge langer Geschäftsabschlüsse
zu niedrigen Preisen.
3. HäufungderMagazinbeständeinZusammenhang
156 4. Phönix.
mit der verspäteten Inbetriebsetzung des neu er-
bauten Stahlwerkes und der neuen Hochöfen.
4. Hohe Belastung der Gesellschaft mit Schulden.
Infolgedessen Vermehrung des Betriebskapitals-
um 5,4 Millionen durch Beschluß vom 3 0. Oktober
1873.
Die rückgängige Konjunktur kam aus Gründen, die wir bereits
kennen lernten, im Jahre 1873/74 bei dem Phönix noch nicht mit
voller Durchschlagskraft zur Geltung. Erst die folgenden Jahre zer-
mürbten die Gesellschaft in hohem Maße. Wir würden die Dinge
nun aber nicht richtig beurteilen, wollten wir der Krisis allein Schuld
geben. Sie wird vielmehr verschärft durch eine Reihe von Momenten,
die ursprünglich in keinem oder nur entferntem Zusammenhange
mit ihr stehen. Diese Momente waren folgende:
Mit dem 1. August 1874 traten Tariferhöhungen auf den Eisen-
bahnen ein. Die Eisenbahngesellschaften hatten die Befugnis er-
halten, die Tarife um 20 o/o zu erhöhen. Davon machten Gebrauch
die für den Phönix wichtige Bergisch-Märkische und Köln-Mindener
Eisenbahn. Da nun die Schlesischen Bahnen ihre Tarife nur wenig
oder gar nicht erhöhten, klagen die Geschäftsberichte des Phönix,
daß es den schlesischen Hütten möglich sei, den rheinisch-west-
fälischen in Gebieten Konkurrenz zu machen, die von diesen bisher
allein beherrscht wurden. Für das Ausland und den Transitverkehr
blieben indes die früheren Frachtsätze bestehen.
Wurde nun die Gesellschaft durch diese neue Tarifpolitik der
Eisenbahnen nur benachteiligt, so erlitt sie direkte Verluste auf andere
Weise, nämlich durch den Zusammenbruch einer Baugesellschaft
und durch den Eisenbahnspekulanten Strousberg. Die Gesellschaft
hatte ihm große Posten von Rädern und Schienen geliefert, die er
aber nur zum Teil bezahlte. Der Rest ging verloren.
Schließlich wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse noch durch
Naturereignisse ungünstig beeinflußt. Im Frühjahr 1876 fanden große
Rheinüberschwemmungen statt. Infolgedessen mußte die Hütte zu
Laar 3 Wochen außer Betrieb gesetzt werden. Außerdem entstand auf
der Zeche Carolus Magnus ein Brand des Schachtturmes. Den
Schaden trug zwar die Versicherungsgesellschaft. Allein der Betrieb
war 8 Wochen lang unterbrochen.
Das waren die den zukünftigen Zustand des Unternehmens ver-
4. Phönix. 157
schärfenden Ereignisse. Die Wirkungen der Krisis selbst kommen
nun in folgenden Details zum Ausdruck.
Fünf Jahre lang, von 1874/75 bis 1878/79 wird eine Dividende
nicht gezahlt. 1875 beträgt der Verlust 872 791 Mark. Er wird aus
dem Reservefond gedeckt. 1876/77 beläuft sich die Unterbilanz auf
116891 Mark. Zur Deckung derselben vi^ird der Reservefond von
27 208 Mark verwandt und der Rest des Verlustes von 89 682 Mark
auf neue Rechnung vorgetragen.
Während der Krisis liegt das Schienengeschäft vollständig dar-
nieder. An Stelle der Schienen tritt immer mehr die Fabrikation
von Handelseisen. Dazu kommt die immer weitere Ausdehnung
der Bessemerfabrikate, die die schweißeisernen Schienen fast ganz
verdrängen. Zur Illustration dieser Tatsache seien folgende Zahlen
angeführt. Die Produktion des Phönix betrug:
1874/5 1875/6
An eisernen Schienen und Schienenbefestigungen 14,767,560 kg 8,751,181 kg
„ Stahlschienen und Stahlbefestigungsteilen 9,771,058 „ 11,414,212 „
„ Handels- und profiliertem Eisen 14,534,263 „ 16,034,012 „
Infolge dieser starken Produktion an Handelseisen, die auch
für die anderen Eisenwerke Rheinlands und Westfalens typisch ist,
■entstand eine natürliche Überproduktion in diesen Artikeln, die den
Preis stark drückte.
Daher sucht die Phönixhütte durch Aufnahme eines neuen Pro-
duktionszweiges der allgemeinen Konkurrenz in Handelseisen, wenn
auch nicht zu entrinnen, so doch ihre Wirkungen zu mildern. 1876
beginnt das Werk in Laar die Herstellung von eisernen Lang- und
Querschwellen. Die Nachfrage nach diesem Fabrikat war aber an-
fangs noch nicht so groß, daß es möglich gewesen wäre, besonders
gegenüber der lothringischen Konkurrenz einen lohnenden Betrieb
einzuführen. Immerhin betrug 1877/78 die Produktion bereits 3V2
Millionen Kilogramm.
Der Export wird im Gegensatz zu anderen Werken nur ganz
nebenbei betrieben. In dem Bericht über das Jahr 1878/79 heißt es:
„Wir konnten uns nicht entschließen, in großem Umfange Geschäfte
auf dem auswärtigen Markt zu suchen, die nur zu Verlustpreisen
abzuschließen waren." Nähere Gründe für diese sonst in Krisenzeiten
nicht übliche Zurückhaltung in bezug auf den Export werden außer
dem genannten nicht angegeben.
Das wesentliche Mittel, um sich während der Krisis über Wasser
158 4. Phönix.
zu halten, war also nicht das massenhafte Abstoßen der Überproduk-
tion des Werkes auf den Weltmarkt. Es suchte vielmehr im eigenen
Betriebe die Produktionskosten möglichst weit herunterzusetzen, um
dadurch die niedrigen Verkaufspreise einigermaßen auszugleichen.
Man kann in den Geschäftsberichten lesen, daß das Werk niemals
geglaubt hätte, so billig produzieren zu können. Auch hier ist die
Not die Lehrmeisterin der Menschen.
Soviel über die Krisis. Sie wird verschärft durch die
Tariferhöhungen der Eisenbahnen, auf die der Phö-
nix bei seinen Bezügen angewiesen war, durch Lie-
ferungsverluste und durch Betriebsstörungen, ver-
anlaßt durch Überschwemmung und Feuersbrunst^
Die Krisis legt vor allen Dingen das Schienenge-
schäft in Fesseln. Die Produktion an Handelseisen
nimmtdagegenzu. DurchAufnahmeeinesneuenPro-
duktionszweiges — eiserne Lang- und Querschwel-
len — sucht der Phönix der Konkurrenz die Spitze
zu bieten. Der Export wird nur mäßig betrieben,
dabei aber die Produktionskosten auf ein mög-
lichst niedriges Maß heruntergesetzt.
Die 80er Jahre haben, entsprechend der allgemein ungünstigen
Lage der deutschen Eisenindustrie, auch den Phönix mitberührt,
allein das Unternehmen nicht sehr stark in Mitleidenschaft gezogen.
Mit dem Jahre 1888 beginnt dasselbe wieder zu prosperieren und
bis zum Ablauf des Jahrhunderts verhältnismäßig hohe Reingewinne
und gute Dividenden abzuwerfen, um dann allerdings mit dem Be-
ginn des neuen Jahrhunderts in eine entgegengesetzte Entwicklung;
einzutreten. Näheres ergibt sich aus folgender Tabelle.
Dividende
Jahr
Reingewinn
Lit A
Lit B
1880/1
457,092 M.
3%
—
81/2
935,610
it
6„
—
82/3
1,177,417
II
6„
—
83/4
535,355
II
3V2^
—
84/5
393,161
II
2'kii
—
85/6
396,033
II
2% II
—
86/7
401,784
II
2'l2,i
—
87/8
948,180
II
Q%
—
abgest.
nicht abgest.
älteste
Aktien
Lit. A.
notl.
88/9
1,111,001
II
n
6^
H
1889/90
1,947,603
»»
10 „
6„
4„
4.
Phönix.
159
D
i V i d e n d e
Jahr
Reingewinn
abgest.
nicht abgest.
älteste
Aktien
Lit A
notl.
90/91
2,163,737
M.
10^
6^
H
91/2
1,922,800
10 „
6„
4„
92/3
1,417,843
8„
6,.
2.,
93/4
2,041,887
10 „
6„
4„
94/5
1,772,816
10 „
6„
4„
95/6
1,755,316
10 „
6„
4„
96/7
2,833,059
13 „
8V2^
^%%
Einheitliches Alttienkapital
97/8
3,370,304
11^
98/9
3,549,034
11..
1899/1900
5,079,361
15.,
1900/01
1,319,135
4„
01/02
604,056
—
02/03
3,540,561
8„
In der folgenden Geschichte, deren Abglanz die in diesen Zahlen-
reihen zum Ausdruck kommenden Rentabilitätsverhältnisse sind, liegt
der Akzent der Entwicklung des Unternehmens auf drei Gebieten:
Lauf dem Gebiete der Rohstoffversorgung,
2. auf dem Gebiete der Produktion und der tech-
nischen Ausgestaltung des Betriebes,
3. auf dem Gebiete des durch die Fusion mit der
Westfälischen Union in andere Bahnen gelenk-
ten Absatzes.
Was die Rohstoffversorgung anbelangt, so hat sich die Ge-
sellschaft sowohl in bezug auf Kohlen als auch in bezug auf Eisen-
erz von dem Gedanken leiten lassen, den Bedarf ihrer Werke an
diesen wichtigen Rohstoffen aus eigenen Gruben zu decken. Die
Verwirklichung dieses Gedankens hat bei der Kohle längere Zeit
geruht. Bei den Eisenerzen ist er nur in sehr geringem Maße durch-
führbar gewesen.
Wir behandeln zunächst die Geschichte der Deckung des Kohlen-
bedarfes, die sich in scharfen und klaren Umrissen aus den Geschäfts-
berichten erkennen läßt. Die Gesellschaft hatte, wie früher erwähnt,
ursprünglich drei Kohlenzechen, von denen die eine, Rhein-Elbe,
1856 verkauft wurde. Eine zweite, die Zeche Graf Beust, erforderte
wiederholt Zubuße und wurde 1864 ebenfalls veräußert. Die dritte
Zeche, Carolus Magnus, hatte einen sehr ungünstig in einer Ecke der
Konzession gelegenen Schacht und ergab ebenfalls schlechte Resul-
tate, so daß auch hier lange Zeit Zubußen nötig waren. 1867/68
160 4. Phönix.
ergab sie zum ersten Male wieder einen Gewinn. Der dreißig-
jährige Pachtvertrag Uef mit dem Jahre 1883 ab. Damit tritt die
Gesellschaft aus der Verwaltung dieser Zeche und dem Genüsse der
gepachteten Kuxe aus. Nunmehr besaß sie keine eigenen Kohlen-
gruben mehr und mußte sich alles für den Betrieb erforderliche
Kohlenmaterial kaufen. Damit beginnt eine neue Periode. In diese
Zeit der ausschließlichen Abhängigkeit vom Kohlenmarkt fallen viele
Klagen von selten des Unternehmens. Als namentlich am Ende der
•80er Jahre die Kohlenpreise infolge des Streiks der westfälischen
Kohlenarbeiter stark in die Höhe gingen, nahmen die Klagen über
die hohen Preise gar kein Ende. Dies dürfte auch der Hauptgrund
gewesen sein, warum der Phönix wieder zur Selbstbedarfsdeckung
zurückkehrt. 1896 erwirbt er die Aktien der Meidericher Steinkohlen-
bergwerke. Der Ankaufspreis betrug nahezu 6 Millionen Mark. Zu
diesem Zwecke wird das Aktienkapital des Phönix um 4 050 000 Mark
erhöht. Die jungen Aktien wurden von einem Konsortium zum
Preise von 151 o/o übernommen. Von den Meidericher Werken ist
am wichtigsten für die Befriedigung des Kohlenbedarfes die Zeche
Westende mit 12 Millionen qm Gerechtsame in nächster Nähe des
Laarer Hüttenwerkes. Sie fördert aus zwei, mit allen maschinellen
Einrichtungen versehenen Schächten arbeitstäglich ca. 1500 Tonnen
Kohlen. Angestrebt, und nach Errichtung der geplanten horizontalen
Förderanlagen jedenfalls auch erreicht, wird eine Förderung von
2000 Tonnen. „Wir dürfen", sagt die Verwaltung, „mit gutem
Grunde erwarten, daß die Leistung pro Mann und Schicht sich in
Zukunft durchschnittlich auf 1 Tonne belaufen wird." 1902/03 be-
trug die Förderung 480 004 Tonnen Kohle. In dem Geschäftsbericht
dieses Jahres heißt es über die Vorteile, die der Gesellschaft aus dem
Besitz der Zeche erwachsen: „Ferner ist die Verwendung möglichst
großer Mengen Kohlen unserer eigenen Zeche Westende bei Meide-
rich von der größten Wichtigkeit für uns, um einerseits Fracht zu
sparen, andererseits die weit teureren Flammkohlen entbehren zu
können und endlich auch die Verkaufsprovision des Kohlensyndikats
zu vermeiden. Wir brauchen jetzt 64— 65 o/o der eigenen Förderung
gegen 35 — 40 o/o im vorigen Jahre." Zu dieser Zeche gehört eine
Koksofenbatterie von 60 Öfen, die arbeitstäglich 200 Tonnen Koks
produziert. Im letzten Jahre betrug die Leistung nur 55 797 Tonnen
Koks. Das genügt selbstverständlich für die Versorgung der 4 im
Betriebe befindlichen Hochöfen nicht und deshalb müssen nicht un-
bedeutende Mengen Koks zugekauft werden.
4. Phönix. 161
Es ist leider nicht möglich, über die Maßnahmen des Werkes in
bezug auf die Eisenerzversorgung ein gleich klares, wirtschaft-
liches Bild zu entwerfen wie über die Beschaffung der Kohlen, da die
Geschäftsberichte nicht den nötigen Anhalt geben.
Wir sahen bereits, daß die Gesellschaft ursprünglich 3 große
Grubenkomplexe besaß, im Ruhrbezirk, an den Rhein- und Mosel-
ufern und im Herzogtum Nassau.
Über das Schicksal der Gruben im Ruhrbezirk wissen wir nichts.
Wir können annehmen, daß sie größtenteils abgebaut sind. Eben-
sowenig sind wir orientiert über die in der Rheinprovinz gelegenen
Gruben.
Diese Erzquellen vergrößern sich in der Gründerperiode. Damals,
in den Jahren 1871/72, begann die Gesellschaft in Gemeinschaft
mit der Gutehoffnungshütte in Oberhausen 18 große Felder Minette
durch Bohrung und Schürfarbeiten aufzuschließen und durch Mutung
als Eigentum zu erwerben. Der Ertrag dieser Gruben wurde je-
doch größtenteils verkauft, da der Transport nach den Hochöfen
am Rhein zu teuer war und sich infolgedessen in mäßigen Grenzen
hielt. Auch der Eisenbahntarif vom 1. Mai 1893 brachte in bezug
auf Eisenerz aus Lothringen dem Werke keine Vorteile, da derselbe
keine Gültigkeit hatte für Sendungen, die teils die Bahn, teils die
Wasserstraße benutzten. Die Eisenbahnfrachten waren also zu hoch.
Andererseits kommt auch der Wasserweg für den Transport der
Eisenerze der in Lothringen gelegenen Gerechtsame nicht durch-
gehend in Betracht, da die längst ersehnte Kanalisierung der Mosel
noch fehlt. Wenn nicht alles täuscht, so liegt hier die Zukunft der
Erzversorgung des Phönix. Die wichtigste Grube, die die Gesell-
schaft in Lothringen besitzt, ist die Grube Karl Lueg bei Fentsch.
Sie war die einzige, die dort während der letzten Krisis in Betrieb
war. Ihre Förderung belief sich 1902/03 auf 284 670 Tonnen. Je-
doch betrug der eigene Verbrauch des Werkes an Minette nur
93 332 Tonnen.
Die Eisensteingruben in Nassau haben in letzter Zeit stark in
der Ergiebigkeit nachgelassen. Die Förderung betrug:
1900/1 .... 18,081 to. Eisenstein
1901/2 .... 8,177 „
1902/3 .... 13,138 „
„Bei der geringen Ergiebigkeit und Rentabilität des dortigen
Bergbaues**, heißt es in dem Geschäftsbericht des zuletztgenannten
Jahres, „beabsichtigen wir, nach Abbau der vorgerichteten Menge,
stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 11
162 4. Phönix.
die sämtlichen Zechen bis auf Rotenberg, wo ein größeres Vorkommen
edlen Steins nachgewiesen ist, einzustellen."
Überblicken wir näher das Detail, so ergibt sich, daß der Phönix
heute folgende Eisensteinwerke besitzt: 236 Gruben in der Rhein-
provinz mit einer Feldergröße von 600 Mill. qm. Dann 19 Gruben in
Elsaß-Lothringen, gemeinschaftlich mit der Gutehoffnungshütte, mit
einer Feldergröße von ca. 37 Millionen qm. Ferner 82 Gruben in
Hessen-Nassau mit einer Feldergröße von über 30 Millionen qm. Und
eine Grube in Westfalen von über 4 MiUionen qm. Außerdem hat
das Unternehmen 2 Manganerzbergwerke, eins in Hessen-Nassau und
eins in der Rheinprovinz. Von diesen zahlreichen Gruben sind, nach
den Angaben, die der Phönix anläßlich der Düsseldorfer Ausstellung
machte, nur 7 in Betrieb mit einer Belegschaft von 472 Köpfen und
einer Förderung, die bereits in den obigen Zahlen näher angegeben ist.
Aber diese Produktion an Eisenerz genügt keineswegs zur voll-
ständigen Bedarfsdeckung, und infolgedessen muß ein beträchtlicher
Teil dieses Rohmaterials zugekauft werden.
Auch in bezug auf einen so wichtigen Rohstoff wie den Kalk
suchte die Gesellschaft vom Markte unabhängig zu werden. Sie hatte
bereits früher das Kalkbergwerk Dornap besessen, es aber wieder
verkauft aus unbekannten Gründen. 1894/95 wird nun das Gut „zum
Kolk" erworben, um den Bedarf des Werkes an Kalk für die Zu-
kunft sicher zu stellen.
Die vorhergehende Analyse ergibt folgende Resultate: Die
Kohlenversorgungspolitik des Phönix geht von dem
Erwerb eigener Kohlenzechen aus. Aber das im
Bergbau so wechselnde Glück entwertete diese an-
fangs reichen Lager. Infolgedessen wird für eine
Zeit von ca. 10 Jahren die Idee der auch vorher in
der Praxis nur teilweise durchgeführten Selbstver-
sorgung aufgegeben, um in der Mitte der 90er Jahre
durch den Ankauf der Meidericher Steinkohlen-
bergwerke wieder aufgenommen zu werden.
In bezug auf die Eisensteingruben ergab sich,
daß hier in der Hauptsache drei Komplexe zu unter-
scheiden sind: die Rhein- und Ruhrgruben, über
deren Schicksal wir nicht näher orientiert sind, die
Gerechtsame in Elsaß-Lothringen, die den wich-
tigsten Besitz des Phönix an Eisensteingruben dar-
stellt, und in denen die Zukunft seiner Eisenerz-
4. Phönix. 163
Versorgung verankert liegt, obgleich der größte
Teil noch des Aufschlusses harrt, und die Gruben
in Nassau, die am Rande der Erschöpfung stehen.
Das Werk dürfte heute zum größten Teil auf den
Bezug fremder in- und ausländischer Erze ange-
wiesen sein, da diese infolge ihres hohen Erzge-
haltes für die Roheisenerzeugung immer noch bil-
ligersind, als seine Minetterze in Lothringen.
Was die Produktion anbelangt, so ist zunächst ihre Erweite-
rung in die Augen fallend. Dieselbe steht in Verbindung mit der ganzen
technischen Ausgestaltung des Betriebes, und es ist von Wert, da-
mit gleichzeitig einen Überblick über das ganze Unter-
nehmen zu verbinden.*)
Als sich das Werk von den Folgen der Krisis der 70er Jahre
erholt hatte, ging es, gestärkt durch das Aufflackern der Ervverbs-
tätigkeit und infolge der Besserung der Eisenkonjunktur 1882/83 an
den Bau eines Stahlwerkes zur Durchführung des Thomasprozesses.
1879 hatte der Phönix, wie viele andere Werke, die Gerechtsame auf
das Thomasverfahren zum Preise von 300 000 Mark erworben und
in Raten bis zum Jahre 1887 abgezahlt. 1884 wurde das neue
Thomasstahlwerk in Laar dem Betriebe übergeben. Die Kosten dafür
wurden nicht, wie dereinst für das Bessemerstahlwerk, durch Neu-
emission junger Aktien aufgebracht, sondern aus eigenen Mitteln,
ohne Aufnahme einer Anleihe, bestritten. Allerdings scheint der
Bau, wenigstens teilweise, nicht sehr solide gewesen zu sein, denn
am 20. Juni 1894 stürzte plötzlich das Dach über dem Thomas werk
mitten im Betriebe zusammen. 3 Arbeiter wurden erschlagen, 4 an-
dere verletzt. Der Betrieb konnte erst am 18. Juli, und zwar unter
freiem Himmel, wieder aufgenommen werden. Das Thomaswerk
enthält heute 3 Converter, von denen stets nur einer in Betrieb ist,
während die beiden anderen in Reserve stehen. Für den ganzen
Betrieb wird das Prinzip verfolgt, für jede Maschine eine Reserve
zu haben, so daß eine Betriebsstockung nicht stattfinden kann. Das
feuerfeste basische Futter für die Converter wird in einer besonderen
Abteilung fabriziert. Aus Dolomit und Teer werden mit Preßmaschi-
*) Für die folgende Darstellung benutze ich hauptsächlich die Beschrei-
bung der Betriebsanlagen, die von selten der Verwaltung für die Düsseldorfer
Industrie- und Gewerbeausstellung von 1902 herausgegeben wurde.
11*
164 4. Phönix.
nen unter hohem Druck die Ziegel gepreßt. Das Einsatzgewicht in
den Converter beträgt 12,5 Tonnen flüssiges Roheisen, die Blase-
dauer 9 — 15 Minuten. Dieses Roheisen kommt entweder direkt flüssig
von den Hochöfen in Laar, oder in festem Zustande von den der
Gesellschaft gehörigen Hochöfen in Borbeck und Kupferdreh, sowie
von fremden Hütten. In letzterem Falle muß es erst in Cupol-
öfen eingeschmolzen werden, ganz wie es in Peine mit dem Ilseder
Roheisen geschieht. Das flüssige Eisen von Hoch- und Cupol-
öfen wird dann in einem Roheisenmischer von 150 Tonnen Inhalt
eingegossen. Hier mischen sich die verschiedenen Qualitäten und
es tritt ein Ausgleich der Qualitätsdifferenzen der einzelnen Roh-
eisensorten ein. Der für die Fabrikation nicht erwünschte Schwefel
verbrennt. Von da aus kommt das Eisen dann zu den Convertern.
Dieselben werden vollständig auf maschinellem Wege beschickt und
bedient. Ein mit Wasserdruck betriebener Drehkran trägt auf der
einen Seite die Pfanne mit flüssigem Roheisen, während er auf der
anderen Seite eine Pfanne für die Aufnahme des fertigen Stahls
mit sich führt. Vor dem Eingießen des Roheisens in den Con-
verter wird letzterer mit Kalk im Gewicht von 15 — 18 o/o des Roh-
eisens beschickt, damit von dem Kalk die Phosphorsäure aufgenommen
werden kann. Während des Abgießens der Schlacke werden dann
in den Converter 80 — 100 kg auf Rotglut erwärmtes Ferromangan,
das aus eigenen Manganerzbergwerken stammt, geworfen, um das
Metallbad zu desoxydieren. Das so erhaltene Flußeisen hat stets
einen Kohlenstoffgehalt von 0,05 o/o, ist also Eisen weichster Qualität.
Wird ein härteres Material, also ein solches mit höherem Kohlenstoff-
gehalt, verlangt, so wird das der Hütte Phönix patentierte Kohlungs-
verfahren angewandt. Dasselbe besteht darin, daß das reine ab-
fließende Flußeisen in der Pfanne mit einer, je nach gewünschtem
Kohlenstoffgehalt bestimmten Menge Kokspulver vermischt wird. Der
Kohlenstoff der Koks wird dabei von dem flüssigen Eisen unter
heftiger Reaktion begierig aufgenommen. Auf diese Weise kann
man Stahl mit 0,2 bis 1 o/o und mehr Kohlenstoff herstellen. Dieses
Kohlungsverfahren hat gegenüber den älteren Methoden den Vorteil,
daß man damit einen reinen Kohlenstoffstahl erzeugen kann in Ver-
bindung mit größerer Sicherheit im Treffen der gewünschten Be-
schaffenheit. Der Converterkran übergibt dann die gefüllte Stahl-
pfanne einem zweiten Kran, dem sogenannten Gießkran. Dieser
gießt sie in gußeiserne Formen (Coquillen) aus zu einzelnen Blöcken
von je ca. 2600 kg Gewicht. Diese Blöcke kommen in die Wärme-
4. Phönix. 166
gruben und wandern von da in das Blockwalzwerk. Die Erzeugung
von Rohstahl aus den Thomasbirnen belief sich im Geschäftsjahr
1902/03 auf 224 509 Tonnen.
Außer der Thomasanlage ist ein Martinwerk vorhanden. Das-
selbe umfaßt heute 6 Siemens-Martinschmelzöfen. In diesen werden,
wie der Leser bereits weiß, die bei der Verarbeitung des Eisens ent-
stehenden Abfälle sowie angekauftes Altmaterial unter Zusatz von
250/0 Roheisen mittels Steinkohlengas geschmolzen. Zum Ein- und
Fertigschmelzen des Metallbades sind 4—5 Stunden erforderlich. Es
können also täglich 4—6 Chargen gemacht werden. Die Erzeugung
belief sich 1902/03 auf 78 538 Tonnen.
in Verbindung mit den eben erwähnten Anlagen stehen dann
die Walzwerke. Das Blockwalzwerk, das zur Zeit noch im Betrieb
ist, ist veraltet. Es hat z. B. keine selbsttätigen Kippvorrichtungen.
Die Walzen haben einen Durchmesser von nur 950 mm. Sie werden
durch Dampf angetrieben. In diesem Walzwerk werden die Blöcke
auf je nach dem Verwendungszweck verlangten Abmessungen vor-
gewalzt und mittels einer Scheere zerschnitten. Von diesen vor-
gewalzten Blöcken wird ein Teil von anderen Walzwerksabteilungen
in derselben Hitze noch weiter verwalzt, und der Rest in mehr
oder weniger abgekühltem Zustande den verschiedenen Verbrauchs-
stätten des Werks zugeführt, oder auch als Halbfabrikat an aus-
wärtige Kundschaft abgegeben. Da, wie erwähnt, dieses Blockwalz-
werk nicht mehr den Anforderungen einer fortgeschrittenen Technik
entspricht, so ist z. Zt. ein neues im Bau. Es erhält automatisch
wirkende Kippvorrichtungen, Walzen mit einem Durchmesser von
1150 mm und elektrischen Antrieb. Der letztere wird durch die Ver-
wendung der Hochofengase erzielt, stellt sich also wesentlich billiger,
als der Dampfantrieb des alten Blockwalzwerkes.
In Verbindung mit dem Blockwalzwerk steht ein heute ebenfalls
veraltetes Knüppelwalzwerk und ein Schienenwalzwerk. In dem
ersteren befindet sich eine Walzenstraße mit Walzen von 750 mm
Durchmesser für Knüppel und Platinen. Die Knüppel werden auf
fremden Walzenstraßen zu Draht weiter verwalzt, die Platinen hin-
gegen an fremde Blechwalzwerke und Fabriken von Kleineisenzeug
abgesetzt. Die Erzeugung dieser Straße an Halbfabrikaten beläuft
sich in 12stündiger Schicht auf ca. 450 Tonnen.
Das Schienenwalzwerk empfängt die vorgewalzten Blöcke mittels
eines 97 m langen Hochrollganges. Ehe sie in einer Hitze aus-
gewalzt werden, werden sie in 2 — 3 Rollöfen nachgewärmt. Die
166 4. Phönix.
Leistung des Schienenwalzwerkes in 12 Stunden beträgt 200—210
Tonnen Schienen oder Schwellen. Seit 1880 hat der Phönix auf
dem Gebiete der Schienenfabrikation eine Spezialität entwickelt. Es
sind die unter dem Namen „Phönix-Rillen-Schienen" bekannten
Straßenbahnschienen.
Von dem genannten Jahre an bis zur Gegenwart sind auf der
Schienenstraße über 10 000 km Geleise ausgewalzt worden, die nach
allen Ländern der Erde geliefert wurden. Die Schienen weisen über 90
verschiedene Profile auf. Mit der Lieferung der Rillenschienen hängt
die Fabrikation von Weichen und Kreuzungen zusammen, für welche
seit Anfang der 90er Jahre eine besondere, täglich 6 — 7 fertige, nach
patentierten Spezialkonstruktionen ausgeführte Straßenbahnweichen
liefernde Abteilung errichtet ist.
An Walzwerken sind außer dem Knüppel- und Schienenwalz-
werk vorhanden: eine Drahtstraße, auf welcher in 12 Stunden
(mit einem Ofen) 25 — 35 Tonnen Draht in der Dicke von 4,8 bis
8 mm, oder Stabeisen im Gewicht von ca. 25 — 35 Tonnen pro Schicht
erzeugt werden können.
Ferner weist das Werk auf: Eine Schienenstraße für Gruben-
schienen und Schwellen mit einer Erzeugung von 45 Tonnen in 12
Stunden. Weiter eine Universal- und Grobstraße für Flacheisen bis
450 mm Breite, Rund- und Vierkanteisen bis 200 mm, Unterlagsplatten
und Laschen. Leistungsfähigkeit: 35—50 Tonnen in 12 Stunden;
außerdem eine Mittelstraße für Stabeisen mit einer Leistungsfähigkeit
von 17 Tonnen Eisen und 36 Tonnen Flußeisen in je 12 Stunden.
Schließlich eine Feinstraße, ebenfalls für Stabeisen mit einer Lei-
stungsfähigkeit von 36 — 40 Tonnen in 12 Stunden.
Außerdem besteht im Anschluß an die Puddelöfen eine Luppen-
straße mit 2 Hämmern. Im ganzen hatte die Gesellschaft 1902/03
im Durchschnitt 36,25 Puddelöfen in Betrieb. Die Produktion an
Luppen betrug 40 678 Tonnen. Die Luppen werden gewalzt zu
Flacheisen, dann mit der Scheere zerschnitten und in Pakete gepackt,
im Ofen erhitzt und verwalzt. Seit der umfangreichen Einführung der
Flußstahlbereitung ist dieser Betrieb wesentlich eingeschränkt.
Ferner schließt sich an das Walzwerk eine neuerbaute Walzen-
dreherei, in der sämtliche Walzen, fertig zum Einlegen, bearbeitet
werden. Die Drehbänke sind mit elektrischem Antriebe versehen,
so daß jede für sich unabhängig in und außer Betrieb genommen
werden kann.
In einem Hammerwerk mit 18 Hämmern werden areschmiedet:
4. Phönix. 167
Eisenbahnachsen, Kugeln für Kugelmühlen, z. B. für Thomasmühlen,
Ringe für Radreifen und Schmiedestücke aller Art. Die Leistung
aus einem Rollofen beträgt etwa 45 Tonnen in 12 Stunden.
Das Radreifen Walzwerk walzt aus einem Rollofen in 12 Stunden
etwa 135—200 Eisenbahnradreifen im Gewichte von 40 Tonnen.
Von besonderem Interesse ist das Preßwerk der Laarer Hütte.
Die Anregung zu dieser Anlage wurde durch eine Anfrage nach Ge-
schossen mit physikalischen Eigenschaften gegeben, die nach der
gewöhnlichen Arbeitsmethode kaum oder schwer herzustellen waren.
Infolgedessen wurde zu Beginn des Jahres 1892 die Fabrikation
von nahtlosen Hohlkörpern der verschiedensten Formen aufgenom-
men. Die Haupterzeugnisse bestehen in Kriegsmaterial, und zwar
Geschossen aller Art mit verschiedenen physikalischen Eigenschaften,
sodann aber in nahtlosen Flaschen für hochgespannte Gase, wie
Wasserstoff und Sauerstoff, sowie Flüssigkeiten, wie flüssige Kohlen-
säure, Ammoniak etc., femer nahtlosen Stahlröhren etc. Das Werk,
das, infolge der großen Nachfrage und der Ausdehnung der Fabri-
kation auf immer mehr Erzeugnisse, von Jahr zu Jahr erweitert
werden mußte, besteht aus zwei Abteilungen: Dem Preßraum mit
einer Anzahl Loch- und Ziehpressen und einer Dreherei mit ca. 100
Drehbänken. In Zusammenhang damit steht ein größerer Probier-
und Abnahmeraum. Die Produktion für 1901 betrug an
Geschossen und Hüllen bis zu 240 mm Durchmesser
ca. 210 000 Stück
Nahtlosen Stahlflaschen und Hüllen bis zu 300 mm Durchmesser
ca. 29 000 Stück
Weiteren Geschoßteilen und Hohlkörpern verschiedener Art
ca. 70 000 Stück
An Preß- und Fa9onstücken ca. 400 Tons.
Einen verhältnismäßig großen Umfang hat die mechanische Ab-
teilung. In ihr werden die Neuanlagen der Hütte entworfen und
eigene Konstruktionen zum Teil ausgeführt, sowie alle Reparaturen,
die in den einzelnen Betrieben nötig sind, vorgenommen. Sie leitet
ferner den ganzen maschinellen und Dampfkesselbetrieb. Im Jahre
1900/01 wurde sie vollständig umgebaut. Heute kann man sie in
folgende Unterabteilungen zerlegen:
a) Eine Maschinenfabrik, bestehend aus Schlosserei, Dreherei,
Hobelei, Schmiede, Klempnerei und Sattlerei.
b) Eine Kesselschmiede.
168 4. Phönix.
c) Eine Gießerei mit einer Jahreserzeugung von 1 1 000 bis
12 000 Tonnen.
d) Eine mechanische Modellschreinerei.
e) Eine mechanische Zimmer- und Schreinerwerkstätte.
Der Gesellschaft gehört ferner eine Thomasphosphatfabrik, die
aber an die chemischen Werke in Biebrich verpachtet ist. Sie besteht
aus 18 Kugelmühlen, die die Thomasschlacke pulverisieren. Ele-
vatoren befördern das Mehl direkt auf die automatische Wage. Die
18 Mühlen liefern täglich 54 Doppel Waggons (ä Waggon 10 Tons).
Von je 5 Waggons wird eine Durchschnittsprobe genommen und
im Laboratorium der Phosphorsäuregehalt festgestellt. Danach wird
das Mehl bezahlt. Es kostet das Kilogramm Gesamtphosphorsäure
21 V4 Pfg. und citratlösliche Phosphorsäure 241/4 Pfg.
Schließlich hat das Werk eine Fabrik feuerfester Steine. Diese
Steine werden hergestellt aus verschiedenem Material: aus Ton,
der vom Westerwald und aus der Pfalz stammt, aus verschiedenen
Quarzarten und aus alten Ofensteinen, die in Kugelmühlen gemahlen
werden. Diese feuerfesten Steine werden gebraucht zum Ausfüttern
der Martin- und Thomasstahlpfannen, ferner zur Bekleidung von
Schweiß- und Cupolöfen etc. Die Gesamterzeugung, außer der
basischen Masse, für welche eine bereits früher erwähnte Dolomit-
fabrik vorhanden ist, belief sich im Jahre 1901 auf 6200 Tonnen.
Diese Einzelwerke werden mit dem nötigen Roheisen versorgt
durch die Hochofenanlagen. Der Phönix hat ihrer drei:
Die erste liegt in Laar. Sie umfaßt 6 Hochöfen. Davon sind
3 neu und 3 alt. Jene produzieren 200—250 Tonnen, diese 100
bis 120 Tonnen. Von den 6 Öfen ist gegenwärtig Ofen III außer
Betrieb und Ofen VI noch nicht in Betrieb. Im Geschäftsbericht
1902/03 heißt es: „Die Hochöfen in Laar arbeiten noch immer
nicht befriedigend, wenn auch besser wie im vorigen Jahre. Wir haben
noch gar zu häufig mit Hängen der Gichten zu kämpfen. Während
des ganzen Jahres waren 4 Hochöfen in Betrieb. Darunter zwei
neue große und zwei alte kleine." Die Produktion dieser 4 im
Betriebe befindlichen Hochöfen beüef sich im genannten Geschäfts-
jahre auf 204 119 Tonnen. An die Hochofen- schließt sich eine Koks-
ofenanlage. Dieselbe hat 2 Solvaybatterien von je 24 Öfen mit Ge-
winnung von Teer, Ammoniak, Benzol und Sulphat, 2 Ottobatterien
von je 32 und eine von 60 Öfen. Die Erzeugung der Koksöfen
betrug im Jahre 1901 131400 Tonnen.
Die zweite Hochofenanlage befindet sich in Berge-Borbeck. Sie
4. Phönix. 169
hat drei Hochöfen, von denen jedoch nie mehr als zwei im Feuer
sind. „Während vor 30 Jahren", heißt es in der Ausstellungsschrift,
„die Erzeugung in zwei Hochöfen nur 19 000 Tonnen betragen hat,
sind im vorigen Kalenderjahre 1901 51 527 Tonnen Roheisen in
einem Ofen erblasen worden, obgleich die Dimensionen der Hoch-
öfen nicht wesentlich verändert, beziehungsweise vergrößert worden
sind. Der Rauminhalt der Hochöfen in Berge-Borbeck hat lange nur
je etwa 100 cbm betragen, und erst in neuester Zeit sind die Hoch-
öfen erhöht und bis zu 380 cbm Rauminhalt vergrößert worden.
Es wird hauptsächlich Thomaseisen erzeugt, welches an das Stahl-
werk der Hütte Phönix bei Ruhrort geliefert wird, und außerdem
Qualitätspuddeleisen für die Werke der jetzt zur Gesellschaft ge-
hörigen, ehemaligen Westfälischen Union in Hamm.** Es sei noch
erwähnt, daß im Geschäftsbericht 1902/03 die Roheisenproduktion
des einen im Betriebe befindlichen Hochofens in Berge-Borbeck mit
71 064 Tonnen angegeben wird. Die Koksöfen produzieren nach
den Angaben der Festschrift 39 993 Tonnen Koks.
Die dritte Hochofenanlage liegt in Kupferdreh, an der Ruhr.
Sie umfaßt 2 Hochöfen von ca. 300 cbm Inhalt. Aber auch hier
befindet sich nur einer in Betrieb. Die Produktion betrug 1902/03
33 205 Tonnen. Sie war also um die Hälfte geringer als in Berge-
Borbeck.
Während zu Anfang des Betriebes der Hütte, in den 50er Jahren,
hauptsächlich Brauneisenstein und Blackband aus nächster Nähe zum
Teil per Achse, zum Teil per Schiff auf der Ruhr herbeigeschafft
und verhüttet wurden, und auch der Versand des Roheisens teilweise
auf der Ruhr stattfand, wird heute der ganze Bezug der zum Teil
aus weiter Ferne kommenden Erze und der ganze Versand des
Roheisens durch die Eisenbahn bewirkt.
In den zur Hütte gehörigen 36 Koksöfen wurden 1901 31 718
Tonnen Kohlen verkokt und daraus 20 455 Tonnen Koks erzeugt.
Nebenbetriebe zur Gewinnung von Teer, Ammoniak, Benzol und
Sulphat scheinen auch hier zu fehlen.
Schließlich haben wir noch das Werk in Eschweiler-Aue zu er-
wähnen, in dem einst der Schwerpunkt der Produktion ruhte. In
dieser Hütte lag ursprünglich die Bedeutung des Phönix. Aber ge-
rade dieses Stammwerk der Gesellschaft büßte mit den großen Um-
wandlungen in der Eisenindustrie, wie sie durch die Einführung
des Bessemerprozesses herbeigeführt wurden, vollständig an Bedeu-
tung ein. Ich habe an anderer Stelle bereits diese Wandlungen ge-
170 4. Phönix.
schildert. In den 80er Jahren wird dann namentlich über schlechte
Geschäftsergebnisse geklagt. So heißt es in dem Bericht über das
Jahr 1884/85: „Sehr ungünstig lagen die Verhältnisse in Eschweiler-
Aue. Da das Werk von alters her nur auf Eisenfabrikation einge-
richtet war, mußte es bei dem immer mehr zunehmenden Absatz
in Stahlartikeln in eine vollständige Abhängigkeit zur Laarer Hütte
oder anderen Stahlwerken geraten und verlor damit die Möglichkeit
zu gewinnbringender Arbeit ..." Um nun das Werk nicht ein-
gehen zu lassen, wurde im Jahre 1888 ein Martinwerk mit 4 Öfen
errichtet mit einer Leistungsfähigkeit von etwa 45 — 50 000 Tonnen
Flußstahl im Jahre. Ein Ofen vollendet in 24 Stunden 5 — 6 Einsätze
mit je 12 Tonnen Ausbringen an Stahl. Infolge dieser geringen
Produktion sind an Stelle der alten zwei neue Öfen errichtet, von denen
einer bereits fertig gestellt und ein zweiter im Bau begriffen ist.
Vergossen wird der Stahl hauptsächlich zu Blöcken für die eigenen
Formeisen- und Blechwalzwerke, welche zumeist auf Konstruktions-
und Schiffbaumaterial arbeiten, sowie zu Schmiedeblöcken für das
eigene Hammerwerk; seit längerer Zeit wird auch ein großer Teil
zu Stahlformguß — Lokomotivrädern, Maschinenteilen, Spindeln etc.
verwandt. Rohblöcke werden verkauft.
Das ganze Werk in Eschweiler-Aue ist nur klein. Es besteht aus
folgenden Abteilungen :
1. Aus dem schon erwähnten Martinwerke.
2. Aus einer Räderfabrik. In dieser werden alle Arten Lokomotiv-^
Tender-, Normal- und Straßenbahnwagenräder hergestellt. Seit
1901 auch Lokomotivradsätze mit Rädern aus Stahlformguß.
Die Leistungsfähigkeit der Räderfabrik beträgt 7—8000 Satz pro
Jahr. Die Werkstätte besitzt 88 SpezialWerkzeugmaschinen. An
Stelle der Räderschmiede trat Ende des Jahres 1897 ein Räder-
preßwerk, in welchem innerhalb 12 Stunden 105—120 Stück
Radsterne, je nach Größe, fertiggestellt werden können.
3. Aus einem Blechwalzwerk. Seit 1897 ist eine Triostraße, ein
Feinblech- und ein Universalwalzwerk im Betriebe mit einer
Leistungsfähigkeit von 2500 bis 3000 Tonnen Blechen. Es wer-
den alle Sorten Bleche, glatte sowohl wie geriffelte bis zu jeder
Stärke hergestellt.
4. Aus einem Formwalzwerk. Das gewalzte Formeisen dient zum
Kriegs- und Handelsschiffbau, femer als Konstruktionsmaterial
für den Eisenbahn- und Brückenbau.
5. Aus einer Steinfabrik. In derselben werden sowohl saure als
4. Phönix. 171
auch basische feuerfeste Steine für den eigenen Bedarf her-
gestellt.
Diese Details mögen genügen, um einen Überblick über die
wichtigsten Gesamtanlagen des Phönix vor seiner Fusion mit der
Westfälischen Union zu geben. Aus der Beschreibung läßt sich er-
kennen, daß viele Einrichtungen veraltet sind. Mit dem Um- resp.
Neubau ist bereits begonnen. So wird gegenwärtig der großartigste
Fortschritt auf dem Gebiete des Eisenhüttenwesens, die Verwendung
der Hochofengase als Antriebskraft, in die Praxis umgesetzt, um die
Produktionskosten zu vermindern. Zwei Gasexplosionsmaschinen
ä 800 H.P. sind bereits im Betrieb, drei große zu je 1000 Pferden
im Bau. Es wurde ferner darauf hingewiesen, daß das Blockwalz-
werk veraltet ist, daß automatische, Menschen sparende Vorrichtungen
vielfach fehlen, daß bei den Koksöfen nur teilweise die Neben-
produkte gewonnen werden usw. „Bei den enormen Fortschritten",
heißt es im Geschäftsbericht 1902/03, „welche die Eisen- und Stahl-
industrie in den letzten Jahren gemacht hat, denen unsere gesamte
Konkurrenz gefolgt ist, ist Stillstand gleich Rückschritt. Es bleibt
uns nichts anderes übrig, als auch unsere Einrichtungen den neuen
Anforderungen entsprechend umzugestalten. Mit unseren verschie-
denen Hochofenanlagen haben wir schon vor mehreren Jahren be-
gonnen und sind damit sozusagen fertig. Die Leistungsfähigkeit
hat sich mehr als verdoppelt. Zur noch besseren Ausnutzung und
zur Verwertung eines Teils der Hochofengase müssen noch je eine
Gasgebläsemaschine für Laar und Borbeck beschafft werden. Die
Gasreinigung ist weiter durchzuführen. Der Überschuß an Gasen
wird direkt zu Betriebszwecken oder indirekt durch Umsetzung in
Elektrizität und dann zu weiteren Verwendungen verwertet. In Laar
dient diese zum Betriebe des Stahlwerkes, des Walzwerkes und fast
sämtlicher Nebenwerkstätten. In Borbeck sind die Gase an die Kon-
tinentale Hochofengasgesellschaft gegen eine jährliche Abgabe pro
Hochofen und Beteiligung am Reingewinn des Unternehmens ver-
pachtet . . . Endlich muß mit der weiteren Verwendung der Elek-
trizität eine Verbesserung der Betriebs- und Transporteinrichtungen
verbunden werden, um Dampf und Löhne zu sparen. In allen diesen
Richtungen haben wir schon manches erreicht und sind mit weiteren
Verbesserungen beschäftigt. Damit wird auch eine bessere Aus-
nutzung unseres Stahlwerkes und eine wesentliche Hebung der Pro-
duktionsfähigkeit desselben verbunden sein."
Natürlich erfordert die Vervollkommnung der Produktionsmittel
172 4. Phönix.
viel Geld. 41/2 Million Mark stehen dem Werke zu Bauzwecken
bereits zur Verfügung. Aber auch diese Summe reicht noch nicht
aus. In der außerordentlichen Generalversammlung vom 30. Oktober
1903 wird beschlossen, das Aktienkapital der Gesellschaft von 30
auf 35 Millionen Mark zu erhöhen. Begründet wird diese weitere
starke Erhöhung des Betriebskapitals damit, daß der Phönix, dessen
Einrichtungen in mancher Beziehung mit dem gewaltigen Fortschritt
der Technik nicht Schritt gehalten haben, nicht nur größere Um-
bauten, sondern auch Neubauten ausführen muß. „Wir müssen",
resümiert die Verwaltung in dem letzterwähnten Bericht, „unsere
Zeche Westende weiter ausbauen und die Hochofengase unserer
verschiedenen Hütten nutzbar machen. Dazu gehören Gasmaschinen
und elektrische Einrichtungen. Wir müssen auch unsere Stahlwerke,
Walzwerke und unsere Transporteinrichtungen den neusten, gewal-
tigen Fortschritten der Hüttentechnik entsprechend ausgestalten."
Die großen finanziellen Anstrengungen resultieren, wie wir sehen,
in letzter Instanz aus dem freien Wettbewerb. Gespornt durch die
Konkurrenz muß der Phönix seine Einrichtungen modernisieren, um
nicht unter den großen Werken in zweite Linie zu geraten. Fast
alles aber kommt dem Hauptwerke in Laar zu gute. In ihm ruht
heute der Schwerpunkt der Produktion.
Resume : Diese Übersicht zeigt, daß der Phönix
ein reich gegliedertes Unternehmen ist, dessen Pro-
duktion die mannigfachsten Gebiete erfaßt und im
Laufe der Zeit erweitert hat. Es wird genügen, hier
in Summa noch einmal die vorhandenen Abteilungen
übersichtlich zusammenzustellen. Die Hütte in Laar
bei Ruhrort umfaßt: Ein Stahlwerk, ein Martin-
werk, ein Blockwalzwerk, ein Knüppel- und Schie-
nenwalzwerk, eine Walzendreherei, ein Hammer-
werk, ein Radreif en walz werk, ein Preßwerk, eine
mechanische Abteilung, eine Thomasphosphat-
fabrik, eine Fabrik feuerfester Steine und eine
Hochofenanlage. Diese Anlagen bilden heute das
Haupt- aber nicht das Stammwerk der Gesellschaft.
Die ganze Bedeutung des Phönix konzentriert sich
allmählich in den genannten Betrieben. Außer die-
ser Hütte besitzt die Gesellschaft noch zwei Hoch-
ofenanlagen, die eine in Kupferdreh und die andere
in Berge-Borbeck.
4. Phönix. 173
Das ursprüngliche Unternehmen lag in Esch-
weiler-Aue. Esistständigvon seinerfrüheren Höhe
heruntergesunken. Es wäre noch schlimmer ge-
kommen, hätte man nicht 1888 seiner Produktion
in Stahlartikeln eine Grundlage gegeben durch Er-
richtung eines Martinwerkes. Heute besteht diese
Abteilung noch aus einer Stahlformgießerei (Räder-
fabrik), einem Blechwalzwerk, einem Formwalz-
werk und einer Steinfabrik. Das Werk besitzt keine
Hochöfen, muß also das Roheisen beziehen.
Das bedeutendste Ereignis aus der neueren Geschichte des Phönix
bildet seine Verschmelzung mit der Westfälischen
Union im Jahre 1898. Dieses Unternehmen entstand als Aktien-
gesellschaft in der Weise, daß mit einem Kapital von 10,5 Millionen
Mark eine Anzahl von Drahtvverken unter einer Firma vereinigt
wurden. Die Ausstellungsschrift enthält hierüber folgende Angaben:
„Im Jahre 1873 wurden die Firmen Cosack & Comp, in Hamm i. W.,
A. & Th Linnhoff in Lippstadt und Belecke, Ed. Schmidt in Nach-
rodt und Friedrich Thomee in Werdohl in eine Aktiengesellschaft
umgewandelt, welche sich unter dem Namen „Westfälische Union",
Aktiengesellschaft für Bergbau, Eisen- und Drahtindustrie konsti-
tuierte, mit ihrem Sitz in Hamm i. W. Zu den oben aufgeführten
Werken wurde das Puddel- und Walzwerk in Einsal bei Altena,
Herrn von Holzbrink gehörig, gepachtet und in St. Petersburg ein
Werk, bestehend aus Drahtzieherei und Stiftenfabrik, erworben. Sämt-
liche Werke wurden in vollem Betriebe übernommen."
Das Charakteristische besteht auch bei dieser Schöpfung darin,
daß örtlich auseinanderliegende Betriebe zu einem Produktions-
organismus unter einheitlicher Leitung miteinander verbunden wurden.
Aber bald zeigten sich bei der Westfälischen Union ganz ähnliche
Folgen wie bei der Dortmunder Union. Der Organismus war zu
stark belastet. Er bestand aus 7 Gliedern, nämlich den Werken zu
Hamm, Nachrodt, Lippstadt, Belecke, Einsal, Werdohl und St. Peters-
burg. Von diesen 7 Werken wurden im Laufe der Zeit nicht weniger
als 3 abgestoßen.
Zunächst das Puddel- und Drahtwalzwerk in Einsal. Die West-
fälische Union war nicht Eigentümerin desselben, sondern Besitzerin.
Das Werk war nicht imstande, auch nur die kontraktliche Pacht-
summe aufzubringen. Da eine Ermäßigung vom Eigentümer nicht
174
4. Phönix.
zu erreichen war, so wurde der am 1. Juli 1878 ablaufende Ver-
trag nicht wieder erneuert, und das Etablissement schied aus der
Westfälischen Union aus.
Dasselbe Schicksal teilte am 1. Januar 1879 das Werk in Wer-
dohl. Es produzierte ebenfalls Luppen, Walzdraht, Stabeisen, gezoge-
nen Draht und Drahtstifte. Der Verkauf dieses Werkes steht zweifels-
ohne mit dem schlechten Geschäftsgange der 70er Jahre in Zu-
sammenhang.
Wie schon erwähnt, beruhte die Westfälische Union auf der
Herstellung von Walzdraht. Damals aber gingen zahlreiche Werke,
die bisher Schienen produziert hatten, zur Walzdrahtproduktion über,
um ihre kalt liegenden Puddelöfen zu beschäftigen. Die Folge der
auf diese Weise gesteigerten Drahtproduktion war ein abnormes
Werfen der Preise, besonders auch auf dem Exportmarkt. Als Beleg
für diese Tatsache seien einige Zahlen aus den Geschäftsberichten
der Westfälischen Union während der Krisis der 70er Jahre an-
geführt. Von ihren sämtlichen Werken wurden versandt:
1873/4
35,5
1874/5
36,0
1875/6
37,3
1876/7
42,7
1877/8
45,9
1878/9
42,8
35,5 Mill. t im Werte v. 11,3 Mill. M. oder 318,18 M. pro t
^(^
(( ir
7,9
II II
1, 213,43 „
8,2
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II 191,79 „
8,3
II II
„ 181,34 „
7,5
II II
„ 174,93 „
Hieraus ergibt sich, daß zwar die Produktion des Werkes während
der Krisis stieg, ihr Wert aber sank, und zwar auf die Tonne be-
rechnet um nicht weniger als ca. 45 o/o. Mit dieser Wertverminderung
steht die bereits erwähnte Absplitterung des Einsaler und Werdohler
Etablissements in Zusammenhang.
Das dritte Werk, das ebenfalls aus der Zusammengehörigkeit
mit der Westfälischen Union ausschied, war die St. Petersburger
Draht- und Nagelfabrik. Die Gründe hierfür dürften in folgenden
SpezialUrsachen zu suchen sein. Zunächst ebenfalls in der Krisis
der 70er Jahre. Dann brach der russisch-türkische Krieg aus. Infolge
dessen konnte das Werk in den 70er Jahren zu keiner rechten Ent-
wicklung kommen. Endlich frohlockt der Geschäftsbericht 1879/80:
„Zum ersten Male sind wir in der Lage, Ihnen über diese Abteilung
einen günstigen Bericht zu geben. Die erzielten Resultate lassen
uns hoffen, daß das Lehrgeld dort jetzt gezahlt ist, daß wir endlich
dort auch ernten werden." Aber die Verwaltung täuschte sich.
4. Phönix. 175
Der Beginn des neuen Dezenniums sollte nicht den Anfang einer
besseren Zeit bedeuten. Im Juni 1881 brannte ein großer Teil
des Petersburger Werkes nieder. Da aber bereits in den früheren
Jahren sehr große Abschreibungen vorgenommen worden waren,
so fiel der Brandschaden für den Anteil der Westfälischen Union
an dem Petersburger Werke — es existierten noch 2 Teilhaber,
die zusammen 50 000 Mark eingelegt hatten — nicht so sehr ins
Gewicht. Viel größeren Schaden verursachten zwei andere Momente,
nämlich das Sinken der russischen Valuta und die Erhöhung der
russischen Drahtzölle im Jahre 1882. Schon in den 70er Jahren
klagt die Union, „daß das fortwährende Fallen des Rubelkurses
die Rohmaterialien verteure, ohne daß durch entsprechende Erhöhung
der Verkaufspreise ein Ausgleich zu erreichen gewesen wäre." (Ge-
schäftsbericht 1876/77). In dem Bericht über das Jahr 1881/82 heißt
es dann: „Der Ausfall an Produktion infolge des Brandes, die un-
günstigen Verhältnisse in Rußland, insbesondere der schlechte Stand
der russischen Valuta beeinflußten das Resultat ungünstig." Da-
zu kamen noch die Zollverhältnisse. Der Bericht von 1876/77 gibt
an, daß die Erhebung des Zolles in Gold eine Verteuerung des-
selben um ca. 300/0 bedeute. Nun wurde aber im Herbst 1882 der
russische Eingangszoll auf Rundeisen von V4 ^[oll und darunter
von 75 Mark pro Tonne auf 214,50 Mark erhöht, und damit der
Import in diesen Artikeln so gut wie abgeschnitten, „Wie schon
bemerkt", heißt es in dem Geschäftsbericht 1882/83, „können wir
des hohen Zolls wegen Walzdraht nicht mehr nach Rußland senden.
Damit verliert die dortige Zweigniederlassung für uns wesentlich
an Bedeutung, zumal es bei den unsicheren Zollverhältnissen nicht
opportun erschien, dieselbe noch durch Anlage einer Drahtwalze
nebst Zubehör zu vergrößern, um so von hier zu sendende Draht-
knüppel auswalzen zu können. Wir richteten daher unsere Be-
mühungen daraufj das Petersburger Werk anderweitig möglichst gün-
stig zu verwerten . . . Um in dieser Beziehung nicht behindert zu
sein, mußten wir suchen, uns die volle freie Disposition über unser
Eigentum zu verschaffen. Wir tilgten daher die Hypothek der Staat-
kreditgesellschaft und lösten die Verträge mit den Kapitalbeteiligten
unter Ausgleichung sämtlicher schwebender Differenzen und Pro-
zesse auf." 1883 wurde das Werk an die Gesellschaft der St. Peters-
burger Eisen- und Drahtwerke verkauft. Die Westfälische Union er-
hielt den Kaufpreis zum Teil in Aktien und Obligationen, und zwar
50 000 Rubel Aktien und 427 500 Rubel Obligationen. In die Bilanz
176 4. Phönix.
der Westfälischen Union werden diese nicht börsengängigen Effekten
mit 96 773 Mark für die Aktien und 870 963 Mark für die Obliga-
tionen eingestellt. Die Transaktion bestand also darin, daß das
Petersburger Werk in eine selbständige Aktiengesellschaft verwan-
delt und die Westfälische Union Mitteilhaber und Gläubiger wurde.
Außer der Überlastung des Gesamtunternehmens mit zu vielen
örtlich auseinanderliegenden Etablissements wurde die Westfälische
Union lange Zeit in ihrer Entwicklung außerordentlich gehindert
durch die in ihr Statut aufgenommenen Gründerrechte. Dieselben
bestanden darin, daß bei jeder Neuemission von Aktien diese den
im Besitze der genannten Rechte befindlichen Gründern, zur an-
deren Hälfte den jeweiligen Aktionären, al pari angeboten werden
mußten. Von den Gründern verzichteten drei auf ihre Ansprüche.
Die Rechte der Draht- und Eisenindustrie zu Hamm, der Rechts-
vorgängerin in der Union, gingen auf diese über. So blieb nur
noch die Berechtigung eines Gründers, eines Bankiers Seelig in Berlin.
Derselbe hatte Anspruch auf 311/2^/0 jeder neuen Aktienemission.
Dieses Bezugsvorrecht der Gründer sowohl wie der Aktionäre aber
wurde bald zu einer drückenden Last, zu einem Hemmschuh für
die Weiterentwicklung des Unternehmens. Jede Vergrößerung der
Produktionsmittel, jede Erweiterung der Anlagen durch Neubau oder
Erwerbung, jede Beteiligung an Gruben, Fabriken etc., soweit sie
auf Ausgabe junger Aktien basiert waren, wurde dadurch unmög-
lich. Die Gründerrechte bildeten die Barriere, über die die Gesell-
schaft nicht hinweg konnte, um sich von den Schwankungen des Roh-
stoffmarktes zu emanzipieren. Kurz, die Gründerrechte widersprachen
der kapitalistischen Tendenz des Unternehmens. Eine Vergröße-
rung des Werkes wäre infolge des Agios der Aktien zu teuer ge-
worden. Daher mußten sie fallen. Sie wurden 1890 offiziell auf-
gehoben unter Opferung einer Ablösungssumme von 80 000 Mark.
Die Geschichte der Westfälischen Union, die im wesentlichen
eine Geschichte der Drahtindustrie in den letzten 30 Jahren sein
würde, näher zu verfolgen, geht hier nicht an. Für die Zwecke un-
serer Darstellung ist es jedoch an dieser Stelle noch wichtig, die nach
der Verschmelzung mit der Phönixgesellschaft bestehende Dezent-
tralisation der Westfälischen Union kurz zu skizzieren und dabei
gleichzeitig ihr Fabrikationsprogramm anzudeuten.
Das Unternehmen zerfällt heute, nach Abstoßung der geschilderten
3 Werke, in 4 Abteilungen:
1. Die Werke in Hamm. Dieselben umfassen ein Puddelwerk„
4. Phönix. 177
ein Stabeisenwalzwerk, bestehend aus Grob-, Mittel- und Feinstrecke,
ein Drahtwalzwerk, eine Nietenfabrik, eine Drahtzieherei, eine Ver-
zinkerei, eine Stacheldrahtfabrik mit 9 Stacheldrahtmaschinen, eine
Stiftenfabrik mit 146 Stiftmaschinen, eine Lackiererei, eine Eisen-
vitriolfabrik, eine Faßfabrik, die die für den Versand von Draht und
Drahtstiften notwendigen Fässer herstellt, eine Geflechtfabrik mit
21 Maschinen, die sechseckiges, und 8 Maschinen, die viereckiges
Geflecht liefern, eine Achsenfabrik (Schmiede und Dreherei), eine
Stangenzieherei, eine Wellenfabrik, mechanische Werkstätten, be-
stehend aus Dreherei, Reparaturschlosserei und Schmiede, Modell-
und Bauschreinerei, Sattlerei, schließlich eine Gießerei, in welcher
der für den eigenen Bedarf erforderliche Eisen- und Metallguß her-
gestellt wird. Dazu kommt noch eine eigene Gasanstalt, die das
Gas für die Beleuchtung der Räume liefert.
2. Das Werk in Nachrodt. Diese Abteilung umfaßt folgende
Anlagen: ein Puddelwerk, ein Stab- und Bandeisenwalzwerk, ein
Drahtwalzwerk, ein Blechwalzwerk, eine Blechverzinnerei mit zu-
gehöriger Beizerei, ein Rondenstanzwerk, bestehend aus 5 Maschinen
zum Stanzen von Ronden, mechanische Werkstätten wie in Hamm
und eine Gießerei.
3. Das Werk in Lippstadt. Diese Abteilung zerfällt in ein Puddel-
werk, ein Stabeisenwalzwerk, nur aus einer Mittelstraße bestehend,
eine Drahtstraße, eine Drahtzieherei, eine Stiftenfabrik, eine Federn-
fabrik, eine Blumendrahtfabrik, eine Eisenvitriolfabrik, eine Faß-
fabrik und mechanische Werkstätten.
4. Das Werk in Belecke. Hier sind vorhanden: eine Draht-
zieherei, eine Stiftenfabrik, eine Eisenvitriolfabrik, eine Faßfabrik
und mechanische Werkstätten.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, daß alle 4 Abteilungen
einen ziemlich übereinstimmenden Betrieb und im wesentlichen das-
selbe Fabrikationsprogramm haben. Sie verarbeiten in erster Linie
Schweißeisen und fabrizieren Stäbe, um daraus als Ganzfabrikat
hauptsächlich Draht herzustellen. Innerhalb dieser Produktion zeigt
sich eine weitere Spezialisation insofern, als aus dem Draht auch
Nägel, Stifte, Federn, Nieten, Ronden hergestellt werden. Besondere
Maschinen liefern zusammenhängende Drahtgeflechte. Daß noch
Nebenprodukte gewonnen werden, wie der zu Eisenvitriol verar-
beitete Grünspan, verdient ebenfalls hervorgehoben zu werden. Der
Schwerpunkt der Produktion liegt in Hamm, wo auch die Speziali-
sation in bezug auf die Erzeugung am größten ist.
stillich, Nationalökonotnische Forschungen, Band I. 12
178 4. Phönix.
So viel über die Westfälische Union.
Ob die Fusion beider Werke in den Bedürfnissen der Produk-
tion begründet lag, oder vielmehr eine mit den Finanzinteressen
der beteiligten Gruppen verquickte Operation war, entzieht sich für
den Außenstehenden der genaueren Beurteilung.
Was das erstere Moment anbelangt, so läßt sich ohne weiteres
erkennen, daß der Absatz an Fertigerzeugnissen mehr
in den Vordergrund tritt, denn jetzt kann der Phönix sein Halbzeug in
Hamm etc. zu Draht weiter verarbeiten. Trotzdem scheint, nach
historischen und analogen Erfahrungen bei der Dortmunder Union zu
urteilen, die Vereinigung kaum von Nutzen. Wir sahen bereits an an-
derer Stelle, daß die Erweiterung der örtlichen Dezentralisation und der
Spezialisation in der Produktion Nachteile im Gefolge hatte. Allerdings
steht die Verwaltung des Phönix auf einem anderen Standpunkt. Gegen
Ende der 90er Jahre, als auch die Konjunktur für Draht eine sehr
günstige war, arbeitete die Westfälische Union mit großen Ge-
winnen und unter dem Eindruck dieser Tatsache bemerkt der Ge-
schäftsbericht des Phönix von 1899/1900: „Die Ergebnisse der letzten
Jahre beweisen, daß die Vereinigung des Phönix mit der West-
fälischen Union ein richtiger Schritt war, dessen günstige Einwirkung
sich in schlechten Zeiten vielleicht noch mehr zeigen wird." Diese
Erwartung hat sich nicht erfüllt. Die Spezialisation erwies sich nicht
imstande, das Risiko während der letzten Krisis herabzumindern.
Die Dividende des Phönix betrug 1899/1900 noch 15o/o, 1900/01 sank
sie auf 4 o/o, 1901/02 sogar auf Oo/o, um dann 1902/03 auf 8 o/o zu
steigen. Eine Abtönung der Wirkungen der Krisis auf das Unter-
nehmen wird man aus diesen Ziffern schwerlich herauslesen können,
im Gegenteil, es scheint schwieriger, ein so hohes Kapital, wie es
der Phönix nach Absorption der Westfälischen Union aufweist, zu
verzinsen. Es wäre kurzsichtig, diesen Zusammenhang übersehen zu
wollen. Das Betriebskapital des Phönix hat sich von 1896—1903 mehr
als verdoppelt, während es in der langen Zeit von 1873 — 1896 stabil
auf 16,2 Millionen Mark verharrte. Der Vollständigkeit halber sei
hier noch erwähnt, daß vom 1. Mai 1890 ab von den Aktien lit. B
je 9 zu 300 Mark in abgestempelte Aktien lit. A zu 1200 Mark zu-
sammengelegt wurden. Daraus ergab sich ein Buchgewinn von 1,5
Millionen Mark. Diese Reduktion wurde jedoch dahin ausgeglichen,
daß weitere 1,5 Millionen Mark abgestempelter Aktien lit. A zur
Emission gelangten. Von dieser Transaktion abgesehen, erfolgt dann
1896 nach längerer Pause die erste Vermehrung des Aktienkapitals
4. Phönix. 179
um 4 050 000 Mark, und 1898 schließt sich daran eine zweite. Es
werden behufs AngUederung der Westfälischen Union und zur Ver-
mehrung des Betriebskapitals 9 750 000 Mark Aktien ausgegeben.
Aber diese Riesensumme genügte noch nicht. In der außer-
ordentlichen Generalversammlung vom 30. Oktober 1903 wurde, wie
bereits früher erwähnt, das Betriebskapital noch um weitere 5 Millionen
vermehrt, so daß es z. Zt. 35 Millionen beträgt, d. h. beinahe an das
der Dortmunder Union mit 36 Millionen Mark heranreicht. Aller-
dings ist dabei nicht zu vergessen, daß die Produktion des Phönix
heute größer ist als die der Dortmunder Union. Es betrug die
Gesamtproduktion an fertigem Eisen und Stahl:
1898/9 1901/2
beim Phönix 303,382 t 321,421 t
bei der Dortmunder Union 290,554 „ 258,001 „
Fassen wir zum Schluß das Wesentliche noch einmal kurz zu-
sammen: Das hervorragendste Ereignis aus der neue-
ren Geschichte des Phönix ist ohne Zweifel seine
Vereinigung mitder Westfälischen Union. Das an-
gegliederte Unternehmen beruht in der Hauptsache
auf der Herstellung von Draht. Aus seiner Ge-
schichte ist besonders wichtig die Entlastung des
Produktionsorganismus durch Abstoßung dreier
Werke. Ferner die Tatsache, daß die statutarisch
festgelegten Gründerrechte lange Zeit die Expan-
sion des Unternehmens durch Aufnahme von neuem
Aktienkapital hinderten, bis auch sie unter dem
Druck der kapitalistischen Entwicklung zusammen-
brachen. Die Verschmelzung mit der Westfälischen
Union hatte für den Phönix zur Folge: eine Vermeh-
rung und weitere Spezialisierung seiner Produk-
tion durch die Aufnahme der Drahtfabrikation in
großem Umfange und die damit gegebene Möglich-
keit, seine eigenen Rohmaterialien und Halbfabri-
kate in höherem Maße als dies früher der Fall war
in eigenen Betrieben zu verarbeiten und zu veredeln.
Eine weitere Folge war eine Vergrößerung der lo-
kalen Dezentralisation und auf finanziellem Gebiet
eine nicht unbedeutende Kapitals verm ehrung, so
daß der Phönix in bezug auf die Höhe des Aktien-
12*
180 4. Phönix.
kapitals unter den großen Eisenwerken Deutsch-
lands nach Krupp mit 160 Millionen Mark und der
Dortmunder Union mit 36 Millionen Mark in dritter
Reiherangiert.
5. Die vereinigte Königs- und Laura-Hütte.
Das größte und heute auch unstreitig hervorragendste Werk der
oberschlesischen Eisenindustrie ist die Königshütte. Es hat alle drei
Formen der gewerblichen Unternehmung durchlaufen, die uns be-
kannt sind: von 1802—1869 war es Staatsbetrieb, ging dann für
ganz kurze Zeit in Privathände über, d. h. in die Form der Einzel-
unternehmung, um bald darauf von 1871 bis zur Gegenwart in der
Form des gesellschaftlichen Unternehmens eine bedeutende Rolle zu
spielen. Danach läßt sich die Geschichte der Königshütte in zwei
große Perioden einteilen. In der ersten tritt sie als Staatsbetrieb auf,
in der zweiten als Aktiengesellschaft; von der dazwischenliegenden
kurzen Zeit, wo sie in Privatbesitz war, können wir bei der Einteilung
mit Fug abstrahieren.
Ich beabsichtige im folgenden die erste Periode nur ganz kurz
zu behandeln, um so ausführlicher aber der zweite, und zwar aus dem
Grunde, weil über den fiskalischen Betrieb der Königshütte das
Wesentliche bereits in einer datenreichen Denkschrift, die anläßlich
des hundertjährigen Bestehens der Unternehmung von der Verwaltung
herausgegeben wurde, zusammengestellt ist, und weil die zweite
Periode, in der das unpersönliche Kapital von der Hütte Besitz er-
greift, und an Stelle des Staates die Leitung übernimmt, nur ganz kurz
behandelt ist. Die Zeit vor 1871 wird in der Festschrift auf 66 Seiten
zur Darstellung gebracht, hingegen widmet sie der ganzen Zeit von
1871 — 1902 nur 11 Seiten. Das ist um so merkwürdiger, als ein
Vergleich der ersten mit der zweiten Periode durchaus zu Gunsten
der letzteren ausfällt. Das Unternehmen hat als Aktiengesellschaft
viel mehr geleistet und höhere Erträge erzielt wie als Staatsbetrieb.
Mit der Schilderung der Königshütte betreten wir einen neuen,
für den Nationalökonomen, der die Gradabstufung der kapitalistischen
Entwicklung in der Eisenindustrie studieren will, außerordentlich
interessanten Boden : Oberschlesien. Hier waren schon vor anderthalb
182 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Jahrhunderten große Unternehmungen von seiten des preußischen
Staates ins Leben gerufen worden. Ihr intellektueller Urheber war
Friedrich der Große. Für die damalige absolute Monarchie ent-
sprang der Gedanke in Oberschlesien die Eisenindustrie „in Flor
zu bringen", in erster Linie militärischen Interessen. Der Staat wollte
die für den Krieg notwendigen Eiseninstrumente selbst fabrizieren.
In dem Reskript Friedrich IL vom 15. Oktober 1781 an die Provin-
zialbehörden wird hervorgehoben, daß es in erster Linie für den
Staat darauf ankommt, „daß man alle Bergprodukte, welche die
Natur einem Lande gegeben, ohne anderen Branchen der Staats-
wirtschaft zu schaden, mit den geringsten Kosten und der besten
Qualität mit beständigem Nachhalt zu gewinnen suche, zuerst aber
auf die unentbehrlichsten und besonders zu Kriegszwecken notwen-
digen sein Augenmerk richte." Aber Friedrich der Große wollte
nicht nur eine bedeutende, dem militärischen Staatsinteresse nutzende
Eisenindustrie schaffen, er wollte sie auch fördern. In dieser Hinsicht
treten die merkantilistischen Anschauungen des großen Königs deut-
lich zu Tage, d. h. die Regeln jener großen praktischen Staatspolitik,
die die westeuropäischen Länder vom 16. — 18. Jahrhundert be-
herrschte. Um den Absatz an Eisen zu erhöhen, führte er die so-
genannte Distribution ein, d. h. die inländischen Eisenkonsumenten
wurden zur Abnahme bestimmter Eisenmengen gezwungen. Auf
anderen Industriegebieten verfuhr er ähnlich: so schrieb er vor,
wieviel jede Familie Porzellan kaufen solle etc. Man kann sich heute
kaum eine Vorstellung davon machen, wie gehässig vielfach diese
von dem absoluten Polizeistaat vorgenommenen Eingriffe in die
Privatwirtschaft wirkten. Infolgedessen wurde bereits 1780 der Ab-
nahmezwang für Eisen wieder aufgehoben. Um angemessene Preise
für die Eisenfabrikate zu ermöglichen, gehörte der „Schutz der natio-
nalen Arbeit", wie wir heute sagen würden, in das System der
politischen Maßregeln, das den Inbegriff des Merkantilismus aus-
machte. Es wurde das Importverbot fremden Eisens nach Ober-
schlesien und anderen Provinzen eingeführt. Die merkantilistische
Politik sah in dem Prohibitivzoll ein Mittel, die Industrie des eigenen
Landes zu fördern.
Unter der Herrschaft dieser politischen Anschauungen wurden
nun eine Reihe von Staatsbetrieben in Oberschlesien ins Leben ge-
rufen. So bereits 1754 das Eisenwerk in Malapane für Munitions-
guß ; femer wurde in Gleiwitz eine Eisengießerei angelegt, die später
für die Königshütte von großer Wichtigkeit werden sollte. Trotz-
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 183
dem scheint Friedrich der Große kein absoluter Anhänger des Staats-
betriebes gewesen zu sein; in einer Kabinettsorder sagte er gelegent-
lich einmal: „Mein lieber Etatsminister Freiherr von Heinitz, glaube
er mir, es gibt viele Dinge, welche die Privaten besser verstehen als
wir.'")
Der bedeutendste Staatsbetrieb aber, der in der Folgezeit in
Oberschlesien entstand, war die Königshütte. Die unmittelbare Ver-
anlassung zu ihrer Entstehung bildete die Entdeckung großer Stein-
kohlenflötze. Erst nachdem man in Oberschlesien die unermeß-
lichen Kohlenschätze näher kennen gelernt hatte, schritt man zum
Bau der Königshütte, d. h. zweier Hochöfen mit Nebengebäuden
in nächster Nähe der Königsgrube, „so daß die Kohlen aus dem
Schacht unmittelbar in die Kohlenwagen gestürzt und nach der Koks-
bank gebracht werden konnten." Diese beiden Öfen repräsentierten
die erste Kokshochofenanlage auf dem Kontinent. Das dazu nötige
Kapital belief sich auf 40 000 Taler. Nach den Angaben der Fest-
schrift, auf die sich die folgende Darstellung im einzelnen stützt,
erhielten die zuerst erbauten Hochöfen eine Höhe von 40 Fuß und
eine Kohlensackweite von 11 Fuß 4 Zoll; beide waren durch eine
gemeinschaftliche Gießhütte miteinander verbunden. Zu diesen beiden
Hochöfen kam dann 1805—1807 ein dritter. Der vierte wurde erst
1818 erbaut. Das in Königshütte produzierte Roh- und Gießereieisen
kam fast ausschließlich nach der Königlichen Eisengießerei in Glei-
witz, die ökonomisch in einem ganz engen Konnex mit der Königs-
hütte stand. So wurden z. B. alle Maschinen, die letztere brauchte,
in Gleiwitz gebaut. Allerdings verursachte der Transport des Roh-
eisens nach Gleiwitz große Schwierigkeiten. Er vollzog sich durch
Landfuhrwerk auf erbärmlichen Wegen. Erst 1829 wurde eine
Chaussee von Königshütte nach Gleiwitz gebaut. Eisenbahnen exi-
stierten ebenfalls noch nicht, und der Wasserweg kam für den Trans-
port kaum in Betracht, denn der Klodnitzkanal war in unzureichenden
Dimensionen ausgeführt worden. „Nachdem im November 1806
der Kanal von Laband aus schiffbar gemacht war, sind erst im
Jahre 1823 die Schleusen desselben in der Weise erweitert worden,
daß Oderkähne hinaufkommen konnten, so daß von diesem Zeit-
punkt ab Kohlen und Eisen direkt nach Breslau, Berlin und Magde-
burg verladen werden konnten. Die schwankenden Schiffahrtsver-
•) A. Paniowski : «Die Montanindustrie Oberschlesiens vor 100 Jahren (1799).
Kattowitz 1899, p. 15.
184 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
hältnisse auf der Oder machten jedoch diese Verladung unsicher."
(Festschrift p. 19.) Was die Erzanfuhr anbelangt, so wurde dieselbe
von einer großen Anzahl von Gewinnungspunkten aus in Angriff ge-
nommen. Die Abfuhr besorgten Bauern der Umgegend. Dieser
Nebenerwerb legte in das ursprünglich rein agrarische Milieu die
erste Bresche. Ja, die Bauern von Chorzow gingen so weit, sich das
Recht auf Vekturanz beim Verkauf von Land an die Hütte hypothe-
karisch zusichern zu lassen. Die Bauern waren froh, neben der Land-
wirtschaft, namentlich im Winter, in der Industrie eine finanzielle Bei-
hilfe zu finden. Ihre Bezahlung war daher und wegen ihrer nied-
rigen Lebenshaltung und ihrer Bedürfnislosigkeit eine sehr geringe.
Demgemäß waren auch die Arbeitskosten auf der Hütte außer-
ordentlich mäßig. Die Zahl der auf dem Bergwerke und der Hütte
selbst beschäftigten Personen betrug 173 Mann. Der durchschnitt-
liche Arbeitslohn beUef sich auf 10 Silbergroschen, das heißt 1 Mark.
Welchen Effekt zeitigte nun das Zusammenwirken dieser drei
großen Produktionsfaktoren Natur, Kapital und Arbeit?
Die Betriebsresultate waren in den ersten Jahren des Bestehens
der Königshütte keine günstigen. Der junge Betrieb hatte unter
einer Summe von Schwierigkeiten zu leiden. Die Hochöfen brannten
nicht ordentlich. Die erste Hüttenreise des Redenofens z, B. dauerte
nur 11 Wochen. Dann traten Versetzungen ein. Die oberschlesischen
Koks erwiesen sich zum Eisenschmelzen weniger geeignet als die
festen Koks aus englischen Fettkohlen. Dazu kam die Armut der
oberschlesischen Erze an Eisen, von der später die Rede sein soll,
und die ungleichartigen Beimischungen von Sand, Lehm, Kalk und
namentlich Zink, diesem gefährlichen Feinde des Hochofenprozesses.
Die schwefelsäurehaltigen Wasser der Grube, die zum Maschinen-
betrieb verwandt wurden, zerfraßen das Metall und verstopften in-
folge ihrer Ockerabsätze häufig die Maschinenteile. „Aber alle diese
Schwierigkeiten", sagt die Festschrift, „wurden mehr als aufgewogen
durcli die Leichtigkeit der Gewinnung von Kohle, Erz und Kalkstein,
welche sich in unmittelbarer Nachbarschaft zusammenfanden und
durch die außerordentlich mäßigen Preise, zu denen sie bei niedrigen
Lohn- und Frachtsätzen zum Hüttenplatz geschafft werden konnten.
Diese Umstände allein haben den Eisenhüttenbetrieb in Ober-
schlesien ermöglicht. Die Erzeugungskosten des Roheisens ent-
sprachen schon sehr bald annähernd den Erwartungen, und be-
reits im Jahre 1804 konnte das Werk trotz vieler Unkosten bei einer
Produktion von 20 000 Zentner Roheisen den ersten baren Über-
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 185
schuß von 5226 Taler an die Staatskasse abführen. Das große, mit
vielen jahrelangen Mühen geförderte Unternehmen war gelungen."
In der Folgezeit entwickelte sich die Königshütte verhältnismäßig
langsam. Allerdings verdoppelte der Bau des vierten Hochofens
im Jahre 1818 die Eisenproduktion. Sie betrug 1818 1472 Tonnen
und stieg 1819 auf 3053 Tonnen. In dem folgenden Jahrzehnt ragt
sie aber nicht viel über die letzte Ziffer hinaus. Auch eine Weiter-
entwicklung der Betriebsanlagen fand nicht statt. Die Hütte blieb
bei der Herstellung von Roheisen stehen. Ein eigenes Puddelwerk
besaß sie nicht, ebensowenig ein Walzwerk. Den weiteren Schritt zur
Herstellung schmiedbaren Eisens zu machen, blieb einer späteren
Zeit vorbehalten.
Die Gründe für diesen mangelhaften Aufschwung der Königs-
hütte sind in folgenden Verhältnissen zu suchen. Zunächst in dem
Fehlen einer großen, massenhaft Eisen verbrauchenden Industrie,
wie sie später die Maschinenfabriken und der Eisenbahnbau dar-
stellten. Es fehlten noch die eigentlichen kapitalistischen Grundlagen
der Massenerzeugung, oder, wie Sombart sich ausdrückt, die Emanzi-
pation des Menschen vom Organischen. Ferner war es die englische
Konkurrenz, die auch der Königshütte sehr viel zu schaffen machte,
als sie bis nach Oberschlesien eindrang und Gießereieisen zu einem
außerordentlich billigen Preise auf den Markt warf. Allerdings muß
man die Zeit der Kontinentalsperre hiervon ausnehmen, in der das Werk
florierte. Der englische Eisenexport war unterbrochen, und die damals
bestehenden deutschen Werke hatten Zeit genug, den Konsum an das
teurere, eigene Fabrikat zu gewöhnen. Das größte Hindernis aber
war die technische Rückständigkeit der deutschen Betriebe gegen-
über den englischen. Die Kokshochöfen der Königshütte bilden
zwar eine Ausnahme, aber auch sie produzierten nicht so billig
wie die englischen. Fast allgemein wurde das Eisen noch im Frisch-
feuer mit Holzkohlen geschmolzen, während in Großbritannien bereits
um das Jahr 1800 dieser Betrieb auf dem Aussterbeetat stand. 1842
gab es in ganz Deutschland nur noch einen einzigen Holzkohlenhoch-
ofen, während nach Sering*) von der Hochofenproduktion des Zoll-
vereins erst 10,80/0 mit Koks oder gemischtem Brennmaterial her-
gestellt vmrden. Das lag einerseits an der technischen Rückständig-
keit der Bureaukratie, andererseits aber an den Interessen des schle-
*) »Geschichte der preußisch-deutschen Eisenzölle von 1818 bis zur Gegen-
wart« in Schmollers Staats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen III,
4. Heft, 1882, p. 58.
186 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
sischen Agraradels in bezug auf die vorteilhafte Verwertung seiner
Holzbestände. Die Bureaukratie war — von einzelnen Männern ab-
gesehen — auch damals nicht elastisch genug, um den in England
längst vollzogenen Fortschritt zu acceptieren. So warnt der Ober-
hüttenverwalter Reil vor einer Ausdehnung des Steinkohlenbetriebes
der Königshütte. 1828 berichtet er nach Berlin, daß die Wald-
besitzer Oberschlesiens große Aufforstungen vorgenommen hätten^
so daß der Holzkohlenhochofen- und der Frischfeuerbetrieb in Ober-
schlesien noch auf lange Zeit gesichert sei. (Festschrift p. 30.) Die
schlesischen Agrarmagnaten hatten ein großes Interesse daran, den
technischen Fortschritt in der Industrie hintenan zu halten, weil sie,
so lange der Holzkohlenbetrieb herrschte, ihre Waldbestände gut
verwerten konnten. Deshalb blieb die Eisenerzeugung in den Holz-
kohlenhochöfen Oberschlesiens bedeutend teurer als die Eisenproduk-
tion in den Steinkohlenöfen Englands. Darin liegi: der wesentliche Grund
für die Überlegenheit Englands auf dem Gebiete des Eisenexports.
Dieser erreichte nun eine enorme Höhe in den 30er und namentlich
Anfang der 40er Jahre, als schottisches Gießereiroheisen in großen
Massen nach Schlesien eindrang. Auf der Königlichen Hütte in
Gleiwitz, dem Hauptkonsumenten des Roheisens der Königshütte,
wurde 1842 ein Quantum von 9000 Zentner schottischen Gießerei-
roheisens verarbeitet. Das englische Roheisen kostete 3 Mark loco
Oberschlesien, während die Erzeugungskosten in Königshütte sich
auf 3,3 Mark stellten. Die Herstellungskosten des Holzkohlen-
roheisens waren natürlich noch bedeutend höher. In der Festschrift
werden die Wirkungen dieser Verhältnisse auf die Königshütte fol~
gendermaßen geschildert (p. 32): „Wegen schlechten Geschäfts-
ganges in der Gießerei klagt das Hüttenamt im Jahre 1834 zum
ersten Male seit seinem Bestehen über Mangel an Absatz. Die Ver-
mehrung der Roheisenbestände in Gleiwitz und Königshütte be-
ginne bedenklich zu werden. Man sieht sich veranlaßt, auf stärkere
Verwendung von Koksroheisen zur Stabeisenfabrikation in den Frisch-
feuern Bedacht zu nehmen, und es wird zu dem Ende, um das
siliciumreiche Roheisen hierzu geeigneter zu machen, ein englisches
Feinfeuer gebaut. Daneben blieben allerdings auch die Verhand-
lungen wegen Anlage eines Puddel- und Walzwerks in Königshütte
im Gange . . . Unter den erwähnten, außerordentlich schwierigen
Verhältnissen übernahm der Hüttenmeister Eck die Betriebsleitung
der Hochöfen von Königshütte, und es gelang ihm in wenigen Jahren,
derselben Herr zu werden. Er änderte den Betrieb so viel als möglich
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 187
dahin ab, daß die Hochöfen nicht mehr wie früher vorwiegend
Gießereiroheisen, sondern zur Verarbeitung in Frischfeuern geeig-
netes Produkt erzeugten. Zum Raffinieren der siHciumreicheren Er-
zeugnisse aber wandte er statt der mit Koks betriebenen cngHschen
Raffinierfeuer Gasflammöfen mit Steinkohlenfeuerung an, welche von
ihm erfunden und konstruiert wurden. Das flüssige Roheisen wurde
direkt aus dem Hochofen in dieselben abgestochen und mit hoch-
gespanntem Gebläsewind aus scharf stechenden Düsen behandelt,
hierdurch wurde das graue Koksroheisen in weißes, gefeintes Eisen
umgewandelt. Eck hatte hierbei einen durchschlagenden Erfolg. „Es
verdient namentlich besondere Anerkennung", schrieb der Minister
im Erlaß vom 30. April 1843, „daß ohnerachtet der sehr nach-
teiligen Konkurrenz des englischen Eisens die landesherrlichen Eisen-
hütten im allgemeinen nicht ungünstig abgeschlossen haben."
Der weitere Ausbau der Königshütte und ihr eigentlicher Auf-
schwung steht im Zusammenhange mit den großen Revolutionen
im Verkehrswesen, die durch den Bau und die Inbetriebsetzung
von Eisenbahnen hervorgerufen wurden. Die Herstellung der Eisen-
bahnen erforderte große Quantitäten von Eisen und provozierte
geradezu eine auf Massenherstellung berechnete Großindustrie. Ein
weiteres Moment war die Zunahme des Maschinenbaus. In Preußen
wurden an für die Industrie tätigen Dampfmaschinen nach Zahl
und Stärke aufgezeichnet:
Maschinen Pferdekräfte
1837 419 7355
1840 615 11,712
1843 863 16,498
1846 1139 21,715
1849 1445 29,483
1852 2124 43,051
Unter diesen nahmen nach Anzahl und Kraft bei weitem den
ersten Rang die für den Berg-, Hütten- und Salinenbetrieb bestimmten
Maschinen ein; dann folgten die Spinnerei, Weberei und Walkerei,
an dritter Stelle aber die metallischen und an vierter die Maschinen-
fabriken.*)
Die Anforderungen des Eisenbahnbaues und später des
Maschinenbaues führten zu einer Vergrößerung der Königshütte.
Bisher war der Erzeugungsprozeß eingliedrig, denn die Hütte basierte
auf der Herstellung von Roheisen; nunmehr wird er dreigliedrig
•) Sering, a. a. O., p. 53.
188 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
gemacht, und zwar durch den Neubau eines Puddel- und eines Walz-
werkes. Das Projekt, 8 Puddelöfen, 7 Schweiß- und Wärmeöfen
und je 1 Stab- und Schienenwalzwerk zu errichten, kam von 1838
bis 1844 zur Ausführung, Das neue Werk, dessen Kosten auf
150 000 Taler veranschlagt worden waren, erhielt zu Ehren des
damaligen Finanzministers den Namen Alvenslebenhütte. Die Pro-
duktion des ersten Betriebs Jahres 1845 überflügelte noch die von
der Verwaltung gehegten Erwartungen. Sie betrug 19 052 Zentner
Kolbeneisen, 5200 Zentner Stabeisen, 19 249 Zentner Eisenbahn-
schienen und 85 000 Zentner Rohschienen.
Die Zeit, in der die Königshütte und ihr Supplement, die Alvens-
lebenhütte, einen großen Aufschwung nahm, war handelspolitisch
gekennzeichnet durch die Einführung von Schutzzöllen auf Roheisen
und Schmiedeeisen. Damit sollte ein Ausgleich geschaffen werden
zwischen der billigeren Produktion des Auslandes und der teureren
des Inlandes. Die mit dem 1. September 1844 in Kraft getretenen
Schutzzölle auf Roheisen und Stabeisen wandten sich in erster Linie
gegen die stürmische Konkurrenz Englands, deren Einfluß auf die
deutschen Eisenwerke wir bereits kennen lernten. Die Wirkung
dieser Zölle war allerdings nicht die Beseitigung der fremden Kon-
kurrenz, wohl aber ihre Einschränkung.
Unter diesem Schutzzollsystem, das im wesentlichen bis zu der
Ära der westeuropäischen Handelsverträge, d. h. bis Anfang der
60er Jahre in Geltung blieb, entstanden eine große Anzahl von
Konkurrenzwerken in Oberschlesien. Dieser Periode verdanken ihre
Entstehung die Falvahütte, die Friedenshütte, die Eintrachthütte, die
Maria- und Sophienhütte, die Baildonhütte, die Herminenhütte, das
Piela-Zawadzkiwerk, die Hugohütte und die Donnersmarckhütte. Das
gefährlichste Unternehmen für die Königshütte wurde aber ein Privat-
werk des Grafen Hugo Henkel von Donnersmarck. Derselbe erbaute
1835 — 1838 mit Hilfe englischer Ingenieure und nach englischem
Muster ein großes Hochofen-, Puddel- und Walzwerk in verhältnis-
mäßig geringer Entfernung von der Königshütte. Dieses große Privat-
unternehmen erhielt den Namen Laurahütte. Es begann damit, der
Staatshütte die besten Beamten und Arbeiter wegzunehmen, z. B.
den Hüttenmeister Naglo.
Obgleich der Verbrauch an Eisen stark gestiegen war, machten
doch all diese Werke der Königshütte eine nicht unbedeutende Kon-
kurrenz. Diese Konkurrenz hätte nun der Sporn zum Fortschritt
sein sollen. Allein der Staatsbetrieb war nicht wagemutig genug,
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 189
um die Vergrößerung und Vervollkommnung der bestehenden Ein-
richtungen rechtzeitig durchzuführen. Die Festschrift gibt eine de-
taillierte Darstellung der in den betreffenden Ministerien gepflogenen
Erwägungen, die allzulange auf dem Papier standen, ehe sie
in die Praxis umgesetzt wurden. Die Sünden, die man damals be-
ging, ließen sich in bezug auf ihre Wirkungen nicht wieder gut
machen und führten, wie wir später sehen werden, zum schließ-
lichen Verkauf der Hütte. Es ist daher interessant, die Pläne kurz
zu verzeichnen, die in einer Zeit fieberhafter Produktion in der
Eisenindustrie nicht zur Ausführung gediehen und infolge dieses
negativen Resultates zu einer starken Schädigung der Königshütte
führten.
Bereits 1846 hatte die Hüttenverwaltung ein Projekt ausgearbeitet,
nach dem die Produktionsmittel wesentlich verstärkt werden sollten.
Es solhe ein neuer großer Ofen in Gleiwitz und 2 in Königshütte
gebaut werden; femer soUten die alten Öfen in neue von großen
Dimensionen umgewandelt werden. Die Kosten berechnete man auf
248 000 Taler. Dieser Plan vmrde dem Könige vorgelegt. „Aber
Friedrich Wilhelm IV.", heißt es in der Denkschrift p. 44/45, „scheint
nicht gewillt gewesen zu sein, die Vorteile der Eisenkonjunktur,
welche er zum Teil durch den gewährten Zollschutz veranlaßt hatte,
in Konkurrenz mit den Privatwerken zur Erweiterung der fiskalischen
Hütten auszunutzen. Mit Kabinettsorder vom 4. September 1846
genehmigte er zuvörderst nur den Neubau von zwei Hochöfen für
beide Werke zusammen, und zwar lediglich unter Verwendung der
extraordinären Überschüsse aus dem Betriebe von 1847 ab gerech-
net und bemerkte dann: „Was die auf der Königshütte und in
Gleiwitz vorhandenen baufälligen Öfen betrifft, so gebe ich Ihrer
näheren Erwägung anheim, ob dieselben nicht mit Rücksicht auf
die gegenwärtig für die Eisenfabrikation günstigen Konjunkturen
noch eine Zeitlang im Betriebe zu erhalten sein werden und ob
es nicht angemessen sein möchte, den Umbau dieser Öfen, sobald
sie nicht länger benutzt werden können, auf drei zu beschränken und
so eine Vermehrung der Gesamtzahl fiskalischer Hochöfen in Ober-
schlesien zu vermeiden, weil es sehr zweifelhaft ist, wie lange die
gegenwärtige günstige Konjunktur für den Eisenhüttenbetrieb dauern
wird, sobald aber eine Stockung eintritt, neue Klagen über eine
Vermehrung der fiskalischen Konkurrenz nicht fehlen werden." Diese
schwerwiegende Entscheidung hatte zur Folge, daß der ganze vor-
bereitete Plan einstweilen fallen gelassen werden mußte, weil die
190 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
fiskalischen Hüttenkassen noch eine namhafte Schuldenlast aus Vor-
jahren abzutragen hatten, ehe sie extraordinäre Überschüsse aus
ihren Erträgen nachweisen konnten."
Das große Hungerjahr 1848 gab dann der Bergverwaltung ein
neues Motiv, um den Bau der beiden neuen Hochöfen auf der
Königshütte zu verlangen. Sie gingen davon aus, daß „die bekannte
Not in Oberschlesien nicht unwesentlich vermindert werden würde,
wenn bald durch allerhöchste Genehmigung bei diesen Bauten recht
viele Bauarbeiter angestellt und dadurch Leben und Verdienst dem
armen Volke gegeben werden könnte." Dieses sozialpolitische Argu-
ment veranlaßte den König, auf den die revolutionäre Bewegung
der Märztage einen starken Eindruck gemacht hatte, auf eine Vor-
lage des Finanzministers, durch Kabinettsorder vom 17. April 1848
zu bestimmen, daß das zum Bau erforderliche Geld aus der schle-
sischen Oberbergamtshauptkasse zu Brieg vorschußweise entnommen
werden solle. Allein das Finanzministerium konnte sich zur Her-
gabe der Summe nicht entschließen, und auch die Oberrechnungs-
kammer erhob Bedenken. 1850 kam dann in der Person des Hütten-
inspektors Eck ein Mann in die Verwaltung der Königshütte, der
mit großem Eifer die alten Pläne wieder aufnahm. Aber dieser,
durch seine Reisen in die schottischen Eisenbezirke besonders orien-
tierte Beamte starb 1852 an der Cholera. Ein Ministerialerlaß aus
demselben Jahre zog überdies die Ausführung des Bauetats wegen
dringender anderweitiger Ausgaben einstweilen wieder zurück. Da
nun von der Vergrößerung des Werkes seine Konkurrenzfähigkeit
abhing, ist es begreiflich, daß die maßgebenden Kreise schließlich
den Monarchen selbst für den Neubau zu gewinnen suchten. Anlaß
dazu gab die zum 50jährigen Jubiläum des Werkes veranstaltete
Feier, zu der der König persönlich erschien. „Die Feier", schreibt
die Festschrift (p. 48), „welche allerdings wegen der zu jener Zeit
herrschenden Cholera bis auf den 29. August 1853 verschoben werden
mußte, nahm einen glänzenden Verlauf, und der König schenkte be-
sonders der Walzung des Konstruktionsmaterials für die Ostbahn-
brücke in Dirschau, welche ihm in der Alvenslebenhütte vorgeführt
wurde, seine besondere Aufmerksamkeit und Teilnahme. Wie man
erwartet hatte, nahmen von jetzt ab auch die Erweiterungsbauten
für die Alvenslebenhütte einen flotten Fortgang." Nunmehr wurde
in demselben Jahre das ursprüngliche Projekt dahin erweitert, „daß
neben dem Umbau der alten Öfen in vergrößerten Dimensionen
noch vier weitere neue Hochöfen moderner Konstruktion, zwei neue
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 191
Gebläsemaschinen von je 100 Pferdekräften und zwei dergleichen
von 120—150 Pferdekräften, ferner 108 (Wittenberger) geschlossene
Verkokungsöfen mit darüber liegenden Dampfkesseln, sowie eine
Feinofenhütte und zwei Gasflammöfen errichtet werden sollten und
daß außer dem früher geplanten und zum Teil bereits ausgeführten
Erweiterungsbau der ahen Alvenslebenhütte, welcher neben einer
Grobstrecke von 120 Pferdekräften ein Kesselblechwalzwerk von
100 Pferdekräften nebst Schweißöfen mit darüber liegenden Kesseln
enthielt, ein großartiges neues Schienen- und Stabeisenwalz-
und Hammerwerk (Alvenslebenhütte II) errichtet wurde, welches
gegenüber der alten Walzhütte Platz fand. Diese letztere, die alte
Alvenslebenhütte, wurde in allen ihren Teilen ausschließlich zu einem
Puddel- und Rohschienenwalzwerk umgewandelt, in welcher 22
Puddelöfen Platz fanden, während in der neuen Alvenslebenhütte II
ein Schienenwalzwerk, ein großes Stabeisenwalzwerk nebst einem
angehängten kleineren Stabeisen walzwerk, beide von einer 120- bis
150-pferdekräftigen Maschine betrieben, sowie endlich ein kleines
Feineisenwalzwerk mit 30-pferdekräftiger Maschine, sämtlich mit
den erforderlichen Hilfsmaschinen und mit zusammen 16 Schweiß-
öfen mit 7 dahinter liegenden Dampfkesseln und 4 Reservekesseln
aufgestellt werden sollten. Dieser Bau kam einem vollständigen
Neubau der gesamten Königshütte gleich und wurde mit einigen Ab-
änderungen bis zum Jahre 1860 mit einem Kostenauf wände von
nahe an IV2 Millionen Talern zur Durchführung gebracht, und das
Werk erhielt hiermit im wesentlichen die Gestalt, welche es im
Jahre 1869 beim Übergang in Privatbesitz hatte. Man rechnete bei
dieser großartigen Erweiterung auf eine Erzeugung von ca. 500 000
Zentner Roheisen und 300 000 Zentner Walzwerksfabrikate." (Fest-
schrift p. 51).
Man kann wohl sagen, selten hat ein Werk die goldenen Tage
des Aufschwungs durch unzureichende Einrichtungen und ängstliche
Erwägungen so wenig genutzt, wie die Königshütte. Als dann gegen
Ende der 50er Jahre die neuen Anlagen nach und nach in Betrieb
kamen, war bereits ein schwerer Rückschlag in der Eisenkonjunktur
eingetreten. Die großen Schienenaufträge hatten bedeutend nachge-
lassen, englisches Eisen war wieder in großen Massen auf dem
deutschen Markte erschienen — 1858 allein über 5 Millionen Zentner.
Die neuen Produktionsmittel der neu entstandenen Werke aber ver-
mehrten in den fünfziger Jahren und in der Folgezeit die Erzeugung
gegen früher bedeutend und führten sie in ein Tempo über, an
192
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
das man
früher nie
gedacht
hatte
. Es betrug auf
der
Königshütte
die Herstellung an
Roheisen
raff.
Roheisen
Guß-
waren
Halb-
fabrikate
Fertig-
fabrikate
1856
5,650
t
1,496
t
1,088 t
7,683
t
5,915 t
1857
10,002
2,508
1,226 ,
11,212
8,249 „
1858
11,178
2,459
1,389 ,
12,335
9,595 ,,
1859
12,153
1,583
1,007 ,
, 10,622
7,559 „
1860
13,651
2,252
886 ,
11,296
8,315 „
1861
15,208
3,135
1,185 ,
12,956
10,338 „
1862
16,662
3,839
1,323 ,
14,438
11,561 „
1863
19,112
3,850
1,370 ,
15,435
11,739 „
1864
21,335
4,180
1,632 ,
19,581
15,229 „
1865
24,315
3,999
2,022 ,
21,297
17,024 „
Dazu kamen nun noch andere Momente, die die Hoffnungen:
reduzierten, die man auf die durch die Vermehrung der Produktions-
mittel erwarteten günstigen Ergebnisse gesetzt hatte. Zunächst führte
die Steigerung der Produktion zu einer Verarbeitung auch weniger
guter Eisenerze. Mit der Erhöhung der Produktion ging daher
eine Verschlechterung des Produktes Hand in Hand, Klagen hier-
über waren an der Tagesordnung. Ferner begannen die Produktions-
kosten bedeutend zu steigen. Die Bau- und Betriebskosten wurden
teurer. Die Löhne gingen in die Höhe. Aus der Staatskasse wurden
bereits 1853 Gelder zur Anlage von Arbeiterkolonien gegeben.
Schließlich war es der unaufhörliche Wechsel der Betriebsbeamten,,
vor allem der Baumeister und Direktoren, der den Gang des Werkes
schädigte. Die meisten gingen — auch während des Baues — in
die Konkurrenzwerke über, die von Privaten oder Aktiengesell-
schaften errichtet waren. Infolgedessen war die technische Aus-
führung der Neuanlagen nicht vollständig befriedigend, und später
wurden viele kostspielige Veränderungen nötig.
Aus diesen Schwierigkeiten suchte nun der seit 1860 als Chef
der Bergverwaltung fungierende Ministerialdirektor und Oberberg-
hauptmann Krug von Nidda die Königshütte zu retten, und zwar
durch Einführung einer Reihe technischer Verbesserungen. Aller-
dings ist auch er nicht imstande gewesen, die ursprüngliche Be-
stimmung des Unternehmens zu verwirklichen, Musteranstalt des
Staates gegenüber den Privatwerken zu sein. Aber der intellektuelle
Einfluß dieses Mannes ist auf die Leistungen der Königshütte immer-
hin nicht unbedeutend gewesen. In bezug auf die eingeführten Ver-
besserungen, die namentlich den Hochofenbetrieb und die maschi-
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 193
Hellen Leistungen betrafen, bemerkt die Festschrift (p. 59): „Durch
Verstärkung der Gebläsekraft, Erweiterung der Ofengestelle, bessere
Windverteilung und Erwärmung wurde die Wochenproduktion ein-
zelner Öfen in den Jahren 1867—1869 auf 4—5000 Zentner gebracht,
und die Selbstkosten des Roheisens wurden wiederum auf 28 Sgr.
pro Zentner herabgedrückt. Im Walzwerk wurden durch Vermeh-
rung der Zahl der Puddelöfen bis auf 62 Stück angemessene Pro-
duktionsverhältnisse hergestellt, wodurch unter Leitung des Hütten-
meisters Jüttner die Produktionsziffern erhöht und die Selbstkosten
ermäßigt wurden. In den Jahren 1860 bis 1869 stieg die Produktion
der Hochofenanlage von 13 651 auf 38 475 Tonnen, die des Walz-
werks von 8315 Tonnen auf 31 110 Tonnen und die Betriebsergebnisse
des Werkes hoben sich beträchtlich. Eine besonders glänzende Ent-
wicklung fand damals die Erzeugung von Eisenbahnschienen mit
aufgeschweißtem Feinkornkopf, durch welche Fabrikation die deutsche
Eisenindustrie die englische in bezug auf vorzügliche Qualität der
Eisenbahnschienen völlig aus dem Felde schlug und sich die Allein-
herrschaft auf dem deutschen Schienenmarkt sicherte." Vor allem
aber akzeptierte die Königshütte im Jahre 1865 den größten Fort-
schritt, der in den 50er Jahren in der Herstellung schmiedbaren
Eisens gemacht worden war. Sie führte den Bessemerprozeß ein.
Von Krug hatte die Annahme des neuen Verfahrens in Oberschlesien
als eine „Ehrenpflicht der Staatshüttenwerke" bezeichnet. Es wurde
die bereits 1864 fertig gestellte Bessemeranlage des Hoerder Berg-
werks- und Hüttenvereins besucht, über die Brauchbarkeit der ober-
schlesischen Erze für den Prozeß wurden eingehende chemische Un-
tersuchungen veranstaltet, weiter wurden Gutachten eingeholt und
schließlich eine Summe von 28 000 Taler für den Bau von 2 Con-
vertern disponibel gemacht. In diesen kleinen, nur 5 Tonnen Inhalt
fassenden Birnen wurden Ende Januar 1865 die ersten Bessemer-
chargen geblasen, zur Vorsicht erst mit englischem Hämatiteisen,
dann aber mit oberschlesischem Roheisen. Die Erfolge waren gute,
„so daß bereits in einer Submission vom 8. März desselben Jahres
eine Lieferung von 2500 Stück Bessemerstahlschienen für die Ober-
schlesische Eisenbahn übernommen wurde, für welche die Blöcke unter
einem Dampfhammer von 200 Zentner Fallgewicht abgeschmiedet
und mit dem vorhandenen Schienenwalzwerk abgewalzt werden
konnten." (Festschr. p. 62.)
Aber dieser Fortschritt, der sich im Vergleich zu früheren Maß-
nahmen relativ schnell vollzog, sollte der letzte sein, der der Ini-
Stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 13
194 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
tiative des Staates und seiner Fürsorge für die Königshütte seine
Entstehung verdankte. In den 60er Jahren stand die Hberale Welt-
anschauung auf der Mittagshöhe ihres Erfolges. Für sie war der
Staatsbetrieb wie die ganze Einmischung des Staates in das Er-
werbsleben im Vergleich zu früheren Zeiten nichts wünschenswertes
mehr. Dazu kam die freihändlerische Politik der Regierung, die
die fremden Märkte der deutschen Großindustrie eröffnete. Am Ende
der 60er Jahre bestürmte die oberschlesische Konkurrenz den Finanz-
minister, das Werk zu verkaufen. Auf dem Wege der Submission
fiel es 1869 in die Hände des meistbietenden Käufers, des damaligen
Grafen Hugo Henckel von Donnersmarck, des Besitzers der Laura-
hütte. Über die Bedingungen, die zum Verkauf des Werkes führten,
macht die Festschrift (p. 62 — 65) folgende Mitteilungen: „Die ge-
schäftliche Lage der Königshütte hatte sich zwar ... in der zweiten
Hälfte der 60er Jahre zum besseren gewendet, trotzdem wurde die
Absicht, den Verkauf des Werkes baldigst durchzuführen, von der
Bergverwaltung niemals aufgegeben. Man hielt den ursprünglichen
Zweck desselben, als Musteranstalt für die Privatindustrie zu dienen,
bei dem großen Aufschwünge der letzteren für erledigt. Die Auf-
nahme eines Wettbewerbs mit den Privathütten erschien nicht im
staatswirtschaftlichen Interesse und versprach bei der geschilderten
Sachlage auch keinen Erfolg, um so weniger, als die Verwaltung der
königlichen Werke, an die gesetzlich festgelegten Ökonomiepläne
gebunden, dem Betriebsdirigenten niemals diejenige Freiheit in der
Bewegung gestatten durfte, welche den Direktoren der Privathütten
beim Wechsel der Konjunkturen zu statten kam. Dadurch, daß die
Königshütte bereits seit fast zwei Jahrzehnten gewissermaßen unter
dem Hammer stand, und durch den hierdurch mitverschuldeten häu-
figen Wechsel der Beamten hatten sich die Verhältnisse und die
Aussichten des Werkes ungemein verschlechtert und so erschwert,
daß von der Weiterführung dieses komplizierten industriellen Unter-
nehmens für die Staatsverwaltung erhebliche Inkonvenienzen befürch-
tet wurden. Hierzu kam endlich, daß die allgemeine Handelspolitik
in Preußen eine für den Eisenhüttenbetrieb ungünstige Wendung
genommen hatte. Die in den 40er Jahren aufgekommene Neigung
der Regierung, die Industrie durch Schutzzölle zu unterstützen, hatte,
zunächst aus Gründen der Zollvereinspolitik Preußens gegen Öster-
reich, längst wieder einer freihändlerischen Richtung Platz gemacht . . .
Der Eisenabsatz nach Österreich war lebhafter geworden, und so stand
gerade für Oberschlesien augenblicklich eine günstigere Konjunktur
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 195
in Aussicht. Dies hatte zur Folge, daß im Jahre 1868 wiederum
einige hervorragende Industrielle Oberschlesiens mit neuen Kauf-
anträgen wegen der Königshütte an die Bergverwaltung herantraten.
Nun glaubte dieselbe nicht länger mit der Abstoßung des Hütten-
werks zögern zu dürfen, und die Verkaufsverhandlungen wurden
energisch in Angriff genommen . . . Nunmehr wurde auch der Ver-
kauf der Hütte — nach einem gänzlich mißglückten Versuche einer
mündlichen Versteigerung, welche mit Rücksicht auf die Kom-
munalverhältnisse ein allzu niedriges, unannehmbares Gebot ge-
liefert hatte, — im Wege der schriftlichen Submission durchgesetzt,
und am 1. Januar 1870 ging das Werk mit allem Zubehör, nament-
lich auch mit allem Besitz an Erz und Kalksteinfeldern in das Eigen-
tum des Grafen Hugo Henckel von Donnersmarck auf Naclo über,
zu einem Kaufpreis von 1 003 000 Taler, wobei ein Feldesteil der
fiskalischen Steinkohlengrube König in Größe von 695 000 Quadrat-
lachter, welcher der Hütte am zugänglichsten gelegen war, als Zu-
behör mit überwiesen wurde . . . Der Ratgeber, welcher den Grafen
JHugo Henckel zu diesem Geschäft veranlaßt hatte, war der Direktor
Richter von der dem Grafen selbst gehörigen Laurahütte. Derselbe
war früher als Hilfsarbeiter des Hüttendirektors Paul in Königshütte
als fiskalischer Beamter beschäftigt gewesen und war in die Ver-
hältnisse des Werkes genau eingeweiht. Er hatte mit der ihm eigenen
genialen Kombinationsgabe die großen Vorteile durchschaut, welche
der Erwerb dieses, w'enn auch in der öffentlichen Meinung stark
kompromittierten Staatswerks bei seiner Vereinigung mit der Laura-
hütte in einer Hand bieten könne. Die üble Meinung von dem Werk
der Königshütte war aber so stark, daß der Generaldirektor der
preußischen Besitzungen des Grafen Hugo Henckel, der Bergrat
Ficinus, es ablehnte, das Werk in seinen Verwaltungskreis mit zu
übernehmen. Dasselbe wurde hierauf als eine besondere Abteilung
unter dem Namen „Das Berg- und Hüttenwerk Königshütte" dem
Geschäftskreis der österreichischen Besitzungen angegliedert und dem
Generaldirektor Ritter in Wien unterstellt. Richter trat als Werks-
direktor an die Spitze desselben, indem er aus dem Direktorium der
Laurahütte ausschied und die Betriebsleitung, bezw. Inbetriebssetzung
des bisher der Königsgrube, nunmehr der Königshütte zugehörigen
f eldesteils — Gräfin Lauragrube genannt — dem Bergassessor Jung-
hann übertrug."
So viel über die Geschichte und das Schicksal der Königshütte
als Staatsbetrieb. Fassen wir noch einmal die wichtigsten Ergebnisse
13*
196 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
dieser ersten Abschnitte zusammen : Das Unternehmen wurde
1802 gegründet zum Zwecke der Erzeugung von Roh-
eisen. Die Produktionsbedingungen lagen ver-
ankerteinm alindem unermeßlichen Reichtumgroßer
Steinkohlenflötze,fernerinbilligenArbeitskräften.
Das wichtigste Kapital, d. h. die Produktionsmittel,
bestanden aus 2, später 4 Hochöfen, die zum Unter-
schiede von anderen mit Koks betrieben wurden. Der
Hauptkonsument des darin fabrizierten Roheisens
war die königliche Eisengießerei in Gleiwitz. Bis
zur Einführung der Eisenzölle im Jahre 1844 war
die Entwicklung der Königshütte, von den ersten
Zeiten ihres Bestehens abgesehen, stark inhibiert
durch die Konkurrenz des Auslandes, namentlich des
englischen und schottischen Eisens, nach dies er Zeit
durch die Konkurrenz des Inlandes, d. h. der großen
in Oberschlesien entstandenen Privatwerke und
Aktiengesellschaften der Eisenindustrie, insbeson-
dere der Laurahütte. Die tieferen Ursachen für die
Superiorität des englischen Wettbewerbes lagen
einerseits in der technischen Rückständigkeit der
preußischen Büreaukratie, die Neuerungen schwer
zugänglich war, und andererseits in den materiellen
Interessen der schlesischen Großgrundbesitzer, so-
weit sie das Holz für die Holzkohlen der Hochöfen
lieferten. Der wichtigste Fortschritt der Königs-
hütte bestand nun in ihrer ökonomischen Emanzi-
pation von der Gleiwitzer Hütte, oder noch deut-
licher ausgedrückt, in dem Übergang von der Roh-
eisenerzeugung zur Herstellung von Fertig- und
Ganzfabrikaten. Durch den 1844 beendeten Bau der
Alvenslebenhütte mit einem Puddel- und zwei Walz-
werken für Stab- und Schienenfabrikation trat an
Stelle des früheren einfachen ein dreigliedriger Pro-
duktionsprozeß. Durch dieses Werk wurde die
Königshütte befähigt, in die Ausnutzung der großen,
durch den Eisenbahnbau in Deutschland geschaffe-
nen Konjunktur einzugreifen. Aber diese Glanz-
periode begann bereits in der zweiten Hälfte der
50er Jahre für das Unternehmen zu verblassen. Es
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 197
geriet mit der Größe und Qualität seiner Produk-
tionsmittel wie seiner Produkte ins Hintertreffen.
Die Privatkonkurrenz war technisch auf eine höhere
Stufe der Erzeugungsfähigkeit geklommen, die
Königshütte aber vermochte als ein ziemlich konser-
vativer, im höchsten Grade schwer beweglicher Or-
ganismus nicht zu folgen. Allerdings sah das Jahr
1860 nach lange nVorberatungenundVerzögerungen
vergrößerte Hochofenanlagen und einen Umbau der
gesamten Königshütte, dereinem Neubaugleichkam.
Auch in den folgenden Jahren wurden unter neuer
Leitung Verbesserungen vorgenommen, ja, 1865 so-
gar ein Stahlwerk erbaut, und damit ein neuer Fort-
schritt eingeführt. Allein die finanziellen Ergeb-
nisse, die Konkurrenz der anderen Eisen- und Stahl-
werke, sowie die Wandlung in den politischen An-
schauungen waren dem Staatsbetriebe nicht mehr
günstig. Infolgedessen wurde 1869 die Königshütte
mit der AI venslebenhütte als Ganzes für den Preis
von über 3 Millionen Mark verkauft. So diskredi-
tiert in der öffentlichen Meinung war das Unter-
nehmen, daß der Generaldirektor des neuen Be-
sitzers, des Grafen Hugo Henckel von Donners-
marck, es als unhonorig ablehnte, die Königshütte
in den Verwaltungskreis der preußischen Besitzun-
gen des Grafen aufzunehmen. Damit endigtdie Ge-
schichte der Königshütte als Staatsbetrieb. Das
Fazit, das wir aus ihrer Entwicklung ziehen können,
ist kein günstiges; es entsprach nicht der Lösung der
Aufgabe, die die Königshütte als Musteranstalt des
Staates erfüllen sollte.
IL
Die Königshütte blieb nur ganz kurze Zeit im Besitz des Grafen
von Donnersmarck. Als das Unternehmen unter dem Stern einer
glänzenden Konjunktur im Jahre 1870 mit einem Ertrage von 1,2
Millionen Mark abschloß, war die Stunde gekommen, um es in eine
Aktiengesellschaft zu verwandeln, und es mit seinem bisher gefähr-
lichsten Konkurrenten, der Laurahütte, zu kombinieren. Zu diesem
Zwecke bildete sich ein Konsortium, das gegen einen Kaufpreis von
198 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
18 Millionen Mark beide Werke erwarb. Die Aktien wurden von
der österreichischen Kreditanstalt zum Parikurse auf den Markt ge-
bracht. Die Übergabe erfolgte am 1. Juli 1871. Damit beginnt die
Vereinigte Königs- und Laurahütte, Aktiengesellschaft für Bergbau-
und Hüttenbetrieb, mit dem Sitz in Berlin, ihre Tätigkeit.
Im folgenden soll dieselbe in drei Abschnitten zum Gegenstand
der Darstellung gemacht werden. Wir behandeln:
1. die Rohstoffversorgung des Unternehmens,
2. das Fabrikationsprogramm und seine Aus-
gestaltung,
3. die Absatzverhältnisse.
Die beiden wichtigsten Rohstoffe für jedes Hüttenwerk sind
Eisenerz und Kohle. Für die Vereinigte Königs- und Laurahütte
liegen die Verhältnisse für beide nicht gleichartig. Oberschlesien hat
bekanntlich eine besondere Art von Eisenerz, die man Brauneisen-
stein nennt. Dazu kommen noch Spateisenerze. Diese Erze sind nicht
reich, sondern arm an Eisen, sie enthalten vielfach nur
25 — 28 o/o wirkliches Metall. Der schwache Eisengehalt aber
verteuert ihre Verarbeitung und drückt ihnen infolgedessen den
Stempel der Minderwertigkeit auf. Sie sind außerdem mulmig.
Ein für den Hochofenprozeß geeignetes Erz aber muß stückig
sein. Hat es, wie in Oberschlesien, eine erdige Beschaffen-
heit, so können nur 11 — 13 o/o in den Hochofen gebracht
werden, und den übrigen Einsatz müssen edle, stückige Erze bilden.
Wollte man mehr solche erdigen Erze einsetzen, dann würde es
nicht möglich sein. Wind durch den Hochofen zu blasen. Ferner
enthalten diese Erze viel Wasser. Wird das haldenfeuchte Erz ge-
trocknet, dann ist allerdings der Erzgehalt ein etwas höherer. Schließ-
lich aber sind die Erze auch nicht rein, sie führen vielfach Verun-
reinigungen mit sich wie Zink und den nie fehlenden silberhaltigen
Bleiglanz. Diese drei Eigenschaften der oberschlesischen Braun-
eisenerze: ihre Metallarmut, ihr Wasserreichtum und ihre Verunreini-
gungen haben nun in bezug auf die Ökonomie des Betriebes zur
Folge, daß der Brennstoffaufwand ein verhältnismäßig hoher sein
muß. Ein metallarmes Erz zu zerschmelzen erfordert wegen der
großen Masse der beigemengten Erzarten mehr Koks. Zur Ver-
schlackung der Kieselsäure sind außerdem große Zuschläge von
Kalk nötig. Kommen die Erze mit nicht unbeträchtlichem Wasser-
gehalt in den Hochofen, so wird zur Verdampfung des Wassers
ebenfalls mehr Wärme gebraucht, und schließlich muß das in den
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 199
Erzen enthaltene Zink, das durch Ansetzen im Ofen den Betrieb
stören und auf die Quahtät des Eisens ungünstig einwirken würde,
verdampft werden, was wiederum mehr Brennmaterial erfordert.*)
Die Beschaffenheit der Erze erfordert also einen
größeren Aufwand an Koks, welcher die Produk-
tionskosten des Betriebes ungünstig beeinflußt. Wir
werden später sehen, daß der auch heute noch auf der Königshütte
in ziemlich ausgedehntem Maße bestehende Puddelbetrieb mitbedingt
ist durch die Qualität der oberschlesischen Erze, vor allen Dingen
durch den ungünstigen Phosphorgehalt derselben.
Außerdem kommt in Betracht die Quantität der Eisenerze, die
der Königshütte zur Verfügung stehen. Hier handelt es sich um folgende
Fragen : Welche Eisenerzmassen schöpft sie aus eigenen Bergwerken ?
Welche historische Wandlungen haben sich hier vollzogen? Reicht
der Vorrat heute zu einer kompletten Alimentierung der Hochöfen
aus? Diese Fragen haben wir jetzt zu beantworten.
In dem bei der Gründung der Gesellschaft veröffentlichten Pro-
spekt heißt es: Die eigenen Erzbergwerke umfassen ca. 500 Morgen
und sind V* — V2 Meile von der Hütte entfernt, verbunden durch
Lokomotiv- und Pferdeeisenbahnen. Sie liefern z. Zt. ca. 2 Millionen
Zentner Erze pro Jahr, d. h. also 100 000 Tonnen. Diese Eisen-
erze gelangten nun Anfang der 70er Jahre zumeist per Roßbahn auf
die Hütte. Diese Art der Beförderung aber war, da es sich um
Massentransporte handelte, ziemlich kostspielig. Erst 1880 wird die
Umwandlung des bisher auf dem Schienenwege der Hütte üblichen
Betriebes mit Pferden in Maschinenbetrieb, der Umbau der Schienen-
gleise und die Anschaffung eigener Lokomotiven beschlossen. In
dem Geschäftsbericht von 1884/85 heißt es dann, daß die Einrich-
tung des Lokomotivbetriebes auf den Werken die Summe von 221 000
Mark erfordert habe. Mit dieser Ersetzung der tierischen Kraft durch
die Lokomotive trat ohne Zweifel eine Verbilligung des Erztrans-
portes ein.
Aus der von der Verwaltung in den 70er Jahren und der Folge-
zeit eingeschlagenen Rohstoffpolitik läßt sich erkennen, daß die vorhin
erwähnten Eisenerzfelder in Oberschlesien für den Bedarf der Hoch-
öfen von Anfang an nicht genügten. Bereits der Geschäftsbericht
von 1873/74 meldet den Erwerb einer Spateisensteingrube in Ungarn.
*) Über die Beschaffenheit der Erze siehe von Renauld: „Der Bergbau und
die Hüttenindustrie von Oberschlesien 1884-97." Stuttgart 1900, p. 190 ff.
200 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Von besonderem Interesse aber sind die Eisenerzacquisitionen der
Gesellschaft in Schweden. In der Gegend von Wäldö, etwa 12 Meilen
nördlich von Stockholm, dicht an der Meeresküste gelegen, erwirbt
das Werk einen Bergbau auf Magneteisenstein gegen Zahlung eines
Förderzinses von 10 Pfg. pro 50 kg. Die Erze kamen per Schiff
nach Stettin und gelangten von dort aus per Eisenbahn nach Königs-
hütte, wo sie als Zusatz zu den wenig qualifizierten oberschlesischen
Erzen dank ihrer Phosphorarmut bei der Erzeugung von Bessemer-
flußeisen Verw^endung fanden. Der Geschäftsbericht sagt hierüber:
„Die bisherige Gattierung schwedischer Erze mit schlesischen hat
ein ganz vorzügliches Material zur Bessemerstahlerzeugung ergeben
und soll bis auf weiteres beibehalten werden.** Allein die eigene
Förderung aus den schwedischen Gruben wurde bereits 1875 wieder
eingestellt, und zwar mit Rücksicht darauf, „daß z. Zt. Bessemer-
erze zu billigem Preise anderwärts zu haben sind." Wir sehen hier
ein ähnliches Resultat wie bei der Dortmunder Union, die sich
ebenfalls in dem Bezüge schwedischer Erze aus den von ihr erwor-
benen Svabenswerken getäuscht hatte, weil sie die damaligen Schwie-
rigkeiten und Kosten des Transportes, ähnlich wie die Königshütte,
unterschätzte.
Neben diesen Mißerfolgen im Auslande schreitet dann die Ge-
sellschaft zu neuen Erwerbungen von Eisenfeldern im Inlande. In
nächster Nähe der Königshütte werden 465 Quadratmeter Eisen-
felder angekauft, ferner wird auf die Dauer von 20 Jahren die
reiche Magneteisensteingrube Bergfreiheit bei Schmiedeberg ge-
pachtet. Diese Grube sollte der Hütte phosphorfreie Eisenerze für
den Bessemerprozeß liefern. Allein 1885 wird bereits die Erz-
gewinnung dieser Grube bedeutend eingeschränkt, weil sich die Fracht
bis nach Königshütte als zu hoch herausstellte. Vielleicht hängt diese
Einschränkung auch mit dem schlechten Geschäftsgange der da-
maligen Zeit zusammen. Von allen Gruben der Königshütte liefert
heute die Bergfreiheitgrube das meiste Erz.
Unterdessen hatte das Werk das Thomasverfahren bei sich ein-
geführt, nachdem es die dem Erfinder erteilten Patente erworben hatte,
und zwar einmal die Lizenz für die eigenen Werke, zum andern aber
in Gemeinschaft mit der Oberschlesischen Eisenbahnbedarfsaktien-
gesellschaft zur Hälfte das ausschließliche Recht der Anwendung
für die Provinz Schlesien. Mit der Einführung des Thomasprozesses
war auf der Königshütte ein ziemlich starker Bedarf nach phosphor-
haldgen Eisenerzen erwacht. Zur Sicherung dieses Bedarfes wurden
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 201
um die Mitte der 80er Jahre weitere Erwerbungen phosphorhaltiger
Erzlager in Galizien gemacht, und daselbst durch Mutung das Recht
der Erzgewinnung auf 119Q Hektar erworben. Dazu kamen mit
den später noch zu behandelnden russischen Erwerbungen noch Eisen-
erzfelder in Rußland.
Mehr läßt sich aus den Geschäftsberichten leider nicht erkennen.
Nach den Angaben der Festschrift hat die Königshütte heute circa
240 Hektar eigener Eisenerzfelder in Oberschlesien, und außerdem
steht ihr das Recht der Eisenerzförderung auf einer Anzahl von
Flächen zu, die insgesamt ca. 740 Hektar umfassen. Diese Felder
jedoch stehen heute größtenteils am Rande der Erschöpfung. Die
sich darin aussprechende Abnahme der Eisenerze in Oberschlesien
bildet ein Analogen zu dem Verschwinden der Raseneisensteinvor-
räte im nördlichen Deutschland, nur mit dem Unterschiede, daß in
Oberschlesien die Erschöpfung etwas später beginnt. Für das Jahr
1891 verzeichnete die Statistik der oberschlesischen Berg- und Hütten-
werke noch 56 Eisenerzförderungen mit einer Produktion von 641 173
Tonnen Brauneisenerze und 5276 Tonnen Toneisenstein ; für das Jahr
1900 wurden aber nur 44 Eisenerzförderungen mit einer Produktion
von 382 090 Tonnen Brauneisenerze, sowie 599 Tonnen Toneisen-
stein aufgeführt; 1902 förderten nur noch 35 Eisenerzgruben mit einer
Produktion von 390642 Tonnen Brauncisenerz und 857 Tonnen Ton-
eisenstein. Unter diesem von der Statistik festgestellten Abnahme-
prozeß hat auch die Königshütte zu leiden. Im Betriebe sind zur
Zeit nur ihre Tarnowitzer und Bobrowniker Eisenerzförderungen in
Oberschlesien. Dieselben haben eine Belegschaft von 120 Mann
und liefern täglich etwa 60 Tonnen Brauneisenerz. Gegenwärtig
steht in bezug auf die Förderung obenan die Bergfreiheitgrube bei
Schmiedeberg, dann folgen die oberschlesischen Gruben, und schließ-
lich die Erzförderungen in Rußland und den übrigen Ländern. Im
Jahre 1902/03 förderten
Die Bergfreiheitgrube 30,865 t
Die oberschlesischen Gruben . . . 21,543 „
Die Gruben in Rußland .... 14,563 „
Die sonstigen Gruben im Auslande 3,990 „
im ganzen 70,964 t
Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß die Erwerbungen von Eisenerz-
feldern im Auslande nicht von Erfolg gekrönt waren.
Reicht nun diese Menge der selbstgeförderten Erze zur Be-
202 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
sorgung der Hochöfen aus? Die Geschäftsberichte geben auf diese
Frage keine Antwort, aber wir können auch hier die Berichte, selbst
wo sie schweigen, zum Reden zwingen. Der letzte Geschäftsausweis
stellt fest, daß die 10 Hochöfen des Unternehmens 212 387 Tonnen
Roheisen produzierten. Nehmen wir an, daß die 70 964 Tonnen
Erz 31 000 Tonnen Roheisen ergeben haben,*) so trug die eigene
Förderung im Jahre 1902/03 nur mit 141/2% an der Gesamtroheisen-
erzeugung bei. Danach ist es klar, daß die eigenen Erze bei weitem
nicht ausreichen, sondern daß der größte Teil des zur Roheisen-
erzeugung nötigen Erzes verkauft werden muß. Neben Rußland
kommen als Lieferanten hauptsächlich in Betracht Schweden und
Spanien. Aus Spanien werden speziell die Rio-Tintokiese be-
zogen. Nach Renauld**) gehen diese Kiese im Seeschiff bis Stettin
bezw. Hamburg, gelangen von da möglichst auf dem Wasserwege
nach Breslau, werden dann zur Entschwefelung per Eisenbahn nach
Saarau, und von da ebenfalls mit der Bahn als sogenanntes Purple
ore nach Oberschlesien zur Verhüttung übersandt. Dies an sich
äußerst reiche Eisenerz enthält auch noch Kupfer, Gold und Silber
als schätzbare Nebenbestandteile. Davon werden wir des weiteren
bei der Gewinnung der Nebenprodukte handeln. Dieser starke Bezug
fremder Erze, der in Zukunft wahrscheinlich noch größer werden wird,
bedingt eine nicht unwesentliche Verteuerung dieses wichtigen Roh-
stoffes durch den Transport. Nach Sympher***) betrug 1894 der Preis
für 600/oiges Grängesberger Eisenerz mit lo/o Phosphorgehalt 13 Mark
pro Tonne frei Waggon Stettin. Dieser Preis erhöht sich um die
Eisenbahnfracht nach Oberschlesien, die nach dem bisherigen Satz
von Mark 1,34 + 6.—, mit 7,53 Mark pro Tonne einschließlich An-
rückegebühr, oder rund 7,60 Mark pro Tonne beträgt, so daß der
Gesamtpreis sich frei Hütte auf etwa 20,60 Mark pro Tonne stellt
gegen 14,85 Mark pro Tonne in Duisburg und etwa 17 Mark pro
Tonne in Dortmund. Daß infolge der größeren Entfernung, trotz
der niedrigen Erztarife, die fremden Erze für die Königshütte be-
deutend teurer bezahlt werden müssen als von den rheinisch-west-
fälischen Werken, liegt auf der Hand. Dadurch aber wird die Pro-
*) Dies ist der Fall, wenn wir den Erzgehalt der Bergfreiheitgrube mit 487o»
den Gehalt der oberschlesischen Erze mit 27%, den der russischen mit 60°/o
und den der ausländischen Gruben mit 42°/o in die Rechnung einstellen, was
eher zu hoch als zu niedrig ist.
•*) Renauld, a. a. O., p. 193.
***) Sympher, a. a. O., p. 145.
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 203
duktion des Roheisens stärker belastet. Eine Erhöhung der Selbst-
kosten tritt also auf jeden Fall ein: sowohl bei der Verwendung
eigener, oberschlesischen Gruben entstammender, armer, als auch
bei der Verwendung fremder, reicher, aber mit größeren Fracht-
kosten belasteter Erze.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß die Eisenerz-
versorgung der Vereinigten Königs- und Laurahütte
alsgünstignichtbezeichnet werdenkann. Die Eisen-
erze, die sie aus eigenen Gruben schöpft, tragen ge-
genwärtig nur mit 141/2% zur Gesamtroheisenerzeu-
gung bei, so daß 851/2*^/0 derselben auf das Konto
fremder Erzbezüge zu setzen ist. Daher hat sich die
Hütte frühzeitig bestrebt, eigene Erzförderungen
im Auslande zu erwerben, in Ungarn, in Galizien^
in Schweden und in Rußland. Von den inländischen
Erwerbungen kommen außer den am Rande der Er-
schöpfung stehenden in Oberschlesien nur in Be-
tracht die Bergfreiheitgrube bei Schmiedeberg,
deren Förderung im letzten Jahre allein 43 0/0 der
Gesamtförderung der Gruben der Gesellschaft be-
trug. Bei weitem der größte Teil wird heute aus dem
Auslande bezogen, aus Schweden, Spanien, Rußland,
Österreich, um die armen eigenen Erze damit anzu-
reichern. Mit der Verwendung fremder Erze aber
steigen wiederum die Produktionskosten, weil die
Entfernungen zu den Hauptexportgebieten größer
sind als nach dem rheinisch- westfälischen Konkur-
renzgebiete. In bezug auf die Eisenerzversorgung
steht nach alle dem der Betrieb ökonomisch un-
günstig da.
Ganz anders gestaltet sich die Versorgung des Werkes mit
Kohlen. Die Kohlengruben der Königshütte sind in jeder Beziehung
geradezu das Gegenstück zu ihren Erzgruben, Dem Mangel an
eigenem Erz steht ein Überfluß an eigener Kohle gegenüber. Ober-
schlesien ist bekanntlich nach dem Ruhrortbezirk das größte Kohlen-
gebiet Deutschlands. Nach Nasse*) entfallen von den ca. 109 Milliar-
•) Nasse: »Die Steinkohlen Vorräte der europäischen Staaten, insbesondere
Deutschlands und deren Erschöpfung.« Berlin 1893.
204 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
den Tonnen gewinnbarer Steinkohlen Deutschlands 50 Milliarden
Tonnen auf den Ruhrbezirk, 45 Milliarden Tonnen auf Oberschlesien.
Dieser Reichtum an Kohlen kommt zunächst zum Ausdruck in der
Mächtigkeit der Flötze. So ist z. B. bei der Gräfin Lauragrube, die
dicht vor der Königshütte liegt, von unten nach oben auf gezählt,
das Sattelf lötz durchschnittlich 8 m mächtig, das Heinzmannflötz durch-
schnittlich 2,25, und das Gerhardflötz durchschnittlich 6 m. Solche
Mächtigkeiten von 4 — 6 m, wie sie die Flötze in Oberschlesien in
der Regel aufweisen, sind in dem niederrheinisch-westfälischen Kohlen-
becken nicht zu finden.
Die Steinkohlenflötze sind aber nicht nur mächtig, sondern auch
rein und günstig gelagert, nämlich nahe der Erdoberfläche. Infolge-
dessen ist die Gewinnung mit niedrigen Selbstkosten verbunden.
Mit Bezug hierauf sagt Renauld*) : „Indes läßt sich doch das eine mit
Sicherheit behaupten, daß die durchschnittlichen Förderungskosten
der oberschlesischen Kohlenwerke erheblich geringer sind als die
aller anderen Kohlenbezirke, England nicht ausgenommen. In keinem
Kohlenbecken geht der Bergbau in so geringer Tiefe vor sich, und
sind daher die Schachtanlagen verhältnismäßig so billig wie in Ober-
schlesien. Nirgends ist die Förderlänge, welche die Kohle vom Ge-
winnungspunkt bis zur Hängebank des Schachtes zu durchlaufen
hat, die Förderung demnach, so wenig kostspielig wie dort. Nirgends
dürfte schließlich das Hauptmaterial des Bergbaus, das Holz, so wohl-
feil sein."
Die Produktionskosten werden ferner durch eine sehr mäßig
entlohnte Arbeiterschaft auf einem niedrigen Niveau gehalten. Ge-
rade im Kohlenbergbau ist ja der Anteil der menschlichen Arbeits-
kraft am Wert des Produktes ein außerordentlich hoher, weil hier die
Handarbeit noch immer dominiert, und in diese alte Grundlage des
Betriebes, in Deutschland wenigstens, durch die Schrämmaschine
noch keine Bresche geschlagen ist. Die oberschlesischen Kohlen-
arbeiter sind Slaven; trotz ihrer niedrigen Entlohnung ist ihre
Leistungsfähigkeit eine große. Die Jahresleistung eines Arbeiters
im oberschlesischen Kohlenbergbau ist, verglichen mit Niederschlesien,
dem Ruhrbezirk und Saarbrücken am höchsten.**) Das hängt zu-
sammen mit der Leichtigkeit der Gewinnung der Kohlen.
Schließlich darf nicht übersehen werden, daß auch das Anlage-
*) Renauld, a. a. O, p. 51.
**) Siehe von Renauld, a. a. O, p. 51.
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 205
kapital klein ist, denn die Kohlengruben befinden sich zum über-
wiegenden Teil noch in erster Hand.
Durch das Zusammenwirken dieser Momente sind die Selbst-
kosten der Kohlengewinnung auch bei der Königs- und Laurahütte
außerordentlich gering. Die Grubenpreise ihrer, wie der anderen
oberschlesischen Kohlen sind daher die niedrigsten, die es gibt.
Daher hat die Königshütte versucht, ihren Kohlenbesitz nach Mög-
lichkeit zu vermehren. Bereits bei ihrer Gründung umspannte sie sehr
ergiebige Steinkohlenbergwerke, vor allem die Gräfin Lauragrube und
eine Anzahl mit ihr verbundener Gruben. „Aus unseren Kohlen-
feldern**, heißt es im Prospekt, „sind nach Abzug der Abbauverluste
aus einer Tiefe von 20—100 Lachter unter Tage, und ohne Rück-
sicht auf die tief erliegenden Flötze, 1550 Millionen Zentner Stein-
kohlen zu gewinnen.** Seitdem hat sich der verfügbare Vorrat aber
noch bedeutend vergrößert. Dies geschah durch umfangreiche Neu-
erwerbungen zu Beginn der 80er Jahre. Damals kaufte das Werk
die Siemianowitzer Steinkohlengruben bei Laurahütte zum Preise
von 1 127 400 Mark und darauf das Landgut Antonienhof, zwischen
Königshütte und Beuthen gelegen, zum Preise von 406 500 Mark.
Dieses Rittergut, das 225V2 Hektar umfaßt, bedeckte in seiner
ganzen Ausdehnung die Steinkohlengrube Gottgebeglück. Durch
diesen Ankauf steigt die Ausdehnung der Kohlenfelder von 8,5 auf
23 Millionen Quadratmeter. Die Politik, weiter Kohlenfelder zu er-
werben, wird auch in der Folgezeit beibehalten. In dem Geschäfts-
bericht 1902/03 heißt es: „Zur Stärkung des Fundaments unseres
Unternehmens für die Zukunft, haben wir eine sich bietende Ge-
legenheit wahrgenommen, um einige neue Kohlengruben anzukaufen,
welche zum Teil in unmittelbarem Anschluß an unsere älteren Felder
bei Dubensko, zum Teil in ihrer Nähe gelegen, und daher für uns
wertvoll sind; dieselben — Marianne, Metasglück und Hermann
August — haben einen Flächeninhalt von rund 5,4 Millionen Qua-
dratmeter.**
Heute besitzt die Königshütte 3 große Grubenkomplexe: 1. die
Gräfin Lauragrube, 2. die Laurahüttengrube, und 3. die Dubensko-
gruben.
Die Produktion von Steinkohlen hat sich im Laufe von 30 Jahren
vervierfacht. Sie betrug im Geschäftsjahr 1871/72 580 668 Tonnen
und stieg dann, wenn auch mitunter durch rückgängige Konjunktur-
kurven beeinflußt, im allgemeinen fortlaufend bis zum Jahre 1900/01,
wo sie mit 2 462 882 Tonnen ihren höchsten Punkt erreichte. In
206 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
den beiden folgenden Jahren blieb die Produktion mit 2,4 Millionen
Tonnen nahezu auf derselben Höhe.
Kein anderes Hüttenwerk in Deutschland hat m. W. derartige
Kohlenmengen aufzuweisen; zum Vergleich verweise ich auf die
Kohlenerzeugung der bereits früher behandelten Werke. Dieselbe
betrug 1902/03:
bei der Dortmunder Union 602,812 t
bei dem Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein 452,432 „
beim Phönix 480,004 „
Aber selbst die Hütten mit noch ausgedehnterem Grubenbesitz
reichen an den Kohlenreichtum der Königs- und Laurahütte nicht
heran. Die Kohlenerzeugung belief sich im genannten Jahre
bei der Gutehoffnungshütte auf 1,613,269 t
beim Bochumer Verein für Bergbau- und Gußstahlfabrikation „ 1,209,676 „
bei den Rheinischen Stahlwerken „ 845,736 „
Die günstige Einwirkung eigener Kohlengruben auf die Rentabili-
tät des Hüttenbetriebes läßt sich, neben der Königshütte, auch bei
anderen Gesellschaften konstatieren, z. B. bei der Kattowitzer Aktien-
gesellschaft für Eisenhüttenbetrieb. Daneben gibt es Werke, die
keine eigenen Kohlen haben. Wollen diese Werke mit den über den
Selbstverbrauch hinaus Kohlen produzierenden und dadurch eine mehr
oder weniger große Einnahme auslösenden Werken konkurrenzfähig
bleiben, dann suchen sie die Mängel ihrer Rohstoffversorgung im
weiteren Fabrikationsprozeß in der Weise auszugleichen, daß sie
ihrer Fabrikation eine bestimmte Richtung geben, ihre Fabrikate
spezialisieren und verfeinern. So ist z. B. das Huldschinskysche
Werk in Gleiwitz, das weder Kohlen- noch Eisengruben besitzt, aus
der Röhrenfabrikation hervorgegangen. Noch heute bildet diese
Spezialität die Basis des ganzen Betriebes. Die Caro-Hegenscheidtsche
Gesellschaft sucht ihre Force in der Draht- und Nagelfabrikation,
die Bismarckhütte in ihre Tiegelgußstahlbereitung etc. Es würde eine
vergleichende Untersuchung dazu gehören — worauf ich aufmerksam
mache — um im einzelnen festzustellen, ob das Fehlen eigener Kohlen-
gruben, die entweder den eigenen Bedarf decken oder aber über
denselben hinaus produzieren, die Rentabilität in dem Maße herab-
mindert, daß die Verminderung nicht durch die Spezialitätenfabrikation
und Verfeinerung der Produkte ausgeglichen werden kann.
Wir haben also gesehen, welchen großen Einfluß die Existenz
eigener Kohlenlager auf den Betrieb hat. Ja, bei der Königs- und
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 207
Laurahütte bildet sie sogar die wichtigste Grundlage. Bereits in dem
Bericht über das Jahr 1896/97 wird der Steinkohlengrubenbesitz als
das wichtigste Fundament des Unternehmens bezeichnet. Hier ruht
heute in der Tat der Schwerpunkt. Der Steinkohlengrubenbetrieb
bildet den rentabelsten der vorhandenen Betriebszweige. Die weit-
aus größten Einnahmen fließen aus dieser Quelle.
Aber auch dieses glänzende Bild zeigt eine dunkle Stelle. In
den Geschäftsberichten findet sich regelmäßig die Angabe, daß noch
so und so viel Tonnen Kohlen jährlich hinzugekauft werden müssen.
Wie ist das, fragt man sich, nach dem vorher Gesagten möglich?
Der Schlüssel für diese Erscheinung liegt in der Tatsache, daß die
eigenen Kohlen der Königs- und Laurahütte wenig oder gar nicht
zur Verkokung geeignet sind, und zwar wegen ihrer geringen Back-
fähigkeit. Der Koks, mit dem die Hochöfen beschickt werden, ent-
steht bekanntlich in Koksöfen aus Kohlenkörnchen, die in der Hitze
zusammenbacken, und je besser dies geschieht, desto fester ist der
Koks. Diese wichtige Eigenschaft wird bedingt durch den Gehalt an
flüchtigen Bestandteilen (Bitumen). Entwickelt die Kohle zu wenig oder
zu viel Gas, so können die Stückchen nicht fest zusammenbacken.
Das ist nun aber bei den Kohlen der Königs- und Laurahütte der
Fall, und infolgedessen fehlen ihr die Kohlen, aus denen sie Koks
herstellt. Das Werk ist daher darauf angewiesen, Backkohle zu
kaufen. 1902/03 betrug diese Menge 168 493 Tonnen, hingegen wur-
den von den selbstgeförderten Kohlen im eigenen Betriebe verbraucht
670 159 Tonnen, d. h. nur 27 o/o der eigenen Förderung, und an
Fremde verkauft 1 739 678 Tonnen oder 73 o/o der eigenen Produktion.
Es handelt sich bei diesem Verbrauch eigener Kohlen aber nicht um
die Koksbereitung, sondern hauptsächlich um die Heizung der Dampf-
kessel, der Puddelöfen etc. Ob sich die erstgenannte Zahl in der
Folgezeit verringern wird, muß abgewartet werden. In der General-
versammlung am 31. Oktober 1903 sagte der jetzige Generaldirektor der
Vereinigten Königs- und Laurahütte, Geheimer Bergrat Junghann:
Sehr wertvoll ist der Umstand, daß die auf der Dubenskogrube in
den letzten Wochen gemachten Aufschlüsse den gehegten Erwartungen
vollkommen entsprochen haben, und man ein Flötz von 2V2 ni
Mächtigkeit gefunden habe, das 1,8 m reine Kohle liefere. Es werde
damit ein großes Grubenfeld von 10 Maximalfeldern erschlossen
werden. Von besonderer Wichtigkeit sei aber der Umstand, daß
die Verkokung der Kohle ein außerordentlich günstiges Resultat ge-
liefert habe. Hierdurch werde es in 3—4 Jahren möglich sein, den
208 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Hochofenbetrieb so zu gestalten, daß er ein viel besseres Resultat
zeitigen werde, als bisher.
Die meisten Kokskohlen in Oberschlesien besitzt heute der Fiskus.
Daß die Königshütte hier nicht auf die Privatunternehmung ange-
wiesen ist, hat für sie manche Vorteile. Die Kohlenpreise werden
halbjährlich festgesetzt, und die Produktion dann auf die einzelnen
in Betracht kommenden Abnehmer verteilt. Aber auch die Kohle,
die der Staat liefert, ist kein Ideal für die Koksbereitung. Sie ist
im allgemeinen zu weich und mürbe. Damit, und mit der bereits
früher erwähnten mulmigen Beschaffenheit der oberschlesischen Erze
hängt nun eine große ökonomische Tatsache zusammen, die für die
kapitalistische Entwicklung der Königs- und Laurahütte ein wohl
kaum zu überwindendes Hindernis bildet. Infolge der geringen Festig-
keit der Koks können die Hochöfen nicht über eine bestimmte Höhe
hinaus gebaut werden. Damit ist der Massenproduktion an Roheisen
in einem Ofen nach oben hin ein Hemmschuh angelegt. Wir sahen^
wie in Rheinland-Westfalen bei den führenden Werken die Hochöfen
immer größer und größer wurden und damit die Leistung eines
Hochofentages beständig wuchs. Auf der Königshütte aber, wie
auch auf den übrigen oberschlesischen Werken, wird dieses Wachs-
tum von einem bestimmten Punkte an gehindert durch die Be-
schaffenheit des Brennmaterials. Die Königshütte hat gegenwärtig die
größten Hochöfen Oberschlesiens, aber sie produzieren täglich nur
90 — 100 Tonnen — die kleineren entsprechend weniger — , während
bei den westfälischen Werken die doppelte Leistung die Regel ist,
ja, wie früher erwähnt, die großen Hochöfen der Vereinigten Staaten
täglich Durchschnittsleistungen von 400—600 Tonnen aufweisen. In
der Festschrift werden die Größenverhältnisse der Hochöfen folgender-
maßen angegeben. (Festschr. p. 81). Es betrug bei
Ofen
II.
der Fassungsraum
264 cbm
die Höhe
16 m
in.
363
19 m
IV.
268
17 m
V.
235
14,5 m
VI.
369
20 m
VII.
363
19,5 m
VIII.
369
20 m
Die beiden höchsten Öfen erreichen, wie sich hieraus ergibt,,
die Höhe von 20 m, während in Rheinland-Westfalen Öfen von
30 m Höhe keine Seltenheit sind. Würde man in Oberschlesien
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 209
höher bauen, so würde der Koks zerdrückt werden. Die Beschaffen-
heit des Koks unterbindet also eine größere Massenproduktion. Da-
her ist auch die Roheisenproduktion der Königs- und Laurahütte im
Vergleich zu anderen Hochofenwerken, trotz der großen Zahl ihrer
Öfen, nämlich 10, klein. Sie betrug
1902/3 nur 212,387 t bei 5 im Betriebe befind!. Öfen')
hingegen bei der Dortmunder
Union 386,410 „ „ TVa „
in Hoerde 335,396 „ „ 5 „ „ „
beim Phönix 308,388 „ „ 6 „ „ „ „
und bei der Ilsederhütte . . . 229,172 „ „ 3 „ „ „
Fassen wir die Resultate dieses Abschnittes kurz zusammen:
Während die Eisenerze mit sehr hohen Kosten ge-
wonnen werden, gleichgültig ob sie nun im eigenen
Betrieb gefördert oder aber gekauft werden, liegen
die Dinge bei den Kohlen gerade umgekehrt. Reiche,
große, reine, günstig gelagerte Kohlenflötze lie-
fern zu geringen Selbstkosten einen, den Bedarf des
eigenen Werkes weit überflügelnden Überschuß, der
auf den Markt kommt. Die Politik der über die
Selbstbedarfsdeckungs Wirtschaft stark hinaus-
ragenden Kohlenproduktion wurde durch Neuerwer-
bungen Anfang der 80er Jahre und zu Beginn des
neuen Jahrhunderts noch mehr gekräftigt. Im Laufe
von 30 Jahren erfolgte eine Vervierfachung der Er-
zeugung. Heute beträgt die Menge der geförderten
Steinkohlen 2,4 Millionen Tonnen. Mit dieser Re-
kordziffer gewinnt die Königshütte einen Konkur-
renzvorsprung vor den übrigen Werken, die, so w^eit
sie keine Kohlenzechen besitzen, die Mißstände
ihrer Abhängigkeit vom Kohlenmarkt und die da-
durch bedingte teurere Produktion auszugleichen
versuchen durch Herstellung von Spezialitäten.
Allerdings muß auch die Königshütte jährlich noch
ein bestimmtes Quantum Kohle kaufen, weil ihre
eigene Kohlewegen ihrer geringen Backfähigkeit sich
nichtzurVerkokungeignet,aberauchdievom Fiskus
gelieferte Kokskohle gibt keinen genügend festen
•) Außerdem waren 2 Öfen noch 52 Wochen im Betrieb.
stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 14
210 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Koks, so daß durch diesen Umstand, sowie durch die
früher erwähnte erdige Beschaffenheit der zur Ver-
hüttung gelangenden oberschlesischen Eisenerze,
einer erhöhten Produktion der Hochöfen Zügel an-
gelegt werden. Infolgedessen kann hier die kapi-
talistische Ausgestaltung des Betriebes im Sinne
einer noch mehr gesteigerten Massenerzeugung von
Roheisen nicht über ein bestimmtes Niveau hinaus-
eilen, dadurch aber wird der Konkurrenzkampf mit
der rheinisch- westfälischen Massenindustrie wie-
der um eine Linie zuungunsten des oberschlesi-
schen Werkes verschoben.
Wir haben gesehen, daß es zwei Momente waren, die störend
und erschwerend in die Produktion des Roheisens eingriffen: 1. die
Beschaffenheit der Eisenerze und 2. die Beschaffenheit der eigenen
Kohle, die sich nicht zur Verkokung eignet. Diese Momente ver-
teuern den Hochofenprozeß, d. h. die Herstellung des Roheisens
nicht unerheblich. Infolgedessen waren die Erträgnisse des Hochofen-
betriebes unbefriedigend, ja, sie verwandelten sich beim Wechsel
der Konjunktur häufig in ihr Gegenteil, d. h. der Hochofenbetrieb er-
forderte Zubußen. Um nun ein Korrektiv gegen diese Verhält-
nisse zu schaffen, führte eine weitblickende Verwaltung auf dem
Hüttenbetrieb noch solche Produktionszweige ein, die geeignet
waren, die Unrentabilität des Hochofenprozesses zu mildern, resp.
zu beseitigen, und die Erträgnisse zu vergrößern. Durch diese Neben-
anlagen sollte ein Gegengewicht gegen die hohen Selbstkosten der
Herstellung des Roheisens geschaffen werden.
So entsteht Anfang der 80er Jahre eine Teer- und Anfang der
QOer Jahre eine Ammoniakfabrik. Teer und Ammoniak sind Stoffe,
die in den aus den Koksöfen abströmenden Gasen enthalten sind, und
die früher ungenutzt blieben. Heute werden diese Gase durch Ex-
haustoren abgesaugt und auf der Königshütte in zwei Kondensations-
anstalten mit zusammen 32 Kühlem und 20 Wäschen abgekühlt
und gewaschen.*) An der Spitze steht die Teerproduktion. Sie betrug
im ersten Jahre der Tätigkeit der Anlage 1882/83 nur 109 Tonnen und
hielt sich bis zum Jahre 1892 in engen Grenzen. In diesen 10 Jahren
*) Die Angabe der technischen Einrichtungen und Leistungen der Neben-
anlagen entnehme ich der Festschrift.
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 211
erreichte sie mit 574 Tonnen im Jahre 1887/88 ihre höchste Ziffer.
Anfang der 90er Jahre werden dann die Anlagen bedeutend leistungs-
fähiger gestaltet. „Um unsere Werke", sagt der Geschäftsbericht
1891/92, „den schlechten Einnahmen und den hohen Ausgaben gegen-
über existenzfähig zu erhalten, haben wir auch im vergangenen Jahre
auf die Rekonstruktion und Einfügung solcher Betriebsapparate, welche
die Erzeugungskosten vermindern, große Summen verwendet. Eine
Vergrößerung der Produktion (es handelt sich um Eisenfabrikate)
streben wir nicht an, weil wir in einer solchen die einzige Veran-
lassung zu einem kontinuierlichen Niedergang der Preise erblicken."
Die in dem ersten Satze angedeuteten Neueinrichtungen vermehrten
nun die Teererzeugung bedeutend. Sie betrug 1891/92 noch 344
Tonnen, 1892/93 aber bereits 1604 Tonnen und steigt dann 1901/02
auf 7448 Tonnen. Dieser Teer wird an große Teerproduktenfabriken
verkauft, die ihn präparieren und weiter verarbeiten (Anilinfarben-
fabrikation). Damit wird der Kontakt des Unternehmens mit der
chemischen Industrie hergestellt.
Mit dem Jahre 1891/92 war auch das erste Ammoniak aus den
Koksofengasen gewonnen. Durch Behandlung mit Schwefelsäure, die
bekanntlich ziemlich billig ist, wird daraus ein künstliches Düngemittel
hergestellt, das für die Landwirtschaft von Wert ist. Die Darstellung
des schwefelsauren Ammoniaks erfolgt in 6 Abtreibeapparaten und
7 Sättigungskästen; nachdem es durch Lagerung auf Abtropf- und
Lagerbühnen und schließlich durch Zentrifugieren von der mitge-
rissenen Lauge vollständig befreit ist, wird es nach erfolgter Trock-
nung gemahlen. Die Schwefelsäure muß das Werk kaufen. 1889/90
wurde zwar der Plan ventiliert, eine Schwefelsäurefabrik zu bauen,
aber nicht zur Ausführung gebracht. Die Produktion an schwefel-
saurem Ammoniak betrug 1891/92 erst 90 Tonnen, 10 Jahre später
aber stellte sie sich bereits auf 2487 Tonnen. Das Produkt wird in
Säcke verpackt und an Düngerfabriken verkauft.
Ein weiterer Nebenbetrieb, der zur finanziellen Kräftigung des
für sich allein nicht rentierenden Hochofenbetriebes dient, ist die
Kupferextraktionsanstalt. Diese Anlage kam Ende 1883 in Betrieb.
Der Geschäftsbericht des Jahres 1883/84 weist darauf hin, daß diese
Anstalt die Aufgabe habe, aus den Rückständen der Schwefelsäure-
fabriken Kupfer zu extrahieren, die so gereinigte Masse zur Roh-
eisendarstellung gut verwendbar zu machen und somit dem sehr
fühlbaren Mangel an reichen, gutartigen und wohlfeilen Eisenerzen
abzuhelfen. Wie bereits früher erwähnt, bezieht die Königshütte
14*
212 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
auch spanische Rio-Tintokiese. Diese Schwefelkiese müssen erst
von ihrem Schwefel befreit werden, oder in der Sprache der Chemie
ausgedrückt, in die Oxydform übergeführt werden, ehe sie für den
Hochofenprozeß tauglich sind. Für die Schwefelsäurefabriken, die
bei dieser Arbeit in erster Linie beteiligt sind, lohnt es sich nicht,
allen Schwefel herauszuziehen, für den Hüttenbetrieb aber nur dann,
wenn die Erze Kupfer enthalten. Die auf der Königshütte ver-
arbeiteten Abbrände aus spanischen und portugiesischen Schwefel-
kiesen werden einem Rost- und Laugeprozeß, letztere nur einem
Laugeprozeß, unterworfen. Diese Lauge enthält außer dem Kupfer
noch Silber und Gold. Das Kupfer wird durch Eisen zur Aus-
fällung gebracht. Die auf diese Weise entkupferten Schwefelkiese
haben eine purpurrote Farbe, man nennt sie daher Purple ore. Leider
hat das gewonnene Eisenerz einen für den Hochofenprozeß
sehr unerwünschten Zustand: es ist pulverförmig. Die erhaltenen
kleinen Körner zu brikettieren ist eine der bisher nicht gelösten Fragen
der Technik. Die Extraktionsanstalt der Königshütte hat an Betriebs-
mitteln 8 Rostöfen mit 5 Kondensationstürmen, 36 Laugekästen und
32 Zementierkästen mit dazu gehörigen Hilfsapparaten. Sie Heferte
1900/01 35 322 Tonnen Purple ore, 1117 Tonnen lOOo/oiges Zement-
kupfer, 755 kg Silber und 2,6 kg Gold.
Hier sei noch einer eingegangenen Produktion gedacht, die von
1809—1899 bestand, der Zinkgewinnung. Die Erträge sind in den
einzelnen Jahren sehr wechselnd gewesen, doch betrugen sie seit
1878/79 stets über 1000 Tonnen, mit Ausnahme des Sterbejahres
dieser Produktion. Bereits in dem ersten Geschäftsbericht der Aktien-
gesellschaft wird erwähnt, daß die Zinkfabrikation nur nebensächlich
und zumeist zur Verarbeitung der beim Hochofenbetrieb gewonnenen
zinkhaltigen Materialien fortgesetzt werde. Aus 100 265 Zentnern
Zinkerz wurden 1871/72 13 929V2 Zentner Rohzink gewonnen. Die
Zinkhütte wurde dann Anfang 1899 gänzlich kalt gelegt, und zwar
aus Mangel an eigenem Galmei.
Schließlich ist noch eine kleine Zementfabrik zur Verwertung
der Hochofenschlacke zu erwähnen. Die Hochofenschlacke ist be-
kanntlich ein Abfallprodukt, mit dem man ursprünglich nichts anzu-
fangen wußte. Sie wurde — und das geschieht heute noch vielfach
— auf Halden gestürzt und so entstanden die großen Schlacken-
berge auf den Terrains der Eisenhütten. Diese nutzlose Aufstapelung
konnte sich jedoch nur so lange allgemein halten, als die Bodenpreise
niedrig waren. Mit der Verteuerung des Grund und Bodens in der
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 213
Nähe der Hütten wurde die Lösung des Problems einer Verwertung
der Schlacke immer dringender. In den letzten 30 Jahren hat man
versucht, die Schlacke auf verschiedene Weise zu benutzen. Man
basaltierte sie in manchen Fällen, um sie auf die Chausseen und Wege
zu schütten. Aber die Pferde, die diese Chausseen betraten, wurden
hufkrank, indem häufig kleine Glassplitter in den Huf drangen.
Eine andere Verwendungsart, die uns hier speziell interessiert, ist
die Fabrikation von Eisen-Portlandzement. Ein Wasserstrahl reißt
die aus dem Hochofen kontinuierlich hervorstürzende glühende
Schlacke in einer Rinne mit sich fort. Dadurch wird sie körnig.
Sie granuliert. Mit Kalkhydrat gemischt, wird sie dann in Ziegelform
gebracht und in einen Zementofen gesetzt, wo das ganze absintert.
Das so erhaltene Material ist ein vorzüglicher Zement, der bald mit
den eigentlichen Portlandzementfabriken in scharfen Wettbewerb trat
und viel zu der schlechten Lage dieser Industrie beigetragen hat,
zumal da der Eisenportlandzement sehr billig auf den Markt gebracht
werden konnte.
Zur Herstellung des letzteren wurde nun in Laurahütte eine
Fabrik errichtet, die im Geschäftsjahr 1872/73 in Betrieb kam, und
die so befriedigende Resultate gab, „daß sie voraussichtlich zur An-
lage einer großen Fabrik, und somit eines neuen lukrativen Betriebs-
zweiges in nicht zu ferner Zeit Veranlassung geben werde." Dieser
Betrieb wird dann vergrößert. In dem Geschäftsbericht 1879/80 heißt
es über die Resultate: „Die Darstellung von Zement auf der Laura-
hütte unter Mitverwendung der Hochofenschlacke hat sich gut ent-
wickelt . . . Das Fabrikat ist in Oberschlesien gut eingeführt und
konkurriert mit anderen seit langem gut renommierten Sorten." Allein
die Herstellung von Zement auf der Laurahütte hat das zu Ende
gehende Jahrhundert nicht überlebt. Im Jahre 1899 wird die Fabri-
kation eingestellt. Als Grund des Absterbens dieses Betriebszweiges
gibt der Geschäftsbericht 1898/99 an, daß die Einrichtungen für
die Herstellung veraltet waren und zum zeitgemäßen Umbau beträcht-
liche Kapitalaufwendungen nötig gewesen wären.
In der vorhergehenden Analyse der wirtschaft-
lichen Bedingungen, unter denen der Hochofen-
betrieb der Königs- und Laurahütte arbeitet, er-
kannten wir, daß derselbe an und für sich, infolge
der Beschaffenheit der Erze und der Koks mit außer-
ordentlich hohen Selbstkosten belastet ist, also ein
sehr teures Roheisen liefert. Um ihn nun finanziell
214 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
zu stützen, wurden folgende Nebenanlagen ge-
schaffen, die entweder direkt oder indirekt mit der
Roheisenerzeugung in Verbindung stehen: Von der
schon lange bestehenden Zinkhütte abgesehen, wur-
den ins Leb engerufen 1882 eine Teerfabrik, 189 leine
Ammoniakfabrik, 1897 eine Benzolfabrik zur Aus-
beutung der wertvollen Bestandteile der bei der
Koksdestillation abströmenden Gichtgase, Ferner
1883 eine Kupferextraktionsanstalt, und in dem-
selben Jahre eine Portlandzementfabrik, die jedoch
1899geschlossenwurde.
Wir kommen nun zum zweiten Punkt, nämlich der Darstellung
des Fabrikationsprogramms der Königshütte, durch das die Schilde-
rung der folgenden Einrichtungen erst in das richtige Licht gerückt
wird. Die folgende Untersuchung wird, um gleich die Hauptsache
vorweg zu nehmen, zeigen, daß sich das Fabrikationsprogramm des
Werkes auf zwei Grundgedanken aufbaut: einmal auf einer mög-
lichst weitgehenden Anwendung menschlicher Arbeitskraft, und
zweitens auf der Herstellung von Fertigfabrikaten.
Von allen auf Aktien errichteten Eisenhüttenwerken, außer Krupp,
ist heute die Vereinigte Königs- und Laurahütte dasjenige, das die
größte Arbeiterzahl beschäftigt. Der durchschnittliche Arbeiterbestand
betrug 1902/03
bei der Gutehoffnungshütte 15,187
beim Phönix 11,197
bei der Dortmunder Union 11,046
bei der Vereinigten Königs- und Laurahütte aber 20,028
In dieser Zahl sind enthalten auch die Beamten, die Unterbeamten
und Meister. Auf die einzelnen Werke der Gesellschaft verteilen sie
sich folgendermaßen. Es waren beschäftigt:
auf den Kohlengruben 7,806 Personen
„ „ Erzförderungen und Brüchen 732 „
„ „ schlesischen Hütten . . . 9,021 „
„ „ ausländischen Werken . . . 2,469 „
zusammen 20,028 Personen
Hieraus ergibt sich, daß die große Arbeiterzahl einmal bedingt
ist durch den auf menschlicher Handarbeit beruhenden ausgedehnten
Kohlenbergbau des Unternehmens. Einen zweiten Grund werden
wir später kennen lernen.
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 21Ö
Unter den 20 028 Arbeitern im weiteren Sinne befinden sich 1368
weibliche und 1344 jugendliche und InvaUden. Hier finden wir im
Eisenhüttenbetrieb zum erstenmal Frauen, die auf den Hüttenwerken
Rheinland-Westfalens nicht vorkommen. Die Schwere der Industrie
hat der Schwäche des Geschlechts kein Hindernis in den Weg ge-
legt. Der Grund ist leicht ersichtlich. Die Frau arbeitet billiger
als der Mann. Daß die Frau gerade im Eisenhüttenbetrieb Verwen-
dung sucht und findet, hängt mit dem Mangel an anderen
Fabrikbetrieben und mit dem geringen Umfange der Landwirtschaft
im oberschlesischen Industriebezirk zusammen. Die Zahl der Frauen
ist auf der Königshütte ziemlich konstant geblieben. Heute werden
sie hauptsächlich zu Transportarbeiten benutzt. Ihr Lohn beträgt
etwa 1 Mark bei 11 stündiger Arbeitszeit. Männer und Frauen sind
Polen, Durch die ausschließliche Rekrutierung der Belegschaft aus
dem kulturell rückständigen Gebiete Polens wird der Arbeitslohn
natürlich um den für eine sehr tiefe Lebenshaltung notvv^endigen
Standard herumpendeln, d. h. nur soviel betragen, als zur notwendigen
Ernährung, Bekleidung und Behausung des Arbeiters notwendig ist,
verbunden mit den Kosten für die Erziehung des Nachwuchses.
An Arbeitslohn wurden 1902/03 gezahlt 16 573 461 Mark. Der durch-
schnittliche Jahresverdienst auf den deutschen Werken der Königs-
und Laurahütte betrug:
bei den männlichen Arbeitern 972,07 M.
„ ,, weiblichen „ 342,84 „
,, „ jugendlichen Arbeitern und Invaliden 422,13 „
Diese niedrigen Löhne machen es verständlich, warum heute
auf der Königshütte die Handarbeit noch einen so großen Spielraum
einnimmt, mit anderen Worten, warum der moderne großkapita-
listische Betrieb, wie wir ihn bei den rheinisch-westfälischen Werken
kennen lernten, hier nicht in demselben Maße durchgeführt ist.
Das zeigt sich nun aber besonders deutlich in der Ausdehnung
des Puddelbetriebes auf der Königshütte. Die Königshütte bildet
jedoch keine Ausnahme, sondern reflektiert in dieser Beziehung nur
die in Oberschlesien herrschenden Verhältnisse. Für Oberschlesien
stellt sich nach Renauld*) das Prozentverhältnis der Produktion der
einzelnen Roheisensorten wie folgt:
Puddelroheisen 57,25 o/q
Thomasroheisen 28,31 ,,
*) Renauld: a. a. O., p. 201.
216 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Gießereiroheisen TA'T^/q
Bessemerroheisen 6,97 „
Die Königshütte hat heute noch 37 Puddelöfen, von denen 24
im Betriebe sind. Nach meinen Berechnungen macht die Schweiß-
eisenproduktion der Königshütte noch 26 o/o ihrer Gesamtproduktion
an schmiedbarem Eisen aus. Im Jahre 1900/01 erzeugte das Puddel-
werk 2141 Tonnen FeinkornrohsChienen, 33150 sehnige Rohschienen
und außerdem 3023 Tonnen Riegel-, Gezähe- und Nabeneisen,
im ganzen also 38 320 Tonnen Puddelfabrikate.
Allerdings hat das Werk auch Bessemerbirnen und Martinöfen,
aber beide sind wenig leistungsfähig und lassen technisch die Er-
füllung der an eine Massenfabrikation zu stellenden Anforderungen
vermissen. In dem Stahlwerk kommt sowohl der saure als der
basische Prozeß zur Anwendung in der Weise, daß in einem Con-
verter von Montag bis Mittwoch saures, und von Donnerstag bis
Sonnabend in zwei Convertern basisches Eisen geblasen wird. Je-
doch schwankt das Verhältnis der Produktion an saurem und basi-
schem Material je nach der Beschäftigung der Walzwerke. Die
ganze Bessemerbetriebsanlage auf der Königshütte ist ferner ver-
altet, die drei Birnen, die jetzt (1904) noch um eine neue vermehrt
werden sollen, liegen dicht nebeneinander. Als günstig kann dies
nicht bezeichnet werden, weil schon die Nähe des basischen Futters
und des sich bildenden Kalkstaubes den sauren Converter beein-
flußt. Aber auch die Leistungsfähigkeit ist wenig befriedigend. Jede
der drei Birnen hat einen Fassungsraum von 8 Tonnen. Das ist
außerordentlich wenig. Die Gesamterzeugung an Bessemer- und
Thomasmaterial betrug daher 1900/01 nur ca. 68 000 Tonnen,
Der Bessemer- und Thomasbetrieb hat also auf der Königshütte
eine größere Ausdehnung nicht erlangt. Es hängt das zweifelsohne
auch zusammen mit der für den Flußeisenbetrieb wenig geeigneten
Beschaffenheit der oberschlesischen Erze. Diese kommen, wie wir
sahen, allerdings nur in geringem Maße in Betracht, aber so weit
dies der Fall ist, stören sie durch die Ungunst ihres Phosphorgehaltes
die Stahlerzeugung. Für den sauren Bessemerprozeß kann man in
der Regel nur ein Roheisen mit einem Phosphorgehalt unter 0,1 o/o,
für den Thomasprozeß aber, wo der Phosphor als Brennstoff dient,
nur ein Roheisen von über 1,5 o/o Phosphor verwenden. Ober-
schlesische Erze haben nun aber einen Phosphorgehalt, der zwischen
0,1 und 1,50/0 liegt und eignen sich daher weder für den sauren,
noch für den basischen Prozeß besonders; für den ersteren haben
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 217
sie zu viel, für den letzteren zu wenig Phosphor. Ein Verfahren aber,
um solches Material mit einem Pliosphorgehalt von 0,1 bis l,5*'/o mit
Erfolg zu verarbeiten, ist noch nicht gefunden. In dem Phosphor^
gehalt aber liegt auch ein Grund dafür, warum der Bessemer- und
Thomasbetrieb, der auf den rheinisch-westfälischen Werken heute
durchgehends dominiert, auf der Königshütte nicht dieselbe Aus-
dehnung erlangt hat, und warum an seiner Stelle der alte, impotente
Puddelbetrieb eine noch so große Bedeutung besitzt.
Neuerdings geht man nun mehr und mehr dazu über, den Martin-
betrieb zu erweitern. Das Martinwerk umfaßte bisher 5 basisch
zugestellte Siemens-Martinöfen, die ebenfalls nur klein sind. Das
Ausbringen beträgt 10 — 12 Tonnen pro Charge. Sie werden mit
der Hand beschickt. Automatische Beschickungsvorrichtungen fehlen.
Die Erzeugung, die sich ausschließlich auf Qualitätsmaterial für Bleche,
Schmiedestücke, Radreifen und Achsen beschränkt, betrug 1900/01
38 323 Tonnen Blöcke. Gegenwärtig (1904) wird nun diese alte Anlage
durch drei neue Martinöfen erweitert. Damit ist angedeutet, daß
die Tendenz des Unternehmens auf eine Vergrößerung der Martin-
stahlerzeugung hinausläuft.
An die Martinofenanlage schließt sich eine Stahlfagongießerei
an. Der Stahlfagonguß wird teils roh gegossen, teils bearbeitet
für Eisenbahnbedarf, Schiffbau, Lokomotiv- und Maschinenfabriken,
Walz- und Hammerwerke etc. geliefert. 1900/01 wurden 1247 Tonnen
Stahlguß waren erzeugt. Von Bedeutung für die Ökonomie des Be-
triebes ist, daß man den gesamten Stahlwerkschutt über einen elektro-
magnetischen Scheideapparat führt, um das im Schutte enthaltene
Klaubeisen wieder zu gewinnen.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich folgendes : Auf der
Königshütte ist die Produktion an schmiedbarem
Eisen relativ gering. Der Flußeisenbetrieb steht
nicht so im Vordergrunde wie auf den rheinisch-
westfälischen Werken, auch wenn in Zukunft eine
Ausdehnung bevorsteht. Das kann bei dem darge-
legten Umfang des Puddelbetriebes auch gar nicht
anders sein. Es erzeugte, wie wir sahen:
das Puddelwerk 38,320 t
„ Bessemerwerk 68,000 „
„ Martinwerk, Blöcke und Stahlfassonguß 39,570 „
zusammen 145,890 t
Der Grund, warum man die Massenerzeugung bis-
218 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
her nicht weiter ausgebildet hat, liegt einmal in
den billigen Arbeitskräften. So werden diese zu
einem Hinderungsmittel des Fortschritts und der
Akzeptierung moderner, konkurrenzfähiger Be-
triebsmethoden. Auf der anderen Seite aber auch in
der Beschaffenheit der zur Verwendung kommenden
oberschlesischen Erzemiteinem Phosphorgehaltvon
Vio bis 1 V2°/o5 der der Convertierung in den Birnen
Schwierigkeiten entgegensetzt.
Der zweite Grundgedanke des Fabrikationsprogramms der
Königshütte beruht in der Herstellung möglichst vieler Fertigfabrikate.
Diese Richtung wird diktiert durch die hohen Selbstkosten des Roh-
eisens wie des schmiedbaren Eisens auf der einen, und durch die
Billigkeit der menschlichen Arbeit auf der anderen Seite. Infolge der
letzteren wird die Produktionsverteuerung des noch im ersten Stadium
der Entwicklung befindlichen Produktes in dem Maße zurückgedrängt,
je weiter es durch die wertschaffende Kraft der Arbeit in das Stadium
des Fertigfabrikates übergeführt wird. Dabei wirken die niedrigen
Löhne, die in dem Verkaufspreis des Fertigfabrikates enthalten sind,
gleichsam ausgleichend auf die Höhe der anderen Selbstkosten-
elemente, mit denen der Produktionsprozeß im ersten Stadium zu
rechnen hat.
Welches sind nun die wichtigsten Anlagen für Fertigerzeugnisse,
und in welchen Massen werden diese hergestellt?
Eine Anzahl wichtiger Fertigfabrikate wird zunächst erzeugt auf
dem großen Triostahlwalzwerk (mit 3 Gerüsten). Die Produktion
betrug 1900/01 38 459 Tonnen Walzfabrikate, und zwar Eisenbahn-
schienen, Schwellen, Laschen und Unterlagsplatteneisen, H-Eisen von
200 — 400 mm, und U-Eisen von 200 — 300 mm Höhe. Dann kommen
Walzenstraßen für Handels- und Konstruktionseisen aller Art. Die
Gesamtproduktion der 7 Strecken betrug 62 790 Tonnen. Daran
schließt sich ein Grobblechwalzwerk, aus dem rechtwinklige
Bleche in Schweiß- und Flußeisenqualität hervorgehen. Im Jahre
1900/01 wurden 15145 Tonnen Fertigbleche erzeugt und an Halb-
zeug 1373 Tonnen Schweißkolben und 1240 Tonnen Platinen.
Schließlich eine Feinblechstrecke mit 3 Gerüsten und einer Produktion
von 2446 Tonnen Sturz- und Feinblechen. Die Gesamtproduktion
an Walzfabrikaten auf den 10 erwähnten Walzenstrecken betrug
demnach 121 453 Tonnen. Der Geschäftsbericht für 1900/01 aller-
dings gibt eine etwas höhere Zahl an als die Festschrift, nämlich
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 219
141 571 Tonnen, oder mit Hinzurechnung geringerer oder Ausschuß-
ware 142 055 Tonnen. 1902/03 wurden nach dem Geschäftsbericht an
Walzwaren aller Art in Eisen und Stahl inkl. Ausschußwaren ver-
kauft 147 636 Tonnen.
Außerdem kommt für die Herstellung von Fertigfabrikaten in
Betracht eine Räder- und Weichenfabrik. Der Bau woirde bereits
1872/73 in Angriff genommen. In Betrieb kam die Anlage erst
1876/77. Der Wert der in dieser Werksabteilung hergestellten Fabri-
kate betrug 1900/01 2,7 Millionen Mark. Es wurden u. a. produziert
3351 Radsätze und 1227 Stück Zungenvorrichtungen.
Später als die Herstellung von Rädern und Weichen beginnt
man mit der Herstellung von Maschinen. Ende 1889 erwarb das
Werk die Aktien der Eintrachtshütte zum Kurse von 110 o/o. Die
Aktiengesellschaft wurde aufgelöst und die Einrichtungen gingen voll-
ständig in das Eigentum der Vereinigten Königs- und Laurahütte über.
Drei Gründe waren für die Erwerbung dieses Etablissements maß-
gebend. Die Hütte wollte in erster Linie die Maschinen, mit denen
sie arbeitet, selbst erzeugen, z. B. Fördermaschinen, und die vor-
handenen Betriebsapparate retablieren, Sie wollte ferner ihre über-
schüssigen Vorräte an Kohlen noch weiter selbst verwerten, und das
erzeugte Roheisen sowie ihre Halbfabrikate in einem eigenen Unter-
nehmen weiter verarbeiten, und schließlich Maschinen für den Ab-
satz produzieren. Durch Erwerbung dieser wohlfeilen und rentablen
Fabrik wurde die Maschinenindustrie Oberschlesiens, welches bislang
seine Maschinen vorzugsweise aus Sachsen, der Rheinprovinz, West-
falen und Berlin bezog, nicht unbedeutend gehoben.
Ferner errichtete das Werk eine Waggonfabrik. Sie besteht erst
seit 1894/95. Sie wurde ebenfalls zu dem Zwecke eingerichtet, um
den Walzwerksprodukten eine höhere Verwertungsmöglichkeit zu er-
öffnen. In derselben werden Eisenbahngüterwagen jeder Art her-
gestellt. Die Räder und Radsätze und die meisten Beschlagteile be-
zieht die Waggonfabrik von der Räder- und Weichenfabrik, nur
kleinere Beschlagteile werden in der eigenen Werkstatt ausgeführt.
Im Jahre 1900/01 wurden 1260 Wagen hergestellt. Die Leistungs-
fähigkeit ist jedoch bei voller Beschäftigung eine größere. Wir sehen
also, dieselbe ist bedeutend höher als die der Union, die 1902/03
nur 250 Waggons lieferte, bei voller Beschäftigung aber nur 700 — 800
Waggons im Jahre fertig stellen kann. Natürlich besteht auch auf
diesem Gebiet eine scharfe Konkurrenz der Spezialindustrie. Die
größte deutsche Waggonfabrik, van der Zypen in Köln, produziert»
220 5. Die vereinigte Königs- und Lauraiiütte.
wenn man den Durchschnitt zu Grunde legt, an einem einzigen
Tage 25 Güterwagen. Das ist Massenproduktion großen Stils.
Es verlohnt sich, auf die Gliederung der Waggonfabrik der
Königshütte etwas näher einzugehen, und dabei einen Blick auf die
Qualifikation der darin beschäftigten Arbeiter zu werfen. Die Waggon-
fabrik weist folgende Abteilungen auf:
1. Eine Schmiede, in der gelernte Arbeiter beschäftigt sind. Sie
zerfallen in die Werkzeugschmiede, die Werkzeuge wie Bohrer,
Meißel etc. herstellen, ferner in die Grob- und Hammerschmiede, die
die Teile vorschmieden, und in die Fein- oder Feuerschmiede, die
das Eisen dann weiter bearbeiten. Diese Schmiede sind nichts anderes
als Handwerker, die der Fabrikbetrieb in sich aufgenommen hat.
Die Einrichtung weist 13 Schmiedefeuer, 36 Nietfeuer, 19 Feld-
schmieden und 16 Ambosse auf. Durch 4 Ventilatoren werden die
Schmiedefeuer mit Luft versorgt.
2. Eine mechanische Werkstatt. An Betriebsvorrichtungen sind
hier vorhanden: 5 Elektromotoren von zusammen Sl^/o PS., 26 Bohr-
maschinen, 3 kombinierte Scheeren mit Lochstanzen, 4 einfache Loch-
stanzen, 3 Fräsmaschinen, 3 Kaltsägen, 3 Schleifmaschinen, eine
Shapingmaschine etc.
3. Eine Montagehalle, in der die Teile zusammengestellt werden
und der Aufbau des Kastengerippes erfolgt.
4. Eine Holzbearbeitungswerkstatt, in der Stellmacher und Tisch-
ler die Wagen mit Holz auskleiden. Dies sind Handwerker, aber sie
haben im Unterschied von ihren Kollegen im Kleinbetrieb die ganze
moderne Technik zu ihrer Verfügung; die Fabrik stattet sie mit
ganz anderen Maschinen aus, als sich die selbständigen Handwerks-
meister leisten können. Hier in dem kapitalistischen Betriebe, wo
der Handwerker Lohnarbeiter geworden ist, gebietet er über ganz
andere Energiequellen, und die Leistung ist daher eine höhere. In der
Tischlerei der Waggonfabrik der Königshütte befinden sich 3 Elektro-
motore von zusammen 75 Pferdekräften, und diese setzen nicht
weniger als 18 Holzbearbeitungsmaschinen in Bewegung: Kreis-
sägen, Bandsägen, Hobelmaschinen, Abrichtmaschinen (die die Bretter
an einer Seite hobeln), Zapf-, Fräs- und Kehlmaschinen etc. Eine
Exhaustoranlage mit Separator dient zur Absaugung der Holzspähne.
Dazu kommen dann noch die Hilfsmaschinen, die z. B. das Feilen
der Sägen oder das Schleifen der Hobelmesser automatisch besorgen.
Die Tischler und Stellmacher, die hier das Holz bearbeiten,
sind nun im Gegensatz zu einer Reihe von Arbeitern in der mecha-
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 221
nischen Werkstatt, wo nicht Holz, sondern Eisen, mit analogen
Maschinen gestanzt, geschnitten usw. wird, gelernte Arbeiter. Woher
kommt das? Der Grund dafür scheint mir darin zu liegen, daß dem
Eisenarbeiter an den Bohr- und Hobelmaschinen etc. der mecha-
nischen Werkstatt die schwierigere Arbeit durch die Vorzeichner ab-
genommen wird, und sie auf rein mechanische Tätigkeiten beschränkt
bleiben. Das ist aber bei den Tischlern und Stellmachern in der
Holzbearbeitungswerkstatt nicht der Fall. Diese sind Techniker und
Zeichner in einer Person. Sie haben die schwierigere Zeichenarbeit
und die rein mechanisch vor sich gehende Bedienung der Maschinen
nicht geteilt, sondern zusammen auszuführen. Hierin liegt ein wesent-
licher Unterschied, der uns auch erklärt, warum sie höher bezahlt
werden als die Arbeiter der mechanischen Werkstatt.
Schließlich gehört hierher auch noch die Lackiererei, wo die
Güterwagen ihren letzten Schliff erhalten. Sie werden mit roter
Farbe angestrichen.
Eine weitere Fertigfabrikate erzeugende Werksanlage der
Königshütte ist ihre Brückenbauanstalt und Konstruktionswerkstätte.
Sie ist auch erst seit 1894 in Betrieb und steht, was Größe und
Produktion betrifft, den bei Beschreibung der Dortmunder Union
erwähnten großen Brückenanstalten ebenbürtig zur Seite. Der Ge-
samtumsatz beträgt jährlich ca. 8000 Tonnen. Die Einnahme stellte
sich 1900/01 nicht ganz auf 2 Millionen Mark. Aus dieser Abteilung
gehen hervor Brücken und andere eiserne Überbauten, Gebäude und
Dächer aus Eisenkonstruktion, Schachtringe, Separationsgebäude,
Kohlenwäschen, Fördertürme und andere Eisenkonstruktionen ver-
schiedener Art. Die wichtigsten von der Königshütte gebauten Brücken
sind folgende: Warthebrücke bei Landsberg, Gewicht ca. 640 Tonnen,
Oderbrücke bei Steinau, Gewicht ca. 1200 Tonnen, Oderbrücke bei
Niederwutzen, Gewicht ca. 700 Tonnen, Oberhafenbrücke bei Ham-
burg, Gewicht ca. 1000 Tonnen, Oderflutbrücke bei Glogau, Ge-
wicht ca. 800 Tonnen u. a. Die Brückenbauanstalt ist auch beteiligt
an Lieferungen von eisernen Überbauten für die Schantung-Eisenbahn-
gesellschaft, an welche bisher ca. 1400 Tonnen für verschiedene
Bauwerke geliefert wurden. Die Werkstatt besitzt 55 Arbeitsmaschinen,
welche sämtlich elektrisch angetrieben werden, hierzu ist eine Be-
triebskraft von 105 PS. erforderlich. (Festschr. p. 91.)
Schließlich haben wir noch das Preßwerk zu erwähnen, das erst
seit 1899/1900 in Betrieb ist. Es fertigt Radgestelle mit Doppel-
speichen aus Schweißeisen für Voll- und Kleinbahnwagen, Quer-
222 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
träger für Plattformwagen, Buckelbleche etc., überhaupt alle vor-
kommenden Teile aus gepreßtem Stahlblech. An Betriebsvorrich-
tungen sind vorhanden: eine Kümpelpresse und eine Räderpresse
mit Dampftreibeapparat, eine Keilschv^eißpresse, eine Speichenbiege-
presse und Speichenschere. Außerdem 5 Bearbeitungsmaschinen.
Der Gesamtumsatz des Jahres 1900/01 betrug 442195 Mark.
An diese großen Fabrikationsabteilungen schließen sich dann
noch Reparaturwerkstätten, die in erster Linie Hilfsbetriebe sind
und nur in geringem Maße mit Arbeiten für Fremde beschäftigt
werden. Hierher gehört: die sogenannte Hochofenschmiede, die
Walzwerkschmiede, die Drehwerkstatt mit Drehbänken, Hobel-
maschinen, Bohrmaschinen, Fräs-, Schleifmaschinen etc. Ferner eine
Lokomotivwerkstatt und eine Zimmerwerkstatt.
Überblicken wir am Schlüsse dieses Abschnittes noch einmal
die Resultate: Wir lernten nach Erörterung der wirt-
schaftlichen Verhältnisse, unter denen der Hoch-
ofenbetrieb arbeitet, in zweiter Linie die Bedin-
gungen kennen, die fürden Schweiß-und Flußeisen-
betrieb der Königshütte charakteristisch sind. Wir
erkannten, daß der Puddelbetrieb auf der Königs-
hütte — wenn wir hier von dem früher schon erwähn-
ten Reichtum des Unternehmens an billigen Kohlen
absehen — im wesentlichen auf zwei Pfeilern be-
ruht: einmal auf der Beschaffenheit der oberschle-
sischen Erze, die einen Phosphorgehalt aufweisen,
der sie weder für den sauren, noch für den basischen
Prozeß besonders geeignet erscheinen läßt, und an-
dererseits auf dem großen Angebot billiger pol-
nischer Arbeitskräfte, die einen arbeitsintensiven
Betrieb geradezu herausfordern. Aus diesem Grunde
ist der mit einem größeren fixen Kapital arbeitende
Fluß eisenbetrieb nicht in dem Maße entwickelt wie
in Rheinland- Westfalen. Die Birnen sind außerdem
weniger leistungsfähig. In nächster Zeit wird aller-
dings der Martinbetrieb wesentlich an Bedeutung
gewinnen. Sowohldie Hochöfenais auchdie Puddel-
und Fluß eisenanlagen ergeben eine verhältnismäßig
teure Produktion. Während man nun die Hochofen-
anlage durch Schaffung besonderer Betriebe finan-
ziell kräftigte, suchte man das verhältnismäßig
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 223
teuer erstandene Schweiß- und Flußeisen durch Her-
stellung von Fertigfabrikaten mit Hilfe billiger Ar-
beitskräfte konkurrenzfähig zu machen. Deshalb be-
trachteten wir in dritter Linie das Bestreben des
Werkes, einen Ausgleich mitden hohen Produktions-
kosten des Roh-, Schweiß- und Flußeisens zu schaf-
fen. Wir lernten außer den in den Walzwerken her-
gestellten Fertigfabrikaten eine Räder- und Wei-
chenfabrik (1872), eine Maschinenfabrik (1890), eine
Waggonfabrik (1894), eine Brückenbauanstalt und
Konstruktionswerkstatt (189 4) und ein Preßwerk
(189 9) nebst Reparaturwerkstätten kennen. Durch
alle diese Betriebe wird der Verbrauch des Werkes
an eigenem Rohmaterial und Halbzeug bedeutend
erhöht und die Herstellung von Fertigfabrikaten
der vornehmste Zweck der Produktion.
Zum Schluß haben wir noch die Absatzverhältnisse der
Königshütte zu betrachten. Im Vordergrunde steht der Absatz der
Kohlen und der Fabrikate auf dem Inlandsmarkt. Die Bedeutung des
letzteren ist mit dem Rückgang des Exports noch mehr gewachsen.
Das natürliche Absatzgebiet ist Schlesien nebst den angrenzenden
Provinzen. Nach den Untersuchungen Renaulds ist in Oberschlesien
der Wasserversand gegenüber dem Eisenbahnversand bedeutend ge-
ringer als im Ruhrbezirk. Die Oder ist in ihrem Oberlauf nicht ge-
nügend reguliert. Dieser Strom hat für den Absatz der oberschlesischen
Werke bei weitem nicht die Bedeutung wie der Rhein für die rheinisch-
westfälischen. Damit und mit der größeren Entfernung von den
mittel- und norddeutschen Märkten hängt die höhere Fracht zusammen,
die die oberschlesischen Werke zu tragen haben, obgleich die Re-
gierung wiederholt die oberschlesischen Tarife heruntergesetzt hat.
In einem Artikel der Vossischen Zeitung vom 5. November 1903
wird hierüber von sachverständiger Seite folgendes ausgeführt:
„Die oberschlesische Eisenindustrie entbehrt infolge der Ver-
nachlässigung der Oderregulierung der Wohltat eines Oroßschiff-
fahrtsweges. Dazu steht der ausgiebigen Benutzung der Oder die
Höhe der Vorfrachten nach den oberschlesischen Umschlagsplätzen
entgegen. So kommen denn die dortigen Eisenwerke tatsächlich bil-
liger aus, wenn sie sich ausschließlich auf den Eisenbahntransport
verlassen. Hierin liegt nun ein ungeheurer Nachteil gegenüber der
224 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
westdeutschen Industrie, steht dieser doch für den Export über See
ein Netz vorzüglicher Wasserstraßen zur Verfügung, während ihr
andererseits ihre relativ geringe Entfernung von den großen deutschen
Seehäfen der Nordsee eine billige Eisenbahnfracht nach diesen hin
sichert ; ebenso kommt ihnen ihre geographische Lage im inländischen
Geschäft aufs beste zu statten, indem ihre Erzeugnisse bei weitem
geringere Bahnstrecken als diejenigen der oberschlesischen Werke'
zu durchlaufen haben, um an die Absatzzentren Mitteldeutschlands
zu gelangen. Hieraus resultiert, daß Oberschlesien im Inlandgeschäft
mit einer Frachtbelastung bis zu 2^/^ Mark pro 100 kg, d. h. bis zu
250/0 des Wertes seiner Ware an Orten zu rechnen hat, wohin der
Westen mit etwa IV4 Mark Frachtspesen gelangen kann. Als charak-
teristischer Spezialfall sei angeführt, daß die westdeutschen Werke ab
Oberhausen oder Duisburg mit 90 Pfennig bis 1 Mark Fracht pro
100 Kilogramm gewalzten Eisens nach Königsberg und Danzig
kommen können, während Oberschlesien in diesem Falle etwa
1,70 Mark Frachtunkosten zu tragen hat. Die Dinge liegen nach
alledem so, daß die oberschlesischen Walzwerke ohne besondere
Opfer nur Schlesien und einen Teil der Provinz Posen als Absatzgebiet
behaupten können, während nach allen anderen inländischen Plätzen
hin nur unter der Parität der westdeutschen Preise Geschäfte ge-
macht werden können. Die Forderungen der oberschlesischen Eisen-
industrie, man möge den oberen Lauf der Oder einer gründlichen Re-
guherung unterziehen, die Eisenbahnfrachtsätze nach den Umschlags-
plätzen der oberen Oder analog der Tarifgestaltung für Exportware
nach den Seehäfen ermäßigen und den Gebührentarif für die Schiffahrt
auf der oberen Oder herabsetzen, sind nach alledem durchaus ver-
ständlich und nur zu billigen."
Durch den Bau eines Mittellandkanals, dem die oberschlesischen
Montanindustriellen keineswegs günstig gegenüberstehen, würde die
westdeutsche Konkurrenz noch schärfer werden. Daher werden Kom-
pensationen von der Staatsregierung verlangt. Dieselben bestehen
einmal in der Verbesserung der Wasserverhältnisse der Oder und
weiter in der Gewährung von Frachtparität zwischen dem ober-
schlesischen und rheinisch-westfälischen Revier auf den Schnittpunkt
Berlin.
Aus den Geschäftsberichten der Königshütte ist leider über den
Absatz der Produkte der Königshütte nicht viel zu ersehen. In dem
ersten Geschäftsbericht der Gesellschaft werden als die hauptsächlich-
sten Handelsartikel die Produkte der Walzwerke angegeben. „Sie
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 225
werden nur auf Bestellung gefertigt und gelangen direkt aus den Hütten
vermittelst der dahin führenden Eisenbahn an ihren Bestimmungsort.
Der Verkauf sämtlicher Waren erfolgt durch die Direktion, welche
in Berlin ihren Sitz hat, dem Werke die übernommenen Aufträge
zuteilt, die Fakturen ausschreibt, die Geldbeträge einzieht, und die
Werke mit Betriebsgeldcrn versorgt." Als die wichtigsten Absatz-
artikel werden im Geschäftsbericht 1872/73 bezeichnet: Eisenbahn-
schienen, grobes und feines Handelseisen, sowie Fa^oneisen und
Bleche. Mit dem Absatz von Gußwaren hatte das Werk anfangs
wenig Glück. 1873/74 erzeugte die Gießerei 94 178 Zentner Guß-
waren. Dieselben dienten hauptsächlich zur Unterhaltung der Werks-
anlagen und zur Verwendung bei den Neubauten. Nach Fertigstellung
der Bauten sollten die Gußwaren auf den Markt kommen. Ebenso
versuchte die Gesellschaft Roheisen zu Gießereizwecken zu ver-
kaufen. Hierüber heißt es in dem Geschäftsbericht 1876/77: „Zudem
waren wir bemüht, Roheisen zu Gießereizwecken Eingang zu ver-
schaffen und hatten in dieser Richtung einige, wenn auch nicht erheb-
liche Erfolge. Die Abneigung der Gießer gegen das deutsche Eisen —
entsprungen aus der alten Gewohnheit, englisches und schottisches
zu verwenden — ist so groß und die Preise der letzteren Werke, welche
begünstigt durch Zollfreiheit und enorm wohlfeile Frachten ganz
Deutschland überfluten, sind so niedrig, daß es uns große Anstren-
gungen und Opfer kostet, wenn wir neben ihnen einen nur mäßigen
Absatz erzielen wollen." Ähnlich klingt der Tenor des Berichtes
aus dem Jahre 1884/85. Dort heißt es: „Es ist uns nicht möglich,
ein Gießereieisen zu erzeugen, welches mit dem billigen und für die
meisten Zwecke ausreichenden englischen Material konkurrieren
könnte, und der Bedarf an prima Ware, wie wir sie mit Vorteil
erblasen und auf den Markt bringen können, ist nicht erheblich und
wird obendrein von solchen Konsumenten, welche sich von ihrer
alten Gewohnheit nicht losreißen können, meist in schottischen
Marken — selbst zu höheren Preisen als die unsrigen sind — ge-
deckt." Mit allen Finessen suchte damals die Verwaltung nach
neuen Absatzquellen, nach weiteren Verwertungsmöglichkeiten des ge-
schaffenen Produkts. So wandte sie sich an eine Reihe von Kom-
munen, um dieselben zur Auspflasterung der Straßen mit Eisen resp.
Stahl zu veranlassen. Der Geschäftsbericht 1878/79 sagt über die
negativen Erfolge dieses Vorgehens folgendes: „Die Bemühungen
unserer Geschäftsleitung, Straßenpflasterungen in Eisen resp. Stahl
auszuführen, haben bislang zu einem Resultate nicht geführt; die
Stillich, Nationalökonomische Forschungen, Band I. 15
226 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Stadtkommunen entschließen sich nur sehr schwer und langsam zur
Aufnahme von Versuchen, w^elche unserer Ansicht und Erfahrung
nach einen guten Erfolg, sowie den Städten ein vorzügliches, dauer-
haftes Pflaster und unserer Industrie einen neuen Absatz versprechen."
Leider bieten die Geschäftsberichte über den inländischen Absatz
kein weiteres Material. Ebenso dürftig ist dasselbe für den Absatz
nach dem Auslande.
Die beiden Länder, zwischen denen die oberschlesische Eisen-
industrie gleichsam eingekeilt liegt, sind Rußland und Österreich.
Die geographische Lage für den Export ist also günstig. Allein
beide Länder haben im Laufe der Zeit ihr Schutzzollsystem in der
Weise ausgebildet, daß dasselbe die Ausfuhr oberschlesischer Eisen-
fabrikate vor dem Abschluß der bekannten Handelsverträge geradezu
unterband. Infolgedessen woirde der Absatz immer mehr auf den
Inlandmarkt gedrängt. Bereits in dem Geschäftsbericht von 1876/77
klagt die Verwaltung: „Es fehlt den Werken nichts als ihr natürliches
Absatzgebiet, d. h. ein Gebiet nicht größer als eine Kreisfläche mit
einem Radius von 50 — 60 Meilen. Aber dieser Kreis fällt zum großen
Teil nach Österreich und Rußland, und da das Deutsche Reich nicht
imstande ist, die Zollschranken dieser Länder zu beseitigen, so hat
es unserer Meinung nach die Pflicht, den Absatz unserer Produkte
im Inland zu begünstigen, und die Werke, welche der Staat in
seinem eigenen wohlverstandenen Interesse großgezogen, zu stützen
und zu erhalten."
Welches waren nun die Folgen der hier nicht näher zu behan-
delnden zollpolitischen Maßregeln, die den Export der Königshütte
so stark beeinträchtigten? Sie bestanden in der Verlegung der für
den Export bestimmten Produktion hinter die Zollgrenze. 1882 wird
in russisch Polen ein Walzwerk, die Katharinahütte, gebaut. Der
Plan dazu war schon früher gefaßt, allein der russisch-türkische Krieg
hinderte seine Ausführung. In dem Geschäftsbericht 1881/82 wird
das Projekt näher beschrieben. Die Gesellschaft kauft jenseits der
russischen Grenze, nicht fern dem Grenzorte Sosnowice, in russisch
Polen, an der Warschau-Wiener Eisenbahn gelegen, ein der Herrschaft
Sielce gehöriges Grundstück. Auf diesem wird nunmehr ein Eisen-
werk errichtet mit folgenden Abteilungen: ein Walzwerk für starke
und feinere Blechsorten, und eines für leichtere Stabeisensorten,
eine Puddelanlage zur Herstellung des erforderlichen Halbproduktes
und eine Gießerei und Reparaturwerkstatt, sowie Wohngebäude für
Beamte und Arbeiter. Es entsteht also ein zweigliedriges Werk,
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 227
dessen Roheisenbedarf von den schlesischen Hochöfen der Königs-
und Laurahütte befriedigt wird, während es die nötigen Steinkohlen
von den nahe gelegenen Sielcer Gruben entnimmt. 1882 ist das Werk
teilweise fertig. Erst im zweiten Semester 1883 kommt es in vollen
Betrieb. Die Verwaltung bezeichnet die Katharinahütte „als eine
technisch gut disponierte und solid ausgeführte Anlage." Trotzdem
rentierte sie anfangs nicht. Als Grund dafür wird im Geschäfts-
bericht 1883/84 angegeben einmal die geringe Leistung eines un-
geschulten Arbeiterpersonals und dann der Mangel an ausreichenden
Aufträgen. „Die russische Kundschaft kauft nur ungern und zögernd
das Fabrikat einer neuen Hütte und verlangt von solcher zunächst
billigere Preise und tadellose Qualität. Hat sie sich von letzterer
überzeugt, so pflegt sie dem inländischen Werke (d. h. dem deutschen)
den Vorzug zu geben." Weiter wirkten die Zollerhöhungen auf
Roheisen und Kohle für die Katharinahütte ungünstig. Die russische
Regierung erhöhte 1884 den Roheisenzoll von 6 auf 9, und 1885
auf 12 Kopeken Gold per Pud, d. h. auf 24 Mark pro Tonne, so
daß er mehr als die Hälfte des Wertes des Roheisens betrug. Gleich-
zeitig setzte sie den Zoll für Steinkohlen, welche über die polnische
Grenze eingingen, von 1 auf IV2 Kopeken per Pud hinauf. Diese
Steigerung des Zolles auf Rohmaterial mußte die bestehenden Fa-
briken, welche zu ihrem Betriebe Roheisen und Kohle verwandten
und diese aus dem Auslande bezogen, unzweifelhaft schädigen, und
die Entstehung neuer derartiger Etablissements in Rußland er-
schweren. Infolge dieser hohen Zölle wurde die Katharinahütte
1884/85 mit einer Mehrausgabe von ca. 90 000 Rubel belastet. Dieser
Summe aber stand ein Ausgleich durch eine entsprechende Steigemng
der Fabrikatzölle nicht gegenüber. Um diesen Betrag wurde der
Bruttogewinn des genannten Jahres reduziert. Nachdem nun diese
ersten Lehrjahre überwunden waren, begann die Katharinahütte zu
prosperieren und für die Gesellschaft ein wertvolles Supplement ihrer
schlesischen Produktion zu werden. Während in Deutschland um
die Mitte der 80er Jahre eine allgemeine Verflauung im Eisengeschäft
eintrat, war die Katharinahütte im vollen Betrieb und reichlich be-
schäftigt, so daß sie vielfach von ihrem Überfluß an die schlesischen
Werke abgeben konnte. „Die letzteren ergänzen", heißt es in dem
Bericht 1884/85, „somit das auf der Katharinahütte überhaupt, oder
zur rechten Zeit nicht Darstellbare, bleiben in gut vermittelter Fühlung
mit dem russischen Markte und liefern der Katharinahütte Roheisen
und Steinkohlen." Ebenso florierte das russische Werk auch im
15*
228 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Anfang der 90er Jahre, als in Deutschland das Geschäft stark dar-
niederlag. Rußland hatte damals große Eisenbahnunternehmungen
auszuführen, und dieses bedingte für die russische Eisen- und Stahl-
industrie eine günstige Konjunktur, an der auch die Königs- und
Laurahütte durch ihr russisches Werk partizipierte. Infolge der
höheren Erträge des letzteren wurden die niedrigeren Erträge der
schlesischen Anlage überkompensiert. Wir sehen hier, wie solche
Filialen im Auslande die Funktion einer internationalen Gewinn-
ausgleichung für eine Gesellschaft übernehmen können. Es hängt das
damit zusammen, daß die volkswirtschaftlichen Krisen in den ver-
schiedenen Ländern oft sich nicht zu gleicher Zeit herausbilden.
Ein Beispiel wurde schon angeführt, ein zweites betrifft die letzte
Krisis. Als 1899 Deutschland noch auf der Höhe einer eminent
günstigen Konjunktur stand, war in Rußland bereits der Niedergang
eingetreten. In diesem Jahre stützten die schlesischen Werke das
russische Unternehmen, das unter der Ungunst der Verhältnisse zu
leiden hatte. Andererseits ist zweifellos der Niedergang der deut-
schen Industrie von 1900 — 1902 durch die gleichzeitige Hochkon-
junktur in den Vereinigten Staaten stark abgeschliffen worden.
Nach Errichtung der Katharinahütte hatte die Gesellschaft zwar
weiter ein Interesse an der Erniedrigung der Rohmaterialzölle, zu-
mal mit dem Mai 1887 eine Verdoppelung des Zolles auf Roheisen
eingetreten war, andererseits aber ein Interesse an einer weiteren
Steigerung der Fabrikatzölle, weil durch die letzteren alle die deutschen
Exportwerke geschädigt wurden, die nicht selbst hinter der russischen
Grenze Eisenindustrie trieben. Seit dieser Zeit geht nun eine merk-
würdige Wandlung in der Seele dieser Gesellschaft vor sich. Vor der
Errichtung der Katharinahütte hatte sie es für ganz selbstverständ-
lich gehalten, daß die inländischen Hütten ihre Produkte billiger
auf den Auslandsmarkt warfen als auf den Inlandsmarkt, um kon-
kurrieren zu können. Diese Auffassung aber ändert sich mit einem
Schlage, wo die Gesellschaft hinler der Zollgrenze ein eigenes Werk
etabliert. Was früher verteidigt, wird jetzt angegriffen. Sie bedauert,
daß der schlanke Absatz der Produkte der Katharinahütte zu Preisen
vor sich geht, welche unter der Konkurrenz der außerrussischen
Werke zu leiden hatten." (Geschäftsbericht 1884/85.)
Aus der Darstellung der Verhältnisse des russischen Werkes
geht hervor, daß die sich darin dokumentierende internationale Ex-
pansion des Kapitalismus für die betreffenden Erwerbsgesellschaften
gewisse Vorteile mit sich bringt : Sie erweitern ihren Markt,
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 229
sparen den Zoll und erzielen in K ris e n zelte n e i n e n
Ausgleich ihrer Einnahmen.
Wegen der damit verbundenen Vorteile ist nun die Königshütte
nicht bei der Etablierung des einen Werkes in Rußland stehen ge-
blieben, sondern sie hat 1896/97 noch ein zweites errichtet, dabei
aber den Fehler beseitigt, der in der Abhängigkeit der Katharina-
hütte vom Rohstoffmarkt und den Eingangszöllen auf Kohlen und
Eisen lag. In dem genannten Jahre pachtet sie das Kaiserlich
russische Hüttenwerk Blachownia bei Czenstochau in russisch Polen.
Es besitzt eine Hochofenanlage, ferner eine Gießerei und eine mecha-
nische Werkstatt, sowie ausgedehnte Toneisensteingruben bei Wrcn-
czyca. Mit dem Besitz dieser Erzgruben war nun auch für die
Katharinahütte ein günstigerer Status geschaffen. Der Geschäftsbericht
1896/97 sagt hierüber folgendes: „Die Ausbeutung der Toneisen-
steingruben wird zuvörderst, ehe die Hochofenanlage in Betrieb
kommt, zur Deckung des Eisenbedarfs der in der Nähe gelegenen
Katharinahütte verwandt, während die übrigen Betriebseinrichtungen
von Blachownia zur weiteren vorteilhaf+en Verwertung der Kalharina-
hütter Roheisens und zur Erzeugung von Werkstattprodukten dienen
sollen, die in der industriereichen Umgebung guten Absatz finden."
Infolge des Bestehens dieser beiden Filialen ist das Export-
interesse der Königs- und Laurahütte natürlich ein verhältnismäßig
geringes. Daß trotz der hohen Zölle, die ja durch die Handels-
verträge mit Österreich und Rußland ermäßigt wurden, immerhin
unter Umständen große Massen der Erzeugnisse der Königshütte
ins Ausland gelangen, geht aus einem Bericht des Unternehmens vom
Jahre 1894/95, über das diesbezügliche Angaben gemacht werden,
her\'or. In diesem Jahre hatten die hohen Eisenbahnfrachten Ober-
schlesiens das Absatzgebiet der Vereinigten Königs- und Laurahütte
im Norden Deutschlands eingeengt. Dies veranlaßte das Werk, Er-
satz in einem verstärkten Export nach dem Auslande, besonders
nach Rußland, zu suchen. An Handelswaren wurden im Auslande
abgesetzt 45 o/o des Gesamtabsatzes gegen 41, 7 o/o im vorhergehenden
Jahre. Der Grund für diesen kolossalen Export der Königshütte
lag darin, daß 1893 der Handelsvertrag mit Rußland abgeschlossen
worden war, der eine Zollherabsetzung mit sich brachte. Die auf
der Königshütte aufgestauten Vorräte flössen nunmehr in großen
Massen über die Grenze ab. Immerhin sind die beiden genannten
Jahre in bezug auf die Ausfuhr der Königshütte als Ausnahmejahre
; nisehen. Nach dem schon erwähnten Artikel in der Vossischen
230 5- Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Zeitung kann man annehmen, daß die oberschlesischen Werke alles
in allem nicht mehr als zusammen 5 o/o ihrer Produktion ins Aus-
land versenden; diese 5 o/o stellen natürlich nur die Durchschnitts-
ziffer dar. Bei einigen Artikeln ist die Exportziffer bedeutend höher,
so bei Stabeisen auf etwa 15 o/o, bei anderen Produkten entsprechend
niedriger zu veranschlagen.
Soviel über den Absatz der Königs- und Laurahütte im In- und
Auslande. Im ganzen wurden im Jahre 1902/03 daraus vereinnahmt
5OV2 MiUion Mark. An dieser Bareinnahme sind die russischen
Werke beteiligt mit 3 747196 Rubel Die eben genannte Einnahme
setzt sich zusammen aus folgenden, leider in ihren Verkaufswerten
nicht näher spezialisierten Posten. Es wurden im genannten Jahre
verkauft :
an Steinkohlen 1,739,678 t
„ Fertigeisen 147,636 „
„ Röhren 9,940 „
„ Roheisen 5,373 „
„ Gußwaren 2,713 „
Produktion und Absatz der Königshütte sind im Laufe der letzten
30 Jahre außerordentlich gestiegen. Es betrug:
die Produktion
1871/2
1880/1
1890/1
1900/1
an Steinkohlen
580,668 t
939,199 t
1,548,552
t
2,462,882
„ Walzeisen
66,320 „
82,385 „
128,237
11
177,476
der Absatz
an Steinkohlen
-
269,724 „
898,727
II
1,815,600
,, Walzeisen
65,028 „
78,785 „
122,668
142,055
Hingegen ist in dieser ganzen Periode das Aktienkapital
stabil geblieben. Ursprünglich betrug es 18 Millionen Mark. Dann
vioirde es durch Generalversammlungsbeschluß vom 24. April 1873
um 9 Millionen, also auf 27 Millionen Mark erhöht, und zwar im
wesentlichen behufs Aufnahme der Stahlerzeugung, sowie Ver-
mehrung der Steinkohlenförderung und Roheisenproduktion. Auf
diesem Niveau ist es bis heute stehen geblieben. Die notwendigen
Summen für den Bau der russischen Filiale, für den Ankauf neuer
Steinkohlengruben, für die Erweiterung der Stahlerzeugung und den
Bau von Anlagen zur Gewinnung verschiedener Nebenprodukte, so-
wie der Anlagen zur Verfeinerung und Weiterverarbeitung der Eisen-
erzeugnisse wurde durch zwei große Anleihen aufgebracht. Die
erste aus dem Jahre 1885 betrug 71/2 Million Mark. Sie erfi:' r
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 231
1895 eine Erhöhung auf 10 Millionen unter Reduktion des Zins-
fußes von 41/2 auf 372%- Auf dieser Höhe steht sie noch heute.
Im übrigen wurden die Neuankäufe aus den Gewinnen des Betriebes
bestritten, namentlich in günstigen Konjunkturjahren. So wurden
z. B. die Kosten der Neuanschaffungen des Jahres 1897/98 durch Ab-
schreibungen von etwa 3 Millionen Mark aus den Gewinnen ge-
deckt. Die zurzeit noch bestehenden Gründerrechte (cf. S. 176)
dürften zum Teil die Scheu der Verwaltung vor der Vermehrung des
Aktienkapitals durch die Ausgabe junger Aktien erklären.
Allerdings haben die schlechten Geschäftszeiten das Unter-
nehmen vielfach in seiner Entwicklung gestört, aber sie haben doch
nicht solchen Einfluß auf dasselbe gewonnen wie bei den Werken,
die wir früher bereits kennen lernten. Das hängt zusammen mit
der geringeren kapitalistischen Entwicklung der oberschlesischen
Hüttenindustrie überhaupt. Eine Massenproduktion konnte und kann
sich infolgedessen bei der letzteren nicht in dem Maße entwickeln
und den Markt überfluten wie bei der rheinisch-westfälischen Massen-
industrie. Zunächst sehen wir, daß die große Krisis von
1873 — 79 in Oberschlesien später einsetzt. In der
ersten Hälfte des Jahres 1873 ließ der Andrang der Käufer vorzugs-
weise in gewöhnlichem Handelseisen nach, während der Bedarf an
Eisenbahnmaterial und Blechen nach wie vor ein großer blieb. Aber
selbst das folgende Jahr bringt noch keine Schwierigkeiten. Noch
im Geschäftsbericht 1873/74 frohlockt die Verwaltung: „Wir können
mit besonderer Genugtuung an dieser Stelle die Bemerkung voraus-
schicken, daß die Werke der Vereinigten Königs- und Laurahütte
voll beschäftigt waren, daß die Produktion in einzelnen Artikeln
der vorjährigen nahezu gleich, in anderen, besonders in Steinkohlen,
erheblich höher gewesen ist, daß die Produkte zu guten Preisen ab-
gesetzt wurden, daß wir ein den schwierigen Verhältnissen gegenüber
vorzügliches finanzielles Resultat erzielten und die Gesamtwerke durch
fortlaufende Meliorationen und Neubauten nach allen Richtungen
hin gestärkt und konkurrenzfähiger in das neue Geschäftsjahr hinüber-
geführt haben." In dem folgenden Jahre werden die Schwierig-
keiten allerdings größer, wenn auch das oberschlesische Absatz-
gebiet nicht so offen dem aggressive Eindringen fremder Eisen-
produkte ausgesetzt war wie Rheinland-Westfalen. Vor allem diente
dem Werk sein Steinkohlenabsatz als Mittel, um der heranziehenden
Krisis entgegenzutreten. Mit Bezug hierauf heißt es 1875/76: „Da-
gegen ist das Geschäft in Steinkohle noch lohnend, obwohl die Eisen-
232 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
hütten, sonst sehr starke Konsumenten, sowie in anderen Fabriken
kaum die Hälfte ihres früheren Bedarfes entnehmen. Die in dem
letzten Jahre dem Betriebe übergebenen Eisenbahnen haben neue
Absatz- und Verbrauchsgebiete erschlossen, welche sich mehr und
mehr der Steinkohle bedienen . . .*' Nun aber gingen die Preise
weiter zurück. Die Preise in Roheisen und Walzwerkswaren mußten
mit jedem neuen Abschluß nachgeben, jedoch vergrößerte sich durch
die erhebliche Reduktion die Walzeisenpreise das Absatzgebiet nicht
unerheblich, „so daß z. Zt. Aufträge reichlich fließen." (Geschäfts-
bericht 1875/76.) Diese sinkenden Preise erweiterten gleichsam auto-
matisch den Absatz. Während der Krisis spielt der Export der
Königshütte keine bedeutende Rolle. Allerdings hatte sie einige
Jahre hindurch eine nicht unbedeutende Ausfuhr von Schienen nach
Rußland und Österreich und von Stahlprodukten nach Amerika. Aber
mit der Schutzzollgesetzgebung des Auslandes sinkt dieser Anteil
der auf fremde Märkte geworfenen Waren wieder. In dieser Zeit
tritt ein anderes Moment als die Entlastung des Werkes durch den
Export in den Vordergrund : die Verminderung der Erzeugungskosten.
Dazu kommen Betriebseinschränkungen. „Anfangs," sagt die Ver-
waltung, „wurde der Betrieb voll aufrecht erhalten. Später fanden wir
es jedoch profitabel. Eisen- und Stahlartikel nur insoweit zu
fabrizieren, als wir mit Nutzen verkaufen konnten und dagegen die
Produkte der Steinkohlengruben in größerem Maße direkt auf den
Markt zu bringen." Aber mit der Verflauung des Kohlenmarktes
führte auch dieser Modus nicht mehr zu günstigen Ergebnissen.
Daher folgert die Verwaltung: „Für die generelle Disposition in
unserem Geschäftsbetrieb ist die Frage des Kohlenabsatzes von großer
Bedeutung. Wenn der letztere, wie im verflossenen Jahre, schwierig
ist und der direkte Verkauf der Kohlen in großen Massen den Preis
weiter zu werfen droht, so empfiehlt es sich, den Hüttenwerken größere
Massen Kohlen zu überweisen, oder mit anderen Worten, die Hütten
stärker zu betreiben, vorausgesetzt, daß die Kohlen im Kaufgelde
der Hüttenprodukte eine angemessene Verwertung finden," (Ge-
schäftsbericht 1877/78.) Die Resultate des Jahres 1878/79 waren
die schlechtesten seit dem Bestehen der Gesellschaft. Die Dividende
betrug nur 1V2%-
In jener schweren Zeit erwartete die Eisenindustrie, die vorher
durchaus freihändlerisch gewesen war, Hilfe von den Schutzzöllen.
Die Bewegung ging aus von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates
der Vereinigten Königs- und Laurahütte, dem Reichstagsabgeord-
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 233
neten von Kardorff, der in seiner Broschüre „Gegen den Strom" auf
die Notwendigkeit der Schutzzölle auch für die Eisenindustrie hin-
wies. Durch das Gesetz von 1873 war das Roheisen zollfrei ge-
worden, und die Schmiedeeisenzölle waren bedeutend ermäßigt. 1877
sollte auch der Schmiedeeisenzoll beseitigt werden. Diesem Ge-
setz galt der Kampf und die Agitation. 1874 konstituierte sich der
„Verein deutscher Eisen- und Stahiinc'ustrieller*', dessen Vorsitzender
der damalige Generaldirektor der Königs- und Laurahütte Richter
wurde. Im Dezember 1875 traten auf Veranlassung von Kardorffs
50 Großindustrielle zur Gründung des „Zentralverbandes deutscher
Industrieller" zusammen, welcher sich als Vertretung der schutz-
zöUnerischen Interessen der deutschen Industrie konstituierte.*) Diese
Agitation führte zu einem Umschwünge in der deutschen Wirtschafts-
politik, der zu bekannt ist, als daß ich hier weiter darauf einzugehen
brauchte.
Aber bereits im Herbst 1879 kam ejn Anstoß zur Besserung von
einer Seite, von welcher man ihn am wenigsten erwarten konnte:
Amerika. Noch vor wenigen Jahren ein starker Abnehmer für euro-
päisches Eisen, hatte es sich zur Verstärkung seiner Produktion so
weit unabhängig gemacht, daß es seinen gewöhnlichen Konsum zu
decken vermochte; seine Betriebsmittel reichten aber nicht aus, um
dem stark und plötzlich auftretenden Bedarf an Eisenmaterial, wie er
sich im Jahre 1879 infolge sehr günstiger Ernten dort entwickelte,
zu genügen. Die natürliche Folge davon war die Rückkehr auf den
europäischen, und zunächst den englischen Markt; es wurden große
Quantitäten von Roheisen und Alteisen, Halbprodukten in Stahl (steel-
bloms) und fertigen Schienen für amerikanische Rechnung aufgekauft,
und die Bewegung übertrug sich bald auf die Montanbezirke des
Kontinents, zuerst auf Belgien, Westfalen und die Rheinprovinz und
sodann auf Schlesien. Wir sehen also, wie die Besserung der Ge-
schäftslage bei der Königs- und Laurahütte erst spät eintritt.
Die 80er Jahre haben dann für das Unternehmen ebenfalls
manche Schwierigkeiten gebracht, so daß die Dividende in den
schlimmsten Zeiten 1885/86 V3 und 1886/87 nur Vb^/o betrug. Nun-
mehr waren es nicht mehr allein, wie in den 70er Jahren, die Schutz-
zölle, die man als Panacee proklamierte, denn dieselben standen ja in
voller Blüte, sondern jetzt feierte der Kartellgedanke in der westfälischen
wie auch in der oberschlesischen Industrie seinen Einzug. Unter
*) Siehe Festschrift p. 71 ff.
234 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
Führung Richters bildete sich 1886 ein „Verband oberschlesischer
Walzwerke", welcher nach den Angaben der Festschrift 1. die je-
weilige Feststellung der Produktion und des Absatzes, 2. die Ver-
teilung desselben unter die Verbandswerke nach bestimmten Grund-
sätzen und 3. die Etablierung einer gemeinschaftlichen Verkaufsstelle
für alle Beteiligten in Berlin zur Durchführung brachte. Die gün-
stigen Erfolge dieses Verbandes führten zu ähnlichen Vereinigungen
der rheinisch-westfälischen, der mitteldeutschen und zuletzt der süd-
deutschen Werke. Alle 4 Gruppen traten dann 1887 zu dem „Deut-
schen Walzwerksverbande" in Berlin zusammen. Über die Tätigkeit
des Verbandes äußert sich die Festschrift (p. 74) wie folgt: „Richter
führte den Vorsitz des Verbandes und leitete seine Geschäfte in
einem so versöhnlichen Geiste, daß die neue Schöpfung allseitig
eine wohlwollende Beurteilung fand. Die Verkaufspreise wurden
in mäßigen Grenzen gehalten, die eine Einengung des Eisenverbrauchs
nicht befürchten ließen, die Käufer faßten Vertrauen zu der neuen
Einrichtung, und das Eisengeschäft belebte sich in erfreulicher Weise.
Leider wurde jene Mäßigung, trotz der Bemühungen Richters, vom
Verbände aufgegeben, als im Herbst 1889 in Amerika eine Eisen-
hausse eintrat, welche sich auch auf Deutschland übertrug. Die Eisen-
preise Verden sprungweise bis auf 200 Mark und darüber aufgehöht,
der Eisenverbrauch stockte, und da nunmehr die Preise schleunigst
ermäßigt werden mußten, so schwand das Vertrauen der Konsumenten
und Händler auf den Schutz vor Konjunkturverlusten, welchen sie
vom Verbände erwartet hatten. Obwohl der Verband sein Ansehen
bei der Kundschaft durch diesen Fehlgriff in etwas eingebüßt hatte,
so wurde er doch im Jahre 1890 auf weitere drei Jahre verlängert,
weil seine Vorteile für die Eisenwerke rückhaltlos anerkannt wurden.
Jetzt indessen trat die Erscheinung ein, daß nach und nach eine immer
größere Anzahl neuer, modern eingerichteter Eisenwerke erbaut wurden,
welche sich nach ihrer Fertigstellung mit leichter Mühe die Aufnahme
in den Verband zu günstigen Bedingungen erkämpften, so daß dieser
allmählich auf 58 Werke mit nahezu 800 COO Tonnen Jahresproduktion
angewachsen war. Eine so gesteigerte Produktionsmenge vermochte
der Verband nicht mehr unterzubringen, und man schritt am 20. No-
vember 1893, bald nach Richters Tode, zu seiner Auflösung." In
der Generalversammlung vom 28. Oktober 1894 machte der nun-
mehrige Generaldirektor Junghann folgende Mitteilung:*) „Der
*) Siehe „Börsencourier" vom 29. Oktober 1894.
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 235
Schlesisch-Mitteldeutsche Walzwerksveiband ist definitiv gekündigt.
Es war nicht möglich, denselben fortzusetzen, weil das Peiiier Walz-
werk seinen Austritt angezeigt hatte Ohne dies Werk sei der Ver-
band undenkbar. Das Peiner Walzwerk war der Meinung, daß der
Verband für die westfälische Konkurrenz wertvoller gewesen sei
als für die Verbandswerke, und daß die Konkurrenz im Osten durch
die einzelnen Werke weit intensiver bekämpft werden könnte, als
durch den Verband. Das Borsigwerk sei außerhalb des Verbandes
geblieben und mache große Konkurrenz, habe es auch verstanden,
viele Kunden heranzuziehen, da seine jetzige Leitung eine ziel-
bewußte und gute sei. Die Preise würden durch die westfälische
Konkurrenz diktiert und könnten die oberschlesischen Werke dieselben
nicht höher halten als diese . . . Borsig wolle Oberschlesien be-
herrschen.'* Schließlich heißt es im Geschäftsbericht des Jahres
1894/95: „Da der Schlesisch-Mitteldeutsche Verband in seinem iso-
lierten Bestände sich für unsere Interessen mehr und mehr unfrucht-
bar erwiesen hatte, so hatten wir demselben gekündigt.*' In Ober-
schlesien traten nun nach Austritt der Königs- und Laurahütte die
übrigen Werke zu einer neuen „Vereinigung der Oberschlesischen
Walzwerke" zusammen, mit welcher die Königshütte ein Kartell
bezüglich der Handhabung der Geschäfte einging.
In der Krisis von 1891 — 95 erfolgte dann, nach Abschluß des
russischen Handelsvertrages, eine große Abstoßung von Eisenvorräten
der Königshütte nach Rußland, um den Markt zu entlasten. Ich
habe die diesbezüglichen Mengen schon an anderem Orte näher an-
gegeben. Der oberschlesische Walzwerksverband glaubte dadurch
eine bedeutende Aufbesserung der Preise für Eisenfabrikate herbei-
führen zu können. Allein der Versuch mißlang, „weil die west-
deutschen Werke ihren Wettbewerb zu niedrigen Preisen bis nach
Schlesien hin auszudehnen bestrebt waren." Hier sehen wir bereits
klar und deutlich das Eingreifen der westlichen, auf der Massen-
produktion beruhenden Werke für die bei weitem weniger produ-
zierende Eisenindustrie Oberschlesiens verhängnisvoll werden. Die
letzte Krisis von 1900 ff. hat diesen Zusammenhang noch schärfer
hervortreten lassen. Diese Krisis ist für die oberschlesische Eisen-
industrie im allgerneinen und für die Königshütte im besonderen
im wesentlichen mit bedingt worden durch die Überproduktion der
rheinisch-westfälischen Werke. Das Zurückgehen der Aufträge, die
Verflauung des Marktes in Oberschlesien war nur eine Reflex-
erscheinung der wuchtigen Massenerzeugung der westlichen Kon-
236 5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
kurrenz. Auch die Kartelle der oberschlesischen Eisenindustrie konn-
ten allein nichts ausrichten. Hierüber schreibt Kuh, Redakteur des
Zentralblattes der Walzwerke folgendes:*) „Durch seinen rücksichts-
losen und bisweilen selbstmörderischen Wettbewerb hat der west-
liche Teil der deutschen Eisenerzeugung die östliche Konkurrenz
oft mitgerissen, und die Schwankungen in der oberschlesischen Eisen-
industrie sind zum großen Teil nicht aus ihr selbst entstanden,
sondern sie sind Reflexe der vom Westen her ausgehenden Unruhe.
Als im Jahre 1900 der Umschwung eintrat, wäre es den schlesischen
Werken möglich gewesen, das Krisenartige der Erscheinung zu mil-
dern. Das Kartell der oberschlesischen Walzwerke und die Königs-
und Laurahütte operierten nach gemeinsamer Verabredung in der
Weise, daß dem Handel, der in überstürzter Spekulation starke Ver-
pflichtungen übernommen hatte, Preisermäßigungen von 210 auf
185 Mark pro Tonne gewährt wurden gegen die Verpflichtung so-
fortiger Spezifikation . . . mit den westlichen Werken aber war
keine Verständigung möglich." Kuh ist nun allerdings der Meinung,
daß die oberschlesischen Werke immer das Gute gewollt, die bösen
westfälischen Werke es aber nicht getan haben. Er ist ein Lob-
redner der oberschlesischen Hüttenindustrie, er meint sogar, „von
einer wirklichen Krisis kann in der oberschlesischen Montanindustrie
nicht die Rede sein." Allein der tiefere Qrund ist ihm entgangen,
er beruht darin, daß in Oberschlesien wegen der geringen kapi-
talistischen Entwicklung tatsächlich eine eigentliche Überproduktion
in der letzten Krise nicht bestand.
Was die speziellen Verhältnisse der Königs-
anbelangt, so betrug :
1900/01
die Zahl der Arbeiter 20,277
der gezahlte Arbeitslohn 17,477,528
die Bruttobareinnahme 59,0 Mill. M.
die Dividende 14 »/o
Verkauftes Fertigeisen 142,055 t
Hieraus ergibt sich folgendes: Die Arbeiterzahl ist während der
letzten Krisis ziemlich dieselbe geblieben, auch der Lohn hat sich ge-
halten, wenn auch im letzten Jahre eine Abschwächung eintrat. Die
Bruttobareinnahmen sind zurückgegangen, die Masse der verkauften
!r Königs-
und Laurahütte
1901/02
1902/03
20,343
20,028
17,002,416
16,573,461
51,4 Mill. M.
50,5 Mill. M.
10 o/o
11 Vo
146,847 t
147,636 t
*) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 106: „Die Störungen im
deutschen Wirtschaftsleben während der Jahre 1900 ff." Montan- und Eisen-
industrie, Leipzig 1903, p. 192.
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte. 237
Fabrikate aber ist gestiegen. Aus dem Geschäftsbericht ist ferner er-
sichtlich, daß nicht alle Zweige der Produktion von der Krisis be-
rührt wurden. So heißt es in dem Bericht über das Jahr 1900/01 :
„Unsere Konstruktions- und Verfeinerungswerkstätten waren das
ganze Jahr hindurch lebhaft beschäftigt und erhöhten ihren Umsatz
gegen das Vorjahr um 9 o/o."
Fassen wir zum Schluß noch einmal das Wesentliche dieses
dritten Abschnittes zusammen: Das natürliche Absatzge-
biet der Vereinigten Königs- und Laurahütte ist
Schlesien. Ihr Exportinteresse ist verhältnismäßig
gering. Die Gründe hierfür liegen einmal in dem
Unternehmen selbst, nämlich in seiner geringeren
Erzeugungskraft, zweitens aber in der Schutzzoll-
politik der angrenzenden Länder. Die geringere ka-
pitalistische Entwicklung bedingt nicht in dem Maße
die Produktion für den Weltmarkt, wie dies bei den
auf den Export angewiesenen r he i n isch- westfäli-
schen Werken der Fall ist. Der Plan, jenseits der
russischen Grenze ein Eisenwerk zu erbauen, wurde
durch die Befürchtung aus der Taufe gehoben, daß
infolge der Steigerung der russischen Eingangszölle
auf fabriziertes Eisen die Produkte der Königshütte
allmählich vom russischen Markt ausgeschlossen
werden würden. Durch die Erbauung der Katharina-
hütte erweiterte das Werk seinen Absatzmarkt,
sparte den Zoll und war in der Lage, bei verschie-
dener Konjunktur im In- und Auslande seine Ein-
nahmen auszugleichen. Um die Mitte der 90er Jahre
wird dann ein zweites Werk in Rußland gepachtet.
Die Bedeutung diese s Besitzes liegt hauptsächlich
in hochprozentigen Erzgruben, so daß das Roheisen
für die Fabrikation im Auslande nicht aus Schle-
sien bezogen zu werden braucht, sondern z. T. von
eigenen Hochöfen in Rußland geliefert wird. Mit
diesen Erwerbungen steht die Aufnahme der erwähn-
ten Anleihen in Kausalzusammenhang, während das
Aktienkapital von 1873 bis zur Gegenwart auf der
Höhe von 27 Millionen Mark verharrt. Wir sahen
schließlich, daß die Störungen im Wirtschaftsleben
den Gang der Geschäfte der Königshütte nicht in
238
5. Die vereinigte Königs- und Laurahütte.
dem Maße beeinflußten, wie bei den rh e inisch- west-
fälischen Werken, so daß sie auch in Zeiten, wo der
Zeiger des Wirtschaftslebens ungünstig stand, stets
imstande war, eine Dividende zu verteilen. Auch
dieses Moment hängt mit dem Grundcharakter des
Unternehmens, der geringeren kapitalistischen Ent-
wicklung, zusammen.
7180. Setzmaschinensatz der Deutschen Buch- u. Kunstdruckerei, O. m.b. H., Zossen-Berlin SW. 11.
FRANZ SIEMENROTH • Verlagsbuchhandlung • BERLIN W.
Der deutsche
Aussenhandel
Materialien und Betrachtungen
von
GEORG GOTHEIN
Mitglied des Reichstages.
1901. XXVll u. 827 Seiten kl. 4*^». Geb. 23 Mark.
Im Hinblick auf die Neuordnung der deutschen Handels-
politik geschrieben, bietet des Gothein'sche Werk eine er-
schöpfende, grundlegende Untersuchung über die Bedeutung des
Außenhandels für das deutsche Volk, die Gründe seiner Ent-
wickelung und seiner Notwendigkeit. Alles geschöpft aus den
besten Quellen des praktischen Lebens und unter Be-
nutzung vieler Hunderte von Gutachten von Industriellen
und Kaufleuten.
In seinem speziellen Teile behandelt das Werk auf
712 Seiten den Außenhandel in den einzelnen Waren, die
Ein- und Ausfuhr, die Zölle aller Kulturstaaten; es bespricht in jedem
Fall die Frage der Inlandsbesteuerung, der Zollsätze des In- und
Auslandes in ihren Wirkungen auf die heimische Industrie und
den Verkehr mit den einzelnen Ländern.
Der ungeheuere Stoff ist von dem Verfasser, dem ge-
schätzten Nationalökonomen und Parlamentarier, mit enormem
Fleiß bearbeitet und übersichtlich gegliedert dargestellt worden.
Ein ähnliches Werk kann keine der Kulturnationen aufweisen.
FRANZ SIEMENROTH • Verlagsbuchhandlung • BERLIN W.
Die Bewegung der
Warenpreise
in Deutschland von 1851 bis 1901.
Nebst zwei Ergänzungen:
Bankdiskont Goldproduktion und Warenpreisstand.
Der Weizenpreis von 400 vor Chr. bis \900,c:i?^^^
Von
OTTO SCHMITZ.
Mit 43 Tafeln und 2 Karten in farbigem Steindruck.
1903. 443 Seiten Lex. 8^ Geh. 12 Mk„ geb. 14Mk.
Kölnische Zeitung: «Die genaue Verfolgung der Warenpreisschwankungen ist für die
Beurteilung der gesamten Tätigkeit eines jeden Wirtschaftskörpers von der größten Wichtigkeit.
Haben doch die Preisbewegungen der wichtigsten Waren ebensowohl symptomatische Bedeutung
für die Feststellung wichtiger wirtschaftlicher Vorgänge, wie sie anderseits die Ursache ent-
scheidender Wendungen im Wirtschaftsleben sind. Die Bewegung der Arbeitslöhne wie des
Unternehmergewinnes und des Kapitalzinses hängt in erster Linie von ihnen ab, und es ist des-
halb für den Volkswirt wie für den Praktiker von der größten Wichiigkeit, vor allem einen Über-
blick über die Warenpreisbewegungen innerhalb größerer Zeitabschnitte zu gewinnen. Das ist
bei der großen Fülle des Materials und wegen seiner weitgehenden Zersplitterung nicht leicht,
und es ist deshalb jeder Versuch, auf diesem Gebiete größere Klarheit zu schaffen, mit Aner-
kennung zu begrüßen, sofern er mit tauglichen Mitteln und auf zuverlässiger Grundlage unter-
nommen wird. Das darf der Arbeit nachgesagt werden, die Otto Schmitz über di se wichtige
Frage soeben veröffentlicht. Schmitz gibt nicht nur eine übersichtliche Darstellung der Waren-
preisbewegungen an sich, sondern berechnet auch das Verhältnis des Preises jeder einzelnen Ware
zu dem Gesamtwarenpreisstand jedes Zeitabschnittes. Was seine Arbeit besonders wertvoll macht,
ist die systematische und leicht übersichtliche Form, deren Wert durch zaiilreiche graphische
Darstellungen noch wesentlich erhöht wird ; soweit sich durch die von uns angestellten Stich-
proben und Nachprüfungen ermitteln ließ, sind die Angaben der einzelnen Übersichten durch-
aus zuverlässig. Besonders interessant ist die Gegenüberstellung der Vi ränderungen der Waren-
preise mit den Diskontschwankungen und mit der Entwicklung der Goldgewinnung. Die Schmitz'sche
Arbeit wird für jedermann, der einen Einblick in die tatsächliche Bewegung der Warenpreise, in
ihre innern und ursächlichen Zusammenhänge vyie auch in ihie Wirkungen gewinni-n will,
unentbehrlich sein. Zu wünschen wäre, daß sie auch für die holge in derselben systv.niaiischen
Weise weiter fortgeführt würde."
Schmoller's Jalirbiicher: Wir müssen dem ungeheueren Fleiß, mit dem die Riesen-
arbeit bewältigt worden ist, die volle Anerkennung zollen. LJie Aufopferung, mii der sich ein
Privatmann einer solch zeitraubenden, langw iligen und kostspieligen Arbeit, die eigenilicn von
den öftcntliihen Instituten zu besorgen wäre, unterzogen hat, ist über jedes Lob erhaben.
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